Urkirche als Utopie: Die Idee der Gütergemeinschaft im späteren Mittelalter von Olivi bis Wyclif 3515115048, 9783515115049

In der Apostelgeschichte beschreibt der Evangelist Lukas das Gemeinschaftsleben der ersten Christen in Jerusalem. Als Ze

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German Pages 309 [314] Year 2016

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EDITORIAL
INHALTSVERZEICHNIS
VORWORT
I. EINLEITUNG
1. Zwischen Normativität und Zukunftsideal: Gütergemeinschaft
im spätmittelalterlichen Denken
2. Das Ideal der Urkirche: Literaturschau
3. Primat der Exegese: Aufgabenstellung
4. Methode und Gang der Untersuchung
II. KONTEXTE
1. Besitz oder Gebrauch? Gütergemeinschaft bei Plato und Aristoteles
2. Naturrecht und Sündenfall: Gütergemeinschaft im Decretum Gratiani
3. Die franziskanische Eigentumsfrage im 13. Jahrhundert
III. FRANZISKANER, URCHRISTEN UND DIE ENTGRENZUNG DER GÜTERGEMEINSCHAFT: PETRUS IOHANNIS OLIVIS LECTURA SUPER ACTUS APOSTOLORUM
1. Einführung
2. Perfectio evangelica – eine paradigmatische Leitlinie
3. Staatsphilosophie und Heilsgeschichte: Olivis Rezeption
4. Im Konflikt mit der Welt: Urchristentum und Franziskanerorden
5. Verfasstheit der Gütergemeinschaft
6. Apg 4,32: Spirituelles und hermeneutisches Zentrum
7. Die Güterverteilung
8. Jurisdiktion der Prälaten – Exegese und Zeitkritik
9. Zwischenstand 1: Entgrenzung
IV. URKIRCHE, DOMINIUM UND DIE POLITISIERUNG DER GÜTERGEMEINSCHAFT IM 14. JAHRHUNDERT
1. Aegidius Romanus: die Apostel als absolutistische Herrscher
2. Richard FitzRalph: der Klerus als legitimer Nachfolger der
Urgemeinde
3. John Wyclif: Gütergemeinschaft und Gesellschaftsreform
4. Zwischenstand 2: Politisierung
V. SYNOPSE: VON DER VITA REGULARIS ZUR TOTA UNIVERSITAS HOMINUM
ABKÜRZUNGEN
LITERATURVERZEICHNIS
1. Quellen
2. Literatur
3. Internetressourcen
REGISTER
Bibelstellenindex
Personen und Orte
Sachen
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Urkirche als Utopie: Die Idee der Gütergemeinschaft im späteren Mittelalter von Olivi bis Wyclif
 3515115048, 9783515115049

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Urkirche als Utopie Die Idee der Gütergemeinschaft im späteren Mittelalter von Olivi bis Wyclif

Christian Hoffarth

hamburger studien zu gesellsChaften und Kulturen der Vormoderne band 1

Geschichte Franz Steiner Verlag

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Christian Hoffarth Urkirche als Utopie

Hamburger Studien zu geSellScHaften und Kulturen der Vormoderne Herausgegeben von Alessandro Bausi (Äthiopistik), Christian Brockmann (Klassische Philologie, Gräzistik), Christine Büchner (Katholische Theologie), Christoph Dartmann (Mittelalterliche Geschichte), Philippe Depreux (Mittelalterliche Geschichte), Stephan Faust (Klassische Archäologie), Helmut Halfmann (Alte Geschichte), Kaja Harter-Uibopuu (Alte Geschichte), Stefan Heidemann (Islamwissenschaft), Ulrich Moennig (Byzantinistik und Neugriechische Philologie), Barbara Müller (Kirchengeschichte), Sabine Panzram (Alte Geschichte), Werner Riess (Alte Geschichte), Jürgen Sarnowsky (Mittelalterliche Geschichte), Claudia Schindler (Klassische Philologie, Latinistik), Martina Seifert (Klassische Archäologie), Giuseppe Veltri (Jüdische Philosophie und Religion)

band 1

Christian Hoffarth

Urkirche als Utopie Die Idee der Gütergemeinschaft im späteren Mittelalter von Olivi bis Wyclif

Franz Steiner Verlag

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Gerda Henkel Stiftung, Düsseldorf

Umschlagabbildung: Der Tod des Ananias und der Saphira, Miniatur in einer neapolitanischen Bibel (2. Viertel des 14. Jahrhunderts) © ÖNB/Wien, Cod.1191, fol.433v Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2016 Druck: Hubert & Co., Göttingen Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-11504-9 (Print) ISBN 978-3-515-11505-6 (E-Book)

EDITORIAL In der Reihe Hamburger Studien zu Gesellschaften und Kulturen der Vormoderne haben sich geisteswissenschaftliche Fächer, die u. a. die vormodernen Gesellschaften erforschen (Äthiopistik, Alte Geschichte, Byzantinistik, Islamwissenschaft, Judaistik, Theologie- und Kirchengeschichte, Klassische Archäologie, Klassische und Neulateinische Philologie, Mittelalterliche Geschichte) in ihrer gesamten Breite zu einer gemeinsamen Publikationsplattform zusammengeschlossen. Chronologisch wird die Zeit von der griechisch-römischen Antike bis unmittelbar vor der Reformation abgedeckt. Thematisch hebt die Reihe zwei Postulate hervor: Zum einen betonen wir die Kontinuitäten zwischen Antike und Mittelalter bzw. beginnender Früher Neuzeit, und zwar vom Atlantik bis zum Hindukusch, die wir gemeinsam als „Vormoderne“ verstehen, zum anderen verfolgen wir einen dezidiert kulturgeschichtlichen Ansatz mit dem Rahmenthema „Sinnstiftende Elemente der Vormoderne“, das als Klammer zwischen den Disziplinen dienen soll. Es geht im weitesten Sinne um die Eruierung sinnstiftender Konstituenten in den von unseren Fächern behandelten Kulturen. Während Kontinuitäten für die Übergangszeit von der Spätantike ins Frühmittelalter und dann wieder vom ausgehenden Mittelalter in die Frühe Neuzeit als zumindest für das lateinische Europa relativ gut erforscht gelten können, soll eingehender der Frage nachgegangen werden, inwieweit die Kulturen des Mittelalters im Allgemeinen auf die antiken Kulturen rekurrierten, sie fortgesetzt und weiterentwickelt haben. Diesen großen Bogen zu schließen, soll die neue Hamburger Reihe helfen. Es ist lohnenswert, diese längeren Linien nachzuzeichnen, gerade auch in größeren Räumen. Vielfältige Kohärenzen werden in einer geographisch weit verstandenen mediterranen Koine sichtbar werden, wobei sich die Perspektive vom Mittelmeerraum bis nach Zentralasien erstreckt, ein Raum, der für die prägende hellenistische Kultur durch Alexander den Großen erschlossen wurde; auch der Norden Europas steht wirtschaftlich und kulturell in Verbindung mit dem Mittelmeerraum und Zentralasien – sowohl aufgrund der Expansion der lateinischen Christenheit als auch über die Handelswege entlang des Dnepr und der Wolga. Der gemeinsame Impetus der zur Reihe beitragenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler besteht darin aufzuzeigen, dass soziale Praktiken, Texte aller Art und Artefakte/Bauwerke der Vormoderne im jeweiligen zeithistorischen und kulturellen Kontext ganz spezifische sinn- und identitätsstiftende Funktionen erfüllten. Die Gemeinsamkeiten und Alteritäten von Phänomenen – die unten Erwähnten stehen lediglich exempli gratia – zwischen Vormoderne und Moderne unter dieser Fragestellung herauszuarbeiten, stellt das Profil der Hamburger Reihe dar. Sinnstiftende Elemente von Strategien der Rechtsfindung und Rechtsprechung als Bestandteil der Verwaltung von Großreichen und des Entstehens von Staatlichkeit, gerade auch in Parallelität mit Strukturen in weiterhin kleinräumigen

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Editorial

Gemeinschaften, werden genauso untersucht wie Gewaltausübung, die Perzeption und Repräsentation von Gewalt, Krieg und Konfliktlösungsmechanismen. Bei der Genese von Staatlichkeit spielen die Strukturierung und Archivierung von Wissen eine besondere Rolle, bedingt durch ganz bestimmte Weltvorstellungen, die sich z. T. auch in der Kartographie konkret niederschlugen. Das Entstehen von Staatlichkeit ist selbstverständlich nicht nur als politischer Prozess zu verstehen, sondern als Gliederung des geistigen Kosmos zu bestimmten Epochen durch spezifische philosophische Ansätze, religiöse Bewegungen sowie Staats- und Gesellschaftstheorien. Diese Prozesse der longue durée beruhen auf einer Vielzahl symbolischer Kommunikation, die sich in unterschiedlichen Kulturen der Schriftlichkeit, der Kommunikation und des Verkehrs niedergeschlagen hat. Zentrum der Schriftlichkeit sind natürlich Texte verschiedenster Provenienz und Gattungen, deren Gehalt sich nicht nur auf der Inhaltsebene erschließen lässt, sondern deren Interpretation unter Berücksichtigung der spezifischen kulturellen und epochalen Prägung auch die rhetorische Diktion, die Topik, Motive und auktoriale Intentionen, wie die aemulatio, in Anschlag bringen muss. Damit wird die semantische Tiefendimension zeitlich weit entfernter Texte in ihrem auch symbolischen Gehalt erschlossen. Auch die für uns teilweise noch fremdartigen Wirtschaftssysteme der Vormoderne harren einer umfassenden Analyse. Sinnstiftende Elemente finden sich auch und v. a. in Bauwerken, Artefakten, Grabmonumenten und Strukturen der jeweiligen Urbanistik, die jeweils einen ganz bestimmten Sitz im Leben erfüllten. Techniken der Selbstdarstellung dienten dem Wettbewerb mit Nachbarn und anderen Städten. Glaubenssysteme und Kultpraktiken inklusive der „Magie“ sind gerade in ihrem Verhältnis zur Entstehung und Ausbreitung des Christentums, der islamischen Kultur und der Theologie dieser jeweiligen Religionen in ihrem Bedeutungsgehalt weiter zu erschließen. Eng verbunden mit der Religiosität sind Kulturen der Ritualisierung, der Performanz und des Theaters, Phänomenen, die viele soziale Praktiken auch jenseits der Kultausübung erklären helfen können. Und im intimsten Bereich der Menschen, der Sexualität, den Gender-Strukturen und dem Familienleben gilt es ebenfalls, sinn- und identitätsstiftenden Elementen nachzuspüren. Medizinische Methoden im Wandel der Zeiten sowie die Geschichte der Kindheit und Jugend sind weitere Themengebiete, deren Bedeutungsgehalt weiter erschlossen werden muss. Gemeinsamer Nenner bleibt das Herausarbeiten von symbolträchtigen Elementen und Strukturen der Sinnhaftigkeit in den zu untersuchenden Kulturen gerade im kulturhistorischen Vergleich zu heute. Die Herausgeber

INHALTSVERZEICHNIS Vorwort

.............................................................................................................9

I. Einleitung...........................................................................................................11 1. Zwischen Normativität und Zukunftsideal: Gütergemeinschaft im spätmittelalterlichen Denken ................................................................11 2. Das Ideal der Urkirche: Literaturschau ......................................................19 3. Primat der Exegese: Aufgabenstellung ......................................................24 4. Methode und Gang der Untersuchung .......................................................31 II. Kontexte ...........................................................................................................38 1. Besitz oder Gebrauch? Gütergemeinschaft bei Plato und Aristoteles........38 2. Naturrecht und Sündenfall: Gütergemeinschaft im Decretum Gratiani ....43 3. Die franziskanische Eigentumsfrage im 13. Jahrhundert ..........................48 III. Franziskaner, Urchristen und die Entgrenzung der Gütergemeinschaft: Petrus Iohannis Olivis Lectura super Actus Apostolorum..............................63 1. Einführung .................................................................................................63 1.1 Petrus Iohannis Olivi .........................................................................63 1.2 Lectura super Actus Apostolorum .....................................................67 2. Perfectio evangelica – eine paradigmatische Leitlinie .............................70 2.1 Demütige Armut ................................................................................72 2.2 (Ehr)Furcht und Läuterung ................................................................76 2.3 Omnes etiam qui credebant – Gemeinschaft aller Gläubigen ...........78 3. Staatsphilosophie und Heilsgeschichte: Olivis Rezeption der platonischen Gütergemeinschaft ..........................................................81 4. Im Konflikt mit der Welt: Urchristentum und Franziskanerorden .............85 4.1 Franziskanertum und Mönchtum .......................................................86 4.2 Usus pauper .......................................................................................90 4.3 Simplicitas .........................................................................................93 5. Verfasstheit der Gütergemeinschaft ...........................................................99 5.1 Eigentum, Gebrauch und Recht bei Olivi........................................100 5.2 Rechtsfreiheit und Unschuldsstand .................................................105 5.2.1 Eine universale Gütergemeinschaft frei von Rechtsanspruch ......105 5.2.2 Die Dekretale Dilectissimis ..........................................................108 5.3 Olivis Summarienexegese und joachimitische Eschatologie ..........113 5.4 Patristische Gegenstimmen? Olivis Umgang mit den auctoritates ......................................................................................119 5.5 Matthäus 19,21 ................................................................................126 6. Apg 4,32: Spirituelles und hermeneutisches Zentrum .............................134 6.1 cor unum et anima una – Gütergemeinschaft als Folge der Unanimität .................................................................................135

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Inhaltsverzeichnis

6.2 Wort oder Tat?..................................................................................142 6.3 quae possidebant .............................................................................145 7. Die Güterverteilung .................................................................................152 7.1 iucundae et unanimis caritatis et pacis – Ursache und Wirkung ....152 7.2 Die Apostel als Distribuenten ..........................................................157 7.2.1 usus dispensativae distributionis – die ökonomische Autorität der Apostel .......................................................................158 7.2.2 Geld oder Güter? ..........................................................................164 8. Jurisdiktion der Prälaten – Exegese und Zeitkritik ..................................171 9. Zwischenstand 1: Entgrenzung ................................................................180 IV. Urkirche, Dominium und die Politisierung der Gütergemeinschaft im 14. Jahrhundert ........................................................................................183 1. Aegidius Romanus: die Apostel als absolutistische Herrscher ................183 2. Richard FitzRalph: der Klerus als legitimer Nachfolger der Urgemeinde ................................................................................................ 191 3. John Wyclif: Gütergemeinschaft und Gesellschaftsreform......................203 3.1 John Wyclif ......................................................................................203 3.2 Leitlinien: die ecclesia primitiva in Wyclifs Dominium-Lehre.......208 3.2.1 Omnis homo debet esse in gracia … ergo omnia debent esse communia – Gnadenstand und Gütergemeinschaft .................210 3.2.2 Die Armut Christi .........................................................................212 3.2.3 Platonische und urchristliche Gütergemeinschaft ........................214 3.2.4 Zum Verhältnis geistlicher und weltlicher Macht.........................219 3.2.5 Kirchenbild ...................................................................................223 3.3 Zum Gepräge der Urkirche ..............................................................227 3.3.1 Unanimität und Karitas.................................................................228 3.3.2 Verfasstheit der Gütergemeinschaft ..............................................230 3.4 Dekadenz, Depravation und die Rolle der Orden: das Ideal der Gütergemeinschaft im Gang der Geschichte .............................240 3.5 Ecclesia primitiva und Gütergemeinschaft in Wyclifs Postilla super totam Bibliam ...........................................................251 4. Zwischenstand 2: Politisierung ................................................................260 V. Synopse: von der vita regularis zur tota universitas hominum ......................263 Abkürzungen .......................................................................................................271 Literaturverzeichnis ............................................................................................273 1. Quellen .....................................................................................................273 2. Literatur....................................................................................................280 3. Internetressourcen ....................................................................................301 Register .........................................................................................................303 Bibelstellenindex ..........................................................................................303 Personen .......................................................................................................304 Sachen .........................................................................................................307

VORWORT Bei diesem Buch handelt es sich um eine geringfügig überarbeitete und ergänzte Fassung einer Studie, die im Wintersemester 2015/16 von der Fakultät für Geisteswissenschaften der Universität Hamburg als Dissertation angenommen wurde. Als die Idee zum Thema der Arbeit entstand, war noch nicht absehbar, welch große Relevanz das Konzept von Gütergemeinschaft im Rahmen des Booms sogenannter „Share Economy“-Modelle in der gesellschaftlichen Diskussion heute einmal mehr gewinnen sollte. Wenn meine Untersuchungen zur Idee gütergemeinschaftlicher Ordnungsmuster im späteren Mittelalter einen Beitrag dazu leisten könnten, die diachrone Perspektive in dieser Diskussion zu stärken, so wäre mehr erreicht, als ich angesichts der unmodischen Themenwahl für meine Dissertation zu hoffen gewagt hätte. Der Natur einer Qualifikationsschrift entsprechend, hat der Verfasser allein die Verantwortung für seine Arbeit zu tragen. Gleichwohl wäre dieses Buch ohne den vielfältigen persönlichen wie fachlichen Beistand anderer nicht zustande gekommen. Mein aufrichtiger Dank gilt an erster Stelle meinem wissenschaftlichen Betreuer Prof. Dr. Jürgen Sarnowsky, der mich in allen denkbaren Weisen stets unterstützt hat. Seine unprätentiöse, umsichtige und ermutigende Art nebst seiner enormen Fachkompetenz war ganz wesentlich dafür verantwortlich, dass die Studie zu einem erfolgreichen Abschluss gelangte. Nicht minder dankbar bin ich Herrn Prof. Dr. Benjamin Scheller für die Übernahme des Zweitgutachtens sowie für seine wertvollen Ratschläge auch noch in der Spätphase der Arbeit. Besonderen Dank schulde ich zudem Herrn Prof. Dr. Uwe Ludwig für die spontane Bereitschaft zur Übernahme des Drittgutachtens sowie Herrn Prof. Dr. Christoph Dartmann für den Vorsitz der Prüfungskommission. Die Idee, die dieser Arbeit zugrunde liegt, entstammt den Heidelberger Hauptseminaren unter der Leitung von Prof. Dr. Volkhard Huth. Er war es auch, der schon dem naiven Graduierten stets auf Augenhöhe begegnete, ihm bei der Konzeptionierung der Arbeit in unaufdringlicher Weise die Richtung wies und seither durch seine Gelehrtheit wie durch seine Freundschaft fortwährend an seinem Werdegang mitwirkt. Für all dies bin ich ihm von Herzen dankbar. Finanziell ermöglicht wurde das vorliegende Buch von der Gerda Henkel Stiftung, die mir in den Jahren 2012 bis 2014 ein Promotionsstipendium gewährte und auch die Druckkosten übernahm. Als besondere Ehre empfinde ich es, dass mein Werk als erster Band der neuen Reihe „Hamburger Studien zu Gesellschaften und Kulturen der Vormoderne“ erscheint. Mein Dank hierfür gilt Herrn Prof. Dr. Werner Rieß und seinen Mitherausgebern. Für die kompetente und geduldige verlegerische Betreuung danke ich Frau Sarah-Vanessa Schäfer und Frau Katharina Stüdemann. Es ist unmöglich, an dieser Stelle alle Personen namentlich zu nennen, die durch mannigfaltige Hilfestellungen befruchtend auf die Genese der Arbeit ein-

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Vorwort

wirkten. Aus dem Kreis meiner Kollegen an der Universität Duisburg-Essen sei stellvertretend Frau Dr. Miriam Czock hervorgehoben, der ich nicht nur viele wertvolle sachliche Anmerkungen verdanke, sondern die auch Teile des Manuskripts Korrektur gelesen hat. Prof. Dr. Gustav Adolf Benrath (†) gewährte mir Einblick in die Arbeitsunterlagen seiner Habilitationsschrift über John Wyclifs Bibelkommentar, mit Prof. Peter Garnsey konnte ich mich über Petrus Olivis Exegese der Apostelgeschichte austauschen. Für anregende Diskussionen sowie anderweitige Unterstützung danke ich überdies Michael A. Conrad, M. A., Dr. Olav Heinemann, Dario Kampkaspar, M. A., Susanne Kalweit, Pamela Mannke-Gardecki, Marcel Rudoletzky und Dr. Wilfried Schouwink. Meiner Familie in Süd und Nord sowie insbesondere meiner Mutter Ursula Hoffarth gebührt mein innigster Dank für ihr Interesse an meinem Tun, ihr ungebrochenes Vertrauen, ihren Rückhalt und ihren uneingeschränkten Zuspruch auch in schwierigen Zeiten. In Worten kaum auszudrücken ist schließlich die tiefe Dankbarkeit, die ich für meine Frau Christiane A. Buhl, M. A. empfinde. Nicht nur hat sie die gesamte Arbeit in ihren unterschiedlichen Entstehungsphasen Korrektur gelesen, in ungezählten Gesprächen zur argumentativen und strukturellen Schärfung beigetragen, sondern darüber hinaus den häufig zweifelnden und gereizten Doktoranden an ihrer Seite immerzu ermutigt und getragen. Ihr sei deshalb dieses Buch gewidmet. Christian Hoffarth Essen im Juni 2016

I. EINLEITUNG 1. ZWISCHEN NORMATIVITÄT UND ZUKUNFTSIDEAL: GÜTERGEMEINSCHAFT IM SPÄTMITTELALTERLICHEN DENKEN Gabriel Biel († 1495), Anhänger Ockhams und Stimulus Luthers, hält 1477 eine Ansprache vor dem Generalkapitel der Brüder vom Gemeinsamen Leben.1 Unter dem Titel Collatio de communi vita ermahnt er die versammelten Fraterherren anlässlich der Neugründung eines Bruderhauses zur standhaften Bewahrung und Pflege der gütergemeinschaftlichen Lebensweise angesichts ihrethalben erfahrener Anfeindungen:2 […] Res itaque, quas commendare obedientia preceperat, etsi vetustissime sint, hominum tamen invalescente malitia oblitterate quasi novitates quedam odiose multorum caninis roduntur dentibus. Etsi sanctissima vetustissimaque institutio est, hanc quasi noxiam humana horret temeritas. Vita communem loquor, cuius sanctitatem natura ipsa commendat, probatissima antiquitas et religio Deo grata. […]3

In gewisser Hinsicht erscheint Biels Rede als Ausfluss eines sich über das gesamte spätere Mittelalter erstreckenden Diskurses. Die vorliegende Arbeit zielt darauf, diesen Diskurs anhand der spätmittelalterlichen Interpretation der ecclesia primitiva nachvollziehbar zu machen und zu klären, durch welche Impulse und in welchen Kontexten sich die ideengeschichtliche Transformation der urchristlichen

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Zu Biel s. Ulrich Köpf / Sönke Lorenz (Hrsgg.), Gabriel Biel und die Brüder vom gemeinsamen Leben. Beiträge aus Anlaß des 500. Todestages des Tübinger Theologen (= Contubernium, 47), Stuttgart 1998; Gerhard Faix, Gabriel Biel und die Brüder vom gemeinsamen Leben. Quellen und Untersuchungen zu Verfassung und Selbstverständnis des Oberdeutschen Generalkapitels (= Spätmittelalter und Reformation. Neue Reihe, 11), Tübingen 1999; Detlef Metz, Gabriel Biel und die Mystik (= Contubernium, 55), Stuttgart 2001; Erwin Iserloh, Art. „Biel, Gabriel“, in: NDB 2, S. 225 f. Zu seinem Einfluss auf Luther: Lawrence F. Murphy, Martin Luther, the Erfurt Cloister, and Gabriel Biel. The Relation of Philosophy to Theology, in: Archiv für Reformationsgeschichte 70 (1979), S. 5–24; ders., Gabriel Biel as Transmitter of Aquinas to Luther, in: Renaissance and Reformation, NS 7 (1983), S. 26–41. Zu Anlass, Entstehungszeit und Inhalt der Schrift vgl. Faix, Gabriel Biel, S. 68–72. Textedition ebd., S. 369–377. Die Brüder vom gemeinsamen Leben wollten explizit kein Gelübde ablegen, keine Mönche sein und keinen Orden bilden, aber doch nach biblischem Vorbild in Gütergemeinschaft ohne Privateigentum leben. Dies hatte ihnen schon im Vorfeld des Konstanzer Konzils die Kritik des Dominikaners Matthäus Grabow eingebracht. Vgl. Faix, a. a. O., S. 62 sowie Nikolaus Staubach, Christianam sectam arripe: Devotio moderna und Humanismus zwischen Zirkelbildung und gesellschaftlicher Integration, in: Klaus Garber / Heinz Wismann (Hrsg.), Europäische Sozietätsbewegung und demokratische Tradition. Die europäischen Akademien der Frühen Neuzeit zwischen Frührenaissance und Spätaufklärung, Bd. 1, Tübingen 1996, S. 112–167, bes. S. 128. Collatio de communi vita, ed. Faix, S. 369 f.

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Einleitung

Gütergemeinschaft vom Vorbild für die zönobitische vita communis zu einem universalen ekklesiologischen und sozialtheoretischen Modell vollzog.4 Im Rahmen der mit dem Papst des Investiturstreits Gregor VII. namentlich verbundenen Reformbewegungen des 11. und 12. Jahrhunderts hatte die Amtskirche selbst den Ruf nach Rückführung des Klerus auf die urkirchliche Lebensweise in Gütergemeinschaft erhoben.5 Da es ihr jedoch nicht gelungen war, dieses Programm in für jedermann überzeugender Weise umzusetzen, regten sich alsbald außerhalb ihrer Kreise stehende Akteure, die danach strebten, das wiedererweckte Ideal vom Leben in freiwilliger Armut und brüderlicher Gemeinschaft selbst in Erfüllung zu bringen.6 Die kirchliche Reaktion darauf bestand zu Anfang ganz 4

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Den Begriff der ideengeschichtlichen Transformation verstehe ich, in Anlehnung an Foucault, im Sinne einer Neuordnung des Wissens, in der das Alte vom Neuen nicht gänzlich abgelöst wird, sondern, im Gegenteil, „die konstitutive Bedingung des fortan Sagbaren“ bildet, dabei aber seine Dominanz verliert (Holden Kelm, Hegel und Foucault. Die Geschichtlichkeit des Wissens als Entwicklung und Transformation (= Hegel-Jahrbuch Sonderband, 5), Berlin/München/Boston 2015, S. 424). Das heißt konkret: Auch nach der Umdeutung der urchristlichen Gütergemeinschaft zum Ideal für die Gesamtgesellschaft figurierte sie freilich weiterhin auch als Vorbild der regulierten vita communis. Dennoch kann im Vollsinne von einer Transformation die Rede sein, insofern ein Zurück zum vorherigen Wissens- und ideenstand unmöglich war. Hildebrand, der spätere Papst Gregor VII., stellte bereits anno 1059 in einer Rede anlässlich von Verhandlungen über den Text der Aachener Kanonikerregel das exemplum primitivę ęcclesię als Leitbild des Klerus der Lebensführung der Geistlichkeit seiner Zeit gegenüber. Den Verzicht auf Privateigentum in der vita communis konfrontierte er mit einem „Übermaß an Ungerechtigkeit“, das dem Streben nach Eigenbesitz zugrunde liege: „Nonnulli ex clericale ordine, per Spiritum Sanctum perfectę caritatis igne inflammati, iam dudum in hac Romana urbe et in provinciis atque parrochiis eidem specialius pertinentibus seu cohęrentibus noscuntur communem vitam, exemplo primitivę ęcclesię, amplexi simul et professi in tantum, ut nil sibi reservassent proprii, facultate sua vel distributa egenis aut relicta propinquis vel certe oblata Christi ecclesiis. Quos sicut amor perfectionis arciorem viam aggredi et per angustam portam ingredi sancta contentio coniunxit, sic et abundantia iniquitatis suo frigore paulatim disiungere quęrit, ut post se recedant atque propositi semel arrepti apostatę fiant, dum sint in eis, quos incauta adolescentia aut suspecta senectus revocat et retrahit ad praesumptionem peculiaritatis, quam suo vel parentum suorum voto reliquerant. […].“ Protokoll der Verhandlungen über die Kapitel 115 und 122 der Aachener Kanonikerregel (816) am 1. Mai 1059, ed. Detlev Jasper, Die Konzilien Deutschlands und Reichsitaliens 1023–1059 (= MGH Concilia, 8), Hannover 2010, S. 394 f., hier: S. 394. – Zur Bedeutung der ecclesia primitiva in der gregorianischen Reform s. Giovanni Miccoli, Chiesa gregoriana. Richerche sulla riforma del secolo XI (= Storici antichi e moderni, NS 17), Florenz 1966, S. 225–299; Johannes Laudage, Ad exemplar primitivae ecclesiae. Kurie, Reich und Klerusreform von Urban II. bis Calixt II., in: Stefan Weinfurter (Hrsg.), Reformidee und Reformpolitik im spätsalisch-frühstaufischen Reich (= Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte, 68), Mainz 1992, S. 47–73. Zur gregorianischen Reform i. A. s. dens., Gregorianische Reform und Investiturstreit (= Erträge der Forschung, 282), Darmstadt 1993; Friedrich Kempf, Die gregorianische Reform (1046– 1124), in: Handbuch der Kirchengeschichte 3,1: Die mittelalterliche Kirche – Vom kirchlichen Mittelalter zur gregorianischen Reform, Freiburg/Basel/Wien 1973, S. 401–456. Für diesen Komplex ist nach wie vor elementar Herbert Grundmann, Religiöse Bewegungen im Mittelalter. Untersuchungen über die geschichtlichen Zusammenhänge zwischen der Ketzerei, den Bettelorden und der religiösen Frauenbewegung im 12. und 13. Jahrhundert und über die geschichtlichen Grundlagen der deutschen Mystik, 3. Aufl., Darmstadt 1970. Vgl. auch

Gütergemeinschaft im spätmittelalterlichen Denken

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überwiegend in Restriktionsmaßnahmen. Mit der Entstehung der Bettelorden am Beginn des 13. Jahrhunderts kam es jedoch zu einer weitgehenden Annäherung zwischen großen Teilen der Armutsbewegung und der Kirche. Jene bewerkstelligte es auf diese Weise, die virulente Idee einer Wiederherstellung der vita apostolica in die offiziellen Institutionen zurückzuverweisen und buchstäblich – man denke an die Klostermauern – einzudämmen.7 Damit allerdings zeichneten sich neue Konfliktlinien ab. Diese verliefen zunächst zwischen Weltklerus, klassischem Mönchtum und Mendikanten, sollten später die Bettelorden selbst spalten und im 14. Jahrhundert schließlich zu neuen Brüchen zwischen Trägern des Armutsideals und der Kurie führen.8 Binnen weniger Jahrzehnte wuchsen sich die Konflikte von abseitigen akademischen Zwistigkeiten zu existenziellen Kontroversen im Zentrum des kirchlichen Lebens aus. Im Mittelpunkt standen Fragen, die weit über die Themen der gregorianischen Reform hinausgingen: Sollten die Kirche und ihre Amtsträger, Kleriker und Prälaten besitzlos oder begütert sein? War es rechtens, dass der einzelne Mönch zwar arm war, Konvente aber große Vermögen anhäuften? Was bedeuteten das Armutsgebot des Evangeliums und die Gütergemeinschaft der Urkirche für die Gegenwart der christlichen Gesellschaft? Wie war die Existenz armer und reicher Menschen in ihr zu legitimieren? Und schließlich: War Privatbesitz auf Grundlage der Heiligen Schrift überhaupt zu rechtfertigen? Unter Aufbietung höchster scholastischer Kunstfertigkeit verhandelten Gelehrte des späteren Mittelalters diese und ähnliche Probleme über die verschiedensten Textgattungen hinweg, mal gänzlich wissenschaftlich, gleichsam hermetisch, dann wieder in unmittelbarer Wechselwirkung mit der Außenwelt. Die Debatten wurden theologisch, philosophisch, juristisch und politisch geführt – wobei die Ebenen freilich selten so klar voneinander getrennt wurden, wie aus heutiger Perspektive vermutet werden könnte. 1477 – An die Brüder vom Gemeinsamen Leben gewandt, fährt Gabriel Biel fort: […] Numquit in ipso primordio conditionis humane aliqua fuit protoplasto assignata proprietas, cui in communi delitiarum paradisus animaliumque omnis generis dominium sine proprietatis discretione assignata sunt, ut nota genesis tradit historia? Nonne communiter omnis

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Malcolm Lambert, Medieval Heresy. Popular Movements from Bogumil to Hus, London 1977, der S. 42 resümiert: „A first cause for the recrudescense of heresy in the West lay in the expectations roused by Gregorian reform and its failure to fulfil them.“ So das gängige Forschungsnarrativ insbesondere in Bezug auf den Franziskanerorden. S. z. B. Helmut Feld, Franziskus von Assisi und seine Bewegung, 2., überarb. Aufl., Darmstadt 2007, S. 169. – Verantwortlich für diese Entwicklung war die Ketzerpolitik Innozenz III., die sich durch Annäherungen mit kompromissbereiten Akteuren einerseits und vehemente Verfolgung ‚Unverbesserlicher‘ andererseits auszeichnete. S. dazu Grundmann, Religiöse Bewegungen, S. 70–72. Zu denken ist hier zuerst an den Pariser Mendikantenstreit (s. dazu die Lit.-Hinweise, unten, S. 96, Anm. 146) und die usus pauper-Kontroverse im Franziskanerorden (s. dazu unten, Kap. III,4.2), dann aber in besonderem Maße an die kontroversen Thesen des extremen Papalismus in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts (s. dazu unten, Kap. IV,1) sowie an den sogenannten Theoretischen Armutsstreit zwischen Vertretern des rigoristischen Flügels im Franziskanerorden und Papst Johannes XXII. in den 1320er Jahren (s. dazu bes. unten, S. 149–151).

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Einleitung solis splendore, stellarum influentiis, aeris respiratione, ignis calore, aque refrigeriis, terre stabilitate indivise utuntur? Hinc distinctione 8 capitulo Differt autem dicitur: Iure naturali omnia sunt communia omnibus. Quod non solum inter eos servatum creditur, de quibus legitur Actuum 4: Multitudinis credentium erat cor unum et anima una, nec quisquam horum, que possidebat, aliquid suum dicebat, sed erant illis omnia communia, verum eciam ex predecenti tempore a philosophis traditum invenitur. Unde apud Platonem illa civitas iustissime ordinata traditur, in qua quisque proprios nescit affectus. […]9

Zum Beleg für Vorrang und Heilswert der Gütergemeinschaft rekurriert Biel auf das Paradies der Genesis und – im Zuge eines Referats aus dem Decretum Gratiani – auf Traditionen des Naturrechts, die Jerusalemer Urgemeinde sowie auf die antiken Philosophen. Damit führt der ‚letzte Scholastiker‘, wie er bezeichnenderweise genannt wird, in beachtlicher Selbstverständlichkeit auf engstem Raum Diskursstränge zusammen, die in den vorangegangenen Jahrhunderten die intellektuellen Auseinandersetzungen um Legitimität und Dignität von Privateigentum maßgeblich bestimmten. Wo seine Vorgänger darum rangen, die auctoritates der verschiedenen Wissensgebiete miteinander in Einklang zu bringen, Glaubens- und Lehrsätze aus ihnen auszuwählen und argumentativ zu arrangieren, verfügt Biel geradezu spielerisch über sie. Die Argumentation für die Präeminenz der gütergemeinschaftlichen Lebensführung präsentiert sich bei ihm als ein abgeschlossenes System etablierter Beweisgründe. In anderer Blickrichtung lässt sich Biels Ansprache aber auch als Markierung eines Anfangspunkts verstehen. Die letzten Jahrzehnte des 15. und insbesondere die ersten des 16. Jahrhunderts brachten eine vorher ungekannte Häufung gütergemeinschaftlicher Zukunftsentwürfe und Praxisversuche hervor. Zu denken ist etwa an die im Vorjahr von Biels Rede blutig niedergeschlagene Niklashauser Wallfahrt10, Das buchli der hundert capiteln mit xxxx statuten des sogenannten Oberrheinischen

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Collatio de communi vita, ed. Faix, S. 370. Im Anschluss an die zitierte Stelle lässt Biel weitere Zitate von Augustinus, aus dem Decretum Gratiani, von Aristoteles, Cicero, Eusebius, aber auch der Juden Philon von Alexandria und Flavius Josephus folgen. Letztere zieht er als Zeugen für die vita communis der Essener heran. Sein Vorgehen ist unübersehbar darauf gerichtet, die Gütergemeinschaft als überzeitliches, transkulturelles Ideal erscheinen zu lassen. Zur Gütergemeinschaft als Programmpunkt der Reformbewegung um den sogenannten Pfeifer oder Pauker von Niklashausen s. Klaus Arnold, Niklashausen 1476. Quellen und Untersuchungen zur sozialreligiösen Bewegung des Hans Behem und zur Agrarstruktur eines spätmittelalterlichen Dorfes (= Saecvla Spiritalia, 3), Baden-Baden 1980, S. 109 f. Wie bei anderen reformerischen Bestrebungen des 15. und frühen 16. Jahrhunderts, etwa der Reformatio Sigismundi, dem Oberrheinischen Revolutionär oder der Bundschuh-Verschwörung, gehört der Ruf nach gleicher und gerechter Verteilung respektive Vergesellschaftung der Güter (Stichwort gemeiner nutz) bei der Niklashauser Bewegung ins Konzept einer, wenn auch meist nur schemenhaft skizzierten, theokratischen Ordnung. Vgl. dazu Thomas Kaufmann, Der Anfang der Reformation. Studien zur Kontextualität der Theologie, Publizistik und Inszenierung Luthers und der reformatorischen Bewegung (= Spätmittelalter, Humanismus, Reformation, 67), Tübingen 2012, S. 137–150.

Gütergemeinschaft im spätmittelalterlichen Denken

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Revolutionärs11, Thomas Müntzer12, Sebastian Franck13 oder das Täuferreich von Münster14, um nur einige prominente Fälle herauszugreifen. Ob in allen (oder auch nur einem einzigen) der genannten und vieler weiterer denkbarer Beispiele tatsächlich der Gedanke einer gütergemeinschaftlichen Gesellschaftsordnung gutgeheißen oder gar ihre Errichtung verlangt worden wäre, ist in epistemologischer Hinsicht zunächst völlig irrelevant. Denn vollkommen losgelöst von derlei Interpretationsfragen, bezeugen sie untrüglich das allseitige Vorhandensein einer entsprechenden Idee – ganz gleich, wie in dem einen oder anderen Fall über dieselbe geurteilt wurde und welche Funktion sie erfüllte. Geradezu paradigmatisch spiegelt sich das massierte Auftreten radikal-kommunitären Ideenguts am Beginn der Neuzeit in der diachron angelegten Forschungsliteratur wider. So bezieht sich etwa Derda in seinem Buch über die vita 11

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Zur Gütergemeinschaft beim Oberrheinischen Revolutionär s. vor allem Sebastian Dümling, Die Vita-Communis-Idee als Grundmuster utopischen Denkens. Eine Untersuchung von Thomas Morus’ Utopia und der Reformschrift des sog. Oberrheinischen Revolutionärs, Göttingen 2008, S. 37–84 sowie Klaus Lauterbach, Geschichtsverständnis, Zeitdidaxe und Reformgedanke an der Wende zum sechzehnten Jahrhundert. Das oberrheinische „Buchli der hundert Capiteln“ im Kontext des spätmittelalterlichen Reformbiblizismus (= Forschungen zur oberrheinischen Landesgeschichte, 33) Freiburg/München 1985, S. 225 f., 254 f., 295. Welche Bedeutung der Gütergemeinschaft in der verworrenen Reformschrift tatsächlich zukommt, ist nicht leicht zu bestimmen. Zschäbitz urteilt: „Für den OR bleibt die Gütergemeinschaft ein erstrebenswerter Zustand. Er berührt das Thema freilich nur selten, wohl weil er das Utopische dieser Forderung in seiner bewegten Zeit mit ihren komplizierten Wirtschaftsformen und den relativ entwickelten Eigentumsverhältnissen instinktiv spürte.“ (Das Buch der hundert Kapitel und der vierzig Statuten des sogenannten Oberrheinischen Revolutionärs (= Leipziger Übersetzungen und Abhandlungen zum Mittelalter, Reihe A, 4), ed. Annelore Franke, Historische Analyse von Gerhard Zschäbitz, Berlin 1967, S. 89 f.). Ähnlich meint Lauterbach, a. a. O., S. 254 f.: „In diese Utopie gehört auch die vom Oberrheiner des öfteren angesprochene Verwirklichung der Gütergemeinschaft. Sie scheint ihm aus geschichtlicher Erfahrung möglich, wird aber dennoch nicht in das konkrete Reformprogramm übernommen, sondern in eine Zukunftszeit vollendeter Brüderlichkeit verlegt.“ In Müntzers unter der Folter abgepresstem Geständnis finden sich die folgenden berühmt gewordenen Sätze: Dye entporunge habe er dorumb gemacht, das dye christenheyt solt alle gleych werden und das dye fursten und herrn, dye dem ewangelio nit wolten beystehen, solten vortriben und totgeschlagen werden. […] Omnia sunt communia, und sollten eynem idern nach seyner notdorft ausgeteylt werden nach gelegenheyt. Welcher furst, graff oder herre das nit hette thun wollen und des erstlich erinnert, den solt man dye koppe abschlahen ader hengen. Thomas Müntzer, Schriften und Briefe. Kritische Gesamtausgabe (= Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte, 33), hrsg. v. Günther Franz, Gütersloh 1968, S. 548. Zur Forschungsdiskussion über die Geltung der Sätze s. Friedemann Stengel, Omnia sunt communia. Gütergemeinschaft bei Thomas Müntzer?, in: Archiv für Reformationsgeschichte 102 (2011), S. 133–174. Francks Position zur Gütergemeinschaft diskutiert mit Hinweisen auf die diesbezüglich wichtigsten Stellen seines Werks: Yvonne Dellsperger, Lebendige Historien und Erfahrungen. Studien zu Sebastian Francks „Chronica Zeitbuoch unnd Geschichtbibell“ (1531/1536) (= Philologische Studien und Quellen, 207), Berlin 2008, S. 91–95. Aus der kaum noch überschaubaren Literatur sei beispielhaft herausgegriffen: Hubertus Lutterbach, Der Weg in das Täuferreich von Münster. Ein Ringen um die heilige Stadt (= Geschichte des Bistums Münster, 3), Münster 2006; zur Gütergemeinschaft: hier S. 231–238 u. passim.

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Einleitung

communis für das Mittelalter ausschließlich auf das zönobitische Mönchtum.15 Erst im 16. Jahrhundert findet seine Betrachtung auch zu nicht-monastischen Gütergemeinschaftsideen, ausgehend von der Utopia des Thomas Morus. Denselben Startpunkt wählt der einschlägige Sammelband Alles gehört allen.16 Dessen Herausgeber Goertz erklärt in der Einleitung geradezu lakonisch pointiert: „Die Gütergemeinschaft stellt keine gesellschaftliche Enklave – wie die klösterlichen Gemeinschaften des Mittelalters – im Rahmen der herrschenden Eigentumsordnung dar. Gerade in ihrer abgesonderten Lebensform will die Gütergemeinschaft ganz bewußt ein Gegenmodell zur gesamten Gesellschaft ihrer Zeit sein: Vorbild und Muster einer neuen Gesellschaft. Mit diesem gesamtgesellschaftlichen Anspruch treten die Gütergemeinschaften – nach einigen unklaren Versuchen im späten Mittelalter – zu Beginn der Frühen Neuzeit auf.“17

Ob der Drang nach Befreiung von den Bürden des Eigentums als flüchtiges Phänomen, abhängig von spezifischen sozialen und religiösen Stimmungen und Konfigurationen wie etwa denjenigen des Reformationszeitalters, oder aber als anthropologische Konstante zu bewerten ist, entzieht sich einer endgültigen Beurteilung.18 Dessen ungeachtet dürfte es jedoch kaum bestreitbar sein, dass die neuzeitliche Geschichte der Gütergemeinschaft, die Goertz ganz zurecht qualitativ wie quantitativ von derjenigen des Mittelalters unterscheidet, ohne die letztere nicht zu verstehen ist. Denn ebenso abwegig wie der Gedanke einer von allgemeinhistorischen Prozessen unberührten ideengeschichtlichen Kontinuität wäre doch die Vorstellung, die besagten Ideen seien an einem bestimmten Punkt in der Geschichte, an der Wende zur Neuzeit nämlich, ex abrupto gleichsam aus dem Nichts gekommen. Wenn Goertz als mittelalterliche Träger jener Ideen jedoch allein „klösterliche Gemeinschaften“ und „einige unklare Versuche“ devianter Gruppierungen im Spätmittelalter ausmacht, so lenkt er das Augenmerk ausschließlich auf die praktische Seite und übersieht an dieser Stelle gänzlich die theoretischen Ausprägungen des Diskurses. Dass es aber diese und nicht etwa die zumeist kurzlebigen und eng umgrenzten Praxisexperimente sind, durch die Tradierung und Transformation der Gütergemeinschaftsidee in allen Epochen primär geleistet werden, wird besonders eindrücklich gerade durch die Beiträge im Band Alles gehört allen bezeugt. Schon die thematischen Schwerpunktsetzungen der Essays verweisen auf Texte und einzelne schriftstellerisch tätige Personen als Träger, Konservatoren und Gestalter kommunitären Ideenguts. Goertz allerdings erklärt: „Gütergemeinschaft hat […] in einem 15 16

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Hans-Jürgen Derda, Vita communis. Studien zur Geschichte einer Lebensform in Mittelalter und Neuzeit, Köln/Weimar/Wien 1992. Hans-Jürgen Goertz (Hrsg.), Alles gehört allen. Das Experiment Gütergemeinschaft vom 16. Jahrhundert bis heute, München 1984. In der Einleitung, S. 8, stellt der Herausgeber fest: „Seit der berühmten ‚Utopia‘ des Thomas Morus […] ist Allgemeinbesitz oder Gütergemeinschaft ein Grundelement im Aufbau eines utopischen Staats- oder Gemeinwesens. Seither ist Gütergemeinschaft auch eine Alternative zu einer gesellschaftlichen Ordnung, die auf Privateigentum gründet.“ Ebd., S. 11 f. In der kulturanthropologischen, ethnologischen, soziologischen und ökonomischen Forschung wurde im Gegenteil gerade der Drang nach Eigentumserwerb, -vermehrung und -bewahrung vielfach als anthropologische Konstante diskutiert. S. dazu aber kritisch Arnold Künzli, Mein und Dein. Zur Ideengeschichte der Eigentumsfeindschaft, Köln 1986, S. 13–39.

Gütergemeinschaft im spätmittelalterlichen Denken

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bestimmten Sinn keine Geschichte […]. Gemeint ist: Sie ist ohne Tradition. […] Die verschiedenen Experimente reihen sich nicht so aneinander, daß sie bewußt an eine Tradition anknüpfen, diese verarbeiten und weitergeben.“19 Gewiss spiegelt sich in dieser Behauptung eine berechtigte Skepsis gegenüber einem Erklärungsmodell wider, das man mit Quentin Skinner als Reifikation von Ideen bezeichnen kann.20 So wäre es, da Ideen keine Geschichte vor und außerhalb des Individuums haben können, irreführend, eine frühere Idee von Gütergemeinschaft als Antizipation einer späteren verstehen zu wollen; eine Einsicht, der kaum ernsthaft widersprochen werden kann. Der Umkehrschluss, dass nämlich spätere Ideen nicht bewusst an frühere anknüpften, wäre jedoch ebenso absurd, da sich doch Geistesgeschichte überhaupt erst im Anknüpfen, Verarbeiten, Umformen und Weitergeben früherer Ideen konstituiert. In Blick auf manche lebensweltliche, experimentelle Blüte des Gütergemeinschaftsdiskurses in Spätmittelalter und Früher Neuzeit mag Goertz dennoch Recht haben. Jedenfalls wird er in Fällen, in denen die vorhandenen Quellen stark auf die praktische Umsetzung der Idee fokussieren, schwer zu widerlegen sein. Wenngleich freilich zum Beispiel auch die Taboriten durchaus an John Wyclif und damit eben doch an die ideengeschichtliche Tradition der Gütergemeinschaft anknüpften,21 und wenngleich freilich auch die Münsteraner Täufergemeinde bekanntlich Schriften von Melchior Hoffmann rezipierte, der sich wiederum in hohem Maße von Petrus Iohannis Olivi hatte inspirieren lassen,22 der zu den exponiertesten Vertretern jener Tradition im 13. Jahrhundert zählte. Doch gingen jene Prozesse des Anknüpfens, Verarbeitens und Weitergebens ganz vorwiegend eben nicht auf der experimentelllebensweltlichen, sondern auf der theoretisch-abstrakten Ebene vonstatten. Auf diesem Leitgedanken vom Primat der Theorie basiert die vorliegende Studie. Indem der Blick auf die theoretische, die ideengeschichtliche Seite des Gütergemeinschaftsdiskurses im späteren Mittelalter gerichtet wird, sollen die epistemologischen Hintergründe gelebter vita communis, aber insbesondere auch die ihr vorgelagerte, über sie hinausgehende und prinzipiell von ihr unabhängige intellektuelle Verhandlung des zugrunde liegenden Gedankenguts in den Mittelpunkt

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Goertz, Einleitung, S. 17 f. Vgl. Quentin Skinner, Meaning and Understanding in the History of Ideas, in: History and Theory 8 (1969), S. 3–53; wieder in: James Tully (Hrsg.), Meaning and Context. Quentin Skinner and his Critics, Cambridge 1988, S. 29–67, hier: S. 34 ff., 49. Die berüchtigte Confessio Taboritarum, das wichtigste Dokument für das Verständnis der taboritischen Lehre, zitiert ausgiebig aus Wyclifs Schriften. S. das Register in Confessio Taboritarum (= Fonti per la storia d’Italia, 105), ed. Amedeo Molnar / Romolo Cegna, Rom 1983. Lahey konstatiert: „The Taborites were likely Wyclif’s most ardent admirers; they advocated a Christian society devoid of private property ownership, governed exclusively by the law of Christ, and were more than willing to dismiss most episcopal authority as an unnecessary excrescense best dealt with violently.“ Wyclif, Trialogus, trans. Stephen E. Lahey, Cambridge 2013, S. 23. Vgl. Werner O. Packull, A Reinterpretation of Melchior Hoffmann’s Exposition against the Background of Spiritualist Franciscan Eschatology with Special Reference to Peter John Olivi, in: Irvin B. Horst (Hrsg.), The Dutch Dissenters. A Critical Companion to their History and Ideas, Leiden 1986, S. 32–65.

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Einleitung

rücken. Folgende Überlegungen zur mittelalterlichen Geschichte der Gütergemeinschaft geben der Untersuchung ihren Rahmen: 1. Sie muss über monastische Kommunität und als häretisch unterdrückte Eskapaden von Kleingruppen hinausgereicht haben, da sie andernfalls kaum ein derart dichtes und farbenfrohes Blütenwerk hätte treiben können. 2. Es wäre ahistorisch, sie lediglich als vektorial auf die Erscheinungen der Folgezeit gerichtet und damit als bloße Präfiguration späterer Phänomene verstehen zu wollen. Vielmehr ist ihr ein charakteristisches Eigenleben zuzusprechen, in welchem sich aber zweifelsohne auch die Denkräume erschließen, auf die das Folgende sich bezieht und durch die es erst ermöglicht wird. 3. Sie (und mit ihr der Schlüssel zum tieferen Verständnis der spätmittelalterlichen/frühneuzeitlichen Konjunktur kommunitären Ideenguts) ist nicht allein und primär auf der lebensweltlichen Seite des Klerus und der regulierten Gemeinschaften,23 in ‚kommunistischen‘ Praxisexperimenten semireligioser und häretischer Gruppierungen24 oder in Narrationen von Goldenem Zeitalter25 und Schlaraffenland26 zu suchen. Vielmehr dürfte sie wesentlich konkreter in den komplexen Systemen scholastisch-theologischen und zumal exegetischen Schrifttums dinghaft gemacht werden können. Die Annahme, hierin das fruchtbarste Feld zur Ergründung wirkmächtigen und nachhaltigen Ideenguts zur Gütergemeinschaft im Mittelalter vor sich zu haben, ergibt sich bereits a priori aus der eminenten Bedeutung der Heiligen Schrift für mittelalterliche Vorstellungen idealen Gemeinschaftslebens. 23

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Wenige Beispiele aus der ansehnlichen Literaturmasse mögen an dieser Stelle genügen: Derda, Vita communis; ders., Leben hinter Klostermauern. Vita communis, sozialer und religiöser Leitgedanke monastischer Gemeinschaften, in: Adolf Siebrecht (Hrsg.), Geschichte und Kultur des Bistums Halberstadt. Symposium anläßlich 1200 Jahre Bistumsgründung Halberstadt, 24. bis 28. März 2004. Protokollband, Halberstadt 2006, S. 401–410; Willi Astrath, Die vita communis der Weltpriester (= Kanonistische Studien und Texte, 22), Amsterdam 1967; Klaus Schreiner, Gemeinsam leben. Spiritualität, Lebens- und Verfassungsformen klösterlicher Gemeinschaften in Kirche und Gesellschaft des Mittelalters (= Vita regularis. Abhandlungen, 53), Berlin 2013. Über diese gibt einen breiten Überblick Norman Cohn, The Pursuit of the Millennium. Revolutionary Millenarians and Mystical Anarchists of the Middle Ages, 3. verb. u. erw. Aufl., London 1970, ND London 1993. S. auch Ferdinand Seibt, Utopica. Zukunftsvisionen aus der Vergangenheit, München 2001 (zuerst: Düsseldorf 1972). S. dazu etwa František Graus, Goldenes Zeitalter, Zeitschelte und Lob der guten alten Zeit. Zu nostalgischen Strömungen im Spätmittelalter, in: ders., Ausgewählte Aufsätze (1959–1989), hrsg. v. Hans-Jürgen Gilomen / Peter Moraw / Rainer C. Schwinges, Stuttgart 2002, S. 93–130 (zuerst in: Gerd Wolfgang Weber (Hrsg.), Idee, Gestalt, Geschichte. Studien zur europäischen Kulturtradition (FS Klaus von See), Odense 1988, S. 187–222); Bodo Gatz, Weltalter, Goldene Zeit und sinnverwandte Vorstellungen (= Spudesmata, 16), Tübingen 1967. S. dazu aus historischer Perspektive zuletzt Hans-Jörg Gilomen, Das Schlaraffenland und andere Utopien im Mittelalter, in: Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde 104 (2004), S. 213–248. Außerdem: Hans Rudolf Velten, Das Schlaraffenland – ein europäischer Mythos? Zur historischen Semantik einer literarischen ‚Dekonstruktion‘, in: Manfred Eikelmann / Udo Friedrich (Hrsgg.), Praktiken europäischer Traditionsbildung im Mittelalter: Wissen – Literatur – Mythos, Berlin 2013, S. 245–268; Herman Pleij, Der Traum vom Schlaraffenland. Mittelalterliche Phantasien vom vollkommenen Leben, Frankfurt a. M. 2000.

Das Ideal der Urkirche: Literaturschau

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2. DAS IDEAL DER URKIRCHE: LITERATURSCHAU Wie es noch bei Gabriel Biel und den Brüdern vom Gemeinsamen Leben den deutlichsten Widerschein findet, standen im Mittelpunkt christlicher vita communis denn auch von Beginn an stets die Berichte der Apostelgeschichte des Lukas vom Leben der Urgemeinde in Jerusalem.27 Sie blieben aber beständig in der Apostel Lehre und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen und im Gebet. Es kam auch alle Seelen Furcht an, und geschahen viel Wunder und Zeichen durch die Apostel. Alle aber, die gläubig waren geworden, waren beieinander und hielten alle Dinge gemein. Ihre Güter und Habe verkauften sie und teilten sie aus unter alle, nach dem jedermann not war. Und sie waren täglich und stets beieinander einmütig im Tempel und brachen das Brot hin und her in Häusern, nahmen die Speise und lobten Gott mit Freuden und einfältigem Herzen und hatten Gnade beim ganzen Volk. Der HERR aber tat hinzu täglich, die da selig wurden, zu der Gemeinde.28 Die Menge aber der Gläubigen war ein Herz und eine Seele; auch keiner sagte von seinen Gütern, daß sie sein wären, sondern es war ihnen alles gemein. Und mit großer Kraft gaben die Apostel Zeugnis von der Auferstehung des HERRN Jesu, und war große Gnade bei ihnen allen. Es war auch keiner unter ihnen, der Mangel hatte; denn wie viel ihrer waren, die da Äcker oder Häuser hatten, die verkauften sie und brachten das Geld des verkauften Guts und legten es zu der Apostel Füßen; und man gab einem jeglichen, was ihm not war.29

Diese im modernen theologischen Schrifttum als Summarien oder Sammelberichte bezeichneten Abschnitte der Acta Apostolorum30 provozierten seit der Frühzeit des 27 28

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Zur Apostelgeschichte als primärem Vorbild für die Brüder vom Gemeinsamen Leben vgl. Faix, Gabriel Biel, S. 70. Apg 2,42–47. – Wortlaut der Vulgata: Erant autem perseverantes in doctrina apostolorum et communicatione fractionis panis et orationibus. Fiebat autem omni animae timor multa quoque prodigia et signa per apostolos fiebant in Hierusalem et metus erat magnus in universis. Omnes etiam qui credebant erant pariter et habebant omnia communia. Possessiones et substantias vendebant et dividebant illa omnibus prout cuique opus erat. Cotidie quoque perdurantes unianimiter in templo et frangentes circa domos panem sumebant cibum cum exultatione et simplicitate cordis, conlaudantes Deum et habentes gratiam ad omnem plebem. Dominus autem augebat qui salvi fierent cotidie in id ipsum. Apg 4,32–35. – Wortlaut der Vulgata: Multitudinis autem credentium erat cor et anima una nec quisquam eorum quae possidebant aliquid suum esse dicebat sed erant illis omnia communia. Et virtute magna reddebant apostoli testimonium resurrectionis Iesu Christi Domini et gratia magna erat in omnibus illis. Neque enim quisquam egens erat inter illos quotquot enim possessores agrorum aut domorum erant vendentes adferebant pretia eorum quae vendebant et ponebant ante pedes apostolorum dividebantur autem singulis prout cuique opus erat. – Ein alleingültiger Vulgatatext existiert freilich nicht. Vielmehr sind unter dem Begriff „Editio Vulgata“ zahlreiche Lesarten subsumiert, die auf spätantike Übersetzer aus dem Hebräischen und Griechischen zurückgehen, unter denen dem Kirchenvater Hieronymus eine herausragende Stellung zukommt. Als Zitationsgrundlage dient hier und künftig, soweit nicht anders angegeben, der Haupttext der historisch-kritischen Edition Biblia Sacra Vulgata. Editio quinta, hrsg. v. Robert Weber und Roger Gryson, Stuttgart 2007, in der die bedeutendsten Handschriften und Druckausgaben kollationiert sind. Zur literarischen Form der Summarien s. Eckhard Plümacher, Art. „Apostelgeschichte“, in: TRE 3 (1978), S. 483–528, hier S. 513; Heinrich Zimmermann, Die Sammelberichte der Apostelgeschichte, in: Biblische Zeitschrift, NF 5 (1961), S. 71–82. – Die neuzeitliche theologische Literatur zu den Summarien im Allgemeinen und der urchristlichen Gütergemeinschaft im Be-

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Einleitung

Christentums eine bis auf den heutigen Tag nicht abgerissene Diskussions- und Konflikttradition von kaum ermesslichen Ausmaßen und Potenzen.31 Ganz zurecht zählt Oexle sie „ihren geschichtlichen Wirkungen nach zu den folgenreichsten Sätzen, die jemals geschrieben oder gesprochen wurden.“32 In den Armutsdebatten des

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sonderen ist uferlos. Eine bibliographische Übersicht bis ins Jahr 1961 bieten Andrew J. Mattill / Mary Bedford Mattill (Bearbb.), A Classified Bibliography of Literature on the Acts of the Apostles, Leiden 1966, S. 355–359 (zu Apg. 2,42–47), S. 364 f. (zu Apg. 4,32–5,11). Ihre Fortsetzung bis 1984, allerdings beschränkt auf Zeitschriftenbeiträge, findet diese in Watson E. Mills, A Bibliography of the Periodical Literature on the Acts of the Apostles 1962–1984 (= Supplements to Nova Testamentum, 58), Leiden 1986, wo die alphabetisch nach Verfassernamen geordneten Einträge durch einen Einzelstellenindex erschlossen sind. Günter Wagner, An Exegetical Bibliography of the New Testament: Luke and Acts, Macon 1985, reicht bis 1981. Auswahlbibliographien zu jeder Einzelpassage bieten aktuelle Kommentare, so z. B. Joseph A. Fitzmyer, The Acts of the Apostles. A New Translation with Introduction and Commentary, New York 1998, S. 273–275 (zu Apg. 2,42–47), S. 314 f. (zu Apg. 4,32–35). Eine Auswahl theologischer und geschichtswissenschaftlicher Studien zum Urchristentum bis ins Erscheinungsjahr 1933 bespricht Hans Windisch, Urchristentum, in: Theologische Rundschau, NF 5 (1933), S. 186–200, 239–258, 289–301, 319–334. Dasselbe leisten Eckhard Plümacher, ActaForschung 1974–82, in: Theologische Rundschau, NF 49 (1984), S. 120–138, für die im Titel genannte Periode sowie dessen Fortsetzung: Jens Schröter, Actaforschung seit 1982. V. Theologische Einzelthemen, in: Theologische Rundschau, NF 73 (2008), S. 150–196, hier: S. 174– 190. Unter den neueren kommentierten Literaturspiegeln sticht hervor: François Bovon, Luke the Theologian. Fifty-five Years of Research (1950–2005), Waco 22006. – Systematische Analysen der neuzeitlichen Diskussionen über die Historizität des Berichts von der Gütergemeinschaft unternehmen: Hans-Joachim Kraus, Aktualität des ‚urchristlichen Kommunismus‘?, in: Hans-Georg Geyer (Hrsg.), Freispruch und Freiheit. Theologische Aufsätze für Walter Kreck zum 65. Geburtstag, München 1973, S. 306–327 und Martin Leutzsch, Erinnerung an die Gütergemeinschaft, in: Richard Faber (Hrsg.), Sozialismus in Geschichte und Gegenwart, Würzburg 1994, S. 77–93. Die theoretische Bezugnahme auf und kritische Reflexion über die urkirchliche Gütergemeinschaft nach Lukas setzt im 3. Jahrhundert ein (vgl. Rudolf Pesch, Die Apostelgeschichte. 1. Teilband. Apg 1–12 (= Evangelisch-Katholischer Kommentar, 5/1), Zürich/Neukirchen-Vluyn 32005, S. 189). Beredtes Beispiel für die auch heute noch erhebliche Sprengkraft des Diskussionsgegenstandes auch außerhalb des theologischen Raumes gab eine hitzige Debatte im Deutschen Bundestag im Januar 2011. Stein des Anstoßes war ein Essay der Parteivorsitzenden der „Linken“ Gesine Lötzsch über Wege zum Kommunismus, erschienen am 3. Januar desselben Jahres in der marxistischen Zeitung Junge Welt. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der „Linken“ Ulrich Maurer postulierte in seinem Redebeitrag eine direkte ideologische Verbindung zwischen dem Programm seiner Partei und der Sozialität des Urchristentums: „Ich merke, dass Sie offensichtlich wenig über Kommunismus gelesen haben. […] Sie halten ihn nämlich für eine Erfindung von Marx und Engels. Deswegen will ich Ihnen aus der Apostelgeschichte vorlesen – hören Sie gut zu! –: Die Menge der Gläubigen aber war ein Herz und eine Seele; auch nicht einer sagte von seinen Gütern, dass sie sein wären, sondern es war ihnen alles gemeinsam. Jeder, der einen Acker hatte, verkaufte diesen und brachte den Erlös in die Gemeinschaft ein. Das ist Kommunismus pur, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU.“ Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 17/85, Stenografischer Bericht, 85. Sitzung, Berlin, Freitag, den 21. Januar 2011, S. 6929. Otto Gerhard Oexle, Tria genera hominum. Zur Geschichte eines Deutungsschemas der sozialen Wirklichkeit in Antike und Mittelalter, in: Lutz Fenske / Werner Rösener / Thomas Zotz (Hrsgg.), Institutionen, Kultur und Gesellschaft im Mittelalter (FS Josef Fleckenstein), Sigmaringen 1984, S. 483–500, hier S. 486. Diesem Urteil gegenüber gibt sich skeptisch Martin

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13. und 14. Jahrhunderts bildete die ecclesia primitiva nach Lukas einen der, wenn nicht den gewichtigsten Prüfstein jeglicher Theorie, und tatsächlich erweisen sich bei näherem Hinsehen letztlich alle Formen des Gütergemeinschaftsgedankens im christlichen Mittelalter als abhängig von diesem biblischen Basisnarrativ.33 Dies gilt auch und gerade für diejenigen Formen, die aus älteren, antiken Zusammenhängen in die mittelalterliche Welt tradiert worden waren. Stets wurden sie rezeptionell mit der apostelgeschichtlichen Dokumentation des urchristlichen Gemeindelebens verbunden und gewissermaßen von ihr überblendet. Auf diesen Umstand ist es denn wohl auch zurückzuführen, dass in transepochal angelegten Überblickswerken anstelle der nachantiken und vormodernen Jahrhunderte oftmals eine große Lücke klafft, von wenigen vagen Hinweisen abgesehen zumeist direkt von der eigentumskritischen Tradition des Altertums zu den Utopien der Neuzeit gesprungen wird. So entsteht beispielsweise bei Künzli34 oder Gray35 der Eindruck, das frühneuzeitliche Gedankengut zur Gütergemeinschaft habe mehr oder weniger nahtlos an Hesiod, die Pythagoreer oder Plato angeknüpft. Zwar werfen die Verfasser immerhin kurze Seitenblicke etwa auf die Kirchenväter oder Thomas von Aquin, der dann als einsame Lichtgestalt in einem ansonsten dunklen Raum erscheinen mag. Die entsprechenden Kapitel stehen aber gleichwohl isoliert innerhalb ansonsten durchaus fundierter longue-durée-Darstellungen und verstärken so nur das ahistorische Bild von der mittelalterlichen Leerstelle.36 In geradezu vexierbildartigem Gegensatz dazu stehen die Arbeiten sozialistischer und marxistischer Autoren. Ihnen geht es darum, möglichst ungebrochene Traditionslinien eines unterdrückten menschlichen Dranges nach Gemeinschaft der Güter durch die gesamte Historie hindurch zu bezeugen. Daher wenden sie sich dem Mittelalter, in dem eine solche Tradition auf den ersten Blick nur schwer belegbar scheint, mit besonderer Intensität zu. Exponierteste Vertreter dieser Richtung sind Karl Kautsky und Ernst Bloch. Kautskys Vorläufer des neueren Sozialismus beschreiben die gesamte Ketzergeschichte des Mittelalters als ökonomisch determinierte Klassenkampfbewegungen und damit als Vorboten einer proletarischen

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Leutzsch, Die Gütergemeinschaft der Bibel als religions- und gesellschaftspolitisches Modell im Mittelalter, in: Anne-Marie Hecker / Susanne Röhl (Hrsgg.), Monastisches Leben im urbanen Kontext (= MittelalterStudien des Instituts zur Interdisziplinären Erforschung des Mittelalters und seines Nachwirkens, Paderborn, 24), München 2010, S. 67–89, hier: S. 67 mit Anm. 3. Mit dem Terminus „Gütergemeinschaft“ nicht angesprochen ist hier wie im Folgenden die eheliche Gütergemeinschaft, die in ihrer historischen Verortung und Legitimation nur wenige Berührungspunkte mit der kommunitären Gütergemeinschaft aufweist, wenngleich sie selbstredend ebenfalls biblisch grundiert war und insbesondere in hierokratischen Traktaten des 14. Jahrhunderts durchaus in die Diskussion um Privat- und Gemeinbesitz eingebunden wurde. Zu ihr s. Gabriela Signori, Von der Paradiesehe zur Gütergemeinschaft. Die Ehe in der mittelalterlichen Lebens- und Vorstellungswelt (= Geschichte und Geschlechter, 60), Frankfurt/New York 2011. Künzli, Mein und Dein. Alexander Gray, The Socialist Tradition. Moses to Lenin, London 1946. Erfreulich anders aber beispielsweise Christopher Pierson, Just Property. A History in the Latin West, Bd. 1: Wealth, Virtue, and the Law, Oxford 2013; Peter Garnsey, Thinking about Property. From Antiquity to the Age of Revolution, Cambridge 2007.

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Einleitung

Revolution.37 Da der Verfasser das Christentum grundsätzlich als kommunistische Organisation ansieht,38 fügt sich auch der vielfältige Rückgriff auf die Urkirche im Mittelalter passgenau in sein Konzept ein. Während für Kautsky die Aneinanderreihung und Sammlung jener Episoden im Grunde genommen Selbstzweck ist, sind sie bei Ernst Bloch Beiwerk hehrer philosophischer Ansprüche. Im Kontext seines Hauptthemas, der „konkreten Utopie“, kommt er immer wieder auch auf Kommunitätsmodelle des Mittelalters zurück. Schon in seinem Müntzer-Buch spielen sie naturgemäß eine besondere Rolle,39 noch intensiver widmet er sich ihnen im Abriß der Sozialutopien40 und mit der geradezu enzyklopädischen Fülle seines Prinzips Hoffnung stellt er schließlich ein präzedenzloses Florilegium auch der mittelalterlichen Idee einer eigentumsfreien Gesellschaft bereit.41 So wenig diese Arbeiten, in denen auf Schritt und Tritt der tragende Unterbau eines politischen Leitbilds spürbar bleibt, als nüchterne geschichtswissenschaftliche Betrachtungen verstanden werden können, leisten sie doch allein mit der Zusammenschau einer Vielzahl mittelalterlicher Theorien und Praktiken gütergemeinschaftlichen Lebens Beachtliches. In anderswo unerreichter Deutlichkeit lassen sie die hochgradige Virulenz kritischer Auseinandersetzung mit Privatbesitz über geographische und zeitliche Grenzen hinweg und deren – in gewisser Hinsicht ihrer Intention gerade widersprechende – heterogene Semantik erkennen. Abseits solch unverhohlen antikapitalistisch geleiteter Zugänge verdient unter den älteren Autoren Ernst Troeltsch gesonderte Erwähnung.42 Im Rahmen einer imposanten Tour d’Horizon durch die Kulturgeschichte des Christentums unterzieht dieser auch die mittelalterliche religiöse Soziallehre einer breiten Analyse, wobei die Verarbeitung des urgemeindlichen Vorbilds durch Autoren wie Thomas, Joachim von Fiore oder John Wyclif eine bedeutende Rolle spielt. Bei aller stupenden Gelehrsamkeit, mit der Troeltsch seine Quellen in großen Schritten durchmisst, steht als primäre Absicht seiner Arbeit jedoch stets der Gewinn ethischer Schlussfolgerungen im Vordergrund.43 Er zielt daher ebenso wenig wie die zuvor genannten Autoren in erster Linie auf einen ideengeschichtlichen Erkenntnisgewinn in Hinblick auf Aneignung und Überformung des biblischen Paradigmas im mittelalterlichen Denken.

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Karl Kautsky, Die Vorläufer des neueren Sozialismus, Bd. 1: Kommunistische Bewegungen im Mittelalter, Stuttgart 51920 (zuerst 1895). Eine aufschlussreiche Revision bei Roland Boer, Criticism of Religion. On Marxism and Theology, II (= Historical Materialism, 22), Leiden 2009, S. 91–119, bes. S. 113–119. Vgl. Karl Kautsky, Der Ursprung des Christentums. Eine historische Untersuchung, Bonn 161977 (zuerst 1908). Ernst Bloch, Thomas Müntzer als Theologe der Revolution, München 1921. Ders., Freiheit und Ordnung. Abriß der Sozialutopien, New York 1946. Ders., Das Prinzip Hoffnung, 3 Bde, Berlin 1954–1959. Ernst Troeltsch, Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen (= Gesammelte Schriften, 1), Tübingen 1912. In diesem Kontext erklärt sich die von ihm vollzogene Begriffsbildung des ‚religiösen Liebeskommunismus‘, der in der Folgezeit vielfach scharf angefeindet wurde, aber auch gewichtige Fürsprecher fand. Vgl. dazu Kraus, Aktualität, S. 313–315.

Das Ideal der Urkirche: Literaturschau

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Die Zahl von Untersuchungen mit Fokus auf die theoretische Rezeption der Gütergemeinschaft der Urkirche in vorreformatorischer Zeit und insbesondere im späteren Mittelalter, die heutigen kritischen Ansprüchen und aktuellen Vorstellungen vom Wesen mittelalterlicher Religiosität und ihrer geistigen Grundlagen standhalten, ist vergleichsweise niedrig. An erster Stelle ist hier fraglos die Arbeit Glenn Olsens zu nennen. In einer Reihe von Aufsätzen setzt dieser sich intensiv mit der ecclesia primitiva im Denken diverser mittelalterlicher Gelehrter auseinander.44 Als besondere Leistung seiner Studien sind zunächst zweifellos detaillierte begriffsgeschichtliche Sondierungen hervorzuheben. Darüber hinaus gewinnen sie ganz außerordentlichen Wert aber vor allem auch dadurch, dass sie die Vielfalt der intellektuellen Rezeption des Urchristentums im frühen und hohen Mittelalter vor Augen führen. Anders als die Mehrzahl der übrigen Autoren gravitiert Olsen nicht allein auf die Theologie, sondern nimmt ebenso juristische und pragmatische Texte in den Blick. Indem sie die ecclesia primitiva-Entwürfe einzelner Vertreter von Patristik, Vorscholastik, monastischer und scholastischer Lehre beleuchten, liefern seine Studien wertvolle Bausteine für eine Transformationsgeschichte, die sie selbst allerdings nicht bieten möchten. Mit einem universelleren Anspruch nähert sich Ditsche in seiner ungedruckt gebliebenen Dissertation dem Thema. In Konzentration auf Hoch- und Spätmittelalter steckt er sich das Ziel, „die Frage zu beantworten, wie das Bild der ecclesia primitiva […] in einer Gegenüberstellung mit der eigenen Gegenwart jeweils anders gesehen wurde und welche Einzelheiten an ihm hervorgehoben wurden.“45 Zwar stellt das Ideal einer Gemeinschaft der Güter mithin nicht den alleinigen Fluchtpunkt seiner Untersuchung dar, als eines der wichtigsten Rezeptionselemente der Urkirche kommt ihm darin neben anderen – etwa dem weltlichen Machtanspruch des Papsttums – gleichwohl eine zentrale Bedeutung zu. Eine ganze Reihe von Aspekten, 44

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In Auswahl: Glenn Olsen, The Idea of the Ecclesia Primitiva in the Writings of the Twelfth-Century Canonists, in: Traditio. Studies in Ancient and Medieval History, Thought, and Religion 25 (1969), S. 61–86; ders., The Image of the First Community of Christians at Jerusalem in the Time of Lanfranc and Anselm, in: Raymonde Foreville (Hrsg.), Les Mutations socio-culturelles au tournant des 11e–12e siècles. Eudes anselmiennes (4e session); Abbaye Notre-Dame du Bec, Le Bec-Hellouin 11–16 juillet 1982, Paris 1984, S. 341–353, 410 f.; ders., Reference to the ‚ecclesia primitiva‘ in the Decretum of Burchard of Worms, in: Stephan Kuttner / Kenneth Pennington (Hrsgg.), Proceedings of the Sixth International Congress of Medieval Canon Law, Vatikan 1985, S. 289–308; ders., Recovering the Homeland. Acts 4:32 and the Ecclesia Primitiva in St. Bernard’s Sermons on the Song of Songs, in: Word and Spirit. A Monastic Review 12 (1990), S. 92–117; ders., The „Ecclesia primitiva“ in John Cassian, the ps. Jerome commentary on Mark and Bede, in: Claudio Leonardi (Hrsg.), Biblical studies in the early Middle Ages. Proceedings of the Conference on Biblical Studies in the Early Middle Ages, Florenz 2005, S. 5–27. Magnus Ditsche, Die Ecclesia primitiva im Kirchenbild des hohen und späten Mittelalters (Diss. masch.), Bonn 1958, S. 10. Diese Aufgabenstellung fügt sich hervorragend zu Smalleys Feststellung, dass „[a] book as central to medieval thought as the Bible was, must necessarily have been read and interpreted rather differently by different generations. There may be underlying continuity; there are bound to be changes in emphasis.“ Beryl Smalley, The Study of the Bible in the Middle Ages, Oxford 21952, S. XIIIf. Umso erstaunlicher erscheint es, dass Ditsche die Exegese der Apostelgeschichte in traditionellem Sinne gänzlich unberücksichtigt lässt.

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die den Gang der vorliegenden Studie bestimmen werden, sind daher in Ditsches weniger integrativen als seriellen Untersuchung präfiguriert, wobei jener durchaus zu größtenteils überzeugenden Interpretationen gelangt. Großes Manko seiner Arbeit ist jedoch, was in gleicher Weise für nahezu alle anderen der angeführten Titel gilt, die unbefriedigende Quellenbasis. Darauf wird gleich zurückzukommen sein. Dem Skopus und der Denkrichtung der vorliegenden Arbeit am nächsten kommt Martin Leutzsch in einem Aufsatz aus dem Jahr 2010.46 Er nimmt das lukanische Narrativ von der urchristlichen Gütergemeinschaft in ideen- und rezeptionsgeschichtlicher Perspektive von seinen antiken Vorläufern bis zur Reformation in den Blick und macht es sich zur Aufgabe, „charakteristische Transformationen des darauf bezogenen Gütergemeinschaftskonzepts im Mittelalter“47 darzustellen. Die neuralgischen Punkte des damit angesprochenen Diskurses findet er vielfach an den gleichen Stellen, an denen sie auch die folgende Analyse verorten wird. Seine Ausführungen stehen auf einem breiten Literatursockel, sind aber – was die Aufsatzform bei einem solch weitgespannten Betrachtungsschirm auch gar nicht zugelassen hätte – kaum am Quellenmaterial gegengeprüft. Ganz anders ist die Lage bei Bernhard Töpfer, der in seinen Studien zur religiösen und politischen Ideengeschichte des Mittelalters beeindruckende Mengen an Grundtexten auswertet.48 Zwar bilden ecclesia primitiva und urchristliche Gütergemeinschaft nirgendwo seinen primären Untersuchungsgegenstand. Sein Interesse gilt vielmehr in erster Linie der Bedeutung der Vorstellung von einem prälapsarischen Urstand für Gegenwartswahrnehmung und -bewertung im Mittelalter. Da aber Urstand und Urkirche im Geist der Vormoderne in enger ideeller Verbindung zueinander stehen,49 berührt er doch dieselben Fragen, die eine Studie zur Rezeption der urchristlichen Gütergemeinschaft im späteren Mittelalter zu stellen hat, und liefert für diese äußerst wertvolles Material. 3. PRIMAT DER EXEGESE: AUFGABENSTELLUNG Fast allen genannten und dem überwiegenden Teil der ungenannten thematisch verwandten Studien50 gemeinsam ist, dass sie, bemüht um die Analyse des mittelalterlichen Bildes der Urkirche, ihr Hauptaugenmerk genau genommen immerzu auf Quellen richten, die für ihren Gegenstand von nachgeordneter Bedeutung sind. Denn wie bereits angeklungen, können als erstrangig für das Unterfangen einer 46 47 48

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Leutzsch, Gütergemeinschaft der Bibel. Ebd., S. 68. An dieser Stelle sei nur das Opus magnum genannt: Bernhard Töpfer, Urzustand und Sündenfall in der mittelalterlichen Gesellschafts- und Staatstheorie (= Monographien zur Geschichte des Mittelalters, 45), Stuttgart 1999. Ähnlich gelagerte Fragestellungen behandelt Töpfer in zahlreichen Aufsätzen, die im Folgenden, so sie für die vorliegende Arbeit rezipiert wurden, an Ort und Stelle angeführt sind. S. dazu insbes. unten, Kap. II,2 u. III,5.2.2. Zum ecclesia primitiva-Bild des Mittelalters bzw. einzelner Gelehrter existieren einige wenige weitere Arbeiten, die im Folgenden, soweit sie für die Untersuchung relevant sind, an Ort und Stelle genannt werden.

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möglichst exakten Rekonstruktion gelehrter ecclesia primitiva-Vorstellungen allein exegetische Schriften gelten. Sie bilden die permanente Basis christlicher Intellektualität. In ihnen ist die dialektische Auseinandersetzung mit den Bibelworten unmittelbarer nachvollziehbar als irgendwo sonst. Treffend formuliert Henri de Lubac: „elle [sc. antike und mittelalterliche christliche Exegese] définit les rapports de la réalité historique et de la réalité spirituelle, de la société et de l’individu, du temps et de l’éternité; elle contient, comme on dirait aujourd’hui, toute une théologie de l’histoire, en connexion avec une théologie de l’Écriture. Elle organise toute la révélation autour d’un centre concret, marqué dans l’espace et dans le temps par la Croix de Jésus-Christ. Elle est elle-même une dogmatique et une spiritualité complètes, et complètement uni-fiées. […] C’est, sous l’un de ses aspects essentiels, l’ancienne pensée chrétienne. C’est la forme principale qu’a longtemps revêtue la synthèse chrétienne. C’est au moins l’instrument qui lui a permis de se construire, et c’est aujourd’hui l’un des biais par où l’on peut le plus utilement l’aborder.“51

Geradezu paradox erscheint es vor diesem Hintergrund und angesichts des Wissens um die herausragende Bedeutung der Acta-Summarien für das mittelalterliche Denken, dass die Geschichtswissenschaft sich bislang nur ganz beiläufig um die mittelalterliche exegetische Tradition jener Bibelstellen bemüht hat. Umso deutlicher wird der daraus sich ergebende Missstand, wenn einer wie der andere Historiker in Befassung mit den in Frage stehenden Ideologien und Gruppierungen auf das Vorbild der lukanischen Sammelberichte verweist, darüber hinaus gar die Schriften gewisser Gelehrter des Spätmittelalters als dialektische Grundlagen praktischer Erneuerungsversuche der gütergemeinschaftlichen vita apostolica identifiziert, daraus aber nicht die Konsequenz zieht, deren Exegese der entsprechenden Verse in Augenschein zu nehmen.52 Dass diese kontinuierlichen Versäumnisse nicht einem generellen Mangel an Quellen geschuldet sind, beweist ein Blick auf die Überlieferungssituation.53 Vielmehr dürfte zutreffen, was Robert E. Lerner 1996 etwas 51 52

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Henri de Lubac, Exégèse médiévale. Les quatre sens de l’ecriture, Bd. 1, Paris 1959, ND 1993, S. 17. So nennt etwa Arnold, Niklashausen, S. 109, John Wyclif als Impulsgeber für das Streben nach „einer Gesellschaftsordnung ohne Standes- und Besitzunterschiede“ und verweist in unmittelbarem Anschluss daran auf die Verse Apg 4,32 ff., ohne den geringsten Hinweis auf Wyclifs Auslegung derselben zu geben. Ditsche, Ecclesia primitiva, weiß fraglos um das heterodoxe Potential der Urkirchenrezeption, kommt aber augenscheinlich nicht auf den Gedanken, seine Thesen an exegetischen Schriften zu prüfen. Auch Leutzsch, Gütergemeinschaft der Bibel, lässt die mittelalterliche Bibelexegese gänzlich beiseite. In einer äußerst quellengesättigten Untersuchung zum Täuferreich von Münster verfolgt Hans von Schubert die Ideengeschichte der Gütergemeinschaft von der Antike bis ins 16. Jahrhundert, räumt dabei den Summarien zu Recht einen ganz zentralen Platz ein, ohne jedoch die mittelalterliche Exegese auch nur am Rande zu berühren: Hans von Schubert, Der Kommunismus der Wiedertäufer in Münster und seine Quellen (= Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Klasse, 1919/11), Heidelberg 1919. Auch Kautsky, Vorläufer, zieht in Befassung mit einer ganzen Reihe heterodoxer Autoren und im Bewusstsein des Vorbildcharakters der Urkirche nirgendwo die exegetischen Quellen heran. Zahllose weitere Beispiele wären möglich. Eine mehr oder minder vollständige Liste von im engeren Sinne exegetischen Schriften zur Apostelgeschichte im Mittelalter liefert Paul F. Stuehrenberg, The Study of Acts Before the Reformation. A Bibliographic Introduction, in: Novum Testamentum 29,2 (1987), S. 100–136.

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resigniert festgestellt hat, dass nämlich „strenge institutionelle Grenzen zwischen den Fachbereichen […] anscheinend bibelexegetische Forschungen nicht unerheblich [erschweren]. Historiker mögen mittelalterliche Exegese bisweilen zu religiös und zu wenig konkret […], Religionswissenschaftler das Studium der Exegese nicht ‚religiös‘ genug finden. Wenn sich jemand für die Analyse eines theologischen Problems oder für die Entwicklung einer Lehrmeinung oder für ein Thema innerhalb der Frömmigkeitsforschung interessiert, gibt es direktere Zugänge, Entwicklungslinien zu fassen, als sich durch viele vergilbte Foliobände von Exegese hindurchzuarbeiten.“54 Dass aber freilich der direkte Weg nicht zugleich der erkenntnisträchtigste sein muss, bezeugen die nicht unerheblichen Deutungslücken im bestehenden Bild der mittelalterlichen ecclesia primitiva-Idee. Tatsächlich lassen sich griffige, Aufmerksamkeit erregende und dabei vermeintlich klare Aussagen über das Verständnis der urchristlichen Gütergemeinschaft wesentlich einfacher außerhalb des hermeneutisch verschlüsselten exegetischen Raums ausmachen. In diese Kategorie fällt etwa eine häufig zitierte, weil paradigmatisch-beispielhafte Stelle aus dem gegen Ende des 4. Jahrhunderts entstandenen Schriftstellerkatalog des heiligen Hieronymus: […] apparet talem primum Christo credentium fuisse ecclesiam, quales nunc monachi esse imitantur et cupiunt, ut nihil cuiusquam proprium sit, nullus inter eos dives, nullus pauper, patrimonia egentibus dividantur […] quales et Lucas refert primum Hierosolymae fuisse credentes.55

Konfrontiert man die hierin zum Ausdruck kommende, seit dem Altertum geläufige Anschauung beispielsweise mit dem oben angeführten, rund 1000 Jahre später verschriftlichten ‚Bekenntnis‘ Thomas Müntzers, so ist festzustellen, dass sich irgendwann zwischen Spätantike und Spätmittelalter eine Umdeutung der urchristlich-lukanischen Modellgesellschaft vollzogen haben muss, die es ermöglichte, jene nicht mehr nur als ein allein im Inselexil des Klosters konservierbares56, ansonsten aber

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Sie enthält ca. 150 Titel. Die überlieferte Kommentarliteratur zu anderen Büchern ist oft noch wesentlich reicher. Generelle Orientierung bietet Friedrich Stegmüller, Repertorium Biblicum Medii Aevi, 11 Bde, Madrid 1949–1980. Online unter http://repbib.uni-trier.de. Noch nicht erfasst sind damit freilich die nicht eben wenigen Fälle von Texten, deren Primärgattung nicht die Bibelauslegung ist, die aber exkurshafte Exegesen über die Sammelberichte enthalten. Auch diese Exkurse werden im Folgenden als exegetische Texte verstanden. Zum Begriff der Exegese s. genauer unten, S. 28 f. Robert E. Lerner, Zur Einführung, in: ders. (Hrsg.), Neue Richtungen in der hoch- und spätmittelalterlichen Bibelexegese (= Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 32), München 1996, S. IXf, hier S. IX. Hieronymus, De viris illustribus. Berühmte Männer, mit umfassender Werkstudie hrsg., übers. und komm. v. Claudia Barthold, Mühlheim 2010, c. 8, S. 174. Zur Gleichsetzung von Urgemeinde und Mönchtum Olsen, Image, S. 342: „Writers like Eusebius of Caesarea, Basil the Great, Jerome, Augustine, and John Cassian formed an image of Christian beginnings which […] presented to the middle ages an account of Christian origins which intimately associated the practices of the first Christians with the life still pursued by the monks. […] Commonly the monks, and sometimes other movements such as those leading to the formation of the regular canons, saw the cloistered life as preserving the first exalted conditions of Christian existence, often in contradistinction to a laity and Christian society which had abandoned or seriously compromised the ideals of the beginning.“ S. auch Grundmann,

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in den Bereich des Prälapsarischen gehörendes christliches Ideal zu verstehen,57 sondern nun auch als erstrebenswerte und praktisch erreichbare Zukunftsvision.58 So beachtlich diese Beobachtung doch zunächst ist, bleibt sie aber eben genau dies: bloße Beobachtung. Eine Erklärung ist aus solch dekontextualisierten und von ihrer epistemologischen Basis gelösten Einzelaussagen wie derjenigen des Hieronymus kaum zu gewinnen. Dies dürfte auch die Ursache dafür sein, dass die Forschung, trotz manch profunder Studie, bislang eine befriedigende Begründung für die Öffnung und Diffusion des Vorbilds der urchristlichen Gütergemeinschaft in Spätmittelalter und Frühneuzeit schuldig bleiben musste. Unter Geringschätzung des theologischen, insbesondere des bibelkundlichen Schaffens monastischer und scholastischer Gelehrter der Zeit konzentrierte sie sich auf sekundäre Texte, in denen zwar die Ergebnisse der Umdeutung nachvollziehbar sind, die Umdeutungsprozesse selbst aber verdeckt bleiben. Ziel dieser Arbeit ist es, jene Umdeutungsprozesse mit ihren Ursachen und Kontexten sichtbar zu machen, sie epistemologisch zu ergründen und auf breiter Basis in das geistige Umfeld ihrer Zeit einzuordnen. Auf diese Weise soll gezeigt werden, dass die mittelalterliche Interpretation und Rezeption der urchristlichen Gütergemeinschaft in mannigfaltiger Weise mit theologischen, philosophischen, juridischen, politik- und gesellschaftstheoretischen Wissensbeständen der Zeit verwoben ist und in wechselseitigen Wirkungsverhältnissen mit ihnen steht. Als

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Religiöse Bewegungen, S. 5: „Nach der im Ordo-Gedanken der mittelalterlichen Kirche begründeten Überzeugung läßt sich ein ‚religiöses Leben‘, das sich ganz in den Dienst Gottes stellt, nur in den festen Ordnungen des Mönchsstandes führen, die das Dasein und das Verhalten des religiösen Menschen durch Regel und Zucht gegen jeden Rückfall wie gegen jede Ausartung sichern und zugleich in die Gesamtordnung der Kirche einfügen sollen.“ – Im frühen Mittelalter scheint der Gedanke von der prinzipiellen Gültigkeit des urchristlichen Eigentumsmodells für die gesamte Gesellschaft noch verbreitet gewesen zu sein. Die Entwicklung der Interpretation vor dem Hintergrund einer offenbar empfundenen Diskrepanz zwischen urchristlicher Gütergemeinschaft und gelebter Ordnung im frühen Mittelalter beschreibt David Ganz, The ideology of sharing: apostolic community and ecclesiastical property in the early middle ages, in: Wendy Davies / Paul Fouracre (Hrsgg.), Property and Power in the Early Middle Ages, Cambridge 1995, S. 17–30. Vgl. etwa Hermann Oncken, Einleitung, in: Thomas Morus: Utopia (= Klassiker der Politik, 1), Berlin 1922, S. 26*: „Und wenn das christliche Idealbild nur in einem besonderen Asketenstand, dessen Lebensführung sich auch der Weltklerus weitgehend anpaßte, hatte verwirklicht und gewissermaßen in diese ethische Obersphäre hatte abgeschoben werden können, so hörte es darum doch nicht auf, immer wieder als ethische Forderung für die ganze Menschheit aufgestellt zu werden […]“. Gilomen, Schlaraffenland, S. 244, meint: „Das Paradies ist für die Menschen im Mittelalter nicht ein anzustrebender, sondern ein vergangener, ein verlorener idealer Zustand, der nostalgisch verklärt wird. Moderne soziale Utopien, von denen Marxismus und Sozialismus die historisch bisher zweifellos folgenreichsten waren, sind hingegen alle auf ihre Verwirklichung in der Zukunft angelegt.“ Tendenziell ist diese Beobachtung gewiss nicht falsch. Indem sie Anspruch auf Gültigkeit für das gesamte Mittelalter erhebt, scheint sie aber doch allzu simplifiziert. Denn zumindest im späteren Mittelalter existierte eben fraglos doch die Idee eines in der irdischen Zukunft liegenden Idealzustands, dessen Zustandekommen durch gezieltes Handeln zu erreichen oder zumindest abzusichern sei. Dies wird nicht zuletzt in den folgenden Ausführungen deutlich werden.

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Zugangspunkt für dieses Unterfangen dient die Exegese der lukanischen Sammelberichte über das Gemeinschaftsleben in Jerusalem, von der aus sich – so die Annahme – die Wirkung des urgemeindlichen Ideals möglichst authentisch und detailliert nachvollziehen lassen sollte. Exegese soll dabei indes nicht in erster Linie als ein bestimmtes Genre, sondern als Ausdruck einer bestimmten Hermeneutik verstanden werden. Es gehört gerade zu den Spezifika mittelalterlicher Exegese, dass sie sich nur schwerlich als eine distinkte Textgattung oder eine distinkte Arbeitsweise definieren lässt.59 Vielmehr nimmt sie im Laufe der Jahrhunderte so viele unterschiedliche Formen an und findet in so vielen unterschiedlichen Textgattungen60 ihren Niederschlag, dass der Versuch, sie gattungsgeschichtlich zu fassen, kaum einen definitorischen Nutzen bringt.61 So singulär die Heilige Schrift für das Verständnis und die Aneignung der Welt im mittelalterlichen Denken war, so stark war das Bedürfnis, sie zu deuten, so dringlich die Notwendigkeit, ihre Auslegung und ihren Sinn an unterschiedliche und sich verändernde soziale und intellektuelle Ausgangssituationen anzupassen. Damit einher gingen nicht nur ständige Veränderungen in Technik und Form der Exegese, sondern gleichsam unendlich viele Deutungsmöglichkeiten, abhängig von sozialen und kulturellen Eigenheiten ebenso wie von den individuellen Absichten eines Exegeten. Ein weitgehend konstantes Merkmal exegetischen Schaffens liegt indes darin, dass der Autor und seine Intention in der Regel weit in den Hintergrund treten, wodurch der Eindruck entsteht, der biblische Text würde allein für sich selbst sprechen, während aber de facto die Anschauungen und Absichten des Autors für das Produkt der Exegese verantwortlich sind.62 Diesen Beobachtungen entsprechend lässt sich mittelalterliche Exegese versuchsweise definieren als kommentierende Behandlung einer Bibelstelle zum Zweck der Monosemierung eines grundsätzlich polysemen Textes, die der impliziten Argumentation für den Standpunkt des Exegeten durch die Autorität des Bibelwortes dient. Mit dieser Definition ist ein Werkzeug zur Hand, das es ermöglicht, exegetische Texte unabhängig von der äußeren Form zu erkennen und auch exegetische Abschnitte und Exkurse innerhalb prinzipiell anders gelagerter Werke zu identifizieren. Den traditionell dem exegetischen Genre zugerechneten Textsorten – Kommentar, Postille, Scholion, 59 60

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Vgl. Theresa Tinkle, Gender and Power in Medieval Exegesis, New York 2010, S. 7 f. Mitunter wurde vorgeschlagen, dass neben Texten auch andere Ausdrucksformen wie etwa Gemälde als Exegese zu verstehen seien. S. etwa Georges Didi-Huberman, Fra Angelico. Dissemblance & Figuration, Chicago/London 1995, S. 6 f. Eine derart weitgehende Ausdehnung des Begriffs wäre der vorliegenden Arbeit jedoch in keiner Weise zweckdienlich. S. dazu eindringlich Tinkle, Gender, S. 7–13. Vgl. ebd., S. 10 unter Bezug auf Foucault, der feststellt: „[…] der Kommentar, welche Methoden er auch anwenden mag, [hat] nur die Aufgabe, das schließlich zu sagen, was dort schon verschwiegen artikuliert war. Er muß (einem Paradox gehorchend, das er immer verschiebt, aber dem er niemals entrinnt) zum ersten Mal das sagen, was doch schon gesagt worden ist, und muß unablässig das wiederholen, was eigentlich niemals gesagt worden ist. […] Der Kommentar bannt den Zufall des Diskurses, indem er ihm gewisse Zugeständnisse macht: er erlaubt zwar, etwas anderes als den Text selbst zu sagen, aber unter der Voraussetzung, daß der Text selbst gesagt und in gewisser Weise vollendet werde.“ Michel Foucault, Die Ordnung des Diskurses, Frankfurt 1993, S. 19 f.

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Glosse – können auf dieser Grundlage andere exegetische Ausdrucksformen zur Seite gestellt werden. Mit den eben genannten Eigenschaften ist im Übrigen ein weiterer Grund für die oben beschriebene Vernachlässigung exegetischer Quellen – im engen wie im weiteren Sinn – in der Forschung zum spätmittelalterlichen Topos der urchristlichen Gütergemeinschaft angesprochen. Wenn sie die Wahl haben, bevorzugen Historiker in der Regel Texte mit einer expliziten Argumentation und überlassen solche mit einer hochgradig impliziten Gedankenführung den Literaturwissenschaftlern, Theologen oder sonstigen Hermeneutikern. Wenn im Folgenden in einer historisch-mediävistischen Perspektive exegetische Texte in den Vordergrund gerückt werden sollen, so bringt dies also gewisse heuristische Herausforderungen mit sich. Denn Schriftzeugnisse mittelalterlicher Exegese sind stärker als andere Texte von ‚kanonischem Ballast‘ beschwert. „Nicht Originalität, sondern das treue Bewahren der von den Vätern überkommenen Verständnisweisen war das höchste Ziel der Lehrer, die an den Kathedralschulen und Klöstern unterrichteten und in ihren eigenen Kommentaren die Früchte der Lektüre ihrer Vorgänger weiterreichten.“63 Bibelstudium hieß im Mittelalter stets vor allem Studium kanonischer Kommentare. Die Bibeltexte wurden in der Regel schon in glossierter Form gelesen und gegebenenfalls mit weiteren eigenen Anmerkungen versehen. So verwundert es nicht, dass sich Teile der am weitesten verbreiteten Kommentare, Postillen und Scholien – Hieronymus, Augustinus, Beda, Nikolaus von Lyra etc. – allenthalben paraphrastisch oder verbaliter in Kommentaren anderer Autoren wiederfinden. Aus derart amalgamierten Texten den individuellen Aussagewert zu extrahieren, ist mitunter eine mühselige Aufgabe, die nur gelingen kann, wenn die Texte zunächst vom kanonischen Ballast befreit werden. Ab dem 12. Jahrhundert bedeutet dies insbesondere die Parallellektüre der Glossa Ordinaria, Hauptwerkzeug der Exegese im späteren Mittelalter.64 Viele exegetische Arbeiten erweisen sich dann aber als beinahe völlig abhängig von den traditionellen Auslegern, scheinen kaum einen originellen Gedanken zu enthalten. Wer Traditionsbrüche in der Bibelexegese aufspüren möchte, tut daher gut daran, sein Glück bei solchen 63 64

Henning Graf Reventlow, Epochen der Bibelauslegung, Bd. II: Von der Spätantike bis zum Ausgang des Mittelalters, München 1994, S. 8. Zur Glossa Ordinaria s. Smalley, Study, S. 56–66 sowie zuletzt ausführlich: Lesley Smith, The Glossa Ordinaria. The Making of a Medieval Bible Commentary, Leiden/Boston 2009 und Ulli Roth, Die glossa ordinaria – Ein mittelalterlicher Standardkommentar zur Heiligen Schrift, in Michael Quisinsky / Peter Walter (Hrsgg.), Kommentarkulturen. Die Auslegung zentraler Texte der Weltreligionen. Ein vergleichender Überblick, Köln/Weimar/Wien 2007, S. 31–48. – Nachdem die Urheberschaft des Werkes, zurückgehend auf eine Fehlinformation des berühmten Sponheimer Abtes Johannes Trithemius (vgl. Johannes Trithemius, Liber de scriptoribus ecclesiasticis, ed. Johannes Heynlin, Basel 1494, fol. 44r), über Jahrhunderte hinweg Walahfrid Strabo zugeordnet wurde, gilt heute seine Herkunft aus der Schule Anselms von Laon als bewiesen (vgl. Smith, a. a. O., S. 17–19). – Auch die Edition in Migne, PL 113/114 schreibt die Glossa dem falschen Verfasser zu und ist überdies äußerst fehlerbehaftet. Eine bessere Arbeitsgrundlage bietet die Faksimileausgabe Biblia latina cum Glossa Ordinaria. Facsimile Reprint of the Editio princeps Adolph Rusch of Straßburg 1480/81, eingel. v. Karlfried Froelich u. Margaret T. Gibson, Turnhout 1992.

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Autoren zu versuchen, die bereits in anderer Blickrichtung als ungewöhnlich eigenständige, ja deviante Köpfe erkannt worden sind. Schaut man unter diesen Auspizien auf die Ausformungen religiöser Devianz im späteren Mittelalter sowie auf deren intellektuellen Hintergründe, so rücken rasch und zwanglos zwei an Statur herausragende Theologen in den Blick, in deren Werken sich die skizzierte Transformation der urchristlichen Gütergemeinschaft von einem religiösen Ideal zu einem sozialtheoretischen Konzept nicht nur besonders anschaulich abbilden, sondern die auch, wie der Gang der folgenden Untersuchung zeigen wird, als wohl wichtigste Weichensteller des besagten Prozesses gelten können. Die Rede ist von den bereits erwähnten Häresiarchen Petrus Iohannis Olivi (1247/48–1298) und John Wyclif († 1384). Mehrere ineinandergreifende Gründe sprechen dafür, diese beiden als Anfangs- und Endmarken der Untersuchung figurieren zu lassen. Zunächst: Sie beide sind exzeptionelle scholastische Theologen, die, im Unterschied zum größten Teil der sonstigen Vertreter ihrer Zunft im 13. und 14. Jahrhundert, eigenständige, systematische und in sich geschlossene Lehrgebäude errichtet haben. Dies nährt die generelle Hoffnung, bei ihnen originelle und originäre Gedanken zu einem Themenkomplex von solch hervorstechender Bedeutung für das mittelalterliche Denken zu finden. Weiter: Die im Mittelpunkt ihrer Lehren stehenden Gegenstände, im Falle Olivis die paupertas, bei Wyclif das Dominium, stehen in engem Zusammenhang mit den Fragen des Güterbesitzes, womit gleichsam eine natürliche Inklination zwischen ihnen und dem Ideengut einer Gütergemeinschaft herrscht. Außerdem: In der Tat sind es diese beiden, denen der größte Einfluss auf die bedeutendsten devianten Bewegungen kommunitären Zuschnitts im Spätmittelalter zuzusprechen ist.65 Beim Franziskaner Olivi ist hier in direkter Linie zunächst an die mediterrane Beginensekte zu denken, dann aber auch an die Dolcinianer bzw. Apostelbrüder66 und andere, vorrangig französische und italienische Gemeinschaften, bei Wyclif an die Lollarden und Taboriten sowie weitere, vor allem hussitische Gruppierungen. Schließlich: Von beiden ist eine große Zahl an exegetischen Schriften im engen wie im weiteren Sinn überliefert.

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Gewiss könnte eingewendet werden, dass den eschatologischen Prophetien Joachim von Fiores in diesem Kontext mindestens ebenso große Bedeutung beizumessen sei. Diese entfalteten eine praktische Breitenwirkung aber erst durch ihre Aufnahme und Umformung in den Kreisen spiritualistischer Franziskaner des 13. Jahrhunderts, unter denen Olivi der vorderste Platz eingeräumt werden muss. Vgl. dazu Gordon Leff, Heresy in the Later Middle Ages. The Relation of Heterodoxy to Dissent c. 1250–c. 1450, Manchester 1967, S. 124–139, der u. a. feststellt: „[…] Olivi translated Joachim’s primarily impersonal and symbolic prognosis of the end of the second state into historical terms; in doing so he gave it new import.“ (ebd., S. 125). In Zuspitzung auf die chiliastischen Bewegungen belegt die Bedeutung Olivis für das Wirksamwerden joachimitischer Lehre auch Alexander Patschovsky, Eresie escatologiche tardomedievali nel „Regnum Teutonicum“, in: Jürgen Miethke (Hrsg.), L’attesa della fine dei tempi nel Medioevo (= Annali dell’Istituto storico italo-germanico, Quaderno 28), Bologna 1990, S. 221–244. Zum wenig beachteten Einfluss Olivis auf die Apostelbrüder s. etwa Johannes Chrysostomus Huck, Ubertin von Casale und dessen Ideenkreis. Ein Beitrag zum Zeitalter Dantes, Freiburg 1903, S. 12–15.

Methode und Gang der Untersuchung

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Olivis Lectura super Actus Apostolorum (LSAA)67, „the foremost commentary on The Acts of the Apostles, the history of the early church, by a medieval theologian“68, enthält umfangreiche und tiefschürfende Auseinandersetzungen mit den Berichten über die ecclesia primitiva, in der die Implikationen der gütergemeinschaftlichen Organisation stets klar im Mittelpunkt stehen. In ihnen, so soll im Folgenden argumentiert werden, vollzieht sich der erste von zwei wesentlichen Schritten, in die sich der oben beschriebene Umdeutungsprozess gliedern lässt. Indem er die tradierte ideelle Verbindung von urchristlicher und zönobitischer Gütergemeinschaft negierte, machte Olivi den Topos der urchristlichen Lebensweise als Argument für eine große Bandbreite kontemporärer Kontroversen verfügbar. Dieser erste Schritt lässt sich als ‚Entgrenzung‘ charakterisieren. Der zweite Teil des Prozesses kann sodann mit dem Schlagwort der ‚Politisierung‘ beschrieben werden. Er nimmt seinen Ausgang im Rahmen der Debatten um die päpstliche Macht in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts und kulminiert in den Theorien, die John Wyclif in den 1370er und 1380er Jahren formulierte. Ein einzelner Text, der diese Phase ähnlich konzis und vollständig fassbar machen könnte wie Olivis LSAA die vorangehende, existiert nicht. Nachdem Olivi und die an ihn anschließenden Franziskaner das Wesen und die Bedeutung der urchristlichen Gütergemeinschaft einmal effektiv infrage gestellt hatten, wurde sie nun von einer Vielzahl von Autoren unterschiedlichster Denkrichtungen für unterschiedlichste Zwecke vereinnahmt. Die im Zuge dessen vonstatten gehenden Modifizierungen des Topos können besonders plastisch in den Werken Aegidius Romanus’ und Richard FitzRalphs erfasst werden, bevor sie schließlich bei Wyclif in eine entschieden programmatische Lesung der ecclesia primitiva wider die Verderbnis der spätmittelalterlichen Kirche gipfeln. Aufgabe der folgenden Arbeit soll es sein, den Zweischritt von ‚Entgrenzung‘ und ‚Politisierung‘ des Topos der urchristlichen Gütergemeinschaft in den Texten der genannten Autoren des 13. und 14. Jahrhunderts nachzuvollziehen. 4. METHODE UND GANG DER UNTERSUCHUNG Mit der so umrissenen Aufgabenstellung fällt die Untersuchung eo ipso in den Bereich der Ideengeschichte. Sie baut auf die grundsätzliche Annahme auf, dass es möglich ist, den Entwicklungsgang von Ideen über einen längeren Zeitraum hinweg durch die Texte einer Reihe von Autoren hindurch zu verfolgen. Auf das höchst umstrittene Konzept überzeitlicher Elementarideen (unit-ideas), das auf den Nestor der modernen Ideengeschichte Arthur O. Lovejoy zurückgeht, kann sie dabei verzichten.69 Als Indikator der genealogischen Zusammengehörigkeit der verhandel67 68 69

Petrus Iohannis Olivi, Lectura super Actus Apostolorum, ed. David Flood, Peter of John Olivi on the Acts of the Apostles (Franciscan Institute Publications), St. Bonaventure 2001, S. 3–437 (im Folgenden: LSAA). Generelle Einführung unten, Kap. III,1.2. Ebd., Rückentext. Vgl. Arthur O. Lovejoy, The Great Chain of Being. A Study of the History of an Idea, Cambridge 1936.

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Einleitung

ten Texte bzw. Textabschnitte dient ihr stattdessen die explizite Bezugnahme auf die oben angeführten Verse der Apostelgeschichte. Ihr methodisches Instrumentarium bezieht die Studie indes im Wesentlichen von Lovejoys schärfstem Kritiker, dem bereits erwähnten Quentin Skinner und dessen Variante des Kontextualismus.70 In seinem epochemachenden Aufsatz Meaning and Understanding in the History of Ideas71 wandte sich Skinner gegen die Vorstellung der Existenz unveränderlicher Ideen, zu denen Denker in unterschiedlichen Zeiten und mit unterschiedlichen Hintergründen Stellung bezögen, womit ideengeschichtliche Arbeit lediglich darin bestünde, quasi seriell zu prüfen, wie sich ein Autor nach dem anderen zu diesem oder jenem Gegenstand verhielt.72 Dem hielt er die Ansicht entgegen, „that the history of thought should be viewed not as a series of attempts to answer a canonical set of questions, but as a sequence of episodes in which the questions as well as the answers have frequently changed.“73 Auch wenn also zum Beispiel eine von Plato formulierte philosophische Frage oder irgendeine andere antike Textstelle – ein Bibelvers etwa – über die Jahrhunderte hinweg in ihrem Wortbestand gleich bleiben kann, folgt daraus nicht, dass ein Kommentator die Worte, die er kommentierte, genauso verstanden haben muss wie ein anderer. Der äußere Anschein, ein Autor beziehe sich auf dieselbe Frage wie ein zweiter, da er dieselben Textstellen zugrundelegt oder die selben Worte gebraucht, ist angesichts kultureller Unterschiedlichkeit, semantischer Differenzen und Verschiebungen stets trügerisch. Ideengeschichte in der oben beschriebenen Form erklärt Skinner daher für methodisch unzulänglich.74 Einen weiteren Fallstrick der Ideengeschichte sieht Skinner im Lichte dieser Überlegungen in dem Unterfangen, einen Text allein aus sich selbst heraus verstehen zu wollen. So geht er von einem Unterschied zwischen der tatsächlichen Bedeutung eines Textes und der Intention des Autors hinsichtlich der Bedeutung seines Textes aus. Dies stützt er auf den Gedanken eines „surplus meaning“, wonach ein Verfasser niemals vorgehabt haben könne, all das auszusagen, was sein Text faktisch aussagt.75 Da das Ziel hermeneutischer Erschließung eines Textes für den ideengeschichtlich arbeitenden Historiker (nicht für den Literaturwissenschaftler, den Skinner irrigerweise ebenfalls ansprechen möchte) aber zweifelsohne sein müsse, zu verstehen, was der Verfasser mit seinen Äußerungen sagen wollte, worin also der Sprechakt bestand, sei eine rein innertextuelle Interpretation unzureichend.76 Für die Erkenntnis des illokutionären Akts hat nach Skinner der Kontext entscheidende Bedeutung. In der klassischen Kontextmethode der Geistesgeschichte aller70 71 72 73 74 75 76

Ein hervorragendes Beispiel für die Fruchtbarkeit dieser Herangehensweise in der mediävistischen Forschung bietet jüngst Jonathan Robinson, William of Ockham’s Early Theory of Property Rights in Context (= Studies in Medieval and Reformation Traditions, 166), Leiden 2013. Wie Anm. 20. Vgl. ebd., S. 30 f. Ders., A reply to my critics, in: Tully (Hrsg.), Meaning and Context, S. 234. Vgl. ders., Meaning and Understanding, S. 50 u. passim. Vgl. ders., Visions of politics, Bd. 1: Regarding method, Cambridge/New York 2002, S. 110– 114. Skinner stützt sich hierfür in erster Linie auf die Sprechakttheorie John Langshaw Austins und insbesondere auf John L. Austin, How To Do Things With Words, 2., verb. Aufl., Oxford 1980.

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dings würde ‚Kontext‘ fälschlicherweise als Determinante dessen, was tatsächlich gesagt wird, verstanden. In Wahrheit aber bilde der Kontext den Rahmen, um zu entscheiden, welche Aussagen zu einem Thema in einer bestimmten gesellschaftlichen Konstellation überhaupt möglich sind. Eine methodisch zulängliche ideengeschichtliche Untersuchung müsse daher, so Skinner, in einem ersten Arbeitsschritt bestimmen, was mit einer gegebenen Aussage zu einem Thema im spezifischen Kontext, in dem sie ausgesagt wurde, überhaupt sagbar war.77 Dieser Forderung nach Eingrenzung des Sagbaren zollt die vorliegende Arbeit in zweierlei Weise Rechnung. So zielt das bewusst knapp gehaltene Grundlagenkapitel darauf, das Feld abzustecken, in dessen Grenzen sich das Denken über die urchristliche Gütergemeinschaft im in Betracht stehenden zeitlichen wie geistlichen Milieu ausschließlich bewegen konnte. Neben den weit verbreiteten Fragmenten griechischer Staatsphilosophie, namentlich den Überlegungen Platos und Aristoteles’ zum Gemeinbesitz (Kap. II,1), waren es vor allem einige einschlägige Passagen des Decretum Gratiani, die im Spätmittelalter einen festen Bezugspunkt des Gütergemeinschaftsdiskurses außerhalb des genuin biblischen Kontextes darstellten (Kap. II,2). Hinzu kam als drittes im 13. Jahrhundert die von der Debatte um die mendikantischen Ideale provozierte breite Aushandlung von eigentums- und gebrauchsrechtlichen Fragen. Gerade in diesem Kontext kam es zu einer weitreichenden semantischen Umbildung, die eine nachhaltige Verschiebung des über Gütergemeinschaft Sag- und Verstehbaren bedingte (Kap. II,3). Auf diese drei signifikanten Fixpunkte kann sich der vorangestellte Grundlagenteil beschränken. Auch die Technik der Quellenanalyse in den daran anschließenden Hauptteilen der Arbeit ist in besonderem Maße auf die Freilegung des geistigen Kontextes gerichtet, in dem die untersuchten Texte entstanden. So legt die Interpretation besonderes Gewicht auf die Semantik von Schlüsselbegriffen und nimmt deren Auftreten zum Anlass mitunter weit ausgreifender Kontextualisierungen. Dies betrifft beispielsweise zentrale Termini der franziskanischen Lebensweise (perfectio, simplicitas, paupertas etc.), Vokabeln um Herrschaft, Besitz und Gebrauch (dominium, usus, possessio etc.), aber auch weniger allfällige Worte, die nur im Rahmen eines spezifischen Denksystems einen spezifischen Sinn gewinnen, dann aber in einem bestimmen Kontext umso stärkere Signalwirkung haben können (so etwa bei Wyclif die Begriffe universalis und particularis). In dieser Verfahrensweise ist bereits der zweite Schritt angelegt, den Skinners Methode vorsieht. Mithilfe einer dezidiert linguistischen Betrachtung des Textes soll aus allen möglichen Aussagen des Ausgesagten diejenige herausgefiltert wer77

Vgl. ders., Meaning and Understanding, S. 63 f.; ders., Visions of politics, Bd. 1, S. 114. Dem ist prinzipiell auf jeden Fall zuzustimmen. Doch kommt in dieser Sichtweise freilich all das zu kurz, was mit ‚Rezeptionsgeschichte‘ bezeichnet werden kann oder nach Austin als ‚perlokutionärer Effekt‘. Skinner will diese Ebene wohl miterfassen, wenn er von „conventionally recognizable meanings“ spricht. Da aber nicht erst durch historischen und sozialen Abstand zwischen Sender und Empfänger eine Differenz von Gemeintem und Verstandenem entsteht, sondern diese als Konstante in jeglicher Kommunikation angenommen werden muss, hat die Einhegung des Sagbaren als kontextuelle Methode zunächst nur einen begrenzten Mehrwert für die Frage, wie ein Text von einem zeitgenössischen (und noch weniger von einem späteren) Leser verstanden wurde.

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den, die der Verfasser tatsächlich intendierte. Ziel jeder ideengeschichtlichen Arbeit müsse laut Skinner eine „recovery of intentions“ sein. Das Heranziehen aller Fakten des sozialen Kontextes könne letztlich als Teil dieses linguistischen Unternehmens verstanden werden.78 Ganz in diesem Sinne widmet die vorliegende Untersuchung sprachlichen Details der betrachteten Texte höchste Aufmerksamkeit. Sowohl lexikalische und grammatikalische als auch syntaktische Charakteristika werden als Schlüssel zur Aussageabsicht der Verfasser nutzbar gemacht. So können schon geringfügige sprachliche Modifikationen in Bibelzitaten als Indizien für intentionale und folgenreiche Sinnzuschreibungen durch die Exegeten erkennbar werden (die Umkehr der Sequenz cor et anima in Apg 4,32 durch Augustinus, Wyclifs Ersetzung von apostolorum durch discipulorum in Apg 4,35 etc.). Im Übrigen wird Skinners Forderung, vom Text zum Kontext zu kommen, im Folgenden wörtlich verstanden, indem nicht die Texte in einen antizipierten Kontext gestellt, sondern der Kontext im Text gesucht wird.79 In der Praxis wird dieses Vorhaben durch die lineare Analyse einzelner Textabschnitte realisiert. Der analytische Blick soll dabei von der Abfolge der in den Quellen verschriftlichten Gedanken selbst geleitet werden. Für die Anwendung dieses Verfahrens bietet Olivis LSAA ein exzellentes Feld. In ihr findet sich ein sukzessiver Denkprozess verschriftlicht, den im Einzelnen nachzuverfolgen ein mehr als reizvolles Unternehmen in Hinblick auf die Erforschung der Spezifika mittelalterlicher Exegese darstellt. Überdies liefert der Text durch die kontinuierliche Angabe seiner Referenzen und Antipoden sowie die besonnene Diskussion derselben wie auch der allgemeinen exegetischen Tradition selbst bereits eine vollständige Diskursgeschichte. Für das Ziel des minutiösen Nachvollzugs spätmittelalterlichen exegetischen Denkens über die urchristliche Gütergemeinschaft ist die lineare Interpretation im Falle von Olivis LSAA daher die einzig logische Vorgehensweise. Dabei garantiert die systematische Struktur des Quellentextes den schlüssigen Aufbau der Analyse. Im ersten Hauptteil der Arbeit, der Olivi in den Mittelpunkt stellt, wird dementsprechend nach einer zweckdienlichen Einführung zu Verfasser und Werk – inklusive Überlegungen zur zeitlichen und thematischen Einordnung der LSAA in das Œuvre des Franziskaners – (Kap. III,1) zunächst in mehreren Teilen der Boden für das Verständnis seiner hintergründigen Einlassungen zur Vergemeinschaftung des Eigentums in der Urgemeinde bereitet. Auch mittelalterliche Theologen erkannten den summarischen und exkursorisch-abgeschlossenen Charakter der lukanischen Gemeindeberichte80 und behandelten sie somit gewöhnlich als einen Sinnabschnitt. Die Basiskoordinaten für Olivis Auslegung der für die Gütergemeinschaft essentiellen Verse Apg 2,44–45 und 4,32.34–35 lassen sich daher sinnig aus seiner Besprechung der übrigen Summarienverse ableiten. Im Einzelnen sind hier das Paradigma 78 79

80

Vgl. ders., Meaning and Understanding, S. 64. Vgl. ders., Visions of politics, Bd. 1, S. 114–117, hier S. 116: „[…] we should start by elucidating the meaning, and hence the subject matter, of the utterances in which we are interested and then turn to the argumentative context of their occurrence to determine how exactly they connect with, or relate to, other utterances concerned with the same subject matter.“ Vgl. dazu unten, S. 72, 134 f., zu Olivis perikopischer Gliederung des Bibeltextes.

Methode und Gang der Untersuchung

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der perfectio evangelica als übergeordnete Leitlinie der Exegese (Kap. III,2), Olivis Rezeption der platonischen Gütergemeinschaft (Kap. III,3) sowie das Verhältnis zentraler franziskanischer Ideale zum Urchristentum zu behandeln (Kap. III,4). An die darauf folgende schrittweise Aufhellung der Charakteristika des Olivi’schen ecclesia primitiva-Konzeptes (Kap. III,5) schließen sich Betrachtungen zu den Implikationen an, die für den Exegeten aus demselben folgen. Diese kreisen zunächst um die Spannung zwischen allegorisch-spiritueller und tropologischer Deutung des Verses Apg 4,32 (Kap. III,6) und bringen sodann das praktische Handeln der Apostel auf der einen und der Prälaten in Olivis Gegenwart auf der anderen Seite gegeneinander in Stellung (Kap. III,7–8). An diesem Punkt wird mit besonderer Prägnanz die Kontaktzone von Exegese und Zeitkritik kartographiert. Die Detail-Analyse eines zentralen Abschnittes des exegetischen Werkes eines scholastischen Gelehrten trägt überdies dem Umstand Rechnung, dass in den Geschichtswissenschaften „der Bereich der mittelalterlichen Exegese nach wie vor sträflich vernachlässigt [wird]“81. Am Beispiel von Petrus Olivis SummarienAuslegung führt sie vor Augen, in welcher Verdichtung die so wenig beachteten exegetischen Texte komplexe Denksysteme en bloc sinnfällig machen können. Anhand einer intensiven kontextualisierenden Lektüre wird sich erweisen, dass Olivis Exegese besagter Bibelstellen in komprimierter Form tiefe Einblicke in seine geschichtstheologische, ekklesiologische und sozialphilosophische Doktrin gewährt. Wenn aber jene Passagen der Heiligen Schrift den Gelehrten des Mittelalters zu solch weitschweifigen Assoziationen einluden, bestätigt dies freilich zugleich wiederum die Prämisse ihrer außergewöhnlichen Bedeutsamkeit für die weltanschaulichen Konzeptionen der christlichen Vormoderne. Der zweite Hauptteil der Arbeit nimmt die Zeit nach Olivi in den Blick. Die Wirkung seiner Neuinterpretation der ecclesia primitiva zeigte sich am eindringlichsten zunächst im sogenannten Theoretischen Armutsstreit der 1320er Jahre. Dieser ist in Hinblick auf die Ideengeschichte der urchristlichen Gütergemeinschaft nicht, wie in der Forschung schon häufig geschehen,82 hermeneutisch sinnvoll in episodischer Form zu betrachten, sondern muss im Kontext der hierokratischen Theorie des frühen 14. Jahrhunderts und der aus dieser sich ergebenden Kontroversen gelesen werden. Daher widmen sich die beiden ersten Unterkapitel dieses zweiten Sektors je einem Ideengeber und einem Rezipienten des Armutsstreits, namentlich 81

82

Lerner, Zur Einführung, S. IX. – Dieses Verdikt kann leider auch noch heute, zwei Jahrzehnte nachdem es ausgesprochen wurde, Gültigkeit beanspruchen. Zwar sind seither – wie auch schon zuvor – zahlreiche Einzelstudien erschienen, die in der ein oder anderen Weise auf mittelalterliche Exegese zugreifen. Die Gesamtsituation bleibt aber im Wesentlichen die selbe, scheint doch der Großteil der Mediävisten nach wie vor im Unklaren darüber zu sein, welch große Bedeutung mittelalterlichen Bibelstudien insgesamt für unser Verständnis von Denkmustern und deren Transformationen in jener Epoche zukommt. Diese Situation beklagte auch schon Smalley, Study, S. XII: „Curiously enough, however, the historians of medieval culture have neglected a vital factor in the object of their studies. Historians have been reproached as a class for preferring quantity to quality in their choice of material. In this case the reproach is unfounded, since not even the vast quantity of works on the Bible has succeeded in catching their attention.“ Zur Literatur über den Theoretischen Armutsstreit s. unten, S. 90 f., Anm. 124.

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den kuriennahen Theologen Aegidius Romanus (Kap. IV,1) und Richard FitzRalph (Kap. IV,2). Die Anschauungen des Augustinereremiten Aegidius Romanus zum angemessenen Umgang mit weltlichen Gütern und den Implikationen der ecclesia primitiva werden aus seinem wenig bekannten Gutachten über die Lehren Petrus Olivis sowie aus seiner berühmten Schrift De ecclesiastica potestate erschlossen. FitzRalphs stärker exegetisch ausgerichteten, wenngleich doch auch auf seine Gegenwart zielenden Betrachtungen zum selben Thema lassen sich in seinem Traktat De pauperie Salvatoris nachvollziehen. Insbesondere wohl durch seine Rezeption ebenjenes FitzRalph’schen Traktats gelangte John Wyclif zur umfassenden Beschäftigung mit dem Komplex des Dominiums, deren Ergebnisse er Mitte der 1370er Jahre in einer Reihe zum Teil äußerst umfangreicher Schriften niederlegte. Unter ihnen ragt die in drei Bücher gegliederte Abhandlung De civili dominio (De Civ. Dom.) besonders hervor.83 Um die Rolle der ecclesia primitiva im Denken des Oxforder Theologen zu bestimmen, wird daher nach einer Einleitung zum Ort der Urkirche in seinem Leben und Wirken (Kap. IV,3.1) jenes Werk einer eingehenden Betrachtung in Hinblick auf die in ihm zum Ausdruck kommenden Vorstellungen von der Gütergemeinschaft unterzogen (Kap. IV,3.2–IV,3.4). Stärker als irgendwo sonst wendet Wyclif die Implikationen aus dem neutestamentlichen Vorbild darin dezidiert programmatisch auf die Missstände seiner Zeit an. Hier also kann besonders anschaulich die Entwicklung der fundamentalen Kirchenkritik des doctor evangelicus unter prominenter Mitwirkung der ecclesia primitiva-Motivik beobachtet werden. Welche Bedeutung der klassischexegetischen Auslegung der Acta-Berichte in seiner wenig beachteten und bislang ungedruckten Postilla super totam Bibliam in dieser Entwicklung zukommt und in welchem Verhältnis das darin zum Ausdruck kommende Bild von der Gütergemeinschaft zu den Ansichten steht, die die übrigen Werke transportieren, gilt es in einem letzten Schritt zu erfassen (Kap. IV,3.5). Auf diese Weise wird es möglich, den Wert der klassisch-exegetischen Arbeit für die Genese von Wyclifs wirkmächtiger Güterlehre zu bestimmen. Mit der gesonderten, nacheinander erfolgenden Erschließung der Quellen im zweiten Hauptteil reagiert die Arbeit auf ein weiteres Problem der Ideengeschichte. Indem sie mehrere Werke eines Verfassers gleichwertig nebeneinanderstellt und unter gemeinsamen Gesichtspunkten betrachtet, vernachlässigt sie oftmals die Unterschiedlichkeit der Bedingungen, äußeren Voraussetzungen, Absichten und benutzten Werkzeuge beim Verfassen verschiedener Texte.84 Das Bild, das sie auf diese Weise von der Stellung eines bestimmten Denkers zu einem bestimmten Gegenstand gewinnt, ist zwangsläufig ein ahistorisches Synthetikum.85 Da der Fokus der vorliegenden Arbeit aber gerade auf der Prozesshaftigkeit von Ideengeschichte liegt, wäre es gänzlich gegen ihren Zweck, Differenzen und Kontradiktionen zwischen einzelnen Texten – auch ein und desselben Verfassers – unter thematischen Schematisierungen zu verdecken. 83 84 85

Iohannis Wycliffe Tractatus de civili dominio, 4 Bde, ed. Reginald Lane Poole (Bd. 1) und Johann Loserth (Bd. 2–4), London 1885–1904 (im Folgenden: De Civ. Dom.). Vgl. Quentin Skinner, Meaning and Understanding, S. 49. Vgl. ebd., S. 41 f.

Methode und Gang der Untersuchung

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Noch ein Wort zur fachlichen Zuordnung: Die methodische Ausrichtung der vorliegenden Studie verlangt es, sich in hohem Grade auf die Motivik der untersuchten Texte einzulassen. Zwar ist das Erkenntnisinteresse ein geistesgeschichtliches und bleibt die führende Hand die des Historikers, doch wird das Augenmerk wiederholt über längere Strecken hinweg auf theologische und philosophische Komplexe gerichtet. Diese Vorgehensweise könnte als zu wenig ‚historiographisch‘ kritisiert werden. Dem muss jedoch in aller Entschiedenheit entgegengehalten werden, dass die geschichtliche Identität der gemusterten Texte eben großenteils eine theologische ist und es somit vielmehr dem historiographischen Anspruch zuwiderliefe, sie in einer anderen Perspektive lesen zu wollen. Gerade indem die Untersuchung sich auf die Historizität der Texte einlässt, ist sie eine historische Untersuchung.86 Der Wunsch, der Aufgabenstellung möglichst weitgehend gerecht zu werden und die methodischen Prämissen praktisch umzusetzen, bedingt jedoch auch, dass im Folgenden keine fortlaufende, geradlinige Erzählung verfolgt und der Stoff nicht in eine narrative Form gegossen werden kann. Vielmehr werden einzelne Textstellen als Zeugen eines ideengeschichtlichen Prozesses geladen, eingehend befragt und ihre Hintergründe en detail durchleuchtet. Wenn sich daraus im integrativen Schlussteil (Kap. V) letztlich aber ein zusammenhängendes Bild ergibt, das eine klarere Vorstellung von der mittelalterlichen Ideengeschichte der urchristlichen Gütergemeinschaft zu schaffen vermag, so dürfte die Herangehensweise als sanktioniert gelten.

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Vgl. ders., Visions of politics, Bd. 1, S. 124 f.: „The chief aspiration underlying the method I have been describing is that of enabling us to recover the historical identity of individual texts in the history of thought. The aim is to see such texts as contributions to particular discourses, and thereby to recognise the ways in which they followed or challenged or subverted the conventional terms of those discourses themselves. More generally, the aim is to return the specific texts we study to the precise cultural contexts in which they were originally formed.“

II. KONTEXTE 1. BESITZ ODER GEBRAUCH? GÜTERGEMEINSCHAFT BEI PLATO UND ARISTOTELES In seinem Hauptwerk, der Politeia,1 entwickelt Plato um 370 v. Chr. das Ideal einer Verfassung, in der die beiden ersten Stände, Regenten und Wächter, denen die Leitung des Staates obliegt, auf Privatbesitz, Ehe, Familie und individuelle Haushaltung zu verzichten hätten.2 So soll eine vollkommene Loslösung von egoistischen 1

2

Die Literatur zur Politeia ist heute für den Einzelnen nicht mehr durchdringbar. Als erste Orientierungshilfe sei nur verwiesen auf: Ulrike Zimbrich, Bibliographie zu Platons Staat. Die Rezeption der Politeia im deutschsprachigen Raum von 1800 bis 1970, Frankfurt a. M. 1994. Weitere Bibliographien sind gelistet ebd., S. 246–248. Er greift dabei auf den älteren, zuerst bei Hesiod zu findenden Mythos der Aetas aurea sowie idealisierende Vorstellungen über Ur- und Naturvölker zurück, in denen das (Noch-)Nichtvorhandensein von Eigentum eine bedeutende Rolle spielt. Ins Blickfeld christlich-mittelalterlicher Rezipienten rücken diese Traditionen in erster Linie in der Überblendung des Goldenen Zeitalters mit dem Garten Eden des Alten Testaments und eschatologischen Erwartungen seiner Wiederkunft als eines neuen ‚irdischen Paradieses‘ (vgl. dazu: Graus, Goldenes Zeitalter, bes. S. 111 ff.). Darüber hinaus existierte vor wie nach Plato in der antiken Philosophie und Staatstheorie eine breite Ideentradition zur gütergemeinschaftlichen Gesellschaftsordnung. Für einen ausführlichen Überblick mit Musterung aller in Betracht zu ziehenden Autoren, Denkschulen und Werken s. Manfred Wacht, Art. „Gütergemeinschaft“, in: Reallexikon für Antike und Christentum. Sachwörterbuch zur Auseinandersetzung des Christentums mit der antiken Welt 8 (1972), Sp. 1–59. – Als frühestes empirisch greifbares Zeugnis praktischer Verwirklichungsansätze kommunistischer Lebensgemeinschaft in der Antike gilt die vermeintliche Gütergemeinschaft der Pythagoreer. Vgl. Wacht, a. a. O., Sp. 2–4; außerdem: Edwin L. Minar, Pythagorean Communism, in: Transactions and Proceedings of the American Philological Association 75 (1944), S. 34–46. Ob und in welchem Maße Timaios von Tauromenion, in dessen Geschichte Siziliens sich um die Wende vom vierten zum dritten vorchristlichen Jahrhundert die erste ausführliche Dokumentation der sozialen Ideologie des pythagoreischen Bundes findet, historische Tatsachen berichtet, ist höchst umstritten (zu den Hauptargumenten der Debatte: Minar, a. a. O., S. 41–44). In der ein oder anderen Form jedenfalls scheint das Privateigentum unter Pythagoras’ Schülern in der Kritik gestanden zu haben. Weit über die direkte Folgezeit des Ordens hinaus entwickelten die Leitmotive jener Kritik – zentral zusammengeführt im Sprichwort amicorum omnia communia und dessen Varianten – eine hochgradige Virulenz, deren Dynamik letztlich völlig abgekoppelt war von der Frage nach einem faktisch verifizierbaren Ursprung. So wird schon in den folgenden antiken Diskussionen die allenfalls interne und auf die voll Initiierten des Bundes beschränkte Gütergemeinschaft immer weiter ausgedehnt, bis zur Behauptung eines historischen Kommunismus gesamt Süditaliens. Neben anderen sozialpolitischen Idealbildern der Antike hatte jener pythagoreische Topos unmittelbaren Einfluss auf die lukanische Beschreibung der Gütergemeinschaft der Urgemeinde. Als Kenner der griechischen Traditionen beabsichtigte der Verfasser der Apostelgeschichte anscheinend, seinen Lesern die Einlösung ihrer Sehnsüchte im Christentum vor Augen zu führen. Gerhard Schneider, Die Apostelgeschichte. I. Teil. Einleitung. Kommentar zu Kap. 1,1–8,40, Freiburg/ Basel/Wien 1980, S. 290 f. belegt die Abhängigkeit philologisch, indem er sprachliche Über-

Besitz oder Gebrauch? Gütergemeinschaft bei Plato und Aristoteles

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privaten Interessen und damit die Fähigkeit zur uneingeschränkten Konzentration auf die Belange und das Wohlergehen der Gemeinschaft erreicht werden. Um jegliche soziale Divergenzen unter den Angehörigen dieser Stände zu tilgen, sollten sie überdies eine Frauen- und Kindergemeinschaft pflegen, damit „sie einer Auffassung darüber sind, was ihnen angehört, und deshalb alle nach demselben streben und soweit als möglich Schmerz und Freude miteinander teilen“.3 Unter den Handwerkern und Bauern hingegen, die den dritten Stand bilden, bleibt in Platos Staat das Privateigentum anscheinend erhalten. Im Gegensatz zu den ersten beiden Ständen äußert sich der Philosoph zur Einrichtung derer Besitzverhältnisse zwar nicht direkt – was ja bereits zum argumentum ex negativo gewendet werden kann –, da sie jedoch die Regenten und Wächter mit den notwendigen Lebensmitteln, in dem Maße, dass sie „keinen Überfluß haben, aber auch keinen Mangel leiden müssen“4, versorgen sollen, liegt die Schlussfolgerung nahe. Über die Frage, ob Platos Staatskonzept als ethische Metapher oder aber als Programmatik gesellschaftlicher Erneuerung zu lesen sei, lässt sich in der Forschung kein Konsens finden.5 In einem späteren Werk, den Nomoi, liefert der Verfasser jedenfalls nähere Erläuterungen zu seinen Vorstellungen idealer Gesetzgebung nach. In direktem Rekurs auf die Gütergemeinschaft der Politeia konstatiert er dort, dass „eine solche Forderung bei der jetzigen Generation und bei deren Erziehung und Bildung zu schwer wäre“6 und daher „eine Stadt wohl nur am zweitbesten eingerichtet werden kann, gemessen am besten Zustand.“7 Bester Zustand bleibt ihm nach wie vor derjenige, „wo möglichst in der ganzen Stadt der alte Spruch verwirklicht ist, der besagt, daß das, was Freunde besitzen, in Wahrheit gemeinsamer Besitz ist.“8 Da nun aber dieses Ideal gegenwärtig nicht zu verwirklichen sei,

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einstimmungen zwischen den griechischen Zeugen des pythagoreischen Ideals Diogenes Laertius und Iamblichos sowie Plato und Aristoteles auf der einen und Apg 2,44 auf der anderen Seite herausstellt. – Für den „Weiberkommunismus“, der in den mittelalterlichen Debatten über die Gütergemeinschaft eine besondere Rolle spielte (s. dazu unten, S. 217–219), wurde außerdem häufig eine Abhängigkeit zwischen Plato und den Ekklesiazusen des Aristophanes angenommen, wobei unklar bleibt, in welcher Richtung diese verlaufen soll. Politeia V, 464d. Übers. n.: Platon, Der Staat. Politeia. Griechisch-deutsch, übers. v. Rüdiger Rufener, Düsseldorf/Zürich 2000, S. 423. Ebd., III, 417a, S. 285. Die erste Position vertreten z. B. Julia Annas, Platonic Ethics, Old and New, Ithaca 1999; Norbert Blössner, Dialogform und Argument: Studien zu Platons „Politeia“, Stuttgart 1997, bes. S. 190–201. Prominenter Vertreter der Gegenseite ist Karl Popper in seiner hoch umstrittenen Schrift „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“ (zuerst: Tübingen 1945). In neueren Darstellungen finden sich gelegentlich Kompromisse, so etwa bei Sung-Chul Rhim, Die Struktur des idealen Staates in Platons Politeia. Die Grundgedanken des platonischen Idealstaats angesichts antiker und moderner Kritik, Würzburg 2005, der S. 34 urteilt: „Auf keinen Fall hatte Platon jemals die Absicht, den Idealstaat der Politeia zu verwirklichen. Er wollte einen den historischen Bedingungen entsprechenden Kompromiß finden. Überall konnte es nur darum gehen, eine gewisse Annäherung an das Ideal zu erreichen, je nachdem, wie weit es die empirischgeschichtlichen Gegebenheiten zulassen würden.“ Nomoi V, 740a. Übers. n.: Platon, Nomoi (Gesetze), Buch IV–VII, übers. u. komm. v. Klaus Schöpsdau (= Platon, Werke, IX,2), Göttingen 2003, S. 45. Ebd. 739a, trans. Schöpsdau, S. 44. Ebd. „der alte Spruch“ meint das wohl aus pythagoreischem Umfeld stammende Proömium amicorum omnia communia.

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Kontexte

stellt er für die Praxis eine Reihe von Annäherungsprinzipien auf. So solle etwa der Privatmann kein Gold und Silber besitzen, sondern mit Münzen ohne materiellen Eigenwert gehandelt werden,9 jeder Bauer solle zwar sein Stück Land zur Bewirtschaftung zugewiesen bekommen, habe dieses aber „[…] als Gemeingut der ganzen Stadt anzusehen […]“,10 und wer mehrere Kinder bekäme, solle eines davon zu seinem Erben machen, die anderen aber an Kinderlose abgeben. Je nachdem welche Lesart der Politeia man voraussetzt, können diese Ausführungen entweder als Eingeständnis früherer Fehleinschätzungen oder aber als praxisorientierte Präzisierungen verstanden werden. En détail rezipiert Aristoteles die wesentlichen Eigenarten des platonischen Staats im zweiten Buch seiner Politica. Wie in vielem widerspricht er seinem Lehrer hinsichtlich der Heilswirkung einer Aufhebung des Privaten mit großer Vehemenz.11 So urteilt er zunächst über die Gemeinschaft der Kinder: Was den meisten gemeinsam ist, erfährt am wenigsten Fürsorge. Denn um das Eigene kümmert man sich am meisten, um das Gemeinsame weniger oder nur soweit es den einzelnen angeht. Denn, abgesehen vom übrigen, vernachlässigt man es eher, weil sich doch ein anderer kümmern wird […]. Nun bekommt aber jeder Bürger tausend Söhne, und diese nicht als Söhne eines einzelnen, sondern jeder ist gleichmäßig Sohn von jedem. Also werden sie sie alle gleichmäßig vernachlässigen.12

Und ebenso scharf polemisiert er hernach gegen Platos Ideal des kollektiven Güterbesitzes als Garant friedfertigen und altruistischen Soziallebens: So sieht jene Gesetzgebung zwar großartig und menschenfreundlich aus, und wer von ihr hört, nimmt sie gerne an (denn er meint, es werde eine wunderbare Freundschaft aller zu allen entstehen), vor allem, wenn man die jetzt in den Staaten bestehenden Übel der Tatsache zuschreibt, daß der Besitz nicht gemeinsam ist; ich meine die gegenseitigen Prozesse über Verträge, die Gerichtsurteile wegen falschen Zeugnissen, das Schmeicheln bei den Reichen. Aber diese Dinge kommen nicht vom Fehlen der Gütergemeinschaft, sondern von der Schlechtigkeit; wir sehen auch, daß solche, die einen gemeinsamen Besitz haben und ihn gemeinsam benutzen, viel mehr Streit miteinander haben als die Besitzer von Privateigentum. Aber wir beachten nur 9 10 11

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Nomoi V, 742a, trans. Schöpsdau, S. 47. Ebd. 740a, trans. Schöpsdau, S. 45. Es bietet sich an, im Folgenden die für die mittelalterliche Diskussion zentralen Stellen der Polemik des Aristoteles gegen die Gütergemeinschaft der Politeia direkt zu zitieren. Im Gegensatz zu letzterer stand diese den Gelehrten des Spätmittelalters, deren Arbeiten im Weiteren in den Mittelpunkt der Betrachtungen rücken werden, im Wortlaut (lateinischer Übertragungen) zur Verfügung. Für das Verständnis ihres Denkens wird es daher von Nutzen sein, den Argumentationsgang des Textes, auf den sie sich regelmäßig bezogen, durch wörtliche Wiedergaben wesentlicher Passagen an dieser Stelle en bloc zu introduzieren. Aristoteles, Politica II, 1261b 22. Übers. n.: Aristoteles, Politik und Staat der Athener, eingeleitet und neu übertragen v. Olof Gigon, Zürich 1955, S. 85. Nach der lateinischen Übersetzung des Wilhelm von Moerbeke (um 1260): minime enim cura sortitur quod plurimorum est commune: de propriis enim maxime curant, de communibus autem minus quam quantum unicuique attinet: apud alios enim tamquam altero curante neglegunt magis, sicut in ministerialibus servitiis multi servientes […]. fiunt autem unicuique civium mille filii, et isti non ut uniuscuique, sed contingentis contingens similiter est filius: quare omnes similiter neglegent. Aristotelis Politicorum libri octo. Cum vetusta translatione Guilelmi de Moerbeka, ed. Franz Susemihl, Leipzig 1872, S. 65.

Besitz oder Gebrauch? Gütergemeinschaft bei Plato und Aristoteles

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wenige, die über Gemeinschaftsgut streiten, und vergleichen sie mit den vielen, die Privatbesitz haben.13

Zweifellos liest Aristoteles den Modellstaat der Politeia als konkretes Reformprogramm. Die einzelnen sozialpolitischen Aspekte prüft er auf ihre Realisierbarkeit in der Polis und kommt dabei zu vernichtenden Verdikten. Während Plato die bestehenden Verhältnisse sowie die Menschennatur utopisierend zum Ideal transzendiert, geht Aristoteles von den empirischen Möglichkeiten innerhalb des Gegebenen aus.14 Sein hartes Urteil über den platonischen Staat ist demnach in erster Linie einem veränderten Maßstab geschuldet. Dessen ungeachtet lässt sich festhalten, dass nach Aristoteles eine staatsrechtlich verfasste Gütergemeinschaftsordnung keinerlei gesellschaftlichen Segen, sondern, im Gegenteil, größte Übel verheißt. Seines Erachtens liefe diese der auf die Sorge um das Eigene gerichteten Natur des Menschen zuwider. Dem ist allerdings ein für die weitere Debatte höchst bedeutsamer Befund hinzuzufügen. Keineswegs nämlich lehnt Aristoteles mit dem gemeinsamen Besitz der Dinge auch ihren gemeinsamen Gebrauch ab: Die Tugend wiederum wird den Gebrauch nach dem Sprichwort: ‚Den Freunden ist alles gemeinsam‘ regeln. Schon jetzt ist es in einigen Staaten in der Weise skizziert, so daß also die Sache nicht unmöglich ist. Vor allem in wohleingerichteten Staaten ist manches schon verwirklicht, manches im Entstehen. Jeder hat da seinen Privatbesitz, aber manches stellt er seinen Freunden zur Benutzung zur Verfügung, anderes benutzt er als ein gemeinsames Gut, wie etwa in Sparta sich einer der Sklaven des anderen wie seiner eigenen bedient, ebenso der Pferde und Hunde, und wenn sie auf dem Lande der Wegzehrung bedürfen. Es ist also offenbar besser, daß der Besitz privat bleibt, aber durch die Benutzung gemeinsam wird. Daß aber die Bürger sich dementsprechend verhalten, ist die besondere Aufgabe des Gesetzgebers.15

Demnach geht es ihm also keineswegs um die Praxis als vielmehr um die Aufrechterhaltung des theoretischen Prinzips ‚Privateigentum‘. Die Bürger sollen Eigentumsrechte wahrnehmen können, da ihnen dies natürliche Befriedigung verschaffe. Aus dem so gewonnenen Wohlgefühl erwachse Tugendhaftigkeit, die zum 13

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Aristoteles, Politica II, 1263a 36–1263b 23, trans. Gigon, S. 90 f. Nach Moerbeke: bonae faciei quidem igitur talis legislatio et philanthropos utique esse videbitur: audiens enim gaudens suscipit putans fore amicitiam quandam mirabilem omnibus ad omnes, aliterque cum accusat aliquis nunc existentia in politiis mala tamquam facta propter non communem esse substantiam, dico autem disceptationes ad invicem circa contractum et falsorum testimoniorum iudicia et divitum adulationes. quorum nihil fit propter incommunicationem, sed propter malitiam, quoniam et communia possidentes et communicantes multo magis dissidentes videmus quam separatim substantias habentes: sed videmus paucos ex communicationibus dissidentes ad multos comparantes possidentes segregatim possessiones. Moerbeke, ed. Susemihl, S. 76 f. Vgl. Rhim, Struktur, S. 11 f., 102, 116 und passim. Aristoteles, Politica II, 1263a 10–1263a 36, trans. Gigon, S. 89 f. Nach Moerbeke: […] propter virtutem autem erit ad uti secundum proverbium „communia quae amicorum.“ est autem et nun hoc modo in quibusdam civitatibus sic subscriptum, tamquam non existens impossibile, et maxime in bene dispositis haec quidem sunt, haec autem fient utique: propriam enim unusquisque possessionem habens haec quidem utilia facit amicis, hiis autem utitur tamquam communibus, velut etiam in Lacedaemonia servis utuntur hiis qui invicem, ut dicere, propriis, adhuc autem equis et canibus, si indigeant pro viaticis in agris per regionem. Manifestum igitur, quod melius esse quidem proprias possessiones, usu autem facere communes: quomodo autem fiant tales, legislatoris hoc opus proprium est. Moerbeke, ed. Susemihl, S. 74 f.

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Kontexte

freiwilligen Gemeinschaftsgebrauch der Güter führe.16 Zwar verweist Aristoteles mit der pythagoreischen Formel amicorum omnia communia hierfür zunächst auf Freundschaftsbünde, hebt später aber jegliche Einschränkung auf, wenn er es zum Auftrag des Staates erklärt, die Bürger zu dieser Praxis hinzuführen. Seine heftige Kritik an Plato entzündet sich daher wohl nicht an der Behauptung eines generell positiven Effekts der gemeinschaftlichen Nutzung von Gebrauchsgütern, sondern am theoretischen Überbau. Während Sokrates als Dialogfigur der Politeia gedenkt, den Menschen durch die richtige Erziehung gänzlich vom Wunsch nach Eigentum zu lösen, bedient sich Aristoteles einer Raffinesse, indem er ihm den Besitz als solchen lässt, ihn aber zur gemeinsamen Nutzung erzieht. Mit der kategorialen Unterscheidung zwischen Besitz und Gebrauch zeichnet die Politica an dieser Stelle Kategorien vor, die in den Armutsdebatten des späteren Mittelalters zentrale Rollen spielen sollten.17 Während das staatsphilosophische Werk des Aristoteles in den Übersetzungen des Dominikaners Wilhelm von Moerbeke († 1286) bereits um 1260 im lateinischen Okzident weite Verbreitung fand und seitdem einen wichtigen Platz im intellektuellen Horizont der Zeit einnahm,18 entstanden erste vollständige lateinische Fassungen der Politeia erst zu Beginn des 15. Jahrhunderts. Namentlich Manuel Chrysoloras (1353–1415) und sein Schüler Uberto Decembrio († 1427) besorgten um 1402 in Mailand die früheste Übersetzung des Werkes.19 Die zentralen Elemente des Staatsentwurfes jedoch sind am Anfang des Timaios-Dialogs, der im Grunde den gesamten mittelalterlichen Plato darstellt, wiederholt. Von ihm aus fand die platonische Gütergemeinschaft um die Mitte des 12. Jahrhunderts Eingang in die späterhin enorm einflussreiche Dekretensammlung des Gratianus de Clusio.20

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Auf den Punkt bringt den Unterschied Otfried Höffe, Vier Kapitel einer Wirkungsgeschichte der Politeia, in: ders. (Hrsg.), Platon. Politeia (= Klassiker Auslegen, 7), Berlin 32011, S. 259– 280, hier: S. 268: „Nach der Politeia soll die Gemeinsamkeit an Gütern die Freundschaft hervorbringen, nach der Politik ist die Gemeinsamkeit das Resultat der Freundschaft.“ Die Differenzierung findet sich auch im Neuen Testament. S. Martin Leutzsch, Besitz/Gebrauch. Zu Mk 10,22 f., in: Kerstin Schiffner / Klaus Wengst / Werner Zager (Hrsgg.), Fragmentarisches Wörterbuch. Beiträge zur biblischen Exegese und christlichen Theologie. FS Horst Balz, Stuttgart 2007, S. 41–45. Vgl. Christoph Flüeler, Rezeption und Interpretation der Aristotelischen Politica im 13. und 14. Jahrhundert, 2 Bde (= Bochumer Studien zur Philosophie, 13/19), Amsterdam/Philadelphia 1992. Zur Datierung von Moerbekes Übertragung ebd., Bd. 1, S. 15–29. Vgl. James Hankins, Plato in the Italian Renaissance (= Columbia Studies in the Classical Tradition, 17), 2 Bde, Leiden 1990, Bd. 1, S. 108 u. passim. Vgl. dazu Stephan Kuttner, Gratian and Plato, in: Christopher N. L. Brooke (Hrsg.), Church and Government in the Middle Ages. Essays presented to C. R. Cheney on his 70th Birthday, Cambridge 1976, S. 93–118; Garnsey, Thinking, S. 32–35.

Naturrecht und Sündenfall: Gütergemeinschaft im Decretum Gratiani

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2. NATURRECHT UND SÜNDENFALL: GÜTERGEMEINSCHAFT IM DECRETUM GRATIANI Im Proömium der achten Distinktion der Concordia discordantium canonum, gemeinhin bekannt als Decretum Gratiani, finden sich die folgenden traditionsbildenden Sätze: Das Naturrecht aber ist verschieden von Gewohnheit und menschlicher Satzung. Denn nach dem Naturrecht ist alles allen gemeinsam. Und man glaubt, es sei dies nicht nur von denjenigen so gehalten worden, von welchen man liest: Die Menge der Gläubigen aber war ein Herz und eine Seele; sondern man findet auch in früherer Zeit von den Philosophen es so erzählt. Deshalb wird bei Plato derjenige Staat für den am besten geordneten erklärt, in welchem niemand eigensüchtige Neigungen kennt. Nach dem Recht der Gewohnheit und menschlicher Satzung ist aber dies mein, jenes Eigentum des anderen.21

In Hinblick auf das urkirchliche Ideal fallen zwei Aspekte dieser Erklärung besonders ins Auge. Beide sollten im Spätmittelalter zu dauerhaften Figuren in den Debatten um die ecclesia primitiva werden. Der zunächst markantere unter ihnen dürfte aus heutiger Perspektive gewiss in der Verbindung der Gütergemeinschaft nach Plato mit derjenigen nach Lukas liegen. Ähnlich deutlich hatte zuvor allein Petrus Abaelard (1079–1142) in seiner Theologia christiana die Gemeinbesitzmodelle aus antiker Staatsphilosophie und Neuem Testament als Varianten ein und derselben Idee nebeneinandergestellt.22 Eine größere Breitenwirkung entfaltete diese gedankliche Assoziation aber erst durch die angeführte Stelle des Decretum, das auf diese Weise zweifelsohne dazu beitrug, die Übersetzung der urchristlichen Lebensweise in ein gesamtgesellschaftliches Ideal platonischer Kategorie vorzubereiten. Sowohl aufseiten der Gegner als auch bei den Befürworten eines gütergemeinschaftlichen Gesellschaftsentwurfs lässt sich diese ideengeschichtliche Entwicklung in Abhängigkeit von Gratians Sentenz beobachten. So erklärt etwa der anonyme Verfasser der wohl kurz nach 1170 in Paris entstandenen Summa Antiqui21

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Differt etiam ius naturae a consuetudine et constitutione. Nam iure naturae sunt omnia communia omnibus, quod non solum inter eos seruatum creditur, de quibus legitur: ‚Multitudinis autem credentium erat cor unum et anima una, etc.‘ uerum etiam ex precedenti tempore a philosophis traditum inueniter. Unde apud Platonem illa ciuitas iustissime ordinata traditur, in qua quisque proprios nescit affectus. Iure uero consuetudinis uel constitutionis hoc meum est, illud uero alterius. Decretum Gratiani, Dist. 8, c. 1, ed. Aemilius Friedberg, Decretum Magistri Gratiani (= Corpus Iuris Canonici, 1), Leipzig 1879, Sp. 12. Übersetzung in Anlehnung an: Das Corpus Juris Canonici, übers. u. hrsg. v. Alexander Lang, Bd. 1, Nürnberg/Fürth 1835, S. 29. Die Vokabel affectus im Relativsatz in qua quisque proprios nescit affectus, die Gratian der Timaeus-Übersetzung des Calcidius entnahm, meint bei Plato eigentlich nicht ‚Neigungen‘, sondern ‚geliebte Personen‘. Sie steht im Kontext der von der Politeia empfohlenen Auflösung von Familienstrukturen. Offensichtlich verstand aber schon Gratian proprios affectus im wesentlich weiteren Sinne von ‚Egoismus‘. Vgl. Kuttner, Gratian and Plato, bes. S. 93–95. Vgl. Garnsey, Thinking, S. 35; Kuttner, Gratian and Plato, S. 100. Ein Einfluss Abaelards auf Gratian ist gut denkbar, scheint doch immerhin Gratians Distinktionsmethode zu einem ungewissen Grad von Abaelard abhängig zu sein. Zur umstrittenen Einflussfrage zwischen den beiden Zeitgenossen s. Christoph H. F. Meyer, Die Distinktionstechnik in der Kanonistik des 12. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Wissenschaftsgeschichte des Hochmittelalters (= Mediaevalia Lovaniensia Ser. I, Stud. 29), Leuven 2000, S. 174–177.

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tate et tempore im Zuge einer abwertenden Stellungnahme zu jener distinctio, dass die Beispiele Platos und Lukas’ gleichermaßen ungeeignet wären, die Behauptung, unter natürlichem Recht sei alles allen gemeinsam, zu bezeugen.23 Denn so wie in Platos Modell die Gütergemeinschaft wohl nur für den Stand der Wächter vorgesehen sei und jedenfalls die Feinde des Staates gewiss nicht Teil derselben hätten sein sollen, so habe die christliche Urgemeinde doch alle Ungläubigen von der Teilhabe an ihrem Gemeingut ausgeschlossen. Damit aber sei klar, dass weder hier noch dort zu Recht von omnia communia omnibus die Rede sein könne.24 Eine solche Abwehrreaktion, deren Prämissen ja übrigens den zugrundeliegenden Ideen tatsächlich wesentlich näherkommen dürften als die gratianische Lesart, lässt klar erkennen, dass die Dekretisten Gratians Formulierungen in der Tat als Postulat einer gesamtgesellschaftlichen Gültigkeit der urchristlichen Gütergemeinschaft wahrnahmen. Aber auch abseits juristischer Kommentare zu Gratian wurde in der Folgezeit die Verknüpfung von Plato und Lukas gängig, wobei sich freilich insbesondere die Anhänger gütergemeinschaftlicher Lebensentwürfe die Vorlage des Decretum zunutze machten. Besonders plastisch zeigt sich dies etwa bei Petrus Olivi, dem die vermeintliche Übereinstimmung der beiden Modelle als Verifizierung seiner Überzeugung von der universellen Heilswirkung eigentumsfreien Gemeinschaftslebens gilt,25 oder auch bei John Wyclif, der die achte gratianische Distinktion in den 1370er Jahren heranziehen wird, um die generelle Verderblichkeit weltlichen Besitzes zu begründen und vollkommenen Besitzverzicht als Gebot zumindest für den gesamten Klerus zu kennzeichnen.26 Der bedeutsamste Lehrsatz des Bologneser Juristen für die spätere Bewertung der Gütergemeinschaft durch Rechtsgelehrte und Theologen gleichermaßen – und 23

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Zur noch unedierten Summa Antiquitate et tempore s. Peter Landau, Die Anfänge der Verbreitung des klassischen kanonischen Rechts in Deutschland im 12. Jahrhundert und im ersten Drittel des 13. Jahrhunderts, in: Chiesa, diritto e ordinamento della ‚societas christiana‘ nei secoli XI e XII. Atti della nona settimana internazionale di studio Mendola, 28 agosta – 2 settembre 1983 (= Pubblicazioni dell’Università Cattolica del Sacro Cuore. Miscellanea del Centro di Studi Medioevali, 11), Milano 1986, S. 272–297, hier: S. 278. Ein Textauszug des Kommentars der Summa zur achten Distinktion des Decretum Gratiani bei Kuttner, Gratian and Plato, S. 110–112. Sic transiri posset locus iste nisi rem turbaret exemplis suppositis. Duo enim subiungit exempla quibus conatur ostendere nulla esse propria, quorum unum sumptum est de actibus apostolorum, hoc scil. ‚multitudinis credentium erat cor unum et anima una‘, alterum a Platone, scil. de ciuibus platonice ciuitatis, idest illius ciuitatis quam Plato iustissimi ordinatam fuisse testatur. Set in utroque exemplo peccauit: in priori quia etsi singulorum quorum erat cor unum et anima una non essent aliqua propria, tamen que eorum erant communia non erant ‚omnium‘ communia, quia infidelium non. Quod in secundo exemplo peccauerit palam est intelligentibus Platonem, quia tantum milites illius ciuitatis debebant expensam habere de communi, ne propriis intenti minus ad communem utilitatem milicie deseruirent. Nullatenus tamen ‚omnium‘ erant communia que possidebant ibi ciues, quia saltem non inimicorum. Kuttner, Gratian and Plato, S. 111. Ähnlich argumentiert auch die Summa Parisiensis. S. den Textauszug bei Rudolf Weigand, Die Naturrechtslehre der Legisten und Dekretisten von Irnerius bis Accursius und von Gratian bis Johannes Teutonicus (= Münchner Theologische Studien, III. Abt., 26), München 1967, S. 315. Vgl. unten, Kap. III,3. S. De civili dominio III, ed. Loserth, S. 178 f.

Naturrecht und Sündenfall: Gütergemeinschaft im Decretum Gratiani

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wohl die wichtigste systematische Setzung des Decretum überhaupt – war jedoch die ebenfalls in obigem Passus reflektierte kategorische Unterscheidung von Naturrecht und menschlichem Recht.27 Als elementarste Distinktion seines Ordnungsschemas der Jurisprudenz überhaupt steht sie schon am Beginn seiner Arbeit und bildet deren strukturellen Ausgangspunkt. „Die Menschheit wird durch Zweierlei regiert, nämlich durch das Naturrecht und menschliche Satzung“,28 so hebt die distinctio prima des wichtigsten mittelalterlichen Werkes des kanonischen Rechts an. Das Naturrecht, erklärt der Meister weiter, sei im Gesetz (das heißt: in den Zehn Geboten) und im Evangelium enthalten, und an späterer Stelle fügt er hinzu: „An Würde hat das Naturrecht schlechthin Vorrang vor Gewohnheit und menschlicher Satzung. Was auch immer nämlich entweder durch Brauch angenommen oder in Schriftform festgehalten wurde, muss als null und nichtig gehandelt werden, wenn es dem Naturrecht zuwiderläuft.“29 Diese absolute Erhöhung des Naturrechts über jegliches menschliche und positive Recht konnte, in Kombination mit dem Diktum, dass laut Naturrecht alles allen gemeinsam sei, laut Gewohnheit und menschlicher Satzung die Güter aber getrennt besessen würden, leicht den Eindruck erwecken, Gratian habe Privateigentum generell als Unrecht brandmarken wollen. Stark begünstigt wurde eine solche Lesart von einer zweiten Stelle des Decretum, nämlich dem zweiten Kanon der ersten Quaestio der zwölften Causa Omnibus clericis communis est uita seruanda. Im Mittelpunkt dieses fünften Papst Clemens I. zugeschriebenen, über die prominenten pseudoisidorischen Fälschungen in die gratianische Kirchenrechtssammlung eingegangenen und gewöhnlich nach seinem Anfang Dilectissimis genannten Briefs steht die vita communis.30 Das vermeintliche Schreiben des römischen Bi27 28 29

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Vgl. dazu Brian Tierney, The Idea of Natural Rights. Studies on Natural Rights, Natural Law, and Religion (= Emory University Studies in Law and Religion, 5), Atlanta 1997, S. 58–69. Humanum genus duobus regitur, naturali uidelicet iure et moribus. Decretum Gratiani, Dist. 1, ed. Friedberg, Sp. 1. Übersetzung in Anlehnung an: Das Corpus Juris Canonici, S. 9. Ius naturae est, quod in lege et euangelio continetur […]. Decretum Gratiani, Dist. 1, Friedberg, Sp. 1. Dignitate uero ius naturale simpliciter preualet consuetudini et constitutioni. Quecunque enim uel moribus recepta sunt, uel scriptis comprehensa, si naturali iuri fuerint aduersa, uana et irrita sunt habenda. Ebd., Dist. 8, c. 1, ed. Friedberg, Sp. 13. Die pseudoisidorischen Dekretalen ed. Paul Hinschius, Decretales Pseudo-Isidorianae et Capitula Angilramni, Leipzig 1863. Die Edition ist heute zwar als stark fehlerbehaftet und weithin unzulänglich erkannt, bislang aber trotz diverser Anläufe unersetzt. Der fünfte Pseudo-Clemens-Brief ebd., S. 65 f. – Zu den pseudoisidorischen Dekretalen i. A. vgl. die unersetzlichen Studien Horst Fuhrmanns, insbes. ders., Einfluß und Verbreitung der Pseudoisidorischen Fälschungen. Von ihrem Auftreten bis in die neuere Zeit (= Schriften der MGH, 24,1–3), 3 Bde, Stuttgart 1972–1974; ders., Päpstlicher Primat und pseudoisidorische Dekretalen, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 49 (1969), S. 313–339; ders., Pseudoisidor und die Bibel, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 55 (1999), S. 183–192; ders., Kritischer Sinn und unkritische Haltung. Vorgratianische Einwände zu Pseudo-Clemens-Briefen, in: Hubert Mordek (Hrsg.), Aus Kirche und Reich. Studien zu Theologie, Politik und Recht im Mittelalter. Festschrift für Friedrich Kempf zu seinem 75. Geburtstag und fünfzigjährigen Doktorjubiläum, Sigmaringen 1983, S. 81–96. Für weitere Schriften Fuhrmanns zu Pseudoisidor vgl. Christa Becker / Detlev Jasper, Verzeichnis der Schriften von Horst Fuhrmann, in: Hubert Mordek (Hrsg.), Papstum, Kirche und Recht im Mittelalter. Festschrift für Horst Fuhrmann zum 65. Geburtstag, Tübingen 1991, S. 383–399. An Fuhrmann

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schofs an die Jerusalemer Urgemeinde beteuert, dass grundsätzlich alle irdischen Güter allen Menschen gemeinsam gegeben seien und erst durch Ungerechtigkeit (per inquitatem) eine Trennung der Güter, sprich Eigentum, unter den Sterblichen aufgekommen sei. Wer Gott uneingeschränkt dienen wolle, müsse sich auf das ursprüngliche Gebot der Gütergemeinschaft besinnen. Als Kronzeugen dieser Gesinnung, die wohl schon die Verfasser des fingierten Briefs wie dann auch Gratian insbesondere dem Klerus anempfehlen wollten,31 werden wiederum Plato sowie der zweite Sammelbericht der Apostelgeschichte herangezogen.32 Ausführlich behandelte Bernhard Töpfer die Diskussion der Dekretale Dilectissmis durch Dekretisten, Kanonisten und frühe Hochscholastiker.33 Dabei erkannte er eine sehr früh einsetzende Tendenz dazu, die Repugnanz zwischen Natur-

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anschließend, sind nicht minder wertvoll die Arbeiten Klaus Zechiel-Eckes’, der eine Identifikation Pseudoisidors mit dem Abt von Corbie Paschasius Radbertus (ca. 785–865) glaubhaft machen konnte: ders., Zwei Arbeitshandschriften Pseudoisidors (Codd. St. Petersburg F. v. I. 11 und Paris lat. 11611), in: Francia 27,1 (2000), S. 205–210; ders., Ein Blick in Pseudoisidors Werkstatt. Studien zum Entstehungsprozeß der falschen Dekretalen. Mit einem exemplarischen editorischen Anhang (Pseudo-Julius an die orientalischen Bischöfe, JK +196), in: Francia 28,1 (2001), S. 37–90; ders., Auf Pseudoisidors Spur. Oder: Versuch, einen dichten Schleier zu lüften, in: Wilfried Hartmann / Gerhard Schmitz (Hrsgg.), Fortschritt durch Fälschungen? Ursprung, Gestalt und Wirkungen der pseudoisidorischen Fälschungen. Beiträge zum gleichnamigen Symposium an der Universität Tübingen vom 27. und 28. Juli 2001, Hannover 2002, S. 1–28; ders., Fälschung als Mittel politischer Auseinandersetzung. Ludwig der Fromme (814–840) und die Genese der pseudoisidorischen Dekretalen, Paderborn 2011. – Das Material für die Dekretale Dilectissimis entnahmen die im 9. Jahrhundert arbeitenden Kompilatoren der pseudoisidorischen Sammlung den wohl aus dem 4. Jahrhundert stammenden pseudoklementinischen Rekognitionen (s. Die Pseudoklementinen, ed. Bernhard Rehm, Bd. 2: Rekognitionen in Rufins Übersetzung, 2. verb. Aufl., Berlin 1994, S. 327). Vgl. dazu Cohn, Pursuit, S. 193 f.; Töpfer, Urzustand, S. 120 f.; ders., Vorstellungen von einem ursprünglichen und einem endzeitlichen Idealzustand als Ausdruck utopischen Denkens im Mittelalter (unter besonderer Berücksichtigung von Interpretationen des Kapitels Dilectissimis der Causa XII des Decretum Gratiani) bis zum 14. Jahrhundert, in: Michael Borgolte (Hrsg.), Mittelalterforschung nach der Wende 1989 (= Historische Zeitschrift, Beihefte (NF) 20), München 1995, S. 387–406. Vgl. Töpfer, Vorstellungen, S. 390. […] Communis uita, omnibus est necessaria, fratres, et maxime his, qui Deo inreprehensibiliter militare cupiunt, et uitam apostolorum eorumque discipulorum imitari uolunt. §. 1. Communis enim usus omnium, que sunt in hoc mundo, omnibus hominibus esse debuit. Sed per inquitatem alius hoc dixit esse suum, et alius istud, et sic inter mortales facta est diuisio. §. 2. Denique Grecorum quidam sapientissimus, hec ita esse sciens, communia debere, ait, esse amicorum omnia. In omnibus autem sunt sine dubio et coniuges. […] §. 3. Istius enim consuetudinis more retento etiam apostoli eorumque discipuli, ut predictum est, una nobiscum et uobiscum communem uitam duxerunt. Ut enim bene nostis, erat multitudinis eorum cor unum et anima una, nec quisquam eorum aut nostrum de his, que possidebat, aliquid suum esse dicebat, sed omnia illis et nobis erant communia, nec quisquam egens erat inter nos. §. 4. Omnes uero, qui domos uel agros possidebant, uendebant eos, et precia eorum et reliquas res, quas habebant, offerebant, ponentes ante pedes apostolorum (sicut nobiscum quidam uestrum cognouerunt et uiderunt), et diuidebant singulis, prout cuique opus erat. […] Decretum Gratiani, C. 12, qu. 1, c. 2, ed. Friedberg, Sp. 678 f. Für die Identifikation des Grecorum quidem sapientissimus mit Plato s. Kuttner, Gratian and Plato, S. 101. S. Töpfer, Vorstellungen, und begleitend die Quellenauszüge bei Weigand, Naturrechtslehre, S. 319 f., 338–348.

Naturrecht und Sündenfall: Gütergemeinschaft im Decretum Gratiani

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recht und positivem Recht zu nivellieren und positive Eigentumsrechte vom Ruch der Ungerechtigkeit zu befreien. Konzis dokumentiert findet sich eine ganze Reihe der Hauptpunkte der zu diesem Zweck entwickelten Argumentation am Ende des 12. Jahrhunderts in der Summa decretorum des Huguccio († 1210).34 Der Dekretist erklärt, dass Gütergemeinschaft laut Naturrecht eine Möglichkeit (permissio), nicht aber ein Gebot (praeceptum) sei. Daher könne unter den Bedingungen des Naturrechts durchaus ohne Sünde sowohl Privat- als auch Gemeineigentum existieren.35 Gleichwohl stimmt er Pseudoklemens zu, dass Eigentum infolge von Ungerechtigkeit, nämlich durch den Sündenfall, entstanden sei: „Wenn nämlich der Mensch nicht gesündigt hätte, wäre alles gemeinsam und nichts Eigentum des einen oder des anderen.“ Privatbesitz gilt Huguccio als Bestrafung des sündhaften Menschen, der allein durch die Aufteilung der irdischen Güter Entbehrungen zu erdulden habe.36 Abgesehen von diesem letzten, das Eigentum ins Zwielicht rückenden Aspekt kontinuierte sich das von Huguccio vertretene Erklärungsmuster in der weiteren Dekretistik. Insbesondere der Sündenfall als Wendepunkt von einem ursprünglichen gütergemeinschaftlichen status innocentiae hin zu den Eigentumsstrukturen, wie sie gemäß dem ius gentium in der mittelalterlichen Gesellschaft vorherrschten, sollte sich innerhalb und außerhalb der Rechtswissenschaften etablieren. Neben den bei Huguccio aufgefundenen Lehrsätzen prägte wohl vor allem die Summa Stephans von Tournai die sich während des 12. Jahrhunderts herausschälende communis opinio zum Verhältnis von natürlichem und menschlichem Recht in Bezug auf Gütergemeinschaft und Privateigentum.37 Die iniquitas, von der in der Dekretale Dilectissimis die Rede ist, erklärt Stephan als Antagonismus zur naturalis aequitas des Naturrechts. Seines Erachtens ging es Papst Klemens also um einen 34

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Vgl. Töpfer, Vorstellungen, S. 393–395. Zu Huguccio und seiner Summa, die in der Forschung i. A. als Höhepunkt der Bologneser Schule des kanonischen Rechts angesehen wird, s. Wolfgang Peter Müller, Huguccio, Twelfth Century Canonist and Author of the „Summa decretorum“, Syracuse University (Diss.) 1991; ders., The Summa decretorum of Huguccio, in: Wilfried Hartmann / Kenneth Pennington (Hrsgg.), The History of Canon Law in the Classical Period, 1140–1243: From Gratian to the Decretals of Pope Gregory IX, Washington 2008, S. 142– 160. Cum ergo his modis dicatur ius naturale, quomodo accipitur, cum dicitur iure naturali omnia sunt communia? Quidam sic intelligunt: iure naturali, id est divino, scilicet quod licitum siue fas appellatur, scilicet quod nec precipitur nec prohibetur, omnia sunt communia quod non est preceptum nec est prohibitum, quod omnia sint communia uel quod aliqua sint propria; unde et sine peccato quis potest habere propria uel carere propriis et secundum hoc eodem iure naturali et aliquid est proprium et aliquid est commune et aliquid est meum et aliquid est tuum. Weigand, Naturrechtslehre, S. 316 f. De iure naturali aliquid est meum et aliquid est tuum, set de permissione, non de precepto, quia ius diuinum numquam precipit omnia esse communia uel aliqua esse propria, set permittit omnia esse communia et aliqua esse propria et ita de iure naturali aliquid est commune et aliquid est proprium, et ita aliquid est proprium. Ebd., S. 353. Vel iniquitas ibi dicitur peccatum et proprie primi hominis ut sit sensus ‚per‘, id est ‚propter‘ iniquitatem et peccatum, id est peccatum fuit causa; nisi enim homo pecasset, omnia essent communia et nichil esset proprium istius uel illius, set propter peccatum inflictum est homini in penam ut sit sollicitus ad habendum proprium et cum de suo dicat ‚hoc est meum‘ de alieno non possit hoc dicere, scilicet ‚hoc est meum‘, set potius ‚tuum‘ uel ‚illius‘. Weigand, Naturrechtslehre, S. 344. Vgl. Töpfer, Urzustand, S. 171; ders., Vorstellungen, S. 392, 395.

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Gegensatz zwischen der durch Gemeinschaft der Güter garantierten Gleichheit unter natürlichem Recht und einer durch das Eigentum hervorgerufenen Ungleichheit unter positivem Recht. Somit aber würde erkennbar, dass auch laut Dilectissimis das ius gentium nicht generell ungerecht sei.38 Im Übrigen bemühte sich Stephan um eine konzeptuelle Annäherung von natürlichem respektive göttlichem Recht auf der einen und menschlichem auf der anderen Seite, indem er das kanonische Recht als vom Menschen durch göttliche Inspiration entwickelt (deo inspirante inuentum) bezeichnete.39 Die umrissenen Konfliktfelder und dazugehörigen Lösungsmuster fanden die Franziskaner und ihnen verbundene kirchliche Würdenträger vor, als sie im 13. Jahrhundert in ein langwieriges (nicht nur, aber zunächst hauptsächlich) juristisches Ringen um Legitimierung und Ausdifferenzierung der von Franziskus selbst gänzlich unjuristisch definierten franziskanischen Lebensweise eintraten. Im Verlauf der kontroversen Diskussionen über die mendikantische Armut wurden diese schließlich auch in die theologische Auslegung der lukanischen Gemeindeberichte eingeführt. Die chronologische Musterung einiger zentraler Zeugnisse dieser Diskussionen vor Petrus Iohannis Olivis epochemachenden Erklärungen über die Gütergemeinschaft der Apostelgeschichte mag im Folgenden die Knotenpunkte des Diskurses, seine wichtigsten Entwicklungslinien sowie seine Semantik sichtbar machen. 3. DIE FRANZISKANISCHE EIGENTUMSFRAGE IM 13. JAHRHUNDERT Quo elongati Durch die Eingangsklausel des sechsten Kapitels der bullierten Regel des Franziskanerordens,40 Fratres nihil sibi approprient nec domum nec locum nec aliquam rem,41 war die Franziskus-Bruderschaft offenbar zu einem Leben in völliger Besitzlosigkeit verpflichtet und zwar, anders als das ältere Mönchtum, sowohl individuell als auch gemeinschaftlich.42 Der Ordensgründer wünschte sich, dass die 38

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Non ergo per iniquitatem, aut ius humanum iniquum est. Vnde uidetur contra infra C. 12 q. 1 c. 2. Ibi enim dicitur: per inquitatem alius dixit hoc esse suum, alius istud. Sed ibi vocat iniquitatem consuetudinem iuris gentium naturali aequitati contrarium. Weigand, Naturrechtslehre, S. 339. Töpfer, Urzustand, S. 171 u. ö., setzt für Stephans aequitas den deutschen Begriff ‚Billigkeit‘. Da dieser aber doch wieder zu stark im Sinne von ‚Gerechtigkeit‘ konnotiert ist, scheint ‚Gleichheit‘ an dieser Stelle die bessere Übertragung zu sein. Weigand, Naturrechtslehre, S. 350. Vgl. dazu Töpfer, Urzustand, S. 171. Regula bullata, ed. Kajetan Esser, Die Opuscula des hl. Franziskus von Assisi. Neue textkritische Edition, 2., erw. u. verb. Aufl. besorgt von Engelbert Grau (= Spicilegium Bonaventurianum, 13), Grottaferrata (Rom) 1989, S. 366–371 (im Folgenden: RegBull). Ebd., S. 368. Zum Gesamtkomplex des im Wesentlichen durch diesen Satz initiierten Diskurses über Eigentumsrechte im Franziskanertum des 13. und 14. Jahrhunderts: Virpi Mäkinen, Property Rights in the Late Medieval Discussion on Franciscan Poverty (= Recherches de Théologie et Philosophie médiévales, Bibliotheca 3), Leuven 2001.

Die franziskanische Eigentumsfrage im 13. Jahrhundert

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Brüder ganz mit dem Säkulum brachen und von dem lebten, was der Herr ihnen täglich zudachte. Allein Almosen und Arbeitslohn in Form von Naturalien sollten für kurzfristige Sicherung des Lebensunterhalts sorgen.43 Im institutionalisierten Leben des schnell wachsenden jungen Ordens führten diese vagen Vorschriften sehr bald zu allerlei brennenden Fragen über die Gestaltung des Alltags und den tatsächlichen Umgang mit Temporalien. Daher wandte sich schon 1230 nach dem jährlichen Pfingstkapitel eine Ordensdelegation an Papst Gregor IX., um dessen Schiedsspruch in einigen Streitpunkten um das Verständnis der nur sieben Jahre zuvor durch Honorius III.44 approbierten Regel zu erbitten. Ergebnis war die berühmte Dekretale Quo elongati vom 28. September desselben Jahres.45 Neben anderen höchst bedeutsamen und in der Forschung sowohl bezüglich ihrer Absichten als auch ihrer Wirkungen teils äußerst umstrittenen Bestimmungen – hier ist zuvorderst an die Unverbindlichkeitserklärung des Testaments des Franziskus sowie die Frage nach der Bindung der Brüder an die evangelischen Räte zu denken – enthielt diese auch zukunftsweisende Stellungnahmen zum franziskanischen Verhältnis gegenüber dem Eigentum. Um bestehende Unklarheiten über das Besitzrecht des Ordens auszuräumen, kommentierte Gregor den oben angeführten entscheidenden Satz aus Kapitel sechs der Regula bullata. Dabei führte er initial eine juristische Unterscheidung zwischen dominium und usus, Besitz und Gebrauch, in den franziskanischen Raum ein.46 43

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RegBull V: De mercede vero laboris pro se et suis fratribus corporis necessario recipiant praeter denarios vel pecuniam […]. Ed. Esser/Grau, S. 368. RegBull. VI: Et tanquam peregrini et advenae (cfr. 1 Ptr 2,11) in hoc saeculo in paupertate et humilitate Domino famulantes vadant pro eleemosyna confidenter […]. Ed. Esser/Grau, S. 368 f. Mit der Bulle Solet annuere vom 29. November 1223, ed. Joannes Hyacinthus Sbaralea, Bull. Franc. 1, Rom 1759, S. 15–19. Quo elongati ed. Herbert Grundmann, Die Bulle „Quo elongati“ Papst Gregors IX., in: Archivum Franciscanum Historicum (AFH) 54 (1961), S. 20–25. Zum Hintergrund vgl. die Einleitung ebd., S. 3–19 sowie die dort genannte Literatur; zur Interpretation außerdem: Johannes Schlageter, Die erste päpstliche Erklärung zum Verständnis der Regula Bullata. Das Schreiben „Quo elongati“ (28.9.1230) Papst Gregors IX., in: Regel und Leben. Materialien zur Franziskus-Regel I., Norderstedt 2007, S. 119–131; Fidelis Elizondo, Bullae „Quo elongati“ Gregorii IX et „Ordinem vestrum“ Innocentii IV. De duabus primis regulae franciscanae authenticis declarationibus, in: Laurentianum 3 (1962), S. 349–394; Feld, Franziskus, S. 336–345. Vgl. dazu generell: Malcolm D. Lambert, Franciscan Poverty. The Doctrine of the Absolute Poverty of Christ and the Apostles in the Franciscan Order 1210–1323, London 1961, S. 126– 140. – Im römischen Recht des Mittelalters ist diese begriffliche Differenzierung präfiguriert durch die kategorische Trennung von dominium directe und dominium utile (vgl. zum Gebrauch im deutschsprachigen Raum: Bernhard Diestelkamp, Frühe urkundliche Zeugnisse für „dominium directum“ und „dominium utile“ im 13. Jahrhundert, in: Richard Henry Helmholz (Hrsg.), Grundlagen des Rechts. Festschrift für Peter Landau zum 65. Geburtstag, Paderborn u. a. 2000, S. 391–403) sowie dem Bestreben, den Ort des usus innerhalb des ius zu bestimmen. Letzteres unternimmt etwa der Jurist Azo († 1220) in seinem Kommentar zu den Institutiones Iustiniani (Summa Institutionum I. 2.5: Videtur enim quod usus sit in eis licet certe ibi non loquitur de usu qui sit ius vel servitus sed de usu qui est factum vel in facto consistit ut bibendo et comedendo), dessen Definition in die legistische Glossa Ordinaria seines Schülers Accursius († 1260) Eingang fand. Die Scheidung des usus facti vom ius utendi verortete den simplen Gebrauch verzehrbarer Dinge außerhalb der Rechtssphäre. Vgl. zum Ganzen Maximiliane

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Zunächst wiederholte und bekräftigte er hierzu das Verbot individuellen wie gemeinschaftlichen Eigentums, sprach dem Orden und den Brüdern dann aber das Recht des Gebrauchs (usus) an „Utensilien, Büchern und den beweglichen Gütern, die zu haben erlaubt ist“, zu. Über die Art dieses Nießbrauches sollten im Einzelfall die Provinzial- oder Generalminister des Ordens bestimmen. Dabei war es ihnen allerdings ohne Zustimmung des römischen Kardinalprotektors untersagt, Güter zu verkaufen oder nach außerhalb des Ordens zu verleihen. Die von den Konventen bewohnten Häuser und Immobilien, sobald sie in den Gebrauch derselben übergingen, sollten hingegen in der Gewalt respektive im Besitz (dominium) ihrer bisherigen Eigentümer bleiben.47 Was ökonomische Unternehmungen und zumal den dem Orden untersagten Geldhandel anging, legalisierte Gregor im Übrigen auf breiter Basis den Einsatz nicht-franziskanischer Mittelsmänner (nuntii).48 Alles in allem, so wohl der Anspruch des Papstes, sollten die Franziskaner durch diese phantasievollen rechtlichen Konstruktionen – entsprechend ihrer Regel, freilich aber ohne Rücksicht auf die ursprünglichen Anliegen ihres spirituellen Meisters – langfristig von allen Verwicklungen in weltliche Geschäfte dispensiert werden, zugleich aber die Möglichkeit erlangen, guten Gewissens für ihre Existenzsicherung zu sorgen. Expositio Quatuor Magistrorum Was als rechtsgültige Konkretion und Schlichtung gedacht war, rief in der Folgezeit nur umso heftigere Debatten hervor. Diese kreisten nun nicht mehr nur um das korrekte Verständnis der Regula bullata, sondern machten zusätzlich die Vorschriften von Quo elongati zum Erisapfel. Besonders augenfällig spiegelt sich dies etwa in

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Kriechbaum, Actio, ius und dominium in den Rechtslehren des 13. und 14. Jahrhunderts (= Abhandlungen zur rechtswissenschaftlichen Grundlagenforschung, 77), Ebelsbach 1996, S. 33 f. Zum Eingang in franziskanische Zusammenhänge ebd., bes. S. 41–48. Im minoritischen Kontext schien Quo elongati dies nun auf nicht verzehrbare Güter auszuweiten. – Ein fatales Missverständnis wäre die Annahme, man habe es bei den diversen Rechtsbegriffen um Besitz und Gebrauch hier wie im Folgenden mit absoluten Termini zu tun. Vielmehr waren sie Gegenstände permanenten Ringens um Deutungshoheiten. Nicht zuletzt zeigt sich dies in den mendikantischen Diskussionen, in denen die verschiedenen Parteien und Autoren die Begriffe mit ganz verschiedenen Inhalten aufluden, womit sie letztlich einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zur Ausdifferenzierung der juristischen Terminologie leisteten. Dicimus itaque, quod nec in communi nec in speciale debent proprietatem habere, sed utensilium et librorum et eorum mobilium, que licet habere, ordo usum habeat et fratres, secundum quod generalis minister vel Provinciales disponendum duxerint, hiis utantur, salvo locorum et domorum dominio illis, ad quos noscitur pertinere. Nec vendi debent mobilia vel extra ordinem commutari aut alienari quoquomodo, nisi Ecclesie Romane Cardinalis, qui fuerit ordinis gubernator, Generali seu Provincialibus ministris auctoritatem super hoc prebuerit vel assensum. Quo elongati, ed. Grundmann, S. 22 f. Super quo duximus respondendum, quod si rem sibi necessariam velint fratres emere vel solutionem facere pro iam empta, possunt vel nuntium eius, a quo res emitur, vel aliquem alium volentibus sibi elymosinam facere, nisi iidem per se vel per proprios nuntios solvere maluerint, presentare […]. Ebd.

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der sogenannten Expositio Quatuor Magistrorum49 wider. Diese auf Veranlassung des Generalkapitels 1241/42 von den vier Pariser Brüdern Alexander von Hales, Johannes von Rupella, Robert von Bascia und Odo Rigaldus50 verfasste Auslegung der Ordensregel bezieht über Zitate und Paraphrasen die päpstliche Dekretale konsequent in ihre Betrachtungen ein, präsentiert sich gleichsam als Glosse zu den Bestimmungen Gregors. Wiederum in Befassung mit Kapitel sechs der Regel führen die vier Meister dessen oben rezipierte Verfügungen zur Eigentumsfrage an und fügen dann vielsagend hinzu, dass „manchen scheint, damit sei denen, die fragen, wessen das Eigentum der beweglichen Güter sei, Genüge getan. Anderen aber scheint es, dass, um des Gewissens willen und um die üble Nachrede der Lästerer abzustellen, ausdrücklich gesagt werden muss, wessen das Eigentum der beweglichen Güter wie auch der Immobilien sei“.51 In einer ausführlichen Replik setzt die Expositio anschließend in enger Anlehnung an das römische Recht verschiedene Aspekte von appropriare auseinander und prüft diese jeweils auf ihre Eignung für die Minoritengemeinschaft.52 Grundsätzlich, definiert sie, heiße appropriare, „eine Sache zu seinem Eigen zu machen oder in seine Gewalt bzw. in seinen Besitz (dominium) zu überführen.“ Eine Sache sei dann jemandes Eigen, wenn sie „in die Vollmacht des Willens übergeht, sodass er, der sie hat, mit ihr tun kann, was er will, indem er sie benutzt, tauscht, verschenkt, verpfändet.“53 Alle Arten des Umgangs mit Gütern, die nach ihrem Verständnis jenes Dominium als eine freie Verfügungsgewalt voraussetzten, untersagen die Meister ihren Mitbrüdern. Als erlaubt deklarieren sie dagegen bestimmte Elemente des Handels, die kein Dominium erforderten. So unterscheiden sie beispielsweise zwei Bedeutungen des Verbs vendere, nämlich einerseits, „ein eigenes Ding gegen einen Preis in fremdes Eigentum zu übertragen“, andererseits, „den Preis für irgendein Ding entgegenzunehmen“. Erstere, erklären sie, sei denjenigen vorbehalten, die Dominium über ein Ding haben, und daher den Brüdern verbo49

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Ed. Livarius Oliger, Expositio quatuor magistrorum super regulam fratrum minorum: (1241– 1242). Accedit eiusdem regulae textus cum fontibus et locis parallelis, Rom 1950, S. 121–168. Dazu ebd. eine instruktive Einleitung. Außerdem: David Flood, Peter Olivi’s Rule Commentary. Edition and Presentation, Wiesbaden 1972, S. 94–96; Feld, Franziskus, S. 456; Rosalind B. Brooke, The Image of St. Francis. Responses to Sainthood in the Thirteenth Century, Cambridge 2006, S. 78–81. Als Hauptautoren dürfen wohl die beiden Erstgenannten als zu jener Zeit führende Ordenstheologen gelten. Zur Verfasserfrage s. Oliger, Expositio, S. 17–24. Videtur aliquibus ex hoc quaerentibus cuius sit mobilium proprietas, satisfactum. Aliis vero videtur propter conscientias et infamiam obloquentium abolendam, expresse dicendum cuius esset proprietas mobilium, quemadmodum et locorum. Expositio Quatuor Magistrorum, ed. Oliger, S. 152. – Mit den Lästerern ist neben den Vertretern des den Franziskanern konkurrierenden Dominikanerordens gewiss auch der Sekularklerus an der Pariser Universität angesprochen, der die mendikantischen Kollegen von Beginn an kritisch beäugte, gipfelnd im sogenannten Mendikantenstreit der 1250er und 60er Jahre. Zur Benutzung des römischen Rechts durch die Quatuor Magistri vgl. Oliger, Expositio, S. 27– 30. […] appropriare est rem suam facere sive in suum dominium convertere. Sua autem res est, quae transit in arbitrii facultatem, ut de ea faciat habens quod vult, utendo, commutando, donando, impignorando. Expositio Quatuor Magistrorum, ed. Oliger, S. 153.

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ten. Die andere hingegen könne auch „ein Sklave auf Veranlassung seines Herrn“, das heißt ohne Eigentumsrechte, ausführen, weshalb vendere den Brüdern in dieser Form erlaubt sei. In einem den Passus abschließenden Zusatz treten die vier Meister schließlich aus dem reinen Rechtsmilieu hinaus und ergänzen, dass auch die zuletzt genannte Form des Verkaufens, wenngleich den Brüdern gestattet, „dennoch gemäß ihrem Gelübde schändlich und unehrlich“ sei.54 Hierin wird eine bemerkenswerte argumentative Ambivalenz sinnfällig, die der Expositio Quatuor Magistrorum im Ganzen anhaftet, in der Forschung bisher aber wenig beachtet und augenscheinlich unzutreffend bewertet wurde.55 54

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Si quaeritur utrum fratres possint vendere, dicendum quod vendere dicitur uno modo rem propriam in alienum dominium pro pretio transfundere; et hoc modo vendit ille, qui habet rei dominium. Isto modo non possunt fratres vendere. Alio modo vendere dicitur de re aliqua pretium recipere; et hoc modo servus auctoritate domini eius vendere potest. Et hoc modo etsi fratribus vendere licet, tamen secundum eorum professionem turpe et inhonestum esset. Ebd., S. 153 f. Die Regelerklärung der vier Meister scheint insgesamt zu changieren zwischen Rechts- und Gewissensansprüchen, was auch – und vielleicht gerade – durch ihre Konfrontation mit den von Quo elongati animierten Aufweichungen der gelebten Armut provoziert wird. Zwar nimmt sie häufig und scheinbar durchwegs positiv Bezug auf die Dekretale, bei genauerer Prüfung erweist sich dies aber keineswegs als uneingeschränkte Zustimmung, sondern lediglich als taktische Berufung auf ihre Autorität. Dies tritt bereits in der Auseinandersetzung mit dem Eingangssatz der Regula bullata (Regula et vita Minorum Fratrum haec est, scilicet Domini Nostri Jesu Christi sanctum Evangelium observare vivendo in obedientia, sine proprio et in castitate.) zutage. Eine sich laut Gregor IX. aus diesem ergebende drängende Unklarheit unter den Brüdern sei die Frage gewesen, ob sie durch die Regel gehalten seien, auch solche Gebote des Evangeliums in aller Strenge zu befolgen, die in ihr nicht explizit genannt sind. Seine Antwort lautete, sie seien nur an die im Text wörtlich angeführten consilia – Gehorsam, Besitzlosigkeit und Keuschheit – in besonderem Maße gebunden, an andere jedoch lediglich so wie die übrigen Christen. Die vier Meister nun referieren diese Verfügung und setzen eigene Erläuterungen hinzu. Dabei rücken sie einen Satz aus dem Testament des Franziskus in den Mittelpunkt, in dem jener darlegt, wie Gott selbst ihn zum Leben nach dem Muster des Evangeliums aufgefordert und er dieses daraufhin in wenigen einfachen Worten habe niederschreiben lassen. Präzises Hinsehen lässt hierin einen doppelten Affront gegen Quo elongati erkennen. Denn erstens hatte doch gerade diese Bulle für den Orden jegliche Verbindlichkeit des letzten Willens ihres Stifters für null und nichtig erklärt. Welch deutliche Absage gegenüber dieser Bestimmung liegt folglich in dem Akt, scheinbar zur Explikation eines anderen Paragraphen desselben Erlasses ebenjenes Testament sprechen zu lassen! Und zweitens handelt es sich hier ja nicht um irgendeinen beliebigen Satz, sondern um des Poverellos Rekapitulation seiner Lebens- und Glaubensprinzipien, auf die er die franziskanische Bewegung begründet hatte und die schon deshalb an das Gewissen der Brüder rühren musste. Dass die vier Meister an dieser Stelle bei vermeintlicher Konformität psychologisch raffiniert um die Besinnung auf den Kern des Franziskanertums appellieren, ist aber ganz unzweifelhaft durch den konkreten Wortlaut des gewählten Zitats gekennzeichnet, in dem nicht etwa von den consilia evangelica, sondern von der forma evangelii, also vom gesamten Evangelium als Maßstab des Lebens die Rede ist. Wenn sich die Verfasser in der Räte-Frage schließlich doch noch der Position Gregors IX. anschließen, kann dies als rechtliches, nicht aber als ideelles Zugeständnis verstanden werden. (Expositio Quatuor Magistrorum, ed. Oliger, S. 123 f.: Super hoc in expositione apostolica determinatur quaestio facta a fratribus, utrum ad alia consilia evangelii, quae in regula non ponuntur, fratres ex professione regulae teneantur. Et breviter respondetur: nisi ad ea, ad quae in ipsa regula se obligaverunt, ad consilia alia evangelii non teneri. Ad cetera vero teneri sicut ceteri christiani et eo magis de bono et aequo se obtulerant holocaustum Domino medullatum. Sed

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Gegen Ende der Erläuterungen zu Kapitel sechs der Regel kommen die Autoren schließlich auf den usus zu sprechen. Dabei findet allerdings kein expliziter Rechtsjargon mehr Anwendung. Da ihr Standpunkt hier, worauf schon Flood hinweist,56 das außerrechtliche Modell des usus pauper antizipiert, hätten die Meister zur Darlegung ihrer Position wohl schlichtweg keine juristischen Formeln zur Verfügung gehabt. Aber es geht ihnen – ebenso wie nachmals Petrus Olivi – auch nicht primär um eine Verankerung des armen Gebrauchs im ius, sondern im Gewissen. Noch in Beziehung auf die Frage nach Anwendbarkeit eines Rechtsprinzips, das wohl am besten unter dem Begriff des ususfructus57 zu rubrizieren wäre, ob nämlich „jene Armut, zu der die Brüder angehalten werden, es diesen verbiete, dass sie Ländereien haben könnten, von denen sie durch ihren Ackerbau und Fleiß für alle Notwendigkeiten ihres Lebensunterhaltes Sorge tragen könnten, sodass der Besitz in der Gewalt eines anderen bliebe, und sie, so wie sie Gärten, Gemüse und Früchte haben, auch Weinberge und Äcker hätten“, unterscheiden sie zwischen einer paupertas imperfecta und einer paupertas perfecta. Unter der erstgenannten, geben sie zu verstehen, wäre dieser ususfructus wohl akzeptabel. Letztere hingegen zeichne sich dadurch aus, dass sie „mit der Armut des Geistes weder für das Leben Überflüssiges noch Notwendiges als Eigenes erhält, sondern auf der Vorsehung Gottes

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adhuc quaeret aliquis: quae sunt illa consilia, ad quae fratres ex ipsa regula obligantur? Sed istud expressum videtur ex intentione beati Francisci expressa in Testamento, quod scripsit ad hoc quod fratres regulam spiritualius observarent, ubi dixit: Ipse Altissimus revelavit mihi quod ego deberem vivere secundum formam evangelii, et ego paucis verbis et simpliciter feci scribi. […] Ad consilia ergo evangelica, atque verba quae scribuntur in regula, ad quae ligantur fratres, videtur ista prima regulae sententia, et non ad alia, pertinere). In der Forschungsliteratur schlägt sich die Ambivalenz des Textes insofern nieder, als er sehr verschieden bewertet wird. Feld etwa zählt die Quatuor Magistri zu denjenigen, die „die Verbindlichkeit des Wortlautes und damit die Armut in radikalem Sinne zu konservieren und sie gegen alle Aufweichungstendenzen zu verteidigen“ suchten (Feld, Franziskus, S. 456), Flood hingegen betont ihren Verdienst, „to clarify and define the common[!] mind of the Order“ (Flood, Peter Olivi’s Rule Commentary, S. 95). Dass die Positionen der Expositio nicht eindeutig sind, erkennt Brooke, Image, S. 78–81. Sie sieht darin aber keine bewusste Ambivalenz, sondern gleichsam Gewissensbildung im Schreibprozess (Brooke, Image, S. 79: „They quote Gregory’s ruling, and by a cunning use of sophistry bolster it up, instancing the Testament to prove that St Francis only meant them to be bound by those passages which ‚he in few words and simply caused to be written down‘. However their better nature soon reasserted itself.“) Mit Blick auf die weiteren Ausführungen der Meister spricht nur wenig für diese Interpretation. Auch fügt sie sich kaum ins Bild eines systematisch denkenden Scholastikers vom Format Alexanders von Hales (zu ihm s. Werner Detloff, Art. „Alexander Halesius“, in: TRE 2 (1978), S. 245–248). In jedem Fall lassen die vermeintlichen Widersprüchlichkeiten im Text der von der Forschung im Detail noch verhältnismäßig wenig erschlossenen Auslegung der vier Meister Raum für Spekulation und, wie ihr Verhältnis zur Bulle Quo elongati, Stoff für genauere Untersuchungen. Vgl. Flood, Peter Olivi’s Rule Commentary, S. 95. Vgl. Peter Weimar, Art. „Ususfructus“, in: LMA 8 (1997), Sp. 1344, der jenen definiert als „das Recht an einer fremden Sache (ius in re aliena), diese unter Ausschluß des Eigentümers zu nutzen / zu gebrauchen und die Früchte zu genießen“ und vom usus abgrenzt, der ein „Gebrauchsrecht ohne Fruchtgenuß“ sei. Vgl. dazu Institutiones Iustiniani 2,4 (De usufructu) und 2,5 (De usu et habitatione), ed. Ph. Eduard Huschke, Imp. Iustiniani Institutionem libri quattuor, Leipzig 1868, S. 47–49.

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beruht“, und dies scheine „die Armut der minderen Brüder zu sein“. Jene müssten „eine so große Armut in Bezug auf den Gebrauch einhalten, dass sie solche Arme sind, die auch bettelarm sind.“58 Summa summarum, so sind die vier Meister zu verstehen, sei den Minderbrüdern jegliche Form von Dominium generell unmöglich, ein usus dagegen rechtlich bis zu einem gewissen Grad zwar gestattet, durch das Gewissen aber auf die bloßen Notwendigkeiten des Lebens bzw. Überlebens von Tag zu Tag beschränkt. Damit vertrat der Text, der bald autoritative Geltung innerhalb des Ordens erlangen sollte, schlussendlich eine extreme Position und schuf gewiss nicht, wie etwa Flood und Brooke meinen, einen diplomatischen Konsens.59 Durch das Argumentieren auf zwei Ebenen, der juristischen und der ideologischen, bot er allerdings sowohl radikalen als auch gemäßigten Stimmen eine Grundlage und konnte dadurch fallweise ebenso gut vermittelnd wie separierend wirken. Hugo von Dignes Regelkommentar Auf juristischer Ebene freilich war durch eine innerfranziskanische Regelauslegung ohnehin kaum etwas zu gewinnen. Daran änderte auch nichts, dass sich Hugo von Digne († um 1255/1257)60 – wohl nicht zu Unrecht als joachimitischer Proto-Spirituale gehandelt – in seinem einflussreichen, zwischen 1242 und 1257 entstandenen Kommentar zur Regula bullata weitestgehend dem Standpunkt der vier Meister anschloss.61 Diese ausgiebig zitierend, konstatiert er in einer umfangreichen Interpretation des sechsten Kapitels, dass Eigentum (proprietas) an Dingen 58

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Item quaeritur an paupertas illa ad quam tenentur fratres, prohibeat eos ne possint habere territoria, de quibus per culturam et industriam suam omnia sustentationi suae necessaria procurarent, ita quod proprietas penes alium resideret, et ut, sicut habent hortos ad olera et fructus, ita haberent vineas et agros. Ad quod videtur dicendum, quod cum sit duplex necessitas paupertatis evangelicae, […] paupertas imperfecta, quae cum paupertate spiritus nihil retinet superfluum temporale, sed solum retinet quod est necessitas; alia vero est paupertas perfecta, quae cum paupertate spiritus nec superfluum nec necessarium vitae retinet tanquam proprium, sed ex Dei provisione pendet […]. Haec videtur paupertas fratrum minorum […]. […] debent habere paupertam quantum ad usum, ut taliter sint pauperes quod etiam sint mendici. Expositio Quatuor Magistrorum, ed. Oliger, S. 157 f. Vgl. Brooke, Image, S. 81; Flood, Peter Olivi’s Rule Commentary, S. 95 f. Zu Leben und Werk: Jacques Paul, Hugues de Digne, in: Marie-Humbert Vicaire (Hrsg.), Franciscains d’Oc. Les spirituels ca 1280–1324 (= Cahiers de Fanjeaux, 10), Toulouse 1975, S. 69– 97; Damien Ruiz, Frère Hugues de Digne et son oeuvre (édition critique). Une histoire par les sources narratives, la codicologie et la doctrine (XIIIe–XVe siècles) (Diss. ungedr.), 5 Bde., o. O. 2009 (nicht eingesehen); ders.: Hugues de Digne, OMin., est-il l’auteur de la Dispvtatio inter zelatorem pavpertatis et inimicvm domesticvm eivs? Etude et texte, in: AFH 95 (2002), S. 267–350. Expositio Hugonis de Digna super Regulam Fratrum Minorum, ed. David Flood, Hugh of Digne’s Rule Commentary (= Spicilegium Bonaventurianum, 14), Grottaferrata 1979. Zur Debatte um die Datierung: ebd., S. 50–64 sowie Brooke, Image, S. 85 f. Eine späte Abfassung zwischen 1254 und 1257 vermutet Roberto Lambertini, Apologia e crescita dell’identità francescana (1255–1279) (= Nuovi studi storici, 4), Rom 1990, S. 46.

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durch die Regel verboten sei, jedoch nicht der Gebrauch. Bei letzterem aber gelte es, Überfluss zu vermeiden, um die insignia paupertatis extremae zu bewahren.62 Diese Zeichen der äußersten Armut seien verstreut im Regeltext enthalten.63 Auf oben referierte appropriare-Deutung der Quatuor Magistri aufbauend, liefert er zudem eine bemerkenswerte Definition von proprietas. Diese sei das „Recht des Besitzes [ius dominii], wodurch jemand als Besitzer [dominus] einer Sache bezeichnet wird und wodurch auch mit Recht dieselbe Sache sein genannt wird, das heißt das Eigentum des Besitzers [domini propria].“64 Unter die Dinge, die durch proprietas angeeignet werden könnten, fasst er beachtlicherweise aber nicht nur materielle Güter, sondern auch Immaterielles, insbesondere nämlich „das Recht des Erwerbens, das Recht des Veräußerns, das Recht des Beanspruchens“. Wer solche Rechte innehabe, wenngleich er auch nichts Materielles besitze, sei dennoch nicht arm, „weil der Besitz sich von diesen immateriellen auf bewegliche wie unbewegliche materielle Dinge ausdehnen kann.“ Deshalb sei proprietas sowohl über materielle als auch über immaterielle Dinge mit dem Gelübde, nichts zu haben, unvereinbar.65 Daran anschließend kann er an späterer Stelle betonen, dass die Minderbrüder keine Gewalt über Dinge hätten, und dies de iure – von Rechts wegen.66 Durch das Gebot der Regula bullata, sich nichts anzueignen, sieht Hugo von Digne demnach bereits einen totalen Verzicht des Ordens auf Eigentumsrechte verordnet und untrennbar mit dessen Wesen verbunden. Wie schon die vier Meister gesteht er den Brüdern sowohl individuell als auch gemeinsam allein den eingeschränkten Gebrauch von Gütern zu, mit dem keinerlei Rechte einhergingen. Das Eigentum an den ihnen zur Verfügung gestellten Dingen indes verbleibe bei den Diözesen bzw. beim Papst.67 62

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Sane summopere cavendum est ne sub colore necessitatis excessus se ingerat superfluitatis. Superflui namque adiecto insignium paupertatis extremae destructio est et ideo voto insignium paupertatis extremae incompossibile est. […] Proprietatem itaque rerum tibi prohibet sed non usum com dicit: Fratres nihil sibi approprient nec domum nec locum nec aliquam rem. Non dicit quod rebus vel domibus non utantur. Hugo von Digne, Expositio, ed. Flood, S. 155. – Hugos Konzept der ‚Zeichen äußerster Armut‘ steht Petrus Olivis Auffassung vom usus pauper sehr nahe, weshalb jener sich 1285 in seiner Verteidigung gegen die Verurteilung durch eine Pariser Theologenkommission auf seinen älteren Ordensbruder berufen konnte. Vgl. David Burr, Olivi and Franciscan Poverty. The Origins of the Usus Pauper Controversy, Philadelphia 1989, S. 92. Plura quoque paupertatis huius insignia sparsim in regulae exprimuntur. Hugo von Digne, Expositio, ed. Flood, S. 163. Proprietas est ius dominii quo quis dicitur dominus esse rei, quo etiam iure res ipsa dicitur esse sua, id est, domini propria. Ebd., S. 147. Proprietas autem alia rei corporalis, utputa domus vestis et cuiuscumque rei corporalis mobilis vel immobilis ; alia rei incorporalis utputa iuris acquirendi iuris alienandi iuris petendi. Quicumque iura dicta in bonis suis habet et si nihil corporale possideat pauper non est quia ex his incorporalibus ad rerum corporalium mobilium vel immobilium proprietatem pertingere potest. Et idcirco haec habere voto nihil habendi incompossibile. Ebd. Nomen quoque minoris pauperibus optime competit quia pauperes in evangelio minores vocantur (Mt. 25,40). Et minor etiam de iure rerum potestatem non habet. Ebd., S. 164. Attende tamen quod in praecedentibus tetigi, quod proprietas tam locorum librorum quam aliarum rerum Ordini licitarum quae ad usum fratrum simpliciter et absolute nulla ibi retenta proprietate sive dominio conferuntur cum fratrum esse non possint regula obstinente, ad dioce-

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Ordinem vestrum Das Problem der Datierung des Regelkommentars Hugos, dem hier nicht weiter nachzugehen ist, äußert sich vor allem in der Beziehung des Textes zu Bonaventuras Epistola de tribus quaestionibus, mit dem er zahlreiche, zum Teil wörtliche Übereinstimmungen aufweist,68 sowie im Verhältnis zur Bulle Ordinem vestrum Innozenz’ IV69. Promulgiert am 14. November 1245, führt diese rechtskräftig aus, was in Quo elongati allenfalls implizit gesagt war, von Hugo jedoch ziemlich direkt festgestellt wurde, dass nämlich der römische Stuhl Eigentümer der Ordensgüter sei. Damit stellt die Konstitution die nächste große Etappe in der Herausbildung des spezifisch franziskanischen ius-Verständnisses vor Olivi dar. Sowohl formal als auch inhaltlich folgt Innozenz den Weisungen seines Vorvorgängers, liefert also ein eigene Auslegung strittiger Bestimmungen der Regula bullata, die im Wesentlichen mit Quo elongati korrespondiert. Nur in wenigen Punkten geht Ordinem vestrum über den Rahmen der früheren Dekretale hinaus und tendiert dann stets zu weiterer Lockerung der strengen forma vivendi des Poverello. Dies betrifft etwa die Befugnisse der nuntii in Sachen Geldgeschäften und das in Kapitel elf der Regel ausgesprochene Verbot, Frauenklöster zu betreten.70 Die maßgebliche Stelle bezüglich des Eigentums lautet: […] cum tam immobilium, quam mobilium hujusmodi jus, proprietas, & dominium (illis solis exceptis, in quibus expresse donatores, seu translatores sibi proprietatem, & dominium reservasse constiterit) nullo medio ad Ecclesiam ipsam spectent; cui domus, & loca praedicta cum Ecclesiis, ceterisque suis pertinentiis (quæ omnia in jus, & proprietatem Beati Petri suscipimus) omnino tam in spiritualibus, quam temporalibus immediate subesse noscuntur.71

Innozenz IV. delegiert also Recht, Eigentum und Dominium über die beweglichen wie unbeweglichen Güter des Minoritenordens an Kirche und Papst. Im Unterschied zu Gregor gibt er dadurch zu verstehen, dass der Gebrauch einer Sache nicht an ein wie auch immer geartetes Recht über dieselbe geknüpft sei, und steht so in Einklang mit der Sichtweise der Quatuor Magistri und Hugo von Dignes. Unter den Brüdern stieß Ordinem vestrum auf keine große Gegenliebe. Auf dem Generalkapitel in Genua, wahrscheinlich im Jahr 1251, wurde auf Einspruch des englischen Provinzialministers Wilhelm von Nottingham und Gregors de Bosellis beschlossen, auf die Zugeständnisse Innozenz’ zu verzichten und sich wieder

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sanos ut dicitur de iure pertinebat. Ebd., S. 146. Ad haec fratrum benefactoribus numquam beneficii meritum domini papae minuit auctoritas, sicut nec illis qui possessiones suas ecclesiis seu monasteriis conferunt, cum tamen ecclesiae cum bonis suis eius potestati subieaceant. Ebd., S. 147 Vgl. Lambertini, Apologia e crescita, S. 47–49. Über Bonaventuras Epistola: Kajetan Esser, Zu der „Epistola de tribus quaestionibus“ des hl. Bonaventura, in: Franziskanische Studien 27 (1940), S. 149–159. Ordinem vestrum, ed. Sbaralea, Bull. Franc. 1, S. 400–402. Zum Verhältnis der Bulle zur Expositio Hugos: Brooke, S. 84–90; Flood, Hugh of Digne’s Rule Commentary, S. 50 f.; zum Inhalt außerdem: Lambert, Franciscan Poverty, S. 96–102; speziell zum darin artikulierten Eigentumsverständnis: Mäkinen, Property Rights, S. 44 f. Vgl. Brooke, Image, S. 84 f., 88 f. Ordinem vestrum, ed. Sbaralea, S. 401.

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allein an Quo elongati zu halten.72 In Metz 1254 und Narbonne 1260 wurde diese Entscheidung bestätigt.73 Die Bedenken betrafen jedoch hauptsächlich die päpstlichen Regelungen hinsichtlich der nuntii und zumal die mit der weiteren Dekretale Quanto studiosius 1247 erteilte Erlaubnis, durch jene Bargeld anzunehmen.74 Offensichtlich schienen zu dieser Zeit derartig auf Laxheit zielende Abweichungen vom Geiste des Stifters der Mehrheit des Ordens inakzeptabel zu sein. Dies ist insofern bemerkenswert, als es verdeutlicht, dass um die Mitte des 13. Jahrhunderts augenscheinlich nicht etwa, wie häufig angenommen wird, ein Großteil des Franziskanertums sich schlechthin damit arrangiert hatte, um einer weltlichen Verwurzelung des Ordens willen dessen ursprüngliche Absichten weitgehend aufzugeben.75 Von den alles in allem wenig konturierten besitz- und gebrauchsrechtlichen Ansichten Innozenz’ IV. hingegen ging offenbar kein Konfliktpotential aus. Bestätigt findet sich dies in der Tatsache, dass seine Dekretalen zur Sache im Theoretischen Armutsstreit des frühen 14. Jahrhunderts, als juristische Details des minoritischen Besitzverzichts minutiös geprüft und aggressiv diskutiert wurden, ganz im Gegensatz zu einer Reihe von Dokumenten seiner Vorgänger und Nachfolger, kaum je als Argumente dienen konnten. Exiit qui seminat Umso mehr traf dies zu auf die „wohl wichtigste päpstliche Regelerklärung, die in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts erlassen wurde“.76 Mit der berühmten Bulle Exiit qui seminat vom 14. August 1279, an deren Entstehung womöglich auch der junge Petrus Iohannis Olivi Anteil hatte,77 strebte Nikolaus III. danach, end72 73 74 75 76 77

Hierüber berichtet Thomas of Eccleston, Tractatus de Adventu Fratrum Minorum in Anglia, ed. Andrew G. Little, Manchester 1951, S. 42. Vgl. hierzu die Diffinitiones Capituli Generalis Narbonensis, ed. Ferdinand Marie Delorme, in: AFH 3 (1910), S. 491–504, hier: S. 503. Vgl. Gratien de Paris, Histoire de la Fondation et de l’Evolution de l’Ordre des Freres Mineurs au XIII’ siecle, Paris 1928, S. 243; Brooke, Image, S. 87; Feld, Franziskus, S. 458. – Quanto studiosius vom 19. August 1274, ed. Joannes Hyacinthus Sbaralea, Bull. Franc. 1, S. 187 f. So z. B. tendenziell Feld, Franziskus, S. 449 ff. Ebd., S. 458. Über seine Gutachtertätigkeit berichtet Olivi selbst in seinem Regelkommentar: Quomodo autem ex nostrae professionis statu et regula hoc [sc. die individuelle wie gemeinsame Eigentumslosigkeit] abundanter probetur probavi alibi per vias duodecim, quas Romae a sanctae memoriae fratre Bermundo ministro meo super hoc requisitus conscripsi, tempore quo ministri cum discretis aliis ibidem convenerant ad deliberandum super declaratione tunc temporis a domino Nicolao fienda et paulo post facta. Petrus Olivi, Expositio super Regulam Fratrum Minorum, ed. Flood, Peter Olivi’s Rule Commentary, S. 159. Dazu: Franz Ehrle, Petrus Johannis Olivi, sein Leben und seine Schriften, in: Archiv für Litteratur- und Kirchengeschichte des Mittelalters (ALKG) 3 (1887), S. 409–552, hier, S. 415; Burr, Olivi and Franciscan Poverty, S. 39. Sein Beitrag bestand wohl in dem Traktat Quod regula fratrum minorum excludit omnem proprietatem tam in speciali quam in communi, ed. Firmamentum Trium Ordinum S. Francisci, Paris 1512, Bd. 4, fol. 107v–111r. Zu diesem: Ehrle, Petrus Johannis Olivi, S. 506 f.; David

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lich Klarheit über die nach wie vor umstrittenen Rechtsverhältnisse des Ordens zu schaffen.78 Dazu hatte der 1277 zum Papst gewählte frühere Kardinalprotektor des Franziskanerordens eine Kommission aus Theologen und Kanonisten eingesetzt, die in langer Vorbereitungsphase einen präzisen, von rechtssprachlichem Jargon geprägten Text produzierten, der seinem Anspruch nach möglichst frei von Ambiguitäten sein und möglichst geringen Deutungsspielraum lassen sollte.79 Zu den wirkmächtigsten und im späteren Armutsstreit zwischen Johannes XXII. und den Franziskanern Michael von Cesena, Bonagratia von Bergamo und Wilhelm von Ockham am heftigsten diskutierten Stellungnahmen der umfänglichen Dekretale gehörte die Behauptung, der individuelle wie gemeinsame Eigentumsverzicht des Ordens entspräche der Lehre und dem Leben Jesu und der ersten Stifter (primi fundatores) der Kirche.80 Rekurrieren die allgegenwärtigen Verweise auf die Gemeinschaft Christi und der Apostel in mendikantischen Armutsdiskursen meist primär – wenn wohl auch selten ausschließlich – auf die historische Epoche der Evangelien, sprich auf Jesu Lebzeiten, ist hier recht eindeutig auch die Ära der Urgemeinde mit im Blick. Dafür sprechen sowohl die Bezeichnung primi fundatores militantis Ecclesiæ als auch die Quelle-Flussbett-Metapher ([…] ab ipso fonte hauserant, in volentes perfecte vivere per doctrinæ ac vitæ ipsorum alveos derivarunt), die beide auf die Institutionalisierungsphase des Glaubens hindeuten. Noch klarer wird dieser auf die Apostelgeschichte erweiterte Referenzrahmen in einem früheren Satz der Dekretale, in dem herausgestellt wird, die Ordensregel sei „durch das Gebot des Evangeliums begründet, durch das Beispiel des Lebens Christi bekräftigt, durch die Predigten und Taten seiner Apostel [Apostolorum ejus sermonibus, actibusque!], der Gründer der Streitenden Kirche, gefestigt“ worden.81 Im Weiteren schenkt Exiit qui seminat auch der schwerwiegenden loculi-Frage, wie sich denn der im Johannes-Evangelium bezeugte Besitz eines Geldbeutels zur vermeintlichen kollektiven Besitzlosigkeit Christi und der Apostel füge, ihre Aufmerksamkeit.82 Dabei schließt sie sich weitgehend den Argumenten des heiligen

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Burr, The Persecution of Peter Olivi (= Transactions of the American Philosophical Society, NS 66,5), Philadelphia 1976, S. 11; Eva Luise Wittneben, Bonagratia von Bergamo. Franziskanerjurist und Wortführer seines Ordens im Streit mit Papst Johannes XXII (= Studies in Medieval and Reformation Thought, 90), Leiden/Boston 2003, S. 256 f. Exiit qui seminat, ed. Joannes Hyacinthus Sbaralea, Bull. Franc. 3, Rom 1765, S. 404–417. Dazu: Feld, Franziskus, S. 458–463, de Paris, Histoire, S. 326–333; Fidelis Elizondo, Bulla „Exiit qui seminat“ Nicolaii III (14 augusti 1279), in: Laurentianum 4 (1963), S. 59–117; bes. zu den eigentumsrechtlichen Inhalten außerdem: Kriechbaum, Actio, S. 41–44; Mäkinen, Property Rights, S. 95–102. Ähnlich Feld, Franziskus, S. 458. […] abdicatio proprietatis hujusmodi omnium rerum tam in speciali, quam etiam in communi propter Deum meritoria est, et sancta, quam et Christus viam perfectionis ostendens verbo docuit, et exemplo firmavit: quamque primi fundatores militantis Ecclesiæ, prout ab ipso fonte hauserant, in volentes perfecte vivere per doctrinæ ac vitæ ipsorum alveos derivarunt. Exiit qui seminat, ed. Sbaralea, S. 407. Hi sunt illius sanctæ Regulæ professores, quæ Evangelico fundatur eloquio, vitæ Christi roboratur exemplo, fondatorum militantis Ecclesiæ Apostolorum ejus sermonibus, actibusque firmatur. Ebd., S. 405. Vgl. Joh 12,6; 13,29. Dazu wie zum Folgenden: Wittneben, Bonagratia, S. 114–116. Zur Kon-

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Bonaventura (1221–1274) an, der sich mit diesem bei den Gegnern der franziskanischen Armut beliebten Einwand bereits in seiner Apologia pauperum auseinandergesetzt und verschiedene Rechtfertigungsmodelle angeboten hatte.83 Aus diesen griff Nikolaus III. dasjenige der condescensio heraus, demzufolge es bei ihm nun heißt, dass „Christus, dessen Werke vollkommen waren, in seinen Taten den Weg der Vollkommenheit beschritt, dessenthalben er bisweilen, indem er sich zu den Unvollkommenheiten der Schwachen herabließ, sowohl den Weg der Vollkommenheit hervorhob als auch die schwachen Pfade der Unvollkommenen nicht verurteilte“. Durch das Ansichnehmen eines Geldbeutels habe Christus wie auch durch andere in den Evangelien bezeugte Taten dann und wann gleichsam die Persönlichkeit der Schwachen angenommen, indem er sich nicht nur körperlich – mit der Fleischwerdung –, sondern auch moralisch zu ihnen herabgelassen habe. Seine eigene Vollkommenheit sei dadurch jedoch nicht gemindert worden, sondern er habe sich auf diese Weise den Vollkommenen wie den Unvollkommenen als Weg des Heils zu erkennen gegeben und somit seine eigene Vollkommenheit nur umso stärker erwiesen.84 Die Geldbörse Jesu und der Apostel wird in diesem Modell also verstanden als Konzession und symbolisches Heilsangebot an den schwachen und unvollkommenen Menschen. Als Zeichen menschlicher Schwäche und Unvollkommenheit, so kann umgekehrt geschlussfolgert werden, fasst Nikolaus III. demnach das Mitsichführen einer Geldbörse bzw., in übertragenem Sinne, Besitztümer überhaupt auf.85

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troverse um den Geldbeutel Jesu im Pariser Mendikantenstreit s. Robert J. Karris, The Place of the Money Bag in the Secular-mendicant Controversy at Paris, in: Franciscan Studies 68 (2010), S. 21–38. Bonaventura, Apologia pauperum, ed. Opera Omnia 8, Ad Claras Aquas (Quaracchi) 1898, S. 233–330, hier VII, 39–40, S. 285 f. Dazu: Lambertini, Apologia e crescita, S. 90 f. Zur Verbindung von Exiit qui seminat und der Apologia pauperum: Venantius Maggiani, De relatione scriptorum quorumdam S. Bonaventurae ad Bullam „Exiit“ Nicolai III (1279), in: AFH 5 (1912), S. 3–21. Neque his quisquam putet obsistere, quod interdum dicitur Christum loculos habuisse: nam sic ipse Christus, cujus perfecta sunt opera, in suis actibus viam perfectionis exercuit, quod interdum infirmorum imperfectionibus condescendens, et viam perfectionis extolleret, et imperfectorum infirmas semitas non damnaret; sic infirmorum personam Christus suscepit in loculis, sic et in nonnullis aliis infirma humanæ carnis assumens, prout Evangelica testatur historia, non tantum carne, sed mente condescendit infirmis: sic enim humanam naturam assumpsit quod in suis operibus perfectus existens in Nostris factus humilis, in propriis remansit excelsus. Sic et summæ caritatis dignatione ad actus quosdam nostræ imperfectioni conformes inducitur, quod a summæ perfectionis rectitudine non curvatur. Egit namque Christus, et docuit perfectionis opera; egit etiam et infirma; sicut interdum in fuga patet, et loculis; sed utrumque perfecte perfectus existens ut perfectis et imperfectis se viam salutis ostenderet, qui utrosque salvare venerat, qui tandam mori voluit pro utrisque. Exiit qui seminat, ed. Sbaralea, S. 407. Vgl. Apologia pauperum VII, 40, S. 285. Vor dem Hintergrund dieses Umkehrschlusses versteht es sich, dass Weltgeistliche wie Gerhard von Abbeville († 1272) das Argument der Kondeszenz rigoros ablehnten, da es ihres Erachtens die Unvollkommenheit aller Bischöfe bis hinauf zum Papst implizierte. Unter franziskanischen Autoren sollte es hingegen zu einer äußerst geläufigen Deutung werden. In diesen Tenor nicht einstimmen wollte allein Petrus Olivi, da ihm zufolge Christus keine unvollkommenen Taten tun konnte. Diese Auffassung teilte später Marsilius von Padua († vor 1343). Vgl. zum Ganzen Roberto Lambertini, Marsilius and the Poverty Controversy in Dictio II, in: Gerson More-

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Hinsichtlich der eigentumsrechtlichen Fragen traf die Bulle einige in der Folgezeit nicht minder kontrovers debattierten Entscheidungen. Wiederum in deutlicher Referenz auf Bonaventura differenziert sie fünf Arten des Verhältnisses zu Temporalien, nämlich proprietas, possessio, ususfructus, ius utendi und simplex facti usus.86 Nicht mehr die Unterscheidung zwischen dominium und usus bei ausschließlichem Zugeständnis des letzteren an die Bettelmönche, sondern die exakte Definition eines im Gegensatz zum usus iuris wahrhaft rechtsfreien, rein faktischen Gebrauchs als Fundament der franziskanischen Güternutzung wird hiermit angestrebt. So erklärt das päpstliche Schreiben: Nec propter hoc quod proprietatem usus, et rei cujuscunque dominium a se abdicasse videtur, simplici usui omnis rei renunciatum esse convincitur qui inquam usus non juris, sed facti tantummodo nomen habens quod facti est tantummodo in utendo præbet utentibus nihil juris […].87

Zwar war das Konstrukt des simplex facti usus als Möglichkeit eines Gütergebrauchs ohne Rechtsbindung, wie Kriechbaum zeigen konnte, im juristischen Milieu keine gänzlich neue Erfindung,88 durch die Normativierung Nikolaus III. wurde sie jetzt aber zum Mittelpunkt des Selbstverständnisses der franziskanischen Ordensgemeinschaft und infolgedessen mit ungekannter Bedeutung und ungeahnter Bedeutsamkeit aufgeladen.89 Mit äußerstem Nachdruck wiederholt der Papst darüber hinaus die zuerst in Ordinem vestrum expressis verbis zum Ausdruck gebrachte Maßnahme, dass er und die römische Kirche proprietas und dominium über die im faktischen Gebrauch des Ordens und der Brüder befindlichen Utensilien, Bücher und beweglichen Güter innehätten. Diese Bestimmung, betont er, solle auf ewig Gültigkeit haben.90 Zur Einschärfung wird am Ende des Dokuments jedem, der es wagen sollte, seine Rechtsverbindlichkeit anzuzweifeln, mit Exkommunika-

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no-Riaño / Cary J. Nederman (Hrsgg.), A Companion to Marsilius of Padua (= Brill’s Companions to the Christian Tradition, 31), Leiden 2012, S. 229–264, hier: S. 250 f. […] nam cum in rebus temporalibus sit considerare præcipuum proprietatem, possessionem, usum fructum, jus utendi, et simplicem facti usum […]. Exiit qui seminat, ed. Sbaralea, S. 408. Vgl. Bonaventura, Apologia pauperum XI, 5, S. 312: […] intelligendum est, quod cum circa res temporales quatuor sit considerare, scilicet proprietatem, possessionem, usumfructum et simplicem usum; et primis quidem tribus vita mortalium possit carere, ultimo vero tanquam necessario egeat: nulla prorsus potest esse professio omnino temporalium rerum abdicans usum. Verum ei professioni, quae sponte devovit Christum in extrema paupertate sectari, condecens fuit universaliter rerum abdicare dominium arctoque rerum alienarum et sibi concessarum usu esse contentam. Dazu: Lambert, Franciscan Poverty, S. 144 f.; Lambertini, Apologia e crescita, S. 86–101; Mäkinen, Property Rights, S. 57–60. Exiit qui seminat, ed. Sbaralea, S. 408. Vgl. Kriechbaum, Actio, S. 43. Zum faktischen Gebrauch i. A.: Paolo Grossi, Usus facti. La nozione di proprietà nella inaugurazione giuridico moderno, in: Quaderni Fiorentini per la storia del pensiero giuridico moderno 1 (1972), S. 287–355. […] omnium utensilium, et librorum, ac eorum mobilium præsentium, et futurorum, quæ et quorum usum facti scilicet Ordini, vel Fratribus ipsis licet habere, proprietatem et dominium, quod etiam fel.rec. innoC. PaPa IV. prædecessor Noster fecisse dignoscitur, in Nos, et Rom. Ecclesiam plene et libere pertinere hac præsenti Consitutione in perpetuum valitura sanximus. Exiit qui seminat, ed. Sbaralea, S. 409.

Die franziskanische Eigentumsfrage im 13. Jahrhundert

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tion gedroht.91 Damit gab der Papst den Franziskanern – zumindest bis zum offenen Ausbruch des Theoretischen Armutsstreits Anfang der 1320er Jahre und der Aufhebung des in Exiit qui seminat verordneten Diskussionsverbots durch Verfügung Johannes’ XXII.92 – ein außerordentlich schlagkräftiges Argument gegen alle Kritik von außen an die Hand.93 Im Orden selbst hingegen ließ auch diese päpstliche Konstitution keine Ruhe einkehren. Indem sie unpräzise verfügte, dass der usus facti auf die Notwendigkeiten des Alltags der Brüder mit seinen verschiedenen Aufgaben beschränkt sei,94 schürte sie neuerliche Zweifel – darüber, was genau zu den im Text beschworenen Notwendigkeiten zu zählen sei, ebenso wie über das Wesen der evangelischen Armut im Allgemeinen. So fasste etwa Petrus Olivi, gewiss mit einiger Berechtigung, die Dekretale als apostolische Bestätigung seines Verständnisses vom usus pauper auf. Werkchronologisch wohl beginnend mit seiner Quaestio de altissima paupertate 15, berief er sich später vielfach auf sie und machte wiederholt deutlich, dass er seine eigene Doktrin vollkommen in Einklang mit ihr sah und gewillt war, ihre Autorität vollauf anzuerkennen.95 Von den Anschauungen dieses päpstlichen Dokumentes her ist demnach Olivis Vorstellung eines evangeliengemäß-franziskanischen und damit in seinem Denken letztlich universal verbindlichen Konzepts von Eigentums- und Gebrauchsrechten zu verstehen. Dass er die Formulierungen von Exiit dabei stellenweise sehr eigensinnig interpretierte, um in sie hineinzulesen, wovon er sich wünschte, die Bulle hätte es gesagt, überrascht angesichts der charakterlichen und intellektuellen Konstitution des Minoritentheologen nur wenig.96 Nachdem nun schon mehrfach auf Zusammenhänge und Anschlüsse zwischen den Eigentumsdebatten um das Franziskanertum im 13. Jahrhundert und den Schriften Olivis hingedeutet wurde, ist es an der Zeit, die Aufmerksamkeit gezielt

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Insuper tam istos, contra quos per Nos excommunicationis est prolata sententia, quam alios, si qui fuerint, contra præmissa, vel eorum aliquod venientes ad Nostram, et Sedis memoratæ volumus deduci notitiam; ut quos provisus modus æquitatis non arcet a vetitis, compescat rigor Apostolicæ ultionis. Nulli ergo omnino hominum liceat hanc paginam Nostræ Declarationis, Ordinationis, Concessionis, Dispositionis, Suppletionis, Approbationis, Confirmationis, et Constitutionis infringere, vel ei ausu temerario contraire. Ebd., S. 416. Mit der Dekretale Quia nonnumquam vom 26. März 1322, ed. Konrad Eubel, Bull. Franc. 5, Rom 1898, S. 224 f. Zur diesbezüglichen Wirkung der Bulle vgl. Burr, Olivi and Franciscan Poverty, S. 154 f. Insuper nec utensilia, nec alia, quorum usum ad necessitatem, et officiorum sui status executionem licet habere (non enim omnium rerum usum habere debent, ut dictum est) ad ullam superfluitatem habere divitias, seu copiam, quæ deroget paupertati, vel thesaurizationem sapiat; vel eo animo, ut ea distrahant, seu vendant, recipiant, nec sub colore providentiæ in futurum, nec alia occasione; quinimmo in omnibus appareat in eis quoad dominium omnimoda abdicatio, et in usu necessitas. Exiit qui seminat, ed. Sbaralea, S. 409. Am eindringlichsten zeigt sich dies in seinem Brief an Conrad von Offida vom 14. September 1295 bezüglich der Abdankung Coloestins V. Darin verteidigt er die Bulle gegen eine Gruppe radikaler italienischer Spiritualen, die behauptete, Quo elongati und Exiit qui seminat hätten die Ordensregel verletzt. Vgl. Petri Iohannis Olivi de renuntiatione papae Coelestini V. quaestio et epistola, ed. Livarius Oliger, in: AFH 11 (1918), S. 309–373, hier: S. 371. Vgl. Burr, Olivi and Franciscan Poverty, S. 61.

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dem großen Querdenker unter den franziskanischen Gelehrten des 13. Jahrhunderts zuzuwenden.

III. FRANZISKANER, URCHRISTEN UND DIE ENTGRENZUNG DER GÜTERGEMEINSCHAFT: PETRUS IOHANNIS OLIVIS LECTURA SUPER ACTUS APOSTOLORUM 1. EINFÜHRUNG 1.1 Petrus Iohannis Olivi Gewiss nicht ohne Berechtigung bezeichnet Warren Lewis den Franziskaner Petrus Iohannis Olivi (* 1247/48 Sérignan, † 14.3.1298 Narbonne) als „das bestgehütete Geheimnis des 13. Jahrhunderts“1. Die nach wie vor weitestgehend auf einen kleinen Kreis von Spezialisten beschränkte moderne geschichtswissenschaftliche und theologische Befassung mit Leben, Werk und Wirken des Minoriten lässt sich in zwei Phasen gliedern. Während eine Mehrheit der Forscher bis in die 1970er Jahre hinein zwar mitunter einzelne seiner Leistungen, etwa auf dem erkenntnistheoretischen oder dem ökonomischen Sektor, als herausragend anerkannte, ihn alles in allem aber als radikalen Wirrkopf und Sektierer ansah,2 arbeiteten seit dem späteren 20. Jahrhundert einige wenige auf eine systematische Gesamteinschätzung hin, wobei sich nach und nach das Bild eines ganz und gar eigenständigen, gewiss streitbaren und in mancherlei Hinsicht kontroversen, keinesfalls aber extremistischen Intellektuellen herausbildete. Seine Biographie muss hier nicht noch einmal nacherzählt werden. Was von ihr bekannt ist, ist in der geläufigen Literatur en détail dokumentiert und wurde auch in jüngerer Zeit oft genug wiederholt, ohne dass seit den einschlägigen Arbeiten David Burrs noch Entscheidendes hätte hinzugefügt werden können.3 1

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Warren Lewis, Freude, Freude! Die Wiederentdeckung der Freude im 13. Jahrhundert: Olivis „Lectura super Apocalipsim“ als Blick auf die Endzeit, in: Jan A. Aertsen / Martin Pickavé (Hrsgg.), Ende und Vollendung. Eschatologische Perspektiven im Mittelalter (= Miscellanea mediaevalia, 29), Berlin/New York 2001, S. 657–683, hier: S. 658. So etwa Leff, Heresy und Ehrle, Petrus Johannis Olivi. Zu den gängigen Vorurteilen s. David E. Flood, Petrus Johannis Olivi. Ein neues Bild des angeblichen Spiritualenführers, in: Wissenschaft und Weisheit 34 (1971), S. 130–141, hier: S. 131 f. Die bislang einzigen Versuche einer zusammenhängenden vollständigen Biographie bieten Ehrle, Petrus Johannis Olivi (eng damit verbunden: ders., Die Spiritualen, ihr Verhältnis zum Franciscanerorden und zu den Fraticellen, in: ALKG 1 (1885), S. 509–569, ALKG 2 (1886), S. 106–164, 249–336, ALKG 3 (1887), S. 553–623, ALKG 4 (1888), S. 1–190; ders., Zur Vorgeschichte des Concils von Vienne, in: ALKG 2, S. 353–416, ALKG 3, S. 1–195), von dem die gesamte moderne Olivi-Forschung ihren Ausgang nimmt, sowie Burr, Persecution. – Ergänzungen, Konkretisierungen, vereinzelte Korrekturen sowie Interpretationen liefert Burr in weiteren maßgeblichen Monographien (ders., Olivi and Franciscan Poverty; ders., Olivi’s Peaceable Kingdom. A Reading of the Apocalypse Commentary, Philadelphia 1993; ders., The Spiritual Franciscans. From Protest to Persecution in the Century After Saint Francis, University Park 2001) sowie zahlreichen Aufsätzen und Einzelstudien (s. Michael F. Cusato, A Retrospec-

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Franziskaner, Urchristen und die Entgrenzung der Gütergemeinschaft

Indes ist das außergewöhnlich umfangreiche und vielseitige Opus des Minderbruders noch längst nicht in all seiner Tiefe ausgelotet.4 Einige seiner bedeutendsten Schriften harren weiterhin einer ersten Edition, andere liegen mittlerweile zwar in textkritischen Ausgaben vor, haben bislang aber kaum Aufmerksamkeit auf sich gezogen.5 Letzteres mag neben seinem unverhältnismäßig niedrigen Bekanntheitsgrad auch dem Umstand geschuldet sein, dass fast alle seine Arbeiten in weit überdurchschnittlichem Maße mit seinem Gesamtwerk, ihrer geistigen Umwelt und Details der in ihren Sphären sich vollziehenden historischen Prozesse korrespondieren, sodass Annäherungen an ihren Gehalt stets äußerst weitläufiger Reflexionen bedürfen. Das theologische und philosophische Profil des an den südfranzösischen Franziskanerstudien und in Paris ausgebildeten Polyhistors Olivi gewinnt seine Konturen insbesondere im kritischen Echo des großen Ordenslehrers Bonaventura sowie in Konfrontation mit dem Geistesriesen Thomas, dem er in diversen Konfliktfällen auf Augenhöhe begegnete und dessen Aristotelismus er einen Augustinismus individueller Prägung entgegensetzte.6 Zum Kreis der Schüler und Anhänger des geni-

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tive on the Work of David Burr, in: Oliviana. Mouvements et dissidences spirituels XIIIe–XIVe siècles 1/2003, http://oliviana.revues.org/7, u. Bibliographie bis 1999 ebd., http://oliviana. revues.org/12). Eine Neueinschätzung des bei Ehrle im Endeffekt zum Frevler und Wendehals Gestempelten unternahm schon vor Burr Flood, Petrus Johannis Olivi. – Ein neuerer biographischer Abriss findet sich z. B. bei Albert Schmucki, Selbstbesitz und Hingabe. Die Freiheitstheologie des Petrus Iohannis Olivi im Dialog mit dem modernen Freiheitsverständnis (= Veröffentlichungen der Johannes-Duns-Skotus-Akademie für franziskanische Geistesgeschichte und Spiritualität, 27), Mönchengladbach 2009, S. 27–37, der Olivis Wesen originell und überzeugend in seine südfranzösische Heimat einordnet. Knappe Lebensskizzen außerdem in: Alain Boureau / Sylvain Piron, Introduction, in: dies. (Hrsgg.), Pierre de Jean Olivi (1248–1298). Pensée scolastique, dissidence spirituelle et société (= Études de philosophie médiévale, 79), Paris 1999, S. 9–13; Theo Kobusch, Die Philosophie des Hoch- und Spätmittelalters (= Geschichte der Philosophie, 5), München 2011, S. 279–293, bes. 279 f.; Werner O. Packull, Art. „Olivi, Petrus Johannis“, in: TRE 25 (1995), S. 239–242; Ludwig Hödl / Edith Pásztor, Art. „Petrus Johannis Olivi (1247/48–1296)“, in: LMA 6 (1993), Sp. 1976 f. – Olivi-Bibliographie bis 1967: Servus Gieben, Bibliographia Oliviana (1885–1967), in: Collectanea Franciscana 38 (1968), S. 167–195; Forts. bis 1989 in Vian Paolo (Hrsg.), Pietro di Giovanni Olivi, Scritti scelti, Città nuova ed., Rom 1989; Forts. bis 1998 in Boureau/Piron, Pierre de Jean Olivi, S. 389–399; für die Jahre 2004–2012: Catharine König-Pralong u. a., Bibliographie des travaux récents sur Olivi, 2004–2012, in: Oliviana 4/2012, http://oliviana.revues.org/696. – Weitere Literaturhinweise und Notizen zu einzelnen für den Kontext der vorliegenden Arbeit bedeutsamen Lebensepisoden im Folgenden an Ort und Stelle. Das Gesamtwerk musterte bisher am gründlichsten Sylvain Piron, Parcours d’un intellectuel franciscain. D’une théologie vers une pensée sociale: l’œuvre de Pierre de Jean Olivi (ca. 1248–1298) et son traité „De Contractibus“ (Diss., unpub.), 3 Bde, Paris 1999. S. außerdem den Überblick zur Überlieferung bei Antonio Ciceri, Petri Iohannis Olivi opera. Censimento die manoscritti (= Collectio Oliviana, 1), Grottaferrata 1999 sowie die Beiträge in Pietro di Giovanni Olivi, Opera edita et inedita. Atti delle Giornate internazionali di studio, Grotteferrata (Roma) 4–5 dicembre 1997 (Editiones AFH, 3), Grotteferrata 1999. Ein tabellarischer Werküberblick nebst Identifikation der bis ins Jahr 1998 vorliegenden Editionen bei Boureau/Piron (Hrsgg.), Pierre de Jean Olivi, S. 401–403. Zum Augustinismus bzw. Neo-Augustinismus Olivis: Bernhard Jansen, Der Augustinismus des Petrus Johannis Olivi, in: Albert Lang (Hrsg.), Aus der Geisteswelt des Mittelalters. Studien

Einführung

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alischen Scholastikers zählen neben den Spiritualen Petrus de Trabibus, Ubertino von Casale und dem heiligen Bernhardin von Siena im weiteren Sinne auch die Träger solch klangvoller Namen wie Wilhelm von Ockham und Dante Alighieri.7 Dass seine Lehre trotz derart prominenter Verfechter im Ganzen dennoch keine große Wirkungsmacht entfalten konnte, verdankt sich im Wesentlichen wohl den diversen ordensinternen wie -externen Verurteilungen im ausgehenden 13. und frühen 14. Jahrhundert, mit denen weiträumige Manuskriptkonfiskationen und -verbrennungen einhergingen.8 Rezeptionsspuren einzelner Schriften finden sich zwar auch in den folgenden Säkula, die wissenschaftliche ‚Wiederentdeckung‘ des Œuvres setzte aber erst im späten 19. Jahrhundert ein und ist noch immer in Vollzug. Speziell das exegetische Schaffen, im Kern bestehend aus Kommentaren zu 23 Büchern des Alten und 15 des Neuen Testaments, wurde dabei über lange Zeit recht stiefmütterlich behandelt.9 Erst an der Wende zum neuen Jahrtausend, um den 700. Todestag des Verfassers, nahmen sich insbesondere franziskanische Historiker und Theologen verstärkt seiner an und statten die Forschung seither nach und nach mit historisch-kritischen Editionen aus.10 Daran anschließend sind mittlerweile eine erhöhte Aufmerksamkeit und ein wachsendes Bewusstsein für die nicht allein theologie- und religions-, sondern auch geistesgeschichtliche wie sozialtheoretische Rele-

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und Texte Martin Grabmann zur Vollendung des 60. Lebensjahres von Freunden und Schülern gewidmet, Münster i. W. 1935, S. 878–895. – Zur Konkurrenz mit dem heiligen Thomas: Marie-Thérèse d’Alverny, Un adversaire de Saint-Thomas: Petrus Ioannis Olivi, in: Armand A. Maurer u. a. (Hrsgg.), St. Thomas Aquinas 1274–1974. Commemorative Studies, Toronto 1974, Tbd. 2, S. 179–218. Zur Lehrer-Schüler-Verbindung von Olivi und Petrus de Trabibus s.: Ephrem Longpré, Pietro De Trabibus, un discepolo di Pier Giovanni Olivi, in: Studi Francescani 8 (1922), S. 267–290; zu Ubertino: Raoul Manselli, Pietro di Giovanni Olivi e Ubertino da Casale (A proposito della Lectura super Apocalipsim e dell’Arbor vitae crucifixae Iesu), in: Studi Medievali, Ser. 3, Bd. 5,2 (1965), S. 94–122; zu Bernhardins intensiver positiver Bezugnahme auf die Schriften des Provenzalen z. B. dens., Due biblioteche di „Studia“ Minoritici. Santa Croce di Firenze e il Santo di Padova, in: Le scuole degli ordini mendicanti, secoli XIII–XIV (= Convegni del Centro di Studi sulla Spiritualità Medievale, 17), Todi 1978, S. 353–371. – Ockhams Denkungsart zeigt in diversen Punkten den Einfluss seines Ordensbruders. S. etwa zur Bedeutung der Olivi’schen Kognitionstheorie für diejenige Ockhams: Robert Pasnau, Theories of Cognition in the Later Middle Ages, Cambridge/New York 1997, S. 25 f. u. passim; zur Vorbildfunktion Olivis für manchen Punkt der Ockham’schen Eigentumslehre unten, S. 150 f. – Zur Beziehung zwischen Dante und Olivi zuletzt ausführlich: Alberto Forni, Pietro di Giovanni Olivi e Dante. Un progretto di ricerca, in: Collectanea Franciscana 82 (2012), S. 87–156; V. Stanley Benfell, Dante, Peter John Olivi, and the Franciscan Apocalypse, in: Santa Casciani (Hrsg.), Dante and the Franciscans (= The medieval Franciscans, 3), Leiden 2006, S. 9–50. Vgl. Thomas Werner, Den Irrtum liquidieren. Bücherverbrennungen im Mittelalter (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 225), Göttingen 2007, S. 363–365 u. passim. S. Paolo Vian, L’opera esegetica di Pietro di Giovanni Olivi: uno status quaestionis, in: AFH 91 (1998), S. 395–454. Knappe Überblicke des bislang Verfügbaren bei: Fortunato Iozzelli, La parabole du bon Samaritain (Luc 10, 25–37) chez Pierre de Jean Olivi, in: Catherine König-Pralong / Olivier Ribordy / Tiziana Suarez Nani (Hrsgg.), Pierre de Jean Olivi, philosophe et théologien, Berlin 2010, S. 87–112, hier: S. 88 f.; Robert J. Karris (Hrsg.), Peter of John Olivi. Commentary on the Gospel of Mark, St. Bonaventure 2011, S. 8–11.

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vanz jener Texte und in ihnen entwickelter Ideen zu beobachten. Der Schwerpunkt des Interesses liegt freilich nach wie vor auf der berüchtigten Olivi’schen Apokalypsenpostille, die ein zentrales Element der Häresien der provenzalischen Spiritualen sowie – in frühen vernakularsprachlichen Übersetzungen – der mediterranen Beginen-Bewegung war11 und trotz ihrer endgültigen Verdammung durch Johannes XXII. im Jahre 1326 unter heterodoxen Gruppierungen in Umlauf blieb.12 Eine umfassende monographische Untersuchung existiert daneben ausschließlich zum Matthäus-Kommentar, der ebenfalls Gegenstand päpstlicher Verurteilung war.13 Indes wurden die übrigen exegetischen Arbeiten Olivis bislang allein in Hinblick auf einzelne thematische und formale Aspekte oder allenfalls in stark gerafften Überblicken sowie in größeren Kontexten als Vergleichs- und Belegmaterial ausgewertet. Unter die besonders wenig beachteten Werke fällt dabei, in eindrücklicher Weise die verhältnismäßig niedrige Zuneigung zur Apostelgeschichte in der Theologie des Mittelalters widerspiegelnd, seine Lectura super Actus Apostolorum.14 11

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Sich von Narbonne aus insbesondere über das Languedoc und in Katalonien verbreitend, verehrte die apokalyptische Sekte der Beginen Olivi nach seinem Tod als Heiligen. Was ihnen von seiner Doktrin aus Schriften und durch mündliche Tradition bekannt war, galt ihnen als Glaubensbekenntnis. S. dazu vor allem die Aufzeichnungen in der Practica Inquisitionis heretice pravitatis des Inquisitors Bernhard Gui: Manuel de l’Inquisiteur, ed. Guillaume Mollat, 2 Bde, Paris 1926/27, bes. Bd. 1, S. 110–112. Die Bewegung, die Männer und Frauen einschloss, ist nicht zu verwechseln mit den zunächst weiter nördlich auftretenden semireligiosen Beginengemeinschaften, mit denen sie allein den Namen teilt. Aus der mittlerweile sehr reichen Literatur s. nur die profunde neuere Darstellung Louisa A. Burnham, So Great a Light, so Great a Smoke. The Beguin Heretics of Languedoc, Ithaca 2008. Zu denken ist etwa an den Einfluss auf die Apokalypsenauslegung des Täufers Melchior Hoffmann († um 1543). Dazu: Packull, Reinterpretation. Literatur zu Olivis Lectura super Apocalipsim s. unten, S. 115, Anm. 214. Kevin Madigan, Olivi and the Interpretation of Matthew in the High Middle Ages, Notre Dame 2003, zur Verurteilung S. 129–140. Dass der Text einmal existiert haben musste, wusste zwar schon Ehrle, aber erst Anfang der 1930er Jahre identifizierte V. Doucet die ersten Manuskripte: Victorin Doucet, De operibus manuscriptis Fr. Petri Ioannis Olivi in Bibliotheca Universitatis Patavinae asservatis, in: AFH 28 (1935), S. 156–197, 408–442, hier: S. 162. – Neben der Einleitung und den erschließenden Registern, darunter knappe Inhaltsangaben zu jedem Kapitel, die Flood seiner Edition beigibt, lieferte ders. außerdem englische Übersetzungen von Olivis Kommentar zu Apg 1,14 und, gemeinsam mit Robert Karris, zu den Sammelberichten: David Flood (Bearb.), Peter Olivi on Prayer, in: The Cord. A Franciscan Spiritual Review 48,1 (1998), S. 3–6; Robert J. Karris / David Flood (Bearbb.), Peter Olivi on the Early Christian Community (Acts 2:42–47 and 4:32– 35): The Christian Way with Temporalities, in: Franciscan Studies 65, S. 251–280. Die erste und bislang einzige nähere Untersuchung von Olivis exegetischen Ausführungen zum Urchristentum bietet in einem gleichwohl recht knappen Aufsatz Peter Garnsey, Peter Olivi on the Community of the First Christians at Jerusalem, in: Radical Christian Voices & Practice. Essays in Honour of Christopher Rowland, Oxford 2012, S. 35–49. Daneben sind Anzeichen einer Zurkenntnisnahme des Textes selten. Lambertini zieht, neben anderen Texten, Olivis Ausführungen über Apg 4 heran, um seine Position zur Frage nach der Möglichkeit eines simplex usus facti zu klären: Roberto Lambertini, La difesa dell’ordine francescano difronte alle critiche dei secolari in Olivi, in: Boureau/Piron (Hrsgg.), Pierre de Jean Olivi, S. 193–206. Auszüge aus den Kommentaren zu beiden Summarien berücksichtigt als Vergleichsmaterial Giacomo Todeschini, Le „bien commun“ de la civitas christiana dans la tradition textuelle franciscaine (XIIIe–

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1.2 Lectura super Actus Apostolorum Dass die dünne Literaturlage keineswegs Olivis eigene Wertschätzung der zweiten Hälfte des lukanischen Doppelwerks reflektiert, lässt schon der bloße Umfang seiner Auslegung erkennen. Zwischen 63 und 200 Folioblättern umfassen die vollständigen Textzeugen in Florenz, Padua und Leipzig,15 435 Seiten füllt die moderne Edition. Davon entfallen etwa 21 auf die beiden Gemeindesummarien in den Kapiteln zwei und vier, weitere fünf auf die inhaltlich eng mit ihnen verknüpfte Episode zu Ananias und Saphira. Petrus Olivi lässt den biblischen Berichten über das Jerusalemer Urchristentum somit schon rein quantitativ höhere exegetische Aufmerksamkeit angedeihen als irgendein anderer christlich-lateinischer Autor des Mittelalters. Der äußere Aufbau und die generelle Anlage des Kommentars stimmen weitgehend mit dem Großteil seiner anderen bibelkundlichen Werke sowie den Gepflogenheiten des 13. Jahrhunderts überein.16 Nach einem Prolog, in dem er eine minutiöse Gliederung der Apostelgeschichte vornimmt und sie als historische und mystische Beschreibung des Ursprungs und Entwicklungsganges der ecclesia primitiva ausweist,17 widmet der Lektor jedem Kapitel des biblischen Buches ein Kapitel seines Kommentars. Dabei arbeitet er sich Vers für Vers und Wort für Wort an dem auszulegenden Text entlang, konzentriert sich zunächst fast immer auf den sensus litteralis, um dann vielfach und insbesondere im Rahmen eingefügter spekulativer Quästionen zusätzlich einen moralischen bzw. tropologischen Sinn zu erörtern.18 Zur Unterstützung seiner Deutungen und Argumentationslinien hält er sich in erster Linie an die Glossa Ordinaria, der er besonders häufig Zitate aus

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XVe siècle), in: Henri Bresc / Georges Dagher / Christiane Veauvy (Hrsgg.), Politique et Religion en Méditerranée. Moyen Âge et époque contemporaine, Saint-Denis 2008, S. 255–303, hier: S. 284–286. Olivis Auslegung von Apg 19,19 kennt Werner, Irrtum, S. 144–232. Stegmüller, RB, Nr. 6715. – Florenz, Biblioteca Marucelliana, Cod. 276, fol. 1r–87r; Leipzig, Universitätsbibliothek, Cod. 162, fol. 1r–63v; Padua, Universitätsbibliothek, Cod. 1510, fol. 1r–201r; unvollständige Abschriften außerdem in Bologna, Universitätsbibliothek, Cod. 2799, fol. 83r–89r (enthält lediglich einen Teil von Kap. 1); Neapel, Nationalbibliothek, VII AA 45, fol. 1r–138r (enthält den Text bis inkl. Kap. 17). Exzerpte aus Kap. 17 und 21 verfertigte außerdem Bernhardin von Siena. Sie finden sich in Siena, Biblioteca communale, Cod. U.V.5, fol. 58v–59r). Vgl. zum Ganzen: Flood, Peter of John Olivi on the Acts of the Apostles, S. XIII–XV. Vgl. so schon Ehrle, Petrus Johannis Olivi, S. 481, über Olivis exegetisches Schaffen i. A. Ähnlich über den Matthäuskommentar Madigan, Olivi and the Interpretation of Matthew, S. 73 f. […] historica simul mystica libri Actuum, qui utique seriose tradit exitum et processum Ecclesiae primitivae […]. LSAA, S. 3. Dazu wie zur Struktur des Textes s. Flood, Peter of John Olivi on the Acts of the Apostles, S. 462 f. Eine Liste der Quaestiones disputatae: Flood, Peter of John Olivi on the Acts of the Apostles, S. 493–495.

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den Acta-Kommentaren Bedas19 und Hrabanus’20, aber auch die anonymen Interlinearglossen entnimmt, weniger regelmäßig an Petrus Comestor.21 Was Beda und Hrabanus Maurus betrifft, scheint er über die Auszüge der Glossa hinaus aber auch vollständige Exemplare zur Hand gehabt zu haben. Diesen Eindruck jedenfalls erwecken diverse Allegationen und Zitationen, die in den geläufigen Druckausgaben der Ordinarglosse nicht enthalten sind. Ganz dem scholastischen Usus entsprechen zudem die reichlichen Bezugnahmen auf apostolische und patristische sowie sonstige kanonische Literatur, darunter etwa Augustinus, Hieronymus, Ambrosius, Origines und Johannes Cassianus.22 Für das Verständnis des Olivi’schen Bildes von der frühen Christenheit besonders interessant sind fraglos solche Stellen, an denen er den traditionellen Autoritäten bewusst und dezidiert widerspricht. Die Tatsache, dass dies nicht selten der Fall ist, dürfte zu den Merkmalen gehören, die Flood urteilen lassen: „Finally, the commentary unfolds serenely and surely as would the commentary of a mature master.“23 Unter anderem aufgrund dessen geht der Editor denn auch von einem späten Standort der Schrift in der Chronologie von Olivis Schaffen aus, findet jedoch zu keiner konkreteren zeitlichen Einordnung. In der Tat scheint eine exakte Datierung des Textes auf Grundlage des derzeitigen Wissensstandes kaum möglich zu sein. Als Terminus post quem kann jedoch mit einiger Sicherheit das Jahr 1287 angesetzt werden. Dies ergibt sich aus zwei ineinandergreifenden Befunden. Nachdem der Verfasser seit Mitte der 1270er Jahre als Lesemeister in südfranzösischen Ordenshäusern, wahrscheinlich sowohl in Narbonne als auch in Montpellier, beschäftigt gewesen war,24 wurde er um 1279 auf Betreiben eines namentlich nicht bekannten anderen franziskanischen Lektors in langwierige und verhängnisvolle Auseinandersetzungen über einige seiner Lehrsätze verwickelt, was schließlich 1283 zu seiner Zensur und zur Enthebung von seiner Lehrposition führte.25 Erst auf dem Generalkapitel in Montpellier 1287 kam die Kontroverse, die nicht zuletzt um Olivis Konzept der franziskanischen Armut, den usus pauper, kreiste, zu einem für den Angeklagten positiven Ende.26 Der Generalminister Matthäus von Aquasparta schickte ihn daraufhin als Lehrer an den 19

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Beda ist Verfasser dreier Schriften zur Apostelgeschichte, einer Expositio, einer Retractio und eines toponomastischen Lexikons (Nomina regionum atque locorum de Actibus Apostolorum). Ed. M. L. W. Laistner, Bedae Venerabilis Opera. Pars II: Opera Exegetica, 4: Expositio Actuum Apostolorum, Retractio in Actus Apostolorum, Nomina Regionum atque Locorum de Actibus Apostolorum, In Epistolas VII Catholicas (= CCSL, 121), Turnhout 1983. Der Tractatus super Actus des Hrabanus Maurus ist bislang unediert. Stellenangaben im Folgenden beziehen sich auf die Handschrift Cambridge, Universitätsbibliothek, Cod. Ee III 51. Petrus Comestor, Historia Scholastica, in: Migne, PL 198, Sp. 1049–1721, zur Apostelgeschichte, Sp. 1645–1721. Zu Olivis Quellen: Flood, Peter of John Olivi on the Acts of the Apostles, S. VIII–XII. Ebd., S. VIII. Vgl. Burr, Olivi and Franciscan Poverty, S. 38 m. Anm 2, S. 51. Vgl. Burr, Spiritual Franciscans, S. 51. Vgl. ebd. Gegen die ältere Forschungsmeinung stellt Burr heraus, dass es keine Anhaltspunkte für die Annahme gibt, die Armutsfrage sei der eigentliche Stein des Anstoßes für Olivis Zensur gewesen, die anderen verhandelten Punkte hätten dementsprechend nur ein Alibi für die Verurteilung gebildet.

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Konvent Santa Croce in Florenz.27 Auf die erfahrenen Anfeindungen nimmt Olivi in Kapitel 21 seiner Lectura super Actus Apostolorum Bezug.28 Bei dieser Gelegenheit wiederholt er nicht nur in aller Knappheit affirmativ die Kernhypothese seiner Theorie vom ‚armen Gebrauch‘, er spricht auch von den detractoribus, die ihn zu Unrecht und mithilfe von Lügen in Verruf brächten. Die Argumentation ähnelt dabei stark seinem ersten Verteidigungsschreiben aus dem Jahr 1283 (Responsio I), gerichtet an die Pariser Theologenkommission, die nach Prüfung seiner Lehre 19 darin enthaltene Punkte verurteilt hatte.29 Ein weiteres apologetisches Argument aus ebendiesem Schreiben verortet die Entstehung der LSAA in der Phase nach Olivis Rehabilitation. So betont er nämlich mehrfach, dass er im Unterricht – gerade auch in Bezug auf den usus pauper – stets die allgemeinen Auffassungen vertreten habe, selbst wenn er persönlich anderer Meinung gewesen sei,30 und vieles deutet darauf hin, dass es sich dabei nicht allein um ein Lippenbekenntnis handelt.31 Wenn aber außerdem, wovon mit großer Gewissheit ausgegangen werden darf, die LSAA als Vorlesungsskript anzusehen ist,32 dann dürfte dasselbe kaum vor der offiziellen Einstellung des Verfahrens gegen den Vertreter des usus pauper und die damit implizierte Anerkennung seiner Doktrin zum Einsatz gekommen sein. Erst ab diesem Zeitpunkt konnte jene mit Recht als communis opinio gehandelt werden, erst dann konnte der Exkurs in Kapitel 21 der LSAA mit der Erklärung aus der Responsio I harmonieren. Aber auch ganz unabhängig davon, ob man letzterer Glauben schenken will, darf angenommen werden, dass sich der Beklagte, falls er seine Lehrtätigkeit in den Jahren 1283 bis 1287 überhaupt in irgendeiner Form fortsetzen konnte,33 27 28 29

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Näheres zu Bedeutung und Materie der usus pauper-Kontroverse sowie Lit.-Hinweise unten, S. 90–93. LSAA, S. 387. Vgl. dazu auch unten, S. 91, Anm. 125. Responsio I, ed. P. Damasus Laberge, Fr. Petri Ioannis Olivi, O. F. M. Tria scripta sui ipsius apologetica annorum 1283 et 1285, in: AFH 28 (1935), S. 115–155, 374–407 und 29 (1936), S. 98– 141, 365–395 hier: 28, S. 126–130. Sumendo autem li extremam pro medio […] summendo extremum non secundum quod dicit virtutis non in puncto indivisibili, sed in virtutis medium secundum rationis condecentem latitudine debita, et convenienti statui et latitudinem moderatum vel rationis concedentem officiis, sic dixi quod includitur in voto moderantiam dilatatum, sed potius prout dicit evangelicae paupertatis. extremum secundum realem quantitatem. Responsio I, ed. Laberge, S. 129. LSAA, S. 387. Semper tamen in scholis tenebam et docebam communem opinionem […]. Responsio I, ed. Laberge, S. 128. Istud etiam quamvis scripserim, in scholis tamen non dixi […]. Ebd., S. 129. De hoc nihil assertive quod sciam dixi, licet inter multas opiniones aliquid de hoc recitaverim […] quamvis communem opinionem in scholis semper tenuerim. Ebd., S. 130. Vgl. David Burr, Petrus Ioannis Olivi and the Philosophers, in: Franciscan Studies 31 (1971), S. 41–71, hier: S. 47. Die überlieferten mittelalterlichen Exegesen im engeren Sinne gehen im Grunde allesamt auf Unterrichtsvorlagen oder -mitschriften zurück. Vgl. dazu Smalley, Study, passim. Vgl. auch Flood, Peter of John Olivi on the Acts of the Apostles, S. VIIf. Direkte Zeugnisse, die diese Frage klären würden, scheinen nicht zu existieren. Da er aber offiziell unter dem Verdacht der Heterodoxie stand, seine Zensur in den Konventen weithin verkündet und seine Schriften allenthalben eingezogen worden waren, ist eine Fortführung des Lehramtes schwerlich denkbar. Auch hatte man Olivi 1283 nicht nur seine eigenen Schriften, sondern offenbar jegliches Studienmaterial entzogen. Jedenfalls nennt er sich in der Epistola ad

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zumindest während dieser Zeit in den Schulen mit kontroversen Äußerungen in größter Zurückhaltung übte. Denn offensichtlich waren Ursprung der gegen ihn erhobenen Anschuldigungen doch Zweifel an der Orthodoxie seiner Lehre. Angenommen, die Vorwürfe waren berechtigt, hätte er also weiterhin mit Belastungen durch seine Schüler rechnen müssen. In Hinblick auf seine Glaubwürdigkeit wie auf seine weitere Karriere wäre er jedoch gewiss in höchstem Maße bemüht gewesen, dergleichen unter allen Umständen zu vermeiden. Ob der Entlastete schon in seinen beiden Florentiner Jahren die Auslegung der Apostelgeschichte anging, wofür sich manches Indiz beibringen ließe,34 oder aber erst später, nachdem er 1289 wieder in seine Heimatprovinz zurückgekehrt war, ist nicht sicher zu bestimmen. Mit Blick auf die Geschichtstheologie der LSAA scheint jedoch eine spätere Abfassung naheliegend. So findet sich, wie die folgende Untersuchung zeigen wird,35 das Depravationsmodell der Lectura super Apocalipsim, des 1297 oder 1298 abgeschlossenen Alterswerks des Franziskanerbruders,36 hier schon voll ausgebildet. Zudem scheint der Verfasser die Exegese der Acta apostolorum und vornehmlich der Gemeindeberichte zur abgeklärten Rekapitulation und Bekräftigung seines Entwurfs der perfectio evangelica zu nutzen, den er als wohlbekanntes und klar umrissenes System behandelt. Auf diese Weise wird die LSAA, ein auf den Zeitraum 1287 bis 1298 zu veranschlagendes Spätwerk Olivis, gewissermaßen zum ideellen Bindeglied zwischen altissima paupertas und Apokalyptik, dem Ausgangspunkt und dem Ziel seiner gesamten Geschichtstheologie. 2. PERFECTIO EVANGELICA – EINE PARADIGMATISCHE LEITLINIE Franziskanische Theologie ist stets zuerst eine Theologie des Evangeliums. In Anschluss an die Anliegen des heiligen Franziskus wies Bonaventura von Bagnoregio, der große Gelehrte an der Universität Paris, den Theologen seines Ordens den Weg einer ‚Rückkehr zum Evangelium‘.37 Den diskutablen und variablen Wertekanon, der aus dem Leben und der Predigt Christi gewonnen wurde, fassten die franziskanischen Autoren etwa seit Mitte des 13. Jahrhunderts mit Vorliebe in den Begriff

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R. selbst omnibus denudatus, etiam scriptitationibus meis. Vgl. Burr, Persecution, S. 41–44, 67 f., Ehrle, Petrus Johannis Olivi, S. 426. Dafür sprächen die Kenntnis und der Gebrauch des Textes bei Bernhardin von Siena. Offensichtlich nutzte dieser die Bibliothek von Santa Croce für den Zugriff auf Olivis Werke. Vgl. dazu Franco Mormando, Signs of the Apocalypse in Late Medieval Italy. The Popular Preaching of Bernardino of Siena, in: Medievalia et Humanistica, NS 24 (1997), S. 95–122, hier: S. 96 mit Anm. 10, S. 111. Ob man dort aber Ende des 13., Anfang des 14. Jahrhunderts über eine Abschrift der LSAA verfügt hätte, wenn sie nicht vor Ort entstanden wäre, ist zumindest fraglich. Vgl. bes. Kap. III, 5.3. Zum Datum: Burr, Olivi’s Peaceable Kingdom, S. 63. S. dazu Werner Dettloff, Die Rückkehr zum Evangelium in der Theologie. Franziskanische Grundanliegen bei Bonaventura, in: Wissenschaft und Weisheit 38 (1975), S. 26–40. Zur Theologie Bonaventuras i. A. s. dens., Die franziskanische Theologie des hl. Bonaventura, in: Miscellanea Francescana 75 (1975), S. 495–512.

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der perfectio evangelica.38 Um dieses Denkmodell, mit dem zumindest implizit immer auch ein auf die Zukunft gerichteter Wunsch nach sozialer Vervollkommnung einhergeht,39 kreist die gesamte moraltheologische Doktrin des Bonaventuraschülers Petrus Iohannis Olivi. Zweifelsohne liest dieser die Heilige Schrift und somit auch die Berichte über die urchristliche Gemeinschaft in erster Linie mit den Augen eines enthusiastischen Franziskaners.40 Als solcher leitet sich seine Ethik ganz und gar von den Maximen des Evangeliums her und ist wiederum völlig auf deren Erfüllung ausgerichtet.41 Deutlichsten Niederschlag findet dies in seinen Quaestiones de perfectione evangelica (QQPE), einem Korpus von 17 zum Teil sehr umfangreichen Quästionen, gerichtet auf eine vollständige systematische Ergründung des mendikantischen Ideals und, dem Anspruch nach weit darüber hinaus reichend, des optimalen christlichen Lebens.42 Bereits seine beiden Pariser Lehrer Bonaventura und der spätere Erzbischof von Canterbury Johannes Peckham († 1292)43 hatten sich im Rahmen des sogenannten Mendikantenstreits zwischen Weltgeistlichen und Angehörigen der Bettelorden des Themas angenommen, und ebenso taten es Thomas von Aquin (um 1225–1274) und späterhin Ubertino von Casale (1259–um 1330).44 Keiner von ihnen dachte es allerdings mit solcher Beharrlichkeit zu Ende und erhob es mit derselben Stetigkeit zum theologischen Leitbild wie Olivi. So nimmt es nicht wunder, dass dieser seine eigene Semantik jenes großen Schlüsselbegriffs vielfach auch in der Bibelexegese zur Anwendung bringt, zumal zur Erörterung von Schriftstellen, denen in seiner Lesart ein starker tropologisch-mo38

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Zur Begriffsgeschichte im Franziskanertum bis hinauf zur um 1284 entstandenen Chronik des Salimbene von Parma, allerdings ohne Berücksichtigung Olivis: Duane V. Lapsanski, Perfectio evangelica. Eine begriffsgeschichtliche Untersuchung im frühfranziskanischen Schrifttum, München/Paderborn/Wien 1974. Insbesondere zur Bedeutung der vita apostolica – durchaus auch ganz konkret im Sinne der lukanischen Gemeindesummarien – innerhalb jenes Konzeptes ebd., S. 1–8 und passim. Vgl. dazu Flood, Petrus Johannis Olivi, S. 140 f. Vgl. übereinstimmend Karris/Flood, Peter Olivi, S. 254, Garnsey, Peter Olivi, S. 37. Vgl. Dettloff, Rückkehr, S. 30. Eine substantielle Musterung der Quaestiones bei David Burr (Hrsg.), Petrus Ioannis Olivi: De Usu Paupere. The Quaestio and the Tractatus, Florenz 1992, S. XVIII–XXXIV, Flood, Peter Olivi’s Rule Commentary, S. 76–92 sowie Ehrle, Petrus Johannis Olivi, S. 497–533. Zu ihm: Decima L. Douie, Archbishop Pecham, Oxford 1952. Bonaventura, De perfectione evangelica, in: Opera Omnia 5, Ad Claras Aquas (Quaracchi) 1891, S. 117–198; Johannes Peckham, Tractatus pauperis contra insipientem, teiled. in: Anastasio van den Wyngaert (Hrsg.), Tractatus pauperis a fratre Johanne de Pecham […] (= Éditions de la France franciscaine, 1), Paris 1925 (Kap. 1–6), Ferdinand Marie Delorme (Hrsg.), Trois chapitres de Jean Peckham pour la défense des ordres mendiants, in: Studi francescani 29 (1932), S. 54–62, 164–193 (Kap. 7–9), ders. (Hrsg.), Quatre chapitres inédits de Jean de Pecham, O. F. M., in: Collectanea franciscana 14 (1944), S. 84–120 (Kap. 11–14), ders. (Hrsg.), Richardi de Mediavilla Quaestio disputata de privilegio Martini IV., Quaracchi 1925, S. 79–88 (Kap. 15); Thomas von Aquin, De Perfectione Vitae Spiritualis, ed. Sancti Thomae Aquinatis Doctoris Angelici Opera Omnia 41b, Rom 1969; Ubertino von Casale, Tractatus de altissima paupertate […], ed. Gian Luca Potestà, Ubertini de Casali tractatus de altissima paupertate Christi et apostolorum et virorum apostolicorum, edizione critica, in: Oliviana 4/2012, URL: http://oliviana.revues.org/478.

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ralischer Sinn innezuwohnen schien.45 Auf wenige Passagen außerhalb der Evangelien aber konnte dies für ihn gleichermaßen zutreffen wie auf die Beschreibung des pfingstlichen Gemeindelebens. Von Beginn an verknüpft der Minoritentheologe daher, wie im Folgenden zu sehen sein wird, seine Auslegung desselben mit dem Ideal der evangelischen Vollkommenheit. Am Anfang seiner Interpretation von Apg 2 nimmt Olivi eine feinteilige Gliederung des Kapitels vor. Laut dieser bildeten die Verse Apg 2,42–46 den sechsten Teil desselben, in dem die Rede sei von der „vollkommenen Lebensführung (perfecta conversatio) der Bekehrten und deren sowie der Außenstehenden Furcht, hervorgerufen durch die Wunder der Apostel“. Vers Apg 2,47 betrachtet er als eigenständigen siebten Teil von Kapitel zwei, der die „stetige Vermehrung der Gläubigen bzw. die vervielfachte Bekehrung“ behandle.46 Diese Inhaltsangabe greift er, getreu den strukturellen Prinzipien seiner Arbeit, zu Beginn der Auslegung von Apg 2,42– 47 nur geringfügig paraphrasierend wieder auf und führt dabei umgehend auch das Substantiv der perfectio in seinen Kommentar ein.47 So bedeutsam der Terminus im Denken und Schreiben des Kommentators wie im Profil des Mendikantentums war, so sicher darf angenommen werden, dass er ihn keineswegs arbiträr gebrauchte. Diese Vermutung verfestigt sich, wenn er im Folgenden eine Reihe fundamentaler Elemente seines Entwurfs der perfectio evangelica auf die Urgemeinde überträgt und somit zur historischen Grundlage des Christentums erklärt. 2.1 Demütige Armut Drei Aspekte der Vollendung macht Olivi zunächst in Apg 2,42 aus. Alle drei deutet er als Ausprägungen von respectum – vor den Oberen, vor den Mitbrüdern, vor Gott.48 In schnellen Schritten voranschreitend, erläutert er deren jeweilige Bewandtnis für die Gemeinde. Punkt eins, die Gehorsamspflicht gegenüber den Oberen, hatte ihn bereits in den QQPE 11 und 14 intensiv beschäftigt.49 Während letztere speziell der Unterwürfigkeit unter die Entscheidungen des Papstes in Be45 46 47 48

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Zum ‚vierfachen Schriftsinn‘ als Grundschema scholastischer Exegese s. umfassend Lubac, Exégèse médiévale und knapp Ekkehard Mühlenberg, Art. „Schriftauslegung III“, in: TRE 30 (1999), S. 472–488, hier: S. 479 f. Sexto, conversorum perfecta conversatio et tam ipsorum quam exterorum per apostolica signa timoratio, ibi (2, 42): Erant autem omnes preservantes. Septimo, fidelium continua augmentatio seu multiplicior conversio, ibi (2, 47): Dominus autem augebat. LSAA, S. 55. Primo autem ostenditur eorum perfectio quoad tria. Ebd., S. 88. Primum est per respectum ad suos superiores, scilicet quoad debitam informationem ab eis suscipiendam. Unde dicit quod omnes erant preseverantes in doctrina apostolorum, in doctrina scilicet fidei et morum. Secundum est per respectum ad confratres, scilicet communis ad invicem convictus et caritas. Unde subdit: Et communicatione fractionis panis […]. Tertium est per respectum ad Deum, scilicet assiduitas orationum. Unde subdit: Et orationibus. Ebd. QPE 11 (An vovere alteri homini obedientiam in omnibus, que non sunt contraria anime et evangelice regule seu perfectioni sit perfectionis evangelicae) ed. David Flood / Gedeon Gál, Peter of John Olivi on the Bible. Principia quinque in Sacram Scripturam, Postilla in Isaiam et in I ad Corinthios, Appendix: Quaestio de Oboedientia et Sermones duo de S. Francisco, St. Bonaventure 1997, S. 373–406; QPE 14 (An papa possit in omni voto dispensare et specialiter

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treff eines Dispenses vom Armutsgelübde gewidmet ist und sich daher kaum mit der Exegese von Apg 2,42 assoziieren lässt, behandelt QPE 11 das Gelübde der Obödienz konkret mit Blick auf die Verfassung des Minoritenordens.50 Der Autor kommt dort zu dem Ergebnis, dass das Gehorsamsgelöbnis ein substanzieller Wesenszug der evangelischen Vollkommenheit und ebenso einer der vordersten Räte Christi sei, weshalb er seine Einhaltung zu den höchsten Pflichten zählt.51 Ganz offenkundig vergleicht er in diesem Kontext die Apostelgemeinschaft mit derjenigen der Minderbrüder. Der Gehorsamsschwur der Pfingstzeit, als der Heilige Geist vollste Freude über die Bekenner ausgegossen habe, müsse Vorbild für letztere sein, um die ihnen gebotene bedingungslose Vertrautheit untereinander zu bewahren.52 Respectum gegenüber den Oberen gilt ihm mithin als Voraussetzung für das makellose brüderliche Gemeinschaftsleben, in der Urgemeinde ebenso wie unter den fratres minores. Ans Ende der QPE 11 stellt Olivi eine Nebenfrage über die Hierarchie der drei evangelischen Räte – Gehorsam, Keuschheit, Armut. Diese gehört in den größeren Zusammenhang einer Meinungsverschiedenheit mit dem heiligen Thomas. Der Aquinate sah den Gehorsam an erster Stelle der Trias und räumte der Armut den geringsten Platz ein. Er argumentierte, dass durch höchste Armut allein keinerlei Vorrangstellung vor anderen Gemeinschaften zu gewinnen sei, wenn nicht zuerst Gehorsam und Keuschheit mit größter Anstrengung eingehalten würden.53 Olivi

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an in votis evangelicis) ed. Marco Bartoli, Petri Iohannis Olivi. Quaestiones de Romano Pontifice (= Collectio Oliviana, 4), Grottaferrata 2002, S. 121–170. Kapitel zehn der Regula bullata verlangt von den Brüdern, ut obediant suis ministris in omnibus quae promiserunt Domino observare et non sunt contraria animae et regulae nostrae. Ed. Esser/Grau, S. 370. – Zur Bedeutung des Gehorsams im Franziskanertum s. Krijn Pansters, Franciscan Obedience. Fraternity and Virtue in Thirteenth-Century Literature and Instruction, in: Studies in Spirituality 22 (2012), S. 149–174; Kajetan Esser, Gehorsam und Autorität in der frühfranziskanischen Gemeinschaft, in: Wissenschaft und Weisheit 34 (1971), S. 1–18. Zum Gehorsamsideal in den regulierten Gemeinschaften des Mittelalters allgemein s. den Band Sébastien Barret / Gert Melville (Hrsgg.), Oboedientia. Zu Formen und Grenzen von Macht und Unterordnung im mittelalterlichen Religiosentum (= Vita regularis, Abhandlungen 27), Münster 2005. Eine überzeugende Analyse des Gehorsamsbegriffs in Olivis QQPE 11 und 14 bei Schmucki, Selbstbesitz, S. 168–175. […] vovere praedictam oboedientiam est de substantia perfectionis evangelicae tamquam unum de principalibus consiliis Christi. […] Sicut enim apostoli tenebantur oboedire Christo et post mortem eius Petro, sic omnes Minores uni generali ministro. Et ideo in eorum regula praecipitur quod omnes sic se debeant familiariter habere ad invicem ac si omnes essent de eodem speciali collegio et conventu. Unde in hac sola potest in plenitudine effundi illa iucunditas spiritus effusi super professores huius oboedientiae in die Pentecostes […]. QPE 11, ed. Flood/Gál, S. 376 f. […] non intelligitur quod ipsa paupertas sit perfectio, sed perfectionis instrumentum: et […] minimum inter tria principalia instrumenta perfectionis; nam votum continentiae praeeminet voto paupertatis, et votum obedientiae praefertur utrique. […] Et si daretur quod excessus paupertatis faceret religionem perfectiorem secundum hoc quod est pauperior, non tamen faceret eam perfectiorem simpliciter. Posset enim esse quod alia religio excederet in his quae pertinent ad continentiam et obedientiam, et sic esset simpliciter perfectior […]. Thomas von Aquin, Summa theologica II–II 188, 7 ad 1, ed. Opera Omnia 10 (1899), S. 531 f. S. dazu Ulrich

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hingegen bestand auf dem Primat der Armut. So greift er in QPE 11 die These des Dominikaners auf und hält ihr unter anderem entgegen, dass die übrigen Tugenden in der Armut enthalten seien, da diese alles Weltliche, so auch Lust und Eigenwille, von sich weise.54 Entsprechend dieser Gewichtung schenkt er auch in der LSAA der zweiten Ausprägung von respectum, der gegenseitigen Rücksichtnahme unter den Mitbrüdern selbst, höchste Aufmerksamkeit. Diese nämlich erscheint ihm gänzlich im Nimbus eifriger Armutsausübung. In der Gemeinschaft des Brotbrechens erkennt der Acta-Exeget zunächst eine Allegorie für das gemeinschaftliche Leben und die Nächstenliebe. Der Gebrauch der Vokabel confratres55 kann als ein weiteres Indiz für die – hier noch latente – Identifikation von Urchristen und Minderbrüdern aufgefasst werden.56 Das Brot gilt Olivi als pars pro toto für die Bedürfnisse des täglichen Lebens, als das es in der Heiligen Schrift oftmals gebraucht würde.57 Indem sie das Brot brachen und untereinander verteilten, bewiesen die Brüder ihr Beharren auf der Gemeinschaft. Darüber hinaus verweise das Brechen des Brotes aber eben auch ganz wesentlich auf die demütige Armut der Gemeinde. Da ganze Laibe nicht immer zur Verfügung gestanden hätten, konnten oft nur Stücke verteilt und empfangen werden.58

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Horst, Bischöfe und Ordensleute. Cura principalis animarum und via perfectionis in der Ekklesiologie des hl. Thomas von Aquin, Berlin 1999, S. 158 f. De aliis vero duobus ausus est quidam scribere quod votum paupertatis est illorum trium minimum et infimum, et ita quod est minus quam votum castitas […]. Paupertas autem, abdicando a se universaliter omnia temporalia praeter usum teneum, satis fortius et universalius abdicat a se omnem delectationem sensualem et omne bonum sensibile quam castitas. Quinimmo […] paupertas haec includit in se abdicationem coniugis secundum quod coniux quasi quaedam possessio potest dici. Unde et Christus in consilio de paupertate derelictionem uxoris et viri inclusit, sicut ibidem fuit ostensum. […] Tanta enim est praeeminentia altissimae paupertatis quod sine ea non potest esse oboedientia in culmine suo. Non enim erit homo promptus ad eundum et habitandum ubique terrarum sine provisione victus et vestitus aut pecuniae sine ea. Haec etiam paupertas non potest haberi in suo calmine quin omnis amot propriae voluntatis omnisque possessionis et dominii sit a mente exclusus. Unde et in consilio de paupertate includit Christus derelictionem suae animae, suae scilicet propriae voluntatis. QPE 11, ed. Flood/ Gál, S. 403 f. – Zur selben Argumentationsweise in anderen Teilen der QQPE: Ludwig Hödl, Universale christliche Ethik und partikulares kirchliches Ethos im unterschiedlichen Verständnis der scholastischen Theologie von der „perfectio evangelica“, in: Paul Wilpert (Hrsg.), Universalismus und Partikularismus im Mittelalter (= Miscellanea mediaevalia, 5), Berlin 1968, S. 20–41, bes. S. 36 ff. S. oben, S. 72, Anm. 48. Beim Mönch Beda etwa finden sich in der Exegese der Sammelberichte die Vokabeln fratres oder confratres als Bezeichnungen für die Urchristen kein einziges Mal. Lediglich auf die brüderliche Liebe – eine Begrifflichkeit, die dem Ordensleben nicht enger verbunden ist als dem Christentum insgesamt – verweist er bei zwei Gelegenheiten. S. Beda, Expositio, ed. Laistner, S. 23, 27. Vgl. etwa Gen 3,19: In sudore vultus tui vesceris pane donec revertaris in terram de qua sumptus es […]. Unde subdit: Et communicatione fractionis panis, id est perseverabant in communi et cotidiana distributione necessariorum unicuique eorum. Per panem enim quaeque necessaria corporali victui in Scripturis saepius designantur. Fractio vero stat hic pro distributione, et nihilominus significat humilem paupertatem eorum qua non semper panes integros, sed etiam eorum fragmenta distribuebant et recipiebant. LSAA, S. 88.

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Weder Glossa Ordinaria noch die sonstigen Kommentartexte, die Olivi zu seiner Arbeit heranzog, stellen in vergleichbarer Weise eine Verbindung zwischen dem Brotbrechen und der humiles paupertas her. Als Kernproblem der Stelle sah schon das Mittelalter vielmehr die Frage, ob das Brotbrechen als Bereiten einer profanen Mahlzeit oder aber als Eucharistiefeier zu verstehen sei.59 Dies handelt der Franziskaner zunächst ganz beiläufig mit einem Verweis auf die Glossa interlinearis ab, wo zu lesen sei, dass beide Deutungen möglich sind.60 Etwas später, im Kommentar zu Apg 2,46 (et frangentes circa domos panem), erteilt er dieser Behauptung aber schließlich eine klare Absage. So wiederholt er dort zwar zunächst sein Verständnis des Brotbrechens als gemeinschaftliche Sorge um die täglichen Bedürfnisse aller Gemeindemitglieder, bietet dann als zweite mögliche Lesart aber den Literalsinn des Brotverzehrs am Tisch an, um abschließend entschieden zu konstatieren: „Und demnach bedeutet mit Brechen des Brotes hier und oben den Akt der Mahlzeit samt diesem verbundenen Tätigkeiten.“61 Mit großem Nachdruck legt Olivi den Schwerpunkt der Auslegung von Apg 2,42 also auf die vollkommene gegenseitige Rücksichtnahme in einträchtiger Armut. Letztere – darüber zumindest muss in der Olivi-Forschung kein Beweis mehr geführt werden – ist tragende Säule seines Denkens.62 Unter frappierender Überbetonung eines wenig stichhaltigen sensus spiritualis bewerkstelligt er es, sie auch zum Startpunkt seiner Interpretation der lukanischen Summarien zu machen. Als konstant höchstes Leitmotiv soll sie seiner Auseinandersetzung mit der Geschichte des Urchristentums den Rahmen geben. Geradezu bildhaft bestätigt findet sich dies an deren Endpunkt, den abschließenden Zeilen zum zweiten Sammelbericht, wo er den Singular in cum haberet agrum, vendidit (Apg 4,37) damit erklärt, dass die Gläubigen nicht besonders reich gewesen seien, und – an einen schon zuvor artikulierten Gedanken anknüpfend – hinzufügt, das durch den Verkauf eingenommene Geld habe für die große Gemeinde nur kurze Zeit hingereicht.63 59 60

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Auch in der modernen historisch-kritischen Theologie wird diese Frage diskutiert. S. etwa Richard I. Pervo, Acts. A Commentary, Minneapolis 2009, S. 93 mit Anm. 37. Glossa tamen interlinearis dicit quod hoc potest intelligi de pane communi seu usuali sive de sancto seu sacramentali, scilicet Eucharistiae. Ebd. Vgl. Glossa interlinearis ad loc.: sive communis sive sancti; gleichlautend im bedeutendsten Kommentar zur gesamten Heiligen Schrift aus dem 13. Jahrhundert, namentlich der Postille des Dominikaners Hugo von St. Cher (um 1190–1263), die im Folgenden neben der Glossa Ordinaria als Vergleichstext dienen soll, um über die Orthodoxie gewisser Olivi’scher Interpretationen zu urteilen: Hugo von St. Cher, Opera Omnia in Universum Vetus et Novum Testamentum, Bd. 7, Venedig 1703, fol. 282v. Et frangentes, id est distribuentes panem, id est necessaria circa domos, id est unicuique domui seu familiae discipulorum. Vel per hoc intendit quod in domibus in quibus manebant, frangebant et edebant in mensis suis panem. Et tunc per fractionem panis hic et supra intelligitur actus comestionis cum actibus sibi connexis. LSAA., S. 89. Vgl. nur Johannes Schlageter, Das Heil der Armen und das Verderben der Reichen. Petrus Johannis Olivi OFM. Die Frage nach der höchsten Armut (= Franziskanische Forschungen, 34), Werl 1989, S. 17: „Aber bisher ist unbestritten, daß Olivis Stellungnahme in der Armutsfrage sein Leben und seine Arbeit in eine bestimmte Richtung drängt, die er bis zum Ende seines Lebens beibehält.“ Vel patet quod isti non fuerant multum divites. Quod dico propter id quod supra dixi [sc., LSAA, S. 130], pecunias ex his habitas cito fuisse expensas pro multitudine tanta. LSAA., S. 137.

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2.2 (Ehr)Furcht und Läuterung Bevor er erstmals das Tempo drosselt, um anhand der Verse Apg 2,44–46, die nicht allein quantitativ den Mittelpunkt seiner Exegese des ersten Sammelberichtes bilden, zentrale Probleme des ‚Kommunismus‘ der Urgemeinde zu erörtern, nutzt der Franziskaner Apg 2,43–44 zur Präfiguration eines zweiten leitenden Lektüreprinzips. Weiterhin bewegt er sich dabei in den von seinem Modell der perfectio evangelica vorgezeichneten Bahnen. In den Fokus rückt nun die Frage nach der bindenden Kraft und integrativen Energie der Gemeindestrukturen. Übereinstimmend mit der üblichen glossatorischen Deutung versteht Olivi unter den omni animae, die in Apg 2,43 mit großer Furcht beladen werden, diejenigen der Außenstehenden, also der nicht oder noch nicht zum neuen Glauben Bekehrten.64 Stärker als die Glossa rubriziert er diese Furcht nun aber durch das Verb revereri auch als Ehrfurcht der Ungläubigen vor den Christen und dem Gott in ihnen.65 Die Geisterfülltheit wird durch die Heiligkeit und Spiritualität der Gläubigen auch für die Außenstehenden spürbar, und, obgleich sie sich nicht zur Lehre Christi bekannt haben, werden diese durch die auratische Kraft der Gemeinde und die von den Aposteln gewirkten Wunder nicht nur in Angst, sondern auch in ehrfürchtiges Erstaunen versetzt.66 In aller Deutlichkeit kommt dies noch einmal zum Ausdruck, wenn bei der späteren Befassung mit Apg 2,47a in Rückschau auf Apg 2,43 die Rede ist von divino timore, die alle empfunden hätten, da es „vor aller Augen oder im Augenschein des gesamten Volkes sich deutlich zeigte, dass sie [sc., die Gläubigen] voll der Gnade Gottes waren.“67 Demnach scheint die bindende und assimilatorische Wirkung des Heiligen Geistes und, so kann mit einem Blick voraus hinzugefügt werden, die mit dieser verbundene materielle Gemeinschaft nach Petrus Olivi in gewisser Weise potentiell auch die (noch) Ungläubigen einzuschließen. Mit diesen Überlegungen im Hintergrund widmet der Kommentar sich schließlich dem Vers Apg 2,44. Eingangs erklärt der Autor, dass unter Bezug auf zwei der schon in Apg 2,42 genannten Aspekte, nämlich das gemeinschaftliche Leben und das beständige Beten, darin und in den folgenden Versen eine weitere Erklärung für die Perfektion gegeben würde. Dies nämlich sei die „expropriative und reinigende Gemeinschaft aller Dinge“, die überhaupt die Basis eines gemeinschaftlichen Le64 65

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Vgl. Glossa interlinearis ad loc.: exceptis credentibus; desgleichen Hugo von St. Cher ad loc. Vgl. Glossa interlinearis ad loc.: perfecta enim caritas foras mittit timorem; Hugo v. St. Cher: perfecta charitas mittit timorem. Timor könnte in Anbetracht der Tatsache, dass sie von der vollendeten Liebe ausgehen soll, durchaus auch hier als Ehrfurcht verstanden werden. Alles in allem bleibt die Formulierung jedenfalls aber bei weitem undeutlicher als Olivis. Secundo ostendit quomodo omnes exteri quamquam non crederent, timebant et reverebantur fideles et Deum in eis. Unde subdit: Fiebat autem omni animae, scilicet forinsecorum timor, propter scilicet praefatam sanctitatem et spiritualitatem fidelium. Deinde subdit aliam causam huius timoris, quia et multa prodigia et signa, id est miracula tam maiora quam ima fiebant in Hierusalem per apostolos, et ideo metus magnus erat in universis: quasi dicat etiam qui Christifideles non diligebant, saltem metuebant propter duas causas praedictas. LSAA, S. 88 f. Supra insinuaverat quod ab omnibus quodam divino timore reverebantur. […] coram omni plebe seu in conspectu totius plebis aperte patebat eos esse plenos gratia Dei. Ebd., S. 90.

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bens bilde.68 Der Präsensgebrauch zeigt an, dass Olivi hier nicht mehr allein von der Apostelgemeinde spricht, sondern Feststellungen trifft, die seines Erachtens allgemeine Gültigkeit haben. In der achten seiner Quaestiones de Perfectione Evangelica, der umfänglichen Quaestio de altissima paupertate (QPE 8),69 von der aus sich sein Armutskonzept konsequent entfaltet und auf die seine späteren Schriften stets zumindest implizit rekurrieren, sobald die Themen Besitz und Armut ins Visier genommen werden, wird begreiflich, was es mit dem hier nicht weiter kommentierten Reinigungsprozess im Denken des Minoriten auf sich haben dürfte. Im Zuge einer breiten Argumentation für die Überlegenheit der freiwilligen höchsten Armut gegenüber Reichtum sowie anderen Formen von Armut und allen sonstigen möglichen Verhaltensweisen gegenüber Temporalien70 erörtert er dort die Bedeutung der altissima paupertas für die Entstehung einer gemeinschaftlichen (communem) und friedvollen (pacificam) Gesellschaft. Sie hebe nämlich „den meisten Stoff (Materie) zu Zwietracht und Teilung, zu Neid und Streit oder zur Auseinandersetzung und zum Rechtsstreit, zu jedweder betrügerischen Täuschung und zu vielfältigem Argwohn“ auf.71 Dass in dieser Idealgesellschaft eine Gemeinschaft der Güter, praktiziert als Gebrauchs-, nicht etwa als Eigentumsgemeinschaft, herrschen solle, breitet Olivi in QPE 8 im Anschluss an die eben zitierte Stelle differenziert aus. Darauf wird im Folgenden des Öfteren zurückzukommen zu sein. Für das Verständnis der expropriativa et purificativa communitas omnium rerum im Kommentar zu Apg 2,44 ist dies zunächst aber vor allem deshalb bemerkenswert, weil es die gedankliche Nähe der Passage aus QPE 8 zu ebenjenem verdeutlicht. Offensichtlich spricht Olivi hier wie dort von einer charakterlichen Läuterung des Individuums durch Aufhebung egoistischer Triebe, die durch freiwilliges Lossagen von Privateigentum zu erreichen sei.72 Damit steht er Denkfiguren der monastischen Theologie etwa eines Bernhard 68 69 70 71

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Tertium redit ad plenius explicandum secundum et tertiam partem supra scriptae perfectionis eorum, scilicet de communi convictu et de assidua oratione. Et quia fundamentum communis convictu est expropriativa et purificativa communitas omnium rerum […]. LSAA, S. 89. Ed. Schlageter, Das Heil der Armen, S. 73–201. – Der Text entstand wohl in den 1270er Jahren (vgl. ebd., S. 22). […] dico, quod paupertas voltuntaria [sic!] melior est divitiis et omni statu, in quo quis licite potest divitias acquirere, et quod paupertas altissima melior est omni alia paupertate seu omni alia modo se habendi ad temporalia. QPE 8, S. 85. Aufert enim maximam materiam discordiae et divisonis, invidiae et contentionis seu litigationis et causidicationis et cuiuscumque fraudulentae supplantationis et multiplicis suspicionis. Ebd., S. 98, Übers. n. Schlageter, Das Heil der Armen, S. 30. – Die Idee der Friedensstiftung durch Eigentumsaufhebung findet sich wieder bei Ubertino von Casale in der Schrift Sanctitas vestra: Ac per hoc est eorum paupertas pacifica, quia ex status sui condicione cum nulla creatura habent, unde possint litigare, quia hoc solum est eis proprium inter omnia mundana, nichil habere proprium. Ubertino von Casale, Sanctitas Vestra, ed. Franz Ehrle, ALKG 3, S. 48–98, hier: S. 52. Zum christlichen Begriff der Reinigung im Mittelalter s. Anne Conrad, Heiligkeit und Gender. Geschlechtsspezifische Reinheitsvorstellungen im Christentum, in: Peter Burschel / Christoph Marx (Hrsgg.), Reinheit (= Veröffentlichungen des Instituts für Historische Anthropologie e. V., 12), Wien/Köln/Weimar 2011, S. 143–156 und Hubertus Lutterbach, Das Mittelalter – Ein „Pollutio-Ridden-System“? Zur Prägekraft des kultischen (Un-)Reinheitsparadigmas, in: Bur-

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von Clairvaux (1090–1153) nahe, der den Weg des Christen als sukzessive Reinigung versteht, in deren Verlauf ein „Ausleeren des eigenen Selbst“ erfolge.73 Zu den wesenhaften Ingredienzien dieses Prozesses zählt laut Olivi die Expropriation. Die Läuterung des Einzelmenschen ist somit in seiner Vorstellung zugleich Voraussetzung und Zweck der Gütergemeinschaft. 2.3 Omnes etiam qui credebant – Gemeinschaft aller Gläubigen Die Hinwendung zur altissima paupertas und die Reinigung des Selbst – damit legt Olivi seiner Lektüre der Summarien zunächst zwei Leitmotive zugrunde, die ganz dem tropologischen Bereich zuzuschlagen sind. Mithin nutzt er die Berichte über die Urgemeinde an erster Stelle zum Gewinn bzw. zur Bestätigung moralischer Handlungsgrundsätze.74 Wenn er im Folgenden nun anhand Apg 2,44a nach der Reichweite der urchristlichen Gütergemeinschaft fragt, so scheint er deutlich zum literarischen Sinn hinüberzulenken. Bei genauerer Betrachtung wird jedoch gerade hierin umso klarer, dass er keinesfalls allein den historischen Umständen der Urgemeinde nachsinnt, sondern – wohl sogar hauptsächlich – die Verbindlichkeit der darin erkennbaren Muster für eine ideale Gesellschaft überprüft. Aus dem biblischen Wortlaut selbst jedenfalls ergibt sich eine derart gelagerte Fragestellung schlechthin nicht. Von allen, die glaubten, ist dort unzweideutig die Rede. Nur drei Verse davor, in Apg 2,41,75 steht der Bericht von der Bekehrung der Dreitausend und dem dadurch bedingten Wachstum der Gemeinde, deren fortwährende Eintracht in Apg 2,42 beschrieben ist. Apg 2,43, mit Olivi gelesen, tut dann einen Blick nach außen, wonach Apg 2,44 das Augenmerk schließlich auf das In-

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schel/Marx (Hrsgg.), Reinheit, S. 157–176; Hans-Werner Goetz, Discourses on Purity in Western Christianity in the Early and High Middle Ages, in: Matthias Bley / Nikolas Jaspert / Stefan Köck (Hrsgg.), Discourses of Purity in Transcultural Perspective (300–1600) (= Dynamics in the History of Religion, 7), Leiden/Boston 2015, S. 116–149; Bernhard Maier u. a., Art. „Reinheit“, in: TRE 28 (1997), S. 473–497. Bernhard von Clairvaux, Liber de diligendo Deo X,28, ed. Migne, PL, 182, Sp. 991: O amor sanctus et castus! o dulcis et suavis affectio! o pura et defæcata intentio voluntatis! eo certe defæcatior et purior, quo in ea de proprio nil jam admistum relinquitur: eo suavior et dulcior, quo totum divinum est quod sentitur. Sic affici, deificari est. Quomodo stilla aquæ modica, multo infusa vino, deficere a se tota videtur, num et saporem vini induit et colorem; et quomodo ferrum ignitum et candens, igni simillimum fit, pristina propriaque forma exutum; et quomodo solis luce perfusus aer in eamdem transformatur luminis claritatem, adeo ut non tam illuminatus, quam ipsum lumen esse videatur: sic omnem tunc in sanctis humanam affectionem quodam ineffabili modo necesse erit a semetipsa liquiscere, atque in Dei penitus transfundi voluntatem. S. dazu John Riches, Art. „Heiligung“, in: TRE 14 (1986), S. 718–737, hier: S. 726; Anne Conrad, Heiligkeit und Gender, S. 150. Zur tropologia in der mittelalterlichen Bibelexegese als Lehre dessen, was der Mensch laut der Heiligen Schrift tun solle, s. ausführlich Lubac, Exégèse médiévale, Bd. 2, S. 549–620 sowie knapp Hans-Werner Goetz, Geschichtsschreibung und Geschichtsbewusstsein im hohen Mittelalter (= Orbis mediaevalis. Vorstellungswelten des Mittelalters, 1), Berlin 22008, S. 84. Apg 2,41: Qui ergo receperunt sermonem eius baptizati sunt et adpositae sunt in illa die animae circiter tria milia.

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nere der Gemeinschaft zurückwendet. Verdeutlicht wird dies mit Einschaltung des neuen Subjekts, das den omni animae aus Apg 2,43 gegenübergestellt ist. Damit aber steht außer Frage, dass alle, die glaubten nur die Gesamtgemeinde bezeichnen kann. Weder Glossa Ordinaria noch die gängigen Individualkommentare des Mittelalters ziehen dies in Zweifel.76 Nichtsdestoweniger betont Petrus Iohannis Olivi aber mit Nachdruck, Omnes etiam qui credebant hieße „nicht allein die Apostel oder die ersten Jünger, sondern auch alle, die glaubten“, erant pariter, „waren beisammen, das heißt, sie führten ein solch gemeinschaftliches Leben als seien sie in allem gleich und ebenbürtig gewesen“.77 Augenscheinlich konfrontiert er hier unterschwellig das Soziabilitätsmodell der Urgemeinde mit anderen und kommt zu dem Ergebnis, dass jenes – gerade aufgrund seines Alleinstellungsmerkmals der allumfassenden Unität – das ideale sei. Nur so gewinnt sein Insistieren auf der eigentlich unzweifelhaften Gültigkeit von Apg 2,44a für die gesamte Gruppe der Gläubigen Sinn. Für die Annahme eines Abstrahierens und Gegenprüfens des Berichts von der Egalität unter den ersten Christen durch den Exegeten spricht auch seine kategoriale Unterscheidung zwischen Aposteln, ersten bzw. vordersten Jüngern und den übrigen Gläubigen. Ohne seinen Intentionen Gewalt anzutun, überträgt sich diese für den Leser ganz unwillkürlich auf die Christenheit seiner, das heißt zunächst Olivis, Gegenwart. Denn die schematische Dreiteilung der Christenheit war im Mittelalter nicht nur ein weithin geläufiges soziales Deutungsmuster – zu denken ist an die tria genera hominum, namentlich laboratores, bellatores und oratores78 –, sondern hatte im 13. Jahrhundert gerade auch in ekklesiastischem Kontext durch die Vermittlung des populären pseudodionysischen Schrifttums Hochkonjunktur.79 Neben der Triade Bischöfe–Priester–Liturgen hält dieses auch das Raster Mönche–Laien–Katechumen bereit. Stets wird dabei hervorgehoben, dass durch das Wirken der Oberen mithilfe der Mittleren die Unteren zur Vollendung geführt werden sollten.80 Auf die Jetztzeit des Franziskanerminoriten übersetzt, konnte er 76

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Überhaupt sind Stellungnahmen zum Omnes etiam qui credebant in Apg 2,44 in der mittelalterlichen Exegese rar. In der Glossa Ordinaria und bei Hugo von St. Cher findet sich kein Wort dazu. Hrabanus Maurus allerdings betont, dass mit omnes nicht allein die 120 Jünger aus Apg 1,15, sondern eben auch die Neubekehrten gemeint seien. So jedenfalls dürfte sein Kommentar zu verstehen sein: omnes eciam] praeter centumviginti de quibus eciam ante dictum est. Hrabanus Maurus, Tractatus super Actus, fol. 206v. Omnes etiam qui credebant, id est non soli apostoli vel primi discipuli, sed etiam omnes qui credebant erant pariter, id est ita communiter conviventes ac si in omnibus essent pares et coaequales. LSAA, S. 89. Vgl. Oexle, Tria genera hominum. Zu Pseudo-Dionysius Areopagita s. Réné Roques, L’univers dionysien, Paris 1954; Kevin Corrigan / Michael Harrington, Pseudo-Dionysius, in: Graham Oppy / Nick Trakakis (Hrsgg.), The History of Western Philosophy of Religion, New York 2009, Tbd. 1, S. 277–290. Zur Rezeptionsgeschichte: Paul Rorem, Pseudo-Dionysius. A Commentary on the Texts and an Introduction to Their Influence, Oxford 1993; Pseudo-Dionysius Aeropagita. Über die mystische Theologie und Briefe, eingel., übers. und mit Anm. vers. v. Adolf Martin Ritter (= Bibliothek der griechischen Literatur, 40), Stuttgart 1992, S. 1–53. In der Schrift De hierarchia ecclesiastica, ed. Günter Heil / Adolf Martin Ritter, Pseudo-Dionysius Areopagita. De coelesti hierarchia, de ecclesiastica hierarchia, de mystica theologia, epistulae (= Patristische Texte und Studien, 67), Berlin 22012, S. 61–132 (griech.); Migne, PG 3,

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dies als Testat der spirituellen Vorrangstellung seines Ordens begreifen, als dessen Aufgabe er es betrachtete, in diesem Säkulum als ein hehres Beispiel den Weg der perfectio evangelica zu beschreiten, um die Gläubigen geschlossen zur eschatologischen Erneuerung zu führen.81 Auch die hier anhand von Apg 2,44 vorgenommene Akzentuierung der universalen, sozial egalitären Gemeinschaft im Urchristentum dient demnach der geistigen Verklammerung desselben mit dem spiritual-franziskanischen Vollkommenheitsbegriff.82 Nicht zuletzt lassen die Gliederung der Gesellschaft in drei Gruppen und die darauf fußende Erörterung der Validität der Gütergemeinschaft für jede der drei aber freilich auch an Plato denken.83 Mit dessen Idealstaat zeigt sich Olivi in QPE 8 vertraut, wo er ihn im Rahmen der oben erwähnten Beweisführung über die höchste Armut als Garant für Gemeinschaft und Friede als positiven Zeugen aufruft und explizit mit der apostelgeschichtlichen Gütergemeinschaft assoziiert,84 unter anderen Vorzeichen aber auch der harschen Kritik des Aristoteles an dem Modell bei-

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Sp. 369–584 (griech.–lat.). – Lateinische Übersetzungen waren seit dem frühen Mittelalter weitverbreitet. Im 13. Jahrhundert fertigte der Bischof von Lincoln Robert Grosseteste (um 1175–1253), Freund und Lehrer der englischen Franziskaner, eine neue Übertragung an. S. Candice Taylor Hogan, Robert Grosseteste, pseudo-Dionysius, and hierarchy. A medieval trinity. Including an edition of Grosseteste’s translation of, and commentary on, „De Ecclesiastica Hierarchia“ (Diss.), 2 Bde, Ithaca 1991; zu den darin enthaltenen äußerst wirkmächtigen Dreierschemata vgl. Jürgen Miethke, Politiktheorie im Mittelalter. Von Thomas von Aquin bis Wilhelm von Ockham, Tübingen 2008, S. 9–11. – Olivi widmete eine umfängliche Schrift der Reinterpretation der Coloesti hierarchia: Petrus Iohannis Olivi, Lectura super librum de Hierarchia Angelica, teiled. Ferdinand Marie Delorme (Hrsg.), Quaestio de angelicis influentiis, in: S. Bonaventura collationes in hexaëmeron et Bonaventuriana quaedam selecta (= Bibliotheca franciscana scholastica medii aevi, 8), Quaracchi 1934, S. 363–412. Dazu: Sylvain Piron, Deplatonising the Celestial Hierarchy. Peter of John Olivi’s interpretation of the Pseudo-Dionysius, in: Isabel Iribarren / Martin Lenz (Hrsgg.), Angels in Medieval Philosophical Inquiry. Their Function and Significance, Aldershot 2008, S. 29–44. Vgl. Susanne Conrad, Franziskanische Armut als Heilsgarantie. Das Zusammenspiel von vita evangelica und Apokalyptik im Armutsverständnis des Petrus Johannis Olivi, in: Gert Melville / Annette Kehnel (Hrsgg), In proposito paupertatis. Studien zum Armutsverständnis bei den mittelalterlichen Bettelorden, Münster 2001, S. 89–99, sowie unten, Kap. III,5.3. – Die Vorstellung von der herausragenden heilsgeschichtlichen Bedeutung der franziskanischen Bewegung ist nicht genuin Olivi’sches Denken, sondern war schon in den frühen Ordenschroniken und wahrscheinlich bei Franziskus selbst angelegt. S. die Interpretation des Gleichnisses von der Frau in der Wüste bei Ernst Benz, Ecclesia Spiritualis. Kirchenidee und Geschichtstheologie der franziskanischen Reformation, Stuttgart 1934, S. 79; Feld, Franziskus, S. 172– 174. Mit der Überwindung sozialer Ungleichheiten als einem Ansinnen der perfectio evangelica Olivis befasst sich näher: Johannes Schlageter, Die soziologische Grundlegung der spiritualen Armutstheorie bei Petrus Johannis Olivi OMin (1247/1248–1298), in: Wissenschaft und Weisheit 73 (2010), S. 215–236. Zur ideellen Übertragung der drei platonischen Stände auf die mittelalterliche Gesellschaftsordnung s. Paul Edward Dutton, „Illustre civitatis et populi exemplum.“ Plato’s Timaeus and the Transmission from Calcidius to the end of the twelfth century of a tripartite scheme of society, in: Medieval Studies 45 (1983), S. 79–119. Zur Dreiteilung des platonischen Idealstaates generell s. Rhim, Struktur, S. 70–83. QPE 8, S. 98 f. – Olivi folgt darin offenbar dem Decretum Gratiani, Dist. 8, c. 1.

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pflichtet.85 So scheint es trotz Fehlens eines wörtlichen Hinweises jedenfalls naheliegend, dass er den platonischen Staat auch in seiner Exegese von Apg 2,44, zumal in der eigenwilligen Dreigliederung der Gemeinde, mitdenkt. 3. STAATSPHILOSOPHIE UND HEILSGESCHICHTE: OLIVIS REZEPTION DER PLATONISCHEN GÜTERGEMEINSCHAFT Die achte seiner Quaestiones de perfectione evangelica widmet Olivi dem Nachweis der Vorrangstellung der altissima paupertas im Sinne der franziskanischen Ordensregel vor allen sonstigen Formen des Umgangs mit irdischen Gütern.86 Er fragt, „ob der Status der höchsten Armut schlechthin besser sei als alle Formen des Reichtums, des Privateigentums, des Gemeineigentums und jegliches andere Verhältnis zu den Temporalien.“87 Unter den Argumenta in contrarium am Anfang der Quästio befasst er sich mit der These, dass die höchste Armut „nicht besser sei als der Status des Reichtums oder auch des Privatbesitzes“.88 In dieser Vorstufe zu seinem finalen Ziel, den Vorrang der kollektiven Besitzlosigkeit vor dem Gemeinbesitz nachzuweisen, geht es dem Franziskaner also zunächst um den Beweis der Überlegenheit eines jeglichen kollektiven Gütermodells über die diversen Formen individueller Begüterung. Für diesen Zweck bietet sich selbstredend der Rückgriff auf Plato an. Gleichwohl bleibt die Bezugnahme freilich stets eine indirekte. Nur auf dem Umweg über den Timaios und die aristotelische Politik konnte Olivi über das platonische Staatsmodell unterrichtet sein. Wo er in der „Frage nach der höchsten Armut“ darauf zu sprechen kommt, geschieht dies augenscheinlich immer im Kontext der Rezension des Stagiriten. So referiert er als achten Paragraphen des genannten Argumentum in contrarium zunächst einige der Hauptargumente der Kritik der Politica an Plato. Dabei konzentriert er sich ganz hauptsächlich auf diejenigen Punkte, die die „vielfältigen Begierden und Verderbtheiten“ betreffen, durch die es „den Menschen unmöglich sei […], sich bei der Verteilung und Entgegennahme gemeinsamer Dinge zu einigen und ordentlich zu verhalten […]“.89 Andere Erklärungen des Aristoteles, dass etwa 85 86 87 88 89

QPE 8, S. 74, 167. Inhaltsangabe und -analyse der Quästio bei Schlageter, Das Heil der Armen, S. 15–51. Octavo quaeritur, an status altissimae paupertatis sit simpliciter melior omni status divitiarum sive propriarum sive communium sive quocumque alio modo se habendi ad temporalia. QPE 8, S. 73. Et quod non sit melior quam status divitiarum etiam propriarum […]. Ebd. Aristoteles probat in Politicis quod si omnia essent communia, infinitae essent in mundo deordinationes et dissensiones. Impossibile enim esset homines cupiditatibus variis et corruptionibus plenos in distributione et acceptione rerum communium concordare et ordinate se habere, maxime cum aliquando pluribus indigerent qui minus communitate prodessent, et plus illi qui vacarent officiis nobilioribus quam sint officia agriculturae et quaecumque alia quibus temporalia directe acquiruntur. Difficile etiam esset invenire qui de agricultura et de aliis ad victum necessariis curam diligentem haberent, quia nullus ita curat de communibus sicut de propriis, et maxime quando cura huiusmodi ignobilis aestimatur. Ex distributione etiam varia officiorum nobiliorum et ignobilium necessario orirentur invidiae, lites et discordiae; sicut et ex alia dis-

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die Tugend der Freigebigkeit und damit verbundene Freuden durch Gütergemeinschaft unterdrückt würden, spart er hingegen aus.90 In den finalen Responsiones ad argumenta in contrarium schließlich stimmt er dem vernichtenden Verdikt einstweilen zu, nämlich in Beziehung auf diejenigen, „[…] die gezwungen oder nicht freiwillig ihr Eigenes verlassen und mit einem solchen Mangel des Willens und der in einem solchen Mangel eingeschlossenen Unvollkommenheit (imperfectio) sich der gemeinsamen Sache oder der Gemeinschaft anvertrauen sollten.“91 Zudem stellt er Platos Plädoyer für die Frauengemeinschaft als besonders verwerflichen Aspekt heraus; dies aber nicht primär, wie erwartet werden könnte, um den von einem solchen System begünstigten Sittenverfall zu tadeln, sondern vielmehr, um hervorzuheben, dass seines Erachtens in der Gemeinschaft der Dinge nicht einfach alles zwanghaft gemeinsam sein sollte. Darauf jedenfalls richtet sich der zweite Teil seiner Gegenrede. Freiwilligkeit und namentlich die vollkommene Liebe zur höchsten Armut seien die Voraussetzungen, unter denen Aristoteles’ negatives Urteil seine Berechtigung einbüße.92 Olivi denkt demzufolge an eine voluntaristische Einschränkung der Bedürfnisse und die in Willensfreiheit vollzogene Abwendung

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tributione rerum facta secundum decentiam status et officiorum et secundum exigentiam necessitatum et indigentiarum, et magis quam si omnia non esset communia, quia ratione talis communitatis magis reputarent se omnes in omnibus pares. Si etiam nunc multiplicantur fraudes et rapinae et furta, multo magis hoc fieret tunc, quia facilius quis concupiscit id in quo aliquid habet, sicut habet homo in rebus communibus, quam id in quo nihil habet, sicut homo nihil habet in rebus aliorum propriis. In rebus etiam minus diligenter custoditis facilius possent fraudes et furta committi quam in diligenter custoditis. Fortius autem et diligentius custodit quilibet propria quam communia. In distributionibus etiam communium facilius possent multiplicari acceptationis personarum, utpote quod qui praeessent distribuendis plus darent amicis quam aliis. Multiplicarentur etiam tunc de facili fictiones et simulationes variarum necessitatum. Ergo melius et expedientius est universitati hominum et bono communi quod res sint propriae, quam si essent communes. Ebd., S. 74 f. Politica, II, 1263b. – Dies lässt an Christi Weisung an seine Jünger denken, Almosen zu geben, um sich ‚Schätze im Himmel‘ zu schaffen (Lk 12,33). Die Möglichkeit dazu ist aber demjenigen verstellt, der nichts Eigenes hat, das er geben könnte. Ob Olivi aus Rechtfertigungsnot besagtes aristotelisches Argument fortlässt? Eine ähnliche Äußerung aus der Nikomachischen Ethik hingegen, dass nämlich Reichtümer Werkzeuge und Instrumente der Glückseligkeit seien (Eth. Nic. 1099ab; Aristoteles, Nikomachische Ethik. Nach der Übersetzung von Eugen Rolfes bearb. v. Günther Bien (= Aristoteles. Philosophische Schriften, 3), Darmstadt 1995, S. 13–16) führt er als argumentum in contarium I,19 (QPE 8, S. 76) ein und erteilt ihm in seinen Responsiones eine deutliche Abfuhr. Diese Meinung sei „das Trostmittel [sc., die Schmeichelei] und die Wurzel des Irrglaubens des Antichristen […]“ (ebd., S. 171: Ad undevigesimum dicendum quod sententia Aristoteles de divitiis et felicitate humana est, ut credo, fomentum et radix erroris Antichristi […]). Ad octavum dicendum quod omnia ista quae in hac ratione tanguntur, locum habent in illis qui coacte aut non plene voluntarie propria relinquerent et cum tali defectu voluntatis et imperfectionis in hoc defectu inclusae communibus seu communitati se darent. QPE 8, S. 167. Übers. n. Schlageter, Das Heil der Armen, S. 32, Anm. 56. Unde ratio Aristotelis bona est in parte contra Platonem qui simpliciter censuit debere omnia esse communia etiam uxores, et quod omnes ad istam communitatem traherentur tam perfecti quam imperfecti, tam voluntarii quam involuntarii. In voluntariis autem professoribus et amatoribus communitatis locum ista non habent et maxime in amatoribus altissimae paupertatis, sicut satis tactum est supra in his quae ad communem et pacificam societatem. Ebd.

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von irdischen Gütern.93 Dass seine hier – wenn auch nur schemenhaft – skizzierte Modellgesellschaft freilich der staatsrechtlich normierten Gütergemeinschaft der oberen Stände bei Plato ganz wesensfremd ist, spielt für ihn offensichtlich keine Rolle.94 Dies bewahrheitet sich insbesondere auch, wenn er den Griechen zum Bürgen des harmonisierenden Effekts der Gütergemeinschaft erklärt. Da dieser nur eintreten könne, wenn der gemeinsame Gebrauch nicht „diesem oder jenem Verein“, sondern „schlechthin allen Menschen“ zustehe, wie es „nämlich im Stand der Unschuld gewesen ist“, müsse es so auch „jener Weiseste der Griechen“ gemeint haben, der „laut Aristoteles in der Politica Plato war“.95 Und „von dieser Gemeinschaft her und gemäß dieser Art und Weise“ müsse auch „die Gemeinschaft verstanden werden […], von der in der Apostelgeschichte gesagt wird, dass ‚ihnen alles gemeinsam war (Apg 4,32)‘“.96 Olivi ignoriert die ständische Ordnung und den natürlichen Rahmen des staatsphilosophischen Konzepts, indem er es auf reli-

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Zur Bedeutung der Willensfreiheit für das Gelingen der Gütergemeinschaft bei Olivi vgl. Schmucki, Selbstbesitz, S. 147. – Das Thema der menschlichen Willensfreiheit, Gegenstand einer der großen philosophischen Diskurse seiner Zeit, beschäftigte Olivi konsequent. Am eindringlichsten widmet er sich ihm in der 57. der Quaestiones in secundum librum Sententiarum, der Quaestio an in homine sit liberum arbitrium. Ed. Petrus Johannis Olivi, Über die menschliche Freiheit. Lateinisch – Deutsch. Übers. u. eingel. v. Peter Nickl (= Herders Bibliothek der Philosophie des Mittelalters, 8), Freiburg 2006. Darin gelangt er zu dem Ergebnis, dass alle Werte von der zweifellos existenten menschlichen Freiheit abhängig sind und, anders als etwa Thomas von Aquin oder Bonaventura, dass der Wille, nicht der Intellekt, alleiniger Sitz dieser Freiheit sei (vgl. ebd., S. 21). Dazu eingehend: Pasnau, Theories of Cognition. Zum scholastischen Freiheitsdiskurs mit Schwerpunkt auf den Franziskanern: Ernst Stadter, Psychologie und Metaphysik der menschlichen Freiheit. Die ideengeschichtliche Entwicklung zwischen Bonaventura und Duns Scotus (= Veröffentlichungen des Grabmann-Institutes zur Erforschung der mittelalterlichen Theologie und Philosophie, NF 12), München u. a. 1971; zu Olivi i. A. außerdem Schmucki, Selbstbesitz. Über Olivis Haltung zu den Lehren der heidnischen Philosophen informiert am besten seine Schrift De perlegendis Philosophorum libris, ed. Ferdinand Marie Delorme, Fr. Petri Joannis Olivi tractatus „De perlegendis Philosophorum libris“, in: Antonianum 16 (1941), S. 37–44. Darin spricht er denselben für sich genommen jedweden Wert ab, nennt sie falsch und nutzlos. Letztlich gesteht er ihnen aber doch eine gewisse Funktion für den christlichen Gelehrten zu, insofern er sie als dienende, nicht als leitende Quelle gebrauche. Die Ideen der antiken Denker, die Götzendiener waren und keine Verbindung zu Gott hatten, müssen der Heiligen Schrift und ihrer spirituellen Weisheit untergeordnet werden. Unter diesen Voraussetzungen können sie schließlich aber doch von Nutzen sein, um die Wahrheit zu erkennen, die ihnen selbst verborgen bleiben musste. Zum Gesamtkomplex erhellend: David Burr, The Apocalyptic Element in Olivi’s Critique of Aristotle, in: Church History 40 (1971), S. 15–29. In quo est notandum quod non dixit [sc., Ps.-Clemens] quod communis usus debuerit esse isti vel illi collegio, sed omnibus hominibus generaliter. Sic enim fuisset in statu innocentiae. Et sic loqui intendebat sapientissismus ille Graecorum […], qui forte secundum Aristotelem in Politicis fuit Plato. QPE 8, S. 98 f. Zu Olivis Konzeption des Urstandes, der in seiner Argumentation für die gütergemeinschaftliche Ordnung weit hinter das Leitbild der Apostelgeschichte zurücktritt, s. Töpfer, Urzustand, S. 417–419. Et de hac communitate et secundum hunc modum est accipienda communitas, de qua et inferius loquitur, de qua et in Actibus dictum est quod ‚erant illis omnia communia‘. QPE 8, S. 99. Übers. z. T. n. Schlageter, Das Heil der Armen, S. 31.

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giöse, ja soteriologische Kategorien überträgt.97 In dieser Koppelung der griechischen Staatstheorie mit dem christlichen Dogma eines status innocentiae im Nexus der gegenwartsbezogenen Frage nach der Heilswirkung der altissima paupertas98 erweist sich das Denken des Franziskaners als wunschzeitlich-zukunftsorientiert und damit im besten Sinne utopistisch.99 In Beziehung auf seine Auslegung von Apg 2,44a ist die Gleichsetzung des platonischen mit dem lukanischen Modell – hier in QPE 8 anhand der Parallelstelle Apg 4,32 – in der Idee einer Gütergemeinschaft der gesamten Menschheit auch als Stellungnahme zur zuerst von Aristoteles in Bezug auf Platos Staat aufgeworfenen Frage zu verstehen, wie es sich mit dem Eigentum des unteren Standes verhalten solle.100 Nicht nur die Apostel und ersten Jünger (Regenten und Wächter), konstatiert Olivi, sondern auch die übrigen Gläubigen (Bauern und Handwerker) hätten in 97

Vgl. Schlageter, Das Heil der Armen, S. 32, Anm. 56: „Damit werden aber […] die bei Platon gegebenen Grenzen der Polis überschritten und ist zumindest der Intention nach die gesamte Menschheitsgemeinschaft im Blick.“ Zum Adressatenkreis der QQPE vgl. auch Schmucki, S. 51: „So sehr die QPE Ausdruck eines innerfranziskanischen Ringens um Identität und Sendung des franziskanischen Charismas sind: Letztlich weitet sich der Blick Olivis in den QPE bis zu den äussersten Grenzen der Welt und ihrer Geschichte und kreist um die Frage, inwiefern gerade die freiwillig gewählte Armut zum Fortschritt dieser Geschichte beitragen kann.“ 98 Zu Olivis Verortung der höchsten Armut innerhalb der Heilsgeschichte vgl. Schlageter, Das Heil der Armen, S. 40–47; Susanne Conrad, Armut. 99 Alfred Doren, der die so berühmt gewordene Unterscheidung zwischen Wunschräumen und Wunschzeiten für das Gesamt der utopischen Konzepte vornahm, gibt für letztere eine Definition, die sich praktisch eins zu eins auf Olivis Vision anwenden lässt. Es handle sich dabei um ein Streben nach „Erlösung der leidenden Menschheit jenseits der realen Welt der sinnlichen Erfahrung und damit Heilung aller Gebrechen und Nöte dieser Welt […] durch die ideale Verlängerung des zeitlich erkennbaren Geschehens im Sinne eines notwendigen Vorwärtsschreitens zu einem imaginären, irgendwo an den Grenzen der Zeit liegenden Wunschziel“ als „Ausdruck menschlicher Sehnsucht, und zwar nicht der Sehnsucht nach einem idealen Dasein des Einzelmenschen, sondern nach dem der Menschheit als solcher, der menschlichen Gemeinschaft.“ Alfred Doren, Wunschräume und Wunschzeiten, in: Fritz Saxl (Hrsg.), Vorträge der Bibliothek Warburg 1924–1925, Leipzig/Berlin 1927, S. 158–205, hier: S. 161. – Doren erkannte im Mittelalter ausschließlich wunschzeitliche Utopien, Wunschräume fand er zwischen Antike und Renaissance nicht. Dass dies eine kaum haltbare Auffassung ist, zeigte besonders prägnant Otto Gerhard Oexle, Utopisches Denken im Mittelalter: Pierre Dubois, in: Historische Zeitschrift 224 (1977), S. 293–339. Auch Olivis rückwärtsgewandte Utopie der Urkirche als Muster für die kommende Geistkirche hat durchaus eine räumliche Komponente, insofern er, in Anschluss an Beda, ein typologisches Aufeinanderbezogensein der irdischen Stadt Jerusalem als Stätte der Urgemeinde und des himmlischen Jerusalem postuliert (vgl. dazu unten, S. 147 f.). Darin steht er in Einklang nicht nur mit Joachim von Fiore, sondern mit einer im Mittelalter beinahe allgegenwärtigen Denkfigur. Zu Joachim s. Matthias Riedl, A Collective Messiah: Joachim of Fiore’s Constitution of Future Society, in: Mirabilia. Revista Eletrônica de História Antiga e Medieval 14 (2012), URL: http://dialnet.unirioja.es/descarga/articulo/4217105.pdf (abger. 11.6.2015); zur allgemeinen Tradition s. etwa Christoph Auffarth, Irdische Wege und himmlischer Lohn. Kreuzzug, Jerusalem und Fegefeuer in religionswissenschaftlicher Perspektive (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 144), Göttingen 2002, S. 73–122, mit weiteren Lit.-Angaben S. 76, Anm. 16 und dens., Himmlisches und irdisches Jerusalem. Ein religionswissenschaftlicher Versuch zur „Kreuzzugseschatologie“, in: Zeitschrift für Religionswissenschaft 1 (1993), S. 25–49, 91–118). 100 Politica, II, 1264a.

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Jerusalem eine einzige allumfassende Gebrauchsgemeinschaft gepflegt. So versteht Olivi Plato, und nur so kann er ihn verstehen, will er dessen Autorität für seine eigenen Zwecke nutzen. 4. IM KONFLIKT MIT DER WELT: URCHRISTENTUM UND FRANZISKANERORDEN In der Übertragung der Figuren der perfectio evangelica und der altissma paupertas auf die Urgemeinde zeichnete sich bereits deutlich ab, dass Petrus Olivi die urchristliche Gütergemeinschaft mit den Idealen des Franziskanertums in Einklang zu bringen sucht. Diese Linie setzt er in der Weiterführung seiner Exegese über den ersten Sammelbericht der Apostelgeschichte ungebrochen fort. So bemerkt er zu Apg 2,44b: Damit du aber nicht meinen sollst, unter diesen gemeinsamen Dingen sei etwas gewesen, was sich für evangelisch Arme nicht mehr zu haben ziemt, fügt er [sc., der Text der Apostelgeschichte], derartiges ausschließend, hinzu: Besitztümer, nämlich Äcker, laut der Glossa, und Güter (Glossa: Das heißt Vieh und Ähnliches, aus dem das Gut des beweglichen Vermögens bestand) verkauften sie, da es nämlich zu ihrem Gebrauch unpassend wurde.101

Während sich die zeitgenössischen Standardkommentare an dieser Stelle im Wesentlichen darauf beschränken, die Begriffe possessiones und substantias näher zu bestimmen und allenfalls knappe, auf die brüderliche Liebe gerichtete Erklärungen für die Gemeinschaft der Güter zu liefern,102 assoziiert Olivi hier erneut ganz offenkundig theologische, in diesem Fall ordenstheologische Gegenstände seiner Lebzeiten. Indem er den Verkauf des Privateigentums, von dem die Summarien berichten, primär weder als notwendigen ökonomischen Schritt auf dem Weg zur ausgeglichenen gemeinwirtschaftlichen Gesellschaft noch als Erfordernis der Karitas versteht, sondern in erster Linie als Abwendung von Überflüssigem, rückt er das Handeln der Urchristen wiederum in große Nähe zu den Maximen minoritischer Armutsauffassung. Es sind zwei sachlich miteinander verbundene Merkmale der diskursiven Genese franziskanischen Selbstverständnisses im 13. Jahrhundert, die im Hintergrund dieser argumentativen Vereinnahmung der urchristlichen Güterlehre aufscheinen: zum einen die Distanzierung von den älteren Orden, zum anderen die Kontroverse um den „armen Gebrauch“. Ersteres, die vorsätzliche Abgrenzung vom klassischen Mönchtum, war dem Franziskanertum von seinem Gründer her als ein zentrales Charakteristikum eingestiftet, verlor jedoch schon in den ersten Generationen des Ordens zusehends an Bedeutung. 101 Ne autem sub his communibus intelligas illa quae non decet evangelicos pauperes etiam ad usum habere, ideo huiusmodi excludens, subdit: Possessiones quoque, scilicet agrorum secundum Glossam, et substantias (Glossa: Id est, pecora vel similia, in quibus substantia mobilium divitiarum consistit.) vendebant, tamquam scilicet usui eorum indecentia. LSAA, S. 89. 102 Vgl. Glossa ordinaria: omnia communia] indicium fraterni amoris est, omnia possidere et nihil proprium habere; Possessiones] agros; substantias] pecora; dasselbe sinngemäß bei Hugo v. St. Cher.

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4.1 Franziskanertum und Mönchtum Noch in der jüngsten Forschung finden sich die schon zu Lebzeiten des Franziskus ausgeprägten Meinungsverschiedenheiten über die Stellung seiner Bewegung zur traditionellen vita regularis in erstaunlicher Spiegelsymmetrie nachgezeichnet. Während der Poverello selbst um 1209 in Rom den Rat des benediktinischen Kardinalbischofs Johannes von St. Paul († 1215), „dass er sich für das Mönchs- oder Einsiedlerleben entscheiden möge“, höflich aber entschieden ablehnte, weil „er etwas anderes fromm anstrebte und eine höhere Sehnsucht ihn erfüllte“,103 schreibt der große franziskanische Ordensforscher Kajetan Esser 1966, „daß Franziskus die Gemeinschaft der Minderbrüder von frühesten Anfängen an als Orden in der Kirche angesehen hat und sich mit seinen Brüdern als eine den anderen Orden gleichberechtigte Gemeinschaft wußte.“104 Ebenso versichert der früheste unabhängige Beobachter und Berichterstatter der jungen Bewegung, der damalige Bischof von Akkon und spätere Kardinal Jakob von Vitry († 1240), in seiner um 1220 verfassten Historia Occcidentalis, dass Gott die drei bestehenden Formen religiosen Lebens, Mönchtum, Eremitentum, Regularkanonikertum, dieser Tage um eine vierte ergänzt habe, die „nicht so sehr eine neue Regel hinzufügte als vielmehr eine alte erneuerte.“105 Demgegenüber weiß wiederum Helmut Feld 1994, dass „Franziskus […] sich also keinem der in der Kirche etablierten Mönchsorden anschließen und auch keine der älteren Ordensregeln und Konstitutionen als Richtschnur für die neue Gemeinschaft annehmen [wollte]“.106 In solch gegensätzlichen Auffassungen von den Plänen, die der Stifter für seinen Verein gehabt habe, tritt letztlich wohl nicht allein ein Quellenproblem, sondern auch eine gewisse Ambiguität bzw. Unbestimmtheit desselben gegenüber jener An-

103 Dies berichtet die erste Vita des Thomas von Celano (1 Cel), ed. Collegium S. Bonaventurae, Vita prima s. Francisci, in: Legendae S. Francisci Assisiensis saeculis XIII et XIV conscriptae (= Analecta Franciscana, 10), Quaracchi 1926–1941, S. 1–117, hier: S. 26 (1 Cel 33): […] ut ad vitam monasticam seu eremiticam diverteret, suadebat. At sanctus Franciscus suasionem eius humiliter, prout poterat, recusabat, non persuasa despiciendo, sed alia pie affectando, altiore desiderio ferebatur. 104 Kajetan Esser, Anfänge und ursprüngliche Zielsetzungen des Ordens der Minderbrüder, Leiden 1966, S. 26. 105 Predictis tribus eremitarum, monachorum et canonicorum religionibus, ut regulariter uiuentium quadratura fundamenti in soliditate sua firma subsisteret, addidit eis dominus in diebus istis quartam religionis institutionem, ordinis decorem et regule sanctitatem. Si tamen ecclesie primitiue statum et ordinem diligenter attendamus, non tam nouam addidit regulam quam ueterem renouauit. The Historia Occidentalis of Jaques de Vitry. A Critical Edition (= Spicilegium Friburgense, 17), ed. John Frederick Hinnebusch, Freiburg 1972, S. 158 f. Freilich hat Jakob von Vitry mit der regula vetera hier zunächst weniger bestehende Ordensregularien als vielmehr die Lebensart der Urkirche im Sinn. Da jedoch die Bewahrung der urkirchlichen Ideale in allen prominenten Regeltexten tragendes Element war, lief die Renovation derselben letztlich selbstverständlich auf eine Reform des regulierten Lebens hinaus. Anders kann Jakob von Vitry nicht verstanden werden, ohne ihm eine krude Abweichung vom mittelalterlichen ordo-Gedanken und mithin eine spiritualistisch gefärbte Sichtweise anzudichten. 106 Feld, Franzisus, S. 141.

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gelegenheit vor Augen.107 In der Frühphase seiner Bewegung jedenfalls scheint sich Franziskus mit aller Macht gegen die Monastifizierung gewehrt zu haben. Dies kann anhand zweier Begebenheiten exemplifiziert werden, von denen die frühen Chroniken und Franziskusviten berichten.108 So habe der Ärmling, als seine Brüder im Rahmen eines der frühen Generalkapitel, dem sogenannten „Mattenkapitel“ bei der Kirche Portiuncula unterhalb von Assisi, darum gebeten hätten, eine der bereits bestehenden Ordensregeln annehmen zu dürfen, dies rundheraus verweigert.109 Offenbar konnte und wollte er zu diesem Zeitpunkt die mittlerweile auf rund 5000 Personen angewachsene Gruppe noch nicht als Mönchsgemeinschaft imaginieren.110 Sein Ideal war nach wie vor die imitatio vitae pauperis Jesu, für die er jede Regel neben derjenigen des reinen Evangeliums als unangemessen erachtete. Krasse Ablehnung der traditionellen monastischen Lebensform, zumal der stabilitas loci, tritt auch in der zweiten Episode zutage. Als die Bürger von Assisi zur Unterbringung der Brüder während eines bevorstehenden Kapitels ein festes Haus gebaut hätten, habe sich Franz erzürnt eigenhändig an den Abriss des Gebäudes gemacht. Erst durch die Intervention städtischer Soldaten habe er sich von dem Treiben abbringen lassen.111 Diese und ähnliche Zeugnisse belegen eindrucksvoll den starken progressiven Wesenszug, den der Gründer seiner Gemeinschaft zudachte. Ihm schwebte eine neuartige, geradezu anti-klösterliche religiose Lebensform vor. Sie sollte nicht auf umgrenzten, von der Gesellschaft abgeriegelten Inseln, sondern mitten in der Welt stehen. Die Brüder sollten unter die Menschen gehen, nicht ihresgleichen, sondern in der Mission das Fremde suchen. Auch in der ältesten erhaltenen Ordensregel, der Regula non bullata112 des Jahres 1221, findet diese ablehnende Haltung gegenüber den traditionellen Strukturen 107 Zum Ganzen sehr aufschlussreich: Achim Wesjohann, Mendikantische Gründungserzählungen im 13. und 14. Jahrhundert. Mythen als Element institutioneller Eigengeschichtsschreibung der mittelalterlichen Franziskaner, Dominikaner und Augustiner-Eremiten (= Vita regularis, Abhandlungen, 49), Berlin 2012, S. 164–170. Wesjohanns Überlegungen stellen Franz allerdings als scharf kalkulierenden Taktiker hin, der mit List und Tücke gegen die Annäherung der Gemeinschaft an das Ordenswesen agiert. Bestimmt entbehrt diese Vorstellung nicht einer gewissen greifbaren Grundlage. Angesichts des weiteren Weges, den der Heilige mit seiner Bewegung ging, seiner Akzeptanz ihrer Entwicklungen, seiner fortwährenden Verbundenheit mit ihr, scheint sie aber letztlich doch zu eindimensional. 108 Für einen Überblick über die Quellen des frühen Franziskanertums s. Feld, Franziskus, S. 30– 58. 109 Am pointiertesten vielleicht in der Darstellung der Legenda Perusina, die Franziskus sagen lässt: Fratres mei, fratres mei, Deus vocavit me per viam humilitatis et ostendit michi viam simplicitatis: nolo quod nominetis michi Regulam aliquam, neque sancti Augustini, nec sancti Bernardi, nec sancti Benedicti. Legenda Perusina 18,5, ed. Marino Bigaroni, „Compilatio Assisiensis“ dagli Scritti di fra Leone e Compagni su S. Francesco d’Assisi. Dal Ms. 1046 di Perugia. II edizione integrale riveduta e corretta con versione italiana a fronte e variante (= Pubblicazioni della Biblioteca Francescana di Chiesa Nuova – Assisi, 2), Porziuncola 21992, S. 56. 110 Zur Zahl der Brüder: Bonaventura, Legenda maior IV,10, ed. Enrico Menestò / Stefano Brufani, Fontes Franciscani (= Medioevo Franciscano, Testi 2), Assisi 1995, S. 811. 111 S. Legenda Perusina 56, ed. Bigaroni, S. 140–142. 112 Ed. David E. Flood, Die Regula non bullata der Minderbrüder (Diss.), Werl 1967. – Ebd. die bisher genaueste und beste Untersuchung zu Entstehung, Inhalten und Überlieferung. Vgl.

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des Zönobitentums ihren Niederschlag. Der gesamte dort dargelegte Lebensentwurf wurzelt in den evangelischen Berichten über das Leben Jesu und seiner Anhängerschaft. Ganz im Gegensatz zu den älteren Ordenskonstitutionen gehen seine Bibelreferenzen historisch nicht über die Lebenszeit Christi hinaus, er beruft sich also nicht auf das apostolische Zeitalter als Richtschnur der Glaubensausübung.113 Dass es sich dabei nicht etwa um bloßen Zufall handelt, sondern um eine bewusste und intentionale Distanzierung vom alten Mönchtum, bestätigt die zweite, 1223 päpstlich approbierte Ordensregel. Bei allen Anpassungen und Entschärfungen, die wohl in erster Linie dem Druck einer Partei unter dem Kardinalprotektor des Ordens Hugolino von Ostia († 1241), dem späteren Papst Gregor IX., geschuldet waren, behält die wesentlich kürzere und in Form und Duktus stärker an den älteren Regeltexten orientierte Regula bullata diesen Zug bei.114 Auch sie rekurriert nirgendwo auf das nachpfingstliche, institutionalisierte Christentum als Leitfigur. Gleichwohl stellten schon in frühen Jahren andere eine klare Verbindung zwischen ecclesia primitiva und Franziskanertum her. Bereits in seiner frühesten überlieferten Stellungnahme aus dem Jahr 1216 beschreibt Jakob von Vitry die Bewegung ausdrücklich als im Geiste der Urkirche stehend und versieht sie mit einem einschlägigen Zitat aus Apg 4,32: […] multi enim utriusque sexus divites et seculares omnibus pro Christo relictis seculum fugiebant, qui Fratres Minores et Sorores Minores vocabantur. […] Et iam per gratiam dei magnum fructum fecerunt et multos lucrati sunt, ut qui audit dicat; veni, et cortina cortinam trahat. Ipsi autem secundum formam primitive ecclesie vivunt, de quibus scriptum est: multitudinis credentium erat cor unum et anima una.115

Gewiss muss eine solche Äußerung im Lichte zeitgenössischer Ideen von der vita apostolica als zentralem Orientierungspunkt religiösen Reformstrebens gelesen werden. Die zahlreichen Erneuerungsbewegungen des 11. und 12. Jahrhunderts hatten sich, in Anschluss an die Gregorianische Reform, mit großem Nachdruck auf jenes Idol berufen,116 woraus sich ein regelrechter Topos entwickelt hatte, nach

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auch Kajetan Esser, Textkritische Untersuchungen zur Regula non bullata der Minderbrüder (= Spicilegium Bonaventurianum, 9), Grottaferrata 1974; knapp: Feld, Franziskus, S. 11 f. Diese Beobachtung macht auch Leutzsch, Gütergemeinschaft der Bibel, S. 84. Der Einfluss Hugolinos – in den Augen vieler Forscher schärfster spiritueller Gegner des Heiligen – auf die Gestalt des Regeltextes sowie die Frage, ob und in welchem Maße die Regula bullata den ursprünglichen Anliegen des Franziskus widerspreche, sind höchst umstritten. Eine knappe, aber instruktive Darstellung der Meinungsverschiedenheiten bei: Anne Müller, Das Missionsverständnis des Franziskus von Assisi und der frühen franziskanischen Bewegung, in: Petrus Bsteh / Brigitte Proksch (Hrsgg.), Das Charisma des Ursprungs und die Religionen. Das Werden christlicher Orden im Kontext der Religionen, Wien/Berlin, S. 171–205, hier: S. 182 f. Lettres de Jacques de Vitry, ed. Robert B. C. Huygens, Leiden 1960, S. 75. Die von Huygens nicht identifizierte Metapher veni, et cortina cortinam trahat wahrscheinlich abstrahiert aus Ex 26,5. Vgl. Grundmann, Religiöse Bewegungen; ders., Neue Beiträge zur Geschichte der religiösen Bewegung im Mittelalter, in: Archiv für Kulturgeschichte 37 (1955), S. 129–182; Giles Constable, Renewal and Reform in Religious Life. Concepts and Realities, in: ders. / Robert Louis Benson / Carol Dana Lanham (Hrsgg.), Renaissance and Renewal in the Twelfth Century, Oxford 1982, S. 37–67, bes. S. 51–56. Vgl. weiter die in der Einleitung genannte Literatur zur ecclesia primitiva.

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dem geistliche Reformabsichten stets mit der Rückbesinnung auf urkirchliche Verhältnisse verknüpft wurden. Dass Jakob von Vitry aber an den Franziskanern, denen er in Perugia begegnete, tatsächlich äußere Zeichen einer Nachahmung der ersten Christen wahrnahm, zeigen seine weiteren Ausführungen. So beschreibt er, dass die Männer am Tage in die Städte und Dörfer des Umlandes gegangen seien, um an ihren Mitmenschen gute Taten zu wirken, und sich in der Nacht in die Einsamkeit der Kontemplation zurückgezogen hätten, während die Frauen in eigenen Quartieren verweilten.117 Sowohl der tägliche Verkehr mit den Außenstehenden und die Wohltätigkeit jenen gegenüber als auch die räumliche Trennung von Männern und Frauen, die aber gleichwohl als zusammengehörig betrachtet, in einem Atemzug genannt werden, stehen den lukanischen Beschreibungen der ersten Christengemeinde in Jerusalem oder wenigstens mittelalterlichen Verständnismustern für dieselben nahe.118 In der Innen- wie in der Außenwahrnehmung war die Verschränkung von ecclesia primitiva und franziskanischem Mendikantentum demnach offenbar schon frühzeitig zementiert und um die Mitte des 13. Jahrhunderts, als Petrus Olivi in den Orden eintrat, nicht mehr wegzudenken. So betonte etwa auch der erste FranziskusBiograph Thomas von Celano († um 1265) in seiner Vita secunda sancti Francisci, dass die minderen Brüder die vita ecclesiae primitivae wiederherstellten und leitete diesen Anspruch – letztlich kontrafaktisch – von den Idealen des Poverello her.119 In dieser Gemengelage musste es sich der Exeget Olivi in seiner Interpretation der Apostelgeschichte zwangsläufig zur Aufgabe machen, das tatsächliche evangelische Ideal des Franziskus, die altissima paupertas, mit dem apostolischen der Gütergemeinschaft in Einklang zu bringen.120 Als der erste franziskanische ActaInterpret im engeren Sinne überhaupt stand er dabei vor der großen Herausforderung, den Deutungsprimat des traditionellen Religiosentums zu durchbrechen. Ein gutes Stück seiner ungewöhnlichen Lesart der Gemeindesummarien erhellt allein vor diesem Hintergrund. 117 De die intrant civitates et villas, ut aliquos lucrifaciant operam dantes actione; nocte vero revertuntur ad heremum vel loca solitaria vacantes contemplationi. Mulieres vero iuxta civitatis in diversis hospitiis simul commorantur. Lettres, ed. Huygens, S. 76. 118 Zur Wohltätigkeit der Urchristen s. etwa Apg 3,1–10 und 9,36. Die Trennung von Männern und Frauen im Urchristentum impliziert z. B. Olivi selbst, wenn er die viduae in Apg 6,1 als Synonym für alle Frauen in der Urgemeinde versteht, da sie durch das Keuschheitsgelübde von den Männern abgesondert worden seien (LSAA, S. 163, vgl. dazu unten, S. 156). 119 Die Vita secunda ed. Collegium S. Bonaventurae, Vita secunda s. Francisci, in: Legendae, S. 127–268, hier: S. 216 (2 Cel 148). Dazu Lapsanski, S. 252 f., der in diesem Zusammenhang herausstellt, dass Thomas „Begriffe und Motive [gebraucht], die wir von Franziskus her nicht kennen.“ 120 Der Begriff der altissima paupertas findet sich in RegBull VI: Haec est illa celsitudo altissimae paupertatis, quae vos, carissimos fratres meos, heredes et reges regni caelorum instituit, pauperes rebus fecit, virtutibus sublimavit (ed. Esser/Grau, S. 369) und dürfte aus 2 Cor 8,2 geschöpft sein. Vgl. Leonhard Lehmann, „Arm an Dingen, reich an Tugenden“. Die geliebte und gelobte Armut bei Franziskus und Klara von Assisi, in: Heinz-Dieter Heimann u. a. (Hrsgg.), Gelobte Armut, Armutskonzepte der franziskanischen Ordensfamilie vom Mittelalter bis in die Gegenwart, Paderborn u. a. 2012, S. 37–65, hier: S. 58.

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Doch noch andere Spannungsfelder, auf denen der franziskanische Theologe sich ex professo bewegte, bestimmten seine Pfade durch die idolisierte lukanische Kirchengeschichte. Nicht zuletzt rückt in diesem Zusammenhang die Debatte um den ‚armen Gebrauch‘ ins Blickfeld. 4.2 Usus pauper Die Lectura super Actus Apostolorum stammt aus einer Zeit, als Olivis heftige Verwicklungen in die sogenannte usus pauper-Kontroverse bereits hinter ihm lagen.121 Mit der Verurteilung von 19 seiner Lehrsätze durch die Littera septem sigillorum einer vom Generalminister Bonagratia von S. Giovanni in Persiceto († 1283) eingesetzten Pariser Theologenkommission war der öffentlichen Austragung der Debatte ein Riegel vorgeschoben worden.122 Zwar wurde Olivi vier Jahre später durch den ihm wohlgesinnten neuen Generalminister Matthäus von Aquasparta rehabilitiert und äußerte sich auch später wieder kontrovers zum usus pauper,123 als aber die Armutsfrage schließlich Anfang des 14. Jahrhunderts in ungekannter Aggressivität und mit – im wahrsten Sinne des Wortes – tödlichem Ernst erneut ausgetragen wurde, war der im Zuge dieser Ereignisse postum zum Häretiker Gestempelte schon nicht mehr am Leben.124 Was seine Auslegung der Apostelgeschichte an diesbezüglichen 121 Eine Darstellung der usus pauper-Kontroverse ist hier nicht zu leisten. Vgl. aber die einschlägige Literatur: Ehrle, Petrus Johannis Olivi, S. 416–437; David Burr, Apokalyptische Erwartung und die Entstehung der Usus-pauper-Kontoverse, in: Wissenschaft und Weisheit 47 (1984), S. 84–99; ders., The Correctorium Controversy and the Origins of the Usus Pauper Controversy, in: Speculum 60/2 (1985), S. 331–342 sowie insbes. ders., Olivi and Franciscan Poverty. Ein gut lesbare, knappe Zusammenfassung außerdem bei Roberto Lambertini, Die Kontroverse um den usus pauper – Eine Gewissensfrage, in: Mariano Delgado / Volker Leppin / David Neuhold (Hrsgg.), Ringen um die Wahrheit. Gewissenskonflikte in der Christentumsgeschichte (= Studien zur christlichen Religions- und Kulturgeschichte, 15), Fribourg/ Stuttgart 2011, S. 111–120. 122 Beim Sieben-Siegel-Brief der Pariser Kommission handelt es sich genaugenommen nicht um die Verurteilung der Olivi’schen Thesen, sondern um deren Korrektur durch gutachterliche Gegenthesen. Er war einem nicht erhaltenen Rotulus beigegeben, der seinerseits eine von der Kommission mit ihren Vota marginalisierte Sammlung von Auszügen aus Olivis Schriften enthielt. Vgl. Burr, Olivi and Franciscan Poverty, S. 88 f. Die Littera ed. Gerold Fussenegger, „Littera septem sigillorum“ contra doctrinam Petri Ioannis Olivi edita, in: AFH 47 (1954), S. 45–53. Die entscheidende Passage, ebd., S. 52: Item usus pauper rerum prout in se claudit extremam necessitatem, que dicit indigentiam manifeste existentem vel de proximo imminentem et talem quod debitus status corporis sui vel persone Deo servientis, nisi sibi succurrat[ur], stare non potest, nullo modo includitur in voto evangelice paupertatis; et contrarium dicere es erroneum. 123 So in einer Reihe von nicht exakt datierbaren Confessiones sowie seinem wohl um 1288 entstandenen Kommentar zur Regula bullata. Vgl. Burr, Olivi and Franciscan Poverty, S. 108– 124. 124 Zum Theoretischen Armutsstreit der 1320er Jahre: Ulrich Horst, Evangelische Armut und päpstliches Lehramt. Minoritentheologen im Konflikt mit Papst Johannes XXII. (1316–34) (= Münchener kirchenhistorische Studien, 8), Stuttgart 1996; Andrea Tabarroni, Paupertas Christi et Apostolorum. L’ideale francescano in discussione (1322–1324) (= Nuovi studi storici, 5),

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Andeutungen enthält, muss demnach im Lichte einer Zeit besehen werden, in der er einerseits keine direkte Notwendigkeit zur entschärfenden Apologie seiner Doktrin des usus pauper mehr empfinden musste, sich andererseits aber gerade gegenüber diesem Stoff gewiss doch zur Vorsicht ermahnt sah. Denn wenngleich er nie offiziell zum Widerruf gezwungen worden war, stand seine Doktrin ganz offensichtlich bis zum Ende seines Lebens von verschiedenen Seiten unter Beobachtung, und anscheinend musste er sich noch wiederholte Male vor Ordensobrigkeiten darüber erklären.125 Wie Burr wiederholt herausstellte, war Grundlage der in den Jahren 1279 bis 1283 am intensivsten tobenden Debatte über den ‚armen Gebrauch‘ nicht die Frage, ob Franziskaner generell zu eingeschränktem Umgang mit Temporalien angehalten seien, sondern ob dieses Gebot in den Ordensgelübden enthalten sei.126 Dass das Mendikantendasein grundsätzlich dazu verpflichtete, Luxusgüter sowie jegliche Form des Überflusses zu meiden, und dass ein Vergehen gegen diese Pflicht einen zu tadelnden Verstoß gegen die Regel bedeutete, darüber herrschte unter den Franziskusjüngern Einigkeit.127 Doch ließ diese theoretische Bestimmung in der Praxis freilich große Interpretationsspielräume, und nicht ohne Grund wird in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, zunächst insbesondere aus Italien, vermehrt von ordensinternen Konflikten über die angemessene Strenge ihrer Einhaltung berich-

Rom 1990; Malcolm D. Lambert, The Franciscan Crisis under John XXII, in: Franciscan Studies 32 (1972), S. 123–143; aus Perspektive des Ordensprokurators Bonagratio von Bergamo, hervorragend: Wittneben, Bonagratia; zuletzt außerdem: Jürgen Miethke, Der „theoretische Armutsstreit“ im 14. Jahrhundert. Papst und Franziskanerorden im Konflikt um die Armut, in: Heimann u. a. (Hrsgg.), Gelobte Armut, S. 243–283; in größeren Kontexten zudem: Feld, Franziskus, S. 486–501; Burr, Spiritual Franciscans, S. 159–212. 125 Vgl. Burr, Olivi and Franciscan Poverty, S. 108 f. – Dies hinderte ihn allerdings nicht daran, bei der Besprechung von Apg 21 seine Gegner in der Kontroverse mit den böswilligen Bedrängern des Paulus zu vergleichen und ihnen mutwillige Verkehrung seiner Formulierungen vorzuwerfen: His autem detractoribus assimilati sunt quidam innocentibus imponentes eos totum communem statum Francisci damnare, quia dicebant eius statum ad usum pauperem et moderatum ex suae regulae voto et professione artari. Ex quo quidem nullatenus sequitur statum ipsum damnari, immo potius inde salvari. Insuper et mendose addebant praedictos dicere statum ipsum semper ad extremam necessitatem et inopiam obligari, summendo extremum non secundum quod dicit virtutis medium secundum rationis condecentem latitudinem moderatum vel rationis condecentem moderantiam dilatatum, sed potius prout dicit extremum secundum realem quantitatem. Ecce quomodo detractores nunc et tunc veris mendacia superaddunt ut veros et vera coram simplicibus decolorent et reddant omnibus odiosos. LSAA, S. 387. – Das Argument des falschen Verständnisses von extremum bringt er zuerst 1283 in seiner Verteidigung gegen die Verurteilung seiner Lehre durch die Pariser Kommission vor: Sumendo autem li extremam pro medio virtutis non in puncto indivisibili, sed in latitudine debita, et convenienti statui et officiis, sic dixi quod includitur in voto evangelicae paupertatis. Responsio I, ed. Laberge, S. 129. – Die Armut als medium virtutis (vgl. Aristoteles, Eth. Nic., 1107a) sowie das Argument des sich mit den Lebensumständen wandelnden Maßstabes des armen Gebrauchs stammen von Bonaventura. Vgl. Apologia pauperum XII,18–20, S. 322 f. 126 Vgl. Burr, Correctorium, S. 332; ders., The Spiritual Franciscans, S. 51; ders., Olivi and Franciscan Poverty, S. X und passim. 127 Vgl. ders., Correctorium, S. 332.

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tet.128 Gleichwohl waren es in erster Linie nicht diese – etwa in Regelkommentaren verhandelten – Schwierigkeiten der Armutsausübung, sondern sehr viel stärker akademisch geprägte Differenzen, die die usus pauper-Kontroverse bestimmten. Mit Recht kommt Burr daher zu dem Ergebnis, dass die aus den widerstreitenden Positionen Olivis und seiner Gegner folgenden minoritischen Lebenspraktiken letzthin wohl gar nicht sonderlich verschieden gewesen wären.129 Für die frühe Phase der Auseinandersetzung bilden Olivis QPE 9 (An usus pauper includatur in consilio seu in voto paupertatis evangelicae, ita quod sit de eius substantia et integritate) sowie ein inhaltlich an diese anschließender Traktat die Hauptquellen.130 Nach den Gepflogenheiten zeitgenössischen scholastischen Diskurses breitet der Verfasser darin auch die Positionen seiner Gegner detailreich aus und ermöglicht es somit, den Streit geschlossen nachzuvollziehen. So zeigt sich, dass letztere den ‚armen Gebrauch‘ unter anderem deshalb nicht als Teil des Gelübdes sehen wollten, da andernfalls jeder Verstoß gegen ihn eine Todsünde bedeutet hätte. Mangels einer klaren Definition könnten die Brüder aber nie sicher sein, ob sich ihr Handeln im Rahmen des usus pauper bewege, und hätten so ständig zu befürchten, von der göttlichen Gnade abzufallen.131 Olivi widerspricht, indem er zwischen verschiedenen Arten von Vorschriften innerhalb des Gelübdes unterscheidet. So enthalte es einerseits solche Bestimmungen, die man durch das eigene Handeln entweder eindeutig einhalten oder aber ebenso eindeutig missachten könne, andererseits solche, die einen gewissen Spielraum böten, innerhalb dessen sie mehr oder weniger vollkommen eingehalten werden könnten. Diese missachte man erst dann gänzlich, wenn man genau gegenteilig agiere. Zu letzteren zählt er den usus pauper.132 128 Vgl. ders., Olivi and Franciscan Poverty, S. XI. 129 Vgl. ebd., S. 138. Dem schließt sich nachdrücklich an Lambertini, Kontroverse, S. 119. 130 Ed. Burr, Petrus Ioannis Olivi. De Usu Paupere, S. 3–85 (QPE 9), S. 89–148 (Tractatus). Dazu Burrs Einleitung ebd., S. VII–XXXIX sowie ders., Olivi and Franciscan Poverty, bes. S. 38–56; Ehrle, Petrus Johannis Olivi, S. 507–517. – Auch QPE 15 (An vivere de prebendis vel quibuscumque redditibus vel vivere de possessionibus absque vendicatione cuiuscumque domini vel iuris possit esse licitum pauperibus evangelicis, ed. David Flood, Peter Olivi. Quaestio de mendicitate. Critical Edition, in: AFH 87 (1994), S. 287–347) ist in weiten Teilen demselben Thema gewidmet. 131 Arguunt enim pauperem usum non posse cadere sub voto regule. Primo quia nullum votum potest convenienter fieri de eo quod nullo modo potest per rationem determinari, quia tunc multa pericula sequerentur, eo quod nullus posset scire gradum vel terminum usque ad quem deberet illud servare. Huiusmodi autem indeterminatio contigit in paupere usu. […] Tertio quia secundum magistros nostros omnis deviatio a precepto vel voto est mortalis, ergo modicissima deviatio ab usu paupere seu strictissimo esset mortalis. Hoc autem non esset aliud quam laqueum dampnationis immittere. Tractatus, ed. Burr, S. 129 f. 132 Causa autem huius est tum quia votum tale non cadit super materiam suam sub certa prefixione termini, et ut ita dicam non habet medium indivisibile […] Pauper igitur usus cadit sub voto indeterminate. QPE 9, S. 36 f. […] ad primum dicendum quod si simpliciter et universaliter volunt astruere quod nihil cadat sub voto vel precepto de quo non est totaliter determinatum usque ad quem gradum teneamur illud servare et usque ad quem non, primo habent apertas instantias in aliis regule votis. […] Ad illud autem quod ibidem additur quod tunc peccarent mortaliter quandocumque uteretur quis aliquo sine quo posset convenienter transire, dicendum

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Wie verbindet sich nun dieser Dissens mit Olivis vermeintlich beiläufigen Bemerkungen zur Gebrauchspraxis der Urgemeinde in seiner Exegese von Apg 2,45? Um dies vollends zu erfassen, sind zwei weitere Präliminarien zu berücksichtigen. Es ist dies erstens die Tatsache, dass Olivi in einem anderen Streitfall des jungen Franziskanerordens, namentlich in der Frage, ob die Regula bullata zur radikalen Einhaltung aller evangelischen Räte verpflichte, ganz klar aufseiten der Befürworter stand, ja die Regula – ganz im Sinne des heiligen Franziskus – mit dem Evangelium gleichsetzte.133 Zweitens, und unmittelbar daran anschließend, gilt es in Erinnerung zu rufen, dass in Olivis Denken das ideale Minoritenleben der perfectio evangelica entsprach. Wenn der Exeget nun also wie selbstverständlich die Einhaltung des usus pauper durch die Urgemeinde konstatiert (illa quae non decet evangelicos pauperes etiam ad usum habere […] vendebant, tamquam scilicet usui eorum indecentia), deren gesamtes Wesen er doch schon mehrfach expressis verbis mit der perfectio apostrophiert hat, so tut er nichts anderes, als den armen Gebrauch abermals zur Voraussetzung der Erfüllung des Evangeliums und damit auch des franziskanischen Gelübdes zu erklären. Dass er im selben Atemzug von den evangelicos pauperes spricht, als die er die Urchristen hier rundheraus hinstellt, lässt keinen Zweifel an der Assoziation des Acta-Verses mit der Kontroverse seiner Gegenwart. Olivi nutzt mithin die Auslegung der lukanischen Summarien, um entscheidende Punkte seiner Doktrin zu rekapitulieren und durch biblische Autorität zu affirmieren. Diese Beobachtung wiederum wirft von Fall zu Fall die Frage auf, in welcher Richtung die Abhängigkeit verläuft. Wurzelt eine bestimmte Denkfigur primär im Studium und der Allegorese der Heiligen Schrift oder werden die Bibeltexte mithilfe hermeneutischer Techniken anderweitig erlangten Überzeugungen gefügig gemacht? Um die Bedeutung der Bibelauslegung in Olivis Denken korrekt einschätzen zu können, ist diese Frage von höchster Relevanz. Auch schärft sie den Blick für semantische Signale, die eine Assoziation des Bibeltextes mit franziskanischem Ideengut nahelegen – so etwa im Fall der simplicitas. 4.3 Simplicitas In der Fortführung seiner Acta-Exegese schließt sich Olivi zunächst wieder der Glossa Ordinaria an, wenn er bemerkt, dass die Verteilung der Güter in der Urgemeinde nicht gemäß dem Ehrengrad einer Person, sondern allein gemäß ihrer quod hoc non oportet nisi sit tantum ac tale aut totiens frequentatum quod eius usus sic repugnet pauperi usui quod simpliciter introducat usum divitem. Tractatus, ed. Burr, S. 132 f. 133 Vgl. Feld, Franziskus, S. 141: „Man sieht daraus, daß von allem Anfang an Evangelium und Regel im Verständnis des Franziskus inhaltlich ein und dasselbe waren. Die Regel war nichts anderes als eine Kurzform des Evangeliums.“ – Belege für Olivis Übereinstimmung mit dem Gedanken sind zahlreich. Vgl. nur seinen Kommentar zu RegBull I: Secundo nota quomodo definitio ipsa primo ponitur sub relatione ad Christum et eius evangelicam vitam in se ipso observatam, apostolis impositam et in suis evangeliis conscriptam, immo ut ex modo definiendi habetur quod haec regula sit idipsum quod observantia evangelii, id est, evangelicae vitae Christi. Flood, Peter Olivi’s Rule Commentary, S. 117 f. […] patet quod istam regulam in tantum voluit esse idem quod evangelium Christi […]“. Ebd., S. 119 f. Vgl. auch QPE 9, S. 32.

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Bedürftigkeit vorgenommen worden sei.134 Anhand Apg 2,46 f. stellt er sodann das gemeinsame Beten als weiteres Zeichen der spirituellen Einheit der Gläubigen vor. Er betont, dass cum exultatione et simplicitate (Apg 2,46) sowohl auf das vorhergehende sumebant als auch auf das folgende conlaudantes Deum (Apg 2,47) bezogen sei, da die Urchristen beides, die Entgegennahme der Speise wie das Gotteslob, „mit göttlicher Freude und Einfalt“ getan hätten.135 Zwar trennt der Franziskaner hier nicht so scharf wie die Standardglossen zwischen domum und templum als profanem und sakralem Raum und belegt auch nicht expressis verbis das Gebet mit dem Begriff der vita contemplativa und das Brechen des Brotes mit dem der vita activa, bleibt aber mit seinen Deutungen an dieser Stelle doch vollkommen im Rahmen des Üblichen.136 Interessant erscheint allerdings sein Verständnis der simplicitas. Diese, sagt er, bezeichne „hier nicht nur das Vermeiden geheuchelter Täuschung oder die Duplizität des Betrugs und der Falschheit, sondern auch der verschlagenen Schlauheiten und weltlicher Klugheit, die einen in die Angelegenheiten der Welt verwickeln oder ins eifrige Nachdenken über diese.“137 Damit ist ein weiterer Sinnkomplex angeschnitten, der in der Reifezeit des Franziskanerordens ein schwerwiegendes dialektisches Problem aufwarf und gerade Petrus Olivi als gelehrten Ordensbruder in besonderem Maße betraf. Schon die Haltung des Franziskus zu Studium und Wissenschaft war bei Weitem nicht so eindeutig, wie sein Lob der sancta pura simplicitas und die Charakterisierung seiner selbst wie seiner frühesten Gefährten als idiotae vermuten lassen 134 Glossa ibi: Non secundum gradus honorem ea distribuebant, sed secundum maiorem vel minorem indigentiam, ita quod plus egenti dabant plus et minus egenti minus. LSAA, S. 89. Vgl. Glossa ordinaria ad loc.: non secundum honorem, sed secundum indigentiam ut manna; Hugo v. St. Cher: non secundum honorem, sed secundum indigentiam. Caritas enim diffusa in cordibus per Spiritum sanctum. Die Deutung ist offenbar aus dem homogenen Kerninstrumentarium der heterogenen vita regularis-Entwürfe geschöpft. Vgl. am eindringlichsten in Regula Benedicti 34,1–2: Sicut scriptum est: Dividebatur singulis prout cuique opus erat. Ubi non dicimus ut personarum, quod absit, acceptio sit, sed infirmitatum consideratio […]. Benedicti Regula, ed Rudolf Hanslik, Wien 1960 (= CSEL, 75), S. 91 f. Damit ist sie Beispiel für ein rückübertragendes exegetisches Prinzip, bei dem nachbiblische Verhältnisse, Ordnungen oder Erkenntnisse auf die Deutung einzelner Schriftstellen in einer Weise angewandt werden, die auf jene Merkmale späterer Zeiten und Umstände transferiert und sie somit zum Vorbild des Späteren stilisiert. In besonderem Maße bedient sich Olivi dieser Methode zur Assimilation von Urchristentum und Franziskanertum (vgl. unten, Kap. III, 5.3). 135 Le cum exultatione et simplicitate construe tam cum le sumebant quam cum le collaudabant, quia utrumque faciebant cum divina iucunditate et simplicitate. LSAA, S. 90. 136 Vgl. Glossa ordinaria ad loc.: templo] in oratione, ecce contemplatio; frangentes] hic activa vita signatur; domos] non in templo ut sanctus locus esset orationi. et communis esset victui; dasselbe sinngemäß bei Hugo v. St. Cher. 137 Simplicitas significat hic non solum vitationem hypocrisis simulatae aut duplicitatem fraudum et mendositatum sed etiam versutarum astutiarum et prudentiae mundanae implicantis se negotiis mundi aut curiose cogitantis de illis. LSAA, S. 89 f. – Die Glossa ordinaria kommentiert knapp, aber in Anspielung auf 1 Cor 10,25.27 wohl doch in eine ähnliche Richtung zielend: et simplicitate] nihil interrogantes; ebenso Hugo v. St. Cher: Et simplicitate] nihil interrogantes propter Conscientiam, I. Cor 10 f.

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könnten.138 Denn Unwissenheit und Einfalt verstand er keineswegs als Synonyme, weshalb erstere als klar negativ konnotierte Eigenschaft seines Erachtens überwunden werden konnte, ohne letztere zu verletzen. Mehr noch: simplicitas galt ihm gar als Schwester der sapientia.139 Wie es später auch Olivi in seinem Kommentar zu Apg 2,46 suggeriert, fasste Franz die Einfalt offenbar nicht in erster Linie als einen bestimmten Zustand, etwa denjenigen eines niedrigen Bildungsgrades oder der Dummheit, auf, sondern als willentlich eingenommene Attitüde, als Geringschätzung des Wissens, die aber den Geist umso mehr für die Einsichten in die göttlichen Weisheiten empfänglich machte.140 In diesem Sinne konnten neuere Ansätze entgegen der älteren Franziskusforschung, insbesondere der Schule Paul Sabatiers, erweisen, dass das Problem des Ordensstifters mit der höheren Bildung nicht etwa an einer generell ablehnenden Haltung ihr gegenüber, sondern an der Bestimmung von Impetus und Funktion haftete.141 Wissenschaft um ihrer selbst bzw. um den Erwerb weltlicher Meriten willen sowie zum Zweck des gesellschaftlichen Aufstiegs oder der persönlichen materiellen Bereicherung, zu dem sie seinerzeit durchaus betrieben werden konnte, lehnte er selbstredend ab. Das Studium als Streben nach innerer Erleuchtung und zur Vorbereitung auf eine Predigertätigkeit hingegen hieß er gut, solange die demütige Haltung des Herzens nicht beeinträchtigt und „der Geist des Gebetes und der Hingabe, so wie er in der Regel enthalten ist“, nicht ausgelöscht würden.142 Alles in allem maß der Poverello also Bildung und Bil138 Die „heilige reine Einfalt“ lobt der Poverello in dem Hymnus Salutatio virtutum, ed. Esser/ Grau, Opuscula, S. 421–430, hier: S. 427. Als idiota bezeichnet er sich selbst in der Epistola toti Ordini missa, ed. Esser/Grau, Opuscula, S. 259–269, hier: S. 262. Auf die Gefährten wendet er dieselbe Bezeichnung in seinem Testament an, ed. Esser/Grau, Opuscula, S. 431–447, hier: S. 440. – Vgl. zum Folgenden ausführlich: Achim Wesjohann: Simplicitas als franziskanisches Ideal und der Prozess der Institutionalisierung des Minoritenordens, in: Gert Melville / Jörg Oberste (Hrsgg.), Die Bettelorden im Aufbau. Beiträge zu Institutionalisierungsprozessen im mittelalterlichen Religiosentum (= Vita regularis, 11), Münster 1999, S. 107–167; Dieter Berg, Das Studienproblem im Spiegel der Franziskanischen Historiographie des 13. und beginnenden 14. Jahrhunderts, in: ders., Armut und Geschichte. Studien zur Geschichte der Bettelorden im Hohen und Späten Mittelalter, Kevelaer 2001, S. 51–114 (zuerst in: Wissenschaft und Weisheit 42 (1979), S. 11–33, 106–156); Ralf Köhn, Monastisches Bildungsideal und weltgeistliches Wissenschaftsdenken. Zur Vorgeschichte des Mendikantenstreites an der Universität Paris, in: Albert Zimmermann (Hrsg.), Die Auseinandersetzungen an der Pariser Universität im XIII. Jahrhundert (= Miscellanea Mediaevalia, 10), Berlin/New York 1976, S. 1–37; Thomas Ertl, Religion und Disziplin. Selbstdeutung und Weltordnung im frühen deutschen Franziskanertum (= Arbeiten zur Kirchengeschichte, 96), Berlin 2006, S. 97–100. 139 Ave, regina sapientia, Dominus te salvet cum tua sorore sancta pura simplicitate. Saltatio virtutum 1, ed. Esser, S. 427. 140 Vgl. Ertl, Religion, S. 99. 141 Zu Sabatiers Niedergangsthese und ihrer differenzierenden Überwindung, auch in Verbindung mit der sogenannten franziskanischen Frage nach dem Wert der verschiedenen Quellen für das Verständnis des heiligen Franziskus und seiner Ziele: Wesjohann, Simplicitas, S. 107 f., 118– 123; Ertl, Religion, S. 97 f. 142 So in seinem Schreiben an Antonius von Padua, ed. Esser/Grau, Opuscula, S. 153 f., das nach der Anredeformel allein in folgendem Satz besteht: Placet mihi quod sacram theologiam legas fratribus, dummodo inter huius studium orationis et devotionis spiritum non exstinguas, sicut in regula continetur.

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dungsstreben durchaus Nützlichkeit bei. Seine Haltung ihr gegenüber ging über eine bloße Duldung hinaus.143 Er legte aber höchsten Wert darauf, seinen Mitbrüdern die spirituellen Gefahren des Studiums vor Augen zu führen, damit sie sich vor diesen in Acht nehmen konnten. Was genau dieses ideelle Erbe des Heiligen für die Praxis des Ordens und seiner Mitglieder bedeutete, wurde – wie manches opake Stück seiner Gesinnung – späterhin zum permanenten Diskussionspunkt. Dies schlug sich in sehr verschiedenen Meinungen über Franzens Einstellung zur Wissenschaft und die Implikationen der simplicitas in den ordensinternen Historiographien144 ebenso nieder wie in Verhandlungen des Studienproblems in Regelkommentaren und apologetischen Traktaten,145 aber auch in Auseinandersetzungen mit der Außenwelt. Über das gesamte 13. Jahrhundert hinweg und darüber hinaus wurde so das Verhältnis zwischen Franziskanertum und weltlicher Bildung kontinuierlich geprüft, wurden Grenzen abgesteckt und erweitert, vermeintliche Ursprungsideale und Leitideen interpretiert, verworfen und neu interpretiert. Nachdem Franziskus selbst sich im Jahr 1224 in seinem Brief an Antonius von Padua erstmals mit einer theologischen Unterrichtung der Brüder einverstanden gezeigt hatte, stellte im Verlauf dieser Verhandlungen gewiss der Pariser Mendikantenstreit der 1250er Jahre die bedeutendste Zäsur dar.146 An dessen Ende erlangten die Angehörigen der Bettelorden 1261 die gleich143 Anders: Wesjohann, Simplicitas, S. 128 f. 144 Eingehend zum Niederschlag in den historiographischen Texten: Berg, Studienproblem, S. 55– 90; Wesjohann, Simplicitas, S. 137 ff. 145 In der Bonaventura zugeschriebenen Schrift Determinationes quaestionum circa regulam fratrum Minorum, ed. Opera Omnia 8, S, 337–374, wird Bildung als Erfordernis der Seelsorge entschuldigt. 146 Zum Mendikantenstreit s. Max Bierbaum, Bettelorden und Weltgeistlichkeit an der Universität Paris. Texte und Untersuchungen zum literarischen Armuts- und Exemtionsstreit des 13. Jahrhunderts (1255–1272) (= Franziskanische Studien, Beiheft 2), Münster 1916; Sophronius Clasen, Der hl. Bonaventura und das Mendikantentum. Ein Beitrag zur Ideengeschichte des Pariser Mendikantenstreits, Werl 1940; Köhn, Bildungsideal; Rupert (Fulgentius) Hirschenauer, Die Stellung des heiligen Thomas von Aquin im Mendikantenstreit an der Universität Paris, St. Ottilien 1934, bes. S. 27–70; Camille Sudet, La Querelle de l’Université et des Ordres Mendiants au XIIIe siècle, Bourges 1910, sowie neuerdings die Arbeiten Sita Steckels aus kulturund kommunikationsgeschichtlicher Perspektive: Sita Steckel, „Gravis et clamosa querela“. Synodale Konfliktführung und Öffentlichkeit im französischen Bettelordenstreit 1254–1290, in: dies. / Christoph Dartmann / Andreas Pietsch (Hrsgg.), Ecclesia disputans. Die Konfliktpraxis vormoderner Synoden zwischen Religion und Politik (= Historische Zeitschrift, Beihefte N. F. 67), Berlin/Boston 2015, S. 159–202; dies., Ein brennendes Feuer in meiner Brust. Prophetische Autorschaft und polemische Autorisierungsstrategien Guillaumes de Saint-Amour im Pariser Bettelordensstreit (1256), in: Christel Meier / Martina Wagner-Egelhaaf (Hrsgg.), Prophetie und Autorschaft. Charisma, Heilsversprechen und Gefährdung, Berlin 2014, S. 129– 168; dies., Auslegungskrisen. Grenzarbeiten zwischen Wissenschaft, Recht und Religion im französischen Bettelordensstreit des 13. Jahrhunderts, in: Martin Muslow / Frank Rexroth (Hrsgg.), Was als wissenschaftlich gelten darf. Praktiken der Grenzziehung in Gelehrtenmilieus der Vormoderne, Frankfurt a. M. 2014, S. 39–90; dies., Professoren in Weltuntergangsstimmung. Religiöse Debatte und städtische Öffentlichkeit im Pariser Bettelordensstreit, 1252– 1257, in: Susanne Ehrich / Jörg Oberste (Hrsgg.), Pluralität – Konkurrenz – Konflikt. Religiöse Spannungen im städtischen Raum der Vormoderne, Regensburg 2013, S. 51–80; dies., Predi-

Im Konflikt mit der Welt: Urchristentum und Franziskanerorden

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berechtigte Mitgliedschaft in der Lehrkorporation, womit ihre Berechtigung zur Teilnahme an der höheren Ausbildung nun offiziell anerkannt war. Petrus Olivis eigener Lebensentwurf sowie die Grundfeste seines Lehrgebäudes sind in mehrerlei Hinsicht von diesen Voraussetzungen gezeichnet. Dass er sich zu einem einflussreichen Scholastiker entwickeln konnte, der an den wissenschaftlichen Diskursen seiner Zeit teilnahm und sie zum Teil entscheidend prägte, wäre nicht denkbar gewesen, hätten Franziskus und die ihm nachfolgenden franziskanischen Führer nicht das Studium für die Minderbrüder als zulässig erklärt und durch die Einrichtung von Konventschulen gefördert. Seine Ausbildung an der Pariser Universität, dem damaligen theologischen Zentrum Europas, wurde dem schon im frühen Kindheitsalter dem Orden Beigetretenen erst durch den Ausgang des Mendikantenstreits ermöglicht. Wie sehr sich der junge Frater aber offensichtlich nicht nur die Armut, sondern auch die Einfalt als Leitidee des Franziskanertums zu Herzen nahm, veranschaulicht die Tatsache, dass er – trotz zweifellos vorhandenen Anlagen – niemals den Magister-, geschweige denn den Doktorgrad erwarb.147 Überdies widmete er die ersten vier seiner QQPE148 allein der Ausdifferenzierung von kontemplativem und aktivem Leben im christlichen Kosmos und vorderhand im Orden der minderen Brüder, erarbeitete also eine detaillierte Einordnung der simplicitas im franziskanischen Vervollkommnungsstreben und damit eine eigene Lösung des Studienproblems. Grundsätzlich gibt Olivi in den vier Quästionen der vita contemplativa entschieden den Vorzug vor der vita activa.149 Sie allein böte die Möglichkeit zur höchsten Vereinigung der Seele mit Gott, ermögliche eine Gotteserkenntnis, die weit über die rein intelligible hinausreiche.150 Unter gewissen Umständen aber, räumt er ein, könne das tätige Handeln doch nützlicher sein als das beschauliche.151 Dies betreffe etwa die Sorge um das Seelenheil anderer, die Verteidigung des Glaubens und die Erfüllung der Gehorsamspflicht gegenüber den Oberen. Daher spricht er sich im Weiteren für eine vita ex utraque permixta aus. Unter den Argumenten dafür führt er eingangs den Punkt an, dass „das Leben Christi und der Apostel sowie der Propheten und fast aller bemerkenswerten Heiligen aus beiden vermischt“ gewesen

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gen über die Prediger. Religiöse Identität und Rhetorik im Kontext des Bettelordensstreits, in: Georg Strack / Julia Knödler (Hrsgg.), Rhetorik in Mittelalter und Renaissance. Konzepte – Praxis – Diversität, München 2011, S. 231–254. Vgl. Burr, Persecution, S. 6. Alle vier ed. Aquilino Emmen / Feliciano Simoncioli, La dottrina dell’ Olivi sulla contemplazione, la vita attiva e mista, in: Studi francescani 60 (1963), S. 382–445 u. Studi francescani 61 (1964), S. 108–167. QPE 1: An contemplatio sit melior ex suo genere quam omnis alia actio, S. 382–445; QPE 2: An contemplatio principalius sit in intellectu quam in voluntate, S. 108– 140; QPE 3: An studere sit opus de genere suo perfectum, S. 141–158; QPE 4: An aliquod opus vitae activae prater regimen animarum et praedicationem sit melius ex suo genere quam studium, S. 159–167. Vgl. zum Folgenden: Berg, Studienproblem, S. 90–93. Vgl. QPE 1, S. 416–418. Licet autem ipsa [sc., die vita contemplativa] ex suo genere sit melior, non tamen semper est utilior, ac per hoc nec semper melior. Non enim solum actione est bonitas, quae sibi competit ex suo genere, consideranda, sed etiam quae sibi competit secundum omnes suas circumstantias. QPE 1, S. 422.

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wäre.152 Allerdings entkräftet er diese Aussage an späterer Stelle wieder, indem er erklärt, dass, wie Christus selbst, „auch die Apostel von solch großer Vollkommenheit waren, dass sie auch in der Predigt und in der Leitung anderer ganz auf die göttlichen Dinge gerichtet waren; und durch die Stärke ihres Eifers hatten sie in allen ihren Taten Gott vor Augen und fühlten Gott in allem. Und daher widmeten sie sich aufgrund ihres Zustandes immer der göttlichen Anschauung [contemplationi].“153 Dergleichen träfe aber auf die Menschen späterer Zeiten nicht zu, weshalb der Lebenswandel Christi und der Apostel in diesem Fall nur bedingt ein Vorbild sein könne. Dennoch verteidigt der Theologe Olivi das franziskanische Studium. Seinen Wert gewinne es zwar nicht ex suo genere, aber eben als unabdingbares Hilfsmittel für die Seelsorge sowie die fidei defensio.154 Zudem fördere das Studieren der Bibel die Tugendpflege und sei dem tätigen Leben deshalb überlegen. Das Meditieren über die Worte Gottes als eine inwendige Handlung rechnet er also nicht explizit der reinen vita activa zu.155 Wie sehr gerade die vierte Quästio vom Wunsch des Verfassers durchdrungen ist, sein eigenes Tun, gewiss auch mit Blick auf noch Kommendes, zu rechtfertigen, bekundet sehr anschaulich sein finales Urteil. Irrig sei es, verkündet er darin, zu behaupten, diejenigen unter den Bettelmönchen, die ihren Unterhalt mit Handarbeit verdingten, täten besser als diejenigen, die sich den Studien widmeten.156 Bei alledem lässt er allerdings niemals Zweifel daran aufkommen, dass als einziges Ziel jeglicher Geistesbildung das bessere Verständnis der Heiligen Schrift zu gelten habe.157 Mit diesen Beobachtungen im Rücken erhellen nun auch Olivis exegetische Äußerungen zur simplicitas in Apg 2,46. Sein Blick auf die lukanischen Formulierungen verläuft wohl folgendermaßen: Indem die Gemeinde im Gebet ebenso wie in der Entgegennahme der Speisen die Einfalt bewahrte, bezeugte sie nicht nur deren integrale Funktion im Gefüge der perfectio, sondern demonstrierte auch, dass dieselbe sowohl im kontemplativen als auch im aktiven Handeln – so ja die ordinär-glossatorische Interpretation zu Gebet und Mahl in Apg 2,46 – ohne Weiteres eingehalten werden könne. Hier bekam der Lektor mithin den biblischen Nachweis dessen zu fassen, was er in den ersten vier Fragen über die evangelische Vollkommenheit für sich und den gelehrten Teil des Franziskanertums wie der Christenheit im Allgemeinen spekulativ begründet hatte: Ein zweckvolles zeitweiliges Heraus152 […] vita Christi et apostolorum et prophetarum, et fere sanctorum omnium notabilium, fuit ex utraque permixta […]. Ebd., S. 416. 153 Apostoli etiam tantae erant perfectionis, quod etiam in ipsa praedicationi et aliorum regimine toti in divina erant intenti; et prae fervoris magnitudine in omnibus actibus suis Deum habebant prae oculis, et Deum in omnibus actibus sentiebant. Et ideo suo modo semper contemplationi divinae vacabant. Ebd., S. 429. 154 QPE 4, S. 163. 155 QPE 3, S. 151–159. 156 Ex quo patet, quod erronee locuti sunt qui dixerunt, quod pauperes religiosi melius facerent, si vacarent labori manuum pro sui sustentatione quam quod studio vacant. QPE 4, S. 164. 157 […] quod nec mathematicae scientiae, nec aliquae aliae, addiscendae sunt viro ad perfectionem tendenti, nisi pro quanto iuvant ad Scripturae sacrae elucidationem. Unde, quando studere in eis amplius nocet quam proficiat ad intelligentiam sacrae Scripturae, non est perfectum nec expediens tunc in eis studere. QPE 3, S. 156 f.

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treten aus der reinen Kontemplation bedeutete nicht an sich einen Verstoß gegen die perfectio evangelica, sondern konnte bei der richtigen Einstellung des Herzens jener sogar förderlich sein. Auch hier lässt sich somit wiederum eine vermeintlich nebensächliche Bemerkung in der LSAA unter Heranziehung des Olivi’schen Quästionenwerkes als Bekräftigung einer grundsätzlichen Lehrmeinung des Autors auflösen.158 Hat er so die Perikope, die die Verse Apg 2,42–46 seines Erachtens bilden, unter vielfachen Bezügen auf franziskanische wie allgemeintheologische Probleme des 13. Jahrhunderts sowie auf seine persönliche Stellung zu denselben abgehandelt, nähert sich der Lektor (und mit ihm die vorliegende Untersuchung) nun einer ersten Peripetie, indem er sich unter Aufbietung eines breiten Arsenals scholastischer Gelehrsamkeit der konkreten Erörterung des urchristlichen Gütergemeinschaftsmodells zuwendet. 5. VERFASSTHEIT DER GÜTERGEMEINSCHAFT Die Lektüre der ecclesia primitiva-Berichte der Apostelgeschichte brachte den Franziskanerbruder Petrus Iohannis in eine dialektische Zwickmühle. Um der mendikantischen Lebensweise theologische Legitimation zu verschaffen, musste er die urkirchliche Ordnung mit ihr in Deckung bringen. Zugleich jedoch war die Distanzierung von den alten zönobitischen Gemeinschaften von wesentlicher Bedeutung für das franziskanische Selbstbewusstsein. Da aber auch jene ihre Lebensart von jeher in Einklang mit derjenigen der ersten Christen in Jerusalem sahen, blieb dem franziskanischen Exegeten nur der Ausweg, dem klassischen Mönchtum die Kongruenz mit der Urgemeinde abzusprechen. An erster Stelle ging es ihm dabei, wenig überraschend, um das primäre Distinktionsmerkmal der Mendikanten: die Güterlehre. Wenn sich Olivi im Fortgang seiner Exegese also anschickt, drei wesentliche Fragen zu erörtern, die die Passage Apg 2,42–46 als Ganzes aufwerfe, und zwei davon in wortreichen und nicht minder gehaltvollen Diskussionen gänzlich auf die Verfasstheit der urchristlichen Gütergemeinschaft fokussieren, so schält sich jetzt vollends sein hauptsächliches Anliegen an die Auslegung der apostelgeschichtlichen Gemeindeberichte heraus. Schritt für Schritt vollzieht er eine Umdeutung der apostolischen Güterordnung mit dem Ziel ihrer ideellen Assimilation mit der franziskanischen. Zuerst – so beginnt er das Unternehmen – sei zu klären, „welcher Art diese Gemeinschaft der Temporalien war, von der hier und unten in Kapitel vier gehandelt wird.“ Hierüber nämlich bestünden zwei verschiedene Meinungen. Eine von 158 Ob die Grenzen der Rekonstruktion bewusster Gedankengänge und Intentionen des Verfassers mit solch recht weitläufigen Assoziationen überschritten und damit der Bereich dessen angesprochen ist, was Skinner als „surplus meaning“ bezeichnet, mag dahingestellt sein. In jedem Fall erfüllt die Herstellung entsprechender kausaler Verbindungen den Zweck, auf ein Ideensystem im Hintergrund der Exegese zu verweisen, ohne dessen Kenntnisnahme die Dechiffrierung derselben auf die Aneinanderreihung einzelner Mosaiksteinchen ohne Erzeugung eines Gesamtbildes beschränkt bleiben müsste.

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diesen sei, „dass das Recht über jene beweglichen Güter, die sie in Gebrauch hatten, durch die Gemeinschaft nicht abgesondert worden wäre, sondern dass dieses Recht zwar keinem einzelnen von ihnen Eigen gewesen, aber dennoch der Gemeinschaft oder deren gemeinschaftlichem Verein angehört habe, so dass es nicht irgendeiner anderen Gemeinschaft zugestanden habe, so wie jetzt jede beliebige Abtei von Mönchen ihre speziellen Rechte hat, an denen ein andere Abtei oder irgendeine andere Kongregation nicht teilhat.“159 Damit bringt Olivi nicht nur erstmals in seiner Summarienexegese explizit das Mönchtum ins Spiel, sondern führt zugleich auch die juridische Ebene und speziell das Eigentumsrecht ein. Diesen Elementen wird im Weiteren eine ganz entscheidende Rolle für seine Interpretation der ecclesia primitiva zufallen. Daher muss die Aufmerksamkeit nun zunächst Olivis Konzeptionen von Eigentums- und Gebrauchsrecht zugelenkt werden. Diese stehen in engem Zusammenhang mit den in Kapitel II.3 behandelten allgemeinen Entwicklungen im Umfeld des Ordens im Verlauf des 13. Jahrhunderts, gehen aber sowohl in der Breite als auch in der Tiefe der Betrachtung über sie hinaus und stellen so einmal mehr Olivis intellektuelle Eminenz unter den franziskanischen Gelehrten seiner Generation vor Augen. 5.1 Eigentum, Gebrauch und Recht bei Olivi In QPE 16160, die zu seiner breiten Auseinandersetzung mit der päpstlichen Dispensgewalt in Betreff des Armutsgelübdes gerechnet werden kann, befasst sich Olivi mit der Verbindlichkeit des simplex usus facti, wenn er fragt, „ob das Gelübde der evangelischen und apostolischen Armut mit Recht auf eine solche Lebensweise reduziert werden könne, dass man von nun an hinreichend von den Besitztümern und Einkünften lebt, die einem der Papst oder ein weltlicher Fürst durch gewisse Prokuratoren zukommen lässt, die diese Dinge anstelle und durch die Autorität des Papstes oder des Fürsten innehaben, sodass weder Eigentum noch Gebrauchsrecht oder der Gebrauch der Besitztümer bei denen liegt, die das evangelische Leben gelobten [professores evangelicos], abgesehen nur vom einfachen Gebrauch dessen, was sie de facto für den täglichen Lebensunterhalt annehmen.“161 Am Ende der darauffolgenden Diskussion kommt er zu dem Ergebnis, dass eine affirmative 159 Circa hanc partem quaerenda sunt tria. Primo scilicet cuiusmodi communitas temporalium erat ista de qua hic et infra quarto [sc., Apg 4,32–37] agitur. Circa quod est duplex opinio. Una est quod non privaret commune ius illorum mobilium quae ad usum habebant, sed quod illud ius nullius eorum in singulari esset proprium, esset tamen proprium communitatis seu communis collegii eorum, ita quod non spectaret ad aliquam aliam communitatem, sicut nunc quaelibet abbatia monachorum habet sua specialia iura in quibus non participat alia abbatia vel aliqua alia congregatio. LSAA, S. 90. 160 Ed. David Burr / David Flood, Peter Olivi: On Poverty and Revenue, in: Franciscan Studies 40 (1980), S. 18–58. 161 […] an professio paupertatis evangelicae et apostolicae possit licite ad talem modum vivendi reduci quod amodo sufficienter vivat de possessionibus et reditibus a papa vel mundanis principibus certis procuratoribus commissis qui vice et auctoritate papae vel principum eas teneant ita quod nec dominium nec ius utendi nec usus ipsarum possessionum ad professores evangeli-

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Haltung zu der Frage höchst ruinös sei, da sie unter anderem „durch erstaunliche Hinterlist alle Wurzeln und Früchte evangelischer Armut entkräfte[t]“, „die Räte Christi in den Untergang führ[e]“ und „Vorhut des letzten Antichristen und selbst mystischer Antichrist“ sei.162 Vehement wendet sich Olivi gegen sophistische Umdeutungen des simplex usus facti. Unter dem Deckmantel der Eigentumslosigkeit und der Rechtsfreiheit sorglos von den Gütern anderer zu leben, richte das franziskanische Leben zugrunde. Nur andeutungsweise lässt dieses Urteil erkennen, dass Olivis Kritik nicht etwa gegen die apostolische Institution des ‚einfachen Gebrauchs‘ selbst, sondern gegen deren Missbrauch gerichtet ist. Das von Nikolaus III. in Exiit qui seminat zur Norm erhobene Konzept der rechtsfreien, rein faktischen Güternutzung, das ihm schon von seinem Lehrer Bonaventura vertraut gewesen sein dürfte, erachtete er als absolut bindend. Alles in allem ging er, wie im Folgenden zu sehen sein wird, in Hinblick auf den simplex usus facti gänzlich konform mit der offiziellen Doktrin. Er unterfütterte sie allerdings mit einer ontologischen Theorie, die weit über Bonaventura und Nikolaus hinausreicht. Bereits vor Exiit qui seminat, namentlich in QPE 8, hatte der Franziskaner auf der Autonomie des usus vom ius insistiert und dabei mit dem Bund Jesu und der Apostel, insbesondere aber auch mit der urchristlichen Gütergemeinschaft argumentiert.163 Zur Hypothese Quod etiam status habens aliquid in communi sit melior statu altissimae paupertatis führt er unter den Argumenta in contrarium – das heißt Indizien gegen die von ihm vertretene Meinung – an, dass „keiner ohne den Gebrauch notwendiger Dinge gerecht leben kann. Gebrauch und Recht solcher Dinge sind aber dasselbe. Recht über ein Ding ist nämlich nichts anderes als die gesetzmäßige Gewalt des Gebrauchens eines Dings zum eigenen Nutzen. Aber Gebrauch eines Dings zu haben heißt, dieses mit Recht zum eigenen Bedürfnis zu verbrauchen […].“164 Olivi antwortet, „dass Gebrauch und Recht nicht dasselbe cos spectet nisi solum simplex usus eius quod inde de facto pro victu cotidiano recipiunt. Ebd., S. 34. 162 Respondeo quod modus praefatus est omni dolo et fallacia plenus […]. Iste enim modus sub miro dolo omnes radices et fructus evangelicae paupertatis enervat […] et Christi consilia ad interitum ducit […]. Et est ut aestimo praecursor novissimi Antichristi existens et ipse mystice Antichristus. QPE 16, S. 37. 163 Gegen das Argument, aus Apg 2,44 und 4,34 ff. ginge hervor, dass die Apostel und die Menge der Gläubigen Gemeinbesitz gehabt hätten, weshalb dieser also gegenüber der höchsten Armut zu favorisieren sei, bringt er vor, dass jene seines Erachtens „[…] in jenen Gemeinschaften allein den Gebrauch, nicht aber irgendein Recht, weder über ein Ding noch über den Gebrauch“ gehabt hätten: Actuum II°. dicitur quod ‚omnes qui credebant, habebant omnia communia (cf. Ac 2,44)‘, et Actuum IV°. idem, ubi et adiungitur quod ‚nec quisquam egens erat inter illos, quia pretia eorum quae vendebant, offerebant et ponebant ante pedes Apostolorum, et ipsi dividebant singulis, prout unicuique opus erat (cf. Ac 4,34sq)‘. QPE 8, S. 79. Unde illi, ut credo, solum usum habebant in illis communibus, non autem aliquod ius nec in re nec in usu. Ebd., S. 179. – Zum Verhältnis von usus und ius bei Olivi generell vgl. Lambertini, Apologia e crescita, S. 153–169. 164 Item: nullus potest vivere iuste sine usu rerum necessarium. Sed usus et ius talium rerum sunt idem. Non enim est aliud ius rei quam potestas licita utendi re ad utilitatem suam. Sed usum habere in re est posse eam licite consumere in necessitatibus suis […]. QPE 8, S. 83. – Dasselbe

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sind. Wir können nämlich ein Ding unabhängig davon, dass wir ein Recht darüber oder über dessen Gebrauch hätten, gebrauchen, so wie ein Sklave, der dennoch weder Herr [dominus] noch Nutznießer [usufructuarius] ist, ein Ding seines Herrn gebraucht.165 Dennoch muss man wissen, dass Gewalt [potestas] ein Naturrecht ist, und von solchem Recht und solcher Gewalt reden wir hier nicht; Gewalt ist auch ein positives Recht, und in Bezug auf ein solches ist es nicht richtig, dass ein Ding zu gebrauchen dasselbe sei, wie es mit Recht verbrauchen zu können. Im kleineren Teil dieser Erwägung liegt dennoch keine gute Annahme, weil sie ‚gebrauchen‘ [uti] im Sinne von ‚Gebrauch haben‘ [usum habere] versteht, obwohl sie doch sehr verschieden sind, weil ‚Gebrauch haben‘ dasselbe ist wie ein Recht des Gebrauchens oder ein einfaches Recht oder ein Recht auf Zeit.“166 Zum einen trennt er hier also im Sinne Gratians zwischen Naturrecht und positivem Recht – eine Distinktion, die für sein Bild der ecclesia primitiva eine entscheidende Rolle spielt167 –, zum anderen will er den Gebrauch als solchen (uti) vom Innehaben eines Gebrauchsanspruchs (usum habere) geschieden wissen. Güter zu gebrauchen, setze Argument kennt auch Thomas von Aquin in Contra retrahentes, ed. Opera Omnia 41c, S. 37– 74, hier: Kap. 14,9, S. 68: Dicunt denique hoc esse impossibile, quod aliqui nihil in communi vel proprio possideant, quia necesse est quod comedant, et bibant, et induantur : quod facere non possent, si nihil haberent. Seine lakonische Widerlegung verweist auf die Möglichkeit eines usus ohne dominium unter Voraussetzung der Existenz eines Distribuenten, in dessen Besitz die Gebrauchsgüter verbleiben: Quod autem ultimo propositum est, omnino est frivolum ; quia ea quibus utuntur religiosi ad sustentationem vitae, non sunt eorum quantum ad proprietatem dominii, sed dispensatur ad usum necessitatis ipsorum ab his qui harum rerum dominium habent, quicumque sint illi. Ebd., S. 74. – Zu Thomas’ Positionen in den Armutsdebatten insgesamt vgl. Ulrich Horst, Evangelische Armut und Kirche. Thomas von Aquin und die Armutskontroversen des 13. und beginnenden 14. Jahrhunderts (= Quellen und Forschungen zur Geschichte des Dominikanerordens, NF 1), Berlin 1992; ders., Evangelische Armut und Kirche. Ein Konfliktfeld in der scholastischen Theologie des 13. Jahrhunderts, in: Jan A. Aertsen / Andreas Speer (Hrsgg), Geistesleben im 13. Jahrhundert (= Miscellanea Mediaevalia, 27), Berlin/New York 2000, S. 308–320; Jan G. J. van den Eijnden, Poverty on the Way to God. Thomas Aquinas on Evangelical Poverty (= Publications of the Thomas Instituut te Utrecht, NS 2), Löwen 1994; Hirschenauer, Stellung, S. 71–153. Zu den diesbezüglichen Konflikten zwischen Thomas und Olivi van den Eijnden, a. a. O., S. 198–216 sowie ferner: Kevin Madigan, Aquinas and Olivi on Evangelical Poverty. A Medieval Debate and its Modern Significance, in: The Thomist 61 (1997), S. 567–586. 165 Die Sklave-Herr-Analogie schon bei den Quatuor Magistri, vgl. oben, S. 52. Das römische Recht kennt neben dem vollen Besitztitel und dem Ususfructus als weitere Abstufung einen reinen Usus (auch nudus usus), durch den eine Person das Recht gewinnt, den Besitz einer anderen gemäß ihrer täglichen Bedürfnisse zu nutzen. Vom Ususfructus unterscheidet er sich vor allem darin, dass er nicht übertragbar ist. Vgl. Institutiones Iustiniani 2,5, ed. Huschke, S. 48 f. 166 QPE 8, S. 195: […] quod usus et ius non sunt idem. Possumus enim uti re absque hoc quod habeamus ius in ea vel in usu eius, sicut servus utitur re domini sui, qui tamen nec est dominus nec usufructuarius. Sciendum tamen quod est potestas iuris naturalis, et de tali iure vel potestate non loquimur hic; et est potestate iuris positivi, et de tali non est verum quod uti re sit idem quod posse eam licite consumere. In minori tamen huius rationis non fit bona assumptio, quia pro uti sumit usum habere, cum tamen multum differant, quia usum habere est idem quod habere ius utendi vel simpliciter vel ad tempus. 167 Vgl. dazu auch unten, Kap. III,5.2.2.

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eben auch nach positivem Recht nicht ein ius utendi oder ein sonstiges sekundäres Privileg, wie es im Begriff des usum habere inkludiert sei,168 voraus, sondern könne gänzlich rechtsunabhängig sein. Wie schon Bonaventura mit seiner „Verteidigung der Armen“ und Nikolaus III. in der kurz nach Abfassung von QPE 8 erlassenen Konstitution Exiit zielt Olivis gesamte Befassung mit eigentums- und gebrauchsrechtlichen Belangen schlussendlich zweifellos darauf, durch terminologische Differenzierung unter Heranziehung zivilrechtlicher Begrifflichkeiten eine einfache mendikantische Güternutzung als rechtsfreie Institution zu etablieren und dialektisch zu fundieren. Dass er, im Unterschied zu den beiden anderen, an der zitierten Stelle auch das usum habere aus diesem Konzept ausschließt, verkürzt sich in Anbetracht jenes gemeinsamen Bestrebens auf eine rein semantische Uneinheitlichkeit, weshalb er sich auch ohne Weiteres mit den Bestimmungen Nikolaus’ arrangieren konnte. All diese Erklärungen, so sehr sie auch um Präzision bemüht waren, blieben, wie sich im Theoretischen Armutsstreit allzu deutlich zeigen sollte, letztlich allerdings instabil und angreifbar. Zweifelsohne lag dies an dem paradoxen Unterfangen, mit juristischer Terminologie einen Gegenstand als unjuristisch determinieren zu wollen. Wesentlich kleinere Angriffsflächen für Attacken von rechtstheoretischer Warte boten dagegen Traktate andersdisziplinären, etwa philosophischen Zuschnitts. Auch wenn sie keineswegs nur orthodoxes Gedankengut enthielten, gerieten jene kaum ins Kreuzfeuer der Kritik. Dies trifft beispielsweise auf Petrus Olivis berühmte Quästio Quid ponat ius vel dominium169 zu, ohne deren Konsultation jede Annäherung an sein Rechtsverständnis unzulänglich bliebe. Als quaestio disputata aufgenommen in seinen nur fragmentarisch überlieferten und bisher nicht zusammenfassend untersuchten Kommentar zu den Sentenzen des Petrus Lombardus, befleißigt sich der Franziskaner in diesem Opusculum einer 168 Die Geltung, die er dem Verb habere beimisst, indem er es aus dem Konzept des usus ausgeklammert wissen will, ist keineswegs Olivi’sche Kuriosität. Bereits Bonaventura hatte sich derselben Problematik gewidmet, die Formel usum habere letztlich allerdings nicht aus seinem Armutsmodell verbannt, sondern sie per definitionem von jeglichem Besitzanspruch geschieden: Propter arctitudinem vero sustentationis quantum ad usum in persona huiusmodi pauperum dicit Apostolus ad Timotheum: Habentes alimenta et quibus tegamur, his contenti simus. Habentes, dicit, non quantum ad proprietatem dominii, sed quantum ad facultatem utendi, per quem modum habere dicimur omne, quo utimur, etsi non sit nobis proprium, sed gratis aliunde collatum. Bonaventura, Apologia pauperum XII, 20, S. 323. 169 Ed. Ferdinand Marie Delorme, Question de P. J. Olivi „Quid ponat ius vel dominium“ ou encore „De signis voluntariis“, in: Antonianum 20 (1945), S. 309–330. Dazu: Jussi Varkemaa, Summenhart’s Theory of Rights. A Culmination of the Late Medieval Discourse on Individual Rights, in: Virpi Mäkinen / Peter Korkman (Hrsgg.), Transformations in Medieval and Early-Modern Rights Discourse (= The New Synthese Historical Library, 59), Dordrecht 2006, S. 119–147, hier: S. 121–126; ders., Conrad Summenharts’s Theory of Individual Rights (= Studies in medieval and Reformation traditions, 159), Leiden 2012, S. 20–25; John P. Doyle, John Peter Olivi on Right, Dominion, and Voluntary Signs, in: Semiotics 1986, S. 419–429; Roberto Lambertini, Logic, Language and Medieval Political Thought, in: Jakob Leth Fink / Heine Hansen / Ana María Mora-Márquez (Hrsgg.), Logic and Language in the Middle Ages. A Volume in Honour of Sten Ebbesen (= Investigating Medieval Philosophy, 4), Leiden 2012, S. 419–431, hier: S. 426–428.

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philosophisch differenzierten Sprache und deduktiver Schlussfolgerungen.170 Sein Hauptanliegen fasst er in die Frage, „[…] ob das Recht eines Königs auf Macht und Autorität über sein Königreich oder die Untertanen oder das Recht des Eigentums über ein eigenes Haus den Dingen oder den Personen, denen sie zugesprochen werden, irgendetwas Reales hinzufügt und, andersherum, ob eine Pflicht, durch die ein Sklave oder Untertan an seinen König oder Herrn oder ein Mönch an seinen Abt gebunden ist, denselben Untertanen oder Mönchen irgendetwas Reales hinzufügt, und dergleichen in anderen ähnlichen Fällen […].“171 Das Interesse gilt hier demnach der physischen Wirklichkeit beziehungsweise Abstraktheit von ius und dominium. Im Unterschied zu seinen oben referierten Ausführungen nimmt der Verfasser also nun nicht die Beziehung zwischen Individuum und Gütern, sondern diejenige zwischen Individuum und Recht in den Blick.172 Dabei scheint er die beiden Begriffe ius und dominium parallel zu verstehen und kommt damit im Übrigen Hugo von Dignes Definition von proprietas nahe, die sowohl Eigentum per se wie auch Rechte als bloße Möglichkeiten umfasste. Das Ergebnis seiner Überlegungen ist zunächst nicht eindeutig. Er konstatiert, dass „[…] die vorgenannten Haltungen wirklich etwas Reales hervorbringen, aber nicht irgendeine separate Wesenheit hinzufügen, die jene Subjekte, von denen man sagt, dass sie ihnen angehören und in ihnen sind, tatsächlich formt.“173 Zwar hätten Rechte wie Herrschaftsrecht und Besitzrecht sowie Pflichten wie die Gehorsamspflicht durchaus etwas Wirkliches, über die rein semiotische Ebene Hinausreichendes, doch sei dies nicht physischen Charakters. In einem weiten Bogen über die „Ordnung der vernünftigen Natur gegenüber Gott und den Dingen der Welt“174 entwirft der Verfasser im Anschluss eine umfassende Relationstheorie, die ihn zu dem Resultat führt, dass die verhandelten Rechte und Pflichten Instrumente göttlichen Ordnungswillens seien und somit, da „nichts realer und göttlicher ist als der göttliche Wille“, fraglos dem Individuum etwas Reales 170 Die Quästio findet sich in der Einleitung seines Kommentars zum vierten Buch der Sentenzen. Zu Olivis Sentenzenkommentaren, unter denen eine Summa und ein eigentlicher Kommentar zu unterscheiden sind, vgl. Joseph Koch, Der Sentenzenkommentar des Petrus Johannis Olivi, in: Recherches de théologie ancienne et médiévale 2 (1930), S. 290–310; Valens Heynck, Zur Datierung der Sentenzenkommentare des Petrus Johannis Olivi und des Petrus de Trabibus, in: Franziskanische Studien 38 (1956), S. 371–398. Neben einer Reihe von Einzeleditionen und Übersetzungen existiert eine vollständige Ausgabe des Kommentars zum zweiten Buch der Sentenzen: Petrus Johannis Olivi, Quaestiones in secundum Librum Sententiarum, ed. Bernhard Jansen, 3 Bde (= Bibliotheca Franciscana Scholastica Medii Aevi, 4–6), Quaracchi 1922/1924/1926. 171 […] an ius regie potestatis et auctoritatis super suum regnum et super subditos vel ius proprietatis super domo propria aliquid realiter addant super res vel personas quarum dicuntur esse, et econtra an debitum quo servi et subditi tenentur suo regi vel dominio vel monachus abbati aliquid reale addant ad ipsos subditos vel monachos, et sic de aliis consimilibus […]. Quid ponat ius vel dominium, ed. Delorme, S. 316. 172 Vgl. zum Folgenden ausführlicher: Varkemaa, Individual Rights, S. 21 ff. 173 […] predicte habitudines vere ponunt aliquid reale, non tamen addunt aliquam diversam essentiam realiter informantem illa subiecta, quorum et in quibus esse dicuntur. Quid ponat ius vel dominium, ed. Delorme, S. 323. 174 […] ordo nature rationalis ad Deum et ad res universi. Ebd.

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hinzufügten, ein Etwas aber, das keine separate physische Entität hätte.175 Es ist das in diesen Ausführungen hervortretende originäre metaphysische Weltbild, welches ein ungebrochenes wissenschaftliches Interesse an der Quästio, besonders von philosophiegeschichtlicher Seite, provoziert. Dass die in ihr zum Ausdruck kommenden Anschauungen indirekt – gewiss aber nicht unbewusst – freilich auch die Einrichtung des franziskanischen simplex usus facti unterstützten, stellt Varkemaa mit Recht heraus.176 Indem er die Wirklichkeit von ius und dominium außerhalb der Physis lokalisiert, behält Olivi letztere als neben der Sphäre des positiven Rechts existierende Realität des Natürlichen ebenjenem faktischen Gebrauch vor.177 So vage und ungewiss jegliche retrospektive Mutmaßungen über das charakterliche Profil eines Menschen des Mittelalters stets bleiben müssen, scheint sich in der Konsequenz seines Insistierens auf der Disjunktion von ius und usus über alle wissenschaftlichen Gattungsgrenzen und perspektivischen Wechsel hinweg doch immerhin anzudeuten, dass der Minorit in dieser Sache aus persönlicher, durch systematisches Sinnen erlangter Überzeugung und nicht etwa für die Rechtfertigung einer eindimensionalen Ideologie operierte. Die im Vorangegangenen vorgestellten Grundzüge des Olivi’schen Rechtsverständnisses und diesbezüglichen Konturierungen im und um das frühe Franziskanertum jedenfalls bilden den Boden, auf den die entsprechenden Implikationen seiner Lectura super Actus Apostolorum fallen. Allein vor diesem Hintergrund können sie verstanden werden. 5.2 Rechtsfreiheit und Unschuldsstand 5.2.1 Eine universale Gütergemeinschaft frei von Rechtsanspruch Wie oben gesehen, sei die erste laut Olivi zu seiner Zeit verbreitete Meinung über die Verfasstheit der urchristlichen Gütergemeinschaft gewesen, dass es sich dabei um eine positivrechtlich gesatzte Ordnung in der Art eines Klosters gehandelt habe. Gewisse Vertreter dieser Auffassung, führt er im Folgenden in der LSAA weiter aus, unterschieden darüber hinaus zwischen den Aposteln und dem Rest der Gläubigen und behaupteten, erstere hätten keinerlei individuellen oder gemeinschaftlichen Besitz gehabt, letztere hingegen eine Gütergemeinschaft geübt. Diese Ansicht stützten sie auf Bedas Kommentar zu Apg 4,33.178 Exakt jene Argumentation hatte 175 Si igitur nichil est realius et divinius divino velle et si post Deum nichil realius aut divinius quam esse actuale volitum Dei et precipue quando est ad hoc volitum ut actu super alios gerat et teneat vicem Dei, patet quod ordo predictus est quid realissimum et divinissimum, quamvis nichil realiter addat super predicta diversum. […] Prefatum autem debitum seu prefatus ordo non addit aliquam essentiam persone cuius est et super essentia gratiarum illius persone susceptarum a Deo […]. Ebd. 176 Vgl. Varkemaa, Individual Rights, S. 25. 177 […] potestas regalis vel consimiles, secundum quod est potestas solius iuris, non aliqua potentia naturalis et naturaliter agens est […]. Quid ponat ius vel dominium, ed. Delorme, S. 329. 178 Et tunc quidam huius opinionis distinguunt inter apostolos et ceteros credentes. Dicunt enim quod apostoli nihil habebant penitus in proprio vel communi, cetera vero multitudo credentium carebant tunc quidem proprio sed habebant aliqua in communi. Et hanc distinctionem sumunt

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er bereits in QPE 8 vorgestellt und noch etwas weiter ausgeführt. „Denselben aber“, sagt er dort über die Vertreter jener Meinung, „schien es, nicht ungebildet, dass die Gemeinschaft jener Zeit eine andere war als jene, die bis heute andauert.“179 Dieser Zusatz, zumal das Zugeständnis der Bildung an die betreffenden Personen, lässt erkennen, wen Olivi hier wohl insbesondere anspricht. Kein Geringerer als sein Lehrer Bonaventura nämlich war es, der eine Unterscheidung zwischen Gütergemeinschaft und gänzlicher Eigentumslosigkeit getroffen und diese auf die vermeintliche Distinktion zwischen der Menge der Gläubigen und den Aposteln in den Acta apostolorum angewandt hatte.180 Auch seinen Meister Johannes Peckham musste Olivi womöglich als Vertreter dieser Meinung ansehen.181 Entsprechend der Berufung des klassischen Mönchtums auf die Wirtschaftsform der Summarien und abermals in Bezug auf Beda hatte Bonaventura gar unkritisch bestätigt, dass in Apg 4,32 die monastische bzw. zönobitische Lebensform des Gemeinbesitzes begründet

a glossa Bedae super illud quarti capituli (4, 33) […]. LSAA, S. 90. Im Anschluss zitiert er, mit wenigen unerheblichen Abweichungen, Beda, Expositio, ed. Laistner, S. 27 f.: IV, 33. Et virtute magna reddebant apostoli testimonium resurrectionis Iesu Christi domini. Doctorum uigilanter auditorumque discernit ordinem; nam multitudo credentium rebus suis spretis caritatis inuicem copula iuncta est, apostoli uero uirtutibus refulgentes Christi cunctis mysteria pandebant. Aufgenommen in Glossa Ordinaria, ad loc., allerdings ebenfalls nicht vollkommen deckungsgleich mit Olivis Wortlaut. 179 Quibusdam autem non indocte visum est quod alia fuit communitas illius temporis et alia illa quae usque hodie durat. QPE 8, S. 178 f. 180 Cum enim duplex sit rerum dominium, privatum scilicet et commune, unum quidem spectans ad determinatam personam, alterum vero ad determinatum collegium; et primum abdicari possit, retento secundo, possit etiam abdicari secundum cum primo: duplex erit secundum hunc duplicem modum paupertatis perfecta professio, una videlicet, qua quis, temporalium omnium privato seu personali abdicato dominio, sustentatur de non suo, id est, non sibi proprio, communi tamen iure cum aliis participato et simul possesso; alia vero, qua quis, omni rerum abdicato dominio, tam in proprio quam in communi, sustentatur de non suo, id est non sibi proprio, sed alieno, pie tamen et iuste ab alio sibi pro sustentatione collata. – Primae paupertatis forma praecessit in turba credentium, de qua in Actibus dicitur: Multitudinis credentium erat cor unum et anima una, nec quisquam eorum quae possidebat, aliquid suum esse dicibat, sed erant illis omnia communia. Bonaventura, Apologia pauperum VII,4, S. 273. Quamvis enim legatur in Actibus, quod multitudini credentium erant omnia communia, et quod rerum venditarum pretia ponebantur ad pedes Apostolorum; nequaquam est intelligendum, quod Apostoli proprium aliquid vel commune possederint, quia communitas illa non refertur ad Apostolos, sed ad turbam […]. Ebd. 7,32, S. 283. – Vgl. dazu Lambertini, Apologia e crescita, S. 89 f. Zur Rezeption im Theoretischen Armutsstreit: Wittneben, Bonagratia, S. 119–121. 181 Ein zwischen 1276 und 1279 verfasster, editorisch Bonaventura zugeordneter Kommentar zur Regula bullata stammt möglicherweise aus Peckhams Feder. Darin heißt es: […] res, quibus Fratres utuntur, sunt eis communes quantum ad usum, sed non tamen ad dominium. De illis autem sanctis in Ierusalem constitutis dictum est, quod erant omnia communia quantum ad possessionem. Alii vero plurimi communem usum illarum rerum sine dominio habuerunt, sicut Apostoli, quando erant praesentes illi multitudini […]. Expositio super regulam Fratrum Minorum, ed. Bonaventura, Opera omnia 8, S. 391–437, hier: Kap. 6,10, S. 422. Zur Autorschaft: Conrad L. Harkins, The Authorship of a Commentary on the Franciscan Rule Published among the Works of St. Bonaventura, in: Franciscan Studies 29 (1969), S. 157–248 sowie Lambertini, Apologia e crescita, S. 133 ff.

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liege.182 Diesem Gedanken aber konnte Olivi, so sehr er bei anderen Gelegenheiten darum bemüht war, Bonaventuras Lehre mit der seinen zu korrelieren, freilich nicht beipflichten.183 Als zweite, opponierende Theorie über das Gepräge der Gütergemeinschaft des Urchristentums führt er daher die Meinung an, „dass diese Gemeinschaft jegliches Eigentum oder vielmehr jegliches Eigentumsrecht nicht nur von den Einzelnen, sondern auch von ihrer gesamten Gemeinschaft ausschloss, so dass, wenn irgendeiner der außenstehenden Heiden oder Juden irgendetwas von ihnen weggenommen hätte, sie es keinesfalls von jenen zurückverlangt hätten, als sei es ihrer Gemeinschaft Eigen gewesen.“184 Wie Garnsey richtig vermutet, handelt es sich bei dieser alternativen Exegese des ersten lukanischen Sammelberichts, die Olivi als von unbestimmten alii vertretenen Standpunkt präsentiert, um originär Olivi’sches Gedankengut.185 Allerdings entwickelte er jenes nicht erst anhand der näheren exegetischen Beschäftigung mit der Apostelgeschichte, sondern brachte es bereits in seiner oben referenzierten Auseinandersetzung mit Bonaventura in QPE 8 vor.186 Hier wie dort argumentiert er vornehmlich mit der pseudoisidorischen Dekretale Dilectissimis, worauf im folgenden Kapitel näher einzugehen sein wird. In der Acta-Exegese bietet er zuvor jedoch noch einen intrinsischen Beweisgrund an. Indem Lukas sage, „alle, die glaubten, waren beisammen und hatten alles gemeinsam“ (Apg 2,44), wolle er, so Olivi, zum Ausdruck bringen, dass alle – die Apostel wie die übrige Menge – eine einzige Gemeinschaft gebildet und als solche Gemeingut gehabt hätten.187 Dass Letzteres nicht zwingend als Widerspruch zur behaupteten kollektiven Eigentums- und Eigentumsrechtslosigkeit aufgefasst werden muss, wird im Weiteren durch eine ideelle Verknüpfung mit dem Bild eines naturrechtlich konstituierten status innocentiae gewährleistet. Zuvor aber lassen die in Rede stehenden Parallelstellen zwischen LSAA und QPE 8 noch eine formale Beobachtung zu. Olivis Bemühen, seine persönliche Po182 Hic etiam tradita fuit forma monasticae seu coenobiticae vitae, iuxta quod Glossa Bedae dicit ibidem: ‚Qui ita vivunt, ut sint eis omnia communia in Domino, coenobitae vocantur. Quae vita tanto felicior est, quanto statum futuri saeculi imitatur, ubi omnia communia‘. Apologia pauperum VII,4, S. 273. Vgl. Beda, Retractio, ed. Laistner, S. 126, wo jener auch darauf verweist, dass communia auf griech. κοινά zurückgeht, und die Bedeutung der Vokabel erörtert. Seine Assoziation mit dem Mönchtum aufgenommen in Glossa ordinaria, ad loc., Übereinstimmungen jeweils nicht wörtlich. 183 Zu Olivis von der franziskanischen Tradition abweichenden Haltung in dieser Angelegenheit s. Töpfer, Urzustand, S. 418; Leutzsch, Gütergemeinschaft der Bibel, S. 84. 184 […] quod haec communitas omnem proprietatem seu ius proprietatem excludebat non solum a singulis sed etiam a tota communitate eorum, ita quod si aliqui de exteris gentilibus vel Iudaeis aliqua eis auferrent nequaquam repetissent illa ab eis tamquam propria suae communitatis. LSAA, S. 90 f. 185 Vgl. Garnsey, Peter Olivi, S. 38. 186 Unde illi, ut credo, solum usum habebant in illis communibus, non autem aliquod ius nec in re nec in usu. QPE 8, S. 179. 187 […] Lucas videtur generaliter de omnibus fidelibus illius temporis loqui cum dicit: Omnes etiam qui credebant erant pariter et habebant omnia communia. Ex quo videtur Lucas velle quod omnes, tam apostoli quam alii, uno modo essent unius communitatis et unius modi habendi communia. LSAA, S. 91.

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sition im exegetischen Rahmen zunächst allein aus dem Wortlaut des diskutierten Textes heraus zu belegen, führt die genrebedingt unterschiedlichen Hermeneutiken vor Augen. Wenngleich er in der Lectura für dieselben Maximen streitet wie in der Quästio, ist er bei letzterer freier in der Wahl seiner Argumente, konzentriert sich augenscheinlich auf diejenigen mit der potentiell größten Überzeugungskraft. In der Exegese dagegen ist er an einen Grundsatz gebunden, den er selbst in einem seiner Principia formulierte, dass nämlich beim Bibelstudium stets zuerst die Heilige Schrift selbst, dann die Väter und zuletzt die weltlichen Philosophen heranzuziehen seien.188 Rekurriert er nun zur Begründung seiner Meinung über die Gütergemeinschaft der Gläubigen nacheinander auf einen Vers aus der Apostelgeschichte, einen Pseudoclemensbrief und schließlich – im Zuge des letzteren – auf Plato, so setzt er in diesem Fall jene Direktive geradezu mustergültig um. Freilich kann aber auch ein solch herausragendes Exempel formaler Stringenz letztendlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass Olivi bezüglich textlicher Gattungsgrenzen häufig inkonsequent ist, insofern er Kommentar, Traktat, Polemik, Glosse und andere Ausdrucksformen miteinander vermischt bzw. zwischen ihnen hin und her springt. Besonders eindringlich tritt dies gleichfalls in seinen Lektüren der Evangelien,189 so etwa im Matthäuskommentar, zutage.190 5.2.2 Die Dekretale Dilectissimis Wie bereits in QPE 8 bildet den Kern der Argumentation für die Hypothese einer eigentums- und rechtsfreien Gemeinschaft der Urchristen in Jerusalem auch 188 Vgl. Principium I: De Studio, ed. Flood/Gál, Peter of John Olivi on the Bible, S. 17–37, hier: S. 27: Rectus igitur ordo est primo inniti fidei et fonti Scripturae sacrae, deinde per libros sanctorum, quasi per rivos a primo fonte immediate defluxos ad irrigua hortorum magistralium descendere, et sic deinde ad stagna vel paludes mundanorum philosophorum deflecti. Zum Kontext sowie dem scholastischen Genre des Principiums i. A. die Einleitung ebd., S. 5–15 mit weiterführenden Literaturangaben. 189 Olivi verfasste Postillen zu allen vier Evangelien. Der Kommentar zum Evangelium nach Markus sowie ein Fragment zu Lukas liegen mittlerweile in kritischer Edition vor (ed. Fortunato Iozzelli, Petri Iohannis Olivi. Lectura super Lucam et Lectura super Marcum (= Collectio Oliviana, 5), Rom 2010), die Markus-Exegese außerdem in englischer Übersetzung (Karris, Peter of John Olivi. Commentary on the Gospel of Mark). Der Johannes-Kommentar hat bisher keinen Editor gefunden, Auszüge aber in Doucet, De operibus, S. 436–441; Robert Pasnau (Hrsg.), The Cambridge Translations of Medieval Philosophical Texts, Bd. 3: Mind and knowledge, Cambridge 2002, S. 136–151 (engl. Übers.). Genauso liegt es beim Matthäus-Kommentar; Auszüge in Thomas Murtagh, Peter Olivi’s Matthew Commentary. A Critical Edition of Chapter 5, Verses 1–26 with a commentary (MT, unpubl.), Melbourne 1992; Ferdinand Marie Delorme, Textes Franciscains. I. L’explication littérale du Pater selon Pierre de Jean Olivi, in: Archivio italiano per la storia della pietà 1 (1951), S. 179–218, hier: S. 207–218; d’Alverny, Un adversaire, S. 207–218; Sylvain Piron, Lectura super Mattheum, prologus, in: Oliviana 4/2012, URL: http://oliviana.revues.org/498; Bonaventura, Opera omnia 8, S. 658–662; Aquilinus Emmen, Pierre de Jean Olivi, sa doctrine et son influence, in: Cahier de Joséphologie 14 (1966), S. 209–270, hier: S. 259–270. 190 Vgl. Madigan, Olivi and the Interpretation of Matthew, S. 93–128.

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in Olivis Acta-Exegese der Bezug auf die Dekretale Dilectissimis, die er in beiden ausführlich zitiert. In der LSAA beginnt er die Wiedergabe des Textes, den er laut eigener Angabe Gratians Decretum entnimmt, unmittelbar mit der Grußformel an die hochverehrten Brüder und Mitjünger in Jerusalem (Dilectissimis fratribus et condiscipulis Hierosolymis) sowie den Herrenbruder Jakobus als Leiter der Gemeinde. Im Anschluss lässt er die ersten drei der sechs Paragraphen folgen, in die Gratian den Kanon gliedert. Gemeinschaftliches Leben ist für alle notwendig, Brüder, und am meisten für diejenigen, die Gott untadelhaft zu dienen wünschen und das Leben der Apostel und ihrer Jünger nachahmen wollen. Gemeinsam sollte nämlich der Gebrauch aller Dinge, die in dieser Welt sind, allen Menschen sein. Aber durch Ungerechtigkeit sagte der eine dies und der andere das sei sein, und so kam es zur Teilung unter den Sterblichen. Schließlich sagte ein bestimmter äußerst Weiser unter den Griechen, der wusste, dass diese Dinge gemeinsam sind, das Freunden alles gemeinsam sein solle. Und so wie Luft und Sonnenschein nicht aufgeteilt werden können,191 so sollen auch die übrigen Dinge, die allen gemeinsam zum Besitz [ad habendum] gegeben wurden, nicht geteilt werden, sondern alles sollte gemeinschaftlich gehalten werden. Daher sagt auch Gott durch den Propheten: Seht, wie gut und schön es ist, wenn Brüder in Eintracht zusammen wohnen.192 Den Lebenswandel nach dieser Gewohnheit bewahrend, führten die Apostel und deren Jünger mit uns und mit euch ein gemeinschaftliches Leben. Denn wie ihr gut wisst, sagte keiner von ihnen oder von uns, dass irgendetwas sein sei, sondern jenen und uns war alles gemeinsam.193

Es dürfte schwerlich verwundern, dass der Minorit auf diese Erklärungen wiederholt zurückgriff.194 In mehrerlei Hinsicht fügten sie sich geradezu perfekt in 191 Vgl. Institutiones Iustiniani 2,1,1, ed. Huschke, S. 36: Et quidem naturali iure communia sunt omnium haec: aer et aqua profluens et mare et per hoc litora maris. 192 Ps 133,1. 193 Communis vita est omnibus necessaria, fratres, et maxime his qui Deo irreprehensibiliter militare cupiunt et vitam apostolorum eorumque discipulorum imitari volunt. Communis enim usus omnium quae sunt in hoc mundo omnibus esse hominibus debuit. Sed per iniquitatem alius hoc dixit esse suum et alius istud, et sic inter mortales facta est divisio. Denique Graecorum quidam sapientissimus, sciens haec ita esse communia, ait amicorum debere omnia esse communia. Et sicut non potest dividi aer nec splendor solis, ita nec reliqua quae communiter omnibus data sunt ad habendum dividi debere, sed habenda esse omnia communia. Unde et Deus per prophetam dicit: Ecce quam bonum et quam iucundum habitare fratres in unum. Istius consuetudinis more retento, apostoli eorumque discipuli una nobiscum et vobiscum communem vitam duxerunt. Ut enim bene nostis, nullus eorum aut nostrum aliquid suum esse dicebat, sed omnia illis et nobis erant communia. LSAA, S. 91. – Auffällig ist, dass in Olivis Wiedergabe des gratianischen Kanons der Hinweis auf die Frauengemeinschaft fehlt (In omnibus autem sunt sine dubio et coniuges). Der direkt auf die Politeia zurückgehende, mit der christlichen Lehre nicht zu vereinbarende Gedanke, dass auch die Ehefrauen Gemeingut sein sollten, hatte die Rechtsgelehrten von Beginn an in Erklärungsnot gebracht. Schon in der Überlieferung der Pseudoisidorischen Dekretalen existiert eine Handschriftengruppe, in der der fragwürdige Satz gänzlich getilgt ist. Gratian allerdings ließ die Stelle unangetastet, sodass sich die Benutzer seines Decretum mit der merkwürdigen Vorstellung konfrontiert sahen, Papst Clemens I. habe den ‚Weiberkommunismus‘ propagiert (vgl. Kuttner, Gratian and Plato, S. 101–103; Fuhrmann, Kritischer Sinn, S. 88–90). Die Vermutung liegt nahe, dass Olivi den Satz aus Verlegenheit bewusst ausspart. 194 In QPE 8, S. 98 f., bringt er einen kürzeren Ausschnitt, ebenfalls leicht paraphrasiert, auf den er später, S. 179, wieder verweist. Auch in seiner Auslegung des Lukas-Evangeliums bezieht er

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seine Lehre und waren dieser ein ausgezeichneter Advokat.195 So konnte die vermeintliche apostolische Konstitution zunächst als antizipatorische Legitimation der franziskanischen Lebensweise gelesen werden, erklärt sie doch den gemeinsamen Gebrauch insbesondere für diejenigen als notwendig, qui Deo irreprehensibiliter militare cupiunt et vitam apostolorum eorumque discipulorum imitari volunt – eine Formel, in der sich die Franziskaner unweigerlich wiedererkennen mussten. Darüber hinaus schien Clemens Romanus hier in blendender Klarheit nicht nur die Möglichkeit gemeinschaftlicher Güternutzung ohne Rechtsbindung zu bescheinigen, sondern diese gar als gottgewollten Normalzustand auszuweisen. Erst durch ungerechtes menschliches Handeln hätten sich nach einer unbestimmten Phase dieses Urzustandes Besitzansprüche entwickelt. Hier also, so konnte die Dekretale verstanden werden, lag der Ursprung des positiven Rechts als prinzipiell illegitimes Gegenstück zum göttlichen Recht, sprich dem Naturrecht.196 Während allerdings im späteren Mittelalter die Idee vom Sündenfall als Initialimpuls für die Entstehung gesatzten Rechts weithin akzeptiert war, stand der Auffassung von der Schändlichkeit des menschengemachten positiven Rechts die Mehrheit der Dekretisten entgegen, die – wie in gewisser Weise schon Gratian selbst – darum bemüht waren, das negative Urteil des Kanons Dilectissimis über den positivrechtlichen Eigentumsbesich auf den Brief. Lectura super Lucam et Lectura super Marcum, ed. Iozzelli, S. 510: Quinto, quia originalis iniquitas est prima causa quare res exteriores, omnibus secundum naturam communes, diuise sunt in meum et tuum. Et ultra hoc, communis et iniqua cupiditas hoc amplius fieri fecit, iuxta quod dicit Clemens in quadam epistola sua. Auch andere der pseudoisidorischen Clemensbriefe zog er gelegentlich heran. Vgl. etwa QPE 9, S. 58; Tractatus, ed. Burr, S. 119. 195 Floods Urteil, die Dekretale „would have been an excellent argument had the document, as later proved, not been faked“ (Flood, Peter of John Olivi on the Acts of the Apostles, S. 466; wieder in: Karris/Flood, Peter Olivi, S. 260, Anm. 11), ist freilich unsinnig. Warum sollte die argumentative Beweiskraft des Schriftstücks im 13. Jahrhundert durch den späteren Nachweis seiner Fälschung gemindert werden? Im Übrigen liegt die Annahme nahe, dass Olivi durchaus mit den schon seit dem 11. Jahrhundert verbreiteten Zweifeln an der Echtheit der pseudoisidorischen Clemensbriefe vertraut war. Denn diese äußerte, neben anderen vielgelesenen Autoren, auch Petrus Comestor in seiner Historia Scholastica, die Olivi für seine Auslegung der Apostelgeschichte gebrauchte: Sed cum Beda dicat mortuum Jacobum septimo anno Neronis, palam est non esse authenticum, quod legitur in epistola Clementis, qui, juxta tenorem illius epistolæ, dicit sibi esse mandatum a Petro, cui successit in apostolatu, ut post ejus mortem, Jacobo episcopo epistolas destinaret, ut ab eo instruetur. Sed cum Jacobus episcopus mortuus sit septimo anno Neronis, et Petrus vixerit usque ad decimum quartum, constat hoc nihil esse. Historia Scholastica 97, ed. Migne, PL 198, Sp. 1708. Zur mittelalterlichen Kritik an den Pseudoclemensbriefen: Martina Hartmann, Spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Kritik an den pseudoisidorischen Dekretalen. Nikolaus von Kues und Heinrich Kalteisen als „Wahrheitszeugen“ bei Matthias Flacius Illyricus und den Magdeburger Centuriatoren, in: Hartmann/Schmitz (Hrsgg.), Fortschritt durch Fälschungen?, S. 191–210 sowie Fuhrmann, Kritischer Sinn, der zeigt, dass die mittelalterlichen Gelehrten trotz Indizien gegen die äußere Echtheit der Dekretalen für ihre innere Stimmigkeit plädierten. Formale Unechtheit widersprach in ihren Augen nicht einer inneren Wahrheit. Vgl. dazu i. A. auch Forst Fuhrmann, Die Fälschungen im Mittelalter, in: Historische Zeitschrift 197 (1963), S. 529–554; ergänzt wieder in ders., Einfluß und Verbreitung, Bd. 1, S. 64–136. 196 Zum Zusammenfall von göttlichem Recht und Naturrecht im christlichen Denken s. Ernst Troeltsch, Das christliche Naturrecht, in: Gesammelte Schriften 4 (1925), S. 156–166.

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griff zu relativieren.197 Olivi jedoch zeigte sich von entsprechenden Einwänden, die ihm gewiss nicht unbekannt gewesen sein dürften, kaum beeindruckt. Allenfalls die Tatsache, dass er, wie oben zu sehen, Pseudoklemens nicht direkt im Kontext seiner präzise juridischen Auseinandersetzung mit usus, dominium etc. heranzog, kann als diesbetreffende Rücksichts- bzw. Vorsichtsmaßnahme gewertet werden. Den Horizont der zur Debatte stehenden Passage seiner Acta-Exegese bilden selbstverständlich aber nicht Details kontemporärer Rechtsauffassung, sondern vielmehr ein überzeitlich-heilsgeschichtliches Gesamtkonzept. Wie vor ihm bis zu einem gewissen Grad schon Bonaventura198 und Peckham199, beide darin aber in Vehemenz und Konsequenz bei Weitem übersteigend, erhebt Olivi den status innocentiae, in dem der Menschheitsgemeinschaft Eigentum gänzlich fremd gewesen sei, zum Leitbild der perfectio evangelica in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Deutlich bringt er dies in seiner Zusammenfassung der pseudoklementinischen Ausführungen zum Ausdruck: In diesen Worten lehrt er kurzum zweierlei. Das eine ist, dass damals eine einzige und gleichförmige Gemeinschaft der Apostel und der übrigen Gläubigen bestand. Das zweite ist, dass sich jene Gemeinschaft für ihren Verein nichts gemeinschaftlich aneignete, sondern im Gegenteil von der Art war, wie die gesamte Menschheitsgemeinschaft im Stand der Unschuld gewesen ist und so wie es unter allen Menschen sein sollte, wenn es nicht die Verführung und die Schwäche der ursprünglichen und gegenwärtigen Sünde gäbe, und jene [Gemeinschaft] ist so beschaffen, dass Luft und Sonne allen gemeinsam sind.200

In der jerusalemischen Gemeinde, so liest Olivi die Dekretale, sei der Urzustand der Menschheit vor dem Sündenfall, als alle ohne Unterschied frei von Begehrlichkeiten und egoistischen Ansprüchen gerecht miteinander gelebt hätten, wiederhergestellt worden.201 Und tatsächlich erweckte Dilectissimis exakt diesen Eindruck, ließ gar einen vermeintlichen Augenzeugen über die vollendet egalitäre, eigentumsfreie 197 Zu Gratians Gewichtung des Textes in der Bewertung von positivem Recht und Naturrecht vgl. Töpfer, Urzustand, S. 165–167; zu den Dekretisten ebd., S. 168–185; ders., Vorstellungen, S. 390–399. 198 Zu Bonaventuras Erklärungen über die Entstehung des Eigentums durch den Sündenfall und seine alles in allem vage bleibenden Andeutungen betreffs der Nachbildung des status innocentiae durch Befolgung der franziskanischen Lehre in seinem Sentenzenkommentar sowie der Schrift De perfectione evangelica vgl. Töpfer, Urzustand, S. 214–222. 199 Der Gedanke, dass durch Franziskus und sein Gefolge der verlorengegangene Urstand der Eigentumslosigkeit so weit wie möglich erneuert werden sollte, kommt auch im oben, S. 106, Anm. 181, erwähnten, womöglich von Peckham stammenden Regelkommentar zum Ausdruck: Quinta ratio est, ut statum innocentiae perditae, ut erat possibile, renovaret; in qua, si homo stetisset, omnia fuissent communia, et nulla proprietas contracta fuisset ad multitudinem aliquam vel personam. Expositio super regulam 4,3, ed. Bonaventura, Opera Omnia 8, S. 413. 200 In quibus verbis docet duo in summa. Unum est quod apostolis et ceteris credentibus erat tunc una et uniformis communitas. Secundum est quod illa communitas non appropriabat illi collegio aliquid in communi, immo erat talis qualis in statu innocentiae apud totam communitatem hominum fuisset, et qualis inter omnes homines esse deberet, si non esset corruptio et infirmitas originalis vel actualis peccati, et qualis est illa qua aer et sol omnibus sunt communes. LSAA, S. 91. 201 Diese Auffassung sollte im Franziskanischen Armutsstreit des 14. Jahrhunderts enorme Bedeutung gewinnen. S. Jürgen Mietke, Paradiesischer Zustand – Apostolisches Zeitalter – Franzis-

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Gemeinschaft der ersten Christen berichten.202 Auf exegetischer Ebene diente der Kanon Olivi damit zugleich als eindringlicher Beleg seiner ungewöhnlichen Lesart der urchristlichen Gütergemeinschaft als eines rein naturrechtlich konstituierten Gebrauchskollektivs. Nach demselben Vorbild aber, fügt der Exeget hinzu, sollten prinzipiell alle Menschen – man kann hinzufügen: zu allen Zeiten – zusammenleben, würden sie nicht durch ihre Sündhaftigkeit daran gehindert. In QPE 8 spitzt er diese sozialtheoretischen Folgerungen aus der Dekretale noch weiter zu. Die Gemeinschaft der Apostelgeschichte, sagt er dort, müsse derjenigen im Stand der Unschuld entsprochen haben, da man sonst nicht im Vollsinne von ihr hätte sagen können erat cor unum et anima una (Apg 4,32).203 Mithilfe von Zitaten aus dem Jakobusbrief und Pseudo-Senecas204 stellt er daran anschließend das Wissen um eine verderbliche Wirkung des Eigentums als transkulturelles Gemeingut dar. Dem folgt unverhohlene Kritik an den Zuständen seines eigenen Zeitalters, in welchem „Kollegium gegen Kollegium kämpft, weil sie in ihren gemeinsamen Dingen irgendein Recht für sich in Anspruch nehmen und weil dort nicht jene allgemeine Gemeinschaft ist, die sich auf alle Menschen erstreckt.“205 In aller Direktheit nimmt der Autor an dieser Stelle aber nicht nur sein übliches Ziel, das klassische Mönchtum mit seiner gütergemeinschaftlichen Organisationsform ins Visier, sondern prangert gerade auch die kirchliche Pfründenpraxis an, die erfahrungsgemäß „Streitsachen und Prozesse“, „Neid und Streit“ hervorriefe. Wünschenswertes Ideal, daran lässt er keinen Zweifel, müsse deshalb sein, „das Verlangen nach zeitlichem Rechtsanspruch und nach zeitlichen Dingen aus den Herzen der Menschen“ zu tilgen, um eine „Gemeinschaft ohne die zuvor genannten Übel“ zu ermöglichen.206

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kanische Armut, in: Franz J. Felten / Nikolas Jaspert (Hrsgg.), Vita Religiosa im Mittelalter. FS Kasper Elm (= Berliner historische Studien, 31), Berlin 1999, S. 503–532, bes. S. 523–532. Das Clemens I. rein chronologisch nicht Mitglied der Urgemeinde unter Jakobus gewesen sein konnte, war schon hochmittelalterlichen Autoren aufgefallen und als Indiz gegen die äußere Echtheit der Pseudoclemensbriefe ins Feld geführt worden. Vgl. Fuhrmann, Kritischer Sinn, S. 87 sowie Hartmann, Kritik, S. 195–199. Si enim aliquid iuris vellent [sc., die Urchristen] sibi in illis communibus vendicare, sicut faciunt hodie membra collegiorum ecclesiasticorum et monasticorum, non plenarie dici posset Actuum IV°. quod ‚erat illis cor unum et anima una (Ac 4,32)‘. QPE 8, S. 99. Zum angeblichen Seneca-Zitat Quietissime homines viverent, si duo verba tollerentur, meum et tuum (und ähnlich) vgl. Thesaurus Proverbiorum Medii Aevi, Bd. 2, hrsg. v. Samuel Singer, Berlin/New York 1996, S. 396 f.; zu seinem Gebrauch im späteren Mittelalter: Bernhard Töpfer, Eigentum und Unfrieden. Zur Deutung eines Seneca-Zitats durch Autoren des 12. und 14. Jahrhunderts (= Beiträge zur Friedensethik, 25), Stuttgart/Berlin/Köln 1996. Leutzsch, Gütergemeinschaft der Bibel, S. 76, Anm. 31 hält die Herkunft des bei Seneca nicht nachweisbaren Proverbiums von Johannes Chrysostomus für denkbar. Propter hoc etiam beatus Iacobus IV°. capitulo dicit: ‚Unde bella et lites in vobis? Nonne ex concupiscentiis vestris? Concupiscitis et non habetis, occiditis et zelatis et non potestis adipisci, litigates et belligeratis (Jc 4,1sq)‘. Quare autem hoc facerent, paulo post dicit: ‚ut in concupiscentiis vestris‘ –inquit– ‚insumatis (Jc 4,3)‘, id est consumatis. Seneca etiam dicit quod ‚quietissime viveretur, si duo verba tollerentur, meum scilicet et tuum‘. Certum est autem quod collegium hodie pugnat contra collegium, quia aliquid iuris sibi vendicant in suis communibus et quia non est ibi communitas illa generalis quae est ad omnes homines. Unde quod est unius collegii, non est alterius. QPE 8, S. 99. Praebendati etiam aut praebendandi quot causas et litigia, quot invidias et contentiones pro praebendis inter se habeant, celebris experientia docet; quod non esset, si nulla esset ibi iuris-

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Gewiss errichtet der Minorit hier keine Umwälzungsprogrammatik im Sinne eines revolutionären Manifests. Gleichwohl macht er überaus deutlich, worin seines Erachtens die gewichtigsten Missstände der aktuellen Gesellschaftsordnung liegen und wie und mit welchem Effekt diese zukünftig aufzuheben seien. Der urchristlichen Gütergemeinschaft kommt dabei die Funktion eines quasi präexistenten Leitbildes zu. Entscheidend für die korrekte Einordnung seiner Erklärungen ist allerdings zweifelsohne das Agens des erwünschten Wandlungsprozesses. Nicht etwa der Mensch selbst, sondern allein Gott, so ist Olivi zu verstehen, kann die zur Erfüllung des Heilsplanes notwendigen Veränderungen herbeiführen, indem er sündhaftes Verlangen aus den Herzen verbannt. Aufgabe des Menschen müsste dabei wohl sein, sich in seiner individuellen Freiheit diesem Prozess spirituell zu öffnen, indem er sich so weit wie möglich von weltlichen Rechten lossagt und zur höchsten Armut bekennt.207 Unter diesen Voraussetzungen schließlich wäre eine diesseitig-zukünftige Neuaufrichtung der Verhältnisse des im Kanon Dilectissimis angepriesenen status innocentiae als Teil des göttlichen Heilsplanes zu erwarten. 5.3 Olivis Summarienexegese und joachimitische Eschatologie Die heilsgeschichtliche Taxierung der urchristlichen Gütergemeinschaft, die Olivi anhand des pseudoisidorischen Clemensbriefes unternimmt, verweist auf Zusammenhänge, die Flood offenbar übersieht bzw. ausblendet, wenn er meint, es gebe keinen Grund anzunehmen, dass Olivi einem Kommentar zur Apostelgeschichte besondere Priorität eingeräumt hätte.208 Ohne Zweifel ist jener in seinem exegetischen Schaffen stark von Joachim von Fiores († 1202) Idee der Konkordanz von Altem und Neuem Testament sowie dessen Gebilde der plenitudo historiae beeinflusst, nach denen in der Bibel die gesamte Heilsgeschichte vom Beginn bis zum Ende der Welt präfiguriert sei.209 Gemäß einem komplexen Modell sich an dictio saltem ad dispensandum aut si nulla appropriatio saltem quantum ad necessarium sustentamentum. Competit enim de iure praebendato vel monacho pensio diuturna seu victus et vestitus. Et breviter: nisi totaliter tollatur amor iurisdictionis temporalis et temporalium a cordibus hominum, non potest esse aliqua communitas sine praedictis malis. Ebd. Übers. z. T. n. Schlageter, Das Heil der Armen, S. 31. 207 Vgl. ähnlich: Lewis, Freude, Freude!, S. 660. 208 Vgl. Flood, Peter of John Olivi on the Acts of the Apostles, S. VIII. 209 Die Konkordanztheorie führt der prophetische Abt im berühmten Liber de Concordia Novi ac Veteris Testamenti aus. Ed. Emmett Randolph Daniel, Abbot Joachim of Fiore. Liber de Concordia Noui ac Veteris Testamenti (= Transactions of the American Philosophical Society, 73,8), Philadelphia 1983. Das Prinzip der plenitudo historiae legt er in seinem Kommentar zur Offenbarung des Johannes dar. Ed. Joachim von Fiore, Expositio in Apocalypsim, Venedig 1527, ND Frankfurt 1965. Zu letzterem vgl. Robert Earl Lerner, Antichrists and Antichrist in Joachim of Fiore, in: Speculum 60 (1985), S. 553–570, zur plenitudo historiae hier: S. 556 f. – Aus der reichen Literatur zu Joachims Leben, Werk und Wirkung sei nur verwiesen auf die grundlegenden Studien Herbert Grundmanns (Studien über Joachim von Floris (= Beiträge zur Kulturgeschichte des Mittelalters und der Renaissance, 32), Leipzig/Berlin 1927; ders., Neue Forschungen über Joachim von Fiore (= Münstersche Forschungen, 1), Marburg 1950; ders., Gioacchio de Fiore. Vita e opere, Rom 1997) sowie Marjorie Reeves’ (The Influence of Proph-

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gewissen Punkten in der Geschichte überlappender Sphären, so die Lehre des kalabresischen Abtes, verweise das Alte Testament auf das Neue, beide wiederum in gleicher Weise auf zukünftige Ereignisse. Dabei stelle das Buch der Offenbarung den Schlüssel zum Verständnis der zyklischen Konkordanz dar. Für die nächste Zukunft erwartete der um die Wende zum 13. Jahrhundert schreibende Mystiker den Anbruch des Zeitalters des Heiligen Geistes, einer Ära monastischer Erneuerung, an deren Anfang ein neuer Orden von spiritueller Reinheit auftrete, durch den schließlich auf Erden eine Vorform des himmlischen Jerusalem installiert würde.210 Im 13. Jahrhundert fanden diese Prophetien – häufig stark ideologisch überformt – weite Verbreitung und drängten sich so dem jungen Franziskanerorden auf der Suche nach dem eigenen Ort in der Geschichte geradezu auf.211 Minoritischen Denkern wie Bonaventura, Gerardino di Borgo San Donnino († um 1276) und freilich Olivi musste Franziskus in diesem Schema als Reflexion Christi erscheinen, seine Lebensspanne demnach mit dem Geschichtszeitraum der Evangelien korrespondieren.212 Folgerichtig weitergedacht, fand die Zeit nach dem Tod des Ordensstifters, in der seine Bewegung sprunghaftes Wachstum erlebte, ihr biblisches Abbild in der historischen Phase der Urgemeinde. Die Apostelgeschichte im Allgemeinen sowie die Schilderungen der vom Heiligen Geist durchwirkten Gemeinde im Speziellen konnte Olivi somit als Spiegel seiner eigenen Gegenwart betrachten. Was er unter den Urchristen der Sammelberichte erfüllt fand – vollendete Karitas und Eintracht sowie rechtsfreie Gütergemeinschaft – musste er mithin als göttlichen Plan für die Menschheit seiner eigenen Zeit begreifen. Diese Vorstellungen dürften sich ihm ganz konkret auch schon aus Joachims Schriften heraus aufgedrängt haben, in denen die Gesellschaft des kommenden himmlischen Jerusalem ecy in the Later Middle Ages. A Study in Joachimism, Oxford 1969; dies. / Beatrice Hirsch-Reich, The Figurae of Joachim of Fiore, Oxford 1972; dies., Joachim of Fiore and the Prophetic Future. A Medieval Study in Historical Thinking, Stroud 1999). Zu den besten neueren Arbeiten zählt die Gesamtdarstellung von Matthias Riedl, Joachim von Fiore. Denker der vollendeten Menschheit (= Epistemata. Reihe Philosophie, 361), Würzburg 2004. 210 Joachims Verfassungsentwurf für das dritte Zeitalter, den er im Liber figurarum darlegt, basiert auf dem Bild des himmlischen Jerusalem der Offenbarung. Vgl. die kommentierte Übersetzung bei Riedl, Joachim von Fiore, S. 309–334. 211 Vgl. Reeves, Influence, S. 176–190. 212 Die Assoziation von Franziskus mit Christus bedurfte freilich nicht des Joachimismus, sondern war – insbesondere durch die Stigmatisierung des Heiligen – schon zu dessen Lebzeiten fundiert. Erst in Zusammenklang mit der joachimitischen Prophetie konnte von diesem Grundgedanken aus jedoch die folgende Epoche als eschatologische Endzeit verstanden werden. – Zur Annäherung des Franziskusbildes an Christus im frühen Franziskanertum vgl. Helmut Feld, Franziskus von Assisi, der „zweite Christus“ (Institut für Europäische Geschichte Mainz: Vorträge, 84), Mainz 1991; Wesjohann, Gründungserzählungen, S. 249–252. Zur Gleichsetzung des Heiligen mit Christus beim radikalen Joachimit und ersten Herausgeber von Schriften des kalabresischen Abtes Gerardino di Borgo San Donnino vgl. Jürgen Miethke, Zukunftshoffnung, Zukunftserwartung, Zukunftsbeschreibung im 12. und 13. Jahrhundert. Der dritte Status des Joachim von Fiore im Kontext, in: Aertsen/Pickavé (Hrsgg.), Ende und Vollendung, S. 504–524, hier: S. 523. Ihren Höhepunkt fand die Verklärung des Ordenstifters als alter Jesus in einer Ende des 14. Jahrhunderts von Bartholomäus von Pisa verfassten Schrift mit dem programmatischen Titel De Conformitate Vitae Beati Francisci ad Vitam Domini Jesu.

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wiederholt mit Allusionen an das gängige Bild der Urkirche, aber auch mit direkten Zitaten aus den lukanischen Summarien apostrophiert wird.213 Bis zu welchem Grad sich der selbständige und kritische Denker Olivi die joachimitische Lehre von den drei synoptischen Zeitaltern sowie dem Herannahen einer neuen Epoche tatsächlich zu eigen machte, mag dahingestellt sein. Selbst die unleugbare Abhängigkeit seines bedeutenden Alterswerks, der Lectura super Apocalipsim,214 von den geschichtstheologischen Basisschemata des Propheten kann nicht rundweg als Beweis für eine joachimitische Grundstimmung in Olivis Denken gelten. Vielmehr hat gerade die langatmige Debatte über das Ausmaß des Olivi’schen Joachimismus gezeigt, dass es zur Vermeidung von Pauschalurteilen unumgänglich ist, die jeweils zur Debatte stehenden Schriften des vielseitigen Franziskaners stets unabhängig auf entsprechende Resonanzen zu prüfen.215 Doch 213 Vgl. Stephen E. Wessley, Joachim of Fiore and Monastic Reform (= American University Studies, Series 7: Theology and Religion, 72), New York 1990, S. 72 f.; Garnsey, Thinking, S. 80. Gleichwohl muss betont werden, dass Joachims dritter Status keineswegs eine Wiederherstellung der Urkirche sein sollte, sondern Vollendung und damit letztlich Auflösung der institutionellen Kirche verhieß. 214 Unlängst ist erschienen: Petrus Iohannis Olivi, Lectura super Apocalypsim, ed. Warren Lewis, St. Bonaventure 2015. Für die vorliegende Arbeit konnte diese lange erwartete und angekündigte offizielle Edition nicht mehr berücksichtigt werden. Unveröffentlicht, aber in Kopien weit verbreitet und gelesen war seit mehreren Jahrzehnten die ungedruckte Dissertation: Warren Lewis, Peter John Olivi, O. F. M. (1248–1298): Prophet of the Year 2000: Ecclesiology and Eschatology in the Lectura super apocalipsim (1297), 3 Bde, Bd. 1: Introduction to a Critical Edition of the Text, Bde 2 u. 3: Lectura super apocalipsim, (Diss. ungedr.), Tübingen 1972. Leichter zugänglich ist die Abschrift von Bibliothèque Nationale, Paris, Cod. lat. 713, die Alberto Forni auf seiner Website zur Verfügung stellt: http://www.danteolivi.com/?page_id=475 (abger. 14.7.2015). Auf sie beziehen sich Seitenangaben im Folgenden. – Zur Interpretation vgl. neben Warrens ausführlicher Einleitung Burr, Olivi’s Peaceable Kingdom; ders., Olivi’s Apocalyptic Timetable, in: Journal of Medieval and Renaissance Studies 11 (1981), S. 237– 260; ders., Olivi, Apocalyptic Expectation, and Visionary Experience, in: Traditio 41 (1985), S. 273–288; ders., Exegetical Theory and Ecclesiastical Condemnation: The Case of Olivi’s Apocalypse Commentary, in: Lerner (Hrsg.), Neue Richtungen, S. 149–162; Raoul Manselli, La „Lectura super Apocalipsim“ di Pietro di Giovanni Olivi. Ricerche sull’escatologismo medioevale (= Studi storici, 19–21), Rom 1955; Warren Lewis, Freude, Freude!, S. 657–683; ders., Peter John Olivi, Author of the Lectura Super Apocalipsim: Was he Heretical?, in: Boureau/Piron (Hrsgg.), Pierre de Jean Olivi, S. 135–157. 215 Dass zumindest Olivis Apokalypsenpostille starke joachimitische Züge trägt, ist seit Burrs exzellenter Monographie zum Thema unbestritten. Vgl. Burr, Olivi’s Peaceable Kingdom, S. 78– 84 und passim. Wie sehr auch seine Evangelienauslegungen von joachimitischen Grundannahmen beherrscht werden, konnte Madigan überzeugend herausarbeiten. Vgl. Madigan, Olivi and the Interpretation of Matthew, bes. S. 126–128. In ganz ähnlicher Weise trifft dies auf die Acta-Exegese zu, wie im Folgenden deutlich werden wird. Über die Reichweite des Joachimismus Olivis im Generellen besteht gleichwohl weithin Uneinigkeit. In der ersten monographischen Untersuchung zur Apokalypsenpostille wollte Manselli erweisen, dass Olivi auf Joachim nicht in höherem Maße Bezug genommen habe als auf andere Autoritäten und daher das Signet des Joachimismus für ihn letztlich unzutreffend wäre. S. Manselli, La „Lectura super Apocalipsim“. Eine ähnliche Richtung vertritt Flood, der Olivis geschichtstheologische Prämissen und Ergebnisse von denen Joachims völlig unterschieden wissen wissen will. Vgl. z. B. Flood, Peter Olivi’s Rule Commentary, S. 16 f.: „Olivi’s reading of history remained Christian and did not become Spiritan: here lay the key and basic difference.“ Burr hingegen votiert für eine alles in

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auch ohne ihm eine naive, undifferenzierte Übernahme der Visionen des Kalabresen unterstellen zu wollen, ist das Vorhandensein von auf dessen Ideen gründenden Komponenten in seiner Summarienexegese nicht von der Hand zu weisen. Prägnanteste Evidenz für einen joachimitischen Unterbau findet sich im Kommentar zum zweiten Sammelbericht, Apg 4,32–37. In einer ausführlichen Rechtfertigung der nach der apostelgeschichtlichen Zeit eintretenden Depravation der Kirche von der perfectio216 entfaltet er darin in acht Punkten ein geschichtstheologisches Entwicklungsmodell, welches auf das Ende der Kirche und allen kirchlichen Lebens (finem Ecclesiae/finis omnis ecclestiasticae vitae) bei gleichzeitiger höchster Vollendung und Etablierung des evangelischen Status (evangelici status in suo summo accepti) gerichtet ist.217 In diesem Kontext finden sich deutliche Züge seiner späterhin in der Apokalypsenpostille in großer Ausführlichkeit dargelegten eschatologischen Geschichtsauffassung vorgeprägt. Zwar lassen sich die acht Gründe, die Olivi hier für die heilsgeschichtliche Notwendigkeit des Niedergangs der ecclesia anführt, nicht zwanglos mit den sieben Perioden der Kirchengeschichte synchronisieren, in welche die spätere Schrift das Zeitalter des Neuen Testamentes gliedert,218 doch fußen sie ohne Frage auf den selben generellen Überzeugungen von der unvermeidlichen Dekadenz, zeichnen wie diese das Bild einer etappenweisen Talfahrt der apostolischen Christenheit. Im siebten Punkt der erwähnten achtfachen Erklärung steckt dabei die wohl transparenteste Verbindung zu seiner apokalyptischen Geschichtstheologie. Die evangelische Vollkommenheit über die gesamte Kirchengeschichte hinweg zu bewahren, erklärt er dort, hätte von der lasterhaften Menschheit nicht geleistet werden können, weshalb „[…] es folglich schicklicher und zweckmäßiger war, dass sie so zu Beginn in Christus exemplifiziert und von Christus gelehrt und anempfohlen wurde, dass dessen Deifikation und leuchtendes Dauern bis zum Ende der Zeiten bewahrt würden und unterdessen die verschiedenen Status, in schicklicher Folge wechselnd, verliefen, als wenn jene lange niedergeworfen dagelegen hätte und langfristig voll von Sünde gewesen wäre […].“219 Freilich wird diese zunächst vielleicht kurios anmutende Argumentation wiederum allein in heilsgeschichtlicher Perspektive sinnfällig. Olivi spricht über den göttlichen Generalplan für den Verlauf des irdischen Daseins. In diesem musste

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allem starke und kontinuierliche joachimitische Schlagseite in Olivis Denken. Dem entspricht im Wesentlichen Reeves’ Auffassung, wenn sie die weitgehende Abhängigkeit der Geschichtstheologie Olivis von Joachim zu belegen sucht. Vgl. Reeves, Influence, S. 194–201. Zur Depravationsthese in der Geschichtstheologie des Mittelalters s. Wolf-Dietrich Schäufele, „Deficit Ecclesia“. Studien zur Verfallsidee in der Kirchengeschichtsanschauung des Mittelalters (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, 13), Mainz 2006. LSAA, S. 133–135. So aber Karris/Flood, Peter Olivi, S. 275, Anm. 42; anders Garnsey, Peter Olivi, S. 44. – Die sieben Abschnitte der Kirchengeschichte s. Lectura super Apocalipsim, ed. Forni, S. 240 f. Septima est quia tanta est huius arduitas tantaque generis humani infirmitas et ad inferiora pronitas quod ipsius praeclara et sublimis perfectio nequivisset per totum decursum Ecclesiae perdurare […]. Decentius ergo et expedientius fuit quod sic in principio exemplaretur in Christo et doceretur ac consuleretur a Christo quod eius deificatio et clara perduratio fini temporum servaretur et interim currerent status varii decenti ordine variati, quam si illa diu prostrata iaceret et diuturna sorde scaleret […]. LSAA, S. 134.

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nach seinem Dafürhalten die Disposition der menschlichen Natur berücksichtigt werden. Jener aber sei das Durchlaufen einer geordneten Abwärtsspirale in der Zeit zwischen Urchristentum und erster Parusie220 weitaus angemessener gewesen als die aussichtslose Auflage, die Vollkommenheit Christi und der ecclesia primitiva zu bewahren, wodurch unter dem Deckmantel der perfectio letztendlich nichts als ein chaotischer Sündenpfuhl hätte entstehen können. Dies entspricht sehr exakt der stufenweisen Depravation der ersten fünf oder sechs Stadien der Kirchengeschichte, wie er sie im Apokalypsenkommentar zeichnet.221 Doch die Parallelen führen noch weiter. So klingt in der Rede vom Ende der Kirche und des kirchlichen Lebens die in der Apokalypsenpostille prophezeite Überwindung der unvollkommenen römischen carnalis ecclesia durch eine ecclesia spiritualis im nahenden dritten Weltzeitalter an.222 Das joachimitische Grundprinzip der drei Epochen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes adaptiert Olivi in der Auslegung der Offenbarung des Johannes ohne größere Modifikationen. Nachdem im ersten, alttestamentlichen Zeitalter das Judentum Gottes auserwähltes Volk gewesen sei, sagt er dort, sei diese Rolle in einem ersten großen Schritt in Richtung der heilsgeschichtlichen Vervollkommnung mit dem neuen Testament an das Christentum und die administrative Führung damit an die römische Kirche übertragen worden. Mit der unmittelbar bevorstehenden zweiten Zeitenwende würde ein ähnlicher Prozess einhergehen, die mittlerweile verdorbene petrische Kirche durch eine johanneische ersetzt werden, die nicht mehr eine fleischlische, das heißt institutionalisierte, sondern eine rein geistliche, auf dem Boden vollkommener franziskanischer Armut stehende wäre.223 Das Schema der drei Weltzeitalter kleidet er im Acta-Kommentar in die Begriffe des alten Gesetzes, des Gesetzes Christi und des evangelischen Status. So wie die Unvollkommenheit des ersten zur darüber hinausragenden Vortrefflichkeit des zweiten beigetragen habe, behauptet er, so trüge auch „jede Unvollkommenheit oder Verminderung der vorhergehenden Status und Bekenntnisse zur größeren Deutlichkeit der darüber hinausragenden Vortrefflichkeit des evangelischen Status bei, der an seinem höchsten Punkt etabliert wird.“224 Im historischen Progress er220 Olivi glaubte an eine zweimalige Wiederkunft des Messias. Nach der Fleischwerdung im Neuen Testament sei er in Franziskus geistlich wiedergekehrt und würde am Ende des dritten Zeitalters noch einmal zum Weltgericht erscheinen. Vgl. dazu Lewis, Peter John Olivi, Author of the Lectura Super Apocalipsim, S. 143 f. 221 Da das sechste Stadium mit Franziskus angebrochen sei, durch den sich die Erneuerung der Herrlichkeit im von Olivi um 1300 erwarteten siebten Stadium bereits angekündigt habe, bleibt es eine perspektivische Frage, ob man jenes, in dem sich freilich die weltliche Verderbtheit weiter potenziert habe, interpretativ uneingeschränkt der Abwärtsbewegung zuschlagen will. – Vgl. dazu Lewis, Freude, Freude!, S. 660–664. 222 Zur joachimitischen Idee der Geistkirche insgesamt, in meisterhafter Wissenschaftsprosa: Benz, Ecclesia Spiritualis; zu Olivi bes. S. 256–332. 223 Vgl. Lewis, Peter John Olivi, Author of the Lectura Super Apocalipsim, S. 144. 224 […] sicut imperfectio Veteris Legis confert ad comparativam evidentiam praecellentiae legis Christi, sic omnis imperfectio seu minoritas praecurrentium statuum et professionum confert ad maiorem evidentiam praecellentiae evangelici status in suo summo accepti. LSAA, S. 134. Vgl. dazu: Lectura super Apocalipsim, ed. Forni, S. 258–264.

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fülle das Abfallen der Kirche von der ursprünglichen Perfektion der Apostelgemeinde also den Zweck, das zukünftige evangelische Zeitalter umso strahlender erscheinen zu lassen. Hinsichtlich der joachimitischen Ausprägung bemerkenswert ist dabei ferner der Gebrauch des zur Bezeichnung von Zeitperioden im Mittelalter unüblichen status-Begriffs. Als status mundi nämlich bezeichnete Joachim die drei Weltzeitalter seiner eschatologischen Geschichtskonzeption.225 Selbst verwendet der Franziskaner die Vokabel überdies im Apokalypsenkommentar kontinuierlich für die sieben Stadien der Kirchengeschichte und versieht obendrein Franziskus selbst mit dem Merkmal des status evangelicus.226 Aus alledem ergibt sich folgender Gesamteindruck: Im Sinne der joachimitischen Konkordanztheorie versteht Olivi das in den lukanischen Summarien geschilderte Gemeinschaftsleben als Ebenbild des vorzeitlichen Standes der Unschuld sowie des künftigen Status der perfectio evangelica, der durch den Franziskanerorden vorbereitet würde.227 Damit ist es ihm möglich, die in der Apostelgeschichte dokumentierten Details dieses Zusammenseins als Gottes Programm für die herannahende neue Ära zu lesen. Darüber hinaus erlaubt ihm die synoptische Sicht auf den Bibeltext aber in umgekehrter Richtung auch die Translation des Gegenwärtigen auf das Gewesene, der Blick auf den eigenen Lebenskreis trägt zum Schriftverständnis des Exegeten bei. Was der auserwählte Orden, sein Orden, auf der Suche nach dem rechten Weg zur Vollendung des neuen franziskanischen Evangeliums erkundet hat, die Voraussetzungen zur Erreichung dieses Ziels, wie sie in Exiit qui seminat festgeschrieben wurden, stellen sich ihm als überzeitliche Konstanten dar. Was an physischen wie metaphysischen Mechanismen und Konnexionen im Franziskanertum wirksam war, musste daher auch im jungen Christentum stattgehabt haben. Folglich erweist sich Garnseys Urteil, Olivi habe „an extremely forced and implausible reading of the community of Jerusalem“228 produziert, zumindest in Hinblick auf ein Proto-Franziskanertum der Jerusalemer Gemeinde als Trugschluss. Ganz im Gegenteil ist etwa die Annahme, unter den Urchristen könnten keine Eigentumsrechte bestanden haben, systemimmanent betrachtet in höchstem Maße konsequent und plausibel. Denn ebendies hatte man doch zu Olivis Zeit als Bedingung für die Erfüllung des franziskanischen Gelübdes ausgemacht, in welchem er explizit die Widerspiegelung des neutestamentlichen Bundes sah. Darin liegt die besondere Bedeutung, die die Apostelgeschichte im Weltbild des Minoriten einnahm, darin das joachimitisch-eschatologische Element seiner ActaExegese.

225 Zu diesem von der eschatologischen Tradition abgehenden Sprachgebrauch vgl. Miethke, Zukunftshoffnung, S. 515. – In Apokalypsen- und Hoheliedkommentaren stand allerdings schon seit dem 12. Jahrhundert und wohl insbesondere ausgehend von Anselm von Havelberg († 1158) der Begriff des status ecclesiae primitivae zur Beschreibung der Vorbildlichkeit der Urkirche in regem Gebrauch. Vgl. Ditsche, Ecclesia primitiva, S. 83. 226 Vgl. beispielsweise Lectura Super Apocalipsim, ed. Forni, S. 539. 227 Diese Auffassung sollte später zu einem festen Bestandteil des franziskanischen Selbstverständnisses werden. Vgl. Miethke, Paradiesischer Zustand, passim. 228 Garnsey, Thinking, S. 82.

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5.4 Patristische Gegenstimmen? Olivis Umgang mit den auctoritates Nachdem Olivi unter Zuhilfenahme verschiedener Instanzen den Beweis geführt hat, dass die Urgemeinde mitsamt den Aposteln eine eigentums- und eigentumsrechtsfreie Gemeinschaft gepflegt habe, muss er sich, gemäß der scholastischen Konsequenz seines Denkens und um der Tragfähigkeit seiner Interpretationen willen, mit vermeintlich konträren Auffassungen autoritativer Stimmen auseinandersetzen. Zunächst kommt er auf die zuvor als Beweisgrund der Vertreter einer Trennung von Aposteln und übriger Gemeinde angeführte Beda-Partie zurück. Da es „gar sehr unwahrscheinlich“ sei, dass „die Gläubigen jener Zeit, die die apostolische Armut nachahmen wollten und mit diesen gleichsam ein Herz und eine Seele waren, in der Art der Gemeinschaft diesen ungleich sein wollten“, wäre die „Unterscheidung der Apostel von der Menge der Gläubigen, gegeben von Beda, ja sogar vielmehr von Lukas“, anders zu verstehen. Nicht von zwei nebeneinanderstehenden, voneinander geschiedenen Kreisen sei hier die Rede, sondern die Unterscheidung bekunde lediglich die besonderen Eigenschaften der Apostel als „Lehrer und Zeugen der Wiederauferstehung und Glorie Christi“. Die Differenzierung der beiden Gruppen indes entspreche der Weise, in der „wir eine größere Zahl von einer kleineren unterscheiden, zum Beispiel drei von zwei, weil drei zwei enthält und darüber hinausgeht in dem Betrag, den sie hinzufügt.“229 Mit dieser mathematischen Analogie möchte Olivi veranschaulichen, dass in Apg 4,33 die Apostel nicht der Menge der Gläubigen aus Apg 4,32 gegenübergestellt, sondern als qualitativ hervorragender innerer Kreis der letzteren charakterisiert würden. In der Tat mutet diese Lesart der Verse nicht unschlüssig an, scheint doch vielmehr Bedas in die Glossa Ordinaria übernommenes und auch von Bonaventura vertretenes Interpretativum einer klaren Stratifizierung der Gemeinde ein starker Geruch von Intentionalität anzuhaften. Seit Basilius und Johannes Cassianus trachteten die monastischen Schriftsteller danach, aus den historischen Aufzeichnungen über die ecclesia primitiva die Sonderstellung des Mönchtums als Bewahrer der vita apostolica nachzuweisen.230 229 LSAA, S. 92: Praeterea, satis est improbabile quod ex quo fideles illius temporis volebant paupertam apostolicam imitari et cum eis quasi unum cor et una anima esse, quod in modo communitatis eis dissimilari vellent. Nec est contra hoc distinctio apostolorum a multitudine credentium data a Beda, immo potius a Luca, quia non sic ibi distinguuntur quasi apostoli non essent de numero credentium habentium cor unum et animam unam. Sed distinguuntur in hoc quod apostoli ultra hoc erant prae ceteris singulares doctores et testes resurrectionis et gloriae Christi. Iuxta quem modum distinguimus numerum maiorem a minori, puta trinarium a binario, quia trinarius continet binarium et ultra hoc excedit in unitate quam superaddit. 230 Vgl. Klaus Schreiner, Ein Herz und eine Seele. Eine urchristliche Lebensform und ihre Institutionalisierung im augustinisch geprägten Mönchtum des hohen und späten Mittelalters, in: Gert Melville / Anne Müller (Hrsgg.), Regula Sancti Augustini. Normative Grundlage differenter Verbände im Mittelalter (= Publikationen der Akademie der Augustiner-Chorherren von Windesheim, 3), Paring 2002, S. 1–47, hier: S. 11 f.; vgl. zudem Olsen, The „Ecclesia primitiva“ in John Cassian und ders., Bede as Historian: The Evidence from his Observations on the Life of the First Christian Community at Jerusalem, in: The Journal of Ecclesiastical History 33 (1982), S. 519–530.

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Franziskaner, Urchristen und die Entgrenzung der Gütergemeinschaft

In dieser Tradition stehend, diente Beda die exegetische Trennung von Aposteln und übrigen Christen in der Urgemeinde mithin der Rechtfertigung einer Überlegenheit der zönobitischen über die laikale Lebensweise.231 Kann sich Olivis Veto gegen eine bereits von Lukas vollzogene Aufgliederung der Christenheit in jene beiden Gruppen also durchaus auf die gewissenhafte Relektüre der zugrunde liegenden Schriftstellen stützen, deutet er Bedas Interpretation derselben hingegen geradezu kontradiktorisch um. Um seinem eigenen Standpunkt Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft zu verleihen, durfte er nicht in offensichtlichem Widerspruch zur Autorität des Ehrwürdigen stehen, dessen Acta-Kommentare nicht nur durch ihre fragmentarische Aufnahme in die Glossa Ordinaria im gesamten Abendland weit verbreitet waren.232 Dessen war sich der Franziskaner augenscheinlich wohl bewusst, weshalb er in durchaus kreativer Weise Bedas Behauptung, dass Lukas „sorgfältig eine Ordnung zwischen Lehrern und Zuhörern unterscheidet“233, ins Gegenteil zu verkehren sucht. Behutsamer geht er dagegen mit den Lehrsätzen des Augustinus um, dem sein Denken – vor allem erkenntnistheoretisch, bis zu einem gewissen Grad aber auch im Ekklesiologischen – eng verbunden ist. Im ersten Kapitel der auf den großen Kirchenvater zurückgehenden Regel für das religiose Leben ist die Verpflichtung zur Gütergemeinschaft für diejenigen, die die Regel annehmen, unumwunden aus dem zweiten Sammelbericht hergeleitet. Auch die Verteilung der Güter je nach Not des Einzelnen entnimmt Augustinus direkt Apg 4,35:234 Et non dicatis aliquid proprium, sed sint vobis omnia communia, et distribuatur unicuique vestrum a praeposito vestro victus et tegumentum, non aequaliter omnibus, quia non aequaliter valetis omnes, sed potius unicuique sicut cuique opus fuerit. Sic enim legitis in Actibus Apostolorum, quia erant illis omnia communia et distribuebatur unicuique sicut cuique opus erat (Act. 4,32 et 35).235

231 Diese Sichtweise konsolidierte sich im späteren Mittelalter in Kopplung an Pseudo-Dionysius, insbesondere durch das Wirken Thomas von Aquins. S. Fairy v. Lilienfeld, Art. „Mönchtum II. Christlich“, in: TRE 23 (1994), S. 150–193, hier: S. 174 f. 232 Davon zeugt schon die Zahl der erhaltenen Manuskripte. Stegmüller, RB 1615–1618, kennt insgesamt 34 Handschriften der drei Texte Bedas zur Apostelgeschichte. M. L. W. Laistner / Henry Hall King, A Hand-List of Bede Manuscripts, Ithaca 1943, S. 20–24, listen gar 146 mögliche Handschriften, die einen der Texte enthalten bzw. enthalten haben könnten. Zum Vergleich: Hrabanus Maurus, Tractatus super Actus, RB 7063: 2 Expl. (aber jetzt: Raymund Kottje (Hrsg.), Verzeichnis der Handschriften mit den Werken des Hrabanus Maurus (= MGH. Hilfsmittel, 27), Hannover 2012, S. 245: 8 Expl.); Petrus Lombardus, Accesus ad Acta, RB 6651: 1 Expl.; Hugo von St. Cher, Liber Actuum Apostolorum, RB 3725/3726: 12 Expl. 233 Doctorum uigilanter auditorumque discernit ordinem […]“; vgl. oben, S. 106, Anm. 178. 234 Zur vita apostolica und speziell der urchristlichen Gütergemeinschaft als Leitlinie der Augustinusregeln in Theorie und Praxis vgl. Schreiner, Lebensform. – Die komplexe Entstehungsund Überlieferungsgeschichte der verschiedenen Formen und Teile der augustinischen Regeln untersucht umfassend: Luc Verheijen, La Règle de S. Augustin, 2 Bde (Bd. 1: Tradition manuscrite, Bd. 2: Recherches historiques), Paris 1967. 235 Verheijen, Règle, Bd. 1, S. 418.

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Natürlich kann Olivi diese Gleichstellung von urchristlicher und augustinischer oder generell regulierter Lebensform nicht akzeptieren, steht sie doch in krassem Widerspruch zu seinem Bild der ursprünglichen Kirche. Er erklärt: Wenn man aber einwendete, dass Augustinus und irgendwelche anderen Heiligen die Gemeinschaft dieser [sc., der Menge der Gläubigen] und sogar der Apostel in jener Weise verstanden, die Augustinus und seinesgleichen in ihren Klöstern pflegten und in ihren Regeln einzuhalten anordneten, findet sich dazu eine mehr als ausreichende Antwort in den Quaestionen und Traktaten über die evangelische Armut. Und sicherlich ist, das Übrige weggelassen, klar, dass die vorgenannten Heiligen in ihren Klöstern gemeinschaftlich Besitztümer und Vieh hatten. Es steht aber fest, dass die Gemeinschaft, von der hier und unten in Kapitel vier [sc., der Apostelgeschichte] gehandelt wird, dies nicht hatte. Dies nämlich steht hier und unter Kapitel vier deutlich geschrieben.236

Neben seinem Standardargument gegen die ungebrochene Tradition von Urchristen und Mönchtum, der vermeintlichen völligen Besitzlosigkeit der Urgemeinde, verweist Olivi auf nähere Auseinandersetzungen mit der Thematik innerhalb seiner QQPE. Wie Flood richtig erkannte, kommt hierfür vor allem QPE 8, argumentum in contrarium II,19 nebst dazugehöriger responsio infrage.237 Als einen Einwand seiner Kontrahenten gegen die Überlegenheit der höchsten Armut über die gütergemeinschaftliche vita communis führt er dort eine Reihe von Zitaten an, die bezeugen sollten, dass in den Augen der Väter das klerikale und monastische Leben dem apostolischen und evangelischen entspräche.238 Neben den berühmten augustinischen Sermones 355 und 356, De vita et moribus clericorum suorum239 sind diese allesamt dem Decretum Gratiani entnommen. Es handelt sich um Auszüge aus zwei unter dem Namen Papst Gregors I. firmierenden Kapiteln240 sowie eine aus dem pseudoisidorischen Urban-Brief De communi vita gezogene Passage.241 Darüber hinaus verweist Olivi auf die allgemeine Gepflogenheit des Hieronymus, „wann auch immer er irgendetwas zu seiner Lebensweise sagte, diese unter dem Namen der evangelischen und apostolischen Vollkommenheit“ zu fassen.242 Mögen die einzelnen Stücke jener Zusammenstellung auch noch so sehr aus dem Kontext gerissen sein, erfüllt sie doch fraglos ihren Zweck, führt untrüglich vor Augen, dass 236 Si vero obicias quod Augustinus et aliqui alii sancti intellexerunt communitatem istorum et etiam apostolorum sub illo modo sub quo Augustinus et consimiles in suis monasteriis servaverunt et in suis regulis servanda statuerunt, ad hoc satis est abunde responsum in Quaestionibus et tractatibus de evangelica paupertate. Et certe, ceteris omissis patet quod sancti praedicti in suis coenobiis habuerunt possessiones et pecora in communi. Constat autem quod communitas de qua hic et infra quarto agitur haec non habuit. Hoc enim aperte scribitur hic et infra capitulo quarto. LSAA, S. 92. 237 Vgl. Flood, Peter of John Olivi on the Acts of the Apostles, S. 441, Anm. 38. 238 QPE 8, S. 81. 239 Ed. Migne, PL 39, Sp. 1568–1574 (Sermo 355), Sp. 1574–1581 (Sermo 356). 240 1. Clerici nichil possideant proprium: C. 12, qu. 1, c. 8, ed. Friedberg, Sp. 678 f., aus: Gregor, Ep. 64, ed. PL 77, Sp. 1184–1186. 2. Clericorum offitia monachi presbiteri libere administrent: C. 14, qu. 1, c. 24, ed. Friedberg, Sp. 767. 241 Decretales Pseudo-Isidorianae, ed. Hinschius, S. 143–146; ein Auszug dann in Decretum Gratiani C. 12, qu. 1, c. 9, ed. Friedberg, Sp. 679. 242 Hieronymus etiam ubicumque hortabatur aliquos ad suum vivendi modum, sub nomine perfectionis evangelicae et apostolicae hoc faciebat. QPE 8, S. 81.

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in patristischer Zeit die vita regularis als direkter Sukzessor der vita apostolica angesehen wurde. Um entsprechende Aussagen in den Väterschriften aufzuspüren, bedurfte es indes mitnichten besonders intensiver Recherchen. Tatsächlich ist die Kongruenz von lukanischer ecclesia primitiva und regulierter Lebensweise bereits in der Patristik ein hochfrequenter Topos, zu dessen Verbreitung im okzidentalen Mittelalter gerade Augustinus in besonderem Maße beitrug.243 In seiner ausführlichen Entgegnung versucht sich Olivi daher erst gar nicht daran, diesen Sachverhalt zu negieren. Vielmehr ist er darum bemüht, ihn mit seiner vermeintlich gegensätzlichen Meinung zu arrangieren: Zu Punkt 19 ist zu sagen, dass – so wie durch einen Abdruck an einem Siegel gemäß einem ‚Mehr‘ oder einem ‚Weniger‘ teilgehabt wird und dennoch all jenen, die gemäß einem ‚Mehr‘ oder einem ‚Weniger‘ an ihm teilhaben, zugestanden wird, dass sie die Form des Siegels haben, und sie mit dem Namen des Siegels benannt werden –, alle regulierten Formen oder Status so als apostolisch und evangelisch bezeichnet wurden, obwohl sie nicht alle in gleicher Weise an der Vollkommenheit des apostolischen Status teilhaben. Deshalb wird auch der Status der Kanoniker bzw. der regulierten Kleriker und der Mönche apostolisch genannt, so wie es sich aus den Verbindlichkeiten dieser Überlegung ergibt, und dennoch wird der Status der Mönche dem Status der Kanoniker rechtlich vorgezogen. Wenn aber alle Status, die apostolisch genannt werden, gleichermaßen an der apostolischen Vollkommenheit teilhätten, dann wären sie dem Anschein nach alle von ein und demselben Status; das aber ist nicht völlig wahr. Es ist den Heiligen also erlaubt, die vorgenannten Status als apostolisch zu bezeichnen, obwohl die meisten von ihnen gut verstehen, dass diese nicht gänzlich vollkommen dem apostolischen Leben gleichen, so wie es sich aus dem weiter oben Vorgebrachten ergibt.244

Der Franziskaner argumentiert hier mit der ‚Magis-et-minus-Aussage‘, einer in der abendländischen Philosophie des 13. Jahrhunderts weit verbreiteten kategorialen Distinktionsmethode zur Beschreibung quantitativer und qualitativer Partizipation an Eigenschaften, die sich etwa bei Albertus Magnus und seinem Schüler Thomas findet und schließlich beim Dominikaner Dietrich von Freiberg am Ende des Säkulums auf dem Prüfstand steht.245 Bei der Wendung secundum magis et minus parti243 Vgl. Schreiner, Lebensform, S. 2–13; Wacht, Gütergemeinschaft, Sp. 48–51. 244 Ad undevigesimum dicendum quod – sicut unum exemplare sigillum secundum magis et minus participatur et tamen omnia illa quod secundum magis et minus ipsum participant, formam dicuntur habere sigilli et sigilli nomine nominantur –, sic omnis modus seu status regularis a Sanctis dictus est apostolicus et evangelicus, quamvis omnes non uniformiter participent perfectionem status apostolici. Unde et status canonicorum seu clericorum regularium et status monachorum dictus est apostolicus, sicut ex auctoritatibus huius rationis apparet, et tamen secundum iura status monachorum praefertur statui canonicorum. Si etiam omnes status qui dicti sunt apostolici, uniformiter participarent perfectionem apostolicam, tunc omnes essent unus status secundum speciem; quod tamen non est omnino verum. Licet igitur Sancti praedictos status vocarent apostolicus, plurimi tamen eorum bene superius allegatis apparet. QPE 8, S. 189. 245 Olivi befasst sich mit der Gültigkeit der Methode anhand Sent. II, qu. 22 (An substantia suscipiat magis et minus), ed. Jansen, S. 388 ff. – Zur ‚Magis-et-minus-Aussage‘ bei Thomas vgl. etwa Marion Wagner, Die philosophischen Implikate der „quarta via“. Eine Untersuchung zum vierten Gottesbeweis bei Thomas von Aquin (= Studien zur Problemgeschichte der antiken und mittelalterlichen Philosophie, 12), Leiden 1989, S. 80–89. – Im Rahmen seiner Nachlese der philosophischen Errungenschaften der voraufgegangenen Zeit unternimmt Dietrich von Freiberg in seinem Traktat De magis et minus eine systematische Untersuchung jenes Denkmus-

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cipare, die semantisch nicht ohne Weiteres zum Objekt, dem sigillum, passen mag, handelt es sich um eine feste Formel jener Gedankenfigur. Vereinfacht ausgedrückt, besagt das Analogon, dass ein Siegelabdruck mal mehr, mal weniger exakt dem Urbild des Stempels entspricht, davon unabhängig aber alle Abdrücke unter der Kategorie dieses einen bestimmten Siegels gefasst werden und werden können.246 Dementsprechend, gibt Olivi zu verstehen, hätten die Väter durchaus das Recht, die regulierten Lebensformen mit den Attributen ‚apostolisch‘ und ‚evangelisch‘ zu belegen, da sie an diesen in gleicher Qualität partizipierten wie das Modell der altissima paupertas, keineswegs aber in gleicher Quantität. Zur tieferen Fundierung dieser Behauptung lässt er sodann weitere Zitate aus den Schriften der debattierten Autoren und anderer folgen. Ausgangs- und Mittelpunkt bildet hier, wie schon in der knapperen Parallelstelle des Acta-Kommentares, Augustinus. Nicht nur dürfte der Franziskaner Olivi mit dessen Werk schlechthin am besten vertraut gewesen sein, es war ihm darüber hinaus offenbar auch besonders daran gelegen, speziell die Autorität gerade jenes wohl bedeutendsten christlichen Philosophen und Theologen – gleichsam Fels der Orthodoxie – nicht seinen Kontrahenten zu überlassen. Angereichert mit Passagen aus den augustinischen Werken De Baptismo Parvulorum und De Natura et Gratia, führt er zunächst aus, dass das höhere Alter einer bestimmten Lebensweise respektive eines Status nicht eine Überlegenheit desselben über jüngere mit sich brächte. Damit widerspricht er dem in mittelalterlichen Vorstellungswelten weitverbreiteten Gedanken des Vorrangs des Älteren über das Jüngere und einer generellen Dignität des alten Herkommens, die Städte, Geschlechter oder Recht ebenso betraf wie Deutungs- und Ordnungsmuster.247 Als Beispiele hierfür dienen ihm die Vorrangstellung des jungfräulichen Status gegenüber den Patriarchen und Propheten des Alten Testamentes sowie die vom Antichristen und den Juden irrtümlich geleugnete Überlegenheit des Heilands über das alttestamentliche Leben in Überfluss und Reichtum.248 Bemerkenswerterweise spricht er im Zuge seiner Beweisführung auch den subtilioribus ters. Vgl. Kurt Flasch, Dietrich von Freiberg. Philosophie, Theologie, Naturforschung um 1300, Frankfurt 2007, S. 419–438 und passim; Anneliese Maier, Studien zur Naturphilosophie der Spätscholastik, Bd. 3: An der Grenze von Scholastik und Naturwissenschaft. Die Struktur der materiellen Substanz. Das Problem der Gravitation. Die Mathematik der Formlatituden (= Storia e letteratura. Raccolta di studi e testi, 41), 2. Aufl., Rom 1952, S. 26–142 passim. 246 Vgl. Maier, Naturphilosophie, die S. 44 eine dreifache Unterscheidung der ‚Magis-et-minusAussage‘ beim englischen Naturphilosophen John Dumbleton († um 1349) referiert, wobei die erste Art definiert wird als „Vergleich innerhalb derselben Spezies nach mehr oder weniger vollkommen“, so wie etwa „eine Wärme […] vollkommener [ist] als eine andere, weil sie stärker wirkt, ein Mensch […] vollkommener [ist] als ein anderer, weil er gelehrter ist usw.“ 247 Zur Anciennität im mittelalterlichen Denken vgl. generell Johannes Spörl, Das Alte und das Neue im Mittelalter, in: Historisches Jahrbuch 50 (1939), S. 297–341, 498–524; zum Traditionsbeweis bzw. argumentum ex auctoritate s. Jürgen Miethke, Art. „Autorität I“, in: TRE 5 (1980), S. 17–32, bes. S. 26–29. 248 Unde ex maiori (!) sanctitate sanctorum praecedentium non potest probari maior altitudo status. Alius sequitur inde haeresis Ioviniani qui ex maiori sanctitate Patriarcharum et Prophetarum arguebat statum coniungii esse meliorem statu virginali. Sequeretur etiam inde error Antichristi et Iudaeorum quod scilicet Christus noster non venerit in altissimo statu ac per consequens quod non fuerit verus Christus, quoniam non venit in abundantia divitiarum propriarum

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doctorum nostrorum ut Augustini et Hieronymi Fehlbarkeit zu. Augustinus selbst habe geschrieben, dass, „die Jungfrau ausgenommen, keiner so heilig war, dass er nicht in irgendeiner Sache ermattete und sündigte.“ Es wäre daher unsinnig anzunehmen, die Kirchenväter seien allesamt in einem Maße erleuchtet gewesen, das sich ihnen jedes Geheimnis der Heiligen Schrift offenbart habe.249 Wenn also auch Augustinus und andere Heilige ihre Lebensweise als apostolisch und evangelisch bezeichneten, so der Tenor, sei allein damit noch nichts bewiesen, da nicht jedem Väterwort Anspruch auf absolute Wahrheit eingeräumt werden könne. Einen weiteren Einwand gegen die uneingeschränkte Gültigkeit der Sätze findet Olivi in der zeitlichen Dimension. Wie etwa Augustinus den Vätern des Alten Testamentes, obgleich sie „in einem Status, der von seinem Herkommen unvollkommener war“, gewesen seien, bemessen an den Umständen ihrer Zeit ein vollkommenes Verhalten zugestanden habe, so müssten nun auch die Heiligen selbst unter Berücksichtigung ihrer historischen Umwelt beurteilt werden.250 Obwohl nämlich aus der Zeit Christi die Zeit des Evangeliums hervorging, war sie dennoch bis zu ihrem Ende nicht eine Zeit vollkommener Erleuchtung im Volk, unter den Heiden ebenso wie unter den Juden. Und deshalb hatten die vorgenannten Umstände bei den vorausgehenden Heiligen eine vergleichbare Bedeutung.251

In derselben Weise, in der die Stammväter und Verkünder des Alten Testaments durch ihre jüdische Abkunft quasi kongenital von der vollendeten Teilhabe an der perfectio, wie sie sich in neutestamentlichen Zeiten entfalten konnte, ausgeschlossen gewesen seien, wären die heiligen Väter durch die Bedrohungen der sie mehrheitlich umgebenden Welt Noch-nicht-Bekehrter gezwungen gewesen, gewisse Unvollkommenheiten in Kauf zu nehmen; so etwa die monastisch-gütergemeinschaftliche Lebensordnung. Für Olivi steht fest, dass die Alten sich dieses Mangels durchaus bewusst und ideologisch letztlich auf einer Linie mit den Vertretern der franziskanischen altissima paupertas gewesen seien. Dies will er denn auch vermittels weiterer Zitate glaubhaft machen. Würde nämlich bis in seine eigene Zeit hinein behauptet, „dass es nicht wahrscheinlich sei, dass diese [sc., die Kirchenväter und Heiligen der alten Kirche] eine solch große Armut befürworteten, die sie in damaliger Zeit [selbst] nec etiam in abundantia communium, cum tamen superficies litterae prophetalis sub tali modo eum venturum promittat. QPE 8, S. 189 f. 249 […] sciendum quod Augustinum Libro De Baptismo Parvulorum et Libro De Natura et Gratia et alibi praeter Virginem nullus fuit ita sanctus, quin in aliquo deficeret et peccaret. Nec credere tenemur quod omnes ita fuerint illuminati, quod nihil scripturarum sanctarum eos lateret, quinimmo facile est probare contrarium etiam de subtilioribus doctorum nostrorum ut Augustini et Hieronymi. Ebd., S. 189. 250 Sicut igitur Augustinus dicit de Patribus Veteris Testamenti […] quod in statu qui de suo genere erat imperfectior, sine imperfectione virtutis fuerunt propter circumstantias alias imperfectionem status illius recompensantes, inter quas erant virtutum quas non habeant in opere, perfecti habitus et Dei ordinatio et necessitas populi illius informandi verbo et exemplo as statum illius temporis: sic in proposito est dicendum. QPE 8, S. 190. 251 Licet enim a tempore Christi tempus evangelii apparuerit, usque tamen ad finem suum non erat tempus plenariae revelationis in populis, gentibus scilicet pariter et Iudaeis. Et ideo in sanctis praecedentibus praedictae circumstantiae consimilem locum habebant. Ebd.

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nicht einhielten“, dann sei zu beachten, „dass die Überheblichen nichts befürworten außer sich selbst und die eigenen Taten, die Heiligen aber lieber die anderen als sich selbst.“252 „Daher“, fährt Olivi fort, „lobt Gregor im dritten der Dialoge die Armut des Isaac, der keine Besitztümer und kein Geld zum Gebrauch des Klosters annehmen wollte, was Gregor in seinen Klöstern dennoch nicht beachtete.“253 Es folgen ähnlich einschlägige Textstellen zur Beurkundung derselben Grundhaltung bei Origines (zugeschrieben Ambrosius), Chrysostomus sowie Benedikt von Nursia.254 Alles in allem kann bilanziert werden: Der Identifikation des urchristlichen mit dem augustinisch-regulierten oder monastischen Gemeinschaftswesen erteilt der franziskanische Exeget in summa eine totale Absage. Dabei begnügt er sich im Kommentarwerk einstweilen mit der affirmativen Feststellung einer systemischen Ungleichheit betreffs der Gesinnung gegenüber den weltlichen Gütern, die er allein aus dem biblischen Textbefund herleitet; dies also ein weiteres Beispiel für die engste Bindung an die Heilige Schrift als erste argumentative Instanz im exegetischen Raum. Mit einem Querverweis – typisch Olivi’sches Instrumentarium255 – referenziert er daneben jedoch auf Stellen seiner nicht-exegetischen Schriften, in denen die Ablehnung des gängigen Interpretationsmusters weiter ausgeführt sei. Die sich in diesen Rahmen überzeugend einfügende Passage aus QPE 8 lässt aufschlussreiche Beobachtungen zu seinem Umgang mit patristisch-kanonischen Autoritäten zu. So scheint er zwar nicht davor zurückzuscheuen, selbst Lehrmeinungen des Augustinus – gemäßigten – Widerspruch entgegenzusetzen, ist aber generell darauf aus, diese mit seinen eigenen Ansichten in Einklang zu bringen. Dazu entwickelt er eine Reihe feinsinniger Beweisgründe und bemüht sich, denkbaren Einsprüchen schon vorab den Wind aus den Segeln zu nehmen. Indessen bleibt er bei der Handhabung der Väterschriften ganz Kind seiner Zeit. Ohne Rücksicht auf ein strukturelles Ganzes, ein individuelles Denksystem, bedient er sich an ihnen gleichsam wie an einem Steinbruch, löst jeweils adäquate Sätze als argumenta ex auctoritate nach Belieben aus ihrem Kontext, um sie seinem Anliegen gefügig zu machen. Auf diese Weise gelingt es ihm, Beda, Augustinus, Gregor und andere in Fürsprecher vollständiger persönlicher wie gemeinschaftlicher Besitzlosigkeit sowie höchster freiwilliger Armut zu verwandeln.

252 Si autem adhuc contra hoc dicatur quod non est verisimile eos tantum commendasse paupertatem, quam tunc temporis non tenebant: sciendum quod superborum est non commendare nisi se ipsos et sua facta, Sanctorum vero potius aliena quam sua. Ebd. 253 Unde Gregorius III°. Dialogorum laudat paupertatem Isaac nolentis recipere possessiones et pecuniam ad monasterii usum, quod tamen Gregorius in suis monasteriis non observabat. Ebd. – Zugrunde liegt eine Verwechslung von Isaak von Antiochien († 460) und Isaak von Ninive († um 700). Vgl. Schlageter, Das Heil der Armen, S. 118, Anm. 69. 254 Vgl. ebd., S. 190 f. nebst identifizierenden Anm. 255 Vgl. dazu: Sylvain Piron, Les oeuvres perdues d’Olivi. Essai de reconstitution, in: AFH 91 (1998), S. 357–394, hier: S. 358.

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5.5 Matthäus 19,21 Als zweite Schlüsselfrage zur Perikope Apg 2,42–46 sieht Olivi die Problematik an, ob die Urchristen „den Rat Christi aus Matthäus 19,21 erfüllten, der da sagt: Willst du vollkommen sein, so gehe hin, verkaufe alles, was du hast, und gib’s den Armen.“256 Dank der frühen Übertragung ins Lateinische auch im Westen über das gesamte Mittelalter hinweg wohlbekannt und von hoher inspirativer Wirkung auf das Mönchtum in toto war die Vita Antonii Athanasius des Großen (um 298–373), Lebensbeschreibung des ersten christlichen Anachoreten Antonius († 356).257 Im zweiten Kapitel jenes hagiographischen Musterwerkes schildert der alexandrinische Patriarch das Bekehrungserlebnis des Wüstenvaters. Etwa zwanzigjährig sei jener, verwaister Sohn wohlhabender Eltern und Verwalter eines reichen Erbes, durch die Erzählung vom Güterverkauf zugunsten Notleidender in Apg 4 im Herzen gerührt worden. Als er schließlich, so prädisponiert, zufällig in einem Gottesdienst ebenjenes Herrenwort Mt 19,21 vernommen habe, sei ihm dies Anlass gewesen, auf die gleiche Weise zu handeln. Unmittelbar nach der Heimkehr vom Kirchgang habe er seine gesamten Besitztümer an die Nachbarn verschenkt.258 Der Rest der Geschichte ist bekannt. Antonius zog als Eremit in die Wüste und wurde zum legendenumwobenen Begründer einer neuen vita religiosa. Jesu Antwort an den reichen Jüngling, wie der Evangelist sie überliefert, bildet mithin den Kern eines der frühesten und des wohl meistrezipierten mönchischen Erweckungsberichtes überhaupt.259 Die frühen christlichen und insbesondere zönobitischen Schriftsteller sowie der engere patristische Kreis verstanden den Vers ebenfalls mehrheitlich als Ermahnung zur Geringachtung des Reichtums und weltlicher Güter, rangen dabei aller256 Secundo quaeritur, an isti implerent consilium Matthaei 19,21 dicentis: Si vis perfectus esse, vade et vende omnia quae habes et da pauperibus. LSAA, S. 92. Übers. n. Luther. 257 Zur Vita Antonii s. Maria-Elisabeth Brunert, Das Ideal der Wüstenaskese und seine Rezeption in Gallien bis zum Ende des 6. Jahrhunderts (= Beiträge zur Geschichte des alten Mönchtums und des Benediktinertums, 42), Münster 1994, S. 17–73; zur Rezeption im monastischen Bereich: Jean Leclercq, Saint Antoine dans la tradition monastique médiévale, in: Basilius Steidle (Hrsg.), Antonius Magnus Eremita 356–1956. Studia ad antiquum monachismum spectantia (= Studia Anselmiana, 38), Rom 1956, S. 229–247. 258 Vita sancti Antonii, ed. Pascal H. E. Bertrand, Die Evagriusübersetzung der Vita Antonii. Rezeption – Überlieferung – Edition. Unter besonderer Berücksichtigung der Vitas Patrum-Tradition (Diss.), Utrecht 2005, S. 160–310, hier: S. 160 f.: […] recordabatur quomodo et apostoli, omnibus spretis, secuti fuissent Saluatorem. Et multi, in Actibus Apostolorum, facultatibus suis uenditis, pretia ad pedes eorum detulissent egentibus partienda […]. Talia secum uoluens, intrauit ecclesiam et accidit ut tunc Euanglium legeretur, in quo Dominus dicit ad diuitem: „Si vis perfectus esse, vade, uende omnia tua quaecumque habes, et da pauperibus, et ueni, sequere me, et habebis thesaurum in caelis“. […] Statimque egressus, possessionem quam habebat […] uicinis largitus est […]. – Eine andere Lesart lässt Antonius sein Hab und Gut zunächst verkaufen und den Barerlös verschenken (s. Migne, PL 73, Sp. 127) und bleibt somit narrativ näher an Apg 4,34. 259 Die Übersetzung des Evagrius von Antiochien ist in annähernd vierhundert Manuskripten überliefert. Vgl. Bertrand, Evagriusübersetzung, S. 11 f.

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dings um die Frage, ob diese wörtlich, als Anweisung zum praktischen Handeln aufzufassen sei oder eher inwendig, auf eine Haltung der Seele abzielend.260 Auch die Assoziation mit Apg 4 wird, ausgehend von Athanasius, schon früh Teil eines gängigen Interpretationsmusters.261 Beispielsweise ist Mt 19,21 Herzstück des ersten Kapitels der Regula monachorum des Caesarius von Arles (um 470–542), deren zweiter Paragraph getreu Apg 4,32 schlicht lautet: Sint vobis omnia communia.262 So weit zu sehen, war es der heilige Hieronymus (um 347–420), der den fraglichen Matthäusvers schließlich auch mit der lukanischen Schilderung von der Bestrafung des Ananias und seiner Ehefrau Saphira (Apg 5,1–11) in Verbindung brachte. Er kommentiert: In unserer Macht steht es, ob wir vollkommen sein wollen. Doch wer auch immer vollkommen sein will, soll verkaufen, was er hat, und es nicht zum Teil verkaufen, so wie es Ananias und Saphira gemacht haben, sondern im Ganzen verkaufen […].263

Damit schuf der Bibelübersetzer eine Deutung, die von vielen Exegeten übernommen werden sollte,264 und legte durch den Konnex mit der Ananias/Saphira-Erzählung, an deren Ende doch immerhin der Straftod steht, den Grundstein für eine rigoristische Auslegung des Entsagungsgebotes. 260 Vgl. dazu Gabriela Signori, Et nec verbo quidem audeat dicere aliquid suum. Eigenbesitz in der Geschichte des abendländischen Mönchtums, in: Franz J. Felten / Annette Kehnel / Stefan Weinfurter, Institution und Charisma. Festschrift für Gert Melville zum 65. Geburtstag, Köln/ Weimar/Wien 2009, S. 139–148. – Ein Vertreter der letztgenannten Richtung war etwa Clemens von Alexandrien (um 150–um 215), der in seiner bemerkenswerten Schrift Quis dives salvetur?, ed. Migne, PG 9, Sp. 603–652, hier: Kap. 11, Sp. 615 u. Kap. 14, Sp. 618, folgende Interpretation entfaltet: Haud sane, quod quidam obvio statim sensu accipiunt, facultates projici jubet et pecunias a se amovere; sed quæ de divitiis vana judicia sunt animo exterminare, erga eas effrenem libidinem ac avaritiæ labem, sollicitudines, sæculi spinas, quæ suffocant vitæ semen. Haud enim magnum dignumque æmulatione, temere, non ut vitam nanciscaris, divitiis carere: sic namque qui nihil prorsus habent, sed, omni destituti vitæ solatio, quotidiani mendici per vias inopes projecti sunt, cum et Deum ignorent Deique justitiam, ea duntaxat ratione quod extrema premantur paupertate, omnique vitæ subsidio careant, ac vel minimis deficiantur, omnium beatissimi essent ac religiossimi, solique compotes vitæ æternæ. […] Non ergo abjiciendæ sunt opes, quæ et in proximi cedant utilitatem : etenim possessiones dicuntur, quia earum ea indoles est ut possideantur; insuper opes appellantur quia opem ferunt, et humanis usibus sunt a Deo accommodatæ. Porro divitiæ ac opes præsto sunt subjacentque velut materia quædam et instrumentum, boni usus præstandi causa, his qui vim instrumenti sciant. Si ex artis rationibus utaris, artificiale est; si arte careas, imperitiæ tuæ labem contrahit, cum sit ipsum ab omni immune culpa. Tales divitiæ quoque sunt; instrumentum sunt. – Zur Auslegung von Mt 19,21 in der Patristik i. A. vgl. außerdem: Eberhard F. Bruck, Kirchenväter und soziales Erbrecht. Wanderungen religiöser Ideen durch die Rechte der östlichen und westlichen Welt, Berlin/Göttingen/Heidelberg 1956, S. 6, 59–61. 261 Vgl. Signori, Et nec verbo, S. 141 f. 262 Migne, PL 67, Sp. 1099. 263 In potestate nostra est utrum uelimus esse perfecti. Tamen quicumque perfectus esse uoluerit debet uendere quae habet et non ex parte uendere sicut Ananias fecit et Saphira, sed totum uendere […]. Hieronymus, Commentariorum in Matheum Libri IV, ed. Damien Hurst / Markus Adriaen, Turnhout 1969 (= CCSL, 77), S. 170. 264 In prominenter Form z. B. von Hrabanus Maurus. Vgl. Signori, Et nec verbo, S. 140.

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Vor dem Hintergrund all dessen nimmt es nicht wunder, dass jener Vers – im Übrigen wie die synoptischen Parallelstellen Mk 10,21 und Lk 18,22 auch in der modernen historisch-kritischen Theologie mit den Acta-Summarien assoziiert265 – im Selbstbild der Minoriten eine herausragende konstitutive Funktion einnahm. So steht er bereits im Zentrum des Anfangskapitels der ersten überlieferten Franziskanerregel, der Regula non bullata des Jahres 1221, wo er den Brüdern als prinzipielle Daseinsmaxime auferlegt wird.266 Als eines der wenigen aus der Vielzahl der Schriftzitate des früheren Regeltextes begegnet er wieder in Kapitel zwei der zwei Jahre späteren Regula bullata, dort als Weisung, die die Provinzialminister Aspiranten auf Ordenseintritt mit auf den Weg geben sollten.267 Wie die bullierte Regel aber in vielerlei Hinsicht Zugeständnisse bezüglich der Vorschriften macht,268 so 265 Vgl. etwa Pesch, Apostelgeschichte, S. 183; Michael Schäfers, Prophetische Kraft der kirchlichen Soziallehre? Armut, Arbeit, Eigentum und Wirtschaftskritik (= Theologie und Praxis, 4), Münster 1998, S. 131. 266 Regula et vita istorum fratrum haec est, scilicet vivere in obedientia in castitate et sine proprio et Domini nostri Iesu Christi doctrinam et vestigia sequi, qui dicit: ‚Si vis perfectus esse […]‘ (Mt 19,21). Regula non bullata, ed. Flood, S. 55. 267 RegBull 2: […] dicant illis verbum sancti Evangelii (cfr. Mt 19, 21), quod vadant et vendant omnia sua et ea studeant pauperibus erogare. Ed. Esser/Grau, S. 367. 268 So etwa in Kap. 2, bezüglich den Vorschriften für die Probezeit. Den Ministern wird hierzu aufgetragen, jeden Novizen mit zwei Tuniken ohne Kapuze, einem Gürtel, Beinkleidern und einem Kaparon auszustatten. Die Verbindlichkeit dieser an sich klaren Bestimmung wird jedoch sogleich erheblich eingeschränkt durch den Zusatz: […] nisi eisdem ministris aliud secundum Deum aliquando videatur. Freiheiten ähnlicher Art lassen Kap. 3, hinsichtlich des Fastens und des Reisens per Pferd, Kap. 4, wiederum in Hinblick auf die Bekleidung, sowie, von größter Bedeutung für die Armutspraxis, Kap. 5, in Sachen Annahme von Arbeitslohn. – In diesen Kompromissen findet ein langes Ringen um Konsens im frühen Franziskanertum seinen Niederschlag. Die Regula bullata ist Amalgam aus den ursprünglichen strengen, rein spirituellen Überzeugungen und Absichten des Franziskus und den auf Praktikabilität des Regeltextes, seinen Sitz im Leben, aber auch auf Entschärfung zielenden Einsprüchen einflussreicher Antagonisten – insbesondere des Kardinals Hugolino sowie einer Gruppe unter Elias von Cortona (vgl. Feld, Franziskus, S. 312). In diesem Lichte besehen, liegt die Annahme nahe, dass die Übernahme von Mt 19,21 aus der älteren an eine zentrale Position in der jüngeren Regel dem Bestreben des Ordensstifters selbst geschuldet sein dürfte. Jenem nämlich war die vollkommene Entäußerung zugunsten der unfreiwillig Armen offenbar ein wesentliches Anliegen. Dafür jedenfalls sprechen episodische Berichte in den beiden Franziskusviten des Thomas von Celano sowie dem späteren Speculum perfectionis (ed. Paul Sabatier, Speculum perfectionis seu Legenda antiquissima sancti Francisci auctore fratre Leone, Paris 1898 [Spec. perf.]). Seinem Gefährten Johannes simplex etwa habe der Poverello, als jener das Leben der Minderbrüder annehmen wollte, gesagt: Si vis […], frater, noster socius fieri, da pauperibus, si quid habes, et expropriatum recipiam […]. (2 Cel 190, ed. Collegium S. Bonaventurae, S. 239). Näher am Regeltext halten sich die Worte, die das Spec. perf. Franziskus in der selben Situation sprechen lässt: Frater, si vis esse de vitâ et de societate nostrâ oportet quod expropries te de omnibus tuis quæ sine scandalo habere possis, et des ea pauperibus secundum consilium sancti evangelii eo quod illud idem fecerunt omnes fratres mei qui potuerunt. (Spec. Perf. 57, ed. Sabatier, S. 103). Dem Gedanken, dass der pater seraphicus entscheidendes Gewicht auf den Verkauf der Habseligkeiten in Verbindung mit der Armenfürsorge legte, verleiht 1 Cel 34, ed. Collegium S. Bonaventurae, S. 20, in Zusammenhang mit der Annahme des zweiten Gefährten Bernhard weiteren Nachdruck: Hic enim frequenter susceperat beatum patrem hospitio, cuius vitam et mores intuitus et expertus, refectusque sanctitatis eius odore, concepit timorem et salutis spiri-

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ist auch die praktische Gültigkeit jenes Verses für die Aufnahme in den Orden nicht absolut gesetzt. Sollte es dem Anwärter aus irgendwelchen Gründen nicht möglich sein, seine Habe zu veräußern und den Ertrag den Notleidenden zu spenden, so genüge ihm letztlich der gute Wille.269 Auch Petrus Olivi zieht den Satz in vielerlei Zusammenhängen als schlagendes Argument für die äußerste freiwillige Armut heran. In QPE 16 etwa dient er ihm als Indiz gegen die Befugnis, im Minderbrüderorden mittels weltlicher oder geistlicher Vertreter (procuratores) – an erster Stelle ist der römische Pontifex gemeint – von fremdverwaltetem Vermögen zu leben. Wenn dies gangbar wäre, erklärt er zynisch, dann hätte Christus in Mt 19,21b anstatt der Aufforderung zur Spende an die Armen auch sagen können: „[…] und gib es den Sachwaltern, die es durch ihre oder meine Autorität für dich behüten sollen.“270 In diesem Tonfall fortschreitend, bringt er nur wenige Zeilen weiter Apg 4,35 ins Spiel: „Auch als Petrus Papst war und zusammen mit den Aposteln Sachwalter der Armen […], hätte er demgemäß Eigentum und Schätze für andere haben können.“271 In seinem Regelkommentar befasst er sich sodann mit den allgemeinen Konsequenzen des auf Mt 19,21 beruhenden Gebotes der Regula bullata und näherhin mit der fakultativen Beschränkung auf die richtige Gesinnung. Es sei, führt er diesbezüglich aus, zu unterscheiden zwischen Erfordernissen der Notwendigkeit und solchen der Vollkommenheit. Stünden z. B. Rechtsansprüche Dritter, etwa der Eltern oder Kinder des Aspiranten dem Verkauf des Besitzes im Wege, wären gar Prozesse und Skandale zu befürchten, dann könnte jener der Weisung nicht genügen, versündigte sich dadurch jedoch nicht. Die Vollkommenheit hingegen verlange, „die Worte des Evangeliums auch vor Ordenseintritt begeistert und leidenschaftlich

tum parturivit. Videbat eum tota nocte orantem, rarissime dormientem, laudantem Deum et gloriosam Virginem matrem eius, mirabatur atque dicebat: „Vere hic homo a Deo est“. Accelerat proinde vendere omnia sua et pauperibus, non parentibus elargitus est ea, et perfectioris viae titulum apprehendens, sancti Evangelii consilium adimplevit. Auch in seinem Testament stellt Franz in Rückschau auf die Anfänge den Verkauf der Güter und das Verschenken des Erlöses an die Armen noch einmal als selbstverständliche Handlungsweise der Neulinge dar: Et illi, qui veniebant ad recipiendam vitam, omnia que habere poterant (Tob 1,3), dabant pauperibus […]. Franziskus, Testamentum, ed. Esser/Grau, S 439. Darüber hinaus lässt eine weitere Erzählung in 2 Cel 81, ed. Collegium S. Bonaventurae, S. 179, besagte Maßnahme im Verständnis des Franziskus geradezu als Bedingung für den Eintritt in die Gemeinschaft erscheinen. Ein Mann, der um Aufnahme ersucht, erhält von Franziskus den Auftrag: Si vis Dei pauperibus iungi, mundi pauperibus prius tua distribue […]. Als dieser daraufhin Hab und Gut seiner Familie anvertraut, versagt ihm der Meister dessenthalben den Zugang zur Bruderschaft: Vade viam tuam, frater musca, quoniam nondum existi de domo et cognatione tua. Consanguineis tuis tua dedisti, et defraudasti pauperes, dignus non es pauperibus sanctis. Incepisti a carne, ruinosum fundamentum spirituali fabricae collocasti. 269 RegBull 2: Quod si facere non potuerint, sufficit eis bona voluntas. Ed. Esser/Grau, S. 367. 270 Item quando Christus dixit: Vade, vende … et da pauperibus (Matt. 19,21), secundum hoc dicere posset: … et da procuratoribus qui sua vel mea auctoritate pro te illa servent. […] QPE 16, S. 40. 271 Cum etiam Petrus esset papa et una cum apostolis pauperum procurator (Acts 4. 35), potuisset secundum hoc praedia et thesauros pro aliis habuisse. Ebd.

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nach Kräften zu erfüllen“.272 Wider jegliches denkbare Trachten, aus der Kulanz der Regel in gewissen Ausnahmefällen eine generelle Unverbindlichkeit des Imperativs der Entäußerung zugunsten unfreiwillig Armer ableiten zu wollen, setzt er an vorderster Stelle das Gegenbeispiel des Schicksals von Ananias und Saphira. „Wer auch immer förmlich das Gelübde der evangelischen Räte gelobt“, beteuert er, „bezeugt dadurch öffentlich, sich reinen und vollkommenen Herzens der Erfüllung jener Räte zu widmen. Wie also Ananias und Saphira, weil sie etwas vorspiegelten, indem sie sich im Verborgenen etwas für sich zurückhielten, zu Recht vom Heiligen Geist durch ein Strafurteil getötet wurden, so […] verhält es sich auch mit dem Gelübde.“273 Die bereits in der Vita Antonii angelegte Verbindung von Mt 19,21 mit Apg 4 sowie der von Hieronymus inaugurierte Rezeptionszusammenhang zwischen dem Matthäusvers und Apg 5,1–11 werden bei Olivi in radikal franziskanischer Blickrichtung aktualisiert und in die Praxis übertragen. Jesu Auftrag, alles zu verkaufen und den Armen zu geben, liest er als eindeutige Direktive für die Erfüllung der perfectio evangelica, der sich selbstverständlich jeder einzelne Bruder mit Ordenseintritt vorbehaltlos verschreibe. Die einschlägigen Acta-Passagen über das Handeln der Urchristen und die Geschehnisse in ihrem Kreis begreift er entsprechend als Leitbild sowie mahnendes Beispiel. Seine in der LSAA aufgeworfene Frage nach Einlösung des Herrenwortes in der jerusalemischen Gemeinde ist daher nicht allein exegetische Überprüfung des aus patristischen Tagen tradierten Zusammenklangs der betreffenden Bibelstellen, sondern betrifft auch die innere Stimmigkeit des Vorbildes, welches sich ihm ja, wie gezeigt, nicht zuletzt durch den joachimitisch gefärbten Blick auf die Schrift unweigerlich aufdrängte. Gleich in zweifacher Hinsicht, muss er in seiner Antwort denn auch eingangs gestehen, könne der lukanische Text den Eindruck erwecken, die ersten Christen hätten dem Gebot des Menschensohnes nicht entsprochen – „bald, weil sie nicht all das Ihre verkauften, bald, weil sie den Erlös der Verkäufe nicht den Armen gaben, sondern allein ihrem Verein und in Konsequenz auch sich selbst.“274 Doch Olivi wäre nicht Olivi, hätte er auf diese durchaus einleuchtenden Vorbehalte nicht passende Erwiderungen parat: Es muss gesagt werden, dass das Gegenteil zutrifft, weil sie ihrem Verein nur insofern gaben, als es Arme waren, und um deren Mangel und Not zu lindern. Sie verkauften aber alles, was für den Gebrauch ihrer evangelischen Armut nicht passend war. Wenn aber Christus rät, alles zu 272 […] dicendum quod hic est aliquid necessitatis, aliquid perfectionis. […] Si tamen ex rationabili causa relinquat ea parentibus divitibus et praecipue liberis suis […] aut aliquibus aliis, scilicet vel propter vitandum aliquod grave scandalum vel ad magis eos attrahendum ad Deum, vel quia non posset illa sine litigio re habere […], tunc non peccat. […] Perfectionis vero est verbum evangelii ardenter et studiose etiam ante ingressum pro posse implere […]. Expositio Petri Johannis Olivi, ed. Flood, S. 127. 273 […] quia quicumque solemni voto evangelica consilia profitetur, eo ipso protestatur se puro et pleno corde accedere ad consilia ipsa implenda. Sicut ergo quia Ananias et Saphira in retinendo sibi occulte aliqua sua mentiti sunt Spiritui Sancto iuste sunt reprobationis poena percussi (Act. 5, 1ss.), sic, prout dicunt, est et in proposito. Ebd. 274 […] tum quia non omnia sua vendebant, tum quia pretia venditorum non dabant pauperibus sed solum collegio suo, ac per consequens et sibi ipsis. LSAA, S. 92.

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verkaufen, meint er nicht, dass sie die notwendige Kleidung verkaufen sollen, sondern nur, dass sie dem Besitzanspruch [dominium] auf alles Eigentum entsagen sollen, so wie er auch nicht meint, dass sie ihr für den selben Tag ganz und gar notwendiges Brot verkaufen oder anderen schenken sollen. Er spricht also von dem, dessen Gebrauch nicht notwendig ist oder ihnen nicht ansteht, und nicht über das, was für den täglichen Gebrauch der Armen nützlich ist. Nach dieser Art aber sind Äcker und Häuser jenseits des Notwendigen und Vieh und kostbares Geschmeide oder Kleinode und dergleichen.275

Den Einwand, die Gemeindemitglieder hätten das durch den Verkauf ihres Eigentums erworbene Geld nicht den Armen geschenkt, sondern für ihre Gemeinschaft selbst aufgewendet, räumt er – quod erat demonstrandum – mit dem Kunstgriff aus, die Gemeinde habe ihrerseits zu einem Gutteil aus Armen bestanden, und allein in deren Unterstützung sei das Geld geflossen. Zwar enthält der Text Apg 2,42–46 diesen Befund nicht eo ipso, in Kombination mit anderen Schriftstellen – so etwa den Berichten über externe Kollekten für die Jerusalemer Christen in Apg 11,27–33, Röm 15,26 und 2 Cor 8,14 – gelesen, konnte sie jedoch durchaus einigen Plausibilitätsanspruch erheben. Ungleich größere Schwierigkeiten macht dem Minderbruder indes die Feststellung, dass in der Urgemeinde nicht gemäß Christi Ratschlag alle Habe veräußert worden sei. Dies vermag er nicht stichhaltig zu dementieren, weshalb er, um sich nicht in Kontradiktionen zu verstricken, genötigt ist, Mt 19,21 an dieser Stelle weniger rigoristisch auszulegen. Hierzu greift er auf seine bereits in Bezug auf Apg 2,44 vorgebrachte Auffassung zurück, dass es nur die Dinge, quae non decet evangelicos pauperes etiam ad usum habere,276 gewesen seien, derer sich die Gemeindemitglieder entledigt hätten. Bei allem rhetorischen Geschick des Exegeten ist diese Deutungsverschiebung des omnia quae habes in der Rede Jesu letztlich aber doch nicht ohne interpretatorischen Gewaltakt zu haben. Offensichtlich in vollem Bewusstsein konstruiert Olivi an dieser Stelle eine Auslegung, die den zugrundeliegenden Wortlaut äußerst bemüht in den Hintergrund drängt, schiebt gewissermaßen den unmissverständlichen sensus litteralis zugunsten eines willkürlichen sensus tropologicus beiseite. Dabei kommt er nicht nur dem von Hieronymus ausgehenden Verständnis des Verses, das sich auch Bonaventura zu eigen macht,277 aufs Heftigste ins Gehege, er opponiert auch grundlegend gegen seine eigenen oben referenzierten Ausführungen in der Expositio super Regulam. Sich augenscheinlich dieser Unstimmigkeiten seiner Deutungen bewusst, lässt er einen apologetischen Nachtrag folgen. Zu beachten sei, „dass es damals notwendig war, den Erlös der Verkäufe dem Verein der Jünger zu geben, bald, weil es keine Hoffnung darauf gab, von den habgierigen Juden, die von ihrem [sc., der Christen] Glauben nicht überzeugt waren, die notwendigen Dinge 275 Dicendum quod immo, quia nihil dabant suo collegio nisi solum quantum pauperibus et ad sublevandum eorum penuriam et indigentiam. Vendebant etiam omnia quae usui evangelicae paupertatis eorum non erant condecentia. Quando autem Christus consulit omnia vendi, non intelligit quod panem eis pro eodem die omnino necessarium vendant vel aliis donent. Loquitur ergo de his quorum usus non est necessarius aut eis non condecens nec est cotidiano usui pauperum utilis. Huiusmodi autem sunt agri et domus praeter necessariae et pecora et pretiosa monilia vel iocalia et consimilia. Ebd. 276 LSAA, S. 89; vgl. dazu oben, S. 93. 277 Vgl. Apologia pauperum II,10, S. 242.

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zu bekommen, bald, weil die Menge so groß war und so kontinuierlich wuchs, dass es notwendig war, sie aus derartigen Erlösen zu ernähren. Wenn sie sich aber von anderen durch deren tägliche Almosen angemessen und schicklich hätten ernähren können, dann wären vollkommener und gebührlicher die Erlöse aus den Verkäufen den übrigen Armen geschenkt worden, und vor allem, wenn jene Armen an Christus geglaubt hätten oder es wahrscheinlich gewesen wäre, dass sie künftig an ihn glauben würden.“278 Schuld an den Abstrichen von der vollkommenen Erfüllung der jesuanischen Weisung unter den Urchristen trügen demnach allein die Ungläubigen. Durch deren Anfeindungen und egoistische Raffgier seien jene dazu genötigt worden, wenn auch nur in geringem Maße, von diesem Element der perfectio abzustehen. Olivis Argumentation basiert hier auf den gleichen Grundsätzen wie in seiner oben dargestellten Erklärung zur unvollkommenen Güterpraxis der Kirchenväter. In beiden Fällen macht er historische Umstände, namentlich die in der Frühphase seiner Entwicklung das Christentum bedrängende ungläubige Außenwelt für das Handeln der Christen verantwortlich. Eilends betont er demgegenüber mithilfe üppiger Konjunktivgebilde jedoch, dass diese in der Haltung des Geistes und der Herzen ganz auf die Vollkommenheit – selbstverständlich im franziskanischen Sinne – justiert gewesen seien. Nichtsdestoweniger ist damit aber ein Gefälle zwischen Urchristen und Franziskusjüngern impliziert. Zumindest potentiell nämlich müssten letztere gemäß seines Auslegungsschemas einen höheren Grad der Vollkommenheit erreichen können als ihre neutestamentlichen Vorläufer;279 eine Annahme, die in seiner Exegese des zweiten Sammelberichts noch eine größere Rolle spielen wird. Zusammengefasst ergibt sich folgendes Bild: Der in den Diskursen um die evangeliengemäße Haltung gegenüber Besitz und Reichtum seit der Spätantike überaus prominent figurierende, auch in Akkord mit dem Verständnis der ecclesia primitiva zutiefst traditionsbeladene Vers Mt 19,21 stellt Olivi in seiner Kommentierung der lukanischen Gemeindesummarien vor ein Stringenzproblem. Da er, um die Homogenität von Urchristentum und Minoritenorden zu bezeugen, eine möglichst uneingeschränkte Verwirklichung der perfectio evangelica im apostelgeschichtlichen Jerusalem glaubhaft machen möchte, muss er das Gebot Jesu – vende omnia quae habes et da pauperibus – als Voraussetzung individueller Vervollkommnung dort 278 […] quod tunc erat necessarium pretia venditorum collegio discipolorum dare, tam quia a Iudaeis avaris eorumque fidei incredulis non erat spes habendi necessaria, tum quia tanta erat multitudo et sic continue crescens quod necessarium erat eos ex huiusmodi pretiis sustentari. Si autem a ceteris per eorum cotidianas eleemosynas possent commode et congrue sustentari, tunc perfectius et decentius pretia venditorum ceteris pauperibus donarentur, et maxime si illi pauperes essent in Christum credentes aut probabiliter credituri. LSAA, S. 93. 279 Vgl. dazu Benz, Ecclesia Spiritualis, S. 293–297. Mit anderer Akzentsetzung auch Burr, Spiritual Franciscans, S. 78–80, der zeigt, mit welchen Argumenten es Olivi gelingt, die Franziskaner als Induktoren der Geistkirche letztlich in Sachen Armutsausübung doch nicht den Aposteln und Kirchenvätern überzuordnen, dagegen aber meint, dass ihm dasselbe in Bezug auf das Wissen, das sich nach joachimitischer Vorstellung und damit auch in Olivis Verständnis im zeitlichen Fortschreiten der Heilsgeschichte Stück für Stück offenbart, nicht glücke. Die Alten erscheinen hinsichtlich des geoffenbarten Wissens bei Olivi grundsätzlich den viri spirituales des neuen Zeitalters untergeordnet.

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als eingelöst präsentieren. In Hinblick auf das Gebot der Armenunterstützung gelingt ihm dies vermöge eines klugen Kniffs noch vortrefflich, in Sachen der empfohlenen vollständigen Veräußerung der Güter ist er hingegen zu einem Kompromiss genötigt. Da er sich auf diesen aber nur in geringem Maße einlässt, im Übrigen jedoch mit einer erzwungenen Neudeutung der Worte Christi argumentiert, gewinnt seine Darstellung kaum Überzeugungskraft. Sehr viel deutlicher als bislang tritt an diesem Punkt seiner Einlassungen zu Apg 2,42–46 eine hohe Intentionalität des exegetischen Schaffens des Minderbruders hervor. Als drittes Generalproblem der Passage behandelt Olivi endlich noch die Frage, ob die Vertreter des neuen Bundes „damals mit Recht im Tempel beteten, der dem [alten] Gesetz entsprach.“280 Den Hintergrund dieser Überlegung bildet die komplexe Angelegenheit des Umgangs der Urkirche mit ihren alttestamentlichjüdischen Wurzeln sowie den nicht-konvertierten Juden im palästinensischen Umfeld.281 Im Rahmen einer breiten Diskussion kommt der Exeget zu dem Ergebnis, die ersten Christen hätten durch die fortgesetzte Tradition des Tempelgebets die Etablierung des durch den Gottessohn erneuerten Glaubens vorangetrieben. Da sie überdies „den Tempel und dessen Zeremonien nicht auf eine Weise ehrten, durch die sie nicht offenbart hätten, dass sie Christus und dessen Gnade präferierten“, hätten sie sich keiner irrigen Handlungsweise schuldig gemacht.282 280 Tertio quaeritur an tunc licite orarent in templo legali. LSAA, S. 93. 281 Der Anspruch des Christentums auf Absolutheit seiner Gottesbeziehung machte den Verkehr mit Andersgläubigen und besonders mit den Juden, als deren legitime Ablösung es sich verstand, von Beginn an zum Problem. Dass die junge ecclesia aber ohne Zweifel sowohl räumlich als auch kultisch in engen Beziehungen zum Judentum gestanden hatte, konnten auch die frühen christlichen Schriftsteller nicht ohne Weiteres beiseiteschieben. Aus dieser Misslichkeit heraus entstand seit den apostolischen Vätern ein breites, kleinernteils apologetisches, größernteils antijudaistisches Schrifttum. So trägt schon die aus dem zweiten Jahrhundert stammende älteste bekannte Predigt in lateinischer Sprache den programmatischen, späterhin von Tertullian bzw. Ps.-Tertullian, Johannes Chrysostomus, Joachim von Fiore u. a. aufgegriffenen Titel Adversus Ivdeos (Pseudo-Cyprian, Adversus Ivdeos. Gegen die Judenchristen. Die älteste lateinische Predigt, eingef., übers. u. komm. Dirk v. Damme (= Paradosis. Beiträge zur altchristlichen Literatur und Theologie, 22), Freiburg i. Ü. 1969). Auf dem Rücken dieser Tradition steht Olivis Frage zur Tempelpraxis der Urkirche. – Zum Gesamtkomplex: Kurt Schubert, Christentum und Judentum im Wandel der Zeiten, Wien/Köln/Weimar 2003, bes. Kap. II–V, S. 31–86; Bernhard Blumenkranz, Art. „Christen und Juden in Patristik und Frühmittelalter“, in: Karl Heinrich Rengstorf / Siegfried v. Kortzfleisch (Hrsgg.), Kirche und Synagoge. Handbuch zur Geschichte von Christen und Juden, Bd. 1, Stuttgart 1968, S. 84–135. 282 […] ut Iudaeos facilius attraherent ad fidem Christi, communicando eis quantum absque iniuria Christi poterant et praedicando eis in templo in quo magis ad divina confluebant et ibidem monstrando eis sanctae devotionis exempla. […] Et per hoc patet ad obiecta, et maxime quia non sic templum et eius caeremonias honorabant quin pateret quod eis Christum et eius gratium praeferebant […]. LSAA, S. 93. – Bemerkenswert ebd., S. 93 f., auch seine Unterscheidung zwischen Häretikern und Heiden auf der einen und Juden auf der anderen Seite: Nec est simile de haereticis vel paganis, quia haeretici facti sunt et fiunt per recessum a catholica fide et societate Ecclesiae, et eorum tolerantia aut qualiscumque communio est fidelibus valde periculosa. Illi vero quantum ad superficiem Legis et legalis cultus priores apostolico seu Christiano cultu fuerant et in primo copetis superficialiter permanebant. Nec erant haereticorum more sic periculosi […]. Einmal mehr stellt diese vor Augen, dass Olivi aus dem Glauben an

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Seine Auslegung des ersten Sammelberichts endet schließlich mit einer vergleichsweise knappen Erörterung des Verses Apg 2,47, den er zu Anfang als eigenständige Perikope definiert hatte. In Berufung auf Bedas Retractio gilt seine Aufmerksamkeit hierbei ganz dem Literalsinn und speziell den durch Rückgriff auf den griechischen Urtext möglichen unterschiedlichen Verständnisarten des Relativsatzes qui salvi fiebant […] bzw. qui salvi fierent […].283 Mit Beda sowie der an dieser Stelle von jenem abhängigen Glossa Ordinaria284 kommt er mit Blick auf Apg 3,1285 zu dem Schluss, dass hier, an der Grenze zwischen den Kapiteln zwei und drei der Acta apostolorum, davon die Rede sei, wie „Gott täglich die für seine Kirche zu Rettenden vermehrte“ und „Petrus und Johannes in den Tempel gingen, um den Herrn um diese selbe Sache zu bitten, das heißt um diese bestimmte Sache, dass er nämlich die Gläubigen seiner Kirche stets vermehren möge.“286 6. APG 4,32: SPIRITUELLES UND HERMENEUTISCHES ZENTRUM Am Anfang seines Kommentars zum vierten Kapitel der Apostelgeschichte erklärt Petrus Olivi den Abschnitt Apg 4,1 bis einschließlich 5,16 zu einer zusammenhängenden Erzähleinheit, die er wiederum in sieben Perikopen gliedert. Beginnend mit Apg 4,32, umfasst die siebte den gesamten zweiten Sammelbericht, die Ananias/ Saphira-Geschichte sowie summarische Erzählungen vom anhaltenden Wachstum der Gemeinde und durch Petrus gewirkten Heilwundern (Apg 5,12–16). In Olivis eigenen Worten hat sie „die wunderbare Vollkommenheit und die hierarchische Einheit und zugleich die Distinktion unter allen Gläubigen“ sowie „die tugendhafte Vertilgung eines gewissen betrügerischen Jüngers durch Petrus“ zum Thema.287 Mit der exegetischen Bearbeitung zum Beginn des Blocks vorgedrungen, greift er diese knappe Inhaltsangabe schließlich wieder auf und nimmt eine weitere Feineinteilung und Explikation vor. Von der Vollkommenheit, hierarchischen Einheit und Distinktion würde an dieser Stelle berichtet, „damit verstanden werde, dass, so wie anfangs die Bekehrten in den Pfingsttagen vollkommen waren, es auch die Bekehrten sind, von denen in diesem vierten Kapitel erzählt wird.“288

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einen göttlich geordneten Niedergang der Kirche und seiner Erwartung ihres baldigen Endes nicht eine Legitimität der Abkehr von der Institution ableitete. Daher, das kann nicht genug betont werden, ist er eben auch nicht in eine Reihe mit heterodoxen Ideologen wie den italienischen Spiritualen oder Gerardo Segerelli und Fra Dolcino zu stellen und war bestimmt ebenso wenig, wie Lewis, Freude, Freude!, S. 658 meint, im Wortsinne ein „hervorragender Protestant schon vor dem Protestantismus“. LSAA, S. 94; Beda, Retractio, ed. Laistner, S. 118. Vgl. Glossa ordinaria, ad loc.; ebd. interlinear außerdem: quotidie] non solum in penthecosten. Apg 3,1: Petrus autem et Iohannes ascendebant in templum ad horam orationis nonam. Deus augebat cotidie Ecclesiae suae salvandos. Et Petrus et Ioannes ibant in templum Dominum rogaturi in id ipsum, id est pro eadem causa, ut scilicet suae Ecclesiae semper fideles augeret. LSAA, S. 94. […] omnio credentium admirabilis perfectio et hierarchica unio simul et distinctio […]. […] cuisdam fraudulenti discipuli virtuosissima per Petrum exterminatio […]. LSAA, S. 115 f. […] ut sciatur quod sicut primo conversi in die Pentecostes fuerunt perfecti, sic et hi qui in hoc quarto capitulo conversi narrantur. Ebd., S. 124.

Apg 4,32: Spirituelles und hermeneutisches Zentrum

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Offenbar geht der Minorit von einer nicht unerheblichen Zeitspanne aus, die zwischen den Schilderungen des ersten Gemeindeberichts in Kapitel zwei und der zum Teil redundanten Erzählung im zweiten Summarium verstrichen sei. Da sich die Gemeinschaft währenddessen beträchtlich vergrößert haben musste, betrachtet er die fortlaufende Narration nun als auf gänzlich anderen Voraussetzungen basierend. Daher liest er im Folgenden vermeintliche Wiederholungen nicht einfach als literarische Stilmittel der Affirmation, sondern als originäre dokumentarische Aspekte des Alltags des nunmehr um ein Vielfaches angewachsenen und notwendigerweise stärker strukturierten und organisierten Glaubensbündnisses. In diesem Sinne gehe es in Apg 4,32 um die „Vollkommenheit dieser Gemeinschaft“, in Apg 4,33 um die „hierarchische Vortrefflichkeit und den Vorrang der Apostel über die Übrigen“ sowie die „vollkommene Leitung aller durch diese und um ihre vollkommene Unterwerfung und Anschließung an die Apostel“, in Apg 4,36 um die „exemplarische Spezifikation der vollkommenen Entsagung des Barnabas“, ab Apg 5,1 um die „Erklärung und finale Strafe für die vorgetäuschte Entsagung des Ananias und seiner Gattin“, in Apg 5,11 um die „daraus sich ergebende vollkommenere Gottesfürchtigkeit aller Jünger“ und zuletzt, ab Apg 5,12, um „Erhebung und Ausbreitung der Kirche“.289 6.1 cor unum et anima una – Gütergemeinschaft als Folge der Unanimität In Vers Apg 4,32 langt der franziskanische Exeget beim Herzstück zumindest der spätantiken und mittelalterlichen Rezeption der Acta-Berichte von Habitus und Spiritus der ecclesia primitiva an. Wo auch immer bei den frühen christlichen, vor allem zönobitischen Autoren, in der Patristik wie bei den hoch- und spätmittelalterlichen Theoretikern der monastischen und regularkanonikalen Lebensweise die vita apostolica in Beziehung auf die Apostelgeschichte zum Ideal erhoben und mit ihr zur Gütergemeinschaft aufgefordert wird, ist diese Forderung wenigstens implizit fundiert durch das Wort vom einen Herzen und der einen Seele. Als Bedingung oder, mehr noch, als Ursache für die freiwillige Aufgabe des Eigenbesitzes wird also stets die Einsheit der Individuen, ihr vollendetes Aufgehen in der Gemeinschaft erachtet.290 Um Funktion und Wert dieses aus Apg 4,32 gewonnenen leit289 Et in hac primo narratur eorum communis perfectio. Secundo, apostolorum super ceteros hierarchica praecellentia et praelatio, ibi (4, 33): Et virtute magna. Tertio, omnium ab eis perfecta gubernatio et ipsorum ad apostolos perfecta subiecto et adhesio, ibi (4, 33): Et gratia magna. Quarto perfectae abrenuntiationis Barnabae exemplaris specificatio, ibi (4, 36): Ioseph autem. Quinto, dolosae abrenuntiationis Ananiae et uxoris eius explicatio et finalis punitio, quinto capitulo (5, 1): Vir autem quidam, Sexto, omnium discipulorum ex hoc perfectior in Deum timoratio, ibi (5, 11): Et factus est timor magnus. Septimo, Ecclesiae magnificatio et dilatatio, ibi (5, 12): Per manus autem apostolorum. Ebd. 290 Vgl. Gert Melville, Einleitende Aspekte zur Aporie von Eigenem und Ganzen im mittelalterlichen Religiosentum, in: ders. / Markus Schürer (Hrsgg.), Das Eigene und das Ganze. Zum Individuellen im mittelalterlichen Religiosentum (= Vita regularis, 16), Münster/Hamburg/London 2002, S. XI–XLI, hier: S. XXIII mit Anm. 34. – Dass dieser plastische Beleg eines Bewusst-

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motivischen Bildes im mittelalterlichen Verständnis einzukreisen, ist ein Blick auf einige begriffsgeschichtliche Aspekte notwendig. In der Auffassung einer Mehrheit zumindest der frühmittelalterlichen Autoren dürfte cor zunächst für den Körper, dann aber präziser für die menschlich-individuelle Beziehung zu Gott und die sinnliche Erkenntnisfähigkeit, anima vorderhand für den Geist, im Weiteren für das unsterbliche Seelenganze gestanden haben.291 Zugrunde liegt diesem Verständnis die platonische Idee des Körper-Geist-Dualismus, die, abzüglich ihrer bei dem Griechen grundsätzlich antithetischen Struktur, durch Augustinus in christlichem Gewand an das Mittelalter weitergegeben worden war.292 Demzufolge wäre die Einheit in Herz und Seele, von der Apg 4,32 berichtet, aufzufassen als Harmonie sowohl der an den Körper gebundenen Sinne und der Physis, die der Erkenntnis und individuellen Interaktion mit der Welt dienen, als auch der Ratio und Emotio, welche dem Menschen mit der göttlichen Seele eingegeben und wieder auf Gott zurückgerichtet sind. Schon beim Bischof von Hippo selbst allerdings sind die Begrifflichkeiten nicht einheitlich gebraucht. Cor und anima werden je nach Zusammenhang verschieden konnotiert, ihr Gehalt wechselseitig substituiert, beide Worte bisweilen synonym verwendet293 – eine Beobachtung, die sich auf die gesamte Scholastik, auch über den Siegeszug des Aristotelismus hinaus, ausweiten lässt. In erster Linie dürfte dies dem Einfluss des biblischen Sprachgebrauchs geschuldet sein. So sind etwa in den Psalmen Herz und Seele beinahe grundsätzlich austauschbare Begriffe. Indes, ein Bewusstsein für mögliche unterschiedliche Bedeutungszuschreibungen hat sich offenbar kontinuierlich erhalten, wovon konkrete Äußerungen aus verschiedenen Jahrhunderten zeugen.294 In großer Prägnanz schlägt sich dies schließlich auch im Interlinearkommentar der Glossa Ordinaria zu besagtem Vers Apg 4,32a nieder: unus sensus, anima una et una voluntas erat omnium.295 Hier kommt dem Herzen, substituiert mit sensus, wiederum die Rolle des Erkenntnisorgans zu, wird die Seele, parallelisiert mit voluntas, begriffen als Ort der Willensbildung. Steht das Individuum in beidem, sensus und voluntas – es ließe sich auch einsetzen: perzeptiv und apperzeptiv –, in Einklang mit der Gemeinschaft, wird es zur Zelle eines großen Organismus, formen sich sein Herz und seine Seele gleichsam als Segmente an das eine Herz und die eine Seele der Gemeinschaft an.296 In diesem prozessualen Übergang des Einzelnen

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seins für die Preisgabe des Individuellen in der vita communis zugleich Aufweis einer klaren Wahrnehmung von Persönlichkeit ist, die doch lange Zeit dem Mittelalter abgesprochen werden sollte, belegen vielfältig und eindrucksvoll die verschiedenen Beiträge in ebendiesem Band. Vgl. hierzu wie zum Folgenden: Wolf Gewehr, Zu den Begriffen „anima“ und „cor“ im frühmittelalterlichen Denken, in: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 27 (1975), S. 40– 55. Vgl. ebd., S. 44. Vgl. ebd., S. 54. Vgl. ebd. die Zitate von Hrabanus Maurus und Bernhard von Clairvaux. Glossa Ordinaria, ad loc. Dieses Bild illustrativ in Augustins Kommentar zu Psalm 132,6, ed. E. Dekkers / J. Fraipont, Enarrationes in Psalmos CI–CL (= CCSL, 40: Sancti Aurelii Augustini Opera X,3), Turnhout 1956, S. 1931: „Ecce quam bonum et quam iucundum habitare fratres in unum“? „Monos“

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in die Gruppe, einer conversio cordis, konstituiert sich die vita communis, deren logische Folge, idealistisch gedacht, die spontane Aufhebung des Privateigentums sein muss. Ganz im Sinne des Primats der Einmütigkeit stellt daher etwa auch Oexle die Brüderlichkeit an erste Stelle in der Reihe der fundamentalen Elemente jener Lebensform.297 Besonders eindrücklich belegen die enorm einflussreichen, im Kontext der Frage nach einem frühchristlichen Kommunismus in neuerer Zeit allerdings stark überstrapazierten Homilien des Johannes Chrysostomus († 407) diesen Befund in Übertragung auf die vita apostolica auch in nicht-monastischem Kontext.298 Die Sammlung der 55 Sermone des Syrers zur Apostelgeschichte bildet den einzigen überlieferten Gesamtkommentar zum zweiten Buch des Lukas aus dem ersten christlichen Jahrtausend.299 Neben Bedas Schriften gehörte dieser während des Mittelalters zweifelsohne zu den meistgelesenen Auslegungen der Acta apostolorum überhaupt. Wohl erst durch die Übersetzung des Erasmus von Rotterdam und deren Aufnahme in die lateinische Gesamtausgabe der Werke des griechischen Vaters beim Basler Drucker Froben im Jahr 1530 gelangte sie allerdings auch im Westen zu größerer Bekanntheit.300 In der elften der um das Jahr 400 in Konstantinopel gehaltenen Predigten sagt der Erzbischof zu Apg 4,31b–4,32:

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enim unus dicitur: et non unus quomodocumque; nam et in turba est unus, sed una cum multis unus dici potest, „monos“ non potest, id est, solus: „monos“ enim unus solus est. Qui ergo sic uiuunt in unum, ut unum hominem faciant, ut sit illis uere quod scriptum est una anima et unum cor; multa corpora, sed non multae animae; multa corpora, sed nun multa corda, recte dicitur „monos“, id est unus solus. – Im Hintergrund steht Augustinus’ etymologische Herleitung des Wortes monachus von monos. Vgl. dazu ausführlich: Luc Verheijen, Saint Augustine’s Monasticism in the Light of Acts 4, 32–35 (= The Saint Augustine Lecture Series 1975), Villanova 1979, bes. S. 63–65. Vgl. Oexle, Tria genera hominum, S. 486. Kautsky beispielsweise macht den „Goldmund“ Johannes zu einem der wichtigsten Zeugen seines marxistischen Verständnisses des Urchristentums. Vgl. Johannes Quasten, Patrology, Bd. 3: The Golden Age of Greek Patristic Literature from the Council of Nicaea to the Council of Chalcedon, Utrecht/Antwerpen/Westminster 1960, S. 440 f. Diui Ioannis Chrysostomi Archiepiscopi Constantinopolitani opera […], ed. Johann Herwagen / Hieronymus Froben / Nicolaus Episcopius, 6 Bde, Basel 1530. – Während die Homilien zum Matthäus- und Johannesevangelium spätestens mit den Übersetzungen des Juristen Burgundio von Pisa im 12. Jahrhundert weithin bekannt wurden und somit das sehr schmale Korpus der bis dato in lateinischer Sprache vorliegenden chrysostomischen Schriften um ein Vielfaches ergänzten, wodurch jene später u. a. die besondere Wertschätzung Thomas’ und Bonaventuras erlangen konnten, was beider häufige Allegationen belegen, ist die Lage bei den ActaHomilien weniger klar. Von einer frühen Übertragung ins Lateinische berichtet Cassiodor, erhalten ist eine solche jedoch nicht. Vgl. John Chrysostom: The Homilies on the Acts of the Apostles, übers. v. J. Walker / J. Sheppard / H. Browne, neu hrsg. v. George B. Stevens (= A Select Library of the Nicene and Post-Nicene Fathers of the Christian Church, 1. Ser. 11), Grand Rapids 1889 (zuerst Oxford 1851), ND 1997, S. X. Ob und bis wann sie im Mittelalter verfügbar blieb, ist nicht bekannt. Fehlende Bezugnahmen bei den lateinischen Autoren des hohen und späten Mittelalters lassen aber darauf schließen, dass sie mit den Texten nicht vertraut waren. In der Apologia pauperum z. B. zitiert Bonaventura unzählige Male das ps.-chrysostomische Opus Imperfectum in Matthaeum, die echten Homilien zu Matthäus, Johannes und den Hebräerbriefen sowie „De laudibus Sancti Pauli“, kein einziges Mal aber die Acta-Predig-

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Franziskaner, Urchristen und die Entgrenzung der Gütergemeinschaft „And they were all filled with the Holy Ghost.“ What means, „They were filled?“ It means, They were inflamed; and the Gift burned within them. „And they spake the word of God with boldness. And the multitude of them that believed were of one heart and of one soul.“ (v. 32.) Do you see that together with the grace of God they also contributed their part? For everywhere it ought to be well observed, that together with the grace of God they do their part likewise. Just as Peter said above, „Silver and gold have I none“; and again, that „they were all together.“ (ch. iii. 6.) But in this place, having mentioned that they were heard,301 the sacred writer proceeds to speak also of them, what virtue they showed. Moreover, he is just about to enter upon the narrative of Sapphira and Ananias, and with a view to show the detestable conduct of that pair, he first discourses of the noble behavior of the rest. Now say, did their love beget their poverty, or the poverty the love? In my opinion, the love begat the poverty, and then the poverty drew tight the cords of love. For observe what he says: „They were all of one heart and of one soul.“ Behold, heart and soul are what make the „together.“302

Neben den aus Sicht der Gemeindemitglieder passiven Akt der Gnade rückt Chrysostomus in Bezug auf Apg 3,6 die selbstgewählte Armut als aktive Komponente der Geistesfülle, das heißt der spirituellen Energie der Gemeinde. Im Weiteren will er nicht erst, wie die übliche Exegese, das Exempel des Barnabas,303 sondern schon Apg 4,32b als literarisch bewusst eingesetztes Konträrmodell zu Ananias und Saphira verstanden wissen. Für die Bedeutung der ‚Ein Herz und eine Seele‘-Metapher ist das letzte Drittel des Zitats entscheidend. Hier fragt der Prediger nach Ursache und Wirkung im Gefüge von Liebe und Armut in der Gemeinde und kommt zu dem Schluss, die Liebe habe die Armut erzeugt, welche wiederum die Fortdauer der Liebe garantiert habe, und nicht etwa andersherum. Er fordert seine Zuhörer auf, die genaue Formulierung des Bibeltextes zu beachten. Lukas betont die Einmütigkeit in Herz und Seele, bevor er die Gütergemeinschaft erwähnt und weitere Ausführungen dazu anstellt. Durch sie, die Einmütigkeit, werde nämlich das Gemeinsame erst ermöglicht. Wiederum Augustinus zeichnete dafür verantwortlich, denselben Gedanken im abendländisch-klösterlichen Bezugsrahmen zu verwurzeln.304 So zitiert er zunächst

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ten. Charles L. Stinger, Humanism and the Church Fathers. Ambrogio Traversari (1386–1439) and the Revival of Patristic Theology in the Early Italian Renaissance, New York 1977, S. 153 behauptet hingegen: „Chrysostom’s comments on Matthew, John, and Acts had been available to the Latin Middle Ages in Burgundio’s translations“, und in der Tat ist nicht völlig sicher, welche außer den weiter oben genannten Schriften Burgundio eventuell noch übersetzte. Vgl. dagegen aber: Peter Classen, Burgundio von Pisa. Richter – Gesandter – Übersetzer (= Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Phil.-Hist. Klasse 1974,4), Heidelberg 1974, S. 38. Bezieht sich auf Apg 4,31a. Die Bewegung der Erde deutet Chrysostomus im Vorausgegangenen als Zeichen für das Gehörtwerden der Gebete. Original griechisch; engl. Übers. n: Stevens, Homilies, S. 71. Beim griechischen Text der Homilien in Migne PG 60, Sp. 13–384, handelt es sich um eine unzuverlässige Sekundärtradition, von der auch die Übersetzung des Erasmus fast völlig abhängt. Da eine bessere Edition nach wie vor nicht existiert, ist die englische Fassung, die auf Basis der Primärtradition steht, vorzuziehen. Vgl. Stuehrenberg, Study of Acts, S. 110, zu Nr. 5,8. S. Apg 4,36–37. Vgl. dazu Verheijen, Saint Augstine’s Monasticism; James McEvoy, Anima una et cor unum: Friendship and Spiritual Unity in Augustine, in: Recherches de Théologie ancienne et médiévale 53 (1986), S. 40–92, bes. S. 80–91. Pier Cesare Bori, Chiesa primitiva. l’immagine della

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in seinem Sermo 356 den Passus Apg 4,31–35 als Beschreibung der forma quam desideramus implere gleich zweimal in Folge und schließt unmittelbar daran die Erläuterung an, dass hierin die Ideale des Klerikerlebens in toto zum Ausdruck kämen.305 Eine Gewichtung der einzelnen normativen Elemente unternimmt er an dieser Stelle jedoch nicht. Dies geschieht umso deutlicher aber im sogenannten Praeceptum, dem Kernstück der als ‚Augustinusregel‘ überlieferten Texte. Dort heißt es im ersten Kapitel: Haec sunt quae ut obseruetis praecipimus in monasterio constituti. Primum, propter quod in unum estis congregati, ut unianimes habitetis in domo et sit uobis anima una et cor unum in deum.306

Dass die Schlussklausel hier abermals Apg 4,32 entlehnt ist, bedarf wohl insbesondere mit Blick auf Sermo 356 keiner weiteren Beweisführung. Augustinus stellt die Einheit der Versammelten in Seele und Herz der Gütergemeinschaft, die er im nächsten Vers zur Sprache bringen wird, nicht nur syntagmatisch, sondern gerade auch folgelogisch voran.307 Dabei dürfte die Umkehrung der Wortreihung durchaus intentional sein. Höchste Bedeutung misst Augustinus unter Einfluss der platonischen Begriffstradition der Unanimität bei,308 in der sich, so die zugrundeliegende Vorstellung, die Einsheit der Individuen quasi metaphysisch manifestiert. Wie prinzipiell und selbstverständlich diese Gedanken in nachaugustinischer Zeit wurden, ist in fast unüberschaubarer Häufigkeit im monastischen Schrifttum dokumentiert. Angeführt sei hier nur noch ein einzelnes besonders klares, wenngleich in seinem Aussagewert keineswegs ungewöhnliches Exempel für die stete Akzentuierung der Einmütigkeit als Grundcharakteristikum der mönchischen Lebensform aus einer Innenperspektive, erneut in unverhülltem Rekurs auf Apg 4,32. In seinem Kommentar zur Regula Benedicti schreibt Smaragd († um 830), erster Abt von Saint-Mihiel,309 im Kontext etymologischer Überlegungen zum Begriff des Klosters: Wenn gemäß dem Idiom der griechischen Sprache, in der eins ‚monas‘ heißt, die Wohnstätte eines Einzelnen passend ‚Kloster‘ genannt wird, dann muss aber gefragt werden, warum auch die Wohnstätte einer Gruppe von Menschen, die sich an einem Ort niedergelassen haben, als Kloster bezeichnet wird, wenn nicht vielleicht deshalb, wie ich glaube, weil ‚ein Glaube, eine Taufe, ein Herz und eine Seele‘ in allen Mönchen herrschen, die gut und gerecht leben, so wie es zunächst im Glauben der Rechtgläubigen und gerecht Lebenden der Fall war. Eines zu wollen nämlich, zeichnet alle Mönche aus, die richtig leben.310

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comunità delle origini – Atti 2,42–47, 4,32–37 – nella storia della chiesa antica (= Testi e ricerche di Scienze religiose, 10), Brescia 1974, S. 260–277, bietet eine Sammlung aller hinsichtlich der ecclesia primitiva relevanten Stellen in Augustins Werk. Migne, PL 39, Sp. 1574 f. Verheijen, Règle, Bd. 1, S. 417. Vgl. McEvoy, Anima, S. 84: „Augustine himself deduced the common possession of goods from the ideal of there being ‚one mind and one heart centered on God‘ […].“ Vgl. Gewehr, „anima“ und „cor“, S. 53. Zu ihm s. Fidel Rädle, Studien zu Smaragd von Saint-Mihiel (= Medium Aevum. Philologische Studien, 79), München 1974 und dens., Art. „Smaragdus v. St.-Mihiel“, in: LMA 7 (1995), Sp 2011 f. Sed quaerendum est, si unius habitatio proprie monasterium vocatur, propter idioma Graecae

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Geradezu als sinnstiftende Voraussetzung und erstrangiger Zweck des Monastizismus firmiert hier die spirituelle und habituelle Verschmelzung der Individuen nach Muster der „Rechtgläubigen und gerecht Lebenden“, sprich der Urchristen. Im Lichte dieser breiten aus der Philosophie ins Religiöse und Psychologische wie Anthropologische hineinragenden Tradition fallen Olivis exegetische Bemerkungen vergleichsweise kurz und trivial aus. Einerseits dürfte dies der Tatsache geschuldet sein, dass der Topos cor unum et anima una in der allgemeinen Wahrnehmung des Mittelalters außerordentlich stark, weitaus stärker noch als die übrigen Summarientexte, mit dem Mönchtum verbunden war und es schwerlich zu bewerkstelligen gewesen wäre, diese Verbindung argumentativ überzeugend aufzulösen, andererseits entspricht es schlicht dem Umstand, dass die Metapher sachlich kaum Konfliktstoff bot, Olivis Interesse an den Sammelberichten aber ganz hauptsächlich diskutablen Elementen gilt. So hält er sich an dieser Stelle zunächst ganz an Beda, referiert eine Anmerkung aus dessen Retractio, dass im griechischen Ursprungstext Apg 4,32a erweitert sei durch die Anfügung et non erat separatio in eis ulla.311 Daran anschließend zitiert er einen vollen Satz aus der Expositio seines ehrwürdigen Vorläufers, der dort allein den gesamten Kommentar zum fraglichen Vers ausmacht. Diejenigen, „die das Säkulum vollkommen aufgegeben hatten“, heißt es in dem auch in die Glossa Ordinaria aufgenommenen Paragraphen, „begünstigten sich keinesfalls gegenseitig, indem sie sich einer vornehmen Abstammung des Geschlechts rühmten, sondern erfreuten sich alle an derselben Brüderlichkeit, als ob sie vom Leib ein und derselben Mutter Kirche geboren worden wären.“312 Aus beidem, der Ergänzung im Griechischen sowie Bedas Kommentar, folgert der Franziskaner: Der Sinn ist also, dass sie durch den Glauben an und die Liebe des einen Gottes und durch die gegenseitige Liebe so einander einverleibt [sibi inviscerati] und gleichsam zu einem Herzen gemacht waren, dass keine Trennung oder Unterscheidung in Temporalien oder Ansehen oder welchen Dingen auch immer, die die vorher erwähnte Einheit beschränkt hätten, unter ihnen war.313

linguae, qua dicitur monas unum, cur multorum habitatio in uno positorum monasterium dicitur, nisi forte ut arbitror propterea quia ‚una fides, unum baptisma, cor unum et anima una‘ est in omnibus bene et iuste viventibus monachis, sicut prius in religione recte credentium et iuste viventium fuit. Unum enim velle in omnibus recte viventibus monachis manet. Smaragdi abbatis expositio in Regulam S. Benedicti, ed. Alfred Spannagel / Pius Engelbert (= Corpus consuetudinum monasticarum, 8), Siegburg 1974, S. 81. Vgl. Eph 4,5: Unus dominus una fides unum baptisma. – Zu den sozialtheoretischen Implikationen des Zitats s. Ulrich Meyer, Soziales Handeln im Zeichen des ‚Hauses‘. Zur Ökonomik in der Spätantike und im frühen Mittelalter (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 140), Göttingen 1998, S. 295. 311 Vgl. Beda, Retractio, ed. Laistner, S. 125. – Die Variante ist auch in modernen kritischen Ausgaben nachgewiesen. 312 Qui saeculum perfecte reliquerant nequaquam de generis nobilitate gloriantes se inuicem praeferebant, sed uelut unius eiusdem matris ecclesiae uisceribus editi eodem cuncti fraternitatis amore gaudebant. Beda, Expositio, ed. Laistner, S. 27. 313 Sensus est ergo quod sic per fidem et caritatem unius Dei et per mutuam [caritatem] erant sibi inviscerati et quasi unum cor effecti, ut nulla separatio seu discretio in temporalibus rebus vel honoribus aut quibuscumque praefatae unitati derogantibus esset in eis. LSAA, S. 124.

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Muten diese knappen Deutungen im Wesentlichen wie eine reine Paraphrase Bedas an, so liegt ein eigensinniger Punkt wohl doch in Olivis Gebrauch der ungewöhnlichen Wendung sibi inviscerare. Zwar bezieht er das Bild des Leibes gewiss ebenfalls von Beda (matris ecclesiae uisceribus), doch widmet er es vom Objekt zum Prädikatsnomen um. Aus dem Leib als metaphorischem Gebilde der Abstammung bzw. der Zugehörigkeit wird so ein ‚Einandereinverleibtsein‘ der Gläubigen. Im neuen Testament der Vulgata steht viscera – wörtlich Eingeweide – meist abstrahiert für das Innerste des Menschen und wurde in der Forschung dementsprechend auch als „Herz“ oder „Liebe“ verstanden.314 Das Verbum inviscerare hingegen kommt in der lateinischen Bibel überhaupt nicht vor. Vielmehr scheint Olivi diese Wendung von Bonaventura erworben zu haben, der mit invisceratio die Aufnahme des Leibes Christi in der Eucharistie bezeichnet,315 und inviscerare, wohl angelehnt an Schriftstellen, die viscera und misericordia zusammenbringen,316 im Kontext der göttlichen Barmherzigkeit gebraucht. In seiner Antwort auf die Frage Utrum ordines Angelorum sint tantum novem, an plures aus dem zweiten Buch der Sentenzen des Petrus Lombardus schreibt der Doctor seraphicus: […] ut sic ostendatur, quod excellat Angelus hominem per naturam, ostendatur etiam nihilominus, quantum Deus sibi invisceraverit hominem per misericordiam.317

Das Sicheinverleiben als Akt des Schöpfers steht hier figürlich für die Integration des Menschen in das Innerste, die Liebe Gottes. Spinnt man diesen Gedanken fort, muss daraus auch eine Art Fusion der einzelnen im Glaube vereinten und von ihm umschlossenen Menschen folgen. In diesem Sinne modifiziert Olivi den Wortgebrauch seines Lehrers und rückt somit in der Allegorie der leiblichen Absorption die Gläubigen selbst in den Mittelpunkt. Entsprechend den Stromlinien seiner Exegese kann er die Aufmerksamkeit erregende Vokabel auf diese Weise für die abermalige Betonung der perfectio der Urgemeinde als einer durch keinerlei Unstimmigkeiten oder Ungleichheiten gestörten Gemeinschaft nutzen. Im Übrigen steht er, da er auf die Deutung des cor unum et anima una das Körperliche betonende Formulierungen anwendet und somit eine Komponente physischer Einigkeit in die Exegese des Bildes einbezieht, den aristotelischen Auffassungen über das Verhältnis von Körper und Seele näher als den platonischen. Denn während Plato zwischen beiden Substanzen einen unauflösbaren Widerstreit diagnostiziert, lässt der Stagirit die Seele den Leib vervollkommnen und erst aus ihrem Zusammen ein ganzes Wesen entstehen. Damit stimmt Olivi an dieser Stelle mit dem von ihm geschätzten Johannes Peckham überein, der – obgleich Pionier eines franziskanischen Neo-Augustinismus – mit großer Bestimmtheit eine zwingende und, jedenfalls naturgemäß, harmonische Einheit von Körper und Seele vertrat.318 314 Vgl. Bardo Weiß, Die deutschen Mystikerinnen und ihr Gottesbild, Bd. 3, Paderborn 2004, S. 2039. 315 Bonaventura, De praeparatione ad missam 3,13, ed. Opera omnia 8, S. 104. 316 Vor allem Lk 1,78 und Kol 3,12. 317 S. Bonaventurae Commentaria in quatuor libros sententiarum Magistri Petri Lombardi, Bd. 2: In secundum librum sententiarum, Dist. 9, qu. 7, ad 4, in: Opera omnia 2, S. 254. 318 Vgl. Hieronymus Spettmann, Die Psychologie des Johannes Pecham (= Beiträge zur Geschichte der Philosophie des Mittelalters, 20,6), Münster 1919, S. 22 f. Zu Olivis eigener Lö-

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Daran anschließend ist noch ein letzter – vielleicht der wichtigste – Aspekt des Olivi’schen Kommentars zu Apg 4,32a zu bedenken. In der durch den extravaganten Sprachgebrauch (sibi inviscerati) bewirkten Emphase der physischen Einsheit der Gemeindemitglieder nämlich kommt wiederum die Assoziation der ecclesia primitiva mit dem status innocentiae zum Tragen. Wenn auch Peckham und andere auf Basis aristotelischen Gedankenguts eine „Hinordung von Leib und Seele zueinander und ihre Verbindung, die an sich wesentlich und naturnotwendig ist“319, konstatieren, erscheint ihnen diese doch durch den Sündenfall ruiniert. „Zwischen die gegenseitige Anziehung, wie sie im Verhältnis von Form und Materie besteht, tritt störend der durch die Urschuld geschaffene Zwiespalt zwischen Geist und Körper.“320 Ein zwangloses Einandereinverleibtsein der frühen Christen, wie Olivi es zu erkennen meint, weist diesen Widerspruch als in der Urgemeinde außer Kraft gesetzt aus und unterstreicht somit das erneuerte Bündnis der Menschen mit Gott im Neuen Testament. 6.2 Wort oder Tat? Zwei exegetische Schwierigkeiten unterschiedlicher Couleur werfen die Versglieder Apg 4,32b+c ([b] nec quisquam eorum quae possidebant aliquid suum esse dicebat [c] sed erant illis omnia communia) auf. Beide betreffen die Frage nach der historischen Authentizität des praktischen Besitzverzichts der Urchristen. Das erste Problem, ein nicht spezifisch franziskanisches, ergibt sich allein aus dem uneindeutigen Wortlaut. So erweist sich bei genauem Hinsehen, dass Lukas nicht tatsächlich unmissverständlich von einer Aufhebung des Privateigentums berichtet, sondern zunächst lediglich von einem Sprechakt. „[…] keiner sagte[!] von seinen Gütern, daß sie sein wären […]“, heißt es denn auch richtig bei Luther, die Zweifelhaftigkeit der lateinischen Diktion bewahrend. Seit den frühen Tagen des sich auf die Summarien berufenden christlichen Mönchtums bestanden unterschiedliche Ansichten über die Implikationen dieser Formulierung.321 In der zwischen 640 und 660 aus den ersten vier Büchern der Institutiones coenobiorum gewonnenen Regula Cassiani etwa wird in deutlichem sung des Leib-Seele-Problems, die zwar auf anderen Präliminarien beruht – er versteht die Einheit der beiden Substanzen weniger als Wesens- denn als Wirkeinheit –, aber hinsichtlich der in Frage stehenden Verbindung von cor und anima in der perfectio evangelica zu ganz ähnlichen Ergebnissen führt, vgl. Kobusch, Philosophie, S. 291 f.; Theodor Schneider, Die Einheit des Menschen. Die anthropologische Formel „anima forma corporis“ im sogenannten Korrektorienstreit und bei Petrus Johannis Olivi. Ein Beitrag zur Vorgeschichte des Konzils von Vienne (= Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters, NF 8), Münster 1972, S. 227–246. – Auf dem Konzil von Vienne 1311/12 wurde Olivis Seelenlehre neben anderen Punkten seiner Doktrin als irrtümlich verurteilt. Vgl. Joseph Koch, Die Verurteilung Olivis auf dem Konzil von Vienne und ihre Vorgeschichte, in: Scholastik 5 (1930), S. 489–522, hier: S. 510 f. 319 Spettmann, Psychologie, S. 23. 320 Ebd. 321 Vgl. zum Folgenden: Signori, Et nec verbo, S. 139–141.

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Rekurs auf Apg 4,32b befohlen, dass „keiner es wagen solle, etwas sein zu nennen, weil es ein großes Vergehen wäre, wenn vom Mund eines Mönches ausginge: meine Tunika, mein Buch, meine Tafel, mein Griffel und andere, diesen ähnliche Dinge“.322 Wird hier also dem Sagen die höchste Priorität eingeräumt, der Gebrauch des Possessivpronomens in Übereinstimmung mit einer möglichen Lesart des weitverbreiteten pseudosenecanischen Proverbiums (Quietissimam vitam agerent homines in terris, si haec duo verba e natura omnium rerum tollerent: meum et tuum) als schädlich erachtet, zieht die etwa hundert Jahre jüngere Regula magistri andere Konsequenzen aus denselben biblischen Grundlagen. Unter der Überschrift Non debent in monasterio aliquid fratres peculiare habere erklärt sie den Tod nach Beispiel des Ananias und seiner Ehefrau zum gerechten Urteil bei heimlicher Bewahrung von Eigentum und gebietet dem Abt, Delinquenten mit Exkommunikation zu sanktionieren.323 Hier nun steht zweifelsohne die tatsächliche Aufgabe des Individualbesitzes, eingefordert unter Androhung härtester Strafmaßnahmen, im Fokus. Die Regula Benedicti – bekanntlich sowohl mit den „Institutionen“ des Cassianus als auch mit der „Regel des Meisters“ eng verwandt und wohl im Wesentlichen Sprössling der beiden324 – fasst alsdann Sprechakt und Praxis lapidar zusammen, wobei sich der entscheidende Vers geradezu wie eine Umformulierung von Apg 4,32b liest, die die Doppelsinnigkeit des lukanischen Textes aufzuheben trachtet: Omniaque omnium sint communia, ut scriptum est, ne quisquam suum aliquid dicat uel praesumat.325 Ähnliche Tendenzen findet Signori im Regelkommentar Smaragds sowie in der Concordia regularum des Benedikt von Aniane.326 322 Et nec verbo quidem audeat dicere aliquid suum, quod magnum sit crimen ex ore monachi processisse : tunicam meam, codicem meum, tabulas meas, grafium meum et cetera his similia. Henri Ledoyen, La „Regula Cassiani“ du Clm 28118 et la Règle anonyme de l’Escorial A. I.13. Présentation et Édition, in: Revue bénédictine 94 (1984), S. 154–194, hier: Kap. 32,3, S. 184. – Im vierten Buch der Institutiones, aus dem diese Stelle gezogen ist, berichtet Johannes Cassianus Entsprechendes vom pachomianischen Klosterleben: […] hanc regulam uideamus districtissime nunc usque seruari, ut ne uerbo quidem audeat quis dicere aliquid suum magnumque sit crimen ex ore monachi processisse „codicem meum“, „tabulas meas“, „grafium meum“, „tunicam meam“, „galiicas meas“, proque hoc digna paenitentia satisfacturus sit, si casu aliquo per subreptionem uel ignorantiam huiusmodi uerbum de ore eius effugerit. Johannes Cassianus, Institutiones, ed. Michael Petsching, Iohannis Cassiani de institvtis coenobiorum et de octo principalivm vitiorvm remediis libri XII (= CSEL, 17: Iohannis Cassiani opera I), Prag/Wien/Leipzig 1888, S. 2–231, hier: lib. 4,13, S. 55. – Zum Bezug auf die lukanischen Gemeindeberichte bei Cassianus generell Olsen, The „Ecclesia primitiva“ in John Cassian, S. 13 f. 323 Regula magistri, ed. Adalbert de Vogüé, La Règle du Maître, 2 Bde (= Sources Chrétiennes, 105/106), Paris 1964, Kap. 82,18–26, Bd. 2, S. 338–340. 324 Während der Einfluss des Cassian’schen Werkes auf die Benediktregel außer Frage steht, wurde die Abhängigkeitsrichtung zwischen letzterer und der Regula magistri in der Forschung kontrovers diskutiert. Am überzeugendsten argumentierte de Vogüé für die Regula magistri als Vorläufer (vgl. z. B. ders., La Régle du Mâitre, Bd. 1, S. 221–233). Seine Meinung ist heute weithin Konsens. Zum Gesamtkomplex des Forschungsstreits: Bernd Jaspert, Die Regula Benedicti – Regula magistri – Kontroverse (= Regulae Benedicti Studia, Supplementa 3), Hildesheim 1975. 325 Regula Benedicti 33,6, ed. Hanslik, S. 91. 326 Vgl. Sigori, Et nec verbo, S. 141.

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Im engeren exegetischen Raum indes scheint die lukanische Formulierung im Laufe des Mittelalters kaum problematisiert worden zu sein. Wo in Ausnahmefällen überhaupt ein Kommentar zur Sinneinheit nec … dicebat abgegeben wird, ist stets recht eindeutig eine praktische Abkehr vom Eigenbesitz im Blick. Paradigmatisch dafür können zwei Standardscholien des späteren Mittelalters stehen. So weist die Glossa Ordinaria als sensus mysticus bzw. sensus spiritualis der Stelle aus: Virtutes quas possident iusti, non suas iudicant esse, sed eorum quorum utilitate dispensant.327 Ein Verteilen (dispensare) des Eigentums ist hier mithin als selbstverständlich vorausgesetzt. Ebenso versteht Nikolaus von Lyra Lukas dahingehend, dass die Gläubigen sich oder ihren Familien nichts zu eigen gemacht hätten.328 Nichtsdestoweniger scheint die Unklarheit der Formulierung ganz offensichtlich auch im 13. Jahrhundert wahrgenommen worden zu sein. Dafür jedenfalls spricht die Art und Weise, in der Petrus Olivi die damit verbundene Verständnisschwierigkeit in seiner LSAA zur Sprache bringt. Entgegen seinem üblichen Verfahren verzichtet er gänzlich auf das Vortragen einer entsprechenden Frage nebst verschiedenen Antwortoptionen und schließt eine Interpretation zugunsten des rein sprachlichen Aktes kurzerhand aus: Der Text beabsichtigt nicht zu sagen, dass sie tatsächlich Eigentümer besessen hätten und dass sie allein durch Worte gesagt hätten, es seien nicht ihre Eigentümer, denn dies wäre nicht nur gegen das zuvor Gesagte, sondern auch gegen das, was sogleich folgt. Sondern es war ihnen alles gemeinsam. Der Sinn ist also, dass sie jenes, was sie allein zum Gebrauch besaßen, keineswegs als das Ihrige oder als Eigentümer hatten. Und ebenso hüteten sie sich und und vermieden es aufs Stärkste, Zeichen dafür zu geben.329

Unter Verweis auf zuvor Gesagtes – gemeint ist wohl weniger im Text der Apostelgeschichte selbst als in den eigenen Einlassungen des Exegeten zu Apg 2,42–47 – sowie den letzten Abschnitt des Verses Apg 4,32 als Belege seines Verständnisses beharrt Olivi auf einer faktischen Lossagung der Urchristen vom Eigentum. Ähnlich der Benediktsregel und von ihr beeinflussten Konzepten fasst er die unklare Formulierung des Lukas durchaus zu einem gewissen Grad als Schilderung eines Sprechaktes auf, sieht darin aber lediglich den Nebensinn der eigentlichen Aussageabsicht. Demnach hätte das junge Christentum fraglos der auf Eigentum basierenden Ökonomie den Rücken gekehrt und, um dies auch gegenüber der Außenwelt zweifelsfrei zu bezeugen, sorgsam darauf geachtet, jeglichen diskrepanten Eindruck zu vermeiden. Unter diese Vorsichtsmaßnahmen wäre dann etwa im engeren Sinne das Aussparen besitzanzeigender Fürwörter, im weiteren die generelle

327 Glossa Ordinaria, ad loc. 328 Vgl. Nikolaus von Lyra, Postilla super totam bibliam, 4 Bde, Straßburg 1492, ND Frankfurt 1971, Bd. 4, ad loc. Zu Lyras Werk, dem wohl bedeutendsten Bibelkommentar des 14. Jahrhunderts, s. Reventlow, Bibelauslegung, Bd. 2, S. 259–271. 329 Non intendit dicere quod realiter possiderent propria et quod solum vocaliter dicerent illa non esse sua propria, quia hoc esset non solum contra praemissa, sed etiam contra id quod mox subditur. Sed erant illis omnia communia. Sensus ergo est quod illa quae solum usualiter possidebant nullatenus ut sua seu ut propria habebant. Et etiam signa sic habendi fortissime cavebant et evitabant. LSAA, S. 125.

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Zurückbildung eines zwischen ‚Mein‘ und ‚Dein‘ unterscheidenden Sprach- und Denksystems zu zählen. Der Umstand, dass Olivi eine solche Erklärung überhaupt für notwendig erachtet, bekundet recht zuverlässig die Existenz konträrer Meinungen über den Schriftsinn in seinem geistigen Umfeld. Auf welche Seite der Franziskaner sich in diesem Streitpunkt schlägt, ist indes kaum überraschend. Selbstverständlich würde die Idee eines reinen Lippenbekenntnisses, sei es auch nicht Zeichen von Heuchelei, sondern bewusste Sprachanpassung zu hehrem Zweck, die ecclesia primitiva in seinen Augen jeglichen Vorbildcharakters für den Franziskanerorden wie für das nahende dritte Weltzeitalter berauben. Während er sich in dieser Angelegenheit allerdings lediglich einer von mehreren längst verfügbaren Meinungen anschließen muss, noch dazu einer von rundherum anerkannten Autoritäten vertretenen, bringt ihn eine zweite Schwierigkeit, die der Abschnitt Apg 4,32b+c bereithält, einmal mehr in die Verlegenheit, gegen das traditionelle Verständnis früherer Jahrhunderte wie auch den Konsens seiner Gegenwart opponieren zu müssen. 6.3 quae possidebant Wenn Luther übersetzt „keiner sagte von seinen Gütern, daß sie sein wären“, so wählt er eine Lesart, in der die Ambiguität des lateinischen Textes nec quisquam eorum quae possidebant/possidebat in Hinblick auf den Satzgegenstand weitestgehend ausgeschaltet ist. Fungiert nämlich im Deutschen als Subjekt unzweideutig der einzelne Gläubige (keiner), der seine Habseligkeiten nicht mehr sein Eigen genannt habe,330 so steht in einer weit verbreiteten, wohl der häufigsten Variante der Vulgata noch der Plural (possidebant).331 Dadurch wird es möglich, entgegen der bei Luther eklatant in den Vordergrund drängenden Perspektive, nach der hier der Individualbesitz angesprochen wäre, bereits die Verbbeugung als Kennzeichen für eine kollektivökonomische Praxis, sprich die Gütergemeinschaft, aufzufassen. Zwar kommt jene hier wie dort schließlich ohnehin durch den Fortsatz „es war ihnen alles gemein“ respektive erant illis omnia communia zum Ausdruck, doch erscheint sie im Wortlaut der genannten Vulgatafassung um einiges stärker gewichtet. Dessen ungeachtet widerspricht die Formulierung jedenfalls in allen Lesarten und in beiden Sprachen, stärker vielleicht noch im Lateinischen, ausdrücklich dem Olivi’schen Deutungsschema einer sowohl individuellen als auch gemeinschaftli330 Entsprechend auch noch in der deutschen Einheitsübersetzung: Keiner nannte etwas von dem, was er hatte […]) sowie beispielsweise in der Wyclif-Bibel: […] nether ony man seide ony thingis of tho thingis that he weldide to be his owne […]. The Holy Bible, Containing the Old and New Testaments, with the Apocryphal Books, in the Earliest English Versions made from the Latin Vulgate by John Wycliffe and his Followers, ed. Josiah Forshall / Frederic Madden, 4 Bde, Oxford 1850, Bd. 4, S. 519. 331 Vgl. Biblia Sacra Vulgata, ed. Weber/Gryson, S. 1704, wo die Plural-Lesart für den Haupttext gewählt wurde, der Singular als fünffach belegte Variante im Apparat auftaucht. Ebendort als seltenere Lesart angeführt ist zudem dicebant anstelle von dicebat.

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chen Besitzlosigkeit der Gläubiggewordenen. So spricht der Text doch in Tempusgleichheit mit der vorhergehenden und der nachfolgenden Verssequenz dezidiert von den Gütern, quae possideba(n)t – „die in ihrem Besitz waren“.332 Gewiss nicht ohne tieferen Grund ist es denn auch gerade dieser Vers mit jenem signifikanten literarischen Zeugnis einer eigentumsgemeinschaftlichen Organisationsform der Jerusalemer Gemeinde, der im Gesamt des christlichen Schrifttums bei Weitem am häufigsten als Basis für ein zönobitisches bzw. ‚kommunistisches‘ Ideal angeführt wird.333 Noch Bonaventura liest ihn in der Apologia pauperum in derselben Art und Weise, fasst das quae possideba(n)t als klares Indiz für die Beibehaltung von Besitztümern in der Gemeinschaft auf.334 Olivi hingegen, der bei seinem Interpretationsmuster des Gepräges der Urgemeinde, wie er es anhand des ersten Summariums entwickelt hat, bleibt, rechnet die vermeintliche Kontradiktion schlechterdings einem spezifischen Duktus des Lukas zu: Deshalb lehrt Lukas in seiner Weise zu sprechen, das der einfache Gebrauch [simplex usus!] des Besitzes mancher Dinge, zum Beispiel Kleidung oder Speisen oder Bücher oder Häuser, frei von irgendeinem Recht oder einer Gewalt [dominio] oder Eigentum zu haben ist. In welcher Weise und in was für einer Form die Gemeinschaft unter ihnen war, wird vorne am Ende des zweiten Kapitels dargelegt.335

Eingedenk der in Kapitel II,3 angeleuchteten vertrackten Diskurse um Besitz und Gebrauch im jungen Franziskanertum springt an dieser Stelle die Wortfügung simplex usus possessionis aliquarum rerum besonders ins Auge. Indem er nicht im Sinne Bonaventuras und Nikolaus III. vom ‚einfachen Gebrauch mancher Dinge‘, sondern, in frappanter Weise davon abweichend, vom ‚einfachen Gebrauch des Besitzes mancher Dinge‘ spricht, verwendet der Minorit eine zunächst befremdlich und geradezu paradox erscheinende Begriffskombination. Schon in der Apologia pauperum hatte der Doctor seraphicus possessio als eine Form von Dominium definiert, des Weiteren Dominium und den simplex usus für miteinander unvereinbar 332 Die Ambivalenz ist ganz der lateinischen Übersetzung geschuldet. Im griechischen Original von Apg 4,32 ist die Rede schlicht von den „vorhandenen“ Gütern: Τοῦ δὲ πλήθους τῶν πιστευσάντων ἦν καρδία καὶ ψυχὴ μία, καὶ οὐδὲ εἷς τι τῶν ὑπαρχόντων αὐτῷ ἔλεγεν ἴδιον εἶναι, ἀλλ’ ἦν αὐτοῖς πάντα κοινά. 333 Vgl. nur die Belegstellen in Biblia Patristica. Index des citations et allusions bibliques dans la littérature patristique, bisher 8 Bde, Paris 1975–2000 (erw. Online-Version unter http://www. biblindex.mom.fr): Apg 4,32 – allein 92 Fundstellen, Apg 2,44.45 – zusammen 23 Fundstellen. Außerdem Christoph Joest, Bibelstellenkonkordanz zu den wichtigsten älteren Mönchsregeln (= Instrumenta Patristica, 9), Den Haag 1994, S. 105: Apg 4,32 – allein 37 Fundstellen, Apg 2,44.45 – zusammen 11 Fundstellen. 334 […] excellentior est regula […] quam illa quae constituta est sub Apostolis multitudine primitivae simul habitantium virorum et mulierum, ubi nullus eorum aliquid possidebat, neque suum aliquid esse dicebat, sed ipsum in communi cum aliis possidebat. Bonaventura, Apologia pauperum II,7, S. 399. 335 Unde Lucas ex suo modo loquendi docet quod simplex usus possessionis aliquarum rerum, puta vestium vel ciborum vel librorum aut domorum, potest haberi absque aliquo iure vel dominio vel proprietate. Quomodo autem aut qualis communitas fuerit in eis ostenditur supra in fine capituli secundi. LSAA, S. 125.

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erklärt.336 Der Papst gab dieser grundlegenden Distinktion sein höchst autoritatives Plazet, womit sie für die Entstehungszeit des Acta-Kommentars Petrus Olivis als zutiefst pro-franziskanischer Konsens gelten kann. Warum also bedient jener sich in der Exegese von Apg 4,32b+c einer im Lichte dieses hart erstrittenen Konsenses derart merkwürdig und antinomisch anmutenden Wendung? Um das Bild einer Synopse zwischen ecclesia primitiva und franziskanischem Armutsprinzip aufrechtzuerhalten, musste das kontradiktorische Moment des Einschubes quae possideba(n)t interpretatorisch außer Kraft gesetzt werden. Dies leistet der Exeget, indem er das Verb possidere im Nomen possessio aufgreift und es semantisch neu befüllt. Daher auch die Bemerkung über den modus loquendi des Lukas: Olivi unterstellt, der Evangelist habe ein spezifisches Verständnis des possidere/possessio-Begriffs gehabt, das gerade nicht mit demjenigen Bonaventuras, Nikolaus’ und des späten 13. Jahrhunderts im Allgemeinen übereingestimmt hätte. Zupass kommt ihm dabei der Umstand, dass die Inhalte der diversen Eigentumstermini gerade im mendikantischen Umfeld heftig umkämpft worden waren und nach wie vor wurden, wodurch seine Zeitgenossen für die hochgradige Ambivalenz der Begrifflichkeiten sensibilisiert waren. Mit possidebat/possidebant, so will er also zu verstehen geben, referenziere der Autor der Apostelgeschichte keineswegs auf ein ‚Besitzen‘ im Sinne eines Anspruches de iure, sondern lediglich auf eine Verfügungsmöglichkeit auf Grundlage des bloßen Vorhandenseins der Güter. Damit aber ist signalisiert, dass simplex usus possessionis nichts anderes bedeute als simplex usus und dementsprechend eorum quae possideba(n)t schlicht die Güter meine, die zum Gebrauch der Gläubigen vorhanden waren. Erneut beansprucht der franziskanische Exeget im Folgenden auch Beda als seinen vermeintlichen Fürsprecher. Aus dessen recht ausführlichem Kommentar zu Apg 4,32 in der Retractio zitiert er mehrere zusammenhängende Sätze, die angeblich mit dem Tenor des Kanons Dilectissimis konform gingen: Dies aber sagt Beda über diese Gemeinschaft: „Diejenigen, die so leben, dass alle Dinge gemeinsam sind im Herrn, werden zu Recht Zönobiten genannt, das heißt gemeinschaftliches Leben oder gemeinschaftlich Lebende. Ohne Zweifel ist dieses Leben, abgekehrt von den weltlichen Dingen dieses Zeitalters, um so viel glücklicher, um wie viel es auch im gegenwärtigen den Status des zukünftigen Zeitalters nachahmt, wo allen Seligen alle Dinge gemeinsam sind. Und weil dort höchster Friede und höchste Sicherheit herrschen, deshalb wurde die Stadt, in der diese Lebensweise vorgeformt war [praecessit], zu Recht Jerusalem genannt, das heißt Vision des Friedens.“ Man beachte, wie Beda in diesen Worten mit der Meinung des seligen Clemens übereinstimmt, die ich oben zu Apg 2 angeführt habe. Es steht nämlich fest, das jene Gemeinschaft, die sich auch gemeinschaftlich nichts aneignet, der Gemeinschaft der himmlischen Heimstatt ähnlicher ist als jene, die sich ihre gemeinsamen Dinge für ihren speziellen Verein gemeinschaftlich aneignet.337 336 Vgl. oben S. 60 m. Anm. 86, S. 106 m. Anm. 180; Mäkinen, Property Rights, S. 178. 337 Dicit autem hic Beda de hac communitate: „Qui ita vivunt ut sint omnia communia in Domino, recte coenobitae, id est communis vitae seu communiter viventes vocantur. Quae nimirum vita tanto a terrenis saeculi huius conversationibus felicior est quanto statum futuri saeculi etiam in praesenti imitatur, ubi sunt omnia omnibus beatis communia. Et quia ibi summa pax et securitas, ideo civitas in qua huius vitae typus praecessit, recte dicta est Hierusalem, id est visio pacis.“ Nota quomodo Beda in his verbis concordat cum sententia Beati Clementis quam posui

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Zutreffend merkt Garnsey an, dass hierin eine konkrete Verbindung, ja Gleichsetzung von urchristlichem und himmlischem Jerusalem auf Kosten des traditionellen Monastizismus vorgenommen wird, was zweifellos der eigentlichen Aussageabsicht Bedas diametral widerspricht.338 Da das Leben frei von kollektivem Eigentum dem Muster des himmlischen Jerusalem näherkomme als ein gütergemeinschaftliches und dies selbstverständlich auch Beda bewusst gewesen sein müsse, meint Olivi, dürfe man davon ausgehen, dass dieser die communis vita der Zönobiten, die er hier eindeutig als Nachfolger der Urgemeinde ausweist, in ebenjenem Sinne – übereinstimmend mit Pseudoclemens – verstanden habe. Aus heutiger Perspektive ist eine solche Behauptung freilich unhaltbar. Der Benediktiner Beda lebte selbst in einem klassischen Klosterverbund unter Berücksichtigung der üblichen zönobitischen Konstitutionen, zu denen selbstredend der Verzicht auf Individualbesitz und die Pflege einer regulierten Gütergemeinschaft zählten. Grundsätzliche Kritik an diesem System findet sich bei ihm nicht. Überhaupt lassen sich vor den mendikantischen Eigentumsdiskursen des 13. Jahrhunderts kaum Spuren einer prinzipiellen Ablehnung des zönobitischen Gütergemeinschaftsmodells ausmachen.339 Vorwürfe betrafen bis dahin stets allein das Maß und den Umgang mit kollektivem Eigentum. Zahlreich sind hingegen die Stellen in Bedas Werk, an denen er die Jerusalemer Urgemeinde gemäß dem schon im Frühmittelalter geläufigen Bild als erste Mönchsgemeinschaft charakterisiert.340 In diesen Beobachtungen nun wird ein weiteres Prinzip der Olivi’schen Exegese besonders plastisch greifbar, das sich schon zuvor vielfach andeutete. Der Zugriff auf patristische und andere Autoritäten scheint ihm oftmals weniger der Unterstützung seiner eigenen Argumente zu dienen als vielmehr auf eine zweckdienliche Auslegung jener selbst zu zielen. Um in den Augen seines gebildeten Publikums eigentlich offensichtliche Unvereinbarkeiten zwischen seinen eigenen extraordinären Deutungen und den Urteilen normativ maßgeblicher Stimmen aufzulösen, zieht er jene kanonischen Schriften ganz bewusst heran, zitiert potentiell widersprüchliche Stellen und deutet diese im Zuge der exegetischen Erörterungen kurzerhand in seinem Sinne um. Offenbar will er auf diese Weise mögliche Anfechtungen seiner kontroversen Explikationen auf Grundlage derselben theologischen Größen vorwegnehmen und bereits im Vorhinein entkräften. Durch die Anwendung dieses Prinzips einer durchaus cleveren en passant-Umdeutung seiner Sekundärquellen in Bezug auf Apg 4,32 und Bedas Retractio unter Verweis auf deren Einhelligkeit supra, secundo. Constat enim quod illa communitas quae etiam nihil sibi appropriat in communi est similior communitati caelestis patriae quam sit illa quae sua communia appropriat suo speciali collegio in communi. LSAA, S. 125. Vgl. Glossa ordinaria ad loc.; Beda, Retractio, ed. Laistner, S. 126 f. – Die im Mittelalter gängige etymologische Deutung Jerusalems als visio pacis geht zurück auf Isidor von Sevilla, Etymologiae VIII, 1,6, ed. Wallace M. Lindsay, Isidori Hispalensis Episcopi Etymologiarum sive Originum Libri XX, 2 Bde, Oxford 1911, Bd. 1, o. p. 338 Vgl. Garnsey, Peter Olivi, S. 41. 339 Zur Kritik am Mönchtum im Mittelalter s. etwa David Knowles, The Monastic Order in England, Cambridge 1940, S. 313–330, 662–678. 340 S. Olsen, Bede as Historian, S. 524, 527, 530. Zur Tradition s. z. B. Hieronymus, De viris illustribus, c. 8. Vgl. auch Adalbert de Vogüé, Monasticism and the Church in the Writings of Cassian, in: Monastic Studies 3 (1965), S. 19–51, hier: S. 23 f.

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auch mit Ps.-Clemens gelingt es Olivi obendrein, nochmals in aller Deutlichkeit die Konkordanz von status innocentiae, ecclesia primitiva und zukünftigem Geistreich zu suggerieren. Im Theoretischen Armutsstreit der 1320er Jahre schließlich sollte die Unschärfe der Textstelle Apg 4,32b+c, insbesondere bezüglich grammatischer Dependenz und Gehalt des Relativsatzes quae possideba(n)t, verstärkt in den Blick geraten und zwischen Johannes XXII. und seinen franziskanischen Widersachern hart umkämpft werden.341 Letztere bauten dabei direkt auf Olivis Auslegungen, zumal auf seine Lehre von der Untrennbarkeit zwischen den Aposteln und der Menge der Gläubigen in Sachen Güterpraxis.342 So schreibt beispielsweise Michael von Cesena in Bezug auf Apg 4,32 und 4,34 f. in seiner Appellatio minor aus dem Jahre 1328: Aus diesen Worten geht deutlich hervor, dass sie [sc., die Urchristen] Eigentum an keinen Temporalien, weder an durch Gebrauch verzehrbaren noch an durch Gebrauch nicht verzehrbaren Dingen, hatten. Denn die nicht durch Gebrauch verzehrbaren Dinge, etwa Besitztümer, Äcker, Häuser und Vermögen (Glossa: das heißt Vieh), verkauften sie und behielten sie weder individuell noch in ihrer Gemeinschaft. Jene Dinge aber, von denen das Gesetz in I. De usu fructu, Constituitur343 bezeugt, dass sie durch Gebrauch verzehrbar sind, etwa das Geld, das sie als Preis der verkauften Dinge annahmen, und Brot, das dort spezielle Erwähnung findet, hatten sie gemeinschaftlich, und man gab einem jeglichen, was ihm not war, und keiner sagte, etwas davon sei sein, das heißt Eigentum, sondern es war ihnen alles gemeinsam. Und so hatte jeder von ihnen den Gebrauch der durch Gebrauch verzehrbaren Dinge frei von Eigentum und Gewalt, oder von Eigentum und Gewalt abgesondert.344 341 Zur Auseinandersetzung zwischen Johannes XXII. und den Franziskanern über die Armut Christi und der Apostel sowie das Prinzip der kollektiven Besitzlosigkeit s. neben der allgemeinen Literatur zum Theoretischen Armutsstreit auch Melanie Brunner, Pope John XXII and the Michaelists. The Scriptural Title of Franciscan Poverty in Quia vir reprobus, in: Church History and Religious Culture 94 (2014), S. 197–226 sowie Jonathan Robinson, Innocent IV, John XXII, and the Michaelists on Corporate Poverty, in: Anne Scott / Cynthia Kosso (Hrsgg.), Poverty and Prosperity in the Middle Ages and Renaissance (= Arizona Studies in the Middle Ages and Renaissance, 19), Turnhout 2012, S. 197–224. 342 Zum Einfluss Olivi’scher Doktrin auf die franziskanischen Standpunkte im Armutsstreit vgl. etwa Wittneben, Bonagratia, S. 119–123 (zum sog. „Manifest von Perugia“ über Apg 4,32 in Einklang mit Olivi; Wittneben stellt einen Bezug zur QPE 8, nicht aber zur ausführlicheren Diskussion in der LSAA her.), S. 148 (Bonagratia von Bergamo in seinem Tractatus de paupertate zur möglichen Wiederherstellung des Urstandes in Übereinstimmung mit Olivi; wiederum in Bezug gesetzt zu QPE 8) und passim. 343 Institutiones Iustiniani 2,4,2, ed. Huschke, S. 47 f. 344 Ex quibus verbis insinuatur aperte quod nullius rei temporalis nec usus consumptibilis nec rei non consumptibilis usu, proprietatem habebant, quia res non consumptibiles usu, scilicet possessiones, agros, domos et substantias (Glossa: id est pecora) vendebant et ipsas nec in speciali nec in eorum communitate retinebant. Illas autem res quas lex in I. [2.4] De usu fructu, [2] Constituitur, usu consumptibiles esse testatur, scilicet pecunias pro pretio rerum venditarum acceptas et panes, de quibus ibi habetur mentio specialis, in communi habebant, [Act. 4, 32] et dividebantur singulis prout cuique opus erat, et nullus ex eis aliquid suum, id est proprium, esse dicebat, sed omnia erant illis communia. Et sic quilibet eorum habebat usum rerum usu consumptibilium absque proprietate et dominio, sive a proprietate seu dominio seperatum. Michael von Cesena, Appellatio in forma minore, ed. Gedeon Gál / David Flood, Nicolaus Minorita: Chronica. Documentation on Pope John XXII, Michael of Cesena and The Poverty of

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Zweifellos geht der Ordensgeneral demnach mit Olivi und somit bemerkenswerterweise auch explizit gegen Bonaventura von einer absoluten Eigentumslosigkeit und praktizierten Gebrauchsgemeinschaft der Urchristen aus. Wie der Verfasser der QQPE und Acta-Exeget es eindrucksvoll vormacht, stilisiert auf diese Weise auch Michael die ersten Gläubigen zu direkten Vorgängern der Minoriten. Im Jahr darauf antwortete der Papst mit dem bullierten Libellus Quia vir reprobus, in dem er dagegenhält: Wenn er [Cesena] meint, dass kein Gläubiger individuelles Eigentum hatte, so ist, was er sagt, für die Zeit, von der die besagten Schriftstellen sprechen, richtig; denn dies sagte ausdrücklich die zuvor genannte Schriftstelle, das vierte Kapitel der Apostelgeschichte, wenn sie sagt: Keiner sagte von seinen Gütern, dass sie sein wären, sondern es war ihnen alles gemein. Wenn er aber meint (so wie er es meint, wie aus dem, was er weiter unten vorträgt, klar hervorgeht), dass die Gläubigen auch gemeinschaftlich an keiner Sache Eigentum hatten, widerspricht er ausdrücklich den zuvor genannten Schriftstellen, da es dort heißt, dass jenen Gläubigen nämlich alles, was sie besaßen, gemeinsam war […].345

Wie deutlich zu erkennen ist, beruft sich Johannes nachdrücklich auf das quae possideba(n)t als Beleg für die Beibehaltung gemeinschaftlichen Besitzes in der Gruppe der Gläubigen. Interessant auch, dass das Verb im direkten Zitat noch im Singular steht, der Papst in der argumentativen Wiederaufnahme im darauffolgenden Satz aber den Plural gebraucht. Zumindest implizit scheint darin ein Bewusstsein für die auch grammatikalisch bedingte Ambivalenz des Vulgatatextes auf. Auf diese Argumentationsreihe wiederum reagierte Wilhelm von Ockham 1332 in seinem sogenannten Opus nonaginta dierum, einer umfangreichen Polemik, gewidmet einzig und allein der detaillierten Widerlegung der Bulle.346 Bezugnehmend auf oben zitierte Passage aus Quia vir reprobus diskutiert er darin in großer Breite verschiedene Formen von Dominium und proprietas, verflicht dabei aufs Engste die Rechtfertigung des simplex usus facti des Minderbrüderordens mit der Interpretation der urchristlichen Gütergemeinschaft. Unter seinen zentralen ErChrist with Summaries in English. A Source Book, New York 1996, S. 429–456, hier: S. 432 f. – Zu Michael von Cesenas nicht ganz konsistenten Ansichten über die Eigentumspraxis der Apostel, der Jünger und der Menge der Gläubigen in Bezug auf die Ordensgemeinschaften seiner Zeit vgl. Robinson, William of Ockham’s, S. 137–147. Robinson lässt die oben zitierte Stelle unberücksichtigt und stellt keinen Zusammenhang zwischen Michaels Behauptung einer gemeinschaftlichen Besitzlosigkeit der Gläubigen und Olivi her. 345 Si intelligat, quod in speciali proprietatem nullus credentium habebat, verum est, quod dicit, pro tempore illo, quo dicta scriptura loquitur; quia hoc dixit expresse scriptura praedicta Act. 4 cap., cum dicit: Nec quisquam eorum, quae possidebat, aliquid suum esse dicebat. Si autem intelligat (sicut intelligit, ut per ea, quae proponit inferius, clare patet), quod credentes nullius rei proprietatem habebant etiam in communi, scripturis praedictis etiam contradicit expresse, cum dicat, quod illis scilicet credentibus omnia, quae possidebant, erant communia […]. Johannes XXII, Quia vir reprobus, ed. Bull. Franc. 5, S. 408–449, hier: S. 411. 346 Ed. Jeffrey Garrett Sikes u. a., Guillelmi de Ockham opera politica Bd. 1, Manchester 1940, S. 287–374 u. Bd. 2, Manchester 1963. – Zum Verständnis von Eigentums- und Gebrauchsrechten im Opus nonaginta dierum ausführlich Robinson, William of Ockham’s. – Zu weiteren Aspekten des Neunzigtagewerks vgl. außerdem: Takashi Shogimen, Ockham and Political Discourse in the Late Middle Ages, Cambridge 2007; Jürgen Miethke, Ockhams Weg zur Sozialphilosophie, Berlin 1969, S. 428–535.

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gebnissen findet sich schließlich die Feststellung, „dass jeder dieser, nämlich der Konvertierten und der Apostel und der Jünger der Apostel, einen faktischen Gebrauch der durch Gebrauch verzehrbaren Dinge hatte, von allem vollen [pleno] und freien [libero] individuellen und gemeinsamen Dominium, das bürgerliches oder weltliches Dominium genannt wird, abgesondert.“347 Freilich kann Ockhams komplexe Eigentumstheorie keinesfalls im Ganzen als Reflex auf die Theorien Olivis angesehen werden. Was aber die generelle Hypothese einer rechtsfreien Gebrauchsgemeinschaft der urchristlichen Gemeinde in toto angeht, so erweist sich in diesem Punkt auch der Engländer durchaus als ein Schüler und Nachfolger seines französischen Ordensbruders. Dieser knappe Ausblick auf Tradierung und Nutzbarmachung eines Spezifikums des ecclesia primitiva-Verständnisses Petrus Olivis mag an dieser Stelle genügen, um vor Augen zu führen, welch große Wirkungsmacht bestimmte aparte Details seiner Exegese auch auf außerexegetischen Gebieten entfalteten. Mit der Beweisführung über die Hypothese einer universalen Besitzlosigkeit der Urchristen, so wenig stichhaltig sie in historisch-kritischer Blickrichtung auch erscheinen mag, hatte er dem rigoristischen Teil der Franziskusjüngerschaft ein mächtiges Werkzeug der Rechtfertigung an die Hand gegeben. Ob seine Schüler und spätere Anwender seiner Lehrsätze wie Michael von Cesena und Wilhelm von Ockham dieses allein der zu jener Zeit in Handschriften zweifellos weiter verbreiteten QPE 8 entnahmen oder aber auch mit seiner Acta-Auslegung vertraut waren, kann nicht mit letzter Sicherheit gesagt werden.348 Dessen ungeachtet wird in dieser Angelegenheit jedoch deutlich, wie aus exegetischem Verhandeln erworbenes Gedankengut auf prakti347 […] quod quilibet istorum, scilicet conversorum et Apostolorum ac discipulorum ipsorum Apostolorum, habuit usum facti rerum consumptibilium usu ab omni dominio speciali et communi pleno et libero, quod vocatur dominium civile et mundanum, seperatum. Ockham, Opus nonaginta dierum IV, ed. Sikes u. a., S. 341. – Der Begriff des dominium plenum bzw. liberum spielt in den Debatten um die mendikantische Eigentumspraxis des 13. Jahrhunderts noch keine Rolle. Offenbar wurde er erst durch die einflussreichen Arbeiten des Bartolus de Saxoferrato (um 1313–1357) stärker gebräuchlich. Vgl. Peter Weimar, Art. „Eigentum“, in: LMA 3 (1986), Sp. 1714–1716. 348 Nicht nur bei den italienischen Landsleuten, etwa Michael von Cesena und Bonagratia von Bergamo, sondern auch bei Ockham ist die Möglichkeit einer Vertrautheit mit Olivis Auslegung der Apostelgeschichte durchaus gegeben. Bekanntermaßen hielt sich der berühmte Philosoph in den Jahren 1324 bis 1328 an der Kurie in Avignon auf, wo er sich gegen Häresievorwürfe zu verteidigen hatte. Für die päpstliche Bibliothek ebendort weist ein Verzeichnis des Jahres 1369 das Vorhandensein gleich zweier Abschriften der postilla Actuum Apostolorum fratris Petri Johannis aus. S. Franz Ehrle, Historia Bibliothecae Romanorum Pontificum tum Bonifatianae tum Avenionensis, Rom 1890, S. 329, # 538 u. S. 338, # 656. Dass Ockham im Laufe der Verhandlungen Zugang zur Büchersammlung der Kurie hatte, ist nicht völlig auszuschließen. Immerhin konnte er dort auch die Arbeit an seiner Summa logicae fortsetzen, was ohne Zugriff auf eine gut sortierte Bibliothek schwerlich denkbar gewesen wäre. Der parallele Fall des Franziskaners Johannes de Rupescissa (um 1310–nach 1365), der über bald 20 Jahre hinweg in päpstlicher Haft war, scheint zu bestätigen, dass eine Häresieanklage in Avignon nicht unbedingt den Ausschluss aus der päpstlichen Bibliotkek mit sich brachte. Vgl. Leah DeVun, Prophecy, Alchemy, and the End of Time. John of Rupescissa in the Late Middle Ages, New York 2009, S. 29. Möglich ist aber gewiss auch, dass Ockham Olivis Schriften im Avignonesischen Franziskanerkonvent vorfand, in dem er zu jener Zeit Wohnung nahm.

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schen Boden umgeschlagen werden konnte. Denn trotz der etwas unglücklichen modernen Bezeichnung standen im Hintergrund des sogenannten Theoretischen Armutsstreits doch existenzielle Konflikte. Dass in diesem Kontext Lehrsätze aus Olivis Bibeluntersuchungen – denn solchen entstammen seine Erklärungen zu Apg 4,32, gleichviel ob sie letztlich aus seinen Quästionen oder aus den niedergeschriebenen Schriftkommentaren selbst angeeignet wurden – zur Anwendung kamen, belegt in anschaulicher Weise die direkte rezeptionelle Durchlässigkeit exegetischen Ideengutes in Richtung polemischen Schrifttums.349 7. DIE GÜTERVERTEILUNG In der historisch-kritischen Acta-Forschung wird der Vers Apg 4,33 als Einschub in den Bericht von der Gütergemeinschaft verstanden. Das Auferstehungszeugnis der Apostel (reddebant apostoli testimonium resurrectionis Iesu Christi Domini) erscheint so als Ursache für die Eintracht der Gemeinde, die sich im Güterkollektiv zeitigte (Apg 4,32) und zur Mangellosigkeit unter den Gläubigen führte (Apg 4,34a).350 In den Versen Apg 4,34–35, die wieder an Apg 4,32 anschließen, wird sodann die praktische Umsetzung der Gütergemeinschaft erläutert. Auch Petrus Iohannis Olivi liest die Verse Apg 4,33–35 vor allem in Hinblick auf zwei Kernprobleme der Güterverteilung. Zunächst berührt er die Frage nach den psychologischen Voraussetzungen und Effekten der kollektiven Vermögensverwaltung, anschließend bespricht er in großer Breite das Verhältnis der Apostel zu den Gemeinschaftsgütern. 7.1 iucundae et unanimis caritatis et pacis – Ursache und Wirkung Den Abschnitt Apg 4,33a (et virtute magna reddebant apostoli testimonium resurrectionis Iesu Christi Domini) fasst der franziskanische Exeget als Ausdruck der Präeminenz der Apostel als Häupter der Gemeinschaft auf. Indem sie ihre Schuldigkeit getan und mit großer Kraft Zeugnis von der Auferstehung Jesu abgelegt hätten, hätten sie in besonderem Maße zur in Apg 4,33b herausgestellten großen Gnade aller (gratia magna erat in omnibus) beigetragen. Ganz konkret sei mit der gratia magna das im anschließenden Vers dokumentierte Suffizit, die Mangellosigkeit (Apg 4,34a: neque enim quisquam egens erat inter illos) gemeint, die die 349 Vgl. Miethke, Paradiesischer Zustand, S. 523 über den Theoretischen Armutsstreit: „So ist die Debatte jedenfalls streckenweise ein leidenschaftlicher Streit um das eigene Verhalten im Gewand exegetischer Bemühungen um alte Texte und Autoritäten, um Aussagen über das apostolische Zeitalter und das Paradies.“ 350 Vgl. etwa Andreas Lindemann, Die Anfänge christlichen Lebens in Jerusalem nach den Summarien der Apostelgeschichte, in: ders., Die Evangelien und die Apostelgeschichte. Studien zu ihrer Theologie und zu ihrer Geschichte, Tübingen 2009, S. 213–230, hier: S. 224. – Durch die Behauptung der vollkommenen Mangellosigkeit in Apg 4,34 erscheint die Verheißung für das Volk Israels im Deuteronomium erfüllt: Dtn 15,4: Et omnino indigens et mendicus non erit inter vos ut benedicat tibi Dominus in terra quam traditurus est tibi in possessionem.

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Gnade „erfreulichen und einmütigen Liebesdienstes und Friedens“ hervorgebracht habe.351 Ermöglicht worden sei dies vor allem durch die „Fürsorge der Apostel und durch die unterwürfige Verbindung der Übrigen zu diesen“. Infolge der gebührlichen Verteilung der Notwendigkeiten habe niemand irgendetwas zu entbehren gehabt.352 In anderen Worten: Die enge und zutiefst integre Beziehung zwischen den Aposteln und den übrigen Gläubigen, das ausgewogene Verhältnis von Fürsorge und Gehorsam sowie die überragende Frömmigkeit und Loyalität ersterer führten zur Ausschließung jeglichen weltlichen Mangels, was wiederum das Band der Liebe und der Eintracht um die gesamte Gemeinde legte. Interessant ist hieran zunächst die ungewöhnliche Ansicht über die Korrelation von Güterordnung, Gnade und Karitas. Während herkömmliche Deutungen die brüderliche Liebe unter den Gläubigen als Resultat der göttlichen Barmherzigkeit betrachten und die Aufhebung des Individualbesitzes wiederum als Zeichen der Liebe verstehen,353 erklärt Olivi die angemessene und harmonische Verteilung der Güter zum Ursprung der Karitas und des Friedens, worin denn auch die erwähnte gratia magna bestanden habe. Dementsprechend hatte er bereits in QPE 8 argumentiert, dass „individueller Rechtsanspruch und Besitz“ den Menschen von der „Erhabenheit, der Weite und der Einheit der Karitas bzw. der Gnade“ abbrächten.354 Auch hier gilt mithin die Entsagung von Temporalien als Voraussetzung für die vollkommene Nächstenliebe sowie die gratia. Dabei scheint Olivi ‚Gnade‘ nicht vorderhand als Werkzeug Gottes, sondern eher als ein zwischenmenschliches Medium zu begreifen. Und immerhin interpretiert auch die Glossa interlinearis zu Apg 351 In der Tradition griechisch-römischer Philosophie wird Glück im Sinne von Mangellosigkeit verstanden. Diese Vorstellung findet sich bei Plato und Aristoteles ebenso wie bei Cicero und wird von Augustinus in Contra academicos für das Mittelalter grundlegend wiederaufgegriffen. Vgl. Tobias Uhle, Augustin und die Dialektik. Eine Untersuchung der Argumentationsstruktur in den Cassiciacum-Dialogen (= Studien und Texte zu Antike und Christentum, 67), Tübingen 2012, S. 47, 119. 352 Et virtute magna (4, 33), scilicet sanctae vitae et miraculorum et constantis ac vivacis praedicationis reddebant apostoli testimonium resurrectionis etc. Bene dixit reddebant, quia debitores huius erant non solum ratione praecepti sed etiam ratione suspecti beneficii et apostolici officii. Nec per hoc intendit quin ceteri discipuli redderent, sed vult ostendere quod isti praeminentius et singularis tamquam capita omnium. Deinde de omnibus communiter subdit (4, 33): Et gratia magna erat in omnibus illis. […] Et hoc magis patet ex hoc quod subdit quomodo per apostolorum providentiam et per subiectam cohaerentiam ceterorum ad eos omnia necessaria unicuique absque defectu providebantur, unde tamquam reddens causam quare tanta gratia, scilicet iucundae et unanimis caritatis et pacis erat in omnibus. Subdit: Enim, id est quia neque quisquam egens erat inter illos, id est nullus eorum habebat defectum debitae subministrationis necessariorum. LSAA, S. 125 f. 353 So z. B. Beda zu Apg 2,44: Si caritas dei diffunditur in cordibus nostris mox profecto generat etiam proximi dilectionem, unde propter geminum eiusdem caritatis ardorem bis spiritus sanctus legitur apostolis datus; magnumque est fraterni amoris indicium omnia possidere nihil proprium habentes. Beda, Expositio, ed. Laistner, S. 23; ähnlich Augustinus, vgl. oben, S. 138 f. 354 Si enim gratia altior est et rectior quam natura et omnis specialis iurisdictio et possessio rerum declinat ab altitudine et capacitate et uniformitate libertatis et intellectualitatis nostrae naturae, multo magis oportet quod declinet ab altitudine et latitudine et unitate caritas seu gratia […]. QPE 8, S. 127. Vgl. dazu im Rahmen von Olivis Diskussion über den status gratiae Schmucki, Selbstbesitz, S. 160–162.

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4,33 gratia zweiseitig, zum einen als Gabe des Heiligen Geistes, zum anderen als zwischen den Gläubigen in Zusammenhang mit der Aufgabe des Privateigentums zugunsten der Gemeinschaft bestehende emotionale Verbundenheit. Bei der zweiten Variante allerdings bleibt offen, ob gratia in erster Linie als Ursache oder aber als Wirkung der Gütergemeinschaft gedacht ist.355 Dessen ungeachtet ist in der Standardglosse indes beileibe noch nicht der kollektiven Vermögensverwaltung als Bedingung einer allgemeinen Mangellosigkeit die vorderste Stelle im Gefüge von Gnade, Karitas, Friede und Güterordnung eingeräumt. Allein, exakt diese Lesart vertritt Olivi, wodurch er gleich mehrere seiner theologischen, philosophischen und exegetischen Leitideen bekräftigt bzw. initial in die Acta-Kommentierung einführt. So betont sein Interpretament zunächst den Wert der freien Willensentscheidung des Einzelnen für die Etablierung des Gnadenstandes im Urchristentum.356 Damit freilich geht eine erneute Akzentuierung der hohen Relevanz der altissima paupertas einher, nach der die Christenheit zu streben habe, um sich für die Begründung des himmlischen Jerusalem zu qualifizieren. Des Weiteren legt der Minorit hierin den Grundstein für die Thematik, die den größten Teil seiner noch folgenden Einlassungen zum zweiten apostelgeschichtlichen Sammelbericht beherrschen soll, nämlich den Aufweis der Prävalenz der Apostel gegenüber der restlichen Gemeinde, aber auch – und dies ist fraglos das schwerwiegendere Stück des Arguments – gegenüber den Prälaten seiner Gegenwart. Bevor nun jedoch die Hauptzüge ebendieser Lehre näher zu betrachten sind, soll noch ein kurzer Seitenblick auf Olivis Auflösung eines potentiellen Widerspruches zwischen seiner Auslegung von Apg 4,33–34 und dem sechsten Kapitel der Acta apostolorum geworfen werden. In Apg 6,1 berichtet Lukas von Zwistigkeiten zwischen den hebräischen und den hellenischen Mitgliedern der Urgemeinde in Bezug auf die täglichen Handreichungen. Demzufolge hätten die Witwen der Griechen sich ungerecht behandelt und gegenüber den Hebräern vernachlässigt gefühlt.357 Dagegen hatte Olivi allerdings mit Apg 4,34 erklärt, dass „von der gebührlichen Handreichung der Notwendigkeiten keiner von ihnen einen Mangel hatte“ und dadurch alle einander in gratia […] iucundae et unanimis caritatis et pacis verbunden gewesen seien.358 Schon die Glossa Ordinaria bietet mit Beda eine Deutung an, die die Beschwerden der Griechen immerhin nicht einer unfairen Gütervergabe zurechnet, sondern eine Bevorzu-

355 Glossa interlinearis, ad loc.: gratia] spiritussancti vel communicationis de qua sequitur, vendentes etc. [Apg 4,34]. 356 In Olivis geschichtstheologischem und -philosophischem Denken ist das Individuum nicht in Passivität dem Gang der Geschichte unterworfen, sondern kann in Willensfreiheit Stellung zu ihr beziehen und somit gar Einfluss auf sie üben (vgl. Schmucki, Selbstbesitz, S. 84 f. u. 106). In diesem Sinne macht er auch die Erlangung höchster Armut in gemeinschaftlicher Besitzlosigkeit nach Vorbild der Urgemeinde in hohem Maße von der freien Willensentscheidung des Individuums abhängig (vgl. ebd. S. 146 ff.). 357 Apg 6,1: In diebus autem illis crescente numero discipulorum factus est murmur Graecorum adversus Hebraeos eo quod dispicerentur in ministerio cotidiano viduae eorum. 358 S. oben, S. 153, Anm. 352.

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gung der hebräischen Witwen bei der Ämterübertragung annimmt.359 Demnach wären die Helleninnen aus dem ‚Wirtschaftsministerium‘ der Gemeinde ausgeschlossen gewesen und hätten sich über die diesbezüglich empfundene Ungerechtigkeit empört. Obzwar diese Theorie zumindest eine ökonomische Ungleichbehandlung der Gläubigen innerhalb der ecclesia primitiva ausschließt, so unterstellt sie – wohl im Sinne eines kleineren Übels – stattdessen eine soziale Diskriminierung. In Olivis bis hierhin gezeichnetes Bild der Urkirche kann sie sich daher ebenso wenig einfügen wie der Gedanke einer unbilligen Distribution. Wie aber begründet er die offenkundige Diskrepanz? In seinem Kommentar zu Apg 6 referiert er zunächst die populäre Position Bedas, die er auch von Petrus Comestor unterstützt sieht.360 Einmal mehr führt er im Anschluss eine Gegenmeinung ein, die von schattenhaften alii repräsentiert würde, wodurch er seine eigenen unkonventionellen Ansichten als eine Seite einer althergebrachten Meinungsverschiedenheit tarnt. Diesem zweiten Standpunkt zufolge sei die Unzufriedenheit der Graecorum tatsächlich einer ungleichen täglichen Versorgung geschuldet gewesen. Drei Gründe, fährt der Exeget fort, sprächen dafür, dass dies die bessere Erklärung sei. Erstens basiere das Gemurmel (murmur) in diesem Falle weniger auf Überheblichkeit denn vielmehr auf vernünftiger Veranlassung, und nur diese Möglichkeit sei mit der unzweifelhaften perfectio der Gläubigen vereinbar. Der Ungleichverteilung habe dabei ganz einfach ein Versehen zugrunde gelegen. Vollkommen absichtslos habe es geschehen können, dass die fremdländischen und weniger bekannten Witwen von den Hebräern, welche schlicht aufgrund ihrer früheren Konversion und ihres Heimischseins in Jerusalem das Versorgungsamt bekleideten, nicht so sorgfältig verpflegt wurden wie die Übrigen. Zweitens hätten der Gemeinde nur sehr bescheidene Speisen zur Verfügung gestanden, woran – so darf Olivi wohl ergänzt werden – die Griechen nicht gewohnt gewesen seien. Drittens hätte es, wenn Ursache der Unzufriedenheit tatsächlich eine unparitätische Verteilung der Ämter unter den Witwen gewesen wäre, genügt, diese künftig gleichmäßig zu besetzen. Die Apostel taten aber nichts dergleichen, sondern instal-

359 Glossa Ordinaria, ad loc.: Causa murmuris erat hebraei viduas suas utpote eruditiores in ministerio praeferebant viduis graecorum. Vgl. Beda, Expositio, ed. Laistner, S. 32. – Hrabanus Maurus erläutert, dass Lukas mit graecus nicht allein Menschen hellenischer Abstammung meine, sondern alle heidnischen Völker und auch Juden, die unter Griechen aufgewachsen seien: Grecarum sive advenarum gentilium in civitate conversantium sive iudeorum genere, qui inter grecos nati fuerant et nutriti. Hrabanus Maurus, Tractatus super Actus, fol 210v; so auch Petrus Comestor, Historia scholastica 30, ed. Migne, PL 198, Sp. 1662; ebenfalls aufgenommen in Glossa Ordinaria, ad loc. Auch Olivi schließt sich dem an: Graecorum, id est Iudaeorum de Graecia […]. Et forte per Graecos intelligit Lucas omnes Iudaeos aliarum [sc., gegenüber dem gelobten Land] nationum, iuxta quod Apostolus in epistola Ad Romanos saepe ponit Graecos non solum pro gentilibus Graeciae sed etiam pro gentilibus omnium nationum […]. LSAA, S. 162. 360 […] quia viduæ Hebræorum erant magis peritæ, et ideo aliis præferebantur in dispensatione administrationis quotidianæ. Petrus Comestor, Historia Scholastica 30 (De causa murmuris inter Christianos), ed. Migne, PL 198, Sp. 1662.

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lierten stattdessen das Gremium der sieben Diakone, um für eine gerechte Distribution Sorge zu tragen.361 Im Folgenden stellt der Franziskaner noch einige interessante Überlegungen zur Stellung der Frauen in der Urgemeinde an. Der Terminus viduae, so hebt er an, bezeichne an dieser Stelle zunächst nicht nur die Witwen, sondern „alle Jüngerinnen und Frauen, die damals gläubig waren, weil sie damals, so wie alle, evangelische Armut sowie Keuschheit gelobten.“362 Will heißen, durch das Keuschheitsgelübde wurden alle Frauen gleichsam in den Witwenstand versetzt. „Töricht wäre es aber freilich gewesen“, so fährt er fort, „hätten diejenigen, die sich der Verpflegung der Nachkommenschaft widmeten, die Armut gelobt und die Nachkommenschaft zu solch strenger Armut gezwungen.“363 Mit Ausnahme derer, die für die Kindererziehung und -aufzucht zuständig waren, hätten also im Urchristentum alle Frauen in derselben Weise wie die Männer vollendeten Verzicht geübt. Zum Beleg verweist Olivi hier nochmals auf die Gemeindeberichte in Apg 2 und 4 sowie die gleichförmige Bestrafung Saphiras und Ananias’ in Apg 5. Witwen im eigentlichen Sinne seien im Übrigen – teils aus Mitleid, teils, weil sie wie Senioren behandelt wurden, oder vielleicht auch, weil sie sich um die Kinder der anderen kümmerten – von der Gemeinde in besonderen Ehren gehalten worden. Nichtsdestoweniger sei es denkbar, dass deren Bedürfnisse, da sie von den Männern abgeschieden lebten, jenen unbekannt waren oder übersehen wurden.364 Zu guter Letzt sieht er in der ganzen Geschichte noch einen dominanten sensus tropologicus. So wolle sie vor Augen führen, dass in großen Gruppen, selbst unter perfecti, sehr einfach Verstimmung entstehen könne, insbesondere in Bezug auf die Ämtervergabe und die Verteilung der Gebrauchsgüter. Ohne Weiteres könne 361 Secundum alios vero causa huius murmuris fuit quia viduis Graecorum non sic administrabantur necessaria sicut aliis. Et hoc puto verius triplici ratione. Primo quidem quia murmur ex hoc consurgens fuit minus superbum et magis rationale. […] Faciliter autem absque eorum culpa potuit contingere quod viduis alienae patriae et ob hoc minus notis non sic diligenter necessaria providerentur per Hebraeos terrae Iudeae vel Galilaeae quos verisimile est tunc prae ceteris ministrasse: tum quia prius ad fidem Christi venerant, tam quia de terra illa erant et pro tanto erant notiores et magis idonei ad hoc opus. […] Secundo, quia non ita lauta et multa fercula turbae discipulorum ministrabantur quod oportet ibi esse tam multos apparatus coquorum et focariarum. […] Tertio, quia si murmur erat ex prima causa, tunc suffecisset officia ministerii viduis his et illis proportionaliter distribuere et quam diu hoc non fiebat non tollebatur causa murmuris. Apostoli autem nihil de hoc tractant aut ordinant, sed solum de septem viris qui eis provide ministrent. LSAA, S. 162 f. 362 Per viduas autem possunt hic intellegi omnes discipulae vel feminae tunc credentes, quia sicut omnes tunc profitebantur evangelicam paupertatem sic et castitatem. Ebd., S. 163 f. 363 Stultum enim esset vacantes procurationi prolis paupertatem profiteri prolumque cogere ad tam arduam paupertatem. Ebd, S. 164. 364 Quod autem tunc omnes feminae profiterentur paupertatem sicut et viri, patet: tum ex hoc quod supra capitulo secundo et quarto generaliter dicitur quod omnes qui credebant habebant omnia communia; tum quia capitulo quinto Saphira uxor Ananiae fuit exterminata sicut et ipse […]. Item, viduas ad litteram plus commemorant, quia magis compatiendum est eis et quia prae ceteris sunt reverendae tamquam seniores, et quia forte ceteras iuniores regebant et secum habebant; aut quia a viris solitariae, facilius earum necessitates a viris ignorabantur et negligebantur. Ebd.

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sich eine solche Verstimmung zu großer Zwietracht auswachsen, wenn nicht die Oberen mit Verstand und Autorität gegen Ungerechtigkeiten vorgingen und sie für die Zukunft ausschlössen, so wie es die Apostel getan hätten. Da diese moralische Lehre Hauptanliegen der Passage und das Gemurmel unter den Griechen in Apg 6,1 allein Ausdruck großen Eifers für die Frömmigkeit und Gleichheit gewesen sei, hätten sich die geschilderten Ereignisse frei von Sünde vollzogen und seien mit nur mäßiger Verfehlung einhergegangen.365 Zusammengenommen lassen die zuletzt betrachteten Erläuterungen erkennen, dass die Gütergemeinschaft, in seinem Sinne verstanden als eine rechtsfreie Bedarfsgemeinschaft, in Olivis Modell der perfectio zu den fundamentalen – das heißt den sie bedingenden, nicht, wie bei Hieronymus, Augustinus und Beda, den von ihr bedingten – Bausteinen gehört. Sein Entwurf steht somit der platonischen Gütergemeinschaft wesentlich näher als der aristotelischen und trägt entsprechend durchaus ein Stück weit programmatischen Charakter. Indem sich die Gemeindemitglieder ihrer persönlichen Habseligkeiten entledigen, tragen sie entscheidend zu den allgemeinen Liebesbanden bei, wodurch ihnen allen große Gnade zuteil wird. Gerade weil es sich dabei um einen ganz und gar unerlässlichen Zug der reinigenden Frömmigkeit handelt, ist es wesentliche Aufgabe der Oberen, Egalität im täglichen Vollzug desselben zu gewährleisten. Damit aber ist unweigerlich die Frage aufgeworfen, in welcher Beziehung die Apostel als Prälaten der Urkirche zum gemeinschaftlichen Gebrauchsvermögen stehen. 7.2 Die Apostel als Distribuenten Für Olivi steht außer Frage, dass die Apostel selbst direkt für die Verteilung der Güter respektive des aus deren Verkauf erwirtschafteten Geldes verantwortlich waren, sei es, dass sie die Aufgabe persönlich erfüllten, sei es durch delegierte Mittelsmänner. Dies verdeutlicht er in seinem Kommentar zu Apg 4,35b.366 In Anbetracht dieser Gewissheit drängen sich dem Minderbruder drei gravierende Fragen auf, die sich nicht-franziskanischen Exegeten in dieser Form wohl nicht gestellt hätten, für ihn aber gleichwohl ein punctum saliens der gesamten Interpretation der lukanischen Berichte von der Urkirche bilden. Sie alle kreisen um das neuralgische Zentrum der Beziehung der Apostel zu Geld und Gütern und bilden somit auf der Folie der Urgemeinde die hoch- und spätmittelalterlichen Kontroversen über die

365 Nota etiam quod praefatum murmur potuit fieri absque peccato vel cum modico vitio ex solo zelo pietatis et aequitatis. Dicitur tamen murmuratio, quia cum quodam acumine zeli fiebat, sed nihilominus in hoc ipso docemur quam facillime in grandi multitudine etiam perfectorum turbatio murmuris oriatur, et specialiter pro distributionibus communium officiorum vel rerum utibilium inaequaliter factis. Unde et facillime exiret inde dissensio magna nisi confestim per superiores inaequalitatis factae excusativa ratio detur et futurae remedium adhibeatur, quod apostoli hic sollicite fecerunt. Ebd., S. 164. 366 Dividebantur autem singulis, scilicet per apostolos vel quoscumque quibus hoc apostoli committebant; vel dividebant, scilicet apostoli, pretia illa singulis. Ebd., S. 126.

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Besitzverhältnisse der Prälaten und – vor allem – Bischöfe ab, in die der Minorit selbst spätestens seit den frühen 1280er Jahren verstrickt war. 7.2.1 usus dispensativae distributionis – die ökonomische Autorität der Apostel An erster Stelle gilt es Olivi zu erkunden, „welcher Person oder welchen Personen jene Gelderlöse aus den verkauften Gütern, die dargebracht wurden, gehörten.“367 Seine Antwort fällt wenig überraschend aus: Es kann nämlich nicht gesagt werden, dass sie den Aposteln gehörten, weil Christus diesen befahl, nicht Gold noch Silber zu besitzen und keinen Geldbeutel zu tragen.368 Und weiter oben sagte Petrus: Silber und Gold habe ich nicht.369 Und gemäß Beda und Ambrosius sagte er dies als einer, der des Befehls des Herrn eingedenk war und ihn beachtete.370 Es kann auch nicht gesagt werden, dass sie jenen gehört hätten, die sie dargebracht hatten, weil sie sich im Darbringen jener gänzlich von ihnen expropriiert und sie in die apostolische Autorität übergeben bzw. ihr unterstellt hatten. Auch gehörten sie nicht der Gemeinschaft, bald weil sie nicht der Jurisdiktion des ganzen Vereins, sondern allein der Autorität der Apostel unterstellt wurden, bald weil, wie weiter oben gezeigt wurde, jene Gemeinschaft in demselben Zustand gewesen zu sein scheint wie die apostolische Gemeinschaft.371

Wenn aber weder die Apostel noch die Vorbesitzer oder die Gesamtgemeinde rechtmäßige Eigentümer gewesen sein konnten, da sie sich allesamt von jeglicher Form des Dominiums losgesagt hatten, wie verhielt es sich dann in juristischer Hinsicht mit den Gütern? 367 Ad horum autem evidentiam possunt tria quari. Primum est cuius aut quorum erant illa pretia rerum venditarum quae afferebant. Ebd. 368 S. Mt 10,9; Mk 6,8; Lk 9,3. 369 Apg 3,6. 370 Vgl. Beda, Expositio, ed. Laistner, S. 24, ad Apg 3,6, wo jener die Besitzlosigkeit des Petrus mit Blick auf Apg 4,35 zudem damit erklärt, dass die Apostel das ihnen zu Füßen gelegte Geld nicht für sich behielten, sondern zum Gebrauch der armen Gemeindemitglieder, die ihr Erbe aufgegeben hatten, einsetzten: Alioquin beatus Petrus dominici memor praecepti quod dicitur: Nolite possidere aurem et argentum, pecuniam quae ad pedes apostolorum ponebatur non sibi recondere, sed ad usus pauperum qui sua patrimonia reliquerant, reseruare solebat. – Karris/ Flood, Peter Olivi, S. 267, Anm. 16, identifizieren den Verweis auf Ambrosius überzeugend mit dessen Exegese zu Lk 10,4 (Nolite portare sacculum neque peram neque calciamenta et neminem per viam salutaveritis.): […] tamen non tam hoc gloriatur Petrus quod argentum et aurum non habeat quam quod seruet domini mandatum, qui praecepit : nolite aurum possidere […]. Sancti Ambrosii Mediolanensis Opera IV: Expositio Evangelii secundum Lucam, Fragmenta in Esaiam, ed. Markus Adriaen / Paolo Angelo Ballerini (= CCSL, 14), Turnhout 1957, Kap. 7,55, S. 232. 371 Non enim potest dici quod apostolorum, quia Christus praecepit eis non possidere aurum vel argentum nec portare sacculum pecuniae. Et supra dixit Petrus: Argentum et aurum non habeo. Et secundum Bedam et Ambrosium dixit hoc tamquam memor et observator dominici praecepti. Not etiam potest dici quod essent ipsorum qui illa attulerant, quia in illa allatione se ab eis omnino expropriaverant et apostolicae auctoritati commiserant seu supposuerant. Non etiam erant communitatis, tum quia non subdebantur iurisdictioni totius collegii sed soli auctoritate apostolorum, tum quia, ut supra fuit ostensum, communitas illa videtur fuisse eiusdem modi cum modo communitatis apostolicae. LSAA, S. 126.

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Zunächst stellt Olivi hierzu generell fest, dass „so wie es nicht notwendig ist, dass die Vögel des Himmels und die Fische des Meeres irgendeinem speziellen Herrn gehören oder dass sie irgendeinem speziellen Verein vermacht wurden, dies auch bei jenen Erlösen nicht notwendig war.“372 Noch einmal schaltet er hier den Gegensatz zwischen positivem und Naturrecht sowie die Vorstellung einer prinzipiellen Nicht-Existenz von Eigentum unter letzterem ein. Auf die Güter der Urgemeinde übertragbar wird dieser Zustand gemäß der inneren Logik seiner Argumentation durch die zuvor nachdrücklich konstatierte Ähnlichkeit der ecclesia primitiva und des Urstandes. Hat er somit den Faden besitzrechtlicher Beweisführung wiederaufgenommen, spinnt er jenen sogleich fort: Zu wissen ist, dass, alle Jurisdiktion ausgeschlossen, der Gebrauch von Temporalien zwiefältig sein kann. Einer ist der übliche Gebrauch des Empfangs oder Konsumierens bzw. des Tragens oder Bewohnens oder der Anwendung zu irgendeinem persönlichen Gebrauch, demgemäß man das Brot, das man isst, gebraucht und die Luft, die man durch das Atmen einsaugt, und das Gewand, das man trägt, und das Bett, auf dem man liegt, und das Haus, das man bewohnt, und das Messer, mit dem schneidet. Der zweite ist der Gebrauch der wirtschaftlichen Verteilung [dispensativae distributionis]. Und so gebraucht ein Koch oder ein Kellner [dapifer373] Speisen, die er irgendeiner Gruppe zuteilt, dementsprechend die Apostel das Brot, das Christus gebrochen hatte, den Menschenmengen zuteilten. Dieser Gebrauch aber betrifft diejenigen, die irgendeine Autorität des Verteilens oder der Verwaltung ausüben, in anderer Weise, als diejenigen, die keinerlei solche Autorität ausüben, sondern nur irgendeine tatsächliche Handreichung oder Beförderung der Güter zu den Gruppen oder Personen, denen sie jene Güter vorsetzten. Die erste Form dieser zweiten Form aber hatten hier die Apostel.374 372 Dicendum quod sicut non est necesse quod aves caeli et pisces maris sint alicuius domini specialis aut quod sint appropriati alicui collegio speciali, sic non fuit necesse de illis pretiis. Ebd., S. 127. Vgl. Gen 1,28. 373 Dapifer – mlat. eigentl. spez. „Druchsess“. 374 Sciendum tamen quod omni iurisdictione exclusa duplex potest esse usus temporalium rerum. Unus est usualis sumptionis vel consumptionis seu deportationis vel inhabitationis aut applicationis ad quoscumque personales usus, iuxta quod comedens utitur cibo quem comedit et aere quem respirando attrahit et veste quam portat et lecto in quo iacet et domo quam inhabitat et cultello quo scindit. Secundus est usus dispensativae distributionis. Et sic coquus vel dapifer utitur ferculis quae distribuerunt alicui turbae, iuxta quod apostoli panes a Christo fractos turbis distribuerunt. Iste autem usus aliter spectat ad eos qui aliquid auctoritatis dispensatoriae aut gubernatoriae habent, et aliter ad eos qui nihil habent talis auctoritatis sed solum aliquam actualem subministrationem vel deportationem rerum ad turbas vel personas quibus tunc res illas apponebant. Primum autem modum huius secundi modi habebant hic apostoli. LSAA, S. 127. – Die Unterscheidung zwischen zwei Formen des zuteilenden Gebrauchs im zweiten Teil der angeführten Stelle ähnelt einem zentralen Distinktionsmerkmal von ususfructus und usus nudus im Corpus Iuris Civilis. Ersterer ist grundsätzlich definiert als ein ius alienis rebus utendifruendi salva rerum substantia (Institutiones Iustiniani 2,4, ed Huschke, S. 47), der usus nudus hingegen zeichnet sich in Abgrenzung zum ususfructus unter anderem dadurch aus, dass der Inhaber sein Recht des täglichen Gebrauchs der zur Verfügung stehenden Güter nicht an Dritte übertragen kann: […] nec ulli alii ius, quod habet, aut vendere aut locare aut gratis concedere potest, cum is, qui usumfructum habet, potest haec omnia facere (Institutiones Iustiniani 2,5,1, ed. Huschke, S. 49). Die Form des usus, die Olivi hier den Aposteln zuspricht, steht also prinzipiell der Definition des römisch-rechtlichen ususfructus nahe, wobei er freilich von vornherein omni iurisdictione aus allen genannten Formen ausgeschlossen wissen will und eine Assoziation mit jeglichem gesetzten Recht somit vollkommen zurückweist.

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Da er jegliche Form von ius aus der urchristlichen Güternutzung ausschließt, befasst sich Olivi in dieser Definition von usus nur mit solchen Ausprägungen des Begriffs, die seines Erachtens außerhalb eines usus iuris stehen. Anstatt mindestens dreier denkbarer Formen des Gebrauchs, hat er so nur zwei in Betracht zu ziehen.375 Der erste modus, den er beschreibt, kongruiert mit seiner üblichen Deutung des simplex usus facti, nach der sowohl verzehrbare als auch nicht verzehrbare Dinge frei von einem persönlichen oder gemeinschaftlichen Nutzungsrecht gebraucht werden könnten.376 Diese Form des usus gilt, wie er im Acta-Kommentar und andernorts bereits hinreichend dargelegt hat, nach seiner Auffassung für die Menge der Gläubigen in der Urkirche wie für den gesamten Franziskanerorden seiner Zeit. Mit dem zweiten modus führt er nun eine neue Komponente des intrikaten Komplexes der Besitz- und Gebrauchsdefinitionen in seine Summarienexegese ein. Es handelt sich dabei um den Gebrauch von Gütern nicht zum eigenen Nutzen, sondern zum Wohle anderer. Hierbei wiederum unterscheidet er zwischen einem Handeln aus der Autorität eines gewissen Führungsmandats heraus und einer bloßen Amtstätigkeit. Erstere spricht er den Aposteln zu, bei letzterer hat er zweifellos die Diakone aus Apg 6 im Blick. In der etablierten christlichen Gesellschaftsordnung zu seinen Lebzeiten schließlich konnte er diese beiden Gruppen in den Prälaten, vornehmlich den Bischöfen, auf der einen und dem niederen Klerus auf der anderen Seite wiederfinden. Dass er explizit auch auf diese Parallele abhebt, wird im späteren Diskussionsverlauf deutlich werden. Zunächst lässt er aber nähere Eingrenzungen des usus dispensativae distributionis folgen. So erläutert er, dass dieser mitnichten irgendein Eigentums- oder Besitzrecht bzw. Dominium einschlösse. Dies vorausgesetzt könne aber festgehalten werden, dass das Innehaben der Distributionsvollmacht in Hinblick auf die Untergebenen doch eine gewisse Gewalt (potestas) über die Dinge mit sich brächte. Denn durch sie könne der Inhaber neben dem reinen Verteilungsamt auch die Formen, Gründe und Zwecke des Gebrauchs in der Gemeinschaft kontrollieren. „Er kann nämlich dem Untergebenen befehlen, dass er dieses oder jenes Ding nicht gebraucht, oder dass er es so oder so gebraucht, oder dass er jenes so oder so anderen gibt, oder dass keiner seiner Untergebenen jenes einem anderen gibt.“377 375 Bonagratia von Bergamo etwa kennt drei Formen von habere, die Olivis hier dargelegtem Zweierschema nebst einem usus iuris entsprechen. Diese sind (1.) iure dominii vel quasi dominii seu proprietatis aliquid obtinere, (2.) habere largo modo sumendo, (3.) habere res: cum earum habet administrationem. Bonagratia von Bergamo, Tractatus de Christi et apostolorum paupertate, ed. Livarius Oliver, Fr. Bonagratia de Bergamo et eius Tractatus de Christi et Apostolorum paupertate, in: AFH 22 (1929), S. 292–335, 487–511, hier: S. 324 f. Vgl. dazu Kriechbaum, Actio, S. 27 f.; Robinson, William of Ockham’s, S. 176 f. 376 Vgl. dazu oben, S. 101–103. 377 Si autem quaeras quid includit vel dicit talis auctoritas dispensandi, dicendum quod saltem nihil dominii vel iuris proprietarii vel possessorii in se includit. […] Et cum hoc potest dici quod respectu subditorum illius dispensatoris dicit quandam potestatem in illis rebus quantum ad officium dispensandi eas et diversimode committendi et moderandi usum et dispensationem illarum. Potest enim subdito praecipere quod non utatur hac vel illa re, aut quod sic vel sic utatur, aut quod sic vel sic illam aliis dispensit, aut quod nullus subditorum suorum illam alteri dispenset. LSAA, S. 127.

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Auffällig ist in dem gesamten Absatz der konsequente Gebrauch des Präsens nebst Fehlens jeglichen direkten Verweises auf die urchristliche Gemeinschaft. Olivi spricht hier ganz offensichtlich nicht mehr primär über die Apostel und ihre Jüngerschaft, sondern über seinen eigenen Orden. Darauf deutet auch ein Einschub nach der Feststellung der Absenz von Eigentumsrechten in der erörterten Form des usus. Et hoc sufficit nobis378, sagt der Franziskaner dazu. Um nämlich das Gebot der Regula bullata, sich weder individuell noch kollektiv etwas anzueignen, einzulösen, genügt die Gewissheit, von allen juristischen Bindungen an weltliche Güter frei zu sein.379 Freilich darf dieses Zugeständnis aber nicht als ein Abweichen vom usus pauper missverstanden werden. Diesen zu gewährleisten, dafür haben die Oberen Sorge zu tragen, indem sie ihre auctoritas dispensandi zum Einsatz bringen und auf diese Weise über die rundherum angemessene Nutzung der Dinge wachen.380 In diesem Sinne fährt Olivi fort, wenn er betont, dass diese Form der kontrollierenden Gewalt „dem evangelischen Verein genügt“, um den adäquaten Gütergebrauch zu garantieren. Darüber hinausreichende Privilegien, „durch die der Prälat eines Vereins Dinge von Außenstehenden, die diese anbieten oder die sie beanspruchen, auf dem Rechtsweg annehmen bzw. zurückverlangen und Dinge, die unter das Recht seines Vereins gehören, hergeben könnte“, seien für die „Vollkommenen oder Sich-Vervollkommnenden“ nicht notwendig, wohl aber für die „Streitenden und Geizigen sowie die Unvollkommenen oder die noch nicht ganz und gar Vollkommenen.“381 Abermals nimmt Olivi hier ganz unmissverständlich die herkömmlichen monastischen Gemeinschaften ins Fadenkreuz. Traditionell herrschten in diesen, den Idealen der vita communis und communio caritatis zum Trotz, stark ausgeprägte vertikal, das heißt hierarchisch strukturierte Ordnungen mit dem Abt als mächti378 Ebd. 379 Karris/Flood, Peter Olivi, S. 268, Anm. 18, weisen darauf hin, dass Bonaventura in der Epistola de tribus quaestionibus, Kap. 6, in Anschluss an die Feststellung der rechtsfreien Gebrauchspraxis der Minderbrüder eine sehr ähnliche Formulierung benutzt (s. Bonaventura, Opera omnia 8, S. 333: Cui igitur horum proprietas assignabitur? Respondeo ego, quod cuiuscumque sit, non est mea nec Ordinis, et hoc mihi sufficit ad meae conscientiae puritatem.). In der Tat dürfte diese auffällige Analogie kaum arbiträr sein. 380 Vgl. dazu die Bestimmungen der Regula bullata über die Aufgaben der Minister und ihre Befugnis, ihren Brüdern das Lebensnotwendige zuzuteilen, so z. B. RegBull IV: Tamen pro necessitatibus infirmorum et aliis fratribus induendis, per amicos spirituales, ministri tantum et custodes sollicitam curam gerant secundum loca et tempora et frigidas regiones, sicut necessitati viderint expedire […] (ed. Esser/Grau, S. 368). In seinem Regelkommentar bemerkt Olivi dazu, dass die Pflicht der Minister, für das körperliche Wohlergehen der Brüder Sorge zu tragen, non solum ex regula sed etiam ex iure naturali et divino hervorgehe (Expositio Petri Johannis Olivi, ed. Flood, S. 143). Vor dem Hintergrund seiner Annahme, dass die Urchristen gleichsam im status innocentiae weilten, wo allein das Naturrecht bzw. das göttliche Recht gegolten habe, ist damit der Bogen zur auctoritas der Apostel zurückgeschlagen. 381 Illa enim iurisdictio qua praelatus collegii posset res a forinsecis eas offerentibus vel usurpantibus per viam iuris repetere et, quod ad ius sui collegii pertinent, allegare non est necessaria perfectis aut perfeciendis sed ligantibus et avaris aut imperfectis vel non usquequaque perfectis. LSAA, S. 127. – Man vergleiche als Negativschablone Regula Benedicti 33,2, ed. Hanslik, S. 90, wo dem Abt die Autorität dare aut accipere zugesprochen wird.

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gem Prälaten (maior monasterii) an der Spitze.382 Ihm oblag nicht nur die Weisungs- und Strafbefugnis über die Mönche, er war auch Vertreter des Klosters in dessen Beziehungen zur Außenwelt und in diesem Rahmen mit weitreichenden juristischen Privilegien ausgestattet. So war er verantwortlich für die ökonomische Prosperität seiner Abtei, in deren Namen er Einkünfte aus grundherrlichen Rechten, Zustiftungen, Seelgerät usw. einforderte, annahm und verwaltete, wobei er selbstverständlich alltäglich auch mit Bargeld Umgang hatte. Schon seit der Karolingerzeit nahmen Äbte überdies wichtige politische Aufgaben wahr383 und hatten im Heiligen Römischen Reich als Vorsteher von Reichsabteien zu Beginn des 13. Jahrhunderts gar Fürstenrang erlangt.384 Wirtschaftlich waren die Äbte des benediktinischen Mönchtums durch die strikte Trennung zwischen mensa abbatis und mensa fratrum vom Konventsvermögen weitestgehend unabhängig und bereits seit dem frühen Mittelalter nicht selten außerordentlich wohlhabend. Im Franziskanertum hingegen wurden von Beginn an ganz bewusst schon Bezeichnungen wie ‚Abt‘ oder ‚Prior‘ strikt vermieden, um der Herausbildung von Hierarchien entgegenzuwirken.385 Dem Ideal des Franziskus zufolge unterlagen die Vorsteher eines Konvents, einer Provinz, des Gesamtordens – gedacht nicht als Patriarchen, sondern als Diener ihrer Brüder – im selben Maße dem Armutsgebot nebst Geldverbot wie die übrigen Ordensangehörigen.386 Auf diese Diskrepanzen zwischen dem franziskanischen Leitbild der vita evangelica und dem Urchristentum nach seinem Verständnis einerseits und der patriarchalen Herrschaft der Oberen im klassischen Mönchtum sowie der weltlich-privilegierten Stellung der Klöster als Rechtspersonen andererseits zielt Petrus Olivi, wenn er hinsichtlich ökonomisch-administrativer Befugnisse perfecti und imperfecti einander gegenüberstellt.387 Will man seine scharfen Formulierungen in ihre Entstehungszeit einbetten, so kommt insbesondere der Zisterzienserorden in den Sinn. Sich ursprünglich emphatisch auf die urchristliche Lebensweise berufend,388 382 Dazu generell: Franz J. Felten, Herrschaft des Abtes, in: Friedrich Prinz (Hrsg.), Herrschaft und Kirche. Beiträge zur Entstehung und Wirkungsweise episkopaler und monastischer Organisationsformen, Stuttgart 1988, S. 147–296. Zur rechtlichen Konsolidierung der abtsmonarchischen Organisation in der Cluniazensischen Reform: Florent Cygler, Das Generalkapitel im hohen Mittelalter. Cisterzienser, Prämonstratenser, Kartäuser und Cluniazenser (= Vita Regularis, Abhandlungen 12), Münster 2002, S. 315 ff. Zu den in großem Umfang bezeugten klosterinternen und -externen Auseinandersetzungen über bzw. aufgrund der äbtischen Führungsgewalt: Martina Wiech, Das Amt des Abtes im Konflikt. Studien zu den Auseinandersetzungen um Äbte früh- und hochmittelalterlicher Klöster unter besonderer Berücksichtigung des Bodenseegebiets (= Bonner Historische Forschungen, 59), Siegburg 1999. 383 Vgl. Viktor J. Dammertz, Art. „Abt, Äbtissin“, in: LTK 1 (1993), Sp. 96–99, hier: Sp. 97; ders. / Karl Suso Frank, Art. „Abt“, in: LMA 1 (1980), Sp. 60–62, hier: Sp. 61. 384 Vgl. Friedrich Merzbacher, Art. „Abt, Abtei“, in: HRG 1 (1971), Sp. 18–20, hier: Sp. 19. 385 Oberer eines Konvents war der Custos, Provinz- und Ordensobere hießen Minister. Vgl. Johannes Schlageter, Art. „Franziskaner“, in: TRE 11 (1983), S. 389–397, hier: S. 390 f. 386 S. nur RegBull IV: […] ministri tantum et custodes sollicitam curam gerant […]; eo semper salvo, ut […] denarios vel pecuniam non recipiant. Ed. Esser/Grau, S. 368. 387 Vgl. dazu unter ähnlichen Vorzeichen das Konzept der Quatuor Magistri von der paupertas perfecta und imperfecta, oben, S. 53. 388 Besonders eindringlich schlägt sich dies etwa in der Gründungsnarration des Exordium mag-

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war dieser gegen Ende des 13. Jahrhunderts in gravierendem Maße von seinen Idealen abgedriftet und im Begriff, sich immer weiter von ihnen zu entfernen. In durch höchst wirksame und bisweilen äußerst rücksichtslos betriebene Eigenwirtschaft sowie umfangreiche Handelstätigkeiten reich gewordenen Konventen lebten die Weißen Mönche mittlerweile mehr und mehr nach dem althergebrachten benediktinischen Renten- und Pachtsystem, das sie ehedem rigoros abgelehnt hatten.389 Von franziskanischer Seite standen sie darum zu Olivis Lebzeiten wiederholt massiv in der Kritik.390 Petrus Iohannis selbst dürfte dabei ganz besonders unter dem num Konrads von Eberbach († 1221) nieder. Die ersten Kapitel der Chronik sind ganz der historischen Herleitung des Mönchtums von der Urkirche gewidmet. Mit ähnlichen Argumenten wie später Olivi, jedoch frei von apokalyptischen Motiven oder gar einem eigenen exklusiven Sukzessionsanspruch, rechtfertigt der Verfasser das Abdriften der Gesamtkirche von ihrer ursprünglichen gütergemeinschaftlichen Verfasstheit und proklamiert deren Revitalisierung im Orden von Cîteaux: Quod a primitiva ecclesia communis vitae traditio coeperit quod hinc monasticae religionis institutio principum sumpserit. […] Passe uero in carne Domino, postquam a mortuis resurrexit et in caelum ascendit, discipulis etiam Spiritum Sanctum, quem promiserat, misit, multiplicatis iam credentium turbis clarius eiusdem spiritalis uitae, quam perfectam paenitentiam dicimus, nitor elucere coepit, cum, sicut testatur Lucas: Multitudinis credentium erat cor unum et anima una nec quisquam eorum suum aliquid esse dicebat, sed erant illis omnia communia; possessores etiam agrorum et domorum uendebant, quae possidebant, ponentes pretia ante pedes apostolorum. […] Ceterum disseminato uerbo Dei per uniuersam regionem, cum iam in omnem terram exisset sonus praedicationis apostolorum, necesse erat, ut arca sanctae ecclesiae, quae perfectissimae huius religionis titulo in superioribus suis angusta, unitatis cubitum perficiebat, dilatato caritatis sinu in inferioribus suis pusillanimes et ad perfectionis celsitudinem minus idoneos colligeret, quatenus omnipotentis Dei misericordia non solum homines, sed et ipsa quoque iumenta, id est terrenae substantiae puluere se ex infirmitate foedantes dignantissime saluaret. Hinc iam nobilis illa res publica, quam Dominus Iesus Christus instituerat et Spiritus Sanctus roborarat, in qua, cum nullus quidquam possideret, nemo tamen, egens erat inter illos, coepit ad priuatas res distrahi coeperuntque christiani substantiis suis licenter uti, sic tamen, ut terrena caelestibus non praeponerent, sed temporalia bene dispensando facilius ad caelestia peruenirent. Exordium Magnum Cisterciense oder Bericht vom Anfang des Zisterzienserordens von Conradus, Mönch in Clairvaux, später in Eberbach und Abt daselbst, ed. Heinz Piesik, Bd. 1, Langwaden 2000, Kap. II., S. 12–14. 389 Aus der reichen Literatur zur zisterziensischen Wirtschaft, ihrer Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit sowie ihrem Wandel im 13. und beginnenden 14. Jahrhundert, der konzise in den Veränderungen der Generalstatuten des Ordens nachvollziehbar ist, sei exemplarisch verwiesen auf Werner Rösener, Die Agrarwirtschaft der Zisterzienser. Innovation und Anpassung, in: Franz J. Felten / ders. (Hrsgg.), Norm und Realität. Kontinuität und Wandel der Zisterzienser im Mittelalter (= Vita regularis, Abhandlungen 42), Berlin 2009, S. 67–95, bes. S. 91 f.; Klaus Schreiner, Zisterziensisches Mönchtum und soziale Umwelt. Wirtschaftlicher und sozialer Strukturwandel in hoch- und spätmittelalterlichen Zisterzienserkonventen, in: Kaspar Elm / Peter Joerissen (Hrsgg.), Die Zisterzienser. Ordensleben zwischen Ideal und Wirklichkeit (= Schriften des Rheinischen Museumsamtes, 18), Köln 1982, Ergänzungsband, S. 79–135; Eberhard Hoffmann, Die Entwicklung der Wirtschaftsprinzipien im Cisterzienserorden während des 12. und 13. Jahrhunderts, in: Historisches Jahrbuch 31 (1910), S. 699–727. – Zur Ausübung von Grundherrschaft durch die Zisterzienser in Südfrankreich, dem heimatlichen Umfeld Olivis: Constance Hoffmann Berman, Medieval Agriculture, the Southern French Countryside, and the Early Cistercians. A Study of Forty-three Monasteries (= Transactions of the American Philosophical Society, NS 76,5), Philadelphia 1986, S. 31. 390 So etwa beim Bonaventura-Schüler Guibert von Tournai († 1284) in einer 1273 als Gutachten

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Eindruck der bedeutenden Zisterzienserabtei Sainte-Marie de Fontfroide gestanden haben. In unmittelbarer Nähe zu Narbonne gelegen, war diese seit dem 12. Jahrhundert eine der größten Wirtschaftsmächte der Region391 und damit ein Paradebeispiel für die von ihm kritisierten Zustände gleichsam vor seiner eigenen Haustür. Dass die Kluft zwischen Gründungsideal und Wirklichkeit auch im Franziskanerorden schon gegen Mitte des 13. Jahrhunderts ähnlich groß war,392 spielt für den Exegeten in diesem Zusammenhang keine Rolle. Denn was er der vermeintlichen Dekadenz der zoinobitischen Gruppen entgegensetzt, ist eben nicht ein praktisches Kontrabeispiel, sondern ein theologisches Konzept, das seines Erachtens aber freilich allein im Minderbrüderorden dereinst (wieder) zu verwirklichen wäre. 7.2.2 Geld oder Güter? Stringent an seine Explikationen zu Form und Reichweite der Wirtschaftsautorität der Prälaten im urchristlichen Jerusalem anknüpfend, widmet Olivi die nächste Quästio innerhalb der LSAA dem diffizilen Punkt des Bargeldes in Verfügungsgewalt der Apostel. In der imaginierten Spiegelbildlichkeit von idealem Franziskanertum und Urchristenheit standen das absolute Geldverbot der Ordensregel auf der einen und Apg 4,35 als vermeintliches Zeugnis der Geldwirtschaft auf der anderen Seite in offenem Widerspruch zueinander. Daher unternimmt der Vertreter der Konkordanztheorie im Folgenden große Anstrengungen zu erkunden, wie diese für das zweite Konzil von Lyon (1274) entstandenen Collectio de scandalis ecclesiae (Collectio de scandalis ecclesiae. Nova editio, ed. Autbert Stroick, in: AFH 24 (1931), S. 33–62, hier: S. 54 f.: […] Quoniam nimis amplexati sunt temporalia […] causas et iurgia immoderatius prosequuntur. […] sed boni homines esse possunt […]. Sed eorum conversi Ordinem nunc pervertunt. […] Praeterea eleemosynas male distribuunt, quas ut pauperibus distribuerent, a fidelis acceperunt. „Apponunt pauperibus, quos recipiunt ad hospitalitatem, corrupta cibaria, ex quibus mors est in pluribus subsecta, quae surgit ex materia venenosa.“ […] Eorum etiam praelati in subditos nimium tyrannizant. […]. Zu Guibert: Franco Cardini, Studi sulla storia e sull’idea di crociata (= Storia. Jouvence, 29), Rom 1993, S. 291–306), aber auch bei Olivis regelmäßiger Referenz Johannes Peckham (s. Brief an Edward I. vom 14. Juni 1284, betreffs einer geplanten Ansiedlung von Zisterziensern im walisischen Dorf Maenan: E pur co, sire, tut soye jo prest quaunt est de moy a dedier la place pur les moignies de Cisteaus a Meynan, nepurkaunt jo ne le poreye pas fere saunz plein assentement del eveske e de sun chapitre, e de la persone du lu, les queus ove assez des autres unt mut graunt horreur del aprochement des avaunt dit moignies. Kar tute soyent il prodes hommes, si Dieu plest, nepurkaunt il sunt les plus durs veysins que prelaz e persones puissent avoyr. Kar la ou il mettent le pie, il destruent viles, tolent dimes et forcloent par lur privileges tut le poer de prelacyun […]). Registrum Epistolarum Fratris Johannis Peckham, ed. Charles Trice Martin, Bd. 2 (= Rerum Britannicarum Medii Aevi Scriptores, 77,2), London 1884, S. 726, Nr. 554. 391 Vgl. Berman, Agriculture, S. 32 f., 67 und passim; Gilbert Larguier, Autour de Pierre de Jean Olivi. Narbonne et le narbonnais, fin XIIIe, début XIVe siècle, in: Boureau/Piron (Hrsgg), Pierre de Jean Olivi, S. 265–276, hier: S. 270 f.; Schmucki, Selbstbesitz, S. 33. 392 De iure blieben Individuum und Gemeinschaft, wie oben, Kap. II,3, anhand der bedeutendsten päpstlichen Dekretalen gezeigt, zwar besitzlos, „aber die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Brüder näherten sich in den Städten den Standarts [sic!] der bürgerlichen Mittelschicht […]“. Schlageter, Art. „Franziskaner“, S. 392.

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Disparität zu erklären sei. Er fragt, „ob der Gebrauch jener Erlöse, insofern sie in Geldern bestanden, die durch die verkauften Güter eingenommen wurden, hier den Aposteln anvertraut und dann von diesen verwaltet und an alle Jünger verteilt wurde, oder ob nur die notwendigen Güter, die aus jenen Erlösen gekauft wurden, deren Verwaltung und dem üblichen Verzehr der anderen übertragen wurden.“393 Schon in der Fragestellung achtet er weiterhin darauf, in Bezug auf die Apostel keinerlei Begriffe der semantischen Felder ‚Eigentum‘ und ‚Eigentumsrecht‘ zu verwenden. So scheut er, wie im zitierten Beispiel, auch nicht vor umständlichen Formulierungen zurück, um den Terminus des usus stets im Brennpunkt zu halten. Die implizite Aussage der Frage dient indes der Unterstützung des in den vorangegangenen Abschnitten entworfenen Modells der apostolischen auctoritas: Objekt der Verteilungsgewalt war letztlich nicht das Gemeindevermögen selbst, sondern allein der Gebrauch des Vermögens. Bestand nun aber dieses Vermögen, dessen Nutzung die Apostel qua Führungsauftrag verwalteten, aus barem Geld oder aus den angekauften, täglich erforderlichen Temporalien? Olivi räumt zunächst ein, dass der Wortlaut der Apostelgeschichte eigentlich deutlich für die erste Möglichkeit, die Abgabe des Bargeldes an und dessen Distribution durch die Apostel, spreche.394 Im Anschluss diskutiert er in extenso eine Reihe von Gegenargumenten, wobei er in weit größerem Umfang als bislang in der Exegese der Sammelberichte auf Väterzitate baut. Abgesehen von Fällen „unvermeidlicher oder gefährlicher Notwendigkeit“ sei es – dies belegten sowohl die Evangelien wie auch die Väter – den Aposteln nicht erlaubt gewesen, Geld zu gebrauchen.395 Hier orientiert sich der Autor offenbar an Bonaventura, der im Rahmen seiner Diskussion der loculi-Frage in der Apologia pauperum den Umgang mit Geld solum quando apertae necessitatis urget articulus für die Apostel gerechtfertigt hatte.396 Dem hierin ausgesprochenen Kompromiss soll zum Schluss noch entscheidende Bedeutung für Olivis Lösung der Geld-oderGüter-Frage zukommen. Auf dem Weg dorthin folgt er wiederum der bekannten Argumentationsrangfolge, indem er zuerst weitere Schriftstellen, dann die theologische Prominenz früherer Jahrhunderte abruft. So hält er der These, dass es den Aposteln zwar nicht erlaubt gewesen sei, für sich selbst über Geld zu verfügen, wohl aber für ihre Untergebenen und andere 393 […] an usus illorum pretiorum, prout erant pecuniae de rebus venditis habitae, committatur hic apostolis ac deinde per eos dispensaretur et divideretur omnibus discipulis, aut solum res necessariae ex illis pretiis emptae eorum dispensationi et aliorum usuali sumptioni traderetur. LSAA, S. 128. In zwei Punkten folgt die Übersetzung hier ausnahmsweise nicht dem Haupttext der Edition Floods, sondern hält sich an kollationierte Lesarten: 1. committatur] committeretur (nach Padua, Biblioteca Universitaria, Cod. 1510) – das Präsens hat keinen abweichenden Aussagewert, ist aber sprachlich unangebracht; 2. traderetur] traderentur (nach Leipzig, Universitätsbibliothek, Cod. 162) – zu res necessariae. 394 Quod autem ipse usus pecuniae primo modo committeretur eis et dispensaretur ab eis textus hic aperte sonare videtur. LSAA, S. 128. 395 In contrarium autem est quia non solum ex textu evangeliorum sed etiam ex quam plurimis sanctorum dictis expresse habetur quod apostolis non licebat usum pecuniae habere extra casum inevitabilis aut periculosae necessitatis. Ebd. 396 Apologia pauperum VII,39, S. 285.

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Bedürftige,397 das Wort Christi aus Mt 10,9 entgegen: „Ihr sollt nicht Gold noch Silber noch Erz in euren Gürteln haben“. Daraus, so erklärt er, sei klar ersichtlich, dass „die evangelische Armut diesen, insofern sie Apostel bzw. Prälaten waren, nicht weniger auferlegt wurde, als insofern sie einzelne Personen waren.“398 Wenn aber, was damit als bewiesen gelten könne, der Herr den Verkündern des Glaubens die Bereithaltung von Geld uneingeschränkt untersagt habe, so könnten diese sich in der Urgemeinde zu Jerusalem darüber auch nicht ohne Weiteres hinweggesetzt haben. Zudem hätten doch alle Gläubigen, worüber er selbst in seinem Kommentar zu Apg 2,42–47 weitschweifig den Beweis führt, in derselben Weise wie die Apostel die evangelische Armut gelobt, sich mithin ebenfalls an das Geldverbot Jesu gehalten. Daher hätte es für die Apostel gar keinen Sinn gehabt, Barmittel zur Verfügung zu halten, da sie diese weder für sich selbst aufwenden noch an ihre Untergebenen verteilen gekonnt hätten.399 Die folgende Sammlung affirmativer Zitationen und Allegationen eröffnet Olivi mit einer Stelle aus Arators († um 550) Historia Apostolica.400 Das Werk des 397 Von wem er diese Auffassung vertreten sieht, ist nicht klar zu bestimmen. Nahe kommt ihr beispielsweise eine Äußerung des Basilius in einem Brief an seinen Freund Amphilochius († um 395), einen späteren Bischof von Ikonium. Sie steht in enger Verbindung mit Basilius’ Wirken als ‚Ökonom‘ und Retter der Stadt Caesaria aus einer Hungersnot anno 368. Basilius sah die Armenfürsorge als mit dem Bischofsamt einhergehende Pflicht an und begründete dies u. a. mit dem Handeln der Apostel in Apg 4,35: Rursus his addebat [sc., Basilius], non oportere, ut quis sibi ipse rerum suarum distributionem committat, sed ei, cui hoc munus creditum est, ut res pauperum dispenset. Atque id ipsum ex Actis confirmabat, quippe quia vendita bona sua afferentes, ante apostolorum pedes ponebat, et ab eis unicuique, prout cuilibet opus erat, distribuebatur. Dicebat enim experientia opus esse, ut is qui vere pauper est ab eo, qui ex avaritia mendicat, secernatur. Et quidem quisquis calamitosa dat, dedit Domino, et ab eo mercedem accipiet: qui vero errabundo omni tribuit, projicit cani, molesto quidem ob impudentiam, sed non miserando ob indigentiam. Migne, PG 32, Sp. 606. Selbst bewerkstelligte er diese Aufgabe, indem er Almosen von den Reichen erbat, die er treuhänderisch verwaltete und unter die Notleidenden verteilte, während er sich persönlich der höchsten Armut verschrieb. Vgl. zum historischen Kontext: Meyer, Soziales Handeln, S. 114–122. Die Mönchsregel des Basilius hingegen charakterisiert die unbedingte Lossagung von irdischen Gütern in einem Akt der Gleichgültigkeit gegenüber dem Leben als essentiell. S. Die „Großen Regeln“ des heiligen Basilius unter Einbeziehung ausgewählter „Kleiner Regeln“, ed. Hans Urs von Balthasar (Hrsg.), Die großen Ordensregeln (= Lectio Spiritualis, 12), Einsiedeln 71994, S. 60–133, hier: S. 62–64. 398 Si dicatur quod non licebat eis pro se, licebat tamen pro subditis vel aliis indigentibus, contra hoc est, quia quando Christus praecepit eis (Mt. 10, 9): Nolite possidere aurum etc. […]. Ergo paupertas evangelica non minus imponebatur eis prout erant apostoli seu praelati quam prout erant singulares personae. LSAA, S. 128. 399 Praeterea si omnes discipuli de quibus hic agitur profitebantur omnino eandem evangelicam paupertatem quam professi erant apostoli, tunc non licebat eis dividere pecuniam, sed solum res necessarias ex pecunia emptas. Ergo nec pro eis licebat apostolis usum pecuniarum habere. Ebd. – Karris/Flood, Peter Olivi, S. 269, übersetzen die beiden letzten Sätze falsch. 400 Aratoris Subdiaconi Historia Apostolica, ed. Arpád Peter Orbán, 2 Bde (= CCSL, 130/130 A), Turnhout 2006. – Das Werk ist auch bekannt unter dem Titel De Actibus Apostolorum, vgl. aber Orbán, a. a. O., S. 3, Anm. 19. – Zum wenigen Gesicherten über Arators Biographie sowie zum Werk eine Einführung ebd., S. 1–17, sowie grundlegend: Johannes Schwind, Arator-Studien (= Hypomnemata, 94), Göttingen 1990; Richard Hillier, Arator on the Acts of the Apostles. A

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römischen Subdiakons, eine epische Nachdichtung der Apostelgeschichte in 2336 Hexametern mit exegetischem Anspruch, scheint dem Franziskaner offenbar nur in durch Beda vermittelten Auszügen bekannt gewesen zu sein.401 In seine beiden Kommentarschriften, die Expositio und die Retractio, flocht der Angelsachse eine Reihe von Zitaten aus jener frühesten bekannten Auslegung des zweiten Lukaswerkes in lateinischer Sprache ein.402 Einige davon wiederum übernahm Olivi in seine Lectura.403 Bei der ersten dieser Gelegenheiten, nämlich der hier zur Debatte stehenden Erklärung zum zweiten Summarium, nennt er selbst Beda als seine Quelle. Ferner sagt Beda über jenes Wort (4,37): Und brachte das Geld, nämlich Barnabas, und legte es zu der Apostel Füßen, in seinem Kommentar: „Über dies spricht Arator folgendermaßen: Diejenigen, die [das Weltliche] zurückgelassen haben, müssen beweisen, dass sie es vermeiden, Gold zu berühren; und sie lehren, dass auf ihm, das sie unter die Füße legen, herumgetrampelt werden muss; von ihm kommen irdische Sorgen ins Gemüt und es wird gleich Dreck niedergeworfen.“ […] Wenn also gemäß dem Zeugnis Arators die Apostel in dieser Weise vermieden, die geldlichen Erlöse zu berühren, und lehrten, dass sie mit den Füßen zertrampelt werden müssen, vermieden sie also völlig den Gebrauch derselben, weil sie in Geld bestanden.404

Die kuriose Deutung des Vor-die-Füße-Legens als symbolischer Akt des Zertrampelns geht zurück auf Hieronymus, der sie in einem paränetischen Schreiben an eine römische Adlige, die virgo Demetrias, vertritt.405 Auch die entsprechenden

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Baptismal Commentary (Oxford Early Christian Studies), Oxford 1993. Weiterführend: Johannes Schwind, Sprachliche und exegetische Beobachtungen zu Arator, in: Akademie der Wissenschaften Mainz. Abhandlungen der Geistes- und Sozialwissenschaftlichen Klasse 5, Mainz 1995, S. 3–130; Roger P. H. Green, Latin epics of the New Testament: Juvencus, Sedulius, Arator, Oxford 2006; Armin Schlechter, Die althochdeutschen Aratorglossen der Handschrift Rom, Bibliotheca Apostolica Vaticana, Pal. Lat. 1716 und verwandte Glossierungen (= Studien zum Althochdeutschen, 20), Göttingen 1993; Tino Licht, Aratoris fortuna, in: Andrea Jördens u. a. (Hrsgg.), Quaerite faciem eius semper. Studien zu den geistesgeschichtlichen Beziehungen zwischen Antike und Christentum. Dankesgabe für Albrecht Dihle (= Studien zur Kirchengeschichte, 8), Hamburg 2008, S. 163–179. Dies passt zu dem Befund, dass der im Hochmittelalter sehr beliebte und als Schulautor weitverbreitete Arator im 13. Jahrhundert allmählich an Geltung einbüßte. Vgl. Orbán, Aratoris, S. 17; zur außerordentlich reichen Handschriftenüberlieferung ebd., S. 24–106. Insgesamt sind elf direkte Zitierungen zu zählen. Das Epos scheint aber auch weit darüber hinaus eine enorm wichtige Quelle für Bedas Texte gewesen zu sein. Hillier, Arator, S. VII, spitzt es folgendermaßen zu: „Bede’s commentary is influenced on practically every page by Arator’s mystical interpretations.“ Vgl. LSAA, S. 128, 211, 358. Item, super illo verbo (4, 37): Et attulit pretium, scilicet Barnabas, et posuit ante pedes apostolorum, dicit Beda in commentario suo: „De hoc sic ait Arator: Destitui debere probant quod tangere vitant; calcandumque docent quod subdunt gressibus aurum; de quo terrenae veniunt ad pectora curae consimili iactatur humo.“ […] Si ergo teste Aratore apostoli huiusmodi pretia pecuniaria tangere vitabant et pedibus calcanda esse docebant, ergo usum ipsorum sub ratione pecuniae totaliter evitabant. Ebd., S. 128. Vgl. Arator, Historia Apostolica, ed. Orbán, Bd. 1, S. 254, VV 407–410; zit. in Beda, Expositio, ed. Laistner, S. 28. Hieronymus, Ep. 130, ed. Isidorus Hilberg, Sancti Eusebii Hieronymi Epistulae, Bd. 3: Ep. CXXI–CLIV (= CSEL, 56/3), Wien/Leipzig 1918, S. 175–201. – Zu Demetrias s. Georg Jenal, Frühe Formen der weiblichen vita religiosa im lateinischen Westen (4. und Anfang 5. Jahrhundert), in: Gert Melville / Anne Müller (Hrsgg.), Female vita religiosa between Late Antiquity

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Passagen aus diesem Text kennt Olivi und führt sie im Anschluss an Arator bekräftigend an.406 Darauf folgen ein weiteres Hieronymus-Zitat, dieses Mal aus dessen Apologia contra Rufinum,407 sowie eine längere Paraphrase aus den Collationes des Johannes Cassianus.408 Während sich Arator und Hieronymus im Brief an Demetrias noch konkret auf die Verhältnisse in der Urgemeinde beziehen und somit jedenfalls innerexegetisch gute Argumente abgeben, stehen die beiden letzteren Exzerpte in keinem direkten Zusammenhang mit den lukanischen Gemeindeberichten. Dies weiß freilich auch Olivi, der aber räsoniert, dass die Urchristen, wenn es laut Hieronymus und Cassianus sogar die frühen Mönche so gehalten hätten, selbstverständlich umso mehr den Umgang mit Geld vermieden haben müssten. Mag eine solche Argumentationsweise aus moderner Perspektive einigermaßen abstrus wirken, so hat sie im scholastischen Denken durchaus ein stabiles Fundament. Nicht nur der prinzipielle Primat des Alten über das Neue, auch die Vorstellung einer Harmonie der Glaubensinhalte seit den Aposteln, verbunden mit dem den Vätern beigemessenen Wahrheitsanspruch, ließ deren Leben und Werke als Schlüssel zum rechten Verständnis der Bibel erscheinen.409 Dies galt selbstredend auch für moralische Lehren, weshalb der Acta-Exeget patristische Äußerungen über Verhaltensnormen folgerichtig auf die Heilige Schrift rückprojizieren konnte.410

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and the High Middle Ages. Structures, developments and spatial contexts (= Vita Regularis, Abhandlungen 47), Münster u. a. 2011, S. 43–77, hier: S. 46–49. Item, Hieronymus in epistola ad Demetriadem, praemisso quomodo secundum consilium Christi dicentis: Si vis perfectus esse vende, non partem bonorum tuorum sed omnia, et da pauperibus, non divitibus, non propinquis, non ad luxuriam sed ad necessitatem, subdit: „In Actibus Apostolorum quando Domini nostri adhuc calebat cruor et fervebat recens in credentibus fides, vendebant omnes possessiones suas et pretia eorum ad apostolorum deferebant pedes ut ostenderent pecunias esse calcandas.“ LSAA, S. 129. – Vgl. Hieronymus, Ep. 130, ed. Hilberg, S. 193 f.; auch zitiert in Bonaventura, Apologia pauperum VII,4, S. 273. Item, Hieronymus, libro primo Contra Rufinum, in fine, loquens de se ipsos, dicit: „Pecunias non habemus nec habere volumus. Habentes victum et vestitum his contenti sumus.“ Si ergo Hieronymus in suo coenobio hoc servavit, videtur quod communitas huius primitivi collegii hoc multo magis servaverit. LSAA, S. 129. – Vgl. Hieronymi Presbyteri Opera, Pars III.: Opera Polemica I: Contra Rufinum, ed. Pierre Lardet (= CCSL, 79), Turnhout 1982, S. 33. Item, Cassianus XXIV Collatione capitulo vicesimo tertio, referens collationem cuiusdam sancti anachoretae dicit: „Quo familiaris rei cruciabatur damno qui perfecta nuditate gloriosus voluntarie pro Christo universas mundi huius respuit facultates omnesque eius concupiscentias generaliter arbitratur ut stercora ut Christum lucri faciat [vgl. Phil 3,8].“ „Super cuius etiam rei privatione tristabitur qui omnia quae ab aliis auferri possunt sua non esse cognoscit, illud invicta virtute proclamans: Nihil intulimus in hunc mundum, haud dubium quia nec aufferre quid possumus [vgl. 1 Tim 6,7]. Cuius autem inopiae necessitate eius superabitur fortitudo qui peram in via, aes in zona [vgl. Mt 10,9–10], vestem in tempora habere non novit, sed cum Apostolo gloriatur in ieiuniis multis, in frigore et nuditate [vgl. 2 Cor 11,27].“ LSAA, S. 129. – Karris/Flood, Peter Olivi, S. 270, Anm. 27, kommentieren: „This expression (vestem in tempora) occurs neither in the missionary passages in the Gospels nor in Cassian.“ S. aber wortwörtlich in Joannis Cassiani Abbatis Massiliensis, Collationum XXIV Collectio in Tres Partes Divisa (= Migne, PL 49), Sp. 1316. Vgl. generell Ekkehard Mühlenberg, Art. „Patristik“, in: TRE 26 (1996), S. 97–106, bes. S. 98 f. Zwar zählt Cassianus im engsten Sinne nicht zu den Kirchenvätern, als Mönchsvater misst ihm das Mittelalter aber insbesondere im Kontext der vita religiosa vergleichbares Prestige bei.

Die Güterverteilung

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Will Olivi anhand all dieser Beispiele zweifelsohne zeigen, dass Apg 4,35 mit der partiellen Wiederholung in Apg 4,37b (et adtulit pretium et posuit ante pedes apostolorum) nicht so eindeutig Finanztransaktionen der Apostel substanziiere, wie ein erster Eindruck glauben machen könnte, so überrascht er hernach mit der Feststellung, dass „hier unter ‚Erlöse‘ sowohl Geld als auch die mit diesem erworbenen notwendigen Güter verstanden werden.“ Es sei nämlich damals häufig unabdingbar gewesen, für eine gewisse Zeit Gelder zu verwalten, bis sie in Güter umgesetzt werden konnten.411 Gezielt operiert der Autor dabei mit dem Ausdruck grandis et manifesta necessitas, wodurch er eine interpretatorische Verknüpfung zu den Einschränkungen des Geldverbotes herstellt, die er selbst einige Absätze zuvor (casum inevitabilis aut periculosae necessitatis), wohl in Anlehnung an Bonaventura (solum quando apertae necessitatis urget articulus), zugestanden hatte.412 Dass die pretia, die nach Bedarf verteilt wurden, indes auch nicht allein in Bargeld bestanden hätten, bezeugt er mittels Verweisen auf diverse Verse der Heiligen Schrift, in denen vom Brotbrechen und den gemeinsamen Mahlzeiten der Gläubigen die Rede ist.413 Am meisten überzeugt unter diesen Apg 6,2, wo die tägliche Handreichung durch die Apostel als ministrare mensis bezeichnet wird, was Olivi einleuchtend als Signal für die Verabfolgung von Speisen auffasst.414 Im Zuge seiner näheren Erklärung der Unvermeidbarkeit des einstweiligen Umgangs mit Geld zuzeiten des jerusalemischen Urchristentums spielt er die Verhältnisse der ersten Christen gegen diejenigen des Franziskanerordens im 13. Jahrhundert aus. Hätte es schon damals Gläubige gegeben, „die nicht Bekenner der apostolischen Armut gewesen wären, dann hätte das Geld durch diese gehandhabt werden können, das heißt gehütet und getauscht und weggetragen.“415 Unweigerlich und fraglos vom Verfasser gewollt, ruft diese Überlegung die franziskanische Einrichtung der procuratores bzw. nuntii in den Sinn, die in Ableitung von den amicos spirituales der Regula bullata die Geldgeschäfte der minderen Brüder regelten. Auf diese Weise, suggeriert Olivi, hätten es, wenn ihnen die Möglichkeit dazu gegeben gewesen wäre, auch die Mitglieder der Gemeinde in Jerusalem gehalten.416 411 LSAA, S. 129: Dicendum quod, quia tunc erat grandis et manifesta necessitas pecunias allatas plerumque ad horam pertractare usquequo essent in alias res necessarias commutatae, idcirco hic per pretia intelligitur tam pecunia quam res necessaria inde empta. 412 Necessitas als Rechtfertigungsgrund für Abweichungen von der Regelobservanz begegnet auch im zisterziensischen Schrifttum und zumal bei Bernhard von Clairvaux. Vgl. Klaus Schreiner, Puritas Regulae, Caritas und Necessitas. Leitbegriffe der Regelauslegung in der monastischen Theologie Bernhards von Clairvaux, in: ders. / Clemens Kasper (Bearbb.), Zisterziensische Spiritualität. Theologische Grundlagen, funktionale Voraussetzungen und bildhafte Ausprägungen im Mittelalter (= Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige, 34. Ergänzungsband), St. Ottilien 1994, S. 75–100. 413 Apg 2,42.45–46, Apg 6,1 f. 414 Vgl. LSAA, S. 129 f. 415 Si enim tunc essent aliqui credentes qui non essent paupertatis apostolicae professores, tunc per eos possent huiusmodi pecuniae pertractari, id est servari et commutari et deportari. LSAA, S. 130. 416 In diesem Zusammenhang muss betont werden, dass Olivi, anders als vielleicht zu erwarten, keineswegs apodiktisch gegen die franziskanische Institution der procuratores war. Er sprach sich lediglich für klare Regelungen und Restriktionen für das Verhältnis zwischen ihnen und

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Allein, unter ihnen – so seine eigene Doktrin – war niemand, der nicht die altissima paupertas gelobt hätte. Ebenso wenig hätten sie diese Aufgaben an die Ungläubigen in ihrem weiteren Umfeld delegieren können, da diese den Christen gegenüber nicht wohlgesinnt gewesen seien und überdies ein solch enger Verkehr mit den Juden möglicherweise für den Glauben der einfachen Leute gefährlich gewesen wäre. „Deshalb“, betont er noch einmal, „ist es nicht erstaunlich, wenn damals große Notwendigkeit bestand, Geld zu handhaben.“417 Damit ist zwar aus Olivis Perspektive die vermeintliche Reibung zwischen dem Gebot Christi und der Praxis der Apostel in der ersten Gemeinde erklärt und als Reaktion auf eine Zwangslage entschuldigt, nichtsdestoweniger erscheinen in diesem Lichte die evangelischen Räte durch den Orden des Franziskus umfassender eingelöst als in der frühen jerusalemischen Christenheit. Hierin offenbart sich erneut die joachimitische Grundlage der Olivi’schen Geschichtstheologie. So wie der zweite Status unter der Gnade den ersten unter dem Gesetz überragt, so wird der kommende dritte Status, der in Franziskus und seiner Bewegung präfiguriert ist, den zweiten übertreffen, indem er die gesamte Menschheit unter der ecclesia spiritualis vereinen wird.418 Bedingt durch den heilsgeschichtlichen Entwicklungsgang konnte demnach selbst die Zeit der intensivsten Geistwirkung in der apostolischen Zeit dem novus ordo nicht gänzlich gleichkommen.419 Dass eine solche Hypothese kontrovers aufgenommen werden konnte, musste auch dem franziskanischen Lehrer bewusst sein. So bemüht er sich im Folgenden, den Geldgebrauch der Apostel als möglichst geringfügig auszuzeichnen. Vermöge einiger Verse aus den Paulusbriefen und der Apostelgeschichte betont er zum einen die Armut der Urgemeinde,420 derentwegen ihr stets nur über sehr kurze Zeitspannen gewisse Summen zur Verfügung gestanden hätten, zum anderen erläutert er, dass die Apostel, dem Beispiel Jesu folgend, das Geld nicht für sich selbst, sondern für andere aufgewendet hätten – „oft nämlich ist, was an sich ein Zeichen von Fleischlichkeit [carnalitas] und Gier [cupiditas] wäre, auf andere gerichtet ein Zeichen von Frömmigkeit und vorsorgender Nächstenliebe […]“.421

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dem Orden aus. Vgl. Burr/Flood, Peter Olivi: On Poverty and Revenue, S. 22 f.; Burr, Olivi and Franciscan Poverty, S. 98–102. Tunc autem secundum alteram opinionem, supra, secundo capitulo recitatam, omnes credentes profitebantur apostolicam paupertatem. Si etiam aliqui de non credentibus essent eis sic fami­ liares et benevoli quod praesumeretur hoc pertractationis officium per eos posse fideliter et utiliter exerceri, tunc per tales commode factum esset. Quia ergo nec hoc, immo potius contrarium tunc reperiretur et forte huiusmodi comparticipatio cum infidelibus esset fidei simplicium periculosa, ideo non mirum si tunc fuit grandis necessitas pecuniam pertractandi. LSAA, S. 130. Vgl. Benz, Ecclesia Spiritualis, S. 9. Zum entsprechenden Denkmuster in Olivis Apokalypsenpostille vgl. ebd., S. 256–332; bes. zur Analogie von Urchristentum und Franziskanerorden bei deutlicher Überlegenheit des letzteren ebd., S. 293–297. 1 Cor 1,26; Apg 3,5; Gal 2,10, Röm 15,26; 2 Cor 8,14. Vgl. LSAA, S. 130 f. Saepe enim quod in se esset carnalitas et cupiditas est ad alios pietatis et providae caritatis […]. LSAA, S. 131.

Jurisdiktion der Prälaten – Exegese und Zeitkritik

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8. JURISDIKTION DER PRÄLATEN – EXEGESE UND ZEITKRITIK Die bisherigen Beobachtungen über die Relation zwischen Aposteln und Kirchenvermögen führen ungezwungen hin zur dritten und letzten diesbezüglichen Frage. Olivi möchte untersuchen, „ob es den Aposteln, insofern sie Bischöfe und Prälaten waren, zustand, irgendein Recht oder eine Jurisdiktion über Temporalien zu haben, obwohl es ihnen, insofern sie Individuen und regulierte Personen [personae singulares et regulares] waren, nicht zustand.“422 Er greift damit im exegetischen Text unterschwellig, aber für ein kundiges Publikum kaum verschleiert, einen der Streitpunkte der usus pauper-Kontroverse auf und betritt so wesentlich offenkundiger als anderswo in der LSAA mit beiden Beinen die Bühne zeitgenössischer Kontroversstücke. Im Urteil der Pariser Theologenkommission von 1283 wird als Punkt 13 der Anklageliste Olivis Ansicht verdammt, dass „diejenigen von evangelischem Status, die einen bischöflichen Vorsitz annehmen, mehr an den armen Gebrauch der Güter gebunden sind als vorher und dass es für sie keinen Grund zur Dispens von diesem geben könne“.423 Diese Überzeugung hatte der Angeklagte in der QPE 9 im Rahmen einer seiner üblichen Pro-und-Kontra-Erörterungen entwickelt.424 Als zu erwägende Argumente für die Möglichkeit einer Befreiung franziskanischer Bischöfe vom usus pauper nennt er darin im Wesentlichen vier Punkte. Dies sind, erstens, die Tatsache, dass es in der Vergangenheit wie heute von der Kirche so gehalten, nämlich die Verwaltung der Kirchengüter vernünftigerweise den Bischöfen und Prälaten überantwortet würde, zweitens die Rechtmäßigkeit des Austausches eines niedrigeren gegen einen höheren Status, wobei der bischöfliche in Einklang mit Ps.-Dionysius selbstverständlich als ein höherer Stand als der religiose zu erachten sei, drittens die Meinung, dass das Gehorsamsgelübde nicht geringer sei als das Armutsgelübde. Von ersterem aber sei ein Bischof befreit, daher müsse dies auch für letzteres gelten können. An vierter Stelle schließlich stehen die Erfordernisse des Amtes. Zum einen sei es schlichtweg praktischer, wenn der Bischof das Gebiet seiner Diözese beschuht und per Pferd durchqueren könne, zum anderen sei es um der Wahrung der Amtsautorität wegen wichtig, dass er sich in Ausstattung und Habitus vom einfachen Volk abhebe.425 422 Tertio quaeritur an apostolis in quantum Ecclesiae episcopis et praelatis competeret aliquod ius seu iurisdictio temporalium, quamvis non competeret eis secundum quod erant quaedam personae singulares et regulares. Ebd. 423 Item quod assumpti ad prelationem episcopalem, de statu evangelico amplius tenentur ad usum pauperem rerum quam ante, et quod nulla possit esse ratio dispensationis in eis circa hoc […]. Littera septem sigillorum, ed. Fussenegger, S. 52. – Die entsprechende Bemerkung Olivis findet sich in QPE 9, S. 63: […] dicendum quod indubitanter est tenendum eos ad usus pauperis observantiam teneri, etiam aliquo modo amplius quam antea tenerentur. 424 QPE 9, S. 11 f., 63–71. Die besagte Quästio lautet […] an episcopi seu prelati qui ad perfectionem evangelicam et apostolicam sunt ex voto et professione astricti teneantur ad pauperum usum. (ebd., S. 11). Dazu wie zum Folgenden sehr instruktiv: Burr, Olivi and Franciscan Poverty, S. 93–96. 425 […] hodie usus rerum ecclesiasticarum quarum dispensatio spectat proprie ad episcopos et prelatos sit habundantissimus, tunc nullus professor evangelicus posset hodie salvari in statu

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Im Einzelnen hält Olivi Folgendes entgegen: (1.) Dem Exempel der Kirchenmänner früherer Zeiten zu folgen, sei zwar gut, umso mehr aber müsse dem Vorbild Jesu und der Apostel nachgeeifert werden. Im Übrigen gäbe es auch unter den Heiligen genügend Beispiele für ein Leben nach dem Vorsatz des usus pauper, so etwa Benedikt von Nursia.426 (2.) Des Weiteren sei der episkopale Status in der Tat ein höherer als der einfache religiose. Während ein Mönch allein seine eigene Vollkommenheit zu verfolgen habe, müsse der Bischof auch auf die Vervollkommnung anderer hinwirken. Dies sei aber nur deshalb möglich, weil der Stand des Episkopats denjenigen des Religiosentums – und mit ihm die entsprechenden Tugenden – in sich einschlösse.427 Hier kommt also, notabene, exakt dasselbe Argumentationsmuster zur Anwendung, mit dem der Verfasser im Acta-Kommentar für die Inklusion der Apostel in die Menge der Gläubigen plädiert. (3) Was im Übrigen die evangelischen Räte betreffe, so sei das Gelübde der Armut nicht weniger stark im Evangelium verwurzelt als das der Keuschheit. Eine Übertretung des letzteren aber sei im Bischofsamt unter keinen Umständen zu dulden. Ergo könne dasselbe für die Armut angenommen werden.428 (4.) Einen Nachteil für die Amtsausübung schließlich stelle die Bindung an den armen Gebrauch keineswegs dar. Vielmehr würde die Zurschaustellung von episcopali nisi omnino pretermitteret dispensationem rerum ecclesiasticarum. […] Item votum minus potest in melius commutari et status imperfectior in statum perfectiorum. Sed status episcopalis est perfectior statu cuiuscumque religionis […]. Ergo quamquam religio evangelica astringeret ad pauperem usum posset commutari licite in perfectionem status episcopalis. […] Episcoporum enim est perficere alios, aliorum vero est perfici. Unde a Dionysio Libro de ecclesiastica ierarchia, episcopi dicuntur non solum perfecti sed etiam perfectores, religiosi vero tantummodo perfecti non autem perfectores. […] Sed si episcopi de evangelica professione assumpti non viverent quantum ad exteriorem usum rerum sicut et ceteri disconvenirent a suo toto a generaretur ex hoc turpis deformitas in ecclesia Dei. Et posset hoc esse occasio multiplicis scandali. Ergo videtur quod melius sit eos eques incedere et calciatos et bene vestitos et rerum aliarum habundantia uti quamdiu alii sic vivunt quam si per modum pauperum et inopum incederent et viverent. QPE 9, S. 11 f. – Die angeführten Stellen aus Ps.-Dionysius, De hierarchia ecclesiastica 6, ed. Migne, PG 3, Sp. 531–534. 426 […] nam si exempla sanctorum sunt sequenda, precipue tamen exempla Christi et apostolorum […]. […] quamvis multi anachoritarum et multi circa tempora beati Benedicti in paupere usu quam plurimum habundarent, sicut de ipso beato Benedicto in libro Dialogorum [sc., dem zweiten Buch der Dialoge Gregors des Großen] apparet. QPE 9, S. 66. 427 Prima est perfectio episcopalis seu prelationis. Secunda est perfectio personalis seu religionis, et quasi in idem redit, quod quedam est perfectio proprium subiectum perficiens et regens, et est perfectio in alios influens et redundans. […] Quod igitur dicitur quod status imperfectior potest in statum perfectiorem commutari, intelligendum est hoc quando non possunt se simul compati, ut sunt matrimonium et virginitas vel paupertas et proprietas, aut quando sunt talia quod unum sine altero potest esse etiam in sua perfectione, sicut potest status religionis sine istis votis minutis que a multis solent fieri. Ebd., S. 68. 428 Preterea votum paupertatis non est minus sublime aut utile nec minus in evangelio et Christi vita expressum, nec sub minore districtione precepti quam votum castitatis, sed in hoc status episcopalis despensationem non solum non exigit immo nullatenus sustinet, sed potius ad eius observantiam districtiorem astringit. Ergo eadem ratione hoc ipsum erit respectu voti paupertatis […]. Ebd., S. 64.

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weltlicher, in Sonderheit ökonomischer Überlegenheit bei den Untergebenen Furcht evozieren. Liebe für die Tugenden und die Person des Bischofs aber könne nur ein vorbildlicher Lebenswandel hervorrufen.429 Summa summarum vertritt Olivi folglich den Standpunkt, dass ein Minderbruder im Amt eines Prälaten an sein Armutsgelöbnis gebunden bleibe und dadurch keine Defizite zu befürchten habe. Darin konnte er sich auch vom franziskanischen Erzbischof Johannes Peckham bekräftigt fühlen, der in seinem Tractatus pauperis und anderswo die Meinung vertreten hatte, dass sein Amt ihn nicht von den praecepta Christi entbinde, und dafür bekannt war, auch im Stand des Prälaten weiterhin eine äußerst strenge mendikantische Lebensweise zu pflegen.430 Auf die Zensur von 1283 reagierte der Verurteilte mit zwei Verteidigungsschriften,431 in denen er zunächst erklärte, nicht genau zu verstehen, was die Kommission an seiner Position bezüglich der Gültigkeit des usus pauper für franziskanische Bischöfe anstößig finde, sodann aber einige nähere Erläuterungen zu der Thematik abgab. Er betonte, dass er nicht behaupten wolle, die Bischöfe seien auch in solchen Lebensbereichen stärker als zuvor an den armen Gebrauch gebunden, in denen dieser eine Behinderung ihrer Amtsausübung darstellen könnte. Ohnehin sei die verstärkte Bindung nicht simpliciter zu verstehen, sondern secundum quid, also stets den Umständen gemäß.432 Nachdem er 1287 rehabilitiert und zunächst als Lehrer an den Florentiner Konvent Santa Croce, später nach Montpellier und Narbonne geschickt worden war, waren ihm die bibelkundlichen Lektüren gewiss 429 […] quod quedam est reverentia ex estimatione sanctitatis concepta, quedam autem es estimatione magnificentie temporalis. Prima fortius concipitur ex esteriori et exemplari prelatorum perfectione, secunda autem ex temporali gloria et honore. Prima de se sanctior est et divinior quam secunda et potius inflammat ad amorem bene operandi et etiam ad amorem prelatorum. Secunda autem inducit timorem male agendi et ipsorum prelatorum, licet non ita divinum et purum sicut prima. Ebd., S. 65. 430 Der Tractatus pauperis contra insipientem (auch Tractatus de paupertate, Tractatus de perfectione evangelica u. Ä.) entstand um 1270 als Antwort auf Anfeindungen vonseiten weltlicher Magister, insbesondere des Gerhard von Abbeville († 1272), und fußt argumentativ unter anderem auf Bonaventuras Apologia pauperum. – Zu Peckhams strengem Lebenswandel vgl. Douie, Archbishop Pecham, S. 434 f.; zu den finanziellen Schwierigkeiten, in den ihn jene Haltung brachte: Adam J. Davis, The Holy Bureaucrat. Eudes Rigaud and Religious Reform in Thirteenth-Century Normandy, Ithaca/London 2006, S. 147 f. – In QPE 9, S. 65, zitiert Olivi aus Kap. 14 des Tractatus pauperis. Das Zitat findet sich wieder unter den Stellen, die 1283 von der Pariser Theologenkommission inkriminiert wurden. Vgl. Burr, Olivi and Franciscan Poverty, S. 93. 431 Responsio I entstand 1283 unter schwierigen Umständen, da man dem Beklagten alle Kopien seiner eigenen Schriften entzogen hatte, sodass er allein aus dem Gedächtnis rekonstruieren konnte, was genau man ihm vorhielt. Die ausführlichere Responsio II schrieb er 1285, als er wieder Zugriff auf die relevanten Texte hatte. Letztere bildete die Grundlage seiner Rehabilitation durch das Generalkapitel 1287. Vgl. Burr, Olivi and Franciscan Poverty, S. 106 f. 432 Circa hanc sententiam concedo quod non tenentur ad usum pauperem plus quam ante in illis in quibus usus pauper impediret eorum officium debitum. Nec dixi eos teneri ad usum pauperem in omnem eventum sed sub certis conditionibus, nec li amplius apposui simpliciter sed secundum quid, ratione scilicet congruitatis status. Responsio I, ed. Laberge, S. 129. Wohl nicht als falsches Alibi zu verstehen, sondern entsprechend der schon früher konstatierten Flexibilität des usus pauper-Konzeptes.

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willkommene Gelegenheiten, problematisierte Punkte seiner Lehre zu rekapitulieren. Gleichsam unter einem exegetischen Deckmantel konnte er so, ohne erneute Repressalien befürchten zu müssen, auch die Frage nach den wirtschaftsrechtlichen Befugnissen der Bischöfe und Prälaten noch einmal neu diskutieren. Erwartungsgemäß nimmt die Verhandlung der Angelegenheit in der LSAA allerdings einen etwas anderen Verlauf als in der Quästio. Die Reihe der dort erwogenen Argumente für die Annahme, dass die Apostel als Prälaten und Bischöfe „ein Recht oder eine Jurisdiktion über Temporalien“ gehabt hätten, beginnt mit einem Verweis auf 1 Cor 9, wo Paulus erklärt, dass die Verkünder des Evangeliums nach dem Willen Gottes von ihren Untergebenen für ihre geistlichen Dienste in einer Weise entlohnt werden sollen, die ihren Lebensunterhalt garantiert.433 Dies aber, führt Olivi aus, umfasse „ein Recht der Entgegennahme derselben Güter und die zwingende Jurisdiktion, dieselben einzufordern.“ Des Weiteren entzöge man der Kirche ein großes Gut und füge ihr spirituellen Schaden zu, wenn man ihr das Recht der Verwaltung bestimmter Temporalien aberkennen wollte. Denn eingedenk der Existenz unvollkommener Menschen sowie mannigfacher Fälle der Notwendigkeit sei es vonnöten, dass sie zur adäquaten Erfüllung ihrer Aufgaben und zur Unterstützung der Armen solche Macht ausüben könne. „Aber grundsätzlich liegt diese und muss diese bei den höchsten Prälaten der Kirche liegen.“434 Mit diesen beiden Gesichtspunkten, „die nachweisen, dass die Apostel dieses Recht hatten“, erklärt sich der Exeget an späterer Stelle einverstanden, „weil sie nicht nachweisen, dass sie dasselbe in einer Weise hatten, die Aposteln nicht erlaubt ist.“435 Der Hinweis auf den modus concedens in Bezug auf das Argument der casus varii, in denen akute Notwendigkeiten eine ökonomische Autorität der Prälaten verlangten, entspricht der Erklärung in der zweiten Responsio von 1285, dass ein Bischof, wenn es die besonderen Umstände von Fall zu Fall notwendig machten, durchaus die erforderliche Gewalt ausüben könne, ohne dabei sein Gelübde zu brechen.436 In diesem Sinne streicht Olivi nun in der Acta-Auslegung heraus, dass 433 S. bes. 1 Cor 9,11.14: Si nos vobis spiritalia seminavimus magnum est si nos carnalia vestra metamus. […] Ita et Dominus ordinavit his qui evangelium adnuntiant de evangelio vivere. 434 Videtur enim quod sic, quia Apostolus I Ad Corinthios nono dicit se et suos coapostolos habere potestatem exigendi sumptus a subditis suis. Et probat quod merito debent eam habere. Sed haec potestas includit in se ius ipsorum sumptuum et coactivam iurisdictionem exigendi ipsos. Ergo etc. Item, tollere Ecclesiae gubernationem utilem et pro tempore necessariam est ei tollere magnum bonum et inferre spirituale damnum. Sed tam propter imperfectos quam propter casus varios necesse est Ecclesiam habere iurisdictionem et potestatem gubernatoriam aliquorum temporalium sine quibus ecclesiastica officia commode peragi nequeunt nec pauperes sustenari. Ergo oportet hanc in Ecclesia dari. Sed hoc principaliter residet et residere debet in summis Ecclesiae praelatis. Ergo etc. LSAA, S. 131 f. 435 Concedo igitur duas primas rationes quae probant apostolos hoc ius habuisse, quia illae non probant hoc nisi sub modo apostolos concedente. Ebd., S. 133. 436 Item, per observantiam voti de paupere usu, nunquam intendi excludere, quin in casu, in quo esset necesse vel utile multis et pretiosis uti, secure possent talibus uti, et praecipue ubi hoc esset necesse vel utile regimini animarum, quia in tali casu in nullo praeiudicatur per hoc voto pauperis usus, quia illud votum numquam potest intelligi sane fieri, nisi fiat absque praeiudicio omnis perfectionis, et necessitatis, et spiritualis utilitatis. Responsio II, ed. Laberge, Fr. Petri Ioannis (28,1935), S. 130–155, 374–407, hier: S. 390.

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„die Apostel, insofern sie Prälaten der Kirche waren, eine zwiefältige Gewalt über Temporalien hatten: zum einen nämlich, die Unkosten einzufordern, die für ihre Prälatur und ihr Amt notwendig waren; und zum anderen, die Dinge, die der Kirche dargebracht wurden, leutselig und vorteilhaft zu verwalten und zu verteilen“, wobei all dies stets unter strikter Beachtung „der gegebenen Erfordernis und des Maßstabes ihres Status und ihrer Zeit und ihrer Aufgaben sowie der Notwendigkeiten und spirituellen Vorteile der Kirche, die ihnen anvertraut wurde“, zu erfolgen habe.437 Daraufhin beschreibt er einen verschwenderischen Habitus, der für „Bekenner des vollkommenen Lebens und der Nachfolge Christi nicht zuträglich“ sei, nebst dessen verheerenden Auswirkungen für das Seelenheil der Untertanen.438 Seine Formulierungen referieren eine Passage aus QPE 9, die im Kontext einer Gegenüberstellung von Wunsch und Wirklichkeit episkopaler Lebensführung steht.439 Dort hatte er den Leser aufgefordert zu imaginieren, welche Auswirkungen es hätte, wenn „alle Bischöfe heute in solchem Maße nach den Räten Christi lebten wie die Apostel es taten und im höchsten Maße nach dessen Armut und demnach nach dem usus pauper […]“. Unter solchen Voraussetzungen würde das Kirchenvermögen für die Armen gebraucht und durch fideles et providas personas gesetzmäßig verwaltet werden, während die Bischöfe „selbst sich ganz dem Gebet und der Predigt und der spirituellen Führung der Seelen und dem Vorbild widmeten […]“. So könnten die Gläubigen und sogar die Ungläubigen „unvergleichlich viel besser und vollkommener zu Gott“ geführt werden als es jetzt der Fall ist.440 437 Dicendum quod apostoli in quantum Ecclesiae praelati habebant duplicem potestatem rerum temporalium: unum scilicet pro exigendis sumptibus eorum praelationi et officio necessariis; et aliam pro rebus oblatis Ecclesiae communiter et utiliter gubernandis et dispensandis. Sciendum tamen quod determinatio mensurae sumptuum necessariorum aut receptionis oblationum seu rerum Ecclesiae oblatarum et determinatio modi exegendi vel procurandi aut defendendi praedicta debebat ab eis fieri secundum debitam exigentiam et concedentiam sui status et temporis et negotiorum ac necessitatum et spiritualium utilitatum ecclesiae ipsius commissae. LSAA, S. 132 f. 438 Nam professori perfectae vitae et sequelae Christi non expediunt multa et pretiosa et nimium delicata, nec ire in equis et curribus et gloriosis apparatibus et magnificis sumptibus, immo potius sunt in suae regularis professionis et perfectionis exterminium et in scandalum animarum contradictoria in ipso cernentium. Exegire etiam cum modis gravibus et iracundis et litigiosis et spirituali saluti omnium subditorum vel maioris partis multo plus nocentibus quam conferentibus nullum praelatum decet, sed multo minus apostolum aut vitae apostolicae professorem. Et ideo plus tenentur elongari ab ipsis et maxime quia in eisdem et aequalibus longe plus scandalizarent populum quam ceteri qui professioni apostolicae non se astrinxerunt, immo licite seu licenter statui et vitae inserviunt laxiori. LSAA, S. 133. 439 Nunc autem quia non solum seculares episcopi sed etiam religiosi de evangelica regula assumpti volunt ire in equis et curribus, constipati multitudine sociorum et scutiferorum et famulorum bene ornatorum, et habere mensas splendidas diversis vasis et ferculis confertas, et per se dispensare temporalia sicut et ceteri, idcirco fere ita parum sicut et ceteri apparent divini et humiles aut mundi contemptores, quinimmo fere tot scandala malorum exemplorum transmittunt ad subditos sicut et ceteri ecclesiarum prelati, totumque hoc radicaliter provenire videtur ex opulento et fastuoso usu et ex amore ipsius. QPE 9, S. 65. 440 Preterea imaginemur quod omnes episcopi sic hodie quantum ad Christi consilia viverent sicut vivebant apostoli et maxime quantum ad paupertatem et quo ad eius pauperem usum, ut scilicet omnes redditus ecclesie pauperibus erogarent et per fideles et provides personas bona tempo-

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Ohne Umschweife wird so das Handeln der Apostel in Jerusalem, ihre angebliche freiwillige Verpflichtung auf die höchste Armut, die Abordnung der sieben Diakone, ihre spirituelle Leistung im Allgemeinen, demjenigen der Bischöfe des 13. Jahrhunderts weit übergeordnet. Dasselbe geschieht im exegetischen Text, wo das Muster noch auf Petrus und die späteren Päpste ausgeweitet wird. So findet sich unter den zu prüfenden Beweisgründen für eine umfassende ökonomische Gewalt der Apostel die Behauptung, dass „die Jurisdiktion, die jetzt der Papst über Präbenden und Zehnten und über alle Temporalien der Kirche hat, in seiner päpstlichen Gewalt eingeschlossen ist. Aber die selbe päpstliche Gewalt und keine geringere hatte Petrus […]“.441 In anderen Worten: Da die Vollmachten des Papstamtes direkt auf Petrus zurückgingen, könne ein späterer Inhaber desselben keine Rechte genießen, die nicht auch sein biblischer Vorgänger innehatte. Daher sei es möglich, die Reichweite der apostolischen Jurisdiktion im Urchristentum an den Privilegien des gegenwärtigen Papstes abzulesen. Olivi kontert, dass „Petrus jene päpstliche Gewalt, die direkt und unmittelbar aus Christus und dessen neuem Gesetz entsprang, ganz und gar vollkommen und gleich wie seine Nachfolger hatte. Aber es steht fest, dass Petrus jene Gewalten, die aus extrinsischen Gründen und Gelegenheiten hinzugefügt wurden, wie etwa, Herrschaft über Städte und Schlösser zu haben, die der Kirche von Königen und Fürsten oder auch Bürgern geschenkt wurden, nicht hatte […]“.442 Weltliche Macht sei mithin nicht Teil der ursprünglich allein geistlichen Herrschaft des obersten Hirten gewesen, sondern dieser erst im Laufe der Zeit, konkret wohl seit der sogenannten Konstantinischen Schenkung,443 beigelegt ralia facerent procurari et dispensari sicut iura volunt, et ipsi toti orationi et predicationi et spirituali animarum regimini et exemplo vacarent, nunquid incomparabiliter amplius et perfectius fideles in deum reducerent et etiam infideles? Ebd., S. 64. 441 […] iurisdictio quam nunc habet papa super praebendas et decimas et super omnia temporalia Ecclesiae includitur in sua potestate papali. Sed eandem potestatem papalem et non minorem habuit Petrus […]. LSAA, S. 132. 442 […] quod illam potestatem papalem quae directe et immediate manavit a Christo et eius nova lege habuit Petrus omnino plenam et aequalem cum sucessoribus suis. Potestates vero illi ex causis vel occasionibus extrinsecis superadditas ut est habere dominium urbium et castrorum per reges et principes aut plebeios Ecclesiae donatorum constat Petrum non habuisse […]. Ebd., S. 133. 443 Das Constitutum Constantini als Ursprung der Universalgewalt des römischen Pontifex behandelt Olivi in seinen Quodlibeta (I q. 18: quaeritur an papa habeat universalissimam potestatem; ed. Stephanus Defraia, Petri Iohannis Olivi Quodlibeta Quinque (= Collectio Oliviana, 8), Grottaferrata 2002, S. 64–75), wo er betont, „daß der Papst vorher, und das heißt auf Grund der Bevollmächtigung durch Christus, keine weltpolitische Macht besessen habe.“ Ludwig Hödl, „Lex et Sacramentum“ im scholastischen Verständnis des Weihesakramentes unter besonderer Berücksichtigung der Zeit Bonifaz’ VIII. (1294–1303), in: Paul Wilpert (Hrsg.), Lex et Sacramentum im Mittelalter (= Miscellanea Mediaevalia, 6), Berlin 1969, S. 1–18, hier: S. 17. Zur Forschungsdiskussion über Olivis Haltung zur päpstlichen Macht, gekoppelt an das Dogma der Unfehlbarkeit, vgl. auch dens., Die Lehre des Petrus Johannis Olivi O. F. M. von der Universalgewalt des Papstes. Eine dogmengeschichtliche Abhandlung auf Grund von edierten und unedierten Texten (= Mitteilungen des Grabmann-Instituts der Universität München, 1), München 1958; Brian Tierney, Origins of Papal Infallibility 1150–1350. A Study on the Concepts of Infallibility, Sovereignty and Tradition in the Middle Ages (= Studies in the History of Christian Thought, 6), Leiden 1972, S. 93–130. – In der geschichtstheologischen Niedergangsthese

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worden. Dass diese Entwicklung aber nicht per se in Bausch und Bogen zu verurteilen sei, weist der Minorit anhand des bereits angesprochenen achtgliedrigen heilsgeschichtlichen Regressionsmodells auf. Der planmäßige stufenweise Abfall der Kirche von der apostelgeschichtlichen Vollkommenheit war notwendig, um die Revitalisierung und Erhöhung im dritten Zeitalter vorzubereiten.444 Damit die Christenheit vom Heiland „aus den Niederungen zum Gipfel der Herrlichkeit und des glückseligen Lebens“ geführt werden kann, musste die Perfektion in ihm und seinen Gefährten veranschaulicht werden und anschließend degenerieren, um sich im Dekurs der Kirche „zur Zeit der Himmelfahrt, wenn die Heiligen glorreich wiederauferstehen werden“, zu erneuern.445 Auch in diesem Kontext bringt Olivi wieder die Partizipation an der Vollkommenheit des evangelischen Status magis et minus ins Spiel. Nicht alle frisch konvertierten und noch zu konvertierenden Heiden konnten von Beginn an in vollem Maße in den Stand der perfectio versetzt werden. Deshalb war es besser, dass „nach dem ersten Exempel Christi und seiner Apostel die in unterschiedlichem Grade an irgendeiner Form der Perfektion des evangelischen Status Teilhabenden sukzessive auf gewisse analoge Vollkommenheiten und Professionen verteilt wurden.“446 Fast beiläufig wird hier also obendrein eine Begründung für die Entstehung geistlicher Hierarchien im Christentum geliefert. Wie alle anderen Deformierungen der ecclesia primitiva hat diese durchaus Sinn und Zweck und ist insofern akzeptabel als sie flüchtig ist und den Weg alles Irdischen gehen wird. Dementsprechend kann auch die Verwicklung von Bischöfen in weltliche Angelegenheiten für die Interimsphase zwischen Urgemeinde und universaler Entrückung entschuldigt werden. Denn bei einer wachsenden Anzahl von Schwachen und Unvollkommenen habe es nicht genügend Vollkommene gegeben, um die Geschicke der auf alle Erdkreise ausgebreiteten Kirche zu lenken. Daher sei es besser gewesen, imperfecti als Minister und Prälaten zu haben als gar keine oder gar gänzlich feindlich gesinnte Männer.447 Klare Parallelen zu QPE 9 weist auch die Diskussion über die Bedingungen der Hierarchie der geistlichen Status in der LSAA auf. Dort lautet eines der Argumente:

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des Mittelalters bildet die Konstantinische Schenkung i. A. den Ausgangspunkt allen Übels. Vgl. Schäufele, „Deficit Ecclesia“, S. 66–90. Vgl. dazu oben, Kap., III,5.3. […] ut per Christum […] ordinate ab infimis ducamur ad summum gloriae et vitae beatae. Et ideo licet in Christo et eius sociis tamquam in primis et summis ducibus esse debuerit, in generali tamen decursu Ecclesiae debuit apparere circa tempus ascensionis ad caelos quando sancti gloriose resurgent. LSAA, S. 134 f. Secunda est quia decuit diversos perfectionum et professionum gradus et status in hierarchia ecclesiastica ordine hierarchico introduci. […] Quarta est, quia gentilitas conversa et convertenda ad Christum non fuit sic in suo initio vel processu disposita ad plenum assumptionem evangelici status quin magis expedierit ipsam post prima Christi et apostolorum eius exempla successive disponi per quasdam analogas perfectiones et professiones diversimode participantes aliqua perfectione evangelici status. Ebd., S. 134. Quarum una [sc., der acht Gründe] est quia multiplicato numero infirmorum seu imperfectorum, non fuissent tot ministri et praelati inventi quot erant necessarii Ecclesiae per omnia mundi climata dilatatae. Utilius autem fuit pro tempore plures habere etiam mercenarios quam habere nullos aut quam habere lupos. Ebd., S. 133 f. Der Wolf fungiert als metaphorisches Gegenstück zum Hirten.

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Franziskaner, Urchristen und die Entgrenzung der Gütergemeinschaft Wenn den Aposteln, insofern sie Prälaten der Kirche waren, irgendein Recht über Temporalien zustand, ist es ergo Zeichen größerer Vollkommenheit, ein Recht über Temporalien zu haben als es nicht zu haben, weil der Status apostolischer Prälatur diese nicht zur Unvollkommenheit hinabsteigen ließ, sondern vielmehr verlangte, dass sie zu Höherem hinaufsteigen. Er ist nämlich nicht ein niedrigerer, sondern ein höherer Status, nicht ein Zeichen von Unvollkommenheit, sondern von Vollkommenheit.448

In seiner Auflösung erörtert Olivi, dass das Recht, Unkosten einzufordern und die Kirchengüter zu verwalten, nicht den Aposteln als Personen zukam (non per se et secundum se), sondern nur in ihrer sozialen Rolle um der angemessenen und notwendigen Leitung der Gemeinschaft willen. Deshalb konnten sie die Jurisdiktion ohne ein Abgleiten in die Unvollkommenheit ausüben, womit jene Jurisdiktion jedoch keinesfalls als Signum eines höheren Standes ausgezeichnet ist.449 Dass die Tugenden des niedrigeren Status im höheren enthalten und umso eifriger zu beachten seien, bringt die Replik auf ein weiteres Gegenargument zum Ausdruck. Vorstehern einer religiosen Institution und mit ihnen den Institutionen selbst stünde es nicht, wie behauptet werden könnte, aufgrund der gleichen Gründe an, gemeinschaftlich Gewalt über Temporalien zu haben, „so wie Äbte und Kapitel von Mönchen und Kanonikern sie haben“. Denn der Prälat einer solchen Einrichtung „von evangelischem Status muss seinen Untergebenen ein Vorbild der Regelobservanz sein, und für diese ist irgendeine ihrem Gelübde entgegengesetzte Befreiung nicht zuträglich.“450 Schärfer wäre das Verdikt über die monastische Gütergemeinschaft unter Verwaltung des Abtes wohl kaum noch zu formulieren! Weitere Züge der ökonomischen Leitungsfunktion der urkirchlichen Prälaten untersucht der Exeget anhand des Beispielfalles Ananias und Saphira in Apg 5,1–11.451 Zunächst stellt er betreffs des Vergehens des Paares in Übereinstimmung mit Lukas fest, dass es ihnen nicht grundsätzlich verboten gewesen wäre, ihren 448 Si apostolis in quantum Ecclesiae praelatis, competebat aliquod ius temporalium, ergo maioris perfectionis est habere ius temporalium quam non habere, quia status apostolicae praelationis non faciebat eos descendere ad imperfectionem, immo potius exigebat eos ascendere ad superiorem. Non enim est status inferior sed superior, nec imperfectionis, immo perfectionis. Ebd., S. 132. 449 […] dicendum quod non sequitur quod si apostolis in quantum generalis Ecclesiae praelatis ius exactionis sumptuum vel dispensationis ecclesiasticarum rerum absque imperfectione et utiliter et perfecte competat, quia primus modus non respicit personam per se et secundum se, sed solum pro utilitate et necessitate communitatis regendae et officiorum communium […]. Ebd., S. 135. 450 Item, qua ratione est necessarium vel utile praelatos Ecclesiae hanc potestatem habere, eadem ratione est necessarium vel utile quod regulares praelati religionis evangelicae eam habeant infra suam religionem. Ergo expedit quod ipsa religio habeat ius temporalium in communi, sicut habent abbates et collegia monachorum et canonicorum. Ebd., S. 132. Ad secundum patet satis ex supra dictis, quia regularis praelatus evangelici status debet suis subditis esse exemplar observantiae regularis, nec pro eis expedit aliqua dispensatio contraria professioni eorum, immo esset in exterminium eius. Ebd., S. 135. 451 Zum Ganzen: Garnsey, Peter Olivi, S. 45 f. Zur monastischen Exegese und Kommentierung der Erzählung von Ananias und Saphira bis ins 12. Jahrhundert, bei äußerst selektiver Quellenauswahl und unter völligem Ausschluss im engeren Sinne exegetischer Schriften zur Apostelgeschichte, s. Bruce C. Brasington, Remember Always Ananias and Sapphira, in: Barret/Melville (Hrsgg.), Oboedientia, S. 83–97.

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Besitz für sich zu behalten. Die schwerwiegende Sünde habe aber darin gelegen, mit dem Verkauf gleichsam die evangelische Armut zu geloben und das Gelübde im selben Atemzug durch das heimliche Zurückhalten eines Teils des Erlöses zu brechen.452 Auch nach Olivis Auffassung war die Gütergemeinschaft demnach keine Zwangseinrichtung. Sie ergab sich vielmehr unwillkürlich aus dem rechten Glauben. Welche Rolle spielte aber Petrus in dem Drama? Als sacerdos et pontifex „hätte er diesen [sc., Ananias] und dessen Ehefrau nicht töten oder den Richtspruch des Todes über sie verhängen dürfen, da dies nicht Zeichen eines kirchlichen, sondern eines zivilen Urteils wäre.“ Daraus gehe hervor, dass nicht Petrus, sondern der Herr selbst den beiden das Leben nahm.453 Drei Gründe nennt Olivi schließlich dafür, dass Gott das Urteil durch den Apostel als Medium vollstreckte. In Hinblick auf die Stellung der Prälaten weckt unter diesen der erste besondere Aufmerksamkeit. Ihm zufolge habe der Herr in dieser Weise gehandelt, „damit alle Jünger Gott in Petrus noch mehr fürchten und noch mehr die Tugend und die Macht des Petrus hochachten sollten, was damals umso nützlicher war, je weniger Petrus und die übrigen Prälaten damals an weltlicher Macht hatten. Infolgedessen nämlich konnten sie die Untergebenen nicht durch weltliche Macht einschüchtern und züchtigen, weshalb es nötig war, dass sie in geistlicher und wunderwirkender [prodigiosa] Macht auffallend hervorragten.“454 Die Aussageabsicht ist klar. Da die Prälaten der primitiven Kirche keine säkulare Gewalt ausüben konnten und sollten, mussten sie sich den Respekt der Gläubigen mithilfe ihrer herausragenden Spiritualität erwerben; dies aber entspricht exakt dem Wunsch, den der Kommentator in der neunten seiner Quästionen über die evangelische Vollkommenheit an die Bischöfe seiner Zeit gerichtet hatte. Welche übergeordnete Bedeutung er der Sache beimisst und warum in diesem Zusammenhang die harte Bestrafung der Betrüger in der Urgemeinde gerechtfertigt war, verdichtet der Franziskaner in einer scharfen Sentenz, die zugleich die Paradigmen seiner Summarienexegese en bloc zu rekapitulieren scheint und sich somit trefflich eignet, an dieser Stelle den Schlussstein der punktuellen Analyse der Lectura super Actus Apostolorum zu markieren: 452 Sed numquid licuit sibi servare? Videtur quod sic, ea ratione qua licebat totum sibi servare. Glossa dicit quod ideo sic graviter peccavit quia ex intentione professionis evangelicae totum vendiderat et tandem quasi eandem professionem perficeret contrarium dolose peregit. LSAA, S. 139. Vgl. Apg 5,4 sowie Glossa interlinearis, ad loc.: fraudavit] ideo fraus fuit quia totum voverat sicut ceteri. Zum weiteren Nachweis führt er nochmals den Brief des Hieronymus an Demetrias an: Ananias et Saphira, dispensatores timidi, immo corde duplici et ideo condemnati, quia post uotum obtulerunt quasi sua et non eius, cui semel ea uouerant, partemque sibi iam alienae substantiae reseruarunt metuentes famem, quam uera fides non timet […]. LSAA, S. 194. 453 […] videtur quod Petrus, sacerdos et pontifex, non debuerit istum et eius uxorem occidere vel sententiam mortis in eos dare, cum hoc non sit iudicii ecclesiastici sed civilis. Sed isti decipiuntur, quia non Petrus sed Deus ipsos occidit […]. LSAA, S. 140. 454 Notandum quod triplici ex causa Deus hos per Petri sententiam tunc occidit. Primo, ut omnes discipuli plus timerent Deum in Petro et plus reverentur Petri virtutem et potestatem, quod tunc tanto plus expediebat quanto tunc Petrus et ceteri praelati minus de temporali potestate habebant. Ex quo enim temporali potestate subditos perterrere et coercere nequibant, oportuit quod in spirituali et prodigiosa notabiliter praecellerent. Ebd., S. 141.

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Franziskaner, Urchristen und die Entgrenzung der Gütergemeinschaft Es steht fest, dass der Status evangelischer Armut, Einfalt und Wahrheit in der Kirche Christi das Höchste und seine Verderbnis daher das Schlimmste ist. Sie ist auch am schädlichsten, weil sie, wenn sie nicht mit aller Kraft in Zaum gehalten wird, schnell über den gesamten Glauben den Schaden ihrer Lüsternheit und Heuchelei ausgießt. Andererseits ist diese Sünde, zusammengesetzt aus Heuchelei und Lüsternheit, am wenigsten zu Beginn des evangelischen oder regulierten Status möglich, außer aus größter oder mit größter Umwälzung des Herzens.455

Resümierend bleibt festzuhalten, dass Olivi anhand der Verse Apg 4,35 und Apg 5,1–11 die administrative Gewalt der Apostel über das Kirchengut mit demjenigen der Prälaten seiner Gegenwart vergleicht und dabei zu dem Ergebnis kommt, dass erstere allein aufgrund absoluter Notwendigkeit und im Rahmen evangelischer Vollkommenheit eine nicht juristisch determinierte Weisungsbefugnis hinsichtlich der Vermögensnutzung ausübten, während letztere in unangemessener und verderblicher Weise zu ihrem eigenen Vorteil über Geld und Güter verfügten. Als eigentlich adäquate Form des ökonomischen Gebarens charakterisiert er den usus pauper, der letztlich nicht nur für mendikantische Bischöfe und Prälaten aufgrund ihres Gelübdes Gültigkeit habe, sondern im höheren geistlichen Status überhaupt enthalten und somit integrativer Bestandteil des Amtes sei. Durch seine Einhaltung gewönnen die Oberen Respekt und Ehrfurcht ihrer Untertanen und somit spirituelle Macht über dieselben, die sie zum Wohle der Gemeinschaft einzusetzen hätten. Die Missachtung dieses von Christus und den Aposteln fundierten Wesenszuges ekklesialer und religioser Amtsausübung durch Äbte, Bischöfe und Päpste in nachapostolischer Zeit versteht er als Symptom des geordneten und notwendigen eschatologischen Niedergangs. Bemerkenswert ist ferner, dass der Franziskanerminorit die Jerusalemer Urgemeinde in wirtschaftsethischer Hinsicht seinem eigenen Verband unterordnet. Die Zwänge der Zeit nötigten erstere bisweilen zum persönlichen Geldgebrauch, während letzterer diesem ganz und gar entsagen konnte. Unter seiner Ägide stand somit nichts mehr dem Anbruch des dritten Weltzeitalters entgegen. 9. ZWISCHENSTAND 1: ENTGRENZUNG Petrus Iohannis Olivis Lektüre des lukanischen Berichts von der gütergemeinschaftlich organisierten Urgemeinde in Jerusalem ist geprägt von dem Bestreben, Unschuldsstand, Urchristentum und Franziskanertum miteinander zu identifizieren. Die dafür angewandte Methode reicht weit über das Prinzip des Vergleichs hinaus. Sie zielt auf eine völlige typologische Ineinssetzung der drei Formen. Zwar leugnet Olivi nicht die voneinander abweichenden historischen Voraussetzungen und Umstände, gesteht ihnen aber nur in seltenen Fällen um der Glaubwürdigkeit des Ge455 Constat quod status evangelicae paupertatis et simplicitatis ac veritatis est in Christi Ecclesia supremus et ideo eius corruptio est pessima. Est etiam pestilentiosissima, quia nisi fortiter cohibeatur, citissime in totam unam religionem diffundit fraudem suae cupiditatis et hypocrisis. Rursus, hoc crimen sic et hypocrisi et cupiditate compositum et maxime in primo ingressu status evangelici seu regularis non potest fieri nisi ex maxima vel cum maxima subversione cordis. LSAA, S. 141 f.

Zwischenstand 1: Entgrenzung

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samtkonzeptes willen geringfügigen Einfluss auf den äußeren Ausdruck der geistlichen Strukturen zu. Zugrunde liegt diesem Blick auf die ecclesia primitiva die joachimitische Theorie der Konkordanz von Altem und Neuem Testament sowie des kommenden dritten Reiches. Der Exeget sieht sich selbst wie die Urchristen am Anbruch einer neuen heilsgeschichtlichen Epoche. Daher kann er die potentiell unter dem Wortsinn verborgenen Botschaften der Apostelgeschichte mittels der – allerdings hochgradig idealisierten – Wahrnehmung seiner Gegenwart entschlüsseln und sie umgekehrt wiederum als Maximen für die Gegenwart verstehen. Beinahe die gesamte paradigmatische Architektur seiner Summarienauslegung ergibt sich konsequent aus diesem Fundament. Ihm entspricht das unermüdliche Insistieren auf die spontane Genese und uneingeschränkte Wahrung der perfectio evangelica unter den Gläubigen ebenso wie der Gedanke der völligen Gleichberechtigung aller Gemeindemitglieder samt der Apostel als universale Einheit in Leib und Seele. Auch die methodisch-systematischen Prinzipien der Exegese stehen zum Teil in engem Zusammenhang mit jener weltanschaulichen Überzeugung. So dient etwa die regelmäßige en passant-Umdeutung patristischer Standpunkte ausschließlich der Unterstützung des konkordanten Lektüreprinzips. Mag die manches Mal bis zur gänzlichen Inversion reichende Sinnverkehrung der Väterzitate auch in voller Berechnung vonstatten gehen, wird sie letzten Endes doch nur als legitime Korrektur einer Fehldeutung erachtet. Weitgehend unabhängig von joachimitischem Bibelverständnis ist indes der methodische Grundsatz von der hierarchischen Ordnung der Argumente in der Abfolge Heilige Schrift – Väter – Philosophen. Dieser fußt vielmehr auf Olivis Auffassung vom absoluten Wahrheitsprimat der Heiligen Schrift sowie seiner kritischen Haltung zu den Schriften heidnischer Denker. Hierin wie in der thematischen Schwerpunktsetzung seiner Lectura über die Urgemeinde, die im Wesentlichen diejenige seines Quästionenwerkes widerspiegelt, wird deutlich, dass der Minderbruder die Exegese lediglich als ein weiteres Medium zu Affirmation und Ausbau seines Denksystems betrachtet, in dem zwar eigene Regeln herrschen, das ihm aber keineswegs mehr oder weniger gut als andere zur Verstetigung und Vermittlung theologischer, philosophischer, sozialtheoretischer und anderer Ideen geeignet scheint. Frei von Skrupeln kann er so im Bibelkommentar auf Argumentationslinien seiner QQPE verweisen, in diesen entwickelte Gedanken wiederholen, aufgreifen und fortführen. Ermöglicht wird diese Leichtigkeit des Ideentransfers zwischen verschiedenen Textgattungen durch die kompromisslos bibliozentrische Grundstruktur seiner Lehre. Die urchristliche Gütergemeinschaft wird unter Olivis Händen zu einer allumfassenden, rein naturrechtlich konstituierten Gebrauchsgemeinschaft im Sinne des pseudoklementinischen status innocentiae und spiritualistisch-franziskanischer Ideologie. Sie ist gekennzeichnet von Gesetzesfreiheit und sozialer Egalität bei spiritueller Hierarchie, von Mangellosigkeit und der Verachtung des Geldes und erscheint als Erfüllung der Weisungen Christi. Als solche ist sie Leitfigur für die gesamte Menschheit und ihre uneingeschränkte Einlösung im dritten Status unter dem Heiligen Geist zu erwarten. In der Urgemeinde kommt der Aufgabe des Eigenbesitzes nach Olivi grundlegende Bedeutung für die Entstehung und Aufrechterhaltung von Einmütigkeit und Karitas zu, die wiederum Garanten für die göttliche

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Gnade sind. Das voluntaristische Handeln der Individuen, die freie Entscheidung für höchste Armut und Gütergemeinschaft ist somit entscheidend für die Erlösung der Gesamtheit. Diese Formel überträgt sich im Denken des Minoriten zwanglos von der Jerusalemer Gemeinde des 1. Jahrhunderts auf seine Gegenwart. Dennoch wächst sich die Aufhebung des Privateigentums nicht zum politischen respektive revolutionären Programm aus. Auch die ökonomische Kritik an Prälaten und Papsttum, der heftige Tadel wirtschaftlicher und weltlicher Hierarchien in der Kirche steigern sich nicht zum Aufruf zu Umsturz oder kalkulierter Etablierung eines Konkurrenzmodells. Denn in Olivis geschichtstheologischem Konzept figurieren die Zeichen des planvollen Abfalls der römischen Kirche von der ursprünglichen Vollkommenheit als notwendige Wegbereiter der ecclesia spiritualis. Das erforderliche Gegenmodell zur allgemeinen Depravation stellt dabei, gleichsam eine Insel der perfectio, der Orden des Franziskus dar. Indem er, eingebunden in die petrische Kirche, die rechtsfreie Nutzungsgemeinschaft der ecclesia primitiva erneuert, wird er zu Fanal und Fackelträger des johanneischen Zeitalters. Als menschlich-pragmatische Programmatik betrifft der Olivi’sche Ruf nach Überwindung des Privateigentums und jeglicher individueller wie gemeinschaftlicher Rechtsansprüche somit allein den Verband der fratres minores. Darüber hinaus bleibt er aber Programmpunkt des göttlichen ‚Fahrplans‘, soteriologische Verheißung und religiöse Sozialutopie. Mit diesen Deutungen ist eine ideelle Entgrenzung der urchristlichen Gütergemeinschaft vollzogen, sie ist vom monastischen Ideal zum heilsgeschichtlich notwendigen Ursprungs- und Endzustand der Menschheitsgemeinschaft umgewidmet. Durch welche Impulse und in welchen Kontexten sie sich schließlich – nicht zuletzt in Auseinandersetzung mit Olivi – auch zum politischen Programm auswachsen konnte, soll im Folgenden in den Blick genommen werden.

IV. URKIRCHE, DOMINIUM UND DIE POLITISIERUNG DER GÜTERGEMEINSCHAFT IM 14. JAHRHUNDERT 1. AEGIDIUS ROMANUS: DIE APOSTEL ALS ABSOLUTISTISCHE HERRSCHER Der Augustinereremit Aegidius Romanus (um 1243–1316), Schüler Thomas von Aquins, seit 1292 Generalprior seines Ordens, ab 1295 Erzbischof von Bourges, verfasste im Vorfeld des Konzils von Vienne zwischen 1309 und 1311 auf Bitten der Kommunität des Franziskanerordens ein Gutachten über die Lehren des Petrus Iohannis Olivi.1 Diese Impugnatio errorum des namhaften Sachverständigen hatte maßgebliche Bedeutung für Verlauf und Ausgang des Verfahrens in Vienne.2 In den Artikeln 16 und 18 seines Gutachtens, für das er sich offensichtlich auf eine Irrtumsliste ähnlich derjenigen der Pariser Theologenkommission aus dem Jahr 12833 stützte,4 befasst sich Aegidius speziell mit dem usus pauper-Konzept. Er kommentiert die beiden Olivi’schen Lehrsätze, laut denen der usus pauper im franziskanischen Ordensgelübde enthalten sei und auch die Annahme des Bischofsamtes nicht zur Abweichung von ihm berechtige. Wie Koch zutreffend feststellt, lässt der Text darauf schließen, dass Aegidius die Schriften Olivis nicht kannte und überdies kaum etwas über die von ihnen hervorgerufenen Auseinandersetzungen wusste. Gerade in Hinblick auf den usus pauper scheint sich der Augustiner allein auf die knappen Artikel der ihm vorgelegten Irrtumsliste zu beziehen.5 So fallen seine Bemerkungen zum Thema denn auch merklich substanzschwach aus. In Beziehung auf den erstgenannten Punkt versucht sich Aegidius zunächst an einer Definition der Begrifflichkeit des usus pauper, unter dem er die sittliche Verpflichtung aller Religiosen versteht, einen besonnenen (sobrium) und den jeweiligen Umständen angemessenen Gebrauch von Nahrung, Kleidung und sonstigen lebensnotwendigen Dingen zu machen.6 Anschließend referiert er, ohne klaren Bezug auf die zu erörternde Olivi’sche These, drei mögliche Verständnisweisen von 1

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Zu dem Gutachten s. Joseph Koch, Das Gutachten des Aegidius Romanus über die Lehren des Petrus Johannis Olivi, in: ders., Kleine Schriften (= Storia e Letteratura. Raccolta di Studi e Testi, 128), 2 Bde, Rom 1973, Bd. 2, S. 225–258, mit Edition S. 232–258 (zuerst in: Gottlieb Söhngen / Carl Fleckes (Hrsgg.), Scientia Sacra. Theologische Festgabe für Karl Joseph Kardinal Schulte, Köln u. a. 1935, S. 142–168) sowie Leo Amorós, Aegidii Romani Impugnatio doctrinae Petri Ioannis Olivi an. 1312, nunc primum in lucem edita (Disseritur de mente Concilii Viennensis in causa P. I. Olivi), in: AFH 27 (1934), S. 399–451, mit Edition S. 420–451. Vgl. Koch, Gutachten, S. 230 f. S. dazu oben, S. 90 m. Anm. 122. Vgl. Wittneben, Bonagratia, S. 22 sowie die Synopse der diversen Irrtumslisten bei Koch, Gutachten, S. 228 f. Vgl. Koch, Gutachten, S. 229 f. […] hic articulus loquitur de usu alimenti vel indumenti et de usu aliorum quibus indiget cor-

184 Urkirche, Dominium und die Politisierung der Gütergemeinschaft im 14. Jahrhundert possessio. Diese könne einmal ein dominium rerum bezeichnen, einmal für habere proprium stehen und einmal einen usus rerum meinen.7 In knappen Erläuterungen zu den drei Möglichkeiten charakterisiert er die zweite als allen Religiosen verboten, da ein Überfluss an Reichtum Mönche zum Müßiggang animiere und sie ihre spirituellen Pflichten vernachlässigen lasse. Diese Definition von possessio identifiziert er als diejenige, auf die Franziskus abgezielt haben müsse, als er den Brüdern auferlegte, weder individuell noch gemeinschaftlich etwas zu besitzen.8 Possessio im Sinne von habere proprium könnten demnach in den Augen des Aegidius nur die Dinge sein, deren Gebrauch nicht für die Lebenserhaltung notwendig und ergo überflüssig sind. Dass er damit freilich – unbewusst – dem Ansinnen Olivis, der beweisen wollte, dass die Beschränkung auf das Notwendige essentieller Teil des Franziskanertums war, völlig entspricht, muss kaum erwähnt werden. Der in Artikel 18 der Irrtumsliste angeführten Behauptung, ein zum Bischof ordinierter Franziskaner sei nicht weniger, sondern stärker als zuvor an den usus pauper gebunden, stimmt Aegidius einstweilen zu, insofern usus pauper im Sinne eines Verbotes jener Form von possessio verstanden würde, die er zuvor in Bezug auf Artikel 16 als habere proprium definiert hatte. Dies nämlich entspreche der perfectio evangelica unter den Aposteln, die laut der Apostelgeschichte alles gemeinsam hatten, und stünde zudem in Einklang mit gewissen Ordensregeln, die verlangten, dass nicht nur die einzelnen Brüder, sondern auch die Ordensgemeinschaft nichts Eigenes (proprium) habe.9 Im Übrigen könne weder in armen noch in reichen Orden von einem Mönch gesagt werden, dass er etwas Eigenes hätte (habere proprium), da auch in Orden, die über großen Besitz und Reichtümer verfügten, allein die Gemeinschaft, nicht aber der Einzelne etwas habe. Der Abt einer solchen Gemeinschaft aber habe ebenso wenig wie ihre sonstigen Glieder irgendein proprium. Vielmehr sei er lediglich dispensator und administrator der Temporalien. Genau diesem Muster gemäß bliebe auch ein Religioser im Bischofsamt an den usus pauper gebunden, „wenn usus pauper dasselbe bedeutet wie nichts Eigenes zu haben“. Wolle Olivi aber sagen, ein franziskanischer Prälat dürfe keine Administrationsgewalt über Temporalien haben, dann läge er falsch, „wie es durch

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pus. […] Debet tamen habere religiosus usum pauperem de rebus, id est sobrium. Sobrietas autem, sicut et alie virtutes, consistit in medio […]. Impugnatio errorum, ed. Koch, S. 249. Im Hintergrund steht offenbar der weite possessio-Begriff des römischen Rechts, der in Abgrenzung von proprietas, dominium, usus und ususfructus und diesen vor- und übergeordnet zunächst eine rein faktische Detention mit oder ohne Rechtsbefugnis bezeichnet. S. Institutiones Iustiniani 2,1–6, ed. Huschke, S. 35–52. Secundo modo potest accipi possessio pro habere proprium, et sic omnibus religiosis est interdictum. […] quod monachi habentes superhabundantiam divitiarum vacant otio et non dant se spiritualibus exercitiis sicut debent; et secundum hunc modum credendum est voluisse beatum Franciscum fratres suos non habere aliquid nec in proprio nec in communi […]. Impugnatio errorum, ed. Koch, S. 249 f. Dicendum quod articulus potest continere veritatem et falsitatem. Continet enim veritatem, si loquatur de usu paupere, prout non habemus aliquid proprium. Illa enim est perfectio ewangelica quod erant apostolis omnia communia, ut habetur in Actibus apostolorum, vel ut habet aliqua religio quod non solum fratres non possint habere proprium, sed etiam ipse ordo non habeat aliquid in communi. Ebd., S. 251. Koch verweist auf Apg 2,44 und, fälschlicherweise, Apg 3,32 anstatt richtig 4,32.

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den Brauch offensichtlich ist“.10 Die Unterscheidung von proprium habere auf der einen und der Gewalt über zeitliche Güter auf der anderen Seite gilt es bei den weiteren Betrachtungen der Güterlehre des Aegidius im Hinterkopf zu behalten. Größere Aufmerksamkeit als jene angesichts der komplexen mendikantischen Eigentumsdiskurse des 13. Jahrhunderts recht triviale Stellungnahme zieht die merkwürdig aus dem Rahmen fallende Erklärung zum dominium rerum auf sich. Aegidius erläutert, dass possessio rerum als Synonym für Herrschaft über die Dinge (dominium rerum) eingesetzt werden könne und eine solche denjenigen, die nichts haben und nichts wünschen, in höherem Maße zufalle, als wenn sie die Dinge tatsächlich hätten. So sei es im Sinne von 2 Cor 6,1011 möglich, zugleich willentlich und dinglich nichts zu haben und doch über alles Gewalt zu üben.12 In diesen Ausführungen schöpft der papalistische Augustinereremit in aller Deutlichkeit aus Argumenten, die er zuerst 1302 in seinem prominenten radikal hierokratischen Traktat De ecclesiastica potestate entwickelt hatte.13 Entstanden auf dem Boden der Konflikte zwischen der Kurie unter Bonifaz VIII. und dem französischen König Philipp IV. „dem Schönen“, verfolgt dieser das fundamentale An10

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Dicemus ergo quod religiosus de ordine paupertatis assumptus vel etiam de ordine divitiarum, quia monachus cuius ordo habet multas possessiones et divitias non dicitur habere proprium, sed dicitur habere in communi – si ergo monachus fiat abbas, factus abbas non dicetur habere proprium, et res temporales quas pertractas non dicentur eius proprie, sed dicetur dispensator et administrator earum; sic si religiosus fiat episcopus, proventus et facultas episcopatus pervenientes ad manus eius non dicentur eisus proprie, sed ipse dicetur earum dispensator et administrator. […] Sic ergo articulus habet veritatem, si usus pauper sit idem quod non habere proprium. Sed si articulus loquatur de usu paupere, prout quilibet simplex frater tenetur ad usum pauperem, non habens aliquam administrationem rerum temporalium, et quod non possit prelatus religiosus ab hoc absolvi quod habeat administrationem rerum temporalium, articulus continet falsitatem. Ebd. 2 Cor 6,10: Quasi tristes semper autem gaudentes sicut egentes multos autem locupletantes tamquam nihil habentes et omnia possidentes. […] possessio rerum uno modo potest dicere dominium rerum, et sic non habentes et non cupientes res magis dominamur eis quam si haberemus eas; et hoc modo iubemur „nichil habere et omnia possidere“, quia voluntate et re possumus esse nichil habentes et omnibus dominantes. Impugnatio errorum, ed. Koch, S. 249. Zu diesem s. zuletzt ausführlich Elmar Krüger, Der Traktat „De ecclesiastica potestate“ des Aegidius Romanus. Eine spätmittelalterliche Herrschaftskonzeption des päpstlichen Universalismus (= Forschungen zur kirchlichen Rechtsgeschichte und zum Kirchenrecht, 30), Köln/ Weimar/Wien 2007; dazu kritisch ergänzend die Rez. von J. Miethke in Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Kanonistische Abt. 95,1 (2009), S. 652–658. Aus philosophischer Perspektive, mit Fokus auf die Abwendung von der Naturrechtslehre und Entstehung eines modernen Gesetzespositivismus: Eckhard Homann, Totum posse, quod est in ecclesia, reservatur in summo pontifice. Studien zur politischen Theorie bei Aegidius Romanus (= Contradictio. Studien zur Philosophie und ihrer Geschichte, 2), Würzburg 2004. Eine gut lesbare Inhaltswiedergabe und instruktive Interpretation des Traktats in Hinblick auf seine Stellung innerhalb der politischen Theorie des Spätmittelalters außerdem in: Jürgen Miethke, De potestate papae. Die päpstliche Amtskompetenz im Widerstreit der politischen Theorie von Thomas von Aquin bis Wilhelm von Ockham (= Spätmittelalter und Frühe Neuzeit, NR 16), Tübingen 2000, S. 94–102. Die aktuellste und verlässlichste Edition des Textes in: Giles of Rome’s On Ecclesiastical Power. A Medieval Theory of World Government. A Critical Edition and Translation, ed. Robert W. Dyson, New York 2004.

186 Urkirche, Dominium und die Politisierung der Gütergemeinschaft im 14. Jahrhundert liegen, einen universalen geistlichen wie weltlichen Alleinherrschaftsanspruch des Papsttums argumentativ zu begründen. Welch hohe Bedeutung der Schrift als superlativischem Ausdruck kurialistischer Weltherrschaftsforderung in ihrer Zeit zukam, lässt sich wohl am deutlichsten an ihrem Gebrauch bei der Redaktion des Textes der im selben Jahr promulgierten berühmt-berüchtigten Bulle Unam sanctam bemessen.14 Fast beiläufig nahm Aegidius im Zuge seiner Beweisführung für die Papstmonarchie eine einschneidende Neudeutung des Dominium-Begriffs vor, die zum von Quo elongati etablierten und im Wesentlichen von Bonaventura ausbuchstabierten franziskanischen Verständnis jenes für die Armuts- und Eigentumsthematik so bedeutsamen Terminus in diametralem Widerspruch steht und durch die Vermittlung Richard FitzRalphs zum Dreh- und Angelpunkt in John Wyclifs politischem Denken werden sollte.15 Die direkte Quelle der knappen Ausführungen zum dominium rerum in der Impugnatio errorum findet sich in Buch 2, Kapitel II,1 der Schrift „Über die kirchliche Gewalt“16. Unter dem Titel Quod liceat Ecclesie et universaliter clericis habere temporalia argumentiert Aegidius auch dort, dass die Amtsträger der Kirche trotz vermeintlich anderslautender Bestimmungen der Heiligen Schrift (er führt u. a. Lukas 10,4 und 4 Mose 18,20 an) durchaus weltliche Güter haben könnten, 14

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Zu dieser und ihrer bisherigen Erforschung s. Karl Ubl, Die Genese der Bulle Unam sanctam: Anlass, Vorlagen, Intention, in: Martin Kaufhold (Hrsg.), Politische Reflexion in der Welt des späten Mittelalters. FS Jürgen Miethke (= Studies in Medieval and Reformation Traditions, 103), Leiden 2004, S. 129–149. Zum viel diskutierten Verhältnis zwischen Unam sanctam und De ecclesiastica potestate: Krüger, Traktat, S. 16 f. Vgl. James Doyne Dawson, Richard FitzRalph and the Fourteenth-Century Poverty Controversies, in: The Journal of Ecclesiastical History 34 (1983), S. 315–334, hier: S. 323. Zum Dominium-Begriff bei Aegidius s. vor allem Stephen E. Lahey, Philosophy and Politics in the Thought of John Wyclif, Cambridge 2003, S. 40–49; außerdem: Krüger, Traktat, S. 382–401 u. passim sowie Ruedi Imbach, Laien in der Philosophie des Mittelalters. Hinweise und Anregungen zu einem vernachlässigten Thema (= Bochumer Studien zur Philosophie, 14), Amsterdam 1989, S. 147 f. – Dass allerdings erst Aegidius den Dominium-Begriff in die spätmittelalterliche Diskussion über das kirchliche Eigentum eingeführt habe, wie in der Literatur des Öfteren allzu lax formuliert wird (so z. B. Dawson, Richard FitzRalph, S. 323 und, in Anschluss an diesen, Kyle J. Drake, A Brief Introduction to the Online Edition of Richard FitzRalph’s De Pauperie Salvatoris Books I–VII, in: Stephen E. Lahey (Hrsg.), 14th Century Oxford Theology Online, URL: http://theology.unl.edu/theo.fitz_intro.html (abger. am 8.6.2016)), ist unsinnig. Den Tatsachen wesentlich näher kommt die differenzierte Erklärung Laheys, der in dem Augustiner den „founding father in the emergence of ‚dominium‘ as a term for understanding the created order“ erkennt (Lahey, Philosophy and Politics, S. 41). Als inhaltlich korrekte Übersetzung des Titels De ecclesiastica potestate schlägt Miethke, De potestate papae, S. 96, „die Kompetenz der Amtskirche“ vor und lehnt sich damit stark an den antiken potestas-Begriff an, der in der Tat die Amtsgewalt im Gegensatz zur aus gesellschaftlichem Status hervorgehenden Macht bezeichnet. In dieser Übertragung wird jedoch die Anmaßung gegenüber der weltlichen Gewalt, die mit der Zuschreibung von potestas an die Kirche einhergeht, zu wenig sichtbar. Das frühe und das hohe Mittelalter unterschieden für gewöhnlich zwischen weltlicher potestas und geistlicher auctoritas, erst im Zuge des Investiturstreites sprachen sich Päpste und ihre Fürsprecher vermehrt auch potestas zu. Diese Konflikte stehen im Hintergrund des Titels der aegidischen Schrift. Eine offenere Übersetzung dürfte daher dem Anliegen des Verfassers besser Rechnung tragen.

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und dies auch im Falle, dass sie sich durch ein Gelübde dazu verpflichtet hätten, nichts Eigenes zu besitzen. Das Beispiel des Religiosen, der ins Amt eines Bischofs eingesetzt wird – für Peckham, Olivi und andere noch Exempel der Unlösbarkeit des Armutsgelübdes – dient ihm nachgerade als Beleg dieses Postulats. Jener gewinne durch seine Ordination ganz selbstverständlich Dominium über die Eigentümer der Kirche. Wenn es also in der Apostelgeschichte heiße, dass alle Dinge den Aposteln zu Füßen gelegt worden seien (Apg 4,35), so unterstreiche dies nur die Selbstverständlichkeit des besagten Sachverhalts.17 Nichts zu haben, heiße nämlich nichts anderes, als frei von Sorge (sollicitudo) zu sein.18 Dementsprechend hätten die Apostel in der Urgemeinde Herrschaft über alle Dinge, sowohl spiritueller als auch weltlicher Art, innegehabt, ohne aber für die kontinuierliche Verwaltung letzterer Sorge tragen zu müssen.19 An späterer Stelle in seinem Traktat greift der Autor diese Auslegung wieder auf und unterfüttert sie mit einem Hinweis auf Apg 6,1–7, dem Bericht über die Missstimmung zwischen griechischen und hebräischen Gemeindemitgliedern aufgrund empfundener Ungerechtigkeiten in der täglichen Handreichung und die darauf erfolgende Abordnung der sieben Diakone. Dieses Beispiel zeige, dass die Einrichtung einer zweiten, nämlich weltlichen, der spirituellen Macht untergeordneten Gewalt vorteilhaft sei, um Missstimmungen unter der Laienschaft vorzubeugen.20 Auf diese Weise macht sich Aegidius die lukanischen Berichte über die urkirchliche Güterordnung für die Bekräftigung seiner politischen Auffassungen vom 17

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[…] dicemus quod non est contra mandatum Domini quod Ecclesia et universaliter clerici possessiones habeant rerum temporalium. Eciam illi qui voto se astringit ad non habendum proprium potest habere dominium rerum temporalium si fiat sponsus alicuius ecclesie, cuius est temporalia aliqua possidere: ut puta si religiosus fiat episcopus, habebit dominium omnium illorum temporalium que sunt possessiones ecclesie quam sibi desponsavit episcopatum accipiendo. […] Immo, ut ibidem dicit glossa, quod ista fuit gloria apostolorum, sine sollicitudine esse et tam res quam dominos earum possidere, quia omnia ad pedes apostolorum mittebantur, sicut legitur in Actibus. De ecclesiastica potestate, ed. Dyson, S. 66. – Aegidius nimmt an dieser Stelle Bezug auf die Glossa Ordinaria zu 2 Cor 6,10, wo zu lesen ist: Gloriam apostolorum fuit nihil omnino possidere, sine sollicitudine esse: et tam res quam dominos earum possidere, quia omnia ad pedes eorum ponebantur. Si ergo ‚possessio‘ dicat ipsam ‚sollicitudinem‘, clerici nihil debent possidere, ut possint cum modica vel eciam, si possibile est, cum nulla sollicitudine esse, ut divinis liberius vacare possent. De ecclesiastica potestate, ed. Dyson, S. 66. Sed si ‚possessio‘ dicat ipsam ‚dominium rerum temporalium,‘ quis diceret quod spiritualis potestas non debeat temporalia possidere, cuius est omnibus dominari? […] Ergo gloria fuit apostolorum nihil omnino possidere quantum ad sollicitudinem, et omnia possidere quantum ad dominium. Ebd., S. 68. – Einleuchtend erläutert Dyson, Giles of Rome’s, S. 69, den letzten Satz im Sinne des Aegidius: „[…] to own and control all things, but to be free from the day-today care of them […].“ […] videlicet, quod quantumcumque sit in Ecclesia spiritualis gladius cuncta potens, bonum fuit statuere secundum gladium qui esset terrenus et materialis ad hoc, quod aliqua dignitas regiminis communicaretur laicis, ne in gubernacione populi laici totaliter se cernerent despectos et ex hoc esset murmur et litigium in Ecclesia inter laicos et clericos. Simile autem habetur Actuum VI, quod, crescente numero discipulorum, factum est murmur Grecorum adversus Hebreos, eo quod despicerentur in ministerio cotidiano vidue eorum […]. De ecclesiastica potestate, ed. Dyson, S. 260.

188 Urkirche, Dominium und die Politisierung der Gütergemeinschaft im 14. Jahrhundert Verhältnis zwischen regnum und sacerdotium, mithin seiner Stellung zur ZweiSchwerter-Lehre zunutze21. Wie in apostolischer Zeit die Diakone als Verwalter der Temporalien von den spirituellen Machthabern eingesetzt wurden, so unterstünden die weltlichen Herrschaftsträger seiner Zeit den geistlichen und müssten als von diesen eingesetzte Verwalter der Güter angesehen werden, über die der Amtskirche – in Zuspitzung auf die Person des Papstes22 – ein allgemeines und alleiniges Dominium zukomme.23 Dominium im aegidischen Sinne umfasst Herrschaft über Temporalien ebenso wie die Ausübung politischer Gewalt.24 Das Konzept entsteht in der Verschränkung theologischer und politischer Theoreme. In Befassung mit der grundlegenden Frage utrum naturalis sit homini possessio exteriorum rerum hatte Thomas von Aquin in seiner Summa theologica erklärt, dass Gott eine allgemeine Obergewalt über alle Dinge ausübe25 und aus Fürsorglichkeit dem Menschen gewisse Güter zur Satisfaktion körperlicher Erfordernisse überlassen habe. Daher käme dem Menschen ein natürliches Dominium über die Dinge zu, insoweit es ihren Gebrauch betreffe.26 Anders als seine franziskanischen Zeitgenossen nahm der Aquinate demnach keinen Gegensatz zwischen dominium und usus an, sondern betrachtete letzteren als eine Form des ersteren. Die Vorstellung von Gott als dem Obereigentümer aller weltlichen Güter und der durch Gnade gewirkten Überantwortung derselben an den Menschen findet der Thomas-Schüler Aegidius im Urstand abgebildet. Gott habe Adam ein natürliches und allgemeines Dominium vermacht, welches jedoch prinzipiell durch den Sündenfall verwirkt worden sei. Jetzt könne der Einzelne jenes allein durch die Sakramente der Taufe und der Buße zurückerlangen.27 Nach Aegidius ist – im Gegensatz zur sich unter anderem auf den Kanon Dilectissimis berufenden Position – Dominium demnach Teil des göttlichen bzw. natürlichen Rechts und nicht etwa erst mit dem menschlichen bzw. positiven Recht infolge der Erbsünde entstanden.28 Gerade diese aegidische These sollte zuerst bei FitzRalph und schließlich in den Lehren Wyclifs langfristig Früchte tragen, dabei aber, wie noch zu sehen sein wird, der Argumentation für eine dem Papalisten exakt entgegengesetzte Meinung dienen.

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Zur Zwei-Schwerter-Lehre bei Aegidius s. Krüger, Traktat, S. 239–290. Miethke, De potestate papae, S. 97, führt aus, dass Aegidius in Bezug auf das Amt des Papstes „die Person faktisch mit ihrer sozialen Rolle zusammenfallen [läßt]“. Vgl. ebd., S. 99–101. Vgl. Dyson, Gile’s of Rome, S. XXI. Vgl. Kol 1,16. […] Deus habet principale dominium omnium rerum. Et ipse secundum suam providentiam ordinavit res quasdam ad corporalem hominis sustentationem. Et propter hoc homo habet naturale rerum dominium quantum ad potestatem utendi ipsis. Thomas von Aquin, Summa theologica II–II 66, 1 ad 1, ed. Opera Omnia 9 (1897), S. 84. De ecclesiastica potestate, ed. Dyson, S. 142–144. Vgl. Krüger, Traktat, S. 410 f. Zum Gesamtkomplex des Zusammenhanges von Sündenfall und Dominium, allerdings in erster Linie verstanden als fürstliche Herrschaft, s. Wolfgang Stürner, Peccatum und Potestas. Der Sündenfall und die Entstehung der herrscherlichen Gewalt im mittelalterlichen Staatsdenken (= Beiträge zur Geschichte und Quellenkunde des Mittelalters, 11), Sigmaringen 1987.

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Die bei seinem Lehrer Thomas vorgefundene Idee vom Dominium aus göttlicher Gnade modifiziert Aegidius in Kopplung an seine Deutung des Sündenfalls dahingehend, dass jene Gnade im postlapsarischen Status nur noch dem geistlichen Stand zuteil werde und daher jegliches irdische Dominium von der Kirche ausgehe: […] diejenigen sind des väterlichen Erbes und aller anderen Dinge unwürdig, die nicht Diener Gottes sind. Und weil wir nicht Diener Gottes werden können, wenn wir nicht durch die Kirche sakramental absolviert sind, müssen wir anerkennen, dass wir alles, was wir haben, von der Kirche und durch die Kirche haben, durch deren Sakramente, die die Gefäße der Gnade sind, wir die göttliche Gnade empfangen und zu Söhnen und Erben Gottes gemacht werden.29

Argumentatives Gewicht erlangt diese zunächst reichlich unerhörte Behauptung durch die Gleichsetzung der irdischen mit der kirchlichen Ordnung, deren Hierarchie wiederum dem pseudodionysischen Modell entnommen wird.30 All diese Kunstgriffe des Augustinereremiten sind auf das Ziel ausgerichtet, das principale dominium Gottes, von dem Thomas sprach, mit der pontifikalen Machtkompetenz in eins zu setzen. Im Papst als imitator dei bündelt sich nach Aegidius die gesamte kirchliche – und das heißt eben schlechthin alle – Herrschaft.31 Als Träger des geistlichen Schwertes, das dem weltlichen übergeordnet ist, ist er oberstes Organ in Sachen iurisdictio und proprietas und somit höchstinstanzlicher Sachwalter aller irdischen Güter.32 Zwar folgt hieraus freilich keineswegs, dass der Papst selbst irgendetwas besitzen müsse,33 eine generell verwerfliche Sache ist Eigentum in Aegidius’ Augen aber nicht. Als rechtens kann er es allerdings nur dann erachten, wenn es durch kirchliches respektive päpstliches Dominium legitimiert ist. Nicht nur in der Dekretale Unam sanctam Bonifaz VIII., auch in den Beiträgen Johannes XXII. zum Theoretischen Armutsstreit fanden die Schrift De ecclesiastica potestate und insbesondere das darin entwickelte Dominium-Konzept ein klares Echo.34 Für seine Widerlegung des franziskanischen Anspruches auf einen usus facti ohne jegliche Rechtsbindung machte sich der Papst die aegidische Definition zu eigen, derzufolge vor dem Sündenfall ein allgemeines, gottgegebenes Dominium geherrscht habe, woraus seines Erachtens wiederum folge, dass Eigentum göttlichen, nicht menschlichen Ursprungs sei.35 Vor der Erschaffung Evas, solange 29

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[…] non sunt digni hereditate paterna nec re alia qui non sunt servi Dei. Et quia non possumus fieri servi Dei nisi simus absoluti per Ecclesiam sacramentaliter, omnia que habemus ab Ecclesia et per Ecclesiam debemus recognoscere per cuius sacramenta, que sunt vasa gracie, suscipimus divinam graciam et fimus filii et heredes Dei. De ecclesiastica potestate, ed. Dyson, S. 150. Vgl. Miethke, De potestate papae, S. 97–99. Vgl. hierzu bes. De ecclesiastica potestate III,9, ed. Dyson, S. 360–370. Concludamus itaque et dicamus quod spiritualis gladius, quia omnia spiritualia iudicat, potest de omnibus temporalibus iudicare, et quia omnia spiritualia seminat, potest de omnibus temporalibus metere […]. Quia ergo spiritualis gladius potest de omnibus temporalibus iudicare, habet super temporalibus universale dominium iurisdiccionale et potestativum; quia vero de omnibus temporalibus metere, habet universale dominium utile et fructiferum. De ecclesiastica potestate, ed. Dyson, S. 170. Vgl. Lahey, Philosophy and Politics, S. 45 f. S. dazu Dawson, Richard FitzRalph, S. 326 f. […] legitur enim in Genesis 1 cap., quod Dominus primis parentibus dixit: Crescite et multiplicamini et replete terram et subiicite eam […] et sequitur: Et dominamini piscibus maris et

190 Urkirche, Dominium und die Politisierung der Gütergemeinschaft im 14. Jahrhundert Adam der einzige Mensch war, sei dessen Gewalt über die weltlichen Güter (dominium temporalium) eine ihm als Einzelnem zustehende (proprium) gewesen,36 später habe dann im Urstand eine Gütergemeinschaft im Sinne eines gemeinschaftlichen Dominiums bestanden, wie es im Kanon Dilectissimis belegt sei. Dieser sage indessen nichts über die Entstehung des Eigentums als solches aus, sondern beziehe sich vielmehr auf den Übergang vom Gemein- zum Individualbesitz, den der Sündenfall nach sich gezogen habe.37 Die Vorstellung von Adam als ursprünglichem Inhaber eines universellen Dominiums verträgt sich gewiss nicht zufällig ausnehmend gut mit dem Lehrsatz des Aegidius, dass allein der geistliche Stand und die Kirche von Gottes Gnaden mit der Herrschaft über Temporalien ausgestattet würden. Aegidius nämlich gelten Adam und dessen Sohn Abel als die Begründer des Priestertums.38 Expliziter als der Augustiner, der nur an wenigen Stellen seines kurialistischen Traktats direkt auf die Sammelberichte und sonstigen biblischen Zeugnisse über die ecclesia primitiva rekurriert, aber durchaus ganz auf dessen Linie, verband Johannes XXII. seine Interpretation des alttestamentlichen Urstandes eng mit der urgemeindlichen Gütergemeinschaft. Bei ihr, erklärt er entschieden, habe es sich wie unter den ersten Menschen zuvörderst um eine Gemeinschaft des Dominiums gehandelt.39 Doch auch Privateigentum sei unter den Urchristen nicht rundweg auf-

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volatilibus coeli et universis animantibus, quae moventur super terram. Ex quibus evidenter apparat, primos parentes post benedictionem praedictam et terrae et piscium maris ac volatilium coeli et universorum animantium, quae moventur super terram, dominium in statu innocentiae habuisse. Johannes XXII, Quia vir reprobus, ed. Eubel, S. 422. – Zum Dominium-Begriff Johannes XXII. s. Bernhard Töpfer, Die Anschauungen des Papstes Johannes XXII. über das Dominium in der Bulle „Quia vir reprobus“, in: Saša Dušková (Hrsg.), Folia Diplomatica 1 (= Opera Universitatis Purkynianae Brunensis. Facultas philosophica, 158), Brno 1971, S. 295–306. Töpfer verweist auf die Dominikaner Thomas und Hervaeus Natalis sowie auf die Glossatoren des frühen 13. Jahrhunderts als Bezugspunkte des Papstes, nicht aber auf Aegidius und die auf ihn folgenden Augustiner-Eremiten wie z. B. Jakob von Viterbo und Augustinus Triumphus. […] videtur, quod ante formationem Evae dominium temporalium Adae proprium fuit, non commune. Quia vir reprobus, ed. Eubel, S. 422. […] et dicit [sc., Ps.-Clemens] ibi quantum ad statum praedictum primorum parentum, quod communis usus omnium, quae sunt in hoc mundo, omnibus hominibus esse debuit; sed per iniquitatem alius dixit hoc esse suum et alius illud, et sic inter mortales facta est divisio. Procul dubio ista scriptura supponit, quod, si primi parentes non pecassent, omnia communia fuissent quoad dominium seu proprietatem: quod patet in eo, quod dicit, quod per iniquitatem idest per peccatum primorum parentum alius dixit hoc esse suum et alius illud, et sic inter mortales facta est divisio. Haec autem divisio facta fuit eius rei, cuius prius erat communio […]. Ebd., S. 417. Immo, sacerdocium non solum fuit post diluvium, sed eciam fuit ante diluvium. Nam de ipso Abel legimus Geneseos IV quod erat pastor ovium et quod obtulit Domino de primogenitis gregis sui et de adipibus eorum […]. Sed offerre holocausta sive primogenita gregum est opus sacerdocii. Ergo in ipso Abel precessit sacerdocium. Dicere eciam possumus quod in ipso Adam, primo parento nostro, sacerdocium precessit. Credibile enim est quod, postquam Adam penituit de suo peccato, in recognicionem sue servitutis et uxoris eius et suorum posteriorum, obtulit holocausta Domino: quod erat opus sacerdocii. De ecclesiastica potestate, ed. Dyson, S. 36. […] dicat [sc., Apg 4], quod illis scilicet credentibus omnia, quae possidebant erant communia

Richard FitzRalph: der Klerus als legitimer Nachfolger der Urgemeinde

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gehoben gewesen. Wenn nämlich die Apostel laut Apg 4,35 jedem Gläubigen nach Bedarf Güter zugeteilt hätten, wozu nur sie die Autorität besaßen – auch dies ein deutlicher Anklang an Aegidius –, dann seien dieselben hernach in den Besitz der einzelnen Personen übergegangen.40 Nach alledem lässt sich die urkirchliche Gütergemeinschaft im Sinne des Aegidius Romanus als exakte Miniatur der ecclesia seiner Zeit begreifen. Deren hierarchische Struktur, die gleichzusetzen ist mit der Hierarchie der Gesamtgesellschaft, entspricht das geordnete Verhältnis von Aposteln und Gläubigen in der Urgemeinde. Hier wie da sind alle Dinge in der Welt durch die Gnade des Herrn der Gemeinschaft korporativ vermacht, so dass theoretisch jeder Einzelmensch zur Herrschaft über weltliche Güter befähigt ist. Die praktische Möglichkeit dazu muss seit dem Sündenfall jedoch stets durch die sakramental absolvierte kirchliche Klasse vermittelt werden. Papst Johannes XXII., der sich in Quia vir reprobus eng an Aegidius anlehnt – Dawson nennt die Bulle gar übertrieben „a summary of the papalist ideology of Giles of Rome“41 –, führt die hierin angelegten Auffassungen konsequent zu Ende. In seinen Augen erstreckt sich die urchristliche Gütergemeinschaft weder auf alle Temporalien noch hätte sie ohne Dominium entstehen, geschweige denn bestehen können. Die Apostel als Angehörige des geistlichen Standes versteht er als oberste Sachwalter des korporativen Vermögens der Gemeinschaft. Eine Gütergemeinschaft als rechtsfreie Gebrauchsgemeinschaft, die die Minoriten für ihren Orden in Anspruch nahmen und in der ecclesia primitiva präfiguriert sehen wollten, ist nach der Doktrin des Johannes wie nach Aegidius bloße Fiktion und ein ontologisches wie juristisches Ding der Unmöglichkeit. 2. RICHARD FITZRALPH: DER KLERUS ALS LEGITIMER NACHFOLGER DER URGEMEINDE Wie Aegidius Romanus stand der Ire Richard FitzRalph (um 1300–1360) – von 1332 bis 1334 Vize-Kanzler der Universität von Oxford, 1335 Dekan von Lichfield, ab 1346 Erzbischof von Armagh – in regem Kontakt mit der Kurie. Insgesamt viermal besuchte der renommierte Theologe in verschiedenen Funktionen Avignon, verbrachte alles in allem rund zwölf Jahre seines Lebens dort, wo er schließlich im

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inter eos; et quod illa communio quoad dominium seu proprietatem intelligi debeat, ex eo patet, quod illud, quod prius ante conversionem iudaeorum ipsis fuerat proprium, postquam credentes effecti sunt, fuit inter eos communicatum: constat autem, quod illa, quae possidebant ante conversionem, erant illis quantum ad dominium propria; alias enim illis communicare non poterant. Quare sequitur, quod fuerunt quoad proprietatem seu dominium inter eos communicata. Quia vir reprobus, ed. Eubel, S. 411. Cum ergo dicat [sc., Apg 4,35], quod nullus egens erat pro eo, quod unicuique dividebatur, prout opus erat, supponit aperte, quod id, quod unicuique dabatur divisum, cuiuslibet erat proprium; dividere enim est divisim aliquibus diversas partes rei alicuius dare. Cum ergo daretur ab illis, qui dare poterant, scilicet apostolis, et illis, qui recipere poterant ea, quae ad vitae humanae sustentationem pertinebant, videtur, quod dominus quilibet fuerit eius portionis, quae sibi fuerat assignata […]. Ebd., S. 414. Dawson, Richard FitzRalph, S. 326.

192 Urkirche, Dominium und die Politisierung der Gütergemeinschaft im 14. Jahrhundert Jahr 1360 auch sterben sollte.42 Bei seinem dritten Aufenthalt am päpstlichen Hof von 1349 bis 1351 wurde FitzRalph von Clemens VI. in ein aus drei Theologen bestehendes Gremium berufen, das sich erneut der Frage annehmen sollte, die bereits im Mittelpunkt des Theoretischen Armutsstreits gestanden hatte, ob nämlich Christus und die Apostel im Neuen Testament und, in Anschluss an diese, der Minderbrüderorden irgendwelches Eigentum hätten.43 Was den Auslöser für die Wiederaufnahme der Thematik, die schon mit dem Ableben Johannes XXII. verebbt, spätestens aber mit Ockham aus der Publizistik verschwunden war, zu diesem Zeitpunkt darstellte, ist nicht mit Sicherheit zu bestimmen.44 Jedenfalls scheinen die theologische Aufgabenstellung durch den Papst einerseits sowie die praktischen Erfahrungen im persönlichen Kontakt mit den Bettelmönchen in seiner Heimat und in England, wo Mitte des 14. Jahrhunderts eine hochgradig antimendikantische Stimmung grassierte,45 andererseits das Substrat gebildet zu haben, aus dem die gegen die Mendikanten gerichtete Doktrin des Säkularklerikers FitzRalph entspross.46 Höchste Bekanntheit innerhalb seines Werkes genießt gerade jenes Opus, in dem der Gelehrte seiner Opposition gegen die vier Mendikantenorden den schärfsten und zugleich nuanciertesten Ausdruck verlieh, namentlich die 1356 vollendete Schrift De pauperie Salvatoris.47 Zurecht wird derselben großer Einfluss auf die Entwicklung der Wyclif’schen Güterlehre eingeräumt,48 wenngleich die Nähe zwi42

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Als Standardwerk zur Biographie FitzRalphs hat sich etabliert: Katherine Walsh, A Fourteenth-Century Scholar and Primate. Richard FitzRalph in Oxford, Avignon and Armagh, Oxford 1981. Neueren Datums ist der Sammelband einer Tagung zum 650. Todesjahr, der sich hauptsächlich dem philosophischen Komplex von FitzRalphs Schaffen zuwendet: Michael Dunne / Simon Nolan (Hrsgg.), Richard FitzRalph. His Life, Times and Thought, Dublin 2013. Zu FitzRalphs theologischen und philosophischen Grundlagen s. auch Gordon Leff, Richard FitzRalph. Commentator of the Sentences. A Study in Theological Orthodoxy, Manchester 1963. Leff fällte ein insgesamt negatives Urteil über die intellektuelle Stellung FitzRalphs in seiner Zeit, was seiner Arbeit in der Folge viel Kritik einbrachte. S. schon die Rez. in: Speculum 40,1 (1965), S. 146–148 (E. A. Moody). Zu FitzRalphs Einfluss auf Wyclif s. John A. Robson, Wyclif and the Oxford Schools. The Relation of the „Summa de ente“ to Scholastic Debates at Oxford in the Later Fourteenth Century (= Cambridge Studies in Medieval Life and Thought, NS 8), Cambridge u. a. 1961, S. 70–96. Vgl. Dawson, Richard FitzRalph, S. 330. Dawson, Richard FitzRalph, S. 330, verweist auf eine Eingabe von Vertretern der Bettelorden an Clemens VI. um die selbe Zeit, in der jene den Papst um eine Neuauslegung der Dekretale Super Cathedram Bonifaz VIII. aus dem Jahr 1300 baten, durch welche die Rechte der Mendikanten gegenüber dem Säkularklerus stark eingeschränkt worden waren. Es ist gut denkbar, dass Clemens’ Aufmerksamkeit durch dieses Gesuch auf die früheren Kontroversen zwischen den beiden Parteien und die auf diese folgenden Debatten über die mendikantische und insbesondere die franziskanische Armut gelenkt wurde. S. Tim Rayborn, Against the Friars. Antifraternalism in Medieval France and England, Jefferson (NC) 2014, bes. S. 117–161; Guy Geltner, The Making of Medieval Antifraternalism. Polemic, Violence, Deviance, & Remembrance, Oxford 2012; Penn R. Szittya, The Antifraternal Tradition in Medieval Literature, Princeton 1986. Zur Genese der antimendikantischen Gesinnung FitzRalphs s. Walsh, A Fourteenth-Century Scholar, S. 349–376. Zum Datum vgl. ebd., S. 377. Dieses Urteil schlägt sich am anschaulichsten in der Tatsache nieder, dass die Wyclif Society,

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schen FitzRalphs und Wyclifs Anschauungen in der Forschung unterschiedlich bewertet wird.49 In dem dialogisch angelegten Werk befasst sich der Autor intensiv mit den Privilegien und ideellen Grundlagen der Bettelorden und entwickelt vor diesem Hintergrund eine differenzierte Theorie über das Verhältnis von Gnade und Dominium, aus der er Schlüsse über die Natur von Herrschaft und Eigentum und deren unterschiedlichen Formen zieht.50 Die Länge des Textes, die Gliederung in acht Bücher ohne schlüssige inhaltliche Struktur, die Dialogform sowie vielfache Ambivalenzen, Widersprüchlichkeiten und Redundanzen machen es schwer, dem Argumentationsgang FitzRalphs zu folgen.51 Soweit es in Hinblick auf seine Interpretation und Instrumentalisierung der ecclesia primitiva-Berichte der Apostelgeschichte relevant ist, lässt sich der Verlauf des literarischen Zwiegesprächs zwischen Ricardus und seinem fiktiven Gesprächspartner Iohannes aber doch in einigen Schritten skizzieren.52 Gleich zu Beginn des ersten Buches stellt Iohannes fest, dass über die Lehren von dominium, proprietas, possessio, ius utendi und usus, ihre Verbindung zum Recht, die freiwillige Lossagung von weltlichen Gütern und die Haltung und das Verhalten Christi und seiner Jünger und Apostel gegenüber denselben, wie es in den Evangelien, der Apostelgeschichte und den Apostelbriefen dokumentiert ist, viel Unterschiedliches und Widersprüchliches geschrieben worden sei.53 Auch hätten

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durch die zwischen 1884 und 1922 ein großer Teil der Schriften Wyclifs ediert wurde, die ersten vier von acht Teilen, aus denen der Dialog De pauperie Salvatoris besteht, kurzerhand als Appendix zu Wyclifs De dominio divino veröffentlichte: Ricardi filii Radulphi de pauperie Salvatoris, in: Iohannes Wycliffe, De dominio divino libri tres, ed. Reginald Lane Poole, London 1890, S. 257–476. Eine Edition der Teile 5 bis 7 findet sich in der ungedruckten Dissertation Russell Oliver Brock, An Edition of Richard FitzRalph’s De Pauperie Salvatoris, Books V, VI and VII (Diss. masch.), University of Colorado 1953. Buch 8, dessen Existenz in der Forschung bisher weitgehend unberücksichtigt blieb und dessen Beziehung zum restlichen Korpus unklar ist (s. Walsh, A Fourteenth-Century Scholar, S. 390), ist noch unediert. Vgl. Drake, A Brief Introduction. Eine auf der Website 14th Century Oxford Theology Online angekündigte Online-Edition aller acht Teile ist bislang nicht verfügbar (Stand: Juni 2016). Vgl. Walsh, A Fourteenth-Century Scholar, S. 377–380; Lahey, Philosophy and Politics, S. 49 f. Zum Dominium-Begriff von De pauperie Salvatoris s. Walsh, A Fourteenth-Century Scholar, S. 377–406; Dawson, Richard FitzRalph, S. 333–341; Lahey, Philosophy and Politics, S. 49– 63; Töpfer, Urzustand, S. 497–504. Dawson, Richard FitzRalph, S. 334, urteilt: „Much of the De Pauperie is difficult to interpret; it is a long and ill-organised work filled with apparent irrelevancies and contradictions, and its obscurity is worsened by the dialogue technique.“ Ähnlich Walsh, A Fourteenth-Century Scholar, S. 387: „[…] the completed work which – even allowing for the dialogue technique which permitted the author to raise a number of extraneous issues – is extremely diffuse in conception and organization, and does not appear to have been based upon a preconceived and coherent plan.“ Vollständige Inhaltsangaben der Bücher 1 bis 7 bei Walsh, A Fourteenth-Century Scholar, S. 388–405; Drake, A Brief Introduction. Quia circa rerum propter hominem creatarum inferius in hoc mundo dominium, proprietatem, possessionem, ius utendi, et usum, ac circa voluntariam abiectionem huiusmodi rerum et earum iurium propter Deum, plurimi diversa atque adversa scripserunt, occasione sumpta ex doctrina ac gestis Salvatoris, domini nostri Iesu, et apostolorum atque discipulorum ipsius, que in Evan-

194 Urkirche, Dominium und die Politisierung der Gütergemeinschaft im 14. Jahrhundert im Laufe der Zeiten Männer von herausragender Heiligkeit unterschiedliche Regeln für ihre Orden aufgestellt, die sie trotz der Unterschiede jeweils im Einklang mit der vita evangelica und apostolica sahen.54 Überdies scheine schon allein bezüglich der franziskanischen Armut eine Differenz zwischen der Ordensregel und Exiit qui seminat auf der einen und den Ansichten in den Dekretalen Johannes XXII. auf der anderen Seite zu bestehen. All diese vermeintlichen Widersprüchlichkeiten, so wünscht Iohannes, möge Ricardus aufklären.55 Damit sind die großen Leitfragen aufgeworfen, deren Lösung sich FitzRalph in seiner Schrift annehmen möchte. Die Bücher eins bis fünf widmet er ganz dem ersten von der Dialogfigur Iohannes angesprochenen Streitpunkt, der Semantik der seit Bonaventura und Nikolaus III. im Zentrum der Armutsdebatten stehenden Termini zur Beschreibung von Relationen zwischen Personen bzw. Gruppen und Temporalien. Obschon dieser Thematik im hiesigen Kontext nicht das Hauptaugenmerk gilt, sind einige Sondierungen des Dominium-Begriffs in De pauperie Salvatoris für die weiteren Betrachtungen unabdingbar. Laut FitzRalph sind die verschiedenen Formen von Herrschaft, verstanden in der doppelten Bedeutung als Herrschaft über Menschen wie über Güter, einer hierarchischen Struktur unterworfen. Gottes höchstes Dominium, das sich in der Schöpfung der Welt, nicht in ihrer Bewahrung (conservacio) und Beherrschung (gubernacio), manifestierte, ist die Instanz, auf die alle übrigen Formen sich beziehen. Conservacio der Dinge könne mit possessio gleichgesetzt werden, gubernacio mit dem Gebrauch des Dominiums, und dies sowohl hinsichtlich Gottes Verhältnisses zur gesamten Schöpfung als auch bezüglich der Gewalt weltlicher Herrscher über bestimmte weltliche Güter.56 Vom Dominium des Schöpfers abhängig sind das Dominium der Engel,57 das ursprüngliche prälapsarische dominium originale bzw.

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gelio ac Apostolorum Actibus et literis describuntur […]. De pauperie Salvatoris I, ed. Poole, S. 277. […] unde diversi viri sanctitate preclari atque sciencia diversos ordines instituendo, eis diversas regulas ediderunt, veluti sancti Basilius, Augustinus, Benedictus, Dominicus, et Franciscus, eorundem ordinum regulas institutas evangelicis et apostolicis preceptis et Salvatoris nostri apostolorum ac discipulorum ipsius gestis et actibus, ut asserunt, conformando […]. Ebd. – Hier ist Petrus Olivis Lösung desselben Befundes mithilfe der ‚Magis-et-minus-Aussage‘ in Erinnerung zu rufen. Vgl. oben, S. 122 f. […] in Iesu nomine te requiro ut quod super ipsa materia […] ac qualis sit illa paupertas, que in regula beati Francisci et Decretalibus summorum pontificum, et precipue in illa Decretali domini Nicholai III, Exiit, de verborum significacionibus, libro sexto, describitur, et qualiter ipsa eadem Decretalis et Decretales domini Iohannis pape XXII, Ad conditorem, Cum inter, Quia quorundam, et libellus ipsius Quoniam vir reprobus, sua bulla munitus, se invicem super istius paupertatis materia non impugnant, si fieri poterit, manifestes. Ebd. Unde videtur quod dominium ita immediate consequitur ad creacionem quod conservacio rei create nequaquam causaliter ipsum precedit. Ebd., S. 285. […] sic quod conservacio rerum a Deo Dei possessio proprie appellatur, non ita proprie Dei dominium. […] Gubernacio insuper magis proprie in Deo dici potest usus dominii et possessionis, quam dominium; sicuti in dominis temporalibus nobis notis rerum detencio sive conservacio ipsarum possessio, et earum gubernacio possidentibus accomoda effectus sive usus dominii et possessionis, non dominia, proprie appellantur. Ebd., S. 286. FitzRalph stellt die Diskussion über das dominium angelicum zwischen die Beschreibung des göttlichen und des menschlichen Dominiums und ordnet ihm den entsprechenden Platz in seiner Hierarchie zu. Wie Lahey sehr anschaulich herausstellt, parallelisiert FitzRalph die himm-

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naturale des Menschen ebenso wie das politische dominium civile, das zwar durch den Menschen selbst aus dem ursprünglichen Dominium abgeleitet wurde, damit aber in gleicher Weise wie jenes genuin von Gott abstammt.58 Mit Aegidius Romanus stimmt FitzRalph darin überein, dass nur durch die Gnade Gottes erlangtes Dominium echt und gerecht sein kann.59 Anders als Aegidius macht er diese Gnade jedoch nicht, oder jedenfalls nicht expressis verbis, abhängig von der Priesterweihe und den kirchlichen Sakramenten, sondern in erster Linie von der Unterordnung unter Gottes Herrschaft. Überraschend originell kommt in diesem Zusammenhang FitzRalphs Exegese des status innocentiae daher.60 Zwar geht er wie Johannes XXII., dessen einschlägigen Schriften er aufmerksam rezipierte, davon aus, dass vor dem Sündenfall eine allgemeine Gütergemeinschaft unter den Menschen geherrscht habe, doch sei Adam vor der Erschaffung Evas theoretisch keineswegs eine individuelle possessio über die Temporalien zugekommen.61 Von Beginn an sei vielmehr der Gemeinbesitz die

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lische Hierarchie mit der irdischen, wobei das Dominium der Engel mit demjenigen des Klerus identifiziert wird (vgl. Lahey, Philosophy and Politics, S. 55 f.). Dass dies freilich kaum etwas anderes ist als ein Referat des grundlegenden Gedankens der pseudodionysischen Schriften De caelesti hierarchia und De ecclesiastica hierarchia, scheint Lahey wie den meisten Interpreten FitzRalphs entgangen oder jedenfalls keiner Erwähnung wert zu sein. Zu FitzRalphs Kenntnis und Verarbeitung des Ps.-Dionysius s. aber Walsh, A Fourteenth-Century Scholar, S. 173. Deus civile dominium nequaquam instituit; set verius ipsum civile dominium, prius per annorum milia per homines institutum […]. De pauperie Salvatoris III, ed. Poole, S. 424. Civile dominium, sicut originale dominium, (non dubium) datum est a Deo hominibus pro prestando debito Deo obsequio ab eo cui est datum […]. Ebd., S. 441. […] nullus de stirpe ipsius primi parentis seminalis filius, donec a peccato mundetur et gratiam gratificantem receperit, istud dominium potest recipere seu habere. De pauperie Salvatoris II, ed. Poole, S. 348. Cum constet omnes iustos equaliter habere originale dominium rerum omnium ab omnibus possessarum. Ebd., IV, S. 437. – Zum Einfluss Aegidius’ auf FitzRalph s. Aubrey Gwynn, The English Austin Friars at the Time of Wyclif, London 1940, S. 66 f. Nirgendwo in FitzRalphs Werk scheint sich ein konkreter Hinweis darauf zu finden, dass er mit den Arbeiten des Augustinereremiten tatsächlich vertraut war. Ob er dessen Thesen durch eigene Lektüre kannte oder sie auch nur namentlich auf ihn zurückführen konnte, ist – gegen die Forschungstendenz, die dahin geht, in FitzRalph einen fleißigen Rezipienten der aegidischen Lehre zu sehen – unklar. Seine wenig tiefgehende Anknüpfung an grundsätzliche Ideologeme der radikal kurialistischen Schule der Augustinereremiten der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts könnte ebenso gut auf mündliche Vermittlung durch Angehörige der Kurie in Avignon zurückgehen. Auch enthalten die Arbeiten des Iren nur wenige jenem Ideenfeld zugehörige Gedanken, die nicht schon in den Dekretalen Johannes XXII. aus der Zeit der Auseinandersetzungen mit den Franziskanern vorzufinden wären. Vgl. dazu am ausführlichsten Töpfer, Urzustand, S. 498–504. […] possessio Paradisi cum suis contentis, quamvis prothoplasto singulariter sive solitarie competebat, tamen esse sua propria, scilicet, iure proprio non debebat; quoniam, eciam si ipse nescisset, alius sue nature creatus equale in illis rebus cum eo dominium habuisset […]. […] et ob hoc nec tunc nec ante proprium dominium aut iure propriam possessionem habebat; nisi forte aliam causam proprie possessionis quam solitudinem aut singularitatem eum tunc habuisse poteris invenire, preter hoc quod proprie sic communia possidendo Deo iniuriam intulisset, legem quam sibi dederat infringendo. Pluraliter enim, non singulariter, illi Deus contulit dona sua: Dominamini, inquit, piscibus maris […]. De pauperie Salvatoris III, ed. Poole, S. 393 f.

196 Urkirche, Dominium und die Politisierung der Gütergemeinschaft im 14. Jahrhundert primäre Bezugsform zwischen Mensch und Gütern gewesen. Des Weiteren sei zwar durch den Sündenfall das originale dominium verlustig gegangen, da Adam aber reuig gewesen sei, habe Gott dasselbe wiederhergestellt.62 Zum eigentlichen Ursprung des dominium civile und des seines Erachtens allein diesem zuordenbaren Privateigentums erklärt der Autor die Schlechtigkeit des Menschen in der Zeit nach dem Sündenfall, für die er den Brudermord Kains als sprechendes Beispiel ins Feld führt. Unter diesen Umständen sei eine lex positiva unverzichtbar geworden, um die Gerechten vor der Böswilligkeit anderer zu schützen.63 Mit dem ungewöhnlichen Gedankengebäude des nach dem Sündenfall restituierten ursprünglichen, rechtsfreien Dominium, das späterhin nicht von einem dominium civile abgelöst, sondern lediglich dadurch ergänzt worden sei, ist die Grundlage für die Doktrin eines Nebeneinanders beider Formen geschaffen. Aus dieser wiederum folgt der Gedanke der prinzipiellen Möglichkeit einer Rückkehr zum dominium originale durch willentlichen Verzicht auf jegliches weltliches Dominium als eine artissima paupertas.64 Wie diese Interpretation der ersten Kapitel des Buches Genesis vor Augen führt, hielt FitzRalph – ganz im Gegensatz zu Aegidius Romanus oder Johannes XXII. – eine franziskanisch gedachte Gütergemeinschaft ohne Rechtsbindung theoretisch durchaus für möglich und, mehr noch, für ein Zeichen von Frieden und Gerechtigkeit. In praxi allerdings hatte der Orden der minderen Brüder die Umsetzung jener Lebensform nach seinem Dafürhalten völlig verfehlt. Indem er die Übertragung der Ordensgüter an den Papst akzeptierte und sich somit die Verfügung über dieselben unter Ausschluss aller übrigen Gläubigen vorbehielt, hätte er sich der Beschränkung auf das natürliche Dominium entzogen, die aber für die Pflege der höchsten Armut essentiell wäre.65 Darüber hinaus liefe die massenhafte Annahme päpstlicher Privilegien, etwa betreffs Exemtionen und der Erlaubnis, Beichten ab62 63

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[…] unde videtur hoc dominium Ade penitenti et graciam optinenti restitutum fuisse. Ebd., II., S. 357. Unde primogenitus Adam Caym ex hac cupiditate invidia stimulatus iustum Abel fratrem suum occidit: propter quem et alios similes tunc futuros lex positiva necessaria extitit, qua in illis, quos non retraheret a malo amor iusticie, timor pene, huiusmodi malefacia cohiberet […]. Ebd., S. 369. Et ita consequitur quod in habente artissimam pauptertatem nullum remanet civile dominium nec utendi aliquod ius civile nec aliqua civilis possessio, cum hec omnia possint a voluntate libere abici, sicud libere admittuntur. Ebd., VI, ed. Brock, S. 126. – Zu FitzRalphs genereller Unterscheidung zwischen altissima und artissima paupertas s. Töpfer, Urzustand, S. 503; Dawson, Richard FitzRalph, S. 339. Cum enim ostensum sit in sexto quod in fratribus esse deberet et esse debuit sicud in domino nostro Ihesu Christo et eius apostolis fuit solis naturalis possessio iure communis in nullo excludens usum liberum aliorum omnis voluntas atque consensus ut ab usu rerum alii excludantur talem professionem, taliter possidentis aut inficit aut scindit aut minuit quo omnimodo in eadem voluntate stare poterunt. Volo seu velle teneor ut quicumque iusti equa libertate ut ego et fratres mei ordinis ista michi et illis communia bona possideant, et eis eque libere mecum et fratribus ordinis mei utantur, et nichilominus volo ut in domino nostro summo pontifice sit dominium protectivum ne alii equelibere ut ego et fratres mei hec bona possideant et hiis bonis quiete utamur. Concordet has voluntates qui poterit quia fateor illud facere me nescire. De pauperie Salvatoris VII, ed. Brock, S. 223 f. Vgl. dazu auch Lahey, Philosophy and Politics,

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zunehmen, dem Demutsgebot des Ordens wie auch dem Vorbild der Urkirche zuwider.66 In letzterem Punkt hätte sich FitzRalph im Übrigen durchaus auf Franziskus selbst als Kronzeugen berufen können, hatte jener doch in seinem Testament den Brüdern befohlen, quod ubicumque sunt, non audeant petere aliquam litteram in curia Romana […].67 Über die mendikantischen Grundideale urteilt FitzRalph alles in allem mithin durchaus positiv. Zugleich verteidigt der Erzbischof jedoch das Eigentum der Kirche, das er als korporatives Vermögen zum Nutzen der Gemeinschaft ansieht und mit der originalis possessio des Urstandes vergleicht.68 Offensichtlich, darüber besteht in der Forschung weithin Einigkeit, ist seine Position in erster Linie auf eine Versöhnung zwischen den Ansichten (nicht deren praktischen Umsetzung!) der franziskanischen Vordenker auf der einen und den konträren Ansprüchen des Papsttums, die ihren Höhepunkt mit Johannes XXII. erreicht hatten, auf der anderen Seite gerichtet.69 So ist das ursprünglich wohl als Abschluss und Synthese gedachte siebte Buch70 denn auch zur Gänze dem Zweck gewidmet, die offensichtlichen Kontradiktionen zwischen den einschlägigen Dekretalen Nikolaus III. und Johannes XXII. zu eskamotieren.71 Aufbauend auf der Unterscheidung zwischen natürlichem und weltlichem Dominium erklärt der Autor, dass die vermeintlichen Gegensätze allein in einem voneinander abweichenden Sprachgebrauch gründeten.72 Nur ganz am Rande spielt in seiner Erörterung auch die Urkirche eine Rolle. Wie in den Ausführungen der beiden früheren Päpste, die FitzRalph miteinander in Einklang bringen will, liegt der Schwerpunkt vielmehr auf der Gemeinschaft Christi und seiner Apostel als Vorbild der Franziskaner. Zwar hatte sich Johannes im Libellus Quia vir reprobus in Reaktion auf Michael von Cesena und Bonagratia von Bergamo auch intensiv mit den Kapiteln zwei und vier der Acta apostolorum auseinan-

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S. 50 f.; Dawson, Richard FitzRalph, S. 340; Walsh, A Fourteenth-Century Scholar, S. 402– 405. Nec videre valeo luce teste qualiter procurari possit, scienter aut acceptari nisi obediencia exigente talis exempcio, seu labe cum talis exempcio iuxta premissa legem nature impugnat ecclesiasticam ierarchiam dividat, seu prescindat, quam per Christi apostolos celesti ierarchie conformiter Spiritus Sanctus instituit, ecclesiam in super ierarchiam reddat celesti Ierarchie difformem in qua nulla umquam talis erat exempcio. De pauperie Salvatoris VII, ed. Brock, S. 237. Vgl. dazu auch Lahey, Philosophy and Politics, S. 51; Dawson, Richard FitzRalph, S. 340. Franziskus, Testamentum, ed. Esser/Grau, S. 441. Zur Verteidigung des Kirchenvermögens in Händen der Prälaten s. bes. De pauperie Salvatoris VI, ed. Brock, S. 160–176. Zur impliziten Harmonisierung von Kircheneigentum und Gemeinbesitz unter natürlichem Dominium vgl. Töpfer, Urzustand, S. 503; Dawson, Richard FitzRalph, S. 341. Vgl. Töpfer, Urzustand, S. 497 f., 504; Dawson, Richard FitzRalph, S. 341. Vgl. Walsh, A Fourteenth-Century Scholar, S. 390. S. hierzu Roberto Lambertini, La concordia tra Niccolò III e Giovanni XXII in FitzRalph e Wyclif. Note su alcune reinterpretazioni della povertà francescana, in: Mariateresa F. B. Brocchieri / Stefano Simonetta (Hrsgg.), John Wyclif. Logica, Politica, Teologia, Tavarnuzze 2003, S. 3–22. S. z. B. De pauperie Salvatoris VII, S. 245 (unterschiedlicher Gebrauch von libere), S. 252 (unterschiedlicher Gebrauch von proprietas), S. 267–273 (unterschiedlicher Gebrauch von usus simplex).

198 Urkirche, Dominium und die Politisierung der Gütergemeinschaft im 14. Jahrhundert dergesetzt. Doch gerade diesen bei weitem umfänglichsten und schwerwiegendsten Vorstoß des römischen Bischofs gegen die franziskanische Raison d’Être bzw. die spiritualistische Auslegung derselben lässt FitzRalph bei seinem Versuch beinahe völlig außen vor.73 Bezüglich der Frage, ob Christus und die Apostel individuell oder gemeinschaftlich etwas besessen hätten, akzeptiert er das Postulat der Bulle Exiit qui seminat, dass dem nicht so gewesen sei. Wenn Johannes XXII. es für häretisch erklärt habe, zu behaupten, dass Christus und seine Apostel weder individuell noch gemeinsam etwas gehabt hätten, so habe er allerdings die Voraussetzungen des ursprünglichen Dominiums zugrunde gelegt, welches Christus und den Aposteln von Natur aus zugekommen sei, während Nikolaus III. an das postlapsarische dominium civile gedacht habe.74 Während letzteres für ein Leben nach den Idealen einer artissima paupertas aufgegeben werden könne, wie es auch Christus und die Apostel getan hätten, sei das ursprüngliche Dominium keineswegs ein Zeichen von Unvollkommenheit.75 Würden die Minderbrüder im Rahmen ihrer altissima paupertas gleichwohl auch jenem entsagen wollen, so stünden sie schlechterdings nicht in der Nachfolge der neutestamentlichen Apostelgemeinschaft.76 Diese nämlich habe durchaus Verfügungsgewalt über lebensnotwendige Dinge innegehabt, da sie die Normen des status innocentiae wiederhergestellt habe.77 Dawson geht in seinen Einlassungen zum Ort der ecclesia primitiva in den Armutsdebatten mit besonderem Augenmerk auf FitzRalph von der Prämisse aus, dass die Franziskaner eine „double profession in the primitive Church“ angenommen und „natural lordship […] only one of these“ zugeordnet hätten.78 Dies trifft wohl auf Bonaventura und Peckham zu, keineswegs aber auf die Kontrahenten des Papstes im Armutsstreit der 1320er Jahre, denen es im Anschluss an Olivi ja gerade darum ging, jegliche Stratifizierung der Urgemeinde und damit die Ableitung von Standesunterschieden aus den Summarien zu widerlegen und die Urchristen von allen Formen von Dominium freizusprechen.79 Folglich ist Dawsons Erklärung, 73 74

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Vgl. Dawson, Richard FitzRalph, S. 340. […] Iohannes in constitucione illa, Cum inter, cum diffinit esse hereticum Christum et suos apostolos nichil habuisse in speciali neque in communi, non est locutus de habere in dominio seu iure dominii. Et ita quoad hoc non contrariatur predicte affirmacioni domini Nicholai, scilicet quod Christus et apostoli quoad proprietatem nichil habebant in speciali nec in communi. De pauperie Salvatoris VII, ed. Brock, S. 249 f. Ebd., VI, S. 123–132. FitzRalph stellt eine Hierarchie verschiedener Formen von Armut auf und definiert die strengste als diejenige, […] qui cum derivato iure utendi et omni civili dominio abdicato, solo originale dominio cum possessione sibi conformi, scilicet iure communi iustis omnibus contentatur (S. 129). Vgl. Töpfer, Urzustand, S. 502 f. Videtur superfluum atque cassum quod Christus aliquod civile dominium habuisset, cum talem dominium ad usum rerum necessarium eciam obtinendum non existat. Et ob hoc sancti patres non nulli non solum nostrum Dominum sed eius apostolos ad dignitatem primi hominis restitutos affirmant, intelligo quoad legem rebus in eorum usum creatis utendi, unde sicud in suo primo parente in statu sue innocentis originis. De pauperie Salvatoris VI, ed. Brock, S. 133 f. Dawson, Richard FitzRalph, S. 338 f. Vgl. dazu oben, S. 149–151, sowie ausführlich Christian Hoffarth, Rewriting Ecclesia primitiva. Peter of John Olivi’s Image of Early Christianity and the Formation of Dissent in the Western Mediterranean around 1300, in: Mihail Mitrea (Hrsg.), Tradition and Transformation:

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dass FitzRalph zwar das gleiche Argument wie die „Michaelisten“ genutzt habe, indem er aufbauend auf die Dekretale Dilectissimis eine Trennlinie zwischen traditioneller vita communis und den Konditionen des Urstandes zog, daraus aber, anders als jene, keinen zwiefältigen modus vivendi der Urkirche abgeleitet habe, revisionsbedürftig.80 Worin aber lag der zweifelsohne vorhandene Unterschied zwischen dem ecclesia primitiva-Konzept von De pauperie Salvatoris und demjenigen der Spiritualen? Deutlicher als anderswo in seiner diffusen Schrift hält Richard FitzRalph in den Kapiteln VI,21 und 22 bei der Jerusalemer Urgemeinde inne. Hier verlässt er vollends den Bereich spekulativer Exegese und eröffnet eine stark normativ geprägte Diskussion des Gegenstandes. Auf die Frage seines fiktiven Gesprächspartners Iohannes, ob Christus, wenn er denn weder über ein dominium civile noch über eine possessio civilis verfügte, zumindest ein ius utendi civile ausgeübt habe, führt Ricardus zunächst Exiit qui seminat ins Feld. Da Nikolaus III. dort erklärt habe, dass die Minderbrüder die Armut Christi nachahmten und ihnen zugleich alle Formen von weltlichem Dominium abgesprochen und ihr Verhältnis zu Gebrauchsgütern auf eine bloße faktische Nutzung reduziert habe, ließe sich folgern, dass Christus ebenfalls keinerlei Ausprägung von weltlichem Dominium, unter das gemäß seinem System auch ein weltliches Gebrauchsrecht fallen würde, innehatte. Diesen Gedanken, meint er, bezöge der Papst aus dem Kanon Dilectissimis, in dem Clemens I. dasselbe von den Aposteln und deren Anhängern in der Urgemeinde bezeuge.81 In Anschluss an ein Vollzitat des Kanons führt er schließlich fünf Konklusionen aus demselben an. Erstens bestätige Clemens, dass Privateigentum durch die Sünde Kains in die Welt gekommen sei und dem Naturrecht, laut dem alles allen gemeinsam sein sollte, widerspreche. Zweitens sei dies als Lebensform Adams und Evas auch für alle ihre Nachfahren vorgesehen gewesen, wenn sie im Stand der Un-

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Dissent and Consent in the Mediterranean. 3rd International Graduate Conference, Budapest, May 30–June 1, 2013, Kiel 2016 (im Druck). Dawson, Richard FitzRalph, S. 338 f.: „He uses the Michaelist argument to distinguish the state of nature from the traditional common life: the first parents could not have held legal ownership in common – i. e. could not have lived by the traditional version of the common life – because the Epistle of St Clement makes it clear that all things should be in common like air or sunlight. But this is not quite the Franciscan thesis. The Franciscan thesis assumed a double profession in the primitive Church, and ascribed natural lordship to only one of these. FitzRalph prefers to speak of a single profession in the primitive Church, though it included many variations. His concept of natural lordship embraces not only the Franciscan way of life but also the monastic life, the corporate property of the Church, and the general obligation of sharing that applies to all.“ Ex quo dominus papa Nicholaus III diffinivit quod fratres minores in arta paupertate Christum pauperum imitantes de quinque condicionibus, sepius supratactis non habent nisi simplicem usum facti videtur centire quod nec Christus aut fratres minores, secundum ordinem suum viventes, habeant civile aliquod ius utendi preter quam hoc quod raciones supra adducte et infra statim ponende suadentes quod Christus non habuit aliquod civile dominium. […] Et puto quod dominus Nicholaus sentenciam istam a domino pape Clemente I sicud ipse ex gestis apostolorum et discipulorum suorum de quoram numero ipse erat, accepit ipso testante in epistola ad sanctum Iacobum, Ierosolimitanum episopum [sic!] […]. De pauperie Salvatoris VI, ed. Brock, S. 144.

200 Urkirche, Dominium und die Politisierung der Gütergemeinschaft im 14. Jahrhundert schuld geblieben wären. Wie unter Freunden und Ehepartnern wäre dann alles ohne Teilung gewesen, das heißt ohne individuelle oder gemeinschaftliche Eigentumsrechte, so wie bis heute Luft und Sonnenlicht gemeinsam seien. Drittens besage der Kanon, dass alle Menschen, die privates Vermögen hatten oder haben, dieses nach Art von Freunden zu Gemeingut machen sollten, damit alles gerecht geteilt werde, auf dass niemand sich zutreffend reicher als ein anderer nennen könne. Viertens hätten es die Apostel und deren Anhänger, als sie in nachpfingstlicher Zeit zu predigen begannen, ebenso gehalten. Fünftens sei dies – wie im Kanon selbst zu lesen ist – die für jedermann notwendige Lebensweise und insbesondere für diejenigen, die untadelhaft leben und das apostolische Leben nachahmen wollten. Daraus sei ferner zu schließen, dass dies die Lebensweise Christi selbst gewesen sei, da jener seinen Aposteln gewiss nichts auferlegt hätte, was er selbst nicht einhielt.82 Im Weiteren geht FitzRalph der Frage nach, von welcher Art die Gütergemeinschaft der Urchristen gewesen sei. Im fünften Buch von De pauperie Salvatoris hatte er drei mögliche Formen von Gütergemeinschaft definiert: predicative, contentive und subiective. Prädikativ nennt er das naturrechtliche gemeinschaftliche Dominium über alle irdischen Güter, das im Urstand vorherrschte, nach der Sünde des Brudermords aber weitgehend inaktiv wurde. Als kontentive Gütergemeinschaft bezeichnet er das Zusammenfallen vieler einzelner Güter unter einem Herrn, so wie beispielsweise in einem Kaiser- oder Königreich, einem Herzogtum, einer Grafschaft usw. Hier also wird ‚Gemeinschaft‘ auf die Güter selbst, nicht auf ihre Nutznießer bezogen. Subjektiv schließlich ist das gemeinschaftliche, unteilbare Dominium mehrerer über bestimmte Güter, wobei FitzRalph hier wohl ein gemeinsames Eigentumsrecht unter weltlichem Dominium im Sinn hat, so wie es in traditionellen Klostergemeinschaften gängig war.83 Bezugnehmend auf diese Differenzierungen 82

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[…] primo apparet quod restriccio originalis dominii cum sua iure communi possessione conformi per positivum dominium supradictum fiebat per iniquitatem qua alius dixit hoc esse suum et alius illud hoc esse suum et aliud illud. Unde videtur quod statim iniquus Caym primogenitus prothoplasti, quando fecerat iniquitatem in alium aut alios exercere, incepit istam proprietatem rerum introducere, et iam sibi assumere contra legem nature, qua omnibus omnia deberent esse communia. Et secundo apparet ex istis hic dictis qualis fuit vita nostri primi parentis pro statu innocencie quam omnes sui posteri tenuissent si in innocencia perstitissent, scilicet quod omnia fuissent sicud amicis et coniugibus illis communia sine divisione, scilicet sine proprietate iuris personali aut collegiali, sicud adhuc remanent aer et splendor solis eis communes. Tercio quidem apparet hic quod omnes homines quoad divicias personales fuissent aut esse debebant sicud modo amici omnes qui habent bona communia et coniuges de bonis, que bonis que possident sunt eque divites nec aliquis talium dicior alio congrue dici potest. Quarto quidem apparet quod apostoli et eorum discipuli hanc vitam in utendo rebus ditantibus tenuerunt eo, scilicet tempore quo misso spiritu sancto in eos inceperant predicare. Quinto apparet quod hec vita necessaria est omnibus et maxime hiis qui volunt irreprehensibiliter vivere et vitam apostolicam imitari. Ex quibus videtur posse inferri quod hec fuit vita domini Ihesu Christi, quia non est verisimile quod dominus noster Christus alium modum vivendi imposuerit suis apostolis quam tenuit in semetipso […]. Ebd., S. 146 f. Vgl. auch ebd. III, S. 400–403. Triphariam dicitur dominium seu ius utendi esse commune: predicative, contentive et subiective. Predicative intelligo cum suo modo relativo de pluribus predicatur, quomodo originale dominium quod diximus esse proprietatem quasi specificam iuste nature humane dicitur commune dominium […]. Contentive dicitur commune dominium quia continet in se parcialia

Richard FitzRalph: der Klerus als legitimer Nachfolger der Urgemeinde

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richtet Iohannes nun an Ricardus die Frage, warum die Gütergemeinschaft der Urkirche nicht als rechtmäßige weltliche Besitzgemeinschaft getreu der vorherigen Definition eines subjektiven commune dominium zu denken sei, sodass der Besitz der Güter bei der ganzen Gemeinschaft gelegen habe. Ricardus entgegnet, dass die Worte Clemens’ eine solche Deutung nicht zuließen, da sie ausdrücklich von einer Gemeinschaft berichteten, die derjenigen von Luft und Sonnenlicht im Urstand entsprochen habe. Jene aber könne nicht weltlich (civiliter) gewesen sein und keinen Besitz (proprietas) umfasst haben. Denn wenn es heiße, der Gebrauch aller gottgegebenen Dinge solle gemeinsam sein, so sei von einem gemeinschaftlichen Gebrauchsrecht (ius utendi commune) frei von Besitzansprüchen die Rede. ‚Besitz‘ könne diese Form der Güterordnung allenfalls insofern genannt werden, als originale dominium mit proprietas iuste nature humane gleichzusetzen sei. Keineswegs könnten jedoch zum gemeinsamen Nutzen aller erschaffene Dinge als Besitz einer Person oder eines Vereins bezeichnet werden.84 Anhand einer Reihe von Zitaten aus den Evangelien legt Ricardus schließlich dar, dass dies der Lehre Jesu entsprochen habe, die er den Aposteln mitgegeben habe. Diese wiederum hätten dieselben Ideale an ihre Anhänger weitergereicht, weshalb also für die Zeit der Urgemeinde eine andersartige Praxis nicht denkbar wäre.85 In seiner als Gebet komponierten Zusammenschau des gesamten Werkes – ausschließlich des später hinzugefügten Buchs VIII – kommt der Theologe noch einmal auf das Ideal der Urgemeinde zurück. Alle Religiosen, die nach den Maßgaben

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multa dominia sibi subiecta sicud imperium, regnum, ducatus, comitatus, marchionatus, baroniam, militiam et si qua sunt alia istis similia in se continencia minora dominia et utroque eorum modorum dicitur esse commune originale dominium integrale. Subiective dicitur commune dominium quia est plurimum indivisa ita quod habet plures pro uno domino seu pro uno subiecto quomodo comitatus ecclesiastice secundum aliquos ac eciam seculares quoadsua bona communia habent subiective commune dominium […]. Ebd. V, S. 13 f. Joh. […] proprietas potest esse communis subiective iuxta premissa in quinto libro. Et si non sit predicative communis et ob hoc vocatur proprietas, cur igitur dici non possit quod bona apostolorum ac conversorum quamvis erant eis communia tamen erant toti collegio appropriata civiliter, ita quod in tota communitate illa fuit bonorum illorum proprietas? Ric. Quia verba sancti Clementis communicacionem huius non permittunt, sed talem communitatem qualem habent homines in aere et in solis splendore. […] Hec communitas aeris et splendoris non potest civiliter esse communis ita ut sit aliquorum proprietas. Item cum dicat quod omnium datorum communiter debet usus, scilicet ius utendi esse communis. Constat quod nullorum in usum datorum debet esse proprietas […]. Consequitur quod omnium bonorum datorum omnibus in usum communiter debet esse communitas, scilicet ius utendi commune et ita nullorum potest esse proprietas magis quam in bonis amicorum aut coniugum potest in uno ipsorum esse proprietas nec in toto iustorum collegio potest esse proprietas communissimum dominium, scilicet originale dominium nisi quod non est ad nostrum propositum dicatur quod originale dominium est proprietas iuste nature humane, sed non ita vocatur ista proprietas sed dominium proprium prout distinguitur contra commune dominium; proprietas appellatur, quomodo istud ius utendi commune omnibus hominibus quoad omnia eis communiter in usum creata proprietas cuiusquam persone seu collegii vocari non potest. Ebd. VI., S. 148–150. Constat quod apostoli illos conversos omnes ita docuerant ita ut ipsi omnes istam doctrinam servarent. Et iam supra ostendimus quod istud et alia illius sermonis domini observantes frustra, sicud eorum magistri habuissent proprietatem rerum seu earum civile dominium proprium aut commune. Ebd., S. 150 f.

202 Urkirche, Dominium und die Politisierung der Gütergemeinschaft im 14. Jahrhundert der vita communis lebten, erklärt er dort, hielten das Gebot aus Apg 4,34–35 ein, nichts, das sie besitzen, ihr Eigen zu nennen und alles der Notwendigkeit gemäß zu teilen. Auch die Prälaten der Kirche als Nachfolger der Apostel selbst brächen jenes Gebot nicht. Denn wenngleich sie großes Vermögen hätten, seien sie doch nur die Distribuenten desselben und könnten daher nicht als reich gelten, so wie auch die Apostel, denen laut Apg 4,35 die Erlöse aus dem Verkauf von Äckern zu Füßen gelegt wurden, deshalb nicht reich waren.86 In diesen Betrachtungen treten nun drei wesentliche Unterschiede zwischen dem ecclesia primitiva-Bild der Franziskanerspiritualen und demjenigen FitzRalphs deutlich hervor. (1.) Während die Franziskaner in der Urkirche jegliche Formen von Eigentums- und Gebrauchsrechten als ausgesetzt erachteten, kann FitzRalph, der wie jene in der Jerusalemer Gemeinde eine Erneuerung des status innocentiae erkennt, mithilfe der Differenzierung zwischen dominium originale und dominium civile ein gemeinsames Gebrauchsrecht unter natürlichem Dominium unter den Urchristen annehmen, ohne ihnen einen Lebensentwurf vollkommener artissima paupertas absprechen zu müssen. (2.) Da das dominium originale aber nur denjenigen zukommt, die in Gottes Gnade stehen, haben nach FitzRalph allein die Apostel und die Bekehrten eine legitime Berechtigung zur Nutzung von Temporalien. Pochte Olivi noch darauf, dass die Urchristen auch gegenüber Heiden und Juden keinerlei Ansprüche auf irgendwelche Güter erhoben hätten, ist für FitzRalph ein solcher Anspruch naturgegeben und steht in Einklang mit dem göttlichen Heilsplan. (3.) Überdies leiteten Olivi und die rigoristischen Minoriten in seiner Nachfolge aus ihrer Exegese der ecclesia primitiva die Parole ab, dass allein die Bewahrer der höchsten Armut nach franziskanischem Modell wahrhaftige Sukzessoren der Urchristen sein könnten, wohingegen FitzRalph den gesamten Klerus in deren Nachfolge stehen sieht. Bis zu einem gewissen Grad unklar bleibt freilich, ob FitzRalph an den zuletzt diskutierten Stellen lediglich über die Gegebenheiten in der Urgemeinde sinniert oder, von diesen abstrahierend, universal gültige ethische Normen aufstellen möchte. Brock legt in seiner Inhaltsangabe letzteres nahe, wenn er paraphrasiert: „And even now everything ought to be common, as between friends, and with wed86

Solicius abiecta segnicie conarentur nichil in hoc mundo que tu dulcis et rectus dominus in fulcimentum mortalitatis eorum communiter providisti, iure suo quovis proprio proprie, seu communiter retinentes imitatores tui eo modo effecti in artissima tibi accepta atque voluntaria paupertate nulli fratrum suorum utendi ius aliquod adimentes, sed semper observare parati spiritus tui sancti illam sacram regulam inspiratam tuis apostolis. Nec quisquam eorum que possidebat suum aliquid esse dicebat sed erant illis omnia communia et dividebatur singulis prout cuique opus erat Act. 4: 34–5) […]. Sic enim nullo iure mundano eis obsistente in aliis nec eciam iure aliquo adquisito sancte ac iuste tuis bonis utuntur, nec nos tui apostolici ordinis successores indigni quamvis multarum diviciarum ad distribuendum simus prepositi. Divites sumus sed pauperes si vitam tibi similem transigimus quam debemus. Sicud nec tui primi apostoli cum ad pedes eorum agrorum precia ponebantur divites extiterunt. Ebd. VII, S. 304 f. Vgl. dazu Dawson, Richard FitzRalph, S. 339.

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ded couples.“87 Diese Lesart hat insofern etwas für sich, als die Auslegung der fraglichen Verse der Apostelgeschichte im diskursiven Kontext des 14. Jahrhunderts, in den sich De pauperie Salvatoris einordnet, im Grunde immer eine tropologische ist. Überdies stellt FitzRalph, wie gesehen, auch anderswo die Direktiven Ps-Clemens’ als maßgeblich für die Gegenwart hin. Daraus allerdings auf eine Art protokommunistischer Gesinnung des irischen Theologen schließen zu wollen, wäre weit überzogen. Zwar finden sich in seinem langatmigen, verworrenen Beitrag zur Armutsdebatte durchaus Passagen, die als scharfe Kritik an kirchlicher wie weltlicher Macht- und Eigentumshäufung gelesen werden können. Andere Stellen der Schrift befördern hingegen exakt die gegenteilige Meinung, indem sie etwa eine Übereinstimmung des Kirchenvermögens mit dem dominium naturale postulieren. Pragmatische Schlussfolgerungen bietet der Verfasser von De pauperie Salvatoris letztlich jedenfalls nicht an und dürften aus seinem Werk auch schwerlich zu gewinnen gewesen sein.88 Erst die Überformungen und Verlängerungen gewisser darin enthaltener Lehrsätze, ihre Umwidmung zu anwendbaren Philosophemen und ihre Einbettung in ein eigenständiges ekklesiologisches Gesamtsystem durch John Wyclif entfesselten das reformerische Potential der Dominium-Lehre vor dem Hintergrund des Ideals der urchristlichen Gütergemeinschaft. 3. JOHN WYCLIF: GÜTERGEMEINSCHAFT UND GESELLSCHAFTSREFORM 3.1 John Wyclif Der englische Philosoph und Theologe John Wyclif (um 1330–1384) zählt zu den profiliertesten Gelehrten des 14. Jahrhunderts.89 Nachdem er – wohl um 1351 – zum 87 88

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Brock, Edition, S. LXVIII. Vgl. Lahey, Philosophy and Politics, S. 62: „Fitzralph’s theory is disappointing, since it neither inspires one with confidence in the possibility of successfully attaining apostolic poverty, nor does it conclusively establish the unwavering justice of the property-holding of the church. It exhibits neither the papalistic hierarchic claims of the earlier Augustinian friars nor the revolutionary spirit of its immediate successor [sc., Wyclif].“ Ob man die Arbeit deshalb als gescheitert betrachten kann, wie Dawson, Richard FitzRalph, S. 341 meint, ist im Grunde keine Frage von historischem Interesse. Die umfassendste Darstellung zu Wyclifs Leben und Wirken bleibt Herbert B. Workman, John Wyclif. A Study of the English Medieval Church, 2 Bde, Oxford 1926, ND Hamden 1966. Ältere Arbeiten wie Gotthard Viktor Lechler, Johann von Wyclif und die Vorgeschichte der Reformation, 2 Bde, Leipzig 1873, Rudolf Buddensieg, Johann Wiclif und seine Zeit. Zum fünfhundertjährigen Wiclifjubiläum (31. Dezember 1884), Halle 1885 und Reginald Lane Poole, Wycliffe and the Movements for Reform, London 1889 sind heute in vielen Punkten überholt, bleiben aber doch für manchen Aspekt nützlich und können nicht zuletzt als Quellen für die protestantische Kirchengeschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts von hohem Wert sein. Unter den neueren monographischen Darstellungen ragen heraus: Stephen E. Lahey, John Wyclif (Great Medieval Thinkers), Oxford 2009; Gillian R. Evans, John Wyclif. Myth and Reality, Oxford 2005; Anthony Kenny, Wyclif (Past Masters), Oxford/New York 1985 sowie Robson, Wyclif, der den früheren Wyclif plausibel als orthodoxen Philosophen im akademi-

204 Urkirche, Dominium und die Politisierung der Gütergemeinschaft im 14. Jahrhundert Priester geweiht worden war, durchlief er eine erfolgreiche akademische Karriere an der Universität von Oxford.90 Dort wurde er vor 1360 zum Master des Balliol College gewählt und erwarb 1372 den theologischen Doktorgrad. Spätestens um diese Zeit, wahrscheinlich aber schon einige Jahre eher, trat er in Königsdienste und unterstützte John of Gaunt (Johann von Gent) (1340–1399) in seinen Konflikten mit der Kirche. In diesem Zusammenhang äußerte er erstmals seine Ideen von der Unterordnung der Geistlichkeit unter die weltliche Gewalt in weltlichen Angelegenheiten und von der Befugnis letzterer, missbräuchlich verwendete Kirchengüter einzuziehen. Diese und andere kontroverse Standpunkte politischer und theologischer Natur, darunter besonders prominent seine Ablehnung des Dogmas der Transsubstantiation,91 die er seit etwa Mitte der 1370er Jahre in einer großen Zahl von Schriften ausführlich elaborierte, brachten ihm zwischen 1377 und 1384 von kirchlicher und universitärer Seite mehrere Anklagen wegen Irrlehren ein.92 Nach seinem Tod wurde seine Doktrin auf Betreiben verschiedener Akteure in England, Prag, Rom und zuletzt auf dem Konstanzer Konzil verurteilt, seine Schriften wurden eingezogen und verbrannt.93 Auf der anderen Seite wuchs ihm schon zu Lebzeiten und umso mehr im Laufe des 15. Jahrhunderts in England94 wie im hussitischen Böhmen95 eine große Anhängerschaft sowohl von Laien als auch aus den Reihen von Akademikern und Klerus zu, die ihm den Beinamen des doctor evangelicus zumaß.96

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schen Netzwerk des 14. Jahrhunderts darstellt. Einen breiten biographischen Überblick in Aufsatzform gibt Andrew E. Larsen, John Wyclif, c. 1331–1384, in: Ian Christopher Levy (Hrsg.), A Companion to John Wyclif. Late Medieval Theologian (= Brill’s Companions to the Christian Tradition, 4), Leiden/Boston 2006, S. 1–65. Gute knappere Einführungen z. B. bei Anne Hudson / Anthony Kenny, Art. „Wyclif, John (d. 1384)“, in: Oxford Dictionary of National Biography, Oxford 2004, Bd. 60, S. 616–630 (online: http://www.oxforddnb.com/index/30/ 101030122); Christina von Nolcken, Art. „Wyclif, John (um 1330–1384)“, in: TRE 36 (2004), S. 415–425; Alessandro Conti, Art. „John Wyclif“, in: Stanford Encyclopedia of Philosophy, http://plato.stanford.edu/entries/wyclif). – Bibliographie (mit Schwerpunkt auf die Lollardenbewegung, aber auch für Wyclif i. A. wertvoll): http://lollardsociety.org/?page_id=10. Alle biographischen Informationen vor dem Jahr 1356 sind, wie schon Wyclifs Geburtsjahr und Herkunft, unsicher. Vgl. Larsen, John Wyclif, S. 9 f.; Lahey, John Wyclif, S. 3 f. S. dazu Jeremy I. Catto, John Wyclif and the Cult of the Eucharist, in: Katherine Walsh / Diana Wood (Hrsgg), The Bible in the Medieval World. Essays in Honour of Beryl Smalley (= Studies in Church History, Subsidia 4), London 1985, S. 269–286; Stephen Penn, Wyclif and the Sacraments, in: Levy (Hrsg.), Companion, S. 241–291; Gordon Leff, Ockham and Wyclif on the Eucharist, in: Reading Medieval Studies 2 (1976), S. 1–13. S. dazu Joseph Henry Dahmus, The Prosecution of John Wyclyf, New Haven 1952. Vgl. Werner, Irrtum, S. 256, 322, 375 und passim. Zur englischen Lollarden-Bewegung, die sich aufs Engste mit Wyclif verbunden fühlte, s. primär Anne Hudson, The Premature Reformation. Wycliffite Texts and Lollard History, Oxford 1988. Zu Wyclifs Einfluss in Böhmen s. nur den locus classicus Johann Loserth, Huss und Wiclif. Zur Genesis der Hussitischen Lehre, 2., veränd. Aufl., München/Berlin 1925 (zuerst: Prag/Leipzig 1884). Zum Ursprung dieses Ehrentitels s. Gustav Adolf Benrath, Wyclifs Bibelkommentar (= Arbeiten zur Kirchengeschichte, 36), Berlin 1966, S. 1.

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Entsprechend der Zäsur, die sein Eintritt in den Dienst für die Krone markiert, zerfällt Wyclifs Werk in zwei Teile. In der früheren, philosophisch-metaphysischen Periode sticht sein eigensinniger Universalienrealismus als signifikantestes Merkmal hervor,97 in der späteren, theologisch-politiktheoretischen stehen Fragen nach der Beziehung Gottes und der Heiligen Schrift zum Menschen und zur irdischen Ordnung sowie, unmittelbar daraus folgend, nach den idealen Formen weltlicher und geistlicher Machtausübung im Brennpunkt.98 Die Erzeugnisse der ersten Schaffensphase bilden seine Summa de ente, eine Auswahl aus der zweiten fügte er am Ende seines Lebens zu einer Summa theologie zusammen.99 In ihr stellt er, in engem Anschluss an FitzRalph und die ältere Tradition, breite Definitionen des Dominium-Begriffs an, unternimmt eine grundlegende Neuvermessung des Verhältnisses von regnum und ecclesia und tritt als scharfer Kritiker der verweltlichten Amtskirche hervor. Unter den nicht in die beiden Summen aufgenommenen Werken findet sich überdies ein Kommentar zur gesamten Heiligen Schrift, die Postilla super totam Bibliam, in der sich wesentliche Philosopheme und Theologeme seines übrigen Schaffens widerspiegeln.100 Angesichts des beschriebenen Programms kann es nicht überraschen, dass sich die seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts blühende, protestantisch getragene Wyclif-Forschung zunächst lange auf seine Bedeutung als Vordenker und Wegbereiter der Reformation konzentrierte.101 Später wandte sie sich mehr und mehr nach innen und erhob das Problem des Zusammenhangs seiner Metaphysik mit seiner zeitkritischen Theologie zu einem ihrer zentralen Anliegen.102 Das bis dato 97 98

Zu diesem Teil seines Werks s. primär Robson, Wyclif. Etablierter bibliographischer Führer durch Wyclifs Schriften ist Williel R. Thomson, The Latin Writings of John Wyclyf. An annotated Catalogue, Toronto 1983. 99 S. dazu Anne Hudson, The Development of Wyclif’s Summa Theologie, in: Brocchieri/Simonetta (Hrsgg.), John Wyclif, S. 57–70. 100 Zu ihr s. Benrath, Bibelkommentar. Weiteres unten, Kap. IV,3.5. 101 Vorbereitet worden war diese Wahrnehmung schon von John Bale (1495–1563), der Wyclif mit dem so berühmt gewordenen Titel des ‚Morgensterns der Reformation‘ versah. Ganz im Lichte dieses Gedankens steht etwa Lechler, Johann von Wiclif. Mit der Frage, inwieweit dieses Bild des Engländers haltbar ist, befasst sich z. B. Bernhard Töpfer, John Wyclif – mittelalterlicher Ketzer oder Vertreter einer frühreformatorischen Ideologie?, in: Jahrbuch für Geschichte des Feudalismus 5 (1981), S. 89–124. 102 Einen guten Überblick über „A Century of Wyclif Scholarship“ mit Konzentration auf letztgenanntes Problem gibt Lahey, Philosophy and Politics, S. 9–23. – Eine besondere Schwierigkeit für die Konsensfindung in dieser Frage stellt wohl die Tatsache dar, dass zwar einerseits ganz sicher enge Zusammenhänge zwischen den beiden elementaren Sphären Wyclif’schen Denkens existieren, er selbst aber andererseits gewiss nie einem kohärenten Plan folgte, sie kontradiktionsfrei miteinander zu verbinden. Metaphysik und Politik Wyclifs sind nicht im Ganzen bewusst in einen Kontext gestellt; der Kontext ergibt sich vielmehr durch die relative Konsistenz seines Denken. Da aber nach Quentin Skinner fraglos von ‚natürlichen‘ Kontradiktionen im Werk eines Autors auszugehen ist und Wyclif hier gewiss keine Ausnahme bildet, lässt sich jede Argumentation für eine spezifische Verbindung seiner metaphysischen mit seinen politischen Anschauungen mithilfe einer veränderten Perspektive, das heißt indem andere Teile seines Werks zum Ausgangspunkt genommen werden, widerlegen oder einschränken, um eine andere stark zu machen. In diesem Widerspiel bleibt freilich außer Acht, dass die Validität eines Erklärungsmodells nicht zwangsläufig die Ungültigkeit eines anderen bedeuten muss.

206 Urkirche, Dominium und die Politisierung der Gütergemeinschaft im 14. Jahrhundert plausibelste Erklärungsangebot in dieser Sache stammt von Stephen Lahey, und es dürfte für die folgenden Untersuchungen von Wyclifs Bild der urchristlichen Gütergemeinschaft lohnenswert sein, seine Lösung vorab in aller Kürze zu vergegenwärtigen. Lahey argumentiert weitgehend überzeugend, dass das Verhältnis von göttlichem Dominium zu den verschiedenen Formen gerechten weltlichen Dominiums in Wyclifs Spätwerk mit dem Verhältnis zwischen Universalien und Partikularien in seinen früheren, metaphysischen Schriften korreliert.103 Diese Interpretation ermöglicht es ihm, die Lehre des doctor evangelicus als in sich geschlossen und konsistent zu charakterisieren.104 Wyclifs Ablehnung von Privateigentum und seine Hinneigung zur Gütergemeinschaft erklären sich innerhalb dieses Modells damit, dass alle per se gerechten Formen weltlichen Dominiums, nämlich natürliches respektive originales und spirituelles, also diejenigen Ausprägungen, die seines Erachtens bereits vor dem Sündenfall existierten, ausschließlich als gemeinschaftliches Dominium gedacht werden können. Diese Formen sind für Laheys Wyclif ohne Einschränkungen als irdische Instanzen des göttlichen Dominiums zu verstehen. Individualbesitz hingegen, so Lahey korrekt, setzt nach Wyclifs Auffassung ziviles Dominium voraus. Jenes aber könne in fraglichem Denkmuster nur dann als Instanz des göttlichen begriffen werden, wenn es durch göttliche Gnade vermittelt wäre. Da dies jedoch eine allzu starke Voraussetzung darstelle und die Gefahren nicht göttlich approbierten Dominiums zu hoch seien, kann laut Lahey Wyclif Individualbesitz nur insofern – gleichsam als Kompromiss – akzeptieren als in der Gnade Gottes stehende weltliche Machthaber durch ihn die Möglichkeit zur Enteignung des Klerus gewönnen, um so die Kirche auf die ecclesia primitiva zurückzuformen.105 Vor dem Hintergrund dieser Beobachtungen erscheinen viele Eigenheiten Wyclif’scher Theorie in einem klareren Licht. Insbesondere ermöglichen sie, wie zu sehen sein wird, ein besseres Verständnis seiner Gütergemeinschaftsidee, die zwischen einer programmatischen Forderung in Hinblick auf den Klerus und einer Zukunftssehnsucht in Hinblick auf die Menschheitsgemeinschaft zu schwanken scheint. Beides ist in seiner großen Schrift über weltlichen Besitz und weltliche Herrschaft, De civili dominio106, am breitesten angelegt und anhand des Vorbilds der lukanischen Sammelberichte über die Urgemeinde detailliert ausbuchstabiert. Jenes Werk wird daher im Folgenden zuerst und über die längsten Strecken hinweg in den Mittelpunkt rücken. Die wesentlich knappere klassisch-exegetische Auslegung der lukanischen Summarien in der Postilla super totam Bibliam wiederum entstand unter anderen 103 S. z. B. Lahey, Philosophy and Politics, S. 7: „This will allow us to characterize the status of divine dominium as being a universal in which all instances of just human dominium participate as instantiations […].“ 104 Ebd., S. 202: „[…] Wyclif’s philosophy is consistent. A justly famous scholastic metaphysician turned his attention to social concerns, producing philosophically complex arguments comprehensible in terms he had already defined.“ 105 Vgl. dazu (mit anderer Gedankenführung und ohne die oben formulierte Konsequenz) ebd., S. 108–146, 201 f. 106 Stegmüller, RB 5067,2.

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Voraussetzungen, zu einem anderen Zweck und unter Zuhilfenahme anderer Werkzeuge. Es wäre daher nicht erkenntnisleitend, die dort aufgestellten Lehrsätze unkritisch mit denjenigen in De civili dominio zu einem Gesamtbild synthetisieren zu wollen. Sie müssen gesondert betrachtet werden und können dann, unter Berücksichtigung ihrer formalen wie inhaltlichen Verschiedenheit, zu Erkenntnissen über die Bedeutung der Form für den Inhalt im spätmittelalterlichen Diskurs über die Urkirche einerseits und – in Zusammenschau – über einen womöglich fixen, unveränderlichen Kern der Positionen Wyclifs in diesem Diskurs andererseits führen. Um die Stellung des Topos der ecclesia primitiva in Wyclifs Doktrin möglichst exakt bestimmen zu können, bietet sich daher ein Dreischritt an. Zuerst soll den mitunter verworrenen Pfaden des ersten, ursprünglich als abgeschlossen gedachten Buches107 von De civili dominio in groben Zügen gefolgt und jeweils an denjenigen Stellen innegehalten werden, an denen die Idee einer Gemeinschaft der Güter und zumal das urchristliche Ideal expressis verbis artikuliert und pointiert sind.108 Auf diese Weise kann eine erste generelle Orientierung über die Bedeutung der urchristlichen Gütergemeinschaft im Denken des Theologen und, genauer, für tragende Elemente seiner Kirchen- und Zeitkritik erlangt werden. Hierbei sind im Einzelnen zu berücksichtigen: der Lehrsatz vom Dominium durch Gnade, die Armut Christi, der Zusammenhang von platonischer und urchristlicher Gütergemeinschaft, das Verhältnis von geistlicher und weltlicher Macht sowie Wyclifs Ekklesiologie. Im zweiten Schritt wird die Aufmerksamkeit sodann gezielt auf zentrale Textstellen für die Idee vom Urchristentum in den anderen Teilen von De civili dominio gerichtet, wobei eine Passage aus Kapitel sechs des dritten Buches in den Mittelpunkt rückt, in der die Vorbildlichkeit der Jerusalemer Gemeinde anhand Apg 4 in großem Detailreichtum erörtert ist. Sie gibt Aufschluss über Wyclifs Vorstellungen von der Verfasstheit der urchristlichen Gütergemeinschaft, über die Rolle, die er derselben in Bezug auf die historische Depravation der Kirche beimisst und, in diesem Kontext, über seine Position gegenüber den Orden als den selbsterklärten Bewahrern der apostolischen Lebensweise. Der dritte Schritt schließlich führt hinüber zur Postilla super totam Bibliam, um die klassisch-exegetischen Betrachtungen separat zu erfassen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu denjenigen in De civili dominio herauszustellen und sie miteinander in Beziehung zu setzen.

107 Vgl. Lahey, John Wyclif, S. 17. 108 Anspruch der folgenden Betrachtungen kann und soll es indes nicht sein, die ausufernden und redundanten Gedankengänge der Schrift im Sinne einer Inhaltsangabe zu erfassen und wiederzugeben. Instruktive Strukturanalysen und inhaltliche Zusammenfassungen von De civili dominio finden sich in den Einleitungen zu den vier Bänden, in denen die Wyclif Society die Schrift zwischen 1858 und 1904 herausgab (s. oben, S. 36, Anm. 83). Kurze Überblicke bieten auch Workman, John Wyclif, Bd. 1, S. 261–266 sowie Lahey, Philosophy and Politics, S. 110– 112.

208 Urkirche, Dominium und die Politisierung der Gütergemeinschaft im 14. Jahrhundert 3.2 Leitlinien: die ecclesia primitiva in Wyclifs Dominium-Lehre Die drei Bücher der Schrift De civili dominio, entstanden 1375/76, bilden nicht nur den bei weitem umfangreichsten Teil der Summa theologie, sie sind es auch, in der Wyclif seinen Anschauungen über weltlichen Besitz und dessen Beziehung zur Kirche und ihren Amtsträgern den differenziertesten Ausdruck verleiht.109 Wenig überraschend, stellten hier erstmals deutlich formulierte Attacken gegen die bestehende kirchliche Ordnung den Auslöser der frühesten Häresievorwürfe gegen den Oxforder Lehrer dar, die ihren Niederschlag in einer Reihe von Bullen Gregors XI. aus dem Jahr 1377 fanden.110 Zumindest für das heutige Auge ist es vor allem diese Schrift, in der sich die theologische Grundlegung der fundamentalen Kirchenkritik des Oxforders vollzieht. Elementare Thesen seiner später entstandenen Arbeiten De ecclesia, De officio regis und De potestate pape, solcher Stücke also, die Wyclifs Wahrnehmung als „greatest heresiarch of the later Middle Ages“111 begründeten und denen, bei aller abwägenden Vorsicht, ein gewichtiger Einfluss auch auf die Entwicklung der Doktrin des Jan Hus nicht abgesprochen werden kann, sind hier geprägt und vorgeformt.112 Daraus folgt freilich mitnichten, dass Wyclifs Haltung gegenüber bestimmten Gegenständen, seine Vorsätze und Intentionen in De civili dominio einfach offenlägen und Zeile für Zeile abgelesen werden könnten. Wie schon FitzRalph verliert sich auch Wyclif in ständigen Wiederholungen und Abschweifungen. Seine Arbeit entbehrt einer einleuchtenden Gliederung und lässt den unbedarften Leser unter Umständen über hunderte von Seiten hinweg im Unklaren über das eigentliche Thema des Textes. In der Tat kann man sich bei der Lektüre des Eindrucks mitunter kaum erwehren, es eher mit der Niederschrift eines Bewusstseinsstroms zu tun zu haben als mit einer elaborierten akademischen Abhandlung. Die klare scholastische Argumentationsstruktur nach dem traditionellen Schema These–Einwände–Beweis–Stellungnahme zu den Einwänden, die im 13. Jahrhundert bei Thomas, Bonaventura und ihren Zeitgenossen ihre reinste Form gefunden hatte, ist hier einem kaum noch durchdringbaren Chaos anheimgefallen.113 Überdies erscheinen viele 109 Zu den Entstehungszusammenhängen s. Workman, John Wyclif, Bd. 1, S. 257 f.; Lahey, John Wyclif, S. 15–17. 110 S. dazu Workman, John Wyclif, Bd. 1, S. 293–300 sowie ausführlich Dahmus, Prosecution, S. 35–73. 111 Gordon Leff, Wycliff and Hus: A Doctrinal Comparison, in: Anthony Kenny (Hrsg.), Wyclif in his Times, Oxford 1986, S. 105–125, hier S. 106. 112 Vgl. Lahey, John Wyclif, S. 199. – Zur vieldiskutierten Bedeutung der Lehren Wyclifs für Hus s. Loserth, Huss und Wiclif; Gordon Leff, Wycliff and Hus; Bernhard Töpfer, Die Wertung der weltlich-staatlichen Ordnung durch John Wyclif und Jan Hus, in: František Šmahel (Hrsg.), Häresie und vorzeitige Reformation im Spätmittelalter (= Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 39), München 1998, S. 55–76 sowie Gustav Adolf Benrath, Wyclif und Hus, in: Zeitschrift für Theologie und Kirche 62 (1965), S. 196–216. 113 Vgl. die Einleitung des Herausgebers Poole in De Civ. Dom., Bd. 1, S. XXf: „But the truth is that an analysis of a scholastic work like the De civili Dominio does not carry home to the understanding of the modern reader anything like a conception of the real bearing of the treatise; he is only confused by the multiplicity with which, for reasons of symmetry or school étiquette, the same points are proved and re-proved, distinctions are invented, analogies are forced, the

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der grundlegenden theologischen Maximen des Traktats zunächst schlicht als Referate augustinischen Gedankenguts, wodurch das Verständnis zusätzlich erschwert wird.114 Gleichwohl stellt gerade jene Abhandlung neben der Postilla super totam Bibliam die zentrale Quelle für Wyclifs Ansichten über die Bedeutung der ecclesia primitiva für seine Gegenwart dar. Bringt er die Urkirche in den anderen Teilen der Summa meist nur beiläufig und subsidiär als Maßstab zur Beurteilung der Amtskirche des 14. Jahrhunderts zur Sprache, so spendet er ihr im Verlauf von De civili dominio wiederholt große Aufmerksamkeit. Im ersten Buch, das als Aufriss all derjenigen Themen gelesen werden kann, die den späten Wyclif dauerhaft umtrieben, sind die Bezüge auf die Urgemeinde daher zahlreich und diffus gestreut. Ihre Zusammenschau jedoch stellt vor Augen, dass im Grunde alle wesentlichen Punkte seiner Dominium-Doktrin und der aus ihr sich speisenden Zeitkritik in Verbindung mit seinem Bild von der urchristlichen Gütergemeinschaft stehen, wenn nicht gar zu einem Gutteil aus ihm abgeleitet sind.

true scope of the book is as it were industriously concealed from view. […] Consequently the detailed contents of a work of this kind give no clear indication of the real purport of that work.“ Elemér Boreczky, John Wyclif’s Discourse On Dominion in Community (= Studies in the History of Christian Traditions, 139), Leiden/Boston 2008, S. 77–79, meint, diese Eigenschaften der Summa damit erklären zu können, dass sie eigentlich „compilations of ‚talks‘“ darstelle. Ähnlich schon Michael J. Wilks, Predestination, Property, and Power. Wyclif’s Theory of Dominion and Grace, in: Studies in Church History 2 (1965), S. 220–236, hier: S. 224. 114 Über die Bedeutung augustinischer Doktrin für die Argumentation von De civili dominio bestehen in der Forschung sehr unterschiedliche Meinungen. Während Poole etwa meinte, dass es sich beim ersten, langen Abschnitt der Schrift um nichts mehr als „a commentary on the old saying quoted by saint Augustin, Fidelis hominis totus mundus divitiarum est, infidelis autem nec obulus“ (Poole, De Civ. Dom. I, S. XXIf) handle, argumentiert Boreczky, Discourse, S. 77 mit Anm. 19, Wyclif habe seine Schlussfolgerungen primär aus metaphysischen und philosophischen Spekulationen gewonnen und in scholastischem Stil nachher mit Zitaten der Autoritäten wie der Väter untermauert. Ist nach Poole Wyclif also über weite Strecken nicht mehr als ein Rekapitulator Augustins, so stellt Boreczky ihn als autonomen, ja traditionslosen Freigeist hin. Beide Extrempositionen scheinen an der Wahrheit vorbeizugehen. Tatsächlich erweisen sich zu viele der in De civili dominio zum Ausdruck gebrachten Lehrsätze als augustinisch, als dass von einem völlig freistehenden Denkgebäude Wyclifs die Rede sein könnte. Andererseits legt er die bei dem großen Kirchenlehrer vorgefundenen Vorstellungen in genuiner Weise aus und wendet sie so kreativ auf seine Zwecke an, dass letzthin doch etwas Neues und Eigenes entsteht. Wyclif war eben niemals ein Opponent gegen die geläufigen Techniken der Scholastik, sondern im Gegenteil ihr beharrlicher Verfechter und Anwender (vgl. Workman, John Wyclif, Bd. 1, S. 103 ff.). Vor den patristischen Vätern und insbesondere vor Augustinus hatte er größte Hochachtung; die Rückwendung zu ihnen galt ihm als Weg zur Überwindung der Verderbnisse der neueren Philosophie und Theologie. In De civili dominio ging es ihm darum, seine gerade in Rückgriff auf die Tradition gewonnenen ekklesiologischen und sozialtheoretischen Überzeugungen glaubhaft zu machen.

210 Urkirche, Dominium und die Politisierung der Gütergemeinschaft im 14. Jahrhundert 3.2.1 Omnis homo debet esse in gracia … ergo omnia debent esse communia – Gnadenstand und Gütergemeinschaft In der Wiener Handschrift ÖNB, Cod. 1341, dem bis heute einzigen bekannten Manuskript des ersten Buches von De civili dominio, ist dem Werk von einer unbekannten Hand folgende Sentenz vorangestellt: „Göttliches Recht ist dem zivilen Recht vorausgesetzt. Natürliches Dominium ist dem zivilen Dominium vorausgesetzt.“115 Damit ist eine deutliche Verbindung zu den vorangegangenen Abhandlungen De mandatis divinis und De dominio divino geknüpft, in denen göttliches Recht und natürliches Dominium als Voraussetzungen für die weltlichen Formen behandelt werden, und zugleich das Feld abgesteckt, auf dem sich die drei Bücher über das weltliche Dominium im Wesentlichen bewegen. Zu Beginn der Schrift führt Wyclif zunächst den Beweis über die beiden grundlegenden Annahmen, dass ein Todsünder nicht Inhaber eines wie auch immer gearteten Dominiums sein könne, jeder in göttlicher Gnade stehende Mensch hingegen Dominium über alle weltlichen Güter besitze.116 Ersteres, seine Variante des seit Aegidius Romanus gängigen Axioms der Abhängigkeit aller legitimen Gewalt von göttlicher Gnade, muss zum richtigen Verständnis in Verbindung mit der gegen Ende des ersten Buches von De civili dominio artikulierten Auffassung betrachtet werden, dass auch die hohen Amtsträger der römischen Kirche inklusive dem Papst Todsünder sein könnten.117 So wird der aegidische Lehrsatz, den sein Begründer als Beleg für die unantastbare Gewaltfülle des Papstes gebrauchte, hier ins Gegenteil gewendet. Da gerechtes Dominium völlig abhängig von der Gnade Gottes und einem sündhaften Menschen deshalb verwehrt sei, der Papst und die sonstigen kirchlichen Würdenträger aber vor der Todsünde ebenso wenig gefeit seien wie alle anderen Menschen, falle denselben das Dominium nicht mehr oder weniger zu als jedermann sonst. Es ist bemerkenswert, wie sich Wyclifs Abwertung des Priesterstandes, besonders in Hinblick auf die Sakramentsspende, hier mit den Grundlagen seiner Dominium-Lehre verbindet. Für Aegidius und seine Nachfolger war es gerade die Fähigkeit zur Vermittlung der Sakramente, die der Amtskirche eine unerlässliche Mittlerposition zwischen Gottesgnade auf der einen und Besitz und Macht auf der anderen Seite eintrug. In Wyclifs Denken über die Ekklesia hingegen konnte prinzipiell jeder Prädestinierte Priester sein, war die Möglichkeit dazu jedenfalls nicht abhängig von einer entsprechenden Weihe durch die Amtskirche.118 Damit 115 Ius divinum presupponitur iuri civili. Dominium naturale presupponitur dominio civili. De Civ. Dom. I, ed. Poole, S. 1. Vgl. dazu Boreczky, Discourse, S. 159. 116 Intendo itaque pro dicendis ostendere duas veritates quibus utar tamquam principiis ad dicenda: prima, quod nemo ut est in peccato mortali habet iusticiam simpliciter ad donum Dei; secunda, quod quilibet existens in gracia gratificante finaliter nedum habet ius, sed in re habet omnia bona Dei. De Civ. Dom. I, ed. Poole, S. 1. 117 […] nullum papam cum cetu cardinalium citra Christum sit absolute necessarium capitaliter regere ecclesiam sanctam Dei. Primo patet ex hoc quod omnem talem personam sit possibile peccare mortaliter et dampnari […]. Ebd., S. 380. 118 Vgl. Wolf-Friedrich Schäufele, Die Kontinuität der Kirche. Oppositionelle Konzeptionen im Hoch- und Spätmittelalter, in: Andreas Speer / David Wirmer (Hrsgg.), Das Sein der Dauer (= Miscellanea mediaevalia, 34), Berlin 2008, S. 398–413, hier: S. 410.

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aber verliert der Klerus seine Stellung als Medium zwischen göttlicher Gnade und Dominium und wird somit auch für das gesamte Wyclif’sche Konzept vom rechtmäßigen Verhältnis des Menschen zu weltlichen Gütern überflüssig.119 Die zweite Annahme, dass nämlich jeder Mensch unter der Gnade Gottes Gewalt über alle weltlichen Güter innehabe, kann auf ein durch Augustinus an das Mittelalter vermitteltes Proverbium der Septuaginta zurückgeführt werden.120 Durch die Aufnahme ins Decretum Gratiani gelangte jenes im späteren Mittelalter offenbar zu größerer Bekanntheit.121 Eine praktische Realisierung des abstrakten Satzes ist selbstverständlich allein in Form einer Gütergemeinschaft denkbar. Dezidiert spricht sich Wyclif daher auch für dieses Ideal aus: […] alle Güter Gottes sollen gemeinsam sein. Dies wird so bewiesen: Jeder Mensch soll im Gnadenstand sein, und wenn er im Gnadenstand ist, ist er Herr der Welt und dessen, was in ihr ist; also soll jeder Mensch Herr des Universums sein: angesichts der Vielzahl der Menschen wäre dies aber nicht möglich, wenn sie nicht alle alle Dinge gemeinsam haben sollten; also sollen alle Dinge gemeinsam sein.122

Umfassender legt er diese Überzeugung in Auseinandersetzung mit der Dekretale Dilectissimis im dritten Buch von De civili dominio dar.123 Aus den Worten des Papstes Clemens ginge unzweifelhaft hervor, erklärt er dort, dass alle irdischen Güter wie das Sonnenlicht gemeinsam sein sollten und es ohne Sünde nicht möglich sei, sich irgendetwas im Sinne eines zivilen Dominiums anzueignen.124 In der Frage nach Entstehung des letzteren folgt Wyclif Richard FitzRalph und der Tradition der Dekretisten, indem er den Sündenfall als Ursprung weltlichen Eigentums identifiziert. Die Regeln des Urstandes seien durch die Sünde aber dennoch nicht gänzlich verlustig gegangen, weshalb das Teilen der Güter nach wie vor geboten sei.125 Im Kanon Dilectissimis sei dies durch die Verbindung eines philosophischen mit einem evangelischen Lehrsatz begründet. Laut der Philosophie sollten alle Freunde alle 119 Vgl. Töpfer, John Wyclif, S. 120. 120 Fidelis hominis totus mundus divitiarum est, infidelis autem nec obolus […]. Augustinus, Epistola 153,26, ed. A. Goldbacher, S. Aureli Augustini operum sectio II: S. Augustini epistulae, Bd. 3: Ep. CXXIV–CLXXXIV A (= CSEL, 44), Wien/Leipzig 1904, S. 395–427, hier: S. 426. Vgl. Septuaginta, Spr 17,6a: τοῦ πιστοῦ ὅλος ὁ κόσμος τῶν χρημάτων, τοῦ δὲ ἀπίστου οὐδὲ ὀβολός. In der Vulgata findet sich dieser Spruch nicht wieder. 121 S. Decretum Gratiani, C. XIV, qu. 4, c. 11, ed. Friedberg, Sp. 738. 122 […] omnia bona Dei debent esse communia. Probatur sic: Omnis homo debet esse in gracia, et si est in gracia est dominus mundi cum suis contentis; ergo omnis homo debet esse dominus universitatis: quod non staret cum multitudine hominum, nisi omnes illi deberent habere omnia in communi; ergo omnia debent esse communia. De Civ. Dom. I, ed. Poole, S. 96. Vgl. dazu wie zum Folgenden auch die Paraphrasen bei Dietrich Heine, Wiclifs Lehre vom Güterbesitz, Gütersloh 1903, S. 40 ff., sowie Kenny, Wyclif, S. 46 f. 123 S. De Civ. Dom. III, ed. Loserth, S. 202–207 mit Vollzitat des Kanons Dilectissimis S. 202 f. 124 […] sicut Deus prestat nobis lumen solis et ceterarum influenciarum corporis, ut sint cunctis communia, sic terre nascencia nec non et bestias, sed non licet sine peccato civiliter appropriare priora, ergo nec alia. Ebd., S. 204. 125 […] in statu innocencie omnia debent sine civilitate esse communia, in tantum quod post lapsum proprietas ex peccato introducta est, ut dicit Clemens; sed omnis lex status innocencie, lapsus possibilis non Deo obligat propter lapsum, ergo ad hoc omnis homo debet servare communicacionem huiusmodi. Ebd. Vgl. dazu Töpfer, Urzustand, S. 507 f.

212 Urkirche, Dominium und die Politisierung der Gütergemeinschaft im 14. Jahrhundert Dinge gemeinsam haben, laut dem Gesetz des Evangeliums sollten alle Menschen Freunde sein, „ergo soll allen Menschen alles gemein sein.“126 Beispiele für die Gültigkeit dieses Gebotes biete Papst Clemens mit der Jerusalemer Urgemeinde127 sowie dem Lebenswandel Jesu selbst an. Dass dieser frei von zivilem Dominium und jeglichen weltlichen Gebrauchsrechten gewesen sei, gehe, wie schon FitzRalph gezeigt habe, wiederum zweifelsfrei aus der Dekretale Dilectissimis hervor, mit der auch Papst Nikolaus III. in Exiit qui seminat übereingestimmt habe.128 Auch in den knapperen Ausführungen in Buch I verweist Wyclif zum Nachweis dafür, dass das Ideal der Gütergemeinschaft in gutem Einvernehmen mit dem katholischen Glauben stehe, auf den Bund Christi und seiner Jünger, die sich vor Eigenbesitz geflüchtet und Temporalien in Gemeinschaft gehabt hätten, und, wie so oft, auf die Lebensweise der Jünger nach Christi Himmelfahrt, als alles gemeinsam gewesen und laut Apg 4,35 nach den jeweiligen Bedürfnissen geteilt worden sei.129 3.2.2 Die Armut Christi Hinsichtlich des Verhältnisses Jesu und seines Gefolges zum Individualbesitz ist Wyclif also zunächst d’accord mit der klassischen franziskanischen Schule, sprich mit Bonaventura, der Dekretale Exiit qui seminat und den auf jene sich berufenden Spiritualen. Allerdings scheint für ihn ebenso außer Frage zu stehen, dass Christus und seine Jünger gemeinschaftlich Güter zu ihrer Verfügung hielten (aufugit proprietatem sed habuit temporalia in communi), womit er nunmehr in deutlichen Widerspruch zur pro-franziskanischen Lesart der Evangelien zu treten scheint. Allein, an der vorbildlichen Armut Christi lässt er keinen Zweifel. Im Prolog seiner Postille zur Apostelgeschichte etwa betont er nachdrücklich, dass der Heiland für 126 […] videtur beatum Clementem innuere quod omnia debent omnibus hominibus esse communia, primo quia omnibus amicis debent omnia esse communia, omnes homines debent esse amici, ergo omnibus hominibus debent omnia esse communia. Maior patet ex philosophia; minor patet ex lege evangelica. De Civ. Dom. III, ed. Loserth, S. 204. 127 […] confirmatur eadem sentencia de communione ex hoc quod corpus Christi misticum fuit perfeccius secundum partem habentem omnia in communi, ut patet de christianis conversis Jerusalem, Act. IV°, quam fuit secundum secularem a perfeccione huiusmodi deficientem; sed tota ecclesia perficitur eo ipso quod una pars eius perficitur nulla alia diminuta, ergo perfeccius simpliciter foret ecclesie quod tota civilitas foret educta; sic enim foret lege Christi regulata, conformans statui innocencie et beatitudinis similata propinquius et exemplaribus suis munita Christi et apostolorum, posterius quod non repugnat alicui statui decencia viacionis habere omnia in communi […]. Ebd., S. 206: 128 Ex istis dictis huius sanctissimi pape et martiris, subtilissimi theologi ac Petri discipuli cum apostolis conversantis elicit dominus Armachanus VI libro De Pauperie […], quod Christus nedum non habuit civile dominium, sed nec civilem usum nec ius utendi civiliter, eo quod omne tale fuisset in Christo superfluum atque vacuum. Et hoc credit Nicholaum III elicuisse in decretali illa Exiit ex iam dicta epistola beati Clementis. Ebd., S. 203 f. 129 Et ista racio notatis predictis daret cuilibet catholico plenam fidem. In cuius confirmacionem Veritas cum suis discipulis aufugit proprietatem sed habuit temporalia in communi […], et post eius ascensionem erant eius discipulis omnia communia; dividebatur enim singulis prout cuicunque opus erat, Act. iv. 35. De Civ. Dom. I, ed. Poole, S. 96 f.

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sich selbst weltliches Eigentum und weltlichen Besitz gänzlich abgelehnt habe und sein Lebenswandel gerade deshalb für alle Christen und zumal für die Angehörigen der Kirche Vorbild sei, insbesondere in ihrem Bezug zur Welt.130 Gleichwohl habe sich Christi Entsagung der irdischen Dinge nicht ins Radikale gesteigert: Denn nichts an Speisen, Kleidung und anderen Erfordernissen des Körpers, den er sich angepasst hatte, wollte der Herr des Himmels und der Erde zu eigen haben, sondern er wollte sich mit einem Mittelmaß begnügen. Er nahm nämlich nicht einen riesenhaften Körper an oder stellte sich in trügerischer Schönheit dar, sondern berührte von beiden Seiten beständig die tugendhafte Mitte, so wie er von armen, aber ehrlichen Eltern war und Speise und Kleidung gering, aber ehrlich hatte.131

So sei der Sohn Gottes also frei von weltlichem Dominium gewesen und habe als Armer in Armut gelebt, ohne dabei aber in Abgründe zu stürzen. Er habe Wert auf eine durchschnittliche Erscheinung gelegt und stets die Tugend bewahrt. Wyclifs Gedankengang ähnelt hier dem von Bonaventura und Gregor IX. her bekannten Kondeszendenz-Argument, demzufolge Christus sich durch gewisse Symbole und gelegentliche Abschweifungen von der Vollkommenheit zu den Unvollkommenen herabgelassen habe, um auch ihnen als Exempel zu erscheinen und auch sie auf den Weg der Perfektion zu führen.132 Für die Christenheit seiner Zeit konnte die Armut des Erlösers nach Wyclif einen zweifachen Zweck erfüllen. Zum einen sollte sie dafür sorgen, dass die Armen von den Reichen nicht unterdrückt und geringgeschätzt würden, da letztere in ihnen ein Abbild ihres Herrn erblicken müssten. Zum anderen lehre ihr Vorbild, sich im irdischen Dasein nicht in erster Linie auf weltliche Güter zu stützen und mache somit das Nachsinnen über das Leben Jesu zum „besten Mittel, um die Welt zu besiegen“, das heißt das Irdische zu überwinden.133 An der Frage, ob Christus auch frei von individuellem, nicht-weltlichem Besitz gewesen sei, scheint Wyclif relativ wenig zu liegen. Zwar hebt er heraus, dass jener proprietatem et possessionem civilem abgelehnt habe, doch über gewisse – wenn auch geringe – lebensnotwendige Dinge habe er durchaus verfügt.134 Eine 130 Cum ergo tota conversacio Christi quo ad ipsam et deum fiebat ad regulam et quo ad religionis sue discipulis ad exemplar, cum quanta diligencia debemus nos Christiani et specialiter ecclesiastici eius conversacionem attendere et specialiter quo ad mundum. Ipse enim proprietatem et possessionem civilem aufugit penitus. Benrath, Bibelkommentar, S. 373. Vgl. dazu wie zum Folgenden auch ebd., S. 287. 131 Nam dominus celi et terre nichil proprium habere voluit de victu, vestitu, et aliis necessariis corpori quod sibi aptaverit, sed mediocrem mensuram contentari voluit. Non enim assumpsit sibi corpus gigancium aut fallaci pulcritudine depictum, sed utrobique attigit incorrigibiliter medium virtuosum ut factus est de parentela paupere, sed honesta, victum aut vestitum habuit humilem, sed honestum. Benrath, Bibelkommentar, S. 374 f. 132 Vgl. oben, S. 58 f. 133 Unde si ex potentibus diviciis vel genere proximo fuisset secundum statum seculi procreatus et ipsemet in persona propria ac discipulorum collegio inniterentur humane prudencie, gestui et potencie vel modo seculi, cui mundiales hodie innituntur, divites seculi pauperes despective opprimerent […]. Si enim credimus eandem personam die et hominis cursum presentis vite in tanta penalitate et parcitate propter beatitudinem complevisse, quomodo essemus filii imitacionis, si affectus noster principaliter mundialibus innitatur? Optimum itaque remedium vincendi mundum est meditari debite vitam Christi. Benrath, Bibelkommentar, S. 375. 134 Vgl. dazu die ausführlicheren Erklärungen in De Civ. Dom. III, ed. Loserth, S. 196 f.

214 Urkirche, Dominium und die Politisierung der Gütergemeinschaft im 14. Jahrhundert Rechtfertigungsnot empfindet der doctor evangelicus hierbei offensichtlich nicht. Er spricht weder von einem simplex usus facti oder dergleichen, noch bringt er das divinum dominium als Erklärung für Jesu Gebrauch von Nahrung, Kleidung und Ähnlichem ins Spiel.135 So wird in dem, was Wyclif hier nicht sagt, ein essentieller Unterschied zwischen seinem und der radikal-franziskanischen Perspektive auf die evangelische Armut und die Gütergemeinschaft der Urchristen sinnfällig. Anders als den Minoriten geht es Wyclif nicht um den unbedingten Nachweis eines neutestamentlichen Ideals vollkommenen Verzichts auf jegliche Bindung an Temporalien. Er interessiert sich vergleichsweise wenig für die juristische Seite von Besitz und Gebrauch und die darum sich rankende Terminologie; er empfindet in dieser konkreten Sache keine permanente Bringschuld gegenüber etwaigen Gegnern. Vielmehr möchte er die Notwendigkeit und den Nutzen einer Rückbesinnung auf den im Evangelium und in der Apostelgeschichte beschriebenen Umgang mit Temporalien, auf die Armut Christi und seiner Jünger, auf die karitative Gütergemeinschaft in Jerusalem, auf die generelle Geringschätzung weltlicher Güter um der geistlichen willen aufzeigen. In den Forderungen nach weitgehender Enteignung des Klerus, die er an diese Überzeugung knüpft, ist er im Effekt allerdings radikaler als es die Franziskanerspiritualen je waren. Denn deren Kirchen- und Gesellschaftskritik kanalisierte sich ja nicht in einem Ruf nach aktiver Transformation der Amtskirche, sondern immer nur im Wunsch, ihren Orden selbst durch rigorose Befolgung des Armutsideals als Insel der Vollkommenheit und Fanal kommender Veränderungen verstehen zu können. 3.2.3 Platonische und urchristliche Gütergemeinschaft Unter Verzicht auf jeglichen erläuternden Brückenschlag steigt Wyclif in De civili dominio I schließlich in eine Erörterung der aristotelischen Einwände gegen die platonische Gütergemeinschaft ein. Diese Vorgehensweise demonstriert einmal 135 S. allerdings seine ganz ähnlich lautenden Ausführungen anlässlich der Geschichte vom reichen Jüngling im Markus-Evangelium, in denen es heißt: […] Christus habuit ut dominium naturale, usum moderatum, et regularem exemplanciam ad virtuose utendum diviciis, solicitudinem vero et pompaticum usum aliis in quibus hodie creditur stare dominium, reliquit. […] Unde paupertatem apostolicam Augustinus, Benedictus et alii cum habitacione communi et honesta temporalium servaverunt. Zit. n. Benrath, Bibelkommentar, S. 227, Anm. 549. Benrath, a. a. O., stellt heraus, dass Wyclif hier „weder Dominikus noch Franziskus“ erwähnt und möchte dies wohl als direkten Beleg dafür verstehen, dass die Vorstellung des Exegeten von der Armut Christi dem traditionellen Monastizismus nähergestanden habe als dem Mendikantentum und er daher keine ähnlich große Zuneigung zu den beiden großen Stifterfiguren des letzteren hegte wie zum Urheber der Augustinusregel und dem Mönchsvater Benedikt. Völlig Unrecht hat er damit gewiss nicht. Allerdings bildet Wyclif bei anderer Gelegenheit, aber in ganz ähnlichen inhaltlichen Zusammenhängen völlig ungezwungen durchaus die Reihe Augustinus– Benedikt–Franziskus (s. unten, S. 242 ff.), und mit dem Terminus usus moderatus, den er zur Beschreibung des Umgangs Christi mit irdischen Gütern gebraucht, wendet er gar eine explizit aus dem Diskurs über die franziskanische Armut im 13. Jahrhundert stammende Begriffsbildung auf das jesuanische Armutsideal an. Vgl. Nikolaus III, Exiit qui seminat, ed. Sbaralea, S. 408.

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mehr äußerst anschaulich, wie dicht die urchristliche Gütergemeinschaft und das griechische staatsphilosophische Ideal im späteren Mittelalter ideengeschichtlich miteinander verschmolzen waren. Konsequent bedient sich der Engländer zur Widerlegung der moralischen Bedenken des Aristoteles gegen das Modell der Politeia denn auch christlicher Semantik.136 Im Verlauf seiner Ausführungen bestätigt sich, dass Wyclifs Denken Plato bzw. seiner augustinisch-christlichen Überformung grundsätzlich stärker verpflichtet ist als dessen Schüler.137 Daneben lässt sich jedoch eine Tendenz dazu ausmachen, die Positionen der beiden großen heidnischen Denker miteinander in Einklang zu bringen. Der englische Theologe erweist sich hierin ganz als Kind seiner Zeit. Schon im 13. Jahrhundert war das Lehrsystem des Stagiriten auch in Oxford zu einem unanfechtbaren Fixpunkt akademischer Ausbildung geworden.138 Laut Workman akzeptierte Wyclif, „as did all other thinkers of his age, the authority of Aristotle“,139 und in der Tat bezeichnete der doctor evangelicus wie seine Zeitgenossen Aristoteles schlicht als philosophus. Dass er, ein Anhänger augustinischer Doktrin, unter diesen Umständen geneigt war, die Gegensätze zwischen diesem und seinem Lehrer miteinander zu versöhnen, kann daher kaum überraschen.140 Nichtsdestoweniger ist seine Opposition gegen die aristotelische Denkungsart in Bezug auf die Gütergemeinschaft drastischer als in anderen Bereichen. Auf die Behauptung der Politica, der Einzelne fühle sich weniger zur Sorge um gemeinsames Gut verpflichtet als um eigenes, weshalb ein Gemeinwesen ohne Privateigentum zugrunde gehen müsse, entgegnet Wyclif, dass es Sünde sei, demgemäß zu handeln. Denn am meisten geliebt werden müssten diejenigen Güter, die die wertvollsten sind. Da aber das Universale von Natur aus wertvoller sei als das Partikulare, was sich etwa darin widerspiegle, dass die erste Wahrheit (prima veritas) die ‚gemeinsamste‘ (communissimum) sei141 und Christus die Menschheit als solche mehr geliebt habe als den einzelnen Menschen, sei gemeinsamen Gütern immer der Vorzug zu geben.142 In wortreichen Erläuterungen argumentiert der 136 Die wichtigsten aristotelischen Einwände s. oben, Kap. II.1. 137 S. dazu etwa die Stellungnahme im Trialogus: Et quantum ad textum Aristotelis et suorum sequacium, patet, quod non facit fidem, cum saepe erraverat. Democritus autem, Plato, Augustinus, Lincolniensis, qui ita senserat, sunt longe clariores philosophi, et in multis metaphisicis scientiis plus splendentes. Joannis Wiclif Trialogus cum supplemento Trialogi, ed. Gotthard Lechler, Oxford 1869, S. 83 f. 138 Vgl. Daniel Angelo Callus, Introduction of Aristotelian Learning to Oxford, in: Proceedings of the British Academy 29 (1943), S. 229–281. 139 Workman, John Wyclif, Bd. 1, S. 103 f. 140 Beispiele für dieselbe Strategie in diversen philosophischen Fragen bei Lahey, Philosophy and Politics, S. 82; ders., John Wyclif, S. 92 f.; Robson, Wyclif, S. 147 f. 141 Laut Thomas von Aquin ist Gott selbst höchste und erste Wahrheit: Unde sequitur quod non solum in ipso sit veritas, sed quod ipse sit ipsa summa et prima veritas. Thomas von Aquin, Summa theologica I 16,5, ed. Opera Omnia 4 (1888), S. 212. S. dazu William Wood, Thomas Aquinas on the Claim that God is Truth, in: Journal of the History of Philosophy 51 (2013), S. 21–47. 142 Primo videtur „quod perirent pollicie cum nullus curat de rebus communibus.“ Sed declarabitur posterius quod, observata ista lege, foret policia optime conservata; et quod plurimi minus curant de bonis communibus, est peccatum; et per consequens non infirmat quod omnia debent

216 Urkirche, Dominium und die Politisierung der Gütergemeinschaft im 14. Jahrhundert Verfasser anschließend für die karitativen Vorteile von Gemeinbesitz. Kaum verdeckt flicht er in seine Beweisführung eine scharfe Attacke gegen die hierokratische Behauptung ein, dass der Papst der oberste Herr über jeglichen irdischen Besitz sei. Wenn alle Menschen das Gebot der Karitas einhielten, erklärt er, dann wäre, ganz gemäß dem Sprichwort Fidelis hominis totus mundus divitiarum est …, jeder Mensch Herr (dominus) über die ihm dargebotenen Gebrauchsgüter. Wenn aber nur Petrus die Karitas einhielte, wäre nur er Herr über die Güter. Da es aber zweifelsohne besser sei, wenn alle Menschen das Gebot einhielten als wenn nur Petrus dies täte, sei es besser, wenn die Güter allen Menschen gemeinsam gegeben seien anstatt nur Petrus allein;143 je höher also das Maß der Karitas, desto mehr Herren über Temporalien, und je mehr Herren über Temporalien, desto höher das Maß der Karitas. Dass freilich hier ein klassischer Zirkelschluss vorliegt, ändert nichts an der Stoßrichtung des Arguments. Eine gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen unter Gottes Gnaden am Dominium über die zur Verfügung stehenden Temporalien sei in jedem Falle dem Sozialleben förderlicher als eine Bündelung desselben beim Nachfolger Petri. Zudem würde eine solche Handhabung der Güter dem status innocentiae wesentlich näherkommen als eine anders geartete.144 Auch hinsichtlich der Karitas misst der Engländer demnach dem Papst keine höhere Bedeutung bei als jedem anderen Mitglied der christlichen Gemeinschaft. Folglich, so seine Argu-

esse communia, quia indubie quilibet maxime curaret de bonis communibus. Probatur: Proporcionabiliter sunt bona diligenda ut sunt meliora; bona comunia sunt optima; ergo sunt maxime diligenda. Maior supponitur ex proximo declaratis: et minor patet de prima veritate que est communissimum; et cetere veritates, ut universaliores, sunt prius intente a natura et per consequens meliores; ymmo, considerando racionem utilitatis et profectus, patet quod universaliora magis proficiunt, quia instar Dei magis causant et sunt ad plura maxime requisita; ymmo, cum generaliter tam bonum sit aliquid quam mala foret eius privacio, et generaliter minus mala foret privacio particularioris quam universaliores, patet quod generaliter minus bonum est particulare suo universaliori. […] Christus plus dilexit speciem humanam quam humanitatem propriam […]. De Civ. Dom. I, ed. Poole, S. 97 f. Vgl. dazu Lahey, Philosophy and Politics, S. 82, der darauf aufmerksam macht, dass der Gedanke, „that we love common things before we love individual or private ones“, von Augustinus stammt. 143 Ymmo, plus accedendo ad sensus philosophorum sensibilium, simpliciter melius esset quod datum usibile foret communicatum cuilibet individuo humani generis, quam quod esset proprium soli Petro; et idem est argumentum de quocunque consimili. Probatur primo ex hoc quod, omni homine observante caritatem, omnis homo foret dominus dati usibilis; et solo Petro observante caritatem, solus Petrus foret eius dominus (ut patet ex dictis): sed melius esset quod omnis homo foret in caritate quam quod solus Petrus sic foret; ergo melius esset quod datum usibile esset commune omni homini quam quod esset proprium soli Petro. De Civ. Dom. I, ed. Poole, S. 98. 144 Et confirmacio illius est quod dominium vie sic communicatum foret similius dominio status innocencie […]. Ebd., S. 98 f. – In seinem Traktat De statu innocencie erklärt Wyclif, dass vor dem Sündenfall ein Dominium aller über alle Dinge bestanden habe: […] patet quod in statu innocencie forent cuncta cunctis communia, ut idem Deus foret omnibus creaturis, et cum omnis innocens naturaliter dominaretur omnibus sibi inferioribus in natura, patet quod omnes homines communicarent in omnibus que haberent. Johannis Wyclif tractatus de mandatis divinis accedit tractatus de statu innocencie, ed. Johann Loserth / F. D. Matthew, London 1922, S. 505

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mentation, habe der Pontifex keinen höheren Anspruch auf Gewalt über weltliche Güter als irgendein anderer Gläubiger. Wenn Aristoteles des Weiteren gegen die Gütergemeinschaft der Politeia einwende, dass aus ihr notwendigerweise auch die – freilich als schändlich zu bewertende – Frauengemeinschaft folgen müsse, so basiere dies höchstwahrscheinlich auf einem Fehlurteil. Mit der Negierung von Polygamie als Teil des platonischen Idealstaates steht Wyclif ganz in der Tradition der mittelalterlichen Timaeus-Kommentare.145 Sokrates als Dialogfigur der Politeia habe wohl nicht eine solch sündhafte Form der physischen Gemeinschaft aller Dinge im Sinn, erklärt er, sondern vielmehr eine völlig rechtgläubige, derzufolge jeder Mensch einen nützlichen Gebrauch von den Gütern seiner Mitmenschen haben sollte.146 Auch mit dieser Deutung steht Wyclif nicht alleine. Bereits Petrus Abaelard, der zwar den ehelichen Kommunitarismus des Timaeus wörtlich verstanden hatte, war zu der Lösung gekommen, dass jener nicht auf die Sphäre der sexuellen Lust, sondern auf den Nutzen für die Karitas gerichtet gewesen sei.147 Den vermeintlichen Irrtum des Aristoteles über die Implikationen der platonischen Gütergemeinschaft setzt Wyclif gleich mit dem Irrtum des Diakons Nikolaus über die Implikationen der apostolischen Gütergemeinschaft.148 Nikolaus, dessen Name unter den sieben in Apg 6,5 genannten Diakonen erscheint, wurde im lateinischen Mittelalter in Anschluss an Ausführungen des Irenäus von Lyon mit dem Gründer der Sekte der Nikolaiten identifiziert, die im Neuen Testament in Off 2,6–15 Erwähnung findet.149 Durch Rückprojektion der 145 Vgl. Kuttner, Gratian and Plato, S. 97–99. 146 Capit ergo Aristoteles de Socrate quod omne bonum hominis debet esse commune cuilibet, ad quemlibet usum dandum; et sic uxores forent communiter cuilibet supponende, et sic periret bonum coniugii vel educacio, cognacionis distinccio, parentum discrecio aut veneracio; et confusio feminarum pluris discordie, quia vinculi pacis dirrupcio contra legem nature. Unde non credo Socratem sic sensisse, sed iustum sensum solum catholicum habuisse, quod cuilibet licet habere aliquem usum utilem de quibuscunque bonis fratris […]. De Civ. Dom. I, ed. Poole, S. 99. 147 Vgl. Kuttner, Gratian and Plato, S. 100. 148 Et forte fuit in isto errore Nicolaus diaconus: ‚Si cibaria erant apostolis communia ad vescendum et sic de quibuscunque aliis quo ad usum debitum, ergo per idem uxor debet esse communis ad actum venericum‘ […]. De Civ. Dom. I, ed. Poole, S. 100. – Den gleichen Argumentationsgang verfolgt Wyclif in De statu innocencie, wo er noch nähere Erklärungen dazu abgibt, wie die Frauengemeinschaft nicht im Sinne von Polygamie, sondern hinsichtlich eines gemeinsamen karitativen Nutzens zu verstehen sei. Demnach solle zum einen die Freude, die ein Christ an seiner Ehefrau hat, auch seinen Brüdern zur Freude gereichen. Darüber hinaus läge der gemeinschaftliche Nutzen der ehelichen Verbindung darin, dass jede Ehefrau zugunsten aller Gläubigen daran mitwirke, die Last der Kirche zu tragen: […] omnia bona cuiuslibet fratris mei sunt eciam bona mea, sed non ad quemcunque usum sed ad minimum ut in eis complaceam et delector de usu alio fratris mei. Et sic conceditur quod multi habent proprios usus eiusdem usibilis et tamen quia est cuiuslibet eorum ad aliquem usum, ideo est bonum commune cuiuslibet eorum et proprium ad usum signabile; ut uxor fratris mei est mea, cum de ipsa condelector in hoc quod proficit mihi membro ecclesie edificando ecclesiam sicut debet, et tamen non est uxor mea nec vendico eam ad usum coitus, sicut sensit Nicolaus diaconus, sed vendico de ipsa et quolibet fratre quod iuvet me comportando onus ecclesie et coadiuvando in suo ordine […]. De statu innocencie, ed. Loserth/Matthew, S. 508. 149 Nicolaitæ autem magistrum quidem habent Nicolaum, unum ex Vii qui primi ad diaconium ab apostolis ordinati sunt: qui indiscrete vivunt. Plenissime autem per Joannis Apocalypsin mani-

218 Urkirche, Dominium und die Politisierung der Gütergemeinschaft im 14. Jahrhundert in der Offenbarung des Johannes den Nikolaiten zur Last gelegten Unzucht auf die Figur des Diakons Nikolaus in der Apostelgeschichte wurde dieser zum Ehebrecher und Befürworter einer polygamen Lebensweise stilisiert. Unter dem Schlagwort des Nikolaitismus prangerten schließlich die Anhänger der Gregorianischen Reform die Priesterehe und in Konkubinat lebende Kleriker an.150 Wyclif wiederum erklärt nun den Ursprung der Häresie des Nikolaus mit dessen falschem Verständnis der Gütergemeinschaft. Aus der Tatsache, dass die Apostel Gebrauchsgüter und insbesondere Nahrung zum Verzehr in Gemeinschaft gehalten hätten, habe dieser irrtümlich gefolgert, dass auch die Frauen zum fleischlichen Gebrauch gemeinsam sein müssten. In dieser so lapidar und unkommentiert hingeworfenen Assoziation treten zwei wesentliche Momente der Wyclif’schen Auslegung der urchristlichen Gütergemeinschaft zutage. So verweist, erstens, die Hervorhebung der Korrumpierung des ursprünglichen Ideals in Kopplung an einen gegenwärtigen Missstand des kirchlichen Lebens151 einmal mehr auf die Bedeutung der ecclesia primitiva als Maßstab für die Beurteilung späterer Entwicklungsstände der Kirche, aber auch – und dies hebt Wyclif vom Gros seiner Vorgänger ab – als Orientierungspunkt und Ziel einer nicht nur wünschenswerten, sondern tatsächlich denkbaren Regeneration.152 Letzteres wird in eindringlicher Weise auch durch die ungehemmte Gleichsetzung platonischer und urchristlicher Gütergemeinschaft illustriert, die in dieser Absolutheit bei einem Theologen des Mittelalters nur bei einer ahistorischen, stark tropologisch ausgerichteten Exegese der Urkirche denkbar ist. Wyclifs Lektüre der Apostelgeschichte scheint also, zweitens, schon hier in überdurchschnittlichem Maße auf die Gewinnung moralischer Leitsätze abzuzielen – eine Beobachtung, die sich im weiteren Verlauf von De civili dominio ebenso bestätigen wird wie in seiner Postilla. Im Übrigen konnte Wyclif in Anbetracht der Überlieferungssituation des platonischen Staatsentwurfs in der Tat nicht wissen, dass die Politeia einer echten, physischen Frauengemeinschaft durchaus einen hohen Stellenwert beimaß und dies keineswegs bloße Deduktion des Aristoteles war. Doch nicht nur die vermeintliche Falschheit dieser Ableitung aus der Vergemeinschaftung der Güter macht er gegen den Einwand geltend, er greift zu dessen Widerlegung auch auf die Formel des iustum dominium zurück. Da allein die Gerechten einen Anspruch auf Dominium und somit auch auf die Teilhabe an einer Gütergemeinschaft hätten, derjenige, der eines festantur qui sint, nullam differentiam esse docentes in morebando, et idolothyton edere. Quapropter dixit et de iis sermo: Sed hoc habes quod odisti opera Nicolaitarum, quæ et ego odi. Irenaeus, Adversus haereses I 26,3, ed. Migne, PG 7a, Sp. 687. – Zur weiteren patristischen Auslegung s. Nikolaus Walter, Nikolaos, Prosylet aus Antiochien, und die Nikolaiten in Ephesus und Pergamon. Ein Beitrag auch zum Thema: Paulus und Ephesus, in: Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft 93 (2002), S. 200–226. 150 Vgl. Kempf, Die gregorianische Reform, S. 417 ff. 151 Keineswegs im Widerspruch zur Verurteilung des Nikolaitismus steht Wyclifs Kritik am Zölibat, die ja gerade die Heiligkeit der Ehe betont. Vgl. Helen Parish, Clerical Celibacy in the West: c. 1100–1700, Farnham 2010, S. 132–134. 152 Vgl. Lahey, Philosophy and Politics, S. 200 sowie die Gegenüberstellung mit dem „Ockhamist sense of irreversibility“ bei Takashi Shogimen, Wyclif’s Ecclesiology and Political Thought, in: Levy (Hrsg.), Companion, S. 199–240, hier: S. 222.

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anderen Frau begehre, aber Todsünde begehe und damit den Status des Gerechten verliere, könne eine Frauengemeinschaft logischerweise unmöglich Teil der Gütergemeinschaft sein. Mit demselben Argument widerlegt der Theologe sogleich auch die aristotelische Behauptung, die Abschaffung von Privateigentum würde dem Diebstahl Vorschub leisten, da dieser nicht mehr als solcher dinghaft zu machen wäre und somit ein Dieb darauf beharren könne, nur genommen zu haben, was ohnehin sein Eigen war. Da nämlich Raub Sünde sei, erklärt Wyclif, verwirke der Dieb seine Teilhabe am Dominium, wodurch also Diebstahl auch bei einem gütergemeinschaftlichen Gesellschaftsentwurf fassbar bliebe. Allerdings würde er nicht in, sondern an der Gemeinschaft verübt und stelle somit ein außerhalb des Systems liegendes Problem dar, das demselben nicht anzulasten sei.153 Alle aristotelischen Einsprüche gegen die platonische Gütergemeinschaft, die Wyclif in gleichem Maße gegen das urchristliche Ideal gerichtet sieht, erweisen sich in seinen Augen somit als null und nichtig. 3.2.4 Zum Verhältnis geistlicher und weltlicher Macht Im weiteren Verlauf der Schrift De civili dominio tritt sodann das Verhältnis von göttlichem zu menschlichem Recht in den Vordergrund. Sowohl das kanonische als auch das säkulare Recht als postlapsarische Institutionen des Menschen sind für Wyclif in letzter Konsequenz verzichtbar, sofern dem Gebot, dass alle Dinge gemeinsam sein sollen, Rechnung getragen würde.154 Dann nämlich wäre das Ge153 Redeundo ergo ad propositum, conceditur quod omnis iniustus occupans quodcunque bonum Dei capit rapina, furtu vel latrocinio aliena […]. Ideo dixi ex ista sentencia catholica quod contingit faciliter hominem esse furem, cum in quantum incidit in mortale, abutendo bonis Dei, perdit dominium, et per consequens, iniuste, latente aut invito domino, usurpat capere aliena; ideo oportet sic arguentem sic fundare quod manet dominium cum iniusticia; quod non potest. Unde cum videns mulierem ad concupiscendum eam iam mechatus est in corde suo, et per consequens deest sibi eius dominium; multo magis procedens ad abusum grossiorem illicitum abutitur alienis: et sic de quibuscunque bonis, eo ipso quod viciose presumpserit ipsa occupare, deest sibi illorum dominium; et quibuscunque bonis usus fuerit, quomodocunque et quicunque voluerit satis licet. De Civ. Dom. I, ed. Poole, S. 101 f. 154 Über die Tragweite dieses zentralen Wyclif’schen Lehrsatzes zwischen bloßer Theorie und dem Wunsch nach praktischer Verwirklichung bestehen in der Forschung sehr verschiedene Meinungen. An dieses Problem knüpft sich die Kardinalfrage, ob der späte Wyclif in erster Linie als Sozialphilosoph oder als radikaler Reformtheoretiker zu rezipieren ist. So meint z. B. Töpfer, Urzustand, S. 513 f.: „Ungeachtet der sehr nachdrücklichen Betonung dieses für irdische Instanzen sehr bedrohlich klingenden Maßstabes bleiben aber bei Wyclif die praktischen Folgen für die real existierende weltliche Ordnung begrenzt. Er gesteht von vornherein zu, daß man bei dem Versuch, alle Ungerechtigkeit aus den menschlichen Gesetzen zu entfernen, jede Bestimmung der Heiligen Schrift fundieren müßte; für die Bewältigung einer solchen Aufgabe gebe es aber wohl unter den Sterblichen kein Kollegium, das eine solche Autorität und einen solchen göttlichen Beistand hat, daß alles von ihm Festgelegte simpliciter iustum sei. Eine vollkommene Rechtsordnung im weltlichen Bereich ist also im Grunde nicht realisierbar. Das bedeutet in der Praxis, daß die bestehenden staatlichen Gesetze, die mehr das leibliche Wohl, nicht das Heil der Seele betreffen und dementsprechend oft Streit entfachen, trotz ihrer Mangelhaftigkeit im Prinzip zu befolgen sind.“ William Farr, John Wyclif as Legal Reformer (=

220 Urkirche, Dominium und die Politisierung der Gütergemeinschaft im 14. Jahrhundert setz des Evangeliums (lex ewangelica) bzw. die lex caritatis seines Erachtens vollkommen ausreichend, um das Zusammenleben der Menschen zu regeln.155 Nach weitschweifiger Diskussion dieses Themenfeldes befasst sich der Verfasser hernach mit der Frage nach gerechter weltlicher Herrschaft. Grundsätzlich erachtet er mit Aristoteles die Aristokratie als die bestmögliche Form. Er diskutiert die Vorteile derselben sowie der Monarchie und knüpft die Qualität letzterer an die Tugendhaftigkeit des Monarchen.156 Der größte Teil des ersten Buches ist schließlich überwiegend dem Verhältnis der Kirche zu weltlichen Gütern gewidmet. Wie Workman Studies in the History of Christian Thought, 10), Leiden 1974, S. 162 hingegen urteilt: „[…] John Wyclif did not emerge into this world a mature reformer; he became one. And just as obviously he did not limit his reforming drives to the elucidation of an abstraction whose sole merit was an intellectual exercise in political futility. John Wyclif wanted reform. Presupposing the correctness of his apostolic ideal and the necessity of lay correction to effect a return to the evangelical church, John Wyclif concentrated on removing the contemporary church from its entanglement in debilitating secular affairs. […] In the process, he formulated a reformatory ideology in which biblical precept ordered contemporary English society into a recrudescent Apostolic Church.“ Etwas unklar, aber wohl in eine ähnliche Richtung zielend, bleibt Boreczky, Discourse, S. 266: „Although his theory may be called the ‚ideology of reform,‘ or ‚dissent‘ as there is no reason to doubt the seriousness of Wyclif’s own ambition to restore the disrupted order of the universe, his way of accomplishing this mission was rooted more in his own philosophy than in an action plan masterminded by some political-minded disciples.“ Zwischen den beiden Positionen platziert sich Stefano Simonetta, John Wyclif between Utopia and Plan, in: Zofia Wlodek (Hrsg.), Société et Église. Textes et discussions dans le Université d’Europe centrale pendant le moyen âge tardif. Actes du colloque international de Cracovie, 14–16 juin 1993, Turnhout 1995, S. 65–76, der eine Entwicklung in Wyclifs Denken von einer rein theoretischen, utopischen Ausrichtung hin zu einer praktischen, reformerischen erkennen will. Wenn auch der Gedanke einer bewussten Bewegung von der einen zur anderen Seite, wie Simonetta sie beschreibt, in Wyclifs Werken schwer zu substanziieren ist, so dürfte in der Tat kaum bestreitbar sein, dass in seinem Denken beide Seiten angelegt sind. Durchaus praktisch meint er wohl sein Programm radikaler Klerus- und Kirchenreform als ersten und wichtigsten Schritt hin zur umfassenden Gesellschaftsreform. Letztlich bleibt sein Wunsch nach Wiederherstellung urkirchlicher bzw. prälapsarischer Verhältnisse, einhergehend mit der Aufhebung menschengemachten Rechts, aber doch utopisch oder jedenfalls ein in nebelhafter Ferne verortetes Wunschziel. 155 […] primo videtur, cum omnia debent esse communia, quod omnia iura humana superfluunt; secundo videtur quod nemo secundum legem ewangelicam debet habere quidquam civiliter; ymmo posito quod habeat, non debet pro bonis nature vel fortune, et per consequens pro nullis similiter, in iudicio contendere vel pugnare; […] Ad primum suppono ex fide quod Christus instituit unam legem, que est Vetus et Novum Testamentum ad ecclesiam catholicam regulandum […]. De Civ. Dom. I, ed. Poole, S. 118. […] lex ewangelica per se sufficeret sine lege civili vel vocata canonica ad completum regimen ecclesie militantis. Probatur ex hoc quod ad regimen, scilicet anime, sufficit lex caritatis, ergo ad regimen cuiuscunque accessorii, cuiusmodi sunt bona corporis et fortune. Ebd., S. 121. – Der Gedanke des ius caritatis als erster Ordnungskategorie des menschlichen Zusammenlebens lässt sich wiederum auf den doctor caritatis Augustinus zurückführen. Vgl. Klaus Demmer, Ius caritatis. Zur christologischen Grundlegung der augustinischen Naturrechtslehre (= Analecta Gregoriana, 118), Rom 1961. 156 Es ista videtur mihi sentencia Aristotelis, tercio Politicorum, capitulo xvi., ubi vult non expedire unum regnare super plurimos pariter virtuoses, sed aristocracia foret prestancior, cum cura multorum virtuose regencium magis proficeret. Sed, posito uno excessive virtuoso, policia regalis foret expediens […]. De Civ. Dom. I, ed. Poole, S. 205.

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herausstellt, finden sich, wenig überraschend, in dieser Sektion fast all jene Punkte, auf die sich die Anklage Gregors XI. im Jahr 1377 bezog.157 Zunächst behandelt Wyclif die Frage, ob es in der Macht der Menschen stünde, weltliches Dominium dauerhaft auf ein Amt – im Blick hat er an dieser Stelle zuvörderst dasjenige des Papstes – und damit auf die jeweils dasselbe bekleidende Person und ihre Nachfolger zu übertragen. Er kommt zu dem Ergebnis, dass dies nicht möglich sei. Nur Gott könne durch seine Gnade ein caritatis dominium dauerhaft einer Person und ihren Erben zubilligen, aber nicht einmal in seiner Macht läge es, dasselbe für das ihm fernstehende weltliche Dominium zu vollführen.158 Daraus wiederum leitet er die Notwendigkeit einer Kontrollfunktion der weltlichen Gewalt über die geistliche ab, um Geistlichen, die Kirchengüter missbrauchen, diese zu entziehen.159 Exkommunikation als kirchliche Reaktion auf ein solches Tun hätten die Säkularen nicht zu befürchten, da jene nur bei tatsächlichen Verstößen gegen Gott bzw. die Gesetze Christi wirksam werden könne.160 Als prinzipiell rechtmäßig und nützlich erachtet er die Abgabe des Zehnten an den Klerus in dessen Funktion als Almosener nach dem Vorbild der Urkirche, als der Klerus eine perfekte Lebensweise übte und in höchst sorgfältiger und umsichtiger Weise den ihm gegebenen Zehnten für die Armen verwaltete und verteilte. Hätte er die Güter aber ungerecht verwaltet oder mehr für sich selbst aufgewendet als für die Armen, dann wäre es richtig gewesen, ihm selbst nur das Lebensnotwendige zuzuteilen, so wie in der ecclesia primitiva mit den Aposteln verfahren worden sei. Die Sorge um die Armen müsste in diesem Fall einem Gremium von Laien anbefohlen werden, das dazu in der Lage wäre, den Zehnten und sonstige 157 Vgl. Workman, John Wyclif, Bd. 1, S. 363. Die Liste der Anklagepunkte in: Chronicon Angliæ. Ab anno domini 1328 usque ad annum 1388, ed. Edward Maunde Thompson, London 1874, ND Cambridge u. a. 2012, S. 181–183. 158 […] totum genus hominum concurrencium, citra Christum, non habet potestatem ordinandi simpliciter quod Petrus et omne genus suum dominetur politice super datum; et per consequens non potest esse lex quod, si heredes et assignati Petri, quantumcunque successerint, habeant ius ad datam hereditatem civiliter possidendam. Patet, sicut non est in potestate hominum ordinare quod sint habiles ad civiliter dominandum, ergo nec civiliter dominentur. […] Deus potest dare homini pro se et heredibus suis in perpetuum caritatis dominium. […] Deus non potest dare homini, pro se et suis heredibus in perpetuum, civile dominium. De Civ. Dom. I, ed. Poole, S. 251 f. 159 Ex istis videtur correlarie plane sequi quod quacunque communitate vel persona ecclesiastica habitualiter abutente diviciis, reges, principes, et domini temporales possunt legitime et valde meritorie ipsas auferre, eciam quantumcunque tradicionibus humanis eis fuerint confirmate. Ebd., S. 265 f. Diesen für seine Lehre grundlegenden Gedanken sollte Wyclif später viele Male wiederholen. Vgl. z. B. De officio regis, ed. Alfred W. Pollard / Charles Sayle, Iohannis Wyclif Tractatus de Officio Regis, London 1887, S. 120: Et patet quod domini temporales possunt aufferre temporalia ab ecclesia delinquente. Unde si ista potestas deesset a regibus nimis sacrilege preiudicaretur ecclesie. […] Unde confidenter assero quod quicunque in animo senserit et constanter defenderit quod nulli domini temporales possunt vel habent potestatem ad aufferendum temporalia ab ecclesia delinquente tenent sentenciam qua verificata destrueretur ius canonicum, ius civile et pax ecclesie militantis. 160 […] malediccio enim excommunicacio non ligat simpliciter, sed de quanto fertur in adversarium Christi legis. De Civ. Dom. I, ed. Poole, S. 275.

222 Urkirche, Dominium und die Politisierung der Gütergemeinschaft im 14. Jahrhundert Spenden der Laienschaft in vollkommener Weise für die Armen zu verwalten und zu distribuieren.161 Gleich zwei mit diesen Ausführungen implizierte Ideen erregen erhöhte Aufmerksamkeit. Die erste zielt in Richtung auf die Auslegung der lukanischen Urkirche, die andere, offensichtlichere, auf den an jener zu messenden Status der spätmittelalterlichen Kirche in Wyclifs Wahrnehmung. Zunächst erstaunt die hier so deutlich artikulierte Vorstellung, die Apostel der ecclesia primitiva seien von anderen mit den lebensnotwendigen Gütern versorgt worden. Für die Zeit nach Abordnung der sieben Diakone, von der Apg 6 berichtet, ist diese Annahme zwar immerhin nicht abwegig und ließe sich mithilfe des Neuen Testaments, etwa des ersten Briefs an die Korinther, durchaus weiter untermauern.162 Im klassischen Bestand von Interpretamenten zur apostolischen Zeit spielt sie jedoch, soweit zu sehen, keine Rolle. Denkbar wäre hingegen eine Bezugnahme auf den platonischen Staat respektive auf den Timaios-Dialog, in dem die Besitzlosigkeit des Wächterstandes und dessen Versorgung mit dem Lebensnotwendigen durch die von ihm Beschützten zu den Grundelementen der optimalen Gesellschaftsordnung gerechnet werden.163 Ob nun aber Wyclif den Gedanken aus älteren Traditionen schöpft oder ihn doch selbst entwickelt, ist letztlich von geringer Relevanz für die Bedeutung, die ihm in seinem Argumentationsgang zukommt und die zum zweiten bemerkenswerten Punkt seiner Bezugnahme auf die Güterpraxis der Urkirche in Zusammenhang mit der Almosener-Funktion des Klerus hinführt. Nicht nur die mit Blick auf die Berichtszeit der Apostelgeschichte unpassende Rede vom Zehnten,164 auch die konjunktivische Was-wäre-gewesen161 Sed […] quia in primitiva ecclesia erant clerici victus perfectissimi, et ad procurandum, conservandum, et errogandum prudenter bona pauperum diligentissimi, ideo illis assignabantur dicta officia decimarum. Quod si phariseice subversi fuerint, plus prodigaliter consumentes bona pauperum in se et suis, et minus equaliter distribuentes propter affecciones carnales, quam faceret populus laycalis; iustum esset quod illis ministrentur vite necessaria, ut fiebat apostolis; et laycis vel cuicunque communitati que hoc opus perfeccius perficeret, committeretur procuratorium ad recipiendum, conservandum, et distribuendum bona pauperum de decimis et oblacionibus laicorum. Ebd., S. 340. 162 S. 1 Cor 9,11–14. 163 Vgl. das Einleitungsgespräch des Timaios-Dialogs: At uero hac educatione altis auri argentique et supellectilis ceterae possessionem cuiusque propriam nullam esse aut existimari licere praediximus, sed sola mercede contentos exhibentibus, quorum salutem tuerentur, uti communiter tanta, quanta satis sit occupatis erga custodiam communis salutis et a cetera functione operis cessantibus. Platonis Timaeus interprete Chalcidio cum eiusdem commentario, ed. Johannes Wrobel, Leipzig 1876, ND Frankfurt a. M. 1963, S. 7. 164 Der Zehnt ist alttestamentlichen Ursprungs und begegnet auch einige wenige Male im Neuen Testament, nicht aber in Zusammenhang mit der Urgemeinde und nicht als direkte Forderung an die Christen. Vgl. Corinna Körting / Clemens Leonhard / Gunter Zimmermann, Art. „Zehnt“, in: TRE 36 (2004), S. 488–504. Die wohl prominenteste neutestamentliche Erwähnung des Zehnten findet sich im Vers Mt 23,23: Vae vobis scribae et Pharisaei hypocritae quia decimatis mentam et anethum et cyminum et reliquistis quae graviora sunt legis iudicium et misericordiam et fidem haec oportuit facere et illa non omittere. Zwar erscheint der Zehnt in der Anklage der Pharisäer durch Christus hier zunächst in eher abschätziger Konnotation. Im abschließenden Zusatz haec oportuit facere et illa non omittere wird die Verzehntung schließlich aber doch als Gebot gutgeheißen. Die Glossa Ordinaria kommentiert den Vers folgendermaßen: Vae vo-

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wenn-Konstruktion stellen vor Augen, dass der Rekurs auf die ecclesia primitiva ihm hier allein dazu dient, die ihm unangemessen erscheinende Ordnung in seiner Gegenwart zu veranschaulichen. Angesichts der Verderbtheit des Klerus sieht er dessen Enteignung und damit die Rückformung auf das Vorbild der Urkirche als erstrebenswertes Ideal an. Dass der weltliche Arm dazu weltliche Gewalt über den geistlichen ausüben müsste, steht nach seiner Auffassung ganz in Einklang mit der göttlichen Ordnung, wie die Heilige Schrift sie offenbart. Laut dieser stünde der weltlichen Macht alle weltliche Gewalt zu, der geistlichen allein die spirituelle.165 Wyclifs Position zur Zwei-Schwerter-Lehre ist mithin das exakte Gegenbild zu derjenigen des politischen Augustinismus am Anfang des 14. Jahrhunderts, auf dem seine Lehre gleichwohl in vielerlei Hinsicht basiert.166 In seiner 1378 entstandenen Schrift De ecclesia verwirft er dementsprechend die Behauptung der Bulle Unam sanctam über die weltliche Obergewalt des Papsttums,167 spricht sich gegen die Konstantinische Schenkung aus168 und vertritt die Auffassung einer rechtmäßigen Macht des Königs über den Klerus.169 3.2.5 Kirchenbild Als letztem großen Themenkomplex des ersten Buches wendet sich Wyclif dann dem Wesen der Ekklesia zu.170 Jene ist in seinen Augen weder zeitlich noch räum-

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bis] Et hic arguit eos avaritiae: quia nihil praetermittunt de his quae ad commodum suum sunt. Qui decimatis] Quia Deus praeceperat omnium rerum decimas offerri propter alimoniam sacerdotum. Nota quod per eleemosynam aliqua impunitas non emitur in iniquitate manentibus. Haec oportuit] Ne eleemosynas fructum terrae videretur respuere, haec addidit. Die Abgabe des Zehnten von allen Gütern wäre demzufolge durchaus nach dem Willen Gottes, stellte jedoch keine Heilsgarantie dar. Mit dieser Feststellung wäre Wyclif gewiss einverstanden gewesen. Ob das Spätmittelalter und Wyclif an eine Zehntordnung unter den Urchristen glauben konnten, ist damit freilich nicht geklärt. Jedenfalls stünde eine solche Annahme aber in deutlichem Widerspruch zu der Vorstellung einer Konkordanz von ecclesia primitiva und status innocentia. In letzterem nämlich, erklärt Wyclif, habe es keinerlei Abgaben gegeben: In statu quidem innocencie forent pure leges naturales, nulla exacciones vel civile dominium […]. De Civ. Dom. I, ed. Poole, S. 192 Zur Zwei-Schwerter-Lehre bei Wyclif s. Volker Mantey, Zwei Schwerter. Zwei Reiche. Martin Luthers Zwei-Reiche-Lehre vor ihrem spätmittelalterlichen Hintergrund (= Spätmittelalter und Reformation, NR 26), Tübingen 2005, S. 125–129; Benrath, Bibelkommentar, S. 178 f. Vgl. Töpfer, Urzustand, S. 509; Lowrie John Daly, The Political Theory of John Wyclif, Chicago 1962, S. 80 f. Was für Richard FitzRalph gilt, gilt umso mehr für Wyclif: Ob er mit den Schriften der Augustinereremiten aus der ersten Hälfte des Jahrhunderts tatsächlich vertraut war oder mit deren Ideen allein durch Vermittlung Dritter – für Wyclif wäre hier zuerst an FitzRalph selbst zu denken – in Berührung kam, bleibt unklar. S. Iohannis Wyclif, Tractatus de Ecclesia, ed. Johann Loserth, London 1886, S. 13 ff. S. ebd., S. 299 f., 320–328, 359–370. S. vor allem ebd., S. 328–359 sowie De officio regis, ed. Pollard/Sayle, S. 217–281 und passim. Als wichtigste Quelle für Wyclifs Kirchenbild i. A. hat fraglos die Schrift De ecclesia zu gelten. Literatur: Workman, John Wyclif, Bd. 2, S. 6–20; Schäufele, Kontinuität, S. 409–412; Mantey, Zwei Schwerter, S. 125–129; Shogimen, Ecclesiology, S. 215–225; Lahey, John Wyclif, S. 186–189.

224 Urkirche, Dominium und die Politisierung der Gütergemeinschaft im 14. Jahrhundert lich limitiert, sondern besteht aus allen Auserwählten in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.171 Es handelt sich hierbei um eine Grundidee Wyclif’scher Ekklesiologie. Kirche ist nach seiner Vorstellung die congregatio omnium praedestinatorum.172 Allein als Teil dieses Gebildes, des spirituellen Leibs Christi, gewinnt das Individuum eine Bedeutung, ohne es wäre der Einzelne nichts.173 Diese Anschauung scheint sich hervorragend zu Laheys These von der Abhängigkeit zwischen Wyclifs Metaphysik und seinen politischen Ideen zu fügen. Das Individuum könnte hier als Partikularie, die Kirche als Universalie verstanden werden. Mit Bezug auf Charles Zuckerman weist allerdings Lahey selbst darauf hin, dass „regarding the church as a universal of some sort is not commensurate with the medieval view of church’s nature.“174 Im Vollsinn der Aussage ist dieser Vorbehalt gewiss berechtigt. Denn das Verhältnis von Universalien und Partikularien entspricht ja nicht demjenigen von Summanden und Summe oder membrum und corpus, sondern dem von Urbild und Abbild. Andererseits vertreten Wilks und andere die Meinung, dass aus philosophischem Realismus eine radikale Aufwertung der Kirche als Universalie im Gegensatz zum letztlich bedeutungslosen Individuum hervorgehe.175 Die Vertreter dieser Auffassung schließen daraus allerdings auf einen engen Zusammenhang zwischen Realismus und Kurialismus, weshalb Lahey, der zurecht feststellt, dass Wyclif Realist und zugleich Antikurialist war,176 den Gedanken verwirft. Dabei vergisst er jedoch, dass Wyclif ‚Kirche‘ nie allein oder primär als ecclesia militans, also als weltliche, kuriale, sichtbare Kirche versteht, sondern immer als Kompositum aus dieser, einer ecclesia expectans oder dormiens und, an erster Stelle, der ecclesia triumphans.177 Was Schäufele über Wyclifs Vorstellung von der Idee der Kontinuität der Kirche sagt, dass er sie „so konsequent transzendent begründet, daß sie empirisch-historisch strenggenommen überhaupt nicht mehr darstellbar war“,178 lässt sich im Prinzip auf seine Vorstellung von der Kirche selbst übertragen. Sie ist unsichtbar und besteht letztlich in einer nicht-ding171 […] ecclesia catholica sive apostolica sit universitas predestinatorum, quorum aliqui sunt mortui, aliqui vivi, et aliqui generandi […]. De Civ. Dom. I, ed. Poole, S. 358. – Im Bild der überzeitlichen Kirche zeigen sich erneut die augustinischen Grundzüge Wyclif’scher Theologie. Vgl. Töpfer, Urzustand, S. 506. 172 De ecclesia, ed. Loserth, S. 2. 173 […] tota ista ecclesia, sicut est una persona, quia corpus animatum racionabile, quod non potest esse multarum personarum […]. Illud autem unum est corpus Christi misticum, ex omnibus predestinatis aggregatum […]. Species enim humana participatur a tota multitudine hominum, que est tota persona speciei humane, et a qualibet persona hominis, eius parte. Aliter enim sacramentum ecclesie, sonus, oracio, et omnis quantitas discreta non foret aliquid; nec mundus, nec aliquid, nec accidens, ut situs, tempus, vel magnitudo, pannusque, et singulum artificalium non foret aliquid, nec aliqua persona foret membrum ecclesie; quia membrum vel pars non dicitur nisi respectu sui tocius […]. De Civ. Dom. I, ed. Poole, S. 359 f. 174 Lahey, Philosophy and Politics, S. 9 mit Anmm. 21–23. 175 Vgl. Michael Wilks, The Problem of Sovereignty in the Later Middle Ages, Cambridge 1963, S. 20 f. 176 Lahey, Philosophy and Politics, S. 9. 177 Unterscheidung zwischen ecclesia in celo triumphans, in purgatorio dormiens und in terris militans: De ecclesia, ed. Loserth, S. 8; die unsichtbare Kirche ist die wahre: ebd., S. 71. 178 Schäufele, Kontinuität, S. 409.

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lichen, übergeordneten Kraft oder in einer göttlichen Idee. In Bezug auf diese aber trifft bei Wyclif doch genau das zu, was Lahey als falsche Annahme Wilks negiert: „Adherence to realism means recognizing that the church is an Augustinian whole more important than its members.“179 Und so ist schließlich auch nicht von der Hand zu weisen, dass Wyclif in der weiteren Entfaltung seines Kirchenbildes in De civili dominio mit einer Semantik operiert, die derjenigen zur Beschreibung des Verhältnisses von Universalien und Partikularien äußerst nahe steht.180 Alle wesentlichen Lehrsätze von De ecclesia sind in der Schrift über weltliches Dominium bereits vorhanden. Die Gliedschaft in der Kirche hängt nicht vom Empfang der Sakramente oder einer wie auch immer gearteten Verbindung zur römischen Institution ab, sondern allein von der Erwählung durch Gott.181 Wer zur wahren Kirche gehört und wer nicht, ist der menschlichen Wahrnehmung verborgen.182 Prälaten bis hin zum Papst können ebenso wenig wie alle anderen Christen wissen, ob sie zum Kreis der Auserwählten (predestinati) oder zu dem der Verdammten (presciti) gehören und ob sie also Glieder der wahren Kirche sind.183 Haupt der wahren, universalen Kirche ist nicht der Papst, sondern Christus selbst, der Papst und das übrige Kurienpersonal sind zur Führung der Kirche nicht unbedingt notwendig.184 Der Pontifex steht ausschließlich der ecclesia militans vor. Als 179 Lahey, Philosophy and Politics, S. 8 f. Aber De Civ. Dom. I, ed. Poole, S. 363: […] omnis continuacio est accidentalis corpori, in tantum quod quomodocunque corpore lacerato vel discontinuato non exinde sequitur illius corporis desicio; cum corpus remanens non potest dici fuisse pars corporis desinentis eo quod est par sibi in materia, in forma, qualitate, quantitate, et ceteris accidentibus: non ergo fuit pars quantitativa. Et per idem sequitur quod, discontinuata quacunque multitudine parcium abinvicem remanet idem corpus; cum nulle substancie inest primo et per se corrupcio, sed tantummodo accidenti quod est continuacio. Posito ergo quod universitas hominum continuetur secundum corpus, ex Dei omnipotencia, patet quod est unum magnum corpus humanum compositum, quod remanet idem post discontinuacionem. 180 S. vor allem De Civ. Dom. I, S. 359–368, die Beweisführung für die Behauptung, dass die Kirche einen einzigen Körper bilde, der aus all ihren Mitgliedern zusammengesetzt sei, aber in keinem einzelnen von ihnen separat bestehen könne. Darin, S. 363, etwa folgendes Argument: Item cumulus sabuli, boscus populi, et cetera discreta possunt videri per quantumlibet magnam distanciam, et non distincte nisi propria specie; ergo est dare eis propriam speciam, et per consequens eius proprium subiectum terminans visionem. Non enim agit quelibet pars propriam speciem per tantam distanciam, quia tunc eque per se videretur, nisi partes se mutuo iuvarent in agendo huiusmodi speciem. Non ergo est dare distinctas species aggregatas, sed unam distinctam qua totum apprehenditur distincte: aliter enim mundus non foret sensibilis nec divisibilis nec ad corpus in mundo. In krassem Kontrast dazu erklärt der Nominalist Ockham, dass die Kirche auf ein einzelnes, rechtgläubiges Individuum reduziert werden könne. Vgl. Shogimen, Ecclesiology, S. 221. 181 Dies ist die Quintessenz von Wyclifs berühmter Unterscheidung zwischen esse de ecclesia und esse in ecclesia. S. De ecclesia, ed. Loserth, S. 89. Vgl. De Civ. Dom. I, ed. Poole, S. 371. 182 […] nemo cui non fit specialis revelacio debet presumere se esse sic electum […]. De Civ. Dom. I, ed. Poole, S. 381. Vgl. De ecclesia, ed. Loserth, S. 5, 18. 183 […] nec imperator nec ecclesia universalis nec Deus, deposita sua absoluta, ordinare potest pro eo ipso quo quis succedit post Petrum, vocatus in facie ecclesie Romanus episcopus vel papa, eo ipso sit caput vel pars ecclesie […]. De Civ. Dom. I, ed. Poole, S. 381 f. Vgl. De ecclesia, ed. Loserth, S. 28, 32. 184 […] nulla persona Romane ecclesie requiritur tamquam mediamen absolute necessarium ad regulandum ecclesiam. Item caput Christus cum sua lege est per se sufficiens ad regulam

226 Urkirche, Dominium und die Politisierung der Gütergemeinschaft im 14. Jahrhundert deren Kopf sind die Christen ihm Gehorsam schuldig, allerdings nur solange seine Lebensweise und seine Ratschlüsse der Heiligen Schrift und dem Leben Christi und der Apostel entsprechen.185 Die wahre und die sichtbare Kirche liegen tatsächlich so weit voneinander entfernt, dass Gehorsam gegenüber der wahren Kirche in Rebellion gegen die römische bestehen kann.186 Das Gegenbild zu dieser von Distanz zwischen Soll und Haben dominierten Figur ist die Urkirche. In ihr sind Idee und Institution mehr oder minder deckungsgleich. Wie Shogimen richtig feststellt, ist für Wyclif die ecclesia primitiva nicht bloß die Ära der Frühzeit der Kirchengeschichte, sondern sie entspricht der wahren Kirche als Gemeinschaft der Auserwählten, die auch in nachapostolischer Zeit neben und über der sichtbaren präexistiert.187 Daher kann der Meister als Beleg für die Notwendigkeit der Verschmelzung der Individuen im mystischen Leib Christi einmal mehr Apg 4,32 heranziehen. So wie die einigende Kraft der Karitas es erfordert, ein Herz und eine Seele zu sein, erklärt er, so erfordert die Verbindung der Erwählten in der wahren Kirche deren vollkommene Verschmelzung, durch die jede Trennung zwischen ihnen aufgehoben wird.188 Das erant cor unum et anima una als zentrales institutives Element der apostolischen Kirche ist mithin Nachweis für die Existenz der wahren Kirche in einer congregatio omnium praedestinatorum. Wie die vollkommene Verschmelzung der Gläubigen zu verstehen ist, erläutert Wyclif in De Ecclesia und kommt dabei erneut auf die Formel aus Apg 4,32 zurück. Die Kirche ist ein Aggregat so wie auch ihre einzelnen Glieder und deren Akzidenzen ein Aggregat sind. Anders wäre es nämlich nicht möglich gewesen, dass die Menge der Gläubigen ein Herz und eine Seele war. Selbstredend sind die

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sponse sue, ergo nullus alius homo requiritur tamquam sponsus […]. De Civ. Dom. I, ed. Poole, S. 380. Vgl. De ecclesia, ed. Loserth, S. 464. ‚Credendum et obediendum est necesse, ergo illi Romano pontifici.‘ Non autem nego, sed pro­ fiteor, quod obediendum est sibi, sed non nisi in quantum obeditur ecclesie; ymmo in quantum ipse cum suo collegio recipit influenciam a capite ecclesie, qui est Christus, cuius iudicium capiendum est ex hoc quod eius sentencia est fundata ad edificacionem ecclesie in Scriptura sacra, etc. […] licet papa dixerit verbaliter vel in scriptis quod quamquam provisionem vel aliam sentenciam mandat fieri auctoritate apostolica, ita fiat. […] oportet ergo in minori capere quod papa sic mandando non discrepat a sentencia apostolica vel Domini Iesu Christi: cuius tamen oppositum est satis possibile; quo contingente papa exciderit a papatu, et episcopus pareret mandatis apostolicis atque ecclesie resistendo. De Civ. Dom. I, ed. Poole, S. 384 f. Vgl. De ecclesia, ed. Loserth, S. 32–34. Obedire ergo sedi apostolice est Romane ecclesie devianti de possibili rebellare […]. De Civ. Dom. I, ed. Poole, S. 392. Vgl. Shogimen, Ecclesiology, S. 222. Ähnlich auch Martin Anton Schmidt, Dogma und Lehre im Abendland II, in: Adolf Martin Ritter u. a. (Hrsgg.), Die christlichen Lehrentwicklungen bis zum Ende des Spätmittelalters, Göttingen 2011, S. 571–760, hier: S. 737: „So wie die Kirche uns in der Schrift entgegentritt, ist sie Urkirche: einerseits als die von Gott gewollte, geliebte, erkannte und urbildliche Kirche […], andererseits die Kirche der ersten apostolischen Christenheit, auf welche hin die heutige Christenheit zurückzuformen ist.“ Sicut enim unitiva virtus, que est omnis caritas, requirit cor unum et anima unam (ut dicitur Act. iv. 32); sic esse coniugatum requirit aggregatum ex duabus personis esse unam personam ac nullam carnalem, et tollit divisionem que est in duobus non coniugatis. De Civ. Dom. I, ed. Poole, S. 360.

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Teile der Kirche nicht körperlich, aber im Geiste zu einem einzigen gemeinsamen Begriff verschmolzen.189 Auch die Haltung zum Güterbesitz war in der Urkirche vorbildhaft. Die vita exproprietaria, die in ihr vorherrschte, ist der vita seculari überlegen. Obwohl zu ihrer Zeit Temporalien für den Klerus notwendiger waren als in späterer Zeit, gab jener die weltlichen Güter mit Freuden auf. Das heuchlerische Festhalten an ihnen, wie es die Geistlichen jetzt betreiben, gründet also nicht in der Heiligen Schrift.190 Notwendiger war die Gewalt über Temporalien für den Klerus der Urkirche deshalb, weil sie damals nützlicher und verdienstvoller war, denn es wurde ja jedem nach Notwendigkeit gegeben. Von einem zivilen Dominium kann aber hier freilich keine Rede sein.191 Sowohl hinsichtlich ihrer Unanimität als auch bezüglich der Güterlehre ist die ecclesia primitiva, verstanden im doppelten Sinn von apostolischer und universaler Kirche, für Wyclif das Muster, an dem die Christenheit zu messen ist und an dem sie sich orientieren muss. Wie exakt aber sind diese Elemente laut der Apostelgeschichte beschaffen? En detail legt der doctor evangelicus dies an einer anderen Stelle dar, die im Folgenden in den Mittelpunkt rücken soll. 3.3 Zum Gepräge der Urkirche Das dritte Buch von De civili dominio, wie auch das zweite wohl in Reaktion auf Kritik und Anfeindungen des ersten Teils entstanden,192 ist im Wesentlichen dem Problem des Privatbesitzes als solchem sowie dem Kircheneigentum gewidmet.193 Um die Bedeutung der Urkirche für John Wyclifs Denken zu bestimmen, ist es fraglos die wichtigste Quelle. Im umfangreichen sechsten Kapitel entwickelt der Theologe einen Kanon von acht Punkten, durch die die ecclesia primitiva, wie sie in Apg 2 und 4 dargestellt ist, Vorbild für das gesamte Christentum wie auch für

189 […] sicut ecclesia est unum aggregative, sic membrum eius et accidencia sua sunt unum aggregative. Aliter enim non foret multitudinis credencium cor unum et anima una (ut scriptura sacra dicit Act. IV° 32). Ex quo patet quod omnes partes ecclesie collective intellecte copulantur ad eundem terminum communem ex omnibus communibus terminis ecclesie aggregatum. De ecclesia, ed. Loserth, S. 105. Vgl. dazu Michael J. Wilks, Royal Patronage and Anti-Papalism from Ockham to Wyclif, in: ders. / Anne Hudson (Hrsgg.), From Ockham to Wyclif (= Studies in Church History, Subsidia 5), Oxford 1987, S. 135–163, hier: S. 154 mit Anm. 49. 190 Scimus tamen quod una potestas infinitum excedit aliam, et quod vita exproprietaria est vita seculari perfeccior et quod tam necessaria erant temporalia clero in primitiva ecclesia sicut modo et quod necessarior foret modo eorum subtraccio et suspensio rapine bonorum cum gaudio, quam tunc fuit, nec est illa ficta defensio fundabilis ex scriptura sacra. De ecclesia, ed. Loserth, S. 358 f. 191 […] necessarior fuit in clero dominacio temporalium in primitive ecclesia militante quam est modo. Patet ex hoc quod tunc fuit utilior et meritorior et per consequens necessarior. Tunc enim fuit pure evangelica civili dominio impermixta. Ebd., S. 462. 192 Vgl. Workman, John Wyclif, Bd. 1, S. 264. 193 Vgl. Lahey, Philosophy and Politics, S. 112.

228 Urkirche, Dominium und die Politisierung der Gütergemeinschaft im 14. Jahrhundert jeden einzelnen religiösen Orden sei.194 Im Anschluss daran nimmt er anhand ihrer Regeltexte die verschiedenen Formen der vita regularis und ihren Anspruch auf Sukzession der urgemeindlichen Lebensweise ins Visier. Eine eingehende Lektüre dieser Passagen erlaubt durchaus überraschende Einsichten in die Ideen des englischen Reformers über eine ideale christliche Gesellschaftsordnung ebenso wie über die Rolle der Orden in derselben. 3.3.1 Unanimität und Karitas An erster Stelle der Exempel, durch die die Jerusalemitische Gemeinde ihre Vorbildfunktion für die christliche Lebensführung schlechthin gewinnt, steht auch für Wyclif, wie seit Augustinus üblich, die Unanimität: […] oportet enim primo quod substancia religionum vel ordinum fuit unanimis in affectu et intellectu, scilicet in voluntate et racione, et hoc est cor unum et anima una. Aliter enim non sunt fidei orthodoxe que est fundamentum religionis christiane, habens in se plantaria omnium genera virtutum et per consequens excludens discordiam invidiam et omnia genera viciorum.195

Ein Herz und eine Seele zu sein, entspricht nach seinem Verständnis also einem Zustand, in dem durch die Wirkung der Tugenden jegliche Zwietracht und Laster aufgehoben sind. Cor und anima setzt er gleich mit voluntas und racio, diese wiederum mit affectus und intellectus. Auch sein Wortgebrauch steht damit demjenigen des Augustinus nahe, der zwar cor und anima nicht eindeutig verwendet, aber doch dazu neigt, cor für den sensualen, anima für den rationalen Teil des menschlichen Wesens zu gebrauchen.196 Punkt zwei des octonarius, den Wyclif hinsichtlich der Vorbildhaftigkeit der Summarien postuliert, bietet einen guten Anhaltspunkt für seine Vorstellungen vom 194 De Civ. Dom. III, ed. Loserth, S. 77 f., in Anschluss an ein Vollzitat von Apg 4,32–35: In isto octonario veritatum practicarum originata est religio christiana et exemplati omnis privati ordines […]. Der Begriff der privati ordines, den Wyclif hier gebraucht, führt hin zu einem Kernpunkt seiner prinzipiellen Kritik am Mönchtum, die wiederum in enger Verbindung mit seiner Überzeugung von der Notwendigkeit einer grundsätzlichen Kirchenreform steht. So erachtete er es als ungehörig, die Ideale des Evangeliums in der Privatheit eines Ordens erfüllen zu wollen. Nicht in Absonderungen, sondern in der Gemeinschaft des gesamten Christentums sah er den Weg zum Heil. Diese Auffassung sollte er in den 1380er Jahren auf das Argument stützen, dass die Bibel die Lebensform des Mönchtums nicht kenne (vgl. Bernhard Lohse, Mönchtum und Reformation. Luthers Auseinandersetzung mit dem Mönchsideal des Mittelalters (= Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte, 12), Göttingen 1963, S. 179, 181, 189 f.). Aus diesen Überzeugungen wiederum muss zwangsläufig ein Streben nach Erfüllung des Evangeliums in der Gesamtkirche folgen und, so diese als verderbt angesehen wird, nach ihrer Umgestaltung. – Den ‚Acht-Punkte-Plan‘ hebt aus allen ihm bekannten Äußerungen Wyclifs zur Apostelgeschichte auch hervor: J. W. Hunkin, British Work on the Acts, in: F. J. Foakes Jackson / Kirsopp Lake, The Beginnings of Christianity I: The Acts of the Apostels, Bd. 2: Prologomena II: Critics, London 1922, S. 396–433, hier: S. 399. Erstaunlicherweise fand diese für Wyclifs Kirchenidee überaus aufschlussreiche Passage in der Forschung darüber hinaus bislang keine besondere Beachtung. 195 De Civ. Dom. III, ed. Loserth, S. 78. 196 Vgl. Gewehr, „anima“ und „cor“, S. 54.

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Verhältnis zwischen Unanimität und Eigentum. Nachdem die Gemeindemitglieder durch die geschilderten innerlichen Voraussetzungen (disposicione tali intrinsica) bereits zu einer vollkommenen Einheit geworden waren, war es des Weiteren nötig, das aufzuheben, was den freundschaftlichen Umgang (amicabilem communicacionem) hätte stören können: die civilis proprietas.197 Mit dem Adjektiv amicabilis, einem Wort aus dem semantischen Feld der Freundschaft, gebraucht Wyclif hier eine Vokabel, die im Kontext des mittelalterlichen Gütergemeinschaftsdiskurses unweigerlich an Aristoteles denken lässt, durch dessen Schriften das pythagoreische Diktum amicorum omnia communia auf die Scholastiker gekommen war. Doch noch in einem anderen Punkt ähnelt die Argumentation des Oxforder Doktors an dieser Stelle aristotelischen Auffassungen. So scheint es für ihn außer Frage zu stehen, dass die Aufhebung des Privateigentums aus der Tugendhaftigkeit der Gläubigen, aus ihrer inneren Einstellung folgt und nicht etwa umgekehrt. Dies entspricht der gegen Plato gerichteten Idee der Politica,198 aber auch der traditionellen Exegese des zweiten Sammelberichts, wie sie etwa Beda und Augustinus vertreten. Einzig Petrus Olivi war von jenem Verständnis der Abhängigkeitsrichtung zwischen brüderlicher Liebe und Gütergemeinschaft gelegentlich entschieden abgerückt.199 Gleichwohl ist Wyclif in dieser Frage offensichtlich nicht völlig einseitig festgelegt, sondern geht von einem reziproken Verhältnis aus. Wenn er nämlich konstatiert, dass das civile dominium ein Hindernis für den freundschaftlichen Umgang in der Gemeinschaft sein könnte, dann bewertet er dessen Aufhebung durchaus auch als Werkzeug zur Konsolidierung der Tugend. Diese Ansicht deckt sich mit derjenigen des Johannes Chrysostomus,200 auf den sich Wyclif unter anderem im folgenden Kapitel von De civili dominio beziehen wird.201 Doch allein in der Negation des Privatbesitzes, erklärt der Lehrer weiter, könne die religionis perfeccio nicht bestehen. Als dritten entscheidenden Faktor derselben identifiziert er daher das Teilen der Güter.202 Um dessen Notwendigkeit zu unterstreichen, führt er eine Reihe von gängigen Schriftzitaten zum Lob der Karitas ins Feld (Ps 133,1–2; 1 Joh 3,17 etc.). Eine Aufhebung jeglicher Bindung an weltliche Güter auch im Kollektiv, wie sie Petrus Olivi und den an ihn anschließenden Franziskanerspiritualen vorschwebte, passt demnach nicht in Wyclifs Bild von der Urkirche und damit in seine Vorstellung einer idealtypischen christlichen Gesellschaftsform. Im Gegenteil: Da sie der Karitas als einem essentiellen Bestandteil derselben zuwiderliefe, würde sie die Vollkommenheit der Gemeinschaft gar ernsthaft behindern.

197 Habita ergo disposicione tali intrinseca oportet secundo amovere prohibens scilicet amicabilem communicacionem quod est civilis proprietas. De Civ. Dom. III, ed. Loserth, S. 78. 198 Vgl. Politica II, 1263a, trans. Gigon, S. 89: Die Tugend wiederum wird den Gebrauch nach dem Sprichwort: ‚Den Freunden ist alles gemeinsam‘ regeln. 199 Vgl. oben, Kap. III,7.1. 200 Vgl. oben, S. 137 f. 201 S. De Civ. Dom. III, ed. Loserth, S. 93. 202 Sed quia in pura negacione non stat religionis perfeccio, ideo tercio ponitur grata bonorum communicacio, cum infertur, sed erant illis omnia communia […]. Ebd., S. 78.

230 Urkirche, Dominium und die Politisierung der Gütergemeinschaft im 14. Jahrhundert Die Hervorhebung der Bedeutung der Karitas für die perfectio steht in der Tradition des Thomas von Aquin203 und fügt sich, wie überhaupt die Betonung des Wertes einer Gütergemeinschaft im Gegensatz zur güterlosen Gemeinschaft, zum Konzept eines durch Grenzen nach außen definierten Besitzkollektivs, wie es schon in Wyclifs Auseinandersetzung mit der Politica anklang. Sünder, unter diesen Diebe, sind aus demselben ausgeschlossen, im Inneren herrscht ein karitatives Miteinander, wobei die Karitas nicht allein Werkzeug der inneren Tugend ist, sondern auch der Grenzschärfung nach außen dient. Der gemeinsame Anspruch auf Temporalien erfüllt demnach eine entscheidende identitätsstiftende Funktion für die Gemeinschaft.204 Einen vierten Aspekt der perfectio der Urchristen findet der Autor sodann in der Tatsache, dass die Mitglieder der Gemeinde fleißig Zeugnis von der Auferstehung abgaben, einen fünften in der Übereinstimmung ihrer Lebensführung mit ihrer Predigt, was durch die gracia magna, mit der sie gesegnet waren (Apg 4,33), bezeugt sei.205 Es bedarf keiner größeren Abstraktionsleistung, hierin einen weiteren Seitenhieb gegen die kirchlichen Würdenträger des 14. Jahrhunderts zu sehen. 3.3.2 Verfasstheit der Gütergemeinschaft Von besonderem Interesse für die Frage nach Wyclifs Idee der ecclesia primitiva sind schließlich die Punkte sechs bis acht der in Betracht stehenden Liste. In ihnen liegt eine umfängliche Exegese der urchristlichen Güterlehre laut Apg 4,34–35 vor. Punkt sechs zielt dabei auf die bedeutende, seit Olivi und insbesondere im Theoretischen Armutsstreit kontrovers diskutierte Frage nach einer stratifikatorischen Gliederung der Urgemeinde. Hier stimmt Wyclif zunächst generell mit den Anschauungen der Franziskaner überein, die sich grundsätzlich auch auf die Glossa Ordinaria und damit auf Beda berufen konnten. Weder ein Ansehen der Person noch irgendwelche Differenzen bezüglich der praktischen Verwirklichung der Einheit der Herzen existierte unter den Gemeindemitgliedern. Sie alle führten ein und dieselbe Lebensweise, wodurch keiner unter ihnen war, der Mangel hatte.206 Die weiteren Ausführungen verstärken den Eindruck einer unartikulierten Bezugnahme 203 Vgl. Wittneben, Bonagratia, S. 114. 204 Zur Bestätigung dieses Eindrucks s. unten, Kap. 3.3.2, zu Wyclifs Widerspruch gegen die Olivi’sche Konzeption der urchristlichen Gütergemeinschaft. 205 Sed quia non sufficit Christi discipulos in communicacione temporalium convenire nisi operentur opus magistri […]. […] subdit quinto: Et gracia magna erat in omnibus illis. Quando enim predicator ex gracia Dei conformat vitam doctrine, tunc habet predicacio superadditam efficaciam, quia aliter est testificacio mendax et suspecta duplicitas. De Civ. Dom. III, ed. Loserth, S. 79. 206 Sexto ne videretur inter eos personarum accepcio aut unitatis cordium effectualis discordacio, subditur quod erat inter eos uniformis conversacio cum dicitur: Nec quisquam egens erat inter eos. Ebd. – Vgl. Glossa Ordinaria, ad Apg 4,32: Qui mundum reliquerant, non de nobilitate generis gloriantes se aliis praeferebant, sed sicut unius eiusdemque matris ecclesie visceribus editi, eodem fraternitatis amore gaudebant.

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auf die Glossa Ordinaria zu den Acta apostolorum. Wie diese kommt Wyclif nun auf den Leib der Kirche (viscera) bzw. auf dessen Glieder (membrum) zu sprechen: Es gehörte sich nämlich nicht, dass ein Glied der Kirche sich überfraß [ingurgitari] und ein anderes hungerte, eines mit einer Trabea bekleidet einherging und ein anderes fror; denn dann wären ihnen nicht alle Dinge gemeinsam gewesen, sondern die brüderliche Liebe wäre verlorengegangen.207

Derweil also die an dieser Stelle angewandten Motive durchaus dem klassischen mittelalterlichen Interpretationsmuster für das Summarium in Kapitel vier der Apostelgeschichte ähneln, weichen die Schlussfolgerungen sehr deutlich von ihm ab. Denn anders als bei Beda und in der exegetischen Tradition bis ins 13. Jahrhundert wird auch hier der Gütergemeinschaft als Mittel zur Aufhebung des Unterschieds von Arm und Reich wiederum nicht allein eine konsekutive, sondern auch eine funktionale Bedeutung für das einträchtige Leben zugeschrieben. Eine quantitativ ungleiche Verfügung über Speisen und Kleidung, meint Wyclif, hätte die Karitas zerstört. Spätestens im darauffolgenden Passus bricht die Übereinstimmung mit der Ordinarglosse und Beda endgültig ab. Während jener im weiteren Gang seiner Expositio, nämlich schon in der Exegese des folgenden Verses Apg 4,33, schließlich eine klare ständische Unterscheidung zwischen den Aposteln und den übrigen Gläubigen nebst unterschiedlicher Güterpraxis konstatierte,208 fragt Wyclif nun in seinem siebten Punkt danach, wie eine ungleiche Verfügung über Temporalien in der Urgemeinde verhindert wurde und impliziert somit genau die gegenteilige Vorstellung. Einmal mehr erlauben hier semantische Auffälligkeiten über das offen Gesagte hinausreichende Rückschlüsse auf seine Überzeugungen von der sozialen Ordnung und der Ökonomie der Urchristen. Weil niemand zugleich Gott dienen kann und dem Mammon, erklärt der Lehrer mit Matthäus 6,24209, hätte es sich für die Urchristen nicht geziemt, Almosen von habgierigen Konversen zu fordern. Auch durfte Begierde kein Hindernis für den schnellen Lauf des Gotteswortes darstellen. Daher hätten alle unter ihnen, die Besitzer von Äckern oder Häusern waren, dieselben verkauft und zur Gänze den Jüngern dargebracht. Die Rede sei hier, betont Wyclif, von den Konversen. Doch spreche der Text der Acta apostolorum keineswegs davon, dass jene den Erlös aus den Verkäufen den Jüngern geschenkt hätten. Nein, vielmehr heiße es, sie „legten sie zu ihren Füßen“. Damit nämlich solle bedeutet werden, dass diejenigen, die das mühselige Amt der Güterverwaltung angenommen hatten, auf dem überwiegenden Teil der Temporalien herumtrampelten.210 Der Verkauf der persönlichen Habe, so207 Non enim decuit unum membrum concordis ecclesie ingurgitari et aliud esurire, unum trabeatum incedere et alius algere, quia tunc non forent illis omnia sua communia; sed periret caritas fraterna […]. De Civ. Dom. III, ed. Loserth, S. 79. 208 Vgl. oben, S. 105 f. m. Anm. 178, S. 119 f. 209 Mt 6,24: Nemo potest duobus dominis servire aut enim unum odio habebit et alterum diliget aut unum sustinebit et alterum contemnet non potestis Deo servire et mamonae. 210 Sed quia nemo potest Deo servire et mammone, nec est elemosina exigenda ab avaris convertendis, nec cupiditas ponat offendiculum cursui verbi Dei, ideo subdit in hiis habentibus primicias spiritus, quod perfectus est, cum septimo subiungit: Quotquot enim illorum (suple qui tunc

232 Urkirche, Dominium und die Politisierung der Gütergemeinschaft im 14. Jahrhundert wohl der beweglichen als auch der unbeweglichen, und die Abgabe des Ertrags an die Gemeinde waren laut Wyclif folglich Bedingungen für den Eintritt in die Jerusalemer Gemeinschaft. Deren primäre und im Grunde einzige Aufgabe habe darin bestanden, das Wort Gottes, sprich den christlichen Glauben zu verbreiten.211 Die Beibehaltung von Privateigentum aber wäre der Erfüllung dieser Aufgabe hinderlich gewesen, da zum einen das Betteln um Almosen von den begüterten Mitgliedern der Gemeinde die unbegüterten von ihren eigentlichen Verpflichtungen abgelenkt hätte212 und zum anderen jegliches Verlangen nach Eigentum per se schon ein Störfaktor für die Verbreitung der Lehre gewesen wäre. In den näheren Erläuterungen hierzu greift Wyclif der später umfänglicheren Einlösung seiner Ankündigung vor, die Urkirche nicht nur als Vorbild für das gesamte Christentum, sondern auch für jeden separaten Orden zu präsentieren. Denn ganz offenkundig assoziiert er durch die Betonung der Aufgabe des Privatbesitzes im Status des Konversen die urchristliche Gütergemeinschaft mit der klassischen klösterlichen Praxis. Es zeigt sich hier, dass dem Oxforder Kleriker, anders als den franziskanischen Theoretikern vor ihm, nicht daran gelegen war, die rezeptive Verbindung von lukanischer ecclesia primitiva und zönobitischem Mönchtum rundheraus zu negieren. Der Rückgriff auf die traditionelle Orientierung der vita regularis an der Apostelgeschichte konnte ihm nämlich gerade als Argument gegen das monastische Leben seiner Gegenwart und für die Hinfälligkeit aller Orden dienen.213 Indem er ihnen das Bild der perfekten urchristlichen Lebensweise entgegenhielt, war es ihm möglich, die Übel, die er in ihrem Betragen wahrnahm, als Abweichungen von ihrem eigenen Ideal zu kennzeichnen. Vor diesem Hintergrund können die Feststellung, dass die Konversen die Erlöse aus dem Verkauf ihrer Güter der Urgemeinde nicht etwa zum Geschenk gemacht hätten, sowie der Einsatz des von Hieronymus stammenden Interpretaments des Zertrampelns214 als Angriff auf die wohlhabenden Konvente des 14. Jahrhunderts identifiziert werden. Wyclif will sagen: Das Einbringen des persönlichen Besitzes in die urchristliche Gemeinschaft geschah um der Einträchtigkeit willen und führte nicht zur Anhäufung eines kol-

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convertebantur ad disciplinatum Christi) erant proprietarii possessores agrorum aut domorum vendebant cuncta inmobilia sive mobilia et ex integro afferebant discipulis. Non dicitur quod donarunt illis sed ponebant ante pedes eorum, ad denotandum quod calcarunt preponderantem temporalium affectum suscipientes laboriosum eorum ministerium. De Civ. Dom. III, ed. Loserth, S. 80. Dies gilt seines Erachtens ganz genauso auch für den Klerus seiner Zeit. Vgl. Bernhard Töpfer, Zur Wirksamkeit ideologischer Vorstellungen in der mittelalterlichen Gesellschaft. Ockhams und Wyclifs Positionen zur kirchlichen und weltlichen Ordnung, in: Bea Lundt / Helma Reimöller (Hrsgg.), Von Aufbruch und Utopie. Perspektiven einer neuen Gesellschaftsgeschichte des Mittelalters (FS Ferdinand Seibt), Köln/Weimar/Wien, S. 265–284, hier: S. 278 f. Dem Betteln als religiösem Konzept stand Wyclif grundsätzlich ablehnend gegenüber. S. nur das Verdikt in Sermo 33, ed. Iohannes Wyclif Sermones, ed. Johann Loserth, Bd. 1, London 1887, S. 223–228, wo er, S. 226, unter anderem sagt: Item, videtur esse contra legem evangelii et nature taliter mendicare. Apostoli enim vixerunt de labore manuum (ut patet Actuum XX°, 30 de vase eleccionis), et idem patet in privatis regulis religionum precipientibus laborare; ymmo secundum leges civiles mendicantes validi sunt propterea puniendi. Vgl. unten, Kap. IV,3.4. Vgl. oben, S. 167 f.

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lektiven Vermögens, wie es für die Mehrheit der Ordenskonvente des Spätmittelalters – im 14. Jahrhundert nicht mehr nur für das benediktinische Mönchtum, die Zisterzienser und Cluniazenser, sondern längst auch für die Franziskaner – bezeichnend war.215 Diejenigen unter ihnen, die das Amt der Güterverwaltung ausübten, empfanden dies als Bürde, da ihnen der Umgang mit Temporalien zuwider war. Nur den für die Gemeinde absolut notwendigen Teil hielten sie zur Verfügung, den überschüssigen Rest verschmähten sie. Auffällig ist überdies die Abwandlung des Wortlauts der zugrundeliegenden Bibelverse. Anstelle der Apostel in Apg 4,35 setzt Wyclif die discipuli, denen die Konversen die Erlöse aus den Verkäufen ihrer Besitztümer dargebracht und vor die Füße gelegt hätten (et ex integro afferebant discipulis. […] ponebant ante pedes eorum). Ob es sich dabei um eine intentionale Modifikation handelt, ist freilich nicht mit letzter Sicherheit zu bestimmen. Der Schluss scheint aber nahezuliegen. Zwar erscheinen die Begriffe apostoli und discipuli im Gebrauch des Mittelalters hin und wieder durchaus als austauschbar – auch Wyclif bezeichnet die Apostel in Abgrenzung zu den Siebzig bzw. Zweiundsiebzig ausgesandten Jüngern (Lk 10,1– 24) andernorts als duodecim principales discipuli216 –, synonym sind sie jedoch nie. Überdies findet sich gerade im Kontext des wohl auf den Anfang der 1380er Jahre datierenden Opusculums De gradibus cleri ecclesiae, in dem der Oxforder die eben genannte Formulierung verwendet, ein starker Hinweis auf eine mögliche Intentionalität seines von der Vulgata abweichenden Wortgebrauchs. Während in der theologischen Tradition des Mittelalters Bischöfe als Nachfolger der Apostel, die niederen Priester hingegen als Nachfolger der Siebzig bzw. Zweiundsiebzig Jünger angesehen wurden,217 erklärt der doctor evangelicus darin sowohl Bischöfe als auch alle übrigen Priester zu direkten Sukzessoren der Apostel und negiert somit einen graduellen Unterschied zwischen ihnen.218 In den ausgesandten Jüngern wiederum erkennt er Diakone, also Inhaber exakt jenes Amtes, dem laut Apg 6 die Verwaltung der Güter obliegt und das traditionellerweise mit der Sorge um die Bedürftigen betraut ist. Eine Unterscheidung kirchlicher Ämter, die über diejenige von Priestern und Diakonen hinausgeht, hält er für unnötig und schädlich.219 Zu Zeiten 215 Zur Wirtschaft der Franziskaner im Spätmittelalter s. Bernd Schmies, Gelobte und gelebte Armut. Mittelalterliche Minderbrüder zwischen Anspruch und Wirklichkeit, in: Heimann u. a. (Hrsgg.), Gelobte Armut, S. 285–305. Gegen das Vermögen der Franziskaner polemisiert Wyclif z. B. in Iohannis Wyclif Tractatus de Blasphemia, ed. Michael Henry Dziewicki, London 1893, S. 236. 216 Wyclif, De gradibus cleri ecclesiae, ed. Johann Loserth, Johannis Wyclif Opera Minora, London 1913, S. 140–144, hier: S. 143. 217 Vgl. Heribert Smolinsky, Successio apostolica im späten Mittelalter und im 16. Jahrhundert, in: Theodor Schneider / Gunther Wenz (Hrsgg.), Das kirchliche Amt in apostolischer Nachfolge, Freiburg i. Br. 2004, Bd. 1, S. 357–375, hier: S. 360. 218 Vgl. Töpfer, John Wyclif, S. 120 f. 219 Ideo videtur irracionabile et infundabile quod ecclesia militans sit cum istis tribus ordinibus onerata et quibusdam videtur quod septuaginta duo discipuli, de quibus Luce XVIII [sic!], erant diaconi et duodecim principales discipuli erant sacerdotes atque episcopi […]. Nec dubium quin ista contrarietas sacerdotum ecclesiam fidelium notabiliter discrasiat nec sanabitur plene corpus ecclesie antequam sua principia ad Christi regulam sint reducta […]. De gradibus cleri ecclesiae, ed. Loserth, S. 142–144.

234 Urkirche, Dominium und die Politisierung der Gütergemeinschaft im 14. Jahrhundert der ecclesia primitiva, betont er überdies in seinem Trialogus nachdrücklich, habe es nur diese beiden gegeben.220 Legt man jene Ansicht zugrunde, so ergibt sich eine plausible Erklärung für den gegenüber Apg 4,34–35 modifizierten Text im zur Debatte stehenden Absatz von De civili dominio. Wenn Wyclif nämlich Bischöfe und Priester gleichermaßen als Nachfolger der Apostel betrachtet und zugleich fordert, dass sich die Amtsträger der Kirche auf ihre spirituellen Pflichten konzentrieren und ohne Temporalien sein sollten, dann war es seinem Anliegen zweifellos äußerst zuträglich, die Apostel der vorbildhaften ecclesia primitiva so wenig wie möglich mit der Verwaltung weltlicher Güter in Verbindung zu bringen. Und immerhin hatte er auch schon im ersten Buch von De civili dominio dementsprechend behauptet, die Apostel seien von anderen mit den lebensnotwendigen Dingen versorgt worden.221 Die Abgabe der Erlöse an die discipuli passt also wesentlich besser ins Bild, und dies umso mehr, wenn man sie wie Wyclif als Diakone ansieht. Obgleich es also gewisse Güter bzw. Gelder in der Verfügungsgewalt der Urchristen gegeben habe, müsse nicht darüber spekuliert werden, wer wohl das zeitliche Dominium über dieselben innegehabt habe. So fährt der Verfasser im siebten Punkt seiner achtfachen Erklärung zur Vorbildfunktion der frühen Christenheit fort. Denn abwegig sei es zu glauben, dass weltliches Eigentum (proprietas civilis) für den wahren Besitz (vera possessio) von Temporalien erforderlich sei.222 Possessio vera bezeichnet in zivilrechtlicher Terminologie den faktischen Besitz spezifischer, materiell eindeutig bestimmter Güter im Gegensatz zu einer quasi possessio, mit der der abstrakte rechtliche Anspruch auf den Besitz gewisser, nicht notwendigerweise materiell in Besitz genommener Güter angesprochen wird.223 Dementsprechend unterscheidet die maßgebliche spätmittelalterliche Sammlung des englischen Zivilrechts, das dem bedeutenden Juristen Henry Bracton (um 1210– 1268) zugeschriebene Werk De legibus et consuetudinibus Angliæ, die possessio 220 Die Parallelstelle im ob seines summarischen Charakters des Öfteren als Hauptwerk bzw. Summa summae Wyclifs bezeichneten Trialogus lautet: Et sic multiplicant quidam in ordinibus et sacramentis multis characteres. Sed istorum fundationem vel fructum nec in scriptura sacra nec in ratione considero. Sed unum audacter assero, quod in primitiva ecclesia ut tempore Pauli suffecerunt duo ordines clericorum scilicet sacerdos atque diaconus. Secundo dico quod in tempore apostoli fuit idem presbyter atque episcopus […]. […] tunc enim non fuit adinventa distinctio papae et cardinalium, patriarcharum et archiepiscoporum, episcoporum et archidiaconorum, officialium et decanorum cum ceteris officiariis et religionibus privatis […]. Unde non dubito quin in consensu admissionis hujusmodi sunt plurimi maculati. Trialogus, ed. Lechler, S. 296 f. – Der Karmelit Thomas Netter, der zwischen 1415 und 1429 sein berüchtigtes Doctrinale antiquitatum fidei ecclesiae catholicae zur Widerlegung Wyclif’scher und lollardischer Lehre verfasste, entgegnete lapidar: Sed hoc retento, quod dicit, Apostolos principales comparative ad septuaginta duos discipulos, quos ea ratione dicit minores, probemus intentam eminentiam per omnes, quos legi continget scriptores catholicos. Thomæ Waldensis […] doctrinale antiquitatum fidei catholicæ ecclesiæ, Venedig 1757, Bd. 1, Sp. 564. 221 S. oben, S. 222. 222 Nec oportet solicitari quis habuit istorum temporale dominium, quia absit quod creditur requiri ad veram possessionem temporalium proprietatem civilem. De Civ. Dom. III, ed. Loserth, S. 80. 223 Vgl. Friedrich Heinrich Vering, Geschichte und Institutionen des römischen Privatrechtes, 3., verb. Aufl., Mainz 1870, S. 244.

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vera von einer possessio imaginaria sive colorata sive fictitia. Erst der tatsächliche Gebrauch eines Gutes, ist dort erklärt, mache aus dem imaginären juristischen Besitzanspruch wahren Besitz.224 Dieser Definition scheint Wyclifs Gebrauch des Terminus im Wesentlichen zu entsprechen. Die possessio der Urchristen, möchte er sagen, war eine wahre, eine dingliche und als solche eine gerechte, nicht aber eine abstrakte, nicht eine rechtliche im Sinne menschlichen Rechts. Daher könne kein Zweifel darüber bestehen, dass weder die Apostel noch die Konversen in der Urgemeinde weltliche Gewalt über die verkauften Güter und die dargebrachten Erlöse gehabt hätten. So hätten sie denn auch, wenn damals der Kaiser oder jemand anderes an seiner Stelle sie ungerechterweise ausgeplündert hätte, dies mit Freuden ertragen.225 Im zuletzt angeführten Detail deckt sich Wyclifs Auslegung der urchristlichen Gütergemeinschaft mit derjenigen Olivis, der erklärt hatte, die Urchristen hätten auch im Falle, dass außerhalb der Gemeinde stehende Heiden oder Juden ihnen etwas entwendet hätten, es nicht zurückverlangt „als sei es ihrer Gemeinschaft Eigen gewesen“.226 Während der Franziskaner allerdings mithilfe dieser Deutung die völlige Loslösung der Gemeinschaft von jedweder faktischen wie rechtlichen Bindung an Temporalien glaubhaft machen wollte, zielt der Oxforder Theologe auf die Unterordnung der geistlichen unter die weltliche Macht in puncto weltlicher Güter. Daher ist es in seinen Ausführungen nun der Kaiser, dessen potentiellen Zugriff auf ihre Habseligkeiten, wäre er auch unrecht gewesen, die Urchristen widerspruchslos geduldet hätten. In großer Klarheit bestätigt sich hierin einmal mehr Wyclifs Bestreben, das Wesen der ecclesia primitiva in Gleichklang mit seinen politischen Überzeugungen zu bringen. Denn zu den breitest rezipierten, weil kontroversesten unter seinen Lehrsätzen, artikuliert sowohl in der Schrift De officio regis als 224 Dividitur autem possessio sic: […] Item alia vera, alia imaginaria sive colorata sive fictitia. Imaginaria, ut si quis se gesserit ac si possideret cum alius possideat. De Legibus et Consuetudinis Angliæ, ed. George E. Woodbine, Bd. 2, New Haven/London/Oxford 1922, S. 122. Sed cum usus intervenerit in re incorporali, retinetur possessio per usum et efficitur vera, quæ prius fuit fictitia, et cum quis usus fuerit iure tali, ad alium transferre poterit ius et usum simul, quod non potuit ante usum. Ebd., S. 159. – Die Autorschaft Henry Bractons an der Arbeit, die im englischen Raum umgangssprachlich schlicht als „Bracton“ bekannt ist, wurde in der jüngeren Forschung mehrfach in Zweifel gezogen. Vgl. John L. Barton, The Authorship of Bracton: Again, in: The Journal of Legal History 30,2 (2009), S. 117–174. – Aufgrund der Betonung königlicher Souveränität gegenüber der römischen Kirche wurde Bracton in der Forschung gelegentlich als ein Vorläufer Wyclifs gehandelt. S. z. B. Lechler, Johann von Wiclif, Bd. 1, Leipzig 1873, S. 206. Inwieweit Wyclif mit dem Zivilrecht vertraut war, ist schwer zu entscheiden. Workman, Wyclif, Bd. 1, S. 101 f., stellt fest: „In his later works Wyclif complained bitterly of the attention paid by the clergy to the study of law. We are inclined to think that this was an afterthought, for Wyclif’s early writings are so full of references to law books that we might suspect that at one time he contemplated taking his degree therein […]. He had some knowledge also of Roman civil law, and more than once quotes from English statute law. […] But Wyclif never mentions any English lawyers, neither Bracton nor William of Drogheda […].“ 225 Ideo indubie nec apostoli nec sui conversi dominabantur tunc civiliter super illis venditis et oblatis, sed si Cesar vel alius pro tunc iniuste diripuisset, cum gaudio sustinuissent. De Civ. Dom. III, ed. Loserth, S. 80. 226 Vgl. oben, S. 107.

236 Urkirche, Dominium und die Politisierung der Gütergemeinschaft im 14. Jahrhundert auch bereits in De civili dominio, zählt doch bekanntlich das Postulat, dass Widerstand gegen tyrannische weltliche Herrscher für Christen unangebracht, ja auch Tyrannen im Regelfall uneingeschränkt Gehorsam zu leisten sei.227 Hiermit stellte er sich gegen die scholastische Tradition des späteren Mittelalters, die Widerstand bis hin zum Tyrannenmord als moralisch berechtigt ansah.228 Wyclif unterscheidet allerdings zwischen Tyrannei in Bezug auf weltliche Güter einerseits und solcher Tyrannei, die das spirituelle Heil gefährde, andererseits. Gegen letztere Form sei in jedem Fall Widerstand geboten, lediglich erstere solle erduldet werden.229 Ebendiesem Standpunkt aber entspricht die Behauptung, die erste Gemeinde in Jerusalem hätte die ungerechte Entwendung ihrer Güter durch weltliche Mächte duldsam und freudig hingenommen, so vollkommen, dass die Intentionalität der fraglichen Ausdeutung des urgemeindlichen Habitus unbestreitbar sein dürfte. Bemerkenswerterweise, wenngleich auf logische Ableitungen gründend, folgt laut De civili dominio aus denselben Präliminarien noch ein Zweites. Wyclif schreibt: Daher irren die, die meinen, dass kein Reisender [viator230] irgendetwas besitze; denn wenn auch nicht weltlich [civiliter], so besaß diese Gemeinschaft doch auf höchst gerechte Weise 227 Seculari vero tyrannisanti debemus obedire rependendo sibi septem opera misericordie spiritualis et precipue iniurias proprias humiliter paciendo. Nam facere coacciones corporales est eorum officium. De officio regis, ed. Pollard/Sayle, S. 21. Vgl. De Civ. Dom. I, ed. Poole, S. 199: […] Christianus debet potentatibus tyrannizantibus obedire, et videtur quod sic: nam Salvator obedivit quoad bona corporis Herodi, Pilato, et principibus sacerdotum, cum tamen facilime potuisset restitisse; sed omnis Christi accio est nostra instruccio; ergo nos debemus eciam tyrannizantibus quoad bona fortune minus valencia obedire. Item […] nulla passio est simpliciter iniusta; omnis obediencia vel subieccio tyrannis consistit in passione; ergo nulla huiusmodi est iniusta: et cum modus vivendi hominis non potest esse neuter, sequitur quod Christianus debet obedire eciam malis prepositis. S. dazu Stephen Lahey, Toleration in the Theology and Social Thought of John Wyclif, in: Cary J. Nederman / John Christian Laursen (Hrsgg.), Difference and Dissent. Theories of Toleration in Medieval and Early Modern Europe, Lanham 1996, S. 39–65, hier: S. 51; ders., Philosophy and Politics, S. 191–193. 228 Zur scholastischen Theorie von Widerstandsrecht und Tyrannenmord s. Jürgen Miethke, Der Tyrannenmord im späteren Mittelalter. Theorien über das Widerstandsrecht gegen ungerechte Herrschaft in der Scholastik, in: Gerhard Beestermöller / Hans-Gerhard Justenhoven (Hrsgg.), Friedensethik im Spätmittelalter. Theologie im Ringen um die gottgegebene Ordnung (= Beiträge zur Friedensethik, 30), Stuttgart 1999, S. 24–48; Helmut G. Walther, Das Problem des untauglichen Herrschers in Theorie und Praxis des europäischen Spätmittelalters, in: Zeitschrift für Historische Forschung 23 (1996), S. 1–28. 229 ‚Vel illata est iniuria quo ad causam propriam vel pure quo ad causam dei. In primo casu post exhortacionem evangelicam paciencia est optima medicina. Si pure in causa die christianus debet, post correpcionem evangelicam, preposito suo usque ad mortem, si oportet, confidenter et obedienter resistere. […]‘. De officio regis, ed. Pollard/Sayle, S. 8. Wyclif gibt an, diese Differenzierung sei secundum glossam zu Joh 19,11. Sie lässt sich jedoch weder in der Glossa Ordinaria noch bei seiner ständigen Referenz in Sachen Bibelexegese Nikolaus von Lyra wiederfinden. 230 Die Metapher des Wanderers bzw. Pilgers steht zunächst schlicht für den einzelnen Menschen, der auf seinem irdischen Lebensweg in Richtung Himmelreich unterwegs ist. S. Michael W. Twomey, Art. „Homo Viator“, in: Encyclopedia of Medieval Pilgrimage, hrsg. v. Larissa J. Taylor u. a., Leiden 2010, S. 265–267. Sie gehört zu Wyclifs gängigem Repertoire.

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diese Erlöse, und dennoch nicht weltlich, da sie alle Dinge gemeinsam hatten. Aus weltlicher Herrschaft folgt sowohl weltlicher Besitz [possessio secularis] als auch Eigentum [proprietas]; aber von diesen sagte niemand, dass etwas sein sei.231

Die bereits in Zusammenhang mit der Betonung des hohen Wertes der Karitas für die Verfassung der Urgemeinde angestellte Beobachtung, dass der Gedanke eines absoluten kollektiven Verzichts auf Besitz in all seinen Ausprägungen Wyclifs Konzeption der ursprünglichen Kirche zuwidergelaufen wäre, findet sich hierin untrüglich bestätigt. Diejenigen, die die Meinung vertraten, die urchristliche Gemeinschaft sei völlig frei von einer wie auch immer gearteten Verfügungsgewalt über Temporalien gewesen, waren im Irrtum, meint der Theologe. Im Blick kann er dabei nur die auf Olivis Exegese bauenden Franziskaner des späten 13. und 14. Jahrhunderts haben. Gleichwohl will er sich freilich auch nicht dem gänzlich konträren Standpunkt der Gegner jener franziskanischen Denker anschließen. Denn Papst Johannes XXII. beispielsweise hatte doch, wie gesehen, gegen eine vollkommene Aufhebung von Privateigentum in der ecclesia primitiva und für ein weitreichendes Dominium der Urchristen über weltliche Güter argumentiert. Zwar operierte er dabei noch nicht mit dem erst von FitzRalph und Wyclif etablierten Gegensatzpaar divinum dominium und civile dominium, doch im Sinn hatte er augenscheinlich nicht allein eine naturrechtliche, sondern durchaus auch eine weltliche Gewalt, als er die Urgemeinde als communio quoad dominium seu proprietatem definierte. Wyclif hingegen hätte in diesem Punkt, wie häufiger, prinzipiell Richard FitzRalph zugestimmt, der ein originale dominium im Gegensatz zum dominium civile zur Grundlage des Gütergebrauchs der Urchristen erklärt hatte.232 Denn ohne jegliche Form von Dominium war die Gemeinschaft für Wyclif schlechterdings undenkbar, da doch nach seinem Glauben allein Todsünder ohne Dominium sein konnten. Die urchristliche Gütergemeinschaft ist in seiner Betrachtungsweise demnach unter zivilrechtlichen Gesichtspunkten eine Gemeinschaft der Besitzlosigkeit, unter den Vorzeichen ursprünglichen respektive göttlichen Rechts aber eine Gemeinschaft des Besitzes. Am deutlichsten artikuliert er diese Interpretation in seinen Auseinandersetzungen mit den Dekretalen Johannes XXII. im Armutsstreit.233 Wie bereits FitzRalph versucht er, die Kontradiktionen zwischen diesen und Exiit qui seminat mithilfe der Unterscheidung zwischen zivilem und göttlichem Dominium aufzulösen, wobei er, anders als FitzRalph, durchaus die Möglichkeit einräumt, dass der Papst sich geirrt haben könnte. Jedenfalls rückt er auch angesichts der Zeugnisse Johannes XXII. nicht von seinen Maximen ab: Vor dem Verkauf ihrer Güter hatten die Konversen ein doppeltes Dominium über die Temporalien inne, nämlich eines im Sinne welt231 Ideo errant qui putant nullum viatorem aliquid possidere, si non civiliter, cum istud collegium iustissime possedit hoc precium, et tamen non civiliter, cum erant illis omnia communia. Ad civilem dominacionem consequitur tanquam possessio secularis proprietas, sed istorum nemo suum esse dicebat. De Civ. Dom. III, ed. Loserth, S. 80. 232 Vgl. oben, S. 201 f. 233 Zu Wyclifs Befassung mit Exiit qui seminat und den diversen Dekretalen Johannes XXII. zur Thematik der franziskanischen Armut vgl. Lambertini, La concordia, S. 15–19; Ian Christopher Levy, Texts for a Poor Church. John Wyclif and the Decretals, in: Essays in Medieval Studies 20 (2003), S. 94–107.

238 Urkirche, Dominium und die Politisierung der Gütergemeinschaft im 14. Jahrhundert lichen Besitzes und eines durch die Gnade Gottes. Nach dem Verkauf und dem Einbringen der Erlöse in die Gemeinschaft verblieb ihnen das letztere, das nicht willentlich aufgegeben werden kann, wodurch sie also eo ipso eine Gütergemeinschaft bildeten. Aus dieser ausgeschlossen waren die Ungläubigen, denen die göttliche Gnade, die Voraussetzung für jedes gerechte Dominium ist, nicht zuteil wurde. Ein weltliches Dominium aber bestand unter den Urchristen nicht, egal ob Johannes XXII. dieser Meinung war oder nicht.234 Die Gütergemeinschaft der ecclesia primitiva erweist sich damit, wenig überraschend, als Abbild von Wyclifs Vorstellung vom Idealzustand des Christentums und markiert in ideengeschichtlicher Perspektive seine Position im Raum zwischen den beiden Polen franziskanischer und hierokratischer Auslegung der idealtypischen urchristlichen Lebensform. Ein achter und letzter Punkt, durch den die Urchristen im Spiegel von Apg 4 als Vorbilder für die gesamte Christenheit späterer Zeiten erschienen, liegt laut Wyclif 234 Hic concedi debet prima conclusio, quia […] apostoli habuerunt proprietatem usus ac ministerii in quibusdam bonis ecclesie et sic habuerunt ius utendi, vendendi, donandi et ex ipsis alia acquirendi sive donacione vel usu civile suo statui composibili. Utrum autem dominus Johannes XXII sic intellexerit, non contendo; sed non est nostrum sibi imponere heresim, nisi manifeste pateat ex sentencia scripti sui. Decimo sexto arguitur sic: Si apostoli post missionem Spiritus Sancti habuerunt aliqua predia in Judea et licuit eis retinuisse si voluissent, ut expresse docet Johannes XXII in constitucione sua: Quoniam vir reprobus; ergo adhuc licitum est puris clericis habere predia, docet eciam idem dominus Johannes in decretali sua Quia quorundam, quod domus, agri et omnia inmobilia, que credentes (de quibus Act. II et IV fit mencio) vendebant pro fidelibus sustentandis, priusquam venderentur fuerunt effecta communia tocius christianitatis, iure talis proprietatis sive dominii; qualem proprietatem seu dominium possessores antea habuerunt; constat autem quod illa fuit possessio et civile dominium, ergo apostoli tunc erant sicut et alii christiani civiles domini. Hic respondeo ut supra relinquendo superioribus, quibus pertinet, sensum domini Johannis in suis decretalibus declarandum; concedo tamen quod apostoli habuerunt post missionem Spiritus Sancti omnia predia mundi cum Apostolus dicat 1 Cor III, 22: Omnia vestra sunt, et sic licuit eis predia retinuisse in Judea, sicut de facto retinuerunt, cum non potuerunt excidere ab eorum remancium naturali dominio, nisi cadendo a gracia. Ideo (ut sepe dixi) nemini licet renunciare illi dominio, sicut non licet relinquere graciam ad quam illud consequitur. Non autem credo, quod dominus Johannes racione vel scriptura deducere potest quod apostoli a tempore quo facti sunt sacerdotes dominabantur civiliter […]. Sicut igitur apostoli habuerunt post missionem Spiritus Sancti multa predia, conformiter licet nostris clericis nunc habere; quantum ad illam decretalem Quia quorundam potest glosari ut supra. Constat quidem ex dictis quod nemo potest dominari civiliter, nisi illud dominium in dominio gracie sit fundatum, et per consequens conversi in primitiva ecclesia (de quibus Act. II et IV capitulis) habuerunt duplicem titulum possessionibus venditis dominandi, scilicet titulum gracie et tytulum proprietatis civilis, et per consequens relinquendo tytulum inperfectum propter Christum ut docti sunt ab apostolis remansit eis prius fundabile dominium centuplum ad civile. […] Et potest dici quod christiani habentes predia, post abdicacionem mentalem que precessit vendicacionem fecerunt ipsa totius christianitatis novo iuris titulo, eciam quadam proprietate evangelica, excludendo ab eis usum infidelium fecerunt ipsa propria christianis; sed longe hoc atque inpertinens ad inferendum quod christiani erant tunc civiliter dominantes, cum scriptura Act. IV, 34 repugnat, cum dicitur: Nec quisquam eorum que possidebat aliquid suum esse dicebat, sed erant illis omnia communia; quod potest ex dictis excludere civile dominium. Utrum autem dictus dominus Johannes habuerit istum sensum vel alium, non est meum discutere. De Civ. Dom. III, ed. Loserth, S. 370 f. Vgl. auch ebd., S. 440 f.

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in ihrem klugen Maßhalten. Damit langt seine tropologische Lektüre des zweiten Summariums bei einem Kernstück christlicher Ethik im Allgemeinen wie auch des mittelalterlichen Tugendkatalogs einer vita religiosa im Speziellen an. So kann etwa die Regula Benedicti ganz im Lichte des Gebots der discretio gelesen werden.235 Alle theoretischen Debatten über klösterliche Ökonomie und die angemessene regulierte Lebensweise lassen sich auf diesen Ausgangspunkt zurückführen. Auch die usus pauper-Kontroverse im Franziskanerorden der 1280er Jahre kreiste letztlich um die Frage, welcher Stellenwert dem Maßhalten und der Zurückhaltung im Dasein der Religiosen beizumessen sei. Es verwundert daher nur wenig, wenn John Wyclif, wie im Folgenden zu sehen sein wird, von seinen Gedanken über die maßvolle Zuteilung von Gütern in der Urgemeinde direkt zu einer Betrachtung der ökonomischen Ideale der vita communis im Spiegel theologischer Autoritäten überleitet. Die Sequenz dividebatur singulis prout cuique opus erat, erklärt er aber noch zuvor, enthalte gleich drei Belege für die kluge und gleichmäßige Distribution der notwendigen Güter. Erstens zeige die Wortwahl, dass, wer auch immer als Distribuent dem Klerus vorstand, sein Amt ohne weltliche Macht und in aller Demut und als demütiger Minister Christi und Dispensator der Güter seiner Kirche ausführte und nicht etwa seinen eigenen Verdienst respektive Lob im Verwalten der Güter der Armen suchte. Deshalb heiße es „es wurde verteilt“ (dividebatur) und nicht etwa „es wurde geschenkt“ (donabatur).236 Wyclif wird nicht müde, mit der Interpretation der urkirchlichen Ordnung Spitzen gegen die Zustände in späteren Zeiten zu verbinden. Während die Wohlhabenden in seiner eigenen Gegenwart Stiftungen errichteten und Almosen gaben, um sich und ihr Ansehen zu erhöhen und für ihr eigenes Seelenheil zu sorgen, so will er wohl sagen, hätten in apostolischer Zeit die Almosener sich als ergebene Stellvertreter Jesu verstanden und die Güter, die sie in seinem Namen an die Bedürftigen verteilten, nicht als ihre eigenen behandelt.237 Zweitens bezeuge die Formulierung dividebatur singulis, dass sich das Maß der verteilten Güter nach der Anzahl der Bedürftigen richtete, sprich jeder einzelne versorgt wurde und nicht etwa einer in Überfluss schwelgte, während ein anderer 235 Vgl. Georg Holzherr, Lebensweise. Die Benediktsregel – eine Spiritualität des Friedens, Freiburg i. Ü. 2008, S. 25–30; Herbert Stangl, Benedikt von Nursia: ‚Mönchsregel‘ (um 550 n. Chr.). Rechtes Maß ist die Mutter aller Tugenden, in: Thomas Moritz Mueller / Reiner Schlotthauer (Hrsgg.), Gott denkend entdecken. Meilensteine der Theologie (= Topos-Taschenbücher, 801), Kevelaer 2012, S. 56–63. 236 Octavo et ultimo, ut notetur sagax et equa necessariorum distribucio, subditur octava leccio: Dividebatur, inquit, singulis prout cuique opus erat. In quo verbo notant sancti tria: primo ex parte distribuentis humilem ministracionem, cum dicitur: dividebatur et non: donabatur. Quicunque enim prepositus in clero non debet civiliter dominari, querendo laudem secundum fastum seculi pro bonis pauperum que ministrat sed tanquam humilis minister Christi et dispensator bonorum sue ecclesie […]. De Civ. Dom. III, ed. Loserth, S. 80. 237 Angesichts des biblischen Ursprung der Idee von der Heilswirkung des Almosengebens erscheint Wyclifs suggestive Kritik an dieser Stelle aber doch überzogen. S. nur Sir 3,33: Ignem ardentem extinguit aqua et elemosyna resistit peccatis. Auf der anderen Seite ist es nicht schwer zu imaginieren, welchen Eindruck etwa die im Spätmittelalter unter begüterten Ständen verbreitete Mode reich verzierter, am Gürtel getragener Almosentaschen auf einen kritischen Kopf wie ihn machen musste.

240 Urkirche, Dominium und die Politisierung der Gütergemeinschaft im 14. Jahrhundert Mangel hatte. Drittens schließlich testiere der Zusatz prout cuique opus erat die stets maßvolle Verteilung. Sowohl Überfluss als auch Mangel habe die Verteilungspraxis ausgeschlossen.238 Dies lässt an die Erklärungen der Regula Benedicti über die notwendige Charakterkonstitution des Cellerars denken, der weder geizig noch verschwenderisch sein soll.239 Dass diese Assoziation durchaus ins Bild passt, wird sich zeigen, wenn Wyclif – strukturell gesehen noch immer im achten Punkt seiner Erörterung der Vorbildlichkeit der ecclesia primitiva – von den Beschreibungen des makellosen Umgangs mit den bona temporalia in der Urgemeinde übergeht zu einem Lamento über die nachapostolischen Entwicklungen. Verschiedene Formen regulierten Lebens und die dazugehörigen Regeltexte spielen darin die Hauptrollen. 3.4 Dekadenz, Depravation und die Rolle der Orden: das Ideal der Gütergemeinschaft im Gang der Geschichte So abstrakt und philosophisch-theologisch verschlungen Wyclifs Kirchen- und Gesellschaftskritik dem Leser aus dem größten Teil seiner Schriften auch entgegentritt, entzündete sie sich ursprünglich gewiss doch zu einem Gutteil an lebensweltlichen, offen beobachtbaren Gegebenheiten oder genauer an deren Unvereinbarkeit mit den Maximen der lex evangelica, die er im intensiven Bibelstudium erkannt zu haben glaubte. Wieder und wieder wettert der Engländer gegen Luxus und Überfluss, in dem Klerus und Ordensangehörige lebten, gegen ihre auserlesene Kleidung und den Prunk, mit dem sie sich umgaben.240 Und gewiss wurde er zu zahlreichen Gelegenheiten mit diesen Umständen unmittelbar konfrontiert. So beschreibt etwa Workman anschaulich, wie die luxuriösen Gebäude der Abtei St. Peter in Gloucester und die Ausstattung der dortigen Mönche, denen 200 Bedienstete zur Verfügung gestanden hätten, auf Wyclif gewirkt haben mussten, als er 1378 als Abgeordneter John of Gaunts dort zu Gast war.241 Aber auch schon vier Jahre eher, zu Beginn seiner Dienste für die Krone, als er 1374 zu einer Konferenz päpstlicher Legaten und Abgesandter des englischen Königs nach Brügge geschickt worden war, dürfte er mit ähnlichen Zuständen in Berührung gekommen sein – zu denken ist neben der Pracht und dem Reichtum der Handelsstadt selbst, die in gleicher Stoßrichtung wie zuvor wiederum Workman heraushebt,242 auch an die gewiss nicht sonderlich bescheidene Reisestaffage der kurialen Diplomaten. Passend hierzu scheint Wyclif 238 Secundo post formam ministrancium notatur mensura ministratorum quoad numerum, cum dividebatur singulis, et non uni diformiter ac superflue alio indigente […]. Tercio vero notatur mensura ministracionis quoad personam singulam ministratam, cum dividebatur prout cuique opus erat. In quo verbo excludit tam superfluum quam eciam diminutum […]. De Civ. Dom. III, ed. Loserth, S. 81. 239 Regula Benedicti 31,12: Neque auaritae studeat neque prodigus sit et stirpator substantiae monasterii, sed omnia mensurate faciat et secundum iussionem abbatis. Benedicti Regula, ed. Hanslik, S. 88. 240 Z. B. wortgewaltig in seinem Traktat über Blasphemie: Wyclif, De Blasphemia, ed. Dziewicki, S. 2–4. 241 Vgl. Workman, John Wyclif, Bd. 2, S. 319 f. 242 Ebd., S. 244 f.

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noch während dieser Reise mit der Arbeit an der Schrift De dominio divino befasst gewesen zu sein, die den Übergang seines Werks von metaphysischer zu gegenwartsbezogener, kritischer Theologie markiert und an deren Anfang die oft zitierte Absichtsbekundung des Verfassers steht, sich für den Rest seines Lebens Themen zuwenden zu wollen, die gleichermaßen spekulativ wie praktisch sind.243 Bald nach seiner Rückkehr sollte er sodann die beiden ersten Teile der Summa theologie, namentlich die Traktate De mandatis divinis und De civili dominio in Angriff nehmen, von denen letzterer nun wesentlich direkter und konkreter auf die Verderbtheit der Geistlichkeit abhob. In diesen Kontext lassen sich die im dritten Teil von De civili dominio am Ende der achtfachen Erörterung der Vorbildlichkeit der Urkirche stehenden Klagen über die große Distanz sowohl des klerikalen als auch des monastischen Lebens im 14. Jahrhundert von der ursprünglichen Lebensweise einordnen. Wyclif perpetuiert die geschichtstheologische Tradition einer stufenweisen Depravation von der ursprünglichen Vollkommenheit, formt diese jedoch völlig an seine Dominium-Lehre an.244 Der sukzessive sittliche und spirituelle Niedergang der Christenheit manifestiert sich nach seiner Auffassung in erster Linie – wenn nicht ausschließlich – in der Annahme weltlichen Dominiums und Gebrauchsrechts im nachapostolischen Zeitalter.245 Zuerst, schreibt er, eine historische Perspektive einnehmend, hätten in der frühen Kirche sowohl Laien als auch Kleriker weltlichen Besitz generell abgelehnt. Später habe der Klerus allein diese Ablehnung beibehalten, schließlich nur noch diejenigen, „die nach verschiedenen Graden der Religiosität, welche Gott in fürsorglicher Weise allmählich in seine Kirche einführte, ein monastisches Leben führten.“ Die Einführung immer neuer regulierter Lebensweisen im Laufe der Zeit sei notwendig gewesen, wenn die jeweils aktuellen Klosterinsassen die evangelische Armut verfälscht hätten, da Gott seiner Kirche dann anderswo ein Heilmittel (remedium) habe schaffen müssen.246 In dieser geschichtstheologischen Taxierung regulierten Lebens wird Wyclifs schwer bestimmbares, weil ambivalentes Verhältnis zu den Orden genauer fassbar. Schon deshalb lohnt es sich, sie im Folgenden einer genaueren Analyse zu unterziehen. Vor allem ermöglicht der Blick von der Depravationsthese her eine bessere 243 […] tempus est mihi per totum residuum vite mee tam speculative quam practice, secundum mensuram quam Deus donaverit […]. De dominio divino I, ed. Poole, S. 1. Zur Abfassungszeit: Thomson, Writings, S. 39 f. 244 Zu Wyclifs Variante der kirchengeschichtlichen Depravationsthese s. Schäufele, „Defecit ecclesia“, S. 359–361; Farr, John Wyclif, S. 42–61; Lauterbach, Geschichtsverständnis, S. 84–86. 245 Ex quo Apostolus I. Thim. VI, 8 cepit pro regula sibi et suis discipulis: Habentes, inquit, alimenta et quibus tegamur, hiis contenti simus. Alimenta, inquit, et non cibaria delicata, tegumenta eciam dicit, non mutatoria preciosa, nec domicilia sumptuosa. Hec autem forma religionis christiane secundum quod elongata est a suo principio tepuit debilitata continue, et specialiter quoad civile dominium et ad usum. De Civ. Dom. III, ed. Loserth, S. 81. 246 Primo enim tam laici quam clerici renunciarunt proprietati civili; posterius ista renunciacio remansit in clericis, tercio vero remansit in religiosis viventibus vitam monasticam secundum diversos gradus religionis, quos Deus ecclesie sue providens paulatim induxit; […] Si claustrales sophisticant paupertatem evangelicam, oportet Deum aliunde providere ecclesie sue remedium […]. Ebd. Vgl. auch ähnlich in: Iohannis Wycliffe Dialogus sive Speculum ecclesie militantis, ed. Alfred W. Pollard, London 1886, S. 75 f.

242 Urkirche, Dominium und die Politisierung der Gütergemeinschaft im 14. Jahrhundert Einschätzung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden seiner Haltung gegenüber dem klassischen Mönchtum auf der einen und den Bettelorden, zumal den Franziskanern, auf der anderen Seite, wodurch schließlich seine Ideen zu den Implikationen der urchristlichen Gütergemeinschaft für das Sozialleben späterer Epochen und, nicht zuletzt, zu deren Realisierbarkeit präzisiert werden können.247 Für alle drei gängigen Formen regulierten Gemeinschaftslebens, die regularkanonische, die monastische und die mendikantische, ist laut Wyclif die evangelische Armut im Sinne absoluten Verzichts auf weltliches Dominium verbindlich. Unter Hinzuziehung zahlreicher autoritativer Zitate nicht allein aus den Grundlagentexten der drei Lebensweisen selbst, sondern auch anderer bei ihm hoch im Kurs stehender Gelehrter bemüht er sich, glaubhaft zu machen, dass die Renuntiation des civile dominium der Kern jeglicher vita communis sei. Dies möchte er anhand dreier regulae plus famosae vor Augen stellen:248 der Regeln Augustins, Benedikts sowie der des Franziskus. Die Reihenfolge, in der er die Lebensentwürfe der drei Heiligen behandelt, entspricht der Chronologie ihrer Entstehung. Er bleibt also im Bild der historischen Depravation und der damit einhergehenden Entwicklung immer neuer Kuren. Seine Besprechung der monastischen Ideale des Augustinus kleidet Wyclif größerenteils in eine Rezension des Sermons De vita et moribus clericorum, in dem der Kirchenvater seine Richtlinien für die vita communis aus den lukanischen ecclesia primitiva-Texten entwickelt. Aus diesem führt der Oxforder Meister gleich zu Beginn die entscheidende Klausel zum Privateigentum an: Non dicatis aliquid proprium, sed sint vobis omnia communia.249 Es folgen weitere Auszüge aus dem Predigttext und den Augustinusregeln, verbunden durch kommentierende Zwischenrufe. Die Entäußerung allen privaten Eigentums sei laut Augustinus Voraussetzung für den Eintritt in die Klostergemeinschaft gewesen, eine Unterscheidung von Arm und Reich in ihr dürfe es ihm zufolge nicht geben. Der Bischof habe unter 247 Wyclifs Verhältnis zum Mönchtum und insbesondere zu den Bettelorden hat in der Forschung viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Vgl. schon Lechler, Johann von Wiclif, Bd. 1, S. 532 ff., 585–588. Sodann: Arthur Dakin, Die Beziehungen John Wiclifs und der Lollarden zu den Bettelmönchen, London 1911; Ian Christopher Levy, Wyclif and the Christian Life, in: ders. (Hrsg.), Companion, S. 293–363, hier: S. 295–302; ders., Texts; Benrath, Bibelkommentar, S. 333–335 und besonders Lohse, Mönchtum, S. 176–200, mit weiteren Literaturhinweisen S. 176, Anm. 82. Lohses insgesamt sehr instruktiven und differenzierten Ausführungen enthalten manch zumindest fragwürdige Deutung. So meint der Autor etwa, Wyclifs positive Bezugnahme auf mönchische Tugenden, beispielsweise die Hervorhebung des Gehorsamsideals als Vorbild für den Gehorsam, den das Volk dem König schulde, ließe „nicht ohne weiteres die scharfe Kritik am monastischen Ideal, wie er sie in seinen letzten Jahren übte, erwarten.“ (S. 176). Es waren aber nie die grundlegenden monastischen Ideale als solche, die Wyclif verurteilte, sondern stets ihre praktische Umsetzung sowie, und das ist ausschlaggebend, der Monastizismus selbst. Die Ideale des Mönchtums waren in seinen Augen durchaus ganz richtig, das Mönchtum in seiner elitären Abgeschlossenheit als Ort der Verwirklichung dieser Ideale war falsch. Diese Haltung aber ist auch in den früheren Teilen seiner Summa theologie und namentlich in De civili dominio schon voll ausgeprägt. 248 Omnes enim viventes monastice profitentur hanc paupertatem saltem verbaliter ex sua regula, sicut patet notandi tres regulas plus famosas […]. De Civ. Dom. III, ed. Loserth, S. 81. 249 Migne, PL 39, Sp. 1574.

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seiner Regel ausschließlich mit Armen zusammenleben wollen. Er selbst sei als Vorbild vorangegangen, er habe allen Besitz fahren lassen, die Armut geliebt und sich durch nichts über die anderen Mitglieder erhoben.250 Wyclif wählt seine Zitate so aus, dass der willentliche Verzicht auf weltliche Güter als das hervorstechende Merkmal augustinischen Zönobitismus erscheint. Diese Tatsache will er dem Leser vor Augen führen, „damit wir sehen, wie die Ansicht der heiligen Väter über den Lebenswandel der Kleriker vom Gesetz Christi bestimmt war und damit wir sehen, wie weit wir heute von diesem Leben entfernt sind.“251 Auch Petrus Comestor, der Historiker der Bibel, kommt in diesem Zusammenhang zu Wort. Aus einer Predigt des französischen Theologen gibt Wyclif eine längere Passage wieder, in deren Zentrum einmal mehr der Sammelbericht aus Apg 4 steht.252 Dieser, so Comestor, zeige, dass die von den Aposteln tradierte vita monastica vor allem durch drei Aspekte konstituiert würde: die gemeinschaftliche Bruderliebe, illustriert im Satz Multitudinis credencium erat cor unum et anima una, die gemeinschaftlichen Güter, wovon der Umstand zeuge, dass nullus quidquam eorum que possidebant dicebat esse proprium, und den gemeinschaftlichen Gehorsam, der seinen Ausdruck darin gefunden habe, dass ponebant omnia ante pedes apostolorum et obediebant eis. Abweichungen von diesen drei Maximen, erklärt Comestor weiter, seien unentschuldbar. In Bezug auf die Gütergemeinschaft belege dies der Fall von Ananias und Saphira.253 250 Qui aliquid habebant in seculo, quando ingressi sunt monasterium, libenter velint illud esse commune; qui autem non habebant non ea querant in monasterio que nec foris habere potuerunt. Vult ergo iste sanctus solum pauperes in suo ordine sub sua regula militare. Unde sequitur: non erigant cervicem, quia sociantur eis ad quos foris accedere non audebant sed sursum cor habeant et terrena vana non querant, ne incipiant esse monasteria divitibus utilia non pauperibus; divites illic humilientur et pauperes illic inflentur. […] Unde ipsemet Augustinus episcopus se ipsum conformavit predicte regule tam verbo quam opere. Nam primo sermone De vita et moribus clericorum qui sic incipit: Propter quod volui, narrat Augustinus quomodo factus sit episcopus et subiungit: Cepi boni prepositi fratres colligere compares meos nichil habentes sicut ego nichil habebam et imitantes me, ut quomodo tenuem paupertatulam meam vendidi et pauperibus erogavi, sic facerent et illi qui mecum esse voluissent ut de communi viveremus. […] Ecce qualiter iste sanctus episcopus renuit proprietatem et dilexit paupertatem. […] Et quia oportuit Augustinum et suos recipere elemosinas pro vite necessitate, ideo subdit: Ante vestros oculos sumus, nullius aliquid desideramus, nisi bona opera vestra et vos exhortor fratres mei, si aliquid vultis clericis dare, sciatis quia non debetis quasi vicia eorum fovere contra me. Omnibus offerte quod vultis offerre de voluntate vestra; quod commune erit, distribuetur unicuique sicut cuique opus erit. […] Qualem vestem potest habere decenter dyaconus et subdyaconus talem volo accipere, quia in communi accipio. Si quis meliorem dederit, vendo, quod et facere soleo, ut quando non potest vestis esse communis, precium sit commune. De Civ. Dom. III, ed. Loserth, S. 81–83. 251 Hec dicta Augustini in sermone – ut consideremus que fuit sentencia sanctorum patrum de conversacione clericorum ex lege Christi debita et ut consideremus quantum ab ista vita hodie elongati sumus. Ebd., S. 84. 252 Unter dem Rubrum AD MONACHUS findet sich die Predigt als Nr. 50 in Migne, PL 198, Sp. 1841–1844. 253 […] vita monastica claustralium ab apostolis tradita consistit in tribus maxime: in communi dileccione fraterna, in communi substancia et in communi obediencia. Pro primo dicitur: Multitudinis credencium erat cor unum et anima una; de secundo: Nullus quidquam eorum que

244 Urkirche, Dominium und die Politisierung der Gütergemeinschaft im 14. Jahrhundert Drei Schlüsse zieht Wyclif aus den Beispielen Augustins und Petrus Comestors. Erstens zeigten sie, dass ein Religioser unter keinen Umständen auf die evangelische Armut verzichten könne. Zweitens bestünde die Armut, von denen bei ihnen die Rede sei, aus der vollkommenen Zurückweisung von Eigentum und damit in der Aufgabe jeglichen weltlichen Dominiums. Drittens bewiesen sie, dass die Regel Christi, von der ein Dispens unmöglich sei, vollkommener sei als durch Menschen hinzugefügte Rituale (ceremonie), wenngleich schon es sich bei diesen um nichts anderes handle als um eine neuerliche Verkündung der evangelischen Räte.254 Mit der Rede von den durch Menschen hinzugefügten Ritualen visiert Wyclif erneut das Ordensleben in toto an. Da das Gesetz Christi und die Regeln des religiösen Lebens bereits vollständig in der Heiligen Schrift enthalten seien und Christus gewollt habe, dass dieselben ohne Modifikationen eingehalten würden, könne die Errichtung von Sonderreligionen nicht erlaubt sein.255 Sie würde der christlichen Lehre erheblichen Schaden zufügen und der Erfüllung der Zehn Gebote im Wege stehen.256 Schon im dritten Buch von De civili dominio spricht Wyclif gar in großer Schärfe davon, dass alle Klosterinsassen von „ansteckenden spirituellen Krankheiten“ befallen seien, die sie zu Todsünden verleiteten.257 Auch innerhalb dieses frühen Teils der Summa theologie verläuft die Kluft in seiner Haltung gegenüber dem regulierten Leben demnach klar zwischen der Theorie der Regeltexte bzw. den diesen zugrundeliegenden Prinzipien auf der einen und der gelebten Praxis auf der anderen Seite. Die weitverbreitete Auffassung, dass Wyclif zu Anfang seiner Arbeit an der Summa allein die begüterten Orden kritisiert und eine gute Meinung von den Bettelorden gehabt habe und erst in seinen letzten Lebensjahren zur radikal ablehnenden Haltung gegenüber dem regulierten Leben insgesamt vorgestoßen

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possidebant dicebat esse proprium; de tercio: Ponebant omnia ante pedes apostolorum et obediebant eis. Hec tria caput sunt monastice religionis. […] Caput hoc diligenter custodite, in hiis nulla racione dispensandum est, nec contra hoc homini obediendum. […] Ananias et Zaphira peccaverunt in communem substanciam et ad pedes Petri exspiraverunt. De Civ. Dom. III, ed. Loserth, S. 84. Vgl. Migne, PL 198, Sp. 1842. Ex istis dictis patet primo quod tam impossibile est dispensare cum religioso qui professus fuerit pauperiem evangelicam […]; patet secundo quod paupertas de qua locuntur sancti cum scriptura stat in perfecta abdicacione proprietatis et per consequens in abdicacione civilis dominii. Et patet tercio quod regula Christi cum qua potest non fieri dispensacio est perfeccior quam cerimonie superaddite […], ymmo si attendimus non sunt nisi consilia evangelica noviter promulgata […]. De Civ. Dom. III, ed. Loserth, S. 85. Diese Argumentation wiederholt Wyclif vielfach. S. z. B. De Civ. Dom. III, ed. Loserth, S. 13: Superest tractare si supra religionem Christi in scriptura sacris traditam licet fundare novam secundum tradicionem humanam superadditam, et […] suppono quod religio christiana dicat simpliciter religionem quam Christus in evangelio expresse instituit sine conmixtione cerimonie humane posterius explicate. Alie autem religiones speciales vel private dicant Christi superadditam a suis patronis et suis ritibus adinventis individuatam […]. Et tunc videtur quod non licet legem novam superaddere; omnis religio est lex, ergo non licet religionem novam superaddere. Vgl. auch De quattuor sectis novellis, ed. Rudolf Buddensieg, John Wiclif’s Polemical Works in Latin, London 1883, Bd. 2, S. 241–290, hier: S. 266, sowie bes. De religionibus vanis monachorum, ed. Buddensieg, Polemical Works, Bd. 1, S. 237–240. S. De Civ. Dom. III, ed. Loserth, S. 13–15. Ebd., S. 15 f.

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sei,258 scheint sich also nicht zu bestätigen. Da die Mönchsregeln seines Erachtens im Kern allesamt nichts anderes sind als Referate des Evangeliums und als solche nichts anderes bezwecken, als die urchristliche Gütergemeinschaft zu restaurieren, wären sie in einer idealen christlichen Gesellschaft, in der die Regeln des Evangeliums uneingeschränkt beobachtet würden, obsolet und würden die Orden selbst jeglicher Grundlage entbehren. Dies gilt, wie im Folgenden zu sehen sein wird, für das klassische Mönchtum wie für die Bettelorden gleichermaßen, und schon in den frühesten Stücken der Summa theologie ist diese Grundhaltung vorhanden. Auch seine Betrachtungen über die Regula Benedicti nimmt Wyclif bei deren Bezügen auf die Gütergemeinschaft der Apostelgeschichte auf. Er zitiert aus Kapitel 33 des Regeltextes, in dessen Zentrum der Vers Apg 4,32 eingebunden ist,259 und folgert, dass damit den Mönchen ohne Zweifel die evangelische Armut auferlegt sei.260 Zum Nachweis beruft er sich auf eine Predigt Robert Grossetestes (um 1175–1253), des ersten Kanzlers der Universität Oxford, Aristoteles-Übersetzers und Bischofs von Lincoln,261 laut Wyclif archidoctor262 und Heiliger263, in der dieser einen Unterschied zwischen Säkularen und Religiosen in ihrem Verhältnis zum Dominium über weltliche Güter beschreibt. Erstere hätten, auch im Falle, dass sie praktisch nicht viel besäßen, doch die theoretische Möglichkeit zum Dominium über weltliche Güter. So wäre es etwa einem Kind, das kein Pferd besitze, doch stets theoretisch möglich, eines zu besitzen. Religiose aber hätten nicht nur ihren tatsächlichen Besitz aufgegeben, sondern auch die Fähigkeit zum Dominium, sodass es ihnen unmöglich sei, Gewalt über Güter zu bewahren oder wiederzuerlangen.264 Daher müsse die Sünde, die ein Religioser auf sich lade, wenn er sich irgendetwas 258 Vgl. zuerst Lechler, Johann von Wiclif, Bd. 1, S. 585–592. Im Anschluss an ihn etwa Levy, Texts, S. 97; Lohse, Mönchtum, S. 176. 259 Vgl. oben, S. 143. 260 Secunda regula monastica est regula beati Benedicti qui idem sentenciat. [folgt Zit. Regula Benedicti 33] Consequenter murmur ex parcitate est districte prohibitum; ubi nulli dubium quin paupertas evangelica sit iniuncta. De Civ. Dom. III, ed. Loserth, S. 85. 261 Zu Grosseteste s. James McEvoy, Robert Grosseteste, Oxford 2000; Daniel Angelo Callus (Hrsg.), Robert Grosseteste. Scholar and Bishop. Essays in Commemoration of the Seventh Centenary of his Death, Oxford 1955; John L. Flood / James R. Ginther / Joseph Ward Goering (Hrsgg.), Robert Grosseteste and His Intellectual Milieu. New Editions and Studies (= Papers in Medieval Studies, 24), Toronto 2013; Jack Cunningham (Hrsg.), Robert Grosseteste. His Thought and its Impact (= Papers in Medieval Studies, 21), Toronto 2012. Zu Wyclif und Grosseteste: Johann Loserth, Johann von Wiclif und Robert Grosseteste Bischof von Lincoln, Wien 1918; Robson, Wyclif, S. 26–31. 262 Et sic non sine causa archidoctor Lincolniensis mature scripsit pape duplici mandanti contrarium legi dei, quomodo simul obedienter tanquam filius sancte matris ecclesie rebellavit. De officio regis, ed. Pollard/Sayle, S. 264. 263 S. hierfür die Belege bei Loserth, Johann von Wyclif und Robert Grosseteste, S. 4, Anm. 2. 264 Hec est enim differencia inter secularem et religiosum quod secularis multorum bonorum exteriorum potest non habere dominium, habet tamen potestatem habendi dominium, sicut puer qui non habet equum habet tamen potestatem habendi equum, sed vir religiosus ita renunciavit omnibus quod nec dominium alicuius rei sibi retinuit nec potestatem habendi vel recuperandi dominium. De Civ. Dom. III, ed. Loserth, S. 86. – Grossetestes Unterscheidung zwischen habere dominium und einer potestas habendi dominium ähnelt der zivilrechtlichen Distinktion zwischen possessio vera und quasi possessio, insofern beide Denkfiguren eine Befähigung zum

246 Urkirche, Dominium und die Politisierung der Gütergemeinschaft im 14. Jahrhundert aneigne, als unendlich viel größer betrachtet werden als diejenige, die ein Säkularer begehe, wenn er etwas von einem anderen stehle. Denn während dieser sich etwas aneigne, das ihm nicht gehöre, aber dessen Besitz immerhin im Rahmen seiner Möglichkeiten läge, nähme jener etwas an sich, das nicht sein sei und es auch nicht sein könne.265 Ohne Frage konnte Wyclif in diesen Erklärungen mehrere Spezifika seiner Güterlehre bestätigt sehen. Insbesondere schien Grosseteste seine Überzeugung eines mit dem Armutsgelöbnis gleichsam automatisch einhergehenden Verlusts der Befähigung zur Ausübung von Besitzrechten zu untermauern. Dass der Bischof keine weitere Differenzierung zwischen einem dominium civile und einem dominium divinum, originale oder naturale anstellte, musste Wyclif um der Kraft des Argumentes willen freilich ausblenden. Nach Konsultation weiterer Autoritäten, namentlich eines Briefes des heiligen Hieronymus266 sowie einer Stelle aus dem dritten Buch der Dialoge Gregors I., wo davon die Rede ist, wie Isaac ihm für die Errichtung eines Klosters angebotene Geschenke zurückgewiesen habe,267 kommt Wyclif mit den Worten Gregors zu dem Ergebnis, dass „ein Mönch, der in der Welt nach Besitz strebt, kein Mönch ist“ und Isaac „sich davor fürchtete, dass die Sicherheit seiner Armut verlorengehen könne, so wie die habgierigen Reichen sich gewöhnlich vor dem Verlust der Reichtümer hüten.“ Dies, meint er, „war die Meinung der Heiligen, die in der ecclesia primitiva monastisch lebten“, es sei aber „unzweifelhaft nicht die [Meinung] der Heutigen, sondern sie wurde nach den Vereinbarungen der im Kloster Lebenden verfälscht und der Inhalt der Regel durch sophistische Fügungen gemildert.“268 Da auf diese Weise also auch der benedik-

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Besitz eines Gutes unabhängig von der faktischen Inbesitznahme desselben als eigenständige Kategorie annehmen. Quanto est enim distancia inter non posse habere … tanta est distancia inter peccatum religiosi et peccatum secularis; sed constat quod infinita est distancia hinc inde. Si igitur secularis furetur equum alicuius, contrectat rem alienam invito domino, cuius scilicet non habet dominium, cum tamen potest habere, verus dominus potest illi vel dare vel vendere. Sed si vir religiosus habet proprietatem eciam unius alicuius, contrectat rem alienam et furtum committit, et tanto magis furtum, quanto magis est peccatum contrectare aliquid quod nec est suum nec potest esse suum. De Civ. Dom. III, ed. Loserth, S. 86. Hieronymus, Epistula 22, ed. Isidorus Hilberg, Sancti Eusebii Hieronymi Epistulae, Bd. 1: Ep. I–LXX, Wien/Leipzig 1910, S. 143–211. Gregor der Große, Dialoge III,14, ed. Migne, PL 77, Sp. 244–249. Auf dieselbe Stelle hatte sich auch Petrus Olivi in QPE 8 berufen; s. oben, S. 125. Monachus qui in terra possessionem querit monachus non est; sic, inquit Gregorius, metuebat paupertatis sue securitatem perdere, sicut avari divites solent perituras divicias custodire. Talis fuit opinio sanctorum monastice vivencium in primitiva ecclesia; que indubie non est inpresenciarum sed ex pactis claustralium falsificata ac substancia regule ex dispensacione sophistica mitigata. De Civ. Dom. III, ed. Loserth, S. 88. Dies ist eines der raren Beispiele, in denen der ecclesia primitiva-Begriff bei Wyclif über den Geschichtszeitraum der Acta apostolorum und die Zeit der vermeintlichen konstantinischen Begüterung der Kirche hinauszugehen scheint, schließt er hier doch offensichtlich die Lebenszeit Augustins und Gregors in diese Phase mit ein. Olsen, Bede as Historian, S. 519 f., 524 u. ö., weist darauf hin, dass sich der Begriff ecclesia primitiva bei den spätantiken und frühmittelalterlichen Autoren nicht immer allein auf die Zeit der Urgemeinde der Apostelgeschichte bezieht, sondern auch ganz allgemein die Frühzeit der Kirche bezeichnen kann. Bei den Autoren des späteren Mittelalters scheint sich dies aber im Wesentlichen nicht zu bestätigen. Die Rezeption des konstantinischen Schenkungsaktes als

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tinische Lebensentwurf – der Bezug auf diesen ist nach den Abschweifungen zu Grosseteste und Hieronymus durch Berufung auf Gregor I., den Biographen Benedikts, deutlich wiederhergestellt – in der Praxis mittlerweile weit von der Theorie abgedriftet ist, wurde wiederum ein neues Heilmittel notwendig: die regula sancti Francisci. Auch diese dritte Variante des regulierten Gemeinschaftslebens besteht laut Wyclif im Kern aus der Zurückweisung zivilen Dominiums. Dass das rechte Verständnis der Regula bullata – Wyclif paraphrasiert Passagen aus den Kapiteln eins, vier und sechs – darin bestünde, weder individuell noch gemeinschaftlich irgendetwas in weltlicher Weise zu haben (civiliter habendi), hätten viele Gelehrte jenes Ordens durch ihre Schriften und Worte bestätigt. Als hervorragendes Beispiel hierfür verweist er auf einen doctor solemnis, der mit Heinrich von Gent († 1293) zu identifizieren ist.269 Auf diesen, einen der profiliertesten Gelehrten seiner Zeit, den er ob seines platonischen Augustinismus und der Nähe einiger Elemente seiner Lehre etwa zu derjenigen eines Bonaventura oder eines Johannes Duns Scotus offenbar als Franziskaner ansah,270 bezog sich Wyclif häufig und des Öfteren auch im Kontext der Frage nach der Verbindung Geistlicher zu Temporalien.271 Aus heutiger Sicht liegt freilich eine gewisse Spannung in Wyclifs Rekurs auf Heinrich zur Affirmation seines Verständnisses der franziskanischen Armut, insofern doch Heinrich selbst der Lebenspraxis der Mendikantenorden mit großer Skepsis gegenüberstand.272 Wyclif jedoch zeigt sich davon naturgemäß völlig unberührt und kann Heinrich ohne Weiteres in eine Reihe mit Bonaventura stellen. Laut Letzterem, erklärt er im Weiteren, könne in dreifacher Weise erwiesen werden, dass die sowohl individuelle als auch gemeinschaftliche Preisgabe weltlichen Dominiums der evan-

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Ausgangspunkt der Depravation stand dem offensichtlich entgegen. Denn die ecclesia primitiva fungierte ja in erster Linie als Gegenbild zur begüterten Kirche. Ulterius restat ostendere quomodo eandem sentenciam expressissime docet tercia regula sancti Francisci que protestatur in primis domini nostri Jesu Christi evangelium observare, docet consequenter seculares volentes esse illius ordinis vendere omnia sua ac pauperibus erogare, quia fratres illi debent cavere de temporalium solicitudine, nullo modo recipiendo pecunias nisi forte pro necessitatibus infirmorum, nec quitquam sibi approprient; domum, locum vel quitquam alius sed tanquam peregrini et advene in hoc seculo in paupertate et humilitate domino famulentur. Cuius regule recitudinem quantum ad modum non habendi quitquam in proprio vel communi civiliter, plures doctores ut doctor solemnis illius ordinis tam scriptis quam operibus confirmarunt. De Civ. Dom. III, ed. Loserth, S. 88 f. Zu Heinrich von Gent s. Gordon Anthony Wilson (Hrsg.), A Companion to Henry of Ghent (= Brill’s Companions to the Christian Tradition, 23) Leiden 2010. Seine Nähe zu franziskanischen Anschauungen zeigt sich etwa in seiner Konzeption eines rechtsfreien usus facti. S. Mäkinen, Property Rights, S. 110. S. z. B. De ecclesia, ed. Loserth, S. 317 f. Vgl. Ludwig Hödl, Berthold von Saint-Denys († 1307). Ein weltgeistlicher Anwalt der Mendikanten in der Auseinandersetzung mit Heinrich von Gent, in: Dieter Berg / Hans-Werner Goetz (Hrsgg.), Ecclesia et Regnum. Beiträge zur Geschichte von Kirche, Recht und Staat im Mittelalter. FS Franz-Josef Schmale, Bochum 1989, S. 241–260. – Überdies bestritt Heinrich das tatsächliche Vorherrschen einer Gütergemeinschaft im Urchristentum. S. dazu Töpfer, Urzustand, S. 251.

248 Urkirche, Dominium und die Politisierung der Gütergemeinschaft im 14. Jahrhundert gelischen Armut entspreche, nämlich ex natura, ex scriptura et ex gracia.273 Mit der Natur, die ihm hierunter den wichtigsten Beweisgrund zu bieten scheint, stimme die Armutsauffassung der franziskanischen Regel insofern überein, als sie dem status innocentiae entspreche.274 Auch hierin folgt Wyclif Bonaventura, der erklärt hatte, dass „der Mensch nackt erschaffen wurde, und wenn er in jenem Zustand geblieben wäre, sich überhaupt nichts angeeignet hätte“.275 Daneben betont der doctor evangelicus aber mit Nachdruck, dass das Fundament der evangelischen Armut nicht etwa in totalem Verzicht auf Temporalien bestünde – eine solch radikale Askese sei gar sündhafter als nach Belieben über Temporalien zu verfügen –,276 sondern darin, um der Liebe zur Nachfolge Christi willen jegliches civile dominium aufzugeben und sich im Eifer der Karitas beim Gebrauch der natürlich verfügbaren Güter in Zurückhaltung zu üben.277 Diese Form der Armut, unterstreicht der Gelehrte noch einmal, käme dem Urstand nahe, in dem es kein weltliches Dominium, keine künstlichen Gewänder, keine künstliche Nahrung und weder Überfluss noch Mangel gegeben habe.278 Folglich sei sie der beste Status, den der Mensch auf Erden annehmen könne.279 Auf diese grundsätzlichen Abstraktionen über die Vollkommenheit der franziskanischen Regel lässt Wyclif einen umfänglichen Exkurs zur Armut Christi sowie der Freude und dem Heilswert ihrer Nachahmung folgen,280 um schließlich zu der Schlussfolgerung zu gelangen, dass „alle Regulierten, die sich zu einer dieser drei 273 Potest autem paupertatis predicte commentacio ex tribus convinci; ex natura, ex scriptura et ex gracia, ut docet Bonaventura in quodam tractatu illius materie […]. De Civ. Dom. III, ed. Loserth, S. 89. Die entsprechende Stelle entstammt der Conclusio von Bonaventuras Quaestio disputata De perfectione evangelica: Dicendum, quod abrenuntiare omnibus tam in privato quam in communi est christianae perfectionis […]. Primum suadet natura, secundum Scriptura, tertium gratia. Bonaventura, De perfectione evangelica, ed. Opera Omnia V, S. 129. S. dazu Horst, Evangelische Armut und Kirche. Thomas von Aquin, S. 145. 274 […] ex natura, quia est statui innocencie […]. De Civ. Dom. III, ed. Loserth, S. 89. 275 […] homo nudus formatus est, et si in statu illo stetisset, nihil sibi prorsus appropriasset […]. Bonaventura, De perfectione evangelica, S. 129. 276 Contingit igitur in duobus extremis Dei temptacio, primo et nimis communiter quando deserendo regulas paupertatis propter appetitus illicitos involvimus nos cum mundo, secundo licet rarenter, quando deficiente spiritu consilii extinguimus nos ipsos inprovide […]. De Civ. Dom. III, ed. Loserth, S. 93. 277 […] ille enim est pauper evangelicus, qui ab amorem sequendi mores Christi abrenunciat potestati cuiuscunque civilis dominii, de parcis nature necessariis contentatus. Ex quo patet quod evangelica paupertas non habet nudam carenciam temporalium pro fundamento, quia illam carenciam stat viciosissimum habere temporalia quantumlibet sicientem sed fundatur in fervore caritatis quo quis gratis prescindit ab ipso possibilitatem occasionis usibilium unde Dei dileccio tardaretur. Ebd., S. 89. Vgl. dazu Anne Hudson, Poor preachers, poor men: Views of Poverty in Wyclif and his Followers, in: Šmahel (Hrsg.), Häresie, S. 41–53, hier: S. 48. 278 Vgl. De statu innocencie, S. 498, 501. S. dazu Töpfer, Urzustand, S. 507. 279 […] status huius paupertatis est statui innocencie conformior et per consequens status viandi perfeccior, quia statui perfectissimo generis sui propinquior. Nam in statu innocencie non fuisset civile dominium, non artificiale corporis tegumentum, non artificiosum cibarium, nec pateretur in regimine sanctitatis superhabundancias vel defectus […]. De Civ. Dom. III, ed. Loserth, S. 89. 280 Ebd., S. 90–108.

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Regeln bekennen – und das heißt alle Orden –, sich auch zur evangelischen Armut bekennen und sie als Hauptstück ihrer Regel verteidigen müssen. Denn wenn sie sich mit weltlichen Reichtümern oder Zierden bemänteln, zeigen sie deutlich, dass sie den Glücksgütern mehr anhängen als dem Orden, den Haaren mehr als dem Haupt“. Durch solches Tun würden sie, vom rechten Glauben abgefallen, nicht nur ihr Gelübde brechen, sondern gar das Dominium ihres Ordens zugrunderichten.281 Wie also ist nach alledem Wyclifs Haltung zu den Orden als Konservatoren des urgemeindlichen Lebens in summa einzuschätzen? Zwar kann nicht von der Hand gewiesen werden, dass die radikaleren Schriften des Oxforder Doktors in den späten 70er und frühen 80er Jahren eine wesentlich deutlichere Sprache gegenüber dem Ordenswesen und insbesondere den Bettelmönchen anschlagen als es in den früheren Teilen der Summa theologie der Fall ist,282 doch scheint es am Kern der Sache vorbeizugehen, den Verfasser von De civili dominio „on good terms with the friars“ sehen zu wollen.283 Es waren allem Anschein nach nicht die Minderbrüder selbst, denen Wyclif 1376/77 wohlwollend gegenüberstand, sondern das durch Franziskus geschaffene oder, in Wyclifs Sichtweise, im Grunde nur einmal mehr bestätigte Ideal eines Lebens in evangelischer Armut, welches seines Erachtens – und hier stimmte er ganz mit Exiit qui seminat überein – dem von Christus intendierten christlichen Lebenswandel entsprach und darauf justiert war, diesen zu bewahren. An dieser Haltung indes änderte sich bis zu seinem Lebensende nichts.284 Eine Kluft in Wyclifs Einstellung gegenüber den Bettelorden – wie gegenüber dem Ordenswesen insgesamt – lässt sich daher weniger zwischen früheren und späteren Äußerungen ausmachen als vielmehr zwischen Ideal und Praxis.285 Da aber der Schwerpunkt der früheren Traktate der Summa theologie, unter diesen De civili dominio, auf spekulativer Ebene liegt, finden sich in ihnen keine ähnlich drastischen Invektiven gegen die Mendikanten des späteren 14. Jahrhunderts wie etwa im Trialogus. Aus der Abwesenheit vehementer Kritik an der praktischen Umsetzung im Rahmen der theoretischen Verhandlung von Idealen auf Sympathie gegenüber der Praxis schließen zu wollen, würde jedoch in die Irre führen.286 281 […] omnes regulares profitentes aliquam harum trium regularum et per consequens omnes religiones debent profiteri atque defendere tanquam caput sue regule hanc evangelicam paupertatem. Quod si palliant propter divicias seculi vel honores, manifeste ostendunt quod plus affecti bonis fortune quam ordini, plus capillis quam capiti, deficiunt ut sic a suo ordine et per consequens contra professionem suam, plus amantes minus amabile apostatando perdunt dominium illius […]. Ebd., S. 108. Mit den bona fortune meint Wyclif weltliche Güter. Vgl. De Civ. Dom. III, ed. Loserth, S. 180: […] tripliciter in genere dicitur aliquis proprietatem habere in rebus fortune vel quoad civile dominium vel quoad civilem usum vel quantum ad spiritualem usum quomodocunque aliis est communicatum. Exemplum primi est proprietas quam rex vel alius secularis dominus habet suo regno sive dominio […]. 282 S. etwa Trialogus IV,27–37, ed. Lechler, S. 338–380. 283 Levy, Texts, S. 97. 284 Vgl. ebd., S. 101 f.; Dakin, Beziehungen, S. 15. 285 Vgl. Dakin, Beziehungen, S. 1 f., 34 u. passim. 286 Vgl. Dakin, Beziehungen, S. 64, der zu dem überzeugenden Ergebnis gelangt, dass Wyclif im gesamten achtjährigen Zeitraum der Abfassung seiner Summa theologie in scharfer Opposition zu den Bettelmönchen stand. Ähnlich auch Benrath, Bibelkommentar, S. 335.

250 Urkirche, Dominium und die Politisierung der Gütergemeinschaft im 14. Jahrhundert Für diese Annahme spricht nun auch Wyclifs Einschätzung der Orden im Depravationsmodell von De civili dominio. Denn schon hier figurieren sie ja lediglich als Reflexe auf Korrumpierung und Missstand. Sie sind notwendig geworden, weil sich die Gesellschaft von ihren idealen Ursprüngen abwandte. Somit sind sie zunächst Symptom der Depravation. Ihre Funktion ist zugleich aber die eines Heilmittels, sie sollen zur Wiederherstellung des Status quo ante beitragen. Sie sind nicht selbst erstrebenswert, nicht Ziel, sondern Mittel zum Zweck, und sobald sie ihre Aufgabe erfüllt hätten, wäre es an der Zeit, sie abzusetzen, sich ihrer zu entledigen. Der erstrebenswerte gesellschaftliche Status quo ante aber, dies macht Wyclif nicht nur in der Argumentation seines Textes, sondern auch in dessen äußerer Organisation, in seiner Struktur deutlich, ist derjenige der ecclesia primitiva nach Lukas. Die idealtypischen Bilder, die der doctor evangelicus in De civili dominio von den großen Ordensregeln als Inseln der urchristlichen Lebensweise zeichnet, dürfen also keinesfalls als Akzeptanz oder gar Wohlwollen gegenüber den Orden missverstanden werden. Vielmehr sind sie im Lichte seiner harschen Ablehnung aller von Menschen errichteten Sonderreligionen und im Sinne des Depravationsgedankens zu lesen. Da in nachapostolischer Zeit zuerst Laien, dann auch der Klerus weltliches Dominium an sich zogen, traten im Laufe der Geschichte Männer wie Augustin, Benedikt und Franziskus auf den Plan, um die alte Lebensweise zu konservieren bzw. wiederzubeleben.287 Ihre Überzeugungen, ihre Regeltexte und Glaubensbekenntnisse kann Wyclif als Spiegel der religio Christi lesen, sie dienen ihm als Beweis für die überzeitliche Gültigkeit der grundlegenden christlichen Ideale. Was die verschiedenen Ordensregeln jedoch an Neuheiten, Erweiterungen und Abwandlungen dessen, was Christus lehrte und die Urkirche lebte, einführten, verschmäht er, ebenso ihren elitären Grundcharakter. Die immer gleichen Basisideale von Armut und Aufgabe des Privatbesitzes sowie des Strebens nach Eigenem überhaupt, von Gehorsam, von Nächstenliebe und Einmütigkeit werden, konsequent zu Ende gedacht, somit gar zu Argumenten nicht für, sondern gegen die privati ordines. So ermöglicht der Blick durch das Brennglas der ecclesia primitiva schließlich eine Neueinschätzung von Wyclifs Verhältnis zum Ordenswesen, deren wichtigste Erkenntnis die Tatsache sein mag, dass in der Doktrin des Engländers – heilsgeschichtlich gesehen – keine unterschiedliche Bewertung von älterem Mönchtum und Mendikanten angelegt ist. Letztere als neueste Inkarnation der am Urchristentum orientierten vita communis zogen in der publizistischen Praxis seiner letzten Lebensjahre wohl allein deshalb seine missgünstige Aufmerksamkeit stärker auf sich als die anderen, weil er an ihnen den schrittweisen Abfall von den alten Idealen noch unmittelbar beobachten zu können meinte.288 287 Ähnlich: Lauterbach, Geschichtsverständnis, S. 85. 288 Levy, Wyclif and the Christian Life, S. 301, sieht die Sache ebenso („The friars were often singled out for the most withering attacks, but Wyclif placed them within a larger category of disrepute: the ‚four sects‘ comprising the endowed clergy, monks, canons, and friars, all of whom were to blame for corrupting the simple law of Christ with their new regulations.“), mutmaßt dann aber, dass Wyclif die Mendikantenorden am schärfsten angegangen habe, „because their ideal was all the more noble […]“. Dagegen erklärt der doctor evangelicus jedoch

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3.5 Ecclesia primitiva und Gütergemeinschaft in Wyclifs Postilla super totam Bibliam Noch vor der Wende von der eher formal-theologischen Kirchenkritik der früheren 70er Jahre zur stärker pragmatisch ausgerichteten seiner letzten Lebensphase, wohl im Zeitraum zwischen 1370 und 1378, entstand Wyclifs Kommentar zur gesamten Heiligen Schrift.289 Der größere Teil des Opus wurde erst Mitte des 20. Jahrhunderts wiederentdeckt,290 und von wenigen Auszügen abgesehen, ist es bis heute selbst, dass in Hinsicht auf die Theorie des frommen Lebens sowie den Grad der Frömmigkeit kein Unterschied zwischen klassischem Mönchtum und Mendikantentum zu machen sei: […] quocunque ordine possessionatorum insignato stat ipsum cum gaudio suscipere carenciam bonorum fortune, sic quod stante eodem ordine necessitatus sit cum ceco et Lazaro mendicare, quo facto non foret inter ipsum et ordinem mendicancium specifica distinccio; ergo nec in principio, sicut enim stat possessionatos habere ex titulo elemosine bona fortune pro suo perpetuo sic et fratres, et absit quod essencia ordinis possessionatorum forent secularia dominia vel quitquam civilis. Similiter, quecunque persona de ordine possessionatorum signata fuit, stat ipsam stante ordine esse fratrem religiosiorem et alios minus religiosos. Sed cum magis et minus non variant speciem, sequitur quod inter eos non est religionis specifica dictinccio. De Civ. Dom. III, ed. Loserth, S. 21 f. 289 Zum Entstehungszeitraum s. Benrath, Bibelkommentar, S. 9; Beryl Smalley, John Wyclif’s Postilla super totam Bibliam, in: The Bodleian Library Record 4,4 (1953), S. 186–205, hier: S. 203. 290 Zeugnisse aus dem 15. und 16. Jahrhundert zeigen, dass man den Text damals in Böhmen und in England noch kannte oder wenigstens von seiner Existenz wusste. Direkte Zitate finden sich, von der Wyclifforschung bisher kaum wahrgenommen, in den Schriften De sacramentis (ed. Iohannes Cochlaeus, Historiae Hussitarum Libri Duodecim, Mainz 1549, S. 442–500) und De septem culpis Taboritarum (s. Metropolitankapitel Prag, Cod. D 88, fol. 193v–195r) des utraquistischen Theologen Jan Rokycana († 1471), in einem möglicherweise von Jan von Příbram stammenden Tractatus de sacramentis et ritibus contra adversarium quendam Taboriensem (s. Nationalbibliothek Prag, Cod. VIII.G.13, fol. 186r–197r) sowie in der Confessio Taboritarum (s. z. B. Confessio Taboritarum, ed. Molnar/Cegna, S. 280 f., 287). Besonders weite Verbreitung scheint ihm aber dennoch auch in der Frühzeit nicht beschieden gewesen zu sein. So verzeichnen zwei aus hussitischem Umfeld stammende Kataloge der Werke des Engländers aus dem frühen 15. Jahrhundert eine postilla super totam bibliam que hocce [sic] non habetur (zit. n. Walter W. Shirley, A Catalogue of the Original Works of John Wyclif, Oxford 1865, S. 62; vgl. ebd., S. 69). Ebenso nahm der kontroverse Bischof von Ossory John Bale 1559 in sein Verzeichnis der Wyclif’schen Schriften Scholia scripturarum auf, für die er entgegen seiner üblichen Praxis kein Incipit angab – deutliches Indiz dafür, dass ihm das Werk nicht vorgelegen hat (vgl. Smalley, John Wyclif’s Postilla, S. 186). Für die Neuzeit leistete die Identifikation des Kommentars zum Neuen Testament exklusive der Offenbarung in einer Wiener Handschrift (ÖNB Cod. 1342) zuerst: Shirley’s Catalogue of the Extant Latin Works of John Wyclif revised by Prof. Johann Loserth, Wyclif Society [London 1924], S. 11. Teile derselben Texte in drei Prager Manuskripten (Nationalbibliothek Prag Cod. III.F.20 (olim UB Prag Cod. 523); Nationalbibliothek Prag Cod. VIII.F.9 (olim UB Prag Cod. 1563); Nationalmuseum Prag Cod. XIII.F.9 (olim Nationalmuseum Cod. 3356)) wies sodann nach: Samuel Harrison Thomson, Unnoticed MSS and Works of Wyclif, in: The Journal of Theological Studies 38 (1937), S. 24– 36, 139–148, hier: S. 35. Beryl Smalley entdeckte schließlich 1953 in vier Oxforder Handschriften (Bodleian Library Cod. 716; Magdalen College Codd. 55 und 117; St. John’s College Cod. 171) einen großen Teil von Wyclifs Kommentar zum Alten Testament, seine Postille über

252 Urkirche, Dominium und die Politisierung der Gütergemeinschaft im 14. Jahrhundert ungedruckt geblieben.291 Wie die große Mehrheit der überlieferten exegetischen Werke des Mittelalters im engeren Sinne scheint der Text auf Vorlesungsskripte oder -mitschriften zurückzugehen, die ihr Urheber in diesem Fall allerdings im Nachhinein einer gewissenhaften Redaktion unterzogen zu haben scheint.292 Wyclifs komplexe hermeneutische Prinzipien,293 sein eigentümliches Verständnis des Literalsinns,294 sein Konzept der Äquivokation als Mittel zum Dementi jeglicher Kontradiktion in der Bibel,295 seine präzedenzlose Hochachtung derselben als erste, ewige und volle Wahrheit,296 der Zusammenhang seiner Exegese mit sei-

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die Offenbarung sowie zwei weitere Abschriften seiner Exegese des Neuen Testaments: Smalley, John Wyclif’s Postilla. Erste Auszüge aus dem Kommentar zum Alten Testament bei Beryl Smalley, Wyclif’s Postilla on the Old Testament and his Principium, in: Oxford Studies presented to Daniel Callus (= Oxford Historical Society, NS 16), Oxford 1964, S. 253–296, hier: S. 283–296; weitere zum Alten und Neuen Testament bei Benrath, Bibelkommentar, S. 337–377. Vgl. Benrath, Bibelkommentar, S. 5–7. Aus der reichen Literatur sei hier nur verwiesen auf Ian Christopher Levy, John Wyclif. Scriptural Logic, Real Presence, and the Parameters of Orthodoxy (= Marquette Studies in Theology, 36), Milwaukee 2003; Kantik Gosh, The Wycliffite Heresy. Authority and the Interpretation of Texts (= Cambridge Studies in Medieval Literature, 45), Cambridge 2002; Maarten J. M. F. Hoenen, Theology and Metaphysics. The Debate between John Wyclif and John Kenningham on the Principles of Reading the Scriptures, in: Brocchieri/Simonetta (Hrsgg.), John Wyclif, S. 23–55. Für Wyclif ist die Heilige Schrift Wort für Wort wahr im Literalsinn, die anderen Schriftsinne sind im literarischen enthalten bzw. sind per se ebenfalls literarisch. Mit dieser Argumentationsweise will er die Intention des göttlichen Schriftstellers gegenüber den in seinen Augen allzu willkürlichen und wildwüchsigen Bibelinterpretationen der scholastischen Theologie starkmachen. Besonders gut auf den Punkt bringt es etwa folgender Satz: Quamvis enim sensus misticus scripture non sit de se evidens ignaris ad probandum scolastice figuratum, tamen si probari potest ex racione vel scriptura alia quod sensus iste misticus intentus fuerat ab autore, tunc sensus ille est equivalens literali […]. Johannes Wyclif, Tractatus de potestate pape, ed. Johann Loserth, London 1907, S. 51. Vgl. zum Ganzen Alastair J. Minnis, „Authorial Intention“ and „Literal Sense“ in the Exegetical Theories of Richard FitzRalph and John Wyclif: An Essay in the Medieval History of Biblical Hermeneutics, in: Proceedings of the Royal Irish Academy C 75 (1975), S. 1–31, bes. S. 14, 25–27; Gillian R. Evans, Wyclif on Literal and Metaphorical, in: Anne Hudson / Michael Wilks (Hrsgg), From Ockham to Wyclif (= Studies in Church History, Subsidia, 5), Oxford 1987, S. 259–266. – Gerade in der Apostelgeschichte sieht der Postillator den literarischen bzw. historischen Sinn noch einmal stärker vertreten als irgendwo sonst im Neuen Testament: […] inter omnes libros novi testamenti iste est magis historiacus sensus mistici abiectivus […]. Postilla ad Apg 12,8, Benrath, Bibelkommentar, S. 295, Anm. 810. S. hierzu Alexander Brungs, Die Heilige Schrift als Kalkül. Johannes Wyclifs biblischer Logizismus und die Hermeneutik des ausgehenden Mittelalters, in: Günter Frank / Stephan MeierOeser (Hrsgg), Hermeneutik, Methodenlehre, Exegese. Zur Theorie der Interpretation in der Frühen Neuzeit (= Melanchthon-Schriften der Stadt Bretten, 11), Stuttgart-Bad Canstatt 2011, S. 15–35, hier: S. 25–30. Dies sind unzählige Male wiederholte Grundgedanken in seiner wohl um 1378 entstandenen umfänglichen Schrift De veritate Sacrae Scripturae, ed. Rudolf Buddensieg, John Wyclif’s De Veritate Sacrae Scripturae, 3 Bde, London 1905–1907. Vgl. zum Ganzen auch Benrath, Bibelkommentar, S. 314 f.

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nem Realismus297 und nicht zuletzt die Frage, ob die Logik seiner Schriftauslegung als Präfiguration des reformatorischen sola scriptura-Prinzips verstanden werden darf,298 haben die Forschung zu den exegetischen Schriften des Oxforder Theologen nicht wenig verkompliziert und – so sehr es sich bei alledem auch um bedeutende und fruchtbare Fragen handelt – gleichsam den Blick auf die Inhalte der nämlichen Schriften nachhaltig verstellt. So sind, während die Literatur zur äußeren Form Wyclif’schen Bibelverständnisses stetig anwächst, Studien zum sachlichen Gehalt seiner Exegese nach wie vor äußerst rar. Zwar liegt mit Gustav Adolf Benraths verdienstvoller Arbeit eine profunde monographische Darstellung der Stoffe und Argumentationslinien der Postilla super totam Bibliam vor, doch dürften die Erkenntnismöglichkeiten innerer Analysen der Schrift in Hinblick auf die Formierung von Wyclifs Kirchenkritik sowie bezüglich seiner Stellung in der Geschichte der Bibelexegese überhaupt wie auch betreffs seiner Bedeutung für die Auslegungstradition einzelner wirkmächtiger Passagen der Heiligen Schrift mitnichten erschöpft sein. Dies gilt umso mehr, als sich der Engländer auch in der Rolle des Postillators als Nonkonformist erweist.299 Alle wesentlichen Facetten seiner Zeitkritik sind – zumindest in Grundzügen – auch im Bibelkommentar vorhanden. In seiner historischen Auslegung des Alten wie des Neuen Testaments kommt er wieder und wieder darauf zurück, wie durch die Begüterung der Kirche in nachapostolischer Zeit der Niedergang der Institution eingesetzt habe.300 Er attackiert den vielfältigen Amtsmissbrauch des Klerus, die Besitztümer der Kirche, den Primatsanspruch des Papsttums, die Heuchelei der Orden und das Verhältnis von geistlicher und weltlicher Macht. Der Verderbtheit, die er an der Kirche seiner Gegenwart wahrnimmt, setzt er auch in der klassisch-exegetischen Arbeit stets die Vorbildlichkeit des Lebenswandels Jesu und der Apostel entgegen.301 Mit diesem Grundanliegen seiner geschichtlichen Lektüre der Heiligen Schrift geht schließlich eine besondere 297 S. dazu Benrath, Bibelkommentar, S. 311–321; Gillian R. Evans, Wyclif’s Logic and Wyclif’s Exegesis: The Context, in: Walsh/Wood (Hrsgg), Bible, S. 287–300; Levy, John Wyclif. Scriptural Logic. 298 In dieser Debatte vertreten gegensätzliche Meinungen: Michael Hurley, ‚Scriptura sola‘: Wyclif and his Critics, in: Traditio 16 (1960), S. 275–352, und Paul de Vooght, Wiclif et la „Scriptura Sola“, in: Ephemerides theologicae Lovaniensis 39 (1963), S. 50–86. 299 Unter den wenigen Studien zum materiellen Gehalt von Wyclifs Bibelauslegung müssen neben Benrath an erster Stelle wiederum Smalleys Arbeiten genannt werden, v. a. Smalley, John Wyclif’s Postilla; dies., Wyclif’s Postilla on the Old Testament; dies., The Bible and Eternity. John Wyclif’s Dilemma, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 27 (1964), S. 73–89. Außerdem: Pamela Gradon, Wyclif’s Postilla and his Sermons, in: Helen Barr / Ann M. Hutchinson (Hrsgg.), Text and Controversy From Wyclif to Bale. Essays in Honour of Anne Hudson (= Medieval Church Studies, 4), Turnhout 2005, S. 67–77; Reventlow, Bibelauslegung II, S. 271–287; Lahey, John Wyclif, S. 149–153. Die bedeutende Frage nach dem Einfluss der Postille auf das hussitische Böhmen, das immerhin die meisten erhaltenen Abschriften produziert hat, hat bislang ausschließlich V. Mudroch angeschnitten: Vaclac Mudroch, John Wyclyf’s Postilla in Fifteenth-Century Bohemia, in: Canadian Journal of Theology 10 (1964), S. 118– 123. 300 Vgl. Benrath, Bibelkommentar, S. 58, 87, 305 und passim. 301 Vgl. ebd., S. 136, 273 f., 326–328 und passim.

254 Urkirche, Dominium und die Politisierung der Gütergemeinschaft im 14. Jahrhundert Schwerpunktsetzung bei den lukanischen Berichten über die Urkirche einher.302 Hierzu fügt sich, dass die „mit zahlreichen theologischen Erklärungen und Exkursen durchsetzte“303 Auslegung der Apostelgeschichte offensichtlich in eine spätere Phase innerhalb des genannten Abfassungszeitraums fällt.304 Sie dürfte wenig vor oder gleichzeitig mit De civili dominio, aber jedenfalls nach der Schrift De dominio divino entstanden sein, die den Beginn von Wyclifs offener Opposition gegen die römische Kirche markiert. Macht er in anderen, früheren Teilen seiner Postille über weite Strecken hinweg oft nur knappe Anmerkungen im Stile Nikolaus von Lyras und anderer bibelkundlicher Autoritäten, als deren getreuer Rekapitulator er sich denn auch erweist, so veranlassen ihn die Gemeindesummarien zu eigenständigen Reflexionen auf die Vollkommenheit der ersten Gläubigen und die Distanz zwischen ihnen und Klerus wie Religiosen in späterer Zeit.305 Indes, von der Ausführlichkeit und Weitschweifigkeit eines Olivi bleibt er dabei doch weit entfernt. Beryl Smalley wies im Zuge ihrer Beweisführung über Wyclifs Autorschaft an der Postilla zuerst auf deutliche Parallelen zwischen dem Kommentar zur Apostelgeschichte und den antikirchlichen Schriften des doctor evangelicus hin und führte so vor Augen, dass auch in der klassisch-exegetischen Arbeit Wyclifs kritischer Sinn gegenüber den Verhältnissen seiner Lebzeiten von den Acta apostolorum in besonderem Maße angefacht wurde.306 In einem längeren Diskurs zu Apg 4 referiert der Verfasser Richard FitzRalphs Argumente für die päpstliche Souveränität in der Nachfolge einer vermeintlichen Obergewalt Petri über die übrigen Apostel aus dessen Schrift De questionibus Armenorum und hält diesen seine eigene, gegensätzliche Auffassung vom Ursprung aller priesterlichen Autorität in Chris302 303 304 305

Vgl. ebd., S. 285, und Lauterbach, Geschichtsverständnis, S. 85 mit Anm. 144. Benrath, Bibelkommentar, S. 9. Vgl. ebd. Unter den oben, S. 251, Anm. 290, genannten Handschriften enthalten den Kommentar zur Apostelgeschichte (Stegmüller, RB, Nr. 5095): Magdalen College Cod. 55; Bodleian Library Cod. 716; Nationalbibliothek Prag Cod. VIII.F.9; Nationalmuseum Prag Cod. XIII.F.9; ÖNB Cod. 1342. Ein angebliches weiteres Exemplar verzeichnet als „JOHANNES WYCLIF: P o stilla s up er A ctus A pos tolorum“ der Katalog der Universitätsbibliothek Budapest: Catalogus Codicum Latinorum Medii Aevi Bibliothecae Universitatis Budapestinensis, überarb. u. verm. v. Peter Tóth, Budapest 2008, S. 94 f., Cod. Lat. 66. Eine Inspektion des Codex konnte die Übereinstimmung mit Wyclifs Auslegung der Apostelgeschichte, wie die genannten Textzeugen sie überliefern, jedoch nicht bestätigen. Es handelt sich vielmehr um die Arbeit eines unidentifizierten Verfassers aus der Mitte des 15. Jahrhunderts (Datierung auf fol. 331: Finis praedicationis super Actus Apostolorum finitus est feria vi Anno domini mcccc lix), der sich in seinem ausführlichen Kommentar zu den Acta apostolorum in hohem Maße auf Wyclifs Postille stützt. Von der Tatsache, dass es sich nicht um eine Abschrift von Wyclifs Werk handelt, zeugt schon das abweichende Incipit (Wyclif, Postilla super Actus: Nota quod prelati debent vigilare; UB Budapest, Cod. Lat. 66: Sicut dicitur Genesi secundo). Außerdem gibt der Verfasser mitunter direkte Verweise auf die Herkunft manchen Zitats von Wyclif (hec doctor Ewangelicus, fol. 61r, 161r u. ö.), die allerdings nicht annähernd die Menge der tatsächlich aus dessen Postilla stammenden Textanteile in Cod. Lat. 66 abbilden. Es ist dies ein ein weiterer, bisher unbeachteter Beleg für die Rezeption der Wyclif’schen Bibelauslegung im Spätmittelalter, die das Desiderat einer Rezeptionsgeschichte wie auch einer vollständigen Edition der Schrift umso drängender erscheinen lässt. 306 Vgl. Smalley, John Wyclif’s Postilla, S. 195 f.; ähnlich auch Benrath, Bibelkommentar, S. 293.

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tus entgegen.307 Dasselbe Muster findet sich wieder in Wyclifs De potestate pape, wo er seinen Einspruch gegen FitzRalphs Meinung noch um einiges konkreter durchdekliniert.308 Hier wie da geben die Ausführungen in aller Deutlichkeit seine Blickrichtung auf die ecclesia primitiva zu erkennen. So knüpft er sein ablehnendes Urteil über die Ordination von Priestern kraft päpstlicher Autorität in der Postilla an die anders geartete Praxis der Urkirche und verbindet damit in seiner ureigenen Weise sogleich eine universale Invektive gegen die Lasterhaftigkeit der Geistlichen. Denn „so wie die Kirche durch die aus Überheblichkeit erfolgte Annahme prälatischer und weltlicher Gewalt, die man säkular oder koaktiv309 nennt, von der Handlungsweise in der ecclesia primitiva abwich, so dachten sie sich neue unpassende Titel aus, um unter dem Deckmantel der Heiligkeit heimlich zu weltlichen Würden zu gelangen.“310 Wie in De civili dominio und anderswo stellt Wyclif den vollkommenen Anfängen der Kirchengeschichte die durch den ruchlosen Klerus in Gang gesetzten Abweichungen in späterer Zeit als negative Schablone gegenüber. An erster Stelle stehen dabei wiederum das Streben nach weltlicher Macht sowie die Hierarchisierung der kirchlichen Ordnung. „Zuerst nannten sich nämlich alle Apostel Brüder und Genossen […] und man musste den Papst nicht heiligsten Vater und nicht jedweden Kardinal ehrwürdigsten Herrn nennen.“311 Was der Exeget über

307 Diese Passage bei Benrath, Bibelkommentar, S. 375–377. Neben den Auszügen im Anhang von Benrath, Bibelkommentar, liefert ders. außerdem im Fußnotenapparat, S. 285–300, große Teile des nach wie vor nicht in Edition vorliegenden Textes im Wortlaut. Die Zitate im Folgenden sind zum Teil diesem entnommen, an den Manuskripten geprüft, ergänzt und erweitert. Als Leithandschrift hierbei dient Nationalbibliothek Prag Cod. VIII.F.9. 308 De potestate pape, ed. Loserth, S. 43–62. 309 Unter potestas coactiva ist die Kompetenz des Gesetzgebers zu verstehen, einen Rechtssatz durch Zwang zum Gesetz zu erheben. Der Begriff geht auf die Nikomachische Ethik des Aristoteles zurück (Eth. Nic. 1188a). In seiner Übersetzung der aristotelischen Schrift sprach Robert Grosseteste von einer vis coactiva, Marsilius von Padua prägte sodann den Terminus potestas coactiva in oben genanntem Sinne. S. Miethke, De potestate papae, S. 214 f., der meint, dass „wo in einem spätmittelalterlichen Text von potestas coactiva die Rede ist, ein Bezug auf Marsilius von Padua wahrscheinlich wird, sodaß diese Begriffsprägung heute geradezu als ein Schibboleth für eine unmittelbare Marsiliusrezeption dienen kann.“ Zur vieldiskutierten Frage der Abhängigkeit zwischen Marsilius und Wyclif s. Lahey, Philosophy and Politics, S. 63–67, der es fraglich findet, ob im England des 14. Jahrhunderts überhaupt Kopien von Marsilius’ Defensor pacis greifbar waren und vor dem Hintergrund der grundsätzlich anders gearteten Vorstellungen der beiden über die richtige weltliche Ordnung zu der überspannten Folgerung kommt, dass alle doktrinären Ähnlichkeiten zwischen ihnen illusorisch seien. – Zur ecclesia primitiva bei Marsilius s. Ditsche, Ecclesia primitiva, S. 88–93. 310 Et sic generaliter quilibet ordinatus in sacerdotem vel prelatum non auctoritate apostoli vel sui successoris, sed auctoritate Christi vel ecclesie racione Christi sui capitis habet huiusmodi potestatem. Unde sicut ecclesia decessit a modo agendi in primitiva ecclesia capiendo ex superbia prelaciam et mundanam potestatem que dicitur secularis vel coactiva, ita baptisarunt sibi novos terminos improprios, ut latenter surriperent in dignitates seculares sub pallio sanctitatis. Benrath, Bibelkommentar, S. 377. 311 Primo enim omnes apostoli vocabantur fratres et socii ut patet ad Galla 2°. Et non oportet vocare papam patrem sanctissimum et quemlibet Cardinalem reverendissimum dominum. Benrath, Bibelkommentar, S. 377.

256 Urkirche, Dominium und die Politisierung der Gütergemeinschaft im 14. Jahrhundert die sonstigen Merkmale der Jerusalemer Gemeinde und zumal über ihre Gütergemeinschaft zu sagen hat, schlägt unübersehbar in die gleiche Kerbe. Im ersten Sammelbericht Apg 2,42–47 sieht Wyclif das Fundament der christlichen Religion exemplifiziert. Neben den drei Tugenden Glaube, Liebe und Hoffnung bestünde jenes im Wirken von Wundern, die den Außenstehenden Furcht einflößten, in der Einigkeit von Geist und Körper, die in der Gemeinschaft der Temporalien zum Ausdruck komme, im Verzicht auf Eigentum sowie in der frommen Lebensführung. Letztere wiederum zeige sich am Beispiel der Urgemeinde im einmütigen Gebet aller und in der einmütigen Predigt der Gelehrten, im Almosengeben, im gemeinsamen Mahl mit Freude des Geistes im Herrn und in aufrichtiger Einfalt des Herzens. An diese Regel, wünscht er, möchten sich auch die Religiosen in seiner Zeit halten.312 Welche Aspekte innerhalb dieses Kanons Wyclif am wichtigsten sind, verdeutlicht der direkt daran anschließende Verweis auf Ananias, der „starb, weil er versprach kein Eigentum zu haben und sich – worin er mit seiner Frau übereinkam – einen Teil der Einkünfte aus den Verkäufen zurückhielt […] und so den Heiligen Geist hinsichtlich seines Gelübdes und die Menschen hinsichtlich seiner Erzählung belog.“313 Wenngleich hier freilich nicht das Zurückhalten von Eigentum selbst, sondern die Lüge als das den Straftod rechtfertigende Vergehen erscheint, so sind es doch das Gebot der Besitzlosigkeit und dessen Übertretung, die auf diese Weise besonders herausgehoben und den Religiosen als Spiegel vorgehalten werden.314 Ganz in diesem Sinne legt Wyclif denn auch die Erzählung um Ananias und Saphira am Anfang von Apg 5 aus. Ihre Apostasie bestand in Habgier 312 Nota ulterius quod preter religionem universalem que fundatur in predictis tribus virtutibus est dare religionem excellenciorem fundatam in miraculorum faccione incuciente timorem exterius quod notatur cum dicitur multa quidem prodigia. 2° requiritur unitas tam mentis quam corporis in conversando de temporalibus communibus quod notatur cum dicitur omnes autem qui credebant erant pariter. Et 3° requiritur abdicatio proprietatis quod notatur cum dicitur possessiones ut agros et cetera immobilia et substantias id est mobilia ut peccora vendebant. Et 4° requiritur pietas in regula vivendi que consistit in tribus scilicet in unanimi concursu ad domum oracionis quo ad omnes et predicacionis quo ad doctores, 2° in elemosinarum largicione frangendo panes pauperibus qui non possunt laborare petendo, et 3° in communi cibacione cum exultacione mentis in deum et simplicitate cordis sine plica dolositatis vel simulacionis. Et quod tali laudacione dei mente, ore et opere amabantur ab omni plebe, dominus autem augebat numerum credencium et sic ecclesiam non solum die penthecostes sed cottidie consequentur in idipsum et in eandem unionem sine aliqua vicissitudine conmutata, unde psalmo 4 In pace in idipsum. Utinam nostri religiosi attenderent ad hanc regulam. Nationalbibliothek Prag Cod. VIII.F.9, fol. 148v. Vgl. Benrath, Bibelkommentar, S. 288, Anm. 786 (mit größeren Lücken, darunter eine nicht kenntlich gemachte). 313 Ananias enim quia compromisit se nichil habere proprium et retinuit sibi partem precii venditi ut ipse et uxor eius conveniant expiravit ut patet Actuum quinto capitulo, et sic mentitus est spiritu sancto quo ad professionem et hominibus quo ad narrationem. Nationalbibliothek Prag Cod. VIII.F.9, fol. 148v. 314 Anders etwa Petrus Comestor, der in Ableitung von Apg 4 Karitas, Gütergemeinschaft und Gehorsam als die Grundlagen des monastischen Lebens definiert und für alle drei Aspekte Negativbeispiele nennt (Karitas: Judas, Gütergemeinschaft: Ananias und Saphira, Gehorsam: Simon Magus). Migne, PL 198, Sp. 1842. Vgl. dazu oben, S. 243 f., zu Wyclifs Kenntnis und Gebrauch der Passage.

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und Fresssucht – den beiden Übeln, die auch heute das religiöse Gemeinschaftsleben zugrunde richten.315 Doch nicht allein der Verzicht auf Privateigentum, sondern gerade auch der auf Gemeingütern basierende Lebenswandel (conversando de temporalibus communibus) machte die Vortrefflichkeit der Gemeinde aus. Dieses Charakteristikum seiner Exegese von Apg 2 deckt sich mit den Erklärungen in De civili dominio, worin Wyclif gegen die franziskanische Auffassung von der apostolischen Armut argumentierte, dass die Urchristen unter den Bedingungen eines natürlichen Dominiums durchaus Verfügungsgewalt über Temporalien gehabt hätten.316 Demgemäß betont er an anderen Stellen in der Auslegung der Apostelgeschichte auch wiederholt explizit, dass eben nicht ein totaler Verzicht auf irdische Güter, sondern die Beschränkung auf das jeweils Notwendige sowie die Zurückweisung weltlicher Besitzansprüche die ecclesia primitiva charakterisierten. So schlussfolgert er etwa aus Apg 12,8317, dass „es nicht zum Wesen der vita apostolica gehört, mit nackten Füßen einherzugehen“. Denn Petrus wie auch andere Heilige und Märtyrer seien beschuht gewesen, wie es jetzt schließlich auch die Minderbrüder hielten. Sandalen zu haben, widerspreche also nicht dem Armutsgebot. Entscheidend sei vielmehr, alle Sorge um Temporalien (omnem temporalium sollicitudinem) aufzugeben, wie bereits aus Apg 5 hervorgehe. Daran sei die gesamte Gemeinschaft der Christenheit (universitas Christiane religionis) gebunden, „aber besonders jene, die eine erhabene Regel geloben“. Damit solle aber keinesfalls gesagt sein, fügt der Exeget sogleich hinzu, dass irgendeine äußerliche Form der Lebensführung Zeichen einer höheren Religiosität sei. Letztere bestünde vielmehr zuerst und hauptsächlich in der Seele und würde ausschließlich dort durch gute Werke ausgebildet.318 Eine ganze Reihe von Motiven und Argumenten aus Wyclifs Summa theologie kann hierin wiedergefunden werden. Sowohl die Hervorhebung der Notwendigkeit 315 Vir autem quidam non solum mentitus est hominibus, sed deo cui abdicavit proprietatem. […] et sic avaricia et gula fecerunt ipsum apostatam, in signum quod ista dua unita dissolvunt religionem ut patet hodie. Nationalbibliothek Prag Cod. VIII.F.9, fol. 152r. 316 Vgl. oben, S. 236 f. – Der Widerspruch gegen die mendikantische Konzeption der evangelischen Armut ist eines der herausragenden Themen in Wyclifs Postille zur Apostelgeschichte. S. Benrath, Bibelkommentar, S. 294–298. 317 Apg 12,8: Dixit autem angelus ad eum [sc., Petrus] praecingere et calcia te gallicas tuas […]. Vgl. zum Folgenden: Benrath, Bibelkommentar, S. 294 f. 318 Precingere et calcia te caligas. Ex istis videtur quod licuit habere apostolis caligas, cum princeps apostolorum statim post missionem spiritus sanctus in tempore calido usus sit caligis. […] Nec obest sed consonat probabiliter illum sensum litteralem deum principalius intendere quod discipuli sui sint affeccionibus preperati ad debite evangelizandum, quod non esset nisi dimitterent omnem temporalium sollicitudinem de quanto tardarent ad dei servicium debite exequendum ut patet Actuum quinto. Et ad hoc est universitas Christiane religionis asstricta, sed precipue illi qui profitentur reguli alciorem. Sed non est putandum quod aliquis ritus exterior quo ad victum sit de essencia religionis altissime, cum religio principaliter consistit in anima et solum ibi formatur [NB Prag Cod. VIII.F.9: formaliter] in bonis operibus ut effectu et ritibus ut in signo, unde non credo quod sit de essencia vite apostolica nudis pedibus incedere, cum Petrus, Bartholomeus, Marcus leguntur calciamenta habere Sancti eciam martires, confessores, virgines nec non et fratres minores calciati sunt […]. Nationalbibliothek Prag Cod. VIII.F.9, fol. 159r. Vgl. Benrath, Bibelkommentar, S. 295, Anm. 810.

258 Urkirche, Dominium und die Politisierung der Gütergemeinschaft im 14. Jahrhundert eines gemäßigten Umgangs mit weltlichen Gütern – bezogen auf die Verlockungen des Überflusses ebenso wie auf diejenigen übertriebener Askese – als auch der Ruf nach Aufgabe aller Bekümmernis hinsichtlich irdischen Besitzes klingen an dieser Stelle an. Doch während es sich dabei noch um relativ unspezifische Ideen handelt, wie sie auch viele Zeitgenossen Wyclifs formuliert haben könnten, so ist die Rede von einer universitas Christiane religionis, die jeglichem ritus exterior quo ad victum entgegengestellt wird, genuines Gedankengut des Oxforder Meisters. Die vita apostolica als Muster christlichen Soziallebens, so will er auch hier wieder zu verstehen geben, ist im Rahmen einer regulierten Gemeinschaft nicht genauer oder einfacher nachzubilden als in der Gesamtgesellschaft. Das Gelöbnis einer sich normativ auf die urchristliche Armut beziehenden Lebensregel führt nicht eo ipso zur praktischen Verwirklichung derselben. Wer sich aber gleichwohl für ein solches Gelöbnis entscheidet, muss sich selbstredend noch stärker an das apostolische Armutsgebot gebunden fühlen als andere; und umso gravierender ist für ihn dessen Übertretung. Spekulationen darüber, wie genau die Gütergemeinschaft der Apostelgeschichte verfasst gewesen sei, stellt der Theologe in der Postilla nicht an. Das Summarium in Kapitel vier, das ihn im großen Werk über das zivile Dominium zu entsprechenden Überlegungen veranlasste, nimmt er hier vielmehr als Einladung zur systematischen Erörterung der Gründe, die die Apostelgemeinschaft zur völligen Abkehr von irdischen Gütern bewegten. An erster Stelle sieht er darin die Erfüllung der Bergpredigt, laut der es nicht möglich sei, zugleich Gott und dem Mammon zu dienen, und die gebietet, nicht für den kommenden Tag zu sorgen.319 Des Weiteren hätten die Apostel jeglichen Anschein vermeiden wollen, sie predigten in erster Linie um des irdischen Lohnes anstatt um des Seelenheils willen. Auch wollten sie ihren Zuhörern Vorbild sein, indem sie die Habgier aus ihren Herzen ausrotteten. Darüber hinaus wünschten sie, die Macht des Herrn zu offenbaren, der sich als Mensch für die Menschen arm machen und sie zugleich mit den lebensnotwendigen Gütern versorgen konnte. Schließlich wollten sie alle Sorge auf Gott werfen320 und den geistigen Gütern den Vorrang geben, um gemäß dem Stand der Unschuld zu leben. Und zu guter Letzt war es ihnen darum zu tun, sich für das Predigtamt von allem anderen frei zu machen, wie Apg 6,2 belege.321 319 Mt. 6,24.34. 320 1 Petr. 5,7. 321 Nota sex causas, quare apostoli non involverint se in temporalibus: primo propter mandatum domini Mt vi non potestis deo servire etc. Ideo dico vobis ne solliciti sitis et ita in fine, nolite ergo soliciti esse in crastinum. Et Mt 10 nolite portare aurum, etc. ut exponitur luce 9. Secunda racio fuit, ne viderentur causa comodi temporalis et non principaliter causa salutis anime predicare. Et hinc non accepit apostolus stipendia de Chorintiis ut ipsemet notat Actus 20 et 1 Cor 9. Sic ergo tolleretur a predicatoribus suspicio querendi temporalia potius quam salutem anime ut dicit Hieronymus. 3° ut a cordibus auditorum exemplariter avariciam exstirpent, prima Thi[m] 6° Radix omnium malorum est cupiditas. Quarto ut virtutem Christi cogitantes ipsam ostenderent servis suis qui licet propter nos egenus factus est 2 Cor 8° providet tamen volucribus et terrenascentibus cum sit deus mt vi°. Quinto ut omnem sollicitudinem suam in domino iactantes statum innocencie sequentes bona mentis preponderent. Sexto ut expediencius predicent Act 6° non est equum nos relinquere verbum dei et ministrare mensis. National-

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Im Vordergrund stehen in diesem Katalog eindeutig die innerbiblischen Bezüge. Es scheint Wyclif hier primär darum zu gehen, Attitüde und Verhalten der Apostel als logische Konsequenz aus den Evangelien und in Einklang mit moralischen Äußerungen der Apostelbriefe zu präsentieren. Auf diese Weise suggeriert er eine völlige Konsistenz der evangelischen Weisungen im Sinne der lex evangelica und kann die Ordnung der ecclesia primitiva als Einlösung des häufig wiederholten Grundsatzes omnis Christi accio est nostra instruccio verstehen.322 Durch die vollkommene Frömmigkeit und Freigebigkeit der Apostel, folgert er denn auch, wurde ein Zeichen dafür gesetzt, dass es besser ist, spirituelle Güter auszustreuen als temporale.323 Nur wenige Merkmale verbinden indes diesen Kommentar zu Apg 4 mit den breiten Ausführungen zur Gütergemeinschaft in De civili dominio. Weder geht Wyclif in der Postille Fragen wie etwa derjenigen nach dem Modus der Distribution der Gemeingüter nach noch spielt die Unterscheidung zwischen weltlichem und natürlichem respektive göttlichem Dominium hier eine erkennbare Rolle.324 Auch erwähnt er die Gliederung der Gemeinde nach Aposteln und übrigen Gläubigen in seiner Postille zum zweiten Sammelbericht mit keinem Wort, sondern spricht gar unkommentiert ausschließlich vom Eigentumsverzicht der Apostel. Allenfalls mittelbar berührt er das Problem der kausalen Abhängigkeit zwischen Karitas und Gütergemeinschaft, wenn er die Bedeutung des Beispiels der Apostel für ihre Zuhörer und damit die Relevanz der entsprechenden Haltung betont (a cordibus auditorum exemplariter avariciam exstirpent). Die Überwindung der Anhänglichkeit an weltliche Güter ist damit als Impuls und nicht als Effekt der Karitas gekennzeichnet. Allein mit dem Verweis auf das Ideal des status innocentiae, dem die Apostel durch die Loslösung von Temporalien sich anzugleichen bestrebt gewesen seien, nimmt der Postillator einen zentralen Gedankengang seiner anderweitigen Auseinandersetzungen mit der Urkirche in der Postille expressis verbis wieder auf. Doch auch hier geht er über eine knappe Notiz nicht hinaus. Es kann festgehalten werden: Auch in der Postilla super totam Bibliam legt Wyclif den Schwerpunkt seiner Betrachtungen über die ecclesia primitiva auf den Umgang der Jerusalemer Gemeinde mit weltlichen Gütern und ihre innere Haltung gegenüber denselben. Die Aufhebung des Privatbesitzes sowie die Einrichtung einer Gütergemeinschaft zählt er zu den fundamentalen Signifikanten jenes urbildlichen Christentums. Dieses müsse nicht nur den Mitgliedern der Orden (ihnen aber in besonderem Maße), sondern auch der gesamten Christenheit als Richtschnur bibliothek Prag Cod. VIII.F.9, fol. 152r. Vgl. Benrath, Bibelkommentar, S. 288 f., Anm. 787 (mit größeren Lücken). 322 Vgl. dazu Hurley, ‚Scriptura sola‘, S. 280 ff. 323 Sic enim perfectissime pietatis et largitatis dantur indicium seminare copiose spiritualia temporalibus meliora, et de ipsis temporalibus nichil sibi in propriis relinquere unde Actuum 3° Argentum et aurum non est mihi. Nationalbibliothek Prag Cod. VIII.F.9, fol. 152r. 324 Als Gegensatzpaar oder per definitionem unterschiedliche Ausprägungen eines Begriffs scheinen die beiden Termini in der Postilla nirgendwo zu begegnen. Es finden sich aber durchaus Stellen, an denen von civile dominium, proprietas civilis oder possessio civilis die Rede ist und relativ klar eine Abgrenzung gegenüber nicht-weltlichen Formen intendiert zu sein scheint. S. z. B. Benrath, Bibelkommentar, S. 181 f. mit Anm. 372 oder auch den Prolog zur Apostelgeschichte, ebd., S. 373–375; vgl. dazu oben, S. 213.

260 Urkirche, Dominium und die Politisierung der Gütergemeinschaft im 14. Jahrhundert gelten. Als schlimmstes Vergehen gegen die Gemeinschaft wie gegen das individuelle Seelenheil charakterisiert er die Unaufrichtigkeit hinsichtlich der Gemeinschaftsgüter. Mit besonderem Nachdruck hebt er dagegen die perfekte Lebensweise der Apostel in Armut und Demut hervor, die sich in ihrer totalen Lossagung vom persönlichen Umgang mit Temporalien manifestiert habe. Immer wieder stellt der doctor evangelicus auch in seiner scholastischen Auslegung der Apostelgeschichte dem Bild der Urgemeinde das Negativ der spätmittelalterlichen Kirche gegenüber und kann letztere auf diese Weise als degeneriert brandmarken. 4. ZWISCHENSTAND 2: POLITISIERUNG Der hierokratische Theoretiker Aegidius Romanus entwickelte zu Beginn des 14. Jahrhunderts die Lehre von der Abhängigkeit gerechter weltlicher Herrschaft und gerechten weltlichen Eigentums von der Gnade Gottes. Laut dieser falle in postlapsarischer Zeit Dominium auf direktem Wege ausschließlich dem Klerus und vollumfänglich allein dem Papst zu. Erst durch den Empfang der Sakramente könnten auch Laien gerechtes Dominium ausüben. Folglich komme der kirchlichen Klasse in der irdischen Hierarchie sowohl in geistlichen als auch in weltlichen Dingen eine absolute Vorrangstellung zu. In der Verfasstheit der Jerusalemer Urgemeinde sieht Aegidius diese Auffassung bestätigt. Die Apostel als spirituelle Leiter der Gemeinde seien zugleich oberste Sachwalter des Vermögens gewesen und hätten aus ihrer Kompetenzfülle heraus dieses Amt an die ihnen untergeordneten sieben Diakone delegiert. Johannes XXII., der im Theoretischen Armutsstreit der 1320er Jahre auf die aegidischen Positionen zurückgriff, zog aus ihnen den Schluss, dass auch in der Urkirche weltliches Dominium in Kraft gewesen sei und, mehr noch, eine konstitutive Komponente der Gemeinschaftsbildung dargestellt habe. Richard FitzRalph, der kuriennahe Erzbischof von Armagh, der um die Jahrhundertmitte den Armutsstreit einer ausführlichen Rezension unterzog und sich im Zuge dessen gegen die Praxis der Bettelorden wandte, griff wesentliche Elemente der aegidischen Theorie sowie der Doktrin Johannes’ XXII. wieder auf und modifizierte sie in seinem Sinne. Auch er stellte sich gegen die franziskanische These von der vollkommenen Absenz von Dominium unter den Urchristen. Zwar hätten diese keine weltliche Gewalt über ihre Gemeingüter innegehabt, aber doch ein gemeinsames natürliches Dominium, das jedem in Gnade stehenden Menschen von Natur aus zufalle. Mit diesem sei zwar kein Eigentumsrecht einhergegangen, es habe aber den Ausschluss all derer ermöglicht, die nicht unter der Gnade Gottes standen. Gütergemeinschaft unter den Bedingungen natürlichen Dominiums ist nach FitzRalph das Ideal christlichen Gemeinschaftslebens. Unter dem gesamten Klerus seiner Gegenwart sieht er dieses urchristliche Vorbild bereits verwirklicht, da jener über die Kirchengüter, aus denen er seinen Lebensunterhalt bestritt, nicht im Sinne eines zivilen Dominiums, sondern allein unter den Vorzeichen des gemeinschaftlichen dominium naturale verfüge. Ein wie auch immer gearteter Wunsch nach gesellschaftlichen Reformen leitet sich für FitzRalph daher aus den Betrachtungen der ecclesia primitiva nicht ab.

Zwischenstand 2: Politisierung

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Ein Vierteljahrhundert später wandte sich der im diplomatischen Dienst für die englische Krone stehende Oxforder Doktor John Wyclif der Frage nach gerechtem Eigentum und gerechter Herrschaft unter der lex dei der Heiligen Schrift zu. Seine Vorstellungen über das Verhältnis zwischen göttlichem und menschlichem Dominium leiten sich im Wesentlichen von denen FitzRalphs her, wobei sie in seinem Denksystem durch Verknüpfung mit der realistischen Ideenlehre eine ungleich höhere Konsistenz und damit eine wahrhaft fundamentale Bedeutung gewinnen. Im Zusammenspiel mit seiner Doktrin der Prädestination, laut der im göttlichen Heilsplan unabänderlich festgeschrieben sei, wem Gnade zuteil werde, führen sie ihn zu der Überzeugung, dass jede menschliche Vermittlung von Dominium hinfällig sei. Da jeder in der Gnade Gottes stehende Mensch automatisch Herr über alle irdischen Güter sei, müssten zwangsläufig alle Dinge allen Auserwählten, und das heißt allen Mitgliedern der wahren Kirche, gemein sein. Neben dieses gewissermaßen utopische Ideal tritt in Wyclifs Summa theologie der gegenwartsbezogene Ruf nach Reform der Amtskirche, die durch den weltlichen Arm von allen Verwicklungen in weltliche Angelegenheiten befreit werden solle. Als legitimes Mittel hierfür sieht er die Zwangsenteignung des verdorbenen Klerus an, durch die jener in den urkirchlichen Zustand zurückzuversetzen sei. Die vermeintliche Ungereimtheit zwischen der Forderung nach Gütergemeinschaft des Klerus auf der einen und der Schwärmerei für eine Gütergemeinschaft der gesamten Christenheit auf der anderen Seite lässt sich nicht allein in Rücksicht auf die unterschiedlichen Perspektiven (lebensnah gegenwartsorientiert hier, idealistisch wunschbildlich dort), sondern auch mit Blick auf Wyclifs Kirchenbild erklären. Die amtskirchliche ecclesia militans sieht er lediglich als irdische Instanz der himmlischen ecclesia triumphans an, wobei ersterer allein der Klerus, letzterer aber alle Auserwählten angehörten. Fordert er also einmal eine Gütergemeinschaft des Klerus und sehnt sie ein andermal für die gesamte Menschheitsgemeinschaft herbei, so dürfte dies im Wesentlichen davon abhängen, welchen der beiden Kirchenbegriffe er jeweils im Sinn hat. So oder so steht für ihn aber fest, dass ein Gemeinschaftsleben frei von Sondereigentum den Optimalzustand ‚der Kirche‘ darstellt. Auch seine generelle Ablehnung der Orden fügt sich in dieses Bild. Da in der Heiligen Schrift nirgendwo die Rede von ihnen sei und das Streben nach Verwirklichung der evangelischen Ideale in der Abgeschlossenheit der Institution dem biblischen Vorbild zuwiderlaufe, seien ihre Ambitionen auf Sukzession der ecclesia primitiva trügerisch. Diesen Anspruch könne allein die Gesamtkirche erheben. Seine Haltung gegenüber den Mönchen bleibt aber ambivalent. Anders als bei Olivi und anderen Vertretern einer rein negativen Auffassung vom zeitlichen Verlauf der Kirchengeschichte – und damit der irdischen Geschichte schlechthin –, die in einer der Heilsgeschichte gegenläufigen, unaufhaltsamen Depravation begriffen sei, liegt nämlich für Wyclif eine diesseitige Erneuerung im Bereich des Denkbaren. Und so könnten die Ideale der großen Ordensgründer und deren Umsetzung – wenn sie denn bloß ernsthaft und ohne Falschheit betrieben würde, was aber, wie die Praxis zeigt, nicht der Fall ist – doch einen Wert als Fanal der Erneuerung gewinnen. Die Gütergemeinschaft der ecclesia primitiva erachtet Wyclif als vollkommene Realisierung der Weisungen Christi. Sie ist Ausdruck der Karitas unter den Ur-

262 Urkirche, Dominium und die Politisierung der Gütergemeinschaft im 14. Jahrhundert christen und trägt zu deren Bewahrung bei. Fürderhin dient sie der Abgrenzung der Auserwählten gegen die Außenstehenden. Weltliches Dominium habe es in der Urkirche nicht gegeben. Da die urchristliche Gütergemeinschaft aber den Urstand wiederhergestellt habe, sei mit ihr ein natürliches Dominium über Temporalien einhergegangen. Nicht eine radikal-asketische Abkehr von allen weltlichen Gütern oder die äußerliche Aufgabe eines jeglichen Dominiums habe die Gemeinschaft ausgezeichnet, sondern ihre geistige Loslösung von der Sorge um das Irdische sowie ihr kluges Maßhalten im Gütergebrauch. Gattungsspezifische Unterschiede zwischen Wyclifs Bild von der ecclesia primitiva im Traktat De civili dominio und demjenigen in seiner Postilla super totam Bibliam betreffen ausschließlich Schwerpunktsetzung und Ausführlichkeit. So fasst er sich in letzterer knapper und konzentriert sich stärker auf die spirituelle Tragweite der Gütergemeinschaft. Doch auch im Genre des klassischen Bibelkommentars lässt er keinen Zweifel daran, dass seines Erachtens die urkirchliche Güterlehre universales, überzeitliches Vorbild für die gesamte Christenheit sein müsse. John Wyclifs Auslegung der ecclesia primitiva sollte die wirkmächtigste des späten Mittelalters werden. Sie war zugleich die letzte vor der lutherischen Reformation, die eine eigenständige und innovative Tropologie der apostolischen Güterordnung hervorbrachte. Die prinzipielle Politisierung der urchristlichen Gütergemeinschaft, die bei den Augustineremiten des frühen 14. Jahrhunderts ihren Ausgang nahm, ist mit ihr endgültig vollzogen.

V. SYNOPSE: VON DER VITA REGULARIS ZUR TOTA UNIVERSITAS HOMINUM Der Wanderprediger John Ball († 1381), der sich mittels seiner rhetorischen Begabung zu einem der Führer der Peasant’s Revolt im Jahre 1381 aufschwang,1 soll – so jedenfalls berichten es die Fasciculi Zizianorum2 – vor seiner Hinrichtung ein Geständnis abgelegt haben, in dem er bekannte, zwei Jahre lang John Wyclifs Schüler in Oxford gewesen zu sein.3 In seinen monumentalen Chroniques lässt Jean Froissart († um 1404) ebendiesen John Ball vor zusammengelaufenem Volk in der Grafschaft Kent verkünden: „Liebe Leute, die Dinge können nicht gut laufen in England und werden es nicht, bevor nicht alle Dinge gemein sind und es keine Leibeigenen und keine feinen Leute mehr gibt und wir nicht alle gänzlich gleich sind.“4

Wie viel historische Faktizität hinter diesen fraglos bewusst diffamierenden Zuschreibungen steckt, ist umstritten, hat in ideengeschichtlicher Perspektive letzthin aber geringe Relevanz. Denn unabhängig von ihrer Provenienz und ihrem Wahrheitsgehalt dokumentieren sie unzweifelhaft, dass die Idee einer gesamtgesellschaftlichen Aufhebung von Privateigentum bereits um die Wende zum 15. Jahrhundert eng mit Wyclifs Namen verbunden war. Vom Fortleben dieser Assoziation in den folgenden Jahrzehnten zeugt besonders eindrücklich die Gemeinschaft der Taboriten, jener hussitischen Splittergruppe, die in den Jahren 1419/20 im südlichen Böhmen eine auf der Nachahmung der urchristlichen Gütergemeinschaft basierende Gesellschaftsform errichtete, die Norman Cohn in Anbetracht der ihr zugedachten Funktion als „embryonic society“ – das heißt Ausgangspunkt universaler Reform – bezeichnete.5 In der 1427 entstandenen Confessio Taboritarum nehmen 1 2

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Zu ihm Richard B. Dobson, Art. „Ball, John, englischer Geistlicher, Führer des englischen Bauernaufstandes von 1381 († 1381)“, in: LMA 1 (1980), Sp. 1382 f. Bei den Fasciculi Zizianorum Vuiclevi handelt es sich um eine wahrscheinlich 1439 entstandene, von der Forschung mit Thomas Netter assoziierte, jedenfalls aber wohl aus karmelitischen Kreisen stammende Kompilation von Dokumenten zu den Kontroversen, die Wyclifs Werk im 14. Jahrhundert aufgeworfen hatten, sowie den mit ihm assoziierten Unruhen. Ed. Walter W. Shirley, Fasciculi Zizaniorum Magistri Johannis Wyclif cum tritico, London 1858. […] confitebatur publice eis quod per biennium erat discipulus Wycclyff, et ab eo didicerat hæreses quas docuit […]. Fasciculi, ed. Shirley, S. 273. Übereinstimmende Zeugnisse in anderen Quellen bei Hudson, Premature Reformation, S. 67 mit Anm. 44. – Zur vieldiskutierten Frage des Zusammenhangs zwischen Wyclifs Lehre und der Peasant’s Revolt s. nur Workman, John Wyclif, Bd. 2, S. 237–240; K. Bruce McFarlane, John Wycliffe and the Beginnings of English Nonconformity, London 1952, S. 99 f.; Hudson, Premature Reformation, S. 66–69. Bonnes gens, les coses ne poent bien aler en Engletière ne iront jusques à tant que li bien iront tout de commun et que il ne sera ne villains ne gentils homs, que nous ne soions tout ouni. Chroniques de J. Froissart, ed. Gaston Raynaud, Bd. 10: 1380–1382, Paris 1897, S. 96. Zu den Taboriten insgesamt Cohn, Pursuit, S. 205–222; das Zitat S. 210.

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Synopse: von der vita regularis zur tota universitas hominum

Wyclifs Schriften eine äußerst prominente Rolle ein6, und es ist kaum zu übersehen, dass das gesamte sozialtheologische Konzept der Taboriten im Wesentlichen aus Wyclif’schem Gedankengut gestrickt war. Ebenfalls im Revolutionsjahr 1419 predigte Jan Želivský in Prag über die wünschenswerte Wiederherstellung der Urkirche und entfaltete dabei ein antirömisches, antimonastisches Programm, das geradezu als überspitzter Konspekt des ecclesia primitiva-Bildes John Wyclifs gelesen werden kann.7 Bis Gabriel Biel 1477 sein aus den spätmittelalterlichen Diskursen geschöpftes Referat über die traditionellen Argumente für die vita communis vornahm, sollten noch knapp sechzig Jahre vergehen, bis zum Oberrheinischen Revolutionär und der Utopia des Thomas Morus mit ihren neuerlichen Orientierungen an der Gütergemeinschaft weitere drei bis vier Dezennien. Davor standen die ersten Gemeindebildungen der Böhmischen Brüder, unter denen von Beginn an zumindest die Prediger frei von Privateigentum sein sollten.8 Die genauen Tradierungswege zwischen dem Ideengut der ecclesia primitivaVorstellungen des späteren Mittelalters und den literarischen und praktischen Gesellschaftsentwürfen seit der Wende zum 16. Jahrhundert sind im Einzelnen freilich nicht immer einfach nachzuvollziehen und führen auf Zusammenhänge, die hier nicht mehr verfolgt werden können.9 Dass die exegetische und theologische Deutung und Umdeutung der urchristlichen Gütergemeinschaft im 13. und 14. Jahrhundert unter maßgeblicher Mitwirkung Petrus Olivis und John Wyclifs wesentlich zu Konjunktur und Vielfalt entsprechender Entwürfe an der Epochenschwelle beitrugen, dürfte aber kaum zu bestreiten sein. Insbesondere der Gedanke einer außermonastischen, nicht durch klare Umgrenzungen von einer anders organisierten Außenwelt geschiedenen, vielmehr als Alternative gedachten, auf universaler Gütergemeinschaft gründenden Gesellschaftsordnung nimmt ihren ideengeschichtlichen Ausgang von der Urkirchenrezeption des Spätmittelalters. Eine Zusammenführung der elementaren Fäden der vorliegenden Untersuchung mag dies nochmals verdeutlichen. 6 7 8

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Vgl. oben, S. 17, Anm. 21. S. Alberto Cadili, Ecclesia moderna und ecclesia primitiva in den Predigten des Jan Želivský (Prag 1419), in: Archi Verbi 9 (2012), S. 86–135. Zu den Böhmischen Brüdern i. A. s. Rudolf Řícan, Die Böhmischen Brüder. Ursprung und Geschichte, 2., überarb. Aufl., Basel 2007; zu ihrer Verfassung bes. ebd., S. 27–33. Auf einen ideengeschichtlichen Zusammenhang zwischen den Böhmischen Brudergemeinden und dem Oberrheiner verweist Lauterbach, Geschichtsverständnis, S. 295. Zum ideengeschichtlichen Konnex zwischen Wyclif und dem Oberrheiner s. Lauterbach, Geschichtsverständnis, S. 72–108; zu den Verbindungen zwischen Oberrheinischem Revolutionär und der Utopia s. Dümling, Vita-Communis-Idee; Volkhard Huth, Dr. Jacob Merswin / Straßburg, Walter Gallus / Rufach, Daniel Schwegler / Basel und ihr kommunikatives Umfeld. „Entdeckung des Selbst“ und revolutionäre Gesellschaftsdeutung, in: Angelika Westermann / Stefanie von Welser (Hrsgg.), Person und Milieu. Individualbewusstsein? Persönliches Profil und soziales Umfeld (= Neunhofer Dialog, 3), Husum 2013, S. 151–180, bes. S. 161 f., 179 f. – Thomas Morus urteilte negativ über Wyclif (s. nur Workman, John Wyclif, Bd. 2, S. 185), ordnete sich mit der Konzeption einer gütergemeinschaftlichen Gesellschaftsordnung unter (zumindest mittelbarem) Bezug auf die ecclesia primitiva aber gleichwohl in dieselben ideengeschichtlichen Traditionen ein wie dieser.

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Seit den Ursprüngen des zönobitischen Mönchtums zählten der Verzicht auf Privateigentum und das gemeinsame Leben in Gütergemeinschaft zu den tragenden Säulen der vita regularis. In den klassischen Regeltexten von Basilius und Cassianus bis zur Regula Benedicti und dem Reformmönchtum des 11. und 12. Jahrhunderts wurde dieser Grundzug des regulierten christlichen Lebens stets mit Rekurs auf die Gemeindesummarien in Kapitel zwei und vier der Apostelgeschichte nach Lukas motiviert. Das Mönchtum galt in der mittelalterlichen Vorstellungswelt als legitimer Erbe der Urchristen. In den bedeutendsten exegetischen Interpretationen der Acta apostolorum aus dem früheren Mittelalter, so etwa bei Beda und Hrabanus Maurus, ist diese Wahrnehmung markant abgebildet. Über sie nahm die Identifikation von Urchristen und Mönchen schließlich Eingang in die Glossa Ordinaria und damit in die spätmittelalterliche Schulauslegung. Mit der Entstehung des Franziskanerordens und der päpstlichen Approbation der Regula bullata 1223 kam es zu einer nachhaltigen Verunklarung dieser althergebrachten Deutungsmuster. Denn anders als die früheren Ordensregeln bezogen sich die Franziskaner in ihrem Entwurf der vita evangelica, zu dessen ureigenen Merkmalen der völlige Verzicht nicht nur auf persönliches, sondern auch auf gemeinsames Eigentum gehörte, bewusst nicht mehr auf die biblischen Dokumente über die Jerusalemer Urgemeinde. Gleichwohl trugen sowohl externe Beobachter wie Jakob von Vitry als auch interne Förderer und Führer des Ordens wie Thomas von Celano das urkirchliche Vorbild schon früh an den Orden heran und verwiesen so unwillkürlich auf die Diskrepanz zwischen der klassischen Auslegung der urchristlichen Gütergemeinschaft als einer Besitzgemeinschaft und der franziskanischen Konzeption einer besitzlosen Gemeinschaft. Auf diese Weise fügten sie der ohnehin nicht kurzen Liste der Punkte, die Vertreter des Weltklerus, aber auch der Dominikaner und des älteren Mönchtums Anstoß an der franziskanischen Bewegung nehmen ließen, unvermutet einen weiteren hinzu. Bereits seit der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts hatten Päpste Erklärungen erlassen und gelehrte Minoriten apologetische und erörternde Traktate verfasst, um die minoritische Lebensweise gegenüber ihren Kritikern zu rechtfertigen. Die wirkmächtigsten Theoreme, die in diesem Rahmen etabliert und um deren Akzeptanz in unvorhersehbarer Schärfe und über einen unvorhersehbar langen Zeitraum hinweg gerungen werden sollte, waren fraglos das von Bonaventura ersonnene und von Gregor IX. bestätigte Modell eines simplex usus facti, sprich der Möglichkeit eines gänzlich rechtsfreien Gütergebrauchs, sowie die Behauptung der gemeinsamen Eigentumslosigkeit Christi und der Apostel. Überdies postulierten wiederum Bonaventura und andere Franziskaner nach ihm eine qualitative Unterscheidung zwischen den Aposteln und der Gemeinschaft der übrigen Gläubigen in der Urgemeinde und schrieben, in Verlängerung der franziskanischen Lesart der Evangelien, ersteren gleichsam protofranziskanische Besitzlosigkeit zu, charakterisierten letztere aber im Sinne der traditionellen Urchristen-Mönch-Analogie als gütergemeinschaftlich verfasst. Unter dem Eindruck dieser neueren Entwicklungen und in Auseinandersetzung mit der exegetischen Tradition stellte Petrus Iohannis Olivi als erster Franziska-

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ner überhaupt zwischen 1287 und 1298 eine Exegese der Apostelgeschichte an.10 In präzedenzloser Ausführlichkeit und in außergewöhnlichem hermeneutischem Tiefgang ging er dabei dem Unterfangen nach, die Ordnung der urchristlichen Gemeinde mit dem franziskanischen Lebensentwurf – genauer: mit seinem am Konzept der perfectio evangelica und eines usus pauper orientierten Verständnis desselben – zu versöhnen. Die urchristliche Gemeinschaft einschließlich der Apostel deutete er dementsprechend als egalitäre, universale Gebrauchsgemeinschaft bar jeglicher Eigentumsrechte und -ansprüche. Zur Unterstützung dieser Deutung zog er den pseudoisidorischen Clemensbrief Dilectissimis heran. In ihm meinte er den Nachweis dafür gefunden zu haben, dass die Jerusalemer Urgemeinde die Verhältnisse des prälapsarischen Urstandes wiederhergestellt habe. Da unter diesem aber auch nach der orthodoxen Lesart und selbst laut der gängigen kanonistischen Interpretation eine die gesamte Menschheit umfassende rein naturrechtlich konstituierte, eigentumsfreie Gemeinschaft bestanden hatte, führte die Dekretale Olivi zwangsläufig zu der Folgerung, dass ebendies nicht allein für die abgeschlossene Urgemeinde oder den einzelnen Ordenskonvent, sondern für die gesamte Menschheitsgemeinschaft der Idealzustand sein müsse. Die Entgrenzung des Vorbilds der ecclesia primitiva war mithin gleichsam zwangsläufige Konsequenz aus der zutiefst franziskanischen Lektüre der Apostelgeschichte. Unter dem Einfluss joachimitischer Schematik schrieb Olivi der urchristlichen Gütergemeinschaft zudem eine heilsgeschichtliche Bedeutung zu. Wenn sowohl im Zeitalter des Vaters vor dem Sündenfall als auch im Zeitalter des Sohnes vor der Konstantinischen Schenkung in der christlichen Gesellschaft kein Eigentum existiert hatte, dann konnte dasselbe für das Zeitalter des Geistes erwartet werden. Der Franziskanerorden, der sich die völlige Lossagung von weltlichen Gütern auf die Fahnen geschrieben hatte, durfte sich daher die Rolle des Vorreiters dieses dritten Zeitalters zuschreiben. Darüber hinausgehende programmatische Züge nahm Olivis utopistische Projektion der ecclesia primitiva jedoch nicht an. In seiner Geschichtstheologie war die mit der Verwicklung in weltliche Gewalt und weltlichen Besitz einhergehende Depravation heilsgeschichtlich notwendig, um die zukünftige Statuswende herbeizuführen. Wenige Jahre später nahmen Papalisten insbesondere aus den Reihen der Augustiner, angeregt durch den Konflikt zwischen Bonifaz VIII. und Philipp dem Schönen, grundlegend andere, ja geradezu konträre Ableitungen aus der urchristlichen Gütergemeinschaft vor. Von ihnen nahm die grundsätzliche Politisierung des Topos seinen Ausgang. So sprach Aegidius Romanus in seinem 1302 entstandenen Traktat De ecclesiastica potestate dem Papst volles spirituelles und weltliches Do10

Frühere exegetische Annäherungen an die Apostelgeschichte aus franziskanischen Kreisen könnten im Rahmen größerer Werke bibelkundlichen Charakters Antonius von Padua († 1231) und Alexander von Villedieu († um 1250) zugesprochen werden. Ersterem wird gelegentlich eine Biblia cum scholiis (Stegmüller, RB, Nr. 1381,3) zugeschrieben, letzterer verfasste ein Summarium Biblicum cum commentario (Stegmüller, RB, Nr. 1177–1182), bei dem es sich allerdings weniger um eine Exegese im eigentlichen Sinne als vielmehr um eine metrische Zusammenfassung der Heiligen Schrift zum Zweck der Memorierung handelt. Vgl. Stuehrenberg, Study, S. 122, Nr. 13,4 & 13,5.

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minium zu und erklärte ihn damit zum obersten Sachwalter aller irdischen Güter. Die Urgemeinde, in der den Aposteln alle Besitztümer zu Füßen gelegt worden seien und diese aus ihrer Kompetenz heraus das Dominium an die sieben Diakone übertragen hätten, galt ihm als Beleg dafür, dass gerechter Besitz von Temporalien in postlapsarischer Zeit nur in sakramentaler Vermittlung durch den Klerus gewonnen werden könne. Die Möglichkeit zum Besitz irdischer Güter war laut Aegidius auch im Urstand vorhanden und nicht etwa erst mit dem Sündenfall entstanden. Zur direkten Konfrontation der beiden widersprüchlichen ecclesia primitivaBilder kam es im Theoretischen Armutsstreit der 1320er Jahre. Im Konflikt mit Papst Johannes XXII. machten sich die Franziskaner Bonagratia von Bergamo, Michael von Cesena und Wilhelm von Ockham die von Olivi geprägten Vorstellungen von der urchristlichen Gütergemeinschaft zu eigen. Der Papst wiederum schöpfte aus dem Ideengut des Aegidius und der Augustiner. Während erstere daran festhielten, dass sowohl die Apostel als auch die übrigen Gläubigen in der Urgemeinde keinerlei individuelles oder gemeinschaftliches Eigentum an Temporalien gehabt hätten und diese Auffassung durch zivilrechtliche Terminologie zu stützen suchten, spann Johannes die Einlassungen des Aegidius dahingehend fort, dass gerade das gemeinschaftliche Dominium wesentliches Merkmal der Gemeinde gewesen sei. Deshalb habe sie in der Tat den Urstand erneuert, in dem die Dinge genau so gestanden hätten. Auch das Ausmaß der Vergemeinschaftung der Güter in Jerusalem beurteilte Johannes XXII. anders als die Franziskaner. Seines Erachtens umfasste sie keineswegs alle Besitztümer der Gemeindemitglieder, woraus er schloss, dass auch individuelle Eigentumsrechte in der Gemeinschaft weiter bestanden hätten. Zu einer Lösung führte der Konflikt zu Lebzeiten seiner Urheber nicht, sodass er in der Folgezeit Gelehrte unterschiedlichster Couleur zu immer neuen Stellungnahmen herausforderte. Unter diesen sticht der Erzbischof von Armagh Richard FitzRalph besonders hervor. Um die Mitte des 14. Jahrhunderts formulierte dieser seine Thesen von der Abhängigkeit aller Formen weltlicher Gewalt vom Dominium Gottes, die nicht zuletzt auf einen Ausgleich zwischen den profranziskanischen Ansichten Gregors IX. und denen Johannes XXII. zielten. Wie letzterer las er die urchristliche Gütergemeinschaft als eine Gemeinschaft des Dominium, betonte aber, dass es sich dabei allein um ein natürliches und nicht etwa um ein weltliches Dominium gehandelt habe. Mit ihm ginge durchaus eine gemeinsame Verfügungsgewalt über Temporalien einher, wie sie auch im Urstand in Kraft gewesen sei, nicht aber ein Besitzrecht im Sinne menschlicher Gesetze. Diese Form der Gütergemeinschaft galt ihm als Ideal für die gesamte Menschheit. Im Klerus seiner Zeit, dessen Begüterung in seinen Augen ganz den Bedingungen des dominium naturale bzw. originale entsprach, sah er dieses Vorbild realisiert, die urchristliche Lebensweise bewahrt. Gerade zum letztgenannten Punkt stand der Oxforder Philosoph und Theologe John Wyclif, der in den 1370er und 80er Jahren mittels des Maßstabs der Heiligen Schrift eine detaillierte Vermessung der gesellschaftlichen, politischen, ökonomischen, rechtlichen und religiösen Zustände seiner Zeit anstellte, völlig anders. Als Anhänger der geschichtstheologischen Niedergangsthese sah er die Amtskirche in allen Aspekten als depraviert an. Durch die Anmaßung unbiblischer Titel und Äm-

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ter, durch Hierarchisierung und Verrechtlichung und freilich nicht zuletzt durch die Annahme weltlichen Dominiums sei sie im Laufe der Zeit mehr und mehr vom Idealzustand der ecclesia primitiva abgewichen. Deren Gemeinschaftsleben betrachtete Wyclif als Verlängerung des in den Evangelien dokumentierten Lebenswandels Christi und der Apostel, ihre Gütergemeinschaft als Ergebnis der völligen Entäußerung allen Individualbesitzes beim Eintritt in die Gemeinde. Anders als die Franziskaner und ähnlich wie FitzRalph sprach er den Urchristen unter den Bedingungen natürlichen Dominiums durchaus Verfügungsgewalt über die gemeinschaftlichen Temporalien zu. Das dominium naturale als irdische Instanz göttlichen Dominiums habe bereits im Urstand existiert und sei daher der apostolischen Christenheit, die den status innocentiae erneuert habe, unwillkürlich zugefallen. Mit den Papalisten und FitzRalph stimmte Wyclif des Weiteren darin überein, dass jedes gerechte Dominium gänzlich abhängig sei von der Gnade Gottes. Eine sakramentale Vermittlung derselben war seinem Denken jedoch völlig fremd. Da das Zuteilwerden der Gnade oder der Ausschluss aus ihr für jeden einzelnen Menschen seines Erachtens allein durch den verborgenen Ratschluss Gottes bestimmt war, konnten überdies Geistliche nicht mehr oder weniger sicher als andere Personen davon ausgehen, gerechtes Dominium zu üben. Daher war laut Wyclif zumindest für den Klerus, der stärker als Laien auf die Vermeidung von Sünde bedacht sein musste, Gütergemeinschaft bar jeglichen zivilen Dominiums geboten. Diesen Zustand in der Amtskirche herbeizuführen, erklärte er zur politischen Aufgabe der weltlichen Machthaber, die notfalls unter Anwendung von Zwang erfüllt werden sollte. Über diese konkret politischen Folgerungen hinaus lässt sich auch bei Wyclif eine starke Inklination zur Idee einer Gütergemeinschaft der gesamten Menschheit ausmachen. Sie speiste sich aus augustinischer und antiker Tradition, konnte in seinem System aber nur bestehen, weil sie exegetisch affirmierbar war. Da nach seiner Vorstellung alle Regeln des christlichen Lebens schon in der Heiligen Schrift enthalten waren, er in ihr aber keine Bestätigung für die Legitimität von Sonderreligionen zu finden vermochte, schieden die Orden als Bewahrer der urchristlichen Lebensweise sämtlich aus. Auch seine Idee von der wahren Kirche, die nicht mit ihrer irdischen, amtskirchlichen Instanz übereinstimmte, sondern in der Gemeinschaft aller sich im Gnadenstand befindlichen Auserwählten bestand, wurzelte im Bibelstudium. Sie führte ihn zu der Überzeugung, dass eine Gemeinschaft der Güter unter der lex Dei gleichsam den Normalzustand der Christenheit darstellte, dessen Wiederherstellung in diesem Säkulum durchaus im Bereich des Denkbaren lag. Zum Plan erhob Wyclif selbst diesen Gedanken zwar nicht, gleichwohl war die Politisierung des Topos der urchristlichen Gütergemeinschaft durch seine Lesart der ecclesia primitiva und durch die Folgerungen, die er aus ihr ableitete, nachhaltig und wirkmächtig vollzogen. Für seine Anhänger und die Anwender seiner Lehren war es nur noch ein kleiner Schritt vom Glauben an die Möglichkeit der Regeneration zum praktischen Umsetzungsversuch, für auf ihn folgende kritische Denker nur noch ein kurzer Weg von der Forderung der Enteignung des Klerus zum politischen Fernziel einer diesseitigen Gütergemeinschaft der tota universitas hominum. Von diesen Konzepten wiederum laufen durchaus konkrete ideengeschichtliche Verbindungslinien hinüber zum Gedankengut neuzeitlicher kommunistischer

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Theorie, doch führen diese durch Bereiche, die nicht mehr im Skopus der vorliegenden Arbeit stehen.

ABKÜRZUNGEN ad loc. = ad locum AFH = Archivum Franciscanum Historicum ALKG = Archiv für Litteratur- und Kirchengeschichte des Mittelalters Bull. Franc. = Bullarium Franciscanum CCSL = Corpus Christianorum, Series Latina CSEL = Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum De Civ. Dom. = John Wyclif, De civili dominio HRG = Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte LMA = Lexikon des Mittelalters LSAA = Petrus Iohannis Olivi, Lectura super Actus Apostolorum LTK = Lexikon für Theologie und Kirche Migne, PG = Jacques Paul Migne, Patrologia Cursus Completus, Series Graeca Migne, PL = Jacques Paul Migne, Patrologia Latina Cursus Completus NDB = Neue Deutsche Biographie Q(Q)PE = Petrus Iohannis Olivi, Quaestio(nes) de perfectione evangelica RB = Repertorium Biblicum Medii Aevi RegBull = Regula bullata TRE = Theologische Realenzyklopädie

LITERATURVERZEICHNIS 1. QUELLEN 1.1 Ungedruckt a.) erwähnte Handschriften Anonymus (zugeschrieben John Wyclif), Postilla super Actus Apostolorum, Universitätsbibliothek Budapest, Cod. Lat. 66. Hrabanus Maurus, Tractatus super Actus, Universitätsbibliothek Cambridge, Cod. Ee III 51, fol. 195–241. Jan von Příbram (?), Tractatus de sacramentis et ritibus contra adversarium quendam Taboriensem, Nationalbibliothek Prag, Cod. VIII.G.13, fol. 186r–197r. Jan Rokycana, De septem culpis Taboritarum, Metropolitankapitel Prag, Cod. D 88, fol. 193v–195r. John Wyclif, De civili dominio I, Österreichische Nationalbibliothek Wien, Cod. 1341, fol. 1–152. John Wyclif, Postilla super Actus apostolorum, Magdalen College Oxford, Cod. 55, fol. 293–307; Bodleian Library Oxford, Cod. 716, fol. 133–147; Nationalbibliothek Prag, Cod. VIII.F.9, fol. 145–172; Nationalmuseum Prag, Cod. XIII.F.9, fol. 133–157; Österreichische Nationalbibliothek Wien, Cod. 1342, fol. 294–323. John Wyclif, Postilla super totam Bibliam, Österreichische Nationalbibliothek Wien, Cod. 1342; Nationalbibliothek Prag, Cod. III.F.20; Nationalbibliothek Prag, Cod. VIII.F.9; Nationalmuseum Prag, Cod. XIII.F.9; Bodleian Library Oxford, Cod. 716; Magdalen College Oxford, Codd. 55 und 117; St. John’s College Oxford, Cod. 171 (alle partiell). Petrus Iohannis Olivi, Lectura super Actus Apostolorum, Biblioteca Marucelliana Florenz, Cod. 276, fol. 1r–87r; Universitätsbibliothek Leipzig, Cod. 162, fol. 1r–63v; Universitätsbibliothek Padua, Cod. 1510, fol. 1r–201r; Universitätsbibliothek Bologna, Cod. 2799, fol. 83r–89r (Kap. 1, partiell); Nationalbibliothek Neapel, Cod. VII AA 45, fol. 1r–138r (Kap. 1–17); Biblioteca communale Siena, Cod. U.V.5, fol. 58v–59r (Kap. 17 & 21, partiell). Petrus Iohannis Olivi, Lectura super Apocalipsim, Bibliothèque Nationale Paris, Cod. lat. 713.

b.) zitierte Handschriften Anonymus (zugeschrieben John Wyclif), Postilla super Actus Apostolorum, Universitätsbibliothek Budapest, Cod. Lat. 66. Hrabanus Maurus, Tractatus super Actus, Universitätsbibliothek Cambridge, Cod. Ee III 51, fol. 195–241. John Wyclif, Postilla super Actus apostolorum, Nationalbibliothek Prag, Cod. VIII.F.9, fol. 145– 172.

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REGISTER BIBELSTELLENINDEX Gen 1 189 Gen 1,28 159 Gen 3,19 74 Ex 26,5 88 4 Mose 18,20186 Dtn 15,4

152

Ps 133,1 109 Ps 133,1–2 229 Spr 17,6 211 Sir 3,33

239

Mt 6,24 231, 258 Mt 6,34 258 Mt 10 258 Mt 10,9 158, 166 Mt 10,9–10 168 Mt 19,21 126–134 Mt 23,23 222 Mt 25,40 55 Mk 6,8 158 Mk 10,21 128 Lk 1,78 141 Lk 9,3 158 Lk 10,1–24 233 Lk 10,4 158 Lk 12,33 82 Lk 18,22 128 Joh 12,6 58 Joh 13,29 58 Joh 19,11 236 Röm 15,26

131, 170

1 Cor 1,26 170 1 Cor 3,22 238

1 Cor 9 174, 258 1 Cor 9,11 174 1 Cor 9,11–14 222 1 Cor 9,14 174 1 Cor 10,25 94 1 Cor 10,27 94 2 Cor 6,10 185, 187 2 Cor 8 258 2 Cor 8,2 89 2 Cor 8,14 131, 170 2 Cor 11,27 168 Gal 2 255 Gal 2,10 170 Eph 4,5 Kol 1,16 Kol 3,12 1 Tim 6,7

140 188 141 168

Phil 3,8 168 Apg 1,14 66 Apg 1,15 79 Apg 2 72, 101, 147, 156, 227, 238, 257 Apg 2,41 78 Apg 2,42 72 f., 75 f., 78, 169 Apg 2,42–46 72, 99, 126, 131, 133 Apg 2,42–47 19 f., 72, 144, 166, 256 Apg 2,43 76, 78 f. Apg 2,43–44 76 Apg 2,44 39, 76–81, 84 f., 101, 107, 131, 153, 184 Apg 2,44–45 146 Apg 2,44–45 34 Apg 2,44–46 76 Apg 2,45 93 Apg 2,45–46 169 Apg 2,46 75, 94 f., 98 Apg 2,46–47 94 Apg 2,47 72, 76, 94, 134

304

Register

Apg 3 259 Apg 3,1 134 Apg 3,1–10 89 Apg 3,32 184 Apg 3,5 170 Apg 3,6 138, 158 Apg 4 14, 66, 101, 112, 126 f., 130, 150, 156, 190, 207, 212, 227, 238, 243, 254, 256, 259 Apg 4,1 134 Apg 4,31 138 Apg 4,31–32 137 Apg 4,31–35 139 Apg 4,32 20, 34 f., 83 f., 88, 106, 112, 119 f., 127, 134–152, 184, 226 f., 230, 245 Apg 4,32–35 19 f., 34, 228 Apg 4,32–37 100, 116 Apg 4,32–5,11 20 Apg 4,32ff 25 Apg 4,33 105, 119, 135, 152–154, 230 f. Apg 4,33–34 154 Apg 4,33–35 152 Apg 4,34 20, 126, 152, 154, 238 Apg 4,34–35 149, 152, 202, 230, 234 Apg 4,34ff 101 Apg 4,35 34, 212, 120, 129, 157 f., 164, 166, 169, 180, 187, 190 f., 202, 212, 233 Apg 4,36 135 Apg 4,36–37 138

Apg 4,37 75, 169 Apg 5 156, 256 f. Apg 5,1 135 Apg 5,1–11 127, 130, 178 f., 180 Apg 5,1ff 130 Apg 5,4 179 Apg 5,11 135 Apg 5,12 135 Apg 5,12–16 134 Apg 5,16 134 Apg 6 155, 160, 187, 222, 233, 258 Apg 6,1 89, 154, 157 Apg 6,1–2 169 Apg 6,1–7 187 Apg 6,2 169, 258 Apg 6,5 217 Apg 9,36 89 Apg 11,27–33 131 Apg 12,8 252, 257 Apg 19,19 67 Apg 20 258 Apg 21 91 1 Petr 5,7

258

1 Joh 3,17 229 Off 2,6–15

217

PERSONEN UND ORTE Personen der Antike und des Mittelalters sind nach dem Vornamen sortiert, moderne Autoren nach dem Nachnamen. Letztere sind nur bei Erwähnung im Haupttext, umfänglichen Zitationen oder näheren Einordnungen ihrer Arbeit nachgewiesen. Accursius 49 Aegidius Romanus 31, 36, 183–191, 195 f., 210, 260, 266 f. Albertus Magnus 122 Alexander von Hales 51, 53 Alexander von Villedieu 266 Ambrosius 68, 125, 158 Amphilochius von Ikonium 166 Anselm von Havelberg 118 Anselm von Laon 29 Antonius „der Große“ 126 Antonius von Padua 95 f., 266 Arator 166–168

Aristophanes 39 Aristoteles 14, 33, 39–42, 80–84, 141, 153, 215, 217–220, 229, 245, 255 Armagh 192, 260, 267 Assisi 87 Athanasius „der Große“ 126 f. Augustinus (Kirchenvater) 14, 29, 34, 68, 120–125, 136–139, 153, 157, 209, 211, 214–216, 220, 228 f., 242–244, 246, 250 Augustinus Triumphus 190 Avignon 151, 191, 195 Azo von Bologna 49 Bartholomäus von Pisa 114

Personen und Orte Bartolus de Saxoferrato 151 Basilius 119, 166, 194, 265 Beda 29, 68, 74, 84, 105–107, 119 f., 125, 134, 137, 140 f., 147 f., 153–155, 157 f., 167, 229–231, 265 Benedikt von Aniane 143 Benedikt von Nursia 125, 172, 194, 214, 242, 247, 250 Benrath, Gustav Adolf 214, 253 Bernhard (Gefährte des Franziskus) 128 Bernhard von Clairvaux 77 f., 136, 169 Bernhardin von Siena 65, 67, 70 Bloch, Ernst 21 f. Böhmen 204, 251, 253 Bologna 47, 67 Bonagratia von Bergamo 58, 91, 149, 151, 160, 197, 267 Bonagratia von S. Giovanni in Persiceto 90 Bonaventura von Bagnoregio 56, 59 f., 64, 70 f., 83, 87, 91, 96, 101, 103, 106 f., 111, 114, 119, 131, 137, 141, 146 f., 150, 161, 163, 165, 169, 173, 186, 194, 198, 208, 212 f., 247 f., 265 Bonifatius VIII. (Papst) 185, 189, 192, 266 Boreczky, Elemér 209, 220 Bourges 183 Brock, Russell Oliver 202 Brooke, Rosalind B. 53 f. Brügge 240 Budapest 254 Burgundio von Pisa 137 f. Burr, David 63, 68, 91 f., 115, 132 Caesaria 166 Caesarius von Arles 127 Calcidius 43 Canterbury 71 Cassiodor 137 Cicero 14, 153 Clemens I. (Papst) 112 Clemens VI. (Papst) 192 Clemens von Alexandrien 127 Cohn, Norman 263 Coloestin V. (Papst) 61 Conrad von Offida 61 Corbie 46 Dakin, Arthur 249 Dante Alighieri 65 Dawson, James Doyne 191–193, 198 f., 203 Demetrias 167 f., 179 Dietrich von Freiberg 122 f. Diogenes Laertius 39 Ditsche, Magnus 23 f., 25 Dominikus (Heiliger) 214

305

Doren, Alfred 84 Doucet, Victorin 66 Dyson, Robert W. 187 Ehrle, Franz 63 f., 66 Elias von Cortona 128 England 192, 204, 235, 251, 255, 263 Erasmus von Rotterdam 137 f. Esser, Kajetan 86 Eusebius 14 Evagrius von Antiochien 126 Farr, William 219 f. Feld, Helmut 53, 86 Flavius Josephus 14 Flood, David 53 f., 68, 110, 113, 115, 121 Florenz 67, 69 f., 173 Forni, Alberto 115 Foucault, Michel 12, 28 Franz von Assisi 48 f., 52, 70, 80, 86–90, 93–97, 111, 114, 117 f., 128 f., 162, 170, 182, 184, 197, 214, 242, 249 f. Froben, Johann 137 Fuhrmann, Horst 45, 110 Gabriel Biel 11, 13 f., 19, 264 Garnsey, Peter 66, 107, 118, 148 Genua 56 Gerardino di Borgo San Donnino 114 Gerhard von Abbeville 59, 173 Gloucester 240 Goertz, Hans-Jürgen 16 f. Gratian 42–46, 102, 109–111 Gregor I. (Papst) 121, 125, 172, 246 f. Gregor VII. (Papst) 12 Gregor IX. (Papst) 49–52, 56, 88, 128, 213, 265 Gregor XI. (Papst) 221 Gregor von Boselli 56 Guibert von Tournai 163 f. Heiliges Römisches Reich 162 Heinrich von Gent 247 Henry Bracton 234 f. Hervaeus Natalis 190 Hesiod 21, 38 Hieronymus (Kirchenvater) 19, 26 f., 29, 68, 121, 124, 127, 130 f., 148, 157, 167 f., 179, 232, 246 f. Honorius III. (Papst) 49 Hrabanus Maurus 68, 79, 120, 127, 136, 155, 265 Hugo von Digne 54–56, 104 Hugo von St. Cher 75 f., 79, 85, 94, 120 Huguccio 47 Iamblichos 39 Ikonium 166

306

Register

Innozenz III. (Papst) 13 Innozenz IV. (Papst) 56 f. Irenäus von Lyon 217 f. Isaak von Antiochien 125, 246 Isaak von Ninive 125 Italien 91 Jakob Viterbo 190 Jakob von Vitry 86, 88 f., 265 Jan Hus 208 Jan von Příbram 251 Jan Rokycana 251 Jan Želivský 264 Jean Froissart 263 Jerusalem 19, 28, 84 f., 89, 99, 108 f., 118, 131 f., 147 f., 155, 164, 166, 169, 176, 180, 214, 236, 267 Joachim von Fiore 22, 30, 84, 113–118, 133 Johannes Cassianus 68, 119, 142 f., 168, 265 Johannes Chrysostomus 112, 125, 133, 137 f., 229 Johannes Duns Scotus 247 Johannes Peckham 71, 106, 111, 141 f., 164, 173, 187, 198 Johannes von Rupella 51 Johannes de Rupescissa 151 Johannes simplex (Gefährte des Franziskus) 128 Johannes von St. Paul (Kardinal) 86 Johannes Trithemius 29 Johannes XXII. (Papst) 13, 58, 61, 66, 149 f., 189–192, 194–198, 237 f., 260, 267 John Bale 205, 251 John Ball 263 John Dumbleton 123 John of Gaunt 204, 240 John Wyclif 17, 22, 25, 30 f., 33 f., 36, 44, 186, 188, 192 f., 203–259, 261–264, 267 f. Katalonien 66 Kautsky, Karl 21 f., 25, 137 Kent 263 Koch, Joseph 183 f. Konrad von Eberbach 163 Konstantinopel 137 Konstanz 11, 204 Kriechbaum, Maximiliane 60 Lahey, Stephen 206, 224 f. Languedoc 66 Leff, Gordon 65, 192 Leipzig 67 Lerner, Robert E. 25 f., 35 Leutzsch, Martin 20 f., 24 Levy, Ian Christopher 250 Lewis, Warren 63, 134

Lichfield 191 Lincoln 80, 245 Lohse, Bernhard 242 Lovejoy, Arthur O. 31 f. de Lubac, Henri 25 Lyon 164 Madigan, Kevin 115 Maenan 164 Mailand 42 Manselli, Raoul 115 Manuel Chrysoloras 42 Marsilius von Padua 59, 255 Martin Luther 11, 142, 145 Matthäus von Aquasparta 68, 90 Matthäus Grabow 11 Melchior Hoffmann 17, 66 Metz 57 Michael von Cesena 58, 149–151, 197, 267 Miethke, Jürgen 186, 188, 255 Montpellier 68, 173 Münster 15, 17, 25 Narbonne 57, 63, 66, 164, 173 Neapel 67 Niklashausen 14 Nikolaus III. (Papst) 57, 59 f., 101, 103, 146 f., 194, 197–199, 212, 214 Nikolaus von Lyra 29, 144, 236, 254 „Oberrheinischer Revolutionär“ 14 f., 264 Odo Rigaldus 51 Oexle, Otto Gerhard 20, 84, 137 Olsen, Glenn 23, 26, 246 Origines 68, 125 Oxford 191, 204, 215, 245, 251, 263 Padua 67 Paris 43, 51, 64, 70 f., 97, 115 Paschasius Radbertus 46 Perugia 59, 149 Petrus Abaelard 43, 217 Petrus Comestor 68, 110, 155, 243 f., 256 Petrus Iohannis Olivi 17, 30 f., 34–36, 44, 48, 53, 55–57, 59, 61, 63–85, 89–95, 97–125, 129–135, 140–142, 144–184, 187, 194, 198, 202, 229 f., 235, 237, 246, 254, 261, 264–267 Petrus Lombardus 103, 120, 141 Petrus de Trabibus 65 „Pfeifer von Niklashausen“ 14 Philipp IV. „der Schöne“ 185, 266 Philon von Alexandria 14 Plato 14, 21, 32 f., 38–44, 46, 80–85, 108, 141, 153, 214–219, 229 Poole, Reginald Lane 208 f. Prag 204, 251, 264

Sachen Ps.-Clemens Romanus 45, 47, 83, 109 f., 111 f., 147–149, 190, 199, 201, 203, 211 f. Ps.-Dionysius 79 f., 120, 171 f., 189, 195 Ps.-Tertullian 133 Ps.-Urban I. 121 Pythagoras 38 Richard FitzRalph 31, 36, 186, 188, 191–203, 205, 208, 211 f., 223, 237, 254 f., 260 f., 267 f. Robert von Bascia 51 Robert Grosseteste 80, 245–247, 255 Robinson, Jonathan 32, 150 Rom 86, 204 Sabatier, Paul 95 Saint-Mihiel 139 Salimbene von Parma 71 Schäufele, Wolf-Dietrich 224 Sebastian Franck 15 Seneca 112 Sérignan 63 Siena 67 Signori, Gabriela 143 Simonetta, Stefano 220 Sizilien 38 Skinner, Quentin 17, 32–34, 99, 205 Smalley, Beryl 23, 35, 251, 253 f. Smaragd von Saint-Mihiel 139 f., 143 Sokrates 42, 217 Stephan von Tournai 47 f.

307

Süditalien 38 Thomas von Aquin 21 f., 64 f., 71, 73, 83, 102, 120, 122, 137, 183, 188–190, 208, 215, 230 Thomas von Celano 86, 89, 128, 265 Thomas Morus 15 f., 264 Thomas Müntzer 15, 22, 26 Thomas Netter 234, 263 Timaios von Tauromenion 38 Töpfer, Bernhard 24, 46, 219 Troeltsch, Ernst 22 Ubertino von Casale 65, 71, 77 Uberto Decembrio 42 Varkemaa, Jussi 105 Vienne 142, 183 de Vogüé, Adalbert 143 Wesjohann, Achim 87 Wien 210 Wilhelm von Moerbeke 42 Wilhelm von Nottingham 56 Wilhelm von Ockham 11, 58, 65, 150 f., 192, 225, 267 Wilks, Michael J. 224 f. William of Drogheda 235 Wittneben, Eva Luise 149 Workman, Herbert B. 215, 220 f., 240 Zechiel-Eckes, Klaus 46 Zuckerman, Charles 224

SACHEN Aachener Kanonikerregel 12 Adam (und Eva) 188, 190, 195 f., 199 Almosen 49, 82, 132, 166, 221 f., 231 f., 239, 256 altissima paupertas/höchste Armut 70, 73 f., 77 f., 80–82, 84, 89, 101, 113, 121, 123 f., 125, 154, 170, 176, 182, 196, 198, 202 amicorum communia omnia u.ä. 38 f., 41 f., 46, 109, 200 f., 211 f., 229 Ananias und Saphira 67, 127, 130, 134 f., 138, 143, 156, 178 f., 243 f., 256 Antifraternalismus 192, 249 f. Apokalyptik, s. Eschatologie Apologia pauperum (Bonaventura) 59 f., 91, 103, 106 f., 131, 137, 146, 165, 168, 173 Apostel 19, 35, 58 f., 72, 76, 79, 84, 97 f., 101, 105–107, 109, 111, 119–121, 129, 132, 135, 149–155, 157–161, 164–172,

174–181, 183 f., 187, 191–193, 197–202, 218, 221 f., 226, 231, 233–235, 243, 253–255, 258–260, 265–268 Armut Christi 58 f., 199 f., 207, 212–214, 248, 265 artissima paupertas 196, 198, 202 Augustinusregel 87, 120 f., 139, 214, 242–244 Böhmische Brüder 264 Brüder vom gemeinsamen Leben 11, 13, 19 Decretum Gratiani 14, 33, 43–48, 80, 109, 121, 211 Depravation der Kirche 70, 116–118, 134, 176 f., 180, 182, 207, 241 f., 247, 250, 253, 261, 266 f. Dilectissimis (Ps.-Clemens) 45–48, 107–113, 147, 188, 190, 199, 211 f., 266 Dominikanerorden 51, 265

308

Register

Dominium 13, 30, 33, 36, 49–52, 54, 56, 60 f., 100, 102–106, 111, 131, 146, 150 f., 158, 160, 176, 184–203, 205–214, 216, 218 f., 221, 223, 225, 227, 229, 234, 237 f., 241 f., 244–250, 257–262, 267 f. drittes Zeitalter, s. ecclesia spiritualis ecclesia militans 58, 220 f., 224 f., 227, 233, 261 ecclesia spiritualis 114 f., 117 f., 132, 145, 170, 177, 180–182, 266 ecclesia triumphans 224, 261 Egalität 48, 79 f., 111, 154–157, 181, 239, 263, 266 Eschatologie 38, 66, 70, 80, 113–118, 180 evangelische Räte 49, 52, 73, 93, 101, 130, 170, 172, 175, 244 Exiit qui seminat (Nikolaus III.) 57–61, 101, 103, 118, 194, 198 f., 212, 214, 237, 249 Frauengemeinschaft 39, 82, 109, 217–219 Gebrauchsrecht, s. ius utendi Geld 50, 56–59, 75, 125, 131, 149, 157 f., 162, 164–170, 180 f., 234 Geldbörse (loculi) Christi 58 f., 165 Glossa ordinaria zum Corpus Iuris Civilis 49 Glossa ordinaria zur Bibel 29, 67 f., 75, 79, 85, 93 f., 98, 106 f., 119 f., 134, 136, 140, 144, 148, 154 f., 187, 222 f., 230 f., 236, 265 Goldenes Zeitalter 18, 38 Güterverteilung 12, 14, 74 f., 81 f., 93 f., 102, 120, 129, 144, 152–170, 175, 202, 221 f., 239 f., 243 Herz und Seele 119, 135–142, 226, 228 Hierarchie, s. ständische Ordnung Hierokratie, s. Papalismus himmlisches Jerusalem 84, 114, 147 f., 154 irdische Güter, s. Temporalien ius utendi 33, 49, 53, 57, 60 f., 100–103, 150, 193, 198–202, 212, 238, 241 Juden 14, 107, 117, 123 f., 131, 133, 155, 170, 202, 235 Karitas, caritas 12, 59, 72, 76, 85, 94, 106, 114, 140, 152–154, 161, 163, 170, 181, 216 f., 220 f., 226, 228–231, 237, 248, 256, 259, 261 Karmeliterorden 263 Kirchengut 171, 174 f., 178, 180, 187, 197, 203 f., 221 Konstantinische Schenkung 176 f., 223, 246, 266 Konzil von Vienne 142, 183 Leib (und Seele) 136, 140–142, 181, 256 Mendikantenstreit 13, 51, 59, 71, 96 f.

Naturrecht 14, 43–48, 102, 107, 110–112, 159, 161, 181, 185, 199 f., 237, 266 Nießbrauch, s. ususfructus Ordinem vestrum (Innozenz IV.) 56 f., 60 Papalismus 13, 33, 35, 176, 185 f., 188–191, 210, 216, 223, 238, 253 f., 260, 266, 268 Peasants’ Revolt 263 perfectio (evangelica)/Vollkommenheit 33, 35, 58 f., 70–81, 85, 93, 98 f., 111, 116–118, 121 f., 124, 129 f., 132, 134 f., 141 f., 155, 157, 161, 163, 171–175, 177–182, 184, 213 f., 229 f., 241, 248, 254, 266 potestas coactiva 255 pseudoisidorische Dekretalen, s. auch Dilectissimis (Ps.-Clemens) 45 f., 107, 109 f., 113, 121, 266 Quanto studiosius (Innozenz IV.) 57 Quia vir reprobus (Johannes XXII.) 150, 189–191, 194, 197, 238 Quo elongati (Gregor IX.) 48–50, 52 f., 56 f., 61, 186 Quia nonnumquam (Johannes XXII.) 61 Realismus/Nominalismus 33, 205 f., 215 f., 224 f., 253, 261 Regula benedicti 87, 94, 139 f., 143 f., 161, 194, 239 f., 242, 245–247, 265 Regula bullata 48 f., 89, 93, 128 f., 161 f., 169, 247, 265 Regula cassiani 142 f., 265 Regula Magistri 143 Regula non bullata 87 f., 128 sensus moralis/tropologicus 35, 67, 71 f., 78, 131, 156 f., 203, 218, 239, 262 senus literalis 75, 131, 134, 252 Septuaginta 146, 211 sieben Diakone 156, 160, 176, 187 f., 217, 222, 233, 260, 267 simplex usus facti 49, 60 f., 66, 100 f., 105, 146 f., 150 f., 160, 189, 197, 199, 214, 247, 265 simplicitas 33, 87, 93–99, 180, 256 Solet annuere (Honorius III.) 49 ständische Ordnung 38 f., 79 f., 83 f., 105–107, 119 f., 134 f., 161 f., 177, 181 f., 189, 191, 198, 222, 230 f., 255, 260, 268 status innocentiae 24, 47, 83 f., 107, 110–113, 118, 142, 149, 159, 161, 180 f., 188, 190, 195, 197–202, 211 f., 216 f., 223, 248, 258 f., 262, 266–268 Super cathedram (Bonifatius VIII.) Taboriten 17, 30, 251, 263 f. Temporalien 36, 46 f., 49, 56, 60, 74, 77, 81,

Sachen 83, 91, 99 f., 106, 113, 125 f., 140, 149, 153, 159, 161, 163–166, 171, 174–176, 178, 184–191, 193–195, 200, 202, 210–214, 216 f., 220 f., 227, 229–237, 240, 243, 245, 247–249, 256–262, 266–268 Theoretischer Armutsstreit 13, 35, 57 f., 61, 90 f., 103, 106, 111, 149–152, 189–192, 198, 230, 237, 260, 267 Tyrannen/Tyrannei 236 Unam sanctam (Bonifatius VIII.) 186, 189, 223 Universalien, s. Realismus/Nominalismus Ursprung des Eigentums 45–47, 109–111, 188–191, 194–196, 199 f. Urstand, s. status innocentiae

309

usus nudus 102, 159 usus pauper 13, 53, 55, 61, 68 f., 85, 90–93, 161, 171–173, 175, 180, 183–185, 239, 266 ususfructus 53 f., 60, 102, 149, 159, 184 Utopie/Utopismus 16, 21 f., 27, 41, 84, 182, 220, 261, 264, 266 vita activa/vita contemplativa 89, 94, 97–99 vita communis 12, 14, 17, 19, 45, 121, 136 f., 161, 199, 202, 239, 242, 250, 264 f. Vulgata 19, 141, 145, 150, 211, 233 Weiberkommunismus, s. Frauengemeinschaft weltliche Güter, s. Temporalien Zehnt 176, 221–223 Zisterzienserorden 162–164, 233 Zwei-Schwerter-Lehre 187–189, 223

Eva Jullien / Michel Pauly (ed.)

Craftsmen and Guilds in the Medieval and Early Modern Periods

Vierteljahrschrift für sozialund Wirtschaftsgeschichte – beiheft 235 Over the last twenty years research on guilds has freed itself from traditional clichés, such as the guilds’ supposed backwardness and seclusion, and has thus paved the way for a new and more differentiated assessment of these historical institutions. Yet the subject matter remains far from being exhaustively studied. This book addresses some of the most disputed questions on craftsmen corporations, such as: the role of women and senior journeymen within guild structures, the interaction of guilds with local authorities and other urban institutions as well as their interrelations with local job markets and supra-local entrepreneurship. By combining more general theoretical reflections with microhistorical case studies the trilingual contributions do not only shed light on the institutional side of guilds but also on the individual actors within these corporations. By studying the phenomenon over a period of several hundreds of years (14th–18th century) the volume furthermore offers a long-term perspective on the research matter while its geographical spread offers points of reference for future comparative studies.

2016 316 Seiten mit 5 Farb- und 5 s/w-Abbildungen sowie 20 Tabellen 978-3-515-11235-2 kart. 978-3-515-11237-6 e-book

contributors Eva Jullien, Rudolf Holbach, Arie van Steensel, Tineke van Gassen, Ricardo Córdoba de la Llave, François Rivière, Muriel González Athenas, Maija Ojala, Sabine von Heusinger, Danica Brenner, Katalin Prajda, Knut Schulz, Reinhold Reith, Eleonora Canepari, Nicoletta Rolla

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Janis Witowski

Ehering und Eisenkette Lösegeld- und Mitgiftzahlungen im 12. und 13. Jahrhundert

Vierteljahrschrift für sozialund Wirtschaftsgeschichte – Beiheft 238 der autor Janis Witowski studierte Mittelalterliche Geschichte, Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit sowie Historische Hilfswissenschaften an den Universitäten Jena und Bamberg. Anschließend war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte der Universität Heidelberg tätig.

2016 340 Seiten mit 2 Abbildungen und 2 Tabellen 978-3-515-11374-8 kart. 978-3-515-11375-5 e-Book

Lösegelder und Mitgiften waren im Mittelalter wichtige Bestandteile adligen Lebens – und gängige Formen der Geld- und Zahlungspraxis. Kriege waren an der Tagesordnung, Bündnisse wurden häufig mittels Hochzeiten geschlossen: Beides waren zugleich Gelegenheiten, sich finanziell zu bereichern. Der berühmte englische König Richard Löwenherz musste für seine Freilassung aus deutscher Gefangenschaft die sagenhafte Summe von 100 000 Mark bezahlen, was seine Herrschaft vor große Probleme stellte. Doch wie hoch war der Betrag wirklich? Auf diese und andere Fragen gibt Janis Witowski in seiner Studie Antworten. Anhand zahlreicher Beispiele erhält der Leser einen tiefen Einblick in die Lösegeld- und Mitgiftpraxis des 12. und 13. Jahrhunderts. Im Fokus der Betrachtung steht neben der Ereignisgeschichte vor allem die Erläuterung der verschiedenen mittelalterlichen Währungen sowie der Gold- und Silbergewichte. Die große Anzahl der ausgewerteten Quellen und eine vergleichende Arbeitsweise liefern wichtige neue Erkenntnisse zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte des hohen und späten Mittelalters. aus dem inhalt Einleitung | Die Bedeutung des Geldes für den Adel des 12. und 13. Jahrhunderts | Der Preis der Freiheit: Die Lösegelder |Brautschatz oder Schatz Braut: Die Mitgiften | Auf der Suche nach einem Tarifsystem: Die Lösegeld- und Mitgiftsummen des 12. und 13. Jahrhunderts im Vergleich | Die Lösegelder und Mitgiften im 12. und 13. Jahrhundert – eine Bilanz | Quellen- und Literaturverzeichnis | Register

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Hans Christian Lehner

Prophetie zwischen Eschatologie und Politik Zur Rolle der Vorhersagbarkeit von Zukünftigem in der hochmittelalterlichen Historiografie

HistoriscHe ForscHungen – BanD 29 Der autor Hans Christian Lehner studierte Geschichte, Germanistik und Philosophie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Er ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Internationalen Kolleg für Geisteswissenschaftliche Forschung in Erlangen.

Verfinsterungen von Sonne oder Mond, auffällige Sternbilder, Erscheinung von Kometen, schreckliche Gewitter, Sturmfluten und Überschwemmungen, Heuschreckenplagen und fliegende Würmer, Erdbeben, Seuchen etc.: die hochmittelalterlichen Geschichtsschreiber registrierten viele Phänomene, die sich als Anzeichen für Zukünftiges interpretieren ließen und ebenso wie die Berichte von Träumen und Visionen, Prophezeiungen, mirakulösen Begebenheiten und mantischen Praktiken den Lauf der Geschichte nach Gottes Plan verstehbar zu machen vermochten. Dies konnte die Ankunft des Antichrist und die letzten Tage ebenso betreffen wie Sorgen der großen Politik oder des einfachen Alltags. Sonderfälle entstehen bei Pluralität von Vorhersagen und Deutungen – etwa wenn ein historisches Ereignis unterschiedlich als zukunftsvorhersagend erkannt wird – sowie im Umgang mit falschen Propheten und falschen Prophezeiungen. In der vorliegenden Arbeit werden solche Textstellen für das 12. und 13. Jahrhundert analysiert und verglichen. Ausdrücklich zu würdigen ist die besondere Rolle des Geschichtsschreibers, seine Absichten, Interessen sowie sein Bildungshintergrund.

XI, 279 Seiten mit 3 Abbildungen 978-3-515-11155-3 kart.

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In der Apostelgeschichte beschreibt der

bild für die gesamte Christenheit erhoben

Evangelist Lukas das Gemeinschaftsleben

und mitunter seine Verwirklichung außer-

der ersten Christen in Jerusalem. Als Zei-

halb der Klostermauern betrieben.

chen ihrer vollendeten Eintracht schildert

Christian Hoffarth ergründet die Ursachen

er die Gütergemeinschaft. Die Gläubigen

dieser wirkmächtigen Neubewertung des

hätten ihre Habe verkauft und die Erlöse in

biblischen Ideals auf Basis exegetischer

die Gemeinde eingebracht, sodass niemand

Texte des Spätmittelalters. Vom franziska-

mehr irgendetwas sein Eigen genannt habe

nischen Anspruch auf völlige Besitzlosigkeit

und alle mit dem Notwendigen versorgt

bis zu John Wyclifs Ruf nach Enteignung

gewesen seien. Im institutionalisierten

des gesamten Klerus entfaltet die Studie ein

Christentum verstand man die urchristliche

breites Panorama mittelalterlicher Vorstel-

Gütergemeinschaft zunächst hauptsächlich

lungen von der heilsgeschichtlichen, sozial-

als Muster für das Klosterleben. Erst im spä-

theoretischen, rechtlichen und politischen

teren Mittelalter wurden vermehrt Stimmen

Bedeutung der Urkirche sowie ihres utopi-

laut, die die Gütergemeinschaft zum Leit-

schen Potentials.

ISBN 978-3-515-11504-9

9 783515 115049

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