Unternehmensführung: Strategien – Konzepte – Praxisbeispiele 9783486710243

Entscheidungsträger stehen heute vor der Herausforderung, vielfältige und häufig gegensätzliche Anforderungen bewältigen

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German Pages [299] Year 2012

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Unternehmensführung: Strategien – Konzepte – Praxisbeispiele
 9783486710243

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Unternehmensführung Strategien – Konzepte – Praxisbeispiele

von

Prof. Dr. Hans-Erich Müller

OldenbourgVerlag München

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

© 2010 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH Rosenheimer Straße 145, D-81671 München Telefon: (089) 45051-0 oldenbourg.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Lektorat: Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, [email protected] Herstellung: Anna Grosser Coverentwurf: Kochan & Partner, München Cover-Illustration: iStockphoto.de Gedruckt auf säure- und chlorfreiem Papier Gesamtherstellung: Druckhaus „Thomas Müntzer“ GmbH, Bad Langensalza ISBN 978-3-486-59729-5

Vorwort Ein Flugexperte deutet auf eine Taube und sagt: „Tauben zum Beispiel fliegen falsch.“ Ist die Managementlehre ähnlich weltfremd? Bis zur jüngsten Finanz- und Wirtschaftskrise dominierte eine eindimensionale Sicht: die Orientierung am Gewinn, am Kapitalmarkt und Shareholder-Value. Kritiker hoben demgegenüber die gesellschaftliche Verantwortung des Unternehmens hervor, die Notwendigkeit, sich an den unterschiedlichen Interessen der Anspruchsgruppen, den sogenannten Stakeholdern, auszurichten. Interessant ist dabei, dass keine der beiden Seiten allein recht zu haben scheint. Entscheidungsträger müssen heute integrierte Lösungen in komplexen und dynamischen Situationen entwickeln. In diesem Buch betrachtet der Leser ein Thema aus gegensätzlichen Perspektiven und entwickelt damit ein realitätsnäheres Bild. Er gewinnt dadurch vertiefte analytische Kenntnisse und denkt in Alternativen und Handlungsspielräumen. Darüber hinaus lässt sich der Text durch den klaren, traditionellen Aufbau und viele Praxisbeispiele gut verstehen und anwenden. Der vorliegende Ansatz wird auch durch eine neue Veröffentlichung des kanadischen Strategieprofessors Roger Martin in der Harvard Business School Press bestätigt. Danach unterscheidet die Fähigkeit zwei oder mehr gegensätzliche Ideen festzuhalten und wenn möglich zu einer Managementinnovation zusammenzuführen, wirklich erfolgreiche Führungspersönlichkeiten von konventionellen Denkern. Darum geht es auch im vorliegenden Buch. Handlungsspielräume der Unternehmensführung werden ausgelotet, indem unterschiedliche Perspektiven dargestellt und zu einem praxisrelevanten Ansatz zusammengeführt werden. Theorie und Praxis entwickeln sich gerade durch unterschiedliche Perspektiven und Kontroversen, etwa zu Outsourcing und sozialer Verantwortung. Populäre Managementfibeln können diesem Anspruch nicht genügen. Auch manch dickleibiges, wissenschaftliches Werk zu Unternehmensführung, Management und Strategie ist nicht zu bewältigen – nicht nur vom Leser, der in der Praxis steht, sondern auch vom Studierenden oder Lehrenden. Vielfach ist das auch nicht nötig, weil Begriffe, Themen und Unternehmensbezüge heute multimedial im Internet erlebt werden können. Zur Vertiefung gibt es allerdings nichts Besseres, deshalb hier die Verweise auf Quellen, in denen das Thema ausführlicher dargestellt ist. Heute kommt es weniger darauf an, auf jedes Detail eine Antwort zu wissen, sondern darauf, die richtigen Fragen herauszufinden und dafür Lösungen zu suchen. Die Rolle des Menschen ändert sich, auch in der Managementlehre. Ein Meilenstein dabei war die Auseinandersetzung mit der schlanken Produktion (Lean Production), die Anfang der 1990er Jahre begann. Nicht mehr die Rationalisierung, der Ersatz von Menschen durch Maschinerie in der Massenproduktion, sondern die Wiederentdeckung des Menschen als Erfolgsfaktor in der flexiblen und individualisierten Produktion stand nun im Zentrum. Heute kämpft General Motors, das führende Unternehmen der Massenproduktion des vergangenen

VI

Vorwort

Jahrhunderts, mit erheblichen Problemen, während Toyota, unerreichtes Vorbild der schlanken Produktion, zur Nr. 1 in der Autobranche aufgestiegen ist. Viele Managementprinzipien von Toyota setzten bei den Menschen an: „Zuerst bauen wir auf Menschen, dann bauen wir Autos.“ bemerkte Fujio Cho, langjährig Vorsitzender der Toyota Motor Corporation, einmal dazu. Strategien werden entwickelt und umgesetzt durch die Menschen und die Organisation. Strategien scheitern, wenn Menschen, die die Strategie mit Leben erfüllen müssen, zu wenig beachtet werden. In vielen Beiträgen ist dies immer noch der Fall. Ein Buch wie dieses hat vielfältige Quellen. Inspiriert hat mich vor allem „Strategy“ von Bob de Wit und Ron Meyer von der Maastricht- bzw. Rotterdam School of Management. Darin werden, ergänzend zur systematischen Darstellung, Originaltexte renommierter Autoren abgedruckt, die nicht nur kontrovers sind, sondern eine Vielzahl paradoxer Perspektiven belegen. Zuvor hat mich schon die „Strategy Safari“, ein Buch des international bekannten Managementforschers Henry Mintzberg mit seiner Kritik an etablierten Lehrmeinungen, begeistert. Schließlich habe ich dann, auf der Suche nach Zusammenführung der unterschiedlichen Perspektiven, den Text „Das Konzept Integriertes Management“ von Knut Bleicher, dem Mitbegründer des St. Galler Management Modells, erneut durchgesehen. Ziel war es ein Buch zu schreiben, das zugleich klar und anspruchsvoll ist, das sowohl für die Lehre an Hochschulen geeignet ist, als auch für die Praxis. Wie bei anderen Beiträgen zum Themenbereich Strategisches Management und Unternehmensführung auch, beginnt der Ihnen vorliegende Text mit einem einführenden Kapitel, in dem die Grundlagen und der Ansatz erläutert werden. Auch die Überschriften der folgenden Kapitel – Ziele, Strategien, Organisationsgestaltung und internationale Strategie und Organisation – verweisen auf eine klare, konventionelle Struktur. Erst die nähere Auseinandersetzung zeigt, dass es sich um einen neuartigen Ansatz handelt, der zur heutigen Komplexität und Dynamik des wirtschaftlichen Umfeldes passt. Viele Beispiele aus der Praxis illustrieren die systematische Darstellung und regen zum Nachdenken und Vergleich an. Nützliche Online-Medien sind unter www.oldenbourg.de verfügbar. An dieser Stelle danke ich allen, die mich unterstützt haben. Das sind zuerst die Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin und die Hans Böckler Stiftung Düsseldorf, die dieses Projekt gefördert haben. Zu bedanken habe ich mich insbesondere bei Andreas Scheel, Bea Ruoff, Cassio Möbius, Christoph Dörrenbächer, Edeltraut Baumgart, Gunther Begenau, Jörg Sydow, Jürgen Krack, Marion Weckes, Martin Wrobel, Matthias Müller, Sebastian Campagna und Thomas Wolke für Anregungen, Kritik und Verständnis. Über weitere Ideen und Verbesserungsvorschläge an [email protected] freue ich mich.

Berlin, im Februar 2010

Hans-Erich Müller

Inhalt 1

GRUNDLAGEN

1

Überblick .................................................................................................................... 2 Einstiegsfall: Strategischer Wandel bei Lufthansa ..................................................... 3 1.1 1.1.1 1.1.2

Von der Planung zur Strategie ................................................................................ 4 Unternehmensführung aus traditioneller Sicht ........................................................... 5 Wandel der Managementlehre .................................................................................... 6

1.2 1.2.1 1.2.2

Handlungsspielräume durch Strategieperspektiven ........................................... 10 Strategieperspektiven ............................................................................................... 10 Strategie – ein integrierter Ansatz ............................................................................ 16

1.3 1.3.1 1.3.2 1.3.3

Die Kunst der Führung .......................................................................................... 20 Integrative versus konventionelle Führung .............................................................. 21 Leadership versus Management ............................................................................... 23 Persönliche versus systemische Führung ................................................................. 26

1.4 1.4.1 1.4.2

Unternehmensverfassung und Corporate Governance ....................................... 27 Rahmenbedingungen ................................................................................................ 27 Theoretische Bezugspunkte ...................................................................................... 37 Zusammenfassung .................................................................................................... 41 Fragen zur Diskussion .............................................................................................. 41

2

ZIELE

43

Überblick .................................................................................................................. 44 Einstiegsfall: Visionswechsel bei Daimler ............................................................... 45 2.1

Zielsystem................................................................................................................ 46

2.2 2.2.1 2.2.2

Wertsteigerung ....................................................................................................... 48 Ökonomischer und buchhalterischer Gewinn........................................................... 48 Ergänzung um nicht-finanzielle Ziele ...................................................................... 54

2.3

Mission des Unternehmens .................................................................................... 58

2.4 2.4.1 2.4.2

Gewinn versus Verantwortung ............................................................................. 63 Wertsteigerung und Werte........................................................................................ 63 Verantwortung gegenüber der Gesellschaft ............................................................. 70

2.5 2.5.1 2.5.2

Strategie unter Unsicherheit.................................................................................. 77 Strategische Risiken ................................................................................................. 77 Risikomanagement ................................................................................................... 84

VIII

Inhalt Zusammenfassung .................................................................................................... 91 Fragen zur Diskussion .............................................................................................. 92

3

STRATEGIEN

93

Überblick.................................................................................................................. 94 3.1 3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.1.4 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.3

Geschäftsstrategie .................................................................................................. 95 Einstiegsfall: Canon und Sony – Wurzeln des Erfolgs ............................................ 95 Elemente des Geschäftssystems ............................................................................... 97 Chancen und Bedrohungen: Produktangebot und Positionierung am Markt ......... 101 Stärken und Schwächen: Aktivitätssystem und Ressourcenbasis .......................... 110 Strategieformulierung und -umsetzung .................................................................. 117 Unternehmensstrategie ........................................................................................ 125 Einstiegsfall: Apple, Bayer und Google – die Rückkehr der Konglomerate? ........ 125 Die Konfiguration des Unternehmens .................................................................... 127 Portfolio-Organisation oder integrierte Organisation? ........................................... 132 Kontinuität oder schöpferische Zerstörung? .......................................................... 135 Diversifikation oder Kerngeschäft? ....................................................................... 137 Netzwerkstrategie................................................................................................. 147 Einstiegsfall: Smart in Hambach – ein Unternehmensnetzwerk ............................ 147 Unternehmen, Markt und Netzwerk ....................................................................... 149 Eigenständige versus eingebettete Organisation .................................................... 153 Erklärungsansätze zu Make, Buy und Cooperate ................................................... 156 Zusammenfassung .................................................................................................. 158 Fragen zur Diskussion ............................................................................................ 159

4

ORGANISATIONSGESTALTUNG

161

Überblick................................................................................................................ 162 Einstiegsfall: Siemens – Kulturrevolution durch neue Strukturen? ....................... 163 4.1

Herausforderungen der Organisationsgestaltung ............................................. 164

4.2 4.2.1 4.2.2

Primäre Strukturen der Organisation ............................................................... 168 Von der funktionalen zur multidivisionalen Struktur ............................................. 168 Zentrale und dezentrale Führung im Konzern ........................................................ 176

4.3 4.3.1 4.3.2 4.3.3

Prozesse, Projekte und Menschen....................................................................... 180 Sekundärstrukturen ................................................................................................ 182 Koordination, Kontrolle und Beteiligung............................................................... 183 Prozessorganisation ................................................................................................ 185

4.4 4.4.1 4.4.2

Organisationskultur ............................................................................................. 190 Eine gesunde Organisationskultur? ........................................................................ 190 Wechselwirkung zwischen Organisationskulturen, -strukturen und -prozessen .... 194

4.5 4.5.1

Einflussgrößen der Organisationsgestaltung ..................................................... 196 Organisation im Strategiekontext ........................................................................... 196

IX

Inhalt 4.5.2 4.5.3 4.5.4 4.5.5

Umfeld und Strategie.............................................................................................. 200 Technologie ............................................................................................................ 202 Menschen ............................................................................................................... 204 Entwicklungsphasen ............................................................................................... 206

4.6

Innovationsmanagement ...................................................................................... 208

4.7

Change Management ........................................................................................... 215 Zusammenfassung .................................................................................................. 218 Fragen zur Diskussion ............................................................................................ 219

5

INTERNATIONALE STRATEGIE UND ORGANISATION

221

Überblick ................................................................................................................ 222 Einstiegsfall: IKEA in Japan – der lange Weg zum Erfolg .................................... 223 5.1 5.1.1 5.1.2 5.1.3 5.1.4

Strategien der Internationalisierung .................................................................. 225 Chancen identifizieren ............................................................................................ 226 Global versus local – internationale Orientierung festlegen ................................... 230 Optionen auswählen ............................................................................................... 233 Risiken kontrollieren und Ergebnisse erzielen ....................................................... 237

5.2

Organisation im internationalen Kontext .......................................................... 238 Einstiegsfall: ABB – Aufstieg und Fall eines Modells ........................................... 238 Bereiche internationaler Organisationsgestaltung .................................................. 241 Internationale Organisationsstrukturen................................................................... 243 Internationale Managementprozesse und -systeme ................................................ 247 Kultur und organisatorischer Wandel im internationalen Umfeld .......................... 251 Globale Manager und lokale Mitarbeiter................................................................ 256

5.2.1 5.2.2 5.2.3 5.2.4 5.2.5

Zusammenfassung .................................................................................................. 260 Fragen zur Diskussion ............................................................................................ 261 Literatur ................................................................................................................ 263 Stichwortverzeichnis ............................................................................................ 279

Verzeichnis der Praxisbeispiele Strategischer Wandel bei Lufthansa ....................................................................................... 3 Strategie und List – China denkt anders ................................................................................ 11 Coca-Cola – über Intuition, Glück und Marketing ................................................................ 12 Führungskräftebeurteilung bei Daimler und SCA ................................................................. 23 BASF zur Corporate Governance........................................................................................... 31 Stärken und Schwächen des E.ON-Aufsichtsrates ................................................................. 34 Den Vorstand bewerten und entwickeln ................................................................................. 36 Die grosse Gier ....................................................................................................................... 38 Visionswechsel bei Daimler .................................................................................................. 45 Fit42010 bei Siemens ............................................................................................................. 52 Zur Mission von Toyota ........................................................................................................ 59 Konzernleitbild T-Spirit der Deutschen Telekom ................................................................. 62 Nestlé und CSR – mehr als Greenwashing? ........................................................................... 72 Rückruf bei Mattel ................................................................................................................. 74 BMW und Deutsche Bank – Prognosen in der Krise............................................................ 80 Aufstieg und Fall der UBS ..................................................................................................... 81 Risikomanagement in der BASF-Gruppe ............................................................................. 86 Prüfkatalog zum Risikomanagementsystem ........................................................................... 88 Canon und Sony – Wurzeln des Erfolgs................................................................................ 95 Wie Hilti zum Dienstleister wurde....................................................................................... 100 Beyerdynamic – Positionierung als Audiospezialist ........................................................... 108 Toyota – Erfolg durch Zulieferpartner ................................................................................. 115 IBM, Philips, NXP und die Halbleiterfertigung in Böblingen ............................................ 120 Apple, Bayer und Google – die Rückkehr der Konglomerate? ........................................... 125 Synergie oder Autonomie bei der Deutschen Telekom ...................................................... 131 Merck – lieber zur Entwicklung als zum Umsturz aufrufen ................................................ 135

XII

Verzeichnis der Praxisbeispiele

Z AG – über Cash Cows und Poor Dogs ............................................................................. 139 Honda – Theorie und Praxis ................................................................................................ 141 Hoechst – von der Diversifikation zum Kerngeschäft ......................................................... 142 BASF-Stammwerk Ludwigshafen – Stabilisierung im Verbund ......................................... 144 Novartis – schweizer Pharmariese erweitert Geschäftsbasis ............................................... 146 Smart in Hambach – ein Unternehmensnetzwerk ............................................................... 147 Lieferantenbeziehungen bei Toyota, General Motors und Volkswagen ........................... 151 Siemens – Kulturrevolution durch neue Strukturen? ........................................................... 163 General Motors – die Entstehung der multidivisionalen Struktur ...................................... 172 Johnson & Johnson: Zentralisierung von Entscheidungen ................................................ 176 Google's innovative Managementarchitektur ...................................................................... 181 Lemken GmbH & Co. KG – Reorganisation bei einem Mittelständler............................... 188 E AG – beschäftigen statt entlassen ..................................................................................... 205 Steve Jobs und Apple, Eric Schmidt und Google ................................................................ 207 3M – Spannung zwischen Innovation und Effizienz............................................................ 211 Procter & Gamble unter Kreativitätsdruck ........................................................................ 213 IKEA in Japan – der lange Weg zum Erfolg ....................................................................... 223 Varta Microbatterie – der Standort Deutschland wird wieder attraktiver ......................... 227 Tata – indischer Mischkonzern kauft Jaguar ....................................................................... 230 Dezentrale Zentralisierung beim Renault Logan................................................................. 236 ABB – Aufstieg und Fall eines Modells .............................................................................. 238 Sind Nike und Adidas für ihre Lieferanten verantwortlich?................................................ 252

1

Grundlagen Grundlagen der Unternehmensführung

Umwelt

Strategien

Organisationsgestaltung Internationale Strategie und Organisation

Unternehmensleistung

Ziele

Internationale Strategie und Organisation

Abb. 1.1

Kapitelübersicht

Im ersten Kapitel erfahren Sie: ! Was man unter Unternehmensführung und Management versteht. ! Warum strategische Fragen wichtiger geworden sind. ! Warum es sinnvoll ist, unterschiedliche Strategieperspektiven wahrzunehmen und diese zu integrieren. ! Worin sich Leadership und traditionelle Führung unterscheiden. ! Welche Bedeutung die Unternehmensverfassung und Corporate Governance für die Unternehmensführung haben.

2

1 Grundlagen

Überblick Unternehmen passen sich an veränderte Umweltbedingungen an, beeinflussen diese aber auch selbst mit ihren Strategien. Eine Beispiel dafür ist der diesem Kapitel vorangestellte Einstiegsfall Lufthansa. Was aber sind Strategien? Wie wir sehen werden, gibt es sehr unterschiedliche Definitionen. Eine davon ist: Strategien sind zielgerichtete, grundlegende Entscheidungen, im Unterschied zu denen des operativen Alltags. Bei der Führung von Unternehmen ist nicht nur das Top-Management gefordert, wenn es darum geht, Ziele zu entwickeln und strategischen Wandel (Strategic Change) zu bewältigen. Strategischer Wandel kann grundlegend und umwälzend sein – ausgelöst etwa durch die Deregulierung der Märkte, technologische Revolutionen oder Wirtschaftskrisen – oder aber nur schrittweise und in Teilbereichen ablaufen, wie bei der Entwicklung eines neuen Geschäftsfeldes, mit dem Wettbewerbsvorteile erzielt werden sollen. Im Kapitel 1.1 „Von der Planung zum Strategie“ wird zunächst geklärt, warum das Thema Strategie relevant ist. Anschließend geht es um mehr, als nur den Themenbereich Strategie, Unternehmensführung und Management näher einzugrenzen. Vielmehr wird sich zeigen, dass es unterschiedliche Schulen, Richtungen, Perspektiven gibt. Es ist hier ähnlich wie in der Physik, in der das Licht sowohl als Teilchen als auch als Welle betrachtet werden kann. Strategien werden geplant, entstehen aber auch ungeplant im Strategieprozess. Im Kapitel 1.2 „Handlungsspielräume durch Strategieperspektiven“ wird gezeigt, wie in diesem Buch vorgegangen wird. „Yes, we can change“: Dieser bekannte Satz von Barack Obama, der ihn auf seinem Weg zur Präsidentschaft begleitet hat, zeigt, dass es nicht nur auf die Ziele und Strategien, sondern auch auf die handelnden Personen, auf griffige Slogans und die Art und Weise, wie geführt wird, ankommt. Im Kapitel 1.3 „Leadership oder die Kunst der Führung“ werden dazu einige Eckpunkte skizziert. Thema im Kapitel 1.4 „Unternehmensverfassung und Corporate Governance“ ist schließlich, wer unter welchen Rahmenbedingungen führt. Führung und Strategie sind Begriffe, die heute in nahezu jedem Lebensbereich angewendet werden. Hier soll es allein um Organisationen, insbesondere aber Unternehmen gehen. Gleich welche Rechtsform ein Unternehmen hat und in welchem Land es tätig ist, haben dessen Manager Führungsaufgaben. Aber wie steht es mit den Anteilseignern und den Arbeitnehmervertretern? An dieser Stelle noch drei Bemerkungen, die für das gesamte Buch gelten. (1) Ein Buch zum vorliegenden Thema kann nicht kompakt und umfassend zugleich sein. Literaturhinweise sollen zur Vertiefung anregen. (2) Englischsprachige Quellen werden soweit wie möglich übersetzt. (3) Eine geschlechtsneutrale Sprache (z.B. Kunde und Kundinnen) wird nur verwendet, wenn dadurch das Verständnis verbessert wird.

1 Grundlagen

3

Einstiegsfall: Strategischer Wandel bei Lufthansa Ende 2009 wird die geplante Neuausrichtung bekannt. Lufthansa-Vorstand Christoph Franz erklärt: „Wir müssen uns ändern, oder wir fallen zurück.“ Die größte deutsche Fluglinie will mit eiserner Kostendisziplin und neuen Geschäftsmodellen Europas Billigflieger und die aggressive Konkurrenz aus den Golf-Staaten kontern. Die deutsche Lufthansa ist eine der wenigen erfolgreichen etablierten Fluggesellschaften in der von Krisen geschüttelten Luftfahrtbranche. Mit der Deregulierung, die 1978 in den USA begann, verschlechterte sich die Situation der zuvor staatlichen Fluggesellschaften. Rekordverluste von über 1 Mrd. DM (511 Mio Euro) im Jahre 1992 zeigten, dass auch Lufthansa ein Sanierungsfall geworden war. Wenige Jahre später, im Juni 1999, konnte der damalige Vorstandsvorsitzende Jürgen Weber mit 2,5 Mrd. DM (1,3 Mrd. Euro) die höchsten Gewinne in der damals mehr als 70-jährigen Geschichte der Lufthansa berichten. Acht Jahre nach dem beinahe Konkurs war die Wende geschafft: Lufthansa war zu einer der weltweit führenden Fluggesellschaften und zum Gründungsmitglied der Star Alliance, dem größten globalen Netzwerk der Airlines, aufgestiegen, ein Erfolg, der trotz widriger Bedingungen bis heute anhält. Nur wenige Luftfahrtunternehmen sind in dieser von Unsicherheiten geprägten Branche erfolgreich. Nach dem ersten Irakkrieg 1992, nach der Finanzkrise in Asien 1997, nach dem 11. September 2001 und nach dem zweiten Irak-Krieg 2003 riss das Wachstum des internationalen Luftverkehrs ab. Hinzu kamen die Konkurrenz der Billigflieger, drastisch steigende Ölpreise und ein steigendes Umweltbewusstsein – Bedingungen die viele Konkurrenten, aber auch Partner, wie Varig und United, in die Krise trieben. Außerdem wird, so heißt es, das meiste Geld nicht durch den Flugbetrieb sondern am Boden verdient. Wie sollten die nationalen Fluggesellschaften reagieren? Diversifizieren oder im Kerngeschäft wachsen? Ihre Märkte gegen Billigflieger abschotten und den Wettbewerb mit ähnlichen Geschäftsmodellen aufnehmen? Eigene Billigfluglinien gründen oder kaufen oder sich über ein höherwertiges Angebot differenzieren? Vieles spricht dafür, dass Lufthansa seine Fähigkeiten zum strategischen Wandel in diesen Krisenjahren nach der Privatisierung erworben hat. Im Sommer 1992 wurde vom Vorstand ein Programm beschlossen und vom Aufsichtsrat gebilligt, das folgendes Paket von Maßnahmen vorsah: ! Den sozialverträglicher Abbau von Arbeitsplätzen, dessen Spareffekt auf 1 Mrd. DM (511 Mio. Euro) geschätzt wurde. ! Die Senkung der Sachkosten um 1,2 Mrd DM (614 Mio. Euro). ! Die Steigerung der Erlöse um 700 Mio DM (358 Mio. Euro). Zu den Sanierungsmaßnahmen gehörte auch die rechtliche Verselbständigung von Unternehmensteilen durch Ausgliederung und Fremdvergabe. Maßgeblich aber war, dass diese Maßnahmen mit der glaubwürdigen Beteiligung der Betroffenen entwickelt wurden. Jürgen Weber: „Für den Turnaround entscheidend war, dass wir den Beschäftigten freimütig die Situation erklärt haben. Dadurch konnten wir gemeinsame Ziele zwischen Mitarbeitern, Managern, Betriebsräten und Gewerkschaften entwickeln.“

4

1 Grundlagen

Wird der strategische Wandel bei Lufthansa auch diesmal gelingen? Ist der Senkrechtstarter Air Berlin Vorbild für ein neues hybrides Geschäftsmodell, das die Vorzüge der Billigflieger, wie die kostengünstige Buchung im Internet und geringe Typenvielfalt, mit den klassischen Vorzügen eines etablierten Konkurrenten, wie Verpflegung ohne Aufpreis und die Nutzung zentral gelegener Flughäfen, verbindet? Fragen: 1. Was hat den strategischen Wandel bei Lufthansa ausgelöst und wie hat Lufthansa darauf reagiert? 2. Gravierende Veränderungen in der Unternehmensumwelt können strategischen Wandel auslösen. Wird dies immer erkannt? 3. Welche Aufgaben haben Vorstand und Aufsichtsrat dabei? 4. Kennen Sie Fälle, in denen Wandlungsprozesse weniger konsensorientiert ablaufen? Wenn ja, warum? 5. Wie entsteht strategischer Wandel? Finanziell oder qualitativ getrieben? Geplant oder ungeplant? Quellen: Mölleney, M. & Arx, S.v.: „Management of change“ bei Lufthansa – durch teamorientierte interne Sanierungsgruppen. In: R. Wunderer & T. Kuhn (Hrsg.), Innovatives Personalmanagement: Theorie und Praxis unternehmerischer Personalarbeit, Neuwied et al.1995, S. 527-554; Müller, H.-E. & Prangenberg, A.: Outsourcing Management. Köln 1997; Bruch, H. & Goshal, S.: Lufthansa 2000. Maintaining the Change Momentum. London Business School Case-Study, London 2001; Rall, W. & König, B. (Hrsg.): Branchen von morgen. Köln 2006; Tywuschik, S. und Steger, U.: Lufthansa: Going Global, but how to manage complexity? IMD Case-Study, Lausanne 2007; Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 17. und 19. 11. 2009, S. 15 bzw. S. 19.

1.1

Von der Planung zur Strategie

Unternehmen und Märkte gehören zu den wichtigsten Institutionen in Wirtschaft und Gesellschaft. Der Einstiegsfall macht deutlich, dass Veränderungen des Marktumfeldes Entscheidungen der Unternehmensführung beeinflussen, dass aber Unternehmen auch umgekehrt Märkte verändern (vgl. Abb. 1.1). Zur Unternehmensumwelt gehören nicht nur Märkte, sondern weitere politische, ökonomische, sozio-kulturelle, technologische, ökologische und rechtliche Rahmenbedingungen. Wichtige Rahmenbedingungen bei einer Fluggesellschaft, wie der Lufthansa, sind beispielsweise der Grad der Deregulierung und Privatisierung, die Nachfrage nach Transportleistungen und Service, die Erwartungen von Mitarbeitern und Kunden, die Entwicklung neuer Großraumflugzeuge sowie Umweltauflagen und Überflugrechte. Die Unternehmensleistung (Performance) ist ein Ergebnis der Entscheidungen und Aktivitäten des Unternehmens, sie hängt aber auch unmittelbar von den Rahmenbedingungen ab. Welche Lösungsansätze bieten die traditionelle und die moderne Managementlehre für diese Herausforderungen?

1.1 Von der Planung zur Strategie

1.1.1

5

Unternehmensführung aus traditioneller Sicht

Die klassische Begriffsbestimmung zur Unternehmensführung stammt von Erich Gutenberg, dem Altmeister der deutschen Betriebswirtschaftslehre. Zu den Merkmalen echter Führungsentscheidungen der Unternehmensleitung gehören danach „zweifellos diejenigen, die für den Bestand und die Zukunft des Unternehmens von unmittelbarer Bedeutung sind und die nur aus dem Ganzen des Unternehmens heraus getroffen werden können.“ (Gutenberg 1962, S. 61). Zu den echten Führungsentscheidungen gehören konkret: ! Die Festlegung der Unternehmenspolitik auf weite Sicht, also die Planung. Je ferner die Zukunft ist, desto eher kommen Unsicherheiten ins Spiel. ! Die Koordinierung der großen Teilbereiche des Unternehmens, also der Geschäftsbereiche und Funktionen, wie Beschaffung, Produktion und Absatz. ! Die Bearbeitung aktueller Probleme, wenn ohne sie die Durchführung der geschäftspolitischen Planung gefährdet erscheint. Extremfälle sind etwa eine drohende Insolvenz oder eine feindliche Übernahme. ! Die Bearbeitung bedeutender Geschäftsvorfälle. Diese sind in der Geschäftsverteilung im Vorstand oder in der Satzung des Aufsichtsrates als Katalog zustimmungspflichtiger Geschäfte geregelt. ! Die Besetzung der Führungsstellen im Unternehmen. Bei der Unternehmensführung wird zwischen der institutionellen Perspektive („Wer führt“) und der funktionellen Perspektive („Wodurch wird geführt“) unterschieden. Als Management wird die Gruppe von Personen in Organisationen bezeichnet, die das Recht besitzt, anderen Personen Weisungen zu erteilen. „Für diese von der Unternehmensleitung bis in die kleinsten betrieblichen Führungseinheiten reichende Gruppe fehlt im deutschen Sprachgebrauch ein entsprechender Ausdruck“ (Gutenberg 1962, S. 20), auch deshalb hat sich dieser Begriff inzwischen durchgesetzt. Das ändert aber nichts daran, dass neben dem Management noch zwei weitere Zentren der Willensbildung vorliegen: die Eigentümer- und Arbeitnehmervertreter (vgl. Kap. 1.4). Die Managementlehre wiederum ist nun keine Lehre ausschließlich nur für Manager sondern eine für alle an Führung und Management beteiligten Gruppen und Akteure. Statt „Unternehmensführung“ könnte es im folgenden auch jeweils „Management“ heißen. Die funktionelle Perspektive hingegen geht von den Instrumenten der Unternehmensführung aus, die herkömmlich als Planung, Organisation und Kontrolle beschrieben werden. Sie werden als Querschnittsfunktionen verstanden, die Sachbereiche wie Beschaffung, Produktion, Absatz etc. überlagern. Ein Betriebsleiter beispielsweise hat Führungsfunktionen bei der Formulierung und Umsetzung der Produktionsziele, plant dazu die Herstellung der Produkte, organisiert die Umsetzung dieser Planung und kontrolliert die Zielerreichung. Nach Erich Gutenberg (1958, S. 20 ff.) sind diese Funktionen wie folgt definiert: ! Die Planung ist ein Mittel, um die Ziele eines Unternehmens zu erreichen und bedeutet stets, „eine Ordnung zu entwerfen, nach der sich bestimmte Geschehnisse vollziehen sollen bzw. nach der sich die Personen zu richten haben, die dieser Ordnung unterworfen sind.“ (ebd. S. 47). Dabei hat kein betrieblicher Teilbereich eine Vorrangstellung, sondern

6

1 Grundlagen

die Planung hat sich auf den jeweils schwächsten Teilbereich, einzustellen (Ausgleichsgesetz der Planung). Ein solcher Minimumsektor oder Engpassfaktor kann zeitweise beispielsweise die finanzielle Sphäre sein, wie dies bei Porsche und Schaeffler in der Folge von Übernahmen in den Jahren 2008/09 der Fall war. ! Die Organisation ist neben der Planung das zweite Führungsinstrument, das die Unternehmensführung benutzt, um die gesetzten Ziele und die Planungen, in denen diese Zielsetzungen ihren Niederschlag gefunden haben, umzusetzen. Aus dem instrumentalen Charakter der Organisation folgt, dass sie aus Regelungen besteht, nach denen sich bestimmte Vorgänge vollziehen sollen. Dabei besteht die Tendenz, soweit als möglich, fallweise Entscheidungen durch generelle Regelungen zu ersetzen (Substitutionsgesetz der Organisation). ‚Arbeitsbeginn um 7 Uhr‘ oder ‚keine Buchung ohne Beleg‘ sind solche generellen Regelungen. Das kann auch zur Überorganisation führen, denn einige Regelungen werden heute als zu bürokratisch, als übermäßig wahrgenommen. ! Die Kontrolle schließlich dient dazu, Abweichungen zu erkennen und gegebenenfalls gegenzusteuern. Dazu gehört auch die Überprüfung der Unternehmensziele. Dafür hat sich heute der Begriff Controlling durchgesetzt. Ziel des Controllings ist es, das unternehmenspolitisch Erstrebte konkret zahlenmäßig abzubilden. Es gilt der Leitsatz: „Was du nicht messen kannst, kannst du nicht steuern.“ Im Folgenden wird sich zeigen, dass diese traditionelle Bestimmung der Aufgaben der Unternehmensführung nicht mehr ausreicht.

1.1.2

Wandel der Managementlehre

Mit der steigenden Komplexität und Dynamik der Unternehmensumwelt zeigen sich Grenzen der herkömmlichen Sicht der Unternehmensführung, verändert sich auch Managementpraxis und -lehre. Im größeren Maßstab betrachtet zählen zu den wichtigsten Veränderungen der Unternehmensumwelt der letzten Jahrzehnte folgende Entwicklungen: ! Marktsättigung und Individualisierung der Produkte und Dienstleistungen bei gleichzeitiger Unterversorgung in großen Teilen der Welt; ! Flexible Produktionssysteme, bei gleichzeitiger Massenproduktion; ! Digitale Medien verbinden die Welt, trennen sie aber auch durch den Zusammenprall der Kulturen; ! Wachstum und Krise im Zuge der Globalisierung, neue Herausforderungen durch den Klimawandel; ! Mehr Einfluss der Politik und der Interessengruppen bei wachsender Eigendynamik der Systeme. Mit der steigenden Komplexität und Dynamik wachsen die Anforderungen an die Unternehmensführung. Knut Bleicher, einer der Mitbegründer des sogenannten St. GallerModells in der Betriebswirtschaftslehre bezeichnet diese Situation treffend als Zeitschere des Managements (vgl. Abb. 1.2). Einerseits wird bei wachsender Komplexität durch die Vielzahl der Produkte, Standorte und Interessen mehr Reaktionszeit benötigt, zugleich aber nimmt die verfügbare Reaktionszeit

1.1 Von der Planung zur Strategie

7

ab, weil die Dynamik durch mehr Innovation und Instabilität zunimmt. Sind Management und Managementlehre diesen Anforderungen gewachsen? Anpassungszeit Benötigte Reaktionszeit bei wachsender Komplexität

Verfügbare Reaktionszeit bei zunehmender Dynamik

1900

Abb. 1.2

2000

Wachsende Komplexität und Dynamik

Zeitschere des Managements (Bleicher 1992, S. 26)

Nach traditioneller Betrachtungsweise besteht die Aufgabe der Unternehmensführung darin, die produktiven Faktoren des Unternehmens im Interesse der Eigentümer zu optimieren. Dieses interessenmonistische Grundkonzept wurde in letzter Zeit mit dem ShareholderAnsatz wiederbelebt, wonach es die Aufgabe des Managers ist, dafür zu sorgen, dass Wert für die Anteilseigner, die Shareholder, geschaffen wird. Dem steht das interessenpluralistische Konzept des Stakeholder-Ansatzes kontrovers gegenüber, wonach das Unternehmen an den Interessen der relevanten Anspruchsgruppen, den Stakeholdern, auszurichten ist. Wir kommen im folgenden Kapitel hierauf zurück. Dabei scheint es, dass sich die Lehre von der Unternehmensführung im Zeitverlauf gerade durch unterschiedliche Ansichten und Kontroversen entwickelt hat (vgl. Macharzina & Wolf 2008, S. 11): ! Ab den 1930er Jahren: Anerkennung der Trennung von Eigentum und Verfügungsmacht in Kapitalgesellschaften (vgl. Berle & Means 1932), wodurch mit dem Management neben den Anteilseignern (Shareholdern) ein zweites Zentrum der Willensbildung entsteht. ! Ab den 1960er Jahren: Verbreitung der Langfristplanung in den wachstumsstarken ‚goldenen Sechzigern‘. Anerkennung der Arbeitnehmervertreter als drittes Zentrum der Willensbildung im Unternehmen durch die Betriebswirtschaftslehre (vgl. Gutenberg 1958). Im pluralistisch ausgerichteten Koalitionsmodell des Unternehmens werden darüber hinaus die Interessen weiterer Koalitionspartner (Stakeholder) berücksichtigt (vgl. Cyert & March 1963; Freeman & Reed 1982). ! Ab den 1970er Jahren: Erweiterung der Langfristplanung zuerst als strategische Planung, dann als Strategisches Management durch die abgestimmte Entwicklung aller

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1 Grundlagen

Führungssubsysteme. Die wachsende Komplexität und Dynamik der Umwelt begrenzen die Planbarkeit. Führungsinstrumente wie Planung, Organisation und Kontrolle aber auch Personalmanagement sollen abgestimmt nebeneinander (simultan) entwickelt werden. ! Ab den 1990er Jahren: Integriertes Strategisches Management. Gegensätzliche Strategieperspektiven (Paradoxien) – wie Gewinn versus Verantwortung, Shareholder versus Stakeholder Value – werden zugelassen, um eine realitätsnähere Strategielehre zu entwickeln. Zur Integration werden Perspektiven austariert (Sowohl-als-auch-Lösung) oder es entsteht eine neue Form (Synthese). Organisationen werden als komplexe und dynamische Systeme verstanden (vgl. dazu etwa Ulrich 2001; Malik 2003; Mintzberg et al. 2003; Bleicher 2004; Gälweiler 2005; Müller-Stewens & Lechner 2005; De Wit & Meyer 2008). Bevor wir weiter fortfahren sind einige wenige, trockene Begriffe zu klären. Im Unterschied zur Volkswirtschaftslehre, die sich mit der Wirtschaft eines Landes beschäftigt, handelt die Betriebswirtschaftslehre von der Einzelwirtschaft: ! Betrieb als betriebswirtschaftliche Einheit. Im Blickpunkt steht der Betrieb, im Unterschied zu den öffentlichen und privaten Haushalten; mehr noch der Betriebstyp der Unternehmung, im Unterschied zu den öffentlichen Betrieben und Verwaltungen. ! Unternehmen (Unternehmung) als betriebswirtschaftliche Einheit. Das Unternehmen ist eine erwerbswirtschaftlich ausgerichtete, autonome Institution in einem marktwirtschaftlichen System – eine Einzelwirtschaft im Unterschied zur Gesamtwirtschaft eines Landes. ! Betrieb, Unternehmen, Konzern als rechtliche Einheiten. Der Betrieb als technischorganisatorische Einheit (Fabrik, Büro/Verwaltung, Ladengeschäft), sowie das Unternehmen als rechtliche Einheit. Letzteres kann etwa die Aktiengesellschaft in Deutschland sein, die Société Anonyme in Frankreich, Belgien und Luxemburg oder die Incorporated in den USA. Steht ein Unternehmen im Mehrheitsbesitz eines anderen Unternehmens, so wird nach deutschem Aktienrecht vermutet, dass dieses Teil eines Konzerns, also eine Tochtergesellschaft ist. ! Netzwerk. Zwischen Hierarchie und Markt entstehen durch Kooperationsbeziehungen Unternehmensnetzwerke. Werden Partnerunternehmen fest eingebunden, so können sie der Einzelwirtschaft zugerechnet werden. Man verwendet dann den rechtlich unbestimmten Begriff der Unternehmensgruppe (z.B. Toyota Group). Das Thema ist im Folgenden nicht die rechtliche Struktur sondern die Führung des Unternehmens als Einzelwirtschaft. Für öffentlichen Betriebe und Verwaltungen lassen sich Bezüge herstellen. Dienstleistungen weisen Besonderheiten auf (vgl. Haller 2001): ! Immaterialität. Dienstleistungen sind unsichtbar, ihr Kauf wird als risikoreicher empfunden. ! Uno-actu-Prinzip. Leistungserstellung und Leistungsabgabe sind identisch. ! Integration eines externen Faktors. Der Nachfrager oder ein ihm gehörendes Objekt sind am Prozess beteiligt. Beispiel: Hotelbesuch oder Haarschnitt.

1.1 Von der Planung zur Strategie

9

Unter Unternehmensstrategie wird herkömmlich nicht mehr als die Ausrichtung der Planung des Unternehmens an Produkt- und Dienstleistungsmärkten verstanden. Die fertige Strategieplanung wird durch Funktionen wie Organisation, Personaleinsatz, Führung und Kontrolle nur umgesetzt. Heute gilt Planung als nur eine Perspektive der Strategie. Das Wort ‚Strategie‘ stammt vom griechischen ‚Strategos‘, der Heerführer, ab. Bei strategischen Führungsentscheidungen geht es nach Peter Drucker, der als Pionier der modernen Managementlehre gilt, darum, „die richtigen Dinge zu tun“. Operative Führungsentscheidungen hingegen beschäftigen sich damit „die Dinge richtig zu tun“ (vgl. Drucker 1967). In der Managementliteratur finden sich zuweilen recht einfache Rezepte, die den Erfolg von Personen, Gruppen oder Organisationen versprechen. So sollen Gewinner-Unternehmen, gemessen am finanziellen Erfolg, Verlierern überlegen sein, weil sie vier Primärdisziplinen des Erfolgs beherrschen: Eine klare, gut fokussierte Strategie verfolgen, für deren reibungslose Ausführung sorgen, eine leistungsorientierte Unternehmenskultur und eine flexible Organisation mit flachen Hierarchien aufbauen (so etwa Joyce et al. 2005). Nun lässt sich gegen diese Worte wenig sagen, denn die Aussagen sind so allgemein, dass sie an der Wirklichkeit kaum scheitern können. Sie sind kaum mehr als die Kapitelüberschriften des vorliegenden Buches und schon daher können sie – dieser Scherz sei dem Autor erlaubt – nicht falsch sein. Wir müssen uns also noch ein wenig mehr damit auseinandersetzen was unter Strategie und Organisation verstanden wird. Strategische Führung ist nicht nur langfristig orientiert. Es geht mit Erich Gutenberg um die ‚nahe und weite Sicht‘, also auch um kurzfristig relevante, strategische Entscheidungen. Fluggesellschaften beispielsweise mussten nach dem 11. September 2001 sehr schnell ihre Strategien verändern. Strategische Unternehmensführung ‚verantwortet das Ganze‘. Eine ‚Helikopter-Perspektive‘ mag dazu angebracht sein, aber: der Helikopter muss auch landen können. Igor Ansoff, einer der ersten Autoren, der den Begriff der Strategie in der Managementlehre verwendete, hat dazu einmal gesagt: „Es ist keine Kunst eine Strategie zu formulieren, die Schwierigkeit ist, sie zum Laufen zu bringen.“ Die Organisation ist mehr als die Umsetzung der Strategie. Herkömmlich wird darin ein Mittel angesehen, um Strategien umzusetzen: Das Unternehmen hat als Instrument der Unternehmensführung eine Organisation. Später dann setzte sich dann die Auffassung durch, dass ein Unternehmen eine Organisation ist, ein zielgerichtetes, soziales System. Strategien entstehen durch Wechselwirkung mit der Organisation. Festzuhalten ist also: Strategische Unternehmensführung setzt sich vor dem Hintergrund wachsender Komplexität und Dynamik vom traditionellen Planungsdenken ab. Dabei werden folgende Führungsebenen unterschieden (vgl. Bleicher 2004, S. 80 ff.), nach denen auch das vorliegende Buch gegliedert wird: ! Die normative Unternehmensführung beschäftigt sich mit den grundlegenden Zielen und Zwecken und der Unternehmensverfassung des Unternehmens. ! Davon abgeleitet ist es Aufgabe der strategischen Unternehmensführung Erfolgspotenziale aufzubauen, zu pflegen und weiterzuentwickeln und diese mit der Organisationsgestaltung umzusetzen, auch im internationalen Umfeld. ! Die operative Unternehmensführung koordiniert dementsprechend die Aktivitäten im laufenden Tagesgeschäft.

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1 Grundlagen

Normative und strategische Unternehmensführung gestalten das Unternehmen, während es die Aufgabe der operativen Unternehmensführung ist, lenkend in die Unternehmensentwicklung einzugreifen. Nur um die normative und strategische Gestaltung, nicht um die operative Lenkung geht es hier. Das gilt auch für das Thema Organisation, dass allein aus strategischer Sicht betrachtet wird. Worin aber liegt die Besonderheit des integrierten Ansatzes?

1.2

Handlungsspielräume durch Strategieperspektiven

Strategien gibt es überall. Fußball-Teams haben Strategien, wie ebenso politische Parteien und auch der einzelne Mensch, der sich für einen anderen erwärmt – und sich deren unvermeidlicher Widerlegung gegenübersieht (Carter et al. 2008). Goethes Faust erleidet zudem ein tragisches Dilemma, das ihm „schier das Herz verbrennt“: „Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust“. Strategische Spannungen führen zu strategischen Perspektiven – auch in der Wirtschaft. Ziel des integrierten Ansatzes ist es, diese unterschiedlichen Perspektiven herauszuarbeiten, zusammenzuführen und für die Managementlehre und -praxis wirksam werden zu lassen.

1.2.1

Strategieperspektiven

Aus verschiedenen Perspektiven, erhält man ein realitätsnäheres Bild. Der bekannte kanadische Managementforscher Henry Mintzberg stellt seinem Buch „Die Strategiesafari“ (1999), in dem er ein Dutzend unterschiedlicher Managementansätze skizziert, zur Illustration ein Gedicht voran. Sechs blinde Männer versuchen sich einen Eindruck von einem Elefanten zu verschaffen. Alle betasten das Tier und sind sich sicher, nun genau über dessen Beschaffenheit Bescheid zu wissen. Dabei entgeht Ihnen allerdings, dass sie jeweils nur einen kleinen Teil des Tieres erkundet haben. Der erste, der den Bauch des Elefanten betastet, glaubt auf eine Wand zu treffen. Der zweite, der den Stoßzahn befühlt, glaubt, es handle sich um einen Speer. Der dritte hält das unbekannte Tier wegen seines Rüssels für eine Schlange, der vierte aufgrund seines stämmigen Beines für einen Baum, der fünfte, der nur das Ohr ertastet, für einen Fächer und der sechste, der den Schwanz erwischt, vermutet darin ein Seil. Jeder der sechs Blinden hat auf seine Weise recht und dennoch erfasst keiner von Ihnen das gesamte Erscheinungsbild eines Elefanten. „Wir sind die Blinden, und die Strategieentwicklung ist unser Elefant“ stellt Mintzberg fest. Es gibt nicht die Strategielehre, die einfache Antworten auf schwierige Fragen gibt, sondern nur unterschiedliche Denkschulen. Strategie kann zum Beispiel als Plan, als List (vgl. Praxisbeispiel), als Verhaltensmuster, als Position im Verhältnis zu anderen und als Perspektive verstanden werden (Mintzberg 1987; 2003).

1.2 Handlungsspielräume durch Strategieperspektiven

11

Praxisbeispiel: Strategie und List – China denkt anders Kann auch eine List eine Strategie sein? Das deutsche Wort „List“ hat oft eine negative Färbung. In China wird dagegen die Kunst der List seit Jahrhunderten gepflegt. Harro von Senger, Professor für Sinologie an der Universität Freiburg, verwendet deshalb dafür das neutrale, unbekannte Fremdwort „Strategem“, ein Begriff, der sich von der konventionellen Sicht der Strategie als langfristige Planung im Hinblick auf die grundsätzlichen Unternehmensziele unterscheidet: „Strategem ist ein unbelastetes Wort für ‚List‘. Also ist zu erklären, was eine ‚List’ ist. List wird meist mit Täuschung gleichgesetzt. Doch von dieser Verengung der List sollte man sich lösen. Die beste chinesische Umschreibung der ‚List‘ lautet: ‚Chu qui zhi sheng.‘ Etwas Außergewöhnliches erzeugen, um den Sieg zu erringen. … List ist eine schlaue, außergewöhnliche, verblüffende Problemlösung, bei der manchmal – aber keineswegs immer – Täuschung eingesetzt wird.“ Das Strategem Nr. 6 in seinem Buch heißt beispielsweise: „Im Osten lärmen, im Westen angreifen.“ Man führt an einer Stelle ein Scheingeschäft durch, greift aber an einer anderen Stelle an: “Bei gewissen Computerspielen oder beim Sport lenkt man die Aufmerksamkeit des Gegners auf einen bestimmten Punkt, um überraschend an anderer Stelle vorzustoßen.“ Als Strategem-Prävention empfiehlt von Senger hier: „Man sollte bei großem Getöse und spektakulären Geschehnissen nicht wie das Kaninchen auf die Schlange starren.“ Aber das Strategem ist auch nicht ohne Risiko: „Zielt man mit der Ablenkungslist auf einen hellwachen Gegner, läuft man ihm prompt ins Messer.“ Fragen: 1. Glauben Sie, dass List (Strategem) im Wirtschaftsleben eine bedeutende Rolle spielt? 2. Können Sie von eigenen Erfahrungen über den Gebrauch von List berichten? Quelle: Von Senger, H.: 36 Strategeme für Manager. München und Wien 2004, hier S. 15 und S. 52 ff.

Mintzberg hat das tatsächliche Verhalten von Managern mit der Stoppuhr beobachtet und dabei festgestellt, dass deren Soll-Aufgaben mit der Realität kaum übereinstimmen. Von Managern wird verlangt, dass sie planen, organisieren und kontrollieren. Tatsächlich ist ihr Alltag durch das Lösen permanenter Probleme geprägt, durch zerstückelte Arbeitsvollzüge, durch verbale Kommunikation, durch Fragen und Zuhören und durch den Druck, Entscheidungen fällen zu müssen, lange bevor alle benötigten Informationen gesammelt sind (vgl. Mintzberg 1975; Kotter 1999). Der Prozess der Strategiebildung (Strategy Formation) ist dementsprechend nicht linear einfach, sondern ein komplexer sozialer Prozess. In einem einflussreichen Beitrag haben Mintzberg und Waters (1985) herausgearbeitet, dass die Strategiebildung mehr umfasst, als langfristige Ziele und Aktionspläne zur zukünftigen Entwicklung zu entwerfen (vgl. Abb. 1.3). Bei geplanten Strategien wird zunächst gedacht und dann gehandelt. Wenn es keine Pläne gibt oder vom Plan abgewichen wird, entsteht durch einen iterativen Prozess von Denken und Handeln dennoch eine Strategie, die als emergente Strategie bezeichnet wird. Strategisches Lernen beruht also sowohl auf planmäßigem, bewussten Denken und Handeln als auch auf einem unbewussten Prozess. Strategien bilden

12

1 Grundlagen

sich durch Intuition und Glück heraus. Mintzberg (2003) vergleicht den Strategieprozess mit der kreativen Tätigkeit eines Künstlers, die sowohl die linke rationale als auch die rechte emotionale Gehirnhälfte fordert. Strategieprozesse verlaufen demnach eher unstrukturiert und schrittweise, als systematisch geplant. Die Geschichte heute weltbekannter Unternehmen wie McDonald’s, Reuters, Apple, Coca-Cola und Lindt, Maggi oder Nestlé zeigt, dass Planung allein, insbesondere in der Gründungsphase, nicht ausreicht, sondern dass Intuition, Glück und Risikobereitschaft ebenfalls notwendig sind (Crainer 2002; Capus 2008). Dabei liegen Erfolg und Misserfolg oft nah beieinander (vgl. Praxisbeispiel).

beabsichtigte Strategie

realisierte Strategie

geplante Strategie

unrealisierte Strategie

emergente Strategie

strategisches Lernen

Abb. 1.3

Strategie als Prozess (nach Mintzberg & Waters 1985, S. 258 ff.)

Praxisbeispiel: Coca-Cola – über Intuition, Glück und Marketing Hand aufs Herz: Glauben Sie an innovative Buchhalter? Nein? Nun, es war der Buchhalter Frank Robinson, der 1886 das „Gehirntonikum“ aus dem Labor des Apothekers John Styth Pemberton auf den Namen Coca-Cola taufte. Er war es auch, der seinem Chef den schwungvollen Schriftzug gestaltete. Ursprünglich wurde die Brause aus Karamell, Phosphorsäure und sieben weiteren Geschmacksstoffen für fünf Cent pro Glas an einem Sodastand in Jacobs’s Pharmacy in Atlanta vertrieben. Nach einem Jahr hatte Pemperton durchschnittlich sechs Portionen am Tag verkauft und stattliche 50 Dollar Gewinn gemacht. Dabei wäre es vermutlich auch geblieben, hätte Pemperton nicht die Macht der Werbung erkannt – übrigens lange vor vielen anderen, viel größeren Unternehmen. Schon im ersten Jahr gab Pemperton über 73 Dollar aus, um sein Produkt bekannt zu machen. Von Anfang an erschienen Anzeigen im „Atlanta Journal“: „Coca-Cola. Köstlich! Erfrischend! Prickelnd!“ Kurz vor seinem Tod verkaufte Pemperton seine Cola an den Arzt Asa Candler. Auch er war ein Fan von Marketing und der Meinung: „Wir brauchen eine Flasche, die man selbst im Dunkeln erkennt.“ Also wurde ein Designwettbewerb ausgeschrieben, der selber schon ein glanzvolles Marketingereignis war. Siegreich war ein Gefäß der Root Glass Company, das die Silhouette einer kurvenreichen Frau nachempfand. Obwohl Coke sie schon seit

1.2 Handlungsspielräume durch Strategieperspektiven

13

Jahren nicht mehr verwendet, wurde diese Flasche im kollektiven Gedächtnis der Welt zu einer Stilikone des 20. Jahrhunderts. Doch auch Marketinggenie Candler machte Fehler. Er war nicht gerade der größte aller Strategen, denn er glaubte, Cola würde vor allem an Sodaständen vertrieben, und verkaufte die Abfüllrechte für einen Dollar. Fragen: 1. Glauben Sie, dass Intuition und Glück im Wirtschaftsleben eine bedeutende Rolle spielen? 2. Ist dieses mehr in der Entstehungsphase als bei Reife eines Geschäfts der Fall? Quelle: Bierach, B.: Glück oder Weitblick? In: Die Wirtschaftswoche 2000, Nr. 32, S. 78 ff.

Die Kritik von Mintzberg an der herkömmlichen Managementlehre hat eine Diskussion ausgelöst, die in die Literatur als Kontroverse zwischen Planern und Inkrementalisten eingegangen ist (vgl. Bresser 1998, S. 11 ff.). Spannungen dieser Art sind typisch für die Strategielehre, sie werden auch als strategisches Paradox bezeichnet, aus der dann entsprechende strategische Perspektiven folgen (vgl. Poole & Van de Ven 1889). Die strategische Spannung besteht hier zwischen Intention und Emergenz. Menschen handeln absichtsvoll (intentional), wenn sie zunächst einen Plan machen und diesen dann umsetzen. Wenn Menschen keinen Plan haben oder vom ihm abweichen, aber ihr Verhalten dennoch strategisch ist, dann bilden sich Strategien schrittweise heraus (emergieren). Manche Filmregisseure etwa, fangen mit dem Dreh an, obwohl das Drehbuch nicht fertig ist und erwarten gerade dadurch bessere Filme. Entsprechend sind die strategische Planungsperspektive und die Perspektive der schrittweisen Entstehung (Inkrementalismus) zu unterscheiden (vgl. De Wit & Meyer 2008). Die eigentliche Schwierigkeit liegt darin, dieses Paradox festzuhalten und nicht der Versuchung zu erlegen, sich auf die eine oder auf der andere Seite zu schlagen. Das hört sich kompliziert an und ist es auch. Was spricht für Planung, was für die schrittweise Entstehung?

DIE PLANUNGSPERSPEKTIVE Von der Planung wird erwartet, dass sie ! zur Effizienzsteigerung und Risikoreduzierung beiträgt; ! Handlungsspielräume eröffnet, weil die Auseinandersetzung mit künftigen Entwicklungen erfolgt, wenn noch agiert werden kann; ! Komplexität verringert, weil ein Gesamtproblem in überschaubare Einzelprobleme, die möglicherweise einfacher lösbar sind, zerlegt wird; ! Synergieeffekte erzielt, weil die Teilbereiche koordiniert werden; ! neue Ideen bei der Alternativensuche entwickelt; ! zur Konsensbildung und Konfliktreduzierung im Unternehmen beiträgt, da Handlungsalternativen transparent werden (vgl. Wild 1982; Macharzina & Wolf 2008). Auch praktisch liegt auf der Hand, dass zumindest große Unternehmen systematisch strategisch planen. Das zeigt etwa ein Bericht zur Praxis bei Daimler Benz im Jahre 1997 (vgl.

14

1 Grundlagen

Abb. 1.4). Der Planungskalender startet jeweils im März mit dem Strategieforum Konzernvorstand, an dem die Leiter der 23 Geschäftsbereiche teilnehmen. Das Forum beginnt mit einer strategischen Bilanz des Vorstandsvorsitzenden. Ziel ist die Ausrichtung aller Beteiligten auf die wichtigsten Ziele und Initiativen des Konzerns. Die dreimonatige strategische Planungsphase beginnt mit der eigenverantwortlichen Erstellung der strategischen Pläne durch die Geschäftsbereiche gemäß den Vorgaben aus dem Strategieforum. Am Ende der strategisch-wirtschaftlichen Gespräche des Konzernvorstands mit den Geschäftsbereichsleitern werden die Geschäftsbereichsstrategien und -projekte (Business Strategy) verabschiedet. Im Juni findet dann die Konzernstrategieklausur statt, bei der auf Basis der Ergebnisprotokolle der Geschäftsbereiche die Konzernstrategie (Corporate Strategy) diskutiert und verabschiedet wird. Diese wird dann dem Aufsichtsrat vorgelegt. Nach der Sommerpause geht es dann weiter mit der dreimonatigen operativen Budgetplanung. Trackinggespräche ermöglichen die aktive Einflussnahme in den Planungsprozess, etwa bei Problemfällen oder großen Projekten (vgl. Töpfer 1998, S. 48 ff.). Die operative Planung folgt also der strategischen Planung und wir nicht nur von ‚oben nach unten‘ (Top-Down) sondern auch von ‚unten nach oben‘ (Bottom-Up) entwickelt (Gegenstrom-Prinzip). März

April

Mai

Strategieforum

Vorstand

Strategiegespräche TG

Geschäftsfeld

TG

Ergänzung

TG Zustimmung

Planung

Geschäftsbereich

Operative Einheiten

Juni

Planung

September

Strategieklausur

Aufforderung

TG

November

Budgetgespräche

TG Ergänzung

Sommerpause

Verantwortliche

Dezember

Budgetklausur TG

Zustimmung

Planung

Planung

3 Monate Strategie

3 Monate Budget

TG = Trackinggespräche Aufsichtsrat

Abb. 1.4

AR-Sitzung

AR-Sitzung

Planungsablauf beim Daimler Konzern (nach Töpfer 1998, Abb. 15)

Auch eine Untersuchung der Strategieprozesse deutscher Unternehmen zeigt einen hohen Grad an Strukturiertheit und eine stringente Phasenfolge (vgl. Al-Laham 1997). Eine McKinsey Umfrage aus dem Jahre 2006 ergab, dass über drei Viertel der 796 weltweit befragten Unternehmen über einen formalen strategischen Planungsprozess verfügen. Davon sagten etwas mehr als die Hälfte, dass dieser eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung der Unternehmensstrategie spiele. Allerdings wird von etwas mehr als der Hälfte der Befragten betont, dass für wichtige strategische Entscheidungen eine kleine Gruppe von Top-Leuten wichtig ist und nur zu 23 Prozent der formale Planungsprozess. Außerdem bestehe erheblicher Verbesserungsbedarf bei der Umsetzung der Strategie (vgl. McKinsey & Co. 2006).

1.2 Handlungsspielräume durch Strategieperspektiven

15

DIE PERSPEKTIVE DER SCHRITTWEISEN ENTSTEHUNG Für die schrittweise Entstehung von Strategien spricht, dass auch ein ausgefeilter Planungsablauf Fehlentscheidungen nicht verhindert. Als solche wird heute die Fusion von Daimler und Chrysler eingeschätzt. Innovative Geschäftsmodelle entstehen oft durch Intuition und Zufall, nicht durch vorausschauende Planung. Southwest Airlines hat das Modell der Billig-Fluggesellschaft entdeckt. 2008 ist Southwest die nach Passagieren zweitgrößte Fluggesellschaft, noch vor der deutschen Lufthansa, die den dritten Platz einnimmt. Wenig bekannt ist, wie diese Strategie entstanden ist, zu der die rasche Abfertigung am Flugsteig gehört. Bei der Gründung im Jahre 1971 hatte Southwest Airlines Probleme die nötigen Rechte zu erhalten. „Als Southwest endlich seine Genehmigungen für den Betrieb hatte, war das Unternehmen fast pleite und seine Flugzeug-Flotte von vier auf drei Maschinen geschrumpft. Die kleine Firma und ihre Mitarbeiter entschieden sich, es dennoch zu versuchen und mit den drei verbliebenen Flugzeugen ihren ursprünglichen Flugplan einzuhalten. So wurde Southwests Strategie der kurzen Abfertigungszeiten geboren.“ (Pfeffer & Sutton 2007, S. 212) Das mangelnde Interesse an einer systematischen Planung ist bei Southwest über Jahre unverändert geblieben. Der frühere Konzernchef Herb Kelleher beschreibt das so: „Wir betreiben keine Strategieplanung. Das ist reine Zeitverschwendung. Sie können drei Monate darauf verwenden, sich etwas zu überlegen, und dann müssen Sie sich noch um die Unterstützung der anderen Führungskräfte bemühen. Wenn Sie dann soweit sind, es dem Vorstand vorzustellen, können sich die Dinge längst geändert haben. Dann müssen Sie den anderen Ihre Ideen schneller ausreden, als sie reagieren können. Wir betreiben keine Nabelschau. Während man über alles nachdenkt, verpasst man Chancen.“ (Earl 2003, zitiert nach Pfeffer & Sutton 2007, S. 212) Vor dem Hintergrund der Vorstellung, dass die oberste Führungsebene die Richtung vorgibt, sich dabei auf einige bewährte Werkzeuge der Planung stützt, die dann durch die Organisation ‚zum praktischen betrieblichen Vollzug‘ gebracht wird, hätte es viele Geschehnisse nicht geben dürfen. IBM zum Beispiel, Weltmarktführer bei Großrechnern in den 1980er Jahren, hat bekanntlich die durch den Personal Computer ausgelöste Strategiewende verschlafen. Welche Schlussfolgerungen lassen sich aus der Kontroverse zwischen Planern und Inkrementalisten ziehen? Die zentrale Frage sollte dabei sicher nicht sein: „Wer hat Recht und welche Meinung ist damit die richtige?“ sondern „Wie können sich die beiden Sichtweisen gegenseitig ergänzen und befruchten.“ Strategien entwickeln sich aus einer Kombination von Planung und komplexer, schrittweiser Entstehung. Strategien werden zum einen auf der Grundlage formaler Prozesse in Vorstands- und Aufsichtsratssitzungen überwiegend von oben nach unten (Top-Down) geplant, entstehen zum anderen aber auch von unten nach oben (Bottom-Up) als Ergebnis einer Vielzahl dezentraler Entscheidungen auf Sparten- und Werksebene und werden anschließend von der Unternehmensführung bestätigt. In dem Maße, in dem die Konzernzentrale den dezentralen Einheiten durch weit gefasste Ziele, wie Mission-Statements bis hin zu Budgets, Freiheiten lässt, wird praktisch eine Kombination aus planerischer Gestaltung und komplexer Entstehung realisiert (vgl. Grant & Nippa 2006, S. 46 ff.). Es ist demnach die Managementpraxis, die hierbei einen integrierten Ansatz verfolgt. Dagegen soll ein etwas abgehobener Forscher einmal gesagt haben: „Das mag in der Praxis

16

1 Grundlagen

richtig sein, funktioniert aber nicht in der Theorie!“ Richtig an diesem Scherz ist, dass die Managementtheorie die Praxis beeinflusst – und das nicht immer zum Guten. Ziel des vorliegenden Buches ist es, komplexe Strategieperspektiven zu vermitteln und Handlungsspielräume aufzuzeigen, dabei aber realistisch und für die Praxis einfach, handlich und verständlich zu bleiben.

1.2.2

Strategie – ein integrierter Ansatz

Im Jahre 2005 erschien in der renommierten Zeitschrift Academy of Management Learning & Education ein Beitrag mit dem Titel “Bad Management Theories Are Destroying Good Management Practices”, der eine bis heute andauernde akademische Diskussion ausgelöst hat. Vor dem Hintergrund skandalöser Fehlentwicklungen der letzten Jahre wendet sich der Autor, Sumantra Goshal, gegen radikal einfache theoretische Lösungen für komplexe Probleme, gegen die dominierenden Ideologie des radikalen Individualismus, wie sie etwa von Milton Friedman vertreten wird, und setzt sich für mehr intellektuellen Pluralismus ein. Entsprechend sollte auch in der Strategielehre davon ausgegangen werden, dass unterschiedliche, ja gegensätzliche Ansichten nicht als Schwäche, sondern als Stärke der Disziplin verstanden werden. Dafür spricht, dass auch die Praxis widersprüchliche Perspektiven vereinen muss: „Hochleistungsunternehmen scheinen die Fähigkeit zu besitzen, bei der Strategieerstellung konkurrierende Bezugssysteme miteinander zu vereinen. Sie gehen gleichermaßen planungsorientiert und schrittweise, richtungweisend und partizipativ, kontrollierend und ermächtigend, visionär und detailliert vor.“ (Hart 1991, S. 121) Strategie wird hier definiert als eine Vorgehensweise, um einen Organisationszweck zu erreichen. Folgende Strategiedimensionen sind dabei im Hinblick auf den Organisationszweck und die Handlungsspielräume der Unternehmensführung zu unterschieden (vgl. De Wit & Meyer 2008 und die Abb. 1.5): ! Ausgangspunkt ist der Organisationszweck: Welche Ziele werden mit den strategischen Aktivitäten verfolgt, Gewinn oder Verantwortung? Welcher Grundauftrag (Mission) bestimmt die Aktivitäten und woran wird der Unternehmenserfolg gemessen? ! Strategieprozess: Die Art und Weise wie Strategien entstehen. Wie, von wem und wann werden Strategien entwickelt? Sind Logik oder Kreativität entscheidend für das strategische Denken? Sind Strategien das Ergebnis rationaler Überlegung oder entstehen sie im Prozess? Ist strategischer Wandel evolutionär oder revolutionär? ! Strategieinhalt: Was ist das Ergebnis des Strategieprozesses? Entstehen Erfolgspotentiale und Wettbewerbsvorteile aus der Markt- oder aus der Ressourcenperspektive? Kommt es auf die Reaktionsfähigkeit autonomer Geschäftseinheiten oder auf Synergien zwischen ihnen an? Sollten Unternehmen im Wettbewerb zueinander stehen oder kooperieren? ! Strategiekontext: Die Bedingungen, die den Strategieprozess und Strategieinhalt beeinflussen, oder: Wo wird die Strategie entwickelt? Setzen die Branchenbedingungen die Regeln oder gibt es Handlungsspielräume? Steuert die Führung die Organisation oder entwickelt sich diese aus der Selbstorganisation? Kommt es im internationalen Kontext auf globale Standardisierung oder auf lokale Anpassungsfähigkeit an?

1.2 Handlungsspielräume durch Strategieperspektiven

17

Strategiekontext Umweltbedingungen der strategischen Aktivitäten Organisationszweck Triebkraft für strategische Aktivitäten (Input)

Abb. 1.5

Strategieprozess Fluss strategischer Aktivitäten (Troughput)

Strategieinhalt Ergebnis strategischer Aktivitäten (Output)

Strategiedimensionen (De Wit & Meyer 2008, S. 5)

Welche Antworten sind auf diese Fragen zu erwarten? Sollte beispielsweise ein international tätiges Unternehmen global mit standardisierten Produkten auftreten, um Größenvorteile zu erzielen, oder sollte es sich an die lokalen Bedingungen anpassen? Vieles spricht dafür, dass nicht ein „entweder-oder“ sondern ein „sowohl-als-auch“, richtig sein könnte (vgl. Kapitel 5). Coimbatore K. Prahalad, Strategieprofessor an der Ross School of Business in Michigan, hat mit seinem Kollegen Yves Doz vor zwanzig Jahren erstmals diese Auffassung vertreten. In diesem Fall geht es darum, laufend die Spannung zwischen der globalen als auch der lokalen Perspektive zu managen. Prahalad konnte kürzlich feststellen, dass seine Idee bestand hat: „Am Wichtigsten ist, dass die Erfordernis, eine ‚multifokale‘ Organisation zu schaffen, zunehmend anerkannt wird.“ (Interview in Schmid & Grosche 2008, S. 99) Integriertes Management handelt von einer solchen ‚multifokalen‘ Organisation, deren Erfolg auf der Auseinandersetzung mit unterschiedlichen, ja gegensätzlicher Perspektiven beruht. Als integrierte strategische Unternehmensführung soll hier ein Ansatz verstanden werden, der auch gegensätzliche Strategieperspektiven zulässt, um Erfolgspotenziale aufzubauen, zu pflegen und weiterzuentwickeln und dabei die damit verbundenen Risiken zu managen. Das vorliegende Buch ist kompakt und anspruchsvoll zugleich. Der Aufbau ist einfach. Unter Unternehmensleistung (Corporate Performance) wird hier der Unternehmenserfolg bei einem bestimmten Risiko verstanden. Die Leistung des Unternehmens hängt von dessen Zielen, Strategien und der Organisationsgestaltung ab, aber auch von der nicht beeinflussbaren Entwicklung seiner Umwelt, wie Konjunktur und Krise. Wir beginnen mit einer Einführung zu den Grundlagen der Unternehmensführung (Kap. 1). Ausgehend vom Zielsystem des Unternehmens (Kap. 2) geht es um die Geschäfts-, Unternehmens- und Netzwerkstrategie (Kap. 3) sowie die Organisation (Kap. 4). Dem Thema der internationalen Strategie und

18

1 Grundlagen

Organisation ist ein eigenes Kapitel gewidmet (Kap. 5). Zur Vertiefung wird weitere Literatur empfohlen.1 Anspruchsvoller wird es im Folgenden vor allem deshalb, weil Paradoxien, die charakteristisch für die Strategielehre sind, herausgearbeitet werden. Paradoxien und die damit verbundenen Kontroversen sind eine wesentliche Triebkraft wissenschaftlicher Erkenntnis. Die Auseinandersetzung mit ihnen ist selbst paradox: „Ich habe viel für Paradoxien übrig, und gleichzeitig will ich sie aus der Welt schaffen!“ hat der Mathematiker Roger Penrose dazu einmal festgestellt. In jedem Kapitel werden sowohl die strategische Spannung (das Strategie-Paradox) als auch gegensätzliche Strategieperspektiven entwickelt. Abb. 1.6 gibt dazu eine erste Übersicht.

Kap.

Strategiethema

Strategieparadox

Strategieperspektiven

1

Grundlagen : Strategiebildung

Intention vs. Emergenz

Planung vs. schrittweise Entstehung

2

Ziele

Gewinn vs. Verantwortung

Shareholder Value vs. Stakeholder Value

3.1

Geschäftsstrategie

Märkte vs. Ressourcen

Außen-Innen vs. Innen-Außen

3.2

Unternehmensstrategie

Reaktionsfähigkeit vs. Synergie

Portfolio-Organisation vs. Integrierte Organisation

3.3

Netzwerkstrategie

Wettbewerb vs. Kooperation

Eigenständige Organisation vs. eingebettete Organisation

4

Organisatorischer Kontext

Kontrolle vs. Chaos

Führung vs. Selbstorganisation

5

Internationaler Kontext

Globalisierung vs. Lokalisierung

Globale Integration vs. lokale Reaktionsfähigkeit

Abb. 1.6

Strategie: Thema, Paradox und Perspektive (nach De Wit & Meyer 2008, S. 14)

Formal betrachtet geht es um eine Schrittfolge von Strategieentwicklung, -formulierung und -umsetzung (vgl. Abb. 1.7). Auf die Strategieentwicklung, die sich mit der grundsätzlichen strategischen Ausrichtung des Unternehmens und der Strategieanalyse beschäftigt, folgt die Strategieformulierung, bei der es um die Formulierung der Ziele, der Alternativen, ihre Bewertung und die Auswahl zwischen ihnen geht, und die Strategieumsetzung, die Planung, Organisation und das Controlling der Maßnahmen.

1

Vgl. u.a. Mintzberg et al. 2003; Hungenberg 2008; Bea & Haas 2005; Müller-Stewens & Lechner 2005; Steinmann & Schreyögg 2005; Grant & Nippa 2006; Camphausen 2007; Malik 2007; De Wit & Meyer 2008; Dillerup & Stoi 2008; Johnson et al. 2008; Macharzina & Wolf 2008; Welge & Al-Laham 2008; Daft 2010.

1.2 Handlungsspielräume durch Strategieperspektiven

19

Analyse des Umfelds Chancen und Risiken Zielsystem und Entscheidungsträger

Analyse der Leistungsfähigkeit

Formulierung der Ziele

Strategieformulierung

Umsetzung

Unternehmen Geschäft Funktion

Richtungen und Maßnahmen der Entwicklung

Führung Organisation Personal IT

Controlling

Stärken und Schwächen

Strategieentwicklung

Abb. 1.7

Strategieformulierung

Strategieumsetzung

Schrittfolge Strategieentwicklung, -formulierung und -umsetzung

Die strategische Planung steckt den grundsätzlichen Orientierungsrahmen für zentrale Unternehmensentscheidungen ab, während die operative Planung darauf abstellt, eine unter Berücksichtigung der strategischen Ziele konkrete Orientierung für das tagtägliche Handeln zu gewinnen (vgl. Steinmann & Schreyögg 2005, S. 98 f.). Zu den Aufgaben der strategischen Planung gehört es, die langfristigen Unternehmensziele festzulegen und davon abgeleitet eine Strategie zur Entwicklung nachhaltiger Erfolgspotentiale unter Beachtung der Risiken zu entwickeln. Dadurch sollen die Grundlagen auch für den zukünftigen Unternehmenserfolg gelegt werden. Darin ist auch der Aufsichtsrat eingebunden. In der Aktiengesellschaft hat der Vorstand nach § 90 Abs. 1 Nr. 1 und 3 AktG „dem Aufsichtsrat zu berichten über 1. die beabsichtigte Geschäftspolitik und andere grundsätzliche Fragen der Unternehmensplanung … 3. den Gang der Geschäfte, insbesondere den Umsatz und die Lage der Gesellschaft.“ Planung ist damit „ein wesentlicher Bestandteil einer ordnungsmäßigen Unternehmensführung.“ (Theisen 2007, S. 161 sowie Groß & Amen 2003; Köstler et al. 2006, S. 273 ff.; BDU 2008). Die ordnungsgemäße Unternehmensplanung dient der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und der Wahrung wichtiger Stakeholder-Interessen. Dazu gehören sowohl der Selbstschutz der Geschäftsführer gegenüber Haftungsansprüchen, als auch der Schutz der Gläubiger- und Kapitalanlegerinteressen sowie der Arbeitnehmerinteressen. „Arbeitnehmervertreter (haben, d. Verf.) ein gravierendes Interesse an der Unterrichtung und Beratung über die Unternehmensplanung, da diese weitreichende Auswirkungen auf die quantitative und qualitative Entwicklung der Belegschaft hat.“ (Groß & Amen 2003, S. 1171 ff.) Zur operativen Planung gehören miteinander abgestimmte Teilpläne wie Umsatz-, Produktions-, Kosten-, Personal-, und Investitionsplan sowie der Finanzplan. Schritte der operativen Planung sind die Festlegung der Planungsprämissen wie Marktwachstum, Preisentwicklung

20

1 Grundlagen

etc. durch die zentrale Planungsabteilung, die Erstellung der Teilpläne durch die jeweiligen Abteilungen unter Beachtung der Vorgaben, die Abstimmung der Teilpläne durch die zentrale Planungsabteilung und die Beschlussfassung über den Gesamtplan durch die Geschäftsführung bzw. auch durch den Aufsichtsrat. Controlling wird definiert als die an den Unternehmenszielen ausgerichtete Steuerung des Unternehmens. Dazu orientiert man sich an den festgelegten Zielen, vergleicht laufend geplante und tatsächliche Entwicklung und analysiert die Abweichungsursachen. Die Controllingabteilung liefert den Entscheidungsträgern die erforderlichen Informationen und Maßnahmenvorschläge. Planung ist eine der wichtigsten Managementfunktionen, zugleich aber nur ein Instrument der Unternehmensführung. Durch strategische Planung kann die turbulente Umwelt nicht gezähmt werden. Aber wird es dadurch überflüssig zu planen? Vielmehr „wird der Zufall durch den Irrtum ersetzt.“ (Müller-Stewens & Lechner 2005, S. 21) Ohne Ziele und Pläne sind Organisationen und Mitarbeiter orientierungslos, aber es kommt auch auf die Fähigkeit an, sich an veränderte Bedingungen anzupassen. Mehr aber noch gibt die Planung den Rahmen vor für unterschiedliche Ansätze und Initiativen der Strategieentwicklung, die teilweise gegensätzliche Schlussfolgerungen zulassen. Strategien werden nicht nur geplant, sie entstehen (emergieren) auch schrittweise im Strategieprozess. Dieses wird auch als Lernperspektive oder evolutionäre Perspektive bezeichnet, die untersucht wie Organisationen, ähnlich wie Menschen und andere Lebewesen auch, aus Fehlern lernen und sich anpassen. Deshalb hat heute die Strategische Unternehmensführung oder gleichbedeutend das Strategische Management reines Planungsdenken abgelöst. Ausgangspunkt dieses ersten Kapitels war die Feststellung, dass Planung notwendig ist, aber nicht hinreicht. Verschiedene Strategieperspektiven sollten eingenommen werden, um zu einer integrierten Sicht zu gelangen. Vernetztes Denken zur Lösung komplexer Probleme (Probst & Gomez 1991) ist dabei förderlich. Wir werden im Folgenden darüber hinaus feststellen, dass hervorragende Führungspersönlichkeiten die Eigenschaft haben, entgegengesetzte Perspektiven festzuhalten und daraus innovative Lösungen zu entwickeln.

1.3

Die Kunst der Führung

Zur Entwicklung, Umsetzung und Veränderung der Strategie gehört strategisches Denken – also der Stratege selbst. Entsprechende Fragestellungen sind, ob zuerst gedacht und dann gehandelt wird (oder umgekehrt), was erfolgreiche Führungspersönlichkeiten (Leader) auszeichnet und wie und wodurch geführt wird. Führung (Leadership) wird ausgeübt durch den Einzelnen als Selbstführung, als Führung einer Gruppe oder einer Organisation. Strategische Führung handelt davon, wie Ziele, Strategien und Organisationen entwickelt werden, um Erfolgspotenziale aufzubauen. Führung findet zwischen Menschen statt und schließt die Beeinflussung des Verhaltens ein, um Ziele zu erreichen (vgl. Yukl 1989), wird aber auch durch Systeme ausgeübt. Wir verwenden im Folgenden Führung und Leadership gleichbedeutend.

1.3 Die Kunst der Führung

21

Eine der Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrisen 2001 und 2008 ist, dass Vertrauen verloren gegangen ist. Millionen Menschen haben ihren Arbeitsplatz, Millionen ihr Erspartes verloren, viele haben sich bereichert. Märkte haben versagt, weil Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert wurden. Korruption in Politik und Management sind keine Seltenheit mehr. In unruhigen Zeiten wollen Menschen geführt, nicht nur verwaltet werden, zugleich aber halten sie von Politikern und Managern nicht viel. Eine geschlossene Führungslehre, die Antworten auf diese Herausforderungen gibt, existiert nicht. Über gute Führung lässt sich streiten. Sie ist bekannt wie Schönheit und Liebe, aber schwer zu verstehen und herzustellen. Täglich neue Angebote nach dem Muster „Werde reich und glücklich durch Selbstführung“ oder „Feedback vom Pferd: Erleben Sie ihre Führungsqualitäten“ finden zwar ihren Markt, halten wissenschaftlicher Überprüfung aber nicht stand. Mit dem Zeitalter der Massen und Medien hat sich auch das Verständnis von „guter Führung“ verändert. Nach Drucker (2002) und Bennis & Nannus (1997) hat jeder, der etwas entscheidet, auch die Verantwortung, die Kunst der Führung zu beherrschen. In der heutigen Wissensgesellschaft sei die Macht eher bei den Wissensarbeitern angesiedelt, als bei den Managern und Eigentümern. Daher gelte es, in einer Gruppe, im Unternehmen, im Verband, in einer öffentlichen Einrichtung oder in einem ganzen Land, den Bedürfnissen zu dienen, die die Geführten erwarten: Sinn und Richtung, Vertrauen, Hoffnung und Optimismus sowie Ergebnisse. Erfolgreiche Führung hängt ab vom Format der Personen, dem jeweiligen Führungsstil und dem Führungssystem. Bevor dazu einige Eckpunkte aus der umfangreichen Literatur vorgestellt werden (vgl. zur Einführung etwa Hellriegel & Slocum 2004; Steinmann & Schreyögg 2005) soll im Anschluss an das vorhergehende Kapitel der Frage nachgegangen werden, welche Bedeutung integratives Denken für den Führungserfolg hat.

1.3.1

Integrative versus konventionelle Führung

Gegen konventionelles Managementdenken wendet sich Roger Martin, Professor an der Rotman School of Management der Universität von Toronto: Entscheidungen werden getroffen, in dem die Pro’s und Con’s der mutmaßlichen Alternativen geprüft werden, um dann alle, bis auf eine zu verwerfen. Wirklich erfolgreiche Führungspersönlichkeiten treffen dagegen keine „Entweder-oder-Entscheidungen“, sondern führen integrativ. Sie suchen nach Faktoren, die nicht unmittelbar offenkundig sind, betrachten vielfältige UrsacheWirkungs-Beziehungen, behalten das Ganze im Auge und sind in der Lage, kreative Lösungen für Spannungen zwischen entgegengesetzten Ideen zu finden (vgl. Abb. 1.8). Ein Beispiel dafür sei der Ansatz von Isadore Sharp, dem Gründer der Four Seasons Hotels, dessen Erfolg Martin (S. 32 ff.) an vier Faktoren integrativer Führung festmacht: ! Bedeutung (Salience): Traditionell sind Hotels entweder groß und anonym oder klein und gemütlich. Beide Geschäftsmodelle haben ihre Vor- und Nachteile. Sharp analysierte die Faktoren, die für die Kunden bedeutend sind, entwickelte den Luxusservice, individualisierte jedes Four Season Hotel nach den lokalen Anforderungen. ! Kausalität: Traditionell werden Mitarbeiter in der Hotelbranche als leicht auswechselbare Rädchen im Getriebe betrachtet. Die Fluktuation ist sehr hoch, bei sinkender Auftragslage werden zuerst die Personalkosten gekappt. Sharp hingegen sah einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Mitarbeitern, die durch ihren Arbeitgeber gut behandelt wer-

22

1 Grundlagen

den und Hotelgästen, die durch die Mitarbeiter gut behandelt werden. Seit 1998 erscheint Four Seasons regelmäßig auf der Liste der 100 attraktivsten Arbeitgeber der Zeitschrift Fortune. ! Architektur: Anstatt zuerst die Größe des Hotels zu entscheiden, dann ServiceStandards, dann die Personalpolitik, also bei der Strategieentwicklung nacheinander vorzugehen setzte Sharp durch, dass sich alle Einzelbetrachtungen an einer Goldenen Regel orientieren: „Wir gehen mit anderen – Partnern, Kunden, Mitarbeitern, jedermann – so um, wie wir wollen, dass sie mit uns umgehen.“ ! Auflösung (Resolution): Sharp führte Elemente der traditionellen Hoteltypen zusammen und entwickelte dadurch ein Geschäftsmodell, das darüber hinausgeht. Eckpfeiler des Four Seasons Aktivitätssystems sind ein einzigartiges Kundenerlebnis, eine ausgezeichnete Service-Einstellung der Mitarbeiter, eine stimmige globale Markenpolitik und mittelgroße, intime Hotels. • Unattraktive Zielkonflikte

Konventionelles Denken

werden akzeptiert

Auflösung

• Teile werden nacheinander/unabhängig betrachtet

• Suche nach kreativer Auflösung von Spannungen

Architektur

• Zu vereinfachte Betrachtung der Kausalität

• Das Ganze wird im

Kausalität

Auge behalten

• Wenige Faktoren werden berücksichtigt

• Mehrdirektionale und nichtlineare Kausalitäten

Bedeutung

• Mehr Faktoren werden als relevant angesehen

Abb. 1.8

Integratives Denken

Integratives Denken versus konventionelles Denken (Martin 2007, S. 47)

Für Martin sind innovative Geschäftsmodelle das Ergebnis integrativen Denkens, im Unterschied zum konventionellen Denken: „Die Leader, mit denen ich mich befasst habe, haben neben ihrem Talent für Innovation und langfristigem Geschäftserfolg eine Eigenschaft gemeinsam. Sie haben die Neigung und die Fähigkeit zwei diametral entgegengesetzte Ideen in ihrem Kopf festzuhalten. Und sie sind dann in der Lage, unaufgeregt und ohne sich für die eine oder die andere Alternative zu entscheiden, eine Synthese zu entwickeln, die jeder der beiden entgegengesetzten Ideen überlegen ist.“ (ebd., S. 6) Diese Denkhaltung, die Suche nach innovativen Lösungen weiter auszubilden und der Versuchung zu widerstehen, sich für die beste verfügbare schlechte Wahl zu entscheiden, ist auch eine Zielsetzung des vorliegenden Buches zur integrierten Unternehmensführung.

1.3 Die Kunst der Führung

1.3.2

23

Leadership versus Management

Das Leadership-Konzept entstand in den 1990er-Jahren, einer Zeit, in der die Komplexität und Dynamik der Unternehmensumwelt auch den damit verbundenen organisatorischen Wandel in den Vordergrund rückte. International tätige Unternehmen haben heute Systeme der Führungskräfteentwicklung und -beurteilung (Leadership Evaluation and Development, LEAD) eingeführt, die für die Führungskräfte des Unternehmens weltweit gelten (vgl. Praxisbeispiel und Kap. 5.2.5). Leadership und Management können als verschiedene Fähigkeiten verstanden werden, die sich in einer Person ergänzen sollten: Management fördert Stabilität, Ordnung und Problemlösungen, während sich Leadership an Visionen, Kreativität und Wandel orientiert (vgl. (Daft 2010, S. 590 und Abb. 1.9). Beides wird benötigt, denn die Anpassungsfähigkeit einer Organisation ist die eine Seite, die Ausrichtung im laufenden Geschäft die andere Seite. Die Leistung (Performance) einer Geschäftseinheit steigt, wenn beide Seiten entwickelt und ausgewogen sind (vgl. Gibson & Birkinshaw 2004). Wie können Menschen für ‚beidhändige‘ Führung stimuliert und motiviert werden? Nach Birkinshaw & Gibson (2008) sind Hochleistungs-Organisationen dadurch gekennzeichnet, dass sowohl hohe Anforderungen gestellt werden, als auch Unterstützung und Vertrauen ausgeprägt sind (vgl.). Kategorie

MANAGEMENT

LEADERSHIP

Initiiert etwas

Schafft etwas

Sachorientierung

Menschenorientierung

Richtungsfestlegung

Operationale Pläne Verbessert Bestehendes

Vision Schafft die Zukunft

Mitarbeiterbeziehungen

Straffe Kontrolle Koordiniert und leitet

Gibt Verantwortung Vertraut und entwickelt

Arbeitsweise

Macht die Dinge richtig

Macht die richtigen Dinge

Dient den Top-Managern

Dient den Kunden

Denkhaltung

Abb. 1.9

Management und Leadership (nach Hellriegel 2004, S. 251)

Praxisbeispiel: Führungskräftebeurteilung bei Daimler und SCA Die praktische Bedeutung des Leadership-Konzeptes kann am Beispiel der Führungskräftebeurteilung und -entwicklung (Leadership Evaluation and Development) bei Daimler illustriert werden (vgl. Abb. 1.10). Die Zielerreichung wird nach weltweit gleichen Standards nicht nur an Sachzielen gemessen, sondern auch nach Leadership-Kritierien bewertet. Dazu gehören: ‚Denkt und handelt strategisch und gibt Orientierung; initiiert Veränderungen und treibt sie voran; fordert und ermöglicht Top-Performance; geht mit Wissen und Informationen professionell um und schafft Wertschöpfung und handelt im Sinne des Unternehmens.‘

24

1 Grundlagen Performance-Bewertung Bewertung der Zielerreichung

Zielvereinbarung

Potenzialeinschätzung

Performance

!

1 2 3 4 5

Executive Development Conference

EDC

!!!!!

Bewertung der LeadershipKriterien

Low

Top

Vorgesetzter

Feedback

Entwicklungsplanung

Parallelbewertung

Abb. 1.10

Leadership Evaluation and Development bei Daimler (Daimler o.J.)

Ähnliche Kriterien werden auch bei der Svenska Cellulosa Aktiebolaget SCA, einem führenden Hersteller von Verpackungslösungen, angewendet (vgl. Abb. 1.11). Allerdings gibt es einen Unterschied. Bei SCA werden wie bei Daimler Geschäftsfähigkeiten (Business Capabilities) – wie beispielsweise visionär und strategisch, aber auch geschäfts- und ergebnisorientiert zu denken – bewertet und entwickelt. Daneben geht es aber auch um Personalfähigkeiten (People Capabilities), also um die Fähigkeiten andere zu motivieren, Teams zu führen, Menschen mit Verantwortung auszustatten und zu entwickeln sowie respektvoll miteinander umzugehen. Beide Kriterien werden in Anforderungsprofilen umgesetzt. Is Visionary Motivates Others Thinks Strategically

Builds Teams

Leadership Profile

Develops and Empowers People

Drives Results Shows Respect

Abb. 1.11

Is Business Oriented

Leadership Profile bei SCA (SCA)

1.3 Die Kunst der Führung

25

Fragen: 1. Welche Kriterien halten Sie für geeignet, um Führungskräfte zu bewerten und zu entwickeln? 2. Welche Vor- und Nachteile sehen Sie darin, Führungskräfte mit standardisierten Kriterien (Fragebogen) zu bewerten? 3. Wer sollte die Bewertungen abgeben? Quellen: Müller, H.-E.: Wie Global Player den Kampf um Talente führen. In: Harvard Business Manager 2001, Nr. 6, S. 16-25; DaimlerChrysler; Svenska Cellulosa Aktiebolaget SCA.

Transformierende Führung (Transformational Leadership) ist eine Variante des Leadership-Konzeptes: charismatisch und begeisternd, anspruchsvoll und visionär, integer und vertrauensbildend werden als Merkmale genannt, ebenso innovatives Denken und Coaching der Mitarbeiter. Danach verzichtet ein Vorgesetzter weitgehend darauf, Anweisungen zu erteilen, Verhalten direkt zu beeinflussen oder ausschließlich über Zielvereinbarungen zu führen. Stattdessen zielt sein Führungshandeln darauf ab, bei Mitarbeitern Einstellungen, Verhalten und Bewusstsein zu verändern. Einer charismatischen Führungspersönlichkeit gelingt dies naturgemäß leichter. Transformational Leadership soll bewirken, dass sich die Geführten nicht nur für die eigenen Interessen, sondern für höhere, übergeordnete und kollektive Ziele, Missionen oder Visionen einsetzen (vgl. Bass 1985; Avolio et al. 1999). Diese an Werten orientierte aktive Führung steht im Kontrast zur hergebrachten transaktionalen Führung, die am Wert, also an Austauschbeziehungen nach dem Muster: „Ich gebe, damit du gibst“ ausgerichtet ist. Passiver noch ist die Führung durch Management-byException, die erst bei Fehlern eingreift. Oswald Neuberger, Professor für Psychologie an der Universität Augsburg, kritisiert diese Konzepte, die wie Kleidermoden das längst bekannte nur in neuer Form propagieren, als ideologisch: „Nicht immer lassen sich die sportlich-kapitalistischen Ziele ‚Schneller! Besser! Mehr!‘ in einer Arbeitswelt voller Kreativität, Spaß und Erfolgsgenuss verwirklichen; die andere Seite der Gleichung enthält Posten wie permanente (Selbst-) Ausbeutung, Zeitdruck, Ungewissheit (in Bezug auf Einkommen, Position, Arbeitsplatz, Produktakzeptanz usw.).“ (ders. 2002, S. 209) Gründe für das wieder erwachte Interesse an charismatischer, visionärer, heroischer, transformierender Führung sieht er u.a. in dem Appell, sich großen Individuen zu unterwerfen, dem Hang zu einfachen Rezepten, in einem quasi-religiösen Erlösungsversprechen, sowie der Emotionalisierung. Aber die Geschichte habe nicht nur Gandhi und Martin Luther King hervorgebracht, sondern auch Hitler. Das Misstrauen der Deutschen gegenüber diesen Führungsformen lasse sich auf die schlechten Erfahrungen mit „Führern“ und „Bewusstseinsmanagement“ zurückführen. Für Daniel Goleman (1998) kommt es weniger darauf an, ob „Leader“ intelligent oder charismatisch sind. Entscheidend sei ihre emotionale Intelligenz: motiviert, einfühlsam und sozial verantwortlich. Auch Henry Mintzberg (2006) hält den Aufwand um das Thema für übertrieben. Die Bedeutung des charismatischen Chief Executive Officers (CEO’s) werde überschätzt. Dezentrale Organisationsstrukturen setzen auf „Führung von unten“ und Organisationen wachsen durch das Zusammenwirken ihrer Mitglieder: “Communityship“ wäre wirksamer. Dazu passt, dass der Managementforscher Jim Collins (2001) ermittelte, dass berühmte, überlebensgroße Unternehmenslenker für be-

26

1 Grundlagen

sonders erfolgreiche Unternehmen eher abträglich sind. Wirklich erfolgreiche Führungspersönlichkeiten kommen häufig aus dem Unternehmen, sind bescheiden und eigensinnig. Erfolgsorientierte Vergütungsformen sind dort nicht relevant.

1.3.3

Persönliche versus systemische Führung

Geführt wird nicht nur durch die persönlichen Eigenschaften der Führungskräfte (Leader Traits) oder durch Führungsstil und -verhalten (Leader and Follower Behavior) sondern auch systemisch durch die Strategie und Organisation des Unternehmens, den Markt sowie andere Institutionen der Gesellschaft (Leading System): ! Führung durch Marktverhältnisse: Nach Fredmund Malik, einem bekannten Managementlehrer und -berater, ist nicht „Wer soll führen?“ oder „Welcher Führungsstil?“ die entscheidende Frage, sondern: „Wie können wir unsere politischen Institutionen so organisieren, dass selbst schlechte und inkompetente Führer möglichst wenig Schaden anrichten können, und wie können wir uns von solchen Führern auf möglichst einfache und unblutige Weise wieder trennen.“ (Malik 2002, S. 44) Diese Argumentation geht auf den wirtschaftsliberalen Denker Friedrich A. von Hayek zurück, der, anknüpfend an Klassiker wie Adam Smith und John Locke, in den 1930er Jahren Märkte als Entdeckungs- und Sanktionsmechanismus begrüßte und gesellschaftliche Planung ablehnte. ! Führung durch Hierarchie und Technokratie: Neben der „unsichtbaren Hand“ des Marktes gibt es die „sichtbare Hand“ der Hierarchie in den Unternehmen. Harold Geneen, Vorsitzender des Weltkonzerns ITT der 1970er Jahre, rühmte sich damit, ein System geschaffen zu haben, das auch „ein Affe führen könnte, wenn ich nicht mehr da bin.“ Diese technokratische Sicht vernachlässigt die sogenannten “weichen” Faktoren des Wandels. Der Managementexperte Charles Handy bemerkte einmal dazu: “Heute ist die Sprache der Organisationen nicht die der technischen Planung sondern die der Politik, es geht mehr um Kulturen und Netzwerke, um Teams und Koalitionen, um Machteinfluss als um Steuerung, um Leadership, nicht um Management.“ (Handy 1995, S.71; vgl. auch Abrahamson 2004). Wie sehr die Führungsverhältnisse durch die Gesellschaft beeinflusst werden, zeigen die Themen Gender Mainstreaming und Diversity Management. In den allgemeinen Menschenrechten aber auch in jeweiligen Landesgesetzen, wie dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, ist festgehalten, dass niemand aus Gründen der „Rasse“, der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität benachteiligt werden darf. Frauen beispielsweise, stellen aber nach einem Bericht der Europäischen Kommission (2009) in den wichtigsten börsennotierten Unternehmen der Europäischen Union nur 3 Prozent der Vorsitzenden im Aufsichtsrat bzw. Board of Directors. Die Tatsache, dass nur wenige Ausländer und Frauen in obere Führungspositionen aufsteigen, kann auch damit erklärt werden, dass die Vorstellung der Überlegenheit der eigenen Gruppe (Ethnozentrismus) dominiert und unsichtbare Barrieren (Glass Ceiling) abschottend wirken (vgl. Bischoff 1999; Daft 2010). Multikulturelle Teams und Vorzeigeprojekte (Best-Practice-Examples), wie eine erste Führungsakademie für Managerinnen der Bertelsmann-Stiftung, können dazu beitragen, die Vielfalt der Talente und Fähigkeiten der Menschen zu nutzen.

1.4 Unternehmensverfassung und Corporate Governance

27

Work-Life-Balance (das prekäre Verhältnis von Arbeits- und Lebenszeit), Flexicurity – (Wandel durch soziale Sicherheit), Co-Management (Mitwirkung an Entscheidungen): diese Schlagworte der letzten Jahre illustrieren, dass sich auch die Führungsanforderungen verändert haben. Zunehmend kommt es auch auf die Initiative des Einzelnen an. Denn einerseits machen große Männer und Frauen Geschichte, anderseits werden sie von ihr gemacht. Erinnert sei hier erneut an das Beispiel IBM: Der Computer-Riese der 1980er Jahre, hatte den Personal Computer verschlafen, nicht zuletzt wegen seiner bürokratischen Struktur und konservativen Kultur. Die Wiederbelebung des alten Riesen mit dem Internet ging indessen nicht vom Vorstand aus, sondern von der Basis. Nach Gary Hamel, einem einflussreichen Strategiedenker, waren es der IBM-Programmierer Dave Grossmann, der Manager John Patrick und weitere Gleichgesinnte, die einen Sturm neuer Ideen und Initiativen entfachten und den Wandel zur neuen IBM, der Internet Business Machine lostraten. Für Hamel ist dies „Führung von unten“ (vgl. Hamel 2001). Als Ergebnis können wir festhalten, dass in Organisationen zum einen persönlich und interaktiv geführt wird, zum anderen aber systemisch durch Strategien, die Organisationsgestaltung und Einflüsse der Gesellschaft. Führung ist nicht mehr ausschließlich eine Angelegenheit von „denen da oben“. Folgt man den Ergebnissen einer Studie des Führungs- und Personalforschers Rolf Wunderer, wird die unternehmerische und strategische Orientierung des Personalwesens zunehmen, Führungskräfte sollen Visionen und Enthusiasmus vermitteln, sich mehr Zeit für die individuelle Mitarbeiterförderung nehmen, Wandel menschlich bewältigen und mehr Wert auf die Umsetzung legen (vgl. Wunderer & Dick 2001). Andererseits werden Personaler und Betriebsräte oft in die Rolle gedrängt, nur die Schattenseiten des Wandels zu bewältigen. Denn einerseits steht der Mensch zwar als Humankapital im Mittelpunkt, andererseits wird er durch neue Technologien und Restrukturierungsmaßnahmen überflüssig. Ein neuer weltweiter Vergleich der Managementkulturen lässt daran zweifeln, ob deutsche Chefs darauf eingestellt sind, Wandel menschlich zu bewältigen (vgl. Brodbeck et al. 2002). Seit den 1990er Jahren dominierten radikale Managementkonzepte. Harte Schnitte der Restrukturierung durch „Business Reengineering“, die Überschätzung der so genannten „New Economy“ sowie die einseitige Orientierung an den Finanzmärkten (Shareholder Value) waren die Wegmarken. Heute, nachdem so manches Unternehmen am radikalen Wandel und der Finanzkrise zugrunde gegangen ist, könnten sich die Ansichten ändern.

1.4

Unternehmensverfassung und Corporate Governance

1.4.1

Rahmenbedingungen

Unternehmensverfassung und Corporate Governance setzten Rahmenbedingungen für die Unternehmensführung. Ähnlich wie die Staatsverfassung wird die Unternehmensverfassung als politisch-rechtlicher Begriff verstanden (vgl. Abb. 1.12). Die Unternehmensverfassung regelt die Grundrechte und Pflichten der Unternehmensmitglieder (Anteilseigner, Manager, Arbeitnehmer). Ihre Reichweite wird durch das Kriterium der Einklagbarkeit von Rechten

28

1 Grundlagen

und Pflichten bestimmt (vgl. Macharzina & Wolf 2008, Kap. 3.2). Corporate Governance handelt zwar ebenso vom institutionellen Aspekt der Unternehmensführung, geht aber, wie sich zeigen wird, mit seinen Gestaltungsfeldern und Instrumenten, wie z.B. der erfolgsorientierten Managervergütung, über rechtliche Regelungen hinaus.

Regelungsgegenstand

Staatverfassung

Unternehmensverfassung

Grundrechte und -pflichten der Systemmitglieder

Grundrechte und -pflichten der Staatsbürger

Grundrechte und -pflichten der Unternehmensmitglieder (Anteilseigner, Manager, Arbeitnehmer)

Zwecksetzung, Struktur und Kompetenzen der Entscheidungsorgane

Staatsorgane (z.B. Parlament, Regierung)

Unternehmensorgane (z.B. Vorstand, Aufsichtsrat, Hauptversammlung)

Systemziele

Staatsziele (z.B. wirtschaftliches Gleichgewicht, soziale Sicherheit und Gerechtigkeit)

Unternehmensziele (z.B. finanzielle Ziele, Kundenzufriedenheit, gesellschaftliche Verantwortung)

Abb. 1.12

Staats- und Unternehmensverfassung (nach Macharzina & Wolf 2008, S. 129)

Eine Unternehmensverfassung ist notwendig, weil durch das geregelte Zusammenwirken der Interessengruppen Lerneffekte und der Wissensaustausch gefördert werden und weil die an Unternehmen beteiligten Akteure und Gruppen, neben einem gewissen Grundkonsens, abweichende Interessen verfolgen (vgl. Abb. 1.13). Sie sind daher darum bemüht, die Entscheidungsprozesse in den Unternehmen zu ihrem Vorteil zu beeinflussen. Somit ist „ein Regulativ erforderlich, das das konkurrenzorientierte Streben nach individuellem Vorteil normiert und zum Ausgleich bringt.“ (Macharzina & Wolf 2008, S. 126) Dazu im Folgenden nur wenige Eckpunkte. Von einer detaillierten Darstellung des Themas Unternehmensverfassung und Corporate Governance, auch im internationalen Vergleich, wird hier abgesehen.2

2

Als Vertiefung zum Thema Unternehmensverfassung und Corporate Governance wird Macharzina & Wolf 2008, Kap. 3 empfohlen. Zur empirischen Untersuchung des deutschen Corporate Governance Systems vgl. Gerum 2007. Für einen internationalen Überblick vgl. SpencerStuart 2006; Clarke 2007.

1.4 Unternehmensverfassung und Corporate Governance

Koalitionspartner

Typische Interessen

! Top-Management

Einfluss auf das Unternehmen und seine Umwelt (Macht); Prestige; hohes Einkommen; Verwirklichung schöpferischer Ideen

! Bereichsleitung/Spezialisten

Einfluss auf den eigenen und andere Unternehmensbereich(e) sowie das Top-Management; Anwendung und Erweiterung professioneller Fähigkeiten; Prestige; hohes Einkommen

! Übrige Mitarbeiter

Hohes Einkommen; soziale Sicherheit; Selbstentfaltung am Arbeitsplatz; gute Arbeitsbedingungen und zwischenmenschliche Beziehungen

! Eigenkapitalgeber

Hohe Gewinnausschüttung; Teilnahme an Wertsteigerung durch Kursentwicklung und günstige Angebote bei Kapitalerhöhungen; Einfluss auf Top-Entscheidungen

! Fremdkapitalgeber (Gläubiger)

Hohe Verzinsung; Sicherheit und pünktliche Rückzahlung des zur Verfügung gestellten Kapitals

! Lieferanten

Günstige Lieferkonditionen; Zahlungsfähigkeit; anhaltende Liefermöglichkeiten

! Kunden

Qualitativ hochstehende Leistungen zu günstigen Preisen; Nebenleistungen wie Konsumentenkredite, Service, Ersatzteile oder Beratung; gesicherte Versorgung

! Kommunalbehörden

Beiträge zur Infrastruktur und zu Kultur- und Bildungsinstitutionen; Bereitstellung von Arbeitsplätzen

! Staat

Einhaltung gesetzlicher Vorschriften; hohes Exportniveau; Steuereinnahmen

! Arbeitnehmervertreter

Anerkennung als Verhandlungspartner; Verhandlungsfairness; Informations-, Beratungs- und Mitbestimmungsrechte durchsetzen

! Arbeitgeberverbände

Ausrichtung unternehmerischer Entscheidungen an eigenen Interessen; Beitragszahlung

Abb. 1.13

29

Interessen am Unternehmen (nach Macharzina & Wolf 2008, S. 13)

Neben dem eigentümergeführten Unternehmen ist das managergeführte Unternehmen entstanden. In Kapitalgesellschaften übertragen die Eigentümer die Führungsentscheidung an Manager, wobei zwei Modelle zu unterscheiden sind: ! Dualistisches Trennungsmodell: In der deutschen Aktiengesellschaft wählt die Hauptversammlung der Aktionäre seine Vertreter für den Aufsichtsrat, der als Kontrollorgan den Vorstand bestellt und überwacht. Darüber hinaus wird ein Drittel bis zur Hälfte der Sitze im Aufsichtsrat von Arbeitnehmervertretern eingenommen. Als Ausführungsorgan führt der Vorstand die Geschäfte in eigener Verantwortung. Diese dualistische Trennung von Ausführung und Überwachung ist beispielsweise auch in den Niederlanden und in der Tschechischen Republik vorgeschrieben. ! Monistisches Vereinigungsmodell: Im Verwaltungsrat (Board of Directors) japanischer, britischer und US-amerikanischer Kapitalgesellschaften sind Ausführung und Überwachung monistisch vereinigt. Der Verwaltungsrat hat die Verpflichtung, sein eigenes Handeln selbst zu kontrollieren. Der Chief Executive Officer (CEO) an der Spitze ist alleinverantwortlich – nicht gemeinsam verantwortlich, wie der Vorstandsvorsitzende mit seinen Vorstandskollegen beim Trennungsmodell. In der Europäischen Aktiengesellschaft (Societas Europaea, SE) kann die Geschäftsführung entweder nach dem dualistischen oder nach dem monistischen System ausgeübt werden. Wie ist die Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat in den Rahmen der Unternehmensverfassung einzuordnen? In der sozialen Marktwirtschaft wird die unternehmerische Freiheit durch Schutz- und Mitwirkungsrechte beschränkt. Dazu gehören etwa der Kün-

30

1 Grundlagen

digungsschutz und die Mitbestimmung der Arbeitnehmer, wie ebenso der Gläubigerschutz für Fremdkapitalgeber, der Eigentumsvorbehalt für Lieferanten, der Verbraucherschutz für Kunden und der Umweltschutz für die Öffentlichkeit. Die Arbeitnehmer und ihre Interessenvertretung, die Gewerkschaft, erwarten eine Berücksichtigung ihrer Interessen im Arbeitsalltag, Mitspracherechte bei der Unternehmensleitung und die Sicherung ihrer sozialen Bedürfnisse (so auch Wöhe & Döring 2008, S. 58 ff.). Die soziale Absicherung der Arbeitnehmer wird durch Gesetz und Rechtsprechung geregelt, etwa zu Arbeitszeit, Urlaub, Entgelt und Kündigungsschutz. Zur arbeitsrechtlichen Mitbestimmung, die im Betriebsverfassungsgesetz geregelt ist, gehört die Mitwirkung der Arbeitnehmer in personellen, sozialen und wirtschaftlichen Angelegenheiten über den Betriebsrat. Mitbestimmungsgesetze regeln die Mitwirkung an unternehmerischen Entscheidungen, die durch die Entsendung von Arbeitnehmervertretern in den Aufsichtsrat und die Bestellung eines Arbeitsdirektors gewährleistet wird. Schutz- und Mitwirkungsrechte gibt es auch in anderen Ländern, wenngleich unterschiedlich ausgeprägt. Hinzu kommen länderübergreifende Mitwirkungsinstitutionen, wie der Europäische Betriebsrat und die Arbeitnehmerbeteiligung in der Europäischen Aktiengesellschaft.3 Neben den Umweltbedingungen (z.B. gute oder schlechte Konjunktur) hängt der Unternehmenserfolg von internen Bedingungen ab. Corporate Governance befasst sich mit dem Ordnungsrahmen für eine erfolgreiche Unternehmensführung und -kontrolle. Dabei geht es in den USA und England überwiegend um die Frage, wie in managergeführten Unternehmen die Interessen der Aktionäre (Shareholder) durchgesetzt werden. In Kontinentaleuropa und Asien hingegen wird der Begriff gewöhnlich weiter gefasst: Corporate Governance befasst sich mit den Grundsätzen der Unternehmensführung, mit erfolgreicher Unternehmensführung und -kontrolle durch die Berücksichtigung der Interessen der relevanten Anspruchsgruppen (Stakeholder). Rechtstraditionen sind ein Ansatz, um internationale Unterschiede der Corporate Governance zu erklären. So hängt der rechtliche Schutz der Investoren gegenüber dem Management oder anderen Unternehmens-Insidern von den historischen Ursprüngen des jeweiligen Landesrechts ab, ob dieses nun englisches Common Law oder französisches, deutsches oder skandinavisches Zivilrecht ist (vgl. Eun & Resnick 2003). Ein weiterer Grund ist die jeweilige politisch beeinflusste historisch-soziale Situation. Ein Zentrum der Willensbildung in großen Organisationen, neben Anteilseignern und Management, ist in vielen Ländern Europas heute auch die Arbeitnehmervertretung im Unternehmen, während diese in den USA und in England kaum entwickelt ist. Diese Unterschiede zeigen sich auch in einer international vergleichenden Umfrage, allerdings bereits aus dem Jahre 1995. Vor die Alternative ‚Arbeitsplatzsicherheit‘ oder ‚Dividende‘ gestellt, wird von amerikanischen und britischen Firmenchefs zu 90 Prozent erwartet, dass sie Dividende wählen. Arbeitsplatzsicherheit hingegen wird erwartet von 97 Prozent in Japan und 59 Prozent in Deutschland, aber nur von 11 Prozent in den USA und Großbritannien (vgl. Yoshimori 1995). Mit der Globalisierung, der wachsenden Bedeutung des Kapitalmarktes und der Auflösung traditio-

3

Von einer detaillierten Darstellung der Mitbestimmung, auch im internationalen Vergleich, muss hier abgesehen werden. Vgl. u.a. die einschlägigen Kommentare zum Betriebsverfassungsgesetz und zur Mitwirkung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat. Unterschiedliche Positionen zur Mitbestimmung werden deutlich etwa in: Arbeitskreis Unternehmerische Mitbestimmung (2009) und Hexel (2009).

1.4 Unternehmensverfassung und Corporate Governance

31

neller Bindungen haben sich die Gewichte in Deutschland zugunsten der Anlegerinteressen verschoben (vgl. Höpner 2003). Wir halten fest: Träger von Führungsentscheidungen in großen, managergeführten Unternehmen sind heute nicht mehr allein die Eigenkapitalgeber (Shareholder), sondern auch Manager und in gewissem Umfang auch Arbeitnehmervertreter. Die Feststellung von Erich Gutenberg (1962), dass man von „drei Zentren der Willensbildung“ im Unternehmen ausgehen muss, gilt bis heute. Außerdem kann man sagen, dass sich in der Unternehmensverfassung und Corporate Governance „die historisch-soziale Situation einer Zeit oder eines Landes widerspiegelt.“ (Gutenberg 1958) Recht, Rechtsprechung und untergesetzliche Regelungen etwa durch den Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) sind so gesehen nur Ausdruck dieser Situation (vgl. Praxisbeispiel).

Praxisbeispiel: BASF zur Corporate Governance „Corporate Governance umfasst das gesamte System der Leitung und Überwachung eines Unternehmens, einschließlich seiner Organisation, seiner geschäftspolitischen Grundsätze und Leitlinien sowie der internen und externen Kontroll- und Überwachungsmechanismen. Gute und transparente Corporate Governance gewährleistet eine verantwortliche, auf Wertschöpfung ausgerichtete Leitung und Kontrolle des Unternehmens. Sie fördert das Vertrauen der nationalen und internationalen Anleger, der Finanzmärkte, der Geschäftspartner und Mitarbeiter sowie der Öffentlichkeit in die BASF. Die BASF misst guter Corporate Governance einen hohen Stellenwert bei. Wir unterstützen deshalb den Deutschen Corporate Governance Kodex, den wir als ein wichtiges Instrument zur kapitalmarktorientierten Weiterentwicklung von Unternehmensführung und -kontrolle ansehen, und bekennen uns zu einer verantwortungsbewussten Unternehmensführung, die auf eine nachhaltige Steigerung des Unternehmenswertes ausgerichtet ist. Die BASF SE entspricht sämtlichen Empfehlungen des im Juni 2008 geänderten Deutschen Corporate Governance Kodex. Dies gilt auch für die neuen Empfehlungen des Kodex zur Befassung des Aufsichtsrats mit Fragen der Vorstandsvergütung und zur Begrenzung von Abfindungsleistungen an vorzeitig ausscheidende Vorstandsmitglieder sowie die Erörterung von Zwischenberichten im Prüfungsausschuss.“ Fragen: 1. Vergleichen Sie diese Erklärung von BASF mit Erklärungen anderer Unternehmen zu Corporate Governance auf den Webseiten der Unternehmen. Wer wird hier angesprochen und mit welchem Zweck? 2. Teilen Sie die Auffassung, dass der Deutsche Corporate Governance Kodex zur „kapitalmarktorientierten Weiterentwicklung von Unternehmensführung und -kontrolle“ beiträgt? Warum? Welche Aufgaben sollte er außerdem verfolgen? Quelle: http://www.basf.com, abgefragt am 20.11.2009. Vgl. auch die Ausführung zur Unternehmensführung auf dieser Webseite.

32

1 Grundlagen

„Der Vorstand hat unter eigener Verantwortung die Gesellschaft zu leiten.“ Diese Bestimmung aus § 76 Abs. 1 AktG ist ein Hinweis auch auf die Machtfülle der Unternehmensleitung in Aktiengesellschaften. Diese wird durch institutionelle Rahmenbedingungen, durch die bestmögliche Verteilung von Verfügungsrechten für eine erfolgreiche Unternehmensführung und -kontrolle eingeschränkt (von Werder 2004; Wöhe & Döring 2008; Ireland et al. 2009). Gestaltungsfelder und Instrumente der Corporate Governance sind (vgl. Abb. 1.14): (1) Strukturen, Prozesse und Personen: Regelungen zur Festlegung der übergeordneten Zielsetzung des Unternehmens. So verpflichtet das deutsche Aktienrecht die Führungsorgane der Aktiengesellschaft auf das Unternehmensinteresse, das aus der angemessenen Berücksichtigung der Einzelinteressen der relevanten Bezugsgruppen (Stakeholder) resultiert. Instrumente um das Unternehmensziel zu erreichen und die Unternehmensleitung zu verpflichten, sind Gewaltenenteilung, Anreizsysteme und Kontrollsysteme: ! Zur Gewaltenteilung gehören in der deutschen Aktiengesellschaft der mehrgliedrige Organaufbau aus Hauptversammlung, Aufsichtsrat und Vorstand und die Mitbestimmung im Aufsichtsrat. Der Einfluss des Aufsichtsrates kann etwa durch Bestellung und Abberufung des Vorstands nach § 84 AktG ausgeübt werden, oder dadurch, dass bestimmte Arten von Geschäften nur mit seiner Zustimmung vorgenommen werden dürfen (§ 111 Abs. 4 AktG). Der Aufsichtsrat ist daher kein reines Kontrollorgan und er bringt auch Wissen und Kompetenz mit ein (Jürgens & Lippert 2005). Der Einfluss der Eigentümer steigt mit dem relativen Anteil der Aktien, die von einzelnen Aktionären oder institutionellen Investoren gehalten werden; der der Arbeitnehmervertreter hingegen mit dem von ihnen mobilisierbaren Machtpotential. Internationale Erfahrung kann vorteilhaft sein (vgl. Schmid & Daniel 2007), sollte aber kein Dogma sein. ! Anreizsysteme sind die erfolgsabhängige Managervergütung aber auch Haftungsvorschriften. ! Kontrollsysteme. Ein Risikoüberwachungssystem gemäß § 91 Abs. 2 AktG soll die Eintrittswahrscheinlichkeit von existenzgefährdenden Risiken verringern, Gegensteuern und Früherkennung ermöglichen und die Absicherung zum Beispiel durch Versicherungen gewährleisten. Der Vorstand muss den Aufsichtsrat über Risiken von großer Tragweite informieren und das Risikoüberwachungssystem im Lagebericht dokumentierten (§ 289 Abs. 2 Nr. 2 HGB). (2) Transparenz dient der umfassenden Information der Anspruchsgruppen, seien es nun Aktionäre, Gläubiger, Arbeitnehmer, Lieferanten oder Umweltgruppen, über die Risiken und Chancen des Unternehmens. Zusätzlich zur traditionellen externen Rechnungslegung sind in den letzten Jahren eine Reihe von Gesetzen entstanden, die das Informationsgefälle zwischen der Unternehmensleitung und der interessierten Öffentlichkeit abbauen sollen.4 In ihrer Berichterstattung über die Beziehungen zu den Anteilseignern (Investor Relations) und zur 4

Unter anderem sind dies das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KONTraG) von 1998; das Gesetz zur weiteren Reform des Aktien- und Bilanzrechts, zu Transparenz und Publizität (TransPuG) von 2002; das Bilanzrechtsreformgesetz (BilReG) von 2004; das Vorstandsvergütungs-Offenlegungsgesetz (VorstOG) von 2005.

1.4 Unternehmensverfassung und Corporate Governance

33

sozialen und ökologischen Verantwortlichkeit des Unternehmens (Corporate Social Responsibility) gehen die Unternehmen häufig über die gesetzlichen Mindestanforderungen hinaus. (3) Kontrolle kann durch institutionalisierte Regelungen wie den Aufsichtsrat und durch wenig beeinflussbare Umweltbedingungen, wie Märkte ausgeübt werden. Dazu gehört auch der Markt für Unternehmenskontrolle, der durch Aktienverkäufe, Kursrückgänge, feindliche Übernahmen und Auswechslung des Managements sanktionierend wirkt (vgl. Ireland et al. 2009). Im Fall der Übernahme durch Beteiligungsgesellschaften (Private Equity) hat sich aber auch gezeigt, dass durch kreditfinanzierte Übernahmen mit anschließender Übertragung der Zinslasten weniger das Top-Management, als das Unternehmen selbst unter Druck gerät. Die institutionalisierte Kontrolle erfolgt in Deutschland vor allem durch den Aufsichtsrat und den Wirtschaftsprüfer. Letzterer prüft den Jahresabschluss einschließlich Risikoüberwachungssystem und erstellt einen Bericht. Der Aufsichtsrat muss sich mit dem Bericht des Wirtschaftsprüfers auseinandersetzen und den Jahresabschluss genehmigen. Vorstand, Aufsichtsrat und Wirtschaftsprüfer haften bei Pflichtverletzungen.

Ziel

Erfolgreiche Unternehmensführung - Schaffung eines Ordnungsrahmens durch Verteilung von Verfügungsrechten

Gestaltungsfelder

(1) Strukturen, Prozesse und Personen

Instrumente

- Gewaltenteilung - Anreizsysteme - Risikoüberwachungssysteme

(2) Transparenz

- Informationen für Stakeholder - Investor Relations

(3) Kontrolle

Stärkung von Kontrollinstanzen z.B. Aufsichtsrat und Wirtschaftprüfer

Internationale Strategie und Organisation Umsetzung

Abb. 1.14

Gesetzliche bzw. untergesetzliche Regelungen

Ziele und Gestaltungsfelder der Corporate Governance (nach Wöhe & Düring 2008, S.70)

Zur Umsetzung werden die Gesetze durch untergesetzliche Regelungen („soft law“) ergänzt, wie sie sich in den Empfehlungen und Anregungen der ‚Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex‘, DCGK (2008) finden. Beispiele sind die Empfehlung an den Aufsichtsrat, regelmäßig die Effizienz seiner Tätigkeit zu überprüfen, oder aber die Begrenzung der Abfindungen bei den Vorstandsgehältern. Durch eine Entsprechenserklärung

34

1 Grundlagen

(Compliance-Erklärung) müssen börsennotierte Gesellschaften gemäß § 161 AktG im Hinblick auf die Empfehlungen des DCGK jährlich erklären, inwieweit sie diese anwenden. Zur Strategie heißt es im Kodex: „Der Vorstand stimmt die strategische Ausrichtung des Unternehmens mit dem Aufsichtsrat ab und erörtert mit ihm in regelmäßigen Abständen den Stand der Strategieumsetzung.“ (DCGK 2008, Ziffer 3.2) Bei der Überwachung der Strategie wurden allerdings Lücken feststellt. In einer Untersuchung des Lehrstuhls für Unternehmensführung an der Universität Dortmund wird festgestellt: „Die Aufsichtsräte reagieren zu spät; sie kontrollieren nur die Resultate der Unternehmensstrategie, anstatt schon im Frühstadium die Geschäftspolitik zu überwachen … Eine umfassende strategische Überwachung halten die meisten Aufsichtsräte für unwichtig. Nur 7 Prozent der Befragten besprechen die strategischen Unternehmensziele mit ihrem Management, die überwiegende Mehrheit nimmt sie lediglich zur Kenntnis oder nickt sie ab.“ (Manager Magazin 10/2005, S. 47; Grothe 2006) Aufsichtsräte sollen nach dem DCGK regelmäßig eine Effizienzprüfung durchführen. Dabei lassen sich Stärken und Schwächen feststellen und Empfehlungen zur Verbesserung festhalten. Die Auseinandersetzung mit der Strategie sollte ein Thema im Aufsichtsrat oder in einem Strategieausschuss sein (vgl. Praxisbeispiel). Was aber ist unter umfassender Überwachung zu verstehen? Der Aufsichtsrat wird nur sehr begrenzt in der Lage sein, dem Management dabei zu helfen, eine bessere Strategie zu entwickeln. Seine Aufgabe ist es, die nachhaltige Entwicklung des Unternehmens im Auge zu haben, das Risiko/Rendite Profil des Unternehmens festzulegen und als ausgleichende Kraft gegenüber den Perspektiven und Präferenzen des Managements zu wirken (vgl. näher Kap. 2.5). Dabei wirkt die Trennung von Vorstand und Aufsichtsrat dem Phänomen des Gruppendenkens (Group-Think Phänomen) entgegen, wonach in zusammenhängenden Gruppen der vermutete Konsens die kritische Auseinandersetzung verdrängt. Ein bekanntes Beispiel dafür ist die „Schweinebucht-Affäre.“ Keiner der Berater von Präsident Kennedy opponierte gegen das risikoreiche Vorhaben einer Invasion in Kuba (vgl. Steinmann & Schreyögg 2005, S. 622 ff.).

Praxisbeispiel: Stärken und Schwächen des E.ON-Aufsichtsrates Eon ist einer der vier großen deutschen Energieversorger. In seiner Ausgabe vom Juni 2009 veröffentlichte das Manager Magazin, anlässlich des anstehenden Wechsels im Vorstand und Aufsichtsrat, die von einer Personalberatung durchgeführte Bewertung der Aufsichtsratstätigkeit. Diese eigentlich interne Unterlage wird hier wiedergegeben: Stärken und Schwächen des Eon-Aufsichtsrats Stärken - hochkarätig besetzter Aufsichtsrat; - starker Aufsichtsratsvorsitzender (ARV) mit ausgeprägtem Geschäftsverständnis; - auf Seiten der Kapitalvertreter keine Hinweise auf Fraktionsbildung oder politische Agenda; - gute Zusammenarbeit zwischen ARV und stellvertretendem ARV; - hohe Zufriedenheit mit der Arbeit der Ausschüsse; - sehr intensive und sorgfältige Vorbereitung der Sitzungen; - gute Qualität der vorbereiteten Unterlagen.

1.4 Unternehmensverfassung und Corporate Governance

35

Schwächen - stark formalisierter Ablauf der Plenarsitzungen mit Verlesung der Vorstandsvorlagen; - Möglichkeit zur Diskussion vorhanden, wird aber wegen formaler Atmosphäre wenig genutzt; - mangelnde Transparenz in der Nachfolgeplanung; - kein Einblick in die zweite Führungsebene; - keine intensive Strategiediskussion; - beim Vorstand ausgeprägter Wunsch nach intensiverer Interaktion mit dem Aufsichtsrat; - wenig Möglichkeiten zum informellen Austausch zwischen Kapitalvertretern und Arbeitnehmern; - Befürchtung, dass Gruppenbildung bei den Arbeitnehmervertretern die Arbeit des Aufsichtsrates beeinträchtigen könnte. Fazit Insgesamt ein starker, verantwortungsbewusster Aufsichtsrat, dessen erhebliches Potential allerdings nur begrenzt genutzt wird. Empfehlungen - Der Aufsichtsratsvorsitzende sollte andere Mitglieder stärker einbeziehen, einen offenen Dialog fördern, aktiv zur Diskussion ermuntern. - Der Vorstandsvorsitzende sollte einen intensiveren Austausch mit Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat pflegen. - Es sollte eine jährliche Strategieklausur für den Aufsichtsrat eingeführt werden. - Die Vergütung sollte weniger erfolgsabhängig gestaltet werden und sich stärker am gewünschten Zeitansatz ausrichten, der sich meist gegenläufig zum Geschäftserfolg entwickelt. Fragen: 1. Wird dem Thema Strategie im Aufsichtsrat wenig Bedeutung beigemessen? Wenn ja, warum? 2. Wie sollte die Rollenteilung zwischen Vorstand und Aufsichtsrat aussehen? Quelle: Student, D.: Spitzenlast. In: Manager Magazin 2009, Nr. 6, S. 44-48; hier S. 46.

Auch Vorstandsmitglieder sind nicht immer erfolgreich (vgl. Praxisbeispiel). Spektakuläre Unternehmensskandale wie die von Enron, Worldcom, Parmalat, Flowtex schon vor einigen Jahren und mehr noch die der jüngsten Finanz- und Wirtschaftskrise haben das Thema der Wirksamkeit von Kontrollen erneut auf die Tagesordnung gesetzt. Damit kommen auch entsprechende Lehrmeinungen unter Druck.

36

1 Grundlagen

Praxisbeispiel: Den Vorstand bewerten und entwickeln ! Die jährlich erscheinende Studie „CEO Succession“ des Beratungshauses Booz Allen Hamilton (BAH) betrachtet die Beziehung zwischen der Amtszeit eines Vorstandsvorsitzenden und der Unternehmensleistung. So wurden beispielsweise im Jahre 2005 in den 2.500 größten börsennotierten Unternehmen weltweit insgesamt 15 Prozent der CEO’s ausgetauscht und davon wurden 5 Prozent auf Grund ihrer mangelnden Leistung abberufen. Zehn Jahre zuvor wurden nur 9,5 Prozent der Vorsitzenden, und davon 1 Prozent leistungsbezogen, ausgewechselt. Wird der Vorsitz zum Schleudersitz? Früher wurde der Posten meist noch auf Lebenszeit vergeben, im Jahre 2003 waren es im Durchschnitt noch 8,5 Jahre, 2005 verweilten europäische Vorstandsmitglieder durchschnittlich nur noch 5,8 Jahre in ihrem Amt. Wenn der bisherige Vorstand erst einmal weg ist, heißt es so schnell wie möglich einen neuen zu finden. Und dieser sollte wiederum möglichst schnell, d.h. innerhalb weniger Monate, Erfolge vorweisen können. Es stellt sich bei der Suche nach einem geeigneten Nachfolger auch immer die Frage, ob man lieber jemanden aus den eigenen Reihen einsetzt oder ob es besser ist, einen externen Manager zu wählen. Langfristig gesehen hat sich, so die These, die Besetzung aus dem eigenen Hause als die bessere Wahl erwiesen. Sehr oft wird es jedoch als einfacher und besser angesehen, auf Externe zuzugreifen. Häufig regiert der Zeitdruck. Oftmals fehlt es an Geduld und Weitsicht, weshalb es unmöglich ist, zuerst nach den eigentlichen Fehlern und Problemen im Unternehmen zu forschen, um anschließend für die Problemlösung und langfristige Weiterentwicklung der Unternehmung den passenden Kandidaten zu finden. Aus Fehlern lernen? Schwierig bei der kurzen Halbwertszeit von Vorstandsvorsitzenden. Dennoch gehört der Umgang mit Fehlern zum Lernen, denn Lernen heißt nicht nur Fehler zu entdecken, sondern auch sie zu korrigieren. Lernkurven haben Eigenzeiten, und diese Eigenzeiten sind in der Verweildauer von Führungskräften nicht mehr vorgesehen. Was lässt sich besser machen? Meistens wird nur die finanzielle Leistung des Vorstands bewertet und mit entsprechenden Vergütungssystemen unterstützt. Darüber hinaus wäre es sinnvoll fünf weitere Dimensionen zu bewerten: 1.) Leadership: Gelingt es die Mission des Unternehmens zu entwickeln und umzusetzen? 2.) Strategie: Funktioniert sie und wird sie richtig umgesetzt? 3.) Personalmanagement: Sind die richtige Leute am richtigen Platz und sind sie motiviert? 4.) Kennzahlen: Stimmen Umsatz, Gewinn, Qualität sowie Mitarbeiterund Kundenzufriedenheit? 5.) Externe Beziehungen: Was tut der Vorstand für Kunden, Lieferanten und andere Anspruchsgruppen? Fragen: 1. Gilt die kürzere Bindungszeit von Vorständen an ein Unternehmen auch für Mitarbeiter? 2. Welche Schlussfolgerungen sind daraus zu ziehen? Quellen: Vgl. Garvin, D. et al.: Is Yours a Learning Organization? In: Harvard Business Review. März 2008. S. 1 ff.; Hus, Ch.: Absturz aus der Chefetage. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 27.11.2006; Lucier, C., Kocourek, P & Habbel, R.: CEO Succession 2005 – The Crest of the Wave, S. 5. URL: http://www.strategy-business.com; Lucier, C. et al. CEO Succession 2003 – The Perils of „Good“ Governance. S. 1. URL: http://www.strategy-business.com; Storn, A.: Vom Heilsbringer zum Sündenbock. In: Die Zeit Nr. 22 vom 24.05.2007. S. 29; Müller, H.-E.: Erfolgskriterien für die angemessene Vorstandsvergütung. In: Der Aufsichtsrat 2007, Nr. 3, S. 38 f.; Kaufmann, St. P.: Evaluating the CEO. In: Harvard Business Review 2008, Nr. 10, S. 53-57. Eckardstein, D. & Konlechner, S.: Vorstandsvergütung und gesellschaftliche Verantwortung der Unternehmung, München und Mehring 2008.

1.4 Unternehmensverfassung und Corporate Governance

1.4.2

37

Theoretische Bezugspunkte

Ein zentraler theoretischer Bezugspunkt für Governance-Probleme zwischen Eigentümern (Shareholder) und Management ist nach dem Shareholder-Value-Ansatz die AgencyTheorie (Principal-Agent Theory) und ihr Vorgänger, die Theorie von der Managerherrschaft.5 Grundlegend ist die Annahme, dass jedes Individuum nur seinen eigenen Nutzen, auch auf Kosten anderer, zu verfolgen sucht. Mit der Trennung von Eigentum und Verfügungsmacht im managergeführten Unternehmen besteht vor dem Hintergrund unvollständiger Verträge die Möglichkeit, dass die Interessen der Eigentümer und Manager nicht übereinstimmen – ein Tatbestand, auf den schon klassische Ökonomen wie Adam Smith, Karl Marx und Josef Schumpeter hingewiesen haben. Die Eigentümer (Prinzipals) wollen den Gewinn maximieren. Manager (als ihre Agenten) verfolgen eigene Ziele. Manager könnten so auf der Grundlage von Informationsasymmetrien und im Rahmen ihrer Handlungsspielräume nach Macht, Prestige und Status streben und daher eher auf Wachstum und Diversifikation setzten, als den Gewinn für Aktionäre zu steigern – dies nicht zuletzt deshalb, weil mit der Unternehmensgröße auch die persönlichen Einkommenschancen steigen. Daher muss Managerherrschaft durch die ‚Heilmittel‘ des gerade skizzierten institutionellen Rahmens der Corporate Governance begrenzt werden. Während dem Manager als Agenten unterstellt wird, dass er seinen individuellen Nutzen zu maximieren sucht, ist er nach der Treuhänder-Theorie (Stewardship Theory) bestrebt, für das ganze Unternehmen zu handeln (vgl. Gedajlovic & Shapiro 1998; Gerum 2004; Lubatkin et al. 2005). Die Governance-Bedingungen sind in jedem Land anders. Nicht das durch Eigennutz und erzwungene Folgsamkeit (Enforced Compliance) auf der Grundlage von individualistischem Opportunismus geprägte Menschenbild der Agency-Theorie sei die Norm, wie sie vielleicht in den USA und Großbritannien vorherrsche, sondern kollektive Verantwortung und freiwillige Fügsamkeit (Voluntary Compliance), wie sie die TreuhänderTheorie herausstellt. In der aktuellen Diskussion wird die Rolle des Aufsichtsrates unzutreffend allein auf die Aufsicht verengt und seine Bedeutung als Ratgeber, als Wissensressource vernachlässigt (vgl. Jürgens & Lippert 2005). Diese Beratungsrolle des Aufsichtsrates gehört nach der Stewardship-Theorie aber zu seinen Kernaufgaben. Beziehungen bis hin zu Allianzen mit den Anspruchsgruppen (Stakeholdern) schaffen Erfolgspotenziale (vgl. Harrison & St. John 1996; De Wit & Meyer 2008). Dies steht im Kontrast zum bisher verbreiteten Verständnis von Corporate Governance, das sich, vor dem Hintergrund der Einseitigkeit der Agency-Theorie, auf Vergütungsanreize und nicht auf Leadership, auf Kontrolle und nicht auf Rat, auf Sanktion und nicht auf Wissensentwicklung und organisatorisches Lernen konzentriert.6 Dabei hat der Agency-Ansatz selbst zu den Problemen beigetragen, die er zu heilen verspricht. Am Beispiel der am finanziellen Erfolg orientierten Managervergütung (Pay for Performance) als Governance-Instrument

5

Vgl. grundlegend Berle & Means 1932; Jensen & Meckling 1967; Demsetz 1968; Alchian & Demsetz 1972; wir kommen im zweiten Kapitel darauf zurück.

6

Vgl. Davis et al. 1997; kritisch zur Agency-Theorie als Begründung für eine aktienbasierte Managervergütung vgl. Bebschuk & Fried 2004; Frey & Osterloh 2005; Zander & Wagner 2005; Chahed & Müller 2006.

38

1 Grundlagen

lässt sich zeigen, dass die Ergebnisse eher zwiespältig sind. Bei geistiger Leistung führen hohe finanzielle Anreize nicht dazu, dass Menschen mehr leisten – im Gegenteil (vgl. Ariely et al. 2009). Großzügige Boni und Aktienoptionen (Pay without Performance) bei der Managervergütung insbesondere in den USA und Großbritannien haben nicht nur Fragen der sozialen Gerechtigkeit aufgeworfen, sondern auch zur Krise beigetragen. Sie sind ein Anreiz zur Gewinnmanipulation, kurzfristiger Orientierung und zur Vernachlässigung von Risiken. Die erfolgsorientierte Vergütung ist daher keine Lösung, sondern selbst Teil des Problems (vgl. Praxisbeispiel). Verteidiger des Ansatzes argumentieren dagegen, dass es, wie bei jedem Heilmittel, auf die richtige Dosierung und Anwendung ankomme. Im Übrigen sorge der Markt, wie bei Fußballstars auch, für die Angemessenheit von Lohn und Leistung. Mitte 2009 wollen Aufsichtsbehörden und der Kongress in den USA schärfere Regularien für die Managervergütung durchsetzen. Am 19. Juni 2009 beschloss der Bundestag ein Gesetz zur Angemessenheit von Vorstandsvergütungen (VorstAG). Durch strengere Regeln sollen Managergehälter mehr an den langfristigen Unternehmenserfolg gekoppelt werden und Aufsichtsräte stärker haften. Nach einem Gesetzentwurf der EU-Kommission vom Juli 2009 könnte die Bankenaufsicht künftig Sanktionen gegen Banken verhängen, die Manager mit hohen Gehältern für exzessive Risiken belohnen (vgl. o.V. 2009).

Praxisbeispiel: Die grosse Gier „Ein bisschen hängt die Betrachtung, was Gier ist und was nicht, auch von den Moden und Zeiten ab. Als Ende der neunziger Jahre die Unternehmen an der Börse Monopoly spielten und erfolgreiche Topmanager die Idole der neuen Zeit waren, galten hohe Millionenverdienste als verdient, auch wenn das Geld erzockt worden war. Dann platzte die Börsenblase, die New Economy sah plötzlich ganz alt aus, und einige Mannesmann-Manager, beispielsweise deren damaliger Chef Klaus Esser, der umgerechnet knapp 30 Millionen Euro zusätzlich zum regulären Gehalt kassiert hatte, wurden plötzlich als üble Absahner betrachtet. Eigentlich lässt sich bei dieser Größenordnung nur schwer darüber streiten, ob diese zusätzliche Entlohnung für einen Spitzenmann noch angemessen ist, aber was wäre gewesen, wenn Mannesmann den Übernahmekampf gewonnen hätte? Wäre dann ein solcher Bonus für Esser nicht als verdiente Prämie in einer nun mal entfesselten Marktwirtschaft gewürdigt worden? Doch damals verloren Zehntausende von Kleinaktionären, die auch ein bisschen mitgespielt hatten, ihre Ersparnisse, und dieser Vorgang hat zweifelsohne zu vielen Irritationen gegenüber der Wirtschaft beigetragen. Es ist vor allem die Gleichzeitigkeit von Rekordgewinnen und Rekordarbeitslosigkeit, von hohen Millionengehältern selbst für unfähige Manager und von Dumpinglöhnen, die viele Menschen zunehmend erzürnt. Seit unter Berufung auf angebliche Gesetze des Marktes – Rendite, Rendite, Rendite – große Konzerne kleine, gesunde Firmen kaufen und sie dann zum Zweck der Marktbereinigung schließen und die wirtschaftliche Existenz ganzer Familien ruinieren, wird über die Angemessenheit von Gehältern anders diskutiert als früher.“

1.4 Unternehmensverfassung und Corporate Governance

39

Fragen: 1. Sind Sie der Meinung, dass die angesprochenen Probleme, Gegenstand der Managementlehre sind? 2. Welche Beiträge kann die Managementlehre leisten und welche Instrumente zur Regulierung sind denkbar? 3. Es wird behauptet, dass die jüngste Finanzkrise auch durch Vergütungsanreize für Manager erzeugt wurde. Was spricht dafür, was dagegen? Quelle: Leyendecker, H.: Die grosse Gier. Korruption, Kartelle, Lustreisen: Warum unsere Wirtschaft eine neue Moral braucht. Berlin 2007, S. 30 f.

Ein weiterer Kritikpunkt an der Agency-Theorie ist, dass sie vernachlässigt, dass Institutionen in den jeweiligen gesellschaftlichen Kontext eingebettet sind und von den politischen Akteuren beeinflusst werden (Embeddedness). Aguilera & Jackson (2003) haben dazu ein Modell entwickelt (vgl. Abb. 1.15), mit dem sie Unterschiede in der Corporate Governance erklären. Neben Kapital und Management betrachten sie dabei eine dritte Gruppe, die in der Corporate Governance-Literatur weitgehend vernachlässigt wird: die Mitarbeiter. ! Als Kapital wird die Anspruchsgruppe bezeichnet, die über Eigentumsrechte verfügt. Sind diese konzentriert, ist ihr Einfluss höher. Unterschiedliche Kapitalformen (wie Banken, Pensionsfonds, Einzelne, Industrieunternehmen, Familien usw.) weisen unterschiedliche Identitäten, Interessen, Zeithorizonte und Strategien auf. Eine erste Unterscheidung trennt finanzielle von strategischen Interessen und Kontrollrechten. Eigentümer, die auf Liquidität achten, werden Ausstiegs- (Exit-) Optionen bevorzugen im Unterschied zu jenen, die aufgrund ihrer Verpflichtung den Weg der Mitwirkung (Voice-Optionen) wählen. Eigenkapital und Fremdkapital beinhalten unterschiedliche Risiken und Möglichkeiten der Einflussnahme. Daraus leiten die Autoren u.a. die Hypothese ab, dass das Kapital in Ländern, die Großaktionäre hervorbringen, strategische Interessen gegenüber dem Unternehmen verfolgt und über Verpflichtung steuert. ! Die Rolle der Mitarbeiter (Arbeit) in der Corporate Governance-Gleichung wird beschrieben durch ihre Fähigkeit, Unternehmensentscheidungen zu beeinflussen und Unternehmensressourcen zu steuern. Dies kann geschehen durch interne Partizipation oder durch externe Einflussnahme, etwa durch Streiks. Eine weitere Dimension sind die Fertigkeiten (Skills) der Mitarbeiter. Sind diese übertragbar, werden die Mitarbeiter Exit vor Voice bevorzugen, sind ihre Fertigkeiten spezifisch, ist es umgekehrt. Die Ausprägung dieser Dimensionen hängt von den Mitwirkungsrechten auf Unternehmensebene, dem gewerkschaftlichen Organisationsgrad und den Qualifikationsinstitutionen ab. Arbeitnehmer werden in Ländern mit starken Repräsentationsrechten, so die Annahme, die Strategie der internen Partizipation verfolgen. ! Die Rolle der Manager in der Corporate Governance-Gleichung schließlich wird bestimmt vom autonomen Typus des Managers, der „harte Entscheidungen fällt“ und dem verpflichteten Manager, der stark von unternehmensspezifischen Beziehungen abhängig ist, um seine Interessen durchzusetzen. Die zweite Dimension unterscheidet finanziell und funktional orientierte Manager. Erstere steuern über finanzielle Kennzahlen, während letztere mehr in operationale Funktionen involviert sind. Eine Hypothese ist dann, dass in

40

1 Grundlagen Ländern, in denen die Managementideologie generalistisches Wissen und/oder eine hierarchische Entscheidungsfindung legitimiert, das Management dazu tendiert, autonomer und finanzorientierter gegenüber dem Unternehmen zu handeln.

Management Autonom versus verpflichtet Finanziell versus funktional

Unternehmen

Abb. 1.15

Arbeit

Kapital

Partizipation versus Einflussnahme Übertragbare versus firmenspezifische Qualifikationen

Finanziell versus strategisch Liquidität versus Verpflichtung Eigenkapital versus Fremdkapital

Dimensionen der Corporate Governance (Aguilera & Jackson 2003, S. 451)

Interessant an diesem Modell ist, dass es die Gegensätze von Agency- und Treuhänderansatz zugunsten einer differenzierten Sichtweise zu überwinden sucht. Denn obwohl internationale Institutionen, wie die OECD und die Europäische Kommission, mit ihren Regelungen Einfluss auf die nationale Gesetzgebung und Kodizes nehmen, ist umstritten, ob die Corporate Governance-Systeme konvergieren. Zum einen wird argumentiert, dass die Globalisierung und der Druck der Kapitalmärkte die Angleichung erzwingen, zum anderen werden bleibende Unterschiede, etwa bei der Mitbestimmung der Arbeitnehmer, als effizient dargestellt. Konvergenz und Divergenz müssen sich nicht ausschließen (vgl. Aguilera & Jackson 2003; Gerum 2004). Corporate Governance beschreibt, „Wer“ unter welchen Bedingungen entscheidet. Das Zielsystem eines Unternehmens bestimmt, in welche Richtung die Strategie entwickelt wird. Zwischen diesem „Wer“ und dem „Was“ besteht eine Wechselbeziehung. Das Zielsystem ist Thema des folgenden Kapitels.

Zusammenfassung

41

Zusammenfassung 1. Ausgangspunkt ist die Fragestellung, woran sich die Unternehmensführung in einer Welt mit steigender Komplexität und Dynamik orientieren sollte. Die strategische Ausrichtung verspricht Erfolgspotenziale durch die abgestimmte Entwicklung aller Führungssubsysteme. 2. Die integrierte strategische Unternehmensführung geht darüber hinaus, indem sie auch gegensätzliche Strategieperspektiven zulässt und zusammenführt. Strategien werden nicht nur geplant, sie bilden sich auch schrittweise heraus. Dadurch entstehen Handlungsspielräume. 3. Für den integrierten Ansatz spricht weiter, dass erfolgreiche Führungspersönlichkeiten (Leader) sich dadurch auszeichnen, dass sie gegensätzliche Ideen festhalten und zu innovativen Geschäftsmodellen zusammenführen. Führung hängt nicht nur von den Eigenschaften der Führungspersönlichkeit und dem Führungsstil ab, sondern auch vom Führungssystem. 4. Die Unternehmensverfassung bestimmt als politisch-rechtlicher Rahmen, wer führt. Vor allem in großen, kapitalmarktorientierten Unternehmen sind – je nach Land und Zeit unterschiedlich ausgeprägt – drei Zentren der Willensbildung vorhanden: Anteilseigner, Management und Arbeitnehmervertretung. Corporate Governance beschreibt Grundsätze und Einflussfaktoren der Unternehmensführung, die über rechtliche Rahmenbedingungen der Unternehmensverfassung hinausgehen. Dazu gehören etwa die erfolgsabhängige Managervergütung, das Risikoüberwachungssystem und der Markt für Unternehmenskontrolle. 5. Nicht erst seit der jüngsten Finanzkrise werden die Corporate Governance-Instrumente überarbeitet und stehen Konzepte in der Kritik. Nach der Agency-Theorie sollte der Zielkonflikt zwischen Anteilseignern (Prinzipal) und dem Eigennutzstreben der Manager (Agent) durch die aktienbasierte Managervergütung (Pay for Performance) überwunden werden. Für Kritiker aber sind leistungslose Vergütungen für Manager sowie Unternehmens- und Wirtschaftkrisen erst durch diese Anreizsysteme entstanden. Nach dem Treuhänder(Stewardship-) Ansatz ist der Manager bestrebt, vertrauensvoll für das ganze Unternehmen zu handeln.

Fragen zur Diskussion 1. Was würde geschehen, wenn in einem Unternehmen morgen alle Führungskräfte ausfallen würden? Würde dann nichts mehr geschehen? Wohl kaum. Wäre das Unternehmen dann führungslos? Vermutlich auch nicht? Warum? Was meinen Sie? 2. Was versteht man unter Unternehmensführung? 3. Management als Institution und als Funktion: Wo ist der Unterschied? 4. Warum Strategisches Management im Unterschied zur traditionellen Planung? 5. Ziele setzen, planen, organisieren und kontrollieren. Was tun Manager wirklich? 6. Glauben Sie wirklich, dass unterschiedliche Perspektiven für Entscheider, die die Richtung angeben müssen, fruchtbar sein können?

42 7. Was spricht für transformierende Führung, was dagegen? 8. Ist Mitbestimmung gut oder schlecht für den Unternehmenserfolg? 9. Managervergütung: Warum ist das Thema aktuell?

1 Grundlagen

2

Ziele Grundlagen der Unternehmensführung

Umwelt

Strategien

Organisationsgestaltung Internationale Strategie und Organisation

Unternehmensleistung

Ziele

Internationale Strategie und Organisation

Abb. 2.1

Kapitelübersicht

Im zweiten Kapitel erfahren Sie: ! Warum es sinnvoll ist, Ziele zu haben und welche Aufgaben das Zielsystem des Unternehmens hat. ! Mit welchen finanziellen Zielen die Leistung (Performance) eines Unternehmens gesteuert werden kann und welchen Stellenwert darüber hinaus nicht-finanzielle Ziele haben. ! Welche Bedeutung der Grundauftrag (die Mission) zur Unternehmenssteuerung hat. ! Warum Gewinn und Verantwortung zwei Strategieperspektiven sind, die in ihrer Wechselwirkung gesehen werden sollten. ! Dass unter Unsicherheit die Strategien mit den größten Erfolgschancen zugleich die größte Möglichkeit haben zu scheitern.

44

2 Ziele

Überblick Visionen können scheitern, aber sind sie deshalb überflüssig? Edzard Reuter, der frühere Vorstandsvorsitzende von Daimler Benz, propagierte die Vision vom integrierten Technologiekonzern. Für seinen Nachfolger, Jürgen Schrempp, war der Zusammenschluss von Daimler und Chrysler ein Mittel, um seine Vision, globale Nr. 1 auf dem Automobilmarkt‘ zu werden, umzusetzen (vgl. Einstiegsfall). Eine Vision ist eine Vorstellung über die Zukunft, aber auch eine Halluzination, eine Erscheinung. Dieser schillernde Begriff ist dennoch in jedem Managementlehrbuch zu finden. Welchen Sinn hat eine Vision für die Führung eines Unternehmens? Visionen sind Ziele mit hoher Reichweite aber niedrigem Bestimmtheitsgrad, sie sind deshalb als Leistungsmaß wenig geeignet. Für Adolf Coenenberg (2003), den namhaften Professor für Rechnungswesen und Controlling, hatten Visionen nur in der Boomperiode der 1970er und 1980er Jahre eine gewisse Dominanz: „Der Denkansatz war: Wir benötigen Strategen, nicht Controller und Accountants.“ Erst als der Leidensdruck immer größer wurde, habe sich der Shareholder Value, die wertorientierte Unternehmensführung (Value Based Management) als Korrektiv durchgesetzt. Inzwischen wird, nach der schwersten Finanz- und Wirtschaftskrise der vergangenen Jahrzehnte, das Shareholder-Value-Konzept wieder kritischer bewertet. Wir beginnen mit einem Überblick zum Zielsystem des Unternehmens (Kap. 2.1). Zum Zweck des Unternehmens in Marktwirtschaften gehören nicht nur die Wertsteigerung (Kap. 2.2), sondern auch die Mission, der Grundauftrag des Unternehmens für Eigentümer, Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten und die Gesellschaft (Kap. 2.3). Beide Seiten werden jeweils für sich dargestellt, um dann im Kapitel 2.4 „Gewinn versus Verantwortung“ ihr Verhältnis zu betrachten. Dazu gehören die Auseinandersetzung mit der Kontroverse zwischen Shareholder- und Stakeholder-Value sowie das aktuelle Thema der sozialen Verantwortung des Unternehmens (Corporate Social Responsibility). Die Kunst ist dabei, bei aller Kritik, das Spanungsverhältnis auszuhalten und nicht der Versuchung zu erliegen, sich auf die eine oder die andere Seite zu schlagen (vgl. oben Kap. 1.2). Die Forderung von Fredmund Malik (2008) etwa, die ausschließliche Ausrichtung von Management-Entscheidungen am Shareholder Value nun durch die konsequente Orientierung am „Customer Value“ zu ersetzen, weil schließlich die Kunden und nicht die Aktionäre die Rechnungen bezahlen, ist zu kurz gesprungen. „Strategien zur Forcierung von ‚Customer Value‘ und zur Steigerung der Konkurrenzfähigkeit müssen in den Dienst einer langfristigen und nachhaltigen Wertsteigerung des Unternehmens gestellt werden. Sie müssen zudem auf einen Markt treffen, der bereit ist, die hochwertigen und mit hoher Effizienz produzierten Güter und Dienstleistungen abzunehmen und hierfür attraktive Preise zu zahlen. Das ist zurzeit keineswegs ausgemacht.“ (Fieten 2009, S. 12) Zum Zielsystem gehören auch die Risiken der Unternehmensführung. Im Kapitel „Strategie unter Unsicherheit“ geht es um das oft vernachlässigte Thema der strategischen Risiken (Kap. 2.5). Ziel kann es nicht sein, diese Risiken zu vermeiden, sondern nur, sie zu begrenzen und zu managen. Denn es gibt auch hier, wie sich zeigen wird, ein Strategieparadox:

2 Ziele

45

Strategien mit den höchsten Erfolgschancen, haben zugleich die höchste Möglichkeit zu scheitern.

Einstiegsfall: Visionswechsel bei Daimler Ein Wechsel an der Spitze des Unternehmens leitet häufig eine grundlegende Neuausrichtung ein. Anfang der 1990er Jahre entwickelte Daimler Benz unter dem damaligen Vorstandsvorsitzenden Edzard Reuter die Vision vom integrierten Technologiekonzern, mit der der traditionsreiche Automobilhersteller neu ausgerichtet und neue Wachstumsquellen erschlossen werden sollten. Die Strategiewende wurde unter anderem umgesetzt durch die Übernahme des damaligen Elektrokonzerns AEG und des niederländischen Flugzeugherstellers Fokker. Durch den Zugang zu neuen Basistechnologien (Elektronik) und verwandten Geschäftsfeldern (Luft- und Raumfahrt) sollten zukunftsträchtige Geschäftsfelder besetzt und Synergieeffekte erreicht werden. Tatsächlich entstanden massive Verluste. Die Probleme, die Integration im Konzern tatsächlich umzusetzen, führten zu einem erheblichen Abfluss finanzieller Mittel aus dem Automobilbereich. Nach 1995 kam es unter Leitung des Nachfolgers Jürgen Schrempp zum erneuten Konzernumbau. Meilensteine waren die strategische Neuausrichtung, eine verschlankte Konzernstruktur und neue Führungskultur, die Abkehr von Visionen und die Orientierung an harten, finanziellen Kennzahlen: „Stop the Bleeding“ zielte ab auf das Abstoßen der Verlustbringer Fokker, Dornier-Luftfahrt und AEG; „Shareholder Value“ zielte auf die Steigerung des Unternehmenswertes mit 12 Prozent Mindestverzinsungsanspruch. Ein weiterer Meilenstein, die Globalisierung des Konzerns, wurde unter anderem mit der spektakulären Übernahme von Chrysler in den USA und dem Beteiligungserwerb an Mitsubishi in Japan angegangen. Damit sollte Daimler Chrysler als „globale Nr. 1 auf dem Automobilmarkt“ in den wichtigsten Ländern der sogenannten Triade USA, Japan und Westeuropa positioniert werden. Heute wissen wir, dass dieses Vorhaben nicht erfolgreich war. Im September 2005 übernahm Dieter Zetsche den Vorstandsvorsitz. Im August 2007 verkaufte DaimlerChrysler die Mehrheit seiner Chrysler-Anteile an den Finanzinvestor Cerberus sowie wenig später seine Anteile an Mitsubishi. Das Unternehmen wurde in Daimler umbenannt und versteht sich heute als führender Anbieter von Premium-Pkw und größter Hersteller von Nutzfahrzeugen. Außerdem bietet Daimler Financial Services wie schon vorher ein umfassendes Finanzdienstleistungsangebot an, das Finanzierung, Leasing, Versicherungen und Flottenmanagement umfasst. Daimler vertreibt heute seine Produkte in nahezu allen Ländern der Welt und hat Produktionsstätten auf fünf Kontinenten. Fragen: 1. Beschreiben Sie den Visionswechsel bei Daimler! 2. Wie kann man feststellen, ob Visionen scheitern? 3. Sollte nicht besser über klare finanzielle Ziele gesteuert werden? Quellen: Töpfer, A.: Die Restrukturierung des Daimler Benz Konzerns 1995-1997. Neuwied 1998; Bea, F.X. & Haas, J.: Strategisches Management. 4. Aufl., Stuttgart 2005; sowie www.daimler.com und Presseberichte.

46

2.1

2 Ziele

Zielsystem

Strategische Unternehmensziele sind ‚harte‘ finanzielle Ziele, wie die Rentabilität in den nächsten drei Jahren auf mindestens 12 Prozent zu steigern, und auch qualitative Ziele, wie ‚eine Vision verfolgen‘, nur diejenigen Geschäftsbereiche ausbauen, bei denen eine Marktführerschaft mittelfristig erreichbar ist‘ oder aber ‚die gesellschaftliche Verantwortung des Unternehmens nachweisen‘. Der Einstiegsfall macht deutlich, dass die Akzente dabei je nach Situation unterschiedlich gesetzt werden – in der Krise beispielsweise dominieren finanzielle Ziele. Die Unternehmensziele werden auf Geschäftsbereichs- und Funktionsbereichsebene bis hin zu den Abteilungen und Teams weiter konkretisiert. Ein Beispiel dafür sind finanzielle Kennzahlensysteme, bei denen das Oberziel ‚Rentabilität‘ (Return on Investment, ROI) in Unterziele heruntergebrochen wird. Zum Zielsystem gehören auch weitreichende, nicht quantifizierbare Ziele, wie die Vision und Mission eines Unternehmens. Heute sind Steuerungssysteme wie die Balanced Scorecard, die auch nicht nicht-finanzielle Ziele verwenden, aktuell. Bevor wir darauf eingehen, einige grundsätzliche Überlegungen zum Zielsystem von Unternehmen.

FUNKTIONEN DES ZIELSYSTEMS FESTLEGEN Die Notwendigkeit zur Konkretisierung der Ziele ergibt sich aus den Aufgaben, denen diese genügen müssen (Kupsch 1979; Kotler & Bliemel 2001; Bea & Haas 2005). Ziele sollen: ! Entscheidungen unterstützen, indem Kriterien für die Bewertung von Alternativen geliefert werden. Dazu gehört, dass Ziele messbar und realistisch sein müssen. ! Koordinieren, sowohl horizontal als auch vertikal in der Organisation als auch darüber hinaus mit den Partnern. Dazu müssen die Ziele ausgewogen sein; konfliktäre Ziele wie „Gewinnspanne gegen Umsatzziel“, „Ertragsziele gegen soziale Ziele“ müssen gegeneinander abgewogen werden. ! Motivieren, einen Motivationsschub auslösen, wie dies etwa von Leadership-Initiativen erwartet wird. ! Informieren, etwa um Transparenz für Kapitalanleger (Investor Relations) oder für die Gesellschaft (Corporate Social Responsibility) herzustellen. ! Kontrollieren, wobei die Möglichkeiten zur Erfolgskontrolle (Performance Measurement) mit der Zielkonkretisierung steigen. ! Legitimieren, auch zur Rechtfertigung gegenüber Außenstehenden. Dazu können etwa die „Erhaltung von Arbeitsplätzen“ oder die „Verbesserung der Umweltverträglichkeit“ gehören. Dabei ist zu beobachten, dass mit zunehmender Komplexität und Dynamik der Bestimmtheitsgrad der Ziele abnimmt. An der Unternehmensspitze haben Ziele eine hohe Reichweite, aber einen niedrigen Bestimmtheitsgrad. Es sind strategische Ziele, die dazu beitragen sollen, die richtigen Dinge zu tun. Auf den unteren Ebenen der Hierarchie hingegen ist der Bestimmtheitsgrad hoch, aber die Reichweite niedrig. Hier kommt es darauf an, operativ die Dinge richtig zu tun, z.B. in der Fertigung eine bestimmte Stückzahl pro Stunde

2.1 Zielsystem

47

zu montieren. Dazu passt der Stücklohn als entsprechendes Anreizsystem. Auf operativer Ebene müssen Ziele den sogenannten SMART-Anforderungen genügen: spezifisch, messbar, angemessen im Verhältnis zum Aufwand, realistisch d.h. erreichbar, sowie terminiert. Während die Einzelleistung sich hier klar messen und zurechnen lässt, ist das auf höheren Ebenen nicht möglich. Visionen haben eine hohe Reichweite, sind aber wenig bestimmt. In dem Maße, in dem das Wettbewerbsumfeld neben der Produktivität auch Qualität und Flexibilität einfordert, also ein komplexeres Zielbündel, geht man auch auf unteren Ebenen zu Prämienlohnformen und Zielvereinbarungen über (vgl. Kirby 2005; Zander & Wagner 2005; Breisig 2006; Graumann & Klavina 2009). Die Frage, wem der Erfolg zuzurechnen ist – dem Individuum, einer Gruppe, einer Geschäftseinheit oder dem Gesamtunternehmen – wird also immer weniger exakt zu beantworten sein.

ANGEMESSENHEIT DER ZIELE KLÄREN Die Ziele von gewinnorientierten Organisationen unterscheiden sich von Zielen der NonProfit-Organisationen. Vereine, Verbände, Gewerkschaften, Stiftungen, Kirchen, öffentliche Schulen, Universitäten usw. unterliegen in ihrer Tätigkeit besonderen rechtlichen Beschränkungen und politischer Einflussnahme und finanzieren sich nicht durch Markttransaktionen, sondern aus Gebühren, Beiträgen, Spenden und Zuwendungen. Non-Profit-Organisationen sind gemeinwirtschaftlich und nicht erwerbswirtschaftlich orientiert und daher nicht auf Gewinn ausgerichtet. Traditionell ist es in der Betriebswirtschaftslehre üblich, bei gewinnorientierten Organisationen Sach- und Formalziele zu unterscheiden. Sachziele legen fest, was produziert werden soll, nach Art, Menge, Qualität, Ort und Zeitpunkt der Produktion. Formalziele klären, nach welchen Regeln produziert werden soll. In Marktwirtschaften sind das finanzielle Ziele oder, wie man auch sagt, Wertziele, also Umsatz-, Kosten-, Gewinn-, Rentabilitäts- und Liquiditätsziele (vgl. Horváth 1990, S. 120). Hierbei gibt es eine klare Rangordnung: „Formalziele wie Gewinnmaximierung oder Kostenminimierung bestimmen die Grundlinie unternehmerischen Handelns. Sachziele (z.B. Verkürzung der Maschinendurchlaufzeiten oder Verbesserung der Produktqualität) haben Instrumentalcharakter. Sie stehen also im Dienst der Erreichung von Formalzielen.“ (Wöhe & Döring 2008, S. 78) Dabei ist die Rangfolge alles andere als eindeutig. Der Einstiegsfall illustrierte, dass Gewinnziele zeitweilig nachrangig sein können, wenn Visionen die Richtung angeben. Vision und Mission stehen an der Spitze der Zielhierarchie auch bei modernen, nicht allein finanziell orientierten Steuerungskonzepten, wie der Balanced Scorecard. Eine Begründung dafür ist, dass in der Wissensgesellschaft finanzielle Ergebnisse gegenüber der generellen Ausrichtung und Geschäftsidee des Unternehmens nachfolgende Erfolgsgrößen sind (vgl. Kaplan & Norton 1996). Auch die andauernde Kontroverse zwischen Shareholder- und Stakeholderansatz, zwischen Gewinnorientierung und Verantwortung von Unternehmen zeigt, dass diese Fragen aktuell sind, aber nicht einfach mit ‚entweder-oder‘ zu beantworten sind. Im Folgenden gehen wir zunächst vereinfachend davon aus, dass das Primärziel eines Unternehmens die langfristige Gewinnmaximierung sei. Es ergibt sich aber dann sogleich ein Dilemma: “Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass sich gerade solche Unternehmen hinsichtlich der Generierung von Gewinnen für ihre Eigentümer als besonders erfolgreich erwiesen haben, deren wesentlicher Antrieb aus einem Unternehmenszweck und nicht primär aus der Erzielung von Gewinnen herrührte. Wir

48

2 Ziele

werden feststellen, dass Gewinn zwar den Lebenssaft einer Organisation darstellt, jedoch kein erfolgreiches Ziel im Hinblick auf die Zusammenführung, Erbauung oder Fesselung der Phantasie der Organisationsmitglieder ist. Eines der schwierigsten Aufgaben des strategischen Managements ist die Herstellung einer nachvollziehbaren und akzeptierten Verknüpfung zwischen einer sinnstiftenden Mission und dem Gewinnstreben.“ (Grant & Nippa 2006, S. 62) Wir nehmen deshalb an, dass die Frage nach der Rangfolge müßig ist, weil es nicht ein Primärziel des Unternehmens gibt, sondern Wertsteigerung und Vision bzw. Mission nur zwei Seiten derselben Sache sind, so wie auch eine Ware Tauschwert und Gebrauchswert zugleich ist. Was aber ist unter diesen Begriffen zu verstehen?

2.2

Wertsteigerung

2.2.1

Ökonomischer und buchhalterischer Gewinn

Wird Strategie als Mittel zur Wertsteigerung verstanden, so stellt sich die Frage, wie diese zu messen ist. Wertsteigerung kann definiert werden als: "! # " $ ! %!" Eine Geldsumme C wird als Kapital investiert und fließt nach einem gewissen Zeitraum mit der Wertsteigerung %!C, also mit Gewinn zurück. Der Rate des ökonomischen Gewinns errechnet sich aus der Wertsteigerung geteilt durch das eingesetzte Kapital. Davon zu unterscheiden ist der buchhalterische Gewinn, wie er in der Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung in den Geschäftsberichten veröffentlicht wird. Hierbei werden Ansatz- und Bewertungswahlrechte genutzt, um je nach der wirtschaftlichen Situation des Unternehmens, bilanzpolitische Ziele zu verfolgen, etwa die Steuerlast zu verringern oder aber umgekehrt den Investoren ein positives Bild der Lage zu vermitteln. Schon deshalb sind Gewinn und Rentabilität in der Praxis nicht einfach zu ermitteln. Im vorliegenden Rahmen kommt es nur auf die grundsätzlichen Unterschiede an.

FINANZIELLE PERFORMANCE-ZIELE FESTLEGEN Als Zielgrößen für die Unternehmenssteuerung werden eingesetzt: ! Traditionelle Finanzkennzahlen (z.B. Umsatzrentabilität, Kapitalumschlag), ! Dynamische Finanzkennzahlen ( z.B. Discounted Cashflow), ! Kapitalmarktorientierte Finanzkennzahlen (z.B. Economic Value Added, Cashflow Return on Investment), ! Realoptionen, ! Finanzielle und nicht-finanzielle Ziele (z.B. Balanced Scorecard). Traditionelle Finanzkennzahlen. Traditionell werden aus dem Rechnungswesen abgeleitete Finanzkennzahlen verwendet, um die Gewinnsituation eines Unternehmens zu ermitteln. Diese reichen von rohen Indikatoren, wie dem Auftragseingang oder der Umsatzentwicklung

2.2 Wertsteigerung

49

bis hin zu Kennzahlen, die das Gesamtergebnis in Betriebs-, Finanz- und außerordentliches Ergebnis aufspalten und auf eine aus dem Jahresabschluss ermittelte Bestandsgröße beziehen. Ein solches Kennzahlensystem hat der amerikanische Konzern DuPont bereits in den 1920er Jahren eingeführt (vgl. Abb. 2.2). Nettoumsatz

Umsatzrentabilität

Gewinn : Umsatz

Deckungsbeitrag Fixe Kosten

Variable Umsatzkosten

Rentabilität Gewinn in % des investierten Kapitals

x Umsatz Kapitalumschlag

Abb. 2.2

Zahlungsmittel +

: investiertes Kapital

Umlaufvermögen + Anlagevermögen

Forderungen + Bestände

Aufspaltung des finanziellen Oberziels im DuPont-Kennzahlensystem (nach Horvath 2009, S. 508)

Die traditionellen, auf dem Rechnungswesen beruhenden Kennzahlensysteme bieten jedoch nur eingeschränkte Möglichkeiten, entscheidungsrelevante Informationen bereitzustellen. Dies zumindest galt als offenkundig zur Jahrtausendwende, als die durch das Internet ausgelösten Veränderungen eine sogenannte New Economy geschaffen zu haben schienen. Der Marktwert von Yahoo, ein damals gerade neu entstandenes Unternehmen mit 1,1 Mrd. Euro Umsatz, kaum Gewinn und 1200 Mitarbeitern, war mit 88 Mrd. Euro am 31.3. 2000 nur wenig geringer als der von Siemens mit 105 Mrd. Euro, das aber als Großunternehmen einen Umsatz von 78 Mrd. Euro mit 447.000 Mitarbeitern verbuchte. Ein Jahr später war die Börsenblase geplatzt. Der Marktwert von Yahoo brach um 91 Prozent auf 9 Mrd. Euro ein, der von Siemens nur um 23 Prozent. Dies verdeutlicht, dass die Börse kein absoluter Wertmaßstab ist, sondern eine Mischung aus langfristiger Performance-Erwartung, Psychologie und Spekulation (vgl. Krubasik 2002). Gerade die von der Finanzkrise ausgelöste jüngste Wirtschaftskrise zeigt, dass Börsenwerte eigenen Gesetzmäßigkeiten unterliegen und für die Unternehmensbewertung nur bedingt geeignet sind. Liquidität hat nun Priorität, „Cash is King“ heißt es in der Krise. Verändern sich aber auch die Ansprüche an die fundamentalen Daten? Mit der Internationalisierung der Rechnungslegung werden Ergebnisgrößen wie EBIT und EBITDA gebräuchlich. Der EBIT (Earnings before Interest and Taxes) zeigt das Ergebnis vor Zinsen und Steuern. Wird der so ermittelte Gewinn des Unternehmens auf das gesamte eingesetzte Kapital (Capital Employed) bezogen, so ergibt sich eine Rendite, die als Return

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2 Ziele

on Capital Employed (ROCE) bezeichnet wird. Der EBITDA (Earnings before Interest, Taxes, Depreciation and Amortisation) ergibt sich, wenn man zum EBIT die Abschreibungen (auf Sachanlagen und immaterielle Anlagen) hinzuzählt. Cashflow-Kennzahlen wie der EBITDA sind in der Praxis weit verbreitet, weil Ergebnisangaben durch bilanzpolitische Gestaltung, etwa bei den Abschreibungen, wenig aussagefähig sein können und der Cashflow die Ertragskraft sowie die Finanzkraft indiziert. Schwächen des buchhalterischen Gewinnausweises soll damit entgegengewirkt werden. Traditionell wird also versucht, auf der Grundlage des Rechnungswesens die Ertrags-, Vermögens- und Finanzlage des Unternehmens zu ermitteln. Dynamische Finanzkennzahlen. Verschiedene Gründe sind dafür maßgeblich, dass die Anforderungen an die Erfolgsmessung und -steuerung steigen: In einem dynamischen und instabilen Umfeld haben die Unternehmen ihre Entscheidungsstrukturen dezentralisiert. Wettbewerbsvorteile werden aus immateriellen Vermögenswerten (Service, Innovation, Flexibilität, Wissen) erwartet, die sich in den Geschäftsbüchern nur schwer erfassen lassen. Das gilt insbesondere weiterhin für die inzwischen reif gewordene Internet-Ökonomie. Der Wert von Google und Microsoft ist traditionell höher, als er in der veröffentlichten Bilanz wiedergegeben wird. Hinzu kommt die wachsende Bedeutung des Kapitalmarktes. Integrierte strategische Leistungssteuerungssysteme sollen also die Schwächen der bisherigen Systeme, wie die des DuPont-Kennzahlensystems, überwinden. Ein Ansatzpunkt sind dynamische Finanzkennzahlen, die sich nicht an Durchschnittswerten des Rechnungswesens orientieren, sondern an Zahlungsströmen. Dabei wird auf Methoden der Investitionsanalyse zurückgegriffen. Bei einer einfachen, statischen Investitionsrechnung bewertet man Investitionsalternativen überschlägig nach dem Kosten- oder Gewinnvergleich, am besten aber mit dem Rentabilitätsvergleich. Diese statischen Methoden sind unzureichend, weil sie die Zeitstruktur der Einzahlungen und Auszahlungen nicht berücksichtigen. Es macht einen Unterschied, wenn eine Investition zum Beispiel früher zurückfließt, da sie, wieder angelegt, Erträge einbringt (Opportunitätskosten). Durch Abzinsen mit einer Zinseszinsformel auf einen Stichtag kann die Zeitstruktur des Geldes berücksichtigt werden. Nichts anderes berücksichtigt der abgezinste (discounted) Cashflow, der zur Unternehmensbewertung, -steuerung und -berichterstattung eingesetzt wird. Ziel ist die Orientierung am langfristigen finanziellen Erfolg des Unternehmens. Das Problem liegt aber auch hier bei der Festlegung des Abdiskontierungs-Zinssatzes sowie bei der Prognostizierbarkeit und Zurechenbarkeit der Zahlungsströme. Das zeigt sich bei der Anwendung zur Bewertung von Geschäftsstrategien. „Unter der gegebenen Volatilität und Unvorhersehbarkeit der Geschäftsbedingungen, denen sich die meisten Unternehmen ausgesetzt sehen, sind vernünftige, nachvollziehbare und vor allem verlässliche Prognosen der mit einer bestimmten Strategie verbundenen Kosten und Erlöse äußerst schwierig durchzuführen. Selbst wenn wir die Probleme, die mit der Vorhersage einer ungewissen Zukunft verbunden sind, ignorieren, ist es fraglich, wie man einer Strategie spezifische Cashflow-Konsequenzen halbwegs willkürfrei zuordnen soll. Eine Strategie ist (…) kein detaillierter Plan, sie ist eine Ausrichtung und ein Bündel von Leit- und Richtlinien.“ (Grant & Nippa 2006, S. 75) Kapitalmarktorientierte Finanzkennzahlen. Diese Probleme zeigen sich auch bei den kapitalmarktorientierten Finanzkennzahlen, die zu den Grundbausteinen der wertorientier-

2.2 Wertsteigerung

51

ten Unternehmensführung (Value-based Management) gehören, insofern sie auf Methoden der dynamischen Investitionsrechnung aufbauen.7 Hierzu zählen auch Steuerungsgrößen wie der Economic Value Added (EVA), wobei die Kapitalkosten als Hürde für den eigentlichen ‚ökonomischen‘ Gewinn, betrachtet werden. Siemens nennt diesen Übergewinn, der die Kapitalkosten übersteigt, Geschäftswertbeitrag. Beträgt beispielsweise in einem Bereich das Geschäftsergebnis nach Steuern 13 Mio. Euro und die Kapitalkosten werden mit 10 Mio. Euro errechnet, dann ist der Geschäftswertbeitrag 3 Mio. Euro. Die Kapitalkosten hängen von der Finanzierungstruktur und den geschäftsspezifischen Risiken ab. Für Siemens wurden geschäftsspezifische Kapitalkostensätze von 8 Prozent bei Osram bis hin zu 11 Prozent bei Infineon im Jahr 2000 gebildet (vgl. Hungenberg 2008, S. 448). Die Schwierigkeiten liegen nun darin, zum einen das betriebsnotwendige Vermögen (NOA = Net Operating Assets) zu bestimmen und zum anderen den Kapitalkostensatz zu ermitteln, mit dem multipliziert sich die Kapitalkosten errechnen. Während der Fremdkapital-Kostensatz noch relativ einfach aus der Rendite vergleichbarer börsennotierter Anleihen ermittelt werden kann, also vielleicht bei 4 Prozent liegt, werden zur Ermittlung der Eigenkapitalkosten theoretische Modelle unterlegt. Um die Renditeerwartung der Aktionäre, die von der Sache her eine Residualgröße ist, in eine feste Anspruchsgröße verwandeln zu können, wird das Capital Asset Pricing Modell (CAPM) verwendet. Grundlegend ist dabei die Annahme, dass Kapitalgeber in der Regel nur dann ein höheres Risiko eingehen, wenn sie dafür eine höhere Rendite erhalten. Im Vergleich zu einem Investment in eine risikofreie Anlage, wie festverzinsliche Wertpapiere, fordern die Eigenkapitalgeber eine Prämie, die als Marktrisikoprämie bezeichnet wird. Berechnungen ergeben, dass dieses systematische Risiko ‚Beta‘ je nach Branche unterschiedlich ist, aber in der Vergangenheit im Durchschnitt bei 4,5-5 Prozent lag. Je nach Anteil von Eigen- und Fremdkapital können so die gewichteten Kapitalkosten ermittelt werden (WACC = Weighted Average Cost of Capital). Das Problem liegt hier darin, dass die Berechnungen am Rechnungswesen anknüpfen, wodurch komplizierte Korrekturen erforderlich werden, die aber wiederum die Transparenz und damit die Wirksamkeit herabsetzen. Außerdem dürfte die jüngste Krise neue Berechnungen erforderlich machen. Realoptionen. Weitaus größere Schwierigkeiten macht es, die aus der finanzwirtschaftlichen Theorie bekannten Realoptionen auf die Strategieanalyse zu übertragen. Aber die Grundidee ist wichtig: „In einer Welt der Unsicherheit, in der Investitionen, sobald sie getätigt wurden, irreversibel sind, hat Flexibilität einen ökonomischen Wert.“ (Grant & Nippa 2006, S. 76) Dazu ein Beispiel: Wenn, wie in der Projektarbeit üblich, bestimmte Tore der Zustimmung durch das Top-Management durchlaufen werden, bevor die weitere Freigabe erfolgt, erhöht das die Kosten, schafft aber auch einen Optionswert. Dieser liegt zusätzlich zum herkömmlichen Unternehmenswert im Wert von Handlungsspielräumen. Diese bestehen darin, weitere Investitionen zeitlich zu verschieben, einzuschränken oder zu erweitern. Den dadurch eröffneten Chancen (Upside-Potential), steht auf der anderen Seite, ein begrenztes, mit der Ausübung der Option verbundenes Risiko (Downside-Risk) gegenüber. Trotz ihrer Vorzüge „ist

7

Es würde den Rahmen sprengen, die verschiedenen Modelle wertorientierter Unternehmensführung hier vorzustellen. Der Ausgangstext stammt von Rappaport (1998). Eine ausgezeichnete Übersicht findet sich in Langguth (2008).

52

2 Ziele

die Anwendung von Realoptionsmodellen in der Praxis eher gering.“ (Langguth 2008, S. 91) Gründe sind theoretische Probleme und die unzureichende Datenlage.

RÜCKKEHR ZU TRADITIONELLEN STEUERUNGSGRÖßEN? Vor dem Hintergrund der Probleme, die mit der Operationalisierung der wertorientierten Unternehmensführung verbunden sind, gibt es in der Praxis eine Tendenz, sich weiterhin an den traditionellen Verfahren der Leistungssteuerung zu orientieren, wie sie bereits eingangs geschildert worden sind (vgl. Praxisbeispiel). Außerdem sind in der Unternehmenspraxis die Differenzen zwischen den unterschiedlichen Indikatoren der Leistungsbeurteilung wie Cashflow, ökonomischer Gewinn und buchhalterischer Gewinn geringer, als oft behauptet wird (vgl. Grant & Nippa 2006, S. 79). Auch die Auswertung von Studien zu Unternehmenszielen zeigt, dass die Wertorientierung in Deutschland in den letzten zwei Jahrzehnten zugenommen hat, dass aber qualitative Ziele wie Kunden- und Qualitätsorientierung ebenso genannt werden (vgl. Macharzina & Wolf 2008).

Praxisbeispiel: Fit42010 bei Siemens In seinem Geschäftsbericht 2008 bekennt sich Siemens zur wertorientierten Unternehmensführung: „Mit dem Unternehmensprogramm ‚Fit42010‘ verfolgen wir die Strategie, die Potenziale eines integrierten Technologiekonzerns auszuschöpfen und damit langfristig Wert für unsere Aktionäre und Kunden zu schaffen.“ Dazu werden finanzielle „Performanceziele“ formuliert (vgl. Abb. 2.3). ! Wachstum – doppelt so schnell zu wachsen wie das weltweite Bruttoinlandsprodukt. ! Rentabilität – 14-16 Prozent, gemessen an der traditionellen Kennzahl Return on Capital Employed (ROCE) sowie durch den Renditevergleich mit den besten Wettbewerbern (Best-in-Class-Zielbänder). ! Liquidität – Ziele zur Liquidität und Finanzierungstruktur. Zu den Mitteln um diese anspruchsvollen Ziele zu erreichen, oder, wie man auch sagt, Werttreibern bzw. Wertsteigerungshebeln, gehören die folgenden Strategien: ! Portfolio. Die erste oder zweite Position in attraktiven Wachstumsmärkten einzunehmen. ! People Excellence. Weltweit der attraktivste Arbeitgeber für die Besten zu sein. ! Operational Excellence. Weltweit mit innovativen Produkten zu den Besten zu gehören. ! Corporate Responsibility. Unter Beachtung ökologischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Belange weltweit innovative Spitzenleistungen für die Gesellschaft zu erbringen.

2.2 Wertsteigerung

Abb. 2.3

53

Ziele im Siemens Unternehmensprogramm Fit42010 (Siemens 2009, S. 75)

Das Siemens Unternehmensprogramm ‚Fit42010‘ entspricht weitgehend dem Ansatz wertorientierter Unternehmensführung, den die Unternehmensberatung McKinsey als Rahmenkonzept für unterschiedliche Strategie-Denkschulen empfiehlt (Coenenberg & Salfeld 2007). Wachstum, operative Exzellenz, die Optimierung der Finanz- und Vermögensstruktur sowie Portfoliosteuerung sind Hebel zur Wertsteigerung. Das Traditionsunternehmen Siemens ist auf dem Weg zur Finanzholding, einem über Finanzkennzahlen gesteuerten Konzern. Damit folgt Siemens seinem Konkurrenten General Electric. Dessen charismatischer CEO Jack Welch hatte das Ziel ausgegeben die Nummer 1 oder Nummer 2 in der Branche zu werden, wer dies nicht schaffte, wurde abgestoßen. Anfang der 1980er Jahre verlor General Electric durch Restrukturierungen 100.000 Beschäftigte. Jack Welch hierzu: Die „Geschichte half uns, unser Portfolio aufzuräumen. Und es funktionierte.“ Auf diese Weise werden nun auch bei Siemens Desinvestitionen, wie der Verkauf der Handy-Sparte an BenQ und von VDO Automotive an Continental, begründet, sowie die Fokussierung auf die drei Sektoren Industrie, Energie und Gesundheit. Daneben hat Siemens in den zurückliegenden fünf Jahren aber auch über 20 Milliarden Euro in neue Akquisitionen gesteckt. Fragen: 1. Warum, meinen Sie, ist Siemens von kapitalmarktorientierten Kennzahlen zur Unternehmensteuerung abgerückt? 2. Werden durch die Portfoliosteuerung bei General Electric und Siemens möglicherweise Synergiepotentiale vernachlässigt? Quelle: Siemens Geschäftsbericht 2008; Coenenberg, A.G. & Salfeld, R.: Wertorientierte Unternehmensführung. 2. Aufl., Stuttgart 2007; Welch, J. & Welch: Winning – Das ist Management. Frankfurt/New York 2005.

54

2.2.2

2 Ziele

Ergänzung um nicht-finanzielle Ziele

Ende 2007 heißt es in einer internationalen Studie von Deloitte, einer der großen Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaften: Mitarbeitermotivation, Unternehmensimage und Kundenzufriedenheit spielen für die Unternehmensperformance genauso eine Rolle wie finanzielle Faktoren, etwa Umsatz- und Gewinnkennzahlen. Doch ein detailliertes Wissen über die sogenannten Non-Financials sowie geeignete Messinstrumente sind in der Unternehmensrealität eine Seltenheit. Auch wenn sich die befragten Topmanager, 200 Vorstände und Board-Mitglieder aus aller Welt, über die maßgebliche Bedeutung der nicht finanziellen Faktoren für die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens im Klaren sind, fehlt es an fundierten Erkenntnissen zur tatsächlichen Leistungskraft ihrer Gesellschaft in diesem Bereich. Dies liegt zum einen am Mangel erprobter Methoden, zum anderen am unzureichenden Know-how bei der Erfassung, Evaluation und Darstellung „weicher“ Faktoren. Verglichen mit den Ergebnissen der Studie aus dem Jahre 2004 gibt es allerdings deutliche Fortschritte: So haben mehr Unternehmen den Wert der Non-Financial-Kennzahlen erkannt und in ihren Geschäftsberichten berücksichtigt. Gestiegen ist auch die Anzahl der Firmen, die an der Entwicklung zuverlässiger Messinstrumente arbeiten (vgl. Deloitte 2007).

BALANCED SCORECARD UND STRATEGY MAPS NUTZEN Die Balanced Scorecard (BSC) ist ein Managementwerkzeug, das geeignet ist, auch nichtfinanzielle Ziele in einem integrierten strategischen Leistungssteuerungssystem aufzunehmen. Nicht mehr so sehr die Frage, wie Wertsteigerung und finanzieller Erfolg zu messen sind, steht im Mittelpunkt, sondern dass die finanzielle Perspektive durch nicht-finanzielle Perspektiven zu ergänzen ist. Vorläufer war das in den 1960er Jahren in Frankreich entwickelte Tableau de Bord („Instrumententafel, Armaturenbrett“). Finanzorientierten Zielsystemen wird vor allem unterstellt, dass sie nur die vergangenheitsorientierte „finanzielle Gesundheit” eines Unternehmens, nicht aber seine zukunftsgerichtete „strategische Gesundheit” messen. Das Argument basiert im Wesentlichen darauf, dass immaterielle Vermögensgegenstände im externen Rechnungswesen nur ungenügend erfasst werden, heute aber die wesentlichen strategischen Erfolgsfaktoren darstellen. Des Weiteren informieren aus dem Rechnungswesen abgeleitete Kennzahlen nur rückwirkend über die Wirksamkeit der Wettbewerbsstrategie. Sie werden wegen dieser zeitlichen Verzögerung auch als nachlaufende Indikatoren bezeichnet, die zu einer Kurzfristorientierung des Managements beitragen können. In rein finanzorientierten Systemen wird außerdem keine Verbindung zu qualitativen operativen Werttreibern hergestellt, wodurch wesentliche Ursache-Wirkungs-Beziehungen unberücksichtigt bleiben können. Schließlich werden in traditionellen Kennzahlensystemen weder Risiken noch Eigenkapitalkosten oder Synergieeffekte berücksichtigt (vgl. Johnson & Kaplan 1991; Ittner & Larcker 1997; Speckbacher et al. 2003; Chahed & Müller 2006). Ursprünglich wurde die Balanced Scorecard von Kaplan & Norton lediglich als ausgewogenes System von Leistungsindikatoren konzipiert. Die strategischen Ziele des Unternehmens werden aus verschiedenen Perspektiven betrachtet, wobei als Werttreiber für die finanzielle Perspektive drei weitere nicht-finanzielle Perspektiven angesehen werden – die Kunden-, interne Prozess- sowie die Lern- und Wachstumsperspektive (vgl. Kaplan & Norton 1992). Nur in nicht-gewinnorientierten Organisationen ist das Finanzziel nicht das Oberziel, son-

2.2 Wertsteigerung

55

dern können dies auch andere Stakeholderziele sein (vgl. Kaplan 2008). Für jede Perspektive werden unternehmensspezifische Kennzahlen als Messgrößen für die Zielerreichung bestimmt, die zusammen ein mehrdimensionales Kennzahlensystem ergeben. Die Abb. 2.4 zeigt dazu ein Beispiel aus der industriellen Praxis beim mittelständischen Pumpenhersteller Scherzinger GmbH & Co. KG. Den vier Perspektiven werden Wettbewerbsfaktoren wie Kosten, Flexibilität, Qualität und Innovation gegenübergestellt, sodass sich eine Matrix aus sechzehn Kennzahlen ergibt, die zur Leistungssteuerung dienen. Für jede dieser Kennzahlen werden dann Zielvorgaben und Maßnahmen formuliert. Business Scorecard Matrix aus 16 Kennzahlen Wettbewerbsfaktoren

Kosten Flexibilität (Zeit, Menge, Varianten)

Qualität

Innovation

Abb. 2.4

Unternehmensperspektiven

Finanzperspektive

Kundenperspektive

Prozessperspektive

Potenzialperspektive

Gemeinkosten Selbstkosten

Vertriebskosten Selbstkosten

Produktivität

Qualifizierungskosten pro Mitarbeiter

Fixkosten Selbstkosten

Anteil der eingehaltenen Wunschtermine

Mitarbeiter- und Maschinenflexibilität

Anteil der breit und flexibel einsetzbaren Mitarbeiter

Qualitätskosten

Anteil der Garantiefälle/ Reklamationen

Interne Ausschussquote

Umsetzbare Verbesserungsvorschläge pro Mitarbeiter

Umsatzanteil mit Produktinnovationen

Anzahl der Kunden mit Umsatzsteigerungen

Durchlaufzeit für nicht serienmäßige Teile

Anteil der FuE-Stunden für Neu- und Änderungskonstruktionen

Kennzahlensteuerung bei der Scherzinger GmbH & Co. KG (Scherzinger)

Später haben Kaplan & Norton ihren Ansatz zum einem Managementwerkzeug zur Strategieimplementierung weiterentwickelt (vgl. Kaplan & Norton 2004; 2006; 2008). UrsacheWirkungs-Beziehungen zwischen den Zielen werden in einer ‚Strategy Map‘ abgebildet, wobei wiederum die finanzielle Perspektive die Rolle eines Oberziels einnimmt. Das Grundmodell lässt sich variieren. Selbst Ziele der sozialen Verantwortung von Unternehmen (Corporate Social Responsibility) lassen sich problemlos aus der Perspektive interner Geschäftsprozesse einbauen. Ein Beispiel für Ursache-Wirkungs-Beziehungen im Dienstleistungsbereich zeigt die folgende Abb. 2.5 zur Service-Profit-Kette. Die Steigerung der internen Servicequalität durch angemessene Arbeitsbedingungen, erhöht die Zufriedenheit und damit die Bindung und Produktivität der Mitarbeiter, was sich wiederum in einem höheren Servicewert niederschlägt. Dadurch werden wiederum Kundenzufriedenheit und -bindung wie auch der finanzielle Erfolg verbessert (vgl. Heskett et al. 2008). Zu den Stärken der Balanced Scorecard und der Strategy Map gehören, dass ihre Verwendung das Bewusstsein für die operativen Werttreiber des Geschäftserfolgs stärkt und dazu beiträgt, eine reine Finanzorientierung des Managements zu überwinden. Das Verständnis

56

2 Ziele

für die Wirkungs-Beziehungen zwischen operativen Entscheidungen und strategischen Zielen wird geschärft, Anreizprobleme, die zu einer Kurzfristorientierung der Entscheidungsträger führen können, werden verringert. Ein weiterer wesentlicher Vorteil liegt im Implementierungsprozess selbst, der die Kommunikation über Hierarchieebenen und Funktionsbereiche hinaus anregt und gemeinsame Denkprozesse fördert. Die Analyse der Werttreiber führt zu einem umfassenderen Bild der eigenen Geschäftstätigkeit. Zudem fokussiert die Ermittlung und Kenntnis der finanziellen und nicht-finanziellen Werttreiber die Entscheidungsfindung und Leistungsmessung auf die wesentlichen Erfolgsfaktoren einer langfristigen Unternehmensstrategie und hilft, klarere Ziele zu formulieren. Die BSC wird als besonders erfolgreich in den Fällen angesehen, in denen Unternehmen versucht haben, mit ihrer Hilfe ein ganzheitliches Managementsystem zu implementieren. Hier half die Modellierung der Ursache-Wirkungs-Beziehungen dabei, strategische Klarheit zu erreichen, d.h. sich der eigenen Strategie und ihrer kritischen Erfolgsfaktoren bewusst zu werden. Die BSC ist somit ein wichtiges Instrument zur Verhaltenssteuerung (Behavioral Tool), denn ihre Implementierung schafft zunächst die Voraussetzungen für organisatorischen Wandel (Kommunikation, Verständnis) und strukturiert sowohl Feedback als auch Lernprozesse. Die Ermittlung der Kennzahlen unter Einbeziehung von Mitarbeitern aller Unternehmensbereiche fördert ein gegenseitiges Verständnis und mag das Potential haben, zu einer kooperativeren Unternehmenskultur beizutragen (vgl. Kaplan & Norton 1992; Ittner & Larcker 1997; Speckbacher et al. 2003; Hendricks et al. 2004). Betriebsstrategie und Dienstleistungserbringungsprozess

Innerbetriebliche Servicequalität

Außerbetrieblicher Servicewert

Mitarbeiterzufriedenheit

! Arbeitsplatzgestaltung ! Arbeitsgestaltung ! Mitarbeiterauswahl und -entwicklung ! Mitarbeitervergütung und Leistungsanerkennung ! Mittel zur Kundenbedienung

Abb. 2.5

Ertragswachstum

Mitarbeiterbindung Kundenzufriedenheit

Kundentreue

Mitarbeiterproduktivität

Rentabilität

! Servicekonzept: Ergebnisse für den Kunden

! Bindung ! Folgeaufträge ! Empfehlung

! Dienstleistungen, die für Kundenbedürfnisse gestaltet und erbracht werden

Mitarbeiter und Kunden in der Service-Profit-Kette (nach Heskett u.a. 2008, S. 120)

IMPLEMENTIERUNGSPROBLEME BERÜCKSICHTIGEN Bei Implementierung der BSC zeigt sich allerdings auch, wie schwierig es ist, ein theoretisches Modell in die Realität umzusetzen. Studien an der University of Pennsylvania (Ittner & Larcker 2003) und an den Universitäten Wien und Innsbruck (Speckbacher et al. 2003) haben folgende wesentliche Fehler bei der Implementierung einer BSC aufgezeigt:

2.2 Wertsteigerung

57

! Fehlende Verbindung zwischen Kennzahlen und Strategie: Oftmals wird die eigene Unternehmensstrategie nicht ausreichend analysiert und es werden Ziele formuliert, die in keinem direkten Ursache-Wirkungs-Bezug zu den relevanten Werttreibern stehen. Nur wenige Unternehmen scheinen nicht-finanzielle Kennzahlen mit direkter Verbindung zur Strategieerreichung zu identifizieren. ! Ursache-Wirkungs-Beziehungen lassen sich nicht bestätigen: Wenn die Kausalität zwischen den Werttreibern der einzelnen Perspektiven nicht sichergestellt ist, können Zielkonflikte und ein „Information Overload“ die Leistungsfähigkeit eines Unternehmens eher lähmen als fördern. ! Unrealistische Ziele: Die Vorgabe, z.B. 100 Prozent Kundenzufriedenheit zu erreichen, ist unrealistisch und mit unverhältnismäßigem Aufwand verbunden. Unrealistische Zielvorgaben wirken kontraproduktiv und können das „Oberziel“, die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens, gefährden. ! Mangelnde Objektivität bei der Messung der Zielerreichung: Vor allem für qualitative Werttreiber müssen objektivierbare Bewertungsverfahren gefunden werden. Ziele wie etwa die Erhöhung der Kundenzufriedenheit sind so lange problematisch, wie nicht allen Betroffenen klar ist, was Kundenzufriedenheit ist und wie man diese misst. In der Praxis beschränken viele Unternehmen die BSC auf ein mehrdimensionales Zielsystem, ohne die Zusammenhänge zwischen den Perspektiven in Strategy-Maps aufzuzeigen, weil dies als besonders schwierig angesehen wird. Zudem entscheiden sich Unternehmen für unterschiedliche Implementierungsgrade von BSC-Modellen. Nur selten scheint es in der Praxis voll entwickelte BSCs zu geben, die im Rahmen des strategischen Managements die Strategieentwicklung und -umsetzung unterstützen, indem anhand der unterschiedlichen Dimensionen Ziele und Handlungspläne entwickelt, Ergebnisse gemessen und Anreizsysteme geschaffen werden. Weitere Kritikpunkte sind die ungenügende Einbeziehung von Risiken und die Annahme eines hierarchischen „Top-Down“-Modells für die Strategieumsetzung, bei dem die vom Top-Management vorgegebene Strategie sequenziell in finanzielle und nicht-finanzielle Kennzahlen heruntergebrochen wird. Dieser Ansatz widerspricht anderen Modellen, die die Strategieumsetzung als reflexiven Prozess beschreiben, in dem die Unternehmensstrategie durch organisatorische Einflüsse auf allen Ebenen geformt wird (vgl. u.a. Burgelman 1983; Mintzberg & McHugh 1985; Mintzberg 1987). Wir hatten eingangs auf die unterschiedlichen Perspektiven zwischen Plan und Emergenz hingewiesen und werden im Folgenden darauf zurückkommen. Wir haben gesehen, dass bei der Balanced Scorecard und bei den Strategy Maps letztlich finanzielle Ziele dominieren. Nach Kaplan & Norton (2008, S. 45) zeigt die Balanced Scorecard, wie die Vision, Mission und Strategie eines Unternehmens gesteuert werden können. Was ist darunter zu verstehen?

58

2.3

2 Ziele

Mission des Unternehmens

Ist die Mission eines Unternehmens mehr als das häufig nichtssagende, gestanzte Statement in einer Firmenbroschüre? Die Bedeutung der Mission für die Strategieentwicklung ist zu klären und darüber hinaus die Abgrenzung zu weiteren unscharfen Begriffen wie Vision und Leitbild.

EINE MISSION ENTWICKELN Für manche Unternehmungen ist jedes Geschäft ein gutes Geschäft, solange die Rendite stimmt, aber dem Unternehmen wird es an Ausrichtung fehlen. Unternehmen müssen, so der Managementexperte Peter Drucker, zuerst grundsätzliche Fragen beantworten: „Was ist unser Geschäft? Wer ist der Kunde? Was ist für den Kunden von Wert? Was wird künftig unser Geschäft sein? Was sollte unser Geschäft sein?“ (Zitiert nach Kotler & Bliemel 2001, S. 110) Die Mission handelt von der Beantwortung dieser Grundfragen, sie ist der Grundauftrag, der das Unternehmen in eine bestimmte Richtung steuert. Elemente, die eine Mission prägen, sind (vgl. ebd.; De Wit & Meyer 2008, S. 590 ff.): ! Organisationszweck. Warum gibt es das Unternehmen? Dabei geht es um mehr als den formalen Organisationszweck, der bei der Gründung des Unternehmens angegeben wurde. Im Laufe der Zeit verändert sich der Zweck der Organisation, nicht immer so extrem wie im Daimler-Beispiel oder etwa beim Preussag Konzern, der aus dem Stahlgeschäft kommend nun als TUI im Tourismus tätig ist. Beispiele für einen eher evolutionären Wandel finden sich für Continental (vom Reifenhersteller zum Systemanbieter) und für Bilfinger Berger und Hochtief (vom Baukonzern zur Multi-Service-Group). ! Überzeugungen. Welche Überzeugungen bestehen, mit denen man erwartet in einer bestimmten Umwelt erfolgreich zu sein? Diese werden auch von der Firmengeschichte geprägt: Jedes Unternehmen hat eine Geschichte, die sich in den bisherigen Zielen, der verfolgten Politik und den Leistungen niedergeschlagen hat. Aus Beharrungskräften entsteht eine Pfadabhängigkeit, die dazu führt, dass etwa das Vorbild Toyota durch westliche Hersteller nicht einfach zu kopieren ist. ! Werte. Was sind die grundlegenden Werte, die Präferenzen des Managements, der Eigentümer und der Mitarbeiter? Wer in einem Unternehmen das Sagen hat, will auch seine Zielvorstellungen einbringen. Deutlich wird dies bei der Übernahme von Volkswagen durch die Familien Porsche und Piëch und die damit verbundene Auseinandersetzung über die Besetzung der Arbeitnehmervertreter in der Porsche-Holding. Dazu gehören auch gemeinsame Werte, wie man in einem bestimmen Umfeld erfolgreich sein kann. Für Bertelsmann und eine Reihe anderer Unternehmen sind Partnerschaft und Mitbestimmung grundlegende Erfolgspotenziale (vgl. etwa Mohn 1986; Bertelsmann Stiftung & Hans-Böckler-Stiftung 2001), andere hingegen lehnen dies ab. ! Definition des Geschäfts. In welchem Geschäft ist das Unternehmen tätig? In welchem Geschäft sollte es tätig sein? Das Marktumfeld enthält Chancen und Risiken, die das Unternehmen bei der Festlegung des Grundauftrages und bei seiner Planung berücksichtigen muss. Ein Beispiel dafür sind neue Wettbewerber und Käuferschichten aus China und Osteuropa. Die verfügbaren Ressourcen bestimmen, ob ein Grundauftrag realistisch

2.3 Mission des Unternehmens

59

ist oder nicht. So kann eine Fachhochschule nicht mit der Harvard Business School konkurrieren, andererseits aber besonders anwendungsorientierte Kompetenzen aufweisen. Nicht immer haben Unternehmen ihre Mission auch schriftlich festgelegt, in einem interaktiven Prozess mit den Mitarbeitern erarbeitet und in einem Mission-Statement prägnant formuliert. Als strategische Absicht (Strategic Intent) können anspruchsvolle Ziele auch über die verfügbaren Ressourcen hinausgehen. Dies spielt bei spektakulären Neugründungen eine Rolle, wie bei Apple in der Computerbranche, CNN in der Nachrichtenbranche sowie Virgin Atlantic bei den Fluggesellschaften (vgl. Hamel & Prahalad 1993). Die Mission gibt die Richtung an, die das Unternehmen einschlagen will, legitimiert Entscheidungen gegenüber den Anspruchsgruppen und motiviert diese, ob nun intern als Eigentümer und Mitarbeiter oder aber extern als Kunden, Lieferanten usw. zur Zusammenarbeit (vgl. Praxisbeispiel Toyota).

Praxisbeispiel: Zur Mission von Toyota Die Automobilindustrie weltweit leidet seit Beginn des Jahres 2009 unter einer Wirtschaftskrise, die von einer Finanzkrise ausgelöst wurde. Selbst der Branchenprimus Toyota erlebt den ersten Verlust seiner Konzerngeschichte. Davon sind die längerfristigen Strukturveränderungen zu unterscheiden. General Motors etwa, war im vergangenen Jahrhundert nicht nur mit Abstand das größte Automobilunternehmen der Welt, sondern auch ein Symbol für den Erfolg der von diesem Unternehmen geprägten Managementinnovation: der Massenproduktion. Heute kämpft General Motors um das Überleben. Noch in den 1960er Jahren gegenüber General Motors auf Rang 14 hat sich Toyota heute zum weltweit führenden Unternehmen hochgearbeitet, nicht zuletzt auch durch die Anwendung der Prinzipien der schlanken Produktion. Warum brauchen westliche Autohersteller so lange, um Effizienzvorteile von Toyota einzuholen? Die Potenziale bei Toyota und anderen schlanken Produzenten liegen weniger in den „harten“ organisatorischen Strukturen sondern vielmehr in den Fähigkeiten, das Wissen der Mitarbeiter zu nutzen und die Beziehungen zu Kunden, Lieferanten und Mitarbeitern zu entwickeln. Diese „weichen“ Erfolgsfaktoren sind nicht einfach zu verstehen und zu übertragen. In der Mission, dem Grundauftrag von Toyota, finden sie ihren Ausdruck (vgl. Abb. 2.6).

60

Abb. 2.6

2 Ziele

Dimensionen der Mission bei Toyota (nach Liker & Meier 2007, S. 47)

Fragen: 1. Worin unterscheidet sich die Mission (der Grundauftrag) bei Toyota im Vergleich zu anderen Unternehmen? 2. Warum lässt sich der Grundauftrag eines Unternehmens nicht einfach kopieren? Quellen: Liker, J.K. & Meier, D.: Der Toyota-Weg – Praxisbuch: München 2007; Wirtschaftspresse.

MISSION, VISION UND LEITBILD ABGRENZEN Mission und Vision werden oft verwechselt: „Während die Mission des Unternehmens grundlegende Prinzipien umfasst, die die strategische Wahl leiten, umschreibt die strategische Vision die angestrebte Zukunft, die das Unternehmen zu erreichen hofft.“ (De Wit & Meyer 2008, S. 593). Zur Mission gehören sowohl langfristige, allgemein gehaltene Vorstellungen zur langfristigen Rolle des Unternehmens (die Vision), als auch mittel- und kurzfristige Ziele sowie der Ist-Zustand. Die hier verwendeten Begriffe beinhalten also weit mehr, als die kurzen und häufig nichtssagenden Mission- und Vision-Statements, wie es sich auf den ersten Seiten von Geschäftsberichten findet. Es ist die Aufgabe der Planung, aus der Vision konkretere Ziele abzuleiten. Die langfristigen Unternehmensziele werden zumeist nicht quantitativ, sondern nur qualitativ festgelegt. Die Reichweite der Vision ist hoch, allerdings ihr Bestimmtheitsgrad niedrig. Darin liegt auch eine Schwäche. So kann eine hochfliegende Vision, die nur Verluste einbringt, damit gerechtfertigt werden, dass man nur noch ein wenig abwarten müsse. Und der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt hat zu Willy

2.3 Mission des Unternehmens

61

Brandts Visionen im Bundestagswahlkampf 1980 angemerkt: "Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen." Ein Leitbild konkretisiert die Vision und Mission und basiert wiederum auf den Werten und Kompetenzen eines Unternehmens. In Verhaltensgrundsätzen (Code of Conduct) werden Werte auch schriftlich festgehalten. Die Bosch Gruppe beispielsweise, ein weltweit führender Automobilzulieferer, hat sich mit seinem „House of Orientation“ einen Orientierungsrahmen für die langfristige Ausrichtung und den Umgang miteinander gegeben (vgl. Abb. 2.7). Danach vermittelt die Vision, wohin sich Bosch entwickeln will. Das Leitbild BeQIK steht für mehr Tempo, bei allem, was Bosch tut; es steht für Qualität (Q), Innovation (I) und Kundenorientierung (K). Werte und Kernkompetenzen sind das Fundament, auf denen die Erfolge der Vergangenheit beruhen und die Zukunft aufgebaut wird. Bosch gilt, dank seines legendären Gründers und Stifters Robert Bosch, als soziales Unternehmen.

Abb. 2.7

House of Orientation der Bosch Gruppe (http://csr.bosch.com)

Das Praxisbeispiel Telekom zeigt, dass bei der Entwicklung von Leitbildern und Verhaltensgrundsätzen auch die Arbeitnehmervertretung beteiligt wird. Entscheidend ist dabei, ob das Leitbild mit der Beteiligung der Betroffenen, also Mitarbeitern, Kunden und Lieferanten und anderen Anspruchsgruppen, entwickelt wird, inwieweit es im betrieblichen Alltag gelebt wird und ob es sich auch in Krisenzeiten bewährt.

62

2 Ziele

Praxisbeispiel: Konzernleitbild T-Spirit der Deutschen Telekom Die Deutsche Telekom hat sich ein Leitbild gegeben, das, unverkennbar geprägt vom Leadership-Gedanken, unterschiedliche Ziele formuliert (vgl. Abb. 2.8). Es geht einerseits um nachhaltige Wertsteigerung aber andererseits auch um den Umgang mit relevanten Anspruchsgruppen. Eine nähere Konkretisierung wird notwendig etwa im Hinblick auf die Arbeitnehmer, wenn Verhaltensleitlinien (Code of Conduct) formuliert werden. Zu den Themen eines solchen Regelwerks gehören: ! ! ! !

Kommunikationsverhalten und Zusammenarbeit, Verhaltensfeedback, Analysen der Arbeitsleistung, Motivation durch Zielvereinbarungen und Beurteilung (Auswirkung auf Vergütung und berufliche Entwicklung), Einhaltung der Verhaltensregeln.

Steigerung des Konzernwerts. Wir steigern den Wert der Deutschen Telekom nachhaltig. Partner für den Kunden. Wir begeistern unsere Kunden durch exzellente Produkte und Services. Innovation. Wir schaffen ein Klima für Innovation und Spaß an Leistung. Respekt. Wir nutzen unsere kulturelle Vielfalt, respektieren und unterstützen uns. Integrität. Wir kommunizieren offen und ehrlich und halten, was wir versprechen. Top Exzellenz. Wir denken und handeln entschlossen, wollen mit den richtigen Menschen am richtigen Platz ständig effizienter werden, belohnen Leistung und sanktionieren Fehlverhalten konsequent. Abb. 2.8

Konzernleitbild „T-Spirit“ der Deutschen Telekom (Deutsche Telekom)

Das Regelwerk wird nach innen legitimiert durch die Beteiligung der Arbeitnehmervertretung, für die u.a. relevant ist: ! Persönlichkeitsrecht/Handlungsfreiheit der Beschäftigten (Art. 2 GG) bei Regeln zur Zusammenarbeit der Arbeitnehmer im Betrieb und bei Verhaltensrichtlinien, bei Leistungs- und Verhaltenskontrollen sowie bei der Prüfung von Verstößen gegen den Verhaltenskodex; ! Gleichbehandlung/Willkürverbot bei innerbetrieblichen Verfahren der Leistungsbeurteilung, Prämienzumessung, Beschwerdeverfahren bei der Umsetzung der Verhaltenskodizes.

2.4 Gewinn versus Verantwortung

63

Fragen: 1. Konzernleitbilder werden als nette Prosa häufig belächelt. Sind sie dennoch praktisch relevant? 2. Vergleichen Sie das Konzernleitbild der Telekom mit einem anderem Unternehmen. Sind nennenswerte Unterschiede erkennbar? 3. Gehören Vereinbarungen mit den Arbeitnehmervertretungen über Verhaltensleitlinien eigentlich zur Strategie? Quelle: Telekom; eigene Recherchen.

2.4

Gewinn versus Verantwortung

2.4.1

Wertsteigerung und Werte

Unternehmen werden als Institutionen gesehen, die Gewinne für ihre Eigentümer (Shareholder) erzielen. Sie sollen sich zugleich aber auch, wegen ihrer Bedeutung für die Gesellschaft, als verantwortlich gegenüber allen Anspruchsgruppen, den Stakeholdern, zeigen. In den USA der 1950er und 1960er Jahren war der Stakeholder-Ansatz populär, später dann setze sich der Shareholder-Value-Ansatz durch, mit erheblichem Einfluss auch in Europa. Nach der jüngsten Wirtschaftskrise scheint es auch in den USA Stimmen für eine erneute Kehrtwende zu geben (vgl. Pfeffer 2009). Offenbar bleibt das Thema weiterhin kontrovers (vgl. De Wit & Meyer 2008, Kap. 11).

SHAREHOLDER-VALUE-PERSPEKTIVE Aus der wirtschaftsliberalen Perspektive dient die Verfolgung des Eigennutzes zugleich der gesellschaftlichen Wohlfahrt. Dazu passt die provokante These von Milton Friedman: "The Social Responsibility of Business is to Increase its Profits." (Friedman 1970) Ähnlich argumentieren auch Anhänger der Shareholder-Value-Perspektive (vgl. Abb. 2.9). Die Beeinflussung des Kräftefeldes der Anspruchsgruppen – der Lieferanten, Gewerkschaften, der Umweltaktivisten, Lokalregierungen und anderer Gruppen der Gesellschaft – ist aus dieser Sicht nützlich; es ist ein Mittel zum Zweck. Organisationen werden als Instrumente betrachtet um den Organisationszweck für die Eigentümer umzusetzen. Zentraler Erfolgsmaßstab ist der Gesamtertrag für die Aktionäre, der Total Shareholder Return aus Aktienkurssteigerung, Dividende und Bezugsrechten (vgl. Knight 1998; Rappaport 1999). Das Hauptproblem besteht darin, die Manager, die als Agenten des Eigentümers (des Prinzipals) eingesetzt werden, auf dessen Interessen zu verpflichten. Als Lösung wird die aktienbasierte leistungsorientierte Managervergütung angesehen. Zur Verbesserung der Überwachung im Verwaltungsrat (Board of Directors) werden unabhängige Mitglieder (Outside Directors) bestellt. Die Interessen relevanter Anspruchsgruppen (Stakeholder) werden berücksichtigt, solange dies dem Organisationszweck der Eigentümer dient. Gesellschaftliche Verantwortung übernimmt jeder für sich selbst, ist also keine Organisationsaufgabe. Der Gesellschaft wird am besten durch die Verfolgung der Eigeninteressen gedient.

64

2 Ziele

Shareholder-Value-Perspektive

Stakeholder-Value-Perspektive

Betonung auf…

Gewinn vor Verantwortung

Verantwortung vor Gewinn

Organisationen werden betrachtet als…

Instrument

Koalition von Anspruchsgruppen

Organisationszweck

Für den Eigentümer

Für alle relevanten Interessen

Erfolgsmaßstab

Aktienkurs und Dividende

Befriedigung der Anspruchsgruppen

Hauptproblem

Den Agenten auf die Interessen des Prinzipals verpflichten

Unterschiedliche Interessen der Anspruchsgruppen ausbalancieren

Corporate Governance durch…

Unabhängige Outside Directors

Vertretung der Stakeholder

Stakeholder Management

Mittel

Ziel und Mittel

Soziale Verantwortung

Jeder für sich selbst; keine Organisationsaufgabe

Individuum und Organisation

Der Gesellschaft wird am besten gedient durch …

Verfolgen der Eigeninteressen (Wirtschaftliche Effizienz)

Gemeinsame Interessen verfolgen (Wirtschaftliche Symbiose)

Abb. 2.9

Shareholder-Value versus Stakeholder-Value-Perspektive (nach De Wit & Meier 2008, S. 607)

Eine aufgeklärte Variante des Shareholder-Value-Ansatzes ist das Konzept der wertorientierten Unternehmensführung (Value Based Management). Dabei geht man davon aus, dass das primäre Ziel des Unternehmens und das gemeinsame Interesse der Stakeholder die nachhaltige Wertsteigerung ist: „Nachhaltigkeit der Wertsteigerung setzt eine Ausbalancierung der Spannungsverhältnisse zwischen den Interessengruppen eines Unternehmens voraus. Bei einer ausschließlichen Orientierung an den Zielen der Shareholder handelt es sich um ein falsches Verständnis von wertorientierter Unternehmensführung. Nicht Konflikt, sondern Konsens ist gefragt. Ziel muss es sein, für alle Interessengruppen Wert zu schaffen: Für die Shareholder und zugleich auch für die Kunden, die Arbeitnehmer und die übrigen Gesellschaftsgruppen. Nur wenn es gelingt, einen solchen ‚Vierklang’ zu formen, kann die Gleichung aufgehen.“ (Macharzina & Neubürger 2002, S. 73) Ein hoher Gewinn ist nicht nur das Ergebnis, sondern auch eine Quelle von Wettbewerbsvorteilen. Die Annahme ist, dass der Börsenwert unter den Bedingungen zunehmend effizienter Kapitalmärkte zumindest langfristig ein transparentes Bild der Geschäftsentwicklung des Unternehmens vermittelt und positive Auswirkungen auf die Unternehmensentwicklung hat. Aufgabe der Unternehmensführung ist es daher, einen Wertsteigerungskreislauf in Gang zu setzen, der mehr Investitionskapital zur Verfügung stellt, dadurch mehr Spielräume für internes Wachstum eröffnet, die wiederum zu Umsatzsteigerungen, erhöhten Markterwartungen und weiteren Steigerungen des Börsenwerts führen (Rappaport & Mauboussin 2001; Coenenberg & Salfeld 2003). Damit hat der Börsenkurs auch Einfluss auf die Unternehmensleistung, weil die Kosten einer Kapitalerhöhung zur Außenfinanzierung oder die Möglichkeiten einer Übernahmefinanzierung davon abhängen. Die Finanzkommunikation (Investor Relations), der Teil der Unternehmenskommunikation (Corporate Communication), der

2.4 Gewinn versus Verantwortung

65

bei einer Aktiengesellschaft die Beziehungen zu Aktionären, bzw. Investoren, Analysten und Finanzmedien pflegt, hat daher die Aufgabe Informationsunterschiede zwischen der Unternehmensleitung und Kapitalgebern zu verringern (vgl. Piwinger & Zerfaß 2007),. Zwar sprechen für diesen Ansatz die Tatsachen, dass in den letzten zehn Jahren die Finanzmärkte weiter vorgedrungen sind, dass es zu einer Konsolidierung der Finanzintermediäre und der Internationalisierung von Bankgeschäften und Märkten gekommen ist. Allerdings wird die Bedeutung der wertorientierten Berichterstattung überschätzt. Privatanleger orientieren sich an der Medienberichterstattung und wenn es hoch kommt noch am Jahresabschluss im Geschäftsbericht. Institutionelle Investoren interessieren sich neben der Ertragslage vor allem für die Managementqualität und die allgemeine strategische Ausrichtung des Unternehmens (vgl. Ernst et al. 2009). Außerdem kann bezweifelt werden, dass die Börsen die ihnen zugewiesene Kontrollfunktion überhaupt einnehmen können. Börsenwerte sind nicht nur auf Grund von Marktirrationalismen kurzfristig verzerrt. Der Zusammenhang zwischen Börsenwert und Unternehmensentwicklung nicht nur als Wertsteigerungskreislauf anzusehen (so bereits Keynes 1936, S. 134), wie gerade die jüngste Wirtschaftkrise zeigt.

STAKEHOLDER-VALUE-PERSPEKTIVE Aus der Stakeholder-Perspektive sind die Interessen der Shareholder mit anderen Anspruchsgruppen abzuwägen, die Interesse und Einfluss haben. Unternehmen stehen nicht nur in der rechtlichen Verantwortung, wenn sie Verträge mit Mitarbeitern, Kunden, Lieferanten und Regierungsstellen schließen. Die gesellschaftliche Verantwortung der Unternehmen ergibt sich auch daraus, dass sie als Organisationen in der Gesellschaft auf das Vertrauen der Akteure angewiesen sind. Die Betonung liegt hier auf Verantwortung vor Gewinn. Neben den internen Anspruchsgruppen (Anteilseigner, Manager, Mitarbeiter) sind die Werte weiterer Anspruchsgruppen in diesem politischen Modell zu berücksichtigen. Organisationen werden als Koalitionen von Anspruchsgruppen betrachtet. Der Organisationszweck dient allen relevanten Anspruchsgruppen und der Befriedigung ihrer Bedürfnisse. Das Hauptproblem besteht darin, die unterschiedlichen Interessen der Anspruchsgruppen auszubalancieren. Deshalb sollten insbesondere die internen Stakeholder an der Willensbildung mitwirken können. Individuen wie Organisationen sind sozial verantwortlich. Der Gesellschaft wird am besten gedient, wenn gemeinsame Interessen gesucht und verfolgt werden. Stakeholder Management ist also nicht nur ein Instrument, das eingesetzt wird, um Wertsteigerung zu erzielen, sondern gehört zum Organisationszweck selbst. Corporate Social Responsibility (CSR) kann mehr sein als eine lästige Pflicht zur Öffentlichkeitsarbeit. Zur Analyse kann das Stakeholder-Raster von Freeman dienen, der nach der formellen Macht unterscheidet, wie sie in der Unternehmensverfassung geregelt ist und der wirtschaftlichen und politischen Macht, die Kunden, Wettbewerbern, Lieferanten, Gewerkschaften bzw. Verbrauchergruppen, Regierungen und Handelsvereinigungen erlaubt, ihre Ansprüche durchzusetzen (Freeman & Reed 1982; Freeman 1984). Die Klassifizierung nach Bedrohungs- und Kooperationspotenzial erlaubt es der Unternehmensführung, differenzierte Strategien zu entwickeln (vgl. Savage et al. 1991 und Abb. 2.10). Der Typ des unterstützenden Stakeholders fördert die Ziele und Handlungen der Organisation. In einer gut geführten Organisation gehören dazu das Management einschließlich des Aufsichtsrates, die Mitarbei-

66

2 Ziele

ter und Lieferanten. Durch die Einbeziehung der unterstützenden Stakeholder bei relevanten Themen kann kooperatives Potential genutzt werden. Marginale Stakeholder sind weder bedrohlich noch sonderlich kooperativ und sollten nur im Einzelfall berücksichtigt werden. Nicht-unterstützende Stakeholder mit hohem Bedrohungspotential und wenig Kooperationsbereitschaft sind für eine Organisation und ihr Management besonders besorgniserregend. Zu den typischen nicht-unterstützenden Stakeholdern gehören hiernach Wettbewerber, Gewerkschaften, die Bundesregierung und manchmal die Medien. Die Autoren empfehlen hier eine defensive Strategie, die daran ansetzt, die Abhängigkeit zu reduzieren. Einem Streik der Fluglotsen etwa, könne man durch eine abgestimmte Aktion zur Umlenkung der Flüge begegnen. Bei zweiseitigen Stakeholdern schließlich, bei denen die Bedrohungs- und Kooperationschancen gleichermaßen hoch sind, wird Zusammenarbeit empfohlen, um die Risiken zu verringern, dass diese in die Kategorie der nicht-unterstützenden Stakeholder abwandern. Hierzu werden schwer ersetzbare Mitarbeiter, Kunden und Kooperationspartner gerechnet. Deshalb hatte General Motors Ende der 1980er Jahren wieder die Zusammenarbeit mit der Automobilgewerkschaft UAW gesucht. Auch die Kooperation von General Motors mit dem Konkurrenten Toyota hatte dieses Ziel (ebd., S. 67).

Bedrohungspotenzial

Abb. 2.10

hoch

niedrig

Zweiseitige Unterstützende Stakeholder: Stakeholder: Einbeziehen Zusammenarbeiten ?

niedrig

Kooperationspotenzial

hoch

Nicht-unterstützende Stakeholder: Verteidigen

Marginale Stakeholder: Beobachten

Stakeholder Mapping (nach Savage 1991, S. 65)

Als Zwischenresumee lässt sich festhalten: Mit der Verbreitung des Shareholder Value Konzeptes und der wertorientierten Unternehmensführung (Value Based Management) als dessen aufgeklärte Variante, nimmt der Gewinn wieder einen prominenten Platz als ‚Oberziel‘ ein. Bereits in den 1950er Jahren ging man überwiegend davon aus, dass Unternehmen dem Ziel der Gewinnmaximierung folgen. Das betriebswirtschaftliche Problem sah man in der optimalen Kombination der eingesetzten Produktionsfaktoren. Diese soll nach Maßgabe rationaler Entscheidungskriterien erfolgen. Je effektiver und effizienter dies erfolgt, desto größer wird der unternehmerische Gewinn. Die Vorstellung, dass Unternehmen ausschließlich das Ziel der Gewinnmaximierung verfolgen, ist jedoch bald kritisiert und als nicht realitätsnah bewertet worden. Die empirische Zielforschung von Heinen, Kirsch und

2.4 Gewinn versus Verantwortung

67

anderen seit den 1960er Jahren ergibt, dass die Ziele oft weder vollständig, noch eindeutig, noch miteinander konsistent sind und sich sogar widersprechen. Diese Unbestimmtheit sei sogar häufig beabsichtigt, um überhaupt konsensfähige Ziele aushandeln zu können. Cyert & March sowie Simon prägen durch ihre Untersuchungen zum Entscheidungsverhalten den Begriff der begrenzten Rationalität (Bounded Rationality). Dabei gehen sie davon aus, dass Entscheider keine vollständigen Informationen besitzen, niemals alle Alternativen und deren Konsequenzen kennen und dass sich daher auch keine optimale Lösung, sondern lediglich ein zufriedenstellendes Ergebnis bestimmen lässt. Bereits Anfang der 1980er Jahre kann die Debatte in zwei Lager geteilt werden: eine monistische Zielrichtung, wonach ökonomische Ziele und die Interessen der Aktionäre in den Mittelpunkt zu rücken sind (Shareholder Value) und eine pluralistische, gesellschaftsorientierte Zielausrichtung, sowohl für die an den wirtschaftlichen Leistungen des Unternehmens beteiligten Anspruchsgruppen, als auch für andere gesellschaftliche Bezugsgruppen (Stakeholder Value). „Beide Ansätze verbindet die Einsicht, dass der Zweck von Unternehmen in der Schaffung von Wert zu sehen sei, jedoch gehen ihre Ansichten hinsichtlich der Frage, was denn unter Wert genau zu verstehen sei sowie an wen wie viel von dem geschaffenen Wert verteilt werden soll (…) weit auseinander.“ (Müller-Stewens & Lechner 2005, S. 244; vgl. auch Macharzina & Wolf 2008).

SHAREHOLDER VALUE DURCH STAKEHOLDER VALUE? Die Achillesferse beider Ansätze liegt in ihrer Einseitigkeit. Der Shareholder-Ansatz berücksichtigt nicht das Problem begrenzter Rationalität bei der Strategieentwicklung (vgl. Staehle et al. 1999; Mintzberg et al. 2003). Das gilt auch für seine erweiterte Balanced ScorecardVariante, in der nicht-finanzielle Ziele lediglich als Werttreiber verstanden werden. Andere Wertkriterien werden nicht berücksichtigt und „Ansprüche anderer Interessengruppen nur dann erfasst, wenn sie in der Lage sind, den Unternehmenswert zu beeinflussen (wie z.B. wenn staatliche Stellen Steuern einfordern, Mitarbeiter ihren Lohn oder Lieferanten die Zahlung ihrer Dienste).“ (Müller-Stewens & Lechner 2005, S. 245) Ansprüche anderer Interessengruppen können beim Stakeholder-Ansatz berücksichtigt werden. Aber: Auf welcher Basis soll sich beim Stakeholder-Modell der Ausgleich der Interessen der unterschiedlichen Anspruchsgruppen vollziehen? Die Schwäche des Stakeholder-Ansatzes ist, dass klare Erfolgskriterien fehlen. Die so der Politik ausgelieferten Führungskräfte an der Unternehmensspitze könnten einem Problem erliegen, das Hans Magnus Enzensberger als das Gulliver-Problem bezeichnet hat: „Ein Politiker, der als wichtig gilt, liegt ja da wie Gulliver, mit tausend Fäden angebunden. Lobbys, Druck von allen Seiten, Wahlkämpfe. Politiker sind bedauernswerte Erscheinungen. Es ist komfortabel, dass wir diese Aufgaben in einer Demokratie delegieren können. Wenn es schief geht – was häufig der Fall ist – dann waren es die.“ Besteht die Lösung für das strategische Paradox des Unternehmenszwecks „Gewinnorientierung versus Verantwortung“ nun darin, dass beide Perspektiven ausgewogen werden oder gibt es weitergehende Überlegungen? Fragen der Unternehmensethik und der sozialen Verantwortung von Unternehmen (Corporate Social Responsibility, CSR) können nicht nur Nebenbedingungen des Gewinnziels, sondern selbst ein Wettbewerbsvorteil sein: „CSR kann sehr viel mehr sein als nur Kosten, Beschränkung oder eine mildtätige Handlung – CSR kann eine Chance, eine Innovation und ein Wettbewerbsvorteil sein.“ (Porter & Kramer 2006, S. 80; ebenso bereits Jones 1995) Gewinn und Verantwortung, Wertsteigerung und

68

2 Ziele

Werte, sind gleichermaßen notwendig, um ein Unternehmen erfolgreich zu führen. Wertsteigerung (Shareholder Value) wird erst durch Stakeholder Value erreicht und die Ansprüche der Mitwirkenden sollten nicht erst bei der Verteilung berücksichtigt werden. Der renommierte Marketingautor Philip Kotler hat dazu ausgeführt: „Als erster Haltepunkt auf dem Weg zu höherer Leistung muss bei der geschäftlichen Betätigung definiert werden, wer dabei mitwirkt und wer davon betroffen ist. Diese Mitwirkenden und Betroffenen bilden zusammen die Gruppe der Stakeholder. Ihre Bedürfnisse und Wünsche müssen erkannt werden. Herkömmlich legten die Unternehmen den größten Wert auf das Wohl und den Willen der Eigentümer. Heute erkennen die Unternehmen zunehmend, dass sie hinreichende Gewinne für die Eigentümer nur dann erwirtschaften können, wenn auch andere Stakeholder, Kunden, Beschäftigte, Zulieferer, Absatzpartner zufriedengestellt werden.” (Kotler 1997, S. 65 und Abb. 2.11) Demnach wird es etwa für General Motors oder Volkswagen schwer, Gewinne zu erzielen, wenn sich die Beschäftigten, die Kunden, die Händler oder die Zulieferer schlecht behandelt fühlen. Als Beispiel kann auch der Ölkonzern Shell herhalten, der im Fall der “Brent-Spar”Entscheidung, seiner Absicht eine Ölplattform in der Nordsee zu versenken, Lehrgeld zahlen musste. Zufriedenheit der Eigentümer

Wachstum

Gewinn

Zufriedenheit der Kunden

Waren und Dienstleistungen mit höherer Qualität

Ständige Verbesserungen

Innovative Durchbrüche

Tätigkeitsklima höherer Qualität (Zufriedenheit der Mitarbeiter) Abb. 2.11

Shareholder Value durch Stakeholder Value (Sata nach Kotler & Bliemel 2001, S. 101)

In der Praxis zählt ein Mix von Erfolgsfaktoren wie eine klare Mission, nachhaltige Steigerung des Unternehmenswertes, Berücksichtigung des Einflusses des Kapitalmarktes auf den

2.4 Gewinn versus Verantwortung

69

Unternehmenswert und umgekehrt, Einbeziehung der Erwartungen (Werte) anderer Anspruchsgruppen, mehr Transparenz zu Wertentwicklung und Risiken. Wertorientierte Unternehmensführung kann auf ethische Werte, auf Mitarbeiter- und Kundenorientierung nicht verzichten. Die angesehensten Unternehmen schaffen Wert, handeln sozial verantwortlich (Corporate Social Responsibility, CSR), nach ethischen Grundsätzen (Corporate Integrity) und verfügen über eine gute Unternehmenssteuerung und -überwachung (Corporate Governance).8 Dafür dass Werte Wert schaffen, sind zusammenfassend drei Gründe maßgeblich: Leadership, Mission und Verantwortung. Allerdings sehen Manager und BoardMitglieder zwar die Relevanz nicht-finanzieller Ziele für die Unternehmenssteuerung, tun sich aber in der Praxis schwer dies umzusetzen (vgl. Deloitte 2007). Für die Verbindung von Wertsteigerung und Werten spricht weiter, dass grundlegende Werte, wie sie in der oben dargestellten Mission des Unternehmens zum Ausdruck kommen, den Erfolg des Unternehmens erst ermöglichen. „Werte können die grundlegende Forderung nach Profitabilität einschränken, erweitern und sogar über diese hinausgehen. Werte, wie beispielsweise die Schaffung von Möglichkeiten zur Weiterbildung und Selbstverwirklichung der Mitarbeiter, das Streben nach einer unübertroffenen Produktqualität, die Schaffung eines sicheren Arbeitsumfelds oder Anstrengungen zur Verbesserung der natürlichen Lebensbedingungen begrenzen vordergründig das Streben nach Profitabilität, spielen aber eine wichtige Rolle beim Aufbau der schon erwähnten strategischen Absicht (strategic intent) und bei der Erreichung von Konsens und Engagement innerhalb der Organisation.“ (Grant & Nippa 2006, S. 88) Diese Auffassung wird unterstützt durch die bekannte Studie „Built to Last“ von Collins und Porras (1994), wonach Unternehmen, die langfristig an ihrer Vision, ihren grundlegenden Werten und Zwecken festhalten, aber ihre Geschäftsstrategien und -praktiken beständig an eine sich verändernde Welt anpassen, besser sind. Sie haben sich seit 1925 zwölfmal besser entwickelt als der allgemeine Börsenwert. Keiner der grundlegenden Zwecke (Core Purposes) fällt in die Kategorie „Maximiere den Reichtum der Aktionäre.“ Die Menschen auf allen Ebenen der Organisation ließen sich damit weder inspirieren noch orientieren. Die Autoren zitieren dazu David Packard, Firmengründer von Hewlett Packard aus den 1960er Jahren: „Ich möchte darüber reden, warum ein Unternehmen vor allem existiert. Anders gesagt: Warum sind wir hier? Ich meine viele nehmen an, ein Unternehmen ist einfach dazu da, Geld zu verdienen. Zwar ist das ein wichtiges Ergebnis der Existenz eines Unternehmens, aber wir müssen weiter gehen und herausfinden, was die wirklichen Gründe sind. Wenn wir das untersuchen, werden wir unvermeidlich zu der Schlussfolgerung kommen, dass eine Gruppe von Menschen zusammenwirken und als Institu-

8

Vgl. Financial Times vom 20.1.2004; vgl. auch Booz Allen & Hamilton 2003. Die Zeitschrift Fortune veröffentlicht regelmäßig einen Index der “Most Admired Companies”. Beispiele für Aktivitäten zur gesellschaftlichen Verantwortung auch kleiner und mittlerer Unternehmen hat die Bertelsmann Stiftung (2009) veröffentlicht.

70

2 Ziele tion existieren, die wir Unternehmen nennen, sie können etwas gemeinsam leisten wozu sie als Einzelne nicht in der Lage sind – sie leisten einen Beitrag zur Gesellschaft, ein Satz, der banal klingt, aber grundlegend ist. … Sie können sich in der Geschäftswelt umschauen und noch Menschen finden, die nur an Geld interessiert sind, aber der unterliegende Antrieb kommt vor allem aus dem Verlangen etwas anderes zu machen – ein Produkt, einen Dienst zu leisten – etwas was Wert hat.“ (nach Collins & Porras 1996).

Die Zwecke eines Unternehmens sind die langfristigen, tieferliegenden Existenzgründe einer Organisation, jenseits derer, nur Geld zu verdienen. Werte (Core Values) gehen über die finanzielle Einseitigkeit der wertorientierten Unternehmensführung weit hinaus. Visionäre Unternehmen schaffen, das zeigen auch neuere Untersuchungen (Collins & Porras 1996; Collins 2001), mehr Unternehmenswert und Arbeitsplätze als gewöhnliche Unternehmen. Kritisch dagegen halten die McKinsey Autoren Foster und Kaplan (2001). Auch die bestgeführten Unternehmen hätten es nicht geschafft, über mehr als zehn bis fünfzehn Jahre eine höhere Wertsteigerung als der Markt zu erreichen. Dazu haben sie die Originalliste des Forbes-Magazins von 1917 der Top 100 der US-amerikanischen Unternehmen mit einer Liste desselben Magazins aus dem Jahre 1987 verglichen. Nur 18 Unternehmen, Firmen wie Kodak, DuPont, General Electric, Ford, General Motors und Procter & Gamble, haben überlebt und nur zwei, General Electric und Kodak wuchsen schneller als der zusammengesetzte Börsenwert. „Built to Last“ reiche deshalb nicht, sondern auch Unternehmen, die traditionell an Kontinuität ausgerichtet sind, müssten sich nach Schumpeter den Kräften der „Creative Destruction“, der „schöpferischen Zerstörung“ durch die Marktkräfte, stellen. Unternehmen sollten ihr Portfolio an Beteiligungen wie eine Finanzholding verwalten und auf längerfristige Visionen verzichten.

2.4.2

Verantwortung gegenüber der Gesellschaft

Am 30. April 1995 besetzten Greenpeace-Aktivisten den schwimmenden Öltank Brent Spar des niederländisch-britischen Ölkonzerns Shell in der Nordsee, der versenkt werden sollte. Die Folgen der Boykottaufrufe und Medienkampagnen waren, dass der Konzern einlenkte, und in Anzeigen bekannte: „Wir werden uns ändern“. Am 9. Juni 2009 meldet die Frankfurter Allgemeine Zeitung, dass Shell einen Vergleich mit den Hinterbliebenen des 1995 hingerichteten nigerianischen Schriftstellers und Bürgerrechtlers Ken-Saro-Wiva geschlossen hat. Der Konzern verpflichtet sich rund 15,5 Millionen US-Dollar zu zahlen. Ein Teil des Geldes soll direkt an die Angehörigen und acht weiterer mit ihm gehenkter Bürgerrechtler gehen. Die Angehörigen hatten 1996 Klage in den Vereinigten Staaten gegen Shell eingereicht. Die Anwälte der Opfer hatten dem Ölkonzern vorgeworfen, mitverantwortlich für die Hinrichtungen und Menschenrechtsverletzungen durch das damalige nigerianische Militärregime sowie für Umweltverschmutzungen zu sein. Gesellschaftlich verantwortliches Handeln (Corporate Social Responsibility, CSR) eines Unternehmens kann zum einen durch äußere Anreize und Sanktionen sowie durch Recht und Vertrag gefördert werden, zum anderen aber durch freiwillige Selbstverpflichtung. Nur letzteres ist nach einer viel zitierten Definition der EU-Kommission CSR, ein “Konzept, das den

2.4 Gewinn versus Verantwortung

71

Unternehmen als Grundlage dient, auf freiwilliger Basis soziale Belange und Umweltbelange in ihre Unternehmenstätigkeit und in die Wechselbeziehungen mit den Stakeholdern zu integrieren.“ (Europäische Kommission 2001, S.8) So hat das europäische Chemieunternehmen Solvay einen Aktionsplan zur nachhaltigen Entwicklung und eine Charta zur gesellschaftlichen Verantwortung entwickelt, unter anderem werden Mitarbeiter dabei unterstützt, sich an örtlichen sozialen Aktionen zu beteiligen. Das britische Pharmaunternehmen GlaxoSmithKline gab für sein weltweites soziales Engagement 156 Millionen Euro in 2008 aus. Europas größter Versandhändler Otto will mit Friedensnobelpreisträger Muhammed Yunus in Bangladesch eine Textilfabrik nach sozialen und ökologischen Kriterien bauen. Was bringt Unternehmen dazu über das erforderliche Maß hinaus gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen und wie kann Wertemanagement systematisch entwickelt werden?

VERANTWORTUNG ALS WETTBEWERBSVORTEIL ERKENNEN Sind die Aktivitäten der Unternehmen zur gesellschaftlichen Verantwortung (vgl. u.a. Crane et al. 2008; www.bertelsmann-stiftung.de), die nicht erst durch äußeren Druck erzwungen werden, mehr als „Greenwashing“ (vgl. Praxisbeispiel)? Verantwortung ist nicht nur etwas, was sich gut gehende Unternehmen leisten können, sondern kann selbst Werttreiber sein. Caroll (1991) hat die gesellschaftliche Verantwortung des Unternehmens in Anlehnung an den Gedanken der Bedürfnispyramide von Maslow in einer Pyramide der Unternehmensverantwortung und den Stakeholder-Ansatz systematisiert (vgl. Abb. 2.12). Danach wird zwischen ökonomischer, gesetzlicher, ethischer und philanthropischer Verantwortlichkeit unterschieden. Wirtschaftliche Verantwortung bedeutet, dass Güter und Dienstleistungen von Unternehmen verkauft werden, die von der Gesellschaft erwünscht sind und zu fairen Preisen angeboten werden, sie ist das Fundament, auf dem alles andere aufbaut. Die rechtliche Verantwortlichkeit setzt eine Einhaltung von Gesetzen und Vorschriften voraus. Die dritte Stufe der Pyramide, die ethische Verantwortung, umfasst die gesellschaftliche Erwartungshaltung gegenüber einem Handeln, das nicht rechtlich verankert ist. Darin spiegeln sich die Erwartungen und Ansprüche der Gesellschaft wider. Die philanthropische und vierte Ebene der Pyramide bezieht sich auf freiwillige Aktivitäten eines Unternehmens, welche die gesellschaftliche Wohlfahrt steigern.

72

2 Ziele

Philanthropische Verantwortung Sei gesellschaftlich engagiert: Unternehmen als Bürger. Stelle Ressourcen für die Allgemeinheit bereit; verbessere die Lebensqualität.

Ethische Verantwortung Handle ethisch korrekt. Verpflichtung richtig, gerecht und fair zu handeln. Sich an die Regeln halten.

Rechtliche Verantwortung Befolge das Gesetz. Das Gesetz ist die gesellschaftliche Kodifizierung von richtig und falsch. Beachte die Spielregeln.

Wirtschaftliche Verantwortung Handle wirtschaftlich. Das Fundament, auf dem alles andere aufbaut.

Abb. 2.12

Pyramide der Unternehmensverantwortung (nach Caroll 1991, S. 42)

Praxisbeispiel: Nestlé und CSR – mehr als Greenwashing? Zunehmend werden Unternehmen für Fehlentwicklungen und Probleme ihrer Umwelt verantwortlich gemacht. Um Kritik abzuwehren und gleichzeitig weitergehenden staatlichen Eingriffen in den unternehmerischen Entscheidungsspielraum zuvorzukommen, reagieren Organisationen mit Aktivitäten zur „Corporate Social Responsibility“ (CSR), um den Imageschaden möglichst gering zu halten. Aktivisten sehen darin nicht mehr als Greenwashing. Angeprangert wurde beispielsweise das Deutsche Atomforum, das 2007 mit dem „Worst EU-Greenwash-Award“ ausgezeichnet wurde. Greenwashing bedeutet, dass Organisationen Desinformationen streuen, um ein Image der Umweltfreundlichkeit und gesellschaftlichen Verantwortung zu zeigen. Vorgeworfen wird ihnen vor allem, dass die Realität selektiv dargestellt wird. Das heißt beispielsweise, dass der sogenannte ÖkoJargon übernommen wird und mit Schlüsselwörtern, wie Nachhaltigkeit und ökologische Verantwortung, Sympathie und Vertrauen geschaffen werden sollen. Doch auch eine positive Bildsprache um die eigene Verantwortung hervorzuheben, die technische Lösungen betont und dabei gleichzeitig politische Debatten ausklammert, sind laut der Studie „Greenwash in Zeiten des Klimawandels“ Kennzeichen für einen gewollt grünen Anstrich. Die Auszeichnung „Worst EU Lobbying“ erhielten unter anderem die Firmen BMW, Daimler und Porsche. Angesichts des wachsenden Drucks durch die Medien kann es sich ein Unternehmen demnach heute nicht mehr erlauben, CSR keine Beachtung zu schenken. Unternehmen sollten jedoch nach Porter & Kramer darin eine Quelle von Wettbewerbsvorteilen sehen, also et-

2.4 Gewinn versus Verantwortung

73

was anderes, als Greenwashing oder eine lästige Pflicht. Noch Mitte der 1970er Jahre stand Nestlé im Zentrum einer Kampagne „Nestlé tötetet Babys“ einer Nicht-RegierungsOrganisation (NGO), die sich gegen die Vermarktungspraktiken des Unternehmens in Entwicklungsländern richtete. Heute hat Nestlé Erfolg mit einer anderen Strategie. Als Nestlé 1961 in den indischen Markt eintrat, erhielt das Unternehmen die Erlaubnis, eine Molkerei in dem von großer Armut geprägten Bezirk Moga in Punjab im Norden Indiens zu errichten. Die meisten Menschen lebten dort ohne Elektrizität und es fehlte an medizinischer Versorgung. Der Bezirk ist größtenteils von Milchbauern besiedelt. 60 Prozent der Kälber starben bereits kurz nach der Geburt. Damit Nestlé eine Molkerei aufbauen konnte, musste zunächst das Umfeld in Moga derart umgestellt werden, dass nicht nur das Unternehmen selbst davon profitieren konnte. Nestlé baute auf ein System der nachhaltigen Milchproduktion. Diese Umgestaltung der gesamten Region um wirtschaftlich arbeiten zu können, involvierte Außendienstmitarbeiter von Nestlé, die als technische Assistenz für Milchlieferanten und Farmer arbeiteten. Diese Arbeit umfasste die Aufklärung über Tiergesundheit, Viehhaltung und -zucht, Viehfutterherstellung und Bewässerung. Die regulären Milchzahlungen, die Schulungen für die Milchbauern und der Aufbau einer Infrastruktur über ein Jahrzehnt hinweg verbesserten den Lebensstandard von mehreren zehntausend mittelständischen Bauern in der Region. Fast 90 Prozent der Haushalte verfügen heute über Elektrizität und einen Telefonanschluss; es gibt Grundschulen und die Kaufkraft der Ansässigen schuf einen weiteren Absatzmarkt für Nestlé. Die Molkerei produziert Milchpulver und Kondensmilch. Die jährliche Frischmilchaufnahme der Molkerei Moga stieg von weniger als 12.000 Tonnen im Jahre 1970 auf 240.000 Tonnen im Jahre 2003. In diesem Jahr lieferten bereits 85.000 Farmer ihre Milch an Nestlé. Zum Markteintritt waren es nur 180 Bauern. Weist der jüngste Rückzug von BMW aus dem Automobilsport-Zirkus und die Orientierung an mehr Nachhaltigkeit („BMW: Efficient Dynamics. Weniger Emission. Mehr Fahrfreude.“) auf einen ähnlichen Strategiewandel wie bei Nestlé hin? Fragen: 1. Was ist Corporate Social Responsibility? 2. Welche gesellschaftlichen Themen weisen Zusammenhänge mit unseren Unternehmenszielen auf? 3. Wie kategorisiere ich gesellschaftliche Themen, um ein unternehmerisch sinnvolles soziales Engagement herauszufiltern? 4. Wie integriere ich soziales Engagement entlang unserer Wertschöpfungskette? Quellen: o.V.: How good should your business be? In: The Economist vom 17.01.2008, In: URL: http://www.economist.com; Porter, M. E. & Kramer, M.R..: Wohltaten mit System. In: Harvard Business Manager 2008, Nr. 1. S. 7 ff.; Graupner, J.: Industrie- und Klimaschutz: Greenwashing und leerer Aktionismus. In: URL: http://jetzt. sueddeutsche.de ; Müller, U.: Greenwash in Zeiten des Klimawandels. http://www.lobbycontrol.de; Nestlé: Creating Shared Value. Farmers and Agriculture URLs: http://www.nestle.com; www.bmwgroup.com.

74

2 Ziele

Korruption, Kinderarbeit in der Bekleidungsindustrie, Umweltschäden in der Ölindustrie und anderes mehr: Unternehmen reagieren bisher immer noch häufig erst dann auf die öffentliche Kritik, wenn der Druck der Öffentlichkeit die Reputation und den Markenwert gefährdet (vgl. Gaines-Ross 2008 und auch das folgende Praxisbeispiel). Besser ist es, die Strategie und die Aktivitäten zur gesellschaftlichen Verantwortung des Unternehmens abzustimmen. Je enger das gesellschaftliche Thema mit dem Geschäft des Unternehmens verbunden ist, umso größer ist die Möglichkeit, die Ressourcen des Unternehmens zu erweitern und der Gesellschaft zu dienen (so Porter & Kramer 2006). Beispiele dafür sind die Anpassung der Wertschöpfungsaktivitäten an die gesellschaftlichen Bedürfnisse (Mikrofinanzierung und Corporate Volunteering bei der Deutschen Bank, Nestlé’s Zusammenarbeit mit kleinen Milchbauern in Entwicklungsländern, Kauf von Danones Volvic Mineralwasser fördert sauberes Wasser in Äthiopien) oder aber entsprechende neue Geschäftsfelder („gute“ Kosmetika bei Body Shop; Öko-Supermärkte). Gleichwohl entstehen CSR-Aktivitäten auch aus unterschiedlichen Interessen, wobei die Initiative vom Management, der Arbeitnehmervertretung oder von Nicht-Regierungsorganisationen ausgeht (vgl. Preuss et al. 2009).

Praxisbeispiel: Rückruf bei Mattel Der Bleigehalt war erschreckend hoch: Am 5. September 2007 musste der Spielzeughersteller Mattel in China produziertes Spielzeug zurückrufen. Es war bereits die dritte große Rückrufaktion bei Mattel. Was ist schief gelaufen? Auf den ersten Blick hat Mattel alles richtig gemacht. Der Spielzeughersteller gilt als einer der 100 vertrauenswürdigsten Firmen der USA. Erst 2003 bekam Mattel den UNICEFCSR-Preis. Als Vorreiter der Spielzeugindustrie hat sich Mattel gegenüber seinen Konkurrenten durch seinen CSR-Bericht, der 1997 veröffentlich wurde, hervorgehoben. Mattel besitzt langjährige eigene Produktionserfahrungen mit der Spielzeugherstellung in Asien. Im Jahre 1997 legte das Unternehmen eigene Standards fest: die Global Manufacturing Principles (GMP). Mattel ist auch der erste Hersteller, der eine eigene Betriebsüberwachung nutzt und die Ergebnisse veröffentlicht. Beispielsweise beendete Mattel nach einem Audit seine strategische Partnerschaft mit drei Zulieferern. Ein Grund dafür bei einem Hersteller aus Indonesien war, dass er das Alter seiner Mitarbeiter nicht bestätigen konnte und somit ein Verdacht auf Kinderarbeit bestand. Eine andere Partnerschaft wurde in China gelöst, weil die Zulieferanten sich geweigert hatten, die Sicherheitsverfahren von Mattel anzuwenden. 2003 wurden mehr als 100.000 Stunden von Mattel eingeplant, um für die Mitarbeiter Gesundheits- und Sicherheitsfragen zu klären. Mattel initiierte ein globales Online-Lernsystem. Mattel hat durch freiwillige Rückrufe Verantwortung gezeigt. Hinzu kommt, dass Mattel nicht direkt selbst Spielzeuge mit Bleigehalt produzierte, sondern die Zulieferer. Heutzutage ist Mattel die einzige Firma in der Spielzeugindustrie, die ein unabhängiges externes Überwachungsprogramm in Anspruch nimmt. In seinem „Independent Monitoring Council“ sitzen Experten aus Nicht-Regierungsorganisationen, Vertreter von Verité, einer Organisation, die sich weltweit für sichere, faire und legale Arbeitsbedingungen einsetzt und Mitarbeiter der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers.

2.4 Gewinn versus Verantwortung

75

Das Volumen der zurückgerufenen Spielwaren stellt weniger als 1 Prozent aller Spielwaren dar, die Mattel verkauft. Was ist dennoch schief gelaufen? Mattel hat eine unzulängliche Unternehmensaufsicht über seine Lieferanten und deren Sub-Lieferanten. 18,2 Millionen Spielzeuge hat Mattel zurückgerufen, weil sie kleine Magnete enthielten, die abfallen können. Ursachen der Rückrufe waren nicht nur Bleipigmente sondern auch schlechtes Design. Die US-Konsumgut-Sicherheitskommission hat Mattel bereits zweimal bestraft, weil das Unternehmen Informationen über gefährliche Produkte nicht bekannt gemacht hat, die „ein unvernünftiges Risiko der ernsten Verletzung oder des Todes verursachen.“ Fragen: 1. Entstanden die Probleme bei Mattel aus einem Zielkonflikt zwischen Gewinn und Verantwortung? 2. Kann Mattel (wie auch Nike, Puma und andere Unternehmen, die Lieferanten aus dem Niedriglohnsektor einsetzen) für Probleme bei den Zulieferern verantwortlich gemacht werden? Quellen: Bapuji, H & Beamisch, P.: Mattel and the Toy Recalls. Richard Ivey School of Business Case Study 2008.

WERTEMANAGEMENT ENTWICKELN Wertemanagement ist ein geeigneter Ansatz um die vielfältigen Anforderungen an gute und verantwortliche Unternehmensführung umzusetzen (vgl. Wieland 2004; Menzies et al. 2008). Dazu gehören neben der Befolgung (Compliance) gesetzlicher und untergesetzlicher Regelungen (Corporate Governance Kodex) auch die freiwillige Erfüllung von Anforderungen, die im Interesse der Stakeholder liegen. Die Instrumente setzen an Managementfunktionen wie Strategie, Organisation etc. an und können nach Standardmaßnahmen und CSRspezifischen Maßnahmen unterschieden werden (vgl. Abb. 2.13). Aber selbst ein technisch ausgefuchstes Wertemanagement hat nicht verhindern können, dass es zu Bestechungsskandalen bei namhaften deutschen Unternehmen mit den nachfolgenenden Reputationsschäden gekommen ist. Möglicherweise lag es an mangelnder Umsetzung und einer Art Doppelmoral. Viele Unternehmen orientieren sich bereits an Normen gesellschaftlicher Verantwortung internationaler Institutionen wie der UN Global Compact, der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) und den Leitsätzen der OECD: ! Der Global Compact der Vereinten Nationen umfasst 10 Prinzipien, die auf der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte basieren. Sie beinhalten beispielsweise Arbeitsbeziehungen, Umweltschutz und Korruptionsbekämpfung. Der Beitritt der Unternehmen ist für diesen bestehenden Regelungsansatz freiwillig. ! Die Instrumente der Internationalen Arbeitsorganisation umfassen Arbeitnehmerrechte in Form von 185 Arbeitsrechtskonventionen. Als Grundprinzipien gelten die Vereinigungsfreiheit, die Abschaffung von Zwangs- und Kinderarbeit und das Verbot von Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf.

76

2 Ziele

! Die Leitsätze für multinationale Unternehmen der OECD sind thematisch umfassende Empfehlungen von Regierungen an ihre Unternehmen. Die Empfehlungen für verantwortliches Unternehmerverhalten regeln beispielsweise die Themen Transparenz, Arbeitsbeziehungen, Umwelt, Korruption, Verbraucherschutz und Wettbewerb. Instrumente zur Umsetzung im Unternehmen können Kodizes sowie Sozial- und Umweltgütesiegel sein. Diese, wie zum Beispiel das Fair-Trade-Gütesiegel, signalisieren dem Konsumenten, dass Produkte ohne Ausbeutung oder Missbrauch hergestellt wurden. In einem Verhaltenskodex (Code of Conduct) werden die CSR-Prinzipien gegenüber Kunden und Lieferanten verankert. Siemens beispielsweise hat einen solchen Verhaltenskodex für seine Lieferantenbeziehungen aufgestellt, um Fehlentwicklungen in Zukunft zu vermeiden. Das Unternehmen Apple (2009) berichtet, dass es sich „zu den höchsten Standards gesellschaftlicher Verantwortung in seiner Lieferantenkette“ (Supply Chain) verpflichtet. Apple lässt seine Produkte und Komponenten durch eine Vielzahl von Zulieferern, überwiegend in China fertigen. Dazu gehört ein Programm aus Betriebsüberwachung, Korrekturmaßnahmen und Zertifizierung. Ein solcher Code of Conduct kann Unternehmenswerte, Führungsgrundsätze und ethische und moralische Leitlinien beinhalten. Neben diesen Verhaltenskodizes der Unternehmen gibt es Branchenkodizes wie beispielsweise für die internationale Spielzeugindustrie. Ein Unternehmen kann sich zudem mit der internationalen Norm DIN EN ISO 14001, welche Anforderungen für ein Umweltmanagementsystem festlegt, oder mit der Qualitätsmanagementnorm DIN EN ISO 9001 zertifizieren lassen.

Prinzipien/ Grundwerte

Managementebene

Standard

Leistung Profit, Flexibilität Innovation, Kreativität Qualität Motivation, Kompetenz

Kommunikation Respekt, Offenheit Transparenz Zugehörigkeit Kommunikation Risikobereitschaft

Kooperation Loyalität Offenheit Teamgeist Kommunikation Konfliktfähigkeit

Ethik Fairness Integrität Aufrichtigkeit Gerechtigkeit Soz. Verantwortung

Strategie

Organisation

Policies & Procedures

Kommunikation

Steuerung

Corporate Governance Code

Compliance Officer

QM-Handbuch

Training

Lieferantenentwicklungsprogramm

Internet/Intranet

Whistleblowing

MissionVision-Values Statement

Unternehmenskommunikation Projektmanagement

Beschaffungspolitik

Triple Bottom Line Reporting

Internes Audit

Kompensationspolitik Bonus-/Anreiz-Politik

Dokumentation

Instrumente

Zielvereinbarung

Abb. 2.13

Code of CSREthics spezifisch

Nachhaltigkeitsrat

Code of Conduct

Ethics Officer

Umgang mit Geschenken

Ombudsman Helpline

Sozialstandards Umweltpolitik

Instrumente des Wertemanagements (Wieland 2004, S. 27)

Interne Revision

Stakeholderdialog Ethics Quick-Check Nachhaltigkeitsbericht

Ethik-Audit Assuranceprogramm

2.5 Strategie unter Unsicherheit

77

Die Berichterstattung über das verantwortliche Verhalten ist für Unternehmen keine Pflicht. Jedoch veröffentlichen immer mehr Firmen CSR-Berichte. Ein Leitfaden für die Berichterstattung ist die 1997 gegründete Global Reporting Initiative (GRI). Sie beinhaltet bestimmte Richtlinienvorgaben für Nachhaltigkeitsberichte. Die Berichterstattung kann aber auch als Marketinginstrument im Rahmen der Selbstdarstellung eines Unternehmens gesehen werden. Unternehmen können nach internationalen Indizes hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen Verantwortlichkeit und Nachhaltigkeit bewertet werden. Beispiele für diese Indizes sind der Dow Jones Sustainability Index für die Welt oder Europa, der Advanced Sustainable Performance Index APSI sowie der Nachhaltigkeitsindex FTSE4Good des Financial Times Stock Exchange. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen mehr sein kann als eine eher lästige Selbstverpflichtung. Wertorientierung und Verantwortung des Unternehmens müssen nicht notwendig einen Zielkonflikt einschließen, sondern können sich auch als Win-Win-Situation darstellen: „Werte schaffen Wert.“ (Booz Allen & Hamilton 2003)

2.5

Strategie unter Unsicherheit

Es ist bekannt, dass hohe Gewinne mit hohen Risiken verbunden sind, dennoch wird dieser Zusammenhang in der Strategielehre bisher wenig beachtet. Zwar ist unstrittig, dass Risiken abzuwägen und zu kontrollieren sind – es ist dies eine Aufgabe der Planung, des Risikomanagements und staatlicher Regulierung. Aber es kommt ein weiterer Aspekt hinzu. Strategien beruhen auf Annahmen über zukünftige Entwicklungen, die bekanntlich unsicher sind. Mehr aber noch: durchschlagender Erfolg bei einem neuen Produkt oder Produktionsprozess erfordert die Strategie in einer Weise umzusetzen, die die Anpassung verhindert, wenn die zukünftige Entwicklung anders verläuft als erwartet. Der Managementforscher und -berater Michael Raynor (2007b) bezeichnet dies als Strategieparadox: Strategien mit den größten Erfolgsmöglichkeiten haben zugleich die größte Möglichkeit zu scheitern. Deshalb sei es notwendig über Strategie und Unsicherheit neu nachzudenken. Ziel kann es im vorliegenden Rahmen nicht sein, Unterstützungssysteme der Unternehmensführung wie Risiko- und Krisenmanagement detailliert darzustellen (vgl. Keitsch 2007; Macharzina & Wolf 2008; Wolke 2008). Vielmehr soll es allein darum gehen, zu klären, was strategische Risiken sind und wie damit umgegangen werden kann (vgl. Möbius 2009).

2.5.1

Strategische Risiken

Strategische Risiken ergeben sich aus Entscheidungen zu Unternehmenszielen und Strategien. Diese werden wesentlich unter Unsicherheit getroffen. Was heißt aber unter Unsicherheit? Welche Anforderungen ergeben sich daraus?

78

2 Ziele

KONTEXT, RISIKO UND UNGEWISSHEIT In einem unstabilen Umfeld kann der traditionelle strategische Planungsprozess geradezu gefährlich sein, weil die Unsicherheit unterschätzt wird. Die Gefahr liegt darin, dass entweder unter dem Druck, die geplante Wertsteigerung zu berechnen, die Unsicherheit über die Zukunft unter den Teppich gekehrt wird, oder aber dass Chancen, die ein höherer Grad der Unsicherheit bietet, übersehen werden. Verpasste Chancen werden insbesondere deutschen Herstellern vorgehalten: Faxgerät, tragbarer Kassettenspieler, MP3-Komprimierungstechnik und Hybridmotor wurden von deutschen Forschern erfunden, aber zu Verkaufsschlagern wurden diese Innovationen erst von asiatischen oder amerikanischen Firmen gemacht (vgl. Spiegel Special 2008, Nr. 5, S. 136 f.). Vielfach wird angenommen, dass die Welt entweder sicher ist und daher genau vorhersehbar, oder aber umgekehrt, unsicher und vollständig unvorhersehbar. Gegen diese binäre Logik hat der frühere McKinsey Berater Hugh Courtney ein vierteiliges Bezugssystem (vgl. Abb. 2.14) entwickelt, das erlaubt, unterschiedliche Grade der Unsicherheit zu unterscheiden (vgl. Courtney & Kirkland 1997; Courtney 2003): ! 1. Grad – Ein Ergebnis (A Clear Enough Future): Die Bestimmungsfaktoren der möglichen zukünftigen Ergebnisse sind bekannt, einigermaßen präzise messbar und die Spannweite der Ergebnisse ist klein und hat keine Bedeutung für die Entscheidung. Beispielsweise wird Aldi im Zuge einer Erweiterung seines Filialnetzes aus soziodemografischen Erhebungen und seiner langjähriger Erfahrung relativ sicher sagen können, ob eine neue Filiale an einem bestimmten Standort Erfolg haben wird oder nicht. ! 2. Grad – Spezifische Alternativen (Alternative Futures): Die möglichen zukünftigen Ergebnisse selbst sind bekannt. Sie schließen sich gegenseitig aus und bilden zusammen alle möglichen Ergebnisse ab. Zu welchem Ergebnis es kommen wird, lässt sich nicht im Voraus sagen. Beispiele dafür sind ordnungspolitische Veränderungen etwa zur Umweltund Sozialpolitik. ! 3. Grad – Mehrdeutige Alternativen (A Range of Futures): Die möglichen zukünftigen Ergebnisse lassen sich abschätzen. Einzelne Ergebnisse lassen sich zu Ergebnisgruppen zusammenfassen. Diese Ergebnisgruppen lassen sich jedoch nicht mehr vollständig gegenseitig ausschließen, das heißt, einzelne Ergebnisse werden in mehreren Ergebnisgruppen berücksichtigt und/oder bilden nicht mehr alle möglichen – wenn auch noch so unwahrscheinlichen – Ergebnisse ab. Beispiele wären die mögliche Kundennachfrage für neue Produkte und Dienstleistungen, die Leistungsfähigkeit neuer Technologien und makroökonomische Entwicklungen. ! 4. Grad – Wahre Ungewissheit (True Ambiguity): Die möglichen zukünftigen Ergebnisse sind unbekannt und unerkennbar. Sie lassen sich nicht auf vernünftige Weise abschätzen. Unsicherheit vierten Grades sieht man sich im Fall tiefgreifenden technologischen Fortschritts, ökonomischer und sozialer Krisen und in sich gerade erst bildenden Märkten gegenüber.

2.5 Strategie unter Unsicherheit

UrsacheWirkungsBeziehungen Kontext des Systems

Unsicherheitsgrad

Kontext der Entscheidung

Abb. 2.14

79

stabil

instabil

einfach

kompliziert

komplex

chaotisch

1. Grad: Ein Ergebnis

2. Grad: Spezifische Alternativen

3. Grad: Mehrdeutige Alternativen

4. Grad: Wahre Ungewissheit

Risiko

Ungewissheit Unsicherheit

Kontext, Risiko und Ungewissheit (nach Courtney 2003, S. 15 ff.)

Für die ersten beiden Grade an Unsicherheit lassen sich quantifizierbare Wahrscheinlichkeiten für die möglichen zukünftigen Ergebnisse ermitteln. Das liegt daran, dass die Grundgesamtheit aller möglichen Ergebnisse bekannt ist und diese sich gegenseitig ausschließen. Für den 3. und 4. Grad ist dies kaum möglich. Die vielschichtigen Ursache-und-WirkungsBeziehungen des Kontextes, die in diesen Fällen die Ergebnisse herbeiführen, sind komplex oder gar chaotisch, das heißt, sie sind zusammenhängend, beeinflussen sich gegenseitig und sind möglicherweise gar voneinander abhängig. Weil Informationen darüber fehlen, was passieren wird, steigt die Unsicherheit mit der Komplexität und Dynamik der Umwelt und je langfristiger man versucht, die Zukunft abzuschätzen. Schließlich ist noch der menschliche Aspekt bei Entscheidungen unter Unsicherheit zu berücksichtigen. Begriffe wie Unsicherheit, Risiko und Ungewissheit werden gewöhnlich mit einer negativen Auffassung besetzt und deshalb mit Abneigungen (Aversionen) verbunden: gegen Risiko, gegen Ungewissheit und gegen Verlust (vgl. Slywotzky & Drzik 2005; Wickham 2008). Bei Entscheidungen unter Ungewissheit ist es kaum möglich, den Risiken eine (Eintritts-)Wahrscheinlichkeit zuzuordnen und einen finanziellen Wert beizumessen (vgl. Emblemsvåg & Kjølstad 2002; Courtney 2003; Slywotzky & Drzik 2005). Im Extremfall ist es wie das plötzliche Auftauchen eines Schwarzen Schwans: „Bevor Australien entdeckt wurde, waren die Menschen in der Alten Welt überzeugt, alle Schwäne seien weiß. Diese Überzeugung war unanfechtbar, da sie durch die empirische Evidenz anscheinend völlig bestätigt wurde.“ (Taleb 2007, S. 1) Unsere Möglichkeiten durch Beobachtung und Erfahrung zu lernen, sind offenbar begrenzt. Noch vor zehn Jahren ging Courtney davon aus, dass die Hälfte der strategischen Probleme in den Bereich Level 2 und 3 fallen, Level 4 selten und der Rest Level 1 ist. Heutzutage, nach der Finanzkrise und dem 11. September 2001, schätzt er ein, dass es schwieriger wird,

80

2 Ziele

Prognosen zu treffen und sich mehr Probleme im Level-3- und -4-Bereich bewegen (Courtney 2008). Für viele Firmen stellt die Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008/09 nicht nur eine unsichere Situation, sondern auch ein im schlimmsten Fall existenzbedrohendes Risiko dar. Diese Situation war so nicht vorherzusehen und zu kalkulieren (vgl. Praxisbeispiel BMW und Deutsche Bank). Unternehmen sind aber nicht bloß Opfer widriger Umweltbedingungen, sondern selbst Akteure (vgl. Praxisbeispiel UBS). Vor dem Hintergrund der Deregulierung der Finanzmärkte und der Einführung neuer Finanzmarktinstrumente (Derivate) ließen sich Risiken verschieben, aber nicht eliminieren. Ein zentrales Problem liegt in der Trennung von Risiko und Haftung (Buehler et al. 2008). Es wurden, wie bei anderen Banken auch, besonders hohe Risiken eingegangen, um besonders hohe Boni und Gewinne zu realisieren. In den Investmentbanken konnten Händler in guten Jahren bis zu 50 Millionen Euro im Jahr verdienen. In schlechten Jahren bringen sie ihrer Bank Milliardenverluste. „Diese Verteilung von Chancen und Risiken war extrem asymmetrisch und ist künftig nicht mehr vermittelbar.“ (Bomhard 2009)

Praxisbeispiel: BMW und Deutsche Bank – Prognosen in der Krise Anfang 2008 fasste die Deutsche Bank ihre Prognose für den weltwirtschaftlichen Verlauf im selbigen Jahr mit den Worten „teils sonnig, aber Gewitterrisiken“ zusammen. Mit ‚steigenden Ölpreisen, schwächelnden Immobilienmärkten und sich verschlechternden Kreditbedingungen‘ wurden diese „Gewitterrisiken“ im Kern richtig erfasst, die sich bereits damals am Horizont abzeichnende Sturmfront aber, wurde dennoch massiv unterschätzt: Die Deutsche Bank erwartete den DAX am Jahresende 2008 bei 8300 Punkten. Tatsächlich waren es 4730 Punkte. Auch die deutschen Autobauer waren mit ihren Vorhersagen für das Jahr 2008 nicht viel erfolgreicher. In ihrem Geschäftsbericht für 2007 erkannte die BMW Group etwa, dass „Prognosen für das laufende Geschäftsjahr [2008] angesichts der Kreditkrise mit besonderen Unsicherheiten verbunden“ sind, ging aber dennoch fest davon aus, „dass die USamerikanische Kreditkrise [nicht] zu massiven globalen Verwerfungen führen wird, sondern vor allem zu einer Dämpfung der Inlandsnachfrage in den USA selbst“. Aus diesem Grund sollte 2008 für die BMW Group ebenso gut verlaufen, wie das Jahr zuvor. Die Realität spricht eine andere Sprache. Fragen: 1. Lässt sich die Prognosequalität mit besseren Modellen erhöhen? 2. Welcher Grad der Unsicherheit ist anzulegen 2007, 2009, 2011? Quellen: Bayer, T.: Falsche Börsenprognosen: Wie weit die Banken 2008 danebenlagen. Financial Times Deutschland vom 17.12.2008; BMW-Geschäftsbericht 2007.

2.5 Strategie unter Unsicherheit

81

Praxisbeispiel: Aufstieg und Fall der UBS Im Sommer 2007 geriet die UBS, einst das Aushängeschild des Finanzplatzes Schweiz in eine tiefe Krise. Auslöser war wie bei anderen Großbanken auch das notleidende Geschäft mit nachrangigen Hypotheken-Krediten in den Vereinigten Staaten. Ende 2008 musste der Schweizer Staat mit der Schweizerischen Nationalbank (SNB) ein Notpaket schnüren und dem größten Vermögensverwalter der Welt mit einem Fonds für ‚giftige‘ Wertpapiere von 26 Milliarden CHF unter die Arme greifen. Die UBS war keinesfalls Opfer der Finanzmarktkrise, „sondern zu einem der unheilvollsten Akteure in dem Geflecht aus Größenwahn, Gier und Überheblichkeit“ geworden. Dabei war die UBS gewarnt. Schon kurz nach der Fusion von Schweizerischer Bankgesellschaft (SBG) und Schweizerischem Bankverein (UBS) im Jahr 1998 erlebte das neue Unternehmen mit dem Scheitern des Hedge-Fonds Long Term Capital Management (LCTM) ein erstes Desaster, das 950 Millionen Franken kostete. Dennoch drehte die Bank noch einmal ein großes Rad, dieses Mal im amerikanischen Hypothekengeschäft mit dem hauseigenen Dillon Read Capital Management (DRCM) Hedge-Fonds. Das verbleibende Investmentbanking versuchte danach die DRCM-Strategie zu kopieren und machte auch noch weiter, als im Mai 2007 der Vorstand den Hedge-Fonds schließt. Zwei Monate später brach das Subprime-Geschäft in Amerika zusammen. Die Schlussfolgerung: „Die Bank hat Dillon Read nicht deswegen aufgelöst, um die Risiken herabzusetzen, sondern um mehr Risiko einzugehen.“ Die Krise der UBS hat der Bank auf jeden Fall eine Innovation eingebracht: UBS hat als erste Bank einen Malus sowie mehr Langfristigkeit bei ihrer Managervergütung eingeführt. Im Juni 2009 schlägt die Schweizerische Nationalbank (SNB) vor, die Zerschlagung von Großbanken, wie der UBS, ernsthaft zu prüfen. Sie schließt sich damit einer ähnlichen Absicht der amerikanischen Regierung an. Die Bilanzsumme der UBS ist viermal so groß wie das Bruttoinlandsprodukt der Schweiz. Damit führt an staatlichen Stützungsmaßnahmen im Fall von Notlagen gegenwärtig fast kein Weg vorbei, was die Banken zu leichtsinnigem Verhalten verführt („Moral Hazard“). Fragen: 1. Wie ist es zur Finanzkrise gekommen? 2. Haben die Vergütungssysteme zur Finanzkrise beigetragen? 3. Meinen Sie, dass Unternehmen zerschlagen werden sollten, wenn ihre „Systemrelevanz“ staatliche Stützungsmaßnahmen in Notlagen erfordert? Quellen: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 19. Juni 2009; S. 13; Dunsch, J.: Das Elend der UBS. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 9.3.2009, S. 10; Zaki, M.: UBS am Rande des Abgrunds. Altstätten 2008.

Wir haben bereits im ersten Kapitel dargestellt, dass sich mit der Komplexität und Dynamik der Umwelt auch das Strategieverständnis verändert hat. Der Mangel an Vorhersehbarkeit führt dabei zu Unsicherheit im Hinblick auf die zukünftigen Ereignisse, die das Organisationssystem oder die Situation hervorbringen wird. Der Grad der Unsicherheit hängt vom Kontext ab. Lassen sich mehrdeutige Alternativen der Zukunft ausmachen, so handelt es

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2 Ziele

sich um einen komplexen Kontext, in dem die Zukunft ungewiss ist. Wahre Unsicherheit liegt in einem chaotischen Umfeld vor, wenn die möglichen zukünftigen Ergebnisse unbekannt und unerkennbar sind. In beiden Fällen spricht man nicht mehr von Risiko, sondern vielmehr von Ungewissheit. Deshalb wäre der Begriff der strategischen Ungewissheit präziser. Dies vor allem deshalb, weil anzunehmen ist, dass der Begriff des strategischen Risikos in zu enger Verbindung zu einer rein negativen Betrachtung des Risikos führen kann und eine Quantifizierbarkeit suggeriert, die nicht vorhanden ist. Da aber der Begriff des strategischen Risikos geläufiger ist, wird er hier weiterhin verwendet.

DAS STRATEGIEPARADOX MEISTERN Die Entwicklung einer Strategie ist verbunden mit dem Treffen von Entscheidungen. Wird keine Wahl getroffen, kann zwar nichts verloren, aber auch nichts gewonnen werden. In Folge einer solchen Entscheidung würden Unternehmen zwangsläufig in die Mittelmäßigkeit getrieben werden (vgl. Christensen 1997; Raynor 2007a). Mit der Festlegung auf eine bestimmte Strategie, die zweifellos nötig ist, wächst wegen der Ungewissheit auch die Möglichkeit falsch zu liegen. Die Folge ist das von Raynor beschriebene Strategieparadox: „Strategien mit den größten Erfolgschancen haben zugleich das größte Risiko zu scheitern.“ (Raynor 2007b) So hatten beispielsweise Sony’s Strategien für Speichermedien in den 1990er Jahren, die Betamax- und Minidisc-Technik, alle Voraussetzungen dafür erfolgreich zu sein. Sie scheiterten dennoch. Die Änderungen des Umfeldes durch Internet und Filesharing-Software sowie technische Fortschritte durch den MP3-Spieler waren nicht vorhersehbar. Die strategische Wahl von Sony war folgerichtig, sie hat sich nur im Nachhinein als Fehler herausgestellt. „Das Problem ist, dass sich Sony auf den strategischen Erfolg ausgerichtet hat und nicht ausreichend auf strategische Unsicherheit.“ (ebd, S. 44) Die naheliegende Möglichkeit, dem strategischen Risiko, das durch die komplexe Struktur unserer Umwelt und dem kontinuierlich in ihr stattfindendem Wandel hervorgerufenem wird, so weit wie möglich aus dem Weg zu gehen, liegt darin, die einem Unternehmen zur Verfügung stehenden Ressourcen weniger spezifisch und rigoros auf Basis der eigenen Annahmen über die Zukunft einzusetzen. Dieser auf Anpassungsfähigkeit ausgerichteter Ansatz, führt jedoch zu einer Zerstreuung von Ressourcen und verringert die Wettbewerbsfähigkeit und Ertragskraft eines Unternehmens. Ein auf größtmöglichen Erfolg ausgerichtetes Unternehmen muss unvermeidlich strategische Risiken eingehen und der Unterschied zwischen Erfolg und Misserfolg besteht dabei nicht zwangsläufig in einer besseren Strategieumsetzung, besseren Marktanalysen oder besseren Trendprognosen, sondern in einem besseren Management der strategischen Unsicherheit. Viele der heute in Unternehmen üblichen Risikomanagementansätze, welche auf quantitativen, mit Eintrittswahrscheinlichkeiten arbeitenden Modellen beruhen, gehen an diesem Problem vorbei (vgl. Raynor 2007a; 2008). Vor diesem Hintergrund sollte das Management strategischer Risiken drei grundlegende Eckpfeiler haben (vgl. Courtney 2003; Raynor 2008; Shimizu & Hitt 2004) ! eine der Natur strategischer Risiken Rechnung tragende Organisations- und Governance-Struktur, ! die Verwendung einer geeigneten Methode zur Identifikation und Beurteilung dieser Risiken, und

2.5 Strategie unter Unsicherheit

83

! die Anwendung eines geeigneten Konzepts zur Erzeugung strategischer Flexibilität. Organisations- und Governance-Struktur. Die oberste Leitungsebene – das ist in den USA der Verwaltungsrat (Board of Directors), in Deutschland Vorstand und Aufsichtsrat – arbeitet mit einem wesentlich längeren Zeithorizont, als etwa die unterste funktionale Leitungsebene. Je länger dieser Zeithorizont, desto größer die Unsicherheit und desto weniger sollte die entsprechende Hierarchiestufe Verpflichtungen hinsichtlich der Verteilung von Ressourcen eingehen. Diese Trennung von Unsicherheit (Uncertainty) und Verpflichtung (Commitment) gibt insbesondere dem Board die Freiheit, sich eingehend mit der zukünftigen Entwicklung der Unternehmensumwelt und der daraus erwachsenden Risiken für die aktuell eingeschlagene strategische Richtung zu beschäftigen. Den Geschäftseinheiten ermöglicht sie, die ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen nach bestem Ermessen einzusetzen, ohne diese zur Risikovermeidung unnötig über diverse, nicht in Verbindung stehende Projekte zu zerstreuen. Nach einer Studie von IBM (2007) ist die Risikofreude an der Unternehmensspitze besonders ausgeprägt, während Risikomanager eine geringe Risikotoleranz haben und kaum strategisch ausgerichtet sind. Der Finanzvorstand (Chief Financial Officer, CFO) ist danach hervorragend positioniert, um das Spannungsverhältnis zwischen unterschiedlicher Risikobereitschaft und strategischer Orientierung in der Organisation auszutarieren und ein ganzheitliches Risikoprofil des Unternehmens zu bestimmen und zu steuern (vgl. Abb. 2.15). Imagemacher

Hohe Risikofreude

Abenteuerlustige Visionäre

CEO Vertrieb

Stratege

Linienführungskraft Marketing

Risikoprofil CFO Controller Interner Auditor

CIO CRO COO

Risikomanager

Geringe Risikotoleranz

Tägliche Anwender Taktisch

Operative Leiter Strategisch

Organisatorische Denkweise

Abb. 2.15

Wahrnehmung des Unternehmensrisikoprofils je nach Rolle (IBM-CFO Studie 2007, S. 33)

Methoden zur Identifikation und Beurteilung strategischer Risiken. Insbesondere in der Krise sind Fragen zentral, ob neue Ziele und Strategien erforderlich sind, um Risiken zu managen und Chancen zu nutzen: Welche Szenarien der Zukunft zeichnen sich ab? Was bringen neue Geschäftsmodelle? Ist die Finanzierungsstrategie noch zeitgemäß? Sind die Anreizsysteme für Manager zu überarbeiten oder sollte man die aktienbasierte Vergütung

84

2 Ziele

ganz über Bord werfen (vgl. Campbell et al. 2009)? Szenarios sind ein Kernbestandteil des Risiko- und Zukunftsmanagements, auf das wir im nächsten Unterkapitel zurückkommen. Denn anders als bei den aus der Finanzwirtschaft adoptierten Modellen, lassen sich Szenarios auch auf qualitativen Erwartungen aufbauen. Übertragen vom einstufigen Board auf die duale Struktur aus Vorstand und Aufsichtsrat bedeutet dies, dass die Identifikation und Beurteilung strategischer Risiken zu gleichen Teilen Aufgabe des Vorstands und des Aufsichtsrats ist. Während der Vorstand Zugang zu den Informationen und die nötige Erfahrung hat, um einschätzen zu können, welche Auswirkungen ein bestimmtes Risiko auf die gewählte Strategie hat, obliegt es dem Aufsichtsrat ein zum jeweiligen Unternehmen passendes Risiko-und-Gewinn-Verhältnis zu finden. Hierbei geht es nicht nur um die Überprüfung der strategischen Entscheidungen des Managements, sondern auch darum, die Strategie einem Stresstest zu unterziehen. Dazu wird beispielsweise der Strategieentwicklungsprozess auf den Kopf gestellt und ausgehend von der fertigen Strategie ermittelt, welche Rahmenbedingungen erfüllt sein müssen, damit diese schließlich zum Erfolg führen kann. Der Analyseprozess kann dazu beitragen, dass sowohl übermäßige Risiken als auch zu wenig Risikobereitschaft vermieden werden (vgl. Buehler & Hulme 2008). Strategische Flexibilität führt im Unterschied zur reaktiven Anpassung nicht zu einer inhaltlich unabhängigen Zerstreuung begrenzter Ressourcen, sondern zu einer Fokussierung der Ressourcen auf komplementäre Aktivitäten. Es ist die Aufgabe des Vorstands für strategische Optionen zu sorgen, die eine Art Absicherung des Kerngeschäfts gegen mögliche zukünftige Entwicklungen der Unternehmensumwelt darstellen. Die strategischen Optionen selbst ergeben sich aus den verschiedenen, für die zukünftige Gestalt der Unternehmensumwelt entwickelten Szenarien und stellen in diesem Sinn mögliche zukünftige Entwicklungswege für das Kerngeschäft dar. Diese können, wie im Fall der „New Venture“-Aktivitäten von Procter & Gamble (vgl. Kap. 4.6), auch ähnlich wie traditionelle Geschäftseinheiten funktionieren. Vieles spricht dafür, dass es vorteilhaft ist, wenn die strategischen Optionen mit dem Kerngeschäft verbunden sind. Microsofts Kerngeschäft beispielsweise ist das Betriebssystem Windows und die Bürosoftware Office. Wo liegt die Zukunft für dieses Kerngeschäft? Auf stationären Computern (PCs)? Auf mobilen Computern (Laptops)? Auf Kleingeräten wie Handys oder Netbooks? Auf Spielekonsolen? Im Internet als Software auf Abruf (Cloud Computing; Software als Dienst, nicht als festinstallierte Anwendung)? Niemand kann es wissen. Dennoch hat Microsoft schon heute (mit der X-Box, Windows Mobile und MSN Hardware) bereits Software und Onlinedienste, welche allesamt vom aktuellen Kerngeschäft Gebrauch machen, auf ihm aufbauen und einen möglichen Ausweg bieten, sollten die klassischen Windows- und Office-Einsatzgebiete unerwartet stark in Zukunft an Bedeutung verlieren.

2.5.2

Risikomanagement

Die Aufgabe des Risikomanagements besteht darin, Chancen und Gefahren, die sich aus der Unsicherheit zukünftiger Entwicklungen für das Unternehmen ergeben, zu handhaben. Nicht zuletzt durch spektakuläre Unternehmenskrisen, zahlreiche gesetzliche Regelungen, Vorschriften (Basel II) und durch den Corporate Governance Kodex wird ein Risikomanagement unumgänglich. Zugleich aber zeigen Studien, dass dieses systematisch noch wenig entwi-

2.5 Strategie unter Unsicherheit

85

ckelt ist.9 Aber: Wären spektakuläre Unternehmenskrisen, wie die von General Motors/Opel und Karstadt, durch ein perfektes Risikomanagement vermeidbar gewesen?

RISIKEN ERKENNEN, BEWERTEN UND BEEINFLUSSEN Üblich ist es, die Risiken in Kategorien einzuteilen: Risiken ‚Höherer Gewalt‘, politische und/oder ökonomische Risiken und Unternehmenskrisen (vgl. Abb. 2.16). Dementsprechend werden ein Frühwarnsystem, ein Überwachungssystem und ein Risikocontrolling eingerichtet. Ergebnis der Risikoanalyse ist ein Risikoportfolio, in denen der mögliche Schaden und die Wahrscheinlichkeit des Risikoeintritts abgeschätzt werden (vgl. Praxisbeispiel). Zur Risikosteuerung gehört (vgl. Keitsch 2007) ! Risiken zu vermeiden, ohne gleichzeitig Gewinnchancen auszuschließen, ! Risiken zu vermindern, durch Frühwarnindikatoren und Kontrollmaßnahmen, ! Risiken zu verlagern, etwa durch Haftungs- und Gewährleistungsvereinbarungen, Leasing, Factoring und Outsourcing sowie durch Versicherungen, ! der Risikoselbstbehalt, ermöglicht durch eine angemessene Eigenkapitalausstattung, durch Rückstellungen und Diversifizierung. Zur Vermeidung von Risiken gehört beispielsweise die Beachtung der einschlägigen rechtlichen Rahmenbedingungen (Corporate Compliance): „Corporate Compliance bezieht neben den externen auch die internen Regeln ein und will auf diese Weise zu einer möglichst ‚gerichtsfesten‘ Umgebung beitragen, in der die Geschäfte des Unternehmens geplant, entschieden und abgewickelt werden können.“ (vgl. Jäger et al. 2009, S. 25) Siemens etwa hat eine weltweite Compliance-Organisation unter der Führung eines Chief Compliance Officer an der Spitze eingerichtet, der direkt an den Vorstand berichtet.

9

In Deutschland wird Risikomanagement erforderlich durch das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG), das Transparenz- und Publizitätsgesetz (TransPuG), den Corporate Governance Kodex und bei der Prüfung der Kreditwürdigkeit nach Basel II; in den Vereinigten Staaten u.a. durch den Sarbane Oxley Act (vgl. zur Übersicht Macharzina & Wolf 2008, Kap. 10.1).

86

2 Ziele

Risiken Risiken „Höherer Gewalt“ Erdbeben, Überschwemmungen, Blitzschlag, Sturm

politische und/oder ökonomische Risiken Veränderungen im ökonomischen und gesellschaftlichen Umfeld

Unternehmensrisiken

Geschäftsrisiken

Finanzrisiken

Betriebsrisiken

Ziele und Strategie; Organisation; Beschaffung; Produkte; Absatz/Vertrieb; Forschung & Entwicklung

Liquiditäts- und Finanzplanung; Zins- und Währungsabhängigkeiten; Verlustrisiken in den Finanzpositionen

Unternehmensstruktur; Ablaufprozesse EDV, Personal

Risikobereich

Risikobereich

Risikobereich

I

II

III

Abb. 2.16

Risikokategorien im Unternehmen (nach Keitsch 2007, S. 6)

Praxisbeispiel: Risikomanagement in der BASF-Gruppe Das Risikomanagement der BASF-Gruppe erfasst alle finanzwirtschaftlichen, leistungswirtschaftlichen und funktionsübergreifenden Risiken aus Unternehmensprozessen. Dazu werden Risikochecklisten und -beiblätter erstellt. Der Inhalt ist wie folgt systematisiert: ! ! ! ! ! ! ! ! !

Wo kann das Risiko auftreten (Ebene)? Wie kann das Risiko erkannt werden (Risikoindikator)? Welche Informationen gibt es bereits dazu? Wer berichtet risikorelevante Informationen? Gibt es ein spezielles Analyseinstrument? Wie oft wird berichtet / das Risiko beobachtet? Wer ist der Empfänger der Informationen? Wer ist für die Risikosteuerung verantwortlich? Wer ist für das Audit verantwortlich?

Diese Risiken werden über das Intranet zentral erfasst, kategorisiert und quantifiziert und in einem Risikoportfolio aus Schadensausmaß und Eintrittswahrscheinlichkeit dargestellt (vgl. Abb. 2.17).

2.5 Strategie unter Unsicherheit

87

Schadenausmaß bestandsgefährdend

erheblich

niedrig gering

mittel

hoch Eintrittswahrscheinlichkeit

Abb. 2.17

Risikostrategie und Ziel-Risikopositionierung (Ettmüller 2003, S. 695)

Fragen: 1. Können Worst Case- / Best Case-Szenarien geeignet sein, Risiken zu beschreiben, wenn eine Bezifferung nicht möglich ist? 2. Bei welcher Risikokategorie sehen Sie die größten Schwierigkeiten bei der Quantifizierung? Quelle: Ettmüller, K.: Risikomanagement in der BASF-Gruppe. In: Controlling 2003, Nr. 12, S. 689-697.

Traditionell beschäftigt sich das Risikomanagement vor allem mit den Einzelrisiken, also dem Schaden, der aus einer konkreten Situation entsteht. Risiken ‚Höherer Gewalt‘, also Schäden durch Erdbeben, Überschwemmungen, Blitzschlag und Sturm gehören dazu. Diese Risiken lassen sich versichern. In diesen Fällen spricht man vom reinen Risiko, weil die Schadensituation keine Erfolgschance erwarten lässt. Wenn jedoch der Schadensgefahr auch eine Gewinnchance gegenübersteht, wie dies bei strategischen Entscheidungen typisch ist, wird dieses als spekulatives Risiko bezeichnet. Vom strategischen Risikomanagement ist dann die Rede, wenn es darüber hinaus um die proaktive (statt reaktive) Bewältigung dieser Risikoart geht (vgl. Macharzina & Wolf 2008); eine Vorgehensweise, die nach der IBM Studie (2007) effektive Organisationen auszeichnet. Hier geht es also nicht mehr um die Schadensgefahr aus einer konkreten Situation, wie beim reinen Risiko, sondern um Chancen und Risiken von Entscheidungen, wie sie sich auch beim Strategischen Management ergeben. Strategische Risiken lassen sich aber nach Schadensausmaß und Eintrittswahrscheinlichkeit nur ansatzweise quantifizieren. Hinzu kommt, dass das Eingehen von Risiken grundsätzlich Voraussetzung für unternehmerisch erfolgreiches Handeln ist. Daher „kann es nicht

88

2 Ziele

die vorrangige Aufgabe der Unternehmensleitung sein, Risiken zu vermeiden. Mit einer risikoaversen, also auf der Vermeidung unternehmerischer Risiken basierenden Strategie wäre vielmehr langfristig der Fortbestand des Unternehmens stark gefährdet. Mit anderen Worten könnte man sagen, das das größte Risiko eines Unternehmens im Vermeiden von Risiken und damit im Verzicht auf Chancen läge.“ (Müller 2009c, S. 7) Angesichts der jüngsten Finanzkrise, die offenkundig dadurch gekennzeichnet ist, dass Markt und Regulierung versagt haben und das Gefühl für Risiken hinter dem für die Entwicklung neuer Finanzprodukte zurückgeblieben ist, kann diese Aussage irritieren. Richtig ist jedoch, dass es nicht sinnvoll ist, Risiken grundsätzlich zu vermeiden. In einer Aktiengesellschaft ist es die Aufgabe des Vorstandes für ein angemessenes Risikomanagement zu sorgen; die des Aufsichtsrates ist es, ihn dabei zu überwachen (vgl. Praxisbeispiel).

Praxisbeispiel: Prüfkatalog zum Risikomanagementsystem Für Mitglieder des Aufsichtsrates wird folgender Fragenkatalog zur Risikoprüfung empfohlen: ! Existiert ein Risikoinventar und wird es regelmäßig revidiert? ! Werden die Ursachen der Risiken erforscht? ! Sind die Risiken mit Geldeinheiten bewertet und wurde eine Eintrittswahrscheinlichkeit ermittelt? ! Wie erfolgt die Dokumentation des Überwachungssystems? Gibt es ein Risikohandbuch? ! Wie wird über das System im Aufsichtsrat berichtet? ! Wird der Aufsichtsrat über riskante Geschäfte zufriedenstellend unterrichtet? ! Gibt es einen Katalog zustimmungspflichtiger Geschäfte, nach dem besonders riskante bzw. gegebenenfalls bestandsgefährdende Geschäfte der Zustimmung des Aufsichtsrates bedürfen? ! Ist sichergestellt, dass der Vorstand alle relevanten Hinweise und Warnungen erhält? ! Umfasst das Überwachungssystem auch ein Modul zur strategischen Frühaufklärung? ! Werden kennzahlenorientierte oder indikatorbasierte Systeme für ein kurzfristiges Controlling (Frühwarnung) eingesetzt? ! Wie werden die Module des kurzfristigen Risikocontrollings, des Risikomanagements und der strategischen Frühaufklärung integriert? ! Ist es möglich mit dem System auch solche Entwicklungen zu erkennen, die sich erst zaghaft andeuten, oder müssen bereits manifeste Auswirkungen im Rechnungswesen vorliegen? ! Sind organisatorische Neuzuschnitte im Zusammenhang mit der Einführung eines Risikomanagementsystems erfolgt? ! Wie läuft die Abstimmung zwischen Revision, strategischem Controlling und dem Risikomanagementsystem? ! Wird das strategische Frühaufklärungssystem vom strategischen Controlling verantwortet oder ist es zwischen diesem Bereich und dem Marketing aufgeteilt?

2.5 Strategie unter Unsicherheit

89

Fragen: 1. Welche Möglichkeiten bietet ein Risikomanagementsystem? 2. Wodurch wird dessen Wirksamkeit begrenzt? Quelle: Müller, M.: Praktische Hinweise zum so genannten Risikomanagement. Arbeitshilfen für Aufsichtsräte der Hans-Böckler-Stiftung Nr. 13, Düsseldorf 2009.

STRATEGISCHE RISIKEN MANAGEN Strategische Risiken sind Ereignisse, die den Erfolg des Unternehmens gefährden. Dazu gehören beispielsweise (vgl. Slywotzky & Drzik 2005; Olson et al. 2008, S. 56): ! Zusammenbruch branchenspezifischer Rahmenbedingungen: Wird eine Branche reifer und nimmt in ihr der Wettbewerb zu, kann dies zu Veränderungen führen, welche die Gewinnmargen branchenweit unter Druck setzen. Zu diesen Veränderungen zählen beispielsweise sprunghaft steigende F&E-Kosten und Investitionen in Sachanlagen, die Deregulierung in ehemals öffentlichen Bereichen, die Zunahme der Verhandlungsmacht von Zulieferern und der Kunden etwa durch das Internet. ! Technologische Veränderungen: Produktionsverfahren, Produkte und Dienstleistungen veralten durch technologischen Fortschritt. Dieses Risiko kann sich auch darin äußern, dass ein Patent auf eine noch immer aktuelle und im Hinblick auf den Wettbewerb vorteilbringende Technologie abläuft. ! Markenerosion oder -kollaps: Der Wert einer starken Marke liegt vor allem darin, dass sie die Gewinnmargen der eigenen Produkte und Dienstleistungen schützt. Der Markenwert leidet, wenn skandalöse Praktiken wie Kinderarbeit oder Umweltverschmutzung aufgedeckt werden oder unerwartete Qualitätsmängel wie explodierende NotebookAkkus oder Blei im Spielzeug auftreten. ! Einzigartiger Wettbewerber: Neben dem Risiko eines verschärften Wettbewerbs durch billigere oder bessere Konkurrenten, entsteht ein Risiko durch einen überragenden Wettbewerber, der mit einem einzigartigen Geschäftsmodell innerhalb kurzer Zeit bedeutende Marktanteile gewinnt. Ein Beispiel dafür ist Apple’s iPhone oder Toyotas Pionierstellung bei Hybrid-Automobilen. ! Kundenverlagerung: Verschieben sich die Präferenzen der Kunden in Bezug auf eine bestimmte Produkt- oder Dienstleistungsgruppe, kann das eigene Angebot schnell obsolet werden. Das ist umso dramatischer, je stärker die Abhängigkeit von wenigen Großkunden oder einzelnen kleinen Kundensegmenten ist. ! Fehlschlagen neuer Projekte: Ein neues Produkt oder eine neue Dienstleistung funktioniert aus technischen oder organisatorischen Gründen nicht, ist für die Zielkunden nicht attraktiv, kann zu schnell von Konkurrenten kopiert werden oder entwickelt sich am Markt nicht wie gewünscht. Ebenso kann eine großangelegte Marketingkampagne, ein bedeutendes IT- oder F&E-Projekt oder eine Übernahme fehlschlagen. Ein Beispiel dafür sind die gescheiterten Versuche von Sony als Branchenstandard Betamax oder die Minidisc durchzusetzen.

90

2 Ziele

! Innovationsstillstand: Dazu gehört das Unvermögen in Anbetracht zunehmender Marktsättigung neue Wachstumsquellen zu erschließen, oder in einem wachsenden Markt neue Produkte und Dienstleistungen in geeigneter Zeit zu entwickeln. Aktuell ist dies gegenwärtig in der Pharmaindustrie der Fall, die unter ihrer Innovationsschwäche leidet. Schrittweise werden die Risiken identifiziert, bewertet, dargestellt und ihnen entgegengewirkt: ! Identifizierung und Bewertung. Bewertung des Schweregrades, der Wahrscheinlichkeit, des Eintrittszeitpunkts und der Dauer. ! Risikolandkarte (Risk Map). Übersichtliche Darstellung der Risiken, beispielsweise in tabellarischer Form. ! Quantifizierung der Risiken anhand von Maßgrößen wie Cashflow oder Marktwert. ! Das mögliche Aufwärtspotential identifizieren. Prüfen, ob aus einer defensiven Aktion, wie etwa im Sport, eine Chance entstehen kann. ! Pläne ausarbeiten um Risiken abzuschwächen. ! Finanzierungsstruktur neu ausrichten, etwa durch mehr Eigenkaptalabdeckung. Entscheidend ist dabei, wie der Unsicherheitsgrad (vgl. Kap. 2.5.1) eingeschätzt wird. Liegt eine hinreichend klare Zukunft vor (1. Grad), kann mit einer Sensitivitätsanalyse abgeschätzt werden, wie sich der Erfolg einer Strategie ändert, wenn wichtige Annahmen variiert werden. Bei höheren Graden der Unsicherheit können Szenarios und andere Instrumente des Zukunftsmanagements weiterhelfen (vgl. etwa Fink & Siebe 2006). „Visionsgetriebene Szenarien“ können dazu dienen, ‚über den Tellerrand‘ hinauszuschauen, um langfristig neue strategische Ideen im Dialog zu entwickeln und zu kommunizieren. „Entscheidungsgetriebene Szenarien“ hingegen werden mit einem eher kurzfristigen Zeithorizont benutzt, wenn etwa neue Produkte bei unsicherer Nachfrage auf den Markt gebracht werden. In Situationen mit dem Unsicherheitsgrad 3 und 4 können regelmäßig nur qualitative Aussagen getroffen werden. Wenn die Strategie es beispielsweise erfordert, dass der Verbraucher das Produkt schneller als sonst annimmt, kann es Sinn machen, diese Strategie zugunsten einer anderen zu verwerfen (vgl. Courtney 2003).

Zusammenfassung

91

Zusammenfassung 1. Zum Zielsystem des Unternehmens gehören quantifizierte finanzielle Ziele, wie die Rentabilität in einem bestimmten Zeitraum auf mindestens 12 Prozent zu steigern, und qualitative, schwer messbare Ziele, wie eine Vision zu verfolgen, ein neues Geschäftsmodell zu entwickeln und in einen bestimmten Markt einzusteigen. 2. Eine Kernaufgabe des Zielsystems ist die Leistungssteuerung (Performance Management). Als finanzielle Größen zur Unternehmenssteuerung, Unternehmensbewertung und Berichterstattung werden in den vergangenen Jahren zunehmend ‚verbesserte‘ Kennzahlen eingesetzt, die sich am ökonomischen Gewinn orientieren. Mit dynamischen Finanzkennzahlen, wie dem Discounted Cashflow (DCF), sollen Gestaltungsspielräume des Rechnungswesens erkennbar und die Zeitstruktur der Zahlungsströme berücksichtigt werden. Kapitalmarktorientierte Kennzahlen, wie der Economic Value Added (EVA), berücksichtigen darüber hinaus die Finanzierungstruktur und den Renditeanspruch der Aktionäre. Probleme sind jedoch, die Zahlungsströme den Strategien halbwegs willkürfrei zuzuordnen und die Kompliziertheit der Berechnungen, die die Nachvollziehbarkeit und damit die Transparenz einschränkt. Mehr noch gilt dies für die Anwendbarkeit von Realoptionen für die Strategieanalyse. In der Praxis greift man deshalb häufig wieder auf die traditionellen buchhalterischen Kennzahlen zurück. 3. In der Balanced Scorecard werden finanzielle Kennzahlen durch nicht-finanzielle Werttreiber wie die Kunden-, interne Prozess- sowie Lern- und Wachstumsperspektive ergänzt. Dadurch soll ein ganzheitliches Managementsystem implementiert werden, um sich der eigenen Strategie, ihrer kritischen Erfolgsfaktoren und Wirkungszusammenhänge bewusst zu werden. Daran wird unter anderem die „top-down“-Vorgehensweise kritisiert und die Dominanz finanzieller Ziele. 4. Die Mission (der Grundauftrag) des Unternehmens umfasst den nicht-finanziellen Zweck des Unternehmens: Was ist das Geschäft, was sollte es sein? Worin werden die wesentlichen Erfolgsfaktoren gesehen? Was sind die grundlegenden Werte, die Präferenzen des Managements, der Eigentümer und der Mitarbeiter? Wie sieht das Marktumfeld aus? 5. Der Shareholder- und der Stakeholder-Ansatz beschreiben zwei sich diametral gegenüberstehende Perspektiven. Gewinn und Verantwortung müssen sich jedoch nicht ausschließen, sondern können sich ergänzen. Auch die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen (Corporate Social Responsibility) kann ein Mittel zur Wertsteigerung sein. 6. Aus finanzwirtschaftlicher Sicht ist der Zusammenhang, dass hohe Gewinne mit hohen Risiken verbunden sind, bekannt, in der Strategielehre wird er bisher wenig beachtet. Strategien beruhen auf Annahmen über zukünftige Entwicklungen, die bekanntlich unsicher sind. Durchschlagender Erfolg bei einem neuen Produkt oder Produktionsprozess erfordert die Strategie in einer Weise umzusetzen, die die Anpassung verhindert, wenn die zukünftige Entwicklung anders verläuft als erwartet. Daraus ergibt sich ein Paradox: Strategien mit den größten Erfolgsmöglichkeiten haben zugleich die größte Möglichkeit zu scheitern. Traditionelle Risikomanagementsysteme sollten daraufhin überprüft werden, ob ihre Organisations-

92

2 Ziele

und Governancestrukturen zur Natur strategischer Risiken passen, die Methoden zur Identifikation und Beurteilung strategischer Risiken angemessen sind und ob Konzepte zur Erzeugung strategischer Flexibilität vorliegen.

Fragen zur Diskussion 1. Wie unterscheidet sich der Charakter der Ziele in der Zielhierarchie des Unternehmens? 2. Worin besteht der Unterschied zwischen dem ökonomischen Gewinn und dem buchhalterischen Gewinn? 3. Was spricht für ein kapitalmarktorientiertes Wertmanagement, was dagegen? 4. Welche Bedeutung hat die Mission für die Strategieentwicklung? 5. Shareholder- und Stakeholder-Ansatz: Welcher ist richtig? 6. Corporate Social Responsibility. Lassen sich Wertsteigerung und Verantwortung verbinden? Reicht die Selbstverpflichtung des Unternehmens? 7. Kann man Unsicherheit managen?

3

Strategien Grundlagen der Unternehmensführung

Umwelt

Strategien

Organisationsgestaltung Internationale Strategie und Organisation

Unternehmensleistung

Ziele

Internationale Strategie und Organisation

Abb. 3.1

Kapitelübersicht

Im dritten Kapitel erfahren Sie: ! Was eine Geschäftsstrategie ist und wie bei der Entwicklung des Geschäftssystems sowohl die Markt- als auch die Ressourcenperspektive zu berücksichtigen sind. ! Warum im Zentrum der Unternehmensstrategie die Konfiguration des Unternehmens steht und dass dabei das Verhältnis von Reaktionsfähigkeit oder Synergie auszubalancieren ist, wie ebenso Kontinuität oder schöpferische Zerstörung und Diversifikation oder Kerngeschäft. ! Dass Strategien in Unternehmensnetzwerken im Spannungsfeld zwischen Wettbewerb und Hierarchie angesiedelt sind und unter welchen Bedingungen strategische Partnerschaften vorteilhaft sind.

94

3 Strategien

Überblick Wie bei der Analyse in einem chemischen Labor werden zur Strategieentwicklung Instrumente verwendet. Allerdings geht es hier nicht um einen toten oder belebten Gegenstand, sondern um ein weitaus komplexeres Gebilde – eine Organisation in ihrem gesellschaftlichen Zusammenhang. Es ist daher nicht überraschend, dass die Frage, welche Instrumente wie angewendet werden sollten, nicht immer einhellig beantwortet wird. Strategien werden auf unterschiedlichen Ebenen entwickelt: ! Für die Geschäftsstrategie (Business Strategy) sind die Strategischen Geschäftseinheiten (Strategic Business Units) verantwortlich, die auf verschiedenen Geschäftsfeldern (Strategic Business Areas) mit Produkten und Dienstleistungen tätig sind. Die zentrale Aufgabe ist es, einen Wettbewerbsvorteil gegenüber Konkurrenten zu erreichen. ! Für die Unternehmensstrategie (Corporate Strategy) ist die Führung des Gesamtunternehmens verantwortlich. Die Geschäftseinheiten werden von Geschäftsbereichen (Divisions) geführt und diese wiederum von der Spitze des Gesamtunternehmens. Die zentrale Herausforderung ist dabei die Konfiguration des Unternehmens. ! Bei der Strategie für das Unternehmensnetzwerk (Network Level Strategy) ist die zentrale Frage, wie die Beziehungen des Unternehmens zu anderen Unternehmen gestaltet werden sollen, als distanzierte Marktbeziehung oder als strategische Partnerschaft? Dabei wird sich in diesem Kapitel erneut zeigen, dass Paradoxien und gegensätzliche Perspektiven die Strategielehre dominieren (vgl. Abb. 3.2). Wettbewerbsvorteile werden auf Geschäftsfeldebene durch ein entsprechendes Geschäftsmodell erzielt, aber es macht einen Unterschied, ob dieses von den Ressourcen oder aber vom Markt aus entwickelt wird (vgl. Kap. 3.1). Bei der Unternehmensstrategie ist das zentrale Thema, ob das Unternehmen als Portfolio von autonomen Geschäftseinheiten geführt oder integriert sein sollte, mit einem starken zentralen Kern von gemeinsamen Ressourcen, Aktivitäten und Produktangeboten. Daran schließen sich weitere Fragen an: soll man evolutionär wachsen oder mit der Tradition brechen, soll man diversifizieren oder sich auf das Kerngeschäft konzentrieren (vgl. Kap. 3.2)? Auf Netzwerkebene schließlich wird die Entscheidung für strategische Partner oder Marktbeziehungen davon abhängen, ob man sich in der jeweiligen Situation als eher autonome und eigenständige Organisation oder als in ein Geflecht von Beziehungen eingebettete Organisation versteht (Kap. 3.3). Eine Alternative zur Partnerschaft ist der Zusammenschluss mit anderen Unternehmen (Merger & Akquisition) oder aber auch die Spaltung von Unternehmen und Restrukturierung (Downsizing). Diese Themen, wie ebenso Funktionalstrategien (Functional Strategies) für Marketing und Vertrieb, Produktion, Forschung & Entwicklung, Personal, Informationstechnologie, Finanzierung und andere mehr werden im Rahmen der vorliegenden Schrift nur angerissen. Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass es aus Sicht der strategischen Unternehmensführung zunächst nachrangig ist, in welchem Land und in welcher Rechtsform das Gesamtunternehmen auch immer tätig ist. Es kommt also weniger darauf an, ob es sich um eine deutsche Aktiengesellschaft, eine französische Société Anonyme oder eine amerikanische Incorporated handelt und ob das Gesamtunternehmen eher wie ein westlicher Konzern

3.1 Geschäftsstrategie

95

aus Mutter- und Tochtergesellschaften oder aber als wirtschaftlicher Verbund (Keiretsu) nach Art japanischer Unternehmen geführt wird. Kap.

Strategiethema

Strategieparadox

Strategieperspektiven

3.1

Geschäftsstrategie

Märkte vs. Ressourcen

Außen-Innen vs. Innen-Außen

3.2

Unternehmensstrategie

Reaktionsfähigkeit vs. Synergie

Portfolio-Organisation vs. Integrierte Organisation

3.3

Netzwerkstrategie

Wettbewerb vs. Kooperation

Eigenständige Organisation vs. eingebettete Organisation

Abb. 3.2

3.1

Strategieebenen: Thema, Paradox, Perspektive (nach De Wit & Meyer 2008, S. 14)

Geschäftsstrategie

Einstiegsfall: Canon und Sony – Wurzeln des Erfolgs Noch in den 1970er Jahren schien das amerikanische Unternehmen Xerox, mit einem Marktanteil von 93 Prozent weltweit und einem Markennamen der gleichbedeutend für ‚kopieren‘ verwendet wurde, unangreifbarer als irgendein anderes Unternehmen in dieser Branche. Kopierer waren zu dieser Zeit raumfüllende Maschinen, so groß fast wie ein Auto. Aber schon zu Beginn der 1990er Jahre hatte Canon den zweiten Platz als Global Player erreicht und Xerox in der Menge der verkauften Einheiten überholt. Dafür war nicht nur ein neues Endprodukt, die Erfindung des kleinen Tischkopierers, wie wir ihn heute kennen, maßgeblich, sondern eine besondere Strategie. Das Geheimnis für den Erfolg von Canon im Kopierer-Geschäft, liegt in seinen Ressourcen und Fähigkeiten, laut Canon “im synergistischen Management der gesamten technologischen Fähigkeiten, in der umfassenden Verbindung von Canons Know-how in den Bereichen der Feinoptik, Feinmechanik, der Mikroelektronik und der angewandten Chemie. Anfang der 1990er Jahre haben Prahalad & Hamel für diesen Strategieansatz den Begriff der Kernkompetenz geprägt. Darunter wird eine besondere Fähigkeit eines Unternehmens verstanden, die den Zugang zu unterschiedlichen Märkten erlaubt und von Wettbewerbern nicht leicht angeeignet werden kann. Dieses Strategiekonzept lässt sich mit der Metapher eines Baumes veranschaulichen: Kernkompetenzen bilden die Wurzeln, die über die daraus entstehenden Kernprodukte (der Stamm) die Endprodukte (die Äste, Blätter und Früchte) erst hervorbringen – diese wiederum können ganz unterschiedlichen Branchen angehören (vgl. Abb. 3.3). Die Früchte von Canons Kernkompetenzen finden sich in unterschiedlichsten Geschäftsfeldern, von Kameras über Kopierer bis hin zu Masken-Justiergeräten für die Chip-Herstellung. Wer sich nur auf die Endprodukte konzentriert, kann die Stärke seiner Konkurrenten nicht richtig einschätzen. Der Marktanteil ist daher nicht unbedingt ein Aus-

96

3 Strategien

druck der Wettbewerbsfähigkeit. Der Anteil an den Kernprodukten ist wichtiger als der Anteil an den Endprodukten. So produzierte damals Canon 84 Prozent aller Aggregate für Tischlaserdrucker, obwohl sein Anteil am Endprodukt gering war. Matsushita hatte einen Weltproduktionsanteil von rund 45 Prozent bei Schlüsselkomponenten für Videorecorder – bei einem Marktanteil am Endprodukt von nur 20 Prozent. Ziel dieser Strategie ist es, den Abnehmern die Motivation zu nehmen, selbst Kernprodukte zu entwickeln. Erfolgreiche japanische Konzerne, so die Autoren, definieren sich als Portfolio von Kernkompetenzen, während die amerikanischen Wettbewerber diese vernachlässigten und ihre Politik vor allem am Kerngeschäft mit Endprodukten ausrichten. Die Autoren sehen in dem auf interne Ressourcen fokussierten Ansatz weniger die Gefahren des Festhaltens am Bewährten, sondern vielmehr Brücken in die Zukunft. Aus der Notwendigkeit, die Strategie anders zu verstehen, ergibt sich die Notwendigkeit, anders über die Organisation zu denken. Die Früchte: Endprodukte CLC 500

etc.

etc

etc. Video

Copy-Baby

Laserprinter

EOS

Laserfax

Die Äste: Geschäftsbereiche Kameras

Kopierer

Laser

Der Stamm: Kernprodukte Linsen

Toner-"Drums"

Die Wurzeln: Kernkompetenzen Feinoptik

Abb. 3.3

Feinmechanik

Mikroelektronik

Lasertechnik

Canon: Von Kernkompetenzen zu Endprodukten (nach Prahalad & Hamel 1991)

Heute kann die aktuelle Strategie von Sony als Beispiel für eine Strategie gelten, die auf Kernkompetenzen basiert. Als Howard Stringer im März 2005 als erster westlicher CEO das Ruder beim Sony-Konglomerat übernahm, war dies in fast allen seinen Geschäftsbereichen in ernsthaften Schwierigkeiten. Sony Electronics, der größte Bereich, der bis zu 70 Prozent des Gesamtumsatzes einbrachte, machte Verluste. Sony Pictures schien sich mit der Übernahme von MGM verhoben zu haben. Zwischen Sony Music und der Bertelsmann Music Group stiegen die Spannungen; den Kampf um den Fernsehgerätemarkt hatte man an Sharp verloren, der Apple iPod grub der Walkman-Produktlinie das Wasser ab. Ziel der Restrukturierung war es nun nach dem mittelfristigen strategischen Plan vom September 2005 die Kompetenz von Sony bei der High-Density Technologie (Blue-Ray-Disc) zur Wurzel seiner Wettbewerbsfähigkeit in seinen Hauptgeschäftsfeldern Elektronik, Spiele und Unterhaltung zu machen. Sony beherrscht diese Technologie hervorragend, sie kann bei vielen Produkten und Märkten angewendet werden, sie lässt sich vom Wettbewerber nicht leicht kopieren, sie ist mit anderen Worten eine Kernkompetenz. Anstatt die Ge-

3.1 Geschäftsstrategie

97

schäftsbereiche gegeneinander konkurrieren zu lassen, wird der Wettbewerbsvorteil in der Integration mit der HD-Technologie gesehen. Ziel der „Sony Group Corporate Strategy“ 2008-2010 ist es, auf dieser Grundlage das Unternehmen zum führenden globalen Anbieter von „networked consumer electronics and entertainment“ zu machen. Fragen: 1. Welche Vorteile hat eine Strategie, die sich auf Kernkompetenzen konzentriert? 2. Welche Risiken sind damit verbunden? Quellen: Ackenhusen, M.: Canon – Competing on capabilities. In: Mintzberg, H. et al., The Strategy Process, London 1995, S. 257-277; Prahalad, C.K. & Hamel, G.: Nur Kernkompetenzen sichern das Überleben. In: Harvard Business Manager 1991, Nr. 2, S. 66-78; Kumar, K.: Howard Stringer. Turning Sony Around. ICFAI Business School Case-Study Nr. 307-280-1, Chennai 2007; http://www.sony.net.

Der Einstiegsfall zeigt, dass die Frage, aus welcher Perspektive Strategien entwickelt werden – etwa entlang der Marktanforderungen oder aber von den Kompetenzen her – eine erhebliche Bedeutung für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen hat. Ausgangspunkt der folgenden Darstellung ist das Geschäftssystem, das aus unterschiedlichen Perspektiven analysiert und entwickelt wird: sowohl vom Produktangebot und der Positionierung am Markt als auch vom Aktivitätssystem und der Ressourcenbasis ausgehend. Im Anschluss daran geht es um die Strategieformulierung und -umsetzung auf Geschäftsebene.

3.1.1

Elemente des Geschäftssystems

Die oberste Führungsebene hat die Aufgabe, die Ziele und Strategie des Unternehmens festzulegen, um den Rahmen zu setzen, innerhalb dessen die einzelnen Geschäftsbereiche ihre individuellen Strategien entwickeln können. Im Marktumfeld kommt es darauf an, gegenüber den Konkurrenten in der gleichen Branche möglichst einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil zu erreichen. Ob ein Unternehmen Erfolgspotenziale in einer Branche hat, hängt vom Geschäftssystem (oder Geschäftsmodell) ab, das es für eine bestimmte Geschäftsumwelt entwickelt hat bzw. mit dem es diese verändert (vgl. Abb. 3.4). Nach der Definition von Bob DeWit & Ron Meyer ist ein Geschäftssystem „eine Konfiguration von Ressourcen (Inputs), Aktivitäten (Throughput) und Produkt- und Dienstleistungsangeboten (Output), die Wert für den Kunden schaffen sollen – es ist die Art und Weise, wie ein Unternehmen sein Geschäft betreibt.“ (Dies., S. 231; anders Hungenberg 2008, S. 152 ff.). Ein Wettbewerbsvorteil entsteht, wenn das Geschäftssystem ein höheres Wert- oder Nutzenversprechen für den Käufer (Customer Value Proposition) erzeugt, als die Konkurrenz. Merkmale dafür sind ein Mix aus Preis, Verfügbarkeit, Qualität, technischen Eigenschaften, Image, Farbe, Geschmack, usw. Das Marketing nutzt dazu die Instrumente der Produkt-, Preis-, Distributions- und Kommunikationspolitik (Product, Price, Place, Promotion) (vgl. u.a. Kreutzer 2010). Vorausgesetzt ist dabei, dass ein Unternehmen über ein entsprechendes Aktivitätssystem in den Kernfunktionen wie Forschung & Entwicklung, Beschaffung und Logistik, Produktion, Marketing und Vertrieb sowie Service verfügt, hier als Wertkette (Value Chain) bezeichnet. Eine weitere Komponente des Geschäftssystems ist die Ressourcenbasis, die benötigt wird, um wertschöpfende Aktivitäten zu erzielen. Dazu gehö-

98

3 Strategien

ren unter anderem das Know-how und Motivation der Mitarbeiter, Patente, Betriebe, Kapital und Beziehungen zu Kunden und Lieferanten, die die Basis für ein überlegenes Produkt- und Dienstleistungsangebot bilden. Märkte

Innen – Außen – Perspektive

Abb. 3.4

Aktivitätssystem (Wertkette)

Außen – Innen – Perspektive

Produktangebot (Wertversprechen)

Ressourcenbasis (Wertausstattung)

Komponenten eines Geschäftssystems (nach De Wit & Meyer 2008, S. 253)

Unternehmen verändern ihre Umwelt durch innovative Geschäftssysteme (vgl. Rall & König 2006; Christensen et al. 2009; Kim & Mauborgne 2009). Beispiele dafür sind die Selbstbaumöbel von IKEA, Billig-Fluggesellschaften wie Southwest-Airlines und Easyjet, Dienstleister in der Bauindustrie wie Bilfinger Berger und Hilti (vgl. Praxisbeispiel) und die Revolutionierung der mobilen Unterhaltung durch Apple. Die Kombination iPod/iTunes, 2003 eingeführt, entwickelte sich in nur drei Jahren zu einem Produkt im Wert von beinahe zehn Milliarden US-Dollar. Ursache dieses Erfolgs in einer Branche, die durch das illegale Herunterladen unter Druck steht, war ein innovatives Geschäftsmodell: „Apple tat etwas weitaus Klügeres, als lediglich eine solide Technik mit einem schicken Design zu präsentieren. Apple verpackte nämlich eine solide Technik mit einem großartigen Geschäftsmodell. Das eigentlich innovative war, dass Apple das Herunterladen digitaler Musik einfach und praktisch gestaltete. Zu diesem Zweck verknüpfte das Unternehmen Hardware, Software und Service miteinander. Dieser Ansatz funktionierte wie das berühmte Rasierklingen-und-Rasierer-Modell von Gillette, nur umgekehrt: Im Grunde hat Apple die ‚Rasierklingen‘ (iTunes-Musik, niedrige Gewinnspanne) verschenkt, um den Kauf des ‚Rasierers‘ (iPod, hohe Gewinnspanne) zu erzwingen. Dieses Modell hat den Begriff ‚Wert‘ neu definiert und dem Verbraucher eine ganz neue Art von Komfort geboten.“ (Christensen et al. 2009, S. 38)

3.1 Geschäftsstrategie

99

Vom Nutzenversprechen für den Kunden ausgehend sind Schlüsselprozesse und -ressourcen zu entwickeln und dabei die Gewinne im Auge zu behalten. Twitter beispielsweise, der zunehmend beliebte Internet-Kommunikationsdienst, hatte, anders als Google, die an der Werbung verdienen, bis 2009 keinen Umsatz. Das Geschäftsmodell lebte von der Hoffnung, dass Microsoft oder Google diesen Dienst mit seinen Angeboten kombiniert. Im Oktober 2009 ist es soweit. Das 2006 gegründete Unternehmen, das inzwischen 1 Milliarde US-Dollar wert sein soll, erhält aus Partnerschaften mit Microsoft und Google 25 Millionen US-Dollar und soll damit erstmals einen Gewinn erzielen. Diese Ausrichtung auf innovative Geschäftssysteme wird von Kim & Mauborgne (2009) als Blue-Ocean-Strategie vermarktet. Anstatt den Wettbewerb im Red Ocean gesättigter Märkte und etablierter Branchen zu suchen, sollten Unternehmen neue Märkte schaffen und der Konkurrenz ausweichen. Der Erfolg einer Strategie hängt davon ab, ob die Komponenten des Geschäftssystems abgestimmt entwickelt werden und die dazugehörigen Anspruchsgruppen – die Mitarbeiter, Kunden, und Anteilseigner – ein entsprechendes Nutzenversprechen erhalten. People Proposition, Value Proposition, Profit Proposition: fehlt eine Komponente dieses Dreiklangs, stellt sich der Erfolg nicht ein. Ein Beispiel dafür ist der Online-Musik-Provider Napster, dem es nach Gründung im Jahre 1999 durch sein Wertversprechen in kurzer Zeit gelang mehr als 80 Millionen registrierte Nutzer zu gewinnen, der jedoch an rechtlichen Hürden scheiterte, bevor er ein Gewinnversprechen aufbauen konnte. Apple hingegen ist im gleichen Geschäftsfeld durch ein innovatives Geschäftsmodell erfolgreich (vgl. auch Kap. 4.6.1). Eine grundlegende Umwälzung aller Geschäftssysteme, eine „Revolution der Innovation“ erwarten Prahalad & Krishnan (2009), Professoren an der Michigan University und anerkannte Experten für neue Strategietrends. Danach sollen Unternehmen das globale Ressourcennetz nutzen, um gemeinsam mit ihren Kunden einzigartige Kundenerfahrungen zu erzeugen. Innovationstreiber ist die Informationstechnologie, die die Individualisierung und globale Ressourcenbeschaffung erst möglich macht. Unternehmen müssen lernen, sich auf den einzelnen Kunden zu konzentrieren, selbst wenn sie hundert Millionen Kunden haben. Beispiele sind iTunes und Amazon, die die Vorlieben jedes einzelnen Kunden kennen und in passende Angebote umsetzen. Dies gelingt nur, wenn die Menschen als Individuen behandelt werden. Die Individualität, die Einzigartigkeit des Menschen in all seinen Rollen (Kunde, Mitarbeiter, Investor, Lieferant und Bürger) anzuerkennen, wird eine Voraussetzung für erfolgreiche Wertgenerierung. Demgegenüber ist allerdings zu bedenken, dass die Menschen sich, je nach Landeskultur unterschiedlich, nicht nur als Individuen, sondern auch als Teil von Gruppen verstehen. In China gibt es dazu ein Sprichwort: ‚Der Nagel, der herausragt, wird in das Brett gehämmert‘.

100

3 Strategien

Praxisbeispiel: Wie Hilti zum Dienstleister wurde Hilti, ein auf seinem Gebiet weltweit führendes Liechtensteiner Unternehmen in Familienbesitz mit 20.500 Mitarbeitern und 3,1 Mrd. Euro Umsatz, ist nicht nur für seinen pneumatischen Bohrhammer bekannt, sondern auch für seine Management-Innovationen. Dazu gehören ein neu erfundenes Geschäftsmodell (vgl. Abb. 3.5) und eine besondere Unternehmenskultur. Nach Christensen, Johnson und Kagermann ist das veränderte Geschäftsmodell entscheidend dafür, dass neue Märkte erschlossen werden konnten: „Hilti hat eine große Chance zur Steigerung der Rentabilität genutzt, indem das Unternehmen Produkte in eine Dienstleistung umwandelte. Anstatt Werkzeuge (zu stetig sinkenden Preisen) zu verkaufen, bietet Hilti nun einen Service an, mit dem die richtigen Werkzeuge zum richtigen Zeitpunkt bereitgestellt werden, ohne Reparatur- oder Lageraufwand für den Kunden. Für einen solch radikalen Wandel beim Nutzenversprechen für den Kunden mussten alle Elemente des Geschäftsmodells verändert werden.“

Traditioneller Hersteller von Elektrowerkzeugen

Hilti-Flottenmanagement

Verkauf von Industrie- und Profielektrowerkzeugen und Zubehör

Nutzenversprechen für den Kunden

Vermietung eines umfassenden Werkzeugarsenals, um die Produktivität des Bauunternehmens vor Ort zu erhöhen

Niedrige Margen, hoher Lagerumschlag

Gewinnformel

Höhere Margen, ressourcenintensiv, monatliche Zahlung für Werkzeugwartung, -reparatur und -ersatz

Vertriebskanal, kostengünstige Produktion in Entwicklungsländern, Forschung & Entwicklung

Schlüsselressourcen und -prozesse

Stark ausgeprägter Direktverkauf, Vertragsverwaltung, IT-Systeme für die Bestandsverwaltung und Reparatur, Lagerhaltung

Abb. 3.5

Hilti-Geschäftsmodell (Christensen et al. 2009, S. 43)

Zu den Schlüsselressourcen und -prozessen gehören in diesem Zusammenhang aber auch die sogenannten ‚weichen‘ Erfolgsfaktoren: 2003 erhielt Hilti den Carl Bertelsmann-Preis für seine „vorbildliche Unternehmenskultur“ (vgl. dazu Kapitel 4). „Der Erfolg von Hilti sei das Ergebnis einer positiven Wechselbeziehung zwischen den Elementen Mitarbeiterzufriedenheit, Kundenzufriedenheit und wirtschaftlicher Ertragskraft“, heißt es. Hilti selbst bekennt sich auf seiner Homepage zur Stakeholder-Value-Orientierung: „Hilti lebt klare Werte und orientiert sich am Stakeholder-Value-Ansatz. Das Unternehmen bezieht die Interessen aller mit dem Unternehmen verbundenen Partner – Kunden, Lieferanten und Mitarbeiter – in die Überlegungen ein und nimmt auch die Verantwortung für Gesellschaft und Umwelt aktiv wahr. Das führt zu einer Vertrauensbasis, die den langfristigen Erfolg des Unternehmens ermöglicht.“

3.1 Geschäftsstrategie

101

Fragen: 1. Auf welche Komponenten des Geschäftssystems (bzw. Geschäftsmodells) kommt es bei Hilti an? Welche Bedeutung haben weitere Komponenten des Organisationssystems? 2. Kennen Sie ähnliche Beispiele für Unternehmen, die mehr im Dienstleistungsbereich wachsen. Ist die Rentabilität zum Ende der Wertkette hin grundsätzlich höher? Quelle: Christensen, C.M. et al.: Wie Sie Ihr Geschäftsmodell neu erfinden. In: Harvard Business Manager 2009, Nr. 4, S. 37-49; hier S. 42 f.; www. bertelsmann-stiftung.de; www.hilti.com.

Die Frage, aus welcher Perspektive das Geschäftssystem entwickelt werden soll (vgl. erneut Abb. 3.4), wird in der Managementlehre kontrovers diskutiert: ! Beim Market Based View wird das Geschäftssystem von Außen nach Innen entwickelt, vom Markt und vom Nutzenversprechen für den Kunden, von den Chancen und Bedrohungen des Umfeldes. ! Der Resource Based View hingegen geht von Innen nach Außen vor, von der Ressourcenbasis aus, den Stärken und Schwächen des Unternehmens. Beide Sichtweisen sind in der Strategielehre wie in der Praxis außerordentlich relevant. Bereits der Einstiegsfall zu Canon und Sony illustrierte, dass eine Strategieperspektive, die von den Ressourcen ausgehend die Märkte bearbeitet, zu anderen Ergebnissen führt, als eine Perspektive, die von den Märkten ausgeht. Dies wird bei der näheren Betrachtung des Geschäftssystems deutlicher.

3.1.2

Chancen und Bedrohungen: Produktangebot und Positionierung am Markt

PRODUKTANGEBOT ANALYSIEREN Beim Produktangebot stellt sich zunächst die Frage der Geschäftsfeldabgrenzung. Dies ergibt sich daraus, dass Unternehmen, die sich nicht auf einen begrenzten Umfang von Produkt-Marktkombinationen einstellen, Nachteile haben. Dazu gehören: ! Geringe Größenvorteile. Aktivitäten und Ressourcen können nicht zielgerichtet eingesetzt werden. ! Weniger Lernvorteile. Je weniger ein Unternehmen spezialisiert ist, desto weniger können das besondere Aktivitätssystem und die besondere Ressourcenbasis ausgebildet werden. ! Unklare Markenimages und Unternehmensidentität. Das Unternehmen steht für alles und nichts. ! Hohe organisatorische Komplexität. Mit vielen Produkten wächst die organisatorische Komplexität und damit das Problem, diese zu beherrschen. ! Begrenzte Flexibilität. Weniger spezialisierte Unternehmen sind leichter organisatorisch überfordert, sich zu verändern.

102

3 Strategien

Eine Branche ist dadurch definiert, dass eine Anzahl von Unternehmen ähnliche Produkte oder Dienstleistungen mit ähnlichen Wertschöpfungsaktivitäten und Ressourcen herstellen. Branchen sind durch Ähnlichkeiten auf der Angebotsseite charakterisiert, ob es sich nun um den primären Sektor, wie die Landwirtschaft oder die Ölförderung handelt, oder um den sekundären Sektor, wie die Nahrungsmittel- und Chemieindustrie, oder schließlich um den tertiären Sektor, wie den Lebensmitteleinzelhandel oder das Bankgewerbe. Märkte werden gewöhnlich definiert als Gruppe von Kunden mit ähnlichen Bedürfnissen; hier handelt es sich um eine Ähnlichkeit auf der Nachfrageseite. So kann der Markt etwa für den Transport von Berlin nach Paris von unterschiedlichen Branchen bedient werden – von der Luftfahrt oder der Eisenbahn, vielleicht aber auch mit dem Schiff. Theodore Levitt, der als deutscher Emigrant später als Professor an der Harvard Business School berühmt wurde, hat die These entwickelt, dass ein Unternehmen seine Geschäftsfelder nach den bleibenden Marktbedürfnissen definieren sollte, anstatt nach den vergänglichen Produkten oder der Branche, in der es tätig ist (vgl. Levitt 1983; Kotler & Bliemel 2001). Bei der Bahn wäre der produktorientierten Definition „Wir betreiben eine Eisenbahnlinie“ die marktorientierte Definition „Wir bieten pünktlichen Transport“ vorzuziehen, bei Revlon hieße es statt „Wir stellen Kosmetika her“ besser „Wir verkaufen Hoffnungen auf Schönheit“. Kritiker machen sich darüber lustig. So wurde ernsthaft behauptet, die Hersteller von Pferdepeitschen würde es heute noch geben, nach der Verdrängung von Pferdekutschen durch das Automobil, wenn sie sich zur gegebenen Zeit als Verkäufer von Starthilfen verstanden hätten. Dabei hätte das Produkt damals und heute absolut nichts gemein – nicht das Material, die Technologie, die Ressourcen. Ironisch wurde bemerkt, treffender als ‚Starthilfen‘ wäre ‚Geißelungsmarkt‘ gewesen (vgl. Mintzberg et al. 1999). Das Konzept des Harvard-Professors Derek Abell (1980) hat sich durchgesetzt, bei der Festlegung des Geschäftsfeldes eines Unternehmens drei Dimensionen zu berücksichtigen: die Kundengruppen, an die es sich wendet, die Kundenbedürfnisse, die es befriedigt und die Technologie zur Erfüllung dieses Zwecks. Der Vorteil dieser Abgrenzung ist, dass neben der Marktperspektive, die Aktivitäten sowie die Ressourcenperspektive angesprochen werden. Typische Geschäftsfelder, die manchmal auch als Geschäftsbereiche bezeichnet und weiter untergliedert werden, sind etwa bei der Lufthansa Passagierbeförderung, Logistik, Technik, Catering und IT-Services, bei der Commerzbank sind es private Kunden, Asset Management, Firmenkunden und Investment Banking. Eher aus Marktsicht werden die drei Dimensionen für Marken-Cluster im folgenden Beispiel zur Automobilbranche gebildet (vgl. Abb. 3.6). Die Unternehmensberatung Mercer hat 6 Marken-Cluster identifiziert und 71 Marken diesen Marken-Clustern zugeordnet. Jedes Marken-Cluster steht für eine Markenausprägung, für eine Differenzierung am Markt, denen bestimmte Wertschöpfungsstrategien zugeordnet werden (vgl. Mercer & IML 2004).

3.1 Geschäftsstrategie

103

3 Dimensionen für Marken-Cluster

Marken-Cluster

Anzahl Marken

Masse, Preis, Komfort

30

Masse, Preis, Sport

5

Masse, Qualität, Komfort

7

Premium, Preis, Komfort

2

Premium, Qualität, Komfort

10

Premium, Qualität, Sport

17

Beispiele

Premium

Masse

Komfort

Sport

Abb. 3.6

Preis

Qualität

Markencluster in der Automobilbranche (Mercer & Fraunhofer 2004)

Strategischen Geschäftseinheiten (Strategic Business Units) sind organisatorischen Einheiten, mit denen die Strategischen Geschäftsfelder (Strategic Business Areas) bearbeitet werden. Strategische Geschäftseinheiten umfassen ein einzelnes oder mehrere Geschäftsfelder, haben einen eigenen Kreis von Wettbewerbern und werden von einem Manager geleitet, der für die strategische Planung und Ergebnisse auf dieser Ebene verantwortlich ist. Größere Unternehmen bestehen also aus verschiedenen Geschäftsbereichen, die von der Unternehmenszentrale gesteuert werden und die mehr oder minder miteinander kooperieren.

UMFELDANALYSE BETREIBEN Ausgangspunkt der Umfeldanalyse sind die Chancen und Risiken, die das Umfeld im Vergleich zu den Stärken und Schwächen des Unternehmens bietet. Dazu gehören zunächst die allgemeinen Umfeldfaktoren insgesamt, seien sie nun politischer, ökonomischer, soziokultureller oder technologischer Art (PEST-Analyse). Hierbei gilt die Aufmerksamkeit denjenigen Schlüsselfaktoren, die aktuell den Wandel antreiben (vgl. Abb. 3.7). Dazu wird man heute beispielsweise die Anforderungen der Globalisierung, des Internets und der Auflösung des Normalarbeitsverhältnisses rechnen. Mit der Methodik des vernetzten Denkens lassen sich auch komplexe Ursache-Wirkungs-Ketten darstellen (vgl. Probst & Gomez 1991). Die eigentliche Schwierigkeit liegt darin, die Wirkungen dieser Umwälzungen richtig einzuschätzen. So sind die Angleichung der Verbrauchsgewohnheiten, Kostenvorteile, Regierungseinfluss und globaler Wettbewerb in der Automobilindustrie seit längerem schon mächtige Treiber der Globalisierung, allerdings erst in jüngster Zeit bei Arzneimitteln. Früher dominierte die Schlussfolgerung, dass sich hieraus der „Zwang zur Größe“ ergebe. Heute, nach den Erfahrungen etwa mit der sogenannten „New Economy“, wird man hinzufügen, dass es ebenfalls darauf ankommt, „schnell“ zu sein und auf individualisierte Kunden- und Mitarbeiterbedürfnisse einzugehen. Bei hoher Unsicherheit kann die Szenario-Technik hierfür ein geeignetes Planungsinstrument sein. So können beispielsweise die Auswirkungen des Klimawandels analysiert werden, indem aus den Daten der bisherigen Entwicklung ein

104

3 Strategien

Trendszenario für die Zukunft entwickelt wird. Zur Abschätzung dient weiter die Darstellung der bestmöglichen Entwicklung (Best Case) und der schlechtesten Entwicklung (Worst Case), wobei die Spannweite der Möglichkeiten mit der Fortdauer der Zeit zunimmt, häufig dargestellt als sogenannter Szenario-Trichter. Die Bedeutung des Themas Klimawandel zeigt auch, dass die PEST-Analyse durch die ökologische Dimension erweitert werden sollte; sie heißt dann PESTE, wobei das E für „Ecological“ steht. Technologischer Wandel Mobiles Internet

Besondere Internationale Ereignisse

Sozialer Wandel

T Branche

Die Europäische Union verbietet hormonbehandeltes Fleisch

P

Unternehmen

Wachsende Erwerbstätigkeit von Frauen

S Verändertes Image von Komfort-Geländewagen (SUV)

Wieder zunehmende staatliche Regulierung

E Politische und rechtliche Bedingungen

Instabilität des Wachstums

Kulturelle Trends

Wirtschaftliches Klima Abb. 3.7

Beispiel für eine PEST-Analyse

Mit der Wettbewerbsanalyse wird die Struktur in den jeweiligen Branchen, in denen die Strategischen Geschäftseinheiten tätig sind, analysiert. Dazu hat Michael Porter, HarvardProfessor und einer der führenden Experten auf dem Gebiet des Strategischen Managements, die sogenannte 5-Kräfte-Analyse zur Positionierung der Unternehmen in attraktiven Branchen entwickelt (vgl. ders. 1979; 2008 und Abb. 3.8). Die 5-Kräfte-Analyse ist deshalb bedeutend, weil sie den in der Praxis dominierenden Blick auf die Konkurrenz innerhalb einer Branche, ausgefochten mit der Preis- und Produktpolitik, um weitere Perspektiven erweitert. Branchen sind attraktiv, wenn sie Wettbewerbsvorteile gegenüber der Konkurrenz erlauben. Der Wettbewerb zwischen den etablierten Unternehmen innerhalb der Branche ist groß, wenn der Konzentrationsgrad und das Branchenwachstum niedrig ist, wenn Austrittsbarrieren und Überkapazitäten bestehen, wenn Unternehmen ihrer Branche verpflichtet sind und die Informationslage komplex ist, und bei anhaltendem Preiswettbewerb. Die Attraktivität einer Branche hängt aber noch von vier weiteren Kräften ab: der Markteintrittsbedrohung durch neue Wettbewerber, der Abnehmer- und Lieferantenmacht, sowie der Bedrohung durch Ersatzprodukte. Für die Markteintrittsbedrohung ist beispielsweise wesentlich, ob Größenvorteile vorliegen, die den Marktzugang für neue Wettbewerber erschweren. Ab-

3.1 Geschäftsstrategie

105

nehmermacht liegt beispielsweise vor, wenn die Größe und Konzentration der Käufer im Verhältnis zu den Produzenten hoch sind. Für kleine und mittlere Lebensmittelhersteller wird dies der Fall sein, wenn der wichtigste Kunde ein großer Discounter wie ALDI ist. Lieferantenmacht liegt etwa vor, wenn diese Möglichkeiten zur Vorwärtsintegration nutzen können. So drängt etwa Flextronics, einer der weltweit führenden Auftragsfertiger für Elektronikkomponenten zunehmend in die Endgerätefertigung (Beispiel: Xbox-Spielekonsole). Die Bedrohung durch Ersatzprodukte schließlich hängt von der Abnehmerneigung zu Substituten ab. Die Reisebüro-Branche beispielsweise kommt durch Online-Anbieter in erhebliche Bedrängnis. Eine attraktive Branche ist nach Porter (1987, S. 46) dadurch gekennzeichnet, dass „Eintrittsbarrieren hoch, Zulieferer und Abnehmer nur über eine mäßige Verhandlungsmacht verfügen, dass es nur wenige Ersatzprodukte oder -dienste gibt und die Rivalität zwischen den Mitwettbewerbern stabil bleibt.“ Das Internet beispielsweise steigere die Nachfragemacht und senke Eintrittsbarrieren ab, insgesamt sei deshalb dessen Einfluss auf die Branchenattraktivität eher negativ (vgl. ders. 2001). Erhebliche Rentabilitätsunterschiede zwischen Branchen in den USA von 1992-2006 von etwa 37,6 Prozent in der Getränkeindustrie und 5,9 Prozent in der Luftfahrtindustrie seien auf die Wirkung dieser 5-Kräfte zurückzuführen (vgl. ders. 2008). BEDROHUNG DURCH NEUE ANBIETER ! Skaleneffekte ! Umstellungskosten ! Kapitalbedarf ! Etablierte Vorteile ! Zugang zu Vertriebskanälen ! Staatliche Restriktionen ! Erwartete Vergeltung LIEFERANTENMACHT ! Konzentrationsgrad ! Abhängigkeit des Abnehmers ! Umstellungskosten ! Produktdifferenzierung ! Keine Ersatzinputs ! Vorwärtsintegration der Lieferanten

ABNEHMERMACHT KONKURRENZ INNERHALB DER BRANCHE ! Konzentrationsgrad ! Branchenwachstum ! Austrittsbarrieren und Überkapazitäten ! Komplexe Informationslage ! Anhaltender Preiswettbewerb

BEDROHUNG DURCH ERSATZPRODUKTE ! Abnehmer-Substitutionsneigung ! Relativer Preis und Leistung der Substitute

Abb. 3.8

5-Kräfte-Branchenstrukturanalyse (nach Porter 2000, 2008)

! Wenige Großabnehmer ! Standardisierte Produkte ! Umstellungskosten ! Rückwärtsintegration ! Preissensibilität der Abnehmer ! Informationsstand der Abnehmer

106

3 Strategien

Wie ist dieses Instrument der 5-Kräfte-Analyse zu bewerten? Porter kommt aus dem Bereich Industrieökonomik (Industrial Organization) und Wettbewerbspolitik. Die Leitidee ist hier, dass aus einer monopolistischen Marktstruktur ein entsprechendes Marktverhalten und Marktergebnis folgt – eben überdurchschnittliche (Monopol-) Gewinne. Daher die Betonung der Lieferanten- und Käufermacht und des steigenden Wettbewerbs durch die Markteintrittsbedrohung und Ersatzprodukte. Zur Kritik der 5-Kräfte-Analyse werden folgende Argumente angeführt (vgl. Coyne & Subramaniam 1996; Tapscott 2001; Grant & Nippa 2006, S. 141 ff; Kim & Mauborgne 2009): ! Branchenfaktoren – mit in allen Studien weniger als 20 Prozent – erklären nur einen geringen Anteil der Rentabilitätsunterschiede. ! Komplementäre Produkte – ohne CD-Spieler nützt mir die schönste CD-Sammlung nichts – müssten als sechste Kraft berücksichtigt werden. ! Geschäftsbeziehungen sind durch eine Dualität von Wettbewerb und Kooperation (Coopetition) geprägt und nicht nur durch das Streben nach Monopolgewinnen. ! Nur die Positionierung in bestehenden Branchen, nicht aber der dynamische Wettbewerb (Hyperwettbewerb), die Entstehung ganz neuer Branchen durch neue Geschäftssysteme, wird analysiert. ! Die Strategie wird nicht nur durch die Branchenstruktur geformt. Branchenstrukturen entstehen, wie oben gezeigt, auch umkehrt aus Unternehmensstrategien. Fords Modell T, Nintendos Wii-Spielkonsole, das Online-Auktionshaus Ebay und der InternetMarktplatz Amazon sind dafür Beispiele. ! Die impliziten Annahmen des 5-Kräfte-Modells sind, dass Abnehmer, Lieferanten, Wettbewerber und Anbieter von Ersatzprodukten nur durch distanzierte Marktbeziehungen miteinander verbunden sind, dass Wert aus strukturellen Wettbewerbsvorteilen entsteht und dass die Unsicherheit so niedrig ist, dass die Entscheider das Verhalten der Wettbewerber vorausberechnen können, um ihre eigene Strategie zu wählen. Diese Annahmen sind zu rigide. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die 5-Kräfte-Analyse ein wichtiges Instrument ist, um die Gewinnattraktivität von Branchen in einer gegebenen Situation zu bewerten, das dieses allerdings die heutige Komplexität und Dynamik nicht erfasst und daher weitere Analysewerkzeuge erforderlich sind.

GESCHÄFT POSITIONIEREN Wettbewerbsvorteile aus Monopolsituationen bestimmen auch die Empfehlungen von Porter (1990c) zur nachfolgenden Phase der Strategieentwicklung: zur Positionierung innerhalb eines Geschäftes. Diese hängt von der Fähigkeit des Unternehmens ab, mit den 5Kräften des Branchenumfeldes besser umgehen zu können, als seine Konkurrenten. Bei der Positionierung geht es erstens darum, wo der Wettbewerb geführt wird, also um das strategische Zielobjekt und zweitens darum, wie der Wettbewerb geführt wird (vgl. Abb.3.9).

3.1 Geschäftsstrategie

107

Strategisches Zielobjekt

Strategischer Vorteil

Abb. 3.9

Branchenweit

Beschränkung auf ein Segment

Singularität aus der Sicht des Käufers

Kostenvorsprung

Differenzierung

Umfassende Kostenführerschaft

Konzentration auf Schwerpunkte (Nischen)

Wettbewerbsstrategien (Porter 1990c, S. 67)

Obwohl es eine Vielzahl von Stärken und Schwächen gibt, die ein Unternehmen gegenüber seinen Wettbewerbern haben kann, gibt es drei Grundtypen von Wettbewerbsstrategien: ! Differenzierung. Der strategische Vorteil entsteht aus der Einzigartigkeit aus Sicht des Käufers. Erreicht wird diese durch die Differenzierung der Produkte, durch Qualität, Service, Image und andere besondere Eigenschaften. ! Umfassende Kostenführerschaft. Wettbewerbsvorteile durch Standardisierung, die einen Kostenvorsprung durch Größen- und Lernvorteile ermöglichen, insofern diese nicht bereits ausgeschöpft sind. ! Konzentration auf Schwerpunkte. Der dritte Strategietyp ist, dass ein Unternehmen nicht die ganze Branche abdeckt, sondern sich auf einen engen Teilmarkt, eine Marktnische, konzentriert, „also auf eine bestimmte Abnehmergruppe, einen bestimmten Teil des Produktprogramms, oder einen geographisch abgegrenzten Markt.“ (Porter 1990c, S. 67; vgl. Praxisbeispiel). Eine solche Strategie verfolgen beispielsweise wenig bekannte Weltmarktführer (Hidden Champions) wie Baader, Webasto oder Dorma (vgl. Simon 2007). In allen drei Fällen geht es wiederum um eine Monopolposition: Differenzierung soll kaum einnehmbare Einzigartigkeit erzeugen, Kostenführerschaft entsteht aus von Konkurrenten nicht erreichbaren Größen- und Lernvorteilen und bei einer auf enge Teilmärkte ausgerichtete Nischenstrategie bleiben Wettbewerber schon deshalb außen vor, weil sie die Geheimnisse des Geschäftssystems nicht verstehen. Unternehmen, die sich scheuen, sich festzulegen, laufen nach Porter Gefahr, zwischen die Stühle zu geraten („Stuck in the Middle“) und sich mit einer geringeren Rentabilität zufrieden geben zu müssen.

108

3 Strategien

Praxisbeispiel: Beyerdynamic – Positionierung als Audiospezialist Massenware für wenig Geld ist das Motto in der Radio- und Fernsehindustrie nachdem Hifi-Billigproduzenten den Absatz für viele Hersteller erschweren. Jedoch werden nicht nur die Preise, sondern auch die Qualität gedrückt, was wiederum für so manchen Hersteller von Vorteil ist. So hat beispielsweise Beyerdynamic auf qualitativ hochwertige und hochpreisige Produkte gesetzt. 1924 in Berlin gegründet, entwickelt und fertigt Beyerdynamic dynamische Kopfhörer und Mikrofone. Heute gehört das Unternehmen mit Sitz in Heilbronn zu den führenden Anbietern auf dem Markt für Kopfhörer, Mikrofone und Konferenztechnik. Bis zum Jahre 2003 hatte das Unternehmen einige verlustreiche Jahre zu verkraften, doch durch Innovationen und eine neue Positionierung auf dem Markt, wurde das Unternehmen trotz des starken Gegenwinds der Konkurrenten Sony und Sennheiser wieder auf Kurs gebracht und realisierte innerhalb von vier Jahren einen Umsatzzuwachs von 60 Prozent. Diese Erfolgsgeschichte wurde zusätzlich durch einen Großauftrag von der OECD über 1.000 Sprechstellen gekrönt. An den Konferenzplätzen sind keine SchwanenhalsMikrofone mehr zu sehen, sondern die Mikrofon-Neuheit „Revoluto“. Diese tischkärtchengroßen Mikrofone bieten dem Sprecher einen weiten Raum mit guter Sprachqualität. Innerhalb dieser Sprechzone kann sich der Sprecher frei bewegen, d.h. die Stimme des Redners wird unabhängig von seiner Größe eingefangen und auch dann noch klar übertragen, wenn er aufsteht oder sich einmal zur Seite bewegt. Der Unternehmenserfolg rührt allerdings nicht aus der Verlagerung der Produktionsstätte in Billiglohnländer, sondern vor allem von der Umstrukturierung des Produktangebots her. Jeder Kunde kann auf der Internetseite von Beyerdynamic seinen persönlichen Kopfhörer selbst zusammenstellen – Spezialanfertigungen sind kein Problem. Durch das Prinzip der Einzelfertigung („Losgröße 1“) weiß auch jeder Mitarbeiter im Werk für welchen Kunden dieses spezielle Produkt angefertigt wird. Für Beyerdynamic ist die Positionierung im Hochpreissegment durch Einzel- und Sonderanfertigungen erfolgreich verlaufen. Fragen: 1. Welche Kräfte veranlassen eine komplett neue Positionierung eines Unternehmens auf dem Markt? 2. Welche Strategie hat Beyerdynamic hierbei verfolgt? 3. Wie werden Veränderungen wie eine Neupositionierung initiiert? 4. Mit welchen Mitteln können Innovation und Veränderungen in den Prozessen eines Unternehmens implementiert werden? Quellen: o.V.: Mikrofone in der Tischplatte. Der Audiospezialist Beyerdynamic etabliert sich im Hochpreissegment. Frankfurter Allgemeine Zeitung. 25.03.2008, URL: http://www.beyerdynamic.de.

3.1 Geschäftsstrategie

109

Kritiker wiederum argumentieren, dass die Marktverhältnisse es heute erfordern und Organisationskonzepte es heute erlauben, dass Unternehmen beide Strategien, Differenzierung und Kostenführerschaft, nebeneinander verfolgen (Hybridstrategie). Markt- und Leistungsanforderungen verlangen eine Synthese aus Massenproduktion und kundenindividueller Produktion: die individualisierte Massenfertigung (Mass Customization) (vgl. Piller 1998 und Abb. 3.10): ! Höhere Markt- und Leistungsanforderungen sorgen für die Abkehr von der Massenproduktion der 1960er-Jahre (Beispiel Volkswagen Käfer). Gesättigten Märkten und der Machtverschiebung vom Verkäufer- zum Käufermarkt in den reicheren Gesellschaften wurde zunächst durch mehr Qualität und Variantenvielfalt begegnet. In den 1990er Jahren schließlich nimmt die Bedeutung von Strategien zu, die beide Pole des Spannungsfeldes, Individualität und Masse, zu berücksichtigen suchen. Beispiele dafür finden sich in der Automobilindustrie, in der etwa bei Volkswagen die gleiche Plattform mit unterschiedlichen „Hüten“ verwendet wird. Schon mit Einführung des Golf IV wurde die so genannte Plattform PQ 34 auch im Škoda Octavia, Audi TT, Audi A3, Seat Leon, Seat Toledo und im VW New Beetle verbaut. Kostenvorteile entstehen aus der Standardisierung (Gleichteile für alle Konzern-Parallelmodelle und Ausstattungsvarianten) neben Differenzierungsvorteilen aus Kundensicht durch unterschiedliche „Hüte“. ! Neue Organisationskonzepte. Das Toyota-Produktions-System (TPS) ist bekannt dafür, dass flexibel nach individualisierten Kundenbedürfnissen, mit hoher Qualität und niedrigen Kosten produziert werden kann (vgl. Kapitel 4.3.1). Weitere Beispiele bieten Unternehmen wie Timbuk2, ein Hersteller von Life-Style-Umhängetaschen, dessen Organisation es erlaubt, dass man das gewünschte Produkt nach Farben, Applikationen etc., ebenso wie beim Computerhersteller Dell, über das Internet konfigurieren kann.

1960: „Masse“ 1970: Qualitätsbewegung 1980: Variantenmanagement

1995: Mass Customization Marktforderung Indivi- Vielfalt Qualität dualität

Abb. 3.10

Leistungsanforderung Preis

Effizienz Qualität

Kundenindividuelle Massenproduktion (Piller 1998, S. 52)

Flexi- Innovation bilität

110

3 Strategien

Die Wahl des richtigen strategischen Ansatzes könnte ein Ausweg in diesem Streit sein. Der Positionierungsansatz von Porter ist eher geeignet für Unternehmen, die sich nur ungern auf neues Gebiet begeben, während bei innovativen Geschäften sowohl Differenzierung als auch Kostenführerschaft angestrebt werden sollte. Dies setzt allerdings neue Geschäftsmodelle und integratives Denken voraus – wir haben uns damit im Kapitel 1.3.1 am Beispiel der Four Seasons Hotels bereits auseinandergesetzt. Nach dem Blue Ocean-Konzept sind innovative Geschäftsmodelle nur erfolgreich, wenn nicht nur ein Wertangebot (Value Proposition) für den Kunden geschaffen wird, sondern auch Gewinne (Profit Proposition) erzielt und die Mitarbeiter (People Proposition) gewonnen werden, um diese Strategie zu verfolgen und umzusetzen (vgl. Kap. 3.3.1). Allerdings sind noch weitere Dimensionen des Aktivitätssystems und der Ressourcenbasis zu berücksichtigen.

3.1.3

Stärken und Schwächen: Aktivitätssystem und Ressourcenbasis

Stärken und Schwächen, auch im Vergleich zu anderen Unternehmen, stehen im Mittelpunkt der Analyse des Aktivitätssystems und der Ressourcenbasis. Das Aktivitätssystem wird definiert als integrierter Wertschöpfungsprozess, der zu einem Produkt- und/oder Serviceangebot führt. Die Ressourcenbasis umfasst die dazu notwendigen Ausstattungen, Kompetenzen und Fähigkeiten (Capabilities). Die verschiedenen Aktivitäten und Ressourcen müssen abgestimmt entwickelt werden (Alignment).

AKTIVITÄTSSYSTEM ANALYSIEREN Die Aktivitätssysteme unterscheiden sich je nach Branche. Bei einem Autohersteller sieht das Aktivitätssystem anders aus als bei einer Werbeagentur, bei einer Billig-Fluggesellschaft wie Easyjet anders als bei einer traditionellen Airline wie Lufthansa und selbst die BilligFluggesellschaften unterscheiden sich. Als Einstieg ist eine Aktivitätsanalyse geeignet, die zeigt, wodurch sich das Geschäftsmodell vom Wettbewerber abhebt. Bei Southwest-Airlines, die das Geschäftsmodell der Billig-Fluggesellschaft 1971 entdeckt haben, gehört dazu der begrenzte Passagier-Service, nur Punkt-zu-Punkt Strecken, niedrige Preise, produktive Teams am Boden sowie häufige und zuverlässige Flüge (vgl. Abb. 3.11). Der Erfolg des Unternehmens, das heute eine höhere Marktkapitalisierung aufweist, als der Rest der U.S. Fluggesellschaften zusammen, beruht zudem auf einem besonderen Verhältnis zu den Anspruchsgruppen seines Geschäftssystems. Von seiner Gründung bis heute stehen bei Southwest Airlines die Mitarbeiter an erster Stelle, an zweiter die Kunden und an dritter Stelle die Anteilseigner. Selbst der Nachfragerückgang infolge der Terroranschläge vom 11. September 2001 führte bei Southwest nicht zu Entlassungen (vgl. Pfeffer 1998; Pfeffer 2009). Eine ähnliche Geschäftsphilosophie hat in Deutschland etwa auch Reinhard Mohn für Bertelsmann vertreten (vgl. ders. 1986).

3.1 Geschäftsstrategie

111

Keine Bordverpflegung

Kein Gepäckumschlag Eingeschränkter Service für Fluggäste Keine Anschlüsse an andere Fluglinien

Keine Platzreservierung

Häufige, verlässliche Abflugtermine

Abfertigung am Terminal in 15 Minuten

Begrenzter Rückgriff auf Reisebüros Standardisierte B-737-Flotte

Kurze Direktflüge zwischen mittelgroßen Städten und kleineren Flughäfen

Flugscheinautomaten Gut bezahlte Mitarbeiter

Flexible Vereinbarungen mit den Gewerkschaften

Abb. 3.11

Sparsames und hochproduktives Boden- und Abfertigungspersonal

Hohe Mitarbeiterbeteiligung am Grundkapital

Sehr niedrige Flugpreise

Hochgradige Flugzeugnutzung

„Southwest, the low-fare airline“

Das Aktivitätssystem von Southwest-Airlines (Porter 1997, S. 54)

Eine tiefergehende Methode um das Aktivitätssystem zu verstehen, ist die Wertkettenanalyse (vgl. Porter 2000, S. 63 ff. und Abb. 3.12). Dabei werden für einen Industriebetrieb primäre und sekundäre Aktivitäten unterschieden. Primäre Aktivitäten befassen sich mit der physischen Herstellung des Produkts und dessen Verkauf und Übermittlung an den Abnehmer sowie dem Kundendienst. Dazu gehören: ! Eingangslogistik. Tätigkeiten im Zusammenhang mit dem Eingang, der Lagerung und der Bereitstellung von Betriebsmitteln. ! Operationen. Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Umwandlung des Inputs in die endgültige Produktform. ! Ausgangslogistik. Aktivitäten im Zusammenhang mit der Sammlung, Lagerung und physischen Distribution des Produkts an die Abnehmer. ! Marketing und Vertrieb. Tätigkeiten zur Bereitstellung von Mitteln, durch die die Abnehmer das Produkt kaufen oder zu dessen Kauf verleitet werden können. ! Kundendienst. Tätigkeiten im Zusammenhang mit Dienstleistungen zur Förderung oder Werterhaltung des Produkts.

112

3 Strategien

UNTERNEHMENSINFRASTRUKTUR Unterstützende Aktivitäten

PERSONALWIRTSCHAFT TECHNOLOGIEENTWICKLUNG BESCHAFFUNG

Eingangslogistik

Operationen

Marketing & Vertrieb

Ausgangslogistik

Kundendienst

Primäre Aktivitäten

Abb. 3.12

Das Modell einer Wertkette (Porter 2000, S. 62)

Die Primäraktivitäten werden unterstützt durch vier Sekundäraktivitäten. Die gestrichelten Linien zeigen den Zusammenhang mit den Primäraktivitäten: ! Beschaffung. Aktivitäten, die mit dem Einkauf von Produkten verbunden sind, wie Lieferantenauswahl, Verhandlungen, Vertragsabschluss und Rechnungslegung. ! Technologieentwicklung. Aktivitäten, die sich mit der übergreifenden Entwicklung von Technologien, einschließlich Grundlagenforschung, sowie mit der Produkt- und Prozessgestaltung beschäftigen. ! Personalmanagement. Aktivitäten, die mit dem Personalmanagement verbunden sind, wie Personalbeschaffung, Weiterbildung, Entwicklung, Beurteilung und Entlohnung. ! Unternehmensinfrastruktur. Alle allgemeinen Aktivitäten, die für die Wertkette nötig sind, wie Geschäftsführung (und Betriebsrat), Planung, Finanzierung, Rechnungslegung, Informationstechnik und Außenbeziehungen. Die Unternehmensinfrastruktur unterstützt die gesamte Wertkette. Die besondere Konfiguration der Wertkette eines Unternehmens ist die Grundlage für Wettbewerbsvorteile. Jede dieser Tätigkeiten kann einen Beitrag zur relativen Kostenposition eines Unternehmens leisten und eine Differenzierungsbasis schaffen. Individualisierte Produkte in der Fertigung oder die jederzeitige Lieferfähigkeit im Vertrieb sind solche Differenzierungsmerkmale. Die Analyse beginnt mit der Aufschlüsselung der Aktivitäten, dem Vergleich einzelner Aktivitäten mit anderen (Benchmarking) und mit der Ermittlung von „Zielkosten“, die aus dem Marktpreis abgeleitet werden (Target Costing). Dabei werden auch vor- und nachgelagerte Wertketten betrachtet, etwa die der Zulieferer und des Handels bei einem Elektronikhersteller. Zweckmäßig ist es, dabei die Gesamtkosten (Total Cost of Ownership, TCO) zu ermitteln. Der Tintendrucker für den heimischen Computer beispielsweise ist preiswert, die Gesamtkosten zeigen sich erst, wenn die gesamten Kosten verfolgt werden (Tintenverbrauch, Ersatzpatronen, Wechselkosten, wenn Teile nicht kompatibel sind,

3.1 Geschäftsstrategie

113

Reparaturkosten). Ähnliche Vorgehensweisen um den Kunden zu fangen (Locked-inStrategie) kennen wir schon von Gillettes Rasierer und Apples iTunes. Ein weiteres Verfahren zur Analyse des Aktivitätssystems ist die Nutzwert-Analyse (Scoring-Method). Dazu werden kritische Erfolgsfaktoren (Key-Performance Indicators, KPI) ausgewählt, mit Schulnoten bewertet, gegebenenfalls noch gewichtet und dann mit dem Wettbewerber verglichen. Die Abb. 3.13 zeigt eine solche Nutzwert-Analyse für einen Automobilzulieferer aus Nachfragesicht. Kauffaktoren wie Preis, Qualität und die Fähigkeit zur Just-in-Time Lieferung werden bewertet, mit einem oder mehreren Wettbewerbern verglichen und Empfehlungen abgeleitet. Wegen der Branchenkenntnisse und Betriebsunabhängigkeit werden diese Analysen häufig von Unternehmensberatungen durchgeführt. Dabei ist jedoch zu beachten, dass die dabei erzielten Ergebnisse in Ziffern mit Punkt und Komma, bei aller formalen Objektivität, auf subjektiven Einschätzungen beruhen. Fremdvergabe etwa wird der Einkäufer wahrscheinlich optimistischer betrachten als der Betriebsleiter. Erfüllung durch:

Eigenes Unternehmen

Kauffaktor 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18.

Abb. 3.13

Funktionale Qualität Liefertreue/ - zuverlässigkeit Preis-/ Leistungsverhältnis Lieferzeit Schnelligkeit in der Problemlösung Preis Lebensdauer/ Ausfallrate Fähigkeit zu JiT – Lieferung Innovationskraft Reklamationsbearbeitung Techn. Problemlösungskompetenz Anwendungstechnische Beratung Erreichbarkeit des Außendienstes Kulanz Sonderausführungen/konstruktionen Image des Herstellers Bekanntheit des Herstellers Sortiment / Programmbreite

Wettbewerber

schlecht 5

Empfehlungen

sehr gut 4

Existenzgefährdender Bereich

3

2

1

Zentrale Anforderungen in dieser Produkt-/Marktkombination sind • Produktqualität etc. • Lieferservice Preis und Preis-/Leistungsverhältnis müssen auf ein gesundes Maß gebracht werden. Die Verbesserung der Innovationskraft und des entwicklungstechnischen Umfeldes sind nur für den Produktbereich der Spezialitäten anzustreben, um hier tragfähige Differenzierungsfaktoren aufzubauen.

Anpassungsbedarf im Leistungsprofil

Beispiel einer Nutzwertanalyse bei der Z-AG, einem Automobilzulieferer

RESSOURCENBASIS ANALYSIEREN Innerhalb des Geschäftssystems hat die Ressourcenbasis eine besondere Bedeutung. Folgt man der Argumentation im Einstiegsfall Canon und Sony, so sind die Kernkompetenzen Wurzeln des Erfolgs und nicht allein die Marktstellung. Diese Perspektive gehört zum Ressourcenansatz (Resource Based View), der sich kritisch gegenüber der herkömmlich dominierenden Marktsicht (Market Based View) versteht, wie sie sich etwa in der 5-Kräfte-

114

3 Strategien

Branchenanalyse und den Strategien zur Wettbewerbspositionierung von Porter findet. Zu den Ressourcen gehören (vgl. De Wit & Meyer 2008, S. 242 ff. und Abb. 3.14): ! Materielle und immaterielle Ressourcen (Tangible and Intangible Resources). Materielle Ressourcen wie Land, Gebäude, Maschinen und Material werden gekauft, immaterielle Ressourcen hingegen werden entwickelt. Träger der immateriellen Ressourcen sind die Menschen. Wenn Sie nicht bereit sind, ihre Kompetenzen zur Verfügung zu stellen und Beziehungsressourcen zu pflegen, leidet der Erfolg. Sony musste das bei der Übernahme von Columbia Pictures schmerzlich erfahren, als viele Mitarbeiter das Unternehmen verließen und damit auch ihr Wissen mitnahmen. Heute, in der sogenannten Wissensgesellschaft, hat die Bedeutung der immateriellen Ressourcen zugenommen. Es sind nicht mehr so sehr die „bricks“ (Ziegelsteine) die zählen, sondern die richtigen „clicks“ am Computer. ! Beziehungsressourcen und Kompetenzen (Relational Resources and Competencies). Beziehungsressourcen entstehen aus der Interaktion des Unternehmens mit seiner Umwelt. Gemeint sind die Beziehungen zu Kunden, Lieferanten, Wettbewerbern und Regierungsstellen, die einen Wettbewerbsvorteil darstellen können (vgl. Praxisbeispiel). Die Reputation des Unternehmens gegenüber anderen Akteuren ist eine weitere Ressource. Dies ist die Aufgabe des Wertemanagements (vgl. Kap. 1 und 2). Kompetenzen hingegen hat ein Unternehmen, wenn es das Wissen (Knowledge), die Fähigkeiten (Capabilities) und die Einstellungen (Attitudes) hat, um erfolgreich in einem bestimmten Bereich zu agieren. Wissen lässt sich unterscheiden nach dem Gewußt-Wie, -Was, Wo, -Wann, und -Warum. Durch Fähigkeiten entsteht in einer Organisation das Potenzial bestimmte Aktivitäten durchzuführen. Das kann zum Beispiel die Fähigkeit zur Entwicklung von neuen Produkten sein. Fertigkeiten (Skills) hingegen, sind die dazu notwendigen Funktionen wie Marktforschung, Entwicklung und Produktion. Die Einstellung verweist auf die mentale Haltung und Kultur einer Organisation. Wie beim Sport ist auch in Organisationen die mentale Einstellung eine Ressource, die für den Erfolg relevant ist. Ressourcenbasis

Materielle Ressourcen • Land • Gebäude • Maschinen • Material • Geld

Immaterielle Ressourcen

Beziehungsressourcen • Beziehungen • Reputation

Abb. 3.14

Arten von Unternehmensressourcen (De Wit & Meyer 2004, S. 243)

Kompetenzen • Wissen • Fähigkeiten • Einstellung

3.1 Geschäftsstrategie

115

Praxisbeispiel: Toyota – Erfolg durch Zulieferpartner In den 1980er Jahren nahm die industrielle Wettbewerbsfähigkeit der USA im Vergleich zu den aufstrebenden Machtblöcken Japan und Europa deutlich ab. Eine Kommission des renommierten Massachusetts Institute of Technology kam zu dem Schluss, dass die Ursachen dafür unter anderem in einem veralteten Massenproduktionssystem, technologischen Schwächen bei der Entwicklung und Produktion, in der Vernachlässigung der menschlichen Fähigkeiten, der Zusammenarbeit zwischen Management und Mitarbeitern sowie den Zulieferern zu suchen seien. Diese Aussage basiert unter anderem auf der bekannten Studie zur „Lean Production“ über die „zweite Revolution in der Automobilindustrie“. Insbesondere Toyota galt nun als ‚schlankes‘ Vorbild, von dem westliche Hersteller zu lernen haben, unter anderem von den partnerschaftlichen Lieferantenbeziehungen. Viele westliche Unternehmen versuchten, Elemente dieses Konzeptes von Toyota zu übernehmen, aber es gibt Grenzen. Dazu gehören: einzigartige historische Bedingungen, Ungewissheit über die Erfolgsfaktoren, soziale Komplexität und die institutionellen Rahmenbedingungen. Zur Einzigartigkeit gehört, dass die Netzwerkstrukturen in Japan durch äußere Einflüsse bereits Ende der 1940er Jahre entstanden sind, während etwa General Motors seine Komponentensparte Delphi erst vor einigen Jahren mit hohen wirtschaftlichen und sozialen Kosten abgestoßen hat. „History matters“: Pfadabhängigkeiten sind zu berücksichtigen. Untersuchungen haben ergeben, dass bis zu 75 Prozent aller Auslagerungsvorhaben scheitern. Europäische Autohersteller waren anfangs kleiner und zahlreicher, und europäische Zulieferer, wie Bosch oder ZF Friedrichshafen, waren konzentrierter. Diese kleinen Hersteller hatten niemals die Größe oder die Mittel darüber nachzudenken alles selber zu machen, wie dies Henry Ford und GM fast über fünfzig Jahre praktiziert haben. Ein zweiter Grund besteht darin, dass immaterielle Ressourcen häufig nicht einfach zu verstehen sind. Warum brauchen westliche Autohersteller so lange, um Effizienzvorteile von Toyota einzuholen? Die Potenziale bei Toyota und anderen schlanken Produzenten liegen weniger in den „harten“ organisatorischen Strukturen sondern mehr in den Fähigkeiten, das Wissen der Mitarbeiter zu nutzen und die Beziehungen zu Kunden, Lieferanten und Mitarbeitern zu entwickeln. Diese „weichen“ Erfolgsfaktoren, die entscheidend sind bei der Entwicklung komplementären Wissens in Netzwerken, sind nicht einfach zu verstehen und zu übertragen. Ein dritter Grund, der die Imitation beschränkt, ist die soziale Komplexität aufgrund unterschiedlicher Kulturen, Menschen und historischer Entwicklungen. Japanische Automobilunternehmen haben eine jahrzehntelange Erfahrung mit Zuliefernetzwerken, während diese bei US-Herstellern nur auf dem Papier standen. Der Widerstand von Mitarbeitern und ihren Vertretern gegen Outsourcing, wie bei Delphi und Volkswagen, ist ein weiterer Grund, der die Imitation beschränkt. Schließlich spielt der institutionelle Rahmen eine Rolle, zum Beispiel Eigentumsrechte und Patente. Wichtiger sind die nationalen Rahmenbedingungen der Unternehmensverfassung (Corporate Governance), die den Organisationszweck prägen. So gibt es im Fall von Volkswagen mächtige Anspruchsgruppen (Stakeholder), wie die Betriebsräte und die IG Metall sowie den Einfluss der niedersächsischen Landesregie-

116

3 Strategien

rung, die Vereinbarungen entstehen ließen, die Outsourcing und Produktionsverlagerung ins Ausland begrenzen. Fragen: 1. Sind die Hersteller-Zuliefer-Beziehungen für den Unternehmenserfolg relevant? 2. Warum ist es für westliche Hersteller so schwierig, Toyota zu imitieren? Quellen: Dertouzos, M.L.et al.: Made in America. Regaining the Productive Edge. Cambridge Mass.1989; Womack, J.P. et al.): Die zweite Revolution in der Autoindustrie. Frankfurt, New York 1991; Müller, H.-E.: Supplier integration. An international comparison. In: International Journal of Automotive Technology and Management, 2009, Nr. 1, S. 18-39.

Der Ressourcenansatz geht zurück auf Penrose (1959) und Wernerfelt (1984), zentrale Begriffe sind Kernkompetenz (Core Competence) und dynamische Fähigkeit (Dynamic Capability). Prahalad & Hamel (1991; 1995) haben den Begriff der Kernkompetenz als Wurzel von Wettbewerbsvorteilen geprägt. Nicht auf die alleinige Beurteilung von dezentralen strategischen Geschäftseinheiten nach ihren kurzfristigen Markterfolgen komme es an. Vielmehr werden von den Ressourcen, den Kernkompetenzen, ausgehend, Kernprodukte entwickelt, die dann als Endprodukte an den Märkten Wachstum ermöglichen. Der Einstiegsfall Canon/Sony hatte diese Perspektive ‚von innen nach außen‘ illustriert. Anhand von drei Kriterien lassen sich Kernkompetenzen in einem Unternehmen identifizieren: ! Kernkompetenzen eröffnen den möglichen Zugang zu einer weiten Vielfalt von Märkten. 3M, zum Beispiel, ein auf den ersten Blick außerordentlich diversifiziertes Unternehmen, entwickelt ständig neue Produkte auf der Basis einer Vielzahl von Technologieplattformen. Die bekannten gelben Post-It-Notizzettel sind als Nebenprodukt aus der Klebetechnik für Schleifpapiere entstanden. ! Kernkompetenzen sollen wesentlich und für den Kunden erkennbar zum Nutzen des Endproduktes beitragen. Die Fähigkeit von Honda, kleine und leistungsfähige Motoren zu bauen, gehört dazu, wie ebenso die Fähigkeit von Porsche, hochwertige Komponenten zu einem sportlichen Lifestyle-Produkt zu gestalten. ! Schließlich sollte eine Kernkompetenz von den Wettbewerbern nur schwer zu imitieren sein. Das gilt für immaterielle Ressourcen insbesondere dann, wenn eine komplexe Abstimmung individueller Technologien und Fähigkeiten erforderlich ist. Wie gezeigt, gelang es Apple aufgrund seiner Fähigkeit innovative Trends bei Informations- und Kommunikationstechnologien aufzuspüren und umzusetzen – etwa beim Mediendownload oder bei Multimedia-Handys – und damit Kundennutzen durch Produkte wie iPod, iTunes und iPhone zu erzielen. Nicht die beste technische Lösung ist entscheidend, sondern die vom Kunden wahrgenommene beste Lösung. Dabei handelt es sich häufig um Neuerungen, jenseits des gewachsenen Pfades der Innovationen (Disruptive Innovations, vgl. Kap. 4.6). Ähnlich argumentieren auch Barney & Hesterly (2007), die ein VRIO-Strategie-Werkzeug zur Analyse der Fähigkeiten (Capabilities) entwickelt haben. Nachhaltige Wettbewerbsvorteile durch Fähigkeiten und andere Ressourcen entstehen, wenn vier Fragen positiv beantwortet werden:

3.1 Geschäftsstrategie

117

! Value. Ist das Unternehmen in der Lage, mit den Fähigkeiten und anderen Ressourcen Chancen zu nutzen und externen Risiken entgegenzuwirken? ! Rarity. Sind die Ressourcen/Fähigkeiten vergleichsweise selten? ! Imitability. Sind die Ressourcen/Fähigkeiten nur schwierig und mit Kostennachteilen zu imitieren? ! Organization. Ist das Unternehmen auch organisatorisch in der Lage, die Ressourcen/Fähigkeiten auszuschöpfen? Damit kann zum Beispiel erklärt werden, warum es für westliche Hersteller schwierig ist, Kompetenzen von Toyota zu imitieren (vgl. Praxisbeispiel Toyota). Während der marktorientierte Ansatz dahingehend kritisiert wird, dass Anforderungen gestellt werden, die von den verfügbaren Ressourcen nicht erfüllt werden können, wird gegenüber dem Ressourcenansatz geltend gemacht, dass er dazu neige, die Beharrungskräfte zu fördern. Pfadabhängigkeiten (Path Dependencies), wie sie sich etwa in der mehr als 100-jährigen Vorherrschaft der QWERTY-Tastatur zeigen, können sich auch als Nachteil herausstellen (vgl. Sydow et al. 2009). Deshalb rückte in den letzten Jahren das Konzept der dynamischen Fähigkeiten (Dynamic Capabilities) in den Vordergrund, die das Potenzial der Unternehmen umfasst, auch in turbulenten Umwelten Kompetenzen aufzubauen und umzubauen (vgl. Teece et al. 1997; Eisenhardt & Martin 2000).

3.1.4

Strategieformulierung und -umsetzung

SWOT-ANALYSE BETREIBEN Aus der Umwelt ergeben sich beständig neue Chancen und Risiken für die strategische Entwicklung. Aber erfolgreiche Strategien hängen auch von der Leistungsfähigkeit des Unternehmens, vom Geschäftssystem ab. Ein klassisches Werkzeug zum Abgleich von Umwelt und Organisation und zur Formulierung von Strategien ist die SWOT-Analyse. Für eine wirksame Strategie sollten die Stärken (Strengths) und Schwächen (Weaknesses) des Unternehmens mit den Chancen/Gelegenheiten (Opportunities) und Bedrohungen/Risiken (Threats) der Umwelt abgeglichen sein. Die SWOT-Analyse kann zur Formulierung von Strategien, hier zur Festlegung der strategischen Stoßrichtung beitragen (vgl. Abb. 3.15). Bei BMW beispielsweise ist eine Stärke der Motorenbau, eine Schwäche die schmale Produktpalette. Neue Gelegenheiten ergeben sich aus der Verschiebung des Kundeninteresses von Sportlichkeit zu Vielseitigkeit, Komfort und Individualität. Mit den Touring- und CabrioVarianten der M-Baureihe verfolgt BMW die Strategie seine Stärken zur Nutzung von Gelegenheiten einzusetzen. Der Erwerb von Rolls-Royce Motor Cars Ltd. soll zur Überwindung von Schwächen durch Nutzung von Gelegenheiten beitragen. Bedrohungen z.B. durch Emissionsvorschriften werden durch die Nutzung der eigenen Stärken abgewehrt, etwa durch die Erforschung klimaschonender Antriebssysteme. Schließlich werden eigene Schwächen eingeschränkt und Bedrohungen durch den Einstieg in kleinere Fahrzeuge wie den Mini oder die 1er Reihe vermieden. Unklar bleibt bei der SWOT-Analyse allerdings, wie die Anwender zu den jeweiligen strategischen Stoßrichtungen kommen.

118

Abb. 3.15

3 Strategien

Stärken/ Strenghts (S)

Schwächen/ Weaknesses (W)

1. 2. 3. Auflisten der 4. 5. Stärken 6. 7. 8.

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

Gelegenheiten/ Opportunities (O)

SO-Strategien

WO-Strategien

1. 2. 3. 4. Auflisten der 5. Gelegenheiten 6. 7. 8.

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

Bedrohungen/ Threats (T)

ST-Strategien

WT-Strategien

1. 2. 3. Auflisten der 4. 5. Bedrohungen 6. 7. 8.

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

Einsatz von Stärken zur Nutzung von Gelegenheiten

Nutzen der eigenen Stärken zur Abwehr von Bedrohungen

Auflisten der Schwächen

Überwindung der eigenen Schwächen durch Nutzung von Gelegenheiten

Einschränkung der eigenen Schwächen und Vermeidung von Bedrohungen

SWOT-Analyse (nach Macharzina & Wolf 2008, S. 343)

Die Abstimmung zwischen den beiden Seiten in der SWOT-Analyse kann auch deshalb frustrierend sein, weil die spezifische Ressourcenbasis und das Aktivitätssystem im Vergleich zur laufenden Entwicklung an den Märkten in gegensätzliche Richtungen weisen. Die Ursache dafür ist, wie gerade beschrieben, der Gegensatz zwischen der Markt- und Ressourcensicht, d.h. zwischen Außen-Innen-Perspektive und Innen-Außen-Perspektive. Daher ergeben sich unterschiedliche Optionen, die abzugleichen sind (vgl. Abb. 3.16). Jede Geschäftseinheit wird sich am Markt gegebenenfalls unterschiedlich positionieren: Entweder als Kostenführer oder aber durch Differenzierung, als Nischenanbieter oder im Rahmen einer Mischstrategie. Um den Widerspruch zwischen der Festlegung auf eine bestimmte Strategie und der strategischen Unsicherheit managen zu können, kommt es darauf an, Optionen zu schaffen, anstatt nur zwischen Alternativen auszuwählen (vgl. Kap 1.4. und 2.5).

3.1 Geschäftsstrategie

119

Außen-Innen-Perspektive

Innen-Außen-Perspektive

Betonung auf

Märkte vor Ressourcen

Ressourcen vor Märkten

Orientierung

Chancengetrieben (Externes Potential)

Stärkengetrieben (Internes Potential)

Ausgangspunkt

Marktnachfrage & Industriestruktur

Ressourcenbasis & Aktivitätssystem

Abstimmung durch

Anpassung an die Umwelt

Anpassung der Umwelt

Strategiefokus

Vorteilhafte Positionen

Unterscheidende Ressourcen

Strategische Bewegungen

Externe Positionierung

Ressourcenbasis aufbauen

Taktische Bewegungen

Notwendige Ressourcen akquirieren

Externe Positionierung

Wettbewerbsinstrumente

Verhandlungsmacht & Mobilitätsbarrieren

Überlegene Ressourcen & Imitationsbarrieren

Abb. 3.16

Perspektiven: Außen-Innen versus Innen-Außen (nach De Wit & Meyer 2008, S. 255)

ZIELE FESTLEGEN Nachdem die einzelne Geschäftseinheit ihren Grundauftrag definiert und ihr Umfeld sowie ihre Leistungsfähigkeit analysiert hat, kann die Geschäftseinheit, bevor sie ihre Strategie formuliert, ihre spezifischen Betriebs- und Ergebnisziele für den Planungszeitraum festlegen. „Mit den Leistungszielen offenbart das Management, wieviel es erreichen will; die Strategie zeigt auf, was zur Zielerreichung getan werden muss, und die operative Taktik bestimmt, wie es getan wird.“ (Kotler & Bliemel 2001, S. 138) Das System der Leistungsziele wird in hierarchische Ziel-Mittel-Beziehungen geordnet. Dabei ist zu beachten: ! Die Rentabilität, der Gewinn bezogen auf das eingesetzte Kapital, kann beispielsweise durch ein höheres Gewinnniveau oder durch weniger eingesetztes Kapital gesteigert werden. Die Ziele sollten quantifiziert werden und sich auf einem realistischen Niveau bewegen. ! Finanzielle und nicht-finanzielle Ziele sollten gleichberechtigt bewertet werden. ! Schließlich kommt es darauf an, dass die einzelnen Zielkombinationen ausgewogen sind. Dazu kann die Balanced Scorecard beitragen. Es ist Aufgabe der Unternehmensführung auch widerstreitende Zielkombinationen in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen. Beispiele dafür sind hohe Gewinnspannen gegen große Umsatzvolumina, Ertragsziele gegen soziale oder andere Ziele, hohes Wachstum gegen geringes Risiko.

120

3 Strategien

MITARBEITERINTERESSEN BERÜCKSICHTIGEN Über die unmittelbare Beteiligung der Mitarbeiter hinaus kann die institutionelle Mitwirkung der Arbeitnehmervertretung zur Zielfestlegung, Strategieentwicklung und -umsetzung beitragen (vgl. Kap. 1 und 2). Angestrebt wird, Interessen auszugleichen und Folgen von wirtschaftlichen Entscheidungen sozialverträglich zu gestalten. Spezialisierte Ratgeber versuchen Antworten auch auf die damit verbundenen betriebswirtschaftlichen Fragen zu geben (vgl. Bierbaum et al. 2004; Breisig 2006; Köstler et al. 2006; Rupp & Laßmann 2009). Bei Verhandlungen über Restrukturierungsvorhaben und damit verbundenen geplanten Betriebsänderungen nach § 111 ff. BetrVG stehen häufig Sozialplan-Details wie Abfindungsregelungen im Vordergrund. Dazu gehört aber auch die Betriebsänderung selbst, über die der Unternehmer rechtzeitig und umfassend zu unterrichten hat, die wirtschaftlich zu begründen und mit dem Betriebsrat mit dem Ziel des Interessenausgleichs zu beraten ist. Themen sind (vgl. Grossmann & Balkenhol 2006): ! Die Zielsetzung der geplanten Restrukturierung. Die Zielsetzung sollte aus einer Strategie abgeleitet sein, die nicht nur auf finanzielle Kennzahlen reduziert ist. ! Die Analyse der geplanten Ausgangssituation. Informationen sollten aktuell, vollständig, sicher und bestimmt sein. ! Die Darstellung und Bewertung von Handlungsalternativen. Die Annahmen, die den einzelnen Szenarien zu Grunde liegen, und die Zuverlässigkeit der Prognosen sollten geklärt werden. Wer wird wann einbezogen? ! Der Umsetzungsfahrplan (Road Map). Dieser sollte konkret und realistisch sein. Bei einem großen deutschen Reise- und Transportunternehmen konnte die Arbeitnehmervertretung den Vorstand überzeugen, einen Teilbereich der Buchhaltung nicht nach Osteuropa zu verlagern, weil die Annahmen zu optimistisch und der Umsetzungsplan unrealistisch war. Auch in Fällen, in denen für Arbeitnehmer nichts zu gewinnen ist, können durch die Beteiligung die negativen sozialen Folgen begrenzt werden (vgl. Praxisbeispiel).

Praxisbeispiel: IBM, Philips, NXP und die Halbleiterfertigung in Böblingen 30 Jahre wurden in einem Werk in Böblingen Halbleiter produziert: Speicher und LogikBausteine. 15 Jahre davon waren Kampf ums Überleben, zuerst bei IBM, dann bei Philips, dann unter dem Namen NXP bei einem Konsortium unter Führung des Finanzinvestors Kohlberg Kravis Roberts & Co (KKR). Die IG Metall Stuttgart beschreibt dies mit folgenden Worten: „Philips kauft eine Halbleiterfabrik. Eine gute, moderne Fabrik. Von IBM, die nicht mehr produzieren, sondern nur noch dienstleisten will. Philips verkündet Visionen. Von Wachstum, von einem prosperierenden Werk. Philips fordert die Belegschaft: Arbeitet gut, seid sparsam, dann geben wir genügend Arbeit. Die Belegschaft arbeitet gut und ist sparsam. Sie bekommt nur manchmal genügend Arbeit. Philips mag nicht mehr. Das Geschäft ist mühsam, das Geld verdient sich nicht leicht. Philips findet Käufer für das Geschäft. Sie nennen sich NXP. Niemand kennt NXP. Das trifft sich gut. Die Belegschaft arbeitet gut und ist sparsam. Sie bekommt auch von NXP nicht genügend Arbeit. Die Manager von

3.1 Geschäftsstrategie

121

NXP kommen von Philips. Philips hat noch Geld in NXP stecken. NXP verkündet Sachzwänge, betriebswirtschaftliche. NXP schließt die gute, moderne Halbleiter-Fabrik. NXP verteilt die Arbeit an andere, ältere Fabriken. Und nach Fernost. Obwohl das niemand versteht. NXP hat keinen Ruf zu verlieren. Das trifft sich gut. Und keiner ist verantwortlich. Wie immer.“ Die wichtigsten Ereignisse der Auseinandersetzungen zwischen Geschäftsführung und Arbeitnehmervertretung in dieser Zeit waren: 1998

Erste Betriebsänderung nach Ausstieg von IBM. 120 Arbeitnehmer verlieren ihren Arbeitsplatz. Keine betriebsbedingten Kündigungen.

2000

Zweite Einigungsstelle für einen Interessenausgleich und Sozialplan. Eine Einigung in Verhandlungen war nicht möglich.

2001

Verschmelzung auf die Philips Semiconductors GmbH. Abschluss eines Anerkennungs- und Ergänzungstarifvertrages nach arbeitskampfähnlichen Auseinandersetzungen.

2004

Dritte Einigungsstelle für einen Interessenausgleich und Sozialplan. Betriebsbedingte Kündigungen.

2005

Nach monatelangen Verhandlungen wird ein Standortsicherungs-Tarifvertrag abgeschlossen. Es droht die Schließung des Betriebes.

2007

Die Schließung des Werkes wird angekündigt. Abschluss eines Sozial-Tarifvertrages nach Arbeitskampfmaßnahmen.

Im Jahre 2008 erzielt NXP einen Nettoumsatz von 5,4 Mrd. US-Dollar. NXP ist der zweitgrößte Halbleiterhersteller und der größte Emittent von hochspekulativen Anleihen (Junk Bonds) Europas. Der Sitz ist weiterhin in Eindhoven/Niederlande. Analysten bezweifeln, dass NXP überleben kann. Fragen: 1. Strategieänderungen, wie der Rückzug aus Geschäftsfeldern, werden häufig ohne Bezug zu den daraus folgenden operativen Maßnahmen betrachtet. Was spricht dafür, was dagegen? 2. Werden Veränderungsprozesse durch das Arbeits- und Sozialrecht eher erschwert oder erleichtert? Quelle: IG Metall Stuttgart (Hrsg.): Ein Ära geht zu Ende. Die Zerstörung der Halbleiterfertigung in Böblingen, Stuttgart 2008; Electronic Engineering Times 2008 vom 22.9.2008; Financial Times vom 25.2. 2009; NXP: Company Presentation Juli 2009, www.nxp.com, abgefragt am 10.11.2009.

122

3 Strategien

INSTRUMENTE DER STRATEGIEUMSETZUNG ANWENDEN Kehren wir noch einmal zum Anfang dieses Kapitels zurück: ! Ausgangspunkt der strategischen Planung ist die Strategieentwicklung, zu der, wie gezeigt, die Festlegung der Mission und Vision mit den dazugehörigen Werten sowie die Strategieanalyse gehören. Die Ergebnisse aus den dabei angewandten Instrumenten beeinflussen die Formulierung der Strategie, sowohl bei der Formulierung der Ziele als auch als Vorgaben für Richtungen und Maßnahmen der Strategieentwicklung. Die Strategieformulierung erfolgt auf der Ebene des Gesamtunternehmens und des Geschäftsbereichs jeweils für das Geschäftssystem, das heißt die Ressourcenbasis, das Aktivitätssystem und das Produkt- und Dienstleistungsangebot. ! Daraus abgeleitet werden Funktionalstrategien entwickelt beispielsweise für Marketing, Produktion, Beschaffung, Finanzierung, Personal und Forschung und Entwicklung und sind je nach Geschäftsmodell unterschiedlich. Wenn die Geschäftseinheit eine Differenzierungsstrategie verfolgt, werden die entsprechenden Funktionalstrategien anders aussehen, als bei einer Strategie der Kostenführerschaft. ! Zur operativen Planung gehört die Festlegung der Planungsprämissen durch die zentrale Planungsabteilung. Die Teilpläne werden durch die jeweiligen Einheiten unter Beachtung der Vorgaben erstellt. Aufgabe der Geschäftsführung und der zentralen Planungsabteilung ist es die Teilpläne abzustimmen und die Beschlussfassung über den Gesamtplan herbeizuführen. Die Umsetzung und das Controlling einer neuen Strategie erfordert Anpassungen in der Organisation, vor allem in den Bereichen Führung, Organisationsgestaltung, Personalmanagement und Informationstechnik (vgl. Galbraith & Kazanjian 1986; Daft 2008 und Abb. 3.17): Umwelt Organisation Führung • Überzeugen • Mitarbeiter motivieren • Mitarbeiter beteiligen • Den Wandel gestalten

Strategie

Organisationsgestaltung

Personalmanagement

• Dezentrale und zentrale Strukturen • Teams aufbauen • Prozesse, Projekte und Beteiligung optimieren • Kulturen und Werte beeinflussen

• Mitarbeiter anwerben/auswählen • Mitarbeiter bewerten, entwickeln und vergüten • Personalplanung sozialverträglich gestalten

Informations- und Steuerungssystem • Enterprise Resource Planning Systems • Internet und E-Business • Social Communities • Controlling, Anreizsysteme, Budgetierung

Abb. 3.17

Instrumente der Strategieumsetzung (in Anlehnung an Daft 2010, S. 203)

Leistung

3.1 Geschäftsstrategie

123

! Führung (Leadership) bedeutet Mitarbeiter zu überzeugen und zu motivieren, da organisatorischer Wandel (Change Management) besser umzusetzen ist, wenn Mitarbeiter beteiligt werden (vgl. Kap. 1.3 und 4.7). ! Zur Organisationsgestaltung (Organizational Design) gehören Fragen, wie Prozesse, Projekte und die Beteiligung der Mitarbeiter optimiert werden können, sowie Themen der Zentralisation und Dezentralisation von Strukturen, der Spezialisierung der Arbeit und der Arbeitsbedingungen, welche Aufgaben selbstgesteuert in Teams und Geschäftseinheiten und welche hierarchisch gesteuert werden sollen (vgl. das folgende Kapitel). ! Durch eine Strategieänderung wird ebenso das Personalmanagement (Human Resource Management) in seinen Funktionen beeinflusst. Dazu gehören Funktionen, wie Mitarbeiter anzuwerben und auszuwählen, zu bewerten, zu entwickeln und zu vergüten und die Personalplanung sozialverträglich zu gestalten. ! Schließlich verändern sich auch die Anforderungen an das Informations- und Steuerungssystem (Information Technology and Controlling). Zur Informations- und Kommunikationstechnologie gehören die Möglichkeiten durch das Enterprise Resource Planning System (ERP), etwa von SAP, Prozesse zu modellieren und zu integrieren, das Internet für das Management der Kundenbeziehungen (Customer Relationship Management, CRM) bzw. für Differenzierungs- oder Mass Customization-Strategien zu nutzen und die Kommunikation durch Social Communities (Blogs, Facebook, usw.) zu entwickeln. Die Informationstechnologie (IT) beansprucht inzwischen die Rolle eines Partners für innovative Geschäftsmodelle, ist nicht mehr nur Lieferant oder Versorger, nicht mehr nur Operator, sondern auch Innovator (vgl. Kagermann & Österle 2007; Capgemini 2008; Pohland 2009). Zur Überprüfung des Controllingsystems gehört die Auseinandersetzung mit Themen wie der Balanced Scorecard und der Budgetierung. Dazu im Folgenden nur einige Bemerkungen. Ursprünglich nur als Controllinginstrument konzipiert, gelten die Balanced Scorecard und Strategy Maps nach Kaplan & Norton (2008) inzwischen als geeignete Mittel, um die Ausgewogenheit bei der Zielfestlegung und der Strategieformulierung im strategischen Plan abzubilden und daraus wiederum Funktionalstrategien zur Strategieumsetzung sowie zur Abstimmung der Organisation abzuleiten. Die Abb. 3.18 zeigt, dass die Ergebnisse aus der Anwendung der oben beschriebenen Analyseinstrumente und der strategischen Optionen in einer Strategy-Map abgebildet werden können, die Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge angibt. Weitere Instrumente kommen infrage, wie die Abbildung zeigt. Einige davon, wie die 5-Kräfte-Branchenanalyse, den Resource Based View und die Blue Ocean Strategie haben wir in diesem Kapitel bereits dargestellt, einige wie Social Responsibility und Risikomanagement bereits im zweiten Kapitel angesprochen und einige werden wir in den folgenden Kapiteln darstellen. Auf die Darstellung weiterer Methoden, wie COSO, One-to-One Marketing, Futurization und Ideation verzichten wir hier. In diesem Zusammenhang sind auch Anreizsysteme wie die Managervergütung und Boni zu prüfen (vgl. Kap. 1.4 und 2.4).

124

3 Strategien Financial- and Portfolio-Based Approaches ! BCG growth-share matrix

Risk

! GE matrix

! COSO

! Shareholder value/economic value added

! Enterprise risk management

Positioning/Niches Strategy Map

! Five forces value chain

Financial Perspective

! Core competencies

Customer Perspective

! Scenario planning Productivity/Quality

! Time-driven ABC

Social Responsibility ! Local community

Operations Excellence

Customer Relationship

Innovation

! TQM/Six Sigma ! Reengineering

! Experience cocreation ! One-to-one marketing

! Profit from the core

! Lean manufacturing

Customer Value Proposition ! Blue ocean

! Resource-based view

Learning and Growth Perspective

Social Responsibility

! ISO 14001 ! SOX 404 Innovation ! Open innovation ! Futurization ! Ideation ! Core competencies

Abb. 3.18

Instrumente der Strategieanalyse und die Strategy Map (nach Kaplan & Norton 2008)

Seit den 1990er Jahren wird auch vermehrt vom externen Rechnungswesen gefordert, die aggregierten Finanzkennzahlen in Bilanz und GuV durch nicht-finanzielle und zukunftsorientierte Berichtselemente zu ergänzen. Die Entscheidungsrelevanz des externen Rechnungswesens beruht somit nicht allein auf der Bereitstellung scheinbar neutraler und objektiver Kennzahlen, sondern auch auf mehr Transparenz zu komplexen Zusammenhängen, Stakeholder-Beziehungen und subjektiven Entscheidungsprozessen (vgl. Chahed 2009). Die Unternehmensleistung wird zunehmend nicht mehr allein am wirtschaftlichen Erfolg gemessen, sondern auch an der Erreichung sozialer und ökologischer Ziele (Triple Bottom Line). Ursachen dafür sind, dass insbesondere große Unternehmen als verantwortlich gegenüber der Gesellschaft angesehen werden, dass ihre Attraktivität auf dem Arbeitsmarkt und ihr Markenwert davon abhängen. Um strategische Zielvorgaben für das Nachhaltigkeitsmanagement mit finanziellen Zielen vergleichbar zu machen, wurde der Sustainable-ValueAnsatz entwickelt. Der BMW Group werden danach im Vergleich zur Autobranche hervorragende Ergebnisse bescheinigt (vgl. Barkemeyer et. al 2009). Allerdings gibt es dabei erhebliche methodische Probleme (bei Konsistenz und Vollständigkeit, sowie der Variablenkontrolle, wie der Wertschöpfungstiefe), sodass wir auf eine Darstellung hier verzichten. Nach der Strategieentwicklung und -auswahl geht es, wie gesagt, um die Umsetzung der Strategie, die Abstimmung der Organisation, die Entwicklung von Funktionalstrategien und die Ableitung der operativen Pläne und Budgets. Erst bei der tatsächlichen Umsetzung in der Unternehmenspraxis zeigt sich, ob sich die Planung bewährt. Aufgabe des Controllings ist es, Abweichungen festzustellen und Vorschläge zur Verbesserung der Strategie zu entwickeln. Beispielsweise kann es sein, dass in einer turbulenteren Umwelt die bisherige Form der Budgetierung nicht mehr zweckmäßig ist. Ein Budget ist ein an finanziellen Wertgrößen

3.2 Unternehmensstrategie

125

orientierter Plan, den es für alle Planungsstufen und -fristigkeiten geben kann. In der Praxis dominiert allerdings der kurzfristige Plan mit hoher Verbindlichkeit, das Jahresbudget (vgl. Horváth 2009, S. 200 ff.). Das Budget ist eine Form der dezentralen Steuerung der Organisation, denn die Unternehmensleitung verzichtet auf konkrete Handlungsanweisungen. TopDown oder Bottom-Up werden Budgets, also finanzielle Ziele, mit dem Funktionsbereich, der Abteilung, oder der Stelle erarbeitet und vereinbart. Neben dem bürokratischen Aufwand können sich durch die Budgetierung aber Fehlsteuerungen durch Ausweichreaktionen der Budgetverantwortlichen und die Vernachlässigung des Unternehmensziels ergeben (vgl. Wöhe & Döring 2008, S. 212 f.): ! Budget slack. Vereinbarung ‚komfortabler‘ Budgetvorgaben. ! Budget Wasting. Unsinnige Ausgaben zur Sicherung des bisherigen Budgets (Dezemberfieber). ! Budget-Schere. Notwendige Maßnahmen unterbleiben. ! Number Game. Das ‚Zahlenspiel‘ vernachlässigt langfristige Erfolgspotentiale. ! Budget-Egoismus. Budgetverantwortliche vernachlässigen externe Effekte auf andere Unternehmensbereiche. Weitere Controllinginstrumente wurden deshalb entwickelt, um die Budgetierung zu verbessern oder aber ganz auf die Budgetierung zu verzichten (vgl. Weber & Lindner 2003). Mit Kennzahlen oder der Balanced Scorecard kann die Budgetierung verbessert werden (Better Budgeting). Durch die Segmentierung der Organisation (etwa durch die Bildung von Profitcentern, die untereinander mit Verrechnungspreisen abrechnen, vgl. Kap. 4) kann, wenn die Dynamik des Umfeldes hoch ist, auf Budgetierung auf dieser Ebene verzichtet werden (Beyond Budgeting). Hier zeigt sich erneut die Wirksamkeit der im ersten Kapitel geschilderten Spannung zwischen Intention und Emergenz, zwischen der Planern und Inkrementalisten.

3.2

Unternehmensstrategie

Einstiegsfall: Apple, Bayer und Google – die Rückkehr der Konglomerate? Seit den 1990er Jahren ist die Diversifizierung „Out“ und die Fokussierung auf das Kerngeschäft „In“. Mischkonzerne (Conglomerates) – stark diversifizierte Unternehmen, die in unterschiedlichen Bereichen mit unterschiedlichen Wertschöpfungsketten tätig sind und deren Geschäftsbereiche nicht oder nur wenig verwandt sind – galten als überholt. Schwingt nun das Pendel wieder in Richtung Mischkonzern? Ein traditionelles Beispiel für einen Mischkonzern ist die Oetker-Gruppe. Auf deren Homepage heißt es: „Die Oetker-Gruppe gehört mit über 22.000 Beschäftigten zu den großen, international tätigen Familienunternehmen. Holding der Oetker-Gruppe ist die Dr. August Oetker KG. Aufgrund der dem Risikoausgleich dienenden Diversifikationsstrategie wurden sechs Geschäftsbereiche gebildet, in denen die Unternehmen mit großer Selbst-

126

3 Strategien

ständigkeit die operativen Geschäfte führen. Für die Unternehmen und die Mitarbeiter ergeben sich auch deshalb hervorragende Entwicklungsmöglichkeiten, weil die OetkerGruppe nach dem Grundsatz geführt wird, dass die Interessen der Gruppe Vorrang vor den Interessen der Inhaberfamilie haben.“ Neue Mischkonzerne diversifizieren vor allem in verwandte Branchen. Google beispielsweise betreibt nicht mehr nur eine über Werbung finanzierte Suchmaschine, sondern betätigt sich auch im Bereich des Mobilfunks (mobiles Internet), in der Ökostrombranche und kooperiert mit Softwareherstellern wie Salesforce.com. Software wird in den von Google angebotenen Programmen, genannt „Google Apps“, eingebunden und kann von Kunden online genutzt werden. Microsofts Vormachtstellung bei Bürosoftware wird damit untergraben. Apple wiederum ist nicht mehr allein in seinem bisherigen Kerngeschäft, dem Computer mit dem „Macintosh“-Betriebssystem erfolgreich. Das Unternehmen erweiterte seine Produktpalette um andere Bereiche: Mobiltelefone („iPhone“), Musikspieler („iPod“) und Musikhandel („iTunes Music Store“). Gut aufgestellte Mischkonzerne wie Bayer, Thyssen-Krupp oder auch MAN zeigen, dass durch eine schnelle Integration neu hinzugewonnener Sparten, durch einheitliche und gemeinsame Werte und Ziele, ein Zusammenschluss unterschiedlichster Geschäftsbereiche unter einem Dach erfolgreich sein kann. Je schneller die Integration vollzogen ist desto besser; anderenfalls kann eine Unternehmung nur zu einem losen Verbund historisch gewachsener Einheiten werden, der umso einfacher wieder zerschlagen werden kann. Die klassische Idee des Konglomerats, d.h. diversifizierte Unternehmen mit völlig unterschiedlichen Sparten hat an Bedeutung verloren. Dabei zählten Größe und Risikostreuung. Noch in den 1960er Jahren hatte Harold Geneen, CEO von ITT, den wohl größten Mischkonzern der Geschichte geschaffen: er kaufte über 300 Unternehmen auf, in Branchen wie Versicherungen (u. a. Hartford, Abbey Life), Autovermietungen (Avis Rent A Car), Hotels (Sheraton) Fahrzeugtechnik (KONI) sowie der Satellitenkommunikation und Flüssigkeitstechnik. Nachdem er ITT verlassen hatte wurde allerdings schnell klar, dass ein solch großer Konzern nicht mehr kontrollierbar ist und die Gewinne nicht den Erwartungen entsprachen. Die neue Unternehmensführung entschied sich das Unternehmen wieder auf seine Kernkompetenzen zu beschränken. Wie man am oben genannten Beispiel von Google und Apple sehen kann, konzentriert man sich heute überwiegend auf verwandte Bereiche. Fragen: 1. Sind Google und Apple heute wirklich Mischkonzerne? 2. Was spricht für Produktdiversifikation, was dagegen? 3. Warum werden der verbundenen Diversifikation höhere Erfolgschancen eingeräumt? Quellen: o.V.: Apple, Bayer, Google und die Rückkehr der Konglomerate. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 19.12.2007, S. 14.; o.V.: Bündnis mit Google. Der Softwarehersteller Salesforce.com kooperiert mit der Suchmaschine und attackiert Microsoft. In: Süddeutsche Zeitung Nr. 87 vom 14.04.2008, S. 20; o.V.: Der Mischkonzern ist die richtige Struktur. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 16. März 2009, S. 14; http://www.oetker-gruppe.de.

3.2 Unternehmensstrategie

3.2.1

127

Die Konfiguration des Unternehmens

Vor dem Hintergrund des Grundauftrages (Mission) ist es die Aufgabe der Konzernstrategie die jeweiligen Geschäfte einzuordnen, dementsprechend Ressourcen zuzuteilen, die Zusammenarbeit zu fördern, Geschäfte u.a. durch Unternehmenskäufe aufzubauen oder aber Randbereiche abzustoßen. Aber wie richtet man sich aus?

WACHSTUMSSTRATEGIEN FESTLEGEN Ein Unternehmen hat in Anlehnung an die Produkt-Markt-Matrix von Igor Ansoff (1965) mehrere Möglichkeiten aus einem bestehenden Geschäft heraus zu wachsen. Dabei ist intensives Wachstum, die Erhöhung des Marktanteils durch die bessere Marktdurchdringung eine erste Option (vgl. Feld A in der Abb. 3.19). Maßnahmen der Potenzialentwicklung

Richtung der Markt- und Kompetenzentwicklung Produkte

A Sichern/Ausbauen ! Rückzug ! Konsolidierung ! Marktdurchdringung

B Produktentwicklung ! mit bestehenden ! mit neuen Kompetenzen

intern

Interne Entwicklung

extern

Übernahme und Beteiligung

C Marktentwicklung ! Neue Segmente ! Neue Gebiete ! Neuer Nutzen

D Diversifikation ! mit bestehenden ! mit neuen Kompetenzen

extern

Unternehmenskooperation

Märkte

Bestehend

Neu

Neu

Bestehend

Intern/ extern

Restrukturierung

Verkleinerung Vergrößerung der Unternehmung

Abb. 3.19

Wachstumsrichtungen und Potentialentwicklung des Unternehmens

Darüber hinaus kann das Unternehmen den Umfang (Scope) seiner Aktivitäten erweitern, indem es das Produktspektrum erweitert (Produktentwicklung, Feld B) oder indem es sich in benachbarte Marktsegmente oder Regionen (Marktentwicklung, Feld C) bewegt. Dies kann bis zu einem gewissen Grad in den Grenzen des bisherigen Geschäftes geschehen. Diversifikation liegt vor, wenn das Unternehmen in neue Produkte und Märkte vordringt (Multi-Business Firm) (Feld D). Dabei kann ein Unternehmen vertikal, horizontal oder lateral diversifizieren (vgl. Ansoff 1957). Kommen vorgelagerte Produktionsstufen hinzu, etwa wenn eine Zeitung eine eigene Druckerei aufbaut, so spricht man von vertikaler Diversifikation oder auch Rückwärts-Integration (Backward- or Upstream-Integration). Übernimmt ein Automobilhersteller zuvor selbständige Händler, so ist das eine VorwärtsIntegration (Forward- or Downstream-Integration). In vielen Branchen wird heute mehr Geld mit den entsprechenden Dienstleistungen verdient, als mit Produkten. Unternehmen wie

128

3 Strategien

IBM, Holzmann, Hilti und Nokia wandern in die nachgelagerten Wertstufen: Downstream, „where the real money is.“ (Wise & Baumgartner 1999) Eine horizontale Diversifikation liegt vor, wenn verwandte Geschäfte auf der gleichen Produktionsstufe integriert werden, also wenn etwa, wie im Einstiegsfall angesprochen, Google mit dem Softwarehersteller Salesforce kooperiert. Bei der lateralen oder konglomeraten Diversifikation wächst das Unternehmen außerhalb der bisherigen Branchengrenzen. Ein Beispiel dafür ist die Oetker-Gruppe, die mit rund 24.700 Mitarbeitern und einem Umsatz von 9,2 Milliarden Euro zu den großen europäischen Familienunternehmen gehört. Oetker ist in sechs Geschäftsfeldern von Nahrungsmitteln über die Schifffahrt bis hin zu Bankgeschäften tätig. Seit den 1980er Jahren sind im Zuge der Globalisierung neue Geschäftsmodelle entstanden, wonach Erfolgspotenziale nicht nur im Wachstum in alten und neuen Geschäftsfeldern, sondern auch im Rückzug auf das Kerngeschäft und im Outsourcing gesehen werden (vgl. Müller & Prangenberg 1997). Wachstum kann grundsätzlich intern durch Ausbau bestehender Betriebe oder durch Neuinvestitionen umgesetzt werden, oder aber durch Akquisitionen anderer Unternehmen (Mergers & Acquisitions) bzw. durch Kooperationen. Der Rückzug aus bisherigen Wertschöpfungsstufen und die Verkleinerung des Leistungspotenzials werden durch Restrukturierung umgesetzt. Zwei Fragen sind bei der Konfiguration, die sich bei einem Unternehmen stellt, das in mehreren Geschäftsbereichen tätig ist, besonders relevant (vgl. De Wit & Meyer 2008, S. 297): Erstens: In welchen Geschäften sollte das Unternehmen tätig sein und wie sollte die Wertarchitektur (Corporate Composition) gestaltet werden. Zweitens: Wie soll diese Gruppe von Geschäften geführt werden? Hier geht es um das Management des Gesamtunternehmens (Corporate Management).

WERTARCHITEKTUR PRÜFEN Bei der Architektur des Unternehmens geht es darum in wie vielen Geschäften das Unternehmen tätig sein soll, welche Bedeutung jedes Geschäft haben soll und wie die Geschäfte arrangiert sind. Lassen sich Synergieeffekte aus gemeinsam genutzten Ressourcen (Kernkompetenzen) erzielen? Wie sieht die Architektur der Wertketten aus? Welche Aktivitäten sollen selbst erstellt, welche zugekauft, welche in Kooperation mit Partnern erstellt werden? Schließlich: sind Synergien auch beim Produktangebot zu fördern oder ist die Autonomie und Reaktionsfähigkeit (Responsiveness) der Geschäftsbereiche vorzuziehen? Wie schnell sich in unserer Zeit die Wertarchitekturen (vgl. Abb. 3.20) ändern können, zeigt das Beispiel der Computerindustrie, die Andrew Grove, ehemaliger CEO von Intel, in seinem Buch „Nur die Paranoiden überleben“ (1997) beschreibt. Die Frage Integration oder Desintegration, Kerngeschäft oder Outsourcing wird je nach Wertarchitektur völlig anders beantwortet: ! Integrator. Ford und General Motors verfolgten anfangs die Strategie, bei der Herstellung eines Autos alles selbst zu machen, später dann, in den 1990er Jahren, haben sie die Komponentenfertigung ausgelagert. Noch in den 1980er Jahren beherrschte IBM mit ei-

3.2 Unternehmensstrategie

129

nem Marktanteil von über 70 Prozent als vertikal integrierter Konzern die Weltcomputerindustrie. ! Wertschichtenspezialist. Nur zehn Jahre später hat sich das Blatt gewendet. Nun dominieren bereits Wertschichtenspezialisten wie Intel und Microsoft, zwischen denen zwar eine komplementäre Beziehung besteht, die aber voneinander unabhängig sind. IBM geriet in ernsthafte Schwierigkeiten. Der Grund war, dass IBM die „schwachen Signale“ des Wandels (Igor Ansoff), die aufkommenden Ersatzprodukte für Großrechner unterschätzt hatte. Damit wurde auch das Kerngeschäft in dieser Branche neu definiert. ! Orchestrierer. Nike, Puma und Apple sind beispielsweise so aufgestellt. Das fokale Unternehmen, die Spinne in diesem Netzwerk, produziert nicht selbst, sondern schließt Verträge mit Zulieferern, vorzugsweise in Niedriglohnländern. ! Marktmacher. Ein Beispiel dafür ist der schwedische Möbelkonzern IKEA, der mit seinen Selbstbaumöbeln die Regeln dieses Marktes verändern hat.

Abb. 3.20

Integrator

Schichtenspezialist

Orchestrierer

Marktmacher

Wertarchitekturen (nach Heuskel 1999, passim)

POTENZIALE DES GESAMTUNTERNEHMENS ENTWICKELN Beim Management eines Unternehmens, das aus mehreren Geschäften besteht (MultiBusiness-Enterprise), geht es darum, die damit verbundene Differenzierung der Aufgaben durch einen entsprechenden Grad der Integration zu ergänzen (vgl. Lawrence & Lorsch 1967). Synergien können durch Integration ausgeschöpft werden. Diese wird erreicht durch: ! Zentralisierung. Zusammenführung der Leitung in einer Zentrale. ! Koordinierung. Diese wird notwendig, weil die Ressourcen, Aktivitäten und Produktangebote auf verschiedene Geschäftseinheiten verteilt sind.

130

3 Strategien

! Standardisierung. Wenn ähnliche Ressourcen (Technologien, Menschen), standardisierte Aktivitäten (F&E, HR-Management) und gemeinsame Produkteigenschaften (HighTech-Positionierung) angewendet werden, können Größen- und Lernvorteile genutzt werden. Wenn jede Geschäftseinheit wie ein ‚Unternehmen im Unternehmen‘ nur die eigenen Interessen verfolgt, werden Synergien verschenkt. Gemeinsame Ressourcen (Kernkompetenzen) werden nicht nur nicht genutzt, sondern gefährdet, Aktivitäten werden nicht abgestimmt entwickelt und Vorteile aus einem gemeinsamen Produktangebot nicht wahrgenommen (vgl. Prahalad & Hamel 1991). Deshalb greift die Zentrale durch Rahmenbedingungen steuernd ein und fördert die Kooperation zwischen den Geschäftseinheiten (vgl. Abb. 3.21). Auf der anderen Seite besteht die Gefahr, dass durch übermäßige Integration die Fähigkeit zur flexiblen Reaktion verloren geht. Die Strategieforscher Michael Goold und Andrew Campbell (1994) fanden heraus, dass es bei diesem Corporate Parenting drei Arten gibt, wie die Zentrale steuert ! die finanzielle Steuerung, die den Strategischen Geschäftseinheiten ein hohes Maß an Autonomie lässt; ! die Art der strategischen Planung, bei der die Geschäftseinheiten kaum Spielräume haben; ! die strategische Steuerung, die zwischen den beiden Extremen liegt.

Zentrale

Steuerung SGE A

Kooperation

Steuerung SGE B

Kooperation

SGE C Unternehmen Umfeld

Geschäft A

Abb. 3.21

Geschäft B

Geschäft C

Zentrale und Strategische Geschäftseinheiten (De Wit & Meyer 2008, S. 302)

Welche Art der Steuerung (Control) angewendet wird, hängt davon ab, wie die Gewichte im Spannungsfeld von Synergie und Autonomie, die die Geschäftseinheiten brauchen, gesetzt werden (vgl. dazu das Praxisbeispiel Deutsche Telekom). Symbolisch für Kontrollorientierung kann der Telekommunikationskonzern ITT unter seinem CEO Harold Geneen der 1960er Jahre gelten, für die radikale Dezentralisierung steht der Elektrokonzern Asean Brown Boverie der 1990er Jahre, geführt von Percy Barnevik, der das Unternehmen in 1.200

3.2 Unternehmensstrategie

131

Profitcenter zergliedert hatte (vgl. dazu Kap. 4). Bei der Wahl zwischen schwerfälligem Zentralismus und rücksichtslosem Bereichsegoismus, kann es den Entscheidern ähnlich gehen wie dem Seefahrer Odysseus, der sich in der Meeresenge von Messina den verlockenden Seeungeheuern Scylla und Charybdis ausgesetzt sah.

Praxisbeispiel: Synergie oder Autonomie bei der Deutschen Telekom Die neuere Geschichte der Deutschen Telekom lässt sich nach ihren Vorsitzenden ordnen. Zu Beginn der Ära des Vorstandsvorsitzenden Ron Sommer ab 1995 stand im November 1996 der Börsengang der Telekom, des ehemaligen Staatsunternehmens. Ziel war es, den Geschäftsbereichen mehr Handlungsfreiheit zu geben. Einzelne Geschäftsfelder wurden ausgegründet, mit dem Ziel sie im Rahmen der sogenannten Vier-Säulen-Strategie (TCom, T-Mobile, T-Online und T-Systems) jeweils als eigenständige AG an die Börse zu bringen. Umgesetzt wurde dies jedoch nur für die T-Online. Der Aktienkurs verfiel. Im November 2002 übernahm Kai-Uwe Ricke den Telekom-Vorstandsvorsitz. Die Autonomie der Geschäftsbereiche wurde verringert. Im April 2005 revidierte Ricke die VierSäulen-Strategie, indem er die erst vor viereinhalb Jahren an die Börse gebrachten 20,4 Prozent Anteile der T-Online wieder zurückkaufte. So sollte die konzerninterne Konkurrenz zwischen T-Online und den DSL-Anschlüssen der T-Com verringert und der Konzern eher an den Bedürfnissen der Kunden ausgerichtet werden. 50.000 Stellen werden abgebaut, ab 2005 noch einmal 30.000 Stellen. Als neuer Telekom-Vorstandsvorsitzender trat am 13. November 2006 René Obermann an. Als Schwerpunkte kündigte er die Verbesserung des Service und eine stärkere Verzahnung der Sparten Festnetz und Mobilfunk an. Sein Sanierungsplan führte im Frühjahr 2007 zu einem massiven Tarifkonflikt bei der Deutschen Telekom, in dessen Folge über 50.000 Mitarbeiter ab dem 1. Juli 2007 in die Tochtergesellschaft T-Service ausgegliedert wurden. In Ergänzung des Sanierungsplanes führte Obermann im selben Monat einen Billigableger unter dem Namen Congstar ein und übernahm den Vertrieb des iPhones, um die Marke Telekom neu zu positionieren. Fragen. 1. Wie hat sich die Art der Steuerung im Laufe der Zeit verändert? 2. Warum? Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Telekom; abgefragt am 20.11.2009.

132

3.2.2

3 Strategien

Portfolio-Organisation oder integrierte Organisation?

Entscheidungen auf der Ebene des Gesamtunternehmens werden geprägt durch das Spannungsfeld von Reaktionsfähigkeit (Autonomie) und Synergie (vgl. De Wit & Meyer 2008).

SYNERGIEN NUTZEN Synergie entsteht aus der Verwandtschaft (Relatedness) zwischen Strategischen Geschäftsbereichen. Die bekannteste Aussage dazu stammt von Richard P. Rumelt (1974, S. 29): „Geschäfte sind verwandt, wenn sie gemeinsame Fähigkeiten, Ressourcen, Märkte und Zielsetzungen aufweisen.“ Für das Geschäftssystems können drei Quellen von Synergien unterschieden werden (vgl. Abb. 3.22): Nutzung gemeinsamer Ressourcen, Abstimmung der Positionen beim Produktangebot und Integration der Wertkette: ! Nutzung gemeinsamer Ressourcen. Synergien entstehen aus der Nutzung gemeinsamer Ressourcen durch Übertragung oder Verteilung zwischen den Geschäftseinheiten. Materielle Ressourcen, wie Geld, lassen sich leichter übertragen als immaterielle Ressourcen, wie Wissen und Fähigkeiten. Nachwuchsprodukte können durch reife Produkte finanziert werden. Aus gemeinsamen Kernkompetenzen und Kernprodukten entstehen, wie das Canon-Praxisbeispiel gezeigt hat, Endprodukte für unterschiedliche Märkte. Immaterielle Ressourcen, wie Software, können ohne weiteren Aufwand vervielfacht werden, Geld legal nicht. ! Abstimmung der Positionen beim Produktangebot. Synergien durch Verwandtschaft entstehen auch auf der Ebene des Produktangebotes, wenn die Positionierung am Markt abgestimmt wird. Die Verhandlungsmacht gegenüber den Käufern wird gestärkt, wenn verbundene Produkte angeboten werden, die sich ergänzen und zu einer gemeinsamen Marke mit einer dazugehörigen Reputation gehören. So hat der Einstiegsfall am Anfang dieses Kapitals gezeigt, dass es zu aktuellen „Sony Group Corporate Strategy 2008-2010“ die Integration der Geschäftsbereiche gehört. Ziel ist es, das Unternehmen zum führenden globalen Anbieter von „Networked Consumer Electronics and Entertainment“ zu machen, ‚Zuhause‘ und Sony sollen untrennbar miteinander verbunden werden. ! Integration der Wertkette. Geschäftseinheiten sind verwandt, wenn die Integration ihrer Wertketten effizienter und/oder effektiver ist, als wenn sie getrennt wären. Die Integration kann horizontal durch die Verbindung gemeinsamer Aktivitäten oder vertikal durch die Verbindung aufeinanderfolgender Wertschöpfungsaktivitäten erfolgen. So teilen sich Geschäftseinheiten wertschöpfenden Aktivitäten in den Bereichen Beschaffung, Produktion oder Marketing. Shared Services sind den letzten Jahren vermehrt im Bereich Gebäudeinstandhaltung (Facility Management), Personal, Finanzierung und Unternehmenskommunikation eingerichtet worden, häufig auch als Zentralbereich. Synergien aus vertikalen Lieferanten-Abnehmer-Beziehungen entstehen aus verschiedenen Gründen: aus technischer Verbundenheit (Beispiel: Eisenhütte/Stahlwerk), weil Transaktionskosten bei hoher Spezifität der Komponenten vermieden werden können (Beispiel: Antriebe bei einem Sportwagenhersteller) oder weil Lernvorteile genutzt und Wissensabfluss vermieden werden.

3.2 Unternehmensstrategie

133

Zentrale Märkte

Märkte SGE A

Produktangebot

Abstimmung der Positionen

Produktangebot

Aktivitätssystem

Integration der Wertkette

Aktivitätssystem

Ressourcenbasis

Nutzung gem. Ressourcen

Ressourcenbasis

Außen – Innen – Perspektive

Innen – Außen – Perspektive

Abb. 3.22

SGE B

Synergie der Geschäftsbereiche nutzen (nach De Wit & Meyer 2008, S. 304)

Viele Untersuchungen zeigen, dass verwandt diversifizierte Unternehmen (Related Diversifiers) erfolgreicher sind als nicht-verwandt diversifizierte Unternehmen (Unrelated Diversifiers). Neben den genannten Synergien gehören zu den Motiven einer Diversifikation auch der Risikoausgleich, die Nutzung überschüssiger firmenspezifischer Vermögenswerte sowie die Nutzung der Vorteile des internen Kapitalmarktes (vgl. Rumelt 1982; Markides 1995; Palich et al. 2000; Resch 2005; Scheel 2009). Aufgrund dieser weiteren Diversifikationsziele, können auch konglomerat diversifizierte Unternehmen überaus erfolgreich sein. In diesem Zusammenhang lässt sich eine Analogie zur Biologie herstellen. In der Natur hat die Population die höchsten Überlebenschancen, die den größten Genpool besitzt, da sie sich am flexibelsten an die neuen Gegebenheiten anpassen kann. Überträgt man dies auf die Wirtschaft, könnte man behaupten, dass diejenigen Unternehmen überleben, die viele verschiedene Arten von Produkten oder Dienstleistungen anbieten, also den größten Genpool haben. Daraus ließe sich schlussfolgern, dass stark diversifizierte Unternehmen auf Grund ihres großen „Genpools“ überlebensfähiger sind.

REAKTIONSFÄHIGKEIT ENTWICKELN Die Kehrseite der Synergie ist der Verlust von Autonomie und damit Reaktions- und Anpassungsfähigkeit (Business Responsiveness). Die Verbundenheit der Geschäftseinheiten eines Unternehmens beschränkt zugleich die Möglichkeit schnell und angemessen auf Veränderungen des Wettbewerbsumfeldes zu reagieren. Zu den Hauptproblemen gehören: ! Hoher Verwaltungsaufwand und langsamere Entscheidungen. Die Abstimmung zwischen den Geschäftseinheiten ist kosten- und zeitaufwändig. ! Strategien sind nicht vereinbar. Die Anpassung der Geschäftseinheiten an die Unternehmensstrategie führt zu Kompromissen, wodurch Geschäftsanforderungen weniger erfüllt werden.

134

3 Strategien

! Fehlsteuerung und Entmutigung. Weil die Zentrale das Geschäft nicht so kennt wie die Geschäftseinheit kommt es zur Fehlsteuerung. Innovation und Unternehmergeist werden durch zentrale Regelungen erstickt. Welche Handlungsmöglichkeiten bestehen, um mit diesem Spannungsfeld von Synergie und Autonomie umzugehen, um das Unternehmen einerseits als Ganzes zu sehen aber zugleich seine Teile zu respektieren? In der Managementliteratur finden sich dazu zwei völlig gegensätzliche Positionen. Die eine geht davon aus, dass ein Unternehmen am besten als Portfolio von autonomen Geschäftseinheiten betrachtet werden sollte, an der die Zentrale finanzielle Beteiligungen hält und die deshalb finanziell gesteuert werden sollten. Am anderen Ende des Spektrums dominiert die Perspektive, dass Unternehmen eng integriert sein sollten, mit einem starken zentralen Kern von gemeinsamen Ressourcen, Aktivitäten und Produktangeboten (vgl. Abb. 3.23). Portfolio-Organisation versus Integrierte Organisation: Die Relevanz dieser gegensätzlichen Perspektiven lässt sich an drei Themen in den folgenden Unterkapiteln demonstrieren: Kontinuierliche Veränderung oder schöpferische Zerstörung? Diversifikation oder Kerngeschäft? Strategische Partner oder Marktbeziehungen? Portfolio-Perspektive

Integrierte Perspektive

Betonung auf

Autonomie vor Synergie

Synergie vor Autonomie

Unternehmenskonzept

Gemisch von Geschäftsbeteiligungen

Gemeinsame Kernkompetenzen

Unternehmenskomposition

Potentiell unverbunden (verschieden)

Eng verbunden (fokussiert)

Schlüsselerfolgsfaktor

Autonomie der Geschäftsbereiche

Synergie zwischen Geschäftsbereichen

Synergien durch

Cashflow-Optimierung und Risikostreuung

Integration von Ressourcen, Aktivitäten und Positionen

Managementmodell

Externe finanzielle Steuerung

Gemeinsame Strategieentwicklung

Erste Aufgabe der Zentrale

Budgetverteilung und Leistungskontrolle

Richtung festlegen und Synergien realisieren

Position der Geschäftsbereiche

Geschäftsbereiche sind unabhängig

Geschäftsbereiche sind wechselseitig abhängig

Koordination zw. den Geschäftsbereichen

Gering, gelegentlich

Hoch, strukturell

Wachstum durch Übernahmen

Übernahmen leicht zu handhaben

Übernahmen schwer zu integrieren

Abb. 3.23

Portfolio- versus Integrationsperspektive (nach De Wit & Meyer 2008, S. 316)

3.2 Unternehmensstrategie

3.2.3

135

Kontinuität oder schöpferische Zerstörung?

Jedes Unternehmen verfolgt eine bestimmte Mission, einen Zweck, der sich im Zeitablauf ändert. So hat sich die Preussag aus dem Bergbau und Stahl heraus zum führenden europäischen Touristikanbieter TUI gewandelt. Mannesmann, früher bekannter Röhrenhersteller, galt lange als Beispiel erfolgreicher Diversifizierung – inzwischen ist der Konzern nach der feindlichen Übernahme durch Vodafone Airtouche plc. ‚gekauft und zerlegt‘. Vodafone wollte nur die Sparte Telekommunikation und trennte sich von allen traditionellen Geschäftsfeldern. Die Stahlröhren gingen an die Salzgitter AG, die damit zum Weltmarktführer aufgestiegen ist, die Autozulieferteile an Siemens, die Uhren an die Richemont AG, den zweitstärksten Uhrenanbieter weltweit. Was ist also richtig, Kontinuität durch Anpassung an veränderte Verhältnisse oder die völlige Restrukturierung des Unternehmens? Wir haben eingangs, im Kapitel 2.4.1 die Untersuchung „Built to Last“ von Collins & Porras angesprochen, wonach Unternehmen, die langfristig an ihrer Vision, ihren grundlegenden Werten und Zwecken, festhalten, aber ihre Geschäftsstrategien und -praktiken beständig an eine sich verändernde Welt anpassen, erfolgreicher sind. Visionäre und auf Kontinuität angelegte Unternehmen schaffen nach dieser Untersuchung für den Zeitraum 19871994 in den USA mehr Unternehmenswert und Arbeitsplätze als gewöhnliche Unternehmen. Nun kann man sich heute, nach Jahren der Shareholder-Value-Bewegung, des Business Reengineerings, Downsizings und Outsourcings, neuer Wertarchitekturen und anderer Managementkonzepte mit Recht die Frage stellen, ob dieser Zusammenhang noch zutrifft. Kritiker wie Foster & Kaplan von McKinsey (2001) gehen davon aus, dass Unternehmen ihr Portfolio an Beteiligungen wie eine Finanzholding verwalten und auf längerfristige Visionen verzichten sollten. Auch Private-Equity-Gesellschaften kaufen Unternehmen nur, um sie wieder zu verkaufen. Manche Unternehmen, wie die Preussag, haben ihren Zweck gänzlich geändert. Weiter wird darauf verwiesen, dass so manche Vision gescheitert ist, wie die damals von Edzard Reuter, Daimler Benz in einen ‚integrierten Technologiekonzern’ zu verwandeln. Unternehmen müssten sich den Kräften der „Creative Destruction“, der „schöpferischen Zerstörung“ durch die Marktkräfte stellen. Offenbar bestehen Spielräume darin, sich mehr für die Portfolio-Perspektive oder die integrierte Organisation zu entscheiden (vgl. Praxisbeispiel Merck).

Praxisbeispiel: Merck – lieber zur Entwicklung als zum Umsturz aufrufen Karl-Ludwig Kley hat wenige Veränderungen an dem gestylten Büro des Merck Vorstandschefs vorgenommen, als er es im April übernahm. Aber er hat sein liebstes Stück hinter dem Schreibtisch platziert: Es ist ein großes gerahmtes Exemplar chinesischer Kalligraphie und zeigt Lao Tzus Rat an Angreifer: „Klopfe auf das Gras um die Schlange aufzuschrecken.“ Herr Kley ist bemüht, nach einer Zeit beachtlicher und turbulenter Veränderungen, Konflikte im Pharmaunternehmen Merck zu vermeiden. Kley weist auf die Präsentation eines Briefings hin, dass er diese Woche der Belegschaft des globalen Unternehmens Merck geben wird. Es hebt die ereignisreichen letzten beiden Jahre der 339 Jahre langen Geschichte des Unternehmens hervor. Diese zwei Jahre waren von dem Abgang

136

3 Strategien

seiner zwei Vorgänger in rasanter Aufeinanderfolge, einer beispiellosen, aber gescheiterten feindlichen Übernahmeofferte, einer Übernahme und einem Unternehmensverkauf geprägt. Seine Botschaft an die Belegschaft wird „Evolution, nicht Revolution“ sein und er wird sein Engagement für Organisation in ihrer gegenwärtigen Form hervorheben, sowie die Notwendigkeit, vor allem aus den vorhandenen Stärken Nutzen zu ziehen, betonen. Die Restrukturierung nach dem Kauf von Serono, einem Schweizer Biotechnikunternehmen, im letzten Jahr funktioniert gut, sagt er. „Wir machten eine gründliche Analyse. Wir liegen im Budget. Die Integration geht schneller voran als irgendjemand erwartet hätte und wird am 30. September beendet sein.“ Herr Kley sagt, dass er es nicht bedauert, Mercks Generikaabteilung letztes Jahr verkauft zu haben. „Wir hätten eine beachtliche Menge Geld investieren müssen, um unsere Pläne erreichen zu können. Die Frage ist wohin man seine Ressourcen investieren soll?“ „Das Unternehmen muss jetzt seine Pipeline erweitern und aufmöbeln, “ sagt er und verweist auf künftige Lizenz- und Eigenkapitalgeschäfte, die Mercks medizinischen Kernaktivitäten helfen sollen. Es gibt Handlungsspielraum bei Förderprojekten, die von „großen Pharmaherstellern“ als zu klein bewertet werden. „Oft spielt die Pharmaindustrie Zahlenspiele und investiert in ein Produkt nur wenn sie glaubt, dass es ein 1-Milliarden-Dollar-Blockbuster wird. Wir glauben man sollte glücklich sein wenn man ein neues Molekül auf den Markt bringt, das die therapeutischen Anforderungen erfüllt.“ Trotz des fortgesetzten Trends weg von Mischkonzernen gibt Kley die Bewahrung der diversifizierten Aktivitäten von Merck, die Spezialchemie und Flüssigkristalle beinhaltet, nicht auf. Das hat weniger mit Synergien, als vielmehr mit stabilen Erträgen für die kontrollierende Merck-Familie zu tun. Durch die Treuhandgesellschaft E. Merck hält die Familie 70 Prozent des Unternehmens. Der Restbestand ist börsennotiert und trat erst kürzlich dem DAX bei. „Der Eigentümer hat immer das letzte Wort bei der Strategie“, sagt Herr Kley. „Jemand der das nicht mag, sollte nicht bei Merck arbeiten.“ Er glaubt nicht, dass es ein „richtig oder falsch“ zu Diversifikation oder Fokussierung gibt. „Das hängt sehr stark vom Markt ab. Ich habe selten Investoren gehört, die sich über die Struktur von GE beschwert hätten. Es kommt auf das Ergebnis an.“ Die inhabergeführte Struktur hat ihre Vorteile sagt Kley. „Wir haben normale Grenzen, wie sie auch der Vorstand in jeder anderen Firma hat. Der Vorstand denkt sich eine Strategie aus und möchte diese umsetzen.“ Aber die Familie übt die Kontrolle mit mehr Intensität als in einer Aktiengesellschaft aus. „Wir haben das Beste aus zwei Welten: wir werden wie eine Aktiengesellschaft geführt, aber wie ein Familienunternehmen kontrolliert.“ Es wird weitere gezielte Übernahmen, besonders im Bereich Verbrauchergesundheit und Chemikalien geben. „Ich glaube an die kritische Masse. Ich glaube nicht an Größe, die als solche maßgeblich ist. Sie brauchen eine kritische Größe, um nachhaltige Finanzmittel für die Entwicklung und um wettbewerbsfähige Gehälter zahlen zu können.“ Es wäre „großartig“ sagt er, wenn der Umsatz im Jahre 2010 die 10 Milliarden Euro Grenze überschreiten würde. (Im Jahre 2006 waren es 7 Milliarden Euro, d. Verf.). „Sie können von uns erwarten dass wir uns nach weiteren Möglichkeiten umsehen werden und mit kreativen Ideen kommen werden. Geschäfte sollten immer wertsteigernd sein und strategisch gesehen Sinn ergeben. Wenn sie wichtig sind, werden wir nicht davon zurückweichen. Unser Fokus ist

3.2 Unternehmensstrategie

137

das profitable Wachstum. Geschäfte gehören dazu, nicht anders herum. “ Momentan ist er zurückhaltend, was die Ausdehnung in die Vereinigten Staaten und Japan angeht, wo das Unternehmen unterrepräsentiert ist. „Das ist kurz- bzw. mittelfristig unrealistisch.“ Kley wird einen Bogen um große Unternehmensveränderungen in den kommenden Monaten machen, denn sogar die Kleinen werden ihre Zeit brauchen. Er sieht kaum Möglichkeiten sein Vorstandsbüro zu erneuern. „Das wird etwas für meinen Nachfolger sein.“ Fragen: 1. Wie würden Sie die neue strategische Orientierung von Merck beschreiben? Warum? 2. Was war der Grund für die neue strategische Orientierung? 3. Beschreiben Sie die Größenordnung der strategischen Erneuerung sowie den Rahmen des Wandels und den Umfang des organisatorischen Wandels. 4. Glauben Sie, dass die Familie die neue strategische Orientierung beeinflusste? Warum? 5. Wie ist die Entwicklung bei Merck aus heutiger Sicht verlaufen? Quelle: Wiesmann, G. & Jack, A.: Prescribing evolution rather than revolution. In: Financial Times vom 19.09.2007.

3.2.4

Diversifikation oder Kerngeschäft?

Noch in den 1970er Jahren war die Diversifikation der Trend, ab den 1990er Jahren setzte im Zuge der Globalisierung die Gegenbewegung ein: die Konzentration auf das Kerngeschäft. In beiden Fällen geht es um die Verwendung von Ressourcen, wenngleich mit unterschiedlicher Ausrichtung. Deshalb wird zunächst geprüft, ob die Portfolio-Analyse, eine in der Managementliteratur seit langem beliebte Methode zur Zuweisung von Ressourcen an Strategische Geschäftseinheiten (SGE), zur Bewertung geeignet ist.

RESSOURCENZUWEISUNG ÜBERPRÜFEN Ausgangspunkt der Portfolio-Analyse der Boston Consulting Group (BCG), einem weltweit führenden Beratungsunternehmen, ist die Überlegung, dass jedes Produkt einen Lebenszyklus durchläuft. In der Entstehungsphase sind Alternativen zu entwickeln und zu bewerten, dann wird in Forschung & Entwicklung investiert und schließlich werden die Produktion und der Absatz vorbereitet (vgl. Abb. 3.24). Der Marktzyklus beginnt mit der Markteinführung, läuft dann über Marktdurchdringung und -sättigung bis hin zu Marktdegeneration. Über den gesamten Lebenszyklus werden Kosten angesammelt (Cash-Out), die, wenn es gut läuft, durch kumulierte Umsatzerlöse (Cash-In) mehr als übertroffen werden. Der Schnittpunkt beider Kurven heißt Gewinnschwelle (Break-Even-Point). Nachwuchsprodukte schreiben danach rote Zahlen, können aber durch reife Produkte, die die Gewinnschwelle überschritten haben, finanziert werden.

138

3 Strategien

Umsätze (Einzahlungen) und kumulierte Kosten (Auszahlungen)

kumulierte Umsätze

alternative Verläufe kumulierte Kosten Umsätze

Suche alternativer ProblemLösungsideen

Alternativenbewertung und Auswahl

Zeit Forschung

Entwicklung

Produktionsund Absatzvorbereitung

Entstehungszyklus

Markteinführung

Marktdurchdringung

Marktsättigung

Marktdegeneration

Marktzyklus bzw. Marktperiode Lebenszyklus

Abb. 3.24

Lebenszyklus eines Produktes

Die Produkte der SGEs werden nun in eine Marktwachstum-Marktanteil-Matrix eingetragen (Hedley 1977 und Abb. 3.25). Die vertikale Achse zeigt das Marktwachstum in den jeweiligen Märkten, in denen sie tätig sind. Die Skala reicht von 0 - 22 Prozent, ein Marktwachstum von über 10 Prozent gilt als hoch. Die horizontale Achse zeigt den relativen Marktanteil der SGE, d.h. den eigenen Marktanteil im Verhältnis zum größten Konkurrenten im relevanten Segment. Sehr niedrig ist ein relativer Marktanteil von 0,1, d.h. der Umsatz der SGE beträgt nur 10 Prozent des Umsatzes des Marktführers. Als maximal wird ein Wert von 10 angesetzt, während ein Wert von 1 entsteht, wenn der Umsatz genauso hoch wie der des Marktführers ist. Das Praxisbeispiel Z AG illustriert wie ein Portfolio ausgefüllt aussieht, wobei die Kreisflächen den Anteil am Gesamtumsatz anzeigen. Entsprechend den Feldern der Matrix werden vier Typen von SGE unterschieden (vgl. Abb. 3.25): ! Nachwuchs-Produkte (Question Marks). Nachwuchsprodukte in Wachstumsmärkten, in denen sich der Marktführer bereits etabliert hat. Deshalb ist der Marktanteil noch gering, es besteht Finanzierungsbedarf und es ist nicht sicher, ob die Produkte Erfolg haben werden. ! Star-Produkte (Stars). Aus einem Nachwuchsprodukt ist ein „Star“, ein Marktführer in einem Wachstumsmarkt geworden. Hier werden bereits erste Gewinne erzielt. ! Cash-Produkte (Cash Cows). Wenn die Wachstumsrate unter 10 Prozent sinkt, verfügen die Geschäftseinheiten über Cash-Produkte. Erweiterungsinvestitionen sind nicht mehr notwendig und Größenvorteile können aus der Führungsposition am Markt realisiert werden. Aus den Überschüssen können die anderen SGEs unterstützt werden. Im

3.2 Unternehmensstrategie

139

hoch

Praxisbespiel Z AG gibt es nur einen „Star“ und zwei „Milchkühe“ mit wenig Umsatzanteil. Das Portfolio ist nicht ausgewogen und es besteht externer Finanzierungsbedarf. ! Auslauf-Produkte (Poor Dogs). Auslaufprodukte mit geringem Marktanteil in stagnierenden Märkten. Diese SGE ist gefährdet geschlossen oder verkauft zu werden.

Nachwuchsprodukte (Question Marks)

Star-Produkte (Stars)

Innovator

Marktwachstum

Imitator

Cash-Produkte (Cash Cows)

niedrig

Auslaufprodukte (Poor Dogs)

niedrig

Relativer Marktanteil

hoch

Lebenszyklus eines Produktes

Abb. 3.25

Portfolioanalyse der Boston-Consulting Group (nach Hedley 1977, verändert)

Praxisbeispiel: Z AG – über Cash Cows und Poor Dogs Wie die Portfolioanalyse angewendet wird illustriert das folgende Beispiel: Die Z AG ist ein (fiktives) Zulieferunternehmen mit drei Betrieben. Hergestellt werden Bauteile für mechatronische Regelungssysteme. Die Produkte, wie Pumpen und ähnliches, basieren auf unterschiedlichen Prinzipien: Elektro, Luftdruck, Öldruck und Mechanik. Beliefert werden industrielle Kunden vor allem aus den Branchen Automobil, Schienenfahrzeuge, Hausgeräte und Flugzeuge. Im Geschäftsjahr werden 200 Millionen Umsatz mit insgesamt 1.550 Arbeitnehmern im Inland erzielt. ! Im Betrieb Bremen, dem Firmensitz und dem Hauptwerk des Unternehmens werden die Produkte a und b produziert. Im Betrieb Bremen werden einschließlich Verwaltung und Vertrieb 1.030 Arbeitnehmer beschäftigt. ! Im Betrieb Köln werden die Produkte e und f für die Hausgeräteindustrie produziert. Der Personalstand liegt bei 270 Arbeitnehmern.

140

3 Strategien

! Der dritte Betrieb liegt in Münster und beschäftigt 250 Arbeitnehmer. Hier werden die Produkte c und d hergestellt. ! Darüber hinaus gibt es bisher Vertriebsniederlassungen in Frankreich, Italien und Spanien. Hauptinstrument der strategischen Planung ist eine Analyse mit dem BCG-Portfolio. Dieses ergibt, dass das Hauptgeschäft der Z AG zwar auf einen attraktiven Markt trifft, dass aber die Wettbewerbsposition der Z AG unzureichend ausgeprägt ist (vgl. Abb. 3.26). Daraus leitet der Vorstand der Z AG einen akuten strategischen Entscheidungsbedarf ab, um sich eindeutig im Markt- und Wettbewerbsumfeld zu positionieren und eine Fehlallokation der Ressourcen zu vermeiden.

?

Marktwachstum

hoch

3,9% 1

*

6,5%

Selektieren!

50,1%

4 3%

2

Verbesserung Lieferservice!!!

8

5 3,2%

9

3

1: a – Automobilbranche 2: b – Automobilbranche 3: c – Automobilbranche 4: a – Schienenfahrzeugbranche 5: b – Schienenfahrzeugbranche 6: e – Hausgerätebranche 7: f – Hausgerätebranche 8: a – Luft-(Flugzeug)branche 9: d – Luft-(Flugzeug)branche

5,7%

mittel 3,8%

Cashflow 8,4% 6 5,3%

gering 7 schlechter

gleich

!

Kreisgröße repräsentiert Anteil am Umsatz

besser

Relative Marktposition

Abb. 3.26

BCG-Portfolio der Z AG

Fragen: 1. Wie bewerten Sie das Portfolio der Z AG? Welche Normstrategien leiten Sie daraus ab? 2. Welche Vorteile und welche Nachteile hat das BCG-Portfolio als Planungsinstrument? 3. Welche Konsequenzen sind für die Standorte zu erwarten? Die Vorteile dieser und anderer Portfoliomethoden bestehen darin, dass sie dazu beitragen, dass Manager zukunfts- und strategieorientiert denken und die Entscheidungsgrundlagen verbessert werden. Aber sie sollten auch mit Vorsicht betrachtet werden. Der Reiz des Portfolios liegt darin, dass beide Dimensionen der SWOT-Analyse in nur einer Grafik abgebildet sind. Die vertikale Achse, das Marktwachstum, steht für Chancen aus dynamisch wachsenden Märkten. Die horizontale Achse, der relative Marktanteil, indiziert die Stärke der Geschäftseinheit. Ein hoher Marktanteil, bedeutet eine hohe Menge, eine hohe Menge hat Größen- und Lernvorteile und niedrige Stückkosten zur Folge und damit steigt der Gewinn.

3.2 Unternehmensstrategie

141

Dieser Zusammenhang wurde von der Boston Consulting Group in empirischen Untersuchungen als Erfahrungskurve festgehalten. Mit jeder Verdoppelung der kumulierten Produktionsmenge (der Erfahrung) einer Produktart sinken deren Stückkosten um 20 bis 30 Prozent. Allerdings ist das Konzept der Erfahrungskurve vielfach kritisiert worden (vgl. Steinmann & Schreyögg 2005, S. 225 f.). Empirisch sind auch andere Kostenverläufe feststellbar. Jenseits einer mindestoptimalen-technischen Betriebsgröße sinken die Stückkosten nicht mehr, sondern steigen sogar. Technologische Sprünge begründen eine neue Erfahrungskurve. Das „Gesetz der Massenproduktion“ geht von falschen Annahmen aus (so bereits Gutenberg 1951, 1983). Weitreichender ist die Kritik an der Portfolioperspektive des BCG-Modells: Die Analyse erfolgt aus Marktsicht, darüber hinaus werden Synergien, strategisches Lernen und sich herausbildende Strategien nicht betrachtet (vgl. Praxisbeispiel Honda). Synergien sind kein Thema bei der BCG-Analyse, weder bei der Nutzung gemeinsamer Ressourcen, noch bei der Integration der Wertketten, oder bei der Abstimmung des Produktangebotes. Die einzige Ressource, die hier verteilt wird, ist Geld zur Querfinanzierung. Weitere geteilte materielle und immaterielle Ressourcen werden ebenso nicht analysiert. Auf die Frage Diversifikation oder Kerngeschäft gibt das BCG-Portfolio keine hinreichende Antwort.

Praxisbeispiel: Honda – Theorie und Praxis Henry Mintzberg ordnet in seinem Buch „Die Strategiesafari“ das BCG-Portfolio einer der von ihm ausgemachten rund dutzend Strategieschulen zu, der Positionierungsschule. Diese „richtet ihre Aufmerksamkeit ausschließlich auf generische Strategien, auf etablierte Branchen, auf bereits gebildete Gruppen und auf harte Daten. Wenn man nur etablierte Kategorien studiert, hemmt man die Schaffung neuer. Die BCG hätte Honda in die Kategorie armer Hund einordnen müssen, als das Unternehmen 1959 in den amerikanischen Motoradmarkt eintrat. Der Markt war bereits definiert – große Maschinen für harte Burschen in schwarzem Leder – und Honda ein unbedeutender Player. Die Japaner hätten sich fernhalten müssen. Aber indem Honda unter anderem einen neuen Markt für kleine Motorräder schuf, die von Durchschnittsbürgern gefahren wurden, wurde der arme Hund zum leuchtenden Stern: Er sicherte sich einen gewaltigen Anteil des neuen Wachstumsgeschäftes, das er selbst geschaffen hatte.“ Richard Rumelt, Strategieprofessor wie Mintzberg, berichtet, wie er selbst hat lernen müssen, dass Ansätze der Positionierungsschule irreleiten können: „1977 stellte ich in der MBA-Abschlussprüfung folgende Frage zum Fall des Honda Motorrads: ‚Soll Honda ins globale Autogeschäft einsteigen?‘ Es war eine ‚geschenkte‘ Frage. Jeder, der mit ‚Ja‘ antwortete, fiel durch. ! ! ! !

Die Märkte waren gesättigt. In Japan, in den USA in Europa gab es effiziente Konkurrenten. Honda hatte wenig oder überhaupt keine Erfahrung auf dem Automobilsektor. Honda verfügte über kein Auto-Vertriebssystem.

142

3 Strategien

1985 fuhr meine Frau einen Honda.“ Fragen: 1. Was spricht für, was gegen die Anwendung des BCG-Portfolios? 2. Können Sie andere Beispiele zur Kritik anführen? Quelle: Mintzberg, H., Ahlstrand, B. & Lampel, J.: Strategy Safari. Eine Reise durch die Wildnis des strategischen Managements. Wien 1999.

WACHSTUM DURCH KERNKOMPETENZEN ANSTREBEN Was ist das eigentlich, das Kerngeschäft? Alles was mehr als x Prozent Rendite bringt? Oder sind es Nachwuchsprodukte, die später zu Gewinnbringern werden? Oder Bereiche, in denen man Marktführer ist? Sind es Kernprodukte, die aus Kompetenzen und dynamischen Fähigkeiten (Capabilities) entstehen? Sollten Mischkonzerne generell zerschlagen werden, wenn ein gemeinsamer Kern nicht zu entdecken ist? Oder sollten Unternehmen nur das Portfolio aus Rendite und Risiko optimieren und wie Beteiligungsunternehmen handeln, die Geschäftsbereiche mit der Absicht kaufen, um sie zu verkaufen? Unstrittig ist, dass man unter dem “Kerngeschäft” das Wesentliche versteht, das den Erfolg eines Unternehmens ausmacht. Doch dann fangen die Schwierigkeiten an (vgl. Praxisbeispiel Hoechst). Angenommen zum Kerngeschäft werden die Geschäftseinheiten gerechnet, die Gewinne abwerfen. Wie gerade gezeigt, ist das nicht richtig, denn bei der Beurteilung ist der Lebenszyklus der Produkte zu berücksichtigen. Nachwuchsprodukte oder aber auch neue, durch Zusammenschlüsse geschaffene Kombinationen, werfen regelmäßig erst nach einer Investitionsphase Überschüsse ab. Aber auch das BCG-Portfolio hat seine Tücken. Porter, der auf dem Gebiet der Managementlehre als renommierter Autor gilt, hält den Brauch, die Wettbewerbsposition einer Unternehmenseinheit mit Hilfe des Marktanteils zu beschreiben, für “ebenso gefährlich, wie sie trügerisch einleuchtend ist. Zwar ist der Marktanteil sicherlich (zum Beispiel wegen der Betriebsgrößenersparnisse) für die Wettbewerbsposition relevant, doch ist die Branchenführerschaft nicht Ursache, sondern Folge von Wettbewerbsvorteilen.” (Porter 2000, S. 55 f.). Als Beleg gilt hier das Beispiel Xerox, dessen hohe Marktanteile bei Kopierern durch den überlegenen Ressourceneinsatz des japanischen Konkurrenten Canon keine starke Wettbewerbsposition wiedergaben.

Praxisbeispiel: Hoechst – von der Diversifikation zum Kerngeschäft Anfang der 1990er Jahre wurde das Chemieunternehmen Hoechst restrukturiert und in strategische Geschäftseinheiten (SGE) gegliedert. Beim Kauf und Verkauf von Aktivitäten stellte sich auch die Frage, was bleiben soll. Der damalige Vorstandvorsitzenden Jürgen Dormann definierte als Kerngeschäft: „Als Kerngeschäft (core business) sehen wir solche an, die aufgrund ihres Markterfolges tragende Säulen des Gesamtunternehmens sind und für die wir eine Reihe von Kriterien aufgestellt haben:

3.2 Unternehmensstrategie

143

! Kerngeschäfte stehen im Einklang mit unserem Selbstverständnis als weltweit tätiges Chemieunternehmen. ! Kerngeschäfte bringen einen substantiellen Beitrag zum Konzernumsatz. ! In Kerngeschäften streben wir die Technologie- und Kostenführerschaft an, die uns eine überdurchschnittliche Rendite ermöglicht. ! Kerngeschäfte befinden sich in Märkten, die ein langfristiges Wachstumspotential des Hoechst-Konzerns darstellen. ! Kerngeschäfte werden bei der Ressourcenverteilung bevorzugt.“ Randgeschäft versucht man demgegenüber „rechtzeitig zu identifizieren und den Rückzug aus ihnen vorzubereiten, bevor es zu verlustträchtigen Sanierungs- und Liquidationsaktionen kommt.“ Wenige Jahre später fusioniert Hoechst mit Rhône-Poulenc zu Aventis, ein Unternehmen, das dann von der französischen Sanofi-Gruppe feindlich übernommen wurde. Fragen: 1. Wie definieren Sie das Kerngeschäft bei einem Unternehmen? Geben Sie ein Beispiel! 2. Welche systematischen Kriterien wenden Sie dabei an? Quelle: Dormann, J.: Akquisition und Desinvestition als Mittel der Strukturanpassung bei Hoechst. Zeitschrift für Betriebswirtschaft, 1992. Ergänzungsheft Nr. 2, S. 51-68.

Auch die Vorstellung, dass die wesentliche Aufgabe der Gesamtunternehmensstrategie im Portfoliomanagement dezentraler Geschäftseinheiten besteht – im Extremfall Geschäftsbereiche kaufen, um sie zu verkaufen – ist nach Porter abzulehnen. Bis Anfang der 1970er Jahre rechtfertigte man die umfassende Diversifikation in neue Produkte und Märkte mit Synergieeffekten, die durch das Zusammenlegen unterschiedlicher, aber verwandter Geschäftstätigkeiten und nicht zuletzt durch Übernahmen und Beteiligungen entstehen sollten. Das war häufig nicht der Fall. Gegen Ende der 1970er Jahre schien das Konzept der Synergie nach allgemeiner Meinung passé: „Anstatt Synergie hieß die Lösung jetzt offensichtlich Dezentralisierung, wobei der Führung der Unternehmenseinheiten Vollmacht und Verantwortung zu übertragen war und sie aufgrund ihrer Ergebnisse zu belohnen waren. In der neueren populären betriebswirtschaftlichen Literatur wird Dezentralisierung als Grundlage vieler erfolgreicher Unternehmen ermittelt, und viele größere Konzerne praktizieren sie jetzt mit nahezu religiöser Ehrfurcht. Die Dezentralisierung hat, zusammen mit der Ernüchterung über Synergie, die Ansicht bestätigt, dass die wesentliche Aufgabe der Gesamtunternehmensstrategie im Portfoliomanagement besteht.“ (Porter 2000, S. 409 f.) Nach Porter (ebd., S. 488) kommt es jedoch darauf an, Verflechtungen herzustellen, ohne die Vorteile einer stärkeren Dezentralisierung in Frage zu stellen. „Das Ergebnis ist keine Matrixorganisation, sondern sind „unabhängige Unternehmenseinheiten, die Organisationsmittel und gemeinsame Wertvorstellungen miteinander verbinden.“ Die Bestimmung des Kerngeschäftes nur vom Endprodukt her kommt einer Simplifizierung der Wirklichkeit

144

3 Strategien

gleich. Ressourcen und Aktivitäten, die das Kerngeschäft erst erfolgreich sein lassen, werden nicht erfasst (vgl. Praxisbeispiel).

Praxisbeispiel: BASF-Stammwerk Ludwigshafen – Stabilisierung im Verbund Die Folgen der Finanzkrise bekam auch die Chemieindustrie zu spüren. Nach dem Oktober 2008 gingen bei BASF, dem größten Chemiekonzern der Welt, die Auftragseingänge um ein Viertel zurück. Schon im November wurden 80 Anlagen stillgelegt, davon 40 am Stammsitz in Ludwigshafen, wo kurz zuvor noch alle 300 Anlagen in 160 Produktionsbereichen voll ausgelastet waren. Während führende amerikanische Chemiekonzerne Dow Chemical und Dupont dabei sind Tausende von Arbeitsplätzen abzubauen, hält sich BASF gut. Auf dem riesigen Areal in Ludwigshafen spricht keiner von Entlassungen. Das Geheimnis ist die höhere Flexibilität im Verbund. Abstell- und Wartungsarbeiten werden sowohl am Verbundstandort als auch im gesamten BASF-Verbund aufeinander abgestimmt. Der Chemieriese kann es sich leisten, einen seiner fünf „Steamcracker“ abzustellen und die restlichen weiter gut auszulasten. Im Steamcracker wird Leichtbenzin aufgespalten, die Zwischenprodukte werden dann weiterverarbeitet, etwa zu Kunststoffen. Die Kapazität dieses teuren Herzstückes der Petrochemie lässt sich nur schwer reduzieren. Kleinere Konkurrenten mit nur einem Steamcracker haben deshalb Wettbewerbsnachteile. In einer Personalplattform hat die BASF-Führungsspitze die Profile der Mitarbeiter und den gewandelten Bedarf in der Produktion erfasst. 600 Mitarbeiter sind in andere Betriebsteile gewechselt. Durch Flexibilität im Verbund konnte eine schärfere Kurzarbeit vermieden und die Standortvereinbarung, die einen Verzicht auf Kündigungen bis Ende 2010 garantiert, gehalten werden. Fragen: 1. Gibt es den geschilderten ‚Zwang zur Größe‘ nur in der Chemiebranche? Gibt es Branchen in denen kleine und mittlere Unternehmen eher überlegen sind? 2. Die Verbundeffekte werden hier am Beispiel eines Standortes dargestellt. Gibt es solche Verflechtungen auch zwischen Strategischen Geschäftseinheiten? Quelle: Freytag, B. & Psotta, M.: Ruhe in LU. Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 146 vom 27. Juni 2009, S. 13.

Anfang der 1990er Jahre veröffentlichten die Strategie-Professoren C.K. Prahalad und Gary Hamel einen Beitrag, der den Ressourcenansatz und die Perspektive der integrierten Organisation in den Vordergrund gerückt hat (vgl. Kap. 3.1.3). Erfolgreiche Unternehmen setzten danach auf Wachstum auf der Grundlage von Kernkompetenzen (vgl. Abb. 3.27).

3.2 Unternehmensstrategie

145

Kernkompetenzen als Grundlage von Wettbewerbsvorteilen bewahren und neu entwickeln!

Rückbesinnung auf das Kerngeschäft (Ziel: Mindestrendite 15% )

Diversifikation Wertschöpfung durch mehr Eigenleistung und Synergie 1970 Abb. 3.27

1980

1990

2000

Kernkompetenzen als Wachstumschance (eigene Darstellung nach Hamel & Prahalad 1995)

Managementaktivitäten würden hauptsächlich darauf verwendet, kleiner (Restrukturierung des Portfolios und Reduzierung der Belegschaft) oder besser (Reengineering der Prozesse und ständige Verbesserung) zu werden. Es komme aber darauf an, anders zu werden, über das Reengineering hinauszugehen und den Schwerpunkt auf die Neuerfindung der Industrie und die Erneuerung der Strategie zu legen (Hamel & Prahalad 1995). Aus der Notwendigkeit, die Strategie anders zu verstehen, ergibt sich die Notwendigkeit, anders über die Organisation zu denken: „In den letzten Jahren haben viele Unternehmen hart an der Organisationstransformation gearbeitet. Sie haben traditionelle Aufgaben der Zentrale wie Planung und Human-Ressourcen-Management den einzelnen Geschäftseinheiten übertragen; sie haben versucht, den Angestellten aller Ebenen größeren Spielraum zu geben; sie haben Randbereiche abgestoßen und sich auf das Kerngeschäft konzentriert (...) Diese Ideen stellen die Antithese zu den hochzentralisierten, überbürokratischen, kontrollorientierten, technologiebestimmten „big brain“ Organisationsarchetypen der sechziger und siebziger Jahren dar. (...) Trotzdem hat sich in vielen Fällen gezeigt, dass das Gegenmittel gegen Bürokratie und unnötige Zentralisierung ebenso toxisch wirken kann wie das Gift, das es neutralisieren soll.“(ebd., S. 424 f.) Hamel & Prahalad empfehlen daher weniger Schwarz-Weiß-Denken und stattdessen eine Synthese: Zielgerichtetes Handeln statt Bürokratie oder Empowerment, Kernkompetenz statt Diversifizierung oder Kerngeschäft. Welche Stellung haben nun Strategische Geschäftsfelder (SGFs) und Strategische Geschäftseinheiten (SGEs) in diesem ressourcenorientierten Strategiekonzept? Nach dem traditionellen Ansatz strategischer Planung werden SGFs als homogene Gruppen von Produkten/Dienstleistungen im Hinblick auf Kundengruppen, Kundenbedürfnisse bzw. Technologien definiert. SGEs sind dezentrale Einheiten zur organisatorischen

146

3 Strategien

Umsetzung strategischer Planung. Sie wurden, wie oben bereits hervorgehoben, Ende der 1970er Jahre vor allem in diversifizierten Konzernen eingeführt, um das Unternehmen dezentraler führen zu können. Ihre autonome Stellung ist jedoch durch Verflechtungen zu ordnen, um, wie Porter (1987) ausführt, Synergieeffekte zu nutzen. Portfoliomanagement ist nur eine der Rollen, die die Muttergesellschaft einnehmen kann: neben denen der Restrukturierung, des Wissenstransfers und der Förderung gemeinsam genutzter Aktivitäten. Auch Prahalad & Hamel (1991) kritisieren das SGE-Konzept in der traditionellen Strategieplanung, weil SGEs bei ihrer vergleichsweise autonomen Stellung zu wenig Mittel für die Entwicklung von Kernkompetenzen bereitstellen und Innovationen nur kleinmütig voranbringen können. Der wertstiftende Beitrag des Top-Managements sollte statt in der Optimierung der Geschäftserträge durch abwägende Mittelverteilung auf die einzelnen Geschäftseinheiten in der Formulierung eines strategischen Gesamtkonzeptes und im Schaffen von Kompetenzen zur Sicherung der Zukunft bestehen. Dezentrale Strukturen sind auch nach diesem Ansatz nicht überholt, sondern im Rahmen eines strategischen Gesamtkonzeptes zu führen. Es wird von der Anzahl der autonom geführten Geschäftseinheiten und der strategischen Gemeinsamkeit zwischen den Geschäften abhängen, ob der Konzern als reine Finanzholding (Quandt), als Konglomerat (Veba, General Electric) als faktische Managementholding (Siemens, Asean Brown Boverie) oder als funktional integriertes Unternehmen geführt wird (vgl. Praxisbeispiel Novartis). Auch bei Konzernstrukturen besteht die Gefahr Modewellen aufzusitzen. Mischkonzerne, die in vielen unabhängigen Geschäftsfeldern aktiv sind, galten bis vor kurzem als lahme Dinosaurier und Wertvernichter. Heute ist wieder vom Comeback der Konglomerate die Rede. Diese Mischkonzerne, die Größenvorteile und die Möglichkeiten der Querfinanzierung ausnützen könnten, würden besser in eine Welt passen, die durch das Zusammenwachsen der Branchen gekennzeichnet sei. Es kommt nach Heuskel (1999) aber darauf an, sie richtig zu führen. Dazu gehöre mehr denn je der geschäftsübergreifende Wissenstransfer. Nicht nur auf Wertsteigerungsmanagement komme es daher an, sondern auf den Erfolgsfaktor Mensch. Warum sollen nicht erfolgreiche Mischkonzerne wie Bosch, Veba, Virgin, General Electric, um nur einige zu nennen, ebenso eine Daseinsberechtigung haben, wie die „Einproduktfirmen“ Coca-Cola, Levi’s, McDonald‘s? Je nach Situation wird man in der Praxis Unternehmen finden, die mehr dem Typus der Portfolio-Organisation oder dem der integrierten Organisation entsprechen.

Praxisbeispiel: Novartis – schweizer Pharmariese erweitert Geschäftsbasis Der Schweizer Pharmakonzern Novartis wird für rund 39 Mrd. US-Dollar von Nestlé den Mehrheitsanteil des Augenheilkunde-Weltmarktführers Alcon übernehmen. Die Transaktion erfolgt dabei in zwei Schritten. Während zunächst im zweiten Halbjahr 2008 das erste 25 Prozent Paket übernommen wird, soll der Löwenanteil von rund 52 Prozent (28 Mrd. Dollar) erst frühestens im Jahre 2010 von Novartis erworben werden. Hierbei haben sich die Konzerne vorerst auf beiderseitige Kauf- und Verkaufsoptionen geeinigt.

3.3 Netzwerkstrategie

147

Alcon’s Markt für die Augenchirurgie, Medikamente gegen Augenkrankheiten sowie Produkte für die Kontaktlinsenpflege gilt als äußerst lukrativ und wachstumsträchtig. Bereits jetzt umfasst das Marktvolumen geschätzte 25 Mrd. Dollar. Mit einem Umsatz von 5,6 Mrd. Dollar und einem Gewinn von 1,6 Mrd. Dollar erzielt Alcon nicht nur eine beachtliche operative Marge von über 30 Prozent, sondern hält darüber hinaus auch die Marktführerschaft. Die Nachteile des traditionellen Pharmamarktes lassen sich mit hohen Forschungskosten, diversen Nachahmerprodukten und staatlichen Preisvorschriften zusammenfassen. Novartis verbreitert durch den Zukauf seine Geschäftsbasis und macht sich auf diese Weise unabhängiger vom eigentlichen Kerngeschäft. „Synergien heben und Risiken verringern“ sei laut Konzern die mit der Akquisition verbundene Zielsetzung. Alcon ist dabei nicht die erste Übernahme. Bereits in den vergangenen Jahren hat sich der Schweizer Pharmariese mit Zukäufen bei Generika und Impfstoffen zunehmend vom klassischen Geschäft mit rezeptpflichtigen Medikamenten entfernt. Die Pharmabranche spaltet sich damit immer deutlicher. Auf der einen Seite verfolgen Konzerne wie Novartis oder Johnson & Johnson eine Strategie sich zunehmend weiter in neue Geschäftsbereiche vorzuwagen und auf diese Weise ihre starke Abhängigkeit von den wenigen, firmeneigenen Topmedikamenten zu reduzieren, während die anderen namhaften Pharmagrößen wie Pfizer, Sanofi-Aventis und Merck & Co. weiterhin strikt an ihrem Kerngeschäft mit margenstarken, verschreibungspflichtigen Medikamenten festhalten. Fragen: 1. Worin liegen die möglichen Vorteile einer Diversifikationsstrategie? 2. Was sind die damit verbunden Gefahren? 3. Welche der beiden Strategien ist die Bessere im Hinblick auf die derzeitige Situation innerhalb der Pharmabranche? Quellen: o.V.: Novartis verwässert Kerngeschäft. Financial Times Deutschland vom 8. 4. 2008, Titelseite; Reuters Nachrichtenagentur, Novartis kauft Augenheilfirma Alcon von Nestlé, http://de.reuters.com. Abfrage vom 08.04.2008.

3.3

Netzwerkstrategie

Einstiegsfall: Smart in Hambach – ein Unternehmensnetzwerk Unter den Automobilen hat der Anfangs ungewöhnliche „Smart“ einen festen Nischenplatz erobert. Andere Hersteller haben inzwischen nachgezogen, wie Toyota mit dem kleinen „iQ“. Weniger bekannt ist das innovative Produkt- und Produktionskonzept des Smart, das noch im Jahre 1997, bei der Eröffnung der Smart-Fabrik im lothringischen Hambach, als Experiment angesehen wurde. 35 sogenannte Systempartner liefern vorgefertigte Großmodule, wie Achsen, Türen oder den Antrieb, direkt an das Montageband, einige von ihnen sind unmittelbar im Werk angesiedelt (vgl. Abb. 3.28).

148

Abb. 3.28

3 Strategien

Das Smart-Produktionsnetzwerk (Der Spiegel 1997, Nr.42, S. 139 ff.)

Der kanadische Konzern Magna zum Beispiel presst die Blechteile und schweißt die Karosserie zusammen. Anschließend wird sie in der Anlage der Firma Eisenmann lackiert und zur Halle von VDO transportiert. Die Fertigungstiefe, also der Anteil an der Eigenfertigung, wird von Smart mit 10 Prozent angegeben. Smart sieht seine eigentliche Aufgabe im Management der Systempartner im Unternehmensnetzwerk. Einige strategische Partner sind inzwischen ausgeschieden, aber das außergewöhnliche Grundmodell „Ein Betrieb mit vielen Unternehmen“ funktioniert bis heute. Fragen: 1. Ist das Smart-Produktionsmodell in Hambach/Lothringen eine Innovation? 2. Warum hat sich dieses Produktionsmodell bis heute nicht allgemein durchgesetzt? Quellen: o.V.: Modell für Mercedes? In: Der Spiegel 1997, Nr. 42, S. 139-142; Sydow, J. & Möllering, G: Produktion in Netzwerken. München 2009.

Der Einstiegsfall zeigt, dass sich Unternehmensnetzwerke herausgebildet haben, denen mit traditionellen Vorstellungen der Unternehmensführung nicht mehr beizukommen ist. Im Folgenden dazu nur einige Anmerkungen. Nach einer kurzen Erklärung was Unternehmensnetzwerke sind, wird das Thema am Beispiel der Lieferantenbeziehungen exemplarisch vertieft. Wir nehmen dazu die Argumentation vom Anfang dieses Kapitels zur Bedeutung von Beziehungsressourcen (Relational Resources) wieder auf und vertiefen das Praxisbeispiel aus der Automobilindustrie. Beziehungen zwischen Unternehmen werden geprägt durch das Spannungsverhältnis von Wettbewerb und Kooperation. Sollen sich Unternehmen daher mehr als eigenständige Organisationen begreifen, die lediglich distanzierte Marktbeziehungen zu anderen Unternehmen eingehen oder als in ein Netz von Beziehungen eingebettete Organisationen, die zwischen strategischen Partnerschaften und Marktbeziehungen wählen können?

3.3 Netzwerkstrategie

3.3.1

149

Unternehmen, Markt und Netzwerk

DAS UNTERNEHMENSNETZWERK ANALYSIEREN Bereits aus dem 18. Jahrhundert stammt die vom Klassiker der Wirtschaftlehre Adam Smith (1776) bekannte Metapher vom Markt als der regelnden „unsichtbaren Hand (Invisible Hand)“. Individuen und Unternehmen treffen eigennützige Entscheidungen, die über Marktpreise gesteuert und koordiniert werden, wodurch sich eine spontane Ordnung herausbildet. Der bekannte Wirtschaftshistoriker Alfred Chandler (1977) hat demgegenüber, angesichts der Bedeutung der Großunternehmen im zwanzigsten Jahrhundert und ihrer ausgefächerten Hierarchien, das Bild der „sichtbaren Hand (Visible Hand)“ geprägt. Koordiniert wird hierarchisch über Anweisungen. So entsteht eine geplante Ordnung. Zusätzlich sind den letzten Jahrzehnten vermehrt Organisationsformen zwischen Markt und Hierarchie entstanden, die als Unternehmensnetzwerke bezeichnet werden (vgl. grundlegend Sydow 1992; Picot et al. 2003; Whittington 2003). Zum Netzwerk gehören folgende Merkmale (vgl. Sydow & Möllering 2009 und Abb. 3.29): Make

Internalisierung

Unternehmung • geplante Ordnung • anweisungskoordiniert

Buy Markt

Externalisierung

• spontane Ordnung • preiskoordiniert

Cooperate Netzwerk strategizing organizing

Abb. 3.29

• hybride Ordnung • hybride Koordination oder Koordination durch eigenständige Mechanismen

Make, Buy und Cooperate: Strategische Alternativen und ihre Organisationsformen (Sydow & Möllering 2009, S. 34)

150

3 Strategien

! Durch Hierarchie entsteht eine durch Anweisungen koordinierte, geplante Ordnung im Unternehmen. ! Bereits bei Strategischen Geschäftseinheiten, die als Profitcenter mit Verrechnungspreisen geführt werden, wird neben der Hierarchie auch der Markt als Koordinationsinstrument genutzt. Profitcenter sind demnach hybride Koordinationsordnungen, aber noch fest im Unternehmen verankert. Sie gelten auch als internes Outsourcing, bisher integrierte Funktionen werden im Unterschied zur reinen Fremdvergabe begrenzt externalisiert. ! Joint Ventures, Franchising, Subunternehmen und Zulieferpartner sind Organisationsformen zwischen Hierarchie und Markt, die eine strategische Partnerschaft etablieren (vgl. näher dazu Kap. 4 und 5). ! Der auf distanzierten Marktbeziehungen (Arm‘s-Length-Transaction) beruhende Vertrag kommt auf dem Markt, am anderen Pol des Spektrums, zustande. Die sich herausbildende spontane Ordnung wird über Preise koordiniert. ! Diese unterschiedlichen Koordinationsformen (Organizing) entwickeln sich mit den entsprechenden Strategien (Strategizing): Make, Buy und Cooperate. Im Unternehmensnetzwerk (wie auch beim Spezialfall der bilateralen Kooperation, Partnerschaft oder Allianz) erfolgt die Koordination weder hierarchisch noch durch den „stummen Zwang“ der Marktkräfte, sondern durch wechselseitige Abstimmung und Anpassung. Um im Bild zu bleiben: Beziehungen beruhen in Netzwerken weder auf der unsichtbaren noch auf der sichtbaren Hand, sondern auf einem ‚andauernden Handschlag‘ (Continuous Handshake) (vgl. Gerlach 1992). Neben den herkömmlichen strategischen Alternativen, etwas auf dem Markt zu kaufen (Buy), oder es in der Hierarchie selbst zu machen (Make), entsteht ein dritter Weg: die Zusammenarbeit im Netzwerk (Cooperate). Das Spannungsverhältnis zwischen Hierarchie, Kooperation und Marktwettbewerb ist damit nicht aufgehoben: strategische Netzwerke, wie bei Nike und Toyota, werden eher hierarchisch von einem oder mehreren fokalen Unternehmen strategisch geführt. Bei regionalen Netzwerken, die wie das Silicon Valley in der Computerbranche, die Emilia Romagna in der Textil- und Bekleidungsindustrie oder die Region um Stuttgart im Maschinenbau von der räumliche Nähe leben, ist dies nicht der Fall (vgl. Sydow & Möllering 2009; zur Automobilindustrie vgl. Wilhelm 2009).

LIEFERANTENBEZIEHUNGEN ENTWICKELN Ein Grundbaustein der Stärken- und Schwächenanalyse ist die Ressourcenbasis (vgl. Kap. 3.1.3). Der Stellenwert von Beziehungsressourcen (Relational Resources) für die Netzwerkstrategie kann am Beispiel der Automobilindustrie verdeutlicht werden. Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts haben Engpässe bei der Versorgung mit Rohmaterial Henry Ford dazu gebracht, die gesamte Wertkette zu übernehmen. In den 1920er Jahren betrieb die Ford Motor Company eigene Kohle- und Eisenerzminen, Wälder, Kautschuk-Plantagen, Sägewerke, Schmelzöfen, Glaswerke und besaß Eisenbahnen, Frachtschiffe und mehr. General Motors stand dem nicht nach. Später zeigte sich dann, dass die Kehrseite der Stabilität und Effizienz, den dieser hohe Grad der vertikalen Integration mit sich brachte, der Verlust an Flexibilität war. Allerdings brachten Bestrebungen durch Auslagerung (Outsourcing) Flexibilität zurückzugewinnen, die bei gesättigten Märkten wichtig wurde, nicht immer das gewünschte

3.3 Netzwerkstrategie

151

Ergebnis. Vielmehr scheint der Schlüssel für den Erfolg in der Fähigkeit zu liegen, partnerschaftliche Beziehungen zu den Zulieferern im Netzwerk zu entwickeln (vgl. Womack et al. 1991, S. 146 f. und Praxisbeispiel).

Praxisbeispiel: Lieferantenbeziehungen bei Toyota, General Motors und Volkswagen Outsourcing, neue Zulieferarchitekturen und globale Beschaffungsstrategien gelten als Erfolgspotenzial in der Automobilindustrie, insbesondere in Deutschland. Bekannte Studien, u.a. von Mercer und Fraunhofer (2004) ermitteln, dass sich der Outsourcing-Trend fortsetzen wird. Bis zum Jahre 2015 soll von den Herstellern im Durchschnitt bis zu 75 Prozent fremd bezogen werden. Die Praxis in Japan und den USA zeigt ein etwas anderes Bild. General Motors (GM) hat zwar wie andere westliche Automobilhersteller seine Komponentensparte unter dem Namen Delphi Ende der 1990er Jahre abgespalten. Aber heute sind beide Unternehmen, GM und Delphi, alles andere als ein Vorbild. GM holt Teile seiner Komponentenfertigung zurück (Insourcing). Toyota gilt als Referenz für Lean Production, ein Managementkonzept, bei dem Outsourcing ein zentrales Instrument sein soll. Tatsächlich bezieht die weltweit führende Toyota-Gruppe nicht viel fremd: gleichbleibend nur 24 Prozent, wie eine Stichprobe über fast zwanzig Jahre zeigt (vgl. Nagaoka et al. 2008). Nicht Outsourcing, sondern die Entwicklung der Partnerbeziehungen zu Lieferanten, Mitarbeitern und Kunden gehört zu den Erfolgsgeheimnissen von Toyota. Das Unternehmen hat das Potenzial aus der aktuellen Wirtschaftskrise, die erstmalig in der Konzerngeschichte zu einem Verlust führt, gestärkt hervorzugehen. Nach der renommierten Studie zur japanischen Herausforderung durch die „schlanke Produktion“ (vgl. Womack et al. 1991) hatten Mitte der 1980er Jahre viele Automobilunternehmen mit der Reduzierung des Anteils der Teile experimentiert, die sie von konzerninternen Zulieferern bezogen. Diese Vorgehensweise war von dem Glauben inspiriert, dass niedrige Löhne bei externen Zulieferern das Wettbewerbsgeheimnis des japanischen Zuliefersystems wären. Dieser Richtungswechsel verfehlte nach Meinung der Autoren der Studie weitgehend den Kern des Problems. Der Schlüssel zu einem wettbewerbsfähigen Teilezuliefersystem liegt in der Art, in der der Hersteller mit seinen Zulieferern zusammenarbeitet. „Ob die Zulieferer aus dem Unternehmen selbst oder von außerhalb kommen, macht erstaunlicherweise kaum einen Unterschied.“ (diess, S. 146 f.) Nachfolgende Studien zeigten, dass die wenig erfolgreichen amerikanischen Automobilhersteller, die nun einen kooperativen Ansatz propagierten, in der Praxis mit ihren Partnern nach dem Muster distanzierter Marktbeziehungen umgingen. Demgegenüber waren in Japan die LieferantenHersteller-Beziehungen strategisch segmentiert, nur ein Teil der Lieferanten werden als strategische Partner eingebunden, der andere Teil in langfristigen Marktbeziehungen (vgl. Dyer et. al 1998). Partnerschaft hat im jeweiligen Landes- oder Unternehmenskontext eine unterschiedliche Bedeutung. Unscharfe Unternehmensgrenzen sind eine Schwierigkeit wenn es darum geht, vertikale Integration und Netzwerkstrukturen zu beurteilen und auszubalancieren. Nach der oben bereits angesprochenen Studie bezieht Toyota nur 10 Prozent aus dem eigenen Haus und 62 Prozent von Keiretsu-Partnern, die zur Toyota-Gruppe gehören. Ist dies nun eine be-

152

3 Strategien

sondere Form der vertikalen Integration, eine ‚Quasi-Hierarchie‘, oder eine Netzwerkstruktur? Ein Nachteil der vertikalen Integration ist der erschwerte Marktzugang interner Zulieferer. Außerdem gibt es weniger Möglichkeiten sich weiterverwendbares Wissen von den Lieferanten anzueignen, etwa bei der Entwicklung des Elektroautos. Lernchancen können sich aber auch als Nachteil des Outsourcings herausstellen, wenn Wettbewerber Zugang zu firmeninternem Wissen erhalten. Nach dem Ressourcenansatz ist es schwierig und mit Kosten verbunden, wenn Unternehmen versuchen, andere zu kopieren. Unterschiedliche Entwicklungspfade können vor diesem Hintergrund analysiert werden, um zu prüfen, inwieweit der Toyota-Weg Vorbild sein sollte. Autohersteller in Deutschland, wie BMW, Audi und Volkswagen, entwickeln aktuell Strategien zur Zuliefersegmentierung und integration nach dem Lean Production-Konzept. Ein Kernelement ist dabei, das es bei der Beschaffung nicht allein auf den Preis ankommt, sondern auch auf das Entwicklungspotenzial der Partner. Traditionelle Komponentenwerke werden sich wie Zulieferer aufstellen müssen, wenn sie überleben wollen. Dazu gehört auch die Entwicklung einer Komponentenstrategie (vgl. Müller 2009). Die im Herbst 2008 einsetzende Finanz- und Wirtschaftskrise könnte einen erneuten Strategiewechsel auslösen, wonach Zulieferer wieder nur im Rahmen distanzierter Marktbeziehungen behandelt werden, aufgrund des Preis- und Liquiditätsdrucks um die Existenz kämpfen müssen und Komponentenwerke verkauft oder geschlossen werden. Nach einem Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gelten Zulieferer im Besitz von Finanzinvestoren, die den erworbenen Unternehmen in vielen Fällen die hohen Schulden für den Kauf aufgebürdet haben, als besonders gefährdet. Unter den Zulieferern geht die Angst um: „Da viele Autozulieferer wirklich nur Finanzierungsschwierigkeiten haben und operativ profitabel arbeiten, gibt es oft Alternativen zur Insolvenz oder zur Übernahme durch einen Konkurrenten. Dazu zählen unter anderem Hilfen durch die Autohersteller selbst, die ihre Rechnungen früher bezahlen können als bisher, sowie staatliche Kreditbürgschaften und Zugeständnisse der Gläubigerbanken. Das Problem: Sowohl die Hersteller als auch die Banken stehen selbst wegen der Finanzkrise unter Druck.“ Dabei können Wettbewerbsnachteile entstehen, die sich bei kurzfristig-operativer Betrachtung nicht zeigen. Die Probleme der amerikanischen Automobilindustrie sind nicht allein mit einer verfehlten Modellpolitik und der durch die Kreditklemme ausgelösten Nachfrageschwäche zu erklären. Vielmehr gelang den Big 3 (General Motors, Ford und Chrysler) nicht, partnerschaftliche Lieferantenbeziehungen aufzubauen und daraus Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Die nun anlaufenden staatlichen Hilfen führen zu Wettbewerbsverzerrungen, die Regierungen anderer Länder unter Handlungsdruck setzen. Allerdings ist „Detroit“ kein Modell, das als Vorbild taugt. Partnerschaftliche Beziehungen zu Lieferanten, Mitarbeitern und Kunden, die auch Konflikte aushalten, sind entscheidend nicht nur für Unternehmen, sondern auch für den Standort. Fragen: 1. Wodurch unterscheidet sich der „Toyota-Weg“ von anderen Unternehmen? 2. Wie haben die westlichen Hersteller auf diese Herausforderung reagiert? 3. Wie wirkt sich ein gravierender Absatzrückgang auf die Lieferantenbeziehungen aus?

3.3 Netzwerkstrategie

153

Quellen: Womack, J.P. et al.: Die zweite Revolution in der Autoindustrie. Frankfurt, New York 1991; Dyer, J.H. et al.: Strategic Supplier Segmentation: The Next „Best Practice" in Supply Chain Management. In: California Management Review 1998, Nr. 2, S. 57-77; Mercer & Fraunhofer Institut: Future Automotive Industry Structure (FAST) 2015. Frankfurt a.M. 2004; Nagaoka, S. et al.: Determinants of firm boundaries: Empirical analysis of the Japanese auto industry from 1984 to 2002. In: Journal of Japanese International Economics 2008, S. 187206; Müller, H.-E.: Autozulieferer: Partner auch in der Krise? Lieferantenmanagement bei Toyota, General Motors und Volkswagen, Düsseldorf 2009; o.V.: Unter den Zulieferern geht die Angst um, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 4.2.2009, S. 14.

Auch auf der gleichen, horizontalen Wertschöpfungsstufe können sich Unternehmen entschließen, anstatt in den Wettbewerb einzutreten, die Zusammenarbeit zu suchen oder aber Konkurrenten zu übernehmen. Aufeinanderfolgende Wertschöpfungsstufen können grundsätzlich in einem Unternehmen vertikal integriert oder Spezialisten überlassen werden, die über Markt- und/oder Kooperationsbeziehungen verbunden sind. Ein Netz von Partnerunternehmen, das von einem Unternehmen geführt wird, welches die Rolle einer strategischen Zentrale übernimmt, wird als fokales Netzwerk bezeichnet. Man kann darüber streiten, ob etwa Toyota ein solches fokales Netzwerk ist, oder, im Unterschied zur einheitlichen Leitung im Konzern, nur eine andere Form der vertikalen Integration (Quasi-Hierarchie). Aus der Verbreitung von Outsourcing und Netzwerkstrukturen seit den späten 1980er Jahren, aus neuartigen Geschäftsmodellen, wie bei Nike und Apple, die kein Stück mehr an ihren Produkten selbst machen, sondern dies spezialisierten Zulieferern überlassen, wird manchmal gefolgert, dass das Ende des Großunternehmens eingeläutet sei (vgl. u.a. Peters 1993). Faktisch sieht es jedoch anders aus: Langfristig steigt, trotz einiger gegenläufiger Tendenzen, die Unternehmenskonzentration (vgl. Müller 1985; Grant & Nippa 2006; Rugman & Collison 2006). So ist der Anteil der 100 größten Industrieunternehmen an der Industrieproduktion der USA von 35 Prozent im Jahre 1928 auf 66 Prozent 1998 angestiegen. Die Vereinten Nationen haben über 60.000 transnationale Konzerne identifiziert, aber die größten 500 davon tätigen 80 Prozent der weltweiten Direktinvestitionen. Dabei sind die in dauerhafte Kooperationsbeziehungen eingebundenen Zulieferer nicht mitgezählt.

3.3.2

Eigenständige versus eingebettete Organisation

Organisationen sind mehr oder weniger in ein Netzwerk von Beziehungen eingebettet. Kooperationsbeziehungen zwischen den Unternehmen sind lose oder eng, die Machtverteilung zwischen den Akteuren ist ausgeglichen oder nicht und die Arrangements können bilateral oder multilateral sein (vgl. Abb. 3.30). In der Automobilindustrie ist es beispielweise so, dass Automobilhersteller wie Toyota, General Motors und Volkswagen die Rolle des fokalen Unternehmens einnehmen, welches das Zuliefernetzwerk mehr oder weniger markt- oder partnerorientiert steuert. Mit sinkender Wertschöpfungstiefe auf bis zu nur noch 20 Prozent bei einigen dieser OEMs (Original Equipment Manufacturers) und wachsener Konzentration bei großen Zulieferern wie Bosch, Magna, Johnson, Controls haben sich jedoch in den letzten Jahren die Machtverhältnisse in der Branche verschoben. In unterschiedlichen Arrangements der Zusammenarbeit wird versucht symbiotische Beziehungen herzustellen, die das Beste beider Welten nutzen: sowohl die Vorteile der Hierarchie, als auch die des Marktes (vgl. Abb. 3.30). So hat Inditex, der Mutterkonzern der spani-

154

3 Strategien

schen Modekette Zara, mit einem der größten Konzerne Indiens, der Tata-Gruppe, ein Gemeinschaftsunternehmen gegründet, um Zara den Einstieg in den indischen Markt zu erleichtern. Um sich auf die Zukunft des Elektroautos vorzubereiten, setzen Autokonzerne auf die Zusammenarbeit mit anderen Branchen: Volkswagen kooperiert mit E.ON und Toshiba, Daimler mit RWE, Continental und Evonik und dem kalifornischen Hersteller von ElektroSportwagen Tesla, BMW arbeitet mit Vattenfall zusammen. Wenn auch Konkurrenten kooperieren und Allianzen eingehen, etwa durch Co-Research, Co-Production oder CoMarketing, wirkt die Konkurrenz dennoch weiter. So zerbrach etwa die strategische Allianz der Deutschen Telekom mit der France Télécom, als die Deutsche Telekom versuchte, bei Telecom Italia einzusteigen. Ähnlich wie Übernahmen scheitern auch Allianzen häufig (vgl. Jansen 2008). Jede Organisation versucht im Wettbewerb ihre eigenen Interessen durchzusetzen, gleichzeitig aber auch zu kooperieren. Um diesen widerstreitenden Anforderungen genügen zu können, „müssen Unternehmen eingebettet (embedded) und unabhängig (independent) zugleich sein – eingebettet in ein Netzwerk von kooperativen Wechselbeziehungen, obwohl unabhängig genug, die Macht zu ihrem eigenen Vorteil auszuüben.“ (De Wit & Meyer 2008, S. 373) Im Spektrum, das die beiden Perspektiven aufreißen, positionieren sich Autoren der Strategielehre in unterschiedlicher Weise. Michael Porter (1990, S. 224) beispielsweise bevorzugt die Perspektive der eigenständigen Organisation: „Allianzen sind kaum eine Lösung … kein Unternehmen sollte abhängig sein von einem anderen selbständigen Unternehmen bei Fertigkeiten und Vermögensgegenständen, die für seinen Wettbewerbsvorteile wesentlich sind. … Allianzen neigen zur Mittelmäßigkeit, schaffen keine Führung in der Welt.“ Aus dieser Sicht gilt nach Friedrich von Schiller: „Der Starke ist am mächtigsten allein.“ Andere hingegen halten es mit Alexandre Dumas: „Alle für einen, einer für alle!“ Danach ist die eingebettete Organisation vorzuziehen; ist die Symbiose, nicht die Aggression, die grundlegende wirtschaftliche Funktion. Unternehmen, die sich auf ihre Kernkompetenzen zurückziehen, indem sie Funktionen an Spezialisten outsourcen, können dies erfolgreich nur tun, wenn sie vertrauensvolle Partnerbeziehungen zu ihren wichtigsten Lieferanten aufbauen.

3.3 Netzwerkstrategie Außervertragliche Vereinbarungen

Multilaterale Abkommen

Bilaterale Abkommen

Abb. 3.30

! Lobbyverband (z.B. European Roundtable of Industrialists) ! Gemeinsame Standardisierung (z.B. Linux-Bündnis) ! Wissensgemeinschaften (z.B. Strategic Management Society)

155 Vertragliche Vereinbarungen ! Forschungs-Konsortium (z.B. Symbian bei PDAs) ! Internationale Marketing-Allianz (z.B. Star Alliance im Bereich Fluggesellschaften) ! Exportpartnerschaft (z.B. Niederländischer Export-Verband)

! Lizenzvertrag ! Vereinbarung über Querverkäufe (z.B. Disney und Coca-Cola) (z.B. zwischen ! Vertrag über gemeinschaftliche Pharmaunternehmen) Entwicklung ! Mitarbeiteraustausch im F&E-Bereich (z.B. Disney und Pixar in der (z.B. zwischen IT-Unternehmen) Filmbranche) ! Vereinbarung über den Austausch ! Markenallianz von Marktinformationen (z.B. Coca-Cola und McDonald‘s) (z.B. zwischen Hardware- und Softwareherstellern)

Kapitalbasierte Vereinbarungen ! Gemeinsam genutztes Zahlungssystem (z.B. Visa) ! Baukonsortium (z.B. Eurotunnel) ! Gemeinsames Reservierungssystem (z.B. Galileo)

! Joint Venture für Produktinnovation (z.B. Sony und Ericsson bei Mobiltelefonen) ! Grenzüberschreitendes Joint Venture (z.B. DaimlerChrysler und Beijing Automotive) ! Lokales Joint Venture (z.B. CNN Turk in der Türkei)

Beispiele für relationale Arrangements (De Wit & Meyer 2008, S. 367)

Diese beiden gegensätzlichen Perspektiven – eigenständige versus eingebettete Organisation – sind vergleichbar zu den entsprechenden Perspektiven auf Unternehmensebene: PortfolioOrganisation versus integrierte Organisation. Dieselben Synergien, die eine Strategie der Integration von Geschäftseinheiten auf der Unternehmensebene begründen (vgl. Kap 3.2.2), gelten auch für die Zusammenarbeit zwischen Organisationen: ! Die Nutzung gemeinsamer Ressourcen erzeugt Lerneffekte, etwa weil der Zugang zu mehr Kunden und damit zu wiederverwertbarem Wissen gewonnen wird. ! Die Integration der Wertketten, bringt z. B. bei einer Airline-Allianz Größenvorteile durch die Verwendung eines integrierten Buchungssystems und reibungslosen Flugverkehr für den Kunden. ! Die Abstimmung des Produktangebotes ermöglicht etwa die Durchsetzung eines neuen Industriestandards (Beispiele: Betamax gegen VHS; HD-DVD gegen Blue-Ray Disc). Ein weiteres Beispiel dafür ist das systematische Beschaffungsmanagement (Supply Chain Management), wie es zuerst bei Toyota und anderen japanischen Automobilunternehmen umgesetzt wurde, inzwischen aber auch bei deutschen Herstellern wie Siemens, Bayer und Volkswagen angestrebt wird. Während traditionell sehr viele Lieferanten über distanzierte Marktbeziehungen gesteuert wurden, geht es heute um die stärkere Integration der externen und internen Partner in die Kernprozesse des Unternehmens. Die Instrumente dazu sind bei Volkswagen und Audi Lieferantenklausuren, Projektklausuren und Innovationsforen, bei denen die strategischen Partner neben den Marktpartnern ausgewählt, bewertet und entwickelt werden (vgl. Berkenhagen & Vrbica 2007; Müller 2009a). Allerdings sind auch die Nachteile der eingebetteten oder integrierten Organisation zu berücksichtigen: Hoher Verwaltungsaufwand und langsamere Entscheidungen, Zielkompromisse und die Entmutigung von Initiativen. Deshalb etwa sind bei japanischen Automobil-

156

3 Strategien

herstellern wie Toyota oder Honda die Lieferantenbeziehungen je nach Komponentenart in strategische Partnerschaften und Marktbeziehungen segmentiert und nicht, wie häufig angenommen allein partnerschaftlich ausgerichtet (Dyer et al. 1998). Eindeutig ist, dass Toyota die Spinne im Netz ist und nicht die Fliege. Die meisten Partner gehören zur Toyota-Gruppe, und: „Kontrolle ist die Kehrseite des Vertrauens, das Toyota und Honda ihren Zulieferern entgegenbringen.“ (Liker & Choi 2005, S. 68)

3.3.3

Erklärungsansätze zu Make, Buy und Cooperate

Wie nun vertikale Integration und strategisches Outsourcing ausbalancieren? Hier nur wenige Bemerkungen zu den theoretischen Überlegungen. Ein Modell für die Wahl von Organisationsformen zwischen Markt und Hierarchie kann von der Annahme ausgehend entwickelt werden, dass Eigenerstellungs- (Make-) Entscheidungen (oder die vertikale Integration) bevorzugt werden, wenn die Leistungsfähigkeit des Unternehmens und die strategische Relevanz der Komponente hoch sind. Genauer wird die strategische Relevanz definiert als Spezifität aus Markt- und Ressourcensicht, Komplexität und gegenseitiger Abhängigkeit (vgl. Abb. 3.31). Umgekehrt ist es bei Buy-Entscheidungen. Cooperate umreißt ein Spektrum strategischer Entscheidungen, dass zwischen beiden Polen liegt, organisatorisch z.B. als strategische Partnerschaft oder Strategische Geschäftseinheit.

Wechselseitige Abhängigkeit

Spezifität der Märkte und Ressourcen

Interne Leistungsfähigkeit

Komplexität Abb. 3.31

Einflussfaktoren für die Wahl zwischen Markt und Hierarchie (Müller 2009)

Eine theoretische Grundlage ist dabei der Transaktionskostenansatz. Danach wird eine Zusammenarbeit zwischen potenziellen Konkurrenten oder zwischen Käufern und Verkäufern wahrscheinlich vorteilhaft sein, wenn die Kosten des Kaufs und der Transaktion (Anbahnungs-, Verhandlungs- und Vertragskosten), die durch die Zusammenarbeit entstehen,

3.3 Netzwerkstrategie

157

niedriger sind, als die internen Kosten, die durch die Eigenerstellung anfallen. Mit höherer Spezifität eines Produktes steigen die Transaktionskosten (vgl. Williamson 1975). Darüber hinaus sind weitere Faktoren zu beachten. Auch kulturelle Ressourcen und Kompetenzen sind für die Erklärung von Netzwerkstrategien relevant. Gerade Fallstudien zu Toyota betonen immer wieder diese weichen Erfolgsfaktoren, die es dem Unternehmen erlauben, nachhaltige und tiefe Beziehungen zu ihren Zulieferern aufzubauen. Der Transfer von explizitem und verborgenem Wissen wird dadurch gefördert: Toyota und Honda beziehen nicht viel aus Niedriglohnländern; die Innovationsfähigkeit ihrer Zulieferer ist ihnen wichtiger als Lohnkosten (vgl. Liker & Choi 2005). Kandidaten für die interne Beschaffung oder für strategische Partnerschaften sind jene „hochwertigen Inputs, die verbunden sind mit den Kernkompetenzen des Abnehmers und geeignet sind, die Produkte des abnehmenden Unternehmens zu differenzieren.“ (Dyer et al. 1998, S. 68) Die interne Beschaffung kann als funktionale hierarchische Struktur oder als multidivisionale Struktur, mit relativ eigenständigen Strategischen Geschäftseinheiten gestaltet werden (vgl. näher dazu Kap. 4). Nachteile der Make-Strategie können geheilt werden durch die Verwandlung interner Lieferanten in Profitcenter und Schattenseiten der BuyStrategie können durch strategische Partnerschaften verringert werden (vgl. Park et al. 2000). Wir haben uns in diesem Kapitel mit der Geschäfts-, Unternehmens- und Netzwerkstrategie auseinandergesetzt und damit einen weiteren Meilenstein erreicht. Aber damit können wir nicht stehenbleiben, denn: „Es ist keine Kunst eine Strategie zu formulieren, die Schwierigkeit ist, sie zum Laufen zu bringen.“ Dieser eingangs bereits angeführte Satz von Igor Ansoff leitet über in das nächste Thema, die Organisationsgestaltung.

158

3 Strategien

Zusammenfassung 1. Die Schrittfolge der strategischen Planung gibt einen Orientierungsrahmen für die Strategieentwicklung auf den verschiedenen Ebenen: Geschäftsbereich, Gesamtunternehmen, Unternehmensnetzwerk. 2. Zum Geschäftssystem (Geschäftsmodell) einer Organisation gehören die Ressourcenbasis (die Wertausstattung), das Aktivitätssystem (die Wertkette) und das Produkt- und Dienstleistungsangebot (das Wertversprechen). Die Ausrichtung des Produkt- und Dienstleistungsangebotes beginnt mit der Geschäftsfeldabgrenzung und der Bildung von entsprechenden Strategischen Geschäftseinheiten. 3. Die Chancen und Bedrohungen der Umwelt werden zunächst mit der PEST-Analyse abgeschätzt, die Herausforderungen der allgemeinen Unternehmensumwelt darstellt. Zur Branchenanalyse ist die 5-Kräfte-Analyse von Porter verbreitet, die die Attraktivität einer Branche von deren Marktstruktur ableitet: der Konkurrenz innerhalb der Branche, den Markteintrittsbedrohungen, der Käufer- und Lieferantenmacht sowie der Bedrohung durch Ersatzprodukte. Davon hängt auch die Positionierung im Wettbewerb ab: Unternehmen können die Optionen der Differenzierung, der Kostenführerschaft und der Nischenstrategie verfolgen. 4. An der Einseitigkeit dieses Ansatzes von Porter, der an monopolistischen Wettbewerbsvorteilen aus Marktstruktur, -verhalten und -ergebnis orientiert ist, setzt die Kritik an. Hybridstrategien, komplementäre Produkte, dynamischer Wettbewerb und die Tatsache, dass Geschäftsbeziehungen durch eine Dualität von Wettbewerb und Kooperation (Coopetition) und nicht nur durch das Streben nach Monopolgewinnen geprägt sind, werden angeführt. 5. Zur Entwicklung der Geschäftsstrategie gehört weiter die Analyse der Stärken und Schwächen des Aktivitätssystems und der Ressourcenbasis. Verbreitet sind hier die Wertkettenanalyse von Porter sowie die Nutzwert-Analyse (Scoring-Methode), die Informationen auch im Vergleich mit Geschäftseinheiten anderer Unternehmen (Benchmarking) bereitstellen. 6. Eine Strategie ist nur so gut wie ihre Umsetzung. Ausgehend von der Markt- und Ressourcenanalyse werden Ziele und Strategien für die jeweiligen Geschäfte formuliert und mit den Managementfunktionen Führung, Organisation, Personalmanagement, Information und Controlling umgesetzt. Nützliche Werkzeuge sind Strategy Maps und die Balanced Scorecard. 7. Ausgangspunkt für die Unternehmensstrategie ist die Frage nach der Konfiguration des Unternehmens. Zentrale Themen sind hier die Wertarchitektur und das ausgewogene Management des Gesamtunternehmens. Synergien entstehen aus der Nutzung gemeinsamer Ressourcen, der Integration der Wertkette und der Abstimmung der Positionen des Produkt- und Dienstleistungsangebotes. Die Kehrseite der Synergie ist der Verlust von Reaktionsfähigkeit; beide Perspektiven sind abzuwägen. Auch die Ressourcenzuweisung sollte nicht allein aus Marktsicht, sondern auch aus Ressourcensicht erfolgen.

Fragen zur Diskussion

159

8. Unternehmensnetzwerke sind Organisationsformen, die sich zwischen Unternehmen und Markt herausbilden. Die Bewertung der Kooperation, der strategischen Partnerschaft, hängt davon ab, ob das Unternehmen eher als eigenständige Organisation oder als eingebettete Organisation angesehen wird. Das Management der Beziehungen (RelationshipManagement) zu Kunden, Lieferanten, Anteilseignern und Mitarbeitern gehört zu einem vergleichsweise neuen Gebiet der Strategischen Unternehmensführung, das an Bedeutung gewinnt.

Fragen zur Diskussion 1. 2. 3. 4.

SWOT-Analyse: Worum geht es? Welche Instrumente der Unternehmensanalyse halten Sie für besonders relevant? Was spricht für den „Resource Based View“, was für den „Market Based View“? Wie und warum werden Strategische Geschäftsfelder und Strategische Geschäftseinheiten abgegrenzt? 5. Wie sollte sich eine Geschäftseinheit im Wettbewerb positionieren? 6. Welche Bedeutung hat die Mission für die Unternehmensplanung? 7. Was spricht für die Portfolio-Organisation, was für die integrierte Organisation? 8. Der radikale Umbau von Unternehmen bietet Chancen, aber auch Risiken. Welche? 9. Sind die Diversifikation und die Konzentration auf das Kerngeschäft unvereinbare Gegensätze? 10. Größenvorteile und Verbundvorteile: bei welchen Strategieinstrumenten sind diese relevant? 11. Ist es richtig, dass japanische Unternehmen ihre Zulieferer partnerschaftlich einbinden, westliche Hersteller hingegen auf distanzierte Marktbeziehungen setzen?

4

Organisationsgestaltung Grundlagen der Unternehmensführung

Umwelt

Strategien

Organisationsgestaltung Internationale Strategie und Organisation

Unternehmensleistung

Ziele

Internationale Strategie und Organisation

Abb. 4.1

Kapitelübersicht

Im vierten Kapitel erfahren Sie: ! Welche Bereiche der Organisationsgestaltung bei der Strategieentwicklung zu berücksichtigen sind und wie dabei Führung und Selbstorganisation miteinander zu verbinden sind. ! Welche Bedeutung die multidivisionale Struktur hat und wie die zentrale und dezentrale Führung im Konzern abgeglichen wird. ! Warum es bei Organisationsfragen darauf ankommt, neben den Strukturen, auf die Prozesse und Projekte, auf die Organisationskultur und die Menschen zu achten. ! Dass kontroverse Erklärungsansätze der Organisation zum Verständnis und zur Organisationsgestaltung beitragen können. ! Warum Themen wie Change Management und Innovationsmanagement heute aktuell sind und was darunter zu verstehen ist.

!

162

4 Organisationsgestaltung

Überblick Lean Management, Total Quality Management, Business Reengineering, Change Management sind einige der bekannten Managementkonzepte der letzten Zeit. Ihnen ist gemeinsam, dass sie an den Organisationsprozessen ansetzen, um herausragenden Leistungen des Unternehmens zu erzielen. Toyota beispielsweise gilt immer noch als nicht erreichtes Vorbild der schlanken Produktion, des Lean Managements. In diesem Zusammenhang veröffentlicht Michael Porter (1997) einen Beitrag mit dem Titel „Was ist Strategie?“ indem er argumentiert, dass diese Konzepte zwar geeignet sein könnten, die operative Effizienz zu erhöhen, nicht aber zum Bereich der Strategie gehörten. Henry Mintzberg (1999) hält dem entgegen, dass, wie bei vielen seiner Kollegen, auch bei Porter eine einseitige Sicht zur Strategie vorliege (vgl. Kap. 1). Wir müssen diesen akademischen Streit hier nicht weiter vertiefen. Selbst unter der (unzutreffenden) Annahme, dass die Organisation nicht mehr ist, als ein Instrument zur Umsetzung der fertigen Strategie, kommt es doch auf sie an, denn viele Strategien scheitern an ihrer Umsetzung. Nach Bob de Wit und Ron Meyer (2008, S. 481) müssen Manager akzeptieren, dass es in einer Organisation, einem komplexen System, ein vergebliches Unterfangen wäre, alles zu kontrollieren. Das strategische Paradox aus Kontrolle und Chaos „entsteht aus der Tatsache, dass ‚Anordnung von oben‘ und ‚Initiative von unten‘ Anforderungen sind, die im Konflikt zueinander stehen, und sich deshalb nur schwierig zur gleichen Zeit vereinbaren lassen.“ Führung versus Selbstorganisation sind deshalb prägende, gegensätzliche Perspektiven, die sich bei der Strategien im organisatorischen Kontext stellen. Bei der Organisationsgestaltung (Organizational Design) geht es zunächst darum zu klären, was darunter verstanden werden soll (vgl. Kap. 4.1). Der Siemens-Einstiegsfall weist bereits darauf hin, dass Änderungen der Organisationsstruktur zu wichtigen Führungsentscheidungen des Unternehmens gehören. Die Landesgesellschaften wurden entmachtet und den Geschäften untergeordnet. Das ist typisch für eine multidivisonale Struktur. Dabei stellt sich auch die Frage nach dem Verhältnis von zentraler und dezentraler Führung. Beide Themen stehen im Zentrum unseres Kapitels zur Organisationsstruktur (Kap. 4.2). Die genannten Managementkonzepte rücken hingegen die Prozesse, Projekte und Menschen ins Blickfeld (Kap. 4.3) und, damit eng verbunden, die Organisationskultur (Kap. 4.4). Im Anschluss daran werden einige Erklärungsansätze zur Organisationsgestaltung dargestellt (Kap. 4.5). Dabei ist insbesondere die Kontroverse über die Frage interessant, ob eine neue Form die multidivisionale Struktur abgelöst hat. Ein Überblick zu den wichtigsten Argumenten zum Innovationsmanagement (Kap. 4.6) und Change Management (Kap. 4.7) rundet das Kapitel ab.

163

4 Organisationsgestaltung

Einstiegsfall: Siemens – Kulturrevolution durch neue Strukturen? Peter Löscher, der Vorstandsvorsitzende von Siemens, hatte wiederholt betont, dass er die „Evolution, keine Revolution“ in Europas größtem Technologieunternehmen anstrebe. Aber bereits zum Jahresende 2007, nach den ersten 100 Tagen seiner Leitung, wurden radikale Veränderungen der schwerfälligen Managementstruktur von Siemens umgesetzt, die tiefgreifende Auswirkungen auf die Unternehmenskultur haben könnten. Zuvor hatte Siemens drei Managementebenen: „Coaches“ im „Executive Board“, die mehrere Geschäftsbereiche überblicken, ohne jedoch die vollständige Verantwortung zu übernehmen, die Geschäftsbereiche selbst und sehr einflussreiche Landesgesellschaften. Nun wird die oberste Führungsebene mit zentraler Machtbefugnis ausgestattet. Diese besteht aus dem Vorstandsvorsitzenden, dem Finanzvorstand und Top-Managern für Technologie, Compliance und Personal sowie den CEO’s der drei „Superdivisions“, den Sektoren Industry, Energy und Healthcare, die sich wiederum in 15 Divisionen gliedern (vgl. Abb. 4.2). Ziel in diesem Portfolio an Geschäftsaktivitäten ist es die Position 1 oder 2 an attraktiven Wachstumsmärkten zu erreichen. Die Ländergesellschaften werden den Geschäftsbereichen untergeordnet und die „Coaches“ auf der Executive Board Ebene abgeschafft. Aufsichtsrat Vorstand Sektor CEO Industry

Sektor CEO

~€ 40 Mrd.

Energy

Sektor CEO Healthcare1) ~€ 11 Mrd.

~€ 20 Mrd.

Industry Automation

Fossil Power Generation

Imaging & IT

Drive Technologies

Renewable Energy

Workflow & Solutions

Building Technologies

Oil & Gas

Diagnostics

Osram

Service Rotating Equipment

Industry Solutions

Power Transmission

Mobility

Power Distribution

Anmerkung: Organisationsstruktur ohne Cross-Sector Businesses, zentrale und regionale Einheiten

Abb. 4.2

Die multidivisionale Organisationsstruktur von Siemens (Löscher 2007, S. 4)

Die Entmachtung der Landesgesellschaften ist ein radikaler Schritt. Bisher hatten sie, mehr als die Geschäftsbereiche selbst, die Führungsrolle bei Vertragsverhandlungen in ihrem jeweiligen Land übernommen, selbst wenn das Geschäft nur eine Geschäftseinheit, wie die Energieerzeugung, betraf. Löscher ist klar, dass wenn die Geschäftseinheit selbst die Entscheidungen trifft, sie dies in den Konflikt mit gewissen Landesfürsten bringen wird. „Es geht darum, die Kultur von Siemens tiefgreifend zu verändern. Deshalb müssen wir in kleinen Schritten vorgehen“, meint ein Top-Manager. Auch weil Löscher von außen kam –

164

4 Organisationsgestaltung

von Merck aus den Vereinigten Staaten, nachdem sein Vorgänger inmitten des Bestechungsskandals zurücktrat – muss er mit einer bestehenden, tief verankerten Kultur sehr sorgfältig umgehen. Es ist auch wahrscheinlich, dass durch die Veränderungen frisches Blut in das Top-Management kommt und traditionelle Geschäftsfelder abgestoßen werden. Für Werner Mönius, Mitglied im Gesamtbetriebsrat und Aufsichtsrat von Siemens, begann die Auflösung der Siemens-Familie bereits in den 1990er Jahren: „Jedes Jahr 14 bis 17 Prozent Rendite – unter dem Diktat des Finanzmarktes leiden Führungskräfte genauso wie die Beschäftigten.“ Erst einen Tag vor einer angedrohten Kundgebung am 27. Juli 2008 geht Löscher auf die Forderungen des Konzernbetriebsrates und der IG Metall ein: Es wird Personalabbau geben, aber keine betriebsbedingten Kündigungen. Siemens verpflichtet sich, bis zum 30.9.2010 keine Standorte zu schließen oder zu verlagern. Auch diese Konfliktbereitschaft ist Ausdruck des Kulturwandels bei Siemens. Ende 2008 ist in der Wirtschaftspresse zu lesen, dass Siemens seinen Umbau abgeschlossen hat. Fragen: 1. Wie würden Sie die neue Organisationsstruktur von Siemens beschreiben? 2. Welche Strategie steckt dahinter und welche Chancen und Risiken sind mit der neuen Organisation verbunden? 3. Was hat das alles mit der Unternehmenskultur und -verantwortung zu tun? 4. Wie kann der damit verbundene organisatorische Wandel bewältigt werden? Quellen: Milne, R.: Siemens prepares for its cultural revolution. In: Financial Times vom 02.10.2007; Löscher, P.: Neue Konzernstruktur für Siemens. Pressegespräch vom 29. November 2007, www.siemens.com/presse; Schmidt, U.: Hart, aber ehrlich. In: Die Mitbestimmung 2008, Nr. 10, S. 10-15; Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 14. November 2008; Siemens-Geschäftsbericht 2008, S. 78 ff.

4.1

Herausforderungen der Organisationsgestaltung

Die Unternehmensleistung (Performance) hängt nicht nur von der Strategie ab, sondern auch von deren Umsetzung in der Organisation. Beide werden geprägt vom Wettbewerbsumfeld, wie umgekehrt dieses in einem gewissen Umfang auch durch die Strategie und Organisation eines Unternehmens beeinflusst wird (vgl. Abb. 4.1). Zu den Instrumenten der Unternehmensführung gehören aus traditioneller Sicht Planung, Organisation und Kontrolle. Heute wird oft hervorgehoben, dass das Unternehmen nicht nur eine Organisation hat, sondern eine Organisation ist, ein zielgerichtetes Sozialsystem, bei dem es auf die Prozessabläufe und die Menschen, mit ihren jeweiligen Einstellungen, Interessen und Einflussmöglichkeiten ankommt (vgl. Kapitel 1). So wie heute nicht nur von Planung sondern vom Strategischen Management die Rede ist, so haben sich auch die Vorstellungen zur Gestaltung des Organisationssystems verändert. Zur Umsetzung der Strategie gehört demnach mehr als nur die Strukturierung der Organisation. Anschaulich wird dieses Organisationssystem mit dem Bild vom Organismus eines Unternehmens (vgl. Bartlett & Ghoshal 1998; Abrahamson 2004; De Wit & Meyer 2008, Roberts 2004), der sich mit dem Geschäftssystem entwickelt (vgl. Abb. 4.3):

4.1 Herausforderungen der Organisationsgestaltung

165

! Geschäftssystem. Das Geschäftssystem umfasst, wie im Kapitel 3 gezeigt, die besondere Konfiguration der Ressourcen, der wertschöpfenden Aktivitäten und Angebote von Produkten und Dienstleistungen, mit denen ein Unternehmen an den Märkten auftritt. Dieses wird bei einem Automobilhersteller anders aussehen als bei einer Online-Bank, bei einem „Hidden Champion“, wie Haribo und Stihl, einem weniger bekannten, aber auf dem Weltmarkt erfolgreichen Unternehmen (vgl. Simon 2007) anders, als bei einem großen „Global Player“. ! Organisationssystem. Der Begriff des Organisationssystems umfasst, welchen Regeln die Mitglieder einer Organisation unterliegen und wie sie sich untereinander und in Beziehung zum Geschäftssystem verhalten. Näher ausgefächert gehören dazu die Elemente Struktur, Prozesse und Kultur einer Organisation.

Geschäftssystem

Organizationsstruktur

Organizationsprozess

Organizationskultur

(Anatomie)

(Physiologie)

(Psychologie)

Organisationsmitglieder (Organisationseinheiten)

Abb. 4.3

Elemente des Organisationssystems (nach De Wit & Meyer 2004, S. 166; Bartlett & Goshal 1995)

! Organisationsstruktur. Die Organisationsstruktur regelt die horizontale und vertikale Arbeitsteilung (Spezialisierung). Oft ist auch die Rede von der Aufbauorganisation, dem Organigramm oder vom „Wer an wen berichtet“. Integriert wird durch Hierarchie, Pläne und Selbstabstimmung (Teams). Bildlich gesprochen ist dies die Anatomie der Organisation. ! Organisationsprozesse. Zu den Organisationsprozessen gehören die Richtlinien, Prozeduren und Routinen, um die Personen und Einheiten in einer Organisation zu steuern und zu koordinieren. Dazu zählen etwa der Fluss der organisatorischen Abläufe von der Be-

166

4 Organisationsgestaltung

stellung bis zur Auslieferung, Planungs- und Kontrollprozeduren sowie die finanzielle Budgetierung und das Berichtswesen. Aber auch Prozesse mit geringer Reichweite oder kurzfristiger Bedeutung wie jährliche Verkäuferkonferenzen, die Zusammenarbeit mit Mitarbeitern, Kunden und Lieferanten etwa über Online-Plattformen bis hin zu den Geschäftsessen gehören dazu. Bildlich betrachtet ist dies die Physiologie der Organisation. ! Organisationskultur. Die Organisationskultur bezeichnet eine Weltsicht und entsprechende Verhaltensmuster, die von den Mitgliedern einer Organisation geteilt werden. Dazu gehören etwa die Extremvorstellungen: „Die da oben, wir da unten!“ versus „Wir gemeinsam!“ Die Organisationskultur in einem erfolgreichen Softwarehaus wie SAP ist anders als bei einem insolvenzbedrohten Handelshaus. Hier passt die Metapher von der Psychologie der Organisation. ! Menschen in der Organisation. Hier geht es um das Organisationsverhalten (Organizational Behaviour) von Menschen als Individuum, in Teams und in der Gesamtorganisation. Dies ist auch der Kernbereich des Personalmanagements (Human Resource Management). Die Aufgabe der Organisationsgestaltung ist es nun, diese verschiedenen Bereiche, auch im Hinblick auf anstehende Veränderungen, zielgerichtet zu entwickeln und dabei deren Wechselwirkungen nicht aus dem Auge zu verlieren. Dabei ist es aus strategischer Sicht durchaus angemessen, sich auf den jeweiligen Engpassfaktor zu konzentrieren (vgl. Kap. 1.1). Im Siemens-Einstiegsfall ist die Organisationsstruktur der Engpassfaktor; von deren Veränderung werden Auswirkungen auf die Unternehmenskultur erwartet. Aber wie muss man sich diese Wechselwirkungen genauer vorstellen? Zu Beginn der 1980er Jahre veröffentlichten McKinsey-Autoren ein Buch mit dem Titel „Auf der Suche nach Spitzenleistungen“, das schnell Bestseller wurde. Die zentrale Botschaft wird in einem sogenannten 7-S-Modell dargestellt, das bis heute in nahezu jedem Management-Lehrbuch wiedergeben wird (vgl. Abb. 4.4). Ähnlich wie gerade entwickelt, werden verschiedene Bereiche der Organisation unterschieden, die plakativ alle mit einem „S“ beginnen: Als Strategie wird hier die Ausrichtung der Produkte auf Märkte verstanden, als Struktur die ‚Anatomie‘ der Organisation, System meint die Prozesse. Neben diesen „harten“ Faktoren, die relativ leicht zu erkennen und zu analysieren sind, werden „weiche“ Faktoren genannt, die nicht leicht zu beobachtend sind, etwa wie der unter Wasser liegende Teil eines Eisbergs. Dazu gehören die Unternehmenskultur (Stil) aber auch die besonderen Qualifikationen (Spezialkenntnisse) und Fähigkeiten der Mitarbeiter (Stammpersonal). Gesteuert wird das Ganze durch übergeordnete Ziele (Selbstverständnis). Zwischen den Faktoren besteht Wechselwirkung.

4.1 Herausforderungen der Organisationsgestaltung

167

Struktur hart

Strategie

Systeme

weich

Selbstverständnis Spezialkenntnisse

Stil Stammpersonal

Abb. 4.4

7-S-Diagramm – Wechselwirkung der Organisationsfaktoren (Peters, Waterman & Phillips 1980)

Diejenigen Unternehmen sind am erfolgreichsten, die den „Best Fit“, die beste Abstimmung zwischen diesen Faktoren, erreichen. Die mangelnde empirische Absicherung des Modells und die Tatsache, dass viele der so genannten ‚Spitzenunternehmen‘ wie IBM, Caterpillar und Citibank später erhebliche Schwierigkeiten hatten, konnte die Beliebtheit des Modells nicht gefährden. Kritiker meinen nämlich, dass die in dieser und anderen Best-PracticeStudien für ihren Erfolg gelobten Unternehmen, keineswegs immer die besseren Strategien haben: „Oft profitieren sie auch einfach nur von glücklichen Zufällen – die statistische Streuung macht‘s möglich.“ (Raynor et al. 2009, S. 14) Unstrittig ist, dass neben dem „Fit“ auch auf „Stretch“ geachtet werden sollte, also auf die Fähigkeit zum organisatorischen Wandel (Organizational Change) und zur Innovation. Als Beispiel dafür wird IBM angeführt: Die erste Revolution in der Computerindustrie hin zum Personal Computer hatte man verschlafen, vielleicht weil das Unternehmen mit den Großrechnern zu erfolgreich war und schwerfällig wurde. Bei der zweiten Revolution durch das Internet, war man bereits wach: Umgesetzt wurde der Wandel durch das „Management von unten“, durch die Koalition von denen, die die schwachen Signale der Veränderung spürten und dabei von Einzelnen des Top-Managements unterstützt wurden. Nicht der Druck von oben hat diesen erfolgreichen Wandel ermöglicht: Man hat vielmehr Ideen, Initiativen und Enthusiasmus, die von unten kamen gefördert. Dies ist ein Indiz dafür, dass mit dezentralen Strukturen, mit Handlungsspielräumen für Mitarbeiter (Empowerment) und Selbstorganisation statt mit zentraler Planung und Steuerung das Feld für die strategische Neuausrichtung bereitet werden kann. Die neue IBM ist heute wieder ein erfolgreiches Unternehmen (vgl. Hamel 2001). Manager sehen ihre Aufgabe darin zu steuern und zu kontrollieren – zugleich aber wissen sie, dass dies im komplexen System der Unternehmung nicht wie bei einer Maschine durch Hebel und Instrumente gelingen kann. Das unübersichtliche Marktumfeld stellt beständig neue Anforderungen an Planung und Kontrolle im Unternehmen. Es ist nicht nur so, dass auf den Märkten die „unsichtbare Hand“ (Adam Smith) wirkt und in den Unternehmen die

168

4 Organisationsgestaltung

„sichtbare Hand“ (Alfred Chandler) der hierarchischen Kontrolle und Steuerung wirksam wird. Vielmehr besteht Wechselwirkung zwischen diesen beiden Institutionen der Arbeitsteilung im Betrieb und in der Gesellschaft. Hinzu kommt, dass Chaos in Organisationen nicht immer eine Schwäche ist. Geplante Ungeregeltheit, wie sie sich praktisch in Pilotprojekten und anderen Formen des Experimentierens zeigt, stellt eine Quelle der Innovation dar. Allerdings sind Anordnung von oben (Top-Down) aber auch Initiative von unten (Bottom-Up) gegensätzliche Ansprüche. Daher ist das Paradox von Kontrolle und Chaos in der Literatur über Strategie, Organisation, Führung und Corporate Governance ein immer wiederkehrendes Thema. Die entsprechenden strategischen Perspektiven sind einerseits Führung, um das Chaos in den Griff zu bekommen. Die „sichtbare Hand“ sorgt dafür, dass die Organisation der Strategie angepasst wird. Anderseits wirkt die Selbstorganisation: mit der organisatorischen Dynamik im Chaos wird die Initiative freigesetzt, entwickelt sich durch die „unsichtbare Hand“ die relative Ordnung der Märkte und folgt die Strategie der Umwelt und Organisation (vgl. De Wit & Meyer 2008, Kap. 8). Vorausgesetzt ist dabei immer, das weder ein Markt- noch ein Hierarchieversagen vorliegt, wovon, wie sich zeigen wird, nicht unbedingt ausgegangen werden kann. Was aber spricht für den Vorrang der geplanten Strategie in der Organisation? Die Vorstellung, dass moderne Großunternehmen nur noch aus losen Netzwerken, Projekten und Teams bestehen sollen, geht überwiegend an der Realität vorbei, wie der Siemens-Einstiegsfall verdeutlicht. Google und Gore & Associates, die diesem Typus vielleicht entsprechen, sind immer noch Ausnahmen. Wird die Struktur der Strategie angepasst oder sind darüber hinaus auch Wechselwirkungen zu erwarten und inwiefern sind weiche Erfolgsfaktoren zu berücksichtigen? Wie im Folgenden gezeigt wird, entzünden sich an dieser Frage bis heute lebhafte Kontroversen.

4.2

Primäre Strukturen der Organisation

Zwei Themen sind im Zusammenhang mit der Strategie bei der Organisationstruktur besonders relevant: die multidivisionale Struktur und die Ausgewogenheit von zentraler und dezentraler Führung im Konzern. Netzwerkstrukturen, die durch Allianzen und Outsourcing entstehen und Organisationsgrenzen unscharf werden lassen, haben wir bereits im vorigen Kapitel angerissen. Mit der horizontalen Ausdifferenzierung der Aufgaben und Verantwortungen wächst auch die Notwendigkeit der Integration. Organisationsprozesse und kulturen tragen zur Integration bei, aber „der grundlegende Mechanismus zur vertikalen Integration ist gewöhnlich die Organisationsstruktur – die formale Autorität.“ (De Wit & Meyer 2008, S. 166)

4.2.1

Von der funktionalen zur multidivisionalen Struktur

Für jede Organisation stellt sich die Aufgabe, wie Aktivitäten zu steuern und zu koordinieren sind, um ihre Ziele zu verwirklichen. Als Differenzierung wird ein Prozess bezeichnet, durch den eine Organisation Menschen und Ressourcen verteilt, um Aufgaben zu erfüllen. Dazu werden Aufgaben- und Autoritätsbeziehungen etabliert. Es geht also um den Prozess

4.2 Primäre Strukturen der Organisation

169

der Steuerung der Arbeitsteilung oder des Spezialisierungsgrades in einer Organisation. Organisationsstrukturen können viele oder wenige Ebenen aufweisen, Entscheidungen zentralisiert und dezentralisiert sein. Die Anzahl der Ebenen und die Leitungsspanne sind je nach Unternehmensgröße und Branche verschieden; einen Eindruck für den Bereich der Filialunternehmen (Multi-Unit-Enterprises) wie Handels- und Restaurantketten sowie Banken vermittelt die Abb. 4.5. In den vergangenen Jahren war viel davon die Rede, Hierarchien zu verflachen, um flexibler auf Umweltveränderungen reagieren zu können. Bevor wir uns dieser Frage zuwenden, sollen zunächst die Grundformen der funktionalen und multidivisionalen Aufbauorganisation dargestellt werden. Kontrollspannen auf den Hierarchiestufen

Zahl der Manager, die an einen Vorgesetzten berichten Regionalleiter an Bereichsleiter

Bezirksleiter an Regionalleiter

Einzelhändler

Restaurants

8

5

8

Abb. 4.5

3

7

14

Filialleiter an Bezirksleiter

Hierarchiestufen

Banken

4

9

9

15

5

4

Kontrollspannen in Filialunternehmen (nach Garvin & Levesque 2008, S. 113)

GRUNDFORMEN Die Stelle ist die kleinste Organisationseinheit, mit bestimmten Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortungen. Demgegenüber ist der Arbeitsplatz der Ort der Aufgabenerfüllung. Organisationale Rollen sind die Erwartungen, die an eine Person gerichtet werden. Werden Stellen zur Integration durch hierarchische Beziehungen zu größeren Einheiten zusammengefasst, entstehen hierarchisch geführte Abteilungen, Hauptabteilungen, Bereiche usw., erfolgt hingegen die Integration durch Selbstabstimmung, entstehen Teams. In einer einfachen Organisation, in denen nur eine oder wenige Personen alle Aufgaben erfüllen, ist die Differenzierung niedrig. Indem nun eine Person eine bestimmte Aufgabe übernimmt, beginnt die Arbeitsteilung und Spezialisierung. Eine funktionale Struktur wird nach gleichartigen Verrichtungen gebildet. Das ist etwa bei der Montage in der Automobilfertigung, bei der Beschaffungs-, Produktions- oder Marketingabteilung eines Produktionsunternehmens oder bei der Kreditabteilung einer Bank der Fall. Formale Beziehungen werden gewöhnlich in einem Organigramm abgebildet, das die Weisungs- und Berichtswege anzeigt.

170

4 Organisationsgestaltung

Die Vorteile einer funktionalen Struktur liegen in der Spezialisierung der Tätigkeiten, den Lerneffekten wiederholter Tätigkeit und in der Entwicklung von gemeinsamen Normen und Werten. Es entwickeln sich spezifische Fähigkeiten und Kompetenzen. Schon von Adam Smith stammt dazu das bekannte Bespiel der Nähnadel-Manufaktur, in der jeder Arbeiter nur eine äußerst spezialisierte Funktion übernimmt. Auf der anderen Seite nehmen die Probleme zu, wenn die Organisation erfolgreich ist, wächst und sich zunehmend ausdifferenziert. Dazu gehören Steuerungsprobleme. Grenzen der Arbeitsteilung treten nicht nur auf durch Inflexibilität und Demotivation auf der Arbeitsebene, sondern auch durch die zunehmende Komplexität der Organisation. Hinzu kommen Kommunikationsprobleme und Zielkonflikte, weil die Funktionen ein Eigenleben und unterschiedliche Zielsetzungen entwickeln. Die ‚Herren und Damen vom Vertrieb‘ versuchen etwa den unterschiedlichsten Kundenwünschen zu folgen, um den Umsatz zu steigern, während für ‚die Männer und Frauen aus der Produktion‘ Kostensenkungen etwa durch Standardisierungen vorgegeben sind oder die ‚Kollegen und Kolleginnen aus der Forschung & Entwicklung‘ nach technisch ausgefeilten Lösungen suchen. Weitere Probleme sind, dass mit wachsender Ausdifferenzierung der Funktionen, deren Wertschöpfungsbeitrag schwerer zu messen und zuzurechnen ist, die Anpassung an regionalund kundenspezifische Bedürfnisse nur unzureichend erfolgt und die Leitung – vom operativen Geschäft überlastet – sich zu wenig mit strategischen Fragestellungen befasst. Eine objektorientierte Struktur entsteht dann, wenn in einer Organisation Aktivitäten nach Produkten, Regionen oder Kunden gruppiert werden. Das Ziel einer Organisation sind dabei kleinere Geschäftseinheiten (Business Units), die sich besser führen lassen, denn mit der Vielzahl und Komplexität der Objekte nehmen Steuerungsprobleme zu. Zwei Formen dieser Struktur sind sehr ähnlich und dennoch grundlegend verschieden: ! In der Produktspartenstruktur (Product-Divisions-Structure) werden Unterstützungsfunktionen wie Forschung & Entwicklung, Marketing & Vertrieb und Rechnungswesen zentralisiert. Der Manager einer Produkt-Division muss sich mit jeder zentralen Unterstützungsfunktion abstimmen. ! Bei der multidivisionalen Struktur (Multidivisional Structure) werden die Unterstützungsfunktionen in die eigenverantwortlichen Geschäftseinheiten dezentralisiert, die als Profitcenter nicht mehr nur hierarchisch, sondern auch über interne Märkte (Verrechnungspreise) koordiniert werden. Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass funktionale Zentralbereiche (Corporate Headquarters Staff) gebildet werden, die die oberste Unternehmensleitung (Corporate Manager) darin unterstützen, die Aktivitäten der Geschäftsbereichsleiter (Divisional Manager) zu überwachen und strategisch zu führen. An sie berichten wiederum die Abteilungsleiter der Funktionen, wie Forschung & Entwicklung, Personal, Finanzen, Produktion oder Marketing und Vertrieb (vgl. Abb. 4.6).

4.2 Primäre Strukturen der Organisation

171

Geschäftsleitung Vorstand

Unternehmensstrategie

Geschäftsfeldstrategien

Division/Sparte A Strategische Geschäftseinheit A

Funktionalstrategien

Abb. 4.6

Division/Sparte B Strategische Geschäftseinheit B

Forschung und Entwicklung

Forschung und Entwicklung

Personal

Personal

Finanzen

Finanzen

Produktion

Produktion

Marketing und Vertrieb

Marketing und Vertrieb

Strategie und Organisationsstruktur (nach Grant & Nippa 2006, S. 46)

DIE MULTIDIVISIONALE STRUKTUR ALS MANAGEMENTINNOVATION Die bereits in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts entdeckte multidivisionale Struktur ist mehr als nur eine weitere staubtrockene Organisationsstruktur, sie ist eine Managementinnovation (vgl. Hamel 2006). Erstmals wurden in großen, diversifizierten Unternehmen interne Märkte eingesetzt, um Vorteile beider Welten, der Kontrolle und Führung, als auch der Selbstorganisation zu nutzen. Vorteile der multidivisionalen Struktur sind ! die klare Trennung von Geschäfts- und Unternehmensverantwortung, ! eine verbesserte Leistungssteuerung und Erfolgskontrolle der als Profitcenter geführten Geschäftseinheiten, ! die Entwicklung eines internen Arbeitsmarktes für Führungskräfte. Nachteile der multivisionalen Struktur können sein ! eine nicht ausgewogenen Balance zwischen zentraler Autorität der Unternehmenszentrale und dezentraler Autonomie der Geschäftseinheiten, ! Koordinierungsprobleme zwischen den Geschäftseinheiten und Probleme mit der Steuerung über Transferpreise, ! nicht ausgeschöpfte Größen- und Lernvorteile durch die Vervielfachung der Funktionen in den Geschäftseinheiten und Kommunikationsprobleme, die durch viele Hierarchieebenen entstehen. Die auf der zweiten Leitungsebene erkennbare multidivisionale Struktur kann nicht nur nach Produkten, sondern auch nach Regionen oder nach Kundengruppen gebildet werden. Divisionen werden auch als Sparten oder Strategische Geschäftseinheiten bezeichnet. Der

172

4 Organisationsgestaltung

entscheidende Unterschied zur Produktspartenstruktur ist, dass bei der multidivisionalen Struktur eigenverantwortliche Geschäftseinheiten (Unternehmen im Unternehmen) gebildet werden, die zugleich zentral gesteuert und kontrolliert werden. Koordiniert wird sowohl über Pläne und Hierarchien als auch durch den ‚stummen Zwang‘ interner Märkte. Während die zentrale Leitung die Unternehmensstrategie verantwortet, werden die Strategischen Geschäftsfelder (Strategic Business Areas) von den Bereichen (Divisions), die wiederum häufig aus mehreren Strategischen Geschäftseinheiten (Strategic Business Units) bestehen, verantwortet. Dabei geht es um ein ausgewogenes Verhältnis der beiden Strategieperspektiven zentrale Führung versus Selbstorganisation. In der Praxis sind die Bezeichnungen uneinheitlich. Die neue Organisationsstruktur von Siemens umfasst zum Beispiel, wie im Einstiegsfall gezeigt, 15 Divisionen, die von den drei Sektoren (Super-Divisionen) Industrie, Energie und Gesundheit geführt werden. Die Divisionen wiederum führen die Business Units und diese die Business Segmente. Andere große Unternehmen verfügen je nach Branche und Größe über bis zu 150 Divisionen. Interne Zulieferer werden etwa bei Volkswagen nicht mehr als Betriebe, sondern als Geschäftseinheiten mit eigener Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung aufgestellt und dem Wettbewerb mit externen Lieferanten ausgesetzt. Seit Jahren wird ein Ausschreibungsverfahren verwendet, um externe und interne Zulieferer auszuwählen: „Global Sourcing“ gilt für laufende Prozesse, „Forward Sourcing“ für neue Produkte. Die Bedingungen sind für externe und interne Zulieferer gleich, für letztere gibt es lediglich die Möglichkeit nachzulegen, einen „LastCall“. Ein „Make-or-Buy Committee (MBC)“ organisiert den Prozess auf Konzernebene und bereitet die endgültige Entscheidung für das „Corporate Sourcing Comittee (CSC)“ vor. Dieses Verfahren ist typisch für ein multidivisionales, nach Sparten organisiertes Unternehmen. Schon Alfred Sloan von General Motors, der diese Organisationsstruktur in den 1920er Jahren mitgeprägt hat, versuchte damit so etwas wie einen „fairen Preis“ zu ermitteln. Bereits in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts führte Alfred Sloan, damals Präsident und CEO bei General Motors, die multidivisionale Struktur ein (vgl. Praxisbeispiel). Diese organisatorische Innovation war damals ein strategischer Wettbewerbsvorteil gegenüber dem Hauptkonkurrenten Ford. Durch die (Teil-) Autonomie der Geschäftseinheiten und dennoch zentrale Steuerung unterscheidet die multidivisionale Struktur sich deutlich von der Produktdivisionsstruktur, bei der die Unterstützungsfunktionen zentralisiert und interne Märkte nicht vorhanden sind.

Praxisbeispiel: General Motors – die Entstehung der multidivisionalen Struktur William C. Durant gründete General Motors (GM) am 16. September 1908 aus etwa 25 Unternehmen. Nur vier davon – Buick, Olds (nun Oldsmobile), Oakland (nun Pontiac) – überlebten als operative Sparten bis heute. Ursprünglich behielt jede Gesellschaft ihre operative Identität. GM war nichts anderes als eine Holding, eine Zentrale, die von 25 Satelliten umgeben war. Als Alfred P. Sloan im Jahre 1923 Präsident von GM wurde, übernahm er diese Ansammlung von unabhängig geführten Automobilunternehmen, welche ihre eigenen Entscheidungen trafen sowie über eine jeweils eigene Forschung & Entwicklung und ein eigenes Produktprogramm verfügten.

4.2 Primäre Strukturen der Organisation

173

Ford, der Hauptwettbewerber von GM, war ganz anders organisiert. Von Anfang an hatte Henry Ford auf Größenvorteile und Massenproduktion gesetzt und dazu eine mechanistische Struktur etabliert. Er schuf eine hochgradig zentralisierte Organisation, in der er die vollständige persönliche Kontrolle über alle Entscheidungen hatte. Um die Kosten zu senken, produzierte Ford zunächst nur ein Fahrzeug, das Modell T und widmete sich dabei insbesondere Verbesserungen in der Produktion. Wegen dieser Struktur war Ford zunächst viel ertragreicher als GM. Ford hatte nicht nur das bessere Produkt, sondern war auch finanziell überlegen. Der Erfolg von Ford hätte Sloan dazu verleiten können, einige kleine Einheiten von GM zu schließen und die Produktion auf wenige Standorte zu konzentrieren, um weniger Automodelle und die damit verbundenen Größenvorteile nutzen zu können. Um drei Automodelle zu produzieren, wäre eine produktorientierte Struktur mit drei Sparten, ergänzt um Zentralfunktionen wie Marketing, Forschung & Entwicklung sowie Engineering, möglich gewesen. Sloan hingegen erkannte jedoch die Bedeutung der unterschiedlichen Kombinationen von Forschungs-, Design- und Marketingkompetenzen, die in den kleinen Automobilunternehmen vorhanden waren. Er sah das Risiko, die Vielfalt der Talente zu verlieren, wenn er all diese Fähigkeiten in einer zentralen Forschungs- und Entwicklungsabteilung zusammenfassen würde. Wenn dieselben Unterstützungsfunktionen, wie Konstruktion und Design, für alle Sparten tätig sein würden, bestand überdies die Gefahr, dass alle Autos von GM ähnlich aussehen würden. Sloan erkannte aber auch die Vorteile der zentralisierten Steuerung, um Größenvorteile zu realisieren, die Kosten in den Griff zu bekommen und für die strategische Planung des Gesamtunternehmens. Deshalb suchte er nach einer Organisationsstruktur, mit der er diese Ziele gleichzeitig verfolgen konnte. Die Antwort fand er in der im Jahre 1920 eingeführten multidivisionalen Struktur, die die Vorteile der zentralen Koordination nutzen soll, ohne die Vorteile der Dezentralisierung zu verlieren. Jedem der unterschiedlichen Geschäfte von GM wurde eine eigenständige Einheit mit Funktionen wie Verkauf, Produktion, Technik und Finanzierung zugeordnet. Jede dieser Divisionen war nun ein Profitcenter und wurde nach seiner Rentabilität bewertet. Sloan war sich des wesentlichen Vorteils der Verknüpfung von Dezentralisierung und Rentabilität bewusst: sie machte die Leistung jeder einzelnen Division transparent. Sloan legte fest, dass Transaktionen zwischen den Divisionen nach Verrechnungspreisen auf Kostenbasis zuzüglich eines festgelegten Gewinnzuschlages abgewickelt wurden. Um teure interne Zulieferer zu vermeiden, ließ er externe Wettbewerber bewerten, um einen fairen Preis festzustellen. Dazu etablierte er ein wirksames und professionelles zentrales Management, um solche Bewertungen durchführen zu können. Die Hauptaufgabe der zentralen Unternehmensführung war es nun, die Leistung der Divisionen zu prüfen und eine Strategie für die Gesamtorganisation zu planen. Die Leitung der Divisionen war demgegenüber für produktbezogenen Entscheidungen verantwortlich. In den 1980er Jahren nun, nach harter japanischer Konkurrenz, stellte GM seine multidivisionale Struktur in Frage. Die Vervielfachung von Forschung & Entwicklung, Engineering und Beschaffung bei jeder Division für sich kosteten GM Milliarden Dollar zusätzlich. 1984 wurden die fünf eigenständigen Autodivisionen in zwei Gruppen zusammengefasst: Chevrolet und Pontiac konzentrieren sich auf Kleinwagen; Buick, Oldsmobile

174

4 Organisationsgestaltung

und Cadillac auf die Oberklasse. Die Reorganisation sollte die Kosten verringern und die Produktentwicklung beschleunigen – aber es wurde ein Fiasko. Mit der zentralen Steuerung von Design und Engineering auf Gruppenebene wurden sich die Autos der verschiedenen Divisionen immer ähnlicher. Niemand konnte mehr einen Buick von einem Cadillac oder einem Oldsmobile unterscheiden. Die Umsätze gingen zurück. Zudem wurden Entscheidungen nicht schneller. Durch die Gruppenebene entstand eine weitere Schicht in der Hierarchie. Am Ende hatte GM 13 Hierarchieebenen, während beispielsweise Toyota nur fünf aufwies. Erneut war das Unternehmen in Schwierigkeiten. Vor der Reorganisation war es zu dezentralisiert, nun zu zentralisiert. Was sollte man tun? Als GM seinen Fehler erkannt hatte, gab man das Produktdesign wieder an die Divisionen zurück, während man kostenintensive Funktionen wie Engineering und Einkauf zentralisiert ließ. Diese Restrukturierung war zunächst erfolgreich. Das Management von Cadillac etablierte schnell eine neue Produktlinie und neue Modelle. In den 1990er Jahren reduzierte GM die Anzahl der Modelle und im Jahre 2001 gab man bekannt, dass man die Oldsmobile Division schließen würde. Drastische Kosteneinsparungsprogramme brachten wenig Erfolg. Von 1978 bis 1997 baute GM 297.000 Mitarbeiter ab, etwa die Hälfte aller seiner Mitarbeiter in den USA. Nach Streiks in den Komponentenstandorten Flint und Michigan spaltete GM diese als neues Unternehmen Delphi ab. GM setzte unter den veränderten Wettbewerbsverhältnissen auf strukturelle Veränderungen der Organisation - auf Outsourcing, weniger Divisionen und eine flachere Hierarchie. Im Jahre 2002 gab GM bekannt, dass es bis 2005 so effizient sein würde, wie seine japanischen Wettbewerber. Anfang 2005 stand Toyota bestens da, während der weltgrößte Automobilhersteller GM nicht nur im Heimatmarkt an Marktanteilen verliert, sondern auch in Europa mit seinen Marken Opel, Vauxhall und Saab Verluste schreibt. Erneut setzt GM auf Restrukturierung und Personalabbau. Schon 2005 wird GM in der Presse als „taumelnder Riese“ bezeichnet, 2008 wird erstmals von einem möglichen Konkurs gesprochen. Nur durch die massive Unterstützung der amerikanischen Regierung überleben General Motors, Ford und Chrysler die Branchenkrise. Toyota hingegen, inzwischen Nr. 1 in der Automobilbranche und ebenfalls betroffen, macht weniger durch Outsourcing und Restrukturierung von sich reden, als durch seine partnerschaftlichen Beziehungen zu Lieferanten, Kunden und Mitarbeitern. Neuere Qualitätsprobleme sind darauf zurückzuführen, dass sich die Toyota-Philosophie durch das schnelle Wachstum, vor allem in den USA, nicht aufrechterhalten ließ. Fragen: 1. Welche Aufgaben hat die Zentrale, welche die Geschäftseinheit in der multidivisionalen Struktur? 2. Welche Koordinationsinstrumente werden eingesetzt? 3. Wie ändert sich die Struktur mit der Strategie und sind darüber hinaus noch andere Organisationsfaktoren relevant? Quellen: Jones, G.B.: Organizational Theory, Upper Saddle River 2004; Grant. R.M. & Nippa, M.: Strategisches Management, München 2006; Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 8.1.2005 sowie weitere Tagespresse.

4.2 Primäre Strukturen der Organisation

175

FOLGT DIE STRUKTUR DER STRATEGIE? „Structure follows Strategy“: Nach Untersuchungen des Wirtschaftshistorikers Alfred D. Chandler (1962) lassen sich Organisationsstrukturen durch die Veränderung der Strategie erklären. Chandler teilt die Geschichte des amerikanischen Industrieunternehmens in vier Kapitel ein: ! Kapitel 1: Unternehmerische Stufe der ersten Expansion und Akkumulation von Ressourcen, ! Kapitel 2: Rationalisierung dieser Ressourcen im Rahmen zentralisierter funktionaler Strukturen, ! Kapitel 3: Diversifizierung: Ausschöpfen der Ressourcen durch Expansion in neue Produkte und Märkte, ! Kapitel 4: Multidivisionale Struktur zur effizienten Nutzung der diversifizierten Ressourcen. Daraus ergaben sich für Chandler damals auch wirtschaftspolitische Konsequenzen: „Für das heutige Wohlergehen und das zukünftige Wachstum der amerikanischen Wirtschaft ist diese neue Strategie und mit ihr der neuen Strukturen von höchster Wichtigkeit.“ (ebd., S. 394) Vor dem Hintergrund dieses Modells der „Ordnung und Vernunft“ betrachtet er die damaligen lokalen Eigenheiten in Europa als irrationale Hindernisse auf dem Weg zum weltweiten Fortschritt. Bildlich ausgedrückt hätten diese wunderlichen Kiwis gegen die amerikanischen Wiesel keine Überlebenschance. Tatsächlich nutzen die größten Konzerne der Welt heute überwiegend eine multidivisionale Struktur, weil diese es ihnen erlaubt, sich auf unterschiedliche Strategische Geschäftsfelder (Strategic Business Areas) auszurichten und ihre Strategischen Geschäftseinheiten (Strategic Business Units) dementsprechend zu gliedern. Erst seit Anfang der 1990er Jahre hat sich die multidivisionale Struktur als dominierende Form großer, diversifizierter Unternehmen nach den USA auch in England, Frankreich und Deutschland durchgesetzt (vgl. Whittington & Mayer 2000). Zur gleichen Zeit aber wuchs auch die Kritik: Die zentral gesteuerte multidivisionale Struktur, auch als Spartenorganisation bezeichnet, wurde als zu unflexibel angesehen, die Suche nach neuen Organisationskonzepten wie Lean Production, Outsourcing, Prozessmanagement und Unternehmensnetzwerken trat nun in den Vordergrund. Bevor wir im Folgenden auf diese Organisationskonzepte (Kap. 4.3) und die Kritik an der multidivisionalen Struktur, der sogenannten M-Form (Kap. 4.5), näher eingehen, noch einige Überlegungen zu den hier einschlägigen Strategieperspektiven Führung versus Selbstorganisation. Bereits die multidivisionale Struktur wird dadurch geprägt, weil sie die zentrale Steuerung mit der Selbstorganisation durch interne Märkte verbindet. In einer heute turbulenteren und individualisierteren Situation neigen radikale Kritiker zur unangemessenen Vereinfachung. Managementguru Tom Peters (1993) sah beispielsweise in Großunternehmen nur noch schwerfällige Dinosaurier, die es zu zerschlagen gelte. Entscheidend ist auch hier die Balance zwischen beiden Perspektiven auszuhalten und zu gestalten. Das zeigt sich auch beim Spannungsfeld zentrale versus dezentrale Führung.

176

4.2.2

4 Organisationsgestaltung

Zentrale und dezentrale Führung im Konzern

In einer sich rasch verändernden globalisierten Welt hat die Bedeutung der multinationalen Konzerne (Multinational Corporations) weiter zugenommen. Entgegen mancher Vermutung vom „Ende der Hierarchie“ ist die Unternehmenskonzentration langfristig angestiegen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie viel Dezentralisierung der Entscheidungen möglich und wie viel Zentralisierung notwendig ist (vgl. Praxisbeispiel). Zunächst geht es im Folgenden um den Unterschied zwischen rechtlichen Einheiten (Legal Entities) und Leitungsstrukturen und danach um die Managementholding, die den traditionellen Stammhauskonzern häufig abgelöst hat. Als weiterführende Literatur zum Thema vgl. Theisen (2000); Scheffler (2005).

Praxisbeispiel Johnson & Johnson: Zentralisierung von Entscheidungen Johnson & Johnson (J&J) ist eines der größten und angesehensten Unternehmen in den Vereinigten Staaten. Als Hersteller von selbstklebenden Heftpflastern, Johnson´s Babypuder, Johnson´s Babyshampoo, Tylenol, sowie anderen bekannten Produkten, hat das Unternehmen einen einzigartigen Ansatz seine 166 Geschäftseinheiten (Business Units) zu steuern (Geschäftseinheiten tragen die volle Verantwortung für ein bestimmtes Produkt trägt; wie z.B. „Heftpflaster“ und „Windeln“). Seit bereits fünfzig Jahren verfolgt J&J die Philosophie des ehemaligen Vorsitzenden Robert Johnson. Johnson glaubte daran, dass die Dezentralisierung von Entscheidungsbefugnissen in den Einheiten und die Erlaubnis der Leiter ihre eigenen Geschäfte zu steuern, mehr Wert schafft, als Befugnisse zu zentralisieren. Kleine Einheiten sind eindeutiger für ihre Leistung zu Rechenschaft verpflichten als größere Einheiten und können schneller auf die Bedürfnisse ihrer Kunden eingehen. Eine dezentralisierte Organisation lässt sich leichter kontrollieren und die Motivierung und Koordinierung von Mitarbeitern ist einfacher für die Leiter der Geschäftseinheiten als für die Unternehmensspitze, da diese direkt vor Ort agieren. Die Leiter der 166 Geschäftseinheiten, aus denen sich J&J bildet, handeln unabhängig voneinander. Sie verfügen über ihre eigene Belegschaft, entwickeln abgestimmte Koordinations- und Motivationssysteme und wählen die Produkte und Märkte in denen sie expandieren wollen. Jeder J&J-Bereich setzt beispielsweise seine Mitarbeiter in der Produktentwicklung sinnvoll ein, so dass diese, zusammen mit Fachleuten aus Vertrieb, Produktion und Forschung, schnell und effizient neue Produktideen umsetzen können. Der Nutzen dieser Strategie war beindruckend. Johnson & Johnson hat Rekordgewinne erzielt und seine Aktien haben sich in ihrem Wert seit 1978 fast verdreifacht. Ralph S. Larsen, J&Js CEO von 1989-2002, unterstützte den dezentralen Ansatz des Unternehmens. Er war jedoch beunruhigt, dass das Unternehmen derartig dezentralisiert ist, dass es seine Betriebsmittel nicht mehr optimal einsetzt. Die unterschiedlichen Bereiche konnten nicht von ihren Erfolgen und Misserfolgen voneinander lernen. Der Mangel an Koordination und Integration zwischen den Einheiten bedeutete, dass Chancen für neue Produktentwicklungen ausblieben und deshalb Möglichkeiten für J&J Wert für seine Stakeholder zu erzeugen, verloren gehen. Des Weiteren verschwendet die Vervielfachung

4.2 Primäre Strukturen der Organisation

177

von funktionalen Aktivitäten, wie Beschaffung, Vertrieb und Finanzen, in den Geschäftseinheiten Betriebsmittel. Beispielsweise hat jede Einheit seine eigene Vertriebseinheit um seine eigenen spezifischen Produkte zu verkaufen sowie eine eigene Gehalts- und Abrechnungsabteilung. Dezentralisation impliziert häufig auch Motivationsprobleme. Typischerweise finden Beförderungen nur innerhalb der Einheiten statt, so dass ambitionierte und erfolgreiche Manager selten zwischen diesen wechseln können. Letztendlich werden strategische Fehler begangen, weil erfahrene Führungskräfte keinen Einfluss auf die jeweilige Bereichsstrategie haben. J&Js Problem des dezentralen Ansatzes spiegelt sich in den hohen Gemeinkosten wieder, die zu dieser Zeit beim Vertrieb um 41 Prozent liegen. Ausgehend davon, dass J&J mit seiner Dezentralisation zu weit gegangen ist, hat Larsen die Geschäftseinheiten ermutigt, die Betreuung seiner Kunden zu zentralisieren, um Kosten zu reduzieren. Beispielweise setzt er sich für einen kollektiven und zentralisierten Ansatz beim Vertrieb ein. Zudem ermutigt er die 166 Einheiten ihre Marketing- und Fertigungsaktivitäten zu koordinieren und zu integrieren, so dass sie voneinander lernen, Kosten reduzieren und die Qualität steigern können. Um zu garantieren, dass die Einheiten gemeinschaftliche Erfolge erzielen, werden sie von der Zentrale beaufsichtigt. Durch die Veränderung des Gleichgewichts zwischen Zentralisation und Dezentralisation erhoffte sich Larsen bei J&J eine verbesserte Koordination und Motivation sowie eine effizientere Nutzung der Potentiale der Mitarbeiter und Produktionsmittel. Bis heute stellt J&J seinen dezentralen Managementansatz heraus, möchte dabei aber zugleich zentral sein. Fragen: 1. Welche Argumente sprechen für eine dezentralisierte Entscheidungsfindung bei J&J? 2. Basierend auf diesen Argumenten – warum, denken Sie, favorisierte Larsen eine zentrale Entscheidungsfindung? Quellen: Jones, G.B.: Organizational Theory, Upper Saddle River 2004; http://www.jnj.com/connect/aboutjnj/management-approach, Abfrage am 10.11.2009.

UNTERSCHIEDE ZWISCHEN RECHTLICHEN EINHEITEN UND LEITUNGSSTRUKTUREN Nach dem Aktiengesetz liegt ein Konzern vor, wenn verbundene Unternehmen als Tochtergesellschaften unter einheitlicher Leitung stehen. Auch nach den International Accounting Standards IAS Nr. 27/28 wird bei Beteiligungen größer als 50 Prozent ein beherrschender Einfluss vermutet, bei Beteiligungen größer als 20 Prozent handelt es sich um assoziierte Unternehmen mit maßgeblichem Einfluss. Der hier verwendete umgangssprachliche Konzernbegriff, der das Gesamtunternehmen (Corporate) im Unterschied zum einzelnen Geschäft (Business) meint, ist nicht unbedingt deckungsgleich mit seiner rechtlichen Definition. Besser wäre es eigentlich von der Unternehmensgruppe (Group) zu reden. Die Unternehmensspitze wird als Zentrale (Headquarter) bezeichnet. Diese ist aus rechtlicher Sicht meistens leicht auszumachen, während die tatsächlichen Leitungsstrukturen, auf die es bei den Organisationsstrukturen ankommt, für den Außenstehenden nur schwer zu

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4 Organisationsgestaltung

entschlüsseln sind. Rechtliche Strukturen sind relevant etwa für die Frage, ob ein Betrieb und ein Unternehmen vorliegen und ob verbundene Unternehmen einen Konzern bilden. Zu den Gestaltungszielen gehören unter anderem die Haftungsbegrenzung, die Minimierung der Steuerlast oder die Umgehung der Mitbestimmung. Die jeweiligen Steuersysteme sowie das Gesellschaftsrecht der Gastländer sind hierbei die wichtigsten Einflussgrößen. Beim Thema Strategie und Organisation geht es aber vor allem um die Leitungsstrukturen, um die Differenzierung von Aufgabe, Kompetenz und Verantwortung. Diese können durchaus von den rechtlichen Strukturen abweichen; typisch etwa beim sogenannten „Frühstücksdirektor“ (der einer Gesellschaft vorsteht, aber keine wirklichen Aufgaben hat), beim historisch gewachsenen Stammhauskonzern oder in strategisch geführten Unternehmensnetzwerken, wie den japanischen Keiretsu. So ist der Vorstand einer Tochtergesellschaft, also der rechtlichen Einheit, zwar formal dafür verantwortlich, die Geschäfte in eigener Verantwortung zu führen, aber tatsächlich können die Geschäfte des Unternehmens an ihm vorbei von den Leitern der Strategischen Geschäftseinheiten (SGE) gesteuert werden. Dieser Unterschied zwischen den Rechts- und Leitungsstrukturen ist auch in Fragen der Mitbestimmung der Arbeitnehmer relevant. Der Konzernbetriebsrat oder der Europäische Betriebsrat wird den rechtlichen Strukturen entsprechend gebildet. Unternehmensnetzwerke und Just in time-Konstellationen sind nicht einbezogen, weil die Rechtsprechung und herrschende Juristenmeinung immer eine gesellschaftsrechtliche (beteiligungsmäßige) Verknüpfung verlangen. Betriebsräte im Konzern müssen wie Manager das Ganze im Auge behalten und ihre Arbeit effizient organisieren. Hinzu kommt, dass zur Konzernbetreuung die verschiedensten Gewerkschaften im Konzern vertreten sind. Bei multinationalen Konzernen wurden bereits entsprechende grenzüberschreitende Erfahrungen gemacht, bevor etwa der Europäische Betriebsrat auch rechtlich etabliert wurde. Für die Praxis im Konzern wäre eine allein an den rechtlichen Strukturen orientierte Architektur der Interessenvertretungsgremien nicht angemessen. Ein Beispiel: Bei einem Konzept von Spartenführungsgesellschaften unter einer Managementholding ist eine Zusammenfassung der Betriebsräte in der Sparte eine Lösung. Durch Tarifvertrag kann man z.B. Spartengesamtbetriebsräte einrichten, die dann wiederum einen Konzernbetriebsrat bilden. Veränderungen der Konzernorganisation lösen regelmäßig auch Aktivitäten der Mitbestimmung aus. Durch die Verringerung der Fertigungstiefe, durch Make or Buy-Entscheidungen, durch Unternehmenszusammenschluss und -spaltung können Kündigungsschutz, Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen, Altersversorgung sowie die Mitbestimmungsstrukturen in Betrieb und Unternehmen betroffen sein.

VOM STAMMHAUSKONZERN ZUR MANAGEMENTHOLDING Anfang der 1990er Jahre veränderte sich auch in Deutschland die Rolle der Konzernzentrale: Ziel war es, komplexe Entscheidungshierarchien durch kleinere flexible Geschäftseinheiten im Konzern abzulösen. Die Erhöhung der Flexibilität, die Förderung der Innovationskraft, die Verbesserung der Kooperationsfähigkeit und das Management der Kernkompetenzen waren die Ziele der veränderten Konzernorganisation. Lange Zeit schien die Überlegenheit der Großkonzerne unangreifbar. Nun galten sie oft als zu schwerfällig, um sich schnell an wandelnde Kundenbedürfnisse anpassen zu können. IBM, so heißt es, habe deshalb die Entwicklung des Personal Computers verschlafen. Mittelständische Unternehmen, in Deutschland traditionell bedeutend, gehörten zu einer anderen Welt, die den Großen nicht

4.2 Primäre Strukturen der Organisation

179

ernsthaft gefährlich werden konnte. Die Übernahme von Unternehmen war ein ganzes Jahrhundert lang wachstumsprägend. Nun trat die Segmentierung des Geschäfts, Spaltung und Kooperation großer Unternehmen auf die Tagesordnung. Die Verringerung der Wertschöpfungstiefe und die Konzentration auf das Kerngeschäft, Prozessorientierung, Herstellung eindeutiger Produkt- und Prozessverantwortung, Schaffung einer geschäftsfeldorientierten Aufbauorganisation, Hierarchieabbau, das Prinzip des internen Kunden sowie Herstellung klarer Ergebnisverantwortung in reaktionsschnellen Einheiten waren nun die Schlagworte. Selbst die größten Unternehmen sahen sich nicht mehr in der Lage, globale Präsenz in sich rasch wandelnden Märkten herzustellen. In diesem Umfeld wurde die Managementholding, eine dezentrale Form der Spartenorganisation, zu einem weiteren Trendbegriff der 1990er Jahre, Daimler Benz, Mannesmann, Thyssen und MAN waren die Vorreiter. Bereits 1990 hatten 46 Prozent der 50 größten Industrieunternehmen in Deutschland den Stammhauskonzern in eine Managementholding restrukturiert (Bühner 1993, S. 285). Noch in den 1970er Jahren war in Deutschland der Übergang von der funktionalen Organisation zur Spartenorganisation das zentrale Thema. Als Hintergrund werden Führungsprobleme in gewachsenen Stammhauskonzernen bei zunehmender Diversifizierung und Globalisierung genannt. Bei der herkömmlichen Spartenorganisation werden produkt- oder regionalorientierte Geschäftsbereiche gebildet, die durch starke Zentralbereiche, etwa für Finanzen und Controlling, Personal, etc. koordiniert werden. Bei dieser herkömmlichen Geschäftsbereichsorganisation mit großen Zentralbereichen werden die dezentralen Einheiten häufig mit Umlagen belastet, die sie nicht beeinflussen können. Demgegenüber unterscheidet sich die Geschäftsbereichsorganisation nach Holdingart durch flache Hierarchien, einen hohen Autonomiegrad der Geschäftsbereiche, viele kleine Geschäftsbereiche und wenige einfache Steuerungsinstrumente. Früher zentralisierte Funktionen wie Einkauf, Vertrieb, Personal, Verwaltung und Planung werden dezentralisiert oder ausgelagert. Damit geht es um nichts anderes als die Umsetzung der multidivisionalen Organisationsstruktur. Eine Holding „hält“ als Spitzengesellschaft Anteile an Gesellschaften. Aber diese rechtlichen Strukturen sind nur zweitrangig. Als Managementholding, ist sie auch „hohl“ – wenn das Wortspiel erlaubt ist –, weil sie lediglich die strategische Führung der Geschäftsbereichsgesellschaften übernimmt. Im gewachsenen Stammhauskonzern, wie früher Bayer Leverkusen mit seinen historisch erworbenen weltweiten Beteiligungen, stimmt häufig die Gesellschaftsstruktur nicht mit der Leitungsstruktur überein. 2001 baute Bayer den Stammhauskonzern zu einer Managementholding um (vgl. Abb. 4.7). Erreicht werden sollten dadurch mehr Selbständigkeit der Geschäftsbereiche und die Möglichkeit, dass sich Partner gezielt, etwa im Pharmabereich, beteiligen können. Innerhalb des weltweit tätigen Bayer-Konzerns übernimmt die Bayer AG als strategische Holding die Rolle der Konzernführungsgesellschaft. Auf der Homepage heißt es dazu: „Die Bayer AG definiert die gemeinsamen Werte, Ziele und Strategien des gesamten Konzerns. Drei Teilkonzerne und drei Servicegesellschaften arbeiten eigenverantwortlich unter Führung der Management-Holding. Der Konzernvorstand wird bei der strategischen Führung des Unternehmens vom Corporate Center unterstützt.“ (Bayer 2009)

180

4 Organisationsgestaltung

Konzernvorstand

Corporate Center

Arbeitsgebiete

Bayer HealthCare

Servicegebiete

Bayer CropScience

Bayer MaterialScience

Bayer Business Services Bayer Technology Services Currenta

Abb. 4.7

Organisationsstruktur des Bayer-Konzerns (www.bayer.de)

Angestrebt wird eine klare Aufgabentrennung zwischen der Leitung der Geschäftsbereiche und der Holding-Leitung. Eine konzernleitende Holding zeichnet sich im Vergleich zum Stammhaus durch eine größere Flexibilität und Neutralität gegenüber den Konzernunternehmen aus. Außerdem wird sich bei der Holdingorganisation die Konzernleitung intensiv der strategischen Konzernführung widmen. Auf der anderen Seite sind aber auch Nachteile zu berücksichtigen. Nachteile der Holdingorganisation liegen in der Gefahr, dass sich der Verwaltungsapparat der Holding unnötig aufbläht oder sich zu einem 'Elfenbeinturm' entwickelt und dass die Holding zentralistische Tendenzen fördert. Diese Gefahren lassen sich am besten vermeiden, wenn sich die Holding auf ihre originären Führungsaufgaben beschränkt. Wenn eine Vielzahl autonomer Geschäfte vorliegt und die strategischen Gemeinsamkeiten gering sind, spricht dies für den Typ der Finanzholding. In diesem Fall ist die Größe bzw. die Eingriffstiefe der Zentrale gering. Wenn die Anzahl der autonomen Geschäfte geringer ist, aber auf der anderen Seite viele strategische Gemeinsamkeiten zwischen den Geschäften bestehen, wird man eher auf eine Managementholding zurückgreifen. Weitere Überlegungen sind anzustellen, wenn es um die Frage geht ob etwa akquirierte Unternehmen fest integriert oder lose in einer Finanzholding geführt werden sollten. So kann man heute darüber spekulieren, ob der Zusammenschluss von Daimler und Chrysler anders verlaufen wäre, wenn man nicht versucht hätte zu integrieren. Anfangs hätte auch die Porsche Holding ihre Anteile an VW wie eine Finanzbeteiligung halten und eine weitere Integration der Autohersteller vertagen können.

4.3

Prozesse, Projekte und Menschen

Mit dem Wachstum von Organisationen entwickelt sich die vertikale und horizontale Spezialisierung der Aufgaben, damit aber auch die Notwendigkeit der Integration bzw. Koordination. In einem turbulenten und komplexen Umfeld steigt die Unsicherheit über mögliche

4.3 Prozesse, Projekte und Menschen

181

externe Veränderungen. Die Folgen für die Organisation sind wachsende Unterschiede zwischen den Abteilungen, zwischen Funktionen wie Marketing, Fertigung, Forschung & Entwicklung, über ihre Ziele, Aufgaben und Zeithorizonte. Damit wächst die Notwendigkeit, dass die Abteilungen prozessbezogen zusammenarbeiten und die Organisation insgesamt flexibler auf Umweltveränderungen reagiert. Innovationen bei Produkten, Märkten und Technologien erfordern mehr Koordination durch Teams, Projektmanager und Informationsaustausch auf gleicher Ebene (vgl. Daft 2010). Sekundärstrukturen, veränderte Koordinations- und Kontrollmechanismen sowie die Prozessorganisation gewinnen an Bedeutung. Insgesamt ergibt sich die Notwendigkeit, das Verhältnis der Strategieperspektiven Führung und Selbstorganisation neu auszutarieren.

Praxisbeispiel: Google's innovative Managementarchitektur Jeder Internetnutzer kennt das im kalifornischen Mountain View ansässige Unternehmen Google. Die im Jahr 1998 von den Stanford Studenten Sergey Brin und Larry Page gegründete Online-Suchmaschine, wird heutzutage für geschätzte 65 Prozent der weltweiten Internetsuchaufträge herangezogen. Google finanziert sich durch Werbung und hat sich innerhalb von nur zehn Jahren zu einer der wertvollsten Marken der Welt entwickelt. Google's ehrgeiziges Ziel ‚die Informationen der Welt zu organisieren', versuchen sie unter anderem mit einer sehr innovativen Managementarchitektur zu erreichen. Dabei ist Googles Organisation wie das Internet selbst organisiert: dezentral, eng vernetzt und außergewöhnlich flach. Durchschnittlich kommen auf eine Google Führungskraft rund 20 Mitarbeiter. Manche Produktentwicklungsmanager haben sogar teilweise bis zu 100 direkte Mitarbeiter. Branchenüblich ist ein Verhältnis von 7:1. Weiterhin setzt der Suchmaschinenriese in seinem Produktentwicklungsprozess, aus dem unter anderem Dienste wie Google Earth, Google Scholar oder Gmail hervorgegangen sind, auf einen Schwarm kleiner (zumeist ca. drei bis vier Personen), autonomer Teams. Der unmittelbare Konkurrent Microsoft (MSN Live Search) wählt dagegen eine grundsätzlich andere Vorgehensweise. Für den Softwaregiganten ist es keine Seltenheit, wenn innerhalb seiner zahlreichen Projekte hunderte Mitarbeiter gleichzeitig beschäftigt sind. Die Entwicklung des Betriebssystems Vista benötigte zum Beispiel die Ressourcen von insgesamt 4000 Mitarbeitern. Fragen: 1. Worin liegen die Vorteile einer flachen Organisationsstruktur? 2. Was könnten unter Umständen Nachteile sein? 3. Was verbirgt sich hinter Google's Methode in seiner Produktentwicklung verstärkt auf den Einsatz von drei- bis vierköpfigen, voneinander unabhängig agierenden Teams zu setzen? Quellen: Hamel, G.: Das Ende des Managements – Unternehmensführung im 21. Jahrhundert. Berlin 2008; IBM Global Business Services: Innovationsmanagement und Kooperationsmanagement im Blick – Global CEO Study 2006, www.ibm.com, Abfrage am 23.04.2008.

182

4.3.1

4 Organisationsgestaltung

Sekundärstrukturen

Bereits die informellen Beziehungen, die sich mehr oder minder spontan auf den Fluren, Tagungen und Golfplätzen neben der formellen Organisation entwickeln, verweisen auf die Grenzen des hierarchischen Modells. Die funktionale oder divisionale Struktur, das grundlegende Skelett der Organisation, wird durch flexible, hierarchieübergreifende Sekundärstrukturen ergänzt (vgl. Vahs 2007): ! Produktmanagement: Produktmanager übernehmen die Koordination von Unternehmensaktivitäten für verschiedene Produkt- und Absatzmärkte. ! Kunden- und Lieferantenmanagement: Kunden-Manager (Key-Account-Manager) werden insbesondere für Großkunden eingesetzt. Das Management der Kunden- und Lieferantenbeziehungen (Customer-Relationship-Management, Supply Chain Management) geht über die traditionellen Unternehmensgrenzen hinaus. ! Funktionsmanagement: Ziel ist die bereichsübergreifende Koordination insbesondere bei Querschnittsfunktionen wie Personal, Recht, Qualitätssicherung oder Umweltschutz. ! Projektmanagement: Projektmanager werden eingesetzt für zeitlich befristete, neuartige und komplexe Vorhaben. Dessen Einfluss kann reichen von einem bloßen Koordinator bis hin zum einem Schwergewichts-Projektmanager (Heavy-Weigth-Projectmanager). ! Prozessmanagement: Prozessmanager werden eingesetzt etwa zur Koordination des Produktenstehungsprozesses oder des Auftragsabwicklungsprozesses. Insbesondere die Informations-und Kommunikationstechnologien wirken hierbei unterstützend. Die Sekundärstruktur ergänzt die funktionale oder divisionale Primärstruktur, die daran orientiert ist, wer wem unterstellt ist, oder anders ausgedrückt, wer an wen berichtet. Jeder Mitarbeiter hat hierbei nur einen Vorgesetzten. Dieses Managementprinzip der Einheit der Leitung (Unity of Command) hat zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts der Franzose Henri Fayol zuerst aufgestellt, seine Verbreitung gibt ihm recht. Die Annahme ist, dass die Verletzung des Einlinienprinzips zu Verwirrung, Reibereien und Unzufriedenheit führt. Etwa zur gleichen Zeit empfahl der Begründer der Managementlehre in den USA, Frederick Winslow Taylor, spezialisierte Funktionsmeister zur Führung der Arbeiter, also ein Mehrlinienprinzip. Die Nachteile der Mehrfachunterstellung scheinen allerdings größer zu sein, als die Vorteile der spezialisierten Führung, denn für die Primärstruktur ist diese eher die Ausnahme als die Regel. Allerdings entsteht eine Mehrlinienorganisation in dem Maße, in dem die Primärstruktur durch die überlagerte Sekundärstruktur modifiziert wird. Das ist bei der Einrichtung von Stabs- und Dienstleistungsstellen, die die Entscheidungsträger in der Linie unterstützen, zunächst nicht der Fall. Diese Stellen haben formal keine Entscheidungskompetenz gegenüber den Linienstellen, können aber als Experten faktische Entscheidungsmacht ausüben. Wird ihnen im Rahmen des Funktionsmanagements auch Richtlinienkompetenz (DottetLine-Prinzip) zugesprochen, so entsteht in diesem Umfang auch formell eine Mehrlinienstruktur. Ebenso können Produktmanager außer im Vertrieb bei der Unternehmensführung im Stab oder in einem Produktausschuss mit Richtlinienkompetenz angesiedelt sein, oder aber das Matrix-Produktmanagement funktionsübergreifend koordinieren – auch dann

4.3 Prozesse, Projekte und Menschen

183

entsteht eine Mehrlinienstruktur. Je nachdem wie viel Einfluss gewährt wird, wird die primäre Entscheidungsstruktur modifiziert. In einer Mehrlinienstruktur haben die Beschäftigten zwei oder mehr Vorgesetzte, die unterschiedliche Zielsetzungen verfolgen können. Two-Boss Manager in einer Matrixstruktur haben zwei Vorgesetzte, drei Vorgesetzte gibt es bei der eher seltenen Tensorstruktur mit drei Linien. Der wichtigste Vorteil ist, dass Organisationen damit besser mit interner und externer Komplexität umgehen können, der wesentliche Nachteil ist, dass keine einheitliche Leitung vorliegt. Die Lösung für dieses Spannungsverhältnis ist die Überlagerung der Primärstrukturen durch Sekundärstrukturen. Typisch ist dies etwa beim Innovationsmanagement (vgl. Kap. 4.6). Die Organisationsexperten Kates und Galbraith hingegen verwenden nicht einmal mehr den Begriff der Sekundärstruktur: „Es ist wichtig festzuhalten, dass die Matrix selbst keine Organisationsstruktur ist. … Die Matrix überlagert die Struktur indem sie Geschäftsdimensionen in einer Weise miteinander verbindet, dass die unterliegende Struktur tragfähig bleibt.“ (Kates & Galbraith 2007, S. 119)

4.3.2

Koordination, Kontrolle und Beteiligung

Nicht abwegig ist die Annahme, dass Organisationen weiter funktionieren würden, wenn das Management für einige Zeit ausfällt. Das wird verständlich, wenn man sich die Funktionsweise von unterschiedlichen Koordinationsmechanismen vor Augen führt (vgl. Grant & Nippa 2006, S. 249 ff.): ! Hierachieausübung durch Regeln und Anweisungen. Grundlage dafür sind Arbeitsverträge aus denen ein Direktionsrecht des Arbeitgebers abgeleitet wird. Dieses wird umgesetzt durch Regeln und Anweisungen und beschränkt durch arbeits- und sozialrechtliche Regelungen. ! Selbstorganisation beziehungsweise wechselseitige Anpassung. Dies ist beim Fußball oder bei teilautonomen Arbeitsgruppen zu beobachten. Einzelne übernehmen im Team unterschiedliche Aufgaben und koordinieren sich ohne formale festgelegte Autoritätsbeziehungen. Teams werden hierarchieübergreifend eingesetzt zur Qualitätsverbesserung als Teams im kontinuierlichen Verbesserungsprozess (Continous Improvement Process), funktionsübergreifend als Simultaneous-Engineering-Teams, standort- oder unternehmensübergreifend als virtuelle Teams bzw. virtuelle Netzwerke. ! Organisationale Routinen sind reguläre und vorhersagbare Aktivitätsmuster innerhalb einer Organisation, die aus einer Reihe koordinierter Aktionen einzelner Individuen bestehen (vgl. Nelson & Winter 1982, Geiger & Koch 2008). Werden diese auch schriftlich festgehalten, spricht man von Programmen. So gibt es etwa bei McDonald‘s umfangreiche Handbücher (Programme) wie ein Hamburger zu braten ist, aber die Mitarbeiter werden diese in der Praxis nur selten nachschauen müssen, weil ihnen die Arbeitsgänge in der Zusammenarbeit mit ihren Kollegen vertraut sind. Hierzu gehören auch die Managementsysteme in den Funktionen Planung, Finanzen, Personal, Information und Controlling.

184

4 Organisationsgestaltung

! Preise. Märkte werden als Koordinationsmechanismus auch innerhalb der Organisation eingesetzt. Divisionen und Profitcenter tauschen ihre Leistungen auf der Grundlage von Verrechnungspreisen aus. Dabei setzt die Unternehmensleitung Rahmenbedingungen für Preisverhandlungen fest. Allerdings lassen sich die meisten Koordinationsprobleme nicht ausschließlich durch diese Koordinationsmechanismen lösen: „Ein wesentliches Koordinationsproblem entsteht dadurch, dass die unterschiedlichen Organisationsmitglieder häufig – zumindest teilweise – konfliktäre Ziele und Interessen verfolgen.“ (Grant & Nippa 2006, S. 250). Diese können zwischen Management und Aktionären, zwischen den Geschäftsbereichen im Wettbewerb um knappe Ressourcen, zwischen den Funktionen wie Beschaffung, Produktion und Vertrieb, zwischen Arbeitgeber und Mitarbeitern sowie anderen Anspruchsgruppen bestehen. Anreiz-, Kontroll- und Beteiligungssysteme werden entwickelt, um interpersonelle Zielkonflikte zu überwinden: ! Kontrollmechanismen. Zur hierarchischen Kontrolle werden Anreize (etwa durch Entlohnung und Beförderung) und Sanktionen (von der Versetzung bis hin zur Kündigung) eingesetzt. ! Finanzielle Anreize sollen dafür sorgen, individuelle Ziele auf ein gemeinsames Ziel auszurichten. ! Beteiligung. Hier geht es um die jeweiligen Möglichkeiten der Partizipation der Anteilseigner und Mitarbeiter an Managemententscheidungen, letztere individuell oder kollektiv als Mitbestimmung (vgl. Praxisbeispiel). ! Kulturen und gemeinsame Werte. Die Unternehmenskultur wirkt wie ein Klebstoff, der die Organisationsmitglieder miteinander verbindet. Darauf kommt es insbesondere in dezentral geführten Organisationen an. Dabei sind die Einflüsse der jeweiligen Landeskulturen zu beachten. Allerdings haben die Akteure auch die Möglichkeit, wie Hirschmann (1970) analysiert hat, die Organisation zu verlassen (Exit), anstatt sich an den Entscheidungen zu beteiligen (Voice). Im bürokratischen Modell der Organisation haben sich Menschen als bloße Stelleninhaber an die vorgefundene Ordnung anzupassen. Hierarchien sind Ordnungen von Subsystemen, die zunächst eine höhere Koordinationseffizienz aufweisen, als selbstorganisierte Teams. Modular aufgebaut, wie die Komponenten eines Fahrzeugs, weisen sie eine höhere Anpassungsfähigkeit auf, als einheitliche Systeme. Mit wachsender Größe der Organisation und steigender Komplexität und Dynamik des Umfeldes, ändern sich aber die Formen der Organisation, wie zum Abschluss dieses Kapitels noch erläutert wird. Für die Organisationsgestaltung sind heute Themen wie Teamentwicklung und Prozessorganisation dominant – hierarchische Strukturen werden dadurch aber keineswegs abgelöst. Unternehmen wie Gore & Associates, die scheinbar ohne Rang und Titel auskommen, sind eine Ausnahme geblieben.

4.3 Prozesse, Projekte und Menschen

4.3.3

185

Prozessorganisation

Neue Anforderungen an die Unternehmen entstehen durch veränderte Wettbewerbsverhältnisse und Erwartungen der Menschen, zugleich ermöglichen Informations- und Kommunikationstechnologien neue Lösungen: ! Der Wandel vom Verkäufer- zum Käufermarkt, die Marksättigung und Individualisierung bei Produkten und Dienstleistungen führen dazu, dass Wege gesucht werden, den Zielkonflikt zwischen Produktivität, Qualität und Flexibilität neu auszutarieren. ! Höhere Ansprüche der Menschen (nicht nur als Konsumenten, sondern auch als Produzenten) an abwechslungsreiche Tätigkeiten, passen nicht zum bürokratischen Strukturmodell und lassen sich in größeren Bereichen der „Wissensgesellschaft“ auch durchsetzen. ! Die Informationstechnologie erhöht mit der Reichweite und Reichhaltigkeit der Kommunikation die Möglichkeiten, Prozesse im globalen Netzwerk zu steuern. Organisationsstrukturen wirken vor diesem Hintergrund als Barrieren (vgl. Lawrence & Lorsch 1967; Picot et al. 2003), manche sprechen deshalb von einer Silo-Organisation. Barrieren gibt es ! ! ! !

vertikal zwischen Hierarchieebene und Rang, horizontal zwischen Funktionen und Fachrichtungen, extern zwischen der Organisation, ihren Lieferanten, Kunden etc., geographisch zwischen Nationen, Kulturen und Märkten.

Vor diesem Hintergrund rücken kooperative und partnerschaftliche Beziehungen (Relationship Management) in den Vordergrund, werden Management-Fachgebiete breiter aufgestellt: ! ! ! !

Aus der Beschaffung wurde Supply Chain Management. Aus der Personalverwaltung wurde Human Resource Management. Aus der Kundenpflege wurde Customer Relationship Management. Das Geschäft wird zunehmend in Projekten und Prozessen abgewickelt.

Mit Lean Production, Business Reengineering und Total Quality Management sind seit Beginn der 1990er Jahren Managementkonzepte entstanden, die die traditionelle Massenproduktion individualisieren. Nicht allein die Steigerung der Produktivität ist maßgebend, sondern ein Zieldreieck aus Produktivität, Qualität und Flexibilität. Im Zentrum stehen die Orientierung an Geschäftsprozessen und einen bessere Zusammenarbeit mit Mitarbeitern, Kunden und Lieferanten. Das Lean-Management-Konzept geht davon aus, dass effiziente Prozesse vom Lieferanten, über die Produktion, bis hin zum Kunden, vor allem von den Beziehungen (Relations) zwischen den Akteuren abhängen (vgl. Abb. 4.8). Toyota gilt bis heute als Vorreiter dieses Konzeptes, während General Motors, ein Unternehmen, das die Massenproduktion im vorigen Jahrhundert geprägt hat, um das Überleben kämpft. Warum brauchen westliche Autohersteller so lange, um Effizienzvorteile von Toyota einzuholen? Die Potenziale bei Toyota und anderen schlanken Produzenten liegen weniger in den „harten“ organisatorischen Strukturen

186

4 Organisationsgestaltung

sondern mehr in den Fähigkeiten, das Wissen der Mitarbeiter zu nutzen und die Beziehungen zu Kunden, Lieferanten und Mitarbeitern zu entwickeln.10 Diese „weichen“ Kompetenzen und Ressourcen, die entscheidend sind bei der Entwicklung komplementären Wissens in Netzwerken, sind nicht einfach zu verstehen und zu übertragen (vgl. Kap. 3.1.3.). Nicht die Technologie, dezentrale Strukturen oder Outsourcing sind entscheidend, sondern der Vorrang der Organisationsprozesse vor den Strukturen und die Beteiligung der Menschen an den Entscheidungen. Effizienz in dezentralen Strukturen entsteht durch die Aktivierung der Mitarbeiter ! niedrige Kosten, schnelle Durchlaufzeiten, höhere Qualität werden durch die Beteiligung der Mitarbeiter „vor Ort“ erreicht, ! Innovationen entstehen in funktionsübergreifenden und durchsetzungsstarken Projektteams und durch Fehlertoleranz, ! kontinuierliche Verbesserungen werden durch Teamarbeit und Fehlertoleranz gefördert, ! Vertrauen, Engagement und Motivation beruhen auf partnerschaftlichen Beziehungen.

Traditionelle Massenproduktion

Moderne, schlanke Produktion

Logik: Austauschbare Teile, Fließband, Größenvorteile

Logik: Flexibilität, Qualität, Produktivität, Verbundvorteile und Kernkompetenzen

Spezialisierte Maschinen Große Losgrößen Wenig Produktwechsel Enges Produktspektrum Massenmarketing Geringe Qualifikation der Arbeitskräfte Spezialisten Zentrale Expertise und Koordination Hierarchische Planung und Kontrolle Vertikale interne Kommunikation Sequentielle Produktentwicklung Statische Optimierung Akzent auf Menge Hohe Lagerbestände Angebotsgesteuert (Push-Prinzip) Produktion auf Lager, wenig Kundenkommunikation Marktbeziehungen zu Lieferanten und Mitarbeitern Vertikale Integration

Flexible Maschinen, geringe Einrichtungskosten Kleine Losgrößen Häufige Produktverbesserungen Breites Produktspektrum Zielmärkte Funktionsübergreifend qualifizierte Arbeitskräfte Mitarbeiterinitiative Informationen vor Ort und Selbstabstimmung Horizontale Kommunikation Funktionsübergreifende Entwicklungsteams Simultane Produktentwicklung Kontinuierliche Verbesserung Akzent auf Flexibilität, Qualität und Produktivität Geringe Lagerbestände Nachfragegesteuert (Pull-Prinzip) Produktion nach Auftrag, viel Kundenkommunikation Langfristige Partnerbeziehungen Zusammenarbeit mit externen Lieferanten

Abb. 4.8

Charakteristische Merkmale der schlanken Produktion (nach Womack u.a. 1991; Roberts 2004)

Mit der Verbreitung der Informationstechnologie ab Mitte der 1990er Jahre, entstand das Konzept des Business Process Reengineering, das von der Annahme ausgeht, dass die effiziente Anwendung der Informationstechnologie die prozessorientierte Restrukturierung von Organisationen voraussetzt (vgl. Hammer & Champy 1993; Osterloh & Frost 2003). Service10

Vgl. näher Ohno 1988; Womack u a. 1991; Liker 2004; Liker &Meier 2005; Sackmann 2005; Becker 2006; Hino 2006; Jürgens 2007; Takeuchi u. a. 2008; Liker & Hoseus 2009).

4.3 Prozesse, Projekte und Menschen

187

orientierte Architekturen (SOA) sind die aktuelle Version dieses Konzeptes. Dabei geht es darum, heterogene Systeme mit der Informationstechnologie zu orchestrieren (vgl. Pohland 2009). Der Tatbestand, dass menschliches Verhalten anfangs kein Thema war, dürfte zum Scheitern einer Vielzahl der Reengineering Projekte beigetragen haben (vgl. Womack 1996). Auch das Versprechen vom Ende der Arbeitsteilung kann Business Reengineering nicht einlösen, weil „auch jede noch so radikale Prozessorganisation sich sinnvoll nur vor dem Hintergrund des Prinzips tief greifender Spezialisierung denken lässt.“ (Steinmann & Schreyögg 2005, S. 473) Das umfassende Qualitätsmanagements (Total Quality Management, TQM) ähnelt den beiden skizzierten Managementkonzepten. Das in Deutschland bekannteste TQM-Konzept ist das EFQM-Modell für Excellence der European Foundation for Quality Management (vgl. Abb. 4.9). Der organisationsübergreifende Vergleich (Benchmark) wird durch Wettbewerbe und Preise angeregt. Zuvor wurde in den USA der Baldrige National Quality Award und in Japan der Deming-Preis entwickelt. Qualität wird in einem funktionsübergreifenden Ansatz verglichen, beurteilt und entwickelt. Die sogenannten Befähiger (Enabler) und Ergebnisse (Results) werden dabei gewichtet. Dies ist eine Möglichkeit der Bewertung der Führung von Organisationen im Hinblick auf nachhaltig hervorragende Leistungen für alle Anspruchsgruppen (Stakeholder).

BEFÄHIGER

ERGEBNISSE

Mitarbeiterbezogenene Ergebnisse 9%

Mitarbeiter 9%

Führung 10%

Politik und Strategie 8%

Prozesse 14%

Partnerschaften und Ressourcen 9%

Kundenbezogenene Ergebnisse 20%

Schlüsselergebnisse 14%

Gesellschaftsbezogenene Ergebnisse 20% INNOVATION UND LERNEN

Abb. 4.9

Das EFQM-Modell für Excellence (EFQM 2008)

Die genannten Konzepte haben viel gemeinsam, sodass im Einzelfall kaum auszumachen ist, welches angewendet wird (vgl. Praxisbeispiel). Der Konkurrenzkampf auf dem Markt für Managementkonzepte ist härter geworden. Man sollte sich durch die verwirrende Vielfalt nicht verunsichern lassen: Lean Management, Kaizen, Total Quality Management, Reengineering – die Unterschiede sind in der Praxis nicht bedeutend. Wesentlicher ist die Akzentverschiebung zugunsten der „harten“ Strukturen und Prozesse in letzter Zeit. Centerbildung, Ausgliederung, flache Hierarchien, Prozessorganisation: Das „Reengineering des Organigramms“ scheint raschere Erfolge zu versprechen als die Veränderung der Arbeitsor-

188

4 Organisationsgestaltung

ganisation durch Teamgeist, Kaizen und personalpolitische Programme der direkten Verhaltensänderung. Demgegenüber wurde bereits frühzeitig vor dem Rückfall in technokratische Managementkonzepte gewarnt, die der humanen Dimension von Veränderungsprozessen kaum Raum geben. Manche Methoden zur Erzielung von nicht weniger als „Quantensprüngen“ erinnerten an merkantilistische Rezepte zum Goldmachen, mit anderen Worten: an heiße Luft (Kieser 1997).

Praxisbeispiel: Lemken GmbH & Co. KG – Reorganisation bei einem Mittelständler Die Lemken GmbH & Co. KG, die mit 500 Mitarbeitern Landmaschinen produziert, ist ein mittelständisches Familienunternehmen im niederrheinischen Ort Alpen. Das Unternehmen gibt es seit über 150 Jahren. Anlass der Reorganisation war, dass die Fertigungsorganisation nicht mehr den gewachsenen Anforderungen der Käufer entsprach, die heute kundenspezifische Lösungen und dennoch günstige Preise erwarten. Vorher wurde der Werkstattbereich zentral über einen Leitstand gesteuert (vgl. Abb. 4.10). Um den neuen Anforderungen an Variantenvielfalt, Termintreue, Flexibilität und kleinen Losgrößen zu genügen, wurde die Organisation dezentralisiert (vgl. Abb. 4.11). Das Geschäft wurde in kundenauftragsbezogene Produktionsbereiche segmentiert und jeweils eigenverantwortliche Managementteams und gewerbliche Teams gebildet. Die gewerblichen Mitarbeiter können nun endlich mitdenken, mitentscheiden, mitumsetzen. Die Gemeinkosten und Bestände gingen zurück und auch der Krankenstand. Die Reorganisation war erfolgreich. Kunde

Verkauf

Montage 1

Montage 2

Meister

Meister

Arbeitsvorbereitung Leitstand

Lager

Schweißerei Meister

Zuschnitt 1

Schmiede 2

Zerspanung 1

Meister

Meister

Meister

Einkauf

Materialfluss Informationsfluss-Steuerung Rohmaterial

Abb. 4.10

Vorher: Zentrale Fertigung bei Lemken (Kreienbaum o.J.)

4.3 Prozesse, Projekte und Menschen

189

Verkauf

Verkauf

Managementbüro Pflüge

Managementbüro Grubber

Managementbüro Kreiseleggen

Werkergruppe 1 Montieren Schweißen Zerspanen Puffer

Werkergruppe 2 Montieren Schweißen Zerspanen Puffer

Werkergruppe 3 Montieren Schweißen Zerspanen Puffer

Managementbüro Saatbeetkombination Werkergruppe 4 Montieren Schweißen Zerspanen Puffer

Managementbüro Allgemeine Teilefertigung

Zerspanung

Zuschnitt

Schmiede

Materialfluss Informationsfluss-Steuerung

Rohmaterial

Abb. 4.11

Nachher: Dezentrale Fertigung bei Lemken (Kreienbaum o.J.)

Fragen: 1. Wie haben sich Umwelt und strategische Ausrichtung bei Lemken verändert und ist dies typisch? 2. Welche Änderungen der Organisation würden Sie empfehlen? 3. Welche Aufgaben stellen sich für Unternehmensführung, Werksleitung und Betriebsrat? Quellen: Kreienbaum, W.: Das Betriebsprojekt in der Lemken GmbH & Co. KG. o.O, o.J.

Wir haben gesehen, dass in der Managementliteratur, je nach Perspektive, neben den Strukturen und Prozessen die Menschen und damit auch Kulturen nur mehr oder weniger vorkommen. Welche Bedeutung hat nun die Unternehmens- und Landeskultur als dritte Dimension der Organisation?

190

4 Organisationsgestaltung

4.4

Organisationskultur

Um die Metapher vom Anfang dieses Kapitels wieder aufzugreifen: Die Unternehmenskultur ist die Psychologie, das Selbstverständnis der Organisation. Ein „Die da oben, wir da unten“ gilt heute auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht als nicht mehr zeitgemäß, erwünscht ist oftmals ein „Wir gemeinsam“. Welcher Zusammenhang besteht zwischen der Organisationskultur und dem Unternehmenserfolg? Welche Wechselwirkung besteht zu den beiden anderen Dimensionen der Organisation, den Strukturen und Prozessen?

4.4.1

Eine gesunde Organisationskultur?

Unter der Unternehmenskultur versteht man die Werte, Normen und Symbolsysteme, die von den Mitgliedern einer Organisation geteilt werden. Die Unternehmenskultur entwickelt sich nach Ansicht des Organisationspsychologen Edgar Schein einerseits aus der Anpassung an das Umfeld, zum anderen aus der internen Integration; neue Mitglieder der Organisation werden sozialisiert, erlernen ihr Verhalten mehr oder weniger durch einen unsichtbaren Lehrplan. Nur auf den ersten Blick sind Kulturen leicht zu verstehen (vgl. Abb. 4.12). Kultur, die an der Oberfläche sichtbar ist Symbolsysteme wie Sprache, Rituale, Kleidung, Umgangsformen, Architektur Normen und Standards wie formulierte Werte, Leitlinien, K Gebote und Verbote Grundlegende Werte wie „Jeder steht für den Anderen ein“ oder „Jeder ist sich selbst der Nächste“

Abb. 4.12

Unterliegendes Selbstverständnis

Ebenen der Unternehmenskultur (nach Schein 1984, Abb. 1)

Sichtbar und damit leicht erkennbar wie die Spitze eines Eisbergs sind Symbolsysteme, wie Sprache, Rituale, Kleidung, Umgangsformen, Architektur und Bürogestaltung. Tieferliegende Normen und Standards sind nicht sichtbar, können aber aus dem Verhalten der Menschen entschlüsselt werden. Demgegenüber sind grundlegende Werte so tief eingebunden in einer Organisation, dass sie den Mitgliedern nicht bewusst sind, aber dennoch die Normen und Standards sowie die Symbolsysteme beeinflussen. In manchen Organisationen gehört dazu die Annahme, dass Menschen faul sind und alles tun, um sich um ihre Aufgaben zu drücken. Einem eher aufgeklärten Organisationstyp entsprechen Werte, die davon ausgehen, dass Menschen sich für ihre Aufgaben einsetzen und dass Management und Mitarbeiter part-

4.4 Organisationskultur

191

nerschaftlich zusammenarbeiten. Werte werden erkennbar in den Symbolen, Stories, Helden, Slogans und Zeremonien: ! Ein Symbol ist ein Gegenstand, eine Handlung oder ein Ereignis, dass für andere Bedeutung transportiert. Beispiele dafür sind Vorrechte in der Kantine, bei der Kleidung, bei den Firmenparkplätzen. Partnerschaftliche Werte werden auch von Unternehmen kommuniziert, die sich an Lean-Management-Konzepten orientieren. Über Reinhard Mohn, den Gründer von Bertelsmann, ist bekannt, dass er seine Mahlzeiten in der Kantine mit den Mitarbeitern einnahm. ! Stories und Helden sind Geschichten, die auf wahren Ereignissen und Personen beruhen und immer wieder erzählt und ausgetauscht werden. Die amerikanische Managementliteratur ist voll davon. So soll der Gründer von Hewlett Packard, eigenhändig das Schloss zum Lager aufgebrochen haben, um sein Vertrauen in die Mitarbeiter zu kommunizieren. ! Ein Slogan ist ein Satz oder nur ein Ausdruck der kurz und bündig grundlegende Werte einer Organisation ausdrückt. Beispiele dafür sind der Slogan „Leistung aus Leidenschaft“ der Deutschen Bank oder „Samstags gehört Vati uns“ der Gewerkschaft IG Metall der 1950er Jahre. ! Zu den Zeremonien gehören Feierlichkeiten, Ereignisse, die sich an das Publikum wenden. Beispiele dafür sind die Auszeichnung der umsatzstärksten Außendienstmitarbeiter, der innovativsten Ingenieure, der freundlichsten Kundendienstmitarbeiter. Auch hierdurch werden Leistungswerte des Unternehmens kommuniziert. Unternehmenskulturen sind in der Praxis nicht homogen, sondern durch Subkulturen geprägt: Wie das Management sich sieht und wie es von den Mitarbeitern gesehen wird, kann voneinander abweichen. Von einer starken Unternehmenskultur wird ausgegangen, wenn sich die Subkulturen nicht blockieren und die Verankerungstiefe hoch ist. Starke Kulturen allein garantieren allerdings nicht den Erfolg von Unternehmen, vielmehr erlaubt erst eine „gesunde Unternehmenskultur“ die Anpassung an das Umfeld und damit den Erfolg (vgl. Abb. 4.13).

192

4 Organisationsgestaltung

Anpassungsfähige Unternehmenskulturen

Nicht-anpassungsfähige Unternehmenskulturen

Sichtbares Verhalten

Manager beachten aufmerksam die Anspruchsgruppen, insbesondere die Kunden, und initiieren organisatorischen Wandel um ihren legitimen Interessen zu dienen, selbst wenn sie dadurch Risiken eingehen.

Manager neigen dazu, sich politisch und praktisch abzuschotten. Dadurch können sie ihre Strategien nicht schnell anpassen und Chancen im Geschäftsumfeld nicht wahrnehmen.

Ausgedrückte Werte

Manager kümmern sich intensiv um Kunden, Eigentümer und Mitarbeiter. Ihnen sind Werte wichtig und dadurch können sie nützlichen Wandel vorantreiben, z. B. Führungsinitiativen von oben und unten.

Manager kümmern sich vor allem um sich selbst, ihre jeweilige Arbeitsgruppe oder ein Produkt bzw. eine Technologie, die damit zusammenhängt. Sie schätzen planmäßige und risikovermeidende Managementprozesse mehr als Führungsinitiativen.

Abb. 4.13

Merkmale anpassungsfähiger Kulturen (nach Kotter & Heskett 1992)

In anpassungsfähigen Unternehmenskulturen orientieren sich Manager an Kunden, Mitarbeitern und Prozessen, die nützlichen organisatorischen Wandel bringen. In nichtanpassungsfähigen Kulturen sorgen sich Manager vor allem um sich selbst. Ihr Wertesystem bremst sie, Risiken zu übernehmen und Wandel durchzusetzen. Anpassungsfähige Kulturen entwickeln sich in einer dynamischen Umwelt, die erfordert, dass hohe Risiken eingegangen werden. Ein detaillierteres Diagnosemodell für Unternehmenskulturen hat Denison (2006) entwickelt (vgl. Abb. 4.14). Dieses basiert auf vier Kulturmerkmalen, die in der Literatur als Einflussfaktoren für den Organisationserfolg identifiziert wurden: Mitwirkung, Kontinuität, Anpassungsfähigkeit und Mission. Jedes dieser Merkmale wird mit drei Indizes gemessen. ! Mitwirkung. Effiziente Organisationen übertragen Verantwortung an die Mitarbeiter, bauen ihre Organisation um Teams herum auf und entwickeln beständig die Kompetenz ihrer Mitarbeiter. ! Kontinuität. Führungskräfte und die Mitarbeiter verstehen es, zu einer Übereinkunft zu kommen und dabei unterschiedliche Standpunkte einzubeziehen. Die Aktivitäten der Organisation sind gut koordiniert und integriert. Gemessen wird dieses Merkmal durch die Indizes Kernwerte (ein gemeinsamer Werteset), Übereinstimmung (die Fähigkeit, auch bei kritischen Fragen eine Übereinstimmung zu erzielen) sowie Koordination und Integration (das Zusammenwirken der Organisationseinheiten, um gemeinsame Ziele zu erreichen). ! Anpassungsfähigkeit. Gut integrierte Organisationen können wenig anpassungsfähig sein. Anpassungsfähige Organisationen schaffen ein System an Normen und Überzeu-

4.4 Organisationskultur

193

gungen, das die Anforderungen der Umwelt in Handeln umsetzt. Die Anpassungsfähigkeit wird an Indizes gemessen: Wandel schaffen, Kundenorientierung und organisationales Lernen. ! Mission: Eine Mission bietet eine klare Ausrichtung und Ziele, die dann dazu dienen, eine angemessene Vorgehensweise für die Organisation und ihre Mitglieder zu definieren. Dieses Merkmal wird in dem Modell gemessen anhand der Indizes strategische Ausrichtung, Ziele und Zielvorstellungen sowie mit der Vision.

Abb. 4.14

Kulturprofil eines 100 Jahre alten Fabrikationsbetriebes (Denison 2006, S. 17)

Denison illustriert sein Modell anhand eines Fabrikationsbetriebs im Niedergang. Eine Befragung der oberen 50 Mitarbeiter der Organisation ergab wichtige organisationale Probleme. Zwar gibt es Stärken bei der Kontinuität, aber die einzige Stärke im Bereich der Mission ist der betriebliche Fokus auf Ziele und Zielvorstellungen, was darauf hindeutet, dass langfristige Ziele fehlen und man die Unternehmensstrategie ohne einen hohen Beteiligungsgrad der Organisationsmitglieder umzusetzen sucht. Auf Grundlage der Diagnose können Maßnahmen eingeleitet werden, um die Situation zu verbessern.

194

4.4.2

4 Organisationsgestaltung

Wechselwirkung zwischen Organisationskulturen, -strukturen und -prozessen

Alfred D. Chandler hatte Anfang der 1960er Jahre herausgefunden, dass die Struktur der Strategie folgt. Ab den 1970er Jahren interessierte man sich weniger für Strukturen als vielmehr für das Verhalten von Menschen in Organisationen. Nicht nur die sogenannten weichen Erfolgsfaktoren traten hinzu, sondern auch die Wechselwirkung zwischen den Faktoren. In den 1980er Jahren war Tom Peters mit seinem Kollegen Waterman, damals noch bei McKinsey, mit dem Bestseller „Auf der Suche nach Spitzenleistungen“ (1984) außerordentlich erfolgreich. Die Kernaussage wird, wie bereits oben beschrieben, im sogenannten 7-SModell zusammengefasst: Erfolgreiche Unternehmen setzen mehr auf „weiche“, kulturelle Faktoren, wie den Stil der Führung, das Stammpersonal mit seiner Leistungsfähigkeit und -bereitschaft, Spezialkenntnisse und das Selbstverständnis als kulturgeprägte Identität, weniger hingegen auf „harte“ Faktoren wie eine ausformulierte Unternehmensstrategie, formale Organisationsstrukturen und ausdifferenzierte Hierarchie-, Planungs- und Kontrollsysteme. Jahre später meint Tom Peters (1993) er habe sich geirrt: „Größe schließt Spitzenleistung aus“. Die revolutionären Botschaften von damals – Kundenorientierung, Unternehmenskultur – wirken nur, so Peters, wenn die übergeordneten Unternehmensstrukturen niedergerissen werden. Daher komme es auf die Zerteilung der Organisation, der Wasserköpfe und Fürstentümer, auf Outsourcing und dezentrale Strukturen an. Diese Orientierung passte zum Zeitgeist, dem damaligen Mythos von einer „New Economy“, sie vernachlässigte aber nicht nur Größenvorteile. Man sollte über Empowerment und Selbstorganisation nicht reden, ohne die Grenzen zu benennen: „Es geht um Fremdorganisation von Selbstkoordination und -strukturierung hochgradig standardisierter Arbeitsabläufe. Die Arbeitsgruppe darf ihr eigener Taylor' sein.“ (Kieser 1994, S. 220) Henry Fords Prinzipien sind, in diesem abgeschwächten Sinn, weiter gültig. Häufig werden nur die Vorteile, nicht aber die Risiken und Grenzen dezentralisierter und enthierarchisierter Organisationsformen benannt: „Keine Struktur ist darwinistischer, keine fördert mehr den Fitten – solange er fit bleibt – und keine ist verheerender für den Schwachen. Die verflüssigten Strukturen begünstigen die inneren Konkurrenzen und sind manchmal Nährboden für heftige Machtkämpfe. Die Franzosen haben eine bildhafte Beschreibung für solche Prozesse: ‚un panier des crabes‘ – ein Korb voller Krebse; alle kneifen sich, um höher oder gar herauszukommen.“ (Mintzberg 1979, S. 462) Überhaupt bewegt sich die Debatte häufig in falschen Gegensätzen. Nicht auf zentralisiert oder dezentralisiert kommt es an, sondern auf die dem Umfeld und der Situation angemessene Gestalt einer austarierten Organisation. Wir haben dieses Beispiel vorangestellt, um auch im Bereich der Unternehmenskultur unsere zentrale Hypothese zu unterstreichen: Managementkonzepte, die allein auf einzelne Bereiche wie die Unternehmenskultur, die Organisationsstruktur oder die Organisationsstrategie setzen, statt sie aufeinander abgestimmt zu entwickeln, müssen scheitern. Die Vorzüge dieser integrierten Perspektive zeigen sich etwa auch in der Mitarbeiterführung. So lässt sich das Zieldreieck aus Produktivität, Qualität und Flexibilität zum einen direkt durch personalpoliti-

4.4 Organisationskultur

195

sche Instrumente verfolgen, zum anderen aber auch indirekt etwa durch die Delegation der Verantwortung für diese Ziele in dezentrale Teams, eine vertrauensvolle Unternehmenskultur und Strategien, die auf die Nutzung der kreativen Potentiale der Mitarbeiter setzen (vgl. Wunderer & Kuhn 1995). Was kann man aus den Mängeln und Einseitigkeiten der früheren Auseinandersetzungswelle mit der Unternehmenskultur lernen, und worauf kommt es beim Ansatz an? Dazu folgende Thesen: ! Auf den ganzen Menschen kommt es an. Die Schwierigkeiten vormals „exzellenter“ Firmen wie IBM und Citibank werden mit dem Bild vom Ikarus-Paradox, das besagt, dass Spitzenfirmen ihren eigenen Niedergang produzieren können, mehr verklärt als erklärt. Bei der Frage „Wenn Sie wählen könnten zwischen den großen amerikanischen Unternehmen, in welchem würden Sie arbeiten wollen?“ zählte nur eines der acht beliebtesten Unternehmen zu den von Peters/Waterman auserkorenen exzellenten Firmen. Bei den beliebten Firmen standen andere Merkmale im Vordergrund: Partnerschaft und Partizipation, Maßnahmen zur Arbeitsplatzsicherung usw. (vgl. Neuberger & Kompa 1987). Der Vereinnahmung des ganzen Menschen sind Grenzen gesetzt. Die jeweilige Ausgestaltung der Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Beziehungen setzt den Rahmen für die Unternehmenspolitik. ! Sich weder an Mystik noch an bloßer Zweckrationalität orientieren. Eine weitere Überzeichnung ist die begeisterte Wiederentdeckung der qualitativen, nicht messbaren Faktoren, die damals bis hin zu einer gewissen Wirksamkeit des sogenannten New Age Management („Vodoo“-Economics“) reichte. Der Gegenpol zur Mystik ist die Zweckrationalität, die in der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur über weite Strecken prägend ist. Aber schon Max Weber wusste, dass ein Herrschaftsverhältnis umso labiler ist, je mehr es auf rein zweckrationalen Erwägungen beruht. Stabilität gewinnt es erst durch das Hinzukommen sittlicher Motive und eines bestimmten Glaubens an dessen rationale, traditionelle oder charismatische Legitimität. Bereits bei Marx und Keynes wird die Wirtschaftsgesellschaft – Begriffe wie „Bereicherungstrieb“ und „Hang zum Verbrauch“ indizieren dies – nicht durch blutleere Abstraktionen regiert. Wirtschaftliches Handeln schliesst im Gegenteil soziale Beziehungen und Bewusstseinsformen, geistige und künstlerische, also kulturelle Lebensäußerungen mit ein. So musste der Nestor der deutschen Betriebswirtschaftslehre, Erich Gutenberg, rückblickend selbstkritisch feststellen, dass er „keinen Weg [fand] zu einer Verknüpfung der sozialen Tatbestände mit den betrieblichen Funktionen, deren gemeinsames Ergebnis die Leistungen der Unternehmen sind.“ (zitiert nach Schanz 1992, S. 86) Für die Managementlehre in Deutschland ist die Erkenntnis, dass die Unternehmung nicht nur eine Organisation hat, sondern eine Organisation ist, dass die Menschen nicht als Objekte, sondern als Individuen in ihrem sozialen und kulturellen Verhalten betrachtet werden sollten, eine erst seit Mitte der 1960er Jahre gültige Auffassung. ! Wechselwirkung beachten. Man sollte fragen, warum bestimmte Themen wie die Unternehmenskultur zeitweilig aktuell sind, diese aber nicht verabsolutieren. Auf den ersten Blick scheint die Geschichte der These „Kultur folgt Struktur“ Recht zu geben. Wir haben bereits erörtert, dass die Organisationsstruktur mit der Auseinandersetzung um neue Managementkonzepte zum Erfolgsfaktor Nummer eins aufrückte, ein Platz, den vormals

196

4 Organisationsgestaltung

die Unternehmenskultur nicht minder unbescheiden eingenommen hatte. Viele Probleme der Reorganisation entstehen aus der ungenügenden Integration der Managementbereiche. Die Fokussierung allein auf die formale Organisationsstruktur (flache Hierarchien, Outsourcing, Centerstrukturen), das Vertrauen allein auf ‚mehr Marktdruck‘ beim Reengineering, führt in die Sackgasse. Anzustreben ist die Koordination der relevanten Bereiche, ein integrativer Ansatz, um nachhaltige Erfolge zu erzielen Denn Mitarbeiterführung kann nicht nur direkt, sondern auch indirekt über „Strategie“, „Struktur“, und „Kultur“ erfolgen. Es geht um die Gestaltung des Unternehmens als soziales System. ! Eine innovative Unternehmenskultur entwickeln. Kulturwandel ist nur über eine breite Partizipation möglich und letztlich aus ethischer Sicht auch nur in dieser Weise vertretbar (vgl. Steinmann & Schreyögg 2005, Kap. 12). Unternehmenskulturen lassen sich durch „Kulturingenieure“ nicht kurzfristig einführen oder anordnen, sondern lediglich im Sinne von Kurskorrekturen beeinflussen. Die stärkere Dezentralisierung der Organisationsstrukturen allein reicht nicht aus. Erfolgreiche Unternehmen, die organisatorischen Wandel gut bewältigen, zeichnen sich durch weitere Merkmale aus: Beteiligungstradition, kulturprägende und kulturtragende Persönlichkeiten, allgemeinen Grundkonsens im Hinblick auf die generelle Unternehmenskonzeption, Interessenausgleich, kooperative Konfliktbewältigung und funktionierende Institutionen der betrieblichen Interessenvertretung; Offenheit, Transparenz und weitreichende, in der Alltagspraxis wirksame Arbeits-, Führungsund Beteiligungskonzepte (vgl. Bertelsmann-Stiftung & Hans Böckler Stiftung 2001).

4.5

Einflussgrößen der Organisationsgestaltung

In der Einleitung zu diesem Kapitel haben wir behauptet, dass Organisationsfragen durch das strategische Paradox ‚Kontrolle versus Chaos‘ geprägt werden. Entsprechend wird zum einen auf die Rolle der Unternehmensführung zur planmäßigen Entwicklung der Organisation gesetzt, zum anderen aber auf die Selbstorganisation, die relative Ordnung aus dem Chaos heraus. Beide Perspektiven zeigen sich auch in den Einflussgrößen Organisationsgestaltung (vgl. De Wit & Meyer 2008, S. 482 ff.). Dazu gehören unter anderem die Umwelt, Strategie, Technologie, Entwicklungsstufe und die Menschen einer Organisation, die in ihrem Zusammenhang gesehen werden müssen (vgl. Steinmann & Schreyögg 2005, Kap. 7.5; Kates & Galbraith 2007). Zuvor jedoch einige Bemerkungen zum Verhältnis von Strategie und Organisation, das besonders deutlich wird an der Kontroverse um Chandlers multidivisionale Struktur, die sogenannte M-Form.

4.5.1

Organisation im Strategiekontext

MANAGEMENTINNOVATION ORGANISATION Traditionell werden Organisation und Personal als Mittel angesehen, um Strategien umzusetzen. So gesehen kann gar kein Zweifel daran bestehen, dass die Strategie die Organisation beeinflusst. Wenn aber die Zukunft von Unternehmen, ja ganzer Volkswirtschaften, von Organisationskonzepten abhängt, ist diese Perspektive zu einseitig. In den 1980er Jahren

4.5 Einflussgrößen der Organisationsgestaltung

197

nahm die industrielle Wettbewerbsfähigkeit der USA im Vergleich zu Japan und Europa deutlich ab. Eine Kommission des renommierten Massachusetts Institute of Technology kam zu dem Schluss, dass die Ursachen dafür unter anderem in einem veralteten Massenproduktionssystem, technologischen Schwächen bei der Entwicklung und Produktion, in der Vernachlässigung der menschlichen Fähigkeiten und der Zusammenarbeit zwischen Management und Mitarbeitern sowie mit den Zulieferern und Kunden zu suchen seien (vgl. Dertouzos et al. 1989). Diese Aussage basiert unter anderem auf der nunmehr bekannten Studie zur „Lean Production“, über die „zweite Revolution in der Automobilindustrie“. Das Toyota-Produktionssystem galt nun als ‚schlankes‘ Vorbild, von dem westliche Hersteller zu lernen haben (vgl. Kap. 4.3.3). Das seit den 1990er Jahren verbreitete Lean-Management-Konzept setzt, ebenso wie Business Reengineering bei den Organisationsprozessen an, während die Veränderungen fünfzig Jahre zuvor bei der multidivisionalen Organisation von den Strukturen ausgingen. Beides waren Managementinnovationen, die neue Maßstäbe für die Theorie und Praxis gesetzt haben (so Birkinshaw et al. 2008). Beim Business Reengineering haben Prozesse den Vorrang vor Strukturen, bisher getrennte Funktionen werden zu Prozessen zusammengefasst. Ist vor diesem Hintergrund der Lehrsatz von Chandler, dass die Struktur der Strategie folgt, heute noch relevant? Die Prinzipien der Massenproduktion gehen unter anderem zurück auf Henry Ford, dessen entscheidende Leistung darin bestand, die anfangs handwerkliche Automobilproduktion zu standardisieren. Ein Symbol dafür war das Ford T-Modell, von dem man sagte, man könne es in jeder Farbe haben, Hauptsache sie sei schwarz. Bei General Motors wurde die Massenproduktion unter Leitung des damaligen Präsidenten und CEO’s Alfred Sloan weiterentwickelt. Sloan schien mit der Einführung der multidivisionalen Struktur bei General Motors in den 1920er Jahren „auch den Konflikt zwischen der notwendigen Standardisierung zur Senkung der Produktionskosten und der Modellvielfalt zur Befriedigung der unterschiedlichen Kundenbedürfnisse“ gelöst zu haben. „Sloans Innovationen waren eine Revolution in Marketing und Management der Autoindustrie. Sie änderten jedoch nichts an der von Henry Ford institutionalisierten Vorstellung, dass die Arbeiter in den Fabriken austauschbare Teile des Produktionssystems waren.“ (Womack et al. 1991, S. 46) Das Topmanagement hat bei diesem Konzept klar beschriebene Aufgaben: die Strategie und die Struktur sowie entsprechende Informations- und Steuerungssysteme festzulegen – Menschen kommen bei diesen Gestaltungskriterien nicht vor. Auch Jack Welch, ehemaliger Vorsitzender von General Electric, bewertet die oft bewunderte multidivisionale Struktur mehr als kritisch: „Dieses System war richtig in den 1970er Jahren, ein wachsendes Handikap in den 1980er Jahren, aber es wäre ein Fahrschein zum Friedhof in den 1990er Jahren gewesen.“ Denn: „Die klassische multidivisionale Struktur ist eine Organisation, die dem Vorstand das Gesicht zuwendet und den Hintern dem Kunden.“ Im englischen Original heißt es „ticket to the bone-yard“ – Knochen-Hof, wörtlich übersetzt. Organisationen mehr als nur Strukturen: Projekte, informelle Beziehungen und Netzwerke überlagern die Primärstrukturen; Organisationsprozesse und -kulturen sind relevant. Dadurch

198

4 Organisationsgestaltung

wird das Bild vollständiger. Auch eine Person wird man nicht allein nach ihrem Knochengerüst beurteilen. Aber die Kritik geht weiter. Der bekannte Satz Chandlers „Structure follows Strategy“ wird infrage gestellt. Richtig sei auch, dass umgekehrt die Strategie der Struktur folge, oder aber der Kultur, wie dies im bereits erwähnten 7-S-Diagramm von McKinsey angenommen wird. Aus Sicht des Prozessmanagements (Business Reengineering), das mit der Verbreitung der Informations- und Kommunikationstechnologie in den 1990er-Jahren entstanden ist, sind Prozesse gegenüber Strukturen sogar vorrangig.

DIE KONTROVERSE UM DIE M-FORM Wie grundsätzlich hier der wissenschaftliche Streit ist, zeigt die folgende Kontroverse. Die multidivisionale Struktur wird auch als M-Form bezeichnet. Dieser Begriff geht zurück auf Williamson (1975), der die von Chandler beschriebene multidivisionale Struktur aus Sicht der Neuen Institutionenlehre formal auf der Basis von Transaktionskosten erklärt hat. Die Grundannahme ist, dass auch Markttransaktionen Kosten verursachen, etwa für Anbahnung, Vertragsabschluss und Trennung. Sind die internen Vertragskosten niedriger als die externen Vertragskosten entsteht ein Unternehmen. Dieser Ansatz wird auch als „transaction costs economics theory of the firm“ bezeichnet. Elemente der M-Form sind ! Dezentralisierung der Geschäfte in eigenständigen Divisionen; ! zentralisierte strategische Steuerung; ! Zentralabteilungen unterstützen das Top-Management und überwachen die Divisionen. Kritiker wenden nun ein, dass die Lehrbuch-M-Form zum organisatorischen Niedergang führt, wie das Beispiel General Motors zeige (Freeland 1996; Staehle et al. 1999, S. 398 ff.). Entscheidend für den Erfolg von Toyota und anderer ‚schlanker‘ Unternehmen sind nicht Strukturen sondern ein langfristiger Unternehmenszweck (Mission), Prozesse und die Beziehungen zu Kunden, Mitarbeitern und Zulieferern (Womack et al. 1991; Müller 2009b). Für die renommierten Strategieforscher Bartlett & Goshal (1997) ist dies der Hintergrund für einen fundamental neuen Managementansatz, die Neue Form (N-Form) oder das „individualisierte Unternehmen“: „Great Companies are Defined by Purpose, Process, and People“ heißt es nun. Ansatzpunkt für die Kritik an der Neuen Institutionenlehre und für eine „Managerial Theory oft the Firm“ sind veränderte Umfeldbedingungen: „Vor dem Hintergrund radikaler Veränderungen des inneren und äußeren Umfeldes entwickeln große, global tätige Unternehmen eine neue organisatorische Form. Unter der Prämisse von Wissen und Expertise als strategische Schlüsselressource, eher als Kapitalausstattung oder Größe, ist diese Form von der multidivisionalen Organisation, die in den 1920er Jahren entstand und zum dominierenden Unternehmensmodell der Nachkriegszeit wurde, grundlegend verschieden.“ (Bartlett & Goshal 1993, S. 23) Als Beispiel für die N-Form verweisen Bartlett & Goshal auf die Organisation von Asean Brown Boverie (ABB) der 1990er Jahre. Unter dem damaligen Vorstandsvorsitzenden Percy Barnevik, setzte das Unternehmen auf Selbstorganisation. Das Unternehmen wurde in 1.200 Profitcenter dezentralisiert. Zugleich aber sollten die Vorteile der Größe bewahrt werden. Das explizite Ziel war eine Synthese, nämlich gleichzeitig groß und klein zu sein, zentralisiert und dezentralisiert, global aufgestellt und lokal anpassungsfähig. Dafür spricht, dass sich in der heutigen Welt, in der Wissensgesellschaft, die Rolle des Topmanagements als

4.5 Einflussgrößen der Organisationsgestaltung

199

Chef-Stratege, struktureller Architekt und Entwickler von Informations- und Steuerungssystemen verändert. Die von oben nach unten gesteuerte funktionale Struktur wird durch funktionsübergreifende Geschäftsprozesse und Netzwerke abgelöst. Außerdem erlaubt man den Menschen operative Entscheidungen zu treffen. Bartlett & Goshal sehen in diesem Ansatz, der bereits begonnen habe, sich aber im 21. Jahrhundert weiter verbreiten werde, einen Richtungswechsel von der Strategie zum Unternehmenszweck, von Strukturen zu Prozessen und von Systemen, die Menschen steuern sollen, hin zu einem Umfeld, das die Menschen befähigt, die Initiative zu ergreifen, zu kooperieren und zu lernen. Führung üben weniger als je zuvor die Wenigen an der Spitze aus. Es geht dabei um Politik, Kulturen und Netzwerke, um Teams und Koalitionen, sowie mehr um Einfluss und Macht, als um direkte Steuerung. Dagegen wird argumentiert, dass es in der laufenden Auseinandersetzung über die Quellen der Unternehmensleistung (Corporate Performance) auch auf angemessene organisatorische Arrangements, wie die M-Form ankommt. Gooderham und Ulset (2002, S. 117) wenden ein, dass „jeder organisatorische Vorteil, den Transnationale Unternehmen besitzen, immer noch in der hierarchischen Governance verankert ist“, wie dies von den „Transaction Costs Economics (TCE)“ identifiziert, und „in ihrer multinationalen M-Form-Anwendung umrissen wird.“ Die Kritiker können gewichtige Argumente anführen. Nach der äußerst einflussreichen historischen Untersuchung „Strategy and Structure“ von Chandler (1962) zu Beginn der 1960er Jahre galt die multidivisionale Organisationsstruktur – die sogenannte M-Form – als die Struktur der Wahl für große, global tätige Unternehmen vor allem aus den USA, die Produkt- und Marktvielfalt anzielten. Spätestens Anfang der 1990er Jahre hat sich die MForm als dominierende Form großer, diversifizierter Unternehmen auch in England, Frankreich und Deutschland durchgesetzt (Whittington & Mayer 2000). Mehr noch: Asean Brown Boveri (ABB), jenes Unternehmen, das Bartlett & Goshal als äußerst erfolgreiche Verkörperung ihrer Neuen Form herausstellen, kam später, nicht zuletzt aufgrund seiner dezentralen Organisation (und Matrixstruktur) in ernsthafte Schwierigkeiten (vgl. Kap. 5.2). Whittington & Mayer (2000) versuchen nun, beide Ansätze, in denen sich das Strategieparadox von Kontrolle und Chaos widerspiegelt, miteinander zu versöhnen. Auf der Grundlage ihres empirischen Nachweises, dass sich die multidivisionale Struktur nach den USA auch in Europa zum Ende des zwanzigsten Jahrhunderts durchgesetzt hat, skizzieren sie unterschiedliche Entwicklungstypen der M-Form (vgl. Abb. 4.15) Zuletzt habe sich der auf Wissen basierende Netzwerktyp der multidivisionalen Organisation entwickelt. Als Beispiel gilt wiederum Asean-Brown Boverie (ABB), ein Unternehmen, das bis Ende der 1990 Jahre als Prototyp für neue Organisationsformen galt. Die Netzwerkorganisation ist aus dieser Sicht eine Variante, kein Ersatz der M-Form. Ähnlich können auch die im vorigen Kapital vorgestellten Formen der Holding als Varianten dargestellt werden.

200

4 Organisationsgestaltung

Investiert

Verwaltet

Netzwerk

Ursprung

1920er

1960er

1980er

Schlüsselressource

Kapital

Größen- und Verbundvorteile

Wissen

Schlüsseltechnik

Kennzahlen des Rechnungswesens

Planung

Austausch

Schlüsselfunktion

Finanzierung & Rechnungslegung

Unternehmensplanung

Menschliche Ressourcen

Strukturform

Pyramide

Birne

Pfannkuchen

Beispiel

Dupont

General Electric

ABB

Abb. 4.15

Entwicklungstypen der multidivisionalen Organisation (Whittington & Mayer 1997, S. 83)

Abschließend kann festgehalten werden, dass sowohl die Struktur- als auch die Prozessperspektive heute ihre Berechtigung haben. Es kommt auf die anpassungsfähige Organisation an. Problematisch ist, wie immer, die einseitige Betrachtung. Es gibt weder ein „Jenseits der Hierarchie“ durch Prozessmanagement, noch erfährt man durch die Betrachtung der Struktur allein genug über die Gestalt der Organisation. Hinter dem Schreibtisch von Edzard Reuter, einem früheren Vorstandsvorsitzenden von Daimler Benz, hing ein Bild eines Dinosauriers mit der Aufschrift: „History is full of giants who couldn't adapt.“ Die heutige Krise von General Motors, damals Pionier der multidivisionalen Struktur, und der Aufstieg von Toyota als Weltmarktführer, heute immer noch Vorbild für Prozessmanagement, unterstreichen, dass Organisationsfragen von der Strategie nicht zu trennen sind.

4.5.2

Umfeld und Strategie

Wir haben gesehen, dass Strategien vom Umfeld abhängen, warum sollte das nicht auch für die Organisation gelten? In empirischen Untersuchungen wurde festgestellt, dass Organisationen durch die Situation geprägt werden, in der sie sich befinden: das Umfeld, die verwendete Technologie, die Menschen sowie die Entwicklungsstufen von der Gründung bis zur Reife. Umgekehrt können Organisationen in gewissem Umfang auch die Situation beeinflussen. Die Unsicherheit des Umfeldes ist der Ausgangspunkt der sogenannten Kontingenztheorie. Lawrence und Lorsch (1967) haben Branchen analysiert, bei denen sie, gemessen an Dimensionen wie Komplexität und Dynamik, unterschiedliche Grade der Unsicherheit festgestellt haben. Diese ist gering in der Blechdosenherstellung, hoch in der Kunststoffindustrie. Dann fanden sie heraus, dass die Differenzierung der Ziele, Werte und Aufgaben zwischen den

4.5 Einflussgrößen der Organisationsgestaltung

201

Abteilungen der Unternehmen stark ausgeprägt ist, wenn die Unsicherheit hoch ist und dass entsprechend stark die funktionsübergreifende Integration ist. Auch nach Burns & Stalker (1961) sind Organisationen dann erfolgreich, wenn sie sich den Umweltbedingungen anpassen. Mechanistische Systeme, die dem Typus der traditionellen bürokratischen Struktur entsprechen, sind erfolgreich in einem stabilen Umfeld. Dazu gehört gewöhnlich eine starre, vertikal zentralisierte Struktur bei der die meisten Entscheidungen an der Unternehmensspitze fallen. In einem unsicheren, sich rasch wandelnden Umfeld hingegen, sind organische Organisationsformen überlegen: die Struktur ist weniger rigide, vielmehr anpassungsfähiger, Entscheidungen sind mehr dezentralisiert und fallen auch nach wechselseitiger Abstimmungen auf funktions- und bereichsübergreifender Ebene (vgl. Abb. 4.16). Erkennbar ist hier die Ähnlichkeit zu den oben beschriebenen prozess- und beteiligungsorientierten Organisationskonzepten. Wenn die Umweltbedingungen komplexer und dynamischer werden, ändern sich auch Strategie und Organisation. In einer Zeit, als McDonald‘s nur eine Sorte Hamburger herstellte, sodass sogar ein Big-Mac-Währungsindex vorkam, war das Unternehmen für seine mechanistische Organisationsform bekannt. Alles war in dicken Handbüchern haarklein vorgeschrieben – die Franchisenehmer hatten keinen Spielraum. Das weltweite Wachstum, die Anpassung an unterschiedliche Kundenwünsche und die Diversifizierung der Produkte und Regionen, sorgten dann dafür, dass McDonald‘s sich ändern musste. Mehr organische Organisationssysteme, mehr Flexibilität und Spielräume vor Ort, waren die Folge. Nach den vorhergehenden Kapiteln dürfte klar geworden sein, dass der Zusammenhang zwischen Strategie und Organisation nicht so einfach und eindeutig ist, wie er manchmal beschrieben wird (vgl. etwa Jones 2004, S. 242 ff.; Hellriegel 2005): ! Auf der Ebene der Unternehmensstrategie ist deutlich geworden das Chandlers Lehrsatz „Structure follows Strategy“ zwar heute noch relevant, keinesfalls aber hinreichend ist. Vieles spricht dafür, dass auf eine Diversifikationsstrategie eine multidivisionale Struktur folgt, dagegen spricht, dass aus modernen Organisationskonzepten, die nach Bartlett & Goshal auf „Purpose, Process und People“ setzten, neue Strategien entstehen. ! Bei der Geschäftsfeldstrategie passt zwar zur Wettbewerbsstrategie der Kostenführerschaft ein mechanistisches System, während ein organisches System eher für eine Differenzierungsstrategie oder eine Hybridstrategie (Mass Customization) geeignet ist. Die angemessene Organisation ist eine Bedingung auch im VRIO-Konzept (vgl. Kap.3.1.3). Ein organisches System ist besser geeignet für die Entwicklung von dynamischen Kernkompetenzen oder Capabilities, weil die Unsicherheit des Umfeldes höher ist. Allerdings gibt es Wechselwirkungen. ! Auch bei der Netzwerkstrategie ist die Matrix- oder Netzwerkstruktur keinesfalls die zwingende Konsequenz wachsender Komplexität und Dynamik (vgl. Kap. 3.2.1 und 5.2). Außerdem sind nicht nur die Struktur, sondern weitere Faktoren bei der Organisationsgestaltung zu berücksichtigen (vgl. Kap. 4.3 und 4.4).

202

4 Organisationsgestaltung

niedrig

Abb. 4.16

4.5.3

Unsicherheit des Umfeldes

hoch

Mechanistisches System

Organisches System

einfache Struktur

komplexe Struktur

schwache Differenzierung

starke Differenzierung

schwache Integration

starke Integration

zentralisierte Entscheidungen

dezentralisierte Entscheidungen

Standardisierung

wechselseitige Abstimmung

Mechanistische und organische Organisationsformen (Jones 2004 , S. 121 nach Burns & Stalker 1961 und Lawrence & Lorsch 1969)

Technologie

Zur Technologie zählen Wissen, Werkzeuge, Techniken und Aktivitäten, die gebraucht werden, um Inputs der Organisation in Output zu verwandeln (Folgendes nach Staehle et al. 1999; Hellriegel & Slocum 2004; Daft 2010). Hierbei sind die Fertigungs-, Aufgaben-, Dienstleistungs- und Digitaltechnologie besonders interessant. Zur Fertigungstechnologie bestätigt eine einflussreiche Studie von Woodward (1965) die Bedeutung der Unterscheidung von mechanistischen und organischen Systemen. Darin werden drei Grundformen der Fertigungstechnologie mit steigendem Grad technischer Komplexität unterschieden: Einzelfertigung und kleine Stückzahlen, Massenproduktion und kontinuierliche Prozesstechnologie. Lediglich die Massenproduktion wies mechanistische Systeme auf, die beiden anderen Grundformen wurden als organisch klassifiziert, als vergleichsweise lose gekoppelte, flexible Systeme, wie wir sie oben im Kapitel über Prozessmanagement bereits kennengelernt haben. Als Aufgabentechnologie soll hier die Interdependenz der Aufgaben in einer Organisation bezeichnet werden (vgl. Abb. 4.17). Aufgaben können ! gepoolt sein, wie bei den Vertretern einer Versicherung, ! sequentiell nacheinander ablaufen, wie etwa bei einer Ölraffinerie mit angeschlossenem Tankstellennetz, oder aber ! komplex reziprok miteinander verbunden sein, wie bei der Entwicklung eines neuen Automobilmodells oder in Unternehmensnetzwerken.

4.5 Einflussgrößen der Organisationsgestaltung

203

Je komplexer die Aufgaben miteinander verbunden sind, desto eher wird eine organische Organisationsform erforderlich sein. Sogenannte Multi-Unit-Unternehmen, wie Handelsund Restaurantketten sowie Banken, dürften dabei einen vergleichsweise niedrigen Grad an Komplexität aufweisen. Gepooled

C

A

B

A

Sequentiell

Reziprok

C

C

B

A

Einfach

Abb. 4.17

B

Komplex

Technologische Interdependenz der Aufgaben bei der Organisationsgestaltung (nach Hellriegel 2004, S. 353)

Die Dienstleistungstechnologie entwickelt sich, weil Dienstleistungen im Vergleich zu industriellen Funktionen bedeutender werden – nicht nur in den USA, sondern auch in Europa. Dazu gehören Beratungsunternehmen, Rechtsanwälte, Fluggesellschaften, Hotels, Werbeagenturen, Vergnügungseinrichtungen und Bildungseinrichtungen. Aber auch in der verarbeitenden Industrie wächst der Dienstleistungs- und Erlebnisanteil bei den Produkten. In Großunternehmen sind spezialisierte Abteilungen oder Service Center für Marketing, Personal und Finanzierung bei Großunternehmen als Dienstleister für die Fertigung in den Betrieben tätig. Die Besonderheit der Dienstleistungstechnologie ist, dass der Output immateriell ist und ‚uno actu‘ erzeugt wird. Dadurch ist der direkte Kontakt der Mitarbeiter mit den Kunden erforderlich. Ähnlich wie bei der Prozesstechnologie sind die organisatorischen Konsequenzen bei Dienstleistungen, dass diese in der Regel in organischen, flexiblen und dezentralisierten Strukturen erbracht werden. Die Digitaltechnologie erlaubt die Nutzung des Internets und anderer digitaler Medien für Geschäftsprozesse. Der Verkauf von Büchern und sonstigen Produkten über Amazon, Online Auktionen bei eBay, Werbung und Information durch Google, soziale Gemeinschaften und Werbung durch Facebook – in all diesen Fällen ist das Internet die Grundlage des Geschäfts. Durch das Internet werden die Reichweite und die Reichhaltigkeit der Kommunikation gleichzeitig erhöht – „die Welt ist flach“, so der Journalist Thomas Friedman (2005). Das Internet verbindet Kunden, Lieferanten und Geschäftspartner in einem Netzwerk über Organisationsgrenzen hinweg. Wenig Zentralisierung, viel Verantwortung der Mitarbeiter in Teams, persönliche und elektronische Kommunikation, viel Flexibilität und Raum für neue Ideen sind Merkmale einer Organisation, die die Möglichkeiten des Internets nutzt.

204

4 Organisationsgestaltung

Insgesamt fördern die Einflüsse des Umfeldes und der Technologien die Ablösung mechanistischer durch organische Organisationsformen. Dadurch ändern sich die Gestalt der Organisation, der Strukturen, Prozesse und Kulturen und auch die Rolle der Menschen.

4.5.4

Menschen

Die Gestaltung von Organisationen wird durch die Bedürfnisse, Erwartungen und Verhaltensweisen des Menschen beeinflusst, wie auch umgekehrt die Strukturierung von Organisationen den Menschen beeinflusst. Die Folge einer Arbeitsteilung, die dem einzelnen wenige Entfaltungsmöglichkeiten bietet, sind mangelnde Motivation und Unzufriedenheit oder aber politische Anstrengungen, diese Bedingungen zu ändern. In diesem Kapitel, in dem es um Erklärungsansätze für die Organisationsgestaltung geht, ist an dieser Stelle ein kurzer theoriegeschichtlicher Rückblick zweckmäßig. Der Amerikaner Frederick Winslow Taylor (1856-1915) ging neben anderen davon aus, dass die Arbeitsproduktivität durch die Anwendung wissenschaftlicher Methoden erhöht werden kann. Eine der ersten Anwendungen war das Montage-Fließband in der Highland-Park-Fabrik von Ford im Jahre 1913. Merkmale des „Scientific Management“ waren ! ! ! !

hochgradig arbeitsteilige, gleichförmige Teilaufgaben, Selektion der Arbeiter und Training für diese Aufgaben, Trennung von Hand- und planender Kopfarbeit, leistungsorientierte Bezahlung.

Die Organisation sollte dadurch so effizient wie eine Produktionsmaschine werden. Menschen wurden als Rädchen in einem Maschinensystem betrachtet, individuelle Unterschiede sowie Ideen und Vorschläge der Arbeiter wurden nicht beachtet. Dieser klassischen Perspektive folgt auch der deutsche Soziologe Max Weber (1864-1920), der Prinzipien formuliert hat, nach denen die ideale Bürokratie funktioniert (ders. 1972). Dazu gehören ! Arbeitsteilung mit klarer Stellenbeschreibung für Aufgabe, Kompetenz und Verantwortung, ! hierarchische Strukturen, ! Koordination und Kontrolle durch Regeln und Ausführungsvorschriften, ! Trennung von Management und Eigentümern, ! Trennung von Amtsstelle und Inhaber, ! schriftliche Formalisierung aller Vorgänge. Später entwickelt sich demgegenüber die humanistische Perspektive des Managements, die davon ausgeht, dass es darauf ankommt, menschliches Verhalten auf der Ebene des Individuums, der Gruppe und der Gesamtorganisation zu verstehen. Erkenntnisse in dieser Richtung lieferten die Hawthorne-Studien, die im Jahre 1924 begannen und zeigten, dass die Arbeitsproduktivität der Beschäftigten davon abhängt, dass diese nicht nur als stimmbegabte Werkzeuge von den Managern behandelt werden. Später wurden unterschiedliche Menschenbilder unterschieden, die bei Führungsentscheidungen eine Rolle spielen. Nach dem

4.5 Einflussgrößen der Organisationsgestaltung

205

Sozialpsychologen Douglas McGregor (1906-1964) wird traditionell dem Menschen unterstellt, Arbeit zu scheuen und Verantwortung zu vermeiden (Theorie X), tatsächlich aber wäre in der modernen Zeit, genau das Gegenteil der Fall (Theorie Y) (ders. 1960). William Ouchi (1981) meint darüber hinaus, dass die menschlichen Beziehungen (das Humankapital) und die Kultur in der Organisation entscheidend sind (Theorie Z). Dabei kommt es aber darauf an, dass Menschen nicht nur in guten Zeiten als Humankapital betrachtet werden. Systematisches Beschäftigungsmanagement wird nicht immer betrieben, wenn Personalabbau droht (vgl. Bertelsmann Stiftung 1999; Müller & Martin 2000; Kronauer & Linne 2005 und das Praxisbeispiel). Nach der im Herbst 2008 einsetzenden Wirtschaftskrise haben die Betriebe Stellen gesichert und Know-how-Verlust vermieden, indem sie unter anderem Arbeitszeitkonten abgeschmolzen und Kurzarbeit eingeführt haben, sie haben aber auch die Stammbelegschaft und Leiharbeit abgebaut.

Praxisbeispiel: E AG – beschäftigen statt entlassen Die E-AG, ein (fiktiver) großer deutscher Energieversorger plant Personalabbau. Zur Geschichte des Unternehmens gehört, dass betriebsbedingte Kündigungen bisher noch nicht vorgekommen sind. In mehreren Gesprächsrunden zwischen dem Arbeitgeber und dem Betriebsrat einigt man sich auf einige sozialverträgliche Maßnahmen zum Personalabbau (vgl. Abb. 4.18). Dabei bleibt offen, was genau noch möglich ist. Summe = 249

noch zu quantifizieren

300 MA

81 MA

36 MA 33 MA 69 MA 30 MA Ruhestand

Abb. 4.18

Auslaufen befristeter Verträge

Arbeitszeitflexibilisierung

Altersteilzeit I

Altersteilzeit II

Insourcing

Freiwilliges Einsatz in Ausscheiden neuen GeAbfindungen schäftsfeldern

Sozialverträgliche Maßnahmen des Personalabbaus (Müller & Martin 2000, S. 12)

Fragen: 1. Welche weiteren Möglichkeiten um Entlassungen zu vermeiden kennen Sie? 2. Wie sind diese Maßnahmen betriebswirtschaftlich zu bewerten?

Ziel

206

4.5.5

4 Organisationsgestaltung

Entwicklungsphasen

‚Bei einem neu gegründeten Unternehmen (Start-Ups) stellen sich andere Fragen der Organisationsgestaltung, als bei einem reifen Unternehmen, das vielleicht schon über eine mehr als hundertjährige Geschichte verfügt. Ein interessantes Modell, wonach Organisationen wie natürliche Lebewesen einen Lebenszyklus durchlaufen und die Stadien ruhigen, evolutionären Wachstums bereits den Keim für organisatorische Umwälzungen, also revolutionäre Phasen, in sich tragen, stammt von dem amerikanischen Management-Professor Larry E. Greiner (1972) (vgl. Abb. 4.19). Das Wachstum der ersten Phase lebt von der Kreativität der Gründer, führt aber notwendig zu einer Führungskrise, weil mit wachsendem Alter und Größe der Organisation nicht nur die Kreativität der „Entrepreneure“ gefragt ist, sondern auch die effizienzsteigernde Steuerung des Unternehmens (vgl. Praxisbeispiel). Wachstum durch Lenkung in der zweiten Phase wird dann mit einem professionellen Management erreicht, was wiederum zu einer Autonomiekrise führt, weil kreative Mitarbeiter durch die wachsende Bürokratie und die damit verbundene Zentralisierung der Entscheidungen frustriert sind. Um die Krise zu überwinden, wird eine dritte Phase des Wachstums durch Delegation von Entscheidungen eingeleitet, an deren Ende eine Kontrollkrise steht, weil die Führungskräfte in Machtkämpfe um knappe Ressourcen verwickelt sind. Wachstum durch Koordination kann in der vierten Phase erreicht werden, wenn die zentrale Kontrolle und die Dezentralisierung der Bereiche richtig ausbalanciert werden, wie dies etwa in der multidivisionalen Struktur möglich ist. In der Folge kommt es jedoch zu einer Bürokratiekrise, die Organisation ist zu schwerfällig geworden. Ein Weg aus dieser Krise ist dann das Wachstum durch Zusammenarbeit zwischen den Personen in Projekten und Teams um verlorene Innovationskraft zurückzugewinnen.

4.5 Einflussgrößen der Organisationsgestaltung

Stadium 1

Stadium 2

Stadium 3

207

Stadium 4

Stadium 5

Groß 5. ? Krise

Evolutionsstadium 4. Wandelund Veränderungskrise

Organisationsgröße

Revolutionsstadium

3. Kontrollkrise

2. Autonomiekrise 1. Führungs- und Wachstumskrise

3. Wachstum durch Delegation

2. Wachstum durch Richtungsgebung 1. Wachstum durch Kreativität

Klein Jung

Abb. 4.19

4. Wachstum durch Koordination

5. Wachstum durch Kooperation und Zusammenarbeit

Reif

Organisationsalter

Revolution und Evolution wenn Organisationen wachsen (Greiner 1972, S. 11)

Praxisbeispiel: Steve Jobs und Apple, Eric Schmidt und Google Im Jahre 1976 verkaufte Steve Jobs seinen VW Minibus und baute mit seinem Partner Steven Wozniak in der nun freien Garage seinen ersten Computer. Bereits 1985 erreichte das von ihnen gegründete Unternehmen Apple Inc. einen Umsatz von über 2 Milliarden USDollar, im gleichen Jahr wurde Steve Jobs aus dem Unternehmen gedrängt. Weil der Gründer kein Interesse am operativen Geschäft gezeigt hatte, wurden erfahrene Manager von außen berufen und Steve Jobs wechselte in den Aufsichtsrat, ohne sich allerdings aus dem Geschäft herauszuhalten. Durch die unklare Ausrichtung des Unternehmens fielen die Gewinne. 1997 übernahm Jobs wieder die Geschäftsführung, nachdem er zuvor mit der Gründung von NeXT Computer und Pixar Animation Studios weitere Managementerfahrung gesammelt hatte. Innovationen wie die iPod-Medienprodukte sind nicht zuletzt auf die nun eingerichtete Zusammenarbeit in Projekten und Teams zurückzuführen. Ein Jahr lang hatte der Google-Verwaltungsrat Druck auf die beiden jungen Unternehmensgründer Sergey Brin und Larry Page ausgeübt, sich endlich einen erfahrenen Manager, einen „Erwachsenen“ an die Spitze des Unternehmens zu holen. 2001 nahm dann Eric Schmidt, der bis dahin Chef des Softwarehauses Novell gewesen war und sich bei seinem vorherigen Arbeitgeber Sun Microsystems den Ruf eines Pioniers des Internets erarbeitet

208

4 Organisationsgestaltung

hatte, das Angebot an, CEO bei Google zu werden. 2009 gilt Google bei Studenten als das attraktivste Unternehmen der Welt. Nachdem der Internetkonzern eine Software für Handys und einen eigenen Webbrowser herausgebracht hatte, arbeitet er nun an einen Betriebssystem für Computer. Google sagt Microsoft den Kampf an. Fragen: 1. Welchen Beitrag liefert das Lebenszyklus-Modell von Greiner um Entwicklungen bei Apple und Google zu erklären? 2. Kennen Sie Beispiele von Organisationen, bei denen das Lebenszyklusmodell passt? Quellen: Knop, C.: Microsoft-Gegner vom Dienst, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 9.Juli 2009, S. 19 und weitere Presseberichte.

Das Modell von Greiner zeigt das für Organisationen typische Spannungsverhältnis von Kontrolle und Chaos, von Führung und Selbstorganisation. Die Annahme, dass auch Unternehmen einen Lebenszyklus durchlaufen, schärft den Blick für die damit verbundenen Probleme und dafür, dass in den Lösungen bereits der Keim für neue Probleme liegt. Greiner selbst weist darauf hin, dass Organisationen sich entscheiden können, nicht zu wachsen. Ein gewisser „Zwang zur Größe“ wird sich jedoch aus den Branchenbedingungen ergeben. Die Unternehmensgröße hängt nicht nur vom Alter der Organisation ab. Juristische Personen, wie die Aktiengesellschaft oder die Incorporated, sind, weniger noch als inhabergeführte Unternehmen, nicht mit natürlichen Personen vergleichbar, bei denen eine nachlassende Schaffenskraft, Alter und Tod unvermeidbar ist. Traditionsunternehmen, die langfristig an ihren grundlegenden Werten und Zwecken festhalten, aber ihre Geschäftsstrategien und praktiken an eine sich verändernde Welt anpassen, sind sogar erfolgreicher (vgl. Kap. 3.2.3). Gleichwohl kann eine Phasenanalyse geeignet sein, Schwachstellen der Entwicklung aufzudecken und durch geeignete Organisationsformen wie bereichsübergreifende Teams, Wagnisbereiche sowie Kooperationen das Innovationspotenzial zu erhöhen.

4.6

Innovationsmanagement

Innovation wird hier als ein Prozess verstanden, in dem aus Ideen ein neues Produkt, eine neue Technologie oder ein neues Geschäftsmodell entsteht, das sich im Unternehmen und im Markt durchsetzt. Eine erste Herausforderung ist dabei die Abstimmung der sogenannten ‚harten‘ Faktoren zwischen Strategie und Organisation, zwischen Strukturen und Prozessen. Anpassungsfähige, organische Organisationsformen sind, wie vorhergehend (Kap. 4.5.2) gezeigt, besser als mechanistische Organisationsformen geeignet, Innovationen in einem turbulenten Umfeld hervorzubringen. Strategische Flexibilität lässt sich damit als Antwort für Strategien unter Unsicherheit (vgl. Kap. 2.5) und neue Geschäftssysteme (vgl. Kap. 3.1.1) auch organisatorisch realisieren. Zweitens aber kommt es auf den Menschen an, auf die sogenannten ‚weichen‘ Faktoren (vgl. Kap. 4.3 und 4.4). Neue Produkte und Technologien sind für Innovationen entscheidend, aber es ist etwas anderes, Dinge zu ändern als Menschen. Niccolo Machiavelli wusste davon bereits im Jahre 1513: „Dabei ist zu bedenken, dass … nichts so schwierig zu betreiben, so unsicher im Hinblick auf den Erfolg und so gefährlich in

4.6 Innovationsmanagement

209

der Durchführung ist als die Vornahme von Neuerungen.“ (ders. 1961, S. 54) Beide Faktoren sind für das Innovations- und Change-Management relevant; Themen, die eng miteinander verbunden sind. Beim Innovationsmanagement kommt es neben geeigneten Strukturen auf weitere Dimensionen der Organisation an. Komplexe Innovationsprojekte, wie die Entwicklung des Airbus 380 oder eines neuen Automodells bei BMW, werden flexibel und integriert gemanagt (vgl. Clark & Fujimoto 1991; Cusumano & Nobeaka 1998; Boutellier et al. 2008): ! Vertikale Integration. „Schwergewichts-Projektmanager“ (Heavy-Weigth-Projectmanager) oder „-Produktmanager“ tragen die volle Verantwortung für den Projekterfolg. Ein hochrangig besetzter Lenkungsausschuss und das Kernteam bewerten das Projekt nach jeder Phase neu (Gates and Stages). ! Funktionale Integration. Funktionen wie Forschung & Entwicklung, Einkauf, Produktion bis hin zu Marketing werden in Projektteams zusammengebracht. Die Funktionen werden nicht mehr nacheinander abgearbeitet, sondern nebeneinander (Simultaneous Engineering). ! Objektintegration. Innovationen bleiben nicht nur auf die technischen Gebiete der Forschung & Entwicklung beschränkt, sondern umfassen alle Geschäftsprozesse. Damit entwickelt sich das traditionelle F&E-Management zu einem integrierten Innovationsmanagement weiter, „bei dem gleichlaufend mit den Produktinnovationen auch alle betroffenen Geschäftsprozesse neu gestaltet werden.“ Dies läßt sich nicht in ein Korsett eines nur technisch-betriebswirtschaftlich verstandenen Prozessmanagements zwängen. „Bei hochintegrativen Vorhaben sind Werte und Normen, eine eigens entwickelte Projektkultur sehr wichtig.“ (Boutellier & Gassmann 1997, S. 30 f.) Ein Kernbereich des Innovationsmanagements ist die Organisationsgestaltung (vgl. Boutellier & Gassmann 1997; Grant & Nippa 2006; Kates & Galbraith 2007; Hill & Jones 2009; Daft 2010). Entscheidend ist, wie die Organisation mit Ungewissheit, aber auch Ignoranz und anderem Widerstand gegen Wandel umgeht. Noch im Jahre 1997 stellte Ken Olsen, Gründer und CEO der Digital Equipment Corporation, ein frühes Pionierunternehmen der Computerindustrie, fest: „Ich kann mir keinen vernünftigen Grund denken, warum sich ein Mensch wünschen könnte, einen Computer in seinem Hause zu haben.“ (zitiert nach Grant & Nippa 2006, S. 416). Auch heute ist noch ungewiss, ob sich etwa das Elektroauto durchsetzt – viele Versuche sind in der Vergangenheit gescheitert. In beiden Fällen, beim Personal Computer wie beim Elektroauto, handelt es sich um bahnbrechende Innovationen. Davon zu unterscheiden sind Innovationen die Bestehendes weiterentwickeln. Haribo etwa wird bei Verbesserung seiner Gummibärchen oder der Erweiterung seines Konfekt-Produktprogramms nur begrenzten Risiken ausgesetzt sein und auch von Intel wird man in regelmäßigen Abständen eine neue Chip-Generation erwarten. Mit diesem Spektrum von Innovationsstrategien sind nicht nur die Organisationsstrukturen abzugleichen (vgl. Abb. 4.20).

210

4 Organisationsgestaltung

weiterentwickelnde Innovationen

bahnbrechende Innovationen

Strategie Produktverbesserung

Produkterweiterung

nah

Nächste Generation

Neues Produkt

Neue Technologie

Neues Geschäft

Abstand vom Kerngeschäft

fern

Struktur Bestehende Produkteinheit integriert

Abb. 4.20

Leichtgewichtiges Produktteam

Schwergewichtiges Produktteam

Organisatorische Einbindung

Separierte Einheit separiert

Abgleich von Innovationsstrategie und Organisationsstruktur (Kates & Galbraith 2007, S. 175 ff.)

Die Schwierigkeit für Manager etablierter Unternehmen liegt in der Gratwanderung zwischen radikaler Innovation und Bewahrung des traditionellen Geschäftes. Die Anpassungsfähigkeit einer Organisation (Adaptability) ist die eine Seite, die nötige Ausrichtung im laufenden Geschäft (Alignment) die andere Seite. Die Leistung einer Organisationseinheit ist umso höher, je mehr beide Seiten entwickelt und ausgewogen sind (Ambidexterity) (vgl. Gibson & Birkinshaw 2004; Birkinshaw & Gibson 2008). Nokia, das finnische Mobiltelefon-Unternehmen, entwickelt beständig neue Anwendungen und Telefonmodelle, pflegt aber auch sein traditionelles Handygeschäft. Google verwendet 70 Prozent seiner Zeit für das Kerngeschäft, 20 Prozent für verwandte Projekte und 10 Prozent für unverbundene neue Geschäfte (vgl. Battelle 2005). Insbesondere bei bahnbrechenden Innovationen besteht das Risiko für die etablierten Unternehmen darin, dass sie das Entstehen eines neuen Produktes, einer neuen Technologie oder eines neuen Geschäftsmodells nicht rechtzeitig erkennen. Die Harvard Professoren Bower und Christensen (1995) haben hierfür den Begriff „Disruptive Technology“ geprägt, heute spricht Christensen von „Disruptive Innovation“. Ursachen dafür, dass diese Art der Innovation von den bisherigen Marktführern ‚verschlafen‘ werden, sind weniger Trägheit, sondern folgende Merkmale ! ! ! !

bahnbrechende Innovationen haben Anfangs schlechtere Leistungswerte, werden von den bisherigen Kunden nicht nachgefragt, weisen anfangs nur ein geringes Marktvolumen auf, und das bisherige Geschäftsmodell (vgl. Kap. 3.2) ist dafür nicht geeignet.

Viele Beispiele lassen sich dafür anführen: Die Leistung von Digitalkameras war anfangs schlechter, wie ebenso die von Halbleitern gegenüber Röhren oder der ersten Personal Com-

4.6 Innovationsmanagement

211

puter gegenüber Zentralrechnern. Heute ist noch offen, ob der Elektroantrieb den Verbrennungsmotor bei Kraftfahrzeugen ersetzt. Die Risiken sind hoch, denn bisher ist noch unsicher, ob genügend Lithium-Rohstoff für die Batterien verfügbar ist, wie Sicherheitsprobleme gelöst werden, welche Infrastruktur entwickelt wird etc. Deshalb gibt es unterschiedliche Einschätzungen darüber, wie groß der Markt für Elektroautos in absehbarer Zeit werden wird. Tesla, ein neu gegründetes kalifornisches Unternehmen, hat das erste Elektroauto mit modernen Batterien auf den Markt gebracht. Daimler beteiligt sich an Tesla um den Fuß in die Tür zu bekommen. Alle großen Automobilhersteller versuchen gegenwärtig auf den Zug aufzuspringen, entwickeln Hybridlösungen und kooperieren mit neuen Akteuren wie Batterieherstellern und Elektrizitätskonzernen. Bahnbrechende Innovationen entstehen selten aus etablierten Geschäften, weil sie ein radikal anderes Geschäftsmodell erfordern. Apple hat mit der iPod/iTunes-Kombination gezeigt, dass sich mit einem neuen Geschäftsmodell auch in einer durch Raubkopien niedergehenden Branche Erfolge erzielen lassen. 2003 gestartet, erzielt Apple 2007 bereits die Hälfte seines Umsatzes mit der iPod/iTunes-Kombination (Christensen et al. 2009). Innovation, Wachstum und Risikobereitschaft sind prägende Ziele bei bahnbrechenden Innovationen – nicht Kosten, Gewinn und Effizienz (vgl. O'Reilly III & Tushmann 2004). Auf der anderen Seite besteht ein Spannungsverhältnis zwischen Innovation und Effizienz, das auszutarieren ist (vgl. Praxisbeispiel). Lose und flexible Organisationsformen sind gut für neue Ideen, aber weniger dafür geeignet, diese umzusetzen. Kreative lassen sich nicht in feste Bahnen zwingen. Neue Geschäfte haben ein paradoxe Eigenschaft: Bahnbrechende Innovationen wie erneuerbare Energien, das Online-Banking oder das mobile Internet können von Neugründungen (Start-Ups) regelmäßig nicht bewältigt werden, weil Finanzmittel, Technologien, Wissen und Marktmacht des großen Unternehmens fehlen. Auf der anderen Seite entstehen neue Geschäftsideen gerade schrittweise aus kleinen Aktionen, mit der dafür notwendigen Kreativität und Flexibilität (vgl. Buckland et al. 2003). Große Unternehmen müssen also auch klein sein, wenn sie Innovationen voranbringen wollen. Welche Anforderungen stellen sich daher an Strategieentwicklung und Organisationsgestaltung?

Praxisbeispiel: 3M – Spannung zwischen Innovation und Effizienz 3M, das Multi-Technologieunternehmen mit den sechs Geschäftsbereichen, das seit 1902 innovative Produkte und Dienstleistungen entwickelt, konnte sich im Laufe der Zeit entscheidende Wettbewerbsvorteile aufgrund seiner Innovationsstärke sichern. Das Unternehmen, das sich selbst als Vorreiter bei der Entwicklung und Anwendung von Technologien bezeichnet, beabsichtigt wenigstens ein Drittel des Jahresumsatzes durch Produkte, die vor weniger als fünf Jahren auf dem Markt eingeführt wurden, zu erzielen. Aus diesem Grund werden Erfindungen und neue Technologien gezielt vorangetrieben. Oft wurde beschrieben wie 3M das macht: kleine Einheiten, Förderung von Mitarbeiterinitiativen und Karrieremöglichkeiten, hohe Toleranz gegenüber Fehlern, usw. Dennoch generierte 3M Mitte 2007 nur 25 Prozent des Umsatzes durch Produktneuheiten bei gleichzeitig geringeren Investitionen in Forschung & Entwicklung. Als ein möglicher Grund für diese Veränderungen wird die Einführung des Six Sigma-Ansatzes unter der Führung des ehemaligen

212

4 Organisationsgestaltung

CEOs James McNerney gesehen. Six Sigma ist eine Methode des Qualitätsmanagements zur Optimierung der Prozesse und Effizienzsteigerung, die insbesondere durch die Erfolge bei General Electric Beachtung erlangte. Allerdings besteht bei innovativen Unternehmen wie 3M ein Spannungsverhältnis zwischen Effizienzvorteil und Innovation. Da Six Sigma vorwiegend der Beschreibung, Messung, Analyse, Verbesserung und Überwachung der Geschäftsprozesse dient, bleibt die Förderung von Innovationen oftmals auf der Strecke. Der derzeitige CEO George Buckley scheint sich hingegen wieder auf die Stärken des Unternehmens zu besinnen und setzt auf Wachstum und Innovation, wobei er höhere Investitionen in F&E verspricht. Dennoch bleibt die kontinuierliche Verbesserung der Produkte, Prozesse und Dienstleistungen ein wichtiges Bestreben des Unternehmens. Buckley will damit beweisen, dass sich Effizienzsteigerung und Innovation nicht zwangsläufig ausschließen müssen. Ob er Recht hat, wird die Zukunft zeigen. Fragen: 1. Beschreiben Sie das Spannungsverhältnis zwischen Innovation und der Effizienzsteigerung! 2. Sehen Sie hierbei einen Unterschied zwischen weiterentwickelnden und bahnbrechenden Innovationen? 3. Denken Sie, dass Effizienzsteigerung und Innovation miteinander zu vereinbaren sind? Quellen: Jones, G.B.: Organizational Theory. 3. Aufl., Upper Saddle River/New Jersey 2004, S. 71; Ireland, R.D. et al.: Strategic Management, 8. Aufl., Cengage, Mason Ohio 2009; http://solutions.3mdeutschland.de.

Neue und traditionelle Geschäfte haben völlig unterschiedliche Geschäftssysteme, Organisationsformen und -kulturen. Für bahnbrechende Innovationen sind folgende Bereiche der Strategieentwicklung und Organisationsgestaltung relevant, zwischen denen Wechselwirkung besteht: ! Strategien. Wert und Wertesystem festlegen (vgl. Kap. 2), Geschäftsmodell an einem einzigartigen Kundennutzen (Customer Value Proposition) ausrichten, Aktivitätssystem und Ressourcenbasis (Kap. 3) und Organisation (Kap. 4) abstimmen. Zur Innovationsorganisation gehören insbesondere: ! Strukturen: Separierung und Integration austarieren. Bei Toyota, BMW und Volkswagen werden heute sogenannte Schwergewichts-Produktmanager und -Teams für die Entwicklung neuer Automodelle eingesetzt, während in der Automobilindustrie früher Funktionen wie Beschaffung, Produktion und Absatz lediglich koordiniert wurden (Leichtgewichts-Produktteams) (vgl. Kap. 4.3.1). Für neu entstehende Geschäfte kann es zweckmäßig sein, nicht nur Projektteams sondern eine separierte Geschäftseinheit (New Venture Division) einzurichten, die von der Zentrale geführt wird und mit eigenen Finanzmitteln ausgestattet wird (New Venture Funds) (vgl. Praxisbeispiel Procter & Gamble). DuPont, 3M und Hewlett Packard nutzen „Internal New Venturing“ um in neue, oftmals verwandte Geschäftsfelder vorzustoßen. Mosanto stieg 1979 in die damals noch unentwickelte Biotechnologie über eine „New Venture Division“ ein. Heute hat Mosanto in den USA eine marktbeherrschende Stellung bei gentechnisch verändertem Saatgut.

4.6 Innovationsmanagement

213

! Prozesse: Den Innovationsprozess definieren, Ideen aufnehmen, Konzepte ausarbeiten, Projekte auswählen, die Entwicklung beginnen (Prototypen), über die Produktion bis hin zur Markteinführung. Ideennetzwerke und die fachübergreifende Zusammenarbeit fördern (Verbesserungsteams, Cross-Functional Teams). Ciba Geigy führt einmal jährlich eine Ideenbörse durch, bei der ausgefallene Ideen gesammelt und bewertet werden. ! Menschen: Freiräume zur Entfaltung von Kreativität und Experimentierlust schaffen. Fehler tolerieren. Der haftende Notizettel (Post-it Notes) ist beim amerikanischen Unternehmen 3M nur entstanden, weil das Unternehmen den Mitarbeitern 15 Prozent von ihrer Arbeitszeit dafür einräumt, an eigenen Projekten zu arbeiten. Ähnlich ist es bei Apple und Microsoft. ! Akquisition und Kooperation: Die Zusammenarbeit mit Kunden und Partnern fördern. Beispiele für Innovationen durch interne Zusammenarbeit sind der TDI-Motor, das Doppelkupplungs-Getriebe und die elektromechanische Lenkung, die von VW-Geschäftseinheiten entwickelt wurden. Ein Beispiel für eine Innovation durch externe Zusammenarbeit ist das inhalierbare Insulin, bei dem Inhale (Idee), Hoechst (Biotechnologie) und Pfizer (Finanz- und Marktmacht), beteiligt waren, das allerdings später wieder vom Markt genommen wurde. ! Performance Management: Wertorientierte finanzielle Steuerungsgrößen überprüfen, nicht-finanzielle Steuerungsgrößen entwickeln. Die üblichen, wertorientierten Investitionsrechenverfahren (vgl. Kap. 2.2) wirken als „Innovationskiller“, wenn der geplante Wert einer Innovation mit dem Wert verglichen wird, wenn man nichts tut. Letzterer wird bei unterlassenem Wandel sinken (vgl. Christensen et al. 2008). ! Timing: Sich für eine Pionier- oder Folgerstrategie entscheiden, etwa bei der Wahl des Markteintrittszeitpunktes. Beide Strategien haben Vor- und Nachteile, allgemein gültig lässt sich nicht bestimmen, was besser ist. Netscape war Innovator bei Internet-Browser, Microsoft als Folger war der Gewinner. Polaroid war Innovator und Gewinner bei der Sofortbildkamera, Kodak konnte nicht aufschließen. Allerdings gerät Polaroid in Vergessenheit, weil es dem Unternehmen nicht gelang, bei der digitalen Revolution im Geschäft zu bleiben.

Praxisbeispiel: Procter & Gamble unter Kreativitätsdruck Der amerikanische Konsumgüterhersteller Procter & Gamble (P&G) ist mit 84 Milliarden US-Dollar Umsatz und 138.000 Mitarbeitern in 80 Ländern weltweit führend. „Innovation ist der Grundstein unseres Erfolges“, heißt es auf seiner Internetseite. 29.000 Patente: seine 170-jährige Geschichte ist geprägt von der ständigen Entwicklung herausragender, noch nie dagewesener Produkte durch innovative Technologien. Dazu zählen vor allem das amerikanische Pendant zum deutschen Waschmittel „Ariel“ namens „Tide“, die amerikanische Zahncreme „Crest“ und die erste entsorgungsfähige Windel unter dem Namen „Pampers“. Dazu hat auch die globale Expansion beigetragen. Denn gerade durch den Aufkauf von namhaften Unternehmen in verschiedenen Marktsektoren, wie jüngst z.B. der Wella AG in Darmstadt, konnte vor allem eines erschlossen werden: hochentwickeltes Fachwissen. Um den Erfolg auszubauen, hatte man im Jahre 1993 ein Konzept mit dem Namen „Strengthening Global Effectiveness“ entwickelt. Es kam zu großen Restrukturierungsprogrammen, die nur kurzfristig Erfolge einfuhren. Man erkannte, dass die Gewinn-

214

4 Organisationsgestaltung

steigerungen zum einen lediglich aus Kosteneinsparungen entstanden, die natürlich nur begrenzt möglich waren, und zum anderen aus kleinen Verbesserungsschritten bei den Produkten und im Betrieb. Zur Realisierung ihres großen Zieles – eine Zuwachsrate von 7 Prozent pro Jahr – jedoch, mussten moderne und fortschrittliche Produkte und neue Marken noch schneller als in vergangenen Jahren entwickelt werden. Zwar gab es in der Tat exzellente Wissenschaftler innerhalb des Hauses, doch deren neuartige Technologien wurden oft ignoriert – sie passten nicht in die Philosophie des Unternehmens: Fokus auf Zuwachs und Stärkung der Hauptmarken. Das Management von P&G maß von da ab der Innovation höchste Priorität zu. Der Kunde sollte wieder im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen. P&G hatte sich entschlossen die Balance zwischen marktbzw. technisch orientierter Innovation mehr auszugleichen, als es in der Vergangenheit geschehen war. Durch die breitgefächerten Geschäftsfelder von P&G besteht eine außergewöhnliche Bandbreite an branchenspezifischem Spezialwissen. Trotz dieses immensen Potentials fand kein effizienter Wissenstransfer zwischen den verschiedenen Sparten statt. Hierfür jedoch war in erster Linie P&G selbst verantwortlich. Diese interne Konkurrenz im Konzern war gewollt. Ziel war es, die einzelnen Teilbereiche einer Produktkategorie anzuspornen, Leistungsdruck aufzubauen und Informationen nur notwendigerweise innerhalb der verschiedenen Geschäftseinheiten auszutauschen. Verstärkt wurde dies zudem durch das „Product Champion System“, mit dem Beschäftigte für besonders herausragende Produktideen oder Verbesserungen ausgezeichnet wurden. Als ersten Lösungsansatz gründete P&G ein „Innovation Leadership Team“ (ILT). Zweck dieser Einheit sollte in erster Linie sein, die Entwicklungszeit von Innovationen zu optimieren. Dabei fand man heraus, dass viele potenziell erfolgversprechende Projekte in der Vergangenheit unbeachtet geblieben sind. Auf diesen Missstand reagierte das Management mit der Einrichtung eines unabhängigen „Corporate Innovation Fund“ (CIF). Von nun an war es Innovationsgruppen möglich, ihre Projekte dort vorzustellen, um Fördermittel im Falle eines interessanten Ansatzes für die Umsetzung zu erlangen. Die Anzahl von neuen Produktideen stieg schlagartig. Dies war Grund genug, diesen Strategieansatz auszubauen. Die „Corporate New Ventures Group“ (CNV), bestehend aus Personen der unterschiedlichsten Bereichen von P&G, wurde 1994 geboren. Diese sollte das „Innovation Leadership Team” (ILT) unterstützen, allerdings ihren Fokus vielmehr auf Ideen richten, die nicht auf einen Bereich maßgeschneidert waren, sondern vielmehr Bereichstechnologien vereinten. Durch die Zusammenarbeit von internen und externen Beratern sollte die Optimierung von Entwicklung und Produktion vorangetrieben und die Stärkung der Kernkompetenzen des Unternehmens verbessert werden. Die vorhandenen Potenziale aller Geschäftsbereiche sollten erkannt und für das gesamte Unternehmen nutzbar gemacht werden. Überdies sollten künftige Innovationen nicht mehr ein Zufallsprodukt, sondern das Ergebnis eines strukturierten und planbaren Prozesses sein. Hierfür erstellte man folgenden Strategierahmen: technologische Fertigkeiten von P&G erkennen; versteckte Bedürfnisse der Verbraucher wahrnehmen, verstehen, verarbeiten; Auswerten der benötigten Technologien zur Umsetzung des neuen Produktes und ökonomische Evaluation des Entwicklungsprozesses. Aber ein Problem gab es doch: CNV war keine eigene Sparte und musste

4.7 Change Management

215

die Produkte an die Geschäftsbereiche weitergeben, um sie an den Markt zu bringen. Dabei traf man oftmals auf Widerstand. Fragen: 1. Wie können Risiken reifer Organisationen systematisch angegangen werden? 2. Welche Bedeutung haben kulturelle und personelle Bedingungen in den jeweiligen Phasen der Organisationsentwicklung? Quelle: Whitney, D: Corporate New Ventures at Procter & Gamble. Harvard Business School Case Study, 1997; www.pg.com.

4.7

Change Management

Die Entwicklung der Anpassungsfähigkeit der Organisation in einer zunehmend komplexen und dynamischen Umwelt ist die Aufgabe des Veränderungsmanagements (Change Management). Dessen Instrumente setzen sowohl an den Strukturen, Abläufen und Spielregeln an, den sogenannten ‚harten‘ Faktoren, als auch an Einstellungen und Verhalten der Menschen, den ‚weichen‘ Faktoren. Adressat der Maßnahme (Intervention) ist dabei der Einzelne, die Gruppe, das Unternehmen und die relevanten Umwelten des Unternehmens. Teams, Profitcenter sowie Projektstrukturen beispielsweise verändern eher die harten Faktoren auf Gruppenebene. Maßnahmen der Organisationsentwicklung etwa durch die Rückkopplung von Mitarbeiterbefragungen (Survey Feedback), Leitbildentwicklung und die gezielte Beeinflussung der Unternehmenskultur sollen eher die weichen Faktoren der Einstellung und des Verhaltens auf Unternehmensebene verändern (vgl. Doppler & Lauterburg 1994). Mit diesen Themen haben wir uns bereits auseinandergesetzt, zu klären bleibt noch, woraus Widerstand gegen Wandel entsteht. Ursachen für Widerstand gegen Veränderungen liegen in den Strukturen, Prozessen und Kulturen der Organisation, aber auch in begrenzten Ressourcen, irreversiblen Investitionen und Vereinbarungen zwischen Organisationen (vgl. Hellriegel & Slocum 2004). Die Probleme von IBM, den Übergang vom Großrechner zum Personal Computer zu meistern, werden auf die damals mechanistische Organisation von IBM zurückgeführt. Das Volkswagen-Werk in Wolfsburg, gilt in heutiger Sicht als zu groß – dies ist aber kaum zu ändern, weil die Kosten ‚versunken‘ sind (Sunk Costs). Das Management möchte vielleicht Personal abbauen – Verträge zur Beschäftigungssicherung hindern es daran. Widerstand gegen Veränderungen entsteht aber auch durch einzelnen Menschen (vgl. Kotter 1995; Daft 2010): ! Eigeninteressen der Mitarbeiter. Menschen lehnen Wandel ab, wenn sie glauben, dass dieser im Gegensatz zu ihren eigenen Interessen steht. Veränderungen der Strategie, Organisation oder Technologie können zu tatsächlichen oder wahrgenommenen Nachteilen bei Arbeitsbedingungen, Bezahlung, Ansehen und Macht führen. ! Mangelndes Verständnis und Vertrauen. Wenn bereits vorige Initiativen im Sande verlaufen sind oder sich bereits eine Misstrauenskultur etabliert hat, kann Widerstand erwartet werden, wenn ein vorgeschlagener Kurs erneut verfolgt werden soll.

216

4 Organisationsgestaltung

! Unsicherheit. Nicht ausreichende Informationen über zukünftige Ereignisse können sich, individuell verschieden, als Angst vor dem Unbekannten niederschlagen. Widerstand entsteht auch, weil Menschen befürchten, dass sie nicht in der Lage sind, die geforderten neuen Qualifikationen und Einstellungen zu erwerben. ! Unterschiedlichen Bewertungen und Ziele. Dies ist häufig der Fall zwischen Funktionen und Bereichen. Wenn die Damen und Herren von der Geschäftsführung etwas vorschlagen, wird dies von den Leuten vom Vertrieb und den Männern und Frauen aus der Produktion unterschiedlich bewertet. Das Marketing achtet darauf, dass ein Produkt oder eine Dienstleistung beim Kunden ankommt, im Betrieb geht es darum, dass die Produktivität, die Qualität und die Zeit, um ein Produkt auf den Markt zu bringen (Time to Market), stimmen. Von Kurt Lewin, der 1933 vor den Nationalsozialisten in die USA fliehen musste und zu den bedeutendsten Psychologen des vergangenen Jahrhunderts zählt, stammen wichtige Beiträge zur Erforschung und zum Umgang mit Widerstand gegen Veränderungen (vgl. ders. 1963). Mit der Kräftefeld-Analyse (Force-Field Analysis) wird analysiert, welche Kräfte angestrebte Veränderungen antreiben und welche beschränkend entgegenwirken. Dadurch entsteht ein Gleichgewicht, das durch die Beeinflussung der Kräfte verändert werden kann. Betroffene sollten beteiligt, Gewohnheiten in einer Schrittfolge von Auftauen-VerändernStabilisieren bearbeitet werden. Diese Überlegungen gehören heute zur modernen Managementlehre: ! Auftauen (Unfreezing). Zunächst wird die Dringlichkeit der Situation kommuniziert und die Bereitschaft für neue Ideen geweckt. ! Verändern (Moving). Dann wird eine machtvolle Koalition derer geschmiedet, die die Veränderung wollen und eine Vision verbreitet. Andere werden ermächtigt, die Vision umzusetzen. ! Stabilisieren (Refreezing). Geplante kurzfristig wirksame Erfolge und andere Maßnahmen zur Stabilisierung sollen den Rückfall in alte Gewohnheiten vermeiden. Widerstand entsteht aber nicht nur aus vertrauten Gewohnheiten und Angst vor dem Unbekannten, sondern auch aus unterschiedlichen Interessen und Zielen. Lufthansa beispielsweise hat Anfang der 1990er Jahre systematisch Methoden des Change Managements eingesetzt (vgl. den Einstiegsfall zu Kap. 1). Zuerst wurde die Dringlichkeit dadurch hervorgehoben, indem die stolze Lufthansa zum Sanierungsfall erklärt wurde, dann mit der Beteiligung von Sanierungsgruppen die Veränderung umgesetzt. Dazu gehörte auch die Verständigung zwischen relevanten Anspruchsgruppen aus Management, Anteilseignern und Arbeitnehmervertretungen, die schließlich in Vereinbarungen mündeten. Auch bei Vattenfall Europe, einem der größten Energieversorger in Deutschland, der 2001/2002 aus dem Zusammenschluss von Bewag, HEW, Laubag und VEAG entstand, war die Einigung mit den Arbeitnehmervertretungen auf einen Rahmen-Interessenausgleich ein Meilenstein für die Umsetzung einer neuen Konzernstruktur (vgl. Friedrichs et al. 2009). Neben Lewins Kräftefeld-Methode werden daher je nach Situation und Art des Widerstands unterschiedliche Veränderungs-Strategien angewendet (vgl. Daft 2010):

4.7 Change Management

217

! Weiterbildung und Kommunikation dient dazu, Mitarbeiter durch Informationen auf den Wandel vorzubereiten. Neben der Vorbereitung auf konkrete Maßnahmen gehört dazu auch die Weiterbildung auf Tagungen und Seminaren. Die Lufthansa School of Business beispielsweise hat ein Programm für die anspruchsvolle Klientel der oberen Führungskräfte entwickelt, an dem auch Systempartner wie Fraport, Flughafen München und Deutsche Flugsicherung teilnehmen (vgl. Klatt & Brantzen 2008). Damit werden neben der Weiterbildung zugleich soziale Netzwerke entwickelt. Ähnliches gilt auch für die Teilnahme von Betriebsräten an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen nach § 37.6 BetrVG. ! Beteiligung. Durch die Beteiligung der Betroffenen werden diese in den Veränderungsprozess eingebunden, zusätzliche Informationen gewonnen und Lernprozesse angestoßen. Neu ist die Nutzung von Social Networking Services (SNS) wie Facebook oder Twitter über private Zwecke hinaus. Im Iran haben im Juni 2009 so die Gegner der Regierung ihren Widerstand organisiert. Bei Accenture, IBM und SAP sind Mitarbeiter durch ähnliche Dienste über das Intranet inzwischen weltweit vernetzt und zeigen aktives Interesse daran, sich zu beteiligen (vgl. Richter et al. 2009). ! Verhandlung und Vereinbarung. Eine weitere Möglichkeit mit Widerstand umzugehen, sind Anreize und Zugeständnisse. Ein Beispiel dafür sind die Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmervertretern (Pacts for Employment and Competitiveness, PECs ) in Europa, bei denen Zugeständnisse bei Löhnen und Arbeitsbedingungen durch Beschäftigungssicherung ausgeglichen werden. ! Zwang und Manipulation. Während die ersten drei Methoden zeitraubend sein können, sind Zwang und Manipulation risikoreich, weil sie die Menschen nicht mitnehmen. Den Zusammenschluss von Hoechst und Rhône-Poulenc sowie von Daimler und Chrysler beispielsweise haben Mitarbeiter und Aktionäre überraschend erst bei der Umsetzung erfahren. Die amerikanischen Professoren Kotter & Schlesinger (1979) empfehlen deshalb, eine jeweils passende Strategie für Veränderungen zu wählen. Wenn es schnell gehen muss, wird empfohlen klar zu planen, Wenige einzubeziehen und alles zu tun den Widerstand zu überwinden. Lässt die Lage mehr Zeit zu, wird man am Anfang nicht perfekt planen und Viele mit dem Ziel einbeziehen, den Widerstand zu minimieren.

218

4 Organisationsgestaltung

Zusammenfassung 1. Die Unternehmensleistung hängt nicht nur von der Strategie ab, sondern auch von deren Umsetzung in der Organisation. Das Organisationssystem eines Unternehmens besteht aus der Struktur (der ‚Anatomie‘), den Prozessen (der ‚Physiologie‘) und der Kultur (der ‚Psychologie‘). Die Aufgabe der Organisationsgestaltung ist es diese verschiedenen Bereiche, auch im Hinblick auf anstehende Veränderungen, zielgerichtet zu entwickeln und dabei deren Wechselwirkungen nicht aus dem Auge zu verlieren. Führung versus Selbstorganisation sind dabei die strategischen Perspektiven. 2. Bei der multidivisionalen Struktur, die bei diversifizierten Unternehmen die funktionale Struktur ablöst, werden eigenverantwortliche Geschäftseinheiten gebildet, die als Profitcenter nicht mehr nur hierarchisch, sondern auch über interne Märkte (Verrechnungspreise) koordiniert werden. Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass Zentralbereiche (Corporate Headquarters Staff) gebildet werden, die die oberste Unternehmensleitung (Corporate Manager) darin unterstützen, die Aktivitäten der Geschäftsbereichsleiter (Divisional Manager) zu überwachen und strategisch zu führen. 3. Bei der Führung im Konzern sind rechtlichen Einheiten (Legal Entities) und Leitungsstrukturen zu unterscheiden. Ein Stammhauskonzern kann in eine dezentrale Holdingstruktur umgebaut werden, ohne die Rechtsstrukturen anzutasten. Das ist beispielsweise relevant für Mitbestimmungsstrukturen, die an den rechtlichen Gestaltungen ansetzen. 4. In einem turbulenten und komplexen Umfeld steigt die Unsicherheit. Veränderungen bei Produkten, Märkten und Technologien erfordern mehr Koordination durch Teams, Projektmanager und Informationsaustausch auf gleicher Ebene. Sekundärstrukturen, veränderte Koordinations- und Kontrollmechanismen sowie die Prozessorganisation gewinnen an Bedeutung. 5. Neben den bekannten Koordinationsmechanismen durch Hierarchieausübung und Selbstorganisation wird innerhalb des Unternehmens auch über organisatorische Routinen und Preise koordiniert. Durch Kontrollmechanismen, finanzielle Anreize, Beteiligung der Mitarbeiter und über Kulturen und gemeinsame Werte sollen interpersonelle Zielkonflikte überwunden werden. 6. Lean Management, Business Process Reengineering und Total Quality Management sind Managementkonzepte, die an der Prozessorganisation ansetzen. Allerdings scheinen die Technologie, dezentrale Strukturen oder Outsourcing weniger entscheidend zu sein, als der Vorrang der Organisationsprozesse vor den Strukturen und die Beteiligung der Menschen an den Entscheidungen. 7. Unter der Kultur eines Unternehmens versteht man die Werte, Normen und Symbolsysteme, die von den Mitgliedern einer Organisation geteilt werden. In anpassungsfähigen Unternehmenskulturen orientieren sich Manager an Kunden, Mitarbeitern und Prozessen, die nützlichen organisatorischen Wandel bringen. In nicht-anpassungsfähigen Kulturen sorgen sich Manager vor allem um sich selbst. Zwischen Organisationskulturen, -strukturen und prozessen besteht Wechselwirkung.

Fragen zur Diskussion

219

8. Zu den Einflussgrößen der Organisationsgestaltung gehören die Bereiche Strategie, Umfeldeinflüsse, Technologie, Menschen und der Lebenszyklus des Unternehmens. Die traditionelle Auffassung von Chandler, dass die Struktur notwendig der Strategie folgt, wird heute bestritten. Die weitestgehende Kritik von Bartlett & Ghoshal geht davon aus, dass erfolgreiche Unternehmen heute stattdessen auf die Zwecke, Prozesse und Menschen des Unternehmens setzten. Dafür spricht, dass in einem turbulenten Umfeld organische Organisationsformen mechanischen überlegen sind. Weitere Einflussgrößen wie die Technologie und der Lebenszyklus der Organisation sind bei der Erklärung zu berücksichtigen. 9. Die Schwierigkeit für Manager etablierter Unternehmen bei Innovationen liegt in der Gratwanderung zwischen radikaler Innovation und Bewahrung des traditionellen Geschäftes. Die Anpassungsfähigkeit einer Organisation ist die eine Seite, die nötige Ausrichtung im laufenden Geschäft die andere Seite. Die Leistung einer Organisationseinheit ist umso höher, je mehr beide Seiten entwickelt und ausgewogen sind. Bahnbrechende Innovationen entstehen selten aus etablierten Geschäften, weil sie einen grundlegenden Wandel des Geschäftsmodells erfordern. 10. Change Management setzt sowohl an den Strukturen, Abläufen und Spielregeln an, den sogenannten ‚harten‘ Faktoren, als auch an Einstellungen und Verhalten der Menschen, den ‚weichen‘ Faktoren. Die Kräftefeld-Analyse ist eine Methode, die bei Widerstand gegen Veränderungen angewendet wird, neben Strategien, die je nach Risiko und verfügbarer Zeit gewählt werden.

Fragen zur Diskussion 1. Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Strategie und Struktur einer Organisation? 2. Was spricht dafür, dass das Unternehmen eine Organisation hat, was dafür dass es eine Organisation ist? 3. Welche Wechselwirkungen bestehen zwischen Geschäftssystem und Organisationssystem? Erläutern Sie dies an einem Beispiel! 4. Warum sind Organisationen mehr als Strukturen? 5. Inwiefern setzt strategischer Wandel an Strukturen und Prozessen aber auch an den Kulturen und Menschen an? 6. Was verstehen Sie unter indirektem Personalmanagement? 7. Was spricht für geplante Steuerung bei der Strategieumsetzung, was für die Selbstorganisation? 8. Inwieweit lässt sich die gewachsene Bedeutung des Prozessmanagements in den letzten Jahren mit Organisationstheorien erklären? 9. Was können etablierte Unternehmen tun, um sich auf bahnbrechenden Wandel vorzubereiten? 10. Woraus kann Widerstand gegen Wandel entstehen und wie kann Wandel gestaltet werden?

5

Internationale Strategie und Organisation Grundlagen der Unternehmensführung

Umwelt

Strategien

Organisationsgestaltung Internationale Strategie und Organisation

Unternehmensleistung

Ziele

Internationale Strategie und Organisation

Abb. 5.1

Kapitelübersicht

Im fünften Kapitel erfahren Sie: ! Wie Unternehmen Chancen und Risiken des internationalen Wachstums identifizieren können, welche Formen des Markteintritts möglich sind und wie die Risiken kontrolliert und Ergebnisse erzielt werden können. ! Dass die beiden strategischen Perspektiven ‚globale Integration‘ versus ‚lokale Reaktionsfähigkeit‘ die wichtigsten Orientierungen für die internationale Strategie und Organisation sind. ! Welche Organisationsstruktur zu einer zugleich global als auch lokal orientierten Strategie passt. ! Was den Wandel im internationalen Kontext antreibt und welchen Stellenwert darüber hinaus Managementprozesse, Landeskulturen und die Führungskräftebeurteilung und -entwicklung dabei haben.

222

5 Internationale Strategie und Organisation

Überblick Ein multinationales Unternehmen (Multinational Corporation, MNC) hat seine Zentrale (Headquarter) in einem Land und ist in einem oder mehreren anderen Ländern tätig. Es besteht kein Zweifel darüber, dass deren Zahl und Bedeutung in den letzten Jahrzehnten angestiegen ist. Die Vereinten Nationen haben für 1990 37.000 MNCs mit 170.000 Untergesellschaften ermittelt, 2003 waren es bereits 64.000 MNCs mit 870.000 Untergesellschaften (vgl UNCTAD 2005; Rugman & Collison 2006). Die größten multinationalen Unternehmen kommen aus den USA, Japan und Westeuropa, aber zunehmend auch aus China und Indien. Auch verhältnismäßig kleine Unternehmen, weniger bekannte Unternehmen wie Hanni, Brita und Baader, können als sogenannte „heimlichen Gewinner“ (Hidden Champions), weltweite Nischenmärkte dominieren (vgl. Simon 2007). In vielen Branchen, wie etwa bei Haushaltsgeräten („Weiße Ware“), hat die Unternehmenskonzentration in den vergangenen Jahren zugenommen. Global Player, die ihre Waren in mehreren Ländern herstellen und verkaufen, gewinnen weiter an Gewicht (vgl. Carr & Liu 2009). Die Anforderungen im Ausland erfolgreich tätig zu sein, über große Entfernungen und mit den unterschiedlichsten politischen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Bedingungen, wirken wie eine Hürde, die von der Heimatbasis ausgehend überwunden werden muss. Diese Eintrittsbarrieren sind nach Land und Branche unterschiedlich. Herkömmlich geht man deshalb davon aus, dass Unternehmen einen schrittweisen Reifeprozess durchlaufen müssen – aber es gibt auch Unternehmen, insbesondere in Hochtechnologiebranchen, die aus dem Stand international auftreten, die sogenannten „Born Globals“. Moderne Informations- und Kommunikationsmittel wie das Internet, die Luftfahrt und der Containertransport beschleunigen generell die Globalisierung. Die neuen Möglichkeiten multinationaler Unternehmen, ihre Produktion über Landes- und Organisationsgrenzen hinweg zu verschieben, hat das Kräfteverhältnis zuungunsten der Akteure verändert, die bisher diesen Aktionsradius nicht entwickelt haben: Regierungen, Arbeitnehmervertretungen und andere Nicht-Regierungsorganisationen (vgl. Dörrenbächer & Becker-Rittersbach 2009). Sind Unternehmen in dieser neuen Weltordnung, nicht länger mehr an die Wirtschaftsbedingungen und die Politik des Landes gekoppelt, in dem sie ihren Sitz haben? Wie soll sich ein Unternehmen vor diesem Hintergrund ausrichten? Im vorliegenden Rahmen werden nur einige zentrale Fragen der internationalen Strategien und Organisation angesprochen, zur Vertiefung werden Standardtexte empfohlen (vgl. Rugman & Collison 2006; Welge & Holtbrügge 2006; Schmid 2007; Bartlett et al. 2008; Kutschker & Schmid 2008; Peng 2009). Dabei wird wie üblich die Perspektive eines Unternehmens eingenommen, das international expandiert, nicht so sehr die andere Seite der Medaille: die Strategien der Unternehmen und anderer Akteure in den Zielländern. Mit dieser Einschränkung sind zentrale Fragen der internationalen Strategie: Wie lassen sich internationale Chancen identifizieren? Sollten Ressourcen und Produkte global standardisiert oder lokal angepasst werden? Was spricht für die globale Integration, was für die lokale Reaktionsfähigkeit? Welche Optionen der Internationalisierung sollten gewählt werden? Wie lassen sich Risiken begrenzen und managen? Schließlich: Wie lässt sich die Unternehmensleistung (Corporate Performance) im internationalen Maßstab messen und steuern? Der Einstiegsfall

5 Internationale Strategie und Organisation

223

IKEA zeigt, dass eine zu starke Orientierung an bisher erprobten und bewährten Erfolgspfaden zu Fehleinschätzungen führen kann. Außerdem: Welche Organisation passt zu einer Strategie, die sowohl die Vorteile der globalen Integration nutzt, als auch die der lokalen Reaktionsfähigkeit? Ist es eine Organisationsstruktur, die die Produkt- und Regionalverantwortung in einer Matrix kombiniert? Welche Bedeutung haben Organisationsprozesse und -kulturen in diesem Umfeld?

Einstiegsfall: IKEA in Japan – der lange Weg zum Erfolg Als IKEA im Jahr 1974 durch ein Joint Venture mit einem lokalen Partner in den japanischen Markt eintrat, erwartete der Konzern nicht, dass er sich schon 1986 aus dem japanischen Markt zurückziehen würde. IKEA scheiterte vor allem aus folgenden Gründen: ! IKEA’s begrenzte internationale Erfahrung und mangelhafte Vorbereitung, ! Konflikte zwischen den Joint Venture Partnern, ! Mangelndes Verständnis für die Bedürfnisse des japanischen Konsumenten. Tommy Kullberg, CEO von IKEA Japan, sagte dazu später: „Der japanische Markt und seine Verbraucher waren noch nicht reif für IKEA und IKEA war zweifellos nicht reif für Japan.“ Seit der Gründung im Jahr 1943 ist IKEA mit seinen Selbstbaumöbeln zu einem der größten Möbelhersteller und -händler der Welt herangewachsen. Im August 2007 gehörten 231 selbstgeführte sowie zusätzlich 29 als Franchise-Unternehmen geführte IKEA Stores in 24 Ländern zum Weltkonzern, die mehr als 522 Millionen Besucher anlockten. Insgesamt beschäftigt IKEA 118.000 Mitarbeiter in 40 Ländern und erwirtschaftet dabei einen Umsatz von etwa € 19,8 Milliarden. Europa trägt als IKEA’s Kernmarkt 82 Prozent zum Gesamtumsatz bei. Nordamerika liegt mit einem Anteil von 15 Prozent noch immer relativ weit vor der Region Asien mit nur 3 Prozent. Das Potenzial der Region ist noch nicht ausgeschöpft. Neben der Fähigkeit kostengünstig zu operieren ist für IKEA seine schwedische Identität wichtig. Dazu gehört das schwedische Möbeldesign, die typischen IKEA Farben (blau und gelb), die die schwedische Nationalflagge repräsentieren, sowie die schwedischen Spezialitäten, die im Restaurant und dem IKEA Shop angeboten werden. Bereits fünf Jahre nach der Eröffnung des ersten IKEA Stores hat der Konzern mit der Aufnahme seiner internationalen Aktivitäten begonnen. Zunächst wurden Märkte in unmittelbarer Nähe anvisiert wie z.B. Norwegen und Dänemark, die außerdem große Ähnlichkeiten zum Heimatmarkt Schweden aufweisen. Mit zunehmender Sättigung der skandinavischen Märkte hat sich IKEA dann der Erschließung des restlichen Europas zugewandt und im Jahr 1973 den Markteintritt in der Schweiz und im darauf folgenden Jahr in Deutschland gewagt. Nach Erschließung der wichtigsten europäischen Märkte, verlagerte sich der Schwerpunkt auf entferntere Regionen wie Nordamerika und Asien. Die internationale Expansion erfolgt meist phasenweise und durch unternehmenseigene Filialen. Dementsprechend etabliert IKEA zunächst nur einen einzigen Store bevor die Ausbreitung in der Region erfolgt.

224

5 Internationale Strategie und Organisation

Vor dem Eintritt in den japanischen Markt hatte IKEA kaum Erfahrung mit wesentlich unterschiedlichen Marktbedingungen sammeln können, da die meisten der bearbeiteten Märkte große Ähnlichkeiten zum Heimatmarkt aufwiesen. Aufgrund dessen unterschätzte der Konzern mögliche Gefahren sowie die Wichtigkeit einer gründlichen Markforschung zur Vorbereitung des Markteintritts. In der Folge fehlte eine solide Informationsbasis, auf der angemessene Entscheidungen bezüglich der Internationalisierungsstrategie getroffen werden konnten. Die verfolgte ‘One-Design-Suits-All’-Strategie verhinderte zudem die notwendigen Anpassungen an die lokalen Bedingungen. Zur Reduzierung der Risiken und Unsicherheiten in Verbindung mit dem Eintritt in den fremden Markt entschied sich IKEA für ein Joint Venture mit einem einheimischen Unternehmen. Der Partner bezweifelte allerdings von Beginn an die erfolgreiche Umsetzung des IKEA-Konzeptes, was zahllose Konflikte zwischen beiden Partnern zur Folge hatte. Während der gesamten zwölf Jahre, die IKEA in Japan operierte, gelang es dem Konzern nicht, den japanischen Konsumenten zu verstehen. Dieser gilt als einer der anspruchsvollsten und schwierigsten der Welt. Infolge dessen konnten die Produkte nicht ausreichend an den Geschmack und die Bedürfnisse der Käufer angepasst werden. Beispielsweise waren die Möbel schlicht und einfach zu groß für die kleinräumigen japanischen Wohnungen. Nachdem sich außerdem die japanische Wirtschaft in einer Phase starken Wachstums befand, lag das Interesse der Konsumenten stärker auf dem Luxusgütersegment, wobei hohe Preise eine hohe Produktqualität signalisierten. Zudem erwarteten die Käufer ein äußerst hohes Service-Niveau in den Geschäften. Daher konnte das IKEA-Konzept in Japan insgesamt wenig Akzeptanz finden. Im Jahr 2006, also 32 Jahre nach dem ersten Versuch, IKEA in Japan zu etablieren, eröffnete der Möbelhersteller wiederum einen Store in Funabashi nahe Tokio. Mehr als 35.000 Besucher konnten am Eröffnungstag gezählt werden. Seit dem ersten Markteintritt hat sich jedoch einiges verändert – und zwar nicht nur IKEA selbst sondern auch das externe Unternehmensumfeld. IKEA ist internationaler und offener geworden. Die Erfahrungen in anderen, zum Teil auch asiatischen Märkten, konnte sich der Konzern zu Nutze machen. Vor dem Wiedereintritt in den japanischen Markt hat IKEA die Marktbedingungen gründlich untersucht, beispielsweise durch die Besichtigung von über 100 japanischen Haushalten. Die Besuche gaben Aufschluss über den japanischen Lebensstil sowie die durchschnittliche Wohnsituation. Ergebnis der Marktforschung ist eine auf ‘Small Space Living’ ausgerichtete Strategie. Es werden demgemäß also Möbel angeboten, die zu den kleinen Wohnungen der japanischen Konsumenten passen. Darüber hinaus begann IKEA schon im Vorfeld mit dem Aufbau von nachhaltigen Beziehungen zum politischen Umfeld in Japan. Insgesamt hat IKEA im japanischen Markt stärkere Anpassungen vorgenommen als in jedem anderen Land der Welt. Die Showrooms innerhalb der Einrichtungshäuser sind an die Größe eines typischen japanischen Zimmers angepasst. Die Größe der Möbel wurde reduziert, um besser in die kleinen Wohnungen zu passen. Einheimische Regelungen und Anforderungen an die Möbel wurden beachtet zum Beispiel in Bezug auf Erdbebensicherheit. Zur Verbesserung des Serviceniveaus bietet IKEA Liefer- und Aufbauservice an und generell ist mehr Servicepersonal im Store vorhanden. Trotzdem muss IKEA ein gewisses Maß an Standardisierung erhalten, um so die nötigen Größenvorteile zu generieren und die schwedische Identität zu bewahren.

5.1 Strategien der Internationalisierung

225

Nicht nur IKEA selbst sondern auch das Unternehmensumfeld hatte sich inzwischen gewandelt. Japan ist zum weltweit zweitgrößten Einzelhandelsmarkt (Retail Market) herangewachsen. Zusätzlich erleichterte die Deregulierung des japanischen ‘Large-Scale Retail Store Law‘ den Markteintritt großer Handelsunternehmen und hat so IKEA zum Wiedereintritt ermutigt. Darüber hinaus bietet das Wachstum im Immobilienmarkt und der Möbelbranche den Möbelhändlern steigende Chancen. Zudem zeichnet sich ein Trend hin zu einer höheren Wichtigkeit des eigenen Zuhauses ab. Den Konsumenten scheint es wichtiger zu werden, Zeit zu Hause zu verbringen. Daher steigt das Interesse am Bereich Wohnen und Design. Außerdem ist nach einer Phase der wirtschaftlichen Rezession und der damit verbundenen ungünstigen Einkommensentwicklung zudem das Preisbewusstsein der japanischen Käufer gestiegen und folglich werden preisgünstige Produkte stärker akzeptiert. Auch das Konzept des Selbst-Zusammenbauens findet verstärkt Zustimmung. IKEA selbst sieht seine Zukunft in Japan weitgehend positiv und ist überzeugt, dass der Konzern dauerhaft erfolgreich im japanischen Markt Fuß fassen kann. Bereits drei neue Einrichtungshäuser sind im Jahr 2008 eröffnet worden und bis 2011 sollen weitere zehn folgen. Damit soll Japan in Zukunft IKEA’s größter Markt sogar noch vor Deutschland werden. Experten sind allerdings geteilter Meinung bezüglich der Erfolgschancen des Möbelherstellers. Fragen: 1. Ist Ikea ein multinationales Unternehmen? 2. Warum ist Ikea erst gescheitert und war dann erfolgreich? 3. Glauben Sie, dass die Fehler vermeidbar gewesen wären? Quellen: Madhogaria, R. K: IKEA in Japan. ICFAI-Case Study Nr. 306-377-1, Bangalore 2006; Schmid, S.: Strategien der Internationalisierung. München/Wien 2006; Lief, C.: IKEA: Past, present and future. IMD Case Study 4-0282, Lausanne 2008; IKEA-Geschäftsberichte.

5.1

Strategien der Internationalisierung

Die einzelnen Schritte des folgenden Prozessmodells der Internationalisierung (vgl. Abb. 5.2) sind: internationale Chancen identifizieren, die internationale Orientierung festlegen und Ressourcen und Produkte entwickeln, Optionen festlegen, sowie die Risiken kontrollieren und die Ergebnisse bewerten und gegebenenfalls umsteuern.

226

5 Internationale Strategie und Organisation

Internationale Chancen identifizieren

Marktgröße

Ressourcen und Produkte entwickeln Internationale Orientierung

Optionen festlegen

Internationale Strategie

Markteintrittsstrategien:

Multilokale Strategie

- Zielmarkt

Risiken kontrollieren

Managementprobleme und -risiken

Strategische Ergebnisse

Bessere Leistung

Rendite Größen- und Lernvorteile

- Timing Globale Strategie

Standortvorteile

- Konfiguration Transnationale Strategie

Abb. 5.2

5.1.1

- Koordination

Managementprobleme und -risiken

Innovation

Prozessmodell der Internationalisierung (nach Ireland et al. 2009, S. 213)

Chancen identifizieren

Chancen, die sich aus dem internationalen Unternehmenswachstum ergeben, sind (vgl. De Wit & Meyer 2008; Ireland et al. 2009): ! Marktgröße. Wenn die lokale Marktdurchdringung auf Grenzen stößt, kann der Eintritt in die internationalen Märkte neue Wachstumsmöglichkeiten eröffnen. Das Wachstum von IKEA über die schwedischen Grenzen hinaus ist dafür ein Beispiel. Auch Baukonzerne wie Bilfinger Berger und Holzmann haben Wachstum in den letzten Jahren vor allem im Ausland erzielt. ! Rentabilität. Branchen, die ein hohes Kapitalminimum für den Betrieb und die Forschung & Entwicklung erfordern, wie etwa die Pharmaindustrie, sind auf große Märkte für ihre Rentabilität angewiesen. Vorteile können erzielt werden durch die Fähigkeit mit Kunden und Wettbewerbern umzugehen, die auch international aktiv sind. Ressourcen können in die Länder transferiert werden, in denen sie die höchsten Erträge bringen (Allokationseffekt). ! Größen- und Lernvorteile. Größen- und Verbundvorteile (Economies of Scale and Scope) lassen sich mit wachsender Marktgröße und internationaler Diversifizierung erreichen. Volkswagen, General Motors und Honda realisieren mit ihrer Produktion in China globale Größenvorteile. Durch den Austausch von Ressourcen und Wissen zwischen Geschäftseinheiten und Geschäftspartnern über nationale Grenzen hinweg werden Synergien realisiert. Insbesondere in der Automobilindustrie ist die Zusammenarbeit mit den Zulieferpartnern ein Wettbewerbsfaktor (vgl. Müller 2009b). ! Standortvorteile. Unterschiede bei den Kosten für Arbeitskräfte, Energie, Rohstoffen sowie die Nähe zu Kunden und Lieferanten, das politische Klima in den jeweiligen Ländern usw. sind Kriterien bei der Standortwahl (vgl. Zentes et al. 2004; Welge & Holtbrügge 2006). Dabei sind Vorteile mit Hürden und möglichen Risiken der Auslands-

5.1 Strategien der Internationalisierung

227

tätigkeit jeweils abzugleichen (vgl. Praxisbeispiel). Diese werden je nach Branche, etwa in der Automobilindustrie (vgl. Kinkel & Zanker 2007; Schmid & Grosche 2008) im Unterschied zu Dienstleistungen in der Informationstechnologie, anders aussehen. Aus der Standortnähe ergibt sich eine bessere lokale Reaktionsfähigkeit durch Fühlungsvorteile: Unterschiede der Marktstruktur, bei Kundenbedürfnissen, Vertriebskanälen, der Infrastruktur und den politischen Rahmenbedingungen werden aus der Nähe besser verstanden und es wird gelernt, damit umzugehen.

Praxisbeispiel: Varta Microbatterie – der Standort Deutschland wird wieder attraktiver Varta Microbattery GmbH ist einer der führenden Hersteller von Mikrobatterien. Das Unternehmen stellt immer leistungsfähigere und kleinere Batterien für medizinische Geräte wie Hörgeräte, aber auch für Handys, Notebooks und weitere Kommunikationstechnologien her. Da die Konkurrenz weltweit im Bereich der Batterien immer mehr zunahm und Varta im Jahre 1993 erstmals keinen Gewinn erwirtschaftete, wurde die Produktionspalette vom traditionellen Kerngeschäft der Industrie-, Auto- und Gerätebatterien auf den viel versprechenden Zukunftsmarkt der Mikrobatterien reduziert. Somit wurde Varta nicht nur vom Großunternehmen zum Mittelständler, sondern verlagerte auch große Teile seiner Produktion von Ellwangen in der Schwäbischen Alb nach Singapur. Ein wichtiger Grund für das Outsourcing waren die niedrigen Lohnkosten und die Nähe zu asiatischen Kommunikationstechnologie-Herstellern. Eine Zeit lang wurden die erhofften Einsparungen erreicht, jedoch holte der technische Fortschritt Varta ein: die Stückzahlen der Produktion mussten von 90 auf 500 Stück pro Minute erhöht werden. Die Produktionsstätte in Singapur war für einen solchen Output nicht ausgerüstet und hätte generalüberholt werden müssen. In der Produktion in Deutschland jedoch war eine dafür notwendige Hochgeschwindigkeitstechnologie nicht nur bereits entwickelt, sondern auch erfolgreich eingesetzt worden. Deshalb lag es nahe, auf Synergieeffekte der Produktion zu setzen und Varta holte kurzer Hand die komplette Produktion aus Singapur nach Deutschland zurück. Dadurch, dass Varta auf die bestehende Produktion und ihre Hochgeschwindigkeitstechnologie in Deutschland bauen konnte, konnte der Lohnkostenanteil an der Produktion in Deutschland um unter 15% gesenkt werden. Im Jahre 2004 erwirtschafteten die 1.400 Mitarbeiter von Varta einen Umsatz von 146 Millionen Euro, wobei der Exportanteil bei 80% liegt. Doch Varta Microbattery GmbH ist mit ihrem Produktions-Insourcing nicht das einzige Unternehmen in Deutschland. Laut einer Studie des Fraunhofer Instituts für System- und Innovationsforschung (ISI) wird der Standort Deutschland immer attraktiver. Die Studie „Modernisierung der Produktion“ zeigt auf, dass die Rückverlagerungen zwar gleichbleibend waren, jedoch die Produktionsverlagerungen ins Ausland deutlich zurückgegangen sind. Auf jede vierte bis sechste Verlagerung folgt innerhalb von vier bis fünf Jahren eine Rückverlagerung. Die Gründe sind meist die mangelhafte Planung der Produktionsverlagerung sowie mögliche Kosteneinsparungen, die nur kurzfristig von Vorteil sind. Hinzu kommen Qualitätseinbußen und Lieferungsschwierigkeiten.

228

5 Internationale Strategie und Organisation

Bei der Entscheidung zur Produktionsverlagerung, oder auch einer Make-or-BuyEntscheidung, sollten demnach nicht nur Kosteneinsparungen im Vordergrund stehen, sondern auch eine sorgfältige Sourcing-Strategie entwickelt werden, die auch langfristige Überlegungen zu wichtigen Faktoren wie Qualitätssicherung, Liefersicherheit, Infrastruktur und Personalrecruiting beinhaltet. Fragen: 1. Was spricht für eine Standortverlagerung? 2. Was spricht gegen eine Standortverlagerung? Quellen: Etscheit, G.: Vorreiter des Insourcing. Die Zeit, Nr. 20 vom 11.05.2005; Kinkel, S. / Spomenka, M.: Produktionsverlagerungen rückläufig. In: Mitteilungen aus der ISI-Erhebung zur Modernisierung der Produktion. Fraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung, Nr. 45, Januar 2008. S. 2 ff.

Gegen die verbreitete Annahme, dass insbesondere multinationale Unternehmen kein Zentrum und kein Heimatland mehr haben würden, sondern überall auf der Welt heimisch wären, gibt es Argumente. Bei allen großen internationalen Unternehmen lässt sich die Herkunft bestimmen (vgl. Rugman & Collison 2006) und deren Erfolg in der Welt hängt auch von den Standortvorteilen der Heimatbasis ab. Das Diamant-Modell von Michael Porter (vgl. Abb. 5.3) ist geeignet, um nationale Wettbewerbsvorteile zu analysieren, die die Grundlage für das Wachstum multinationaler Unternehmen im Ausland ist. Die zentrale These von Porter ist: „Die Wettbewerbskraft einer Nation hängt ab von der Innovations- und Entwicklungsfähigkeit seiner Industrien und Unternehmen, die Wettbewerbsvorteile gegenüber ihren ausländischen Herausforderern erlangen, indem sie auf den Druck starker Mitbewerber, draufgängerischer Zulieferer und anspruchsvoller Kunden im eigenen Land reagieren.“ (Porter, 1990, S. 103) Unternehmensstrategie, -struktur und Wettbewerb

Nachfragebedingungen

Faktorbedingungen

Verwandte und unterstützende Branchen

Abb. 5.3

Wer bestimmt den nationalen Wettbewerbsvorteil?(nach Porter 1999, S. 95)

5.1 Strategien der Internationalisierung

229

Zentrale Fragen der vier Grunddimensionen dieses Modells sind (vgl. Porter 1999): ! Unternehmensstrategie, -struktur und Wettbewerb: Werden Führungsstil und vorherrschende Organisationsstrukturen im Land den Branchenanforderungen gerecht? Welche Strategien nutzen nationale Organisationsformen? Zieht die Branche besonders begabte Menschen im Land an? Passen die Ziele der Investoren zu den Wettbewerbsbedürfnissen der Branche? Gibt es leistungsfähige heimische Konkurrenten? Die Situation ist unterschiedlich. Vorteile in Deutschland sind insbesondere die erfolgreichen kleinen und mittleren Industrieunternehmen, in Japan der Wettbewerb und Kooperation in Netzwerken, in den USA die Zusammenarbeit zwischen Computerherstellern und Softwareunternehmen. ! Faktorbedingungen: Faktorbedingungen beziehen sich auf Arbeit, Land, natürliche Ressourcen und die Infrastruktur, wie etwa qualifizierte Arbeitskräfte und ein digitales Kommunikationssystem. Besitzt das Land besonders fortschrittliche oder geeignete Produktionsfaktoren? In welchen Segmenten? Für welche Strategien? Hat das Land überlegene faktorbildende Mechanismen in der Branche (z.B. spezielle Forschungsprogramme, überragende Bildungseinrichtungen)? Zeigen selektive Faktornachteile im Land maßgebliche Auslandsverhältnisse an? ! Nachfragebedingungen: Sind die Branchenkunden des Landes die fortschrittlichsten oder anspruchsvollsten? In welchen Segmenten? Hat das Land in der Branche ungewöhnliche Bedürfnisse, die sich leicht übertragen lassen? Sind die Absatzkanäle im Land differenziert und deuten sie internationale Trends an? Je nach Umfang und Art der Nachfragebedingungen ergeben sich Größen- und Differenzierungsvorteile. ! Verwandte und unterstützende Branchen: Hat das Land Zulieferbranchen von Weltrang? Für welche Bereiche? Gibt es starke Positionen in wichtigen verwandten Branchen? Beispiele für unterstützende Branchen sind etwa Kameras und Kopierer in Japan. Außerdem sind staatliche Einflüsse durch die Industrie- und Wettbewerbspolitik zu beachten sowie der Zufall und historische Ereignisse, die ein Land zu dem gemacht haben, was es ist. Die Kritik am Diamant-Modell von Porter wird vor allem daran festgemacht, dass darüber hinaus die Rolle der multinationalen Konzerne als weiterer Einflussfaktor nicht berücksichtigt wird. Nestlé macht beispielsweise 98 Prozent seines Umsatzes außerhalb der Schweiz, daher ist der Schweizer Diamant nationaler Wettbewerbsvorteile weniger relevant, als jener der Länder, in denen Nestlé tätig ist. Verschiedene Diamanten für die jeweiligen Länder müssten deshalb im Zusammenhang analysiert werden (vgl. Rugman & Collison 2006). Traditionell waren es drei große Machtzentren in der Welt, die sogenannte Triade aus den USA, der EU und Japan, die die wirtschaftliche Entwicklung in der Welt prägten. Die sogenannte ‚Dritte Welt‘ lieferte die Rohstoffe und war Abnehmer von Industriewaren. In letzter Zeit hingegen haben sich die Kräfteverhältnisse verschoben. Neue Wirtschaftsmächte wie Brasilien, Russland, Indien und China (die BRIC-Staaten), gewinnen an Bedeutung (vgl. Dicken 2007; Khanna 2008). In China wird 2009 der erste Airbus komplett hergestellt, ICEs von Siemens ebenso. China und Indien sind international längst nicht mehr nur Hersteller von Industriegütern und IT-Dienstleistungen, sondern entwickeln sich zu wettbewerbsfähigen Standorten für die Innovationsnetzwerke multinationaler Unternehmen (vgl. Sauvant

230

5 Internationale Strategie und Organisation

2008; Bruche 2009; Immelt et al. 2009). Direktinvestitionen in Asien sind keine Einbahnstraße mehr: Finanzstarke Unternehmen aus China, aber auch aus Indien und Südostasien, wie Haier, Lenovo, Tata und BenQ, übernehmen mit staatlicher Unterstützung Firmen im Westen (vgl. Praxisbeispiel). Dennoch haben heute noch 84 der 100 größten multinationalen Unternehmen ihre Zentrale in der Triade (vgl. UN Conference on Trade and Development 2008).

Praxisbeispiel: Tata – indischer Mischkonzern kauft Jaguar Die Tata Group ist wohl der größte Mischkonzern Indiens. Sie kauft und verkauft Firmen, erschließt sich neue Märkte und wächst dynamisch. Das Unternehmen des Patriarchen Ratan Tata betätigt sich in sieben Sektoren: Maschinenbau, Baustoffe, Energie, Dienstleistungen, industrielle Fertigung, Konsumprodukte sowie der Chemieindustrie. Land Rover und Jaguar (JLR), die neueste Errungenschaft von Tata Motors, wechselten für 2,3 Milliarden Dollar von Ford zu Tata. Diese zwei Automarken günstig kaufen zu können, lag weniger an Land Rover, denn dieses Unternehmen brachte Ford im Jahre 2007 einen Gewinn von 1,5 Milliarden US-Dollar ein, sondern mehr an Jaguar. Jaguar kostete Ford in den letzten 18 Jahren ca. 10 Milliarden Dollar, wobei der Absatz kontinuierlich sank. Skeptiker meinen, dass Tata Motors sich damit entweder zwei der luxuriösesten Automarken oder ein Meer voller Sorgen gekauft hat. Der Kauf von Jaguar war auf Grund der mangelnden Synergien und der hohen operativen Kosten kaum wertsteigernd. Tata hat zugesagt, die britischen Produktionsstätten nicht zu verlagern und neue Fahrzeuge, wie eine Neuauflage des Jaguar E-Types der 1960er Jahre, sind bereits in Planung. Die Tradition von Jaguar soll erhalten werden, wobei Tatas größte Sorge die Emissionsgesetze in Europa und Kalifornien sein könnten. Um dieses Problem zu lösen, wird Ford einen Zugang zu ihrer Hybridtechnologie ermöglichen. Wenn Tata Motors es also schaffen sollte, ihre Autos in Kalifornien und Europa zu verkaufen wird das eine Synergie sein, die sich lohnen könnte. Hinzu kommt, dass die Karten in der aktuellen Automobilkrise neu gemischt werden. Quellen: o.V.: Now what? Tata, Jaguar and Land Rover. The Economist vom 27.03.2008; http://www.tata.com.

5.1.2

Global versus local – internationale Orientierung festlegen

Zur Mission des Unternehmens gehört auch eine Grundorientierung zur Internationalisierungsstrategie. Eine Stärke multinationaler Unternehmen kann darin bestehen, differenzierte Produkte für die jeweiligen Landesbedürfnisse zu produzieren. So wird etwa McDonald’s Rindfleisch-Burger in Indien nur schwer verkaufen können, weil die Kuh dort immer noch als heiliges Tier gilt. Der Leitsatz „Wenn Du in Rom bist, mach es wie die Römer“ trifft hier zu. Aber auch die jeweiligen Ressourcen und Fähigkeiten in den Ländern sind wichtig. Nicht umsonst sind französische Köche und deutsche Ingenieure in der Welt angesehen. Eine multilokale Strategie setzt auf lokale Reaktionsfähigkeit (Local Responsiveness) des Unternehmens (vgl. Abb. 5.4).

5.1 Strategien der Internationalisierung

Lokale Reaktionsfähigkeit

Hoch

Ziel: lokale Differenzierungsvorteile

Multilokale Strategie Niedrigste Koordinationskosten

231

Ziel: Differenzierung und Kostenvorteile

Transnationale Strategie Höchste Koordinationskosten und Zielkompromiss

Ziel: Kostenvorteile

Globale Strategie Hohe Koordinationskosten

Niedrig Niedrig

Abb. 5.4

Globale Integration

Hoch

Internationale strategische Orientierungen (nach Bartlett & Goshal 1998, S. 309 passim)

Die globale Strategie ist die Gegenposition dazu. Anfang der 1980er Jahre forderte der Marketing-Guru Theodore Levitt, dass Unternehmen lernen müssten, die Welt als einen großen Markt zu betrachten. Gut geführte Unternehmen sollten sich auf standardisierte Produkte konzentrieren, die gut und preiswert sind, statt sich bei vermeintlich lokal unterschiedlichen Verbraucherpräferenzen zu verzetteln, die sich längst aufgelöst hätten (Levitt 1983). Ursachen waren die Verringerung von Handelsbeschränkungen, neue Transportmöglichkeiten durch die Containerschifffahrt sowie Radio und Fernsehen als neue Kommunikationsmedien; selbst Stammeskrieger im afrikanischen Busch hörten nun Nachrichten mit Transistorradios und tranken Coca-Cola. Die „Global Corporation“ war nun das neue Leitbild. „Die Welt ist flach“: diese Botschaft von Levitt wurde später durch das Internet weiter gestützt (vgl. Friedman 2005). Dann geschah etwas Unerwartetes: eine Gegenbewegung setzte ein. Die Menschen verlangten mehr lokale Souveränität, Anerkennung ihrer kulturellen Identität und lokale Produkte. Die globalen Markenunternehmen reagierten darauf mit einer Strategiewende. Während Coca-Cola zuvor die Entscheidungen zentralisiert und die Produktion standardisiert hatte, aktivierte man nun wieder die multi-lokale Erfahrungen ohne die Vorteile der globalen Standards aufzugeben. Jenseits ihres je nach Land unterschiedlichen historischen Erbes stehen multinationale Unternehmen, heute vor dieser „transnationalen Herausforderung“ (vgl. Bartlett & Ghoshal 1998; Bartlett et al. 2008). Als transnationale Strategie wird eine Orientierung des Unternehmens bezeichnet, die sowohl auf die globale Integration als auch auf die lokale Anpassungs- und Reaktionsfähigkeit setzt. Zu Coca-Cola gehören heute nicht mehr nur eine Marke, sondern mehr als 200 überwiegend lokale Marken, McDonalds variiert die

232

5 Internationale Strategie und Organisation

Menus, wie zum Beispiel mit dem China-Burger, um sich an den lokalen Geschmack anzupassen und MTV, der Musiksender, hat für die jeweiligen Länder verschiedene Programme. „Das Paradox der Globalisierung ist, das sie nicht zu einer Angleichung der Geschmacksrichtungen geführt hat, sondern zu einem riesigen Anstieg der Wahlmöglichkeiten für den Verbraucher. Die Menschen können heute Produkte als aller Welt kaufen: global, regional und lokal.“ (Tomkins 2003) Vorteile der transnationalen Strategie sind die Bewältigung des Paradoxes von Globalisierung versus Lokalisierung – aber es gibt auch Nachteile. Erstens ist die transnationale Strategie ein Zielkompromiss und zweitens sind hierbei die Kosten der Koordination am höchsten. Deshalb wird es je nach Branche und Funktionsbereich auch Orientierungen geben, die multilokal oder global standardisiert sind. Allerdings werden die Begriffe ‚multinational‘, ‚global‘ und ‚transnational‘ uneinheitlich verwendet, was die Sache nicht leichter macht. Wir verwenden im Folgenden „international“ auch als Oberbegriff für die genannten Möglichkeiten. Das EPRG-Modell (vgl. Heenan & Perlmutter 1979; Chakravarthy & Perlmutter 1985) ist ähnlich aufgebaut, lediglich die Bezeichnungen sind andere (vgl. Abb. 5.5). Bei einer ethnozentrischen Orientierung dominieren bei der Formulierung und Implementierung der Strategie die Werte und Interessen der Zentrale. Die polyzentrische Orientierung lässt den Landesgesellschaften Spielräume bei der Anpassung an die lokalen Bedingungen. Die geozentrische Orientierung ist wiederum die Verbindung von globaler Integration und lokaler Reaktionsfähigkeit (Responsiveness). Die später eingeführte regiozentrische Orientierung ist nur eine Verfeinerung dieses Konzeptes und wird deshalb zur besseren Übersicht hier nicht dargestellt. Orientierung des Unternehmens

Ethnozentrisch (HerkunftslandOrientierung)

Polyzentrisch (Gastland-Orientierung)

Geozentrisch (Welt-Orientierung)

1. Mission

Gewinn (Wirtschaftlichkeit)

Verantwortung (Legitimität)

Gewinn und Verantwortung (Wirtschaftlichkeit und Legitimität)

2. Governance • Richtung der Zielsetzung

Von oben nach unten

Von unten nach oben

Gegenseitig vereinbart auf allen Ebenen des Unternehmens

• Kommunikation

Hierarchisch. Die Zentrale verteilt Anweisungen und Rat

Wenig Kommunikation zwischen der Zentrale und den Tochtergesellschaften

Vertikale und laterale Kommunikation im Unternehmen

• Ressourcenverteilung

Investitionsgelegenheiten werden von der Zentrale entschieden

Eigenständige Tochtergesellschaften. Keine Quersubventionierung

Weltweite Projekte, gesteuert von der Zentrale und lokalen Managern

3. Strategie

Global integriert

Lokal reaktionsfähig

Global integriert und lokal reaktionsfähig

4. Struktur

Hierarchische Produktdivisionen

Hierarchische Gebietsdivisionen mit autonomen Landeseinheiten

Ein Netzwerk von Organisationen

5. Kultur

Herkunftsland

Gastland

Global

Abb. 5.5

Strategische Orientierungen im EPRG-Modell (nach Chakravarthy, B.S., & Perlmutter 1985, S. 5)

5.1 Strategien der Internationalisierung

233

Mit der PEST- und SWOT-Analyse (vgl. Kap. 3) kann untersucht werden, welche Orientierung in der jeweiligen Konstellation angemessen ist.

5.1.3

Optionen auswählen

Die Analyse der Chancen des Unternehmens in den jeweiligen Ländern und die Festlegung der Orientierung liefert eine Grundlage, um Optionen zu formulieren, die auf folgende fünf Fragen Antworten geben (vgl. Schmid 2006): ! Markteintrittsstrategie. Mit welchen Markteintrittsstrategien- und Marktbearbeitungsformen soll internationalisiert werden? ! Zielmarktstrategie. In welche Zielmärkte soll internationalisiert werden? ! Timingstrategie. Welche zeitlichen Aspekte sollen bei der Internationalisierung des Unternehmens beachtet werden? ! Konfigurationsstrategie. Wie will sich das Unternehmen im Spannungsfeld von geographischer Streuung (Dezentralisierung) und geographischer Konzentration (Zentralisierung) der Wertschöpfungsaktivitäten aufstellen? ! Koordinationsstrategie. Mit welchen Instrumenten will das Unternehmen seine internationalen Aktivitäten koordinieren? Unternehmen, die international tätig werden, können unterschiedliche Markteintrittsformen wählen. Der Entwicklungspfad wird dabei folgende Phasen durchlaufen (wobei auch Phasen übersprungen werden können): zuerst Exporte, dann Präsenz vor Ort durch eigene Vertriebsgesellschaften, weiter die Aufnahme lokaler Produktion, autonome Landesgesellschaften mit der vollen Integration aller Geschäftsfunktionen vor Ort und schließlich die Integration globale verteilter Stufen der Wertschöpfungskette (vgl. Abb. 5.6).

234

5 Internationale Strategie und Organisation Evolutionsphase

Phase I

Export

Phase II

Präsenz vor Ort

Phase III

Heimatland

F&E

Konstruktion

Fertigung

Marketing

Bedeutende überseeische Märkte Vertrieb

Service

Händler

Eigene Vertriebsgesellschaft

Aufnahme lokaler Produktion

Lokale Fertigung

Phase IV Autonome Landesgesellschaften

Vertrieb & Service

Volle lokale Integration Alle Geschäftsfunktionen vor Ort Personal

Phase V

Globale Integration Gemeinsame F&E, Finanzen, Wertesysteme, Corporate Identity

Abb. 5.6

Stufen der Globalisierung (Krubasik & Schrader 1990, S. 23)

Näher betrachtet sind vielfältige Formen des internationalen Markteintritts möglich (Schmid 2007): ! Exporte: Ausfuhren von im Inland erstellten Waren und Dienstleistungen in das Ausland. ! Franchising: Ein inländischer Franchisegeber überlässt sein Konzept gegen Gebühren einem ausländischen Franchisenehmer. So etwa bei Body Shop, Coca-Cola, Baumärkten. ! Vertragsfertigung: Ein Unternehmen überträgt einen oder mehrere Stufen der Fertigung auf einen ausländischen Vertragspartner. Flextronics ist als Auftragsfertiger für Handyhersteller entstanden, produziert inzwischen aber auch fertige Geräte. ! Joint Ventures: Ein Gemeinschaftsunternehmen mit einem oder mehreren ausländischen Unternehmen. Die chinesische Regierung hat Gemeinschaftsunternehmen für westliche Unternehmen verbindlich gemacht, um die eigene Entwicklung voranzutreiben. ! Strategische Allianzen: Mehrere Unternehmen arbeiten auf vertraglicher Basis in genau definierten Bereichen zusammen, also Co-Research, Co-Production, Co-Marketing. Beispiele sind die Allianzen der Airlines, wie die Star-Allianz der Lufthansa. ! Minderheitsbeteiligung: Ein inländisches Unternehmen erwirbt eine Beteiligung an einem ausländischen Unternehmen von maximal 49,9 Prozent, häufig als Vorstufe zur Übernahme. ! Rechtlich unselbständige Einheiten: Betriebsstätten, Niederlassungen, Filialen oder Repräsentanzen sind eventuell Vorstufen für eigene Tochtergesellschaften.

5.1 Strategien der Internationalisierung

235

! Tochtergesellschaften sind rechtlich selbständige Auslandseinheiten eines inländischen Unternehmens ab 50,1 Prozent Anteil; entweder als Neugründung (Greenfieldinvestment) oder durch Übernahme von Anteilen. ! Fusionen: Zusammenschluss mit inländischen und ausländischen Unternehmen, wie etwa in Europa bei Rhône-Poulenc und Hoechst zu Aventis, oder, die Kontinente übergreifend, bei der zeitweiligen Übernahme von Chrysler durch Daimler. Zielmarktstrategien klären, wo ein Unternehmen geographisch präsent sein möchte, je nach Attraktivität, den Risiken und Eintrittsbarrieren des Ländermarktes und des Marktsegmentes. Dabei wählt jedes Unternehmen seinen individuellen Weg. Wella beispielsweise war früher auf dem japanischen Markt tätig als seine Konkurrenten. Der Renault Logan, ein in Rumänien hergestelltes Billigauto (Low-Cost-Car, LCC) sollte zunächst nur in ärmeren Ländern verkauft werden, stieß dann aber auf eine unerwartet hohe Nachfrage in Westeuropa (vgl. Schmid & Grosche 2008). Timingstrategien klären die Frage, ob ein Unternehmen früher oder später in einen Auslandsmarkt eintritt. Für eine Pionierstrategie (First-Mover Strategy) sprechen die Vorteile, früher Erfahrungen machen zu können und Eintrittsbarrieren aufbauen zu können, als die internationale Konkurrenz. Volkswagen beispielsweise ist mit seiner Pionierstrategie zuerst mit Produktionsstätten in Mexico und später dann in China erhebliche Risiken eingegangen, war aber insgesamt damit erfolgreich. Folgerstrategien (Follower Strategy) hingegen, haben den Vorteil, aus Fehlern der Vorgänger lernen zu können und damit Kosten zu vermeiden. Pizza Hut beispielsweise, dringt erst dann in bestimmte Ländermärkte vor, wenn McDonald’s dort bereits Fast-Food-Restaurants populär gemacht hat. Konfigurationsstrategien legen fest, ob ein Unternehmen seine Wertschöpfungsaktivitäten regional eher dezentral ausrichtet (häufig ist das beim Vertrieb der Fall) oder ob die Aktivitäten eher zentralisiert werden (etwa bei Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten in der Nähe der Zentrale) (vgl. Zentes et al. 2004; Kutschker & Schmid 2008). Außerdem gibt es auch Mischstrategien (vgl. Abb. 5.7 und Praxisbeispiel Renault Logan). So fertigt der amerikanische Weltmarktführer für Aufzüge und Rolltreppen Otis, ein Unternehmen, das in 163 Ländern auf vier Kontinenten vertreten ist und in dem 34 Sprachen gesprochen werden, Fahrstühle für den amerikanischen Markt mit Türsystemen aus Frankreich, Antrieben aus Spanien, Elektronik aus Deutschland, einem speziellen Antriebsmotor aus Japan und montiert diese Aufzüge in den USA. Die Entscheidungen werden geprägt durch die bereits erwähnten Gründe für die Standortwahl: Für die Zentralisierung sind dies unter anderem Größen- und Verbundvorteile und die Fühlungsvorteile der räumlichen Nähe, für die Dezentralisierung sind es etwa Kostenvorteile und die Nähe zu den Märkten. Koordinationsstrategien. Je regional dezentraler die Wertschöpfungsaktivitäten konfiguriert sind, desto mehr Koordination durch organisatorische Instrumente wie Strukturen, Prozesse und Kulturen ist erforderlich (vgl. Lawrence & Lorsch 1969). Dies wird im folgenden Kapitel näher ausgeführt.

236

5 Internationale Strategie und Organisation

Zentralisierungsstrategie

Mischstrategie

Dezentralisierungsstrategie

Heimatland Gastland 1 Gastland 2 Gastland 3

Legende:

Abb. 5.7

Beschaffung

Forschung und Entwicklung

Produktion

Vertrieb

Grundvarianten von Konfigurationsstrategien (Kutschker & Schmid 2008, S. 999)

Praxisbeispiel: Dezentrale Zentralisierung beim Renault Logan Um das Wachstum von Renault außerhalb der gesättigten Märkte Westeuropas voranzutreiben, gab dessen damaliger Vorstandvorsitzender Louis Schweitzer 1995 den Ingenieuren im Hauptquartier in Paris den Auftrag, ein Auto für Länder zu entwickeln, in denen sich bisher nur wenige Einwohner ein Auto leisten können. Als Märkte interessant sind insbesondere Schwellenländer wie China, Indien und Russland. Das Billigauto Logan wurde seit der Markteinführung im Jahr 2004 ein Erfolg. Inzwischen ziehen andere Hersteller nach. Ein Low-Cost-Car (LCC) darf nur 10.000 US-Dollar oder weniger kosten. Technisch ist der Logan einfach konstruiert und verwendet günstige Bauteile. Entscheidend für den Erfolg war aber die stimmige Konfiguration und Koordination der Wertschöpfungskette. 1999 übernahm Renault den bis dahin staatlichen Automobilhersteller Dacia aus Rumänien. Nach der Sanierung sind die Dacia-Werke in Mioveni sehr effizient. Die Arbeitskosten liegen bei 2,5 Euro die Stunden, weniger als ein Zehntel der Arbeitskosten in Frankreich. Deshalb ist auch die Montage in den beiden Hauptwerken in Rumänien weniger automatisiert. Dort ist ein Großteil der Logan-Wertschöpfungsaktivitäten zentralisiert. In diesen Werken mit einer Kapazität für 400.000 Fahrzeuge im Jahr 2009 werden alle Fahrzeugbausätze für den weltweiten Bedarf produziert, die an sieben weiteren Standorten in der Welt montiert werden. Durch diese Nabe-Speiche (Hub and Spoke) Konfiguration werden Größen und Lerneffekte, aber auch unterschiedliche Produktvarianten für die Länder möglich. Fragen: 1. Wie bewerten Sie die Wachstumschancen für Low-Cost-Cars? 2. Ist der Smart von Daimler ein anderes Konzept? Warum hat BMW keine Low-Cost-Cars? Quelle: Schmid, S. & Grosche, P.: Management internationaler Wertschöpfung in der Automobilindustrie. Gütersloh 2008.

5.1 Strategien der Internationalisierung

5.1.4

237

Risiken kontrollieren und Ergebnisse erzielen

Nachdem die Chancen identifiziert, die internationale Orientierung festgelegt sowie Optionen ausgewählt worden sind, geht es darum die Risiken zu kontrollieren, die Ergebnisse zu bewerten und gegebenenfalls umzusteuern (vgl. Kap. 2.5 und Daft 2010). Es gibt verschiedene Gründe, warum Unternehmen international diversifizieren. Internationale Diversifikation ist eine Strategie, durch die ein Unternehmen den Umsatz von Produkten und Dienstleistungen über die Grenzen von Regionen und Ländern hinaus ausdehnt. Untersuchungen haben gezeigt, dass mit wachsender internationaler Diversifikation die Rendite zunächst sinkt, dann aber schnell ansteigt, wenn das Unternehmen gelernt hat, sein internationales Wachstum voranzubringen. Gründe dafür sind, wie bereits angesprochen, Größen- und Lernvorteile durch Wissenstransfer, der größere Markt, sowie die Möglichkeiten Standortvorteile auszunutzen und Risiken und Renditen durch Diversifikation zu stabilisieren. Der größere Markt verringert auch die Risiken, dass hohe F&E-Investitionen sich nicht rentieren, weil sie sich durch technische Neuerungen überholen. Die Innovationsbedingungen verbessern sich also. Häufig kann der Lebenszyklus sogar ausgedehnt werden, wie dies etwa bei Volkswagen mit dem Modell Santana in China der Fall war. Damit steigen die Anforderungen, das Unternehmen erfolgreich zu führen: denn mit der internationalen Diversifikation steigt die Komplexität, wodurch wiederum die Ungewissheit und damit das Risiko erhöht wird. Die internationale Expansion ist mit vielfältigen, vor allem politischen und wirtschaftlichen Risiken verbunden. Zu den politischen Risiken gehören Terrorismus und Kriege, wie die im Irak und in Afghanistan, und die Instabilität politischer Institutionen, etwa in Afrika, Osteuropa und Asien. Zu den wirtschaftlichen Risiken zählt etwa ein drohender Staatsbankrott, Korruption vor allem in wenig entwickelten Ländern, sowie das Problem, geistiges Eigentum zu schützen. Systematisch wird versucht, mit Scoring- und Szenario-Methoden sowie mit einer Konkurrentenbewertung (Competitive Intelligence) zu einer Abschätzung zu kommen. Die Expansion in das Ausland ist grundsätzlich belastet mit der Bürde des Fremden (Liability of Foreignness). Wie der Eingangsfall IKEA demonstriert, kommt es dabei leicht zu Fehlern. Mit wachsender internationaler Diversifikation steigen die Anforderungen an die Koordination. Sprachen, Kulturen, politische Regimes, Logistikkosten und andere Unterschiede erschweren den Einstieg. Walt Disney ist mit seinem Themenpark bei Paris zunächst gescheitert, hatte aber in Japan damit keine Probleme. Die Fusion von Daimler und Chrysler war perfekt geplant, ist aber auch aus diesen Gründen gescheitert. Ein besonderes Problem ist die Produkt- und Konzeptpiraterie. Nachgemachte Schokoladenhasen, gefälschte Markentextilien, kopierte Geschäftskonzepte – der Diebstahl geistigen Eigentums ist kein Einzelfall mehr, sondern ein Massenereignis. Zu den Ursachen gehören die zunehmende Immaterialisierung der Werte, die neue Arbeitsteilung in einer globalisierten Welt und der Zusammenprall unterschiedlicher Kulturen und Entwicklungsstadien. Markenprodukte sollen heute mehr Erlebnisse vermitteln als harten Nutzen. Wissen, „Clicks“ auf Mäusen und Tastaturen gelten mehr als nur „Bricks“, die Bausteine traditionellen Reichtums. Aber Immaterielles läßt sich teilweise leichter kopieren – das ist die Schattenseite. So soll die teure Plastik-Handtasche von Luis Vuitton Lebensstil symbolisieren; ihre Herstellung kostet

238

5 Internationale Strategie und Organisation

nur einen Bruchteil ihres Marktwertes. Die Verflechtung der Wertketten – Produktion aus China, Software aus Indien – erhöht mit den Chancen auch die Risiken der Endproduzenten. Geschäftsregeln, gemeinsame Werte und eine angemessene staatliche Ordnung sind in vielen aufstrebenden Ländern bis heute nicht ausreichend entwickelt. Von der Hoffnung, dass längst vereinbartes internationales Recht endlich umgesetzt wird, kann die Praxis nicht leben. Zu den Abwehrstrategien gehören: erkennen, vorbeugen, abwehren, aber auch: – nutzen und dulden (vgl. Sokianos 2006). Täter und Opfer lassen sich nicht immer klar bestimmen: Zum Beispiel musste das Internet-Auktionshaus Ebay im Dezember 2009 erneut eine Strafe an den Luxuskonzern LVMH (Moët Hennessy - Louis Vuitton) zahlen, weil Fälschungen von LVMH in Auktionen aufgetaucht sind.

5.2

Organisation im internationalen Kontext

Einstiegsfall: ABB – Aufstieg und Fall eines Modells Mit einem Umsatz von 35 Mrd. US-Dollar und 120.000 Mitarbeitern weltweit ist Asea Brown Boveri (ABB) heute (2008) nicht nur ein großer Hersteller von elektrischen Systemen und Ausrüstungen. ABB galt vor wenigen Jahren noch als Modellfall für die flexible, transnationale Organisation, ihr ehemaliger Chairman, Percy Barnevik, wurde als ‚Manager des Jahrhunderts‘ gefeiert, als europäisches Gegenstück zu Jack Welch von General Electric. Aus einer Fusion zweier Unternehmen im Jahre 1987 hervorgegangen, erwirtschaftete ABB mehr als 25 Mrd. US-Dollar Umsatz mit über 240.000 Mitarbeitern in 1.200 als Profitcenter definierten individuellen Geschäftseinheiten in der ganzen Welt. Percy Barnevik prägte dazu den Leitsatz „We want to be global and local, big and small, radically decentralized with centralized reporting and control.” ABB verfolgte eine transnationale Strategie, die es erlaubte, zwei Dinge zu vereinen: Differenzierungsvorteile durch die Anwendung seiner Kernkompetenzen in den einzelnen Landesmärkten und Kostenvorteile durch globale Größe. Jede Geschäftseinheit sollte außerdem auf die Bedingungen der lokalen Märkte, in denen sie tätig sind, antworten. Um diese ehrgeizige Strategie umzusetzen, muss die Organisation in der Lage sein, ihre Ressourcen auf globaler Ebene zu steuern. Die Manager verfolgten eine duale Zielsetzung: Erstens eine lokale, landesspezifische Zielsetzung, welche die globalen Ressourcen des Konzerns nutzt, um dem Kunden lokal maßgeschneiderte Produkte zu liefern. Zweitens eine globale Zielsetzung, bei der die Mitarbeiter ermutigt werden, auf lokaler Ebene Wissen und Fähigkeiten zu entwickeln, um diese für globale Produkte einzusetzen. Um diese Ziele zu erreichen, entwickelte ABB eine globale Matrixstruktur, die den Transfer der Kernkompetenzen über die weltweiten einzelnen Geschäftseinheiten ermöglichen sollte (siehe Abb. 5.8).

5.2 Organisation im internationalen Kontext

Leiter der Geschäftsbereiche

CEO Exekutivkomitee

239 Leiter der Landesholding Dänemark

Antriebe

Griechenland

ABB Antriebe (Griechenland)

Transformatoren ABB Transformatoren (Dänemark)

Individuelle Geschäftseinheit Abb. 5.8

Die Matrixstruktur von Asean Brown Boverie der 1990er Jahre (Asean Brown Boverie)

Für den Gesamtkonzern verantwortlich waren der CEO Barnevik und sein TopManagement-Team, das aus 12 Mitgliedern bestand; zusammen bildeten sie das Exekutivkomitee. Alle drei Wochen trafen sie sich in verschiedenen Ländern. Die 50 Leiter der Geschäftsbereiche berichteten direkt dem Exekutivkomitee. Sie waren verantwortlich für die globale Ausrichtung der 1.200 individuellen Geschäftseinheiten. Die Aufgabe des Leiters eines Geschäftsbereiches war es, den Transfer der Kernkompetenzen zwischen den Geschäftseinheiten eines Geschäftsbereiches zu koordinieren. Sie hatten außerdem die Produktionskosten zu minimieren und den Einkauf effizient zu gestalten. Zusätzlich überwachten sie den globalen Austausch von Managern, um eine internationale Unternehmenskultur zu bilden, die den Transfer von neuen Fähigkeiten und Technologien zwischen den einzelnen Geschäftseinheiten voranbringen sollte. Dem Exekutivkomitee berichten ebenso die Landesleiter. Die Landesleiter leiteten die nationalen Holdinggesellschaften und waren verantwortlich für die Überwachung und Kontrolle der Aktivitäten der jeweiligen Geschäftseinheiten eines Landes. Der Direktor von ABB Deutschland zum Beispiel, bereitete die Veröffentlichungen im finanziellen Bereich vor und stellte sicher, dass jede Geschäftseinheit nach den institutionellen und rechtlichen Bedingungen in Deutschland agierte. An den Schnittstellen der globalen Matrix befanden sich die 1.200 individuellen Geschäftseinheiten. Deren Leiter hatte zwei Vorgesetzte – er berichtet an den zuständigen Landesleiter und den Leiter des Geschäftsbereiches, der für die globale Ausrichtung verantwortlich ist. Dieser „Two-Boss-Manager“ ist sowohl für die Anpassung der Produkte an den lokalen Markt verantwortlich, als auch dafür, dass Wissen und Fähigkeiten mit ande-

240

5 Internationale Strategie und Organisation

ren Geschäftseinheiten ausgetauscht werden, um die Kernkompetenzen von ABB insgesamt zu stärken. Obwohl diese Matrixstruktur auf dem Papier einen blendenden Eindruck machte, brachte sie Probleme mit sich. In der Theorie ergänzen sich die Aktivitäten der Landesleiter und der Leiter der Geschäftseinheiten, aber in der Praxis konkurrieren sie oft miteinander. Die Leiter der Geschäftseinheiten sehen keinen Anreiz global zu agieren, wenn sie auf der Landesebene Probleme erwarten. Überdies kontrolliert der Landesleiter die Ressourcen der Geschäftseinheiten. Wenn er es bevorzugt, lokal zu handeln und nicht mit den Leitern der Geschäftsbereiche kooperieren will, wer kann ihn dazu zwingen? Eine globale Matrix ist sehr anspruchsvoll. Nur wenn bei ABB die Leiter der Geschäftsbereiche, die Landesleiter und die Leiter der Geschäftseinheiten zusammenwirken, können sie die Vorteile einer transnationalen Strategie erreichen. Auch die radikale Dezentralisierung mit 1.200 Profitcentern erwies sich als tückisch. Statt eines schwerfälligen Tankers, hatte man nun einen Flohzirkus. Ohne Ausgleich und Kooperation wird die Matrix zu einer unübersichtlichen Bürokratie verkommen, bei der Einheit gegen Einheit und Manager gegen Manager agiert. ABB hoffte, nicht zuletzt mit der dezentralen Matrixstruktur, zu einem dominierenden Player zu werden. Doch es kam anders. Goran Lindahl, der Barnevik Ende der 1990er Jahre ablöste, führte wieder eine traditionelle Spartenorganisation ein. Der neue Chairman zitierte Lenin um die Motive für die neue Struktur zu illustrieren: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.“ Wenig später hatte sich ABB schon wieder eine neue, nun kundenorientierte Struktur gegeben. Mit dem Wechsel des Ex-Chefs von Aventis, Jürgen Dormann, in den Aufsichtsrat von ABB wurde öffentlich, dass die Lage des ehemaligen Vorzeigeunternehmens dramatisch schlecht war: „Weltkonzern ABB steht am Abgrund“, so damals die Wirtschaftspresse (Financial Times Deutschland vom 4.4.2002). Hinzu kam, dass die beiden Ex-Chefs sich mit astronomisch hohen Abfindungen versorgt hatten: 148 Millionen Schweizer Franken an Barnevik und 85 Millionen an Lindahl. Erst unter Druck waren sie bereit, davon einen Teil zurückzugeben. Haben die Leadership-Qualitäten von Dormann ABB gerettet? Fragen: 1. Was war in der Matrixstruktur von ABB die Aufgabe der Landesleiter, der Leiter der Geschäftsbereiche und der Leiter der 1.200 Geschäftseinheiten? 2. Welche Vorteile und Nachteile bieten die Matrixstruktur und die radikale Dezentralisierung der Organisation? 3. Inwieweit können am Beispiel von ABB die Möglichkeiten und Grenzen der multidivisionalen Struktur bzw. der sogenannten neuen Form, bei der es weniger auf Strukturen, als auf Zwecke, Prozesse und Menschen ankommt (Kapitel 4.5.1), herausgearbeitet werden? Quellen: Catrina, W.: ABB – Die verratene Vision. Zürich 2003; Jones, G.B.: Organizational Theory, 3. Aufl., Upper Saddle River/N.J. 2004.

5.2 Organisation im internationalen Kontext

5.2.1

241

Bereiche internationaler Organisationsgestaltung

Ende des zwanzigsten Jahrhundert war Asean Brown Boveri (ABB), ähnlich wie General Motors zu Beginn des Jahrhunderts, nicht nur ein bedeutendes Unternehmen, sondern auch ein Symbol für eine Managementinnovation. Die Matrixstruktur aus lokalen Landesleitern und global verantwortlichen Leitern der Geschäftsbereiche schien die endlich gefundene Antwort auf die Herausforderungen einer transnationalen Strategie zu sein, die zugleich die Vorteile der globalen Standardisierung und der lokalen Reaktionsfähigkeit entwickelt. Außerdem entsprachen weitere organisatorische Besonderheiten bei ABB – wie die radikale Dezentralisierung in über 1.200 Geschäftseinheiten, die Betonung der Eigeninitiative sowie des kulturellen Zusammenhalts – der Diskussion jener Zeit um neue Managementkonzepte. Für renommierte Managementexperten wie Bartlett & Goshal, die den Begriff des transnationalen Managements geprägt haben, ist ABB geradezu der Modellfall für eine neue Organisationsform, in der „Zwecke, Prozesse und Menschen“ im Mittelpunkt stehen und nicht mehr nur Strategien und Strukturen, die in Chandlers Welt der 1950er Jahre maßgeblich waren (vgl. Kap. 4.5.1). Ist nun auch diese neue Organisationsform überholt, weil ABB wenige Jahre später Entscheidungen wieder zentralisiert, die Matrixstruktur abschafft und zur traditionellen, multidivisionalen Struktur zurückgekehrt ist? Wenn sich ein Unternehmen verstärkt international orientiert, etwa weil es seine ProduktMarkt-Strategie verändert und neben dem Export auch Auslandsniederlassungen aufbaut, so wird es auch seine Organisation neu ausrichten. Aber welche Organisation passt zu den grundsätzlichen strategischen Orientierungen? Unbestritten ist, dass zur Organisation mehr gehört als Strukturen, mehr als die bekannten Kästchen und Linien des Organigramms, die zeigen, wer an wen berichtet oder wer mit wem zusammenarbeitet (vgl. Kap. 4). Überwiegend wird davon ausgegangen, dass eine Unternehmung nicht nur eine Organisation hat, sondern eine Organisation ist. Sie entspricht somit eher dem Bild eines komplexen Organismus als dem eines einfachen Mechanismus. Neben den „harten“ Strukturen und Prozessen gehören auch die „weichen Faktoren“ – die Unternehmenskultur, Ziele und Selbstverständnis des Menschen, Wissen und Kernkompetenzen – zu den Elementen einer Organisation. Insbesondere im vielfältigen internationalen Umfeld wachsen die Komplexität, zugleich aber auch die Dynamik der Veränderungen und damit auch die Anforderungen an die internationale Organisationsstrategie. Für die strategiegerechte Organisationsgestaltung sind folgende Faktoren relevant: ! Organisationsstruktur. Auch aus internationaler Sicht geht es zunächst um die durch generelle Regeln geschaffene Ordnung, um die Organisationsstruktur oder Aufbauorganisation. Ist vielleicht die Matrixstruktur die richtige Antwort auf eine global-localStrategie? Weitere Fragen, die über das Verhältnis von Mutter- und Tochtergesellschaften hinausgehen, kommen hinzu: Soll das Wachstum in ausländischen Märkten durch Neugründung oder aber durch Aufkauf bzw. Beteiligung erfolgen? Welchen Stellenwert hat die weltumspannende Kooperation von Unternehmungen, die sich gewissermaßen zwischen Markt und Hierarchie entwickelt? Die Formen reichen hier vom Franchising, wie bei McDonald‘s, über die Kooperation von Konkurrenten, wie bei der gemeinsamen

242

5 Internationale Strategie und Organisation

Entwicklung von Speicherchips durch Siemens und IBM, bis hin zu Netzwerkunternehmen, wie Nike oder Puma, die keinen Stich an ihren Turnschuhen selbst machen, sondern Zulieferer aus Niedriglohnländern einsetzen. ! Managementprozesse und -systeme. Dazu gehören Aktivitäten wie Planung, Ablauforganisation und Controlling. Hierarchische Formen der Koordination werden ergänzt durch prozessorientierte Regeln der Abstimmung (Programme, Pläne und Budgets) sowie durch personenorientierte Formen der Integration: die Selbstabstimmung in Projekten und Teams, informelle Beziehungen und Netzwerke. Welche Anforderungen ergeben sich bei der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit? ! Wandel von Organisationen und Kulturen. Kulturen sind Werte und Normen, die das Verhalten der Organisationsmitglieder prägen, sie sind der „Klebstoff“, der Organisationen zusammenhält. Es gibt immer mehr Global Player: Sind Landeskulturen dann noch relevant, sind sie eher Hindernis oder Potenzial? Entwickelt sich mit den Marktkräften neben der Vielfalt (Diversity) auch die Konvergenz der Kulturen? ! Organisations- und Führungskräfteentwicklung. Mit der Internationalisierung verändern sich Organisationsstrukturen, -prozesse und -kulturen. Welche Wechselwirkungen ergeben sich daraus für die Menschen, speziell die Führungskräftepolitik? Die zentrale Achse der internationalen Strategie bewegt sich im Spannungsverhältnis von globalen Integration und lokaler Reaktionsfähigkeit. Wenn die lokale Eigenständigkeit durch internationales Wachstum bereits entwickelt ist, ist die zentrale Herausforderung, womit die globale Integration entwickelt werden kann (vgl. Yip 2003). Global zentralisierte Entscheidungen, ein globales Informationssystem, eine globale Unternehmensidentität und ausländische Führungskräfte in Top-Positionen, sind dafür angemessene Elemente (vgl. Abb. 5.9). Aber das Problem, wie die richtige Balance zwischen globaler Integration und lokaler Anpassungsfähigkeit erreicht werden kann, ist damit nicht gelöst. Wie eingangs gezeigt, sind in der jeweiligen Situation unterschiedliche – internationale, multinationale, globale, transnationale – Unternehmensstrategien angemessen. Deshalb sind im Folgenden die Faktoren und Elemente internationaler Organisationsgestaltung differenzierter zu betrachten.

5.2 Organisation im internationalen Kontext

Organisationsstruktur

Managementprozesse • Globales Informationssystem • Länderübergreifende Koordination • Globaler Wissensaustausch • Globale strategische Planung

243

• Global zentralisierte Entscheidungen • Keine Trennung von Inlandsund Auslandsgeschäft • Corporate vor Geschäft vor Region

Organisationsund Führungskräfteentwicklung

Globale Strategien entwickeln und umsetzen

Wandel von Organisationen und Kulturen

• Ausländische Manager • Länderübergreifende Karrierepfade • International besetzte Führungsspitze

• Globale Identität • Verpflichtung gegenüber den weltweit Beschäftigten • Interdependenz des Geschäfts Abb. 5.9

5.2.2

Elemente der globalen Organisation (nach Yip 2003, S. 184)

Internationale Organisationsstrukturen

Wenn ein Unternehmen beginnt im Ausland tätig zu werden, so wird sich zunächst die Organisation kaum ändern. Zu Reorganisationsmaßnahmen wird es erst dann kommen, wenn Umfang und Vielfalt der Exporte, Lizenzabkommen und Auslandsproduktion soweit angewachsen ist, dass die bisherigen Strukturen nicht mehr als angemessen wahrgenommen werden. Wir haben im vorigen Kapitel gesehen, dass grundsätzlich unterschiedliche Strukturen möglich sind. Mit wachsender Diversifizierung der Strategie wird die funktionale Struktur im Regelfall durch eine multidivisionale Struktur abgelöst und durch Netzwerkstrukturen ergänzt. Je nach dem Grad der realisierten Integration des Auslandsgeschäfts in die Gesamtstrategie der Unternehmung kommt jedoch eine weitere Unterscheidung hinzu: Das Auslandsgeschäft kann vom Inlandsgeschäft organisatorisch getrennt werden oder integriert sein. Beim Trennungsmodell (Split) wird unmittelbar unter der Unternehmensleitung eine Internationale Division eingerichtet, die für die internationalen Aktivitäten zuständig ist. Demgegenüber soll durch integrierte Strukturen die weltweite Orientierung unterstützt werden. Hierbei wird keine Trennung von Inlands- und Auslandsaktivitäten auf der Ebene unter der Geschäftsleitung vorgenommen. Deren Grundformen sind:

244

5 Internationale Strategie und Organisation

! Die globale funktionale Struktur. Diese ist geeignet, wenn das Unternehmen nach Produkten und Regionen noch wenig diversifiziert ist. Beispiel: BMW. ! Die globale Regionalstruktur fördert lokale Anpassungsfähigkeit, weniger Größen- und Lernvorteile. Beispiele: Cemex, Black & Decker. ! Die globale multidivisionale Produktstruktur realisiert bei wachsender Diversifizierung Größen- und Lernvorteile, weniger die lokale Anpassungsfähigkeit. Beispiele: Siemens, Bayer, Du Pont. In diesem Zusammenhang wird häufig ein Stufenmodell der Internationalisierung von Stopford und Wells angeführt, dem eine Untersuchung der 187 größten multinationalen Unternehmen der USA Ende der 1960er Jahre zugrundeliegt (vgl. Stopford & Wells 1972). Die strategische und administrative Komplexität, die Unternehmen, die international expandieren, zu bewältigen haben, wird mit zwei Variablen gemessen: der Anzahl der Produkte, die international verkauft werden (‚foreign product diversity‘), und mit dem Anteil der Auslandsumsätze am Gesamtumsatz (‚foreign sales as a percentage of total sales‘). In der Anfangsstufe ihrer internationalen Ausdehnung führen nach diesem Modell die Unternehmen ihre internationalen Operationen im Regelfall in einem getrennten Geschäftsbereich, in einer Internationalen Division (vgl. Abb. 5.10). Danach folgen alternative Entwicklungspfade. Wächst nur der Anteil des Auslandsumsatzes weiter, so werden integrierte Regionalstrukturen aufgebaut. Wächst aber der Grad der Auslandsdiversifikation weiter, so wählen USamerikanische Unternehmen zunehmend integrierte Produktstrukturen. Wenn aber sowohl der Auslandsumsatz als auch die Produktvielfalt im Ausland hoch sind, dann entsteht das Gitter einer internationalen Matrixstruktur (‚The Grid‘), wie wir sie im ABB-Einstiegsfall kennengelernt haben. Unternehmensberater, Wissenschaftler und Manager haben die globale Matrix, die in der Theorie gut zu funktionieren scheint, als Regelfall auch für die Praxis angesehen, tatsächlich aber schien die Struktur dabei mehr der Mode als der Strategie zu folgen. Dow Chemical, Citibank und Asean Brown Boverie und andere Pioniere der globalen Matrixstruktur haben diese später wieder abgeschafft. Die meisten Unternehmen vermeiden heute die Matrixstruktur um eine globale und zugleich lokale Strategie umzusetzen (vgl. Bartlett & Ghoshal 1998; Kates & Galbraith 2007).

Produktdiversität im Ausland

5.2 Organisation im internationalen Kontext

Weltweite ProduktDivision

245

Globale Matrix (oder „Gitter“)

Alternative Entwicklungspfade

Internationale Division

RegionalDivision

Anteil des Auslandsumsatzes am Gesamtumsatz Abb. 5.10

Die Matrixstruktur als Antwort auf die Global-Local-Strategie? (Stopford & Wells 1972 nach Bartlett & Goshal 2008, S. 334)

Die Kritik am Stufenmodell von Stopford und Wells kann man zunächst an folgenden Punkten festmachen: ! Nicht allgemein gültig. Europäische Unternehmen haben sprunghaft integrierte Strukturformen aufgebaut und lassen die Internationale Division einfach aus. Die Enge der zersplitterten Märkte der europäischen Länder hat die Auslandstätigkeit ihrer Unternehmen mit dem Ziel des Wachstums und des Risikoausgleiches gefördert (vgl. Franko 1976; Bühner 1999; Kutschker & Schmid 2008). Daher ist der Unterschied zwischen USamerikanischen und europäischen Unternehmen in bestimmten Phasen ihrer Entwicklung plausibel. ! Andere Organisationsstrukturen werden nicht betrachtet. Gemischte Strukturen sind in der Praxis nicht ungewöhnlich. Bei Procter & Gamble haben heute in reichen Ländern die Geschäftseinheiten die Verantwortung für Gewinne und Ressourcenverteilung, in ärmeren Ländern, wie China und Osteuropa, sind es dagegen die Regionen. Der Grund ist, dass der Wettbewerb in ärmeren Ländern härter und weniger vertraut ist. Bei unterschiedlichem Globalisierungsgrad der Geschäftsbereiche spricht manches für eine gemischte Struktur. Die zunehmende Bedeutung internationaler Strategischer Allianzen und Unternehmensnetzwerke muss heute berücksichtigt werden.

246

5 Internationale Strategie und Organisation

! Mehrlinien-Strukturen fördern Konfusionen und Konflikte. Nur auf dem Papier ist die Matrixstruktur die ideale Antwort einer zugleich globalen und lokalen Strategie. Zwar fördern die weltweite Produktverantwortung der Leiter der Geschäftsbereiche Standardisierungsvorteile und die Verantwortung der „Landesfürsten“ auf gleicher Ebene die lokale Anpassung. Aber es wird übersehen, dass die Matrixstruktur als Mehrliniensystem („Two-Boss-Manager“) zu unklaren Verantwortlichkeiten und Konflikten führt. ! Organisationen sind mehr als nur Strukturen. Die formale Struktur reicht nicht aus um die Komplexität der strategischen Aufgaben zu bewältigen. Die Konfiguration und Koordination wird nur teilweise erfasst, weil die dritte und folgende Leitungsebene nicht dargestellt und über die Organisationsprozesse und -kulturen nichts ausgesagt wird. Sekundärstrukturen wie Teams, Projekte und informellen Strukturen sowie weitere Formen der Koordination kommen hinzu. Bartlett & Goshal hatten sich bereits Anfang der 1990er Jahre von der Vorstellung abgegrenzt, dass die Matrixstruktur die definitive Antwort auf die global-local oder transnationale Strategie ist, weil dieses einzige organisatorische Werkzeug – die formale Struktur – für die Komplexität der strategischen Aufgaben, denen die meisten multinationalen Unternehmen gegenüberstehen, nicht ausreicht: „In einer wachsenden Zahl von Unternehmen erkennen nun die Manager, dass die formale Struktur ein mächtiges, aber stumpfes Instrument für strategischen Wandel ist. Die Anpassung der Struktur wird weniger bedeutend und ist schwerer zu erreichen. Um seine lebendigen multidimensionalen und flexiblen Fähigkeiten zu entwickeln, muss ein Unternehmen das Denken seiner Manager und seine wesentlichen Entscheidungssysteme neu ausrichten. Dabei wird der gesamte Managementprozess – einschließlich der administrativen Systeme, Kommunikationswege, Entscheidungsgremien und zwischenmenschlichen Beziehungen – zu einem Mittel, diesen Wandel zu erreichen.“ (Bartlett et al., 2008, S. 336) Ihr eigenes Modell der organisatorischen Konfiguration, das wir im Folgenden darstellen, gibt keine Auskunft darüber, welche Struktur für eine transnationale Strategie angemessen ist, sondern orientiert sich an politischen Kategorien. Erinnern wir uns: Bartlett und Goshal gehen davon aus, dass jenseits den Strukturen, eine neue Form (N-Form) entstanden ist: „Great companies are defined by purpose, process, and people“, ist die Botschaft dieser Autoren. Deren Kritiker hingegen halten an der multidivisionalen Struktur (M-Form) fest. Eine pragmatische Antwort auf diese Kontroverse ist, dass beide Perspektiven ihre Berechtigung haben (vgl. Kapitel 4.5.1). Wohl als Ausdruck des Übergangs von einer multilokalen zu einer globalen oder transnationalen Strategie ist zu werten, dass seit Mitte der 1990er Jahren die zuvor häufig starke Stellung der Landesleiter entscheidend geschwächt wurde. Marc Jarvis, Marketingchef bei Oracle erinnert sich: „Es war wie im England des Mittelalters: Die Fürsten hatten mehr Macht als der König. Heraus kamen viele kleine Unternehmen unter einem gemeinsamen Namen.“ (nach The Economist, 9. Mai 2002). Die Macht verlagerte sich nun auf die zentralen, an Produkten orientierten Geschäftseinheiten. In großen weltumspannenden Konzernen, die über ein breites Produktprogramm verfügen und in vielen Ländern tätig sind, hat sich die multidivisionale Struktur durchgesetzt. Es gilt: „Corporate before Business before Region.“ Beispiele dafür sind Bosch, Bayer, DaimlerChrysler, Henkel und neu-

5.2 Organisation im internationalen Kontext

247

erdings Siemens. Dabei muss ‚Corporate‘ nicht unbedingt Unternehmenszentrale bedeuten, denn als Kompetenzzentren (Center of Compentence) übernehmen auch Tochtergesellschaften, wie bei Bayer und Siemens, zentrale Verantwortung. Das weist darauf hin, dass weitere Dimensionen bei der internationalen Organisationsgestaltung relevant sind.

5.2.3

Internationale Managementprozesse und -systeme

Anschaulich zeigt eine Darstellung von Kutschker und Schmid, dass Organisationsstrukturformen nur eine Form der Koordination in Organisationen darstellen (vgl. Abb. 5.11). Neben die strukturelle Koordination treten die technokratische, personenorientierte und sonstige Form der Koordination, wie z.B. durch Transferpreise. Mit etwas anderer Terminologie (Strukturen, Prozesse, Kulturen, Menschen) hatten wir das bereits im 4. Kapitel dargestellt.

Strukturelle Koordination - Organisationsstrukturformen - Abteilungen - Stäbe, Zentralabteilungen, Zentralbereiche, Projektorganisationsformen - Zentralisierung oder Dezentralisierung von Entscheidungen

Abb. 5.11

Technokratische Koordination

Personenorientierte Koordination

- Programme - Pläne - Budgets - Berichtssysteme - Formalisierung - Sonstige Regeln

- Persönliche Weisungen - Selbstabstimmungen - Persönliche Besuche - Transfer von Führungskräften - Standardisierung von Rollen - Kulturorientierte Koordination

Sonstige - Transferpreise - Wissenstransfer - Selbstorganisation - ...

Ausgewählte Koordinationsinstrumente (Kutschker & Schmid 2008, S. 1033)

Mit dem Wachstum der Größe der Organisation, der Vielfalt der Geschäftsfelder und Länder, in denen ein Unternehmen tätig ist, wächst auch die Anforderung, die an verschiedene Personen und Orte sowie zu unterschiedlichen Zeiten verteilten Aufgaben wieder zusammenzuführen. Denn mit der Arbeitsteilung steigt die Spannung zwischen Differenzierung und Integration (vgl. Lawrence & Lorsch 1967). Grundsätzlich stehen dazu die Instrumente wie Hierarchie, Programme und Pläne und Selbstabstimmungsregeln zur Verfügung. Es versteht sich, dass diese Managementprozesse ein bedeutendes Element der globalen Strategie darstellen: „Während die Organisationsstruktur eine unmittelbare Wirkung auf das Verhalten der Manager ausübt, sind es die Managementprozesse, die das System bewegen. Angemessene Prozesse und Systeme können sogar bis zu einem gewissen Grad angemessene Strukturen ersetzen. Zu diesen Prozessen und Systemen gehören das globale strategische Informationssystem, die länderübergreifende Koordination, die globale strategische Planung und Budgetierung und die globale Leistungsbeurteilung und -vergütung.“ (Yip 2003, S. 193)

248

5 Internationale Strategie und Organisation

Darüber hinaus aber sind Strukturen und Prozesse selbst differenzierter zu betrachten: Ein zentraler Unterschied gegenüber der für das vergangene Jahrhundert typischen Massenproduktion besteht darin, dass Unternehmen in hochentwickelten Ländern bei gestiegener Komplexität und Dynamik sowohl Kostenvorteile als auch Differenzierung und Flexibilität anstreben müssen. Unter den Bedingungen dieses Zieldreiecks sind organische Systeme, wie T. Burns und G. Stalker bereits Anfang der 1960er Jahre aufgrund empirischer Studien argumentieren, mechanistischen Systemen überlegen (vgl. Kapitel 4.5.2). Ein mechanistisches System ist gekennzeichnet durch formale Regeln, zentralisierte Entscheidungen, eng definierte Arbeitsaufgaben und strikte hierarchische Unterstellung. Es entspricht der Bürokratie, die schon der deutsche Soziologe Max Weber zu Beginn des 20. Jahrhunderts beschrieb. Ein organisches System hingegen ist charakterisiert durch die geringe bis mittlere Bedeutung formaler Regeln, durch dezentralisierte und gemeinsame Entscheidungsprozesse, breit definierte Arbeitsaufgaben und eine flexible Hierarchie mit weniger Ebenen. Deshalb wächst die Bedeutung auch nicht-hierarchischer Integrationsformen durch Selbstabstimmung in Projekten und Teams sowie durch informelle Verbindungen und Netzwerke. Das genannte Zieldreieck kann besser verfolgt werden durch Projekte, Einsatzgruppen, Koordinationsrollen und andere Formen von Sekundärstrukturen, die die oben beschriebenen Primärstrukturen überlagern. Je nach Gewicht der Kompetenzverteilung entsteht so ein komplexes Entscheidungsgeflecht. An drei Bereichen soll die Bedeutung der Managementprozesse und -systeme für die internationale Organisation verdeutlicht werden: globale Innovation, prozessorientierte Managementsysteme und internationale Organisationsmodelle. Globale Innovation. In der internationalen F&E-Organisation, die immer mehr zum Innovationsmanagement wird (vgl. Kap. 4.6), entstehen neue Problemstellungen, die es zu gestalten gilt (vgl. Abb. 5.12). Die Anforderungen können am Beispiel der Simultaneous Engineering Teams in der Produktentwicklung, in denen Spezialisten aus unterschiedlichen Funktionsbereichen (wie Beschaffung, Produktion und bis hin zu Marketing und Vertrieb) zusammenarbeiten, verdeutlicht werden. Mit modernen Informations- und Kommunikationstechnologien geht das auch länderübergreifend zu jeder Zeit und an jedem Ort (Any Time / Any Place) in sogenannten virtuellen Teams (vgl. Picot et al. 2003). Jenseits technischer Lösungen ergeben sich im internationalen Kontext aber neue Aufgaben für das Management unterschiedlicher Kulturen, komplexerer Projekte und des organisatorischen Lernens. Herausforderungen auf der Ebene der Standorte und gesellschaftsrechtlichen Einheiten (Legal Entities) reichen von der Überwindung geografischer Distanzen bis hin zu Fragen der Steueroptimierung. Auf der Ebene der Hierarchien und Funktionen geht es unter anderem um das erforderliche Ausmaß funktionaler Spezialisierung, aber auch um Themen wie das ‚Not-Invented-Here Syndrom (NIH)‘; neues Wissen wird abgelehnt, weil man es nicht selbst erfunden hat. Auf der Ebene der Projekte und Prozesse stellt sich neben dem klassischen Austarieren des Verhältnisses von Projekt und Linie die Frage, wie die Zusammenarbeit in virtuellen Teams gestaltet werden kann. Weil die Mitglieder von Projektteams regional verstreut arbeiten und aus unterschiedlichen Ländern und Kulturen kommen, muss geklärt werden, welche Kommunikationsmittel in welchem Stadium eines Projektes eingesetzt werden. Ein E-Mail gilt als armes Medium im Vergleich zum persönlichen Kontakt von Angesicht zu Angesicht. Deshalb wird man zu Beginn eines Projektes, wenn die Dinge noch unübersichtlich sind, zunächst persönliche Treffen ansetzen. Informelle Beziehungen und Netzwerke,

5.2 Organisation im internationalen Kontext

249

wie sie sich etwa auf Seminaren und Trainings aber auch bei Freizeitaktivitäten entwickeln, fördern den Wissenstransfer und den ‚Klebstoff‘ (Corporate Glue) einer gemeinsamen Kultur. Prozessorientierte Managementsysteme. Mit der Verbreitung neuer Organisationskonzepte, wie Lean-Management, Business Process Reengineering und Total Quality Management, rückten prozessorientierte Managementsysteme in den Vordergrund (vgl. Kap. 4.3.3). Aktuelle Steuerungskonzepte, wie die Balanced Scorecard sehen Qualitäts- und Flexibilitätsziele nicht mehr als nachrangig gegenüber finanziellen Zielen an – organisatorische Fragen werden dadurch aufgewertet (vgl. Kap .2.2.2). Die Geschichte dieser Managementsysteme hat gezeigt, dass der internationale Wissenstransfer aber auch die Entwicklung einer eigenständigen Lösung hier Engpassfaktoren sind. Ein Beispiel dafür ist die Frage, inwieweit das Toyota-Produktionssystem in andere Ländern und Unternehmen übertragen werden sollte (vgl. Kap. 3.3.1). • • • • •

Sozialisierung Informeller Informationsfluss Face-to-face Wissenstransfer Verborgenes Wissen Normen und Werte

Projekte und Prozesse

• • • • •

Routinen Prozessintegration Verstreute F&E-Teams Projektmanagement Projekt versus Linie

Hierarchie und Funktion

• • • • •

Funktionale Spezialisierung Optimierung der Geschäftseinheit Berichtsstrukturen Budget- und Ressourcen-Allokation NIH-Syndrom

• • • • •

Steuer-Optimierung Lokale Ressourcen abklopfen Lokale Marktbedürfnisse treffen Geographische Distanzen Beschränkte Kommunikation

Informelle Beziehungen und Netzwerke

Standorte und rechtliche Einheiten

Abb. 5.12

Ebenen und Problemstellungen der internationalen F&E-Organisation (Boutellier et al. 2008, S. 116)

Internationale Organisationsmodelle. Welche Rolle spielen vor diesem Hintergrund internationale Organisationsmodelle in denen der Autonomiegrad der Tochtergesellschaften festgelegt wird? Ist der Autonomiegrad zu hoch, besteht die Gefahr, dass diese die Ziele der Muttergesellschaft nicht hinreichend beachten, ist er zu gering, leidet die lokale Anpassungsfähigkeit (vgl. Welge & Holtbrügge 2006). Wie kann dieser Zielkonflikt bewegt werden? Einer der einflussreichsten Ansätze hierzu stammt von Bartlett & Goshal (1998; 2008). Da-

250

5 Internationale Strategie und Organisation

nach bestand in den 1950er und 1960er Jahren bei den ausländischen Tochtergesellschaften vor allem amerikanischer Unternehmen eine hohe Abhängigkeit von der Muttergesellschaft in der Art einer koordinierten Föderation. Wissen konnte so leicht transferiert werden, aber die Nutzung von lokalen Anpassungsvorteilen war erschwert. Demgegenüber führten europäische Unternehmen ihre Auslandsgesellschaften als dezentralisierte Föderation. Dadurch wird die flexible Anpassung an die jeweiligen lokalen Bedingungen gefördert, während Verbundeffekte erschwert werden. Das Organisationsmodell insbesondere japanischer Unternehmen wiederum entsprach einer zentralisierten Nabe-Speiche Struktur: Vermögen, Ressourcen und Kompetenzen sind in der Muttergesellschaft zentralisiert. Dadurch lassen sich Größenvorteile aus der globalen Abstimmung erzielen, die Anpassungsfähigkeit an die lokalen Bedingungen bleibt hingegen begrenzt (vgl. Abb. 5.13). Keines der genannten Organisationsmodelle, die Bartlett & Goshal als das organisatorische Erbe bezeichnen, erscheint zur Umsetzung einer transnationalen Strategie geeignet, bei der es um die gleichzeitige Nutzung von Standardisierungs-, Differenzierungs- und länderübergreifenden Lernvorteilen geht. Hierfür ist nach Bartlett & Ghoshal ein integriertes Netzwerk notwendig. Zu dessen Merkmalen gehören ausgeprägte organisatorische Interdependenzen, die Dezentralisierung strategischer Entscheidungskompetenzen, weltweite organisatorische Lernprozesse durch den regen Austausch von Technologie, Kapital und Mitarbeitern sowie mehr „weiche“, personelle und kulturelle Koordinationsinstrumente. Statt von einer Matrixstruktur sprechen die Autoren deshalb von einer „Matrix in Mind“, dem Erfordernis einer Einstellung, die Bereichsgrenzen überwindet. Dezentralisierte Föderation

E

Koordinierte Föderation

Viele Ressourcen dezentralisiert, aber von der Zentrale gesteuert

Lose, persönliche Steuerung. Finanzströme: Dividende für Kapital

Enges, formales Steuerungssystem. Wissensfluss: Technologie und Expertise der Muttergesellschaft lokal angepasst

Das Konzernmanagement behandelt die Landesgesellschaften als ausgedehnte Inlandsoperationen

Das Konzernmanagement gibt den Landesgesellschaften viel Freiraum Zentralisierte Nabe Die meisten Ressourcen sind zentralisiert

J

Integriertes Netzwerk Verteilte, spezialisierte Ressourcen und Fähigkeiten

Feste Steuerung durch zentralisierte Entscheidungen. Güterströme von der Zentrale aus Das Konzernmanagement behandelt die Landesgesellschaften als Lieferanten für den globalen Markt

Abb. 5.13

USA

Die meisten Ressourcen sind dezentralisiert

Ein komplexer Prozess der Koordination und Kooperation im Umfeld gemeinsamer Entscheidungen

Viel Austausch von Komponenten, Ressourcen, Menschen und Informationen zwischen verflochtenen Einheiten

Modelle der organisatorischen Konfiguration (nach Bartlett & Goshal et al. 2008, S. 338 ff.)

5.2 Organisation im internationalen Kontext

251

Somit zeigt sich, dass die Unterscheidungen nach Produkt-, Regional-, oder Kundenstrukturen, nach Einlinien- oder Matrixstruktur nicht ausreichen, um internationale Organisationen zu analysieren und zu gestalten. Es kommt ebenso auf die Prozesse und Systeme an, auf die Konfiguration des Organisationsmodells. Mitarbeiter, Kulturen und der organisatorische Wandel sind weitere Bereiche der Organisationsgestaltung.

5.2.4

Kultur und organisatorischer Wandel im internationalen Umfeld

Unternehmens- und Landeskulturen spielen eine bedeutende Rolle beim organisatorischen Wandel. Welches sind die zentralen Triebkräfte des Wandels und führt dies zu einer Konvergenz der Kulturen?

TREIBER DES WANDELS ERKENNEN Warum ist das Thema organisatorischer Wandel (Organizational Change) erst in letzter Zeit aktuell (vgl. Doppler & Lauterburg 2002; Jones 2004; Hellriegel & Slocum 2004; Steinmann & Schreyögg 2005)? Wir können dazu Argumente aus den vorhergehenden Kapiteln wieder aufnehmen. Organisatorischer Wandel kann eher kontinuierlich ablaufen, oder aber grundlegend sein. Letzteres war etwa bei der Privatisierung der Lufthansa und Deutschen Telekom der Fall; Unternehmen, die sich danach im weltweiten Wettbewerb behaupten mußten. Zu den zentralen Triebkräften des organisatorischen Wandels gehören die Globalisierung, neue Informations- und Kommunikationstechnologien und veränderte Arbeitsbeziehungen im internationalen Produktionsverbund: ! Globalisierung. Mit der Globalisierung verändern sich die Branchengrenzen (Business Migration), werden Funktionen und Bereiche externalisiert (Outsourcing) und regional verlagert (Offshoring), entstehen internationale Wertschöpfungsnetzwerke (Global Sourcing). Es liegt auf der Hand, dass sich damit auch Zielsystem, Strategien und Organisation eines Unternehmens verändern. Neue Akteure eines Wertschichtenwettbewerbs, wie Intel und Microsoft, bildeten sich heraus. Erdölkonzerne, wie Shell, entdecken an ihren Tankstellen den Lebensmitteleinzelhandel als neues Geschäftsfeld. Nike versteht sich als Entertainment-Unternehmen, nicht als Sportartikelhersteller. Traditionsunternehmen wie Preussag, Hoechst und Mannesmann, sind heute nicht mehr wiederzuerkennen. Das Beispiel IBM zeigt, wie innerhalb weniger Jahre die komfortable Stellung eines marktbeherrschenden, vertikal integrierten Konzerns verfallen kann (vgl. Grove 1997; Heuskel 1999). Eine weitere Konsequenz des durch die Globalisierung ausgelösten Strategiewechsels besteht darin, dass seit Beginn der 1990er Jahre nicht mehr die Diversifikation sondern die Konzentration auf das Kerngeschäft in den Mittelpunkt rückt. Die Folgen sind Wachstum und Verkleinerung, Übernahme und Spaltung von Unternehmen, Outsourcing und Kooperation bis hin zur Veränderung des Grundauftrages selbst. Exemplarisch können die durch die Globalisierung induzierten Reorganisationsprozesse in der Automobilindustrie nachvollzogen werden, in der gerade wieder eine Konzentrationswelle stattfindet. Diesmal allerdings nicht bei Markenintegratoren wie Ford, VW und Toyota, sondern in der Arena der wenig bekannten Zulieferer wie Delphi, Visteon und Bosch, die nun als Entwicklungs-, Produktions- und Logistikspezialisten sowie als Finanzdienstleis-

252

5 Internationale Strategie und Organisation

ter auftreten. Das traditionelle Beschaffungsverhältnis zwischen Zulieferern und Abnehmer entwickelt sich zum weltweiten Sourcing-Management, als Management der Kooperationsbeziehung im Unternehmensnetzwerk (vgl. Laseter 1998; Zentes et al. 2004; Müller 2009a; Sydow & Möllering 2009). ! Informations- und Kommunikationstechnologie. Die moderne Informations- und Kommunikationstechnologie ist nicht nur die technische Basis der Globalisierung, sie verändert auch Geschäftsmodelle von Unternehmen, wie die Beispiele Amazon und iTunes zeigen. Sie befähigt zur länderübergreifenden Zusammenarbeit in Entwicklungsteams (Virtual Teams), zur Zusammenarbeit zwischen Zulieferern und Abnehmern (Supply Chain Management), Unternehmen und Kunden (Customer Relationship Management) und zur Steuerung internationaler Unternehmen: sie ermöglicht die „grenzenlose Unternehmung“ (Boundaryless Organization) (Ashkenas et al. 1995). Auf der anderen Seite darf das Bild der dadurch ausgelösten Konvergenz nicht überstrapaziert werden: Die weltweit größten multinationalen Unternehmen sind immer noch überwiegend in der sog. Triade (den Kernmärkten der Welt) tätig; sie sind wohl globale Marken, aber durchweg mit nationaler Identität. ! Veränderte Arbeitsbeziehungen. Schließlich sind vor diesem Hintergrund veränderte Arbeitsbeziehungen für die Aktualität des organisatorischen Wandels ausschlaggebend. So basiert der Erfolg der Nike- und Adidas-Netzwerke auch auf der Produktion in asiatischen Niedriglohnstandorten (vgl. Praxisbeispiel). Eine populäre These in diesem Zusammenhang ist, dass die Verfügbarkeit billiger Arbeitskräfte im globalen Produktionsverbund in den reichen Ländern nur noch Wissensarbeitern eine Chance gibt. Hinzu kommen die sog. Auflösung des Normalarbeitsverhältnisses und die Entwicklung von Randbelegschaften (Contingency Workforce). Dazu gehören die Teilzeitarbeit mit mehreren Jobs, Leiharbeit und die Scheinselbständigkeit von Subunternehmern. Auf der anderen Seite müssen sich Unternehmen heute auf eine abnehmende freiwillige Bindung ihrer Führungskräfte und Spezialisten einstellen. In diesem Segment des Arbeitsmarktes entwickelt sich erstmalig ein länderübergreifender Wettbewerb.

Praxisbeispiel: Sind Nike und Adidas für ihre Lieferanten verantwortlich? Auf dem Markt der Sportartikelhersteller ist der US-amerikanische Hersteller Nike Weltmarktführer, gefolgt von dem deutschen Unternehmen Adidas. Beide Firmen haben gemeinsam, dass sie selbst kaum noch produzieren, sondern Zulieferer in Niedriglohnländern mit der Produktion beauftragen. Im Jahre 2004 produzierten 843 Fabriken für Adidas, davon gehören jedoch nur 8 Produktionsstätten der Firma selbst. In den restlichen Fabriken werden Sportbekleidung, -schuhe und -zubehör von Zulieferern gefertigt. Davon haben allein 164 Hauptzulieferer mit insgesamt 197.000 Beschäftigten ihren Sitz in China. Durch das Outsourcing der Produktion entstehen nicht nur erhebliche Kostenvorteile, sondern auch Risiken, da die Qualität der Produkte sowie die Einhaltung angemessener Arbeitsbedingungen nicht immer gegeben sind. Grundsätzlich stellt sich natürlich die Frage, ob es für ein Unternehmen besser ist mit Konkurrenten zusammen zu arbeiten oder eher Abstand zu halten. Diese Frage kann im Fall Adidas und Nike jedoch einfach beantwortet

5.2 Organisation im internationalen Kontext

253

werden: das gemeinsame Ziel ist der Schutz der Reputation, weshalb in den letzten Jahren viel getan wurde um gerade gegen Kinderarbeit vorzugehen. Vor allem wegen der Kinderarbeit in Niedriglohnländern werden Unternehmen wie Nike und Adidas im „Schwarzbuch Markenfirmen“ gelistet. Protestaktionen gefährden die Reputation und den Markenwert in dieser Lifestyle-Branche. Nike hatte deshalb seine Lieferanten auf einen Code of Conduct verpflichtet, der als „General Policy Statement“ wohl zunächst nicht mehr als nur eine Marketingmaßnahme war. Darin heißt es, dass Nike und seine Vertragspartner „die Rechte ihrer Mitarbeiter wahren, ihren Einfluss auf die Umwelt so gering wie möglich halten, gesunde Arbeitsbedingungen schaffen und die Gesundheit und das Wohlergehen ihrer Mitarbeiter fördern.“ Dagegen hatte der Verbraucheraktivist Mark Kasky wegen irreführender Werbung geklagt. In zweiter Instanz wurde festgestellt, dass der Code of Conduct keine freie Meinungsäußerung, sondern eine Werbemaßnahme war, die darauf abzielte, das Vertrauen der Kunden wiederzugewinnen. Nach Meinung vieler Experten hat Nike den Prozess verloren, man einigte sich aber auf einen Vergleich. Adidas hat auf die öffentliche Kritik an den Arbeitsbedingungen bei den Lieferanten reagiert: ein Weltdirektor für soziale Fragen, an den heute 30 Mitarbeitern berichten, wurde eingestellt, ein Verhaltenskodex (Standards of Engagement) wurde festgelegt und Adidas wurde Mitglied der Fair Labor Association (FLA). Die FLA ist eine Non-ProfitOrganisation, die Firmen bei der Einhaltung von Verhaltenskodizes und Umweltstandards unterstützt. Weitere Mitglieder sind unter anderem Nike, Puma und Asics. Die Standards of Engagement sind Bestandteil der Hauptzulieferer-Rahmenverträge von Adidas. Die Organisation der Zulieferer gliedert sich bei Adidas in drei Gruppen: Hauptzulieferer, die eine direkte vertragliche Beziehung haben, Subunternehmer ohne direkte Vertragsbeziehung, da sie von den Hauptzulieferern engagiert werden und Lizenznehmer, die unter dem Namen von Adidas Brillen, Uhren und auch Kosmetika herstellen. Adidas versucht aus den oben genannten Gründen seine Zulieferer zu kontrollieren, denn die schlechte Presse der Firma war nicht immer selbstverschuldet. Also wurde zusätzlich zu dem Bereich Global Operations, der die Zulieferer auswählt, die neue Einheit Social and Environmental Affairs (SEA) gegründet. Dieses Team ist dafür zuständig angemessene Arbeitsbedingungen und Umweltstandards nach dem Verhaltenskodex von Adidas sicher zu stellen. Mitarbeiter des SEA fungieren auch als Kontrolleure in den Fabriken. Zulieferer mit hohem Auftragsvolumen oder erhöhtem Missachtungsrisiko werden vorrangig kontrolliert. Kommt es zu einer Vertragsverletzung durch die Missachtung der Verhaltenskodizes, werden Verwarnungen und Sanktionen ausgesprochen, die bis zu einer Einstellung aller Aufträge führen können. 35 von 142 der von Global Operations ausgewählten Zulieferer entsprachen im Jahr 2004 nicht den Anforderungen von Adidas. Nike lehnte sogar 43 Prozent der Zulieferer auf Grund der mangelhaften Arbeitsbedingungen und Umweltstandards ab, woraus sich schließen lässt, dass deren Einhaltung bei den Zulieferern noch nicht selbstverständlich ist. Fragen: 1. Sind Unternehmen ihren Zulieferern gegenüber verantwortlich? 2. In welchem Maße sollte Verantwortung übernommen werden?

254

5 Internationale Strategie und Organisation

3. Kann ein Unternehmen Einfluss auf die Arbeitsbedingungen bei einem Zulieferer nehmen mit dem es keine direkte vertragliche Bindung hat? 4. Können Partnerschaften bzw. Allianzen mit der Konkurrenz hilfreich sein? Wenn ja, warum? 5. Sollten Maßnahmen des Unternehmens gegenüber den Zulieferern sozial- bzw. gesellschaftsverträglich sein und wie versucht Adidas diese umzusetzen? Quellen: Morris, R.J. & Lawrence, A. T.: Nike’s dispute with the University of Oregon. Case Research Journal, 2001, Nr. 3; Schmid, S.: Strategien der Internationalisierung. München/Wien 2006, S. 52 ff.; Werner, K. & Weiss; H.: Schwarzbuch Markenfirmen - Die Machenschaften der Weltkonzerne, URL: http://www.markenfirmen.com (19.06.2008); o.V:, Just good business. The Economist vom 17.01.2008; o.V.: Kampagne für saubere Kleidung URL: http://www.sauberekleidung.de (19.06.2008); URL: http://www.fairlabor.org (19.06.2008); Schuldt-Baumgart, N.: Für Kinder, nicht von Kindern, Financial Times Deutschland vom 20.05.2008; The World Bank Group (Hg.): Company Codes of Conduct and International Standards: An Analytical Comparison. Washington 2003.

DIVERGENZ UND KONVERGENZ DER KULTUREN FESTSTELLEN Unterschiede in den Landeskulturen nehmen in der Literatur zum Internationalen Management einen gesicherten Platz ein (vgl. Kutschker & Schmid 2008; Mead & Andrews 2009; Daft 2010). Nach dem Ansatz des Anthropologen Edward Hall (1987) wird die zwischenmenschliche Kommunikation durch den jeweiligen Kontext der Landeskultur geprägt (vgl. Abb. 5.14). In Hoch-Kontext Kulturen (wie in arabischen und asiatischen Ländern) kommt es neben dem Wort auch auf den unausgesprochenen Kontext an: nicht das Geschäft, sondern Vertrauen, persönliche Beziehungen und ein angenehmes Umfeld sind Ausgangspunkt der Kommunikation. Ein „nein“ beispielsweise wird nicht ausgesprochen. Viele Vereinbarungen werden nicht schriftlich fixiert. In Niedrig-Kontext Kulturen (wie in Nordamerika und Westeuropa) hingegen geht es unmittelbar zur Sache, kommt es auf die persönliche Expertise und Leistung an und ein klarer, präziser und schneller Austausch ist wichtig. Auf diesem Gebiet ist Deutschland ‚Weltmeister‘.

Hoher Kontext Abb. 5.14

Niedriger Kontext

Hoch-Kontext versus Niedrig-Kontext Kulturen (nach Hall & Hall 1987, passim)

Anspruchsvoller ist der Ansatz von Hofstede, der mehrere landeskulturelle Dimensionen unterscheidet. Seine bekannte Befragung von 116.000 IBM-Mitarbeitern weltweit, die die Datenbasis für seine Kategorisierung von Landeskulturen abgibt, stammt aus den 1970er Jahren. Sie ist allerdings in nachfolgenden Untersuchungen, wie denen des GLOBEProjektes, bestätigt und erweitert worden (vgl. Hofstede 1985; House et al. 2004; Hofstede & Hofstede 2005). Die Ergebnisse für die 74 Länder können hier nicht dargestellt werden.

5.2 Organisation im internationalen Kontext

255

Stattdessen werden nur die ‚Spitzenplätze‘ erwähnt und die Ergebnisse für drei Länder der globalen Triade: USA, Japan und Deutschland (vgl. Abb.5.15). Hofstede verwendet fünf Dimensionen um Landeskulturen mit einem Index zu messen: ! Die Machtdistanz misst den Grad der Ungleichheit in einer Gesellschaft. In Malaysia und Russland ist die Machtdistanz sehr hoch, gering ist sie in Österreich und den skandinavischen Ländern. ! Der Individualismus ist besonders ausgeprägt in den USA, Australien, England und Kanada, dagegen wenig in Guatemala und anderen lateinamerikanischen Ländern. ! Maskuline Werte wie Durchsetzungsfähigkeit, Härte und materieller Erfolg sind in der slowakischen und japanischen Gesellschaft dominierend, weniger bedeutend in Schweden und anderen skandinavischen Ländern. ! Der Unsicherheit- Vermeidungsindex misst die (In-) Toleranz gegenüber Unsicherheit, etwa im Hinblick auf Arbeitsplatzsituation. In Griechenland und Portugal versucht man diese zu vermeiden, während in Singapur, Schweden und Dänemark darin am wenigsten ein Problem gesehen wird. ! Bei der Langzeitorientierung erreicht der Index die höchsten Werte für China, Hong Kong und Taiwan; diese ist gering in Pakistan und Tschechien, aber auch in den USA und Deutschland. D

USA

Österreich

J

J Guatemala

D

USA USA

Individualismus: „Ich, wir und die anderen“

USA Schweden

D

J Slowakei

Maskulinität: „Er und Sie“

USA Singapur

D

J Griechenland

Unsicherheitsvermeidung: „Was anders ist, ist gefährlich“

USA Pakistan 0

Malaysia

Machtdistanz: „Gleicher als andere“

D

J China

Langzeitorientierung: „Gestern, jetzt oder später“

30

60

90

120

Index* * Darstellung nicht maßstabsgerecht

Abb. 5.15

Dimensionen einiger Landeskulturen (nach Hofstede 2005, passim)

Typische Empfehlungen zum Umgang mit interkulturellen Unterschieden sind dann entsprechende Trainings, vermehrte Auslandsaufenthalte, mehr „Diversity“ in den Führungsorganen sowie die Nutzung der modernen Kommunikationsmedien um das gegenseitige Verständnis zu entwickeln.

256

5 Internationale Strategie und Organisation

Allerdings sind gegenüber dieser auf die Einzigartigkeit von Kulturen abhebenden Perspektive auch einige kritische Überlegungen angebracht. Es ist zu fragen, ob allein diese Unterschiede, die von der vergleichenden Kulturforschung herausgestellt werden, bestehen und für wen sie gültig sind. Manche Anthropologen suchen inzwischen auch wieder nach Gemeinsamkeiten der Kulturen (vgl. Antweiler 2009). Wirken die Marktkräfte nicht auch in Richtung Auflösung tradierter Normen und Werte und erzeugen damit auch ein eigenes kulturelles und politisches System? Beschränkt sich der Stellenwert kultureller Unterschiede etwa nur auf gute Sitten und Folklore? Welchen Einfluss haben kulturelle Unterschiede auf den Unternehmenserfolg (vgl. Stiles 2007)? Wenn, wie weiter unten gezeigt wird, zunehmend gleiche Standards bei der Personalbeurteilung und -entwicklung für Führungskräfte weltweit eingeführt werden, – zeigt dies nicht auch eine nur begrenzte Bedeutung kultureller Unterschiede? Unstrittig scheint zu sein, dass die Unternehmenskultur die Landeskultur nicht überschreibt – im Gegenteil: sie akzentuiert vielmehr die landeskulturellen Unterschiede. Auf der anderen Seite sind Kulturen in einem Land nicht homogen und sie verändern sich auch über die Zeit. Die lineare Logik, dass etwas gleich oder verschieden ist und nicht gleich und verschieden stößt auch in der Kulturforschung auf Grenzen. Paradoxa wie Kooperation und Konkurrenz, Global und Local sind bekannt – warum nicht auch Konvergenz und Divergenz der Kulturen? Vielleicht ist es deshalb richtig von „Cross-Vergence“ auszugehen, einem Kunstbegriff, den die neueste Kulturforschung kreiert hat (vgl. Carr 2005; Ralston et al. 2008; Tung 2008). Von der Landeskultur ist die Unternehmenskultur zu unterscheiden. Edgar Schein hat darauf hingewiesen, dass die Analyse von Kulturen nicht allein an äußeren Symbolen, wie der Sprache und Kleidung, festzumachen ist. Kulturen entstehen durch einen unsichtbaren Lehrplan und sind keineswegs ingenieurmäßig zu verändern (vgl. Kap. 4.4). Starke Unternehmenskulturen sind durch eine hohe Verankerungstiefe gekennzeichnet. Volkswagen, Bertelsmann und Hewlett Packard sind bekannt für partnerschaftliche Beziehungen zwischen Management und Mitarbeitern, dennoch ist der HP-Way nicht mit dem Selbstverständnis bei Bertelsmann oder Volkswagen gleichzusetzen. So wie kulturelle Unterschiede als Hindernis aber auch als Potenzial im weltweiten Lernprozess wirken können, so ist auch eine starke Unternehmenskultur nicht per se ein Erfolgsfaktor. Die starke konservative Kultur und bürokratische Struktur, die IBM bis zu den 1980er Jahren eine scheinbar unangreifbare Position beschert hatte, erwies sich in einer veränderten Situation als Hindernis.

5.2.5

Globale Manager und lokale Mitarbeiter

Im April 1996 führte Black & Decker für seinen asiatischen Regionalbereich ein Führungskräfteentwicklungs- und -beurteilungssystem ein, mit dem das Unternehmen bereits zuvor in den USA gute Erfahrungen gemacht hatte. Jede Führungskraft wird nicht nur vom Vorgesetzten, sondern auch von den Untergebenen und Ihresgleichen (Peers) beurteilt (360 Grad Feedback). Entgegen mancher Vorbehalte, dass dieses System in asiatischen Kulturen nicht funktioniere, weil man dort den Chef nicht offen kritisiert, hatte Black & Decker dieses System dort eingeführt (vgl. IVEY 1998). Beschreibt dieser Fall eine Ausnahme oder einen Trend?

5.2 Organisation im internationalen Kontext

257

Noch vor wenigen Jahren war es in europäischen Unternehmen üblich, Auslandsgesellschaften mehr oder weniger an der losen Leine zu führen und dazu Manager aus dem Stammhaus zu entsenden. Heute kommt es zunehmend darauf an, diese Einbahnstraße zu überwinden und die besten Führungskräfte, unabhängig von ihrer Herkunft, an das Unternehmen zu binden. Wie US-amerikanische Unternehmen auch, haben große deutsche Unternehmen wie BASF, Bayer, DaimlerChrysler, Henkel, Lufthansa, SAP, Schering, Siemens und Volkswagen, erst in den letzten Jahren eine neue Richtung eingeschlagen. Durch weltweite Standards für den Einsatz qualifizierter Fach- und Führungskräfte richten Unternehmen auch ihre Personalstrategie für global tätige Führungskräfte neu aus (vgl. Müller 2001; Begley & Boyd 2003; Dowling et al. 2008 und Praxisbeispiel in Kap. 1.3.2). Roland Schulz, vormals geschäftsführender Gesellschafter der Henkel KGaA, beschreibt diesen Strategiewechsel für sein Unternehmen zum Jahrtausendwechsel wie folgt: „Bis 1990 waren wir noch sehr stark „deutschlastig“ und haben den einzelnen Ländern sehr hohe Freiheitsgrade eingeräumt. Die Ländergesellschaften waren in ihrer Personalpolitik sehr autonom. Lediglich für die obersten zweihundert Führungskräfte gab es vielleicht eine gewisse Harmonisierung bei ein paar Themen. Aber seit zehn Jahren haben wir systematisch und wie wir glauben professionell das gesamte personalpolitische Instrumentarium überarbeitet. Damit haben wir es geschafft, dass wir heute von einer einheitlichen Führungskräftestruktur ausgehen können, die wir in den Schlüsselfragen der Personalpolitik gleich behandeln. Bewertung, Bezahlung, Managemententwicklung, Training und Ausbildung – wir haben alle diese Instrumente für Führungskräfte mit weltweiter Verbindlichkeit harmonisiert.“ (Zitiert nach Müller 2001, S. 16 f.) Dabei wird auch, zumindest in einigen Unternehmen, auf die lokale Anpassung durch die Beteiligung der Regionen sowie auf weltweites Lernen und globalen Wissenstransfer durch reales und virtuelles Networking geachtet. Instrumente auf diesem Gebiet sind die Förderung des internationalen Austausches, Meetings, Corporate Universities. Insofern entwickelt sich inzwischen eine transnationale Personalstrategie für Führungskräfte (vgl. Abb. 5.16). Bisher sind die Landesgesellschaften in der Personalpolitik zwar noch sehr autonom, mittelfristig orientiert man sich aber mehr an globalen Managern, integrierten Prozessen und einer globalen Unternehmenskultur (vgl. Conn & Yip 2001).

258

5 Internationale Strategie und Organisation

Globale Integration Gleichbehandlung der Führungskräfte durch weltweit gültige Grundsätze und Instrumente

Weltweites Lernen und globaler Wissenstransfer durch reales und virtuelles Networking

Früher: Hohe Freiheitsgrade für die Landesgesellschaften, die lokale Anpassung dominiert

Lokale Anpassung Lokale Anpassung durch Beteiligung der Regionen Weltweites Lernen Abb. 5.16

Elemente einer internationalen Personalstrategie für Führungskräfte (Müller 2001, S. 22)

Die internationale Geschäftsverantwortung ist ein wesentlicher Treiber für die Harmonisierung der Führungskräftebeurteilung und -Entwicklung. Die Vorfahrtsregel „Corporate before Business before Region“ ist bei vielen Großunternehmen verbreitet. Mit größeren regionalen Einheiten und globaler Geschäftsverantwortung entwickelt sich auch die länderübergreifende Integration des Managements von Führungskräften. Dazu noch einmal Roland Schulz von Henkel: „Bereits 1985 haben wir entschieden, dass wir eine weltweite Verantwortung der Strategischen Geschäftseinheiten haben wollen. Daher hatten wir es als Personalleute leichter. Aus der nun weltweiten Geschäftsverantwortung ergab sich auch für den Human-Ressource-Bereich eine neue Anforderung. Denn die Leiter der international besetzten Teams wollten dann auch, dass diese gleich behandelt werden. Der Antrieb kam aus dem Geschäft heraus, aber auch aus der Führungskräfte- und Mitarbeiterbefragung, die wir gemacht haben: Das Thema Gleichbehandlung und gleiche Chancen hat einen enormen Stellenwert bekommen. Davon hängt unsere Attraktivität als Arbeitgeber auch in den verschiedenen Ländern ab.“ (Zitiert nach Müller 2001, S. 21) Es ist deshalb zunächst zweckmäßig die internationale Personalpolitik mit einer Checkliste zu überprüfen (vgl. Begley & Boyd 2000): ! ! ! !

Relevanz: Ist die Politik im gegenwärtigen Geschäftsumfeld relevant? Strategie: Passt die Politik zu den Unternehmenszielen? Anpassungsfähigkeit: Passt die Politik auch bei veränderten Gegebenheiten? Anwendungsfähigkeit: Ist die Politik über alle Unternehmensbereiche hin-weg anwendbar?

5.2 Organisation im internationalen Kontext ! ! ! !

259

Vertrautheit: Ist den Mitarbeitern die Politik bewusst? Klarheit: Ist die Politik leicht zu verstehen und anzuwenden? Grenzen: Sind die Grenzen für akzeptables Verhalten bestimmt? Verpflichtung: Unterstützen die Mitarbeiter die Politik?

In einer Studie von Conn & Yip (2001), in der 35 große amerikanische multinationale Konzerne untersucht wurden, werden die Vorteile einer weltweit orientierten Strategie für ‚Global Leaders‘ auch empirisch belegt. Danach führen Verbesserungen in der Effektivität von globalen Vergütungs-, Entsendungs- und Trainingsprozessen zu messbaren Steigerungen bei der weltweiten Übertragung von erfolgskritischen Fähigkeiten (Critical Capabilities) wie Innovationsgeschwindigkeit, Qualitätsmanagement und kostengünstige Produktion.

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5 Internationale Strategie und Organisation

Zusammenfassung 1. Ein multinationales Unternehmen (Multinational Corporation, MNC) hat seine Zentrale (Headquarter) in einem Land und ist in einem oder mehreren anderen Ländern tätig – ist also keinesfalls heimatlos. 2. Strategien der Internationalisierung können in einer Schrittfolge entwickelt werden: internationale Chancen identifizieren, die internationale Orientierung festlegen und Ressourcen und Produkte entwickeln, Optionen festlegen, sowie die Risiken kontrollieren und die Ergebnisse bewerten und gegebenenfalls umsteuern. 3. Chancen der internationalen Expansion sind ein größerer Markt, dadurch eine höhere Rentabilität nicht zuletzt durch Größen- und Lernvorteile sowie Standortortvorteile durch Ressourcennutzung und Marktnähe. Die Wettbewerbskraft einer Nation und damit ihre Attraktivität als Heimatbasis für multinationale Unternehmen, hängen nach dem DiamantModell von Porter von der Innovations- und Entwicklungsfähigkeit seiner Industrien und Unternehmen ab, die Wettbewerbsvorteile gegenüber ihren ausländischen Herausforderern erlangen, indem sie auf den Druck starker Mitbewerber, Zulieferer und anspruchsvoller Kunden reagieren. 4. Im Spannungsfeld zwischen globaler Integration und lokaler Reaktionsfähigkeit sind die wesentlichen Grundorientierungen festzulegen. Nach Bartlett & Goshal setzt die multilokale Strategie auf die lokale Anpassungs- und Reaktionsfähigkeit, während die globale Strategie sich an den Größen und Lernvorteilen der Standardisierung ausrichtet. Die Kombination der beiden strategischen Ausrichtungen wird als global-local oder transnationale Strategie bezeichnet. In der Terminologie von Perlmutter sind das entsprechend die polyzentrische, die ethnozentrische und die geozentrische Orientierung. 5. Die Analyse der Chancen des Unternehmens in den jeweiligen Ländern und Festlegung der Orientierung liefert eine Grundlage um Optionen zu formulieren, die Antworten geben auf Fragen der Markteintritts-, Zielmarkt-, Timing-, Konfigurations-, und Koordinationsstrategie. Je regional dezentraler die Wertschöpfungsaktivitäten konfiguriert sind, desto mehr Koordination durch organisatorische Instrumente wie Strukturen, Prozesse und Kulturen ist erforderlich. 6. Traditionell stehen die Organisationstruktur und die Frage nach Zentralisierung oder Dezentralisierung im Vordergrund der internationalen Organisation. Die Matrixstruktur nach Regionen und Produkten scheint auf den ersten Blick die ideale organisatorische Lösung für eine global-local Strategie zu sein. Tatsächlich haben Unternehmen, die Pioniere auf diesem Gebiet waren, die Matrix wieder abgeschafft und im Regelfall durch eine multidivisionale Produktstruktur ersetzt. 7. Hinzukommen Managementprozesse, Kulturen und Führungssysteme, die nach Bartlett & Goshal in der organisatorischen Konfiguration des integrierten Netzwerkes eine angemessene Antwort auf die transnationale Herausforderung darstellen.

Fragen zur Diskussion

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8. Die Bedeutung unterschiedlicher Landeskulturen (Divergenz) für die internationale Unternehmensführung kann am Beispiel von grenzüberschreitenden Akquisitionen verdeutlicht werden. Bisher ungeklärt ist, wie bedeutend diese Unterschiede für den Unternehmenserfolg sind und ob nicht auch gemeinsame Kulturen (Konvergenz) entwickelt werden. 9. Führungskräfte werden zunehmend weltweit nach gleichen Standards beurteilt und entwickelt. Allerdings sollte dabei auch auf die lokale Anpassung durch die Beteiligung der Regionen sowie auf weltweites Lernen und globalen Wissenstransfer geachtet werden.

Fragen zur Diskussion 1. Welche Rolle spielt die Heimatbasis bei der Entwicklung einer transnationalen Strategie? 2. Welche Optionen der Internationalisierung halten Sie in ihrer Branche für besonders relevant? 3. Welche Organisationsstruktur passt zu einer transnationalen Strategie? 4. Welche Bedeutung haben internationale Kompetenzzentren (Centers of Competence), etwa in der Pharmaindustrie? 5. Welche Probleme können sich bei der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit bei F&EProjekten ergeben? 6. Was ist bei organisatorischem Wandel insbesondere im internationalen Umfeld zu beachten? 7. Welchen Stellenwert haben unterschiedliche Landeskulturen und wie kann man damit umgehen? 8. Sollten bei der Führungskräftebeurteilung und -entwicklung auch international gleiche Standards angewendet werden?

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Stichwortverzeichnis 360 Grad Feedback 256 3M 116, 211 5-Kräfte-Branchenanalyse 104, 114, 123 7-S-Modell 166, 194

A Accenture 217 Addidas 252 AEG 45 Agency-Theorie 37 Air Berlin 4 Airbus 209 Aktivitätssystem 97, 110 Aldi 78 Amazon 99, 106, 203 Ambidexterity 210 Anlegerinteressen 31 Anreizsysteme 32, 37, 123 Any Time / Any Place 248 Apple 12, 59, 76, 89, 98, 116, 125, 153, 207, 211 Arm‘s-Length-Transaction 150 Asean Brown Boverie 130, 146, 198, 238, 244 Audi 155 Aufsichtsrat 19, 29, 34, 84, 88 - Effizienzprüfung 34 - Überwachungslücken 34 Ausgleichsgesetz der Planung 6 Aventis 143

B Baader 107, 222 Balanced Scorecard 46, 47, 54, 123, 249 Basel II 84 BASF 31, 86, 144, 257 Bayer 125, 155, 179, 246, 257

BCG-Portfolio 137, 142 begrenzte Rationalität 67 Benchmarking 112 BenQ 53, 230 Bertelsmann 58, 110, 256 Betrieb - Begriff 8 Beyerdynamic 108 Beyond Budgeting 125 Beziehungsressourcen 150 Bilfinger Berger 58, 98, 226 Black & Decker 256 Blue Ocean Strategie 123 Blue-Ocean-Strategie 99 BMW 72, 73, 80, 117, 124, 209 Board of Directors 29, 63 Body Shop 74 Booz Allen Hamilton 36 Born Globals 222 Bosch 61, 115, 146, 246, 251 Bottom-Up 14, 15, 168 Boundaryless Organization 252 Bounded Rationality 67 Branche - Definition 102 Branchenattraktivität 104 BRIC-Staaten 229 Brita 222 buchhalterischer Gewinn 48, 52 Budget 124 Built to Last 69, 135 Bürokratie 204, 248 Business Reengineering 27, 145, 186, 197, 249 Business Responsiveness 133 Business Strategy 14, 95

280

Stichwortverzeichnis

C

D

Canon 95, 113 Capability 24, 114, 259 Capital Asset Pricing Modell 51 Cashflow 50 Caterpillar 167 CEO 29 Change Management 215, 251 Chief Executive Officer 29 Chrysler 44, 217 Citibank 167, 195, 244 CNN 59 Coca-Cola 12, 146, 231 Code of Conduct 61, 76, 253 Columbia Pictures 114 Co-Management 27 Compliance 37, 75, 85 Compliance-Erklärung 34 Continental 53, 58, 154 Contingency Workforce 252 Continuous Handshake 150 Controlling 6, 123 - Begriff 20 Coopetition 106 Core Competence 116 Core Purpose 69 Core Values 70 Corporate Communication 64 Corporate Composition 128 Corporate Governance 30, 115 Corporate Governance Kodex 31, 33, 75, 84 Corporate Integrity 69 Corporate New Venture 214 Corporate Parenting 130 Corporate Social Responsibility 33, 55, 65, 67, 70, 123, 124, 252 Corporate Strategy 14 Corporate University 257 Creative Destruction 70, 135 Cross-Functional Team 213 Cross-Vergence 256 Customer Relationship Management 123, 185, 252 Customer Value Proposition 97, 212

Daimler 23, 44, 72, 154, 179, 211, 217 DaimlerChrysler 246, 257 Danone 74 Dell 109 Deloitte 54 Delphi 151, 251 Deutsche Bank 80 Deutsche Telekom 130, 154 Dezentralisierung 143 Diamant-Modell 228 Dienstleistung 8, 55, 127, 203 Differenzierung 107 Disruptive Innovation 116, 210 Diversifikation 125, 137 - horizontal 128 - international 226, 237 - konglomerat 128 - lateral 128 - vertikal 127 - verwandt / unverwandt 133 - Ziele 133 Diversity Management 26 Dorma 107 Dornier-Luftfahrt 45 Dottet-Line-Prinzip 182 Dow Chemical 244 DuPont 49 Dynamic Capability 116 dynamische Fähigkeit 116 E.ON 34, 154 Easyjet 98, 110 Ebay 106, 203

E Economic Value Added 51 EFQM-Modell 187 Einlinienprinzip 182 Eintrittsbarrieren 222 emotionale Intelligenz 25 Empowerment 145, 167, 194 Entrepreneur 206 Entsprechenserklärung 33 EPRG-Modell 232

Stichwortverzeichnis Erfahrungskurve 141 Erfolgsfaktoren 56 Erfolgskriterien 67 Erfolgspotenzial 17, 58 ethnozentrische Orientierung 232 Ethnozentrismus 26 Europäische Aktiengesellschaft 29 Europäischer Betriebsrat 30, 178 Evonik 154 Exit-Option 39 externes Rechnungswesen 124

F Facebook 203 Fair Labor Association 253 Filialunternehmen 169 Finanzinvestor 120, 152 Finanzkennzahlen - dynamisch 50 - kapitalmarktorientiert 50 - traditionell 48 Finanzkrise 21, 47, 59, 81, 90, 154 Finanzmärkte 65, 80 Flexicurity 27 Fokker 45 Force-Field Analysis 216 Ford 106, 150, 172, 197, 204, 230, 251 Four Season Hotels 21 France Télécom 154 Führung 20, 168 - dezentral 176 - integrativ 21 - konventionell 21 - persönlich 26 - systemisch 26 - transformierend 25 - zentral 176 Führung von unten 27 Führungsentscheidungen 5 Führungsstil 21 Führungssystem 21 Funktionsmanagement 182

G Gates and Stages-Modell 209

281 Gender Mainstreaming 26 General Electric 53, 146, 197 General Motors 59, 66, 68, 151, 172, 197, 226 Genpool 133 geozentrische Orientierung 232 Geschäftseinheit 241 Geschäftsfeld 102 Geschäftsfeldabgrenzung 101 Geschäftsmodell 210, 212 - innovatives 22, 123, 128, 208 Geschäftsstrategie 95 Geschäftssystem 97, 107, 165 Geschäftswertbeitrag 51 gesellschaftliche Verantwortung 65 Gesetz der Massenproduktion 141 Gewaltenteilung 32 Gewinn - buchhalterischer 48 - ökonomischer 48 Gewinnmaximierung 47 Gillette 98 Glass Ceiling 26 GlaxoSmithKline 71 Global Compact 75 Global Leader 256, 259 Global Manufacturing Principles 74 Global Player 222 Global Sourcing 172 globale Integration 223 globale Strategie 231 Google 50, 125, 126, 181, 207 Greenpeace 70 Greenwashing 71 Group-Think Phänomen 34 grundlegende Zwecke 69 Gulliver-Problem 67

H Haier 230 Hanni 222 Haribo 165, 209 Headquarter 177 Heavy-Weight-Projectmanager 182, 209 Heimatbasis 222

282 Henkel 246, 257 Hewlett Packard 69, 212, 256 Hidden Champion 107, 165 Hilti 98, 100 Hochtief 58 Hoechst 142, 213, 217, 251 Holzmann 226 Honda 116, 141, 156, 226 Human Resource Management 123, 185 Hybridstrategie 109 Hyperwettbewerb 106

I IBM 15, 27, 120, 167, 178, 195, 242, 251, 256 Ikarus-Paradox 195 IKEA 223 immaterielle Vermögenswerte 50 Inditex 153 Industrial Organization 106 Informationstechnologie 123, 185, 203, 252 Innovation 229 - Begriff 208 - Innovationstreiber 99 - innovative Geschäftssysteme 98 Innovations-Management 208, 209 - globales 248 Integrator 128 Integrierte Organisation 132 Integriertes Strategisches Management 8 Interessenausgleich 120 Interessengruppen 28 interkulturelle Unterschiede 255 Internal New Venturing 212 Internationale Arbeitsorganisation 75 Internationale Division 243 Internationalisierung - Prozessmodell 225 interne Märkte 170 Invisible Hand 149 ITT 126

J Johnson & Johnson 176

Stichwortverzeichnis

K Keiretsu 151, 178 Kerngeschäft 137, 142 Kernkompetenz 95, 113, 142, 239 Key-Performance Indicators 113 Kinderarbeit 253 Klimawandel 104 Kodak 213 Kohlberg Kravis Roberts 120 Konfiguration 127, 235, 246 Konglomerat 146 Kontingenztheorie 200 Kontrollsysteme 32 Konzern 177 - Begriff 8 Konzernbetriebsrat 178 Konzernstrategie 127 Koordinationsmechanismen 183 Koordinationsstrategie 235 Korruptionsbekämpfung 75 Kostenführerschaft 107 Kräftefeld-Analyse 216 Kunden- und Lieferantenmanagement 182

L Landeskultur 254 Leadership 20, 23, 25, 123 Lean Production 175, 197 Lean-Management 185 Lebenszyklus - einer Organisation 206 - eines Produktes 137, 237 Legal Entities 176, 218 Leistungsindikatoren 54 Leitbild 61, 215 Leitungsspanne 169 Lemken 188 Lenovo 230 Levi’s 146 Liability of Foreignness 237 Lieferantenbeziehungen 150 Lindt 12 lokale Reaktionsfähigkeit 223 Low-Cost-Car 236

Stichwortverzeichnis Lufthansa 3, 102, 110, 216, 257 Luis Vuitton 237 LVMH 238

M Maggi 12 Make or Buy 178 MAN 179 Management 23 - Begriff 5 Managementholding 176, 178 Managementinnovation 196 Managementlehre 6 Managementprozesse - internationale 247 Managerherrschaft 37 Managervergütung 32, 37, 63, 123 Mannesmann 38, 179, 251 Marken-Cluster 102 Market Based View 101, 113 Markt - Definition 102 Markt für Unternehmenskontrolle 33 Markteintrittsstrategie - internationale 234 Marktirrationalismen 65 Marktmacher 129 Mass Customization 109, 123, 201 Massenproduktion 197, 248 Matrix in Mind 250 Matrix-Produktmanagement 182 Matrixstruktur 183, 238, 241 - internationale 244, 246 Matsushita 96 Mattel 74 McDonald‘s 146, 241 McDonald’s 12, 230 McKinsey 14, 53, 70, 78, 135, 166 Mehrlinienorganisation 182 Mehrlinienprinzip 182 Merck 135 Merger & Acquisition 128 M-Form 198, 246 Microsoft 50, 84, 126 Mischkonzern 125

283 Mission 58, 127, 193, 230 Mitbestimmung 27, 29, 58, 61, 62, 120, 178, 222 Moral Hazard 81 Multi-Business-Enterprise 129 multidivisionale Struktur 168, 243 multilokale Strategie 230 Multinational Corporation 176, 222 Multinationaler Konzern 176 Multinationales Unternehmen 222 Multi-Unit-Enterprise 169, 203

N Napster 99 Nestlé 12, 72 Net Operating Assets 51 Netscape 213 Netzwerk 8, 149, 248 - fokales 153 Netzwerkstrategie 147 Netzwerkstruktur 151, 243 Neue Institutionenlehre 198 New Economy 27, 38 New Venture 84 New Venture Division 212 N-Form 198, 246 Nike 153, 242, 251, 252 Nischenstrategie 107 Nitendo 106 Non-Financials 54 Novartis 146 Nutzenversprechen 97 Nutzwert-Analyse 113 NXP 120

O OECD 76 Oetker 125 ökonomischer Gewinn 52 operative Planung 14, 19 Orchestrierer 129 Organisationale Routine 183 Organisationsentwicklung 215 Organisationsgestaltung 123, 164, 166, 196 - internationale 241

284

Stichwortverzeichnis

Organisationskonzepte 175 Organisationskultur 166, 190 Organisationsmodelle - internationale 249 Organisationsprozess 165 Organisationsstruktur - internationale 243 Organisationssystem 165 Organisationstruktur 165 Organisationszweck 16, 58 organisatorischer Wandel 215, 251 Organizational Behaviour 166 Organizational Change 167, 215, 251 Otto 71 Outsourcing 113, 150, 151, 156, 175, 252

Private-Equity 135 Procter & Gamble 84, 213 Product-Divisions-Structure 170 Produktmanagement 182 Profitcenter 150, 170 Projektmanagement 182 Prozessmanagement 175, 182, 249 Prozessorganisation 185 Puma 242

P

Randbelegschaften 252 Realoption 51 Refreezing 216 Relationship Management 185 Renault Logan 236 Reputation 114, 253 Resource Based View 101, 113, 123 Resource Planning System 123 Ressourcen 114 Ressourcen-Ansatz 116, 145 Ressourcenbasis 97, 110, 113, 150 Restrukturierung 120, 145 Reuters 12 Revlon 102 Rhône Poulenc 143, 217, 235 Richemont 135 Risiko - reines 87 - spekulatives 87 Risikolandkarte 90 Risikomanagement 77, 84, 123 Risikoportfolio 86 Risikoüberwachungssystem 32 Risk Map 90 Road Map 120 Rolls-Royce 117 RWE 154

Path Dependencies 117 Pay for Performance 37 PEC 217 People Capabilities 24 Performance 23, 46, 49, 54, 113, 164, 199, 213, 222 - Definition 17 - finanzielle 48 Personalmanagement 123 - internationales 256 PEST Analyse 103, 233 Pfadabhängigkeit 117 Pfizer 213 Philips 120 Piraterie 237 Pixar 207 Planung 20 Planungskalender 14 Planungsperspektive 13 Polaroid 213 polyzentrische Orientierung 232 Porsche 58, 72, 180 Portfoliomanagement 143 Portfolio-Organisation 132 Portfolioperspektive 141 Preussag 251 Pricewaterhouse-Coopers 74 Principal-Agent Theorie 37, 63

Q Quandt 146 Quasi-Hierarchie 153

R

S Salzgitter AG 135

Stichwortverzeichnis Sanofi 143 SAP 123, 217, 257 Schering 257 Scherzinger 55 schöpferische Zerstörung 70 Scientific Management 204 Scoring-Method 113 Sekundärstrukturen 182 Selbstorganisation 168 Service-Profit-Kette 55 Shared Services 132 Shareholder 30, 37 Shareholder Value 27, 45, 63 Shell 68, 70, 251 Siemens 52, 146, 155, 163, 242, 247, 257 Silo-Organisation 185 Simultaneous Engineering 209 Simultaneous Engineering Teams 248 Six Sigma 211 Smart 147 Social Communities 123 Social Networking 217 Societas Europaea 29 Solvay 71 Sony 82, 95, 96, 113, 132 Sourcing-Management 252 Southwest Airlines 15 Southwest-Airlines 98, 110 soziale Marktwirtschaft 29 Sozialplan 120 Spartenorganisation 170, 179 St. Galler-Modell 6 Stakeholder 19, 30, 37, 63, 124, 187 Stakeholder-Value-Ansatz 65, 100 Stammbelegschaft 205 Stammhauskonzern 176, 178 Standortvorteil 226 Start-Up 206, 211 Stewardship Theory 37 Strategem 11 Strategic Business Area 103 Strategic Business Unit 103 strategic intent 69 Strategic Intent 59 Strategie 9

285 - emergierend 11 - Entwicklung der 18 - Erneuerung 145 - Formulierung der 18 - geplant 11 - Implementierung 56 - integrierter Ansatz 16 - internationale 242 - Paradoxie 18 - schrittweise Entstehung 15 - transnationale und Struktur 250 - Umsetzung der 18 - und Organisation 200 Strategieausschuss 34 Strategieimplementierung 55 Strategieinhalt 16 Strategiekontext 16 Strategieparadox 82 Strategieperspektive 10 - evolutionär 20 Strategieprozess 16 strategische Allianz 154 strategische Flexibilität 83, 84 strategische Führung 9 Strategische Geschäftseinheit 103, 137, 145, 150 Strategische Partnerschaft 150, 153, 157 strategische Planung 19 strategische Unternehmensziele 46 Strategischer Wandel 2, 3 Strategisches Geschäftsfeld 103, 145 Strategisches Management 7 strategisches Paradox 82 strategisches Risiko 77, 82, 89 Strategy Formation 11 Strategy Maps 54, 123 Stuck in the Middle 107 Stufenmodell der Internationalisierung 244, 245 Substitutionsgesetz der Organisation 6 Sunk Costs 215 Supply Chain 76 Supply Chain Management 155, 185, 252 Survey Feedback 215 Sustainable-Value-Ansatz 124

286 Svenska Cellulosa Aktiebolaget 23 SWOT-Analyse 117, 140, 233 Synergie 129, 132, 143, 146, 155 Szenario 90, 104

T Tableau de Bord 54 Target Costing 112 Tata 154, 230 Technokratie 26 Technologie 202 Telekom 62 Tensorstruktur 183 Tesla 211 Theorie Y 205 Theorie Z 205 Thyssen 179 Timbuk2 109 Timingstrategien 235 Top-Down 14, 15, 168 Toshiba 154 Total Cost of Ownership 112 Total Quality Management 187, 249 Toyota 59, 66, 89, 115, 151, 156, 185, 197, 251 Transactional Leadership 25 Transaktionskosten 156, 198 Transferpreise 247 transnationale Strategie 232 Transparenz 32 Treuhänder-Theorie 37 Triade 229, 252 Triple Bottom Line 124 TUI 58, 135 Twitter 217 Two-Boss Manager 183

U UAW 66 UBS 81 Umfeldanalyse 103 Umfeldeinflüsse 200 Ungewissheit 78, 209 - strategische 82 UNICEF 74

Stichwortverzeichnis Unity of Command 182 Unternehmen - Begriff 8 Unternehmen im Unternehmen 172 Unternehmensführung - funktionelle Perspektive 5 - institutionelle Perspektive 5 - integrierte strategische 17 - normativ 9 - operativ 9 - ordnungsmäßige 19 - strategische 5, 9 - traditionelle Sicht 5 Unternehmensgruppe 177 Unternehmenskommunikation 64 Unternehmenskonzentration 153 Unternehmenskultur 191, 215, 249 - Begriff 190 - Diagnose 192 Unternehmensleistung 64, 124, 164, 199 - Definition 17 Unternehmensnetzwerk 149, 175, 178, 252 Unternehmensstrategie 125 Unternehmensverfassung 27 Unternehmenswachstum 127 - internationales 226 Unternehmenswert 67 Unternehmenszusammenschluss 178

V Value Based Management 64, 66 Varta 227 Vattenfall 154, 216 VDO Automotive 53 Veba 146 Verfügungsmacht 37 Verhaltensgrundsätze 61 Verhaltenskodex 76 Verité 74 vertikale Integration 151, 153, 156 Verwaltungsrat 29, 63 Virgin 59, 146 Virtual Teams 248, 252 Visible Hand 149 Vision 60

Stichwortverzeichnis

287

visionäre Unternehmen 70 Visteon 251 Vodafone 135 Voice-Option 39 Volkswagen 58, 68, 109, 151, 155, 172, 180, 226, 251, 256 VorstAG 38 Vorstand 29, 84

Widerstand gegen Wandel 209 Wirtschaftsprüfer 33

W

Z

Wachstumsstrategie 127 Webasto 107 Weighted Average Cost of Capital 51 Wertarchitektur 128 Werte 70 Wertemanagement 75 Wertkettenanalyse 111 wertorientierten Unternehmensführung 64, 66 Wertorientierung 52 Wertschichtenspezialist 129 Wertsteigerung 48 Werttreiber 55 Wettbewerbsanalyse 104 Wettbewerbsstrategie 106

Zara 154 Zentralbereiche 170 ZF Friedrichshafen 115 Ziele - Formalziele 47 - nicht-finanzielle 54 - Sachziele 47 Zielkonflikt 119 Zielmarktstrategien 235 Zielsystem 46 - Smart-Anforderungen 47 Zukunftsmanagement 90 Zulieferer 151 Zwang zur Größe 103

X Xerox 95, 142

Y Yahoo 49