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German Pages [360] Year 2013
Unternehmensführung
Strategien – Konzepte – Praxisbeispiele
von
Prof. Dr. Hans-Erich Müller
2., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage
Oldenbourg Verlag München
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2013 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH Rosenheimer Straße 145, D-81671 München Telefon: (089) 45051-0 www.oldenbourg-verlag.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Lektorat: Anne Lennarz Herstellung: Tina Bonertz Titelbild: istockphotos.de Einbandgestaltung: hauser lacour Gesamtherstellung: Beltz Bad Langensalza GmbH, Bad Langensalza Dieses Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706. ISBN 978-3-486-71630-6 eISBN 978-3-486-72901-6
Vorwort zur 2. Auflage Zur Unternehmensführung und zum Strategischen Management gibt es unzählige Veröffentlichungen, die oft sehr ähnlich sind. Dieses Buch ist neuartig, es ist innovativ und bewahrend, anspruchsvoll und praxisorientiert zugleich. Die übliche Gliederung der fünf Kapitel sorgt dafür, dass die Darstellung klar und übersichtlich bleibt. Der Ansatz ist innovativ durch das integrierte Konzept. Das Unternehmen des frühen 21. Jahrhunderts unterscheidet sich von seinen Vorgängern: Die steigende Komplexität und Dynamik der Umwelt stellt die Unternehmensführung stärker als jemals vor die Herausforderung, vielfältige und häufig gegensätzliche Perspektiven zu bewältigen. Beispiele dafür sind die Gratwanderung zwischen radikaler Innovation und Bewahrung des traditionellen Geschäfts oder zwischen globaler Standardisierung und lokaler Anpassung. Es ist also die Praxis, die eine multidimensionale Perspektive fordert. Dieses wiederum fördert die Verbreitung des integrierten Ansatzes in der Managementforschung und -lehre. Mehr Anwendungsorientierung ist notwendig, um die Lücke zwischen Theorie und Praxis zu überwinden. Der Erfolg der ersten Auflage gibt dem Autor die Chance, sich nicht nur bei Lesern und Mitwirkenden zu bedanken, sondern auch den Text zu überarbeiten und vor allem zwei Themen zu vertiefen: Die digitale Revolution verändert die Unternehmenswelt und den Alltag der Menschen, sie gilt als Triebkraft der Globalisierung. Dennoch spielen regionale Grenzen eine wichtige Rolle. 90 Prozent der Menschen werden niemals das Land verlassen, in dem sie geboren wurden, nur 2 Prozent aller Telefongespräche sind international. Rootedness nennt Ghemawat die tiefe Verwurzelung nicht nur der Unternehmen, sondern auch der Mitarbeiter und Kunden in ihrem Herkunftsland. Planung ist eine Antwort zur Bewältigung von Komplexität, reicht aber nicht. Ich lade Sie zu einer kleinen Übung ein, vorausgesetzt Sie sitzen. Heben Sie Ihren rechten Fuß und machen Sie damit kreisförmige Bewegungen im Uhrzeigersinn. Dann schreiben Sie, während Sie dies tun, mit Ihrer rechten Hand eine „6“ in die Luft. Ihr Fuß wird seine Richtung ändern. Haben wir also alles unter Kontrolle? Kaum, denn Vieles entsteht einfach. Um Orientierung geht es also; nicht nur um Antworten, sondern auch um die richtigen Fragen, um das, was wichtig ist. „Tun Sie nur das, was Sie am besten können, für den Rest gibt es Links“, hat jemand dazu gesagt. Ausgewählte Videoclips zu jedem Kapitel sind im Blog zum Buch „Selected Management Videos“ zu finden. Weitere Zusatzmaterialien stellt der Oldenbourg Verlag auf seiner Homepage bereit. Selected Management Videos Aktuelle und unterhaltsame Videoclips zu jedem Kapitel von Unternehmensführung: http://selmanvid.wordpress.com Berlin, im Dezember 2012 Hans-Erich Müller
Vorwort zur 1. Auflage Ein Flugexperte deutet auf eine Taube und sagt: „Tauben zum Beispiel fliegen falsch.“ Ist die Managementlehre ähnlich weltfremd? Bis zur jüngsten Finanz- und Wirtschaftskrise dominierte eine eindimensionale Sicht: die Orientierung am Gewinn, am Kapitalmarkt und Shareholder-Value. Kritiker hoben demgegenüber die gesellschaftliche Verantwortung des Unternehmens hervor, die Notwendigkeit, sich an den unterschiedlichen Interessen der Anspruchsgruppen, den sogenannten Stakeholdern, auszurichten. Interessant ist dabei, dass keine der beiden Seiten allein Recht zu haben scheint. Entscheidungsträger müssen heute integrierte Lösungen in komplexen und dynamischen Situationen entwickeln. In diesem Buch betrachtet der Leser ein Thema aus gegensätzlichen Perspektiven und entwickelt damit ein realitätsnäheres Bild. Er gewinnt dadurch vertiefte analytische Kenntnisse und denkt in Alternativen und Handlungsspielräumen. Darüber hinaus lässt sich der Text durch den klaren, traditionellen Aufbau und viele Praxisbeispiele gut verstehen und anwenden. Der vorliegende Ansatz wird auch durch eine neue Veröffentlichung des kanadischen Strategieprofessors Roger Martin in der Harvard Business School Press bestätigt. Danach unterscheidet die Fähigkeit, zwei oder mehr gegensätzliche Ideen festhalten und wenn möglich zu einer Managementinnovation zusammenführen zu können, wirklich erfolgreiche Führungspersönlichkeiten von konventionellen Denkern. Darum geht es auch im vorliegenden Buch. Handlungsspielräume der Unternehmensführung werden ausgelotet, indem unterschiedliche Perspektiven dargestellt und zu einem praxisrelevanten Ansatz gebracht werden. Theorie und Praxis entwickeln sich gerade durch unterschiedliche Perspektiven und Kontroversen, etwa zu Outsourcing und sozialer Verantwortung. Populäre Managementfibeln können diesem Anspruch nicht genügen. Auch manch dickleibiges wissenschaftliches Werk zu Unternehmensführung, Management und Strategie ist nicht zu bewältigen – nicht nur vom Leser, der in der Praxis steht, sondern auch vom Studierenden oder Lehrenden. Vielfach ist das auch nicht nötig, weil Begriffe, Themen und Unternehmensbezüge heute multimedial im Internet erlebt werden können. Zur Vertiefung gibt es allerdings nichts Besseres, deshalb hier die Verweise auf Quellen, in denen das Thema ausführlicher dargestellt ist. Heute kommt es weniger darauf an, auf jedes Detail eine Antwort zu wissen, sondern darauf, die richtigen Fragen zu stellen und dafür Lösungen zu suchen. Die Rolle des Menschen ändert sich, auch in der Managementlehre. Ein Meilenstein dabei war die Auseinandersetzung mit der schlanken Produktion (Lean Production), die Anfang der 1990er Jahre begann. Nicht mehr die Rationalisierung, der Ersatz von Menschen durch Maschinerie in der Massenproduktion, sondern die Wiederentdeckung des Menschen als Erfolgsfaktor in der flexiblen und individualisierten Produktion stand nun im Zentrum. Heute kämpft General Motors, das führende Unternehmen der Massenproduktion des vergangenen
VIII
Vorwort zur 1. Auflage
Jahrhunderts, mit erheblichen Problemen, während Toyota, unerreichtes Vorbild der schlanken Produktion, zur Nr. 1 in der Autobranche aufgestiegen ist. Viele Managementprinzipien von Toyota setzten bei den Menschen an: „Zuerst bauen wir auf Menschen, dann bauen wir Autos,“ bemerkte Fujio Cho, vormals Vorsitzender der Toyota Motor Corporation, einmal dazu. Strategien werden entwickelt und umgesetzt durch die Menschen und die Organisation. Strategien scheitern, wenn Menschen, die die Strategie mit Leben erfüllen müssen, zu wenig beachtet werden. Ein Buch wie dieses hat vielfältige Quellen. Inspiriert hat mich vor allem Strategy von Bob de Wit und Ron Meyer von der Maastricht bzw. Rotterdam School of Management. Darin werden, ergänzend zur systematischen Darstellung, Originaltexte renommierter Autoren abgedruckt, die nicht nur kontrovers sind, sondern eine Vielzahl paradoxer Perspektiven belegen. Zuvor hat mich schon die Strategy Safari, ein Buch des international bekannten Managementforschers Henry Mintzberg mit seiner Kritik an etablierten Lehrmeinungen begeistert. Schließlich habe ich dann, auf der Suche nach Zusammenführung der unterschiedlichen Perspektiven, den Text Das Konzept Integriertes Management von Knut Bleicher, dem Mitbegründer des St. Galler Management Modells, erneut durchgesehen. Ziel war es ein Buch zu schreiben, das zugleich klar und anspruchsvoll ist, das sowohl für die Lehre an Hochschulen geeignet ist als auch für die Praxis. Wie bei anderen Beiträgen zum Themenbereich Strategisches Management und Unternehmensführung auch, beginnt der Ihnen vorliegende Text mit einem einführenden Kapitel, in dem die Grundlagen und der Ansatz erläutert werden. Auch die Überschriften der folgenden Kapitel – Ziele, Strategien, Organisationsgestaltung und internationale Strategie und Organisation – verweisen auf eine klare, konventionelle Struktur. Erst die nähere Auseinandersetzung zeigt, dass es sich um einen neuartigen Ansatz handelt, der zur heutigen Komplexität und Dynamik des wirtschaftlichen Umfeldes passt. Viele Beispiele aus der Praxis illustrieren die systematische Darstellung und regen zum Nachdenken und Vergleich an. Nützliche Online-Medien sind unter www.oldenbourg.de verfügbar. An dieser Stelle danke ich allen, die mich unterstützt haben. Das sind zuerst die Hochschule für Wirtschaft und Recht, Berlin, und die Hans Böckler Stiftung, Düsseldorf, die dieses Projekt gefördert haben. Zu bedanken habe ich mich insbesondere bei Andreas Scheel, Bea Ruoff, Cassio Möbius, Christoph Dörrenbächer, Edeltraut Baumgart, Gunther Begenau, Jörg Sydow, Jürgen Krack, Marion Weckes, Martin Wrobel, Matthias Müller, Sebastian Campagna und Thomas Wolke für Anregungen, Kritik und Verständnis. Über weitere Ideen und Verbesserungsvorschläge an [email protected] freue ich mich. Berlin, im Februar 2010
Hans-Erich Müller
Inhalt Vorworte Verzeichnis der Praxisbeispiele 1
Grundlagen
V XIII 1
Überblick....................................................................................................................2 Einstiegsfall: Strategischer Wandel bei Lufthansa .....................................................3 1.1 1.1.1 1.1.2
Von der Planung zur Strategie................................................................................4 Unternehmensführung aus traditioneller Sicht ...........................................................5 Wandel der Managementlehre....................................................................................7
1.2 1.2.1 1.2.2
Handlungsspielräume durch Strategieperspektiven ...........................................11 Strategieperspektiven ...............................................................................................11 Strategie – ein integrierter Ansatz ............................................................................17
1.3 1.3.1 1.3.2 1.3.3
Die Kunst der Führung..........................................................................................23 Integrative versus konventionelle Führung ..............................................................23 Leadership versus Management ...............................................................................25 Persönliche versus systemische Führung .................................................................28
1.4 1.4.1 1.4.2
Unternehmensverfassung und Corporate Governance.......................................31 Rahmenbedingungen ................................................................................................31 Theoretische Bezugspunkte......................................................................................42 Zusammenfassung ....................................................................................................50 Fragen zur Diskussion ..............................................................................................50
2
Ziele
53
Überblick..................................................................................................................54 Einstiegsfall: Visionswechsel bei Daimler ...............................................................55 2.1
Zielsystem................................................................................................................56
2.2 2.2.1 2.2.2
Wertsteigerung .......................................................................................................58 Ökonomischer und buchhalterischer Gewinn...........................................................58 Ergänzung um nicht-finanzielle Ziele ......................................................................66
2.3
Mission des Unternehmens ....................................................................................70
X
Inhalt
2.4 2.4.1 2.4.2
Gewinn versus Verantwortung ............................................................................. 74 Wertsteigerung und Werte ....................................................................................... 74 Verantwortung gegenüber der Gesellschaft ............................................................. 82
2.5 2.5.1 2.5.2
Strategie unter Unsicherheit ................................................................................. 89 Strategische Risiken ................................................................................................. 89 Enterprise Risk Management ................................................................................... 98 Zusammenfassung..................................................................................................106 Fragen zur Diskussion............................................................................................107
3
Strategien
109
Überblick................................................................................................................110 3.1 3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.1.4 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.3.4
Geschäftsstrategie ................................................................................................ 111 Einstiegsfall: Canon und Sony – Wurzeln des Erfolgs .......................................... 111 Elemente des Geschäftssystems ............................................................................. 113 Chancen und Bedrohungen: Produktangebot und Positionierung am Markt ......... 120 Stärken und Schwächen: Aktivitätssystem und Ressourcenbasis .......................... 129 Strategieformulierung und -umsetzung .................................................................. 136 Unternehmensstrategie ........................................................................................ 144 Einstiegsfall: Die Rückkehr der Konglomerate...................................................... 144 Konfiguration des Unternehmens........................................................................... 146 Portfolio-Organisation oder integrierte Organisation? ........................................... 152 Kontinuierlicher Wandel oder schöpferische Zerstörung?..................................... 156 Diversifikation oder Kerngeschäft? ....................................................................... 158 Netzwerkstrategie................................................................................................. 169 Einstiegsfall: Smart in Hambach – ein Unternehmensnetzwerk ............................ 169 Unternehmen, Markt und Netzwerk....................................................................... 170 Eigenständige versus eingebettete Organisation .................................................... 175 Make, Buy und Cooperate...................................................................................... 177 Outsourcing, Offshoring und Crowdsourcing ........................................................ 178 Zusammenfassung..................................................................................................187 Fragen zur Diskussion............................................................................................188
4
Organisationsgestaltung
189
Überblick................................................................................................................190 Einstiegsfall: Siemens – Kulturrevolution durch neue Strukturen? ....................... 191 4.1
Herausforderungen der Organisationsgestaltung ............................................. 192
4.2 4.2.1 4.2.2
Primäre Strukturen der Organisation ............................................................... 196 Von der funktionalen zur multidivisionalen Struktur............................................. 196 Zentrale und dezentrale Führung im Konzern........................................................ 204
4.3 4.3.1
Prozesse, Projekte und Menschen....................................................................... 211 Sekundärstrukturen ................................................................................................ 212
Inhalt
XI
4.3.2 4.3.3
Koordination, Kontrolle und Beteiligung...............................................................214 Prozessorganisation ................................................................................................216
4.4 4.4.1 4.4.2
Organisationskultur .............................................................................................222 Eine gesunde Organisationskultur? ........................................................................222 Wechselwirkung zwischen Organisationskulturen, -strukturen und -prozessen ....225
4.5 4.5.1 4.5.2 4.5.3 4.5.4 4.5.5
Einflussgrößen der Organisationsgestaltung .....................................................228 Organisation im Strategiekontext ...........................................................................228 Umfeld und Strategie..............................................................................................232 Technologie............................................................................................................234 Menschen ...............................................................................................................237 Entwicklungsphasen...............................................................................................240
4.6 4.6.1 4.6.2 4.6.3
Innovationsmanagement......................................................................................243 Integration versus Separierung ...............................................................................243 Innovation versus Effizienz....................................................................................246 Interaktion im Netzwerk.........................................................................................250
4.7 4.7.1 4.7.2
Change Management ...........................................................................................251 Gefahren der Strategieumsetzung...........................................................................251 Widerstand gegen Wandel......................................................................................253 Zusammenfassung ..................................................................................................257 Fragen zur Diskussion ............................................................................................258
5
Internationale Strategie und Organisation
259
Überblick................................................................................................................260 Einstiegsfall: Schwierige Anpassung – IKEA in Japan..........................................262 5.1 5.1.1 5.1.2 5.1.3 5.1.4
Strategien der Internationalisierung ..................................................................265 Chancen identifizieren............................................................................................265 Global versus local – internationale Orientierung festlegen...................................271 Optionen auswählen ...............................................................................................274 Risiken kontrollieren und Ergebnisse erzielen .......................................................279
5.2
Organisation im internationalen Kontext ..........................................................280 Einstiegsfall: ABB – Aufstieg und Fall eines Modells...........................................280 Bereiche internationaler Organisationsgestaltung ..................................................283 Internationale Organisationsstrukturen...................................................................287 Internationale Managementprozesse und -systeme ................................................291 Organisatorischer Wandel und Kulturen im internationalen Umfeld .....................298 Herausforderungen für das internationale Personalmanagement ...........................304
5.2.1 5.2.2 5.2.3 5.2.4 5.2.5
Zusammenfassung ..................................................................................................311 Fragen zur Diskussion ............................................................................................312 Literatur
313
Stichwortverzeichnis
335
Verzeichnis der Praxisbeispiele Strategischer Wandel bei Lufthansa .......................................................................................3 Strategie und List – China denkt anders.................................................................................12 Coca-Cola – über Intuition, Glück und Marketing ................................................................13 Führungskräftebeurteilung bei Daimler und SCA.................................................................26 BASF zur Corporate Governance...........................................................................................35 Stärken und Schwächen des E.ON-Aufsichtsrats ..................................................................39 Den Vorstand bewerten und entwickeln.................................................................................41 Die große Gier ........................................................................................................................45 Visionswechsel bei Daimler ..................................................................................................55 Nachhaltige Wertsteigerung mit One Siemens......................................................................64 Zur Mission von Toyota ........................................................................................................72 Nestlé und CSR – mehr als Greenwashing? ..........................................................................84 Rückruf bei Mattel.................................................................................................................85 BMW und Deutsche Bank – Prognosen in der Krise............................................................92 Aufstieg und Fall der UBS .....................................................................................................93 Prüfkatalog zum Risikomanagementsystem.........................................................................101 Risikomanagement in der BASF-Gruppe.............................................................................103 Canon und Sony – Wurzeln des Erfolgs..............................................................................111 Aldi, Zara und Amazon – Positionierung im Einzelhandel ................................................115 Wie Hilti zum Dienstleister wurde.......................................................................................119 Beyerdynamic – Positionierung als Audiospezialist ...........................................................127 Toyota – Erfolg durch Zulieferpartner.................................................................................134 IBM, Philips, NXP und die Halbleiterfertigung in Böblingen ............................................139 Die Rückkehr der Konglomerate..........................................................................................144 Synergie oder Autonomie bei der Deutschen Telekom ......................................................151 Synergie bei Apple...............................................................................................................153 Das verlorene Jahrzehnt von Microsoft ...............................................................................157 Z AG – über Cash Cows und Poor Dogs .............................................................................161 Honda – Theorie und Praxis ................................................................................................162
XIV
Verzeichnis der Praxisbeispiele
Hoechst – von der Diversifikation zum Kerngeschäft......................................................... 164 BASF-Stammwerk Ludwigshafen – Stabilisierung im Verbund ......................................... 165 Novartis – Schweizer Pharmariese erweitert Geschäftsbasis .............................................. 168 Smart in Hambach – ein Unternehmensnetzwerk ............................................................... 169 Lieferantenbeziehungen bei Toyota, General Motors und Volkswagen ........................... 173 Infosys – Mit Offshoring zum Global Player....................................................................... 180 Crowdsourcing bei IBM – Licht und Schatten .................................................................... 181 Mi Adidas – gestalte dich selbst.......................................................................................... 183 Siemens – Kulturrevolution durch neue Strukturen? ........................................................... 191 General Motors – die Entstehung der multidivisionalen Struktur ...................................... 200 Johnson & Johnson – Zentralisierung von Entscheidungen .............................................. 209 Googles innovative Managementarchitektur ....................................................................... 211 Lemken GmbH & Co. KG – Reorganisation bei einem Mittelständler............................... 220 E-AG – beschäftigen statt entlassen .................................................................................... 239 Steve Jobs und Apple, Eric Schmidt und Google................................................................ 241 Procter & Gamble unter Kreativitätsdruck ........................................................................ 245 3M – Spannung zwischen Innovation und Effizienz............................................................ 248 Entscheidungen auf dem Prüfstand ...................................................................................... 253 Schwierige Anpassung – IKEA in Japan............................................................................. 262 Varta Microbatterie – der Standort Deutschland wird wieder attraktiver ......................... 266 Tata – indischer Mischkonzern kauft Jaguar....................................................................... 270 Dezentrale Zentralisierung beim Renault Logan................................................................. 277 ABB – Aufstieg und Fall eines Modells .............................................................................. 280 Sind Nike und Adidas für ihre Lieferanten verantwortlich?................................................ 299
1
Grundlagen Grundlagen der Unternehmensführung
Umwelt
Strategien
Organisationsgestaltung Internationale Strategie und Organisation
Unternehmensleistung
Ziele
Internationale Strategie und Organisation
Abb. 1.1
Kapitelübersicht
Im ersten Kapitel erfahren Sie: Was man unter Unternehmensführung und Management versteht. Warum strategische Fragen wichtiger geworden sind. Warum es sinnvoll ist, unterschiedliche Strategieperspektiven wahrzunehmen und diese zu integrieren. Worin sich Leadership und traditionelle Führung unterscheiden. Welche Bedeutung die Unternehmensverfassung und das Thema Corporate Governance für die Unternehmensführung haben und welche Erklärungsansätze einschlägig sind.
2
1 Grundlagen
Überblick Unternehmen passen sich veränderten Umweltbedingungen an, beeinflussen diese aber auch selbst mit ihren Strategien. Ein Beispiel dafür ist der folgende Einstiegsfall Lufthansa. Was aber sind Strategien? Wie wir sehen werden, gibt es sehr unterschiedliche Definitionen. Eine davon ist: Strategien sind zielgerichtete, grundlegende Entscheidungen, im Unterschied zu denen des operativen Alltags. Nicht nur das Top-Management ist gefordert, wenn es darum geht, Ziele zu formulieren, Strategien zu entwickeln und strategischen Wandel (Strategic Change) zu bewältigen. Strategischer Wandel kann grundlegend und umwälzend sein – ausgelöst etwa durch die Deregulierung der Märkte, technologische Revolutionen oder Wirtschaftskrisen – oder aber nur schrittweise und in Teilbereichen ablaufen, wie bei der Entwicklung eines neuen Geschäftsfelds, mit dem Wettbewerbsvorteile erzielt werden sollen. Im Kapitel 1.1 „Von der Planung zum Strategie“ wird zunächst geklärt, warum das Thema Strategie relevant ist. Anschließend geht es um mehr, als nur den Themenbereich Strategie, Unternehmensführung und Management näher einzugrenzen. Vielmehr wird sich zeigen, dass es unterschiedliche Schulen, Richtungen, Perspektiven gibt. Es ist hier ähnlich wie in der Physik, in der das Licht sowohl als Teilchen als auch als Welle betrachtet werden kann. Strategien werden geplant, entstehen aber auch ungeplant im Strategieprozess. Im Kapitel 1.2 „Handlungsspielräume durch Strategieperspektiven“ wird die Vorgehensweise in diesem Buch erklärt. „Yes, we can change“: Dieser bekannte Satz von Barack Obama zeigt, dass es nicht nur auf die Ziele und Strategien ankommt, sondern auch auf die handelnden Personen, auf griffige Slogans und die Art und Weise, wie geführt wird. Im Kapitel 1.3 „Leadership oder die Kunst der Führung“ werden dazu einige Eckpunkte skizziert. Thema im Kapitel 1.4 „Unternehmensverfassung und Corporate Governance“ ist schließlich, wer unter welchen Rahmenbedingungen führt. Führung und Strategie sind Begriffe, die heute in nahezu jedem Lebensbereich angewendet werden. Hier soll es vor allem um Organisationen, insbesondere Unternehmen gehen. An dieser Stelle noch wenige Bemerkungen, die insgesamt gelten. (1) Ein Buch zum vorliegenden Themenbereich kann nicht kompakt und umfassend zugleich sein. Knappe Literaturhinweise sollen zur Vertiefung anregen. Auf Seitenangaben im Text wird verzichtet, um die Lesbarkeit zu verbessern. (2) Ungewöhnlich viele Originalzitate werden nicht paraphrasiert, sondern wiedergegeben; Leitbild ist eine authentische und lebendige Darstellung. (3) Zitate in englischer Sprache wurden soweit wie möglich übersetzt, aber englische Fachbegriffe oftmals beibehalten, weil Anglizismen in der Praxis sehr verbreitet sind. (4) Einige Unternehmen werden im Text und in den Praxisbeispielen besonders häufig genannt: Zum einen deshalb, weil sich an ihnen etwas zeigen lässt, zum anderen weil sie als integrierende Fallstudien für dieses Buch dienen. Weitere interessante Beispiele sind willkommen und finden sich im Video-Blog.
1 Grundlagen
3
Einstiegsfall: Strategischer Wandel bei Lufthansa Im Spätsommer 2012 stehen bei der Lufthansa die Zeichen auf Sturm. Mit einem Milliarden-Sparprogramm und der Neuordnung des Geschäfts durch eine Geschäftseinheit, die im Tiefpreissegment agiert, sollen die Verluste im Europaverkehr begrenzt werden. Flugbegleiter rüsten sich für Streikaktionen. Bereits drei Jahre zuvor wurde die geplante Neuausrichtung bekannt. Lufthansa-Vorstand Christoph Franz erklärte damals: „Wir müssen uns ändern, oder wir fallen zurück.“ Die größte deutsche Fluglinie will mit eiserner Kostendisziplin und neuen Geschäftsmodellen auf Europas profitable Billigflieger und die aggressive Konkurrenz aus den Golf-Staaten antworten. Air Berlin, zweitgrößter Konkurrent mit hohen Verlusten, kontert mit dem Ausbau des Langstreckennetzes durch eine Allianz mit Etihad Airways, der drittgrößten Fluggesellschaft der Golfregion. Die deutsche Lufthansa ist eine der wenigen erfolgreichen etablierten Fluggesellschaften in der von Krisen geschüttelten Luftfahrtbranche. Mit der Deregulierung, die 1978 in den USA begann, verschlechterte sich die Situation der zuvor staatlichen Fluggesellschaften. Rekordverluste von über 1 Mrd. DM (511 Mio. Euro) im Jahr 1992 zeigten, dass Lufthansa ein Sanierungsfall geworden war. Wenige Jahre später, im Juni 1999, konnte der damalige Vorstandsvorsitzende Jürgen Weber mit 2,5 Mrd. DM (1,3 Mrd. Euro) die höchsten Gewinne in der Unternehmensgeschichte berichten. Die Wende war geschafft: Lufthansa war zu einer der weltweit führenden Fluggesellschaften und zum Gründungsmitglied der Star Alliance, dem größten globalen Netzwerk der Airlines, aufgestiegen – ein Erfolg, der trotz widriger Bedingungen bis heute anhält. Nur wenige Luftfahrtunternehmen sind in dieser bis heute von Unsicherheiten geprägten Branche erfolgreich. Hinzu kommen die Konkurrenz der Billigflieger, drastisch erhöhte Ölpreise und ein steigendes Umweltbewusstsein – Bedingungen die viele Konkurrenten, aber auch Partner (wie Varig und United) in die Krise trieben. Außerdem wird, so heißt es, das meiste Geld nicht durch den Flugbetrieb sondern am Boden verdient. Wie sollten die nationalen Fluggesellschaften reagieren? Diversifizieren oder im Kerngeschäft wachsen? Ihre Märkte gegen Billigflieger abschotten und den Wettbewerb mit ähnlichen Geschäftsmodellen aufnehmen? Eigene Billigfluglinien gründen bzw. kaufen oder sich über ein höherwertiges Angebot differenzieren? Vieles spricht dafür, dass die Lufthansa ihre Fähigkeiten zum strategischen Wandel in diesen Krisenjahren nach der Privatisierung erworben hat. Im Sommer 1992 wurde vom Vorstand ein Maßnahmenpaket in Milliardenumfang beschlossen und vom Aufsichtsrat gebilligt, das neben dem sozialverträglichen Abbau von Arbeitsplätzen und der Senkung der Sachkosten auch die Steigerung der Erlöse zu etwa gleichen Teilen vorsah. Zu den Sanierungsmaßnahmen gehörte zudem die Ausgliederung von Unternehmensteilen und Fremdvergabe. Maßgeblich aber war, dass diese Maßnahmen mit der glaubwürdigen Beteiligung der Betroffenen entwickelt wurden. Jürgen Weber: „Für den Turnaround entscheidend war, dass wir den Beschäftigten freimütig die Situation erklärt haben. Dadurch konnten wir gemeinsame Ziele zwischen Mitarbeitern, Managern, Betriebsräten und Gewerkschaften entwickeln.“
4
1 Grundlagen
Wird der strategische Wandel auch diesmal gelingen? Lufthansa wendet sich nun verstärkt an Touristen. Dazu gehört die Online-Plattform „Lufthansa Holidays“, die das Unternehmen in Kooperation mit TUI Travel und Thomas Cook eingerichtet hat. Die Billigfluggesellschaft Germanwings, die man zuvor weitgehend eigenständig laufen ließ, weil man Kannibalisierungseffekte befürchtete, wird in den Konzern integriert und als eigenständige Zweitmarke verankert. Lufthansa bedient die Langstreckenflüge und Zubringerflüge für seine Heimatbasen Frankfurt und München, Germanwings übernimmt die verbleibenden Flüge. Lufthansa folgt damit nicht dem hybriden Geschäftsmodell von Air Berlin, das die Vorzüge der Billigflieger, wie Kosteneinsparungen und geringe Typenvielfalt, mit den klassischen Vorzügen eines etablierten Konkurrenten, wie Verpflegung ohne Aufpreis und die Nutzung zentral gelegener Flughäfen, zu verbinden sucht. Hierbei besteht die Gefahr, zwischen den Stühlen zu sitzen, weil die Servicekultur und die Loyalität von Kunden und Mitarbeitern auf der Strecke bleiben. Um Konkurrenten wie Easyjet und Ryanair anzugreifen, die bei Billigflügen in Europa bereits einen Marktanteil von rund 30 Prozent erreichen, wird ein Tandemmodell verfolgt. Das haben andere allerdings auch schon versucht: British Airways (GoFly), Delta (Song) und KLM (Buzz) sind damit gescheitert. Die Chancen steigen, wenn sich beide Geschäftsmodelle ergänzen und nicht ersetzen. Das scheint bei Lufthansa & Germanwings der Fall zu sein. Die chilenische LAN kombiniert Passagier- und Frachtgeschäft auf den gleichen Linien. Wäre das eine Alternative? Fragen: 1. Was hat den strategischen Wandel damals wie heute bei Lufthansa ausgelöst und wie hat das Unternehmen darauf reagiert? 2. Welche Aufgaben haben Vorstand und Aufsichtsrat dabei? 3. Kennen Sie Fälle, in denen Wandlungsprozesse weniger konsensorientiert ablaufen? Wenn ja, warum? 4. Wie entsteht strategischer Wandel? Finanziell oder qualitativ getrieben? Geplant oder ungeplant? Quellen: Bruch, H. & Ghoshal, S.: Lufthansa 2000. Maintaining the Change Momentum. London Business School Case-Study, London 2001; Casadeus-Masanell, R. & Tarziján, J.: When One Business Model Isn’t Enough. In: Harvard Business Review 2012, Januar-Februar, S. 132–137; Mölleney, M. & Arx, S.v.: „Management of change“ bei Lufthansa – durch teamorientierte interne Sanierungsgruppen. In: Wunderer, R. &. Kuhn, T. (Hrsg.): Innovatives Personalmanagement. Neuwied et al. 1995, S. 527–554; Rall, W. & König, B. (Hrsg.): Branchen von morgen. Köln 2006; Tywuschik, S. und Steger, U.: Lufthansa: Going Global, but how to manage complexity? IMD Case-Study, Lausanne 2007; Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 17.9.2009, 9.8.2012 und 12.10.2012; Manager Magazin 2012, Nr. 8.
1.1
Von der Planung zur Strategie
Unternehmen und Märkte gehören zu den wichtigsten Institutionen in Wirtschaft und Gesellschaft. Der Einstiegsfall macht deutlich, dass Veränderungen des Marktumfeldes Entscheidungen der Unternehmensführung beeinflussen, dass aber Unternehmen auch umgekehrt Märkte verändern (vgl. Abb. 1.1). Zur Unternehmensumwelt gehören nicht nur Märkte und andere Branchenbedingungen, sondern weitere politische, ökonomische, sozio-
1.1 Von der Planung zur Strategie
5
kulturelle, technologische, ökologische und rechtliche Rahmenbedingungen. Wichtige Rahmenbedingungen bei einer Fluggesellschaft, wie der Lufthansa, sind beispielsweise der Grad der Deregulierung und Privatisierung, die Nachfrage nach Transportleistungen und Service, die Erwartungen von Mitarbeitern und Kunden, die Entwicklung neuer Großraumflugzeuge sowie Umweltauflagen und Überflugrechte. Die Unternehmensleistung (Performance) ist ein Ergebnis der Entscheidungen und Aktivitäten des Unternehmens, sie hängt aber auch unmittelbar von den Rahmenbedingungen ab. Welche Lösungsansätze bieten die traditionelle und die moderne Managementlehre für diese Herausforderungen?
1.1.1
Unternehmensführung aus traditioneller Sicht
Die klassische Begriffsbestimmung zur Unternehmensführung stammt von Erich Gutenberg, dem Altmeister der deutschen Betriebswirtschaftslehre. Danach ist die Aufgabe der Unternehmensleitung, des dispositiven Faktors, die Kombination der elementaren Produktionsfaktoren menschliche Arbeitsleistungen, Betriebsmittel und gegebenenfalls Werkstoffe. Zu den Merkmalen echter Führungsentscheidungen der Unternehmensleitung gehören danach „zweifellos diejenigen, die für den Bestand und die Zukunft des Unternehmens von unmittelbarer Bedeutung sind und die nur aus dem Ganzen des Unternehmens heraus getroffen werden können.“ (Gutenberg 1962, S. 61) Zu den echten Führungsentscheidungen gehören konkret: Die Festlegung der Unternehmenspolitik auf weite Sicht, also die Planung. Je ferner die Zukunft ist, desto eher kommen Unsicherheiten ins Spiel. Die Koordinierung der großen Teilbereiche des Unternehmens, also der Geschäftsbereiche und Funktionen, wie Beschaffung, Produktion und Absatz. Die Bearbeitung aktueller Probleme, wenn ohne sie die Durchführung der geschäftspolitischen Planung gefährdet erscheint. Extremfälle sind etwa eine drohende Insolvenz oder eine feindliche Übernahme. Die Bearbeitung bedeutender Geschäftsvorfälle. Diese sind in der Geschäftsverteilung im Vorstand oder in der Satzung des Aufsichtsrates als Katalog zustimmungspflichtiger Geschäfte geregelt. Die Besetzung der Führungsstellen im Unternehmen. Bei der Unternehmensführung wird zwischen der institutionellen Perspektive („Wer führt?“) und der funktionellen Perspektive („Wodurch wird geführt?“) unterschieden. Als Management wird die Gruppe von Personen in Organisationen bezeichnet, die das Recht besitzt, anderen Personen Weisungen zu erteilen. „Für diese von der Unternehmensleitung bis in die kleinsten betrieblichen Führungseinheiten reichende Gruppe fehlt im deutschen Sprachgebrauch ein entsprechender Ausdruck“ (Gutenberg 1962, S. 20), auch deshalb hat sich dieser Begriff inzwischen durchgesetzt. Das ändert aber nichts daran, dass neben dem Management noch zwei weitere Zentren der Willensbildung vorliegen: die Eigentümer- und Arbeitnehmervertreter (vgl. Kap. 1.4). Die Managementlehre wiederum ist nun keine Lehre ausschließlich nur für Manager sondern eine für alle an Führung und Management beteiligten Gruppen und Akteure. Statt „Unternehmensführung“ könnte es im Folgenden auch jeweils „Management“ heißen. Insbesondere um die im Einstiegsfall bereits angesprochenen strategischen Fragen, also um das Strategische Management, geht es hier.
6
1 Grundlagen
Die funktionelle Perspektive geht von den Instrumenten der Unternehmensführung aus, die herkömmlich als Planung, Organisation und Kontrolle beschrieben werden. Sie werden als Querschnittsfunktionen verstanden, die Sachfunktionen wie Beschaffung, Produktion, Absatz, Investition & Finanzierung sowie Rechnungswesen steuern und kontrollieren. Ein Betriebsleiter beispielsweise hat Führungsfunktionen bei der Formulierung und Umsetzung der Produktionsziele, plant dazu die Herstellung der Produkte, organisiert die Umsetzung dieser Planung und kontrolliert die Zielerreichung. Im Folgenden wird sich zeigen, dass diese traditionelle Bestimmung der Aufgaben der Unternehmensführung nicht mehr ausreicht. Nach Erich Gutenberg (1958, S. 20 ff.) sind diese Funktionen wie folgt definiert: Die Planung ist ein Mittel, um die Ziele eines Unternehmens zu erreichen, und bedeutet stets, „eine Ordnung zu entwerfen, nach der sich bestimmte Geschehnisse vollziehen sollen bzw. nach der sich die Personen zu richten haben, die dieser Ordnung unterworfen sind“ (ebd. S. 47). Dabei hat kein betrieblicher Teilbereich eine Vorrangstellung, sondern die Planung hat sich auf den jeweils schwächsten Teilbereich einzustellen (Ausgleichsgesetz der Planung). Ein solcher Minimumsektor oder Engpassfaktor kann zeitweise beispielsweise die finanzielle Sphäre sein, wie dies bei Porsche und Schaeffler in der Folge von Übernahmen in den Jahren 2008/09 der Fall war. Die Organisation ist neben der Planung das zweite Führungsinstrument, das die Unternehmensführung benutzt, um die gesetzten Ziele und die Planungen, in denen diese Zielsetzungen ihren Niederschlag gefunden haben, umzusetzen. Aus dem instrumentalen Charakter der Organisation folgt, dass sie aus Regelungen besteht, nach denen sich bestimmte Vorgänge vollziehen sollen. Dabei besteht die Tendenz, soweit als möglich fallweise Entscheidungen durch generelle Regelungen zu ersetzen (Substitutionsgesetz der Organisation). „Arbeitsbeginn um 7 Uhr“ oder „keine Buchung ohne Beleg“ sind solche generellen Regelungen. Das kann auch zur Überorganisation führen, denn einige Regelungen werden heute als zu bürokratisch, als übermäßig wahrgenommen. Die Kontrolle schließlich dient dazu, Abweichungen zu erkennen und gegebenenfalls gegenzusteuern. Dazu gehört auch die Überprüfung der Unternehmensziele. Dafür hat sich heute der Begriff Controlling durchgesetzt. Ziel des Controllings ist es, das unternehmenspolitisch Erstrebte konkret zahlenmäßig abzubilden. Es gilt der Leitsatz: „Was du nicht messen kannst, kannst du nicht steuern.“ Führungs- und Sachfunktionen insgesamt bilden den Gegenstand der Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre. Internationale bzw. branchenspezifische Sachverhalte werden in speziellen Betriebswirtschaftslehren, wie der Bankbetriebslehre oder Industriebetriebslehre, dargestellt (vgl. Wöhe & Döring 2010). Als angewandte Wissenschaft gibt die Betriebswirtschaftslehre Handlungsempfehlungen. „Aller Anfang ist schwer, gilt in jeder Wissenschaft“, hat mal jemand gesagt. Wem die Zeit und die Mittel fehlen, um sich mit den entsprechenden dickleibigen Wälzern auseinanderzusetzen und wem selbst das vorliegende Buch, trotz aller Kürze, noch zu viel ist, der muss zu knappen und leichtverständlichen Einführungstexten greifen. Unternehmensgründern etwa kann zum Einstieg ein Leitfaden von McKinsey & Company (2010) helfen. Später wird das nicht mehr reichen. Zuvor sind jedoch einige leicht trockene Begriffe zu klären, die wir im jeweiligen Zusammenhang verwenden:
1.1 Von der Planung zur Strategie
7
Betrieb als betriebswirtschaftliche Einheit. Im Blickpunkt steht der Betrieb als Produktionswirtschaft, im Unterschied zu den öffentlichen und privaten Haushalten; mehr noch der Betriebstyp der Unternehmung, im Unterschied zu den öffentlichen Betrieben und Verwaltungen. Unternehmen (Unternehmung) als betriebswirtschaftliche Einheit. Das Unternehmen, richtig eigentlich: die Unternehmung, ist eine erwerbswirtschaftlich ausgerichtete, autonome Institution in einem marktwirtschaftlichen System – eine Einzelwirtschaft im Unterschied zur Gesamtwirtschaft eines Landes. Betrieb, Unternehmen, Konzern als rechtliche Einheiten. Im Wirtschaftsrecht wird der Betrieb als technisch-organisatorische Einheit (Werk, Büro/Verwaltung, Ladengeschäft) und das Unternehmen als rechtliche Einheit angesehen. Letzteres kann etwa die Aktiengesellschaft in Deutschland sein, die Société Anonyme in Frankreich, Belgien und Luxemburg oder die Incorporated in den USA. Steht ein Unternehmen im Mehrheitsbesitz eines anderen Unternehmens, so wird nach deutschem Aktienrecht vermutet, dass dieses Teil eines Konzerns, also eine Tochtergesellschaft ist. Netzwerk. Zwischen Hierarchie und Markt entstehen durch Kooperationsbeziehungen Unternehmensnetzwerke wie die Star Alliance. Werden Partnerunternehmen fest eingebunden, so können sie der Einzelwirtschaft zugerechnet werden. Man verwendet dann den rechtlich unbestimmten Begriff der Unternehmensgruppe (z.B. Toyota Group). Dienstleistungen werden von Produkten unterschieden, weil sie Besonderheiten aufweisen (vgl. Haller 2012): Immaterialität. Dienstleistungen sind weitgehend unsichtbar, nicht lagerbar, ihr Kauf wird als risikoreicher empfunden. Uno-actu-Prinzip. Leistungserstellung und Leistungsabgabe sind identisch. Integration eines externen Faktors. Der Nachfrager oder ein ihm gehörendes Objekt sind am Prozess beteiligt. Beispiel: Hotelbesuch oder Haarschnitt. Von Sachleistungsbetrieben in Industrie und Handwerk werden dementsprechend Dienstleistungsbetriebe in den Branchen Handel und Verkehr, Banken und Versicherungen und sonstige Dienstleistungen unterschieden. Die Abgrenzung ist fließend: Dienstleistungen benötigen oftmals einen materiellen Träger, und Produkte weisen, etwa durch die damit verbundenen Serviceleistungen und ihren Erlebnischarakter, zunehmend Eigenschaften auf, die über ihren Kernnutzen hinausgehen. Erlebnisse markieren nach Pine & Gilmore (1998; 2011) eine weitere Stufe in der Entwicklung nach der Agrar-, Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft. Produkte sind greifbar, Dienstleistungen immateriell, Erlebnisse aber einprägsam. Über die Freizeitbranche hinaus werden Erlebnisse inszeniert, um sich zu differenzieren, wie die Beispiele NiketownFlagship-Store und VW-Autostadt zeigen.
1.1.2
Wandel der Managementlehre
Mit der steigenden Komplexität und Dynamik der Unternehmensumwelt zeigen sich Grenzen der herkömmlichen Sicht der Unternehmensführung, verändert sich auch die Manage-
8
1 Grundlagen
mentpraxis und -lehre. Im größeren Maßstab betrachtet zählen zu den wichtigsten Veränderungen der Unternehmensumwelt der letzten Jahrzehnte folgende Entwicklungen: Marktsättigung und Individualisierung der Produkte und Dienstleistungen bei gleichzeitiger Unterversorgung in großen Teilen der Welt; flexible Produktionssysteme, bei gleichzeitiger Massenproduktion; digitale Medien, die die Welt verbinden, sie aber auch trennen durch den Zusammenprall der Kulturen; Wachstum und Krise im Zuge der Globalisierung, neue Herausforderungen durch die Grenzen des Wachstums und Klimawandel; mehr Einfluss der Politik und der Interessengruppen bei wachsender Eigendynamik der Systeme. Eine Antwort auf die steigende Bedeutung der Unternehmensumwelt in der Managementlehre ist das sogenannte St. Galler Modell, das bereits in den 1960er Jahren an der Universität St. Gallen in der Schweiz entstanden ist und bis heute weiterentwickelt wird. Ulrich (1972, 2001) nennt seinen grundlegenden Beitrag dazu Systemorientiertes Management, Bleicher (1991, 2011) entwickelt diesen Ansatz mit dem Konzept Integriertes Management weiter. In den von Abegglen (2005 ff.) herausgegebenen, auf sechs Bände angelegten Meilensteinen der Entwicklung eines Integrierten Managements, werden die Arbeiten fortgeführt. Mit der steigenden Komplexität und Dynamik wachsen die Anforderungen an die Unternehmensführung. Bleicher bezeichnet diese Situation treffend als Zeitschere des Managements (vgl. Abb. 1.2). Einerseits wird bei wachsender Komplexität durch die Vielzahl der Produkte, Standorte und Interessen mehr Reaktionszeit benötigt, andererseits aber nimmt die verfügbare Reaktionszeit ab, weil die Dynamik durch mehr Innovation und Instabilität zunimmt. Die Dynamik des Wandels verlangt Offenheit und Flexibilität, während zur Bewältigung der Komplexität ein integrierendes, ganzheitliches Denken notwendig ist. Die Führungsperspektive verschiebt sich damit vom Lenken zum Gestalten der Unternehmensentwicklung in der jeweiligen Umwelt. Anpassungszeit Benötigte Reaktionszeit bei wachsender Komplexität
Verfügbare Reaktionszeit bei zunehmender Dynamik 1900
Abb. 1.2
2000
Zeitschere des Managements (Bleicher 2011, S. 59)
Wachsende Komplexität und Dynamik
1.1 Von der Planung zur Strategie
9
Neben diesen Konzepten und Theorien gibt es eine Vielzahl weiterer, teilweise konkurrierender Ansätze (vgl. Macharzina & Wolf 2010), die gegebenenfalls später erläutert werden. Dabei besteht an Kontroversen kein Mangel. Dazu ein Beispiel: Nach dem ShareholderValue-Ansatz besteht die vorrangige Aufgabe des Managements darin, Wertsteigerung für die Aktionäre, die Shareholder, zu erzielen. Dieser interessenmonistischen Perspektive steht die interessenpluralistische Perspektive des Stakeholder-Value-Ansatzes gegenüber, wonach das Unternehmen an den Interessen der relevanten Anspruchsgruppen, an den Stakeholdern, auszurichten ist. Vieles spricht angesichts der faktischen Relevanz vielfältiger Anspruchsgruppen – Mitarbeiter, Kunden, der Staat usw. – für den Stakeholder-Value Ansatz. Fakt ist aber auch, dass sich viele Unternehmen gerade Shareholder-Value auf ihre Fahnen geschrieben haben. Lässt sich dieses Rätsel auflösen? Wir kommen darauf zurück. In ihrer geschichtlichen Entwicklung hat die Unternehmensführungslehre die Perspektiven erweitert und sich durch unterschiedliche Ansichten und Kontroversen entwickelt: Ab den 1930er Jahren: Die von Managern geführte Kapitalgesellschaft ist längst verbreitet. Als eigenständige Rechtspersönlichkeit unterscheidet sie sich grundlegend vom eigentümergeführten Unternehmen. Neben den Anteilseignern (Shareholdern) ist ein weiteres Zentrum der Willensbildung entstanden. Die Managementlehre greift dieses Thema verspätet auf: Als Modern Corporation and Private Property (Berle & Means 1932). Ab den 1960er Jahren: Verbreitung der Langfristplanung in den wachstumsstarken „goldenen Sechzigern“. Anerkennung der Arbeitnehmervertreter als drittes Zentrum der Willensbildung im Unternehmen durch die Betriebswirtschaftslehre (vgl. Gutenberg 1958). Im pluralistisch ausgerichteten Koalitionsmodell des Unternehmens werden darüber hinaus die Interessen weiterer Koalitionspartner (Stakeholder) berücksichtigt (vgl. Cyert & March 1963; Freeman & Reed 1982). Ab den 1970er Jahren: Erweiterung der Langfristplanung zuerst als Strategische Planung, dann als Strategisches Management durch die abgestimmte Entwicklung aller Führungssubsysteme. Die wachsende Komplexität und Dynamik der Umwelt begrenzen die Planbarkeit. Führungsinstrumente wie Planung, Organisation und Kontrolle aber auch Personalmanagement sollen abgestimmt nebeneinander (simultan) entwickelt werden. Ab den 1990er Jahren: Integriertes Strategisches Management. Gegensätzliche Strategieperspektiven (Paradoxien) – wie Gewinn versus Verantwortung, Global versus Local – werden angenommen, um eine realitätsnähere Strategielehre zu entwickeln. Grundlegend ist dabei, dass Organisationen als komplexe und dynamische Systeme verstanden werden, die Fragen der Selbstorganisation und Evolution zugänglich sind. Das vorliegende Buch ist ein Beitrag zu diesem Ansatz.1 Unter Unternehmensstrategie wird herkömmlich nicht mehr als die Ausrichtung der Planung des Unternehmens an Produkt- und Dienstleistungsmärkten verstanden. Die fertige Strategieplanung wird durch Funktionen wie Organisation, Personaleinsatz, Führung und 1
Vgl. etwa Beinhocker 2007; Bleicher 2011; De Wit & Meyer 2010; Malik 2003; Mintzberg et al. 2003; MüllerStewens & Lechner 2011; Smith & Lewis 2011; Ulrich 2001.
2
Vgl. u.a. Bea & Haas 2005; De Wit & Meyer 2010; Daft 2010; Dillerup & Stoi 2011; Grant & Nippa 2006;
10
1 Grundlagen
Kontrolle umgesetzt. Heute gilt Planung als nur eine Perspektive der Strategie. Das Wort „Strategie“ stammt vom griechischen „Strategos“, der Heerführer, ab. Bei strategischen Führungsentscheidungen geht es nach Peter Drucker (1967), der als Pionier der modernen Managementlehre gilt, darum, „die richtigen Dinge zu tun“, also um das „Was“ (Effektivität). Operative Führungsentscheidungen hingegen beschäftigen sich damit „die Dinge richtig zu tun“. Hierbei geht es also um das „Wie“ (Effizienz). In der Managementliteratur finden sich zuweilen recht einfache Rezepte, die den Erfolg von Personen, Gruppen oder Organisationen versprechen. So sollen Gewinner-Unternehmen, gemessen am finanziellen Erfolg, Verlierern überlegen sein, weil sie vier Primärdisziplinen des Erfolgs beherrschen: eine klare, gut fokussierte Strategie verfolgen, für deren reibungslose Ausführung sorgen, eine leistungsorientierte Unternehmenskultur und eine flexible Organisation mit flachen Hierarchien aufbauen (so etwa Joyce et al. 2005). Nun lässt sich gegen diese Worte wenig sagen, denn die Aussagen sind so allgemein, dass sie an der Wirklichkeit kaum scheitern können. Sie sind kaum mehr als die Kapitelüberschriften des vorliegenden Buches und schon daher können sie – dieser Scherz sei dem Autor erlaubt – nicht falsch sein. Wir müssen uns also noch ein wenig mehr damit auseinandersetzen, was unter Strategie und Organisation verstanden wird. Strategische Führung ist, anders als etwa Johnson et al. (2011, S. 3 f.) in ihrem populären Lehrbuch meinen, nicht nur langfristig orientiert. Es geht mit Erich Gutenberg (1958, S. 45) um die „nahe und weite Sicht“, also auch um kurzfristig relevante, strategische Entscheidungen. Fluggesellschaften beispielsweise mussten nach dem 11. September 2001 sehr schnell ihre Strategien verändern. Strategische Unternehmensführung verantwortet das Ganze. Eine „Helikopter-Perspektive“ mag dazu angebracht sein, aber: der Helikopter muss auch landen können. Igor Ansoff, einer der ersten Autoren, der den Begriff der Strategie in der Managementlehre verwendete, hat dazu einmal gesagt: „Es ist keine Kunst, eine Strategie zu formulieren, die Schwierigkeit ist, sie zum Laufen zu bringen.“ Die Organisation ist mehr als die Umsetzung der Strategie. Herkömmlich wird darin ein Mittel angesehen, um Strategien umzusetzen: Das Unternehmen hat als Instrument der Unternehmensführung eine Organisation. Später dann setzte sich dann die Auffassung durch, dass ein Unternehmen eine Organisation ist, ein zielgerichtetes, soziales System. Strategien entstehen durch Wechselwirkung mit der Organisation. Festzuhalten ist also: Strategische Unternehmensführung setzt sich vor dem Hintergrund wachsender Komplexität und Dynamik vom traditionellen Planungsdenken ab. Dabei werden folgende Führungsebenen unterschieden (vgl. Bleicher 2011, S. 87 ff.), nach denen auch das vorliegende Buch gegliedert ist: Die normative Unternehmensführung beschäftigt sich mit den grundlegenden Zielen und Zwecken und der Unternehmensverfassung des Unternehmens. Davon abgeleitet ist es Aufgabe der strategischen Unternehmensführung, Erfolgspotenziale aufzubauen, zu pflegen und weiterzuentwickeln und diese mit der Organisationsgestaltung umzusetzen, auch im internationalen Umfeld. Die operative Unternehmensführung koordiniert dementsprechend die Aktivitäten im laufenden Tagesgeschäft.
1.2 Handlungsspielräume durch Strategieperspektiven
11
Normative und strategische Unternehmensführung gestalten das Unternehmen, während es die Aufgabe der operativen Unternehmensführung ist, lenkend in die Unternehmensentwicklung einzugreifen. Um die normative und strategische Gestaltung, nicht um die operative Lenkung, geht es hier vor allem. Das gilt auch für das Thema Organisation, dass allein aus strategischer Sicht betrachtet wird. Der Titel dieses Buches hätte daher auch „Strategisches Management“ lauten können, allerdings wären dann wichtige Themen unter den Tisch gefallen. Worin liegt nun die Besonderheit des integrierten Ansatzes?
1.2
Handlungsspielräume durch Strategieperspektiven
Strategien gibt es überall. Fußball-Teams haben ebenso Strategien wie politische Parteien oder auch der einzelne Mensch, der sich für einen anderen erwärmt (vgl. Carter et al. 2008). Goethes Faust erleidet zudem ein tragisches Dilemma, das ihm „schier das Herz verbrennt“: „Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust.“ Strategische Spannungen führen zu strategischen Perspektiven – auch in der Wirtschaft. Ziel des integrierten Ansatzes ist es, diese unterschiedlichen Perspektiven herauszuarbeiten, zusammenzuführen und für die Managementlehre und -praxis wirksam werden zu lassen.
1.2.1
Strategieperspektiven
Aus verschiedenen Perspektiven erhält man ein realitätsnäheres Bild. Der bekannte kanadische Managementforscher Henry Mintzberg stellt seinem Buch Strategie Safari (1999), in dem er ein Dutzend unterschiedlicher Managementansätze skizziert, zur Illustration ein Gedicht voran. Sechs blinde Männer versuchen sich einen Eindruck von einem Elefanten zu verschaffen. Alle betasten das Tier und sind sich sicher, nun genau über dessen Beschaffenheit Bescheid zu wissen. Dabei entgeht ihnen allerdings, dass sie jeweils nur einen kleinen Teil des Tiers erkundet haben. Der erste, der den Bauch des Elefanten betastet, glaubt auf eine Wand zu treffen. Der zweite, der den Stoßzahn befühlt, glaubt, es handle sich um einen Speer. Der dritte hält das unbekannte Tier wegen seines Rüssels für eine Schlange, der vierte aufgrund seines stämmigen Beins für einen Baum, der fünfte, der nur das Ohr ertastet, für einen Fächer und der sechste, der den Schwanz erwischt, vermutet darin ein Seil. Jeder der sechs Blinden hat auf seine Weise Recht und dennoch erfasst keiner von ihnen das gesamte Erscheinungsbild eines Elefanten. „Wir sind die Blinden, und die Strategieentwicklung ist unser Elefant“, stellt Mintzberg fest. Es gibt nicht die Strategielehre, die einfache Antworten auf schwierige Fragen gibt, sondern nur unterschiedliche Denkschulen. Strategie kann zum Beispiel als Plan, als List (vgl. Praxisbeispiel), als Verhaltensmuster, als Position im Verhältnis zu anderen und als Perspektive verstanden werden (Mintzberg 1987; 2003).
12
1 Grundlagen
Praxisbeispiel: Strategie und List – China denkt anders Kann auch eine List eine Strategie sein? Im deutschen Sprachgebrauch hat das Wort „List“ oft eine negative Färbung. In China wird dagegen die Kunst der List seit Jahrhunderten gepflegt. Harro von Senger, Professor für Sinologie an der Universität Freiburg, verwendet deshalb dafür das neutrale Fremdwort „Strategem“, ein Begriff, der sich von der konventionellen Sicht der Strategie als langfristige Planung im Hinblick auf die grundsätzlichen Unternehmensziele unterscheidet: „Strategem ist ein unbelastetes Wort für ‚List‘. Also ist zu erklären, was eine ‚List‘ ist. List wird meist mit Täuschung gleichgesetzt. Doch von dieser Verengung der List sollte man sich lösen. Die beste chinesische Umschreibung der ‚List‘ lautet: ‚Chu qui zhi sheng.‘ Etwas Außergewöhnliches erzeugen, um den Sieg zu erringen. … List ist eine schlaue, außergewöhnliche, verblüffende Problemlösung, bei der manchmal – aber keineswegs immer – Täuschung eingesetzt wird.“ Das Strategem Nr. 6 in seinem Buch heißt beispielsweise: „Im Osten lärmen, im Westen angreifen.“ Man führt an einer Stelle ein Scheingeschäft durch, greift aber an einer anderen Stelle an: „Bei gewissen Computerspielen oder beim Sport lenkt man die Aufmerksamkeit des Gegners auf einen bestimmten Punkt, um überraschend an anderer Stelle vorzustoßen.“ Als Strategem-Prävention empfiehlt von Senger hier: „Man sollte bei großem Getöse und spektakulären Geschehnissen nicht wie das Kaninchen auf die Schlange starren.“ Aber das Strategem ist auch nicht ohne Risiko: „Zielt man mit der Ablenkungslist auf einen hellwachen Gegner, läuft man ihm prompt ins Messer.“ Fragen: 1. Glauben Sie, dass List (Strategem) im Wirtschaftsleben eine bedeutende Rolle spielt? 2. Können Sie von eigenen Erfahrungen über den Gebrauch von List berichten? Quelle: Senger, H. v.: 36 Strategeme für Manager. München und Wien 2004, hier S. 15 und S. 52 ff.
Was tun Manager wirklich? Mintzberg hat das tatsächliche Verhalten von Managern mit der Stoppuhr beobachtet und dabei festgestellt, dass deren Soll-Aufgaben mit der Realität kaum übereinstimmen. Von Managern wird verlangt, dass sie planen, organisieren und kontrollieren. Tatsächlich ist ihr Alltag durch das Lösen permanenter Probleme geprägt, durch zerstückelte Arbeitsvollzüge, durch verbale Kommunikation, durch Fragen und Zuhören und durch den Druck, Entscheidungen fällen zu müssen, lange bevor alle benötigten Informationen gesammelt sind (vgl. Mintzberg 1975; Kotter 1999). Der Prozess der Strategiebildung (Strategy Formation) verläuft dementsprechend nicht linear, sondern ist ein komplexer sozialer Prozess. In einem einflussreichen Beitrag haben Mintzberg und Waters (1985) herausgearbeitet, dass die Strategiebildung mehr umfasst, als langfristige Ziele und Aktionspläne zur zukünftigen Entwicklung zu entwerfen (vgl. Abb. 1.3). Bei geplanten Strategien wird zunächst gedacht und dann gehandelt. Wenn es keine Pläne gibt oder vom Plan abgewichen wird, entsteht durch einen iterativen Prozess von Denken und Handeln dennoch eine Strategie, die als emergente Strategie bezeichnet wird. Strategisches Lernen beruht also sowohl auf planmäßigem, bewussten Denken und Handeln als auch auf einem unbewussten Prozess. Strategien bilden sich durch Intuition und Glück heraus. Mintzberg
1.2 Handlungsspielräume durch Strategieperspektiven
13
(2003) vergleicht den Strategieprozess mit der kreativen Tätigkeit eines Künstlers, die sowohl die linke rationale als auch die rechte emotionale Gehirnhälfte fordert. Strategieprozesse verlaufen demnach eher unstrukturiert und schrittweise als systematisch geplant. Die Schlussfolgerung ist, dass Manager neben kritischer Intelligenz (Analysieren, Planen) auch intuitive Intelligenz (Mut zur Planlosigkeit) benötigen. Perspektivische Intelligenz (die Fähigkeit, die Sichtweise zu wechseln) gehört ebenfalls dazu (vgl. Ernst 2011). An diesem „Dreiklang“ der Kompetenzanforderungen auf dem Gebiet der Unternehmensführung ist auch das vorliegende Werk orientiert; es soll dazu beigetragen, dass wissenschaftlicher Anspruch und praktische Relevanz weniger als bisher auseinanderfallen. In der Betriebswirtschaftslehre ist diese Lücke, im Unterschied zu den Ingenieurwissenschaften und zur Medizin, eher die Regel als die Ausnahme: „Was lesen Manager wirklich?“ Die bekannten internationalen akademischen Fachzeitschriften werden von Managern großer deutscher Multinationaler Unternehmen kaum wahrgenommen, geschweige denn gelesen, zeigt eine Studie von Oesterle und Schmid (2009). Einzig die Zeitschrift Harvard Business Review bildet hierbei eine Ausnahme. Anwendungsorientierung ist also ein weiteres Ziel. Die Geschichte heute weltbekannter Unternehmen wie McDonald’s, Reuters, Apple, CocaCola und Lindt, Maggi oder Nestlé zeigt, dass Planung allein, insbesondere in der Gründungsphase, nicht ausreicht, sondern dass Intuition, Glück und Risikobereitschaft ebenfalls notwendig sind (vgl. Crainer 2002; Capus 2008). Dabei liegen Erfolg und Misserfolg oft nah beieinander (vgl. Praxisbeispiel Coca-Cola).
beabsichtigte Strategie
realisierte Strategie
geplante Strategie
unrealisierte Strategie
emergente Strategie
strategisches Lernen Abb. 1.3
Strategie als Prozess (nach Mintzberg & Waters 1985, S. 258 ff.)
Praxisbeispiel: Coca-Cola – über Intuition, Glück und Marketing Hand aufs Herz: Glauben Sie an innovative Buchhalter? Nein? Nun, es war der Buchhalter Frank Robinson, der 1886 das „Gehirntonikum“ aus dem Labor des Apothekers John Styth Pemberton auf den Namen Coca-Cola taufte. Er war es auch, der seinem Chef den schwungvollen Schriftzug gestaltete. Ursprünglich wurde die Brause aus Karamell, Phosphorsäure und sieben weiteren Geschmacksstoffen für fünf Cent pro Glas an einem Sodastand in Jacobs’s Pharmacy in At-
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1 Grundlagen
lanta vertrieben. Nach einem Jahr hatte Pemperton durchschnittlich sechs Portionen am Tag verkauft und stattliche 50 Dollar Gewinn gemacht. Dabei wäre es vermutlich auch geblieben, hätte Pemperton nicht die Macht der Werbung erkannt – übrigens lange vor vielen anderen, viel größeren Unternehmen. Schon im ersten Jahr gab Pemperton über 73 Dollar aus, um sein Produkt bekannt zu machen. Von Anfang an erschienen Anzeigen im Atlanta Journal: „Coca-Cola. Köstlich! Erfrischend! Prickelnd!“ Kurz vor seinem Tod verkaufte Pemperton seine Cola an den Arzt Asa Candler. Auch er war ein Fan von Marketing und der Meinung: „Wir brauchen eine Flasche, die man selbst im Dunkeln erkennt.“ Also wurde ein Designwettbewerb ausgeschrieben, der selbst schon ein glanzvolles Marketingereignis war. Siegreich war ein Gefäß der Root Glass Company, das die Silhouette einer kurvenreichen Frau nachempfand. Obwohl Coke sie schon seit Jahren nicht mehr verwendet, wurde diese Flasche im kollektiven Gedächtnis der Welt zu einer Stilikone des 20. Jahrhunderts. Doch auch Marketinggenie Candler machte Fehler. Er war nicht gerade der größte aller Strategen, denn er glaubte, Cola würde vor allem an Sodaständen vertrieben, und verkaufte die Abfüllrechte für einen Dollar. Wenn Erfolg aus Talent und Glück entsteht, warum ist es dann die Zurechnung so schwierig? Dies liegt nach David Kahneman vor allem daran, weil wir assoziativ kausale Erklärungen gegenüber bloßer Statistik bevorzugen. Wie anders stellt sich der Erfolg von Personen, Gruppen oder Organisationen dar, wenn dieser auf Zufall und nicht auf Leistung basiert? Fragen: 1. Glauben Sie, dass Intuition und Glück im Wirtschaftsleben eine bedeutende Rolle spielen? 2. Ist dieses mehr in der Entstehungsphase als bei Reife eines Geschäfts der Fall? 3. Welche Risiken entstehen, wenn eine vermeintliche „Best Practice“ übernommen wird? Quelle: Bierach, B.: Glück oder Weitblick? In: Die Wirtschaftswoche 2000, Nr. 32, S. 78 ff; Kahneman, D.: Thinking fast and slow. London 2011, S. 176 ff.
Die Kritik von Mintzberg an der herkömmlichen Managementlehre hat eine Diskussion ausgelöst, die in die Literatur als Kontroverse zwischen Planern und Inkrementalisten eingegangen ist (vgl. Bresser 1998). Spannungen dieser Art sind typisch für die Strategielehre, sie werden auch als strategisches Paradox bezeichnet, aus der dann entsprechende strategische Perspektiven folgen (vgl. Poole & Van de Ven 1889). Die strategische Spannung besteht hier zwischen Intention und Emergenz. Menschen handeln absichtsvoll (intentional), wenn sie zunächst einen Plan machen und diesen dann umsetzen. Wenn Menschen keinen Plan haben oder vom ihm abweichen, aber ihr Verhalten dennoch strategisch ist, dann bilden sich Strategien schrittweise heraus (emergieren). Manche Filmregisseure etwa fangen mit dem Dreh an, obwohl das Drehbuch nicht fertig ist und erwarten gerade dadurch bessere Filme. Entsprechend sind die strategische Planungsperspektive und die Perspektive der schrittweisen Entstehung (Inkrementalismus) zu unterscheiden (vgl. De Wit & Meyer 2010).
1.2 Handlungsspielräume durch Strategieperspektiven
15
Die eigentliche Schwierigkeit liegt darin, dieses Paradox auszuhalten und nicht der Versuchung zu erlegen, sich auf die eine oder auf der andere Seite zu schlagen. Das hört sich kompliziert an und ist es auch. Was spricht für Planung, was für die schrittweise Entstehung?
DIE PLANUNGSPERSPEKTIVE Von der Planung wird erwartet, dass sie zur Effizienzsteigerung und Risikoreduzierung beiträgt; Handlungsspielräume eröffnet, weil die Auseinandersetzung mit künftigen Entwicklungen erfolgt, wenn noch agiert werden kann; Komplexität verringert, weil ein Gesamtproblem in überschaubare Einzelprobleme, die möglicherweise einfacher lösbar sind, zerlegt wird; Synergieeffekte erzielt, weil die Teilbereiche koordiniert werden; neue Ideen bei der Alternativensuche entwickelt; zur Konsensbildung und Konfliktreduzierung im Unternehmen beiträgt, da Handlungsalternativen transparent werden (vgl. Wild 1982; Macharzina & Wolf 2010). Auch praktisch liegt auf der Hand, dass zumindest große Unternehmen systematisch strategisch planen. Das zeigt etwa ein Bericht zur Praxis bei Daimler Benz im Jahre 1997 (vgl. Abb. 1.4). Der Planungskalender startet jeweils im März mit dem Strategieforum Konzernvorstand, an dem die Leiter der 23 Geschäftsbereiche teilnehmen. Das Forum beginnt mit einer strategischen Bilanz des Vorstandsvorsitzenden. Ziel ist die Ausrichtung aller Beteiligten auf die wichtigsten Ziele und Initiativen des Konzerns. Die dreimonatige strategische Planungsphase beginnt mit der eigenverantwortlichen Erstellung der strategischen Pläne durch die Geschäftsbereiche gemäß den Vorgaben aus dem Strategieforum. Am Ende der strategisch-wirtschaftlichen Gespräche des Konzernvorstands mit den Geschäftsbereichsleitern werden die Geschäftsbereichsstrategien und -projekte (Business Strategy) verabschiedet. Im Juni findet dann die Konzernstrategieklausur statt, bei der auf Basis der Ergebnisprotokolle der Geschäftsbereiche die Konzernstrategie (Corporate Strategy) diskutiert und verabschiedet wird. Diese wird dann dem Aufsichtsrat vorgelegt. Nach der Sommerpause geht es dann weiter mit der dreimonatigen operativen Budgetplanung. Trackinggespräche ermöglichen die aktive Einflussnahme in den Planungsprozess, etwa bei Problemfällen oder großen Projekten (vgl. Töpfer 1998, S. 48 ff.). Die operative Planung folgt also der strategischen Planung und wird nicht nur von „oben nach unten“ (Top-Down) sondern auch von „unten nach oben“ (Bottom-Up) entwickelt (Gegenstrom-Prinzip).
16
1 Grundlagen März
April
Mai
Strategieforum
Vorstand
Strategiegespräche TG
Geschäftsfeld
TG
Ergänzung
TG Zustimmung
Planung
Geschäftsbereich
Operative Einheiten
Juni
Planung
September
Strategieklausur
Aufforderung
TG
November Budgetgespräche
TG Ergänzung
Sommerpause
Verantwortliche
3 Monate Strategie
Dezember
Budgetklausur TG
Zustimmung
Planung
Planung
3 Monate Budget
TG = Trackinggespräche Aufsichtsrat
Abb. 1.4
AR-Sitzung
AR-Sitzung
Planungsablauf beim Daimler Konzern (nach Töpfer 1998, Abb. 15)
Auch eine Untersuchung der Strategieprozesse deutscher Unternehmen zeigt einen hohen Grad an Strukturiertheit und eine stringente Phasenfolge (vgl. Al-Laham 1997). Eine McKinsey-Umfrage aus dem Jahr 2006 ergab, dass über drei Viertel der 796 weltweit befragten Unternehmen über einen formalen strategischen Planungsprozess verfügen. Davon sagten etwas mehr als die Hälfte, dass dieser eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung der Unternehmensstrategie spiele. Allerdings wird von etwas mehr als der Hälfte der Befragten betont, dass für wichtige strategische Entscheidungen eine kleine Gruppe von Top-Leuten wichtig ist und nur zu 23 Prozent der formale Planungsprozess. Außerdem bestehe erheblicher Verbesserungsbedarf bei der Umsetzung der Strategie (vgl. McKinsey & Co. 2006).
DIE PERSPEKTIVE DER SCHRITTWEISEN ENTSTEHUNG Für die schrittweise Entstehung von Strategien spricht, dass auch ein ausgefeilter Planungsablauf Fehlentscheidungen nicht verhindert. Als solche wird heute die Fusion von Daimler und Chrysler eingeschätzt. Innovative Geschäftsmodelle entstehen oft durch Intuition und Zufall, nicht durch vorausschauende Planung. Southwest-Airlines z.B. hat das Modell der Billig-Fluggesellschaft entdeckt und stieg damit zur 2011 nach Passagieren zweitgrößten Fluggesellschaft weltweit auf. Wenig bekannt ist, wie diese Strategie entstanden ist, zu der die rasche Abfertigung am Flugsteig gehört. Bei der Gründung im Jahre 1971 hatte Southwest Airlines Probleme, die nötigen Rechte zu erhalten. „Als Southwest endlich seine Genehmigungen für den Betrieb hatte, war das Unternehmen fast pleite und seine FlugzeugFlotte von vier auf drei Maschinen geschrumpft. Die kleine Firma und ihre Mitarbeiter entschieden sich, es dennoch zu versuchen und mit den drei verbliebenen Flugzeugen ihren ursprünglichen Flugplan einzuhalten. So wurde Southwests Strategie der kurzen Abfertigungszeiten geboren.“ (Pfeffer & Sutton 2007, S. 212) Das mangelnde Interesse an einer systematischen Planung ist bei Southwest über Jahre unverändert geblieben. Der frühere Konzernchef Herb Kelleher beschreibt das so: „Wir betreiben keine Strategieplanung. Das ist reine Zeitverschwendung. Sie können drei Monate darauf verwenden, sich etwas zu überle-
1.2 Handlungsspielräume durch Strategieperspektiven
17
gen, und dann müssen Sie sich noch um die Unterstützung der anderen Führungskräfte bemühen. Wenn Sie dann soweit sind, es dem Vorstand vorzustellen, können sich die Dinge längst geändert haben. Dann müssen Sie den anderen Ihre Ideen schneller ausreden, als sie reagieren können. Wir betreiben keine Nabelschau. Während man über alles nachdenkt, verpasst man Chancen.“ (Earl 2003, zitiert nach Pfeffer & Sutton 2007, S. 212) Vor dem Hintergrund der Vorstellung, dass die oberste Führungsebene die Richtung vorgibt, sich dabei auf einige bewährte Werkzeuge der Planung stützt, die dann durch die Organisation „zum praktischen betrieblichen Vollzug“ gebracht wird, hätte es viele Geschehnisse nicht geben dürfen. IBM zum Beispiel, Weltmarktführer bei Großrechnern in den 1980er Jahren, hat bekanntlich die durch den Personal Computer ausgelöste Strategiewende verschlafen. Welche Schlussfolgerungen lassen sich aus der Kontroverse zwischen Planern und Inkrementalisten ziehen? Die zentrale Frage sollte dabei sicher nicht sein: „Wer hat Recht und welche Meinung ist damit die richtige?“, sondern: „Wie können sich die beiden Sichtweisen gegenseitig ergänzen und befruchten?“ Strategien entwickeln sich aus einer Kombination von Planung und komplexer, schrittweiser Entstehung. Strategien werden zum einen auf der Grundlage formaler Prozesse in Vorstands- und Aufsichtsratssitzungen überwiegend von oben nach unten (Top-Down) geplant, entstehen zum anderen aber auch von unten nach oben (Bottom-Up) als Ergebnis einer Vielzahl dezentraler Entscheidungen auf Sparten- und Werksebene und werden anschließend von der Unternehmensführung bestätigt. In dem Maße, in dem die Konzernzentrale den dezentralen Einheiten durch weit gefasste Ziele, wie Mission-Statements bis hin zu Budgets, Freiheiten lässt, wird praktisch eine Kombination aus planerischer Gestaltung und komplexer Entstehung realisiert (vgl. Grant & Nippa 2006, S. 46 ff.). Es ist demnach die Managementpraxis, die hierbei einen integrierten Ansatz verfolgt. Dagegen soll ein etwas abgehobener Forscher einmal gesagt haben: „Das mag in der Praxis richtig sein, funktioniert aber nicht in der Theorie!“ Richtig an diesem Scherz ist, dass die Managementtheorie die Praxis beeinflusst – und das nicht immer zum Guten. Pfeffer & Suton (2007) haben berühmte Managementthesen auf den Prüfstand gestellt und gezeigt, dass gefährliche Halbwahrheiten und absoluter Unsinn auf diesem Gebiet verbreitet sind. Ziel des vorliegenden Buches ist es, komplexe Strategieperspektiven zu vermitteln und Handlungsspielräume aufzuzeigen, dabei aber realistisch und für die Praxis einfach, handlich und verständlich zu bleiben.
1.2.2
Strategie – ein integrierter Ansatz
Im Jahre 2005 erschien in der renommierten Zeitschrift Academy of Management Learning & Education ein Beitrag mit dem Titel „Bad Management Theories Are Destroying Good Management Practices“, der eine bis heute andauernde akademische Diskussion ausgelöst hat. Vor dem Hintergrund skandalöser Fehlentwicklungen der letzten Jahre wendet sich der Autor, Sumantra Ghoshal, gegen radikal einfache theoretische Lösungen für komplexe Probleme, gegen die dominierende Ideologie des radikalen Individualismus, wie sie etwa von Milton Friedman vertreten wird, und setzt sich für mehr intellektuellen Pluralismus ein. Entsprechend sollte auch in der Strategielehre davon ausgegangen werden, dass unterschiedli-
18
1 Grundlagen
che, ja gegensätzliche Ansichten keine Schwäche, sondern eine Stärke der Disziplin sind. Dafür spricht, dass auch die Praxis widersprüchliche Perspektiven vereinen muss: „Hochleistungsunternehmen scheinen die Fähigkeit zu besitzen, bei der Strategieerstellung konkurrierende Bezugssysteme miteinander zu vereinen. Sie gehen gleichermaßen planungsorientiert und schrittweise, richtungweisend und partizipativ, kontrollierend und ermächtigend, visionär und detailliert vor.“ (Hart 1991, S. 121) Strategie wird hier definiert als eine Vorgehensweise, um einen Organisationszweck zu erreichen. Folgende Strategiedimensionen sind dabei im Hinblick auf den Organisationszweck und die Handlungsspielräume der Unternehmensführung zu unterscheiden (vgl. De Wit & Meyer 2010 und die Abb. 1.5): Ausgangspunkt ist der Organisationszweck: Welche Ziele werden mit den strategischen Aktivitäten verfolgt, Gewinn oder Verantwortung? Welcher Grundauftrag (Mission) bestimmt die Aktivitäten und woran wird der Unternehmenserfolg gemessen? Strategieprozess: Die Art und Weise wie Strategien entstehen. Wie, von wem und wann werden Strategien entwickelt? Sind Logik oder Kreativität entscheidend für das strategische Denken? Sind Strategien das Ergebnis rationaler Überlegung oder entstehen sie im Prozess? Ist strategischer Wandel evolutionär oder revolutionär? Strategieinhalt: Was ist das Ergebnis des Strategieprozesses? Entstehen Erfolgspotentiale und Wettbewerbsvorteile aus der Markt- oder aus der Ressourcenperspektive? Kommt es auf die Reaktionsfähigkeit autonomer Geschäftseinheiten oder auf Synergien zwischen ihnen an? Sollten Unternehmen im Wettbewerb zueinander stehen oder kooperieren? Strategiekontext: Die Bedingungen, die den Strategieprozess und Strategieinhalt beeinflussen, oder: Wo wird die Strategie entwickelt? Setzen die Branchenbedingungen die Regeln oder gibt es Handlungsspielräume? Steuert die Führung die Organisation oder entwickelt sich diese aus der Selbstorganisation? Kommt es im internationalen Kontext auf globale Standardisierung oder auf lokale Anpassungsfähigkeit an? Strategiekontext Umweltbedingungen der strategischen Aktivitäten Organisationszweck Triebkraft für strategische Aktivitäten (Input)
Abb. 1.5
Strategieprozess Fluss strategischer Aktivitäten (Troughput)
Strategiedimensionen (De Wit & Meyer 2010, S. 5)
Strategieinhalt Ergebnis strategischer Aktivitäten (Output)
1.2 Handlungsspielräume durch Strategieperspektiven
19
Welche Antworten sind auf diese Fragen zu erwarten? Sollte beispielsweise ein international tätiges Unternehmen global mit standardisierten Produkten auftreten, um Größenvorteile zu erzielen, oder sollte es sich an die lokalen Bedingungen anpassen? Vieles spricht dafür, dass nicht ein „entweder-oder“, sondern ein „sowohl-als-auch“, richtig sein könnte (vgl. Kapitel 5). Coimbatore K. Prahalad, Strategieprofessor an der Ross School of Business in Michigan, hat mit seinem Kollegen Yves Doz vor mehr als zwanzig Jahren erstmals diese Auffassung vertreten. In diesem Fall geht es darum, laufend die Spannung zwischen der globalen als auch der lokalen Perspektive zu managen. Prahalad konnte kürzlich feststellen, dass seine Idee trägt: „Am Wichtigsten ist, dass die Erfordernis, eine ‚multifokale‘ Organisation zu schaffen, zunehmend anerkannt wird.“ (Interview in Schmid & Grosche 2008, S. 99) Integriertes Management handelt von einer solchen multifokalen Organisation, deren Erfolg auf der Auseinandersetzung mit unterschiedlichen, ja gegensätzlichen Perspektiven beruht. Als integrierte strategische Unternehmensführung soll hier ein Ansatz verstanden werden, der auch gegensätzliche Strategieperspektiven zulässt, um Erfolgspotentiale aufzubauen, zu pflegen und weiterzuentwickeln und dabei die damit verbundenen Risiken zu managen. Das vorliegende Buch ist kompakt und anspruchsvoll zugleich. Der Aufbau ist einfach. Unter Unternehmensleistung (Corporate Performance) wird hier der Unternehmenserfolg bei einem bestimmten Risiko verstanden. Die Leistung des Unternehmens hängt von dessen Zielen, Strategien und der Organisationsgestaltung ab, aber auch von der nicht beeinflussbaren Entwicklung seiner Umwelt, wie Konjunktur und Krise. Wir beginnen mit einer Einführung zu den Grundlagen der Unternehmensführung (Kap. 1). Ausgehend vom Zielsystem des Unternehmens (Kap. 2) geht es um die Geschäfts-, Unternehmens- und Netzwerkstrategie (Kap. 3) sowie die Organisation (Kap. 4). Dem Thema der internationalen Strategie und Organisation ist ein eigenes Kapitel gewidmet (Kap. 5). Zur Vertiefung wird weitere Literatur empfohlen.2 Anspruchsvoller wird es im Folgenden vor allem deshalb, weil Paradoxien, die charakteristisch für die Strategielehre sind, herausgearbeitet werden. Paradoxien und die damit verbundenen Kontroversen sind eine wesentliche Triebkraft wissenschaftlicher Erkenntnis. Die Auseinandersetzung mit ihnen ist selbst paradox: „Ich habe viel für Paradoxien übrig, und gleichzeitig will ich sie aus der Welt schaffen!“, hat der Mathematiker Roger Penrose dazu einmal festgestellt. In jedem Kapitel werden sowohl die strategische Spannung (das Strategie-Paradox) als auch gegensätzliche Strategieperspektiven entwickelt. Abb. 1.6 gibt dazu eine erste Übersicht.
2
Vgl. u.a. Bea & Haas 2005; De Wit & Meyer 2010; Daft 2010; Dillerup & Stoi 2011; Grant & Nippa 2006; Hungenberg 2008; Johnson et al. 2008; Macharzina & Wolf 2010; Malik 2007; Mintzberg et al. 2003; MüllerStewens & Lechner 2011; Steinmann & Schreyögg 2005; Welge & Al-Laham 2012.
20
1 Grundlagen
Kap.
Strategiethema
Strategieparadox
Strategieperspektiven
1
Grundlagen : Strategiebildung
Intention vs. Emergenz
Planung vs. schrittweise Entstehung
2
Ziele
Gewinn vs. Verantwortung
Shareholder Value vs. Stakeholder Value
3.1
Geschäftsstrategie
Märkte vs. Ressourcen
Außen-Innen vs. Innen-Außen
3.2
Unternehmensstrategie
Reaktionsfähigkeit vs. Synergie
Portfolio-Organisation vs. Integrierte Organisation
3.3
Netzwerkstrategie
Wettbewerb vs. Kooperation
Eigenständige Organisation vs. eingebettete Organisation
4
Organisatorischer Kontext
Kontrolle vs. Chaos
Führung vs. Selbstorganisation
5
Internationaler Kontext
Globalisierung vs. Lokalisierung
Globale Integration vs. lokale Reaktionsfähigkeit
Abb. 1.6
Strategie: Thema, Paradox und Perspektive (nach De Wit & Meyer 2010, S. 14)
Die Diskussion in der renommierten Zeitschrift Academy of Management Perspectives zeigt die Aktualität und praktische Relevanz des integrierten Ansatzes: „Da die organisatorischen Umwelten sich globaler, dynamischer und kompetitiver entwickeln, intensivieren sich auch die widersprüchlichen Anforderungen. Um solche Spannungen verstehen und erklären zu können, wenden sich Wissenschaftler und Praktiker zunehmend Paradoxien zu.“ (Smith & Lewis 2011, S. 381) Chen & Miller (2011) sehen die relationale Philosophie, in der Paradoxien kein irrationaler Zustand sind und in der die Dinge durch ihren Kontext bestimmt sind, vor allem in der östlichen, insbesondere chinesischen Hemisphäre verwurzelt. Gupta (2011) hingegen stellt dem die individualistische, transaktionale Philosophie gegenüber und argumentiert, dass diese nicht allein für den Westen gilt. Beide Sichtweisen verbindet, dass ein integrierter ambikultureller Ansatz die Nachteile einer einseitigen Herangehensweise abschwächen kann. Vier Möglichkeiten gibt es, wie mit strategischen Spannungen umgegangen werden kann (vgl. Poole & Van de Ven 1989; De Wit & Meyer 2010; Smith & Lewis 2011): Der „one-best-way“ (Fredrick Taylor) dominierte in der frühen Managementlehre. Eine Wahl zu treffen hat man bei einem Dilemma, bei der schwierigen Entscheidung für das Eine oder das Andere, wie bei dem berühmten Gefangenen-Dilemma. Die abwägende Balance zwischen gegenläufigen Aspekten (Trade-off), wie etwa zwischen Arbeit und Freizeit, ist eine dritte Möglichkeit. Die Suche nach dem Besten beider Welten – also kein Entweder-Oder sondern eine Balance und besser noch eine Synthese – kennzeichnen den integrierten Ansatz, der Paradoxien nutzt, um Managementtheorien zu entwickeln.
1.2 Handlungsspielräume durch Strategieperspektiven
21
Nun könnte man dagegen argumentieren, dass auf der Grundlage von Paradoxien, die immer mit Unsicherheit umgeben sind, kein Unternehmen vernünftig zu führen ist. Entscheidungen sollten vielmehr einer elementaren Logik folgen: Definition, Diagnose, Design, Entscheidung (vgl. u.a. Rumelt 2011). Tatsächlich aber ist, wie wir gesehen haben, diese Planungsperspektive des „Zuerst Denken“ nur die eine Seite der Medaille. Strategien entstehen auch schrittweise ungeplant durch ein „Zuerst Sehen“ durch Ideen und ein „Zuerst Handeln“ durch Erfahrungen (Mintzberg & Westley 2001). Auch der Psychologe und Nobelpreisträger Daniel Kahneman (2011) argumentiert, dass Menschen sich selbst als rationale Wesen sehen, tatsächlich aber oft vom schnellen, intuitiven und nahezu unkontrollierten Denken und Entscheiden beherrscht werden. Beide Perspektiven sind relevant. Man muss wissen, wo man der Intuition trauen kann und wo nicht und wie man die Vorteile des langsamen, überlegten Denkens nutzen kann. Dies ist zu berücksichtigen, wenn es um die Schrittfolge von Strategieentwicklung, -formulierung und -umsetzung geht (vgl. Abb. 1.7). Auf die Strategieentwicklung, die sich mit der grundsätzlichen strategischen Ausrichtung des Unternehmens und der Strategieanalyse beschäftigt, folgt die Strategieformulierung, bei der es um die Formulierung der Ziele, der Alternativen, ihre Bewertung und die Auswahl zwischen ihnen geht, und die Strategieumsetzung, die Planung, Organisation und das Controlling der Maßnahmen. Analyse des Umfelds Chancen und Risiken Zielsystem und Entscheidungsträger Analyse der Leistungsfähigkeit
Formulierung der Ziele
Strategieformulierung
Umsetzung
Unternehmen Geschäft Funktion
Richtungen und Maßnahmen der Entwicklung
Führung Organisation Personal IT
Controlling
Stärken und Schwächen
Strategieentwicklung
Abb. 1.7
Strategieformulierung
Strategieumsetzung
Schrittfolge Strategieentwicklung, -formulierung und -umsetzung
Die strategische Planung steckt den grundsätzlichen Orientierungsrahmen für zentrale Unternehmensentscheidungen ab, während die operative Planung darauf abstellt, eine unter Berücksichtigung der strategischen Ziele konkrete Orientierung für das tagtägliche Handeln zu gewinnen (vgl. Steinmann & Schreyögg 2005). Zu den Aufgaben der strategischen Planung gehört es, die langfristigen Unternehmensziele festzulegen und davon abgeleitet eine Strategie zur Entwicklung nachhaltiger Erfolgspotenziale unter Beachtung der Risiken zu entwickeln. Dadurch sollen die Grundlagen auch für den zukünftigen Unternehmenserfolg
22
1 Grundlagen
gelegt werden. Darin ist auch der Aufsichtsrat eingebunden. In der Aktiengesellschaft hat der Vorstand nach § 90 Abs. 1 Nr. 1 und 3 AktG „dem Aufsichtsrat zu berichten über 1. die beabsichtigte Geschäftspolitik und andere grundsätzliche Fragen der Unternehmensplanung … 3. den Gang der Geschäfte, insbesondere den Umsatz und die Lage der Gesellschaft.“ Planung ist damit „ein wesentlicher Bestandteil einer ordnungsmäßigen Unternehmensführung“ (Theisen 2007, S. 161 sowie Groß & Amen 2003; Köstler et al. 2009; BDU 2009). Die ordnungsgemäße Unternehmensplanung dient der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und der Wahrung wichtiger Stakeholder-Interessen. Dazu gehören sowohl der Selbstschutz der Geschäftsführer gegenüber Haftungsansprüchen, als auch der Schutz der Gläubiger- und Kapitalanlegerinteressen sowie der Arbeitnehmerinteressen. „Arbeitnehmervertreter (haben, d. Verf.) ein gravierendes Interesse an der Unterrichtung und Beratung über die Unternehmensplanung, da diese weitreichende Auswirkungen auf die quantitative und qualitative Entwicklung der Belegschaft hat.“ (Groß & Amen 2003, S. 1171 ff.) Zur operativen Planung gehören miteinander abgestimmte Teilpläne wie Umsatz-, Produktions-, Kosten-, Personal-, und Investitionsplan sowie der Finanzplan. Schritte der operativen Planung sind die Festlegung der Planungsprämissen wie Marktwachstum, Preisentwicklung etc. durch die zentrale Planungsabteilung, die Erstellung der Teilpläne durch die jeweiligen Abteilungen unter Beachtung der Vorgaben, die Abstimmung der Teilpläne durch die zentrale Planungsabteilung und die Beschlussfassung über den Gesamtplan durch die Geschäftsführung bzw. auch durch den Aufsichtsrat. Controlling wird definiert als die an den Unternehmenszielen ausgerichtete Steuerung des Unternehmens. Dazu orientiert man sich an den festgelegten Zielen, vergleicht laufend geplante und tatsächliche Entwicklung und analysiert die Abweichungsursachen. Die Controllingabteilung liefert den Entscheidungsträgern die erforderlichen Informationen und Maßnahmenvorschläge. Planung ist eine der wichtigsten Managementfunktionen, zugleich aber nur ein Instrument der Unternehmensführung. Durch strategische Planung kann die turbulente Umwelt nicht gezähmt werden. Aber wird es dadurch überflüssig zu planen? Vielmehr wird der Zufall durch den Irrtum ersetzt. Ohne Ziele und Pläne sind Organisationen und Mitarbeiter orientierungslos, aber es kommt auch auf die Fähigkeit an, sich an veränderte Bedingungen anzupassen. Mehr aber noch gibt die Planung den Rahmen vor für unterschiedliche Ansätze und Initiativen der Strategieentwicklung, die teilweise gegensätzliche Schlussfolgerungen zulassen. Strategien werden nicht nur geplant, sie entstehen (emergieren) auch schrittweise im Strategieprozess. Dieses wird auch als Lernperspektive oder evolutionäre Perspektive bezeichnet, die untersucht wie Organisationen, ähnlich wie Menschen und andere Lebewesen auch, aus Fehlern lernen und sich anpassen. Deshalb hat heute die Strategische Unternehmensführung oder gleichbedeutend das Strategische Management reines Planungsdenken abgelöst. Ausgangspunkt dieses ersten Kapitels war die Feststellung, dass Planung notwendig ist, aber nicht hinreicht. Verschiedene Strategieperspektiven sollten eingenommen werden, um zu einer integrierten Sicht zu gelangen. Vernetztes Denken zur Lösung komplexer Probleme (Probst & Gomez 1991) ist dabei förderlich. Wir werden im Folgenden darüber hinaus fest-
1.3 Die Kunst der Führung
23
stellen, dass hervorragende Führungspersönlichkeiten die Eigenschaft haben, entgegengesetzte Perspektiven festzuhalten und daraus innovative Lösungen zu entwickeln.
1.3
Die Kunst der Führung
Zur Entwicklung, Umsetzung und Veränderung der Strategie gehört strategisches Denken – also der Stratege selbst. Entsprechende Fragestellungen sind, ob zuerst gedacht und dann gehandelt wird (oder umgekehrt), was erfolgreiche Führungspersönlichkeiten (Leader) auszeichnet und wie und wodurch geführt wird. Führung (Leadership) wird ausgeübt durch den Einzelnen als Selbstführung, als Führung einer Gruppe oder einer Organisation. Strategische Führung handelt davon, wie Ziele, Strategien und Organisationen entwickelt werden, um Erfolgspotenziale aufzubauen. Führung findet zwischen Menschen statt und schließt die Beeinflussung des Verhaltens ein, um Ziele zu erreichen (vgl. Yukl 1989), wird aber auch durch Systeme ausgeübt. Wir verwenden im Folgenden Führung und Leadership gleichbedeutend. Eine der Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrisen 2001 und 2008 ist, dass Vertrauen verloren gegangen ist. Millionen Menschen haben ihren Arbeitsplatz, Millionen ihr Erspartes verloren, viele haben sich bereichert. Märkte haben versagt, weil Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert wurden. Korruption in Politik und Management sind keine Seltenheit mehr. In unruhigen Zeiten wollen Menschen geführt, nicht nur verwaltet werden, zugleich aber halten sie von Politikern und Managern nicht viel. Eine geschlossene Führungslehre, die Antworten auf diese Herausforderungen gibt, existiert nicht. Über gute Führung lässt sich streiten. Sie ist bekannt wie Schönheit und Liebe, aber schwer zu verstehen und herzustellen. Täglich neue Angebote nach dem Muster „Werde reich und glücklich durch Selbstführung“ oder „Feedback vom Pferd: Erleben Sie ihre Führungsqualitäten“ finden zwar ihren Markt, halten wissenschaftlicher Überprüfung aber nicht stand. Mit dem Zeitalter der Massen und Medien hat sich auch das Verständnis von „guter Führung“ verändert. Nach Drucker (2002) und Bennis & Nannus (1997) hat jeder, der etwas entscheidet, auch die Verantwortung, die Kunst der Führung zu beherrschen. In der heutigen Wissensgesellschaft sei die Macht eher bei den Wissensarbeitern angesiedelt, als bei den Managern und Eigentümern. Daher gelte es, in einer Gruppe, im Unternehmen, im Verband, in einer öffentlichen Einrichtung oder in einem ganzen Land, den Bedürfnissen zu dienen, die die Geführten erwarten: Sinn und Richtung, Vertrauen, Hoffnung und Optimismus sowie Ergebnisse. Erfolgreiche Führung hängt ab von den Eigenschaften der Person, dem jeweiligen Führungsstil und dem Führungssystem. Bevor dazu einige Eckpunkte aus der umfangreichen Literatur vorgestellt werden (vgl. zur Einführung etwa Hellriegel & Slocum 2009; Steinmann & Schreyögg 2005, Wunderer 2011) soll im Anschluss an das vorhergehende Kapitel der Frage nachgegangen werden, welche Bedeutung integratives Denken für den Führungserfolg hat.
1.3.1
Integrative versus konventionelle Führung
Gegen konventionelles Managementdenken wendet sich Roger Martin, Professor an der Rotman School of Management der Universität von Toronto: Entscheidungen werden getrof-
24
1 Grundlagen
fen, in dem Pro und Contra der mutmaßlichen Alternativen geprüft wird, um dann alle, bis auf eine zu verwerfen. Wirklich erfolgreiche Führungspersönlichkeiten treffen dagegen keine „Entweder-oder-Entscheidungen“, sondern führen integrativ. Sie suchen nach Faktoren, die nicht unmittelbar offenkundig sind, betrachten vielfältige Ursache-WirkungsBeziehungen, behalten das Ganze im Auge und sind in der Lage, kreative Lösungen für Spannungen zwischen entgegengesetzten Ideen zu finden (vgl. Abb. 1.8). Ein Beispiel dafür sei der Ansatz von Isadore Sharp, dem Gründer der Four Seasons Hotels, dessen Erfolg nach Martin (2007, S. 32 ff.) an vier Faktoren integrativer Führung festzumachen ist: Bedeutung (Salience): Traditionell sind Hotels entweder groß und anonym oder klein und gemütlich. Beide Geschäftsmodelle haben ihre Vor- und Nachteile. Sharp analysierte die Faktoren, die für die Kunden bedeutend sind, entwickelte den Luxusservice, individualisierte jedes Four Season Hotel nach den lokalen Anforderungen. Kausalität: Traditionell werden Mitarbeiter in der Hotelbranche als leicht auswechselbare Rädchen im Getriebe betrachtet. Die Fluktuation ist sehr hoch, bei sinkender Auftragslage werden zuerst die Personalkosten gekappt. Sharp hingegen sah einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Mitarbeitern, die durch ihren Arbeitgeber gut behandelt werden und Hotelgästen, die durch die Mitarbeiter gut behandelt werden. Seit 1998 erscheint Four Seasons regelmäßig auf der Liste der 100 attraktivsten Arbeitgeber der Zeitschrift Fortune. Architektur: Anstatt zuerst die Größe des Hotels zu entscheiden, dann ServiceStandards, dann die Personalpolitik, also bei der Strategieentwicklung nacheinander vorzugehen, setzte Sharp durch, dass sich alle Einzelbetrachtungen an einer Goldenen Regel orientieren: „Wir gehen mit anderen – Partnern, Kunden, Mitarbeitern, jedermann – so um, wie wir wollen, dass sie mit uns umgehen.“ Auflösung (Resolution): Sharp führte Elemente der traditionellen Hoteltypen zusammen und entwickelte dadurch ein Geschäftsmodell, das darüber hinausgeht. Eckpfeiler des Four-Seasons-Aktivitätssystems sind ein einzigartiges Kundenerlebnis, eine ausgezeichnete Service-Einstellung der Mitarbeiter, eine stimmige globale Markenpolitik und mittelgroße, intime Hotels. • Unattraktive Zielkonflikte
Konventionelles Denken
werden akzeptiert
Auflösung
• Teile werden
nacheinander/unabhängig betrachtet
• Suche nach
• Zu vereinfachte
Betrachtung der Kausalität
• Das Ganze wird im
Kausalität
• Wenige Faktoren
werden berücksichtigt
Auge behalten
• Mehrdirektionale und
nichtlineare Kausalitäten
Bedeutung
• Mehr Faktoren
werden als relevant angesehen
Abb. 1.8
kreativer Auflösung von Spannungen
Architektur
Integratives Denken
Integratives Denken versus konventionelles Denken (Martin 2007, S. 47)
1.3 Die Kunst der Führung
25
Für Martin sind innovative Geschäftsmodelle das Ergebnis integrativen Denkens, im Unterschied zum konventionellen Denken: „Die Leader, mit denen ich mich befasst habe, haben neben ihrem Talent für Innovation und langfristigem Geschäftserfolg eine Eigenschaft gemeinsam. Sie haben die Neigung und die Fähigkeit zwei diametral entgegengesetzte Ideen in im Kopf zu behalten. Und sie sind dann in der Lage, unaufgeregt und ohne sich für die eine oder die andere Alternative zu entscheiden, eine Synthese zu entwickeln, die jeder der beiden entgegengesetzten Ideen überlegen ist.“ (ebd., S. 6) Diese Denkhaltung, die Suche nach innovativen Lösungen weiter auszubilden und der Versuchung zu widerstehen, sich für die beste verfügbare schlechte Wahl zu entscheiden, ist auch eine Zielsetzung des vorliegenden Buches zur integrierten Unternehmensführung.
1.3.2
Leadership versus Management
Das Leadership-Konzept entstand in den 1990er Jahren, einer Zeit, in der die Komplexität und Dynamik der Unternehmensumwelt auch den damit verbundenen organisatorischen Wandel in den Vordergrund rückte. International tätige Unternehmen haben heute Systeme der Führungskräfteentwicklung und -beurteilung (Leadership Evaluation and Development, LEAD) eingeführt, die für die Führungskräfte des Unternehmens weltweit gelten (vgl. Praxisbeispiel Daimler und SCA sowie Kap. 5.2.5). Leadership und Management können als verschiedene Fähigkeiten verstanden werden, die sich in einer Person ergänzen sollten: Management fördert Stabilität, Ordnung und Problemlösungen, während sich Leadership an Visionen, Kreativität und Wandel orientiert (vgl. Daft 2010, S. 590 und Abb. 1.9). Beides wird benötigt, denn die Anpassungsfähigkeit einer Organisation ist die eine Seite, die Ausrichtung im laufenden Geschäft die andere Seite. Die Leistung (Performance) einer Geschäftseinheit steigt, wenn beide Seiten entwickelt und ausgewogen sind (vgl. Gibson & Birkinshaw 2004). Wie können Menschen für „beidhändige“ Führung stimuliert und motiviert werden? Nach Birkinshaw & Gibson (2008) sind Hochleistungsorganisationen dadurch gekennzeichnet, dass sowohl hohe Anforderungen gestellt werden, als auch Unterstützung und Vertrauen ausgeprägt sind. Kategorie
MANAGEMENT
LEADERSHIP
Denkhaltung
Initiiert etwas
Schafft etwas
Sachorientierung
Menschenorientierung
Richtungsfestlegung
Operationale Pläne Verbessert Bestehendes
Vision Schafft die Zukunft
Mitarbeiterbeziehungen
Straffe Kontrolle Koordiniert und leitet
Gibt Verantwortung Vertraut und entwickelt
Arbeitsweise
Macht die Dinge richtig
Macht die richtigen Dinge
Dient den Top-Managern
Dient den Kunden
Abb. 1.9
Management und Leadership (nach Hellriegel & Slocum 2009, S. 263)
26
1 Grundlagen
Praxisbeispiel: Führungskräftebeurteilung bei Daimler und SCA Die praktische Bedeutung des Leadership-Konzeptes kann am Beispiel der Führungskräftebeurteilung und -entwicklung (Leadership Evaluation and Development) bei Daimler illustriert werden (vgl. Abb. 1.10). Die Zielerreichung wird nach weltweit gleichen Standards nicht nur an Sachzielen gemessen, sondern auch nach Leadership-Kriterien bewertet. Dazu gehören: „Denkt und handelt strategisch und gibt Orientierung; initiiert Veränderungen und treibt sie voran; fordert und ermöglicht Top-Performance; geht mit Wissen und Informationen professionell um und schafft Wertschöpfung und handelt im Sinne des Unternehmens.“ Performance-Bewertung Zielvereinbarung
Bewertung der Zielerreichung
Bewertung der LeadershipKriterien Vorgesetzter
Performance
Potenzialeinschätzung 1 2 3 4 5
EDC
Low
Top
Feedback
Parallelbewertung
Abb. 1.10
Executive Development Conference
Entwicklungsplanung
Leadership Evaluation and Development bei Daimler (Daimler o.J.)
Ähnliche Kriterien werden auch bei der Svenska Cellulosa Aktiebolaget SCA, einem führenden Hersteller von Verpackungslösungen, angewendet (vgl. Abb. 1.11). Allerdings gibt es einen Unterschied: Bei SCA werden wie bei Daimler Geschäftsfähigkeiten (Business Capabilities) – wie beispielsweise visionär und strategisch, aber auch geschäfts- und ergebnisorientiert zu denken – bewertet und entwickelt. Daneben geht es aber auch um Personalfähigkeiten (People Capabilities), also um die Fähigkeiten, andere zu motivieren, Teams zu führen, Menschen mit Verantwortung auszustatten und zu entwickeln sowie respektvoll miteinander umzugehen. Beide Kriterien werden in Anforderungsprofilen umgesetzt.
1.3 Die Kunst der Führung
27 Is Visionary
Motivates Others
Thinks Strategically
Builds Teams
Leadership Profile
Develops and Empowers People
Is Business Oriented
Drives Results Shows Respect
Abb. 1.11
Leadership Profile bei SCA (SCA)
Fragen: 1. Welche Kriterien halten Sie für geeignet, um Führungskräfte zu bewerten und zu entwickeln? 2. Welche Vor- und Nachteile sehen Sie darin, Führungskräfte mit standardisierten Kriterien (Fragebogen) zu bewerten? 3. Wer sollte die Bewertungen abgeben? Quellen: Müller, H.-E.: Wie Global Player den Kampf um Talente führen. In: Harvard Business Manager 2001, Nr. 6, S. 16–25; DaimlerChrysler; Svenska Cellulosa Aktiebolaget SCA (nicht veröffentlicht).
Transformierende Führung (Transformational Leadership) ist eine Variante des Leadership-Konzepts: charismatisch und begeisternd, anspruchsvoll und visionär, integer und vertrauensbildend werden als Merkmale genannt, ebenso innovatives Denken und Coaching der Mitarbeiter. Danach verzichtet ein Vorgesetzter weitgehend darauf, Anweisungen zu erteilen, Verhalten direkt zu beeinflussen oder ausschließlich über Zielvereinbarungen zu führen. Stattdessen zielt sein Führungshandeln darauf ab, bei Mitarbeitern Einstellungen, Verhalten und Bewusstsein zu verändern. Einer charismatischen Führungspersönlichkeit gelingt dies naturgemäß leichter. Transformational Leadership soll bewirken, dass sich die Geführten nicht nur für die eigenen Interessen, sondern für höhere, übergeordnete und kollektive Ziele, Missionen oder Visionen einsetzen (vgl. Bass 1985; Avolio et al. 1999). Diese an Werten orientierte aktive Führung steht im Kontrast zur hergebrachten transaktionalen Führung, die am Wert, also an Austauschbeziehungen nach dem Muster: „Ich gebe, damit du gibst“ ausgerichtet ist. Passiver noch ist die Führung durch Management-byException, die erst bei Fehlern eingreift.
28
1 Grundlagen
Oswald Neuberger, Professor für Psychologie an der Universität Augsburg, kritisiert diese Konzepte, die wie Kleidermoden das längst bekannte nur in neuer Form propagieren, als ideologisch: „Nicht immer lassen sich die sportlich-kapitalistischen Ziele ‚Schneller! Besser! Mehr!‘ in einer Arbeitswelt voller Kreativität, Spaß und Erfolgsgenuss verwirklichen; die andere Seite der Gleichung enthält Posten wie permanente (Selbst-)Ausbeutung, Zeitdruck, Ungewissheit (in Bezug auf Einkommen, Position, Arbeitsplatz, Produktakzeptanz usw.).“ (ders. 2002, S. 209) Gründe für das wiedererwachte Interesse an charismatischer, visionärer, heroischer, transformierender Führung sieht er u.a. in dem Appell, sich großen Individuen zu unterwerfen, dem Hang zu einfachen Rezepten, in einem quasi-religiösen Erlösungsversprechen, sowie der Emotionalisierung. Aber die Geschichte habe nicht nur Mahatma Gandhi und Martin Luther King hervorgebracht, sondern auch Hitler. Das Misstrauen der Deutschen gegenüber diesen Führungsformen lasse sich auf die schlechten Erfahrungen mit „Führern“ und „Bewusstseinsmanagement“ zurückführen. Für Daniel Goleman (1998) kommt es weniger darauf an, ob „Leader“ intelligent oder charismatisch sind. Entscheidend sei ihre emotionale Intelligenz: motiviert, einfühlsam und sozial verantwortlich zu sein. Auch Henry Mintzberg (2006) hält den Aufwand um das Thema für übertrieben. Danach wird die Bedeutung des charismatischen Chief Executive Officers (CEO) überschätzt. Dezentrale Organisationsstrukturen setzen auf „Führung von unten“ und Organisationen wachsen durch das Zusammenwirken ihrer Mitglieder: „Communityship“ ist wirksamer. Dazu passt, dass der Managementforscher Jim Collins (2001) ermittelte, dass berühmte, überlebensgroße Unternehmenslenker für besonders erfolgreiche Unternehmen eher abträglich sind. Wirklich erfolgreiche Führungspersönlichkeiten kommen häufig aus dem Unternehmen, sind bescheiden und eigensinnig. Erfolgsorientierte Vergütungsformen sind dort nicht relevant.
1.3.3
Persönliche versus systemische Führung
Geführt wird nicht nur durch die persönlichen Eigenschaften der Führungskräfte (Leader Traits) oder durch Führungsstil und -verhalten (Leader and Follower Behavior), sondern auch systemisch durch die Strategie und Organisation des Unternehmens, den Markt sowie andere Institutionen der Gesellschaft (Leading System): Führung durch Marktverhältnisse: Nach Fredmund Malik, einem bekannten Managementlehrer und -berater, ist nicht „Wer soll führen?“ oder „Welcher Führungsstil?“ die entscheidende Frage, sondern: „Wie können wir unsere politischen Institutionen so organisieren, dass selbst schlechte und inkompetente Führer möglichst wenig Schaden anrichten können, und wie können wir uns von solchen Führern auf möglichst einfache und unblutige Weise wieder trennen.“ (Malik 2002, S. 44) Diese Argumentation geht auf den wirtschaftsliberalen Denker Friedrich A. von Hayek zurück, der, anknüpfend an Klassiker wie Adam Smith und John Locke, in den 1930er Jahren Märkte als Entdeckungs- und Sanktionsmechanismus begrüßte und gesellschaftliche Planung ablehnte. Führung durch Hierarchie und Technokratie: Neben der „unsichtbaren Hand“ des Marktes gibt es die „sichtbare Hand“ der Hierarchie in den Unternehmen. Harold Geneen, Vorsitzender des Weltkonzerns ITT der 1970er Jahre, rühmte sich damit, ein System geschaffen zu haben, das auch „ein Affe führen könnte, wenn ich nicht mehr da bin“. Diese technokratische Sicht vernachlässigt die sogenannten „weichen“ Faktoren des
1.3 Die Kunst der Führung
29
Wandels. Der Managementexperte Charles Handy bemerkte einmal dazu: „Heute ist die Sprache der Organisationen nicht die der technischen Planung sondern die der Politik, es geht mehr um Kulturen und Netzwerke, um Teams und Koalitionen, um Machteinfluss als um Steuerung, um Leadership, nicht um Management.“ (Handy 1995, S.71; vgl. auch Abrahamson 2004) Vernetzte Führung: Die Literatur zum richtigen Führungsstil wird überwiegend vom Kooperationsgedanken geprägt. Reiss (2011) sieht darin „bestenfalls ein Wunschbild von Führung“. Tatsächlich gibt es auch Konkurrenz, „zahlreiche Varianten von Wettbewerb, etwa die unternehmensinterne Konkurrenz von Projektleitern um die besten Mitarbeiter sowie konkurrierende Prozesse der Einflussnahme von Führungskräften, Arbeitnehmervertretern und Personalabteilung auf das Mitarbeiterverhalten. Darüber hinaus haben sich auch Formen von bewusst organisiertem Wettbewerb entwickelt“ (ebd., S. 23 f.). Der Autor empfiehlt deshalb eine Infrastruktur für vernetzte Führung, die beide Perspektiven unterstützt und geeignet ist, das gewünschte Verhältnis zwischen Zusammenarbeit und Wettbewerb zu beeinflussen. Kooperationsorientierte Instrumente schlagen sich etwa in Vereinbarungen nieder, während Wettbewerbsregeln für Fair Play sorgen sollen. Wie sehr die Führungsverhältnisse durch die Gesellschaft beeinflusst werden, zeigen die Themen Diversity Management, Gender Mainstreaming und Frauen in Führungspositionen. In der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen, aber auch in jeweiligen Landesgesetzen, wie dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG), wird als Ziel formuliert, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen. Anfangs ging es beim Diversity Management vor allem um dieses Thema der Diskriminierung bzw. der sozialen Exklusion. Heute verwenden Unternehmen eine breite Definition der Diversität, die auf die soziale Inklusion, die Gleichwertigkeit aller Individuen in der Organisation abzielt. Ziel ist es, die Vorteile der Diversität zu maximieren und die Nachteile zu begrenzen. Die noch nicht abschließend bestätigte These ist, dass eine heterogen zusammengesetzte Mitarbeiterschaft eine höhere Gesamtleistung erbringt als eine homogene. Vorteile sind unter anderem ein besseres Ansehen in der Öffentlichkeit, eine bessere Nutzung der Fähigkeiten, mehr Marktnähe, ein breiteres Führungsverständnis, bessere Teamlösungen und geringere Kosten durch weniger Fluktuation, Absentismus und Konflikte (vgl. Macharzina & Wolf 2010; Daft 2010). Besonders relevant ist das Thema für große, international tätige Unternehmen. Bereits 60 Prozent der Fortune-500-Unternehmen haben nach einem Bericht des Wall Street Journal vom 5. Januar 2012 bereits einen CDO, einen Chief Diversity Officer. Beim Gender Mainstreaming geht es darum, die Gleichstellung der Geschlechter auf allen gesellschaftlichen Ebenen durchzusetzen. In der Arbeitswelt haben Frauen erhebliche Fortschritte erzielt, aber sie werden immer noch schlechter bezahlt und sie erreichen sehr viel weniger Spitzenpositionen als Männer. In den entwickelten Ländern ist der Einstieg von Frauen ins Erwerbsleben erst seit wenigen Jahrzehnten verbreitet und hat sich inzwischen der Erwerbstätigkeit der Männer angenähert. Eine große Lücke besteht aber immer noch bei Frauen in Führungspositionen. In den USA wie in der Europäischen Union übernehmen Frauen in den Spitzengremien der Wirtschaft weniger als 15 Prozent der Sitze (vgl. The Eco-
30
1 Grundlagen
nomist vom 26.11.2011; European Commission 2012). Dabei gibt es grosse Unterschiede: 2011 sind im Vorstand schwedischer Unternehmen 21 Prozent Frauen, in den USA sind es 14 Prozent, in Deutschland und Indien 3 Prozent und in Japan 1 Prozent (vgl. Barsh et al. 2012). Die Tatsache, dass vergleichsweise wenige Frauen in obere Führungspositionen aufsteigen, kann zum einen damit erklärt werden, dass die Vorstellung der Überlegenheit der eigenen Gruppe (Ethnozentrismus) dominiert und unsichtbare Barrieren (Glass Ceiling) abschottend wirken, zum anderen aber dadurch, dass andere Prioritäten im Verhältnis von Arbeits- und Lebenszeit, etwa bei der Kinderbetreuung, gesetzt werden. Vorzeigeprojekte (Best-Practice-Examples), wie eine erste Führungsakademie für Managerinnen der Bertelsmann Stiftung, können dazu beitragen, die Vielfalt der Talente und Fähigkeiten der Menschen zu nutzen. Unternehmen, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern wollen, können sich von der Beruf und Familie gGmbH der Hertie Stiftung und entsprechenden Projekten der Bertelsmann Stiftung beraten und auditieren lassen. Eine wesentlich härtere Maßnahme ist eine gesetzliche Quotenregelung, die in Norwegen bereits eingeführt ist, in anderen Ländern aber kontrovers debattiert wird; auch Männer dürfen nicht benachteiligt werden. Das Thema Vereinbarkeit Familie und Beruf geht allerdings nicht nur Frauen an: „Ein Viertel der Väter nimmt heute eine Elternzeit. Wer allerdings ein Jahr von der Arbeit wegbleibt, gilt als Exot – und wird mit Fragen konfrontiert, die sonst nur Frauen kennen.“ (FAZ vom 16.11.2012, S.12) Work-Life-Balance (das heikle Verhältnis von Arbeits- und Lebenszeit), Flexicurity (Wandel durch soziale Sicherheit), Co-Management (Mitwirkung an Entscheidungen): diese Schlagworte der letzten Jahre illustrieren, dass sich auch die Führungsanforderungen verändert haben. Zunehmend kommt es auch auf die Initiative des Einzelnen an. Denn einerseits machen große Männer und Frauen Geschichte, anderseits werden sie von ihr gemacht. Erinnert sei hier erneut an das Beispiel IBM: Der Computer-Riese der 1980er Jahre hatte den Personal Computer verschlafen, nicht zuletzt wegen seiner bürokratischen Struktur und konservativen Kultur. Die Wiederbelebung des alten Riesen mit dem Internet ging indessen nicht vom Vorstand aus, sondern von der Basis. Nach Gary Hamel, einem einflussreichen Strategiedenker, waren es der IBM-Programmierer Dave Grossmann, der Manager John Patrick und weitere Gleichgesinnte, die einen Sturm neuer Ideen und Initiativen entfachten und den Wandel zur neuen IBM, der Internet Business Machine lostraten. Für Hamel ist dies „Führung von unten“ (vgl. Hamel 2001). Als Ergebnis können wir festhalten, dass in Organisationen zum einen persönlich und interaktiv geführt wird, zum anderen aber systemisch durch Strategien, die Organisationsgestaltung und Einflüsse der Gesellschaft. Führung ist nicht mehr ausschließlich eine Angelegenheit von „denen da oben“. Folgt man den Ergebnissen einer Studie des Führungs- und Personalforschers Rolf Wunderer, wird die unternehmerische und strategische Orientierung des Personalwesens zunehmen, Führungskräfte sollen Visionen und Enthusiasmus vermitteln, sich mehr Zeit für die individuelle Mitarbeiterförderung nehmen, Wandel menschlich bewältigen und mehr Wert auf die Umsetzung legen (vgl. Wunderer & Dick 2001). Allerdings werden Personaler und Betriebsräte oft in die Rolle gedrängt, nur die Schattenseiten des Wandels zu bewältigen. Denn einerseits steht der Mensch zwar als Humankapital im Mittelpunkt, andererseits wird er durch neue Technologien und Restrukturierungsmaßnahmen überflüssig. Ein weltweiter Vergleich der Managementkulturen lässt daran zweifeln, ob
1.4 Unternehmensverfassung und Corporate Governance
31
deutsche Chefs darauf eingestellt sind, Wandel menschlich zu bewältigen (vgl. Brodbeck et al. 2002). Seit den 1990er Jahren dominierten radikale Managementkonzepte. Harte Schnitte der Restrukturierung durch „Business Reengineering“, die Überschätzung der so genannten „New Economy“ sowie die einseitige Orientierung an den Finanzmärkten (Shareholder Value) waren die Wegmarken. Heute, nachdem so manches Unternehmen am radikalen Wandel und der Finanzkrise zugrunde gegangen ist, könnten sich die Ansichten ändern.
1.4
Unternehmensverfassung und Corporate Governance
1.4.1
Rahmenbedingungen
Unternehmensverfassung und Corporate Governance setzten Rahmenbedingungen für die Unternehmensführung. Ähnlich wie die Staatsverfassung wird die Unternehmensverfassung als politisch-rechtlicher Begriff verstanden (vgl. Abb. 1.12). Die Unternehmensverfassung regelt die Grundrechte und Pflichten der Unternehmensmitglieder (Anteilseigner, Manager, Arbeitnehmer). Ihre Reichweite wird durch das Kriterium der Einklagbarkeit von Rechten und Pflichten bestimmt (vgl. Macharzina & Wolf 2010, Kap. 3.2). Corporate Governance handelt zwar ebenso vom institutionellen Aspekt der Unternehmensführung, geht aber, wie sich zeigen wird, mit seinen Gestaltungsfeldern und Instrumenten über rechtliche Regelungen hinaus. Beide Themen überschneiden sich.
Regelungsgegenstand
Staatverfassung
Unternehmensverfassung
Grundrechte und -pflichten der Systemmitglieder
Grundrechte und -pflichten der Staatsbürger
Grundrechte und -pflichten der Unternehmensmitglieder (Anteilseigner, Manager, Arbeitnehmer)
Zwecksetzung, Struktur und Kompetenzen der Entscheidungsorgane
Staatsorgane (z.B. Parlament, Regierung)
Unternehmensorgane (z.B. Vorstand, Aufsichtsrat, Hauptversammlung)
Systemziele
Staatsziele (z.B. wirtschaftliches Gleichgewicht, soziale Sicherheit und Gerechtigkeit)
Unternehmensziele (z.B. finanzielle Ziele, Kundenzufriedenheit, gesellschaftliche Verantwortung)
Abb. 1.12
Staats- und Unternehmensverfassung (nach Macharzina & Wolf 2010)
Eine Unternehmensverfassung ist notwendig, weil durch das geregelte Zusammenwirken der Interessengruppen der Wissensaustausch und Lerneffekte gefördert werden und weil die an Unternehmen beteiligten Akteure und Gruppen, neben einem gewissen Grundkonsens,
32
1 Grundlagen
abweichende Interessen verfolgen (vgl. Abb. 1.13). Sie sind daher darum bemüht, die Entscheidungsprozesse in den Unternehmen zu ihrem Vorteil zu beeinflussen. Somit ist „ein Regulativ erforderlich, das das konkurrenzorientierte Streben nach individuellem Vorteil normiert und zum Ausgleich bringt“ (Macharzina & Wolf 2010, S. 126). Dazu im Folgenden nur wenige Eckpunkte, dargestellt am Beispiel der modernen Kapitalgesellschaft, die als Aktiengesellschaft nicht nur als repräsentativer Typ des Großunternehmens angesehen werden kann, sondern als von Managern geführte Unternehmung auch besondere Fragen aufwirft. Von einer detaillierten, auch gesellschaftsrechtlich abgesicherten Darstellung des Themas Unternehmensverfassung und Corporate Governance wird hier abgesehen.3 Koalitionspartner
Typische Interessen
Top-Management
Einfluss auf das Unternehmen und seine Umwelt (Macht); Prestige; hohes Einkommen; Verwirklichung schöpferischer Ideen
Bereichsleitung/Spezialisten
Einfluss auf den eigenen und andere Unternehmensbereich(e) sowie das Top-Management; Anwendung und Erweiterung professioneller Fähigkeiten; Prestige; hohes Einkommen
Übrige Mitarbeiter
Hohes Einkommen; soziale Sicherheit; Selbstentfaltung am Arbeitsplatz; gute Arbeitsbedingungen und zwischenmenschliche Beziehungen
Eigenkapitalgeber
Hohe Gewinnausschüttung; Teilnahme an Wertsteigerung durch Kursentwicklung und günstige Angebote bei Kapitalerhöhungen; Einfluss auf Top-Entscheidungen
Fremdkapitalgeber (Gläubiger)
Hohe Verzinsung; Sicherheit und pünktliche Rückzahlung des zur Verfügung gestellten Kapitals
Lieferanten
Günstige Lieferkonditionen; Zahlungsfähigkeit; anhaltende Liefermöglichkeiten
Kunden
Qualitativ hochstehende Leistungen zu günstigen Preisen; Nebenleistungen wie Konsumentenkredite, Service, Ersatzteile oder Beratung; gesicherte Versorgung
Kommunalbehörden
Beiträge zur Infrastruktur und zu Kultur- und Bildungsinstitutionen; Bereitstellung von Arbeitsplätzen
Staat
Einhaltung gesetzlicher Vorschriften; hohes Exportniveau; Steuereinnahmen
Arbeitnehmervertreter
Anerkennung als Verhandlungspartner; Verhandlungsfairness; Informations-, Beratungs- und Mitbestimmungsrechte durchsetzen
Arbeitgeberverbände
Ausrichtung unternehmerischer Entscheidungen an eigenen Interessen; Beitragszahlung
Abb. 1.13
Interessen am Unternehmen (nach Macharzina & Wolf 2010)
Was haben die deutsche Aktiengesellschaft, die Gesellschaft mit beschränkter Haftung und die Kommanditgesellschaft auf Aktien, sowie auch die amerikanische Corporation, die britische Public Limited und die französische Société Anonyme gemeinsam? Sie sind Kapitalgesellschaften, deren Gesellschafter gewöhnlich nicht mitarbeiten, sondern Manager zur Führung des Unternehmens einsetzen. Die Kapitalgesellschaft ist eine unabhängige rechtliche Einheit, eine juristische Person. Die Gesellschafter haften nicht mit ihrem persönlichen Vermögen für die Schulden der Gesellschaft, sie können ihre Anteile übertragen und ihr Einfluss hängt gewöhnlich von der Höhe der Kapitalbeteiligung ab. Die jeweiligen Grenzen der Fähigkeiten und Vermögen natürlicher Personen werden mit der Kapitalgesellschaft überwunden, daraus entsteht aber zugleich die Notwendigkeit, dafür zu sorgen, dass die Tätigkeit der
3
Als Vertiefung zum Thema Unternehmensverfassung und Corporate Governance wird Macharzina & Wolf 2010, Kap. 3 empfohlen. Zur empirischen Untersuchung des deutschen Corporate Governance Systems vgl. Gerum 2007. Für einen internationalen Überblick vgl. Clarke 2007, Theiselmann 2011.
1.4 Unternehmensverfassung und Corporate Governance
33
Führungsorgane dem Wohle der Kapitalanleger oder aber der Unternehmung dient. Warum diese Unterscheidung? Die von Managern geführte Kapitalgesellschaft löst nicht nur Nachfolgeprobleme in Familienunternehmen, sie hat die Welt verändert. Nach Chandler (1977) und Kocka & Siegrist (1979) hat sich der Typus des „Managerial Enterprise“ gegenüber dem „Personal Enterprise“ bzw. dem „Entrepreneurial Enterprise“ bereits um 1900 in den USA und in den 1920er Jahren in Deutschland als dominierende Form durchgesetzt. Mit der „Managerial Revolution“ und der Unternehmenskonzentration wird oft die generelle Annahme verbunden, dass die marktförmige Koordination durch die planmäßige Koordination in Monopolen ersetzt werde, eine Vorstellung, der schon Marx und Schumpeter widersprochen haben. Marx wird gewöhnlich unterstellt, dass er die Ablösung der Konkurrenz durch das Monopol und damit den Zusammenbruch des Systems erwartet habe, was bekanntlich nicht eingetreten ist. Tatsächlich aber besteht die Kernthese der Marxschen Argumentation darin, dass die große Industrie, die sie begleitende Konzentration und die Marktkonkurrenz sich wechselseitig bedingende Formen und keine Voraussetzungen der kapitalistischen Produktionsweise sind, sondern von dieser erst entwickelt werden (vgl. Müller 1985). Auch für Schumpeter zählt nicht die statische Konkurrenz, wie sie sich in manchen Lehrbüchern findet, sondern vielmehr die dynamische Konkurrenz, „die Konkurrenz der neuen Ware, der neuen Technik, der neuen Versorgungsquelle, des neuen Organisationstyps (zum Beispiel der größtdimensionierten Unternehmenseinheit)“ (Schumpeter 1950, S. 139 f.). Durch die Konzentration sind große und mächtige Multinationale Konzerne entstanden, die, wie nicht zuletzt die Finanzkrisen gezeigt haben, für das gesellschaftliche System relevant sind und daher im besonderen Maße der Regulierung unterworfen werden. Auf der anderen Seite verschwinden kleine und mittlere Unternehmen (KMU) dadurch nicht. Wikipedia berichtet, dass in der Europäischen Union ca. 99 Prozent aller Unternehmen zu den KMU gehören, die ca. 65 Millionen Menschen einen Arbeitsplatz bieten. Entscheidend ist auch hier die Dynamik der Entwicklung nicht aus dem Auge zu verlieren. Auch in unserer Zeit waren es junge und wagemutige Unternehmer, die heute bedeutende Unternehmen wie Apple, Facebook und SAP gegründet haben. Bei der Unternehmensverfassung bzw. Corporate Governance geht es im Kern um zwei Fragen: „Welche Interessen bestimmen bzw. sollen die Zielsetzung und Politik des Unternehmens bestimmen (Legitimationsfrage)? Wie ist die formale Entscheidungsstruktur gestaltet bzw. interessenkonform zu gestalten (Organisationsfrage)?“ (Gerum 2007, S. 7) Diese Definition schließt die Interessen der Eigenkapitalgeber, wie etwa den Schutz der Minderheitsaktionäre, mit ein, fragt aber auch, ob etwa die Mitbestimmung der Arbeitnehmer eingeführt werden soll oder wie die Interessen der Konsumenten oder auch der Umwelt besser geschützt werden können. Zur Organisationsfrage sind das Aufsichtsrats- und das Boardmodell zu unterscheiden: Dualistisches Trennungsmodell: In der deutschen Aktiengesellschaft wählt die Hauptversammlung der Aktionäre ihre Vertreter für den Aufsichtsrat, der als Kontrollorgan den Vorstand bestellt und überwacht. Darüber hinaus wird in Kapitalgesellschaften mit mehr als 500 Beschäftigten ein Drittel bis zur Hälfte der Sitze im Aufsichtsrat von Arbeitnehmervertretern (ggf. inklusive eines leitenden Angestellten) eingenommen. Als Ausführungsorgan führt der Vorstand die Geschäfte in eigener Verantwortung. Diese
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1 Grundlagen
dualistische Trennung von Ausführung und Überwachung ist beispielsweise auch in den Niederlanden und in der Tschechischen Republik vorgeschrieben. Monistisches Vereinigungsmodell: Im Verwaltungsrat (Board of Directors) japanischer, britischer und US-amerikanischer Kapitalgesellschaften sind Ausführung und Überwachung monistisch vereinigt. Der Verwaltungsrat hat die Verpflichtung, sein eigenes Handeln selbst zu kontrollieren. Der Chief Executive Officer (CEO) an der Spitze ist alleinverantwortlich – nicht gemeinsam verantwortlich, wie der Vorstandsvorsitzende mit seinen Vorstandskollegen beim Trennungsmodell. In der Europäischen Aktiengesellschaft (Societas Europaea, SE) kann die Geschäftsführung entweder nach dem dualistischen oder nach dem monistischen System ausgeübt werden. Letzteres wird von Familienunternehmen und Konzerngesellschaften gewählt, wenn durch Satzung und Geschäftsordnung der Verwaltungsrat nach dem angelsächsischen BoardModell gestaltet werden soll. Wie ist die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in Deutschland in den Rahmen der Unternehmensverfassung einzuordnen? In der sozialen Marktwirtschaft wird die unternehmerische Freiheit durch Schutz- und Mitwirkungsrechte beschränkt. Dazu gehören etwa der Kündigungsschutz und die Mitbestimmung der Arbeitnehmer, wie ebenso der Gläubigerschutz für Fremdkapitalgeber, der Eigentumsvorbehalt für Lieferanten, der Verbraucherschutz für Kunden und der Umweltschutz für die Öffentlichkeit. Die Arbeitnehmer und ihre Interessenvertretungen erwarten eine Berücksichtigung ihrer Interessen im Arbeitsalltag, Mitspracherechte bei der Unternehmensleitung und die Sicherung ihrer sozialen Bedürfnisse (so auch Wöhe & Döring 2010, S. 57 ff.). Die soziale Absicherung der Arbeitnehmer wird durch Gesetz, Rechtsprechung, Tarifverträge sowie Betriebsvereinbarungen geregelt, etwa zu Arbeitszeit, Urlaub, Entgelt und Kündigungsschutz. Zur arbeitsrechtlichen Mitbestimmung, die im Betriebsverfassungsgesetz geregelt ist, gehört die Mitwirkung der Arbeitnehmer in personellen, sozialen und wirtschaftlichen Angelegenheiten über den Betriebsrat. Die unternehmensrechtliche Mitbestimmung im Aufsichtsrat ist durch Mitbestimmungsgesetze geregelt. Schutz- und Mitwirkungsrechte gibt es auch in anderen Ländern, wenngleich unterschiedlich ausgeprägt. Hinzu kommen länderübergreifende Mitwirkungsinstitutionen, wie der Europäische Betriebsrat und die Arbeitnehmerbeteiligung in der Europäischen Aktiengesellschaft.4 Corporate Governance befasst sich mit dem Ordnungsrahmen für eine erfolgreiche Unternehmensführung und -kontrolle (vgl. Praxisbeispiel BASF). Dabei geht es in den USA und England überwiegend um die Frage, wie in managergeführten Unternehmen die Interessen der Aktionäre (Shareholder) durchgesetzt werden. In Kontinentaleuropa und Asien hingegen wird der Begriff gewöhnlich weiter gefasst: Corporate Governance bestimmt Grundsätze der Unternehmensführung und -kontrolle, die nicht nur den Interessen der Kapitalanleger sondern dem Wohl des Unternehmens dienen; dazu gehört die Berücksichtigung der Interessen der relevanten Anspruchsgruppen (Stakeholder). Rechtstraditionen sind ein Ansatz, 4
Von einer detaillierten Darstellung der Mitbestimmung, auch im internationalen Vergleich, muss hier abgesehen werden. Vgl. u.a. die einschlägigen Kommentare zum Betriebsverfassungsgesetz und zur Mitwirkung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat. Unterschiedliche Positionen zur Mitbestimmung werden deutlich etwa in: Arbeitskreis Unternehmerische Mitbestimmung (2009) und Hexel (2009).
1.4 Unternehmensverfassung und Corporate Governance
35
um internationale Unterschiede der Corporate Governance zu erklären. So hängt der rechtliche Schutz der Investoren gegenüber dem Management oder anderen Unternehmens-Insidern von den historischen Ursprüngen des jeweiligen Landesrechts ab, ob dieses nun englisches Common Law oder französisches, deutsches oder skandinavisches Zivilrecht ist (vgl. Eun & Resnick 2003). Ein weiterer Grund ist die jeweilige politisch beeinflusste historisch-soziale Situation. Ein Zentrum der Willensbildung in großen Organisationen, neben Anteilseignern und Management, ist in vielen Ländern Europas heute auch die Arbeitnehmervertretung im Unternehmen, während diese in den USA und in England kaum entwickelt ist. Diese Unterschiede zeigen sich auch in einer älteren, international vergleichenden Umfrage. Vor die Alternative „Arbeitsplatzsicherheit“ oder „Dividende“ gestellt, wird von amerikanischen und britischen Firmenchefs zu 90 Prozent erwartet, dass sie „Dividende“ wählen. „Arbeitsplatzsicherheit“ hingegen wird erwartet von 97 Prozent in Japan und 59 Prozent in Deutschland, aber nur von 11 Prozent in den USA und Großbritannien (vgl. Yoshimori 1995). Mit der Globalisierung, der wachsenden Bedeutung des Kapitalmarktes und der Auflösung traditioneller Bindungen haben sich die Gewichte in Deutschland zugunsten der Anlegerinteressen verschoben (vgl. Höpner 2003). Gleichwohl besteht nach Gerum (2007) Kontinuität trotz Wandel: Von einer Konvergenz des deutschen Systems mit dem angloamerikanischen Modell der Corporate Governance könne nicht die Rede sein. Wir halten fest: Träger von Führungsentscheidungen in großen, managergeführten Unternehmen sind heute nicht mehr allein die Eigenkapitalgeber (Shareholder), sondern auch Manager und in gewissem Umfang auch Arbeitnehmervertreter. Die Feststellung von Erich Gutenberg (1962), dass von „drei Zentren der Willensbildung“ im Unternehmen auszugehen ist, weil sich in der Unternehmensverfassung und Corporate Governance „die historischsoziale Situation einer Zeit oder eines Landes widerspiegelt“ (ders., 1958), gilt bis heute. Recht, Rechtsprechung, untergesetzliche Regelungen und Firmenkodizes sind so gesehen nur Ausdruck dieser Situation. Die chinesischen Staatsbetriebe beispielsweise, die in den vergangenen Jahren weltweit stark an Gewicht gewonnen haben, werden vom Politbüro der KP Chinas gesteuert, auch um andere Staaten und Unternehmen politisch zu beeinflussen (vgl. Rudolph 2012). Am Beispiel Aktiengesellschaft soll im Folgenden gezeigt werden, welche Instrumente zur Corporate Governance in Deutschland angewendet werden.
Praxisbeispiel: BASF zur Corporate Governance Der Corporate Governance Bericht im Geschäftsbericht 2011 der BASF umfasst 18 eng beschriebene Seiten. Er enthält eine Übersicht zur Corporate Governance der BASFGruppe und den Organen der Gesellschaft, den Vergütungsbericht, den Bericht an den Aufsichtsrat und die Entsprechenserklärung. So heißt es dort: „Corporate Governance umfasst das gesamte System der Leitung und Überwachung eines Unternehmens, einschließlich seiner Organisation, seiner Werte und geschäftspolitischen Grundsätze und Leitlinien sowie der internen und externen Kontroll- und Überwachungsmechanismen. Gute und transparente Corporate Governance gewährleistet eine verantwortliche, auf Wertschöpfung ausgerichtete Leitung und Kontrolle des Unternehmens. Sie fördert das Vertrauen der nationalen und internationalen Anleger, der Finanzmärkte, der Kun-
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1 Grundlagen
den und anderen Geschäftspartner, der Mitarbeiter sowie der Öffentlichkeit in die BASF.“ (S. 120) „Die BASF misst guter Corporate Governance einen hohen Stellenwert bei. Sie unterstützt deshalb den Deutschen Corporate Governance Kodex als ein wichtiges Instrument zur kapitalmarktorientierten Weiterentwicklung von Unternehmensführung und -kontrolle und bekennt sich zu einer verantwortungsbewussten Unternehmensführung, die auf eine nachhaltige Steigerung des Unternehmenswertes ausgerichtet ist. Die BASF SE entspricht sämtlichen Empfehlungen des zuletzt im Mai 2010 geänderten Deutschen Corporate Governance Kodex. Dies gilt auch für die neuen Empfehlungen des Kodex zur Zusammensetzung von Vorstand und Aufsichtsrat und zur Besetzung von Führungsfunktionen im Unternehmen.“ (S. 123) Fragen: 1. Vergleichen Sie diese Erklärung von BASF mit Erklärungen anderer Unternehmen zu Corporate Governance auf den Webseiten der Unternehmen. Wer wird hier angesprochen und mit welchem Zweck? 2. Teilen Sie die Auffassung, dass der Deutsche Corporate Governance Kodex zur „kapitalmarktorientierten Weiterentwicklung von Unternehmensführung und -kontrolle“ beiträgt? Warum? Welche Aufgaben sollte er außerdem verfolgen? Quelle: BASF, Corporate Governance. www.basf.com, abgefragt am 28.08.2012. Vgl. auch die Ausführung zur Unternehmensführung auf dieser Webseite.
„Der Vorstand hat unter eigener Verantwortung die Gesellschaft zu leiten.“ Diese Bestimmung aus § 76 Abs. 1 des deutschen Aktiengesetzes ist ein Hinweis auf die Machtfülle der Unternehmensleitung, die es auch in anderen Ländern gibt. Diese wird durch institutionelle Rahmenbedingungen, etwa durch die bestmögliche Verteilung von Verfügungsrechten für eine erfolgreiche Unternehmensführung und -kontrolle eingeschränkt (von Werder 2004; Wöhe & Döring 2010; Ireland et al. 2009). Gestaltungsfelder und Instrumente der Corporate Governance sind (vgl. Abb. 1.14): (1) Strukturen, Prozesse und Personen: Regelungen zur Festlegung der übergeordneten Zielsetzung des Unternehmens. So verpflichtet das deutsche Aktienrecht die Führungsorgane der Aktiengesellschaft auf das Unternehmensinteresse, das aus der angemessenen Berücksichtigung der Einzelinteressen der relevanten Bezugsgruppen (Stakeholder) resultiert. Instrumente um das Unternehmensziel zu erreichen und die Unternehmensleitung zu verpflichten, sind Gewaltenteilung, Anreizsysteme und Kontrollsysteme: Zur Gewaltenteilung gehören in der deutschen Aktiengesellschaft der mehrgliedrige Organaufbau aus Hauptversammlung, Aufsichtsrat und Vorstand und die Mitbestimmung im Aufsichtsrat. Der Einfluss des Aufsichtsrats kann etwa durch Bestellung und Abberufung des Vorstands nach § 84 AktG ausgeübt werden, oder dadurch, dass bestimmte Arten von Geschäften nur mit seiner Zustimmung vorgenommen werden dürfen (§ 111 Abs. 4 AktG). Der Aufsichtsrat ist daher kein reines Kontrollorgan und er bringt auch Wissen und Kompetenz mit ein (Jürgens & Lippert 2005). Der Einfluss der Eigentümer steigt mit
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37
dem relativen Anteil der stimmberechtigten Aktien, die von einzelnen Aktionären oder institutionellen Investoren gehalten werden, der der Arbeitnehmervertreter hingegen mit dem von ihnen mobilisierbaren Machtpotential. Internationale Erfahrung ist vorteilhaft (vgl. Schmid & Daniel 2007), sollte aber kein Dogma sein. Anreizsysteme sind die erfolgsabhängige Managervergütung aber auch Haftungsvorschriften. Kontrollsysteme. Ein Risikoüberwachungssystem gemäß § 91 Abs. 2 AktG soll die Eintrittswahrscheinlichkeit von existenzgefährdenden Risiken verringern, Gegensteuern und Früherkennung ermöglichen und die Absicherung zum Beispiel durch Versicherungen gewährleisten. Der Vorstand muss den Aufsichtsrat über Risiken von großer Tragweite informieren und das Risikoüberwachungssystem im Lagebericht dokumentierten (vgl. § 289 Abs. 2 Nr. 2 HGB). (2) Transparenz dient der umfassenden Information der Anspruchsgruppen – seien es nun Aktionäre, Gläubiger, Arbeitnehmer, Lieferanten oder Umweltgruppen – über die Risiken und Chancen des Unternehmens. Zusätzlich zur traditionellen externen Rechnungslegung sind in den letzten Jahren eine Reihe von Gesetzen entstanden, die das Informationsgefälle zwischen der Unternehmensleitung und der interessierten Öffentlichkeit abbauen sollen.5 In ihrer Berichterstattung über die Beziehungen zu den Anteilseignern (Investor Relations) und zur sozialen und ökologischen Verantwortlichkeit des Unternehmens (Corporate Social Responsibility) gehen die Unternehmen häufig über die gesetzlichen Mindestanforderungen hinaus. (3) Kontrolle kann durch institutionalisierte Regelungen (wie den Aufsichtsrat) und durch wenig beeinflussbare Umweltbedingungen (wie Märkte) ausgeübt werden. Dazu gehört auch der Markt für Unternehmenskontrolle, der durch Aktienverkäufe, Kursrückgänge, feindliche Übernahmen und Auswechslung des Managements sanktionierend wirkt (vgl. Ireland et al. 2009). Im Fall der Übernahme durch Beteiligungsgesellschaften (Private Equity) hat sich aber auch gezeigt, dass durch kreditfinanzierte Übernahmen mit anschließender Übertragung der Zinslasten weniger das Top-Management als das Unternehmen selbst unter Druck gerät. Die institutionalisierte Kontrolle erfolgt in Deutschland vor allem durch den Aufsichtsrat und den Wirtschaftsprüfer. Letzterer prüft den Jahresabschluss einschließlich des Risikoüberwachungssystems und erstellt einen Bericht. Der Aufsichtsrat muss sich mit
5
Die internationale Harmonisierung der Rechnungslegung, die Verbreitung des Shareholder Value Konzeptes und der aktienbasierten Managervergütung und massive Bilanzfälschungen waren der Hintergrund für mehr gesetzlich geregelte Transparenz und Kontrolle bei kapitalmarktorientierten Unternehmen seit 2001. Die USA reagierten u.a. mit dem Sarbanes-Oxley Act von 2002. In Deutschland gehören dazu u.a. das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) von 1998, das börsennotierte Unternehmen zu einem Risikoüberwachungssystem verpflichtet; das Gesetz zur weiteren Reform des Aktien- und Bilanzrechts, zu Transparenz und Publizität (TransPuG) von 2002, das u.a. die Rechte des Aufsichtsrats stärkt und eine Entsprechenserklärung zum DCGK einführt; das Bilanzrechtsreformgesetz (BilReG) von 2004, das u.a. die internationale Rechnungslegung nach IFRS und die Unabhängigkeit des Abschlussprüfers unterstützt; das Bilanzkontrollgesetz (BilKoG) von 2004, das das durch Bilanzskandale erschütterte Vertrauen in die Rechnungslegung durch ein Enforcementverfahren stärken soll, und schließlich das Vorstandsvergütungs-Offenlegungsgesetz (VorstOG) von 2005. Die Vorschriften ändern das Aktiengesetz (AktG) und das Handelsgesetzbuch (HGB).
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1 Grundlagen
dem Bericht des Wirtschaftsprüfers auseinandersetzen und den Jahresabschluss genehmigen. Vorstand, Aufsichtsrat und Wirtschaftsprüfer haften bei Pflichtverletzungen.
Ziel
Gestaltungsfelder
(1) Strukturen, Prozesse und Personen
Instrumente
- Gewaltenteilung - Anreizsysteme - Risikoüberwachungssysteme
Umsetzung
Abb. 1.14
Erfolgreiche Unternehmensführung - Schaffung eines Ordnungsrahmens durch Verteilung von Verfügungsrechten
(2) Transparenz
- Informationen für Stakeholder - Investor Relations
(3) Kontrolle
Stärkung von Kontrollinstanzen z.B. Aufsichtsrat und Wirtschaftprüfer
Internationale Strategie und Organisation
Gesetzliche bzw. untergesetzliche Regelungen
Ziele und Gestaltungsfelder der Corporate Governance (nach Wöhe & Döring 2010, S.65)
Zur Umsetzung werden die Gesetze durch untergesetzliche Regelungen (Soft Law) ergänzt, wie sie sich in den Empfehlungen und Anregungen der ‚Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex (DCGK) für börsennotierte Gesellschaften finden (vgl. Regierungskommission 2012). Außerdem gibt es einen freiwilligen Governance Kodex für Familienunternehmen (GKFU), der auf einer privaten Initiative beruht. Ähnliche Regelungen gibt es auch in anderen Ländern und auf europäischer bzw. internationaler Ebene, wie die OECD-Grundsätze der Corporate Governance aus 2004. Regelungsbereiche des DCGK sind die Empfehlung an den Aufsichtsrat, regelmäßig die Effizienz seiner Tätigkeit zu überprüfen, oder aber die Begrenzung der Abfindungen bei den Vorstandsgehältern. Durch eine Entsprechenserklärung (Compliance-Erklärung) müssen börsennotierte Gesellschaften gemäß § 161 AktG im Hinblick auf die Empfehlungen des DCGK jährlich erklären, in wieweit sie diese anwenden. Zur Strategie heißt es im Kodex: „Der Vorstand stimmt die strategische Ausrichtung des Unternehmens mit dem Aufsichtsrat ab und erörtert mit ihm in regelmäßigen Abständen den Stand der Strategieumsetzung.“ (DCGK 2012, Ziffer 3.2) Bei der Überwachung der Strategie wurden allerdings Lücken feststellt. In einer Untersuchung des Lehrstuhls für Unternehmensführung an der Universität Dortmund wurde festgestellt: „Die Aufsichtsräte reagieren zu spät; sie kontrollieren nur die Resultate der Unternehmensstrategie, anstatt schon im Frühstadium die Geschäftspolitik zu überwachen. (...) Eine umfassende strategische Überwachung halten die meisten Aufsichtsräte für unwichtig. Nur 7 Prozent der Befragten besprechen die strategischen Unternehmensziele mit ihrem Management, die überwiegende Mehr-
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heit nimmt sie lediglich zur Kenntnis oder nickt sie ab.“ (Manager Magazin 10/2005, S. 47; Grothe 2006) Aufsichtsräte sollen nach dem Kodex regelmäßig eine Effizienzprüfung durchführen. Dabei lassen sich Stärken und Schwächen feststellen und Empfehlungen zur Verbesserung festhalten. Die Auseinandersetzung mit der Strategie sollte ein Thema im Aufsichtsrat oder in einem Strategieausschuss sein (vgl. Praxisbeispiel E.ON). Was aber ist unter „umfassender Überwachung“ zu verstehen? Der Aufsichtsrat wird nur sehr begrenzt in der Lage sein, dem Management dabei zu helfen, eine bessere Strategie zu entwickeln. Seine Aufgabe ist es, die nachhaltige Entwicklung des Unternehmens im Auge zu haben, das Risiko/RenditeProfil des Unternehmens festzulegen und als ausgleichende Kraft gegenüber den Perspektiven und Präferenzen des Managements zu wirken (vgl. näher Kap. 2.5). Dabei wirkt die Trennung von Vorstand und Aufsichtsrat dem Phänomen des Gruppendenkens (GroupThink Phänomen) entgegen, wonach in zusammenhängenden Gruppen der vermutete Konsens die kritische Auseinandersetzung verdrängt. Ein bekanntes Beispiel dafür ist die „Schweinebucht-Affäre“: Keiner der Berater von Präsident Kennedy opponierte gegen das risikoreiche Vorhaben einer Invasion in Kuba (vgl. Steinmann & Schreyögg 2005, S. 622 ff.).
Praxisbeispiel: Stärken und Schwächen des E.ON-Aufsichtsrats E.ON ist einer der vier großen deutschen Energieversorger. In seiner Ausgabe vom Juni 2009 veröffentlichte das Manager Magazin anlässlich des anstehenden Wechsels im Vorstand und Aufsichtsrat die von einer Personalberatung durchgeführte Bewertung der Aufsichtsratstätigkeit. Diese eigentlich interne Unterlage wird hier wiedergegeben: Stärken und Schwächen des E.ON-Aufsichtsrats Stärken hochkarätig besetzter Aufsichtsrat; starker Aufsichtsratsvorsitzender (ARV) mit ausgeprägtem Geschäftsverständnis; auf Seiten der Kapitalvertreter keine Hinweise auf Fraktionsbildung oder politische Agenda; gute Zusammenarbeit zwischen ARV und stellvertretendem ARV; hohe Zufriedenheit mit der Arbeit der Ausschüsse; sehr intensive und sorgfältige Vorbereitung der Sitzungen; gute Qualität der vorbereiteten Unterlagen. Schwächen stark formalisierter Ablauf der Plenarsitzungen mit Verlesung der Vorstandsvorlagen; Möglichkeit zur Diskussion vorhanden, wird aber wegen formaler Atmosphäre wenig genutzt; mangelnde Transparenz in der Nachfolgeplanung; kein Einblick in die zweite Führungsebene; keine intensive Strategiediskussion;
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beim Vorstand kein ausgeprägter Wunsch nach intensiverer Interaktion mit dem Aufsichtsrat; wenig Möglichkeiten zum informellen Austausch zwischen Kapitalvertretern und Arbeitnehmern; Befürchtung, dass Gruppenbildung bei den Arbeitnehmervertretern die Arbeit des Aufsichtsrates beeinträchtigen könnte. Fazit Insgesamt ein starker, verantwortungsbewusster Aufsichtsrat, dessen erhebliches Potential allerdings nur begrenzt genutzt wird. Empfehlungen Der Aufsichtsratsvorsitzende sollte andere Mitglieder stärker einbeziehen, einen offenen Dialog fördern, aktiv zur Diskussion ermuntern. Der Vorstandsvorsitzende sollte einen intensiveren Austausch mit Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat pflegen. Es sollte eine jährliche Strategieklausur für den Aufsichtsrat eingeführt werden. Die Vergütung sollte weniger erfolgsabhängig gestaltet werden und sich stärker am gewünschten Zeitansatz ausrichten, der sich meist gegenläufig zum Geschäftserfolg entwickelt. Fragen: 1. Wird dem Thema „Strategie“ im Aufsichtsrat wenig Bedeutung beigemessen? Wenn ja, warum? 2. Wie sollte die Rollenteilung zwischen Vorstand und Aufsichtsrat aussehen? Quelle: Student, D.: Spitzenlast. In: Manager Magazin 2009, Nr. 6, S. 44–48; hier S. 46.
Auch Vorstandsmitglieder sind nicht immer erfolgreich (vgl. Praxisbeispiel). Spektakuläre Unternehmensskandale wie die von Enron, Worldcom, Parmalat, Flowtex schon vor einigen Jahren und mehr noch die der jüngsten Finanz- und Wirtschaftskrise haben das Thema der Wirksamkeit von Kontrollen erneut auf die Tagesordnung gesetzt. Damit kommen auch die entsprechenden Lehrmeinungen unter Druck. Nach den Empfehlungen des Deutschen Corporate Governance Kodexes leitet der Vorstand „das Unternehmen in eigener Verantwortung im Unternehmensinteresse, also unter Berücksichtigung der Belange der Aktionäre, seiner Arbeitnehmer und der sonstigen dem Unternehmen verbundenen Gruppen (Stakeholder) mit dem Ziel nachhaltiger Wertschöpfung“ (Regierungskommission 2012, Ziffer 4.1.1). So heißt es dann auch in Berichten der Unternehmen (vgl. Praxisbeispiel BASF). Der Begriff „nachhaltige Wertschöpfung“ ist nur ein anderes Wort für wertorientierte Unternehmensführung oder Shareholder Value (vgl. Kap. 2.4). Angesichts der bekannten Kontroversen stellt sich die Frage, wie das zusammenpasst. Was ist also gute Unternehmensführung? Dies wird uns im Folgenden weiter beschäftigen.
1.4 Unternehmensverfassung und Corporate Governance
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Praxisbeispiel: Den Vorstand bewerten und entwickeln Die Unternehmensberatung Booz & Company erstellt jährlich einen „CEO Succession Report“ der über die Häufigkeit des Wechsels von Konzernchefs bei den 2.500 größten börsennotierten Unternehmen weltweit berichtet. So wurden beispielsweise 2011 insgesamt 14 Prozent der CEOs ausgetauscht, davon 10 Prozent geplant und zu je 2 Prozent aus Gründen von Übernahmen oder wegen mangelnder Leistung abberufen. In Rezessionsjahren ging der Austausch um einige Prozent zurück. In Westeuropa wurden in den letzten fünf Jahren durchschnittlich 25 Prozent der Vorsitzenden von außen berufen, in den USA und Kanada waren es 18 Prozent. Die Kapitalmarkt-Performance von Unternehmen die Insider statt Outsider berufen, ist nach den Berechnungen von Boz & Company höher. Außerdem bleiben Insider länger; in den letzten 12 Jahren durchschnittlich 7,6 Jahre, Outsider nur 5,6 Jahre (früher wurde der Posten meist noch auf Lebenszeit vergeben). Insider werden nach ihrer Abberufung eher Vorsitzende des Board of Directors. Insgesamt waren es 2011 in Japan 63 Prozent, 37 Prozent in Nordamerika und in Westeuropa 17 Prozent: ein „Ausbildungsmodell“, das mit erheblichen regionalen Unterschieden fortgeführt wird. (Nach deutschem Aktienrecht können Vorstände nur nach einer Abkühlperiode von zwei Jahren in den Aufsichtsrat wechseln.) Der Anteil der CEOs, die zugleich Vorsitzende des Boards sind, ist im vergangenen Jahrzehnt stark zurückgegangen und liegt 2011 unter 20 Prozent. Ist auch der Vorstand zu bewerten und zu entwickeln, ähnlich wie andere Führungskräfte und Mitarbeiter? Wenn der bisherige Vorstandsvorsitzende erst einmal weg ist, heißt es so schnell wie möglich einen neuen zu finden. Und dieser sollte wiederum möglichst schnell, d.h. innerhalb weniger Monate, Erfolge vorweisen können. Es stellt sich bei der Suche nach einem geeigneten Nachfolger auch immer die Frage, ob man lieber jemanden aus den eigenen Reihen einsetzt oder ob es besser ist, einen externen Manager zu wählen. Langfristig gesehen hat sich, so heißt es, die Besetzung aus dem eigenen Hause als die bessere Wahl erwiesen. Sehr oft wird es jedoch als einfacher und besser angesehen, auf Externe zurückzugreifen. Häufig regiert der Zeitdruck. Oftmals fehlt es an Geduld und Weitsicht, weshalb es unmöglich ist, zuerst nach den eigentlichen Fehlern und Problemen im Unternehmen zu forschen, um anschließend für die Problemlösung und langfristige Weiterentwicklung der Unternehmung den passenden Kandidaten zu finden. Aus Fehlern lernen? Schwierig bei der kurzen Halbwertszeit von Vorstandsvorsitzenden. Dennoch gehört der Umgang mit Fehlern zum Lernen, denn Lernen heißt nicht nur Fehler zu entdecken, sondern auch sie zu korrigieren. Lernkurven haben Eigenzeiten, und diese Eigenzeiten sind in der Verweildauer von Führungskräften nicht mehr vorgesehen. Was lässt sich besser machen? Die Bewertung der Leistung des einzelnen Vorstandsmitglieds ist häufig an der finanziellen Lage der Gesellschaft orientiert und mit entsprechenden Vergütungssystemen unterstützt. Abgesehen von der Lösung des Zuordnungsproblems wäre es sinnvoll, fünf weitere Dimensionen zu bewerten: 1.) Leadership: Gelingt es, die Mission des Unternehmens zu entwickeln und umzusetzen? 2.) Strategie: Funktioniert sie und wird sie richtig umgesetzt? 3.) Personalmanagement: Sind die richtige Leute am richtigen Platz und sind sie motiviert? 4.) Kennzahlen: Stimmen Umsatz, Gewinn, Qualität sowie Mitarbeiter- und Kundenzufriedenheit? 5.) Externe Beziehungen: Was tut der Vorstand für Kunden, Lieferanten und andere Anspruchsgruppen?
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1 Grundlagen
Fragen: 1. Sollte der Vorstandsvorsitzende von innen oder von außen kommen? 2. Was halten Sie von dem oben genannten „Ausbildungsmodell“? 3. Wie sollte die Leistung des Vorstands bewertet werden? Quellen: Eckardstein, D. & Konlechner, S.: Vorstandsvergütung und gesellschaftliche Verantwortung der Unternehmung, München und Mehring 2008; Favoro, K, Karlsson, P.O. & Neilson, G.: CEO Succession Report. 12th Annual Global CEO Succession Study. www.booz.com, abgefragt am 12.10.2012; Garvin, D. et al.: Is Yours a Learning Organization? In: Harvard Business Review. März 2008. S. 1 ff.; Hus, C.: Absturz aus der Chefetage. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 27.11.2006; Kaufmann, St. P.: Evaluating the CEO. In: Harvard Business Review 2008, Nr. 10, S. 53–57; Müller, H.-E.: Erfolgskriterien für die angemessene Vorstandsvergütung. In: Der Aufsichtsrat 2007, Nr. 3, S.38 f.; Storn, A.: Vom Heilsbringer zum Sündenbock. In: Die Zeit Nr. 22 vom 24.05.07, S. 29.
1.4.2
Theoretische Bezugspunkte
Mit dem Übergang vom eigentümergeführten zum managergeführten Unternehmen ist auch eine theoretische Kontroverse mit handfesten praktischen Folgen entstanden. In der angloamerikanischen Literatur geht es dabei vor allem um die Frage, wie sichergestellt werden kann, dass Manager im Interesse der Kapitalanleger handeln (Agenturtheorie). Im kontinentaleuropäischen Kontext wird kritisch demgegenüber diskutiert, wie Manager darauf verpflichtet werden können, im Unternehmensinteresse zu handeln (Treuhändertheorie). Die Stärkung der Aktionärsrechte ist das Ziel des Shareholder-Value-Ansatzes und der damit verbundenen Agenturtheorie (Agency Theory).6 Grundlegend ist die Annahme, dass jedes Individuum nur seinen eigenen Nutzen, auch auf Kosten anderer, zu verfolgen sucht (Opportunism with Guile). Mit der Trennung von Eigentum und Verfügungsmacht im managergeführten Unternehmen besteht vor dem Hintergrund unvollständiger Verträge die Möglichkeit, dass die Interessen der Eigentümer und Manager nicht übereinstimmen – ein Tatbestand, auf den schon klassische Ökonomen wie Adam Smith, Karl Marx und Josef Schumpeter hingewiesen haben. Die Eigentümer (Prinzipale) wollen den Gewinn maximieren, Manager (als ihre Agenten) verfolgen eigene Ziele. Manager könnten so auf der Grundlage von Informationsasymmetrien und im Rahmen ihrer Handlungsspielräume nach Macht, Prestige und Status streben und daher eher auf Wachstum und Diversifikation setzen, als den Gewinn für Aktionäre zu steigern – dies nicht zuletzt deshalb, weil mit der Unternehmensgröße auch die persönlichen Einkommenschancen steigen. Daher muss die Managerherrschaft durch „Heilmittel“ der Corporate Governance, wie die aktienbasierte Managervergütung, begrenzt werden. Die Kritik an der Agenturtheorie setzt an drei Punkten an: (1) der Verwendung realitätsferner Kunstgriffe, (2) am methodischen Individualismus, der sich nicht zuletzt bei den Emp-
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Vgl. grundlegend Berle & Means 1932; Jensen & Meckling 1976; Demsetz 1968; Alchian & Demsetz 1972. Eine Auswertung der umfangreichen Literatur zu diesem Thema findet sich bei Dalton et al. (2007). Der Begriff Shareholder Value wird mit zwei unterschiedlichen Bedeutungen verwendet. Einerseits, wie hier, aus marktliberaler Sicht und vor allem als politisches Konzept, anderseits im Sinne einer wertorientierten Unternehmenssteuerung (vgl. Kap. 2). Beide Sichtweisen existieren selbstverständlich nicht unabhängig voneinander.
1.4 Unternehmensverfassung und Corporate Governance
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fehlungen zur Managervergütung äußert, und (3) an der Vernachlässigung des politisch beeinflussbaren Kontextbezugs der Institutionen. Zu 1. Einige Kunstgriffe der Agenturtheorie, die mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmen, sorgen dafür, dass die Interessen der Aktionäre an die oberste Stelle gerückt werden (vgl. Stout 2007; Franck 2011; Walgenbach 2011): Nicht nur Aktionäre tragen das Risiko. Die Unternehmung wird als Netz von Verträgen verstanden; Aktionäre sind gegenüber dem Management schutzlos, weil sie allein auf Residualansprüche angewiesen sind. Tatsächlich aber tätigen auch Mitarbeiter, Lieferanten, Kreditgeber, Kunden und andere Stakeholder firmenspezifische Investitionen, sie sind angesichts unvollständiger Verträge ebenfalls Risiken unterworfen und Halter von Residualansprüchen. Die Unternehmung ist selbst korporativer Akteur, nicht nur Knotenpunkt in einem Netz von Verträgen, sondern eine Institution mit eigener Rechtspersönlichkeit. Mitarbeiter, Lieferanten oder Kunden schließen Verträge nicht mit dem einzelnen Manager oder Aktionär ab, sondern mit der Gesellschaft. Aktionäre werden zu Eigentümern der Aktiengesellschaft und zu Prinzipalen der Direktoren erhoben. Aber Aktionäre sind keine Eigentümer der Aktiengesellschaft. Als unabhängige juristische Person gehört die Aktiengesellschaft sich selbst, Aktionäre besitzen lediglich ein Wertpapier mit sehr begrenzten Rechten (vgl. Stout 2007, S. 804). Direktoren sind keine Agenten der Prinzipale. „Die Direktoren sind eindeutig die Letztentscheidungsinstanz der Aktiengesellschaft. Sie haben die treuhänderische Freiheit, Interessen der Aktionäre zu Gunsten anderer Stakeholder hintanzustellen, sofern dies dem Wohle der Unternehmung dient.“ (Franck 2011, S. 211) Es gilt also die „Board Primacy“ und nicht „Shareholder Primacy“. Selbst für die USA stellte bereits 1918 ein New Yorker Gericht klar, dass die entsprechende Macht des Boards „original and undelegated“ sei (Bainbridge 2006, S. 1756). Zu 2. Eine weitere Kritik richtet sich gegen den methodischen Individualismus der Agenturtheorie. Ghoshal & Moran (1996) beginnen einen Beitrag, in dem sie die Annahme kritisieren, dass Menschen nur arglistig ihre Eigeninteressen verfolgen, mit einem Witz: Zwei Wanderer wachen eines Nachts auf, weil ein Tiger vor ihrem Zelt lauert. Der eine Wanderer greift sofort nach seinen Laufschuhen. Als ihn sein Partner darauf hinweist, dass er nicht schneller als der Tiger sei, antwortet er: „Ich muss nur schneller sein, als Du!“ Aber Menschen handeln, wie in diesem Witz, spontan nicht arglistig eigennützig, sie kooperieren eher. Intuitiv sind sie auf Kooperation und Vertrauen eingestellt, dies ist besser als immer misstrauisch zu sein und dadurch gute Gelegenheiten zur Zusammenarbeit zu verpassen (vgl. Rand et al. 2012; Tomasello 2012). Organisationen sind nicht nur ein Substitut für effiziente Transaktionen wenn Märkte scheitern. Ihre Logik der zielgerichteten Anpassung, des Lernens und Vertrauens ist eine ganz andere, als die der autonomen Anpassung der Märkte. Der Aufsichtsrat beaufsichtigt nicht nur den Vorstand, er berät auch (vgl. Jürgens & Lippert 2005). Diese Beratungsrolle des Aufsichtsrates gehört nach der Treuhändertheorie zu seinen Kernaufgaben. Gute Beziehungen zu den Anspruchsgruppen (Stakeholdern) schaffen Erfolgspotenziale (vgl. Harrison & St. John 1996; De Wit & Meyer 2010). Dies steht im Kont-
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1 Grundlagen
rast zum bisher verbreiteten Verständnis von Corporate Governance, das sich, vor dem Hintergrund der Einseitigkeit der Agenturtheorie, auf Vergütungsanreize und nicht auf Leadership, auf Kontrolle und nicht auf Rat, auf Sanktion und nicht auf Wissensentwicklung und organisatorisches Lernen konzentriert. Der Agentur-Ansatz selbst hat zu den Problemen beigetragen, die er zu heilen verspricht.7 Dies wird auch in der aktuellen Diskussion zur Managervergütung (Pay for Performance) deutlich. Eine Lösung des Prinzipal-Agent-Problems der Agenturtheorie soll darin bestehen, dass Manager mit Aktien oder Aktienoptionen angereizt werden, im Interesse der Anteilseigner zu handeln. Für die Kritiker sind damit die Probleme erst entstanden: drastisch steigende Managergehälter, Skandale und Krisen (vgl. Praxisbeispiel). Die erfolgsorientierte Managervergütung ist ein Anreiz zu Gewinnmanipulation, kurzfristiger Orientierung und Vernachlässigung von Risiken. Bei geistiger Leistung führen hohe finanzielle Anreize nicht dazu, dass Menschen mehr leisten – im Gegenteil (vgl. Ariely et al. 2009). Die erfolgsorientierte Vergütung ist daher keine Lösung, sondern selbst Teil des Problems (Pay without Performance). Verteidiger des Ansatzes argumentieren, dass es, wie bei jedem Heilmittel, auf die richtige Dosierung und Anwendung ankomme. Die Managervergütung – die bei den großen, international tätigen Unternehmen im vergangenen Jahrzehnt sehr viel stärker gewachsen ist als die Vergütung der Arbeitnehmer – ist danach auch deshalb so stark gestiegen, weil die Unternehmen sich nicht mehr an den Landesverhältnissen, sondern an den Preisen am internationalen Markt für Führungskräfte orientieren. Wie bei Fußball- und Medienstars auch, sorgt der Markt für die Angemessenheit von Lohn und Leistung. Die Bestrebungen zur Regulierung der Managervergütung haben in den vergangenen Jahren zugenommen. In den USA und in Großbritannien versucht man durch ein mehr Einflussnahme („Say on Pay“) der Aktionäre einzugreifen. Die Europäische Kommission und das Europäische Parlament arbeiten seit Jahren an Regularien, die verhindern sollen, dass Manager mit hohen Gehältern, Boni und anderen Bezügen für exzessive Risiken belohnt werden. 2009 beschloss der Deutsche Bundestag das VorstAG, das Gesetz zur Angemessenheit von Vorstandsvergütungen. Durch strengere Regeln sollen Managergehälter mehr an den langfristigen Unternehmenserfolg gekoppelt werden und Aufsichtsräte stärker haften. Im Aktiengesetz wurde 2012 in § 87 Abs. 1 hinzugefügt, dass der Aufsichtsrat auch dafür zu sorgen hat, dass die Gesamtbezüge der Vorstandsmitglieder in einem angemessenen Verhältnis „zu der üblichen Vergütung stehen und langfristige Verhaltensanreize zur nachhaltigen Unternehmensentwicklung setzen.“ Viele Unternehmen haben ihre Vergütungssysteme angepasst. Bei der aktienbasierten Langzeitvergütung sollte sich die Bemessungsgrundlage an der relativen Aktienkurssteigerung und an Durchschnittskursen orientieren, Ausübungshürden sind gesetzlich vorgeschrieben, eine Deckelung (Cap) wird vom DCGK empfohlen, um Windfall Profits zu vermeiden, und Sperrfristen sind empfehlenswert (vgl. Judith & Sommer 2012). Außerdem sollten auch nichtfinanzielle Kriterien hinzukommen, die zur nachhaltigen Unternehmensentwicklung anreizen. Reicht das? Prinz & Schwalbach (2011, S. 19) kommen
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Vgl. Davis et al. 1997 und Davis 2009; kritisch zur Agenturtheorie als Begründung für eine aktienbasierte Managervergütung vgl. Bebschuk & Fried 2004; Frey & Osterloh 2005; Zander & Wagner 2005; Chahed & Müller 2006.
1.4 Unternehmensverfassung und Corporate Governance
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in ihrer Vergütungsstudie zu dem Schluss, dass die Gesetzesanpassungen und andere Maßnahmen der letzten Jahre „zwar zu einer stärkeren Transparenz der Individualvergütungen geführt haben, jedoch das eigentliche Ziel, nämlich die Orientierung der Vorstandsgehälter an der erzielten Performance mehrheitlich verfehlt haben.“ Auch nach einer Studie von Fabbri & Marin (2012) hängt die Vergütung von Topmanagern nicht von der individuellen Leistung, sondern von der Lage der Branche und vom Zufall ab.
Praxisbeispiel: Die große Gier „Ein bisschen hängt die Betrachtung, was Gier ist und was nicht, auch von den Moden und Zeiten ab. Als Ende der neunziger Jahre die Unternehmen an der Börse Monopoly spielten und erfolgreiche Topmanager die Idole der neuen Zeit waren, galten hohe Millionenverdienste als verdient, auch wenn das Geld erzockt worden war. Dann platzte die Börsenblase, die New Economy sah plötzlich ganz alt aus, und einige Mannesmann-Manager, beispielsweise deren damaliger Chef Klaus Esser, der umgerechnet knapp 30 Millionen Euro zusätzlich zum regulären Gehalt kassiert hatte, wurden plötzlich als üble Absahner betrachtet. Eigentlich lässt sich bei dieser Größenordnung nur schwer darüber streiten, ob diese zusätzliche Entlohnung für einen Spitzenmann noch angemessen ist, aber was wäre gewesen, wenn Mannesmann den Übernahmekampf gewonnen hätte? Wäre dann ein solcher Bonus für Esser nicht als verdiente Prämie in einer nun mal entfesselten Marktwirtschaft gewürdigt worden? Doch damals verloren Zehntausende von Kleinaktionären, die auch ein bisschen mitgespielt hatten, ihre Ersparnisse, und dieser Vorgang hat zweifelsohne zu vielen Irritationen gegenüber der Wirtschaft beigetragen. Es ist vor allem die Gleichzeitigkeit von Rekordgewinnen und Rekordarbeitslosigkeit, von hohen Millionengehältern selbst für unfähige Manager und von Dumpinglöhnen, die viele Menschen zunehmend erzürnt. Seit unter Berufung auf angebliche Gesetze des Marktes – Rendite, Rendite, Rendite – große Konzerne kleine, gesunde Firmen kaufen und sie dann zum Zweck der Marktbereinigung schließen und die wirtschaftliche Existenz ganzer Familien ruinieren, wird über die Angemessenheit von Gehältern anders diskutiert als früher.“ Fragen: 1. Sind Sie der Meinung, dass die angesprochenen Probleme Gegenstand der Managementlehre sind? 2. Welche Beiträge kann die Managementlehre leisten und welche Instrumente zur Regulierung sind denkbar? 3. Es wird behauptet, dass die jüngste Finanzkrise auch durch Vergütungsanreize für Manager erzeugt wurde. Was spricht dafür, was dagegen? Quelle: Leyendecker, H.: Die große Gier. Korruption, Kartelle, Lustreisen: Warum unsere Wirtschaft eine neue Moral braucht. Berlin 2007, S. 30 f.
Zu 3. Ein weiterer Kritikpunkt an der Agenturtheorie ist, dass der gesellschaftliche Kontextbezug der Institutionen vernachlässigt wird. Unternehmen sind in den jeweiligen gesellschaftlichen Kontext eingebettet und werden von den politischen Akteuren beeinflusst.
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1 Grundlagen
Während nach der Agenturtheorie dem Manager unterstellt wird, dass er seinen individuellen Nutzen zu maximieren sucht, ist dieser nach der Treuhändertheorie (Stewardship Theory) bestrebt, für das ganze Unternehmen zu handeln (vgl. Gedajlovic & Shapiro 1998; Gerum 2004; Lubatkin et al. 2005). Unternehmen müssen sich in einer komplexen und dynamischen Umwelt durchsetzen und sind dazu auf die Ressourcen der Stakeholder angewiesen. Außerdem sind die Governancebedingungen in jedem Land anders. Nicht das durch Eigennutz und erzwungene Folgsamkeit (Enforced Compliance) auf der Grundlage von individualistischem Opportunismus geprägte Menschenbild der Agenturtheorie sei die Norm, wie sie vielleicht in den USA und Großbritannien vorherrsche, sondern kollektive Verantwortung und freiwillige Fügsamkeit (Voluntary Compliance) gegenüber den Stakeholdern. Grundlage dafür ist die Koalitionstheorie, wonach das Unternehmen als Koalition von Individuen und Interessengruppen interpretiert wird (vgl. Cyert & March 1963). Dieser organisationstheoretische Ansatz unterscheidet sich von der vertragstheoretischen Sichtweise, die der Agenturtheorie zugrunde liegt. Das Unternehmen ist nicht nur ein Netz von Verträgen. „Im Gegensatz zu den vertragstheoretischen Begründungen zu Corporate Governance wird beim koalitionstheoretischen Ansatz der Markt in der realen Ausprägung des ‚managerial capitalism‘ bloß als Ausgangspunkt, und nicht als Rechtfertigungsinstanz, für die interessenpluralistische Begründung von Corporate Governance genommen.“ (Gerum 2007, S. 14) Der überwiegende Teil der wirtschaftlichen Leistung wird von mächtigen Großunternehmen in konzentrierten Märkten erbracht. Dadurch sind komplexe Organisationen entstanden, die es erforderlich machen, die heterogen Ziele der Organisationsmitglieder im Hinblick auf die Organisationsziele zu koordinieren. Zur Kritik an der Treuhändertheorie kann angeführt werden, dass unscharf bleibt, wer in den Dialog der Anspruchsgruppen einbezogen werden sollte, welche Entscheidungskriterien gelten und wie das Management auf die Ziele des Unternehmens und seiner sozialen Verantwortung in der Gesellschaft verpflichtet werden kann. Diese Kritik richtet sich auch gegen den zugrunde liegenden Stakeholderansatz. Wir haben gesehen, dass im Unternehmen nicht nur die Ansprüche der Eigentümer auf dem Spiel („at stake“) stehen. Wie aber sind die Individuen und Anspruchsgruppen als Stakeholder zu identifizieren und welche ragen heraus? Nach der klassischen Definition ist Stakeholder „jede Gruppe oder jedes Individuum, das die Zielerreichung einer Organisation beeinflusst oder von ihr beeinflusst wird.“ (Freeman 1984, S. 46) Das wirkt beliebig, es sein denn, man glaubt an den Effekt, dass der Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien einen Tornado in Texas auslösen kann. Zur Entwicklung einer Stakeholdertheorie untersuchen Mitchell u. a. (1997) die Frage: „Wer und was zählt wirklich?“ Danach müssen Manager insbesondere auf diejenigen Stakeholder achten, die eine oder mehr von drei Eigenschaften aufweisen: Macht, Legitimation und Dringlichkeit (Power, Legitimacy, and Urgency). Aktionäre können Einfluss nehmen, um dafür zu sorgen, dass ihre legitimen Interessen vom Management verfolgt werden. Wenn sie darüber hinaus mächtig sind und ein fallender Aktienkurs vermittelt, dass es dringlich ist, kann im Extremfall das Management ausgewechselt werden, wenn dem nicht andere, entsprechend ausgestattete Anspruchsgruppen der Koalition entgegenwirken. Was legitim ist, wird durch die institutionellen Rahmenbedingungen bestimmt, wobei beispielsweise zwischen dem angelsächsischen Modell der liberalen Marktwirtschaft und dem kontinentaleuropäischen Modell der koordinierten bzw. sozialen Marktwirtschaft unterschieden wird. Die soziale Bindung
1.4 Unternehmensverfassung und Corporate Governance
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des Eigentums äußert sich in Deutschland unter anderem in der Mitbestimmung im Aufsichtsrat. In beiden Varianten des Kapitalismus ist das Eigentum geschützt, nicht nur das des Aktionärs, sondern auch das der Kapitalgesellschaft, wenngleich unterschiedlich ausgestaltet und sozial gebunden. Eine etwaige kurzfristige Renditeorientierung des Aktionärs, die im Gegensatz steht zu den langfristigen Interessen anderer Stakeholder, wie der Arbeitnehmer, wird begrenzt „durch die besondere Bedeutung das Ziels der langfristigen Stabilität der Unternehmung, das explizit beispielsweise durch die Beschränkung des ausschüttbaren Gewinns im deutschen Gesellschaftsrecht zum Ausdruck kommt“ (Speckbacher 1997, S. 635). Wird unter Kapitalerhaltung die Maximierung des Ertragswertes unter der Nebenbedingung der spezifizierten Stakeholderansprüche verstanden, so sind die Stakeholder-Ansätze mit dem Shareholder Value Konzept kompatibel (vgl. ebd., S. 636 f.) Wir kommen darauf im 2. Kapitel zurück. Wir haben hier nur eine zentrale Kontroverse skizziert, die uns im Folgenden weiter beschäftigen wird. Die Kontroverse entzündete sich an der Frage der Rolle des Managements in der modernen Kapitalgesellschaft; die faktische Bedeutung eigentümergeführter Unternehmen und kleiner und mittlerer Unternehmen ist demgegenüber unterbelichtet. In der Corporate Governance Forschung lassen sich vertragstheoretische Ansätze, die auf die Effizienzannahme und Legitimationskraft des Marktes setzen (wie die Agenturtheorie), und organisationstheoretische Begründungen (wie die Treuhändertheorie) unterscheiden, die das Unternehmen neben dem Markt als Ort der Interessenartikulation und des Interessenausgleichs postulieren (vgl. Gerum 2007, S. 24). Die entsprechenden Grundlagen sind die ShareholderValue und Stakeholder-Value-Perspektive. Markt und Organisation schließen sich nicht aus, im Gegenteil. Der weitere Gang der Darstellung wird zeigen, dass die geplante Ordnung im Unternehmen und die sich ungeplant durchsetzende Ordnung am Markt einander bedingen, also beide wesentlich sind. Das spricht für den Versuch der Integration beider Perspektiven (vgl. Kap. 2.4.1). Zuvor jedoch soll noch ein Ansatz skizziert werden, der der vergleichenden Corporate Forschung zuzuordnen ist und den Gegensatz zwischen Agentur- und Treuhändertheorie vermeidet. Nach dem Modell von Aguilera & Jackson (2003) werden Unterschiede in der Corporate Governance aus dem gesellschaftlichen Kontextbezug erklärt (vgl. Abb. 1.15). Neben Kapital und Management wird eine dritte Gruppe betrachtet, die in der Corporate Governance-Literatur weitgehend vernachlässigt wird: die Mitarbeiter. Als Kapital wird die Anspruchsgruppe bezeichnet, die über Eigentumsrechte verfügt. Sind diese konzentriert, ist ihr Einfluss höher. Unterschiedliche Kapitalformen (wie Banken, Pensionsfonds, Einzelne, Industrieunternehmen, Familien usw.) weisen unterschiedliche Identitäten, Interessen, Zeithorizonte und Strategien auf. Eine erste Unterscheidung trennt finanzielle von strategischen Interessen und Kontrollrechten. Eigentümer, die auf Liquidität achten, werden Ausstiegs-(Exit-)Optionen bevorzugen im Unterschied zu jenen, die aufgrund ihrer Verpflichtung den Weg der Mitwirkung (Voice-Optionen) wählen. Eigenkapital und Fremdkapital beinhalten unterschiedliche Risiken und Möglichkeiten der Einflussnahme. Daraus leiten die Autoren u.a. die Hypothese ab, dass das Kapital in Ländern, die Großaktionäre hervorbringen, strategische Interessen gegenüber dem Unternehmen verfolgt und über Verpflichtung steuert.
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1 Grundlagen
Die Rolle der Mitarbeiter (Arbeit) in der Corporate-Governance-Gleichung wird beschrieben durch ihre Fähigkeit, Unternehmensentscheidungen zu beeinflussen und Unternehmensressourcen zu steuern. Dies kann geschehen durch interne Partizipation oder durch externe Einflussnahme, etwa durch Streiks. Eine weitere Dimension sind die Fertigkeiten (Skills) der Mitarbeiter. Sind diese übertragbar, werden die Mitarbeiter Exit vor Voice bevorzugen, sind ihre Fertigkeiten spezifisch, ist es umgekehrt. Die Ausprägung dieser Dimensionen hängt von den Mitwirkungsrechten auf Unternehmensebene, dem gewerkschaftlichen Organisationsgrad und den Qualifikationsinstitutionen ab. Arbeitnehmer werden in Ländern mit starken Repräsentationsrechten, so die Annahme, die Strategie der internen Partizipation verfolgen. Die Rolle der Manager in der Corporate-Governance-Gleichung schließlich wird bestimmt vom autonomen Typus des Managers, der „harte Entscheidungen fällt“ und dem verpflichteten Manager, der stark von unternehmensspezifischen Beziehungen abhängig ist, um seine Interessen durchzusetzen. Die zweite Dimension unterscheidet finanziell und funktional orientierte Manager. Erstere steuern über finanzielle Kennzahlen, während letztere mehr in operationale Funktionen involviert sind. Eine Hypothese ist dann, dass in Ländern, in denen die Managementideologie generalistisches Wissen und/oder eine hierarchische Entscheidungsfindung legitimiert, das Management dazu tendiert, autonomer und finanzorientierter gegenüber dem Unternehmen zu handeln.
Management Autonom versus verpflichtet Finanziell versus funktional
Unternehmen Arbeit Partizipation versus Einflussnahme Übertragbare versus firmenspezifische Qualifikationen
Abb. 1.15
Kapital Finanziell versus strategisch Liquidität versus Verpflichtung Eigenkapital versus Fremdkapital
Dimensionen der Corporate Governance (Aguilera & Jackson 2003, S. 451)
Obwohl internationale Institutionen, wie die OECD und die Europäische Kommission, mit ihren Regelungen Einfluss auf die nationale Gesetzgebung und Kodizes nehmen, ist umstritten, ob die Corporate-Governance-Systeme konvergieren. Zum einen wird argumentiert, dass die Globalisierung und der Druck der Kapitalmärkte die Angleichung erzwingen, zum anderen werden bleibende Unterschiede, etwa bei der Mitbestimmung der Arbeitnehmer, als effizient dargestellt. Konvergenz und Divergenz müssen sich nicht ausschließen (vgl. Aguilera & Jackson 2003; Gerum 2004).
1.4 Unternehmensverfassung und Corporate Governance
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Corporate Governance beschreibt, „Wer“ unter welchen Bedingungen entscheidet. Wir haben gesehen, dass die Sichtweisen dazu kontrovers sind. Das Zielsystem eines Unternehmens bestimmt, in welche Richtung die Strategie entwickelt wird. Zwischen diesem „Was“ und dem „Wer“ besteht eine Wechselbeziehung. Das Zielsystem ist Thema des folgenden Kapitels.
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1 Grundlagen
Zusammenfassung 1. Ausgangspunkt ist die Fragestellung, woran sich die Unternehmensführung in einer Welt mit steigender Komplexität und Dynamik orientieren sollte. Die strategische Ausrichtung verspricht Erfolgspotenziale durch die abgestimmte Entwicklung aller Führungssubsysteme. 2. Die integrierte strategische Unternehmensführung geht darüber hinaus, indem sie auch gegensätzliche Strategieperspektiven zulässt und zusammenführt. Strategien werden nicht nur geplant, sie bilden sich auch schrittweise heraus. Dadurch entstehen Handlungsspielräume. 3. Für den integrierten Ansatz spricht weiter, dass erfolgreiche Führungspersönlichkeiten (Leader) sich dadurch auszeichnen, dass sie gegensätzliche Ideen festhalten und zu innovativen Geschäftsmodellen zusammenführen. Führung hängt nicht nur von den Eigenschaften der Führungspersönlichkeit und dem Führungsstil ab, sondern auch vom Führungssystem. 4. Die Unternehmensverfassung setzt den politisch-rechtlichen Rahmen für die Unternehmensführung. Vor allem in großen, kapitalmarktorientierten Unternehmen sind – je nach Land und Zeit unterschiedlich ausgeprägt – drei Zentren der Willensbildung vorhanden: Anteilseigner, Management und Arbeitnehmervertretung. Damit eng verbunden ist das Thema Corporate Governance, das ebenso Grundsätze und Einflussfaktoren der Unternehmensführung beschreibt, aber über die rechtlichen Rahmenbedingungen der Unternehmensverfassung hinausgeht. Dazu gehören etwa die erfolgsabhängige Managervergütung, das Risikoüberwachungssystem und der Markt für Unternehmenskontrolle. 5. Nicht erst seit der jüngsten Finanzkrise werden die Corporate-Governance-Instrumente überarbeitet und stehen Konzepte in der Kritik. Nach der Agency-Theorie sollte der Zielkonflikt zwischen Anteilseignern (Prinzipal) und dem Eigennutzstreben der Manager (Agent) durch die aktienbasierte Managervergütung (Pay for Performance) überwunden werden. Für Kritiker aber sind leistungslose Vergütungen für Manager sowie Unternehmens- und Wirtschaftkrisen erst durch diese Anreizsysteme entstanden. Nach dem Treuhänder(Stewardship-)Ansatz ist der Manager bestrebt, vertrauensvoll für das ganze Unternehmen zu handeln.
Fragen zur Diskussion 1. Was würde geschehen, wenn in einem Unternehmen morgen alle Führungskräfte ausfallen würden? Würde dann nichts mehr geschehen? Wohl kaum. Wäre das Unternehmen dann führungslos? Vermutlich auch nicht. Warum? Was meinen Sie (vgl. später auch Kap. 4.3.2)? 2. Was versteht man unter Unternehmensführung? 3. Management als Institution und als Funktion: Wo ist der Unterschied? 4. Warum Strategisches Management im Unterschied zur traditionellen Planung? 5. Ziele setzen, planen, organisieren und kontrollieren. Was tun Manager wirklich?
Fragen zur Diskussion
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6. Glauben Sie, dass unterschiedliche Perspektiven für Entscheider, die die Richtung angeben müssen, fruchtbar sein können? 7. Was spricht für transformierende Führung, was dagegen? 8. Ist Mitbestimmung gut oder schlecht für den Unternehmenserfolg? 9. Managervergütung: Warum ist das Thema aktuell?
2
Ziele Grundlagen der Unternehmensführung
Umwelt
Strategien
Organisationsgestaltung Internationale Strategie und Organisation
Unternehmensleistung
Ziele
Internationale Strategie und Organisation
Abb. 2.1
Kapitelübersicht
Im zweiten Kapitel erfahren Sie: Warum es sinnvoll ist, Ziele zu haben, und welche Aufgaben das Zielsystem des Unternehmens hat. Mit welchen finanziellen Zielen die Leistung (Performance) eines Unternehmens gesteuert werden kann und welchen Stellenwert darüber hinaus nicht-finanzielle Ziele haben. Welche Bedeutung der Grundauftrag (die Mission) für die Unternehmenssteuerung hat. Warum Gewinn und Verantwortung zwei Strategieperspektiven sind, die in ihrer Wechselwirkung gesehen werden sollten. Warum Strategien mit den größten Erfolgschancen zugleich die größten Möglichkeiten haben zu scheitern und warum das traditionelle Risikomanagement nicht mehr ausreicht.
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2 Ziele
Überblick Visionen können scheitern, aber sind sie deshalb überflüssig? Edzard Reuter, der frühere Vorstandsvorsitzende von Daimler Benz, propagierte die Vision vom integrierten Technologiekonzern. Für seinen Nachfolger, Jürgen Schrempp, war der Zusammenschluss von Daimler und Chrysler ein Mittel, um seine Vision umzusetzen, Nr. 1 auf dem globalen Automobilmarkt zu werden (vgl. Einstiegsfall). Eine Vision ist eine Vorstellung über die Zukunft, aber auch eine Halluzination, eine Erscheinung. Dieser schillernde Begriff ist dennoch in jedem Managementlehrbuch zu finden. Welchen Sinn hat eine Vision für die Führung eines Unternehmens? Visionen sind Ziele mit hoher Reichweite, aber niedrigem Bestimmtheitsgrad, sie sind deshalb als Leistungsmaß wenig geeignet. Für den namhaften Professor für Rechnungswesen und Controlling Adolf Coenenberg (2003) hatten Visionen nur in der Boomperiode der 1970er und 1980er Jahre eine gewisse Dominanz: „Der Denkansatz war: Wir benötigen Strategen, nicht Controller und Accountants.“ Erst als der Leidensdruck immer größer wurde, habe sich der Shareholder Value, die wertorientierte Unternehmensführung (Value Based Management) als Korrektiv durchgesetzt. Inzwischen wird, nach der schwersten Finanz- und Wirtschaftskrise der vergangenen Jahrzehnte, das Shareholder-Value-Konzept wieder kritischer bewertet. Wir beginnen mit einem Überblick zum Zielsystem des Unternehmens (Kap. 2.1). Zum Zweck des Unternehmens in Marktwirtschaften gehören nicht nur die Wertsteigerung (Kap. 2.2), sondern auch die Mission, der Grundauftrag des Unternehmens für Eigentümer, Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten und die Gesellschaft (Kap. 2.3). Beide Seiten werden jeweils für sich dargestellt, um dann im Kapitel 2.4 „Gewinn versus Verantwortung“ ihr Verhältnis zu betrachten. Dazu gehören die Auseinandersetzung mit der Kontroverse zwischen Shareholder- und Stakeholder-Value sowie das aktuelle Thema der sozialen Verantwortung des Unternehmens (Corporate Social Responsibility). Die Kunst ist dabei, bei aller Kritik das Spannungsverhältnis auszuhalten und nicht der Versuchung zu erliegen, sich auf die eine oder die andere Seite zu schlagen (vgl. oben Kap. 1.2). Die Forderung von Fredmund Malik (2008) etwa, die ausschließliche Ausrichtung von Management-Entscheidungen am Shareholder Value nun durch die konsequente Orientierung am „Customer Value“ zu ersetzen, weil schließlich die Kunden und nicht die Aktionäre die Rechnungen bezahlen, ist zu kurz gedacht: „Strategien zur Forcierung von ‚Customer Value‘ und zur Steigerung der Konkurrenzfähigkeit müssen in den Dienst einer langfristigen und nachhaltigen Wertsteigerung des Unternehmens gestellt werden. Sie müssen zudem auf einen Markt treffen, der bereit ist, die hochwertigen und mit hoher Effizienz produzierten Güter und Dienstleistungen abzunehmen und hierfür attraktive Preise zu zahlen. Das ist zurzeit keineswegs ausgemacht.“ (Fieten 2009, S. 12) Zum Zielsystem gehören auch die Risiken der Unternehmensführung. Im Kapitel „Strategie unter Unsicherheit“ geht es um das oft vernachlässigte Thema der strategischen Risiken (Kap. 2.5). Ziel kann es nicht sein, diese Risiken zu vermeiden, sondern nur, sie zu begrenzen und zu managen. Denn es gibt auch hier, wie sich zeigen wird, ein Strategieparadox:
2 Ziele
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Strategien mit den größten Erfolgschancen haben zugleich die größte Möglichkeit zu scheitern. Welche Anforderungen sind deshalb an das Enterprise-Risk-Management zu stellen?
Einstiegsfall: Visionswechsel bei Daimler Ein Wechsel an der Spitze des Unternehmens leitet häufig eine grundlegende Neuausrichtung ein. Anfang der 1990er Jahre entwickelte Daimler Benz unter dem damaligen Vorstandsvorsitzenden Edzard Reuter die Vision vom integrierten Technologiekonzern, mit der der traditionsreiche Automobilhersteller neu ausgerichtet und neue Wachstumsquellen erschlossen werden sollten. Die Strategiewende wurde unter anderem umgesetzt durch die Übernahme des damaligen Elektrokonzerns AEG und des niederländischen Flugzeugherstellers Fokker. Durch den Zugang zu neuen Basistechnologien (Elektronik) und verwandten Geschäftsfeldern (Luft- und Raumfahrt) sollten zukunftsträchtige Geschäftsfelder besetzt und Synergieeffekte erreicht werden. Tatsächlich entstanden massive Verluste. Die Probleme, die Integration im Konzern tatsächlich umzusetzen, führten zu einem erheblichen Abfluss finanzieller Mittel aus dem Automobilbereich. Zum erneuten Konzernumbau kam es nach 1995 unter der Leitung des Nachfolgers Jürgen Schrempp. Meilensteine waren die strategische Neuausrichtung, eine verschlankte Konzernstruktur und neue Führungskultur, die Abkehr von Visionen und die Orientierung an harten, finanziellen Kennzahlen: „Stop the Bleeding“ zielte ab auf das Abstoßen der Verlustbringer Fokker, Dornier-Luftfahrt und AEG; „Shareholder Value“ zielte auf die Steigerung des Unternehmenswertes mit 12 Prozent Mindestverzinsungsanspruch. Ein weiterer Meilenstein, die Globalisierung des Konzerns, wurde unter anderem mit der spektakulären Übernahme von Chrysler in den USA und dem Beteiligungserwerb an Mitsubishi in Japan angegangen. Damit sollte Daimler Chrysler als „globale Nr. 1 auf dem Automobilmarkt“ in den wichtigsten Ländern der sogenannten Triade USA, Japan und Westeuropa positioniert werden. Heute wissen wir, dass dieses Vorhaben nicht erfolgreich war. Im September 2005 übernahm Dieter Zetsche den Vorstandsvorsitz. Im August 2007 verkaufte DaimlerChrysler die Mehrheit seiner Chrysler-Anteile an den Finanzinvestor Cerberus sowie wenig später seine Anteile an Mitsubishi. Das Unternehmen wurde in Daimler umbenannt. Im August 2012 ist auf der Daimler-Homepage von Visionen keine Rede mehr: „Unser oberstes Unternehmensziel ist es, nachhaltig profitabel zu wachsen“, heißt es. Fragen: 1. Beschreiben Sie den Visionswechsel bei Daimler! 2. Wie kann man feststellen, ob Visionen scheitern? 3. Sollte nicht besser über klare finanzielle Ziele gesteuert werden? Quellen: Töpfer, A.: Die Restrukturierung des Daimler Benz Konzerns 1995–1997. Neuwied 1998; Bea, F.X. & Haas, J.: Strategisches Management. 4. Aufl., Stuttgart 2005; sowie http://www.daimler.com und Presseberichte.
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2.1
2 Ziele
Zielsystem
Strategische Unternehmensziele sind „harte“ finanzielle Ziele, wie die Rentabilität in den nächsten drei Jahren auf mindestens 12 Prozent zu steigern, und auch qualitative Ziele, wie „eine Vision verfolgen“, „nur diejenigen Geschäftsbereiche ausbauen, bei denen eine Marktführerschaft mittelfristig erreichbar ist“ oder aber die „gesellschaftliche Verantwortung des Unternehmens nachweisen.“ Der Einstiegsfall macht deutlich, dass die Akzente dabei je nach Situation unterschiedlich gesetzt werden – in der Krise beispielsweise dominieren finanzielle Ziele. Die Unternehmensziele werden auf Geschäftsbereichs- und Funktionsbereichsebene bis hin zu den Abteilungen und Teams weiter konkretisiert. Ein Beispiel dafür sind finanzielle Kennzahlensysteme, bei denen das Oberziel „Rentabilität“ (Return on Investment, ROI) in Unterziele herunter gebrochen wird. Zum Zielsystem gehören auch weitreichende, nicht quantifizierbare Ziele, wie die Vision und Mission eines Unternehmens. Heute sind Steuerungssysteme wie die Balanced Scorecard, die auch nicht nicht-finanzielle Ziele verwenden, aktuell. Bevor wir darauf eingehen, einige grundsätzliche Überlegungen zum Zielsystem von Unternehmen.
FUNKTIONEN DES ZIELSYSTEMS FESTLEGEN Die Notwendigkeit zur Konkretisierung der Ziele ergibt sich aus den Aufgaben, denen diese genügen müssen (Kupsch 1979; Kotler & Bliemel 2001; Bea & Haas 2009). Ziele sollen: Entscheidungen unterstützen, indem Kriterien für die Bewertung von Alternativen geliefert werden. Dazu gehört, dass Ziele messbar und realistisch sein müssen. Koordinieren, sowohl horizontal als auch vertikal in der Organisation als auch darüber hinaus mit den Partnern. Dazu müssen die Ziele ausgewogen sein; konfliktäre Ziele wie „Gewinnspanne gegen Umsatzziel“, „Ertragsziele gegen soziale Ziele“ müssen gegeneinander abgewogen werden. Motivieren, einen Motivationsschub auslösen, wie dies etwa von Leadership-Initiativen erwartet wird. Informieren, etwa um Transparenz für Kapitalanleger (Investor Relations) oder für die Gesellschaft (Corporate Social Responsibility) herzustellen. Kontrollieren, wobei die Möglichkeiten zur Erfolgskontrolle (Performance Measurement) mit der Zielkonkretisierung steigen. Legitimieren, auch zur Rechtfertigung gegenüber Außenstehenden. Dazu können etwa die „Erhaltung von Arbeitsplätzen“ oder die „Verbesserung der Umweltverträglichkeit“ gehören. Dabei ist zu beobachten, dass mit zunehmender Komplexität und Dynamik der Bestimmtheitsgrad der Ziele abnimmt. An der Unternehmensspitze haben Ziele eine hohe Reichweite, aber einen niedrigen Bestimmtheitsgrad. Es sind strategische Ziele, die dazu beitragen sollen, die richtigen Dinge zu tun. Auf den unteren Ebenen der Hierarchie hingegen ist der Bestimmtheitsgrad hoch, aber die Reichweite niedrig. Hier kommt es darauf an, operativ die Dinge richtig zu tun, z.B. in der Fertigung eine bestimmte Stückzahl pro Stunde zu montie-
2.1 Zielsystem
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ren. Dazu passt der Stücklohn als entsprechendes Anreizsystem. Auf operativer Ebene müssen Ziele den sogenannten SMART-Anforderungen genügen: spezifisch, messbar, angemessen im Verhältnis zum Aufwand, realistisch, also erreichbar, sowie terminiert. Während die Einzelleistung sich hier klar messen und zurechnen lässt, ist das auf höheren Ebenen nicht möglich. Visionen haben eine hohe Reichweite, sind aber wenig bestimmt. In dem Maße, in dem das Wettbewerbsumfeld neben der Produktivität auch Qualität und Flexibilität einfordert, also ein komplexeres Zielbündel, geht man auch auf unteren Ebenen zu Prämienlohnformen und Zielvereinbarungen über (vgl. Kirby 2005; Zander & Wagner 2005; Breisig 2006; Graumann & Klavina 2009). Die Frage, wem der Erfolg zuzurechnen ist – dem Individuum, einer Gruppe, einer Geschäftseinheit oder dem Gesamtunternehmen – wird also immer weniger exakt zu beantworten sein.
ANGEMESSENHEIT DER ZIELE KLÄREN Die Ziele von gewinnorientierten Organisationen unterscheiden sich von Zielen der NonProfit-Organisationen. Vereine, Verbände, Gewerkschaften, Stiftungen, Kirchen, öffentliche Schulen, Universitäten usw. unterliegen in ihrer Tätigkeit besonderen rechtlichen Beschränkungen und politischer Einflussnahme und finanzieren sich nicht durch Markttransaktionen, sondern aus Gebühren, Beiträgen, Spenden und Zuwendungen. Non-Profit-Organisationen sind gemeinwirtschaftlich und nicht erwerbswirtschaftlich orientiert und daher nicht auf Gewinn ausgerichtet. Traditionell ist es in der Betriebswirtschaftslehre üblich, bei gewinnorientierten Organisationen Sach- und Formalziele zu unterscheiden. Sachziele legen fest, was produziert werden soll, nach Art, Menge, Qualität, Ort und Zeitpunkt der Produktion. Formalziele klären, nach welchen Regeln produziert werden soll. In Marktwirtschaften sind das finanzielle Ziele oder, wie man auch sagt, Wertziele, also Umsatz-, Kosten-, Gewinn-, Rentabilitäts- und Liquiditätsziele (vgl. Horváth 1990, S. 120). Hierbei gibt es eine klare Rangordnung: „Formalziele wie Gewinnmaximierung oder Kostenminimierung bestimmen die Grundlinie unternehmerischen Handelns. Sachziele (z.B. Verkürzung der Maschinendurchlaufzeiten oder Verbesserung der Produktqualität) haben Instrumentalcharakter. Sie stehen also im Dienst der Erreichung von Formalzielen.“ (Wöhe & Döring 2010, S. 73) Dabei ist die Rangfolge alles andere als eindeutig. Der Einstiegsfall illustrierte, dass Gewinnziele zeitweilig nachrangig sein können, wenn Visionen die Richtung angeben. Vision und Mission stehen an der Spitze der Zielhierarchie auch bei modernen, nicht allein finanziell orientierten Steuerungskonzepten, wie der Balanced Scorecard. Eine Begründung dafür ist, dass in der Wissensgesellschaft finanzielle Ergebnisse gegenüber der generellen Ausrichtung und Geschäftsidee des Unternehmens nachfolgende Erfolgsgrößen sind (vgl. Kaplan & Norton 1996). Auch die andauernde Kontroverse zwischen Shareholder- und Stakeholderansatz, zwischen Gewinnorientierung und Verantwortung von Unternehmen zeigt, dass diese Fragen aktuell sind, aber nicht einfach mit „entweder-oder“ zu beantworten sind. Im Folgenden gehen wir zunächst vereinfachend davon aus, dass das Primärziel eines Unternehmens die langfristige Gewinnmaximierung sei. Es ergibt sich aber dann sogleich ein Dilemma: „Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass sich gerade solche Unternehmen hinsichtlich der Generierung von Gewinnen für ihre Eigentümer als besonders erfolgreich erwiesen haben, deren wesentlicher Antrieb aus einem Unternehmenszweck und nicht primär aus der Erzielung von Gewinnen
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2 Ziele
herrührte. Wir werden feststellen, dass Gewinn zwar den Lebenssaft einer Organisation darstellt, jedoch kein erfolgreiches Ziel im Hinblick auf die Zusammenführung, Erbauung oder Fesselung der Phantasie der Organisationsmitglieder ist. Eines der schwierigsten Aufgaben des strategischen Managements ist die Herstellung einer nachvollziehbaren und akzeptierten Verknüpfung zwischen einer sinnstiftenden Mission und dem Gewinnstreben.“ (Grant & Nippa 2006, S. 62) Wir nehmen deshalb an, dass die Frage nach der Rangfolge müßig ist, weil es nicht ein Primärziel des Unternehmens gibt, sondern Wertsteigerung und Vision bzw. Mission nur zwei Seiten derselben Medaille sind, so wie auch eine Ware Tauschwert und Gebrauchswert zugleich ist. Was aber ist unter diesen Begriffen zu verstehen?
2.2
Wertsteigerung
2.2.1
Ökonomischer und buchhalterischer Gewinn
Wird Strategie als Mittel zur Wertsteigerung verstanden, so stellt sich die Frage, wie diese zu messen ist. Wertsteigerung kann definiert werden als: $′ = $ + ∆ $ Eine Geldsumme C wird als Kapital investiert und fließt nach einer gewissen Zeit mit der Wertsteigerung ∆ C, also mit Gewinn zurück. Die Rate des ökonomischen Gewinns errechnet sich aus der Wertsteigerung geteilt durch das eingesetzte Kapital. Je mehr Unternehmen bei einer bestimmten Rate wachsen, desto mehr Wert wird geschaffen. Es ist also die Kombination aus Gewinnrate und Wachstum, die die Wertsteigerung antreibt (Koller et al. 2011). Davon zu unterscheiden ist der buchhalterische Gewinn, wie er in der Bilanz und Gewinnund Verlustrechnung im Geschäftsbericht veröffentlicht wird. Hierbei werden Ansatz- und Bewertungswahlrechte genutzt, um je nach der wirtschaftlichen Situation des Unternehmens bilanzpolitische Ziele zu verfolgen, etwa die Steuerlast zu verringern oder aber umgekehrt den Investoren ein positives Bild zu vermitteln. Schon deshalb ist die tatsächliche Lage nicht einfach zu ermitteln. Theoretisch anspruchsvolle Konzepte können in der Praxis scheitern, weil niemand mehr sie versteht. Im vorliegenden Rahmen kommt es nur auf die wesentlichen Eckpunkte an.
FINANZIELLE PERFORMANCE-ZIELE FESTLEGEN Als wirtschaftliche Zielgrößen für die Unternehmenssteuerung werden eingesetzt: Traditionelle Finanzkennzahlen (z.B. Umsatzrentabilität, Kapitalumschlag), Dynamische Finanzkennzahlen ( z.B. Discounted Cashflow), Kapitalmarktorientierte Finanzkennzahlen (z.B. Economic Value Added, Cashflow Return on Investment), Realoptionen, Finanzielle und nicht-finanzielle Ziele (z.B. Balanced Scorecard).
2.2 Wertsteigerung
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Traditionelle Finanzkennzahlen. Traditionell werden aus dem Rechnungswesen abgeleitete Kennzahlen verwendet. Eine Bilanzanalyse ist notwendig, denn ein in der Gewinn- und Verlustrechnung ausgewiesener Jahresüberschuss, kann mit betrieblichem Verlust einhergehen und ein hoher Gewinn auf das Eigenkapital kann mit steigendem Verlustrisiko erkauft sein. Üblich sind einfache Indikatoren (wie Auftragseingang oder Umsatzentwicklung), errechnete Kennzahlen wie der Cash Flow, aber auch Kennzahlensysteme, in denen beispielsweise das Gesamtergebnis in Betriebs-, Finanz- und außerordentliches Ergebnis aufgespalten und auf eine aus dem Jahresabschluss ermittelte Bestandsgröße bezogen wird. Auch der Reiz des Kennzahlensystems, das der amerikanische Konzern DuPont bereits in den 1920er Jahren entwickelt hat, liegt in der Aufspaltung und damit der Konkretisierung des finanziellen Oberziels (vgl. Abb. 2.2).
Umsatzrentabilität
Gewinn : Umsatz
Deckungsbeitrag Fixe Kosten
Nettoumsatz Variable Umsatzkosten
Rentabilität Gewinn in % des investierten Kapitals
x Umsatz Kapitalumschlag
Abb. 2.2
: investiertes Kapital
Umlaufvermögen + Anlagevermögen
Zahlungsmittel + Forderungen + Bestände
Aufspaltung des finanziellen Oberziels im DuPont-Kennzahlensystem (nach Horvath 2011, S. 503)
Mit der Internationalisierung der Rechnungslegung werden Ergebnisgrößen wie EBIT und EBITDA gebräuchlich. Der EBIT (Earnings before Interest and Taxes) zeigt das Ergebnis vor Zinsen und Steuern, entspricht also dem Betriebsergebnis (Operating Profit). Bezogen auf das Gesamtkapital ergibt das den Return on Investment (ROI). Der EBITDA (Earnings before Interest, Taxes, Depreciation and Amortisation) wird errechnet, wenn man zum EBIT die Abschreibungen (auf Sachanlagen und immaterielle Anlagen) hinzuzählt. CashflowKennzahlen wie der EBITDA sind in der Praxis weit verbreitet, weil Ergebnisangaben durch bilanzpolitische Gestaltung, etwa bei den Abschreibungen, wenig aussagefähig sein können und der Cashflow die Ertragskraft sowie die Finanzkraft indiziert. Schwächen des buchhalterischen Gewinnausweises soll damit entgegengewirkt werden. Traditionell wird also versucht, auf der Grundlage des Rechnungswesens die Ertrags-, Vermögens- und Finanzlage des Unternehmens zu ermitteln.
60
2 Ziele
Die traditionellen Kennzahlen bieten jedoch nur eingeschränkte Möglichkeiten, entscheidungsrelevante Informationen bereitzustellen. Dies zumindest galt als offenkundig zur Jahrtausendwende, als die durch das Internet ausgelösten Veränderungen eine sogenannte New Economy geschaffen zu haben schienen. Bei Yahoo, einem damals gerade neu entstandenen Unternehmen mit 1,1 Mrd. Euro Umsatz, kaum Gewinn und 1200 Mitarbeitern, war der Marktwert von 88 Mrd. Euro damals nur wenig geringer als der von Siemens mit 105 Mrd. Euro, das aber als Großunternehmen einen Umsatz von 78 Mrd. Euro mit 447.000 Mitarbeitern verbuchte. Ein Jahr später war die Börsenblase geplatzt. Der Marktwert von Yahoo brach um 91 Prozent auf 9 Mrd. Euro ein, der von Siemens nur um 23 Prozent. Dies verdeutlicht, dass die Börse kein absoluter Wertmaßstab ist, sondern eine Mischung aus langfristiger Performance-Erwartung, Psychologie und Spekulation. Gerade die von der Finanzkrise ausgelöste jüngste Wirtschaftskrise zeigt, dass Börsenwerte eigenen Gesetzmäßigkeiten unterliegen und für die Unternehmensbewertung nur bedingt geeignet sind. Liquidität hat nun Priorität, „Cash is King“ heißt es in der Krise. Verändern sich damit auch die Ansprüche an die fundamentalen Daten? Dynamische Finanzkennzahlen. Verschiedene Gründe sind dafür maßgeblich, dass die Anforderungen an die Erfolgsmessung und -steuerung steigen: In einem dynamischen und instabilen Umfeld haben die Unternehmen ihre Entscheidungsstrukturen dezentralisiert. Wettbewerbsvorteile werden aus immateriellen Vermögenswerten (Service, Innovation, Flexibilität, Wissen) erwartet, die sich in den Geschäftsbüchern nur schwer erfassen lassen. Das gilt insbesondere weiterhin für die inzwischen reif gewordene Internet-Ökonomie. Der Wert von Google und Microsoft ist traditionell höher, als er in der veröffentlichten Bilanz wiedergegeben wird. Hinzu kommt die wachsende Bedeutung des Kapitalmarkts. Integrierte strategische Leistungssteuerungssysteme sollen also die Schwächen der bisherigen Systeme, wie die des DuPont-Kennzahlensystems, überwinden. Ein Ansatzpunkt sind dynamische Finanzkennzahlen, die sich nicht an Durchschnittswerten des Rechnungswesens orientieren, sondern an Zahlungsströmen. Dabei wird auf Methoden der Investitionsanalyse zurückgegriffen. Bei einer einfachen, statischen Investitionsrechnung bewertet man Investitionsalternativen überschlägig nach dem Kosten- oder Gewinnvergleich, am besten aber mit dem Rentabilitätsvergleich. Diese statischen Methoden sind unzureichend, weil sie die Zeitstruktur der Einzahlungen und Auszahlungen nicht berücksichtigen. Es macht einen Unterschied, wenn eine Investition zum Beispiel früher zurückfließt, da sie, wieder angelegt, Erträge einbringt (Opportunitätskosten). Durch Abzinsen mit einer Zinseszinsformel auf einen Stichtag kann die Zeitstruktur des Geldes berücksichtigt werden. Nichts anderes berücksichtigt der abgezinste (discounted) Cashflow, der zur Unternehmensbewertung, -steuerung und -berichterstattung eingesetzt wird. Ziel ist die Orientierung am langfristigen finanziellen Erfolg des Unternehmens. Das Problem liegt aber auch hier bei der Festlegung des Abdiskontierungs-Zinssatzes sowie bei der Prognostizierbarkeit und Zurechenbarkeit der Zahlungsströme. Das zeigt sich bei der Anwendung zur Bewertung von Geschäftsstrategien. „Unter der gegebenen Volatilität und Unvorhersehbarkeit der Geschäftsbedingungen, denen sich die meisten Unternehmen ausgesetzt sehen, sind vernünftige, nachvollziehbare und vor allem verlässliche Prognosen der mit einer bestimmten Strategie verbundenen Kosten und Erlöse äußerst schwierig durchzuführen. Selbst wenn wir die Probleme, die mit der Vorhersage einer ungewissen Zukunft verbunden
2.2 Wertsteigerung
61
sind, ignorieren, ist es fraglich, wie man einer Strategie spezifische Cashflow-Konsequenzen halbwegs willkürfrei zuordnen soll. Eine Strategie ist (…) kein detaillierter Plan, sie ist eine Ausrichtung und ein Bündel von Leit- und Richtlinien.“ (Grant & Nippa 2006, S. 75) Kapitalmarktorientierte Finanzkennzahlen. Diese Probleme zeigen sich auch bei den kapitalmarktorientierten Finanzkennzahlen, die zu den Grundbausteinen der wertorientierten Unternehmensführung (Value Based Management) gehören, insofern sie auf mehrperiodischen Methoden der dynamischen Investitionsrechnung aufbauen.8 Als einperiodische Steuerungsgrößen sind EVA und ROCE verbreitet. Der „eigentliche ökonomische Gewinn“, der Economic Value Added (EVA), wird berechnet, indem vom betrieblichen Ergebnis EBIT die Kosten für Eigen- und Fremdkapital abgezogen werden. Unterschiedlich große Geschäftseinheiten lassen sich mit dem Return on Capital Employed (ROCE) besser vergleichen, einer Renditekennziffer ähnlich wie der ROI, bei der das betriebliche Ergebnis EBIT auf das durchschnittlich gebundene Kapital (Capital Employed) bezogen wird. Schwierigkeiten liegen nun beispielsweise darin, zum einen das betriebsnotwendige Vermögen (NOA = Net Operating Assets) zu bestimmen und zum anderen den Kapitalkostensatz zu ermitteln, mit dem multipliziert sich die Kapitalkosten errechnen. Während der Fremdkapital-Kostensatz noch relativ einfach aus der Rendite vergleichbarer börsennotierter Anleihen ermittelt werden kann, also vielleicht bei 4 Prozent liegt, werden zur Ermittlung der Eigenkapitalkosten theoretische Modelle unterlegt. Um die Renditeerwartung der Aktionäre, die von der Sache her eine Residualgröße ist, in eine feste Anspruchsgröße verwandeln zu können, wird das Capital Asset Pricing Modell (CAPM) verwendet. Grundlegend ist dabei die Annahme, dass Kapitalgeber in der Regel nur dann ein höheres Risiko eingehen, wenn sie dafür eine höhere Rendite erhalten. Im Vergleich zu einem Investment in eine risikofreie Anlage, wie festverzinsliche Wertpapiere, fordern die Eigenkapitalgeber eine Prämie, die als Marktrisikoprämie bezeichnet wird. Berechnungen ergeben, dass dieses systematische Risiko „Beta“ je nach Branche unterschiedlich ist, aber in der Vergangenheit im Durchschnitt bei etwa 5 Prozent lag. Je nach Anteil von Eigen- und Fremdkapital können so die gewichteten Kapitalkosten ermittelt werden (WACC = Weighted Average Cost of Capital). Das Problem liegt hier darin, dass die Berechnungen am Rechnungswesen anknüpfen, wodurch komplizierte Korrekturen erforderlich werden, die aber wiederum die Transparenz und damit die Wirksamkeit herabsetzen. Im Reporting der Unternehmen sehen die Dinge einfacher aus. Henkel beispielsweise berichtet im Lagebericht des Konzerns, dass sein „Wertmanagement und Steuerungssystem“, an der „nachhaltigen Steigerung des Unternehmenswerts“ ausgerichtet ist. Für 2011 werden Eigenkapitalkosten nach Steuern von 6,8 Prozent ermittelt und Fremdkapitalkosten nach Steuern von 2,9 Prozent. Die gewichteten Kapitalkosten nach Steuern liegen damit bei 6,5 Prozent. Bei einem Steuersatz von 30 Prozent wird ein Kapitalkostensatz (WACC) von 9,0 Prozent vor Steuern für den Konzern errechnet. Insgesamt wird profitables Wachstum erzielt, weil der Übergewinn EVA mit 848 Millionen Euro positiv ist und weil die Rendite des ein8
Es würde den Rahmen sprengen, die verschiedenen Modelle wertorientierter Unternehmensführung hier vorzustellen. Der Ausgangstext stammt von Rappaport (1998). Eine erste Übersicht bieten Langguth (2008) und der Arbeitskreis Internes Rechnungswesen der Schmalenbach-Gesellschaft (2010).
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2 Ziele
gesetzten Kapitals von 16,6 Prozent den Kapitalkostensatz vor Steuern übersteigt. Erreicht wurde dies durch ein höheres betriebliches Ergebnis als auch durch ein geringeres betrieblich eingesetztes Kapital. Auch alle Unternehmensbereiche erzielten einen positiven Wertbeitrag (vgl. Henkel 2011). Realoptionen. Weitaus größere Schwierigkeiten macht es, die aus der finanzwirtschaftlichen Theorie bekannten Realoptionen auf die Strategieanalyse zu übertragen. Aber die Grundidee ist wichtig: „In einer Welt der Unsicherheit, in der Investitionen, sobald sie getätigt wurden, irreversibel sind, hat Flexibilität einen ökonomischen Wert.“ (Grant & Nippa 2006, S. 76) Dazu ein Beispiel: Wenn, wie in der Projektarbeit üblich, bestimmte Tore der Zustimmung durch das Top-Management durchlaufen werden, bevor die weitere Freigabe erfolgt, erhöht das die Kosten, schafft aber auch einen Optionswert. Dieser liegt zusätzlich zum herkömmlichen Unternehmenswert im Wert von Handlungsspielräumen. Diese bestehen darin, weitere Investitionen zeitlich zu verschieben, einzuschränken oder zu erweitern. Den dadurch eröffneten Chancen (Upside-Potential), steht auf der anderen Seite, ein begrenztes, mit der Ausübung der Option verbundenes Risiko (Downside-Risk) gegenüber. Trotz ihrer Vorzüge „ist die Anwendung von Realoptionsmodellen in der Praxis eher gering.“ (Langguth 2008, S. 91) Gründe sind theoretische Probleme und die unzureichende Datenlage.
RÜCKKEHR ZU TRADITIONELLEN STEUERUNGSGRÖßEN? „Wert schafft ein Unternehmen erst dann, wenn es mehr als die Kapitalkosten erwirtschaftet.“ Dieser Leitsatz wertorientierter Unternehmensführung wird mit unterschiedlichen Konzepten umgesetzt, die für das externe Reporting, die interne Planung und Kontrolle und für Anreizsysteme der Managervergütung eingesetzt werden. Im Kontrast zur zunehmenden Verbreitung der wertorientierten Unternehmenssteuerung steht die Tendenz an traditionellen Verfahren zur Leistungssteuerung, die sich auf allgemein anerkannte Rechnungslegungsprinzipien stützen, festzuhalten. Dies liegt erstens an Vorbehalten, das Unternehmen allein an den Shareholdern auszurichten, zweitens an Schwierigkeiten bei der Operationalisierung der Wertmaximierung, und drittens an dem als unzureichend eingeschätzten Wertbeitrag der komplexen Verfahren: „Obwohl Finanzpuristen die Anwendung buchführungsbasierter Verfahren zur Leistungsbewertung anprangern, erweisen sich in der Unternehmenspraxis die Differenzen zwischen den unterschiedlichen Indikatoren der Leistungsbeurteilung wie Cashflow, ökonomischer Gewinn und Buchgewinn als geringer, als oft behauptet wird.“ (Grant & Nippa 2006, S. 79). Grundsätzlich besteht das Problem darin, das altbekannte theoretische Ziel der Gewinnmaximierung in ein praktisches System von Zielen und Zwecken umzusetzen, wie bereits Igor Ansoff (1965) in seinem Klassiker Corporate Strategy hervorgehoben hat. Dieses wird dadurch in das Problem eingetauscht, sich widersprechende Ziele in Einklang zu bringen. Wirtschaftliche Ziele können nach Zeithorizont und Flexibilität unterschieden werden: Als Kennzahl für kurzfristige wirtschaftliche Ziele ist der ROI, der Ertrag für Investitionen, geeignet. Aber selbst für naheliegende Ziele besteht eine teilweise Unkenntnis über zukünftige Ereignisse. Man hat es also mit dem Dilemma des „Spatzen in der Hand und der Taube auf dem Dach“ zu tun. Eine höhere Rentabilität wird als Schwellenwert gewöhnlich anzusetzen sein, wenn das Risiko größer ist.
2.2 Wertsteigerung
63
Langfristig ist nach Ansoff die Rentabilität zuverlässig nicht aufzustellen, daher sind Ersatzmaßstäbe für die externe Konkurrenzstärke und den internen Leistungsstand (wie Umsatzwachstum und Fähigkeiten), also auch nicht-finanzielle Ziele, hinzuzuziehen. Flexibilität ist ein weiteres Hauptziel bei Ungewissheit. Äußere Flexibilität kann durch eine Streuung der Absatzmarkt-Investitionen erreicht werden, am besten durch das amerikanische Sprichwort beschrieben: „Lege nicht alle Eier in einen Korb.“ Interne Flexibilität wird gemessen durch eine hohe Liquidität vorhandener Mittel. Schließlich sind nach Ansoff auch nicht-ökonomische Ziele, Verantwortlichkeiten und Einschränkungen, zu berücksichtigen. Denn Aktivitäten zur sozialen Verantwortung des Unternehmens haben auch wirtschaftliche Vorteile. Heute würde dies heißen: StakeholderInteressen einbeziehen und eine „Triple Bottom Line “ aus wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Zielen verfolgen (vgl. näher Kap. 2.3–2.5). Vergleicht man nun diese klassische Beschreibung eines Zielsystems mit dem Beitrag von Coenenberg & Salfeld (2007) zur wertorientierten Unternehmensführung, so findet man, von der unterschiedlichen Anordnung abgesehen, viele Gemeinsamkeiten. Danach kommt es darauf an, die Wertsteigerung als Leitziel durch vier Wertsteigerungshebel konzertiert einzusetzen:
Wachstum: Erst profitables Umsatzwachstum führt zu nachhaltiger Wertsteigerung. Operative Exzellenz: Steigerung der operativen Leistungsfähigkeit. Finanz-/Vermögensstruktur: Reduktion des benötigten Kapitals. Portfoliosteuerung: Übernahme und Restrukturierung.
Die Weiterentwicklung besteht vor allem darin, dass die Rückwirkung des Kapitalmarktes auf die Unternehmensentwicklung thematisiert wird (vgl. auch Koller et al. 2011). Auch das finanzielle Zielsystem bei Siemens (vgl. Praxisbeispiel) kann mit Ansoff interpretiert werden: Return on Capital Employed (ROCE), eng verwandt mit der traditionellen Kennzahl ROI, steht für die kurzfristige Rentabilität, Umsatzwachstum für langfristige Ziele und die Kapitalstruktur (Liquidität) für die Flexibilität. Die Auswertung von Studien zu Unternehmenszielen zeigt, dass das die wertorientierte Unternehmenssteuerung in Deutschland in den letzten zwei Jahrzehnten an Bedeutung gewonnen hat, dass aber qualitative Ziele wie Kunden- und Qualitätsorientierung ebenso genannt werden (vgl. Macharzina & Wolf 2010). Interviews der Leiter des Konzerncontrollings bei DAX 30 Großunternehmen ergaben, dass fast alle wertorientierte Steuerungsgrößen nutzen, einige nur für das externe Reporting für Analysten, die anderen mehr oder minder auch für die interne Steuerung mit unterschiedlichen Lösungen. Angesichts der Probleme (Komplexität, Vermittelbarkeit, Schulungsaufwand) bleibt die Bewertung jedoch skeptisch (vgl. Weber 2009). Ein kleines Unternehmen, das noch um die Existenz ringt, hat nach Ansoff weder die Mittel noch das Management um sich mit mehr als kurzfristiger Gewinnerzielung zu beschäftigen, das gilt mehr noch für die wertorientierte Unternehmenssteuerung.
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2 Ziele
Praxisbeispiel: Nachhaltige Wertsteigerung mit One Siemens Das Unternehmen wurde 1847 von zwei Pionieren des Stromzeitalters, Werner von Siemens und Johann Georg Halske, gegründet. Heute ist Siemens ein global agierender, integrierter Technologiekonzern mit Kernaktivitäten auf den Gebieten Industrie, Infrastruktur und Energie sowie im Gesundheitssektor. 2011 hat das Unternehmen 360.000 Mitarbeiter, die in 190 Ländern aktiv sind und einen Konzernumsatz von 74 Mrd. € erwirtschaften. Von 1997 bis 2007 verwendete Siemens den Geschäftswertbeitrag als zentrale Steuerungsgröße. Orientiert am kapitalmarktorientierten Konzept des Economic Value Added (EVA) zeigt dieser den „Übergewinn“, also den Gewinn, der die Kapitalkosten übersteigt. Davon rückte man später zugunsten eines mehrdimensionalen Zielsystems ab, das mit eher traditionellen Finanzkennzahlen arbeitet. Seit Geschäftsjahr 2010 wird das Unternehmen mit dem „Zielsystem zur nachhaltigen Wertsteigerung“ One Siemens gesteuert (vgl. Abb. 2.3), das auch für die Managervergütung maßgeblich ist. Dessen finanzielle Kennzahlen sind: Umsatzwachstum. Profitables Umsatzwachstum wird als wichtigster Werttreiber für langfristige Wertsteigerung angesehen. Siemens will stärker wachsen als seine wesentlichen Wettbewerber. Kapitaleffizienz und Profitabilität. Die Kapitalrentabilität wird mit der Kennzahl Return on Capital Employed (ROCE) gemessen; vereinfacht definiert als Gewinn aus fortgeführten Aktivitäten vor Zinsen, geteilt durch das durchschnittlich eingesetzte Kapital. Auf Konzernebene wird ein ROCE von 15–20% als ambitioniertes Ziel angesehen. Top-Margen im Vergleich zu den besten Wettbewerbern der jeweiligen Branchen sollen auf Dauer erwirtschaftet werden. Kapitalstruktur. Dauerhaftes Ergebnis- und Umsatzwachstum ist nur auf Basis einer gesunden Kapitalstruktur möglich. Der Verschuldungsgrad wird durch eine Kennzahl aus der bereinigten industriellen Nettoverschuldung zum EBITDA gemessen. Auch nicht-finanzielle Ziele sind relevant: „Pionier zu sein gehört für Siemens zum gelebten Selbstverständnis, es ist unsere Vision und prägender Bestandteil unserer Unternehmenskultur. Diese Vision basiert auf unseren Werten – verantwortungsvoll, exzellent und innovativ –, die das Fundament für den Erfolg von Siemens bilden. Im Zusammenspiel mit Werten, Strategie und One Siemens formuliert die Vision unseren unternehmerischen Anspruch. Sie gibt unserer Strategie die Richtung vor.“ (Siemens-Geschäftsbericht 2011, S. 21) Als Antwort auf die Megatrends demografischer Wandel, Urbanisierung, Klimawandel und Globalisierung formuliert Siemens drei Eckpunkte seiner Strategie und konkretisiert diese durch neun Fokusthemen (vgl. Abb. 2.3).
2.2 Wertsteigerung
Abb. 2.3
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Überblick zum One Siemens Zielsystem (Siemens 2011, S. 25)
In letzter Zeit wurde auch Siemens durch Wachstum und Restrukturierung geprägt. Dazu gehören die Fokussierung auf die Sektoren Industrie, Energie, Gesundheit und Infrastruktur und Desinvestitionen, wie der Verkauf der Handy-Sparte an BenQ und von VDO Automotive an Continental. Daneben hat Siemens Milliarden in neue Akquisitionen gesteckt. Entwickelt sich Siemens zu einem fokussierten Unternehmen, das in verwandte Geschäftsfelder investiert und Synergien nutzt, oder folgt Siemens dem Vorbild seines Konkurrenten General Electric (GE), das als klassische Finanzholding seine Investitionen in verschiedenartige Geschäftsfelder in erster Linie über Finanzkennzahlen führt? Dessen charismatischer CEO Jack Welch hatte das Ziel ausgegeben, die Nummer 1 oder Nummer 2 in der Branche zu werden; wer dies nicht schaffte, wurde abgestoßen. Anfang der 1980er Jahre verlor GE durch Restrukturierungen 100.000 Beschäftigte. Jack Welch hierzu: Die „Geschichte half uns, unser Portfolio aufzuräumen. Und es funktionierte.“ Im Jahre 2012 wird ein erneutes Programm zum Konzernumbau bei Siemens angekündigt. Der Vorstandsvorsitzende Peter Löscher erklärt dazu: Siemens will besser sein, als die Wettbewerber (vor allem GE und ABB), hat dieses Ziel aber verfehlt.
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2 Ziele
Fragen: 1. Wie bewerten Sie die Veränderung des finanziellen Zielsystems von Siemens? 2. Sollte die Managervergütung auch von nicht-finanziellen Zielen abhängen? 3. Ist Siemens im Vergleich zu Konkurrenten wie General Electric und Asean Brown Boverie erfolgreich? Quelle: Coenenberg, A.G. & Salfeld, R.: Wertorientierte Unternehmensführung. 2. Aufl., Stuttgart 2007; Frintrop, P. & Gruber, T.: Working Capital Management in der wertorientierten Unternehmenssteuerung bei Siemens Transformers. Working Papers of the Institute of Management Berlin at the Berlin School of Economics and Law. Nr. 56, 2010, Nr. 11; Kaeser, J. & Horváth, P., Konzernsteuerung mit neuen Zielgrößen – Controlling bei der Siemens AG. In: Controlling 2011, S. 258–260; Siemens Geschäftsbericht 2011 und 2012; Welch, J. & Welch, S.: Winning – Das ist Management. Frankfurt/New York 2005. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 12.10.2012.
2.2.2
Ergänzung um nicht-finanzielle Ziele
Mitarbeitermotivation, Unternehmensimage und Kundenzufriedenheit spielen für die Unternehmensperformance genauso eine Rolle wie finanzielle Faktoren, etwa Umsatz- und Gewinnkennzahlen, berichtet eine Studie von Deloitte (2007), eine der großen Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaften. Doch detailliertes Wissen über die sogenannten NonFinancials sowie geeignete Messinstrumente sind in der Unternehmensrealität eine Seltenheit. Auch wenn sich die befragten Topmanager, 200 Vorstände und Board-Mitglieder aus aller Welt, über die maßgebliche Bedeutung der nicht-finanziellen Faktoren für die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens im Klaren sind, fehlt es an fundierten Erkenntnissen zur tatsächlichen Leistungskraft ihrer Gesellschaft in diesem Bereich. Dies liegt zum einen am Mangel erprobter Methoden, zum anderen am unzureichenden Know-how bei der Erfassung, Evaluation und Darstellung „weicher“ Faktoren. Verglichen mit den Ergebnissen der Studie aus dem Jahre 2004 gibt es allerdings deutliche Fortschritte: So haben mehr Unternehmen den Wert der Non-Financial-Kennzahlen erkannt und in ihren Geschäftsberichten berücksichtigt. Gestiegen ist auch die Anzahl der Firmen, die an der Entwicklung zuverlässiger Messinstrumente arbeiten.
BALANCED SCORECARD UND STRATEGY MAPS NUTZEN Die Balanced Scorecard (BSC) ist ein Managementwerkzeug, das geeignet ist, auch nichtfinanzielle Ziele in einem integrierten strategischen Leistungssteuerungssystem aufzunehmen. Nicht mehr so sehr die Frage, wie Wertsteigerung und finanzieller Erfolg zu messen sind, steht im Mittelpunkt, sondern dass die finanzielle Perspektive durch nicht-finanzielle Perspektiven zu ergänzen ist. Vorläufer war das in den 1960er Jahren in Frankreich entwickelte Tableau de Bord („Instrumententafel, Armaturenbrett“). Finanzorientierten Zielsystemen wird vor allem unterstellt, dass sie nur die vergangenheitsorientierte „finanzielle Gesundheit” eines Unternehmens, nicht aber seine zukunftsgerichtete „strategische Gesundheit“ messen. Das Argument basiert im Wesentlichen darauf, dass immaterielle Vermögensgegenstände im externen Rechnungswesen nur ungenügend erfasst werden, heute aber die wesentlichen strategischen Erfolgsfaktoren darstellen. Des Weiteren informieren aus dem Rechnungswesen abgeleitete Kennzahlen nur rückwirkend über die Wirksamkeit der Wettbewerbsstrategie. Sie werden wegen dieser zeitlichen Verzögerung auch als nachlaufende
2.2 Wertsteigerung
67
Indikatoren bezeichnet, die zu einer Kurzfristorientierung des Managements beitragen können. In rein finanzorientierten Systemen wird außerdem keine Verbindung zu qualitativen operativen Werttreibern hergestellt, wodurch wesentliche Ursache-Wirkungs-Beziehungen unberücksichtigt bleiben können. Schließlich werden in traditionellen Kennzahlensystemen weder Risiken noch Eigenkapitalkosten oder Synergieeffekte berücksichtigt (vgl. Johnson & Kaplan 1991; Ittner & Larcker 1997; Speckbacher et al. 2003; Chahed & Müller 2006). Ursprünglich wurde die Balanced Scorecard von Kaplan & Norton lediglich als ausgewogenes System von Leistungsindikatoren konzipiert. Die strategischen Ziele des Unternehmens werden aus verschiedenen Perspektiven betrachtet, wobei als Werttreiber für die finanzielle Perspektive drei weitere nicht-finanzielle Perspektiven angesehen werden – die Kunden-, die interne Prozess- sowie die Lern- und Wachstumsperspektive (vgl. Kaplan & Norton 1992). Nur in nicht-gewinnorientierten Organisationen ist das Finanzziel nicht das Oberziel, sondern dies können auch andere Stakeholderziele sein (vgl. Kaplan 2008). Für jede Perspektive werden unternehmensspezifische Kennzahlen als Messgrößen für die Zielerreichung bestimmt, die zusammen ein mehrdimensionales Kennzahlensystem ergeben. Die Abb. 2.4 zeigt dazu ein Beispiel aus der industriellen Praxis beim mittelständischen Pumpenhersteller Scherzinger GmbH & Co. KG. Den vier Perspektiven werden Wettbewerbsfaktoren wie Kosten, Flexibilität, Qualität und Innovation gegenübergestellt, so dass sich eine Matrix aus sechzehn Kennzahlen ergibt, die zur Leistungssteuerung dienen. Für jede dieser Kennzahlen werden dann Zielvorgaben und Maßnahmen formuliert. Business Scorecard Matrix aus 16 Kennzahlen Wettbewerbsfaktoren
Kosten Flexibilität
(Zeit, Menge, Varianten)
Qualität
Innovation
Abb. 2.4
Unternehmensperspektiven
Finanzperspektive
Kundenperspektive
Prozessperspektive
Potenzialperspektive
Gemeinkosten Selbstkosten
Vertriebskosten Selbstkosten
Produktivität
Qualifizierungskosten pro Mitarbeiter
Fixkosten Selbstkosten
Anteil der eingehaltenen Wunschtermine
Mitarbeiter- und Maschinenflexibilität
Anteil der breit und flexibel einsetzbaren Mitarbeiter
Qualitätskosten
Anteil der Garantiefälle/ Reklamationen
Interne Ausschussquote
Umsetzbare Verbesserungsvorschläge pro Mitarbeiter
Umsatzanteil mit Produktinnovationen
Anzahl der Kunden mit Umsatzsteigerungen
Durchlaufzeit für nicht serienmäßige Teile
Anteil der FuE-Stunden für Neu- und Änderungskonstruktionen
Kennzahlensteuerung bei der Scherzinger GmbH & Co. KG (Scherzinger)
68
2 Ziele
Später haben Kaplan & Norton ihren Ansatz zum einem Managementwerkzeug zur Strategieimplementierung weiterentwickelt (vgl. Kaplan & Norton 2004; 2006; 2008). UrsacheWirkungs-Beziehungen zwischen den Zielen werden in einer „Strategy Map“ abgebildet, wobei wiederum die finanzielle Perspektive die Rolle eines Oberziels einnimmt. Das Grundmodell lässt sich variieren. Selbst Ziele der sozialen Verantwortung von Unternehmen (Corporate Social Responsibility) lassen sich problemlos aus der Perspektive interner Geschäftsprozesse einbauen. Ein Beispiel für Ursache-Wirkungs-Beziehungen im Dienstleistungsbereich zeigt die folgende Abb. 2.5 zur Service-Profit-Kette. Die Steigerung der internen Servicequalität durch angemessene Arbeitsbedingungen, erhöht die Zufriedenheit und damit die Bindung und Produktivität der Mitarbeiter, was sich wiederum in einem höheren Servicewert niederschlägt. Dadurch werden wiederum Kundenzufriedenheit und -bindung wie auch der finanzielle Erfolg verbessert (vgl. Heskett et al. 2008). Betriebsstrategie und Dienstleistungserbringungsprozess
Innerbetriebliche Servicequalität
Außerbetrieblicher Servicewert
Mitarbeiterzufriedenheit
Arbeitsplatzgestaltung Arbeitsgestaltung Mitarbeiterauswahl und -entwicklung Mitarbeitervergütung und Leistungsanerkennung Mittel zur Kundenbedienung
Abb. 2.5
Ertragswachstum
Mitarbeiterbindung Kundenzufriedenheit
Kundentreue
Mitarbeiterproduktivität
Rentabilität
Servicekonzept: Ergebnisse für den Kunden
Bindung Folgeaufträge Empfehlung
Dienstleistungen, die für Kundenbedürfnisse gestaltet und erbracht werden
Mitarbeiter und Kunden in der Service-Profit-Kette (nach Heskett u.a. 2008, S. 120)
Zu den Stärken der Balanced Scorecard und der Strategy Map gehören, dass ihre Verwendung das Bewusstsein für die operativen Werttreiber des Geschäftserfolgs stärkt und dazu beiträgt, eine reine Finanzorientierung des Managements zu überwinden. Das Verständnis für die Wirkungs-Beziehungen zwischen operativen Entscheidungen und strategischen Zielen wird geschärft, Anreizprobleme, die zu einer Kurzfristorientierung der Entscheidungsträger führen können, werden verringert. Ein weiterer wesentlicher Vorteil liegt im Implementierungsprozess selbst, der die Kommunikation über Hierarchieebenen und Funktionsbereiche hinaus anregt und gemeinsame Denkprozesse fördert. Die Analyse der Werttreiber führt zu einem umfassenderen Bild der eigenen Geschäftstätigkeit. Zudem fokussiert die Ermittlung und Kenntnis der finanziellen und nicht-finanziellen Werttreiber die Entscheidungsfindung und Leistungsmessung auf die wesentlichen Erfolgsfaktoren einer langfristigen Unternehmensstrategie und trägt dazu bei, klarere Ziele zu formulieren. Die BSC wird als besonders erfolgreich in den Fällen angesehen, in denen Unternehmen versucht haben, mit ihrer
2.2 Wertsteigerung
69
Hilfe ein ganzheitliches Managementsystem zu implementieren. Hier half die Modellierung der Ursache-Wirkungs-Beziehungen dabei, strategische Klarheit zu erreichen, d.h. sich der eigenen Strategie und ihrer kritischen Erfolgsfaktoren bewusst zu werden. Die BSC ist somit ein wichtiges Instrument zur Verhaltenssteuerung (Behavioral Tool), denn ihre Implementierung schafft zunächst die Voraussetzungen für organisatorischen Wandel (Kommunikation, Verständnis) und strukturiert sowohl Feedback als auch Lernprozesse. Die Ermittlung der Kennzahlen unter Einbeziehung von Mitarbeitern aller Unternehmensbereiche fördert ein gegenseitiges Verständnis und mag das Potential haben, zu einer kooperativeren Unternehmenskultur beizutragen (vgl. Kaplan & Norton 1992; Ittner & Larcker 1997; Speckbacher et al. 2003; Hendricks et al. 2004).
IMPLEMENTIERUNGSPROBLEME BERÜCKSICHTIGEN Bei Implementierung der BSC zeigt sich allerdings auch, wie schwierig es ist, ein theoretisches Modell in die Realität umzusetzen. Studien an der University of Pennsylvania (Ittner & Larcker 2003) und an den Universitäten Wien und Innsbruck (Speckbacher et al. 2003) haben folgende wesentliche Fehler bei der Implementierung einer BSC aufgezeigt: Fehlende Verbindung zwischen Kennzahlen und Strategie: Oftmals wird die eigene Unternehmensstrategie nicht ausreichend analysiert und es werden Ziele formuliert, die in keinem direkten Ursache-Wirkungs-Bezug zu den relevanten Werttreibern stehen. Nur wenige Unternehmen scheinen nicht-finanzielle Kennzahlen mit direkter Verbindung zur Strategieerreichung zu identifizieren. Ursache-Wirkungs-Beziehungen lassen sich nicht bestätigen: Wenn die Kausalität zwischen den Werttreibern der einzelnen Perspektiven nicht sichergestellt ist, können Zielkonflikte und ein „Information Overload“ die Leistungsfähigkeit eines Unternehmens eher lähmen als fördern. Unrealistische Ziele: Die Vorgabe, z.B. 100 Prozent Kundenzufriedenheit zu erreichen, ist unrealistisch und mit unverhältnismäßigem Aufwand verbunden. Unrealistische Zielvorgaben wirken kontraproduktiv und können das „Oberziel“, die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens, gefährden. Mangelnde Objektivität bei der Messung der Zielerreichung: Vor allem für qualitative Werttreiber müssen objektivierbare Bewertungsverfahren gefunden werden. Ziele wie etwa die Erhöhung der Kundenzufriedenheit sind so lange problematisch, wie nicht allen Betroffenen klar ist, was Kundenzufriedenheit ist und wie man diese misst. In der Praxis beschränken viele Unternehmen die BSC auf ein mehrdimensionales Zielsystem, ohne die Zusammenhänge zwischen den Perspektiven in Strategy-Maps aufzuzeigen, weil dies als besonders schwierig angesehen wird. Zudem entscheiden sich Unternehmen für unterschiedliche Implementierungsgrade von BSC-Modellen. Nur selten scheint es in der Praxis voll entwickelte BSCs zu geben, die im Rahmen des strategischen Managements die Strategieentwicklung und -umsetzung unterstützen, indem anhand der unterschiedlichen Dimensionen Ziele und Handlungspläne entwickelt, Ergebnisse gemessen und Anreizsysteme geschaffen werden.
70
2 Ziele
Weitere Kritikpunkte an der Balanced Scorecard sind grundsätzlicher. Moniert wird die ungenügende Einbeziehung von Risiken und die Annahme eines hierarchischen „TopDown“-Modells für die Strategieumsetzung, bei dem die vom Top-Management vorgegebene Strategie sequenziell in finanzielle und nicht-finanzielle Kennzahlen heruntergebrochen wird. Dieser Ansatz widerspricht anderen Modellen, die die Strategieumsetzung als reflexiven Prozess beschreiben, in dem die Unternehmensstrategie durch organisatorische Einflüsse auf allen Ebenen geformt wird (vgl. u.a. Burgelman 1983; Mintzberg & McHugh 1985; Mintzberg 1987). Für Mintzberg ist Management vor allem eine Praxis, die Kunst, Wissenschaft und Geschick verbindet, die also rationalen Erwägungen nur begrenzt zugänglich ist. Entsprechend soll sich auch George Bernhard Shaw geäußert haben: “Consistency is the enemy of enterprise, just as symmetry is the enemy of art.” Eine zentrale Anforderung des Managementsystems von Kaplan & Norton zur Strategieentwicklung und -umsetzung aber ist, dass das so geschaffene Kennzahlensystem konsistent und widerspruchsfrei ist. Diese also nur auf den ersten Blick plausible Anforderung steht im Kontrast zu dem auch hier vertretenen Ansatz der modernen Managementlehre, die im Management von Paradoxien die zentrale Herausforderung sieht. Als Alternative bietet sich an, die Balanced Scorecard bzw. Strategy Map durch das Competing Values Framework (Quinn 1988) zu ersetzen, das allerdings bisher wenig verbreitet ist. Deshalb kann vorerst auf die Erweiterung der traditionellen Systeme gesetzt werden, die ja durchaus die Balance unterschiedlicher Perspektiven verfolgen. Nach Kaplan & Norton (2008, S. 45) zeigt die Balanced Scorecard, wie die Vision, Mission und Strategie eines Unternehmens gesteuert werden können. Was ist darunter zu verstehen?
2.3
Mission des Unternehmens
Ist die Mission eines Unternehmens mehr als das häufig nichtssagende, gestanzte Statement in einer Firmenbroschüre? Die Bedeutung der Mission für die Strategieentwicklung ist zu klären und darüber hinaus die Abgrenzung zu weiteren unscharfen Begriffen wie Vision und Leitbild.
EINE MISSION ENTWICKELN Für manche Unternehmungen ist jedes Geschäft ein gutes Geschäft, solange die Rendite stimmt, aber dem Unternehmen wird es an Ausrichtung fehlen. Fünf entscheidende Fragen des Managements müssen, so der Managementexperte Peter Drucker (2009), beantwortet werden: 1. 2. 3. 4. 5.
Was ist unsere Mission? Wer ist unser Kunde? Worauf legt der Kunde Wert? Was sind unsere Ergebnisse? Was ist unser Plan?
2.3 Mission des Unternehmens
71
Die Mission handelt von der Beantwortung dieser Grundfragen, sie ist der Grundauftrag, der das Unternehmen in eine bestimmte Richtung steuert. Elemente, die eine Mission prägen, sind (vgl. De Wit & Meyer 2010, S. 598 ff.): Organisationszweck. Warum gibt es das Unternehmen? Dabei geht es um mehr als den formalen Organisationszweck, der bei der Gründung des Unternehmens angegeben wurde. Im Laufe der Zeit verändert sich der Zweck der Organisation, nicht immer so extrem wie im Daimler-Beispiel oder etwa beim Preussag Konzern, der aus dem Stahlgeschäft kommend nun als TUI im Tourismus tätig ist. Beispiele für einen eher evolutionären Wandel finden sich für Continental (vom Reifenhersteller zum Systemanbieter) und für Bilfinger Berger und Hochtief (vom Baukonzern zur Multi-Service-Group). Überzeugungen. Aufgrund welcher Überzeugungen erwartet man, in einer bestimmten Umwelt erfolgreich zu sein? Diese werden auch von der Firmengeschichte geprägt: Jedes Unternehmen hat eine Geschichte, die sich in den bisherigen Zielen, der verfolgten Politik und den Leistungen niedergeschlagen hat. Aus Beharrungskräften entsteht eine Pfadabhängigkeit, die dazu führt, dass etwa das Innovationskonzept von Apple, das Produktionssystem von Toyota oder die Spielweise des FC Barcelona nicht einfach nachzuahmen sind. Werte. Was sind die grundlegenden Werte, die Präferenzen des Managements, der Eigentümer und der Mitarbeiter? Wer in einem Unternehmen das Sagen hat, will auch seine Zielvorstellungen einbringen. Deutlich wurde dies bei der Übernahme von Volkswagen durch die Familien Porsche und Piëch und die damit verbundene Auseinandersetzung über die Besetzung der Arbeitnehmervertreter in der Porsche-Holding. Dazu gehören auch gemeinsame Werte, wie man in einem bestimmen Umfeld erfolgreich sein kann. Für Bertelsmann und eine Reihe anderer Unternehmen sind Partnerschaft und Mitbestimmung grundlegende Erfolgspotentiale (vgl. etwa Mohn 1986; Bertelsmann Stiftung & Hans Böckler Stiftung 2001), andere hingegen lehnen dies ab. Definition des Geschäfts. In welchem Geschäft ist das Unternehmen tätig? In welchem Geschäft sollte es tätig sein? Das Marktumfeld enthält Chancen und Risiken, die das Unternehmen bei der Festlegung des Grundauftrags und bei seiner Planung berücksichtigen muss. Ein Beispiel dafür sind neue Wettbewerber und Käuferschichten aus China und Osteuropa. Die verfügbaren Ressourcen bestimmen, ob ein Grundauftrag realistisch ist oder nicht. So kann eine Fachhochschule nicht mit der Harvard Business School konkurrieren, andererseits aber besonders anwendungsorientierte Kompetenzen aufweisen. Nicht immer haben Unternehmen ihre Mission auch schriftlich festgelegt, in einem interaktiven Prozess mit den Mitarbeitern erarbeitet und in einem Mission-Statement prägnant formuliert. Als strategische Absicht (Strategic Intent) können anspruchsvolle Ziele auch über die verfügbaren Ressourcen hinausgehen. Dies spielt bei spektakulären Neugründungen eine Rolle, wie bei Apple in der Computerbranche, CNN in der Nachrichtenbranche sowie Virgin Atlantic bei den Fluggesellschaften (vgl. Hamel & Prahalad 1993). Die Mission gibt die Richtung an, die das Unternehmen einschlagen will, legitimiert Entscheidungen gegenüber den Anspruchsgruppen und motiviert diese, ob nun intern als Eigentümer und Mitarbeiter oder aber extern als Kunden, Lieferanten usw., zur Zusammenarbeit (vgl. Praxisbeispiel Toyota).
72
2 Ziele
Praxisbeispiel: Zur Mission von Toyota General Motors war im vergangenen Jahrhundert nicht nur mit Abstand das größte Automobilunternehmen der Welt, sondern auch ein Symbol für den Erfolg der von diesem Unternehmen geprägten Managementinnovation: der Massenproduktion. Davon ist wenig geblieben; vor kurzer Zeit kämpfte General Motors ums Überleben. Noch in den 1960er Jahren gegenüber General Motors auf Rang 14, hat sich Toyota heute zum weltweit führenden Unternehmen hochgearbeitet, nicht zuletzt auch durch die Anwendung der Prinzipien der schlanken Produktion. Warum brauchen westliche Autohersteller so lange, um Effizienzvorteile von Toyota einzuholen? Die Potenziale bei Toyota und anderen schlanken Produzenten liegen weniger in den „harten“ organisatorischen Strukturen sondern vielmehr in den Fähigkeiten, das Wissen der Mitarbeiter zu nutzen und Beziehungen zu Kunden, Lieferanten und Mitarbeitern zu entwickeln. Diese „weichen“ Erfolgsfaktoren sind nicht einfach zu verstehen und zu übertragen. In der Mission, dem Grundauftrag von Toyota, finden sie ihren Ausdruck (vgl. Abb. 2.6). Wir kommen in weiteren Praxisbeispielen darauf zurück.
Abb. 2.6
Dimensionen der Mission bei Toyota (nach Liker & Meier 2007, S. 47)
Fragen: 1. Worin unterscheidet sich die Mission (der Grundauftrag) bei Toyota im Vergleich zu anderen Unternehmen? 2. Warum lässt sich der Grundauftrag eines Unternehmens nicht einfach kopieren? Quellen: Liker, J.K. & Meier, D.: Der Toyota-Weg – Praxisbuch. München 2007; Wirtschaftspresse.
2.3 Mission des Unternehmens
73
MISSION, VISION UND LEITBILD ABGRENZEN Die auf Seminaren wohl meistzitierte Beschreibung einer Vision stammt von dem französischen Schriftsteller und Flieger Saint-Exupéry in Citadelle (1948): „Wenn Du ein Schiff bauen willst, so trommle nicht Menschen zusammen, um Holz zu beschaffen, Werkzeuge vorzubereiten, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Menschen die Sehnsucht nach dem weiten endlosen Meer.“ Mission und Vision werden oft verwechselt: „Während die Mission des Unternehmens grundlegende Prinzipien umfasst, die die strategische Wahl leiten, umschreibt die strategische Vision die angestrebte Zukunft, die das Unternehmen zu erreichen hofft.“ (De Wit & Meyer 2010, S. 599) Zur Mission gehören sowohl allgemein gehaltene Vorstellungen zur langfristigen Rolle des Unternehmens (die Vision), als auch mittel- und kurzfristige Ziele sowie der Ist-Zustand. Die hier verwendeten Begriffe beinhalten also weit mehr, als die kurzen und häufig nichtssagenden Mission- und Vision-Statements, wie es sich auf den ersten Seiten von Geschäftsberichten findet. Es ist die Aufgabe der Planung, aus der Vision konkretere Ziele abzuleiten. Die langfristigen Unternehmensziele werden zumeist nicht quantitativ, sondern nur qualitativ festgelegt. Die Reichweite der Vision ist hoch, allerdings ihr Bestimmtheitsgrad niedrig. Darin liegt auch eine Schwäche. So kann eine hochfliegende Vision, die nur Verluste einbringt, damit gerechtfertigt werden, dass man nur noch ein wenig abwarten müsse. Und der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt hat zu Willy Brandts Visionen im Bundestagswahlkampf 1980 angemerkt: „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen.“
Abb. 2.7
House of Orientation der Bosch Gruppe (http://csr.bosch.com)
74
2 Ziele
Ein Leitbild konkretisiert die Vision und Mission und basiert wiederum auf den Werten und Kompetenzen eines Unternehmens. In Verhaltensgrundsätzen (Code of Conduct) werden Werte auch schriftlich festgehalten. Die Bosch Gruppe beispielsweise, ein weltweit führender Automobilzulieferer, hat sich mit seinem „House of Orientation“ einen Orientierungsrahmen für die langfristige Ausrichtung und den Umgang miteinander gegeben (vgl. Abb. 2.7). Danach vermittelt die Vision, wohin sich Bosch entwickeln will. Das Leitbild BeQIK steht für mehr Tempo, bei allem, was Bosch tut; es steht für Qualität (Q), Innovation (I) und Kundenorientierung (K). Werte und Kernkompetenzen sind das Fundament, auf denen die Erfolge der Vergangenheit beruhen und die Zukunft aufgebaut wird. Bosch gilt, dank seines legendären Gründers und Stifters Robert Bosch, als soziales Unternehmen.
2.4
Gewinn versus Verantwortung
Wir haben uns bereits mit der Kontroverse zwischen Shareholder Value und Stakeholder Value befasst und auch einige kritische Überlegungen angebracht (vgl. Kapitel 1.4.) Hier werden beide Positionen mit dem Ziel wieder aufgenommen, um eine Synthese zu versuchen.
2.4.1
Wertsteigerung und Werte
Unternehmen werden als Institutionen gesehen, die Gewinne für ihre Anteilseigner (Shareholder) erzielen. Sie sollen sich zugleich aber auf Grund ihrer Bedeutung für die Gesellschaft, auch als verantwortlich gegenüber allen Anspruchsgruppen, den Stakeholdern, zeigen. In den USA der 1950er und 1960er Jahren war der Stakeholder-Ansatz populär, später dann setze sich der Shareholder-Value-Ansatz durch, mit erheblichem Einfluss auch in Europa. Nach der jüngsten Wirtschaftskrise scheint es auch in den USA Stimmen für eine erneute Kehrtwende zu geben (vgl. Pfeffer 2009). Offenbar bleibt die Diskussion zum Thema weiterhin kontrovers (vgl. De Wit & Meyer 2010, Kap. 11).
SHAREHOLDER-VALUE-PERSPEKTIVE Aus der wirtschaftsliberalen Perspektive dient die Verfolgung des Eigennutzes zugleich der gesellschaftlichen Wohlfahrt. Dazu passt die provokante These von Milton Friedman: “The social responsibility of business is to increase its profits.” (Friedman 1970) Ähnlich argumentieren auch Anhänger der Shareholder-Value-Perspektive (vgl. Abb. 2.8). Die Beeinflussung des Kräftefelds der Anspruchsgruppen – der Lieferanten, Gewerkschaften, der Umweltaktivisten, Lokalregierungen und anderer Gruppen der Gesellschaft – ist aus dieser Sicht nützlich; es ist ein Mittel zum Zweck. Organisationen werden als Instrumente betrachtet um den Organisationszweck für die Eigentümer umzusetzen. Zentraler Erfolgsmaßstab ist der Gesamtertrag für die Aktionäre, der Total Shareholder Return aus Aktienkurssteigerung, Dividende und Bezugsrechten (vgl. Knight 1998; Rappaport 1999). Das Hauptproblem besteht darin, die Manager, die als Agenten des Eigentümers (des Prinzipals) eingesetzt werden, auf dessen Interessen zu verpflichten. Als Lösung wird die aktienbasierte leistungsorientierte Managervergütung angesehen. Zur Verbesserung der Überwachung im Verwaltungsrat
2.4 Gewinn versus Verantwortung
75
(Board of Directors) werden unabhängige Mitglieder (Outside Directors) bestellt. Die Interessen relevanter Anspruchsgruppen (Stakeholder) werden berücksichtigt, solange dies dem Organisationszweck der Eigentümer dient. Gesellschaftliche Verantwortung übernimmt jeder für sich selbst, ist also keine Organisationsaufgabe. Der Gesellschaft wird am besten durch die Verfolgung der Eigeninteressen gedient. Shareholder-Value-Perspektive
Stakeholder-Value-Perspektive
Betonung auf…
Gewinn vor Verantwortung
Verantwortung vor Gewinn
Organisationen werden betrachtet als…
Instrument
Koalition von Anspruchsgruppen
Organisationszweck
Für den Eigentümer
Für alle relevanten Interessen
Erfolgsmaßstab
Aktienkurs und Dividende
Befriedigung der Anspruchsgruppen
Hauptproblem
Den Agenten auf die Interessen des Prinzipals verpflichten
Unterschiedliche Interessen der Anspruchsgruppen ausbalancieren
Corporate Governance durch…
Unabhängige Outside Directors
Vertretung der Stakeholder
Stakeholder Management
Mittel
Ziel und Mittel
Soziale Verantwortung
Jeder für sich selbst; keine Organisationsaufgabe
Individuum und Organisation
Der Gesellschaft wird am besten gedient durch …
Verfolgen der Eigeninteressen (Wirtschaftliche Effizienz)
Gemeinsame Interessen verfolgen (Wirtschaftliche Symbiose)
Abb. 2.8
Shareholder-Value versus Stakeholder-Value-Perspektive (nach De Wit & Meier 2008, S. 607)
Eine aufgeklärte Variante des Shareholder-Value-Ansatzes ist das Konzept der wertorientierten Unternehmensführung (Value Based Management). Dabei geht man davon aus, dass das primäre Ziel des Unternehmens und das gemeinsame Interesse der Stakeholder die nachhaltige Wertsteigerung ist: „Nachhaltigkeit der Wertsteigerung setzt eine Ausbalancierung der Spannungsverhältnisse zwischen den Interessengruppen eines Unternehmens voraus. Bei einer ausschließlichen Orientierung an den Zielen der Shareholder handelt es sich um ein falsches Verständnis von wertorientierter Unternehmensführung. Nicht Konflikt, sondern Konsens ist gefragt. Ziel muss es sein, für alle Interessengruppen Wert zu schaffen: Für die Shareholder und zugleich auch für die Kunden, die Arbeitnehmer und die übrigen Gesellschaftsgruppen. Nur wenn es gelingt, einen solchen ‚Vierklang‘ zu formen, kann die Gleichung aufgehen.“ (Macharzina & Neubürger 2002, S. 73). Inzwischen findet sich eine vergleichbare Formulierung auch im Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK 2012, Ziffer 4.1.1). Ein hoher Gewinn ist nicht nur das Ergebnis, sondern auch eine Quelle von Wettbewerbsvorteilen. Die Annahme ist, dass der Börsenwert unter den Bedingungen zunehmend effi-
76
2 Ziele
zienter Kapitalmärkte zumindest langfristig ein transparentes Bild der Geschäftsentwicklung des Unternehmens vermittelt und positive Auswirkungen auf die Unternehmensentwicklung hat. Aufgabe der Unternehmensführung ist es daher, einen Wertsteigerungskreislauf in Gang zu setzen, der mehr Investitionskapital zur Verfügung stellt, dadurch mehr Spielräume für internes Wachstum eröffnet, die wiederum zu Umsatzsteigerungen, erhöhten Markterwartungen und weiteren Steigerungen des Börsenwerts führen (Rappaport & Mauboussin 2001; Coenenberg & Salfeld 2007). Damit hat der Börsenkurs auch Einfluss auf die Unternehmensleistung, weil die Kosten einer Kapitalerhöhung zur Außenfinanzierung oder die Möglichkeiten einer Übernahmefinanzierung davon abhängen. Die Finanzkommunikation (Investor Relations), der Teil der Unternehmenskommunikation (Corporate Communication), der bei einer Aktiengesellschaft die Beziehungen zu Aktionären bzw. Investoren, Analysten und Finanzmedien pflegt, hat daher die Aufgabe Informationsunterschiede zwischen der Unternehmensleitung und Kapitalgebern zu verringern (vgl. Piwinger & Zerfaß 2007). Zwar sprechen für diesen Ansatz die Tatsache, dass in den letzten zehn Jahren die Finanzmärkte weiter vorgedrungen sind und dass es zu einer Konsolidierung der Finanzintermediäre sowie der Internationalisierung von Bankgeschäften und Märkten gekommen ist. Allerdings wird die Bedeutung der wertorientierten Berichterstattung überschätzt. Privatanleger orientieren sich an der Medienberichterstattung und wenn es hoch kommt noch am Jahresabschluss im Geschäftsbericht. Institutionelle Investoren interessieren sich neben der Ertragslage vor allem für die Managementqualität und die allgemeine strategische Ausrichtung des Unternehmens (vgl. Ernst et al. 2009). Außerdem kann bezweifelt werden, dass die Börsen die ihnen zugewiesene Kontrollfunktion überhaupt einnehmen können. Börsenwerte sind nicht nur auf Grund von Marktirrationalismen kurzfristig verzerrt. Der Zusammenhang zwischen Börsenwert und Unternehmensentwicklung ist nicht nur als Wertsteigerungskreislauf anzusehen (so bereits Keynes 1936, S. 134), wie gerade die jüngsten Wirtschaftskrisen gezeigt haben. Und schließlich greift die bereits zur „befreundeten“ Agenturtheorie (vgl. Kap. 1.4.2) entwickelte Kritik (realitätsferne Kunstgriffe, methodischer Individualismus, fehlender Kontextbezug) auch hier.
STAKEHOLDER-VALUE-PERSPEKTIVE Aus der Stakeholder-Perspektive sind die Interessen der Shareholder mit anderen Anspruchsgruppen abzuwägen, die Interesse und Einfluss haben. Unternehmen stehen nicht nur in der rechtlichen Verantwortung, wenn sie Verträge mit Mitarbeitern, Kunden, Lieferanten und Regierungsstellen schließen. Die gesellschaftliche Verantwortung der Unternehmen ergibt sich auch daraus, dass sie als Organisationen in der Gesellschaft auf das Vertrauen der Akteure angewiesen sind. Die Betonung liegt hier auf Verantwortung vor Gewinn. Neben den internen Anspruchsgruppen (Anteilseigner, Manager, Mitarbeiter) sind die Werte weiterer Anspruchsgruppen in diesem politischen Modell zu berücksichtigen. Die Organisation wird als Koalitionen von Anspruchsgruppen betrachtet. Der Organisationszweck dient allen relevanten Anspruchsgruppen und der Befriedigung ihrer Bedürfnisse. Das Hauptproblem besteht darin, die unterschiedlichen Interessen der Anspruchsgruppen auszubalancieren. Deshalb sollten insbesondere die internen Stakeholder an der Willensbildung mitwirken können. Individuen wie Organisationen sind sozial verantwortlich. Der Gesellschaft wird am besten gedient, wenn gemeinsame Interessen gesucht und verfolgt werden. Stakeholder Ma-
2.4 Gewinn versus Verantwortung
77
nagement ist also nicht nur ein Instrument, das eingesetzt wird, um Wertsteigerung zu erzielen, sondern gehört zum Organisationszweck selbst. Corporate Social Responsibility (CSR) kann mehr sein als eine lästige Pflicht zur Öffentlichkeitsarbeit. Zur Analyse kann das Stakeholder-Raster von Freeman dienen, der nach der formellen Macht unterscheidet, wie sie in der Unternehmensverfassung geregelt ist und der wirtschaftlichen und politischen Macht, die Kunden, Wettbewerbern, Lieferanten, Gewerkschaften bzw. Verbrauchergruppen, Regierungen und Handelsvereinigungen erlaubt, ihre Ansprüche durchzusetzen (Freeman & Reed 1982; Freeman 1984). Nach Mitchell u.a. (1997) kommt es bei der Identifizierung der Stakeholder nicht nur auf Macht an, sondern auch auf Legitimation und Dringlichkeit (vgl. Kap 1.4.2) Auch eine Klassifizierung nach Bedrohungs- und Kooperationspotenzial erlaubt der Unternehmensführung, differenzierte Strategien zu entwickeln (vgl. Savage et al. 1991 und Abb. 2.9).
Bedrohungspotenzial
Abb. 2.9
hoch
niedrig
Zweiseitige Unterstützende Stakeholder: Stakeholder: Einbeziehen Zusammenarbeiten ?
niedrig
Kooperationspotenzial
hoch
Nicht-unterstützende Stakeholder: Verteidigen
Marginale Stakeholder: Beobachten
Stakeholder Mapping (nach Savage 1991, S. 65)
Der Typ des unterstützenden Stakeholders fördert die Ziele und Handlungen der Organisation. In einer gut geführten Organisation gehören dazu das Management einschließlich des Aufsichtsrates, die Mitarbeiter und Lieferanten. Durch die Einbeziehung der unterstützenden Stakeholder bei relevanten Themen kann kooperatives Potential genutzt werden. Marginale Stakeholder sind weder bedrohlich noch sonderlich kooperativ und sollten nur im Einzelfall berücksichtigt werden. Nicht-unterstützende Stakeholder mit hohem Bedrohungspotential und wenig Kooperationsbereitschaft sind für eine Organisation und ihr Management besonders besorgniserregend. Zu den typischen nicht-unterstützenden Stakeholdern gehören hiernach Wettbewerber, Gewerkschaften, die Bundesregierung und manchmal die Medien. Die Autoren empfehlen eine defensive Strategie, die daran ansetzt, die Abhängigkeit zu reduzieren. Einem Streik der Fluglotsen etwa könne man durch eine abgestimmte Aktion zur Umlenkung der Flüge begegnen. Bei zweiseitigen Stakeholdern schließlich, bei denen die Bedrohungs- und Kooperationschancen gleichermaßen hoch sind, wird Zusammenarbeit empfohlen, um die Risiken zu verringern, dass diese in die Kategorie der nicht-unterstützenden
78
2 Ziele
Stakeholder abwandern. Hierzu werden schwer ersetzbare Mitarbeiter, Kunden und Kooperationspartner gerechnet. Deshalb hatte General Motors Ende der 1980er Jahren wieder die Zusammenarbeit mit der Automobilgewerkschaft UAW gesucht. Auch die Kooperation von General Motors mit dem Konkurrenten Toyota hatte dieses Ziel (ebd., S. 67). Als Zwischenresumee lässt sich festhalten: Mit der Verbreitung des Shareholder-ValueKonzepts und der wertorientierten Unternehmensführung (Value Based Management) als dessen aufgeklärte Variante nimmt der Gewinn wieder einen prominenten Platz als Oberziel ein. Bereits in den 1950er Jahren ging man überwiegend davon aus, dass Unternehmen dem Ziel der Gewinnmaximierung folgen. Das betriebswirtschaftliche Problem sah man in der optimalen Kombination der eingesetzten Produktionsfaktoren. Diese soll nach Maßgabe rationaler Entscheidungskriterien erfolgen. Je effektiver und effizienter dies erfolgt, desto größer wird der unternehmerische Gewinn. Die Vorstellung, dass Unternehmen ausschließlich das Ziel der Gewinnmaximierung verfolgen, ist jedoch bald kritisiert und als nicht realitätsnah bewertet worden. Die empirische Zielforschung von Heinen, Kirsch und anderen seit den 1960er Jahren ergibt, dass die Ziele oft weder vollständig, noch eindeutig, noch miteinander konsistent sind und sich sogar widersprechen. Diese Unbestimmtheit sei sogar häufig beabsichtigt, um überhaupt konsensfähige Ziele aushandeln zu können. Cyert & March sowie Simon prägen durch ihre Untersuchungen zum Entscheidungsverhalten den Begriff der begrenzten Rationalität (Bounded Rationality). Dabei gehen sie davon aus, dass Entscheider keine vollständigen Informationen besitzen, niemals alle Alternativen und deren Konsequenzen kennen und dass sich daher auch keine optimale Lösung, sondern lediglich ein zufriedenstellendes Ergebnis bestimmen lässt. Bereits Anfang der 1980er Jahre kann die Debatte in zwei Lager geteilt werden: eine monistische Zielrichtung, wonach ökonomische Ziele und die Interessen der Aktionäre in den Mittelpunkt zu rücken sind (Shareholder Value), und eine pluralistische, gesellschaftsorientierte Zielausrichtung, sowohl für die an den wirtschaftlichen Leistungen des Unternehmens beteiligten Anspruchsgruppen, als auch für andere gesellschaftliche Bezugsgruppen (Stakeholder Value). „Beide Ansätze verbindet die Einsicht, dass der Zweck von Unternehmen in der Schaffung von Wert zu sehen sei, jedoch gehen ihre Ansichten hinsichtlich der Frage, was denn unter Wert genau zu verstehen sei sowie an wen wie viel von dem geschaffenen Wert verteilt werden soll (…) weit auseinander.“ (Müller-Stewens & Lechner 2011, S.240; vgl. auch Macharzina & Wolf 2010).
SHAREHOLDER VALUE DURCH STAKEHOLDER VALUE? Die Achillesferse beider Ansätze liegt in ihrer Einseitigkeit. Der Shareholder-Ansatz berücksichtigt nicht das Problem begrenzter Rationalität bei der Strategieentwicklung (vgl. Staehle et al. 1999; Mintzberg et al. 2003). Das gilt auch für seine erweiterte Balanced-Scorecard bzw. Strategy-Map-Variante, in der nichtfinanzielle Ziele lediglich als Werttreiber verstanden werden. Andere Wertkriterien werden nicht berücksichtigt und „Ansprüche anderer Interessengruppen nur dann erfasst, wenn sie in der Lage sind, den Unternehmenswert zu beeinflussen (wie z.B. wenn staatliche Stellen Steuern einfordern, Mitarbeiter ihren Lohn oder Lieferanten die Zahlung ihrer Dienste).“ (Müller-Stewens & Lechner 2011, S. 241) Hier zeigt sich auch, dass das Gewinnziel nicht so einfach zu quantifizieren ist, wie es vielleicht scheint, weil finanzielle Leistungsindikatoren nachlaufende Größen sind. Ansprüche anderer Interessengruppen können beim Stakeholder-Ansatz berücksichtigt werden. Aber: Auf wel-
2.4 Gewinn versus Verantwortung
79
cher Basis soll sich beim Stakeholder-Modell der Ausgleich der Interessen der unterschiedlichen Anspruchsgruppen vollziehen? Die Schwäche des Stakeholder-Ansatzes ist, dass klare Erfolgskriterien fehlen. Die so der Politik ausgelieferte Unternehmensspitze könnten einem Problem erliegen, das nach Hans Magnus Enzensberger als Gulliver-Problem bezeichnet werden kann: „Ein Politiker, der als wichtig gilt, liegt ja da wie Gulliver, mit tausend Fäden angebunden. Lobbys, Druck von allen Seiten, Wahlkämpfe. Politiker sind bedauernswerte Erscheinungen. Es ist komfortabel, dass wir diese Aufgaben in einer Demokratie delegieren können. Wenn es schief geht – was häufig der Fall ist – dann waren es die.“ Besteht die Lösung für das strategische Paradox des Unternehmenszwecks „Gewinnorientierung versus Verantwortung“ nun darin, dass beide Perspektiven ausgewogen werden, oder gibt es weitergehende Überlegungen? Fragen der Unternehmensethik und der sozialen Verantwortung von Unternehmen (Corporate Social Responsibility, CSR) können nicht nur Nebenbedingungen des Gewinnziels, sondern selbst ein Wettbewerbsvorteil sein: „CSR kann sehr viel mehr sein als nur Kosten, Beschränkung oder eine mildtätige Handlung – CSR kann eine Chance, eine Innovation und ein Wettbewerbsvorteil sein.“ (Porter & Kramer 2006, S. 80; ebenso bereits Jones 1995) Gewinn und Verantwortung, Wertsteigerung und Werte, sind gleichermaßen notwendig, um ein Unternehmen erfolgreich zu führen. Wertsteigerung (Shareholder Value) wird erst durch Stakeholder Value erreicht und die Ansprüche der Mitwirkenden sollten nicht erst bei der Verteilung berücksichtigt werden. Der renommierte Marketingautor Philip Kotler hat dazu ausgeführt: „Als erster Haltepunkt auf dem Weg zu höherer Leistung muss bei der geschäftlichen Betätigung definiert werden, wer dabei mitwirkt und wer davon betroffen ist. Diese Mitwirkenden und Betroffenen bilden zusammen die Gruppe der Stakeholder. Ihre Bedürfnisse und Wünsche müssen erkannt werden. Herkömmlich legten die Unternehmen den größten Wert auf das Wohl und den Willen der Eigentümer. Heute erkennen die Unternehmen zunehmend, dass sie hinreichende Gewinne für die Eigentümer nur dann erwirtschaften können, wenn auch andere Stakeholder, Kunden, Beschäftigte, Zulieferer, Absatzpartner zufriedengestellt werden.“ (Kotler 1997, S. 65 und Abb. 2.10) Demnach wird es etwa für General Motors oder Volkswagen schwer, Gewinne zu erzielen, wenn sich die Beschäftigten, die Kunden, die Händler, die Zulieferer oder andere Stakeholder schlecht behandelt fühlen. Zwischen Beschäftigungswachstum und mehr Wert für die Aktionäre gibt es einen positiven statistischen Zusammenhang (vgl. Koller et al. 2011). Als Beispiel kann auch der Ölkonzern Shell herhalten, der 1995 von seiner Absicht, die „BrentSpar“-Ölplattform in der Nordsee zu versenken im Kampf gegen Greenpeace und Öffentlichkeit abrücken musste, und ganzseitige Anzeigen schaltete: „Wir werden uns ändern.“ Erheblich kostspieliger wird es für BP, den zweitgrößten Öl- und Gaskonzern Europas, der wegen der Ölkatastrophe 2010 im Golf von Mexiko mit 4,5 Mrd. Dollar die höchste Geldbuße in der amerikanischen Geschichte leistet. Die Belastungen durch den Unfall steigen laut BP damit auf rund 42 Milliarden Dollar, dabei sind Risiken, falls grobe Fahrlässigkeit nachgewiesen werden sollte, nicht einberechnet. Der Unfall hat den Konzern in eine schwere Krise gestürzt, die bis heute nicht überwunden ist (vgl. FAZ vom 16.11.2012, S. 22). Pikant
80
2 Ziele
daran ist, dass BP mit seinem Slogan „Beyond Petroleum“ zuvor als Musterfall für Corporate Social Responsibility kommuniziert wurde. Zufriedenheit der Eigentümer
Wachstum
Gewinn
Zufriedenheit der Kunden
Waren und Dienstleistungen mit höherer Qualität
Ständige Verbesserungen
Innovative Durchbrüche
Tätigkeitsklima höherer Qualität (Zufriedenheit der Mitarbeiter)
Abb. 2.10
Shareholder Value durch Stakeholder Value (Sata nach Kotler & Bliemel 2001, S. 101)
In der Praxis zählt ein Mix von Erfolgsfaktoren wie eine klare Mission, nachhaltige Steigerung des Unternehmenswerts, Berücksichtigung des Einflusses des Kapitalmarkts auf den Unternehmenswert und umgekehrt, Einbeziehung der Erwartungen (Werte) anderer Anspruchsgruppen, mehr Transparenz zu Wertentwicklung und Risiken. Wertorientierte Unternehmensführung kann auf ethische Werte, auf Mitarbeiter- und Kundenorientierung nicht verzichten. Die angesehensten Unternehmen schaffen Wert, handeln sozial verantwortlich (Corporate Social Responsibility, CSR), nach ethischen Grundsätzen (Corporate Integrity), und verfügen über eine gute Unternehmenssteuerung und -überwachung (Corporate Governance).9 Dafür dass Werte Wert schaffen, sind zusammenfassend drei Gründe maßgeblich: Leadership, Mission und Verantwortung. Allerdings sehen Manager und Board-Mitglieder zwar die Relevanz nicht-finanzieller Ziele für die Unternehmenssteuerung, tun sich aber in der Praxis schwer dies umzusetzen (vgl. Deloitte 2007). Für die Verbindung von Wertsteigerung und Werten spricht weiter, dass grundlegende Werte, wie sie in der oben dargestellten Mission des Unternehmens zum Ausdruck kommen, den Erfolg des Unternehmens erst ermöglichen. 9
Vgl. Financial Times vom 20.1.2004; vgl. auch Vogelsang & Burger 2004. Die Zeitschrift Fortune veröffentlicht regelmäßig einen Index der “Most Admired Companies”. Beispiele für Aktivitäten zur gesellschaftlichen Verantwortung auch kleiner und mittlerer Unternehmen hat die Bertelsmann Stiftung (2009) veröffentlicht.
2.4 Gewinn versus Verantwortung
81
„Werte können die grundlegende Forderung nach Profitabilität einschränken, erweitern und sogar über diese hinausgehen. Werte, wie beispielsweise die Schaffung von Möglichkeiten zur Weiterbildung und Selbstverwirklichung der Mitarbeiter, das Streben nach einer unübertroffenen Produktqualität, die Schaffung eines sicheren Arbeitsumfelds oder Anstrengungen zur Verbesserung der natürlichen Lebensbedingungen begrenzen vordergründig das Streben nach Profitabilität, spielen aber eine wichtige Rolle beim Aufbau der schon erwähnten strategischen Absicht (strategic intent) und bei der Erreichung von Konsens und Engagement innerhalb der Organisation.“ (Grant & Nippa 2006, S. 88) Diese Auffassung wird unterstützt durch die bekannte Studie „Built to Last“ von Collins und Porras (1994), wonach Unternehmen besser sind, die langfristig an ihrer Vision, ihren grundlegenden Werten und Zwecken festhalten, aber ihre Geschäftsstrategien und -praktiken beständig an eine sich verändernde Welt anpassen. Sie haben sich seit 1925 zwölfmal besser entwickelt als der allgemeine Börsenwert. Keiner der grundlegenden Zwecke (Core Purposes) fällt in die Kategorie „Maximiere den Reichtum der Aktionäre“. Die Menschen auf allen Ebenen der Organisation ließen sich damit weder inspirieren noch orientieren. Die Autoren zitieren dazu David Packard, Firmengründer von Hewlett Packard aus den 1960er Jahren: „Ich möchte darüber reden, warum ein Unternehmen vor allem existiert. Anders gesagt: Warum sind wir hier? Ich meine viele nehmen an, ein Unternehmen ist einfach dazu da, Geld zu verdienen. Zwar ist das ein wichtiges Ergebnis der Existenz eines Unternehmens, aber wir müssen weiter gehen und herausfinden, was die wirklichen Gründe sind. Wenn wir das untersuchen, werden wir unvermeidlich zu der Schlussfolgerung kommen, dass eine Gruppe von Menschen zusammenwirken und als Institution existieren, die wir Unternehmen nennen, sie können etwas gemeinsam leisten wozu sie als Einzelne nicht in der Lage sind – sie leisten einen Beitrag zur Gesellschaft, ein Satz, der banal klingt, aber grundlegend ist. … Sie können sich in der Geschäftswelt umschauen und noch Menschen finden, die nur an Geld interessiert sind, aber der unterliegende Antrieb kommt vor allem aus dem Verlangen etwas anderes zu machen – ein Produkt, einen Dienst zu leisten – etwas was Wert hat.“ (nach Collins & Porras 1996). Die Zwecke eines Unternehmens sind die langfristigen, tieferliegenden Existenzgründe einer Organisation, jenseits derer, nur Geld zu verdienen. Werte (Core Values) gehen über die finanzielle Einseitigkeit der wertorientierten Unternehmensführung weit hinaus. Visionäre Unternehmen schaffen, das zeigen auch neuere Untersuchungen (Collins & Porras 1996; Collins 2001), mehr Unternehmenswert und Arbeitsplätze als gewöhnliche Unternehmen. Nach den McKinsey Autoren Foster und Kaplan (2001) haben es allerdings auch die bestgeführten Unternehmen nicht geschafft, über mehr als zehn bis fünfzehn Jahre eine höhere Wertsteigerung als der Markt zu erreichen. Dazu haben sie die Originalliste der Zeitschrift Forbes von 1917 der Top 100 der US-amerikanischen Unternehmen mit einer Liste desselben Magazins aus dem Jahre 1987 verglichen. Nur 18 Unternehmen, Firmen wie Kodak, DuPont, General Electric, Ford, General Motors und Procter & Gamble, haben überlebt und nur zwei, General Electric und Kodak wuchsen schneller als der zusammengesetzte Börsen-
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2 Ziele
wert. „Built to Last“ reiche deshalb nicht aus, auch Unternehmen, die traditionell an Kontinuität ausgerichtet sind, müssten sich nach Schumpeter den Kräften der „Creative Destruction“ stellen, der „schöpferischen Zerstörung“ durch die Marktkräfte. Unternehmen sollten ihr Portfolio an Beteiligungen wie eine Finanzholding verwalten und auf längerfristige Visionen verzichten. Näheres zu dieser Kontroverse findet sich im dritten Kapitel zur Unternehmensstrategie.
2.4.2
Verantwortung gegenüber der Gesellschaft
Am 30. April 1995 besetzten Greenpeace-Aktivisten den schwimmenden Öltank Brent Spar des niederländisch-britischen Ölkonzerns Shell in der Nordsee, der versenkt werden sollte. Die Folgen der Boykottaufrufe und Medienkampagnen waren, dass der Konzern einlenkte, und in Anzeigen bekannte: „Wir werden uns ändern.“ Am 9. Juni 2009 meldet die FAZ, dass Shell einen Vergleich mit den Hinterbliebenen des 1995 hingerichteten nigerianischen Schriftstellers und Bürgerrechtlers Ken-Saro-Wiva geschlossen hat. Der Konzern verpflichtet sich rund 15,5 Millionen US-Dollar zu zahlen. Ein Teil des Geldes soll direkt an die Angehörigen und acht weiterer mit ihm gehenkter Bürgerrechtler gehen. Die Angehörigen hatten 1996 Klage in den Vereinigten Staaten gegen Shell eingereicht. Die Anwälte der Opfer hatten dem Ölkonzern vorgeworfen, mitverantwortlich für die Hinrichtungen und Menschenrechtsverletzungen durch das damalige nigerianische Militärregime sowie für Umweltverschmutzungen zu sein. Gesellschaftlich verantwortliches Handeln (Corporate Social Responsibility, CSR) eines Unternehmens kann zum einen durch äußere Anreize und Sanktionen sowie durch Recht und Vertrag gefördert werden, zum anderen aber durch freiwillige Selbstverpflichtung. Nur letzteres ist CSR nach einer viel zitierten Definition der EU-Kommission: Ein „Konzept, das den Unternehmen als Grundlage dient, auf freiwilliger Basis soziale Belange und Umweltbelange in ihre Unternehmenstätigkeit und in die Wechselbeziehungen mit den Stakeholdern zu integrieren.“ (Europäische Kommission 2001, S. 8) Mit CSR allein können unmenschliche Arbeitsbedingungen, wie in den deutschen Schlachthöfen oder in der Textilindustrie Bangladeschs, nicht verhindert werden. Aber wenn der Markenruf der Abnehmer auf dem Spiel steht, kann CSR sehr wirksam sein. CSR ist in wirtschaftsliberalen Ländern wie Nordamerika und Großbritannien als Ersatz für institutionelle Formen der Stakeholder-Beteiligung entstanden, wie sie in Kontinentaleuropa verbreitet sind (vgl. Jackson & Apostolakou 2009), aber es gibt auch eine Wechselwirkung. Mitarbeitervertretungen großer deutscher Konzerne schließen Betriebsvereinbarungen ab, um CSR-Prinzipien in allen weltweiten Produktionsstätten (einschließlich der Zulieferer) durchzusetzen (vgl. Preuss et al. 2009). Das europäische Chemieunternehmen Solvay hat einen Aktionsplan zur nachhaltigen Entwicklung und eine Charta zur gesellschaftlichen Verantwortung entwickelt, unter anderem werden Mitarbeiter dabei unterstützt, sich an örtlichen sozialen Aktionen zu beteiligen. Das britische Pharmaunternehmen GlaxoSmithKline gab für sein weltweites soziales Engagement 156 Millionen Euro in 2008 aus. Europas größter Versandhändler Otto will mit Friedensnobelpreisträger Muhammed Yunus in Bangladesch eine Textilfabrik nach sozialen und ökologischen Kriterien bauen. Was bringt Unter-
2.4 Gewinn versus Verantwortung
83
nehmen dazu über das erforderliche Maß hinaus gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen und wie kann Wertemanagement systematisch entwickelt werden?
VERANTWORTUNG ALS WETTBEWERBSVORTEIL ERKENNEN Sind die Aktivitäten der Unternehmen zur gesellschaftlichen Verantwortung (vgl. u.a. Crane et al. 2008; www.bertelsmann-stiftung.de), die nicht erst durch äußeren Druck erzwungen werden, mehr als „Greenwashing“ (vgl. Praxisbeispiel Nestlé)? Verantwortung ist nicht nur etwas, was sich gut gehende Unternehmen leisten können, sondern kann selbst Werttreiber sein. Caroll (1991) hat die gesellschaftliche Verantwortung des Unternehmens in Anlehnung an den Gedanken der Bedürfnispyramide von Maslow in einer Pyramide der Unternehmensverantwortung systematisiert (vgl. Abb. 2.11). Danach wird zwischen ökonomischer, gesetzlicher, ethischer und philanthropischer Verantwortlichkeit unterschieden. Wirtschaftliche Verantwortung bedeutet, dass Güter und Dienstleistungen von Unternehmen verkauft werden, die von der Gesellschaft erwünscht sind und zu fairen Preisen angeboten werden, sie ist das Fundament, auf dem alles andere aufbaut. Die rechtliche Verantwortlichkeit setzt eine Einhaltung von Gesetzen und Vorschriften voraus. Die dritte Stufe der Pyramide, die ethische Verantwortung, umfasst die gesellschaftliche Erwartungshaltung gegenüber einem Handeln, das nicht rechtlich verankert ist. Darin spiegeln sich die Erwartungen und Ansprüche der Gesellschaft wider. Die philanthropische und vierte Ebene der Pyramide bezieht sich auf freiwillige Aktivitäten eines Unternehmens, welche die gesellschaftliche Wohlfahrt steigern.
Philanthropische Verantwortung Sei gesellschaftlich engagiert: Unternehmen als Bürger. Stelle Ressourcen für die Allgemeinheit bereit; verbessere die Lebensqualität.
Ethische Verantwortung Handle ethisch korrekt. Verpflichtung richtig, gerecht und fair zu handeln. Sich an die Regeln halten.
Rechtliche Verantwortung Befolge das Gesetz. Das Gesetz ist die gesellschaftliche Kodifizierung von richtig und falsch. Beachte die Spielregeln.
Wirtschaftliche Verantwortung Handle wirtschaftlich. Das Fundament, auf dem alles andere aufbaut.
Abb. 2.11
Pyramide der Unternehmensverantwortung (nach Caroll 1991, S. 42)
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2 Ziele
Praxisbeispiel: Nestlé und CSR – mehr als Greenwashing? Zunehmend werden Unternehmen für Fehlentwicklungen und Probleme ihrer Umwelt verantwortlich gemacht. Um Kritik abzuwehren und gleichzeitig weitergehenden staatlichen Eingriffen in den unternehmerischen Entscheidungsspielraum zuvorzukommen, reagieren Organisationen mit Aktivitäten zur „Corporate Social Responsibility“ (CSR), um den Imageschaden möglichst gering zu halten. Aktivisten sehen darin nicht mehr als Greenwashing. Angeprangert wurde beispielsweise das Deutsche Atomforum, das 2007 mit dem „Worst EU-Greenwash-Award“ ausgezeichnet wurde. Greenwashing bedeutet, dass Organisationen Desinformationen streuen, um ein Image der Umweltfreundlichkeit und gesellschaftlichen Verantwortung zu zeigen. Vorgeworfen wird ihnen vor allem, dass die Realität selektiv dargestellt wird. Das heißt beispielsweise, dass der sogenannte Öko-Jargon übernommen wird und mit Schlüsselwörtern wie Nachhaltigkeit und ökologische Verantwortung Sympathie und Vertrauen geschaffen werden sollen. Doch auch eine positive Bildsprache die, um die eigene Verantwortung hervorzuheben technische Lösungen betont und dabei gleichzeitig politische Debatten ausklammert, sind laut der Studie „Greenwash in Zeiten des Klimawandels“ Kennzeichen für einen gewollt grünen Anstrich. Die Auszeichnung „Worst EU Lobbying“ erhielten unter anderem die Firmen BMW, Daimler und Porsche. Angesichts des wachsenden Drucks durch die Medien kann es sich ein Unternehmen demnach heute nicht mehr erlauben, CSR keine Beachtung zu schenken. Unternehmen sollten jedoch nach Porter & Kramer darin eine Quelle von Wettbewerbsvorteilen sehen, also etwas anderes als Greenwashing oder eine lästige Pflicht. Noch Mitte der 1970er Jahre stand Nestlé im Zentrum einer Kampagne „Nestlé tötetet Babys“ einer Nicht-RegierungsOrganisation (NGO), die sich gegen die Vermarktungspraktiken des Unternehmens in Entwicklungsländern richtete. Heute hat Nestlé Erfolg mit einer anderen Strategie. Als Nestlé 1961 in den indischen Markt eintrat, erhielt das Unternehmen die Erlaubnis, eine Molkerei in dem von großer Armut geprägten Bezirk Moga in Punjab im Norden Indiens zu errichten. Die meisten Menschen lebten dort ohne Elektrizität, und es fehlte an medizinischer Versorgung. Der Bezirk ist größtenteils von Milchbauern besiedelt. 60 Prozent der Kälber starben bereits kurz nach der Geburt. Damit Nestlé eine Molkerei aufbauen konnte, musste zunächst das Umfeld in Moga derart verändert werden, dass nicht nur das Unternehmen selbst davon profitieren konnte. Nestlé baute auf ein System der nachhaltigen Milchproduktion. Diese Umgestaltung der gesamten Region um wirtschaftlich arbeiten zu können, involvierte Außendienstmitarbeiter von Nestlé, die als technische Assistenz für Milchlieferanten und Farmer arbeiteten. Diese Arbeit umfasste die Aufklärung über Tiergesundheit, Viehhaltung und -zucht, Viehfutterherstellung und Bewässerung. Die regulären Milchzahlungen, die Schulungen für die Milchbauern und der Aufbau einer Infrastruktur über ein Jahrzehnt hinweg verbesserten den Lebensstandard von mehreren zehntausend mittelständischen Bauern in der Region. Fast 90 Prozent der Haushalte verfügen heute über Elektrizität und einen Telefonanschluss; es gibt Grundschulen, und die Kaufkraft der Ansässigen schuf einen weiteren Absatzmarkt für Nestlé.
2.4 Gewinn versus Verantwortung
85
Die Molkerei produziert Milchpulver und Kondensmilch. Die jährliche Frischmilchaufnahme der Molkerei Moga stieg von weniger als 12.000 Tonnen im Jahre 1970 auf 240.000 Tonnen im Jahre 2003. Nun lieferten bereits 85.000 Farmer ihre Milch an Nestlé. Zum Markteintritt waren es nur 180 Bauern. 2012 beschäftigt die Nestlé India Limited in Moga mehr als 1000 Mitarbeiter. Fragen: 1. Was ist Corporate Social Responsibility? 2. Weist der jüngste Rückzug von BMW aus dem Automobilsport-Zirkus und die Orientierung an mehr Nachhaltigkeit auf einen ähnlichen Strategiewandel wie bei Nestlé hin? 3. Welche gesellschaftlichen Themen weisen Zusammenhänge mit unseren Unternehmenszielen auf? 4. Wie kategorisiere ich gesellschaftliche Themen, um ein unternehmerisch sinnvolles soziales Engagement herauszufiltern? 5. Wie integriere ich soziales Engagement entlang unserer Wertschöpfungskette? Quellen: Graupner, J.: Industrie- und Klimaschutz: Greenwashing und leerer Aktionismus. http://jetzt.sueddeutsche.de; Müller, U.: Greenwash in Zeiten des Klimawandels. http://www.lobbycontrol.de; Nestlé: Creating Shared Value. In: www.nestle.com, abgefragt am 20.8.2012; o.V.: How good should your business be? In: The Economist vom 17.01.2008; Porter, M. E. & Kramer, M.R..: Wohltaten mit System. In: Harvard Business Manager 2008, Nr. 1. S. 7 ff; http://www.indiamart.com, abgefragt am 10.11.2012.
Korruption, Kinderarbeit in der Bekleidungsindustrie, Umweltschäden in der Ölindustrie und anderes mehr: Unternehmen reagieren bisher immer noch häufig erst dann auf die öffentliche Kritik, wenn der Druck der Öffentlichkeit die Reputation und den Markenwert gefährdet (vgl. Gaines-Ross 2008 und auch das Praxisbeispiel Mattel). Besser ist es, die Strategie und die Aktivitäten zur gesellschaftlichen Verantwortung des Unternehmens abzustimmen. Je enger das gesellschaftliche Thema mit dem Geschäft des Unternehmens verbunden ist, umso größer ist die Möglichkeit, die Ressourcen des Unternehmens zu erweitern und der Gesellschaft zu dienen. Der Zweck des Unternehmens muss es sein Shared Value zu produzieren, Produkte und Dienstleistungen, die nicht nur dem Unternehmen dienen, sondern auch der Gesellschaft (vgl. Porter & Kramer 2006, 2011). Beispiele dafür sind die Anpassung der Wertschöpfungsaktivitäten an die gesellschaftlichen Bedürfnisse (Mikrofinanzierung und Corporate Volunteering bei der Deutschen Bank, Nestlé’s Zusammenarbeit mit kleinen Milchbauern in Entwicklungsländern) oder aber entsprechende neue Geschäftsfelder („gute“ Kosmetika bei Body Shop; Öko-Supermärkte wie Alnatura oder Bio-Company). Gleichwohl entstehen CSR-Aktivitäten auch aus unterschiedlichen Interessen, wobei die Initiative vom Management, der Arbeitnehmervertretung oder von Nicht-Regierungsorganisationen ausgeht (vgl. Preuss et al. 2009).
Praxisbeispiel: Rückruf bei Mattel Der Bleigehalt war erschreckend hoch: Am 5. September 2007 musste der Spielzeughersteller Mattel in China produziertes Spielzeug zurückrufen. Es war bereits die dritte große Rückrufaktion bei Mattel. Was ist schief gelaufen?
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2 Ziele
Auf den ersten Blick hat Mattel alles richtig gemacht. Der Spielzeughersteller gilt als einer der 100 vertrauenswürdigsten Firmen der USA. Erst 2003 bekam Mattel den UNICEFCSR-Preis. Als Vorreiter der Spielzeugindustrie hat sich Mattel gegenüber seinen Konkurrenten durch seinen CSR-Bericht, der 1997 veröffentlich wurde, hervorgetan. Mattel besitzt langjährige Produktionserfahrungen mit der Spielzeugherstellung in Asien. 1997 legte das Unternehmen eigene Standards fest: die Global Manufacturing Principles (GMP). Mattel ist auch der erste Hersteller, der eine eigene Betriebsüberwachung nutzt und die Ergebnisse veröffentlicht. Beispielsweise beendete Mattel nach einem Audit seine strategische Partnerschaft mit drei Zulieferern. Ein Grund dafür bei einem Hersteller aus Indonesien war, dass er das Alter seiner Mitarbeiter nicht nachweisen konnte und somit ein Verdacht auf Kinderarbeit bestand. Eine andere Partnerschaft wurde in China gelöst, weil die Zulieferanten sich geweigert hatten, die Sicherheitsverfahren von Mattel anzuwenden. 2003 wurden mehr als 100.000 Stunden von Mattel eingeplant, um für die Mitarbeiter Gesundheits- und Sicherheitsfragen zu klären. Mattel initiierte ein globales Online-Lernsystem. Mattel hat durch freiwillige Rückrufe Verantwortung gezeigt. Hinzu kommt, dass Mattel nicht direkt selbst Spielzeuge mit Bleigehalt produzierte, sondern die Zulieferer. Heutzutage ist Mattel die einzige Firma in der Spielzeugindustrie, die ein unabhängiges externes Überwachungsprogramm in Anspruch nimmt. In seinem „Independent Monitoring Council“ sitzen Experten aus Nicht-Regierungsorganisationen, Vertreter von Verité, einer Organisation, die sich weltweit für sichere, faire und legale Arbeitsbedingungen einsetzt, und Mitarbeiter der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft Pricewaterhouse-Coopers. Das Volumen der zurückgerufenen Spielwaren stellt weniger als 1 Prozent aller Spielwaren dar, die Mattel verkauft. Was ist dennoch schief gelaufen? Mattel hat eine unzulängliche Unternehmensaufsicht über seine Lieferanten und deren Sub-Lieferanten. 18,2 Millionen Spielzeuge hat Mattel zurückgerufen, weil sie kleine Magnete enthielten, die abfallen können. Ursachen der Rückrufe waren nicht nur Bleipigmente sondern auch schlechtes Design. Die US-Konsumgut-Sicherheitskommission hat Mattel bereits zweimal bestraft, weil das Unternehmen Informationen über gefährliche Produkte nicht bekannt gemacht hat, die „ein unvernünftiges Risiko der ernsten Verletzung oder des Todes verursachen.“ Die Liste der von Mattell veröffentlichten Recalls reißt nicht ab. Fragen: 1. Entstanden die Probleme bei Mattel aus einem Zielkonflikt zwischen Gewinn und Verantwortung? 2. Kann Mattel (wie auch Nike, Puma und andere Unternehmen, die Lieferanten aus dem Niedriglohnsektor einsetzen) für Probleme bei den Zulieferern verantwortlich gemacht werden? Quellen: Bapuji, H & Beamisch, P.: Mattel and the Toy Recalls. Richard Ivey School of Business Case Study 2008; http://service.mattel.com/us/recall.asp, abgefragt am 10.11.2012.
WERTEMANAGEMENT ENTWICKELN Wertemanagement ist ein geeigneter Ansatz, um die vielfältigen Anforderungen an gute und verantwortliche Unternehmensführung umzusetzen (vgl. Wieland 2004; Menzies et al.
2.4 Gewinn versus Verantwortung
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2008). Dazu gehören neben der Befolgung (Compliance) gesetzlicher und untergesetzlicher Regelungen (Corporate Governance Kodex) auch die freiwillige Erfüllung von Anforderungen, die im Interesse der Stakeholder liegen. Die Instrumente setzen an Managementfunktionen wie Strategie, Organisation etc. an und können nach Standardmaßnahmen und CSRspezifischen Maßnahmen unterschieden werden (vgl. Abb. 2.12). Aber selbst ein technisch ausgefuchstes Wertemanagement hat nicht verhindern können, dass es zu Bestechungsskandalen bei namhaften deutschen Unternehmen mit den nachfolgenden Reputationsschäden gekommen ist. Viele Unternehmen orientieren sich bereits an den Normen gesellschaftlicher Verantwortung internationaler Institutionen wie der UN Global Compact, der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) und den Leitsätzen der OECD: Der Global Compact der Vereinten Nationen umfasst 10 Prinzipien, die auf der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte basieren. Sie beinhalten beispielsweise Arbeitsbeziehungen, Umweltschutz und Korruptionsbekämpfung. Der Beitritt der Unternehmen ist für diesen bestehenden Regelungsansatz freiwillig. Die Instrumente der Internationalen Arbeitsorganisation umfassen Arbeitnehmerrechte in Form von 185 Arbeitsrechtskonventionen. Als Grundprinzipien gelten die Vereinigungsfreiheit, die Abschaffung von Zwangs- und Kinderarbeit und das Verbot von Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf. Die Leitsätze für Multinationale Unternehmen der OECD sind thematisch umfassende Empfehlungen von Regierungen an ihre Unternehmen. Die Empfehlungen für verantwortliches Unternehmerverhalten regeln beispielsweise die Themen Transparenz, Arbeitsbeziehungen, Umwelt, Korruption, Verbraucherschutz und Wettbewerb. Zu den CSR-spezifischen Instrumenten zur Umsetzung gehören Steuerungsprogramme, die Zertifizierung mit Sozial- und Umweltgütesiegeln, Verhaltenskodizes und Partnerprogramme. Zu den Steuerungsprogrammen gehört die von der Bertelsmann Stiftung in Zusammenarbeit mit namhaften deutschen Unternehmen entwickelte „iooi-Methode“ zur Wirkungsmessung des gesellschaftlichen Engagements (vgl. Riess 2010). Die Zertifizierung zum Fair-Trade-Gütesiegel etwa signalisiert dem Konsumenten, dass Produkte ohne Ausbeutung oder Missbrauch hergestellt werden. Ein Unternehmen kann sich mit der internationalen Norm DIN EN ISO 14001, welche Anforderungen für ein Umweltmanagementsystem festlegt, oder mit der Qualitätsmanagementnorm DIN EN ISO 9001 zertifizieren lassen. In einem Verhaltenskodex (Code of Conduct) werden die CSR-Prinzipien gegenüber Kunden und Lieferanten verankert. Ein solcher Code of Conduct kann Unternehmenswerte, Führungsgrundsätze und ethische und moralische Leitlinien beinhalten. Zur ComplianceOrganisation bei Siemens beispielsweise gehört ein Verhaltenskodex für Lieferantenbeziehungen. Außerdem soll mit dem Partnerprogramm „Collective Action“ der Korruption entgegengewirkt werden, ein Ansatz den auch das World Economic Forum mit seiner „Partnering Against Corruption Initiative (PACI)“ verfolgt. Apple (2012) berichtet, dass es sich „zu den höchsten Standards gesellschaftlicher Verantwortung in seiner Lieferantenkette“ (Supply Chain) verpflichtet. Apple lässt seine Produkte und Komponenten durch Zulieferer wie Foxconn in China fertigen, die wegen ihrer schlechten Arbeitsbedingungen wiederholt die Reputation und damit den Markenwert von Apple gefährdeten. Dazu gehört ein Prog-
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2 Ziele
ramm aus Betriebsüberwachung, Korrekturmaßnahmen und Zertifizierung. Neben diesen Verhaltenskodizes der Unternehmen gibt es Branchenkodizes wie beispielsweise für die internationale Spielzeugindustrie. Die Nachhaltigkeitsberichterstattung (Sustainability Reporting) auf freiwilliger oder gesetzlicher Basis hat weltweit in den letzten Jahren zugenommen (vgl. KPMG 2012). Große börsennotierte Unternehmen und Konzerne in Deutschland müssen inzwischen in ihren Lageberichten Ansätze eines Nachhaltigkeitsberichts veröffentlichen. Nach den §§ 289 und 315 des Handelsgesetzbuchs, die infolge des Bilanzrechtsreformgesetzes (BilReG) 2004 geändert wurden, ist zu berichten über „nichtfinanzielle Leistungsindikatoren, wie Informationen über Umwelt- und Arbeitnehmerbelange, soweit sie für das Verständnis des Geschäftsverlaufs oder der Lage von Bedeutung sind.“ Immer mehr Firmen veröffentlichen CSR-Berichte auf freiwilliger Basis, auch als Marketinginstrument. Der Leitfaden der 1997 gegründeten Global Reporting Initiative (GRI) scheint sich durchzusetzen. Mit der Zertifizierung durch externe Prüfer nach anerkannten Standards (IDW EPS 821, AA 1000AS, etc.) kann die Glaubwürdigkeit erhöht werden. Die Nachhaltigkeit von Unternehmen wird auch mit internationalen Indizes bewertet. Beispiele dafür sind der Dow Jones Sustainability Index für die Welt oder Europa, der Advanced Sustainable Performance Index APSI sowie der Nachhaltigkeitsindex FTSE4Good des Financial Times Stock Exchange.
Prinzipien/ Grundwerte
Managementebene
Standard
Leistung Profit, Flexibilität Innovation, Kreativität Qualität Motivation, Kompetenz
Kommunikation Respekt, Offenheit Transparenz Zugehörigkeit Kommunikation Risikobereitschaft
Kooperation Loyalität Offenheit Teamgeist Kommunikation Konfliktfähigkeit
Strategie
Organisation
Policies & Procedures
Corporate Governance Code
Compliance Officer
MissionVision-Values Statement
Unternehmenskommunikation Projektmanagement
Ethik Fairness Integrität Aufrichtigkeit Gerechtigkeit Soz. Verantwortung
Kommunikation
Steuerung
QM-Handbuch
Training
Lieferantenentwicklungsprogramm
Internet/Intranet
Whistleblowing
Beschaffungspolitik
Triple Bottom Line Reporting
Kompensationspolitik Bonus-/Anreiz-Politik
Instrumente
Abb. 2.12
Nachhaltigkeitsrat
Code of Conduct
Ethics Officer
Umgang mit Geschenken
Ombudsman Helpline
Sozialstandards Umweltpolitik
Internes Audit Dokumentation
Zielvereinbarung Code of CSREthics spezifisch
Interne Revision
Stakeholderdialog Ethics Quick-Check
Ethik-Audit Assuranceprogramm
Nachhaltigkeitsbericht
Instrumente des Wertemanagements (Wieland 2004, S. 27)
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen mehr sein kann als eine eher lästige Selbstverpflichtung. Wertorientierung und Verantwortung des Unternehmens müssen nicht notwendig einen Zielkonflikt einschließen,
2.5 Strategie unter Unsicherheit
89
sondern können sich auch als Win-Win-Situation darstellen: „Werte schaffen Wert“ (Vogelsang & Burger 2004).
2.5
Strategie unter Unsicherheit
Terroristische Anschläge und Kriege, Erdbeben und Klimawandel, Finanz- und Wirtschaftskrisen, Betrügereien und Unternehmensskandale: Es gibt genügend Gründe dafür, das Risikomanagement auszubauen. Auf der anderen Seite sind angesehene Unternehmen in den vergangen Jahren in erhebliche Schwierigkeiten geraten, obwohl sie zuvor für ihr Risikomanagementsystem ausgezeichnet worden sind. Kritische Betrachter kommen zu dem Ergebnis, dass das traditionelle Risikomanagement selbst ein Risiko ist (vgl. Power 2007; Borison & Hamm 2010). Einer der Gründe ist, dass strategische und operative Risiken zwar als wichtig angesehen werden, aber weniger beachtet werden als Finanzrisiken und Umweltgefahren, die geregelten Verfahren unterliegen. Zudem werden die Bereiche als isolierte Silos mit dem Ziel der Schadensbegrenzung betrachtet und nicht mit dem Ziel, neue Geschäftsmöglichkeiten zu schaffen (vgl. Andersen & Schrøder 2010). Ein integriertes Risikomanagement (Enterprise Risk Management, ERM), das viele Unternehmen bereits anwenden, bietet Chancen für die Integration der Risikobereiche, steht aber beim Umgang mit der Ungewissheit, die für strategische Risiken typisch ist, vor besonderen Herausforderungen. Deshalb soll es im Folgenden zuerst darum gehen. Danach werden einige Eckpunkte zum unternehmensweiten Risikomanagement skizziert.10
2.5.1
Strategische Risiken
Nach Kaplan & Mikes (2012) lassen sich drei Arten von Risiken unterscheiden, die für die Strategie und sogar für das Überleben von Unternehmen von Bedeutung sein können. Vermeidbare Risiken, wie ein Fehlverhalten des Managements oder Produktionsstörungen, bieten keine strategischen Vorteile und sollten so weit wie möglich vermieden, versichert oder verlagert werden. Bei strategischen Risiken geht das Unternehmen absichtlich Wagnisse ein, weil es einen besonderen Ertrag erwartet. So war es etwa bei British Petroleum, die mit den Tiefseebohrungen im Golf von Mexiko ein höheres Risiko eingingen. Externe Risiken entstehen außerhalb des Unternehmens und sind von ihm nicht zu beeinflussen. Beispiele dafür sind Naturkatastrophen, politische Unwägbarkeiten oder volkswirtschaftliche Krisen. Für vermeidbare Risiken können Compliance-Regeln nützlich sein, bei den beiden anderen Risikoarten funktioniert das nicht. Für die eigentlichen strategischen Risiken müssen maßgeschneiderte Lösungen im strategischen Planungsprozess des Unternehmens verankert werden, wobei die Balanced Scorecard sich anbietet. Aber ein entscheidender Punkt wird nicht erwähnt: Strategische Risiken entstehen aus Entscheidungen zu Unternehmenszielen und Strategien. Diese werden wesentlich unter Unsicherheit getroffen. Was heißt aber unter Unsicherheit? Welche Anforderungen ergeben sich daraus? 10
Zur Vertiefung vgl. Andersen & Schrøder 2010; Kaplan & Mikes 2012; Keitsch 2007; Möbius 2009; Wolke 2008. Zum Thema Krisenmanagement, das hier nicht behandelt wird, vgl. Macharzina & Wolf 2010, Kap. 10.2.
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2 Ziele
KONTEXT, RISIKO UND UNGEWISSHEIT In einem unstabilen Umfeld kann der traditionelle strategische Planungsprozess geradezu gefährlich sein, weil die Unsicherheit unterschätzt wird. Die Gefahr liegt darin, dass entweder unter dem Druck, die geplante Wertsteigerung zu berechnen, die Unsicherheit über die Zukunft unter den Teppich gekehrt wird, oder aber dass Chancen, die ein höherer Grad der Unsicherheit bietet, übersehen werden. Verpasste Chancen werden insbesondere deutschen Herstellern vorgehalten: Faxgerät, tragbarer Kassettenspieler, MP3-Komprimierungstechnik und Hybridmotor wurden von deutschen Forschern erfunden, aber zu Verkaufsschlagern wurden diese Innovationen erst von asiatischen oder amerikanischen Firmen gemacht (vgl. Spiegel Special 2008, Nr. 5, S. 136 f.). Vielfach wird angenommen, dass die Welt entweder sicher ist und daher genau vorhersehbar, oder aber umgekehrt, unsicher und vollständig unvorhersehbar. Gegen diese binäre Logik hat der frühere McKinsey Berater Hugh Courtney ein vierteiliges Bezugssystem (vgl. Abb. 2.13) entwickelt, das erlaubt, unterschiedliche Grade der Unsicherheit zu unterscheiden (vgl. Courtney & Kirkland 1997; Courtney 2003): 1. Grad – Ein Ergebnis (A Clear Enough Future): Die Bestimmungsfaktoren der möglichen zukünftigen Ergebnisse sind bekannt, einigermaßen präzise messbar und die Spannweite der Ergebnisse ist klein und hat keine Bedeutung für die Entscheidung. Beispielsweise wird Aldi im Zuge einer Erweiterung seines Filialnetzes aus soziodemografischen Erhebungen und seiner langjährigen Erfahrung heraus relativ sicher sagen können, ob eine neue Filiale an einem bestimmten Standort Erfolg haben wird oder nicht. 2. Grad – Spezifische Alternativen (Alternative Futures): Die möglichen zukünftigen Ergebnisse selbst sind bekannt. Sie schließen sich gegenseitig aus und bilden zusammen alle möglichen Ergebnisse ab. Zu welchem Ergebnis es kommen wird, lässt sich nicht im Voraus sagen. Beispiele dafür sind ordnungspolitische Veränderungen etwa zur Umweltund Sozialpolitik. 3. Grad – Mehrdeutige Alternativen (A Range of Futures): Die möglichen zukünftigen Ergebnisse lassen sich abschätzen. Einzelne Ergebnisse lassen sich zu Ergebnisgruppen zusammenfassen. Diese Ergebnisgruppen lassen sich jedoch nicht mehr vollständig gegenseitig ausschließen, das heißt, einzelne Ergebnisse werden in mehreren Ergebnisgruppen berücksichtigt und/oder bilden nicht mehr alle möglichen – wenn auch noch so unwahrscheinlichen – Ergebnisse ab. Beispiele wären die mögliche Kundennachfrage für neue Produkte und Dienstleistungen, die Leistungsfähigkeit neuer Technologien und makroökonomische Entwicklungen. 4. Grad – Wahre Ungewissheit (True Ambiguity): Die möglichen zukünftigen Ergebnisse sind unbekannt und unerkennbar. Sie lassen sich nicht auf vernünftige Weise abschätzen. Einer Unsicherheit vierten Grades sieht man sich im Fall tiefgreifenden technologischen Fortschritts, ökonomischer und sozialer Krisen und in sich gerade erst bildenden Märkten gegenüber.
2.5 Strategie unter Unsicherheit
UrsacheWirkungsBeziehungen Kontext des Systems
Unsicherheitsgrad
Kontext der Entscheidung
Abb. 2.13
91
stabil
instabil
einfach
kompliziert
komplex
chaotisch
1. Grad: Ein Ergebnis
2. Grad: Spezifische Alternativen
3. Grad: Mehrdeutige Alternativen
4. Grad: Wahre Ungewissheit
Risiko
Ungewissheit Unsicherheit
Kontext, Risiko und Ungewissheit (nach Courtney 2003, S. 15 ff.)
Für die ersten beiden Grade an Unsicherheit lassen sich quantifizierbare Wahrscheinlichkeiten für die möglichen zukünftigen Ergebnisse ermitteln. Das liegt daran, dass die Grundgesamtheit aller möglichen Ergebnisse bekannt ist und diese sich gegenseitig ausschließen. Für den 3. und 4. Grad ist dies kaum möglich. Die vielschichtigen Ursache-und-WirkungsBeziehungen des Kontextes, die in diesen Fällen die Ergebnisse herbeiführen, sind komplex oder gar chaotisch, das heißt, sie sind zusammenhängend, beeinflussen sich gegenseitig und sind möglicherweise gar voneinander abhängig. Weil Informationen darüber fehlen, was passieren wird, steigt die Unsicherheit mit der Komplexität und Dynamik der Umwelt und je langfristiger man versucht, die Zukunft abzuschätzen. Schließlich ist noch der menschliche Aspekt bei Entscheidungen unter Unsicherheit zu berücksichtigen. Begriffe wie Unsicherheit, Risiko und Ungewissheit werden gewöhnlich mit einer negativen Auffassung besetzt und deshalb mit Abneigungen (Aversionen) verbunden: gegen Risiko, gegen Ungewissheit und gegen Verlust (vgl. Slywotzky & Drzik 2005; Wickham 2008). Bei Entscheidungen unter Ungewissheit ist es kaum möglich, den Risiken eine (Eintritts-)Wahrscheinlichkeit zuzuordnen und einen finanziellen Wert beizumessen (vgl. Emblemsvåg & Kjølstad 2002; Courtney 2003; Slywotzky & Drzik 2005, Taleb 2007). Unsere Möglichkeiten durch Beobachtung und Erfahrung zu lernen, sind offenbar begrenzt. Noch zu Beginn des Jahrhunderts ging Courtney davon aus, dass die Hälfte der strategischen Probleme in den Bereich Level 2 und 3 fallen, Level 4 selten und der Rest Level 1 ist. Nach dem 11. September 2001 und nach der Finanzkrise schätzt er ein, dass es schwieriger wird, Prognosen zu treffen, und dass sich mehr Probleme im Level 3 und 4 Bereich bewegen (Courtney 2008). Für viele Firmen stellte bereits die Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008/09 nicht nur eine unsichere Situation, sondern auch ein im schlimmsten Fall existenz-
92
2 Ziele
bedrohendes Risiko dar. Diese Situation war so nicht vorherzusehen und zu kalkulieren (vgl. Praxisbeispiel BMW und Deutsche Bank).
Praxisbeispiel: BMW und Deutsche Bank – Prognosen in der Krise Anfang 2008 fasste die Deutsche Bank ihre Prognose für den weltwirtschaftlichen Verlauf im selbigen Jahr mit den Worten „teils sonnig, aber Gewitterrisiken“ zusammen. Mit „steigenden Ölpreisen, schwächelnden Immobilienmärkten und sich verschlechternden Kreditbedingungen“ wurden diese „Gewitterrisiken“ im Kern richtig erfasst, die sich bereits damals am Horizont abzeichnende Sturmfront aber wurde dennoch massiv unterschätzt: Die Deutsche Bank erwartete den DAX am Jahresende 2008 bei 8300 Punkten. Tatsächlich waren es 4730 Punkte. Auch die deutschen Autobauer waren mit ihren Vorhersagen für das Jahr 2008 nicht viel erfolgreicher. In ihrem Geschäftsbericht für 2007 erkannte die BMW Group etwa, dass „Prognosen für das laufende Geschäftsjahr [2008] angesichts der Kreditkrise mit besonderen Unsicherheiten verbunden“ sind, ging aber dennoch fest davon aus, „dass die USamerikanische Kreditkrise [nicht] zu massiven globalen Verwerfungen führen wird, sondern vor allem zu einer Dämpfung der Inlandsnachfrage in den USA selbst“. Aus diesem Grund sollte 2008 für die BMW Group ebenso gut verlaufen, wie das Jahr zuvor. Die Realität spricht eine andere Sprache. Fragen: 1. Lässt sich die Prognosequalität mit besseren Modellen erhöhen? 2. Welcher Grad der Unsicherheit ist anzulegen 2007, 2009, 2011, 2013, 2015? Quellen: Bayer, T.: Falsche Börsenprognosen: Wie weit die Banken 2008 danebenlagen. Financial Times Deutschland vom 17.12.2008; BMW-Geschäftsbericht 2007.
Unternehmen sind aber nicht bloß Opfer widriger Umweltbedingungen, sondern selbst Akteure (vgl. Praxisbeispiel UBS): „Zudem wurde die Krise, wie wir alle wissen, von den sogenannten Risikomanagement-Modellen der Banken hervorgebracht, die diese mehr dem Risiko aussetzten, als es zu beschränken und die Weltwirtschaft fragiler denn je gemacht haben.“ (Taleb et al. 2009, S.78) Vor dem Hintergrund der Deregulierung der Finanzmärkte und der Einführung neuer Finanzmarktinstrumente (Derivate) ließen sich Risiken verschieben, aber nicht eliminieren. Ein zentrales Problem liegt in der Trennung von Risiko und Haftung (Buehler et al. 2008). Im Bankenbereich wurden besonders hohe Risiken eingegangen, um besonders hohe Boni und Gewinne zu realisieren. In den Investmentbanken konnten Händler in guten Jahren bis zu 50 Millionen Euro im Jahr verdienen. In schlechten Jahren bringen sie ihrer Bank Milliardenverluste, die, insofern sie als „systemrelevant“ gelten, sozialisiert werden. „Diese Verteilung von Chancen und Risiken war extrem asymmetrisch und ist künftig nicht mehr vermittelbar.“ (Bomhard 2009) Niemand sollte Gewinnchancen ohne Verlustrisiken haben: „Die Gesellschaft und die Aktionäre sollten das Recht und die Macht haben, die Boni von denen zurückzubekommen, die uns geschadet haben.“ (Taleb et al. 2009, S. 81) Die Besonderheiten des Bankensektors und der Zusammenhang von US-
2.5 Strategie unter Unsicherheit
93
Immobilienkrise, globaler Finanzkrise und europäischer Schuldenkrise können hier nicht dargestellt werden. Zur Einführung vgl. Brunetti (2011).
Praxisbeispiel: Aufstieg und Fall der UBS Im Sommer 2007 geriet die UBS, einst das Aushängeschild des Finanzplatzes Schweiz in eine tiefe Krise. Auslöser war wie bei anderen Großbanken auch das notleidende Geschäft mit nachrangigen Hypotheken-Krediten in den Vereinigten Staaten. Ende 2008 musste der Schweizer Staat mit der Schweizerischen Nationalbank (SNB) ein Notpaket schnüren und dem größten Vermögensverwalter der Welt mit einem Fonds für „giftige“ Wertpapiere von 26 Milliarden CHF unter die Arme greifen. Die UBS war keinesfalls Opfer der Finanzmarktkrise, „sondern zu einem der unheilvollsten Akteure in dem Geflecht aus Größenwahn, Gier und Überheblichkeit“ geworden. Dabei war die UBS gewarnt. Schon kurz nach der Fusion von Schweizerischer Bankgesellschaft (SBG) und Schweizerischem Bankverein (UBS) im Jahr 1998 erlebte das neue Unternehmen mit dem Scheitern des Hedge-Fonds Long Term Capital Management (LCTM) ein erstes Desaster, das 950 Millionen Franken kostete. Dennoch drehte die Bank noch einmal ein großes Rad, dieses Mal im amerikanischen Hypothekengeschäft mit dem hauseigenen Dillon Read Capital Management (DRCM) Hedge-Fonds. Das verbleibende Investmentbanking versuchte danach die DRCM-Strategie zu kopieren und machte auch noch weiter, als im Mai 2007 der Vorstand den Hedge-Fonds schloss. Zwei Monate später brach das Subprime-Geschäft in Amerika zusammen. Die Schlussfolgerung: Die Bank hat Dillon Read nicht deswegen aufgelöst, um die Risiken herabzusetzen, sondern um mehr Risiko einzugehen. Die Krise der UBS hat der Bank auf jeden Fall eine Innovation eingebracht: UBS hat als erste Bank einen Malus sowie mehr Langfristigkeit bei ihrer Managervergütung eingeführt. Im Juni 2009 schlägt die Schweizerische Nationalbank (SNB) vor, die Zerschlagung von Großbanken wie der UBS ernsthaft zu prüfen. Sie schließt sich damit einer ähnlichen Absicht der amerikanischen Regierung an. Die Bilanzsumme der UBS ist viermal so groß wie das Bruttoinlandsprodukt der Schweiz. Damit führt an staatlichen Stützungsmaßnahmen im Fall von Notlagen gegenwärtig fast kein Weg vorbei, was die Banken zu leichtsinnigem Verhalten verführt („Moral Hazard“). Umgesetzt wurde der Vorschlag indes nicht. Im Herbst 2012 wird bekannt, dass eine hochrangige EU-Expertengruppe plant, die Banken nach riskanten Geschäften des Investmentbankings und Privatkundengeschäft aufzuspalten, um den Steuerzahler davor zu bewahren, bei der nächsten Finanzkrise erneut zahlen zu müssen. Kurze Zeit später zerschlägt UBS seine Investmentbank, bis zu 10.000 Arbeitsplätze will die schweizerische Bank nun abbauen. Die Marktlage im Investmentbanking hat sich verschlechtert und Regulierungsvorgaben wie Basel III erschweren den Handel mit lukrativen, aber riskanten Finanzprodukten. Ist davon auch die Deutsche Bank nachhaltig betroffen?
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2 Ziele
Fragen: 1. Wie ist es zur Finanzkrise gekommen? 2. Haben die Vergütungssysteme zur Finanzkrise beigetragen? 3. Meinen Sie, dass Unternehmen zerschlagen werden sollten, wenn ihre „Systemrelevanz“ staatliche Stützungsmaßnahmen in Notlagen erfordert? Quellen: Dunsch, J.: Das Elend der UBS. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 9.3.2009, S. 10; Hein, D.: Jeder bekommt was er verdient. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 29.10.2012, S. 15; Zaki, M.: UBS am Rande des Abgrunds. Altstätten 2008; Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 19. Juni 2009; S.13; Süddeutsche Zeitung vom 2.10.2012; Financial Times Deutschland vom 29.10.2012
Bei Ungewissheit sind Ereignisse, wie das plötzliche Auftauchen des schwarzen Schwans, so gut wie nicht vorherzusehen: „Bevor Australien entdeckt wurde, waren die Menschen in der Alten Welt überzeugt, alle Schwäne seien weiß. Diese Überzeugung war unanfechtbar, da sie durch die empirische Evidenz anscheinend völlig bestätigt wurde.“ (Taleb 2007, S. 1) Die Schlussfolgerungen für das Risikomanagement sind radikal: „Anstatt die Illusion zu verewigen, die Zukunft antizipieren zu können, sollten wir versuchen, die Auswirkungen der Gefahren zu verringern, die wir nicht verstehen.“ (Taleb et al. 2009, S. 78) Sechs typische Fehler des Risikomanagements sollten vermieden werden:
Wir denken Risiken managen zu können, indem wir extreme Ereignisse vorhersagen. Wir sind überzeugt, dass es hilft die Vergangenheit zu studieren, um Risiken zu managen. Wir hören nicht auf den Rat, was wir nicht tun sollten. Wir nehmen an, dass Risiken normalverteilt sind. Wir würdigen nicht, dass etwas mathematisch äquivalent sein kann, psychologisch aber nicht. Wir glauben, dass Effizienz und die Maximierung des Unternehmenswerts sich nicht mit Redundanzen verträgt.
Wir haben bereits im ersten Kapitel dargestellt, dass sich mit der Komplexität und Dynamik der Umwelt auch das Strategieverständnis verändert hat. Der Mangel an Vorhersehbarkeit führt dabei zu Unsicherheit im Hinblick auf die zukünftigen Ereignisse, die das Organisationssystem oder die Situation hervorbringen wird. Der Grad der Unsicherheit hängt vom Kontext ab. Lassen sich mehrdeutige Alternativen der Zukunft ausmachen, so handelt es sich um einen komplexen Kontext, in dem die Zukunft ungewiss ist. Wahre Unsicherheit liegt in einem chaotischen Umfeld vor, wenn die möglichen zukünftigen Ergebnisse unbekannt und unerkennbar sind. In beiden Fällen spricht man nicht mehr von Risiko, sondern vielmehr von Ungewissheit. Deshalb wäre der Begriff der strategischen Ungewissheit präziser. Dies vor allem deshalb, weil anzunehmen ist, dass der Begriff des strategischen Risikos in zu enger Verbindung zu einer rein negativen Betrachtung des Risikos führen kann und eine Quantifizierbarkeit suggeriert, die nicht vorhanden ist. Da aber der Begriff des strategischen Risikos geläufiger ist, wird er hier weiterhin verwendet.
2.5 Strategie unter Unsicherheit
95
DAS STRATEGIEPARADOX MEISTERN Wer nicht wagt, der nicht gewinnt: Bei Finanzanlagen ist diese Binsenweisheit als positiver Zusammenhang von Rendite und Risiko belegt. Das Risiko von Staatsanleihen ist, gemessen an der Volatilität, gewöhnlich geringer als bei Aktien und Wagniskapital, dafür ist auch die Rendite niedriger. In der Strategielehre wird dieser Zusammenhang bisher wenig beachtet. Bei der bekannten SWOT-Analyse (vgl. Kap. 3) werden zwar den Chancen die Risiken gegenübergestellt, aber es kommt ein weiterer Aspekt hinzu. Durchschlagender Erfolg bei einem neuen Produkt oder Produktionsprozess erfordert, die Strategie in einer Weise umzusetzen, die die Anpassung verhindert, wenn die zukünftige Entwicklung anders als erwartet verläuft. Der Managementforscher und -berater Michael Raynor (2007b) bezeichnet dies als Strategieparadox: Strategien mit den größten Erfolgsmöglichkeiten haben zugleich die größte Möglichkeit zu scheitern. Deshalb sei es notwendig, über Strategie und Unsicherheit neu nachzudenken. So hatten beispielsweise Sonys Strategien für Speichermedien in den 1990er Jahren, die Betamax- und Minidisc-Technik, alle Voraussetzungen dafür erfolgreich zu sein. Sie scheiterten dennoch. Die Änderungen des Umfelds durch Internet und Filesharing-Software sowie technische Fortschritte durch den MP3-Spieler waren nicht vorhersehbar. Die strategische Wahl von Sony war folgerichtig, sie hat sich nur im Nachhinein als Fehler herausgestellt. „Das Problem ist, dass sich Sony auf den strategischen Erfolg ausgerichtet hat und nicht ausreichend auf strategische Unsicherheit.“ (ebd, S. 44) Mit der Festlegung auf eine bestimmte Strategie, die zweifellos nötig ist, wächst wegen der Ungewissheit auch die Möglichkeit falsch zu liegen. Die Alternativen sind kaum attraktiv. Eine Möglichkeit besteht darin, dem strategischen Risiko, das durch die komplexe und dynamische Struktur unserer Umwelt hervorgerufenen wird, so weit wie möglich aus dem Weg zu gehen. Die dem Unternehmen zur Verfügung stehenden Ressourcen werden weniger spezifisch und rigoros eingesetzt. Dieser auf Anpassungsfähigkeit ausgerichtete Ansatz, führt jedoch zu einer Zerstreuung von Ressourcen und verringert die Wettbewerbsfähigkeit und Ertragskraft eines Unternehmens. Einfach abzuwarten ist eine weitere Möglichkeit. Wird keine Wahl getroffen, kann zwar nichts verloren, aber auch nichts gewonnen werden. Infolge einer solchen Entscheidung würden Unternehmen zwangsläufig in die Mittelmäßigkeit getrieben (vgl. Christensen 1997; Raynor 2007a). Ein auf größtmöglichen Erfolg ausgerichtetes Unternehmen muss unvermeidlich strategische Risiken eingehen, und der Unterschied zwischen Erfolg und Misserfolg besteht dabei nicht zwangsläufig in einer besseren Strategieumsetzung, besseren Marktanalysen oder besseren Trendprognosen, sondern in einem besseren Management der strategischen Unsicherheit. Viele der heute in Unternehmen üblichen Risikomanagementansätze, welche auf quantitativen, mit Eintrittswahrscheinlichkeiten arbeitenden Modellen beruhen, gehen an diesem Problem vorbei (vgl. Raynor 2007a; 2008). Vor diesem Hintergrund sollte das Management strategischer Risiken drei grundlegende Eckpfeiler haben (vgl. Courtney 2003; Raynor 2008; Shimizu & Hitt 2004): eine Organisations- und Governance-Struktur, die der Natur strategischer Risiken entspricht;
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2 Ziele
die Verwendung einer geeigneten Methode zur Identifikation und Beurteilung dieser Risiken; die Anwendung eines geeigneten Konzepts zur Erzeugung strategischer Flexibilität. Organisations- und Governance-Struktur. Die oberste Leitungsebene – das ist in den USA der Verwaltungsrat (Board of Directors), in Deutschland Vorstand und Aufsichtsrat – arbeitet mit einem wesentlich längeren Zeithorizont, als etwa die unterste funktionale Leitungsebene. Je länger dieser Zeithorizont, desto größer die Unsicherheit und desto weniger sollte die entsprechende Hierarchiestufe Verpflichtungen hinsichtlich der Verteilung von Ressourcen eingehen. Diese Trennung von Unsicherheit (Uncertainty) und Verpflichtung (Commitment) gibt insbesondere dem Board die Freiheit, sich eingehend mit der zukünftigen Entwicklung der Unternehmensumwelt und der daraus erwachsenden Risiken für die aktuell eingeschlagene strategische Richtung zu beschäftigen. Den Geschäftseinheiten ermöglicht sie, die ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen nach bestem Ermessen einzusetzen, ohne diese zur Risikovermeidung unnötig über diverse, nicht in Verbindung stehende Projekte zu zerstreuen. Nach einer Studie von IBM (2007) ist die Risikofreude an der Unternehmensspitze besonders ausgeprägt, während Risikomanager eine geringe Risikotoleranz haben und kaum strategisch ausgerichtet sind. Der Finanzvorstand (Chief Financial Officer, CFO) ist danach hervorragend positioniert, um das Spannungsverhältnis zwischen unterschiedlicher Risikobereitschaft und strategischer Orientierung in der Organisation auszutarieren und ein ganzheitliches Risikoprofil des Unternehmens zu bestimmen und zu steuern. Darüber hinaus sollte der Rat unabhängiger Experten hinzu gezogen werden (vgl. Abb. 2.14). Imagemacher
Hohe Risikofreude
Abenteuerlustige Visionäre
CEO Vertrieb
Stratege
Linienführungskraft
Marketing
Risikoprofil
CFO Controller Interner Auditor
CIO CRO COO
Risikomanager
Geringe Risikotoleranz
Tägliche Anwender Taktisch
Abb. 2.14
Organisatorische Denkweise
Operative Leiter Strategisch
Wahrnehmung des Unternehmensrisikoprofils je nach Rolle (IBM-CFO Studie 2007, S. 33)
Methoden zur Identifikation und Beurteilung strategischer Risiken. Insbesondere in der Krise sind Fragen zentral, ob neue Ziele und Strategien erforderlich sind, um Risiken zu
2.5 Strategie unter Unsicherheit
97
managen und Chancen zu nutzen: Welche Szenarien der Zukunft zeichnen sich ab? Was bringen neue Geschäftsmodelle? Ist die Finanzierungsstrategie noch zeitgemäß? Sind die Anreizsysteme für Manager zu überarbeiten, oder sollte man die aktienbasierte Vergütung ganz über Bord werfen (vgl. Campbell et al. 2009)? Szenarios sind ein Kernbestandteil des Risiko- und Zukunftsmanagements, auf das wir im nächsten Unterkapitel zurückkommen. Denn anders als bei den aus der Finanzwirtschaft adoptierten Modellen, lassen sich Szenarios auch auf qualitativen Erwartungen aufbauen. Übertragen vom einstufigen Board auf die duale Struktur aus Vorstand und Aufsichtsrat bedeutet dies, dass die Identifikation und Beurteilung strategischer Risiken zu gleichen Teilen Aufgabe des Vorstands und des Aufsichtsrats ist. Während der Vorstand Zugang zu den Informationen und die nötige Erfahrung hat, um einschätzen zu können, welche Auswirkungen ein bestimmtes Risiko auf die gewählte Strategie hat, obliegt es dem Aufsichtsrat, ein zum jeweiligen Unternehmen passendes Risiko-Gewinn Verhältnis zu finden. Hierbei geht es nicht nur um die Überprüfung der strategischen Entscheidungen des Managements, sondern auch darum, die Strategie einem Stresstest zu unterziehen. Dazu wird beispielsweise der Strategieentwicklungsprozess auf den Kopf gestellt und ausgehend von der fertigen Strategie ermittelt, welche Rahmenbedingungen erfüllt sein müssen, damit diese schließlich zum Erfolg führen kann. Der Analyseprozess kann dazu beitragen, dass sowohl übermäßige Risiken als auch zu wenig Risikobereitschaft vermieden werden (vgl. Buehler & Hulme 2008). Strategische Flexibilität führt im Unterschied zur reaktiven Anpassung nicht zu einer inhaltlich unabhängigen Zerstreuung begrenzter Ressourcen, sondern zu einer Fokussierung der Ressourcen auf komplementäre Aktivitäten. Es ist die Aufgabe des Vorstands, für strategische Optionen zu sorgen, die eine Art Absicherung des Geschäfts gegen mögliche zukünftige Entwicklungen der Unternehmensumwelt darstellen. Die strategischen Optionen selbst ergeben sich aus den verschiedenen, für die zukünftige Gestalt der Unternehmensumwelt entwickelten Szenarien und stellen in diesem Sinn mögliche zukünftige Entwicklungswege dar. Diese können, wie im Fall der „New Venture“-Aktivitäten von Procter & Gamble (vgl. Kap. 4.6), auch ähnlich wie traditionelle Geschäftseinheiten funktionieren. Vieles spricht dafür, dass es vorteilhaft ist, wenn die strategischen Optionen mit dem Kerngeschäft verbunden sind. Microsofts Kerngeschäft beispielsweise ist das Betriebssystem Windows und die Bürosoftware Office. Wo liegt die Zukunft für dieses Kerngeschäft? Auf stationären Computern (PCs)? Auf mobilen Computern (Laptops)? Auf Kleingeräten wie Handys oder Netbooks? Auf Spielekonsolen? Im Internet als Software auf Abruf (Cloud Computing; Software als Dienst, nicht als festinstallierte Anwendung)? Niemand kann es wissen. Dennoch hat Microsoft schon heute (mit der X-Box, Windows Mobile und MSN Hardware) bereits Software, Hardware und Onlinedienste, welche allesamt vom aktuellen Kerngeschäft Gebrauch machen, auf ihm aufbauen und einen möglichen Ausweg bieten, sollten die klassischen Windows- und Office-Einsatzgebiete in Zukunft unerwartet stark an Bedeutung verlieren. Die Fokussierung auf das Kerngeschäft und andere effizienzsteigernde Maßnahmen sind nicht ohne Risiko (vgl. Kap. 3.2): „Die meisten Manager erkennen nicht, dass Unternehmen durch die Optimierung verwundbarer gegenüber Umweltveränderungen werden. Biologische Systeme können
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2 Ziele mit Wandel umgehen; Mutter Natur ist von allen der beste Risikomanager. Das teilweise deshalb, weil sie Redundanz liebt. Die Evolution hat uns Ersatzteile mitgegeben – wir haben zum Beispiel zwei Lungenflügel und zwei Nieren –, das erlaubt uns zu überleben.“ (Taleb et al. 2009, S. 81)
Auf das Unternehmen angewendet ist das Geheimnis Risikostreuung durch Variation. So hat Microsoft, als Ende der 1980er Jahre das Ende von MS-DOS absehbar war, gleichzeitig mit sechs Betriebssystemen experimentiert, bis man sich schließlich für Windows entschied. Wenn auch die Evolution nicht vorherzusagen oder zu dirigieren ist, so können die Unternehmen doch evolutionstauglicher gestaltet werden (vgl. Beinhocker 2007).
2.5.2
Enterprise Risk Management
Die Aufgabe des Risikomanagements besteht darin, Chancen und Gefahren, die sich aus der Unsicherheit zukünftiger Entwicklungen für das Unternehmen ergeben, zu handhaben. Nicht zuletzt durch spektakuläre Unternehmenskrisen und zahlreiche gesetzliche und untergesetzliche Regelungen wird ein von der Unternehmensführung verantwortetes Risikomanagement unumgänglich.11 Ein integriertes Risikomanagement und die besondere Beachtung strategischer Risiken sind dabei vorteilhaft.
RISIKEN ERKENNEN, BEWERTEN UND BEEINFLUSSEN Traditionell ist das Risikomanagement vor allem an der Begrenzung von einzelnen finanziellen Risiken und Umweltgefahren orientiert. Es geht also um den Schaden, der aus einer konkreten Situation entsteht. Risiken „höherer Gewalt“, also Schäden durch Erdbeben, Überschwemmungen, Blitzschlag und Sturm gehören beispielsweise dazu. Diese Risiken lassen sich versichern. Zur Risikosteuerung gehört aber mehr (vgl. Keitsch 2007): Risiken zu vermeiden, ohne gleichzeitig Gewinnchancen auszuschließen; Risiken zu vermindern, durch Frühwarnindikatoren und Kontrollmaßnahmen; Risiken zu verlagern, etwa durch Haftungs- und Gewährleistungsvereinbarungen, Leasing, Factoring und Outsourcing sowie durch Versicherungen; der Risikoselbstbehalt, ermöglicht durch eine angemessene Eigenkapitalausstattung, durch Rückstellungen und Diversifizierung. Es ist üblich die Risiken in Kategorien einzuteilen: Risiken höherer Gewalt, politische und/oder ökonomische Risiken und Unternehmensrisiken (vgl. Abb. 2.15). Dementsprechend werden ein Frühwarnsystem, ein Überwachungssystem und ein Risikocontrolling eingerichtet.
11
Die Verantwortung der Unternehmensführung für ein Risikomanagement wird in der Schweiz durch das Obligationenrecht, in Österreich durch das Verbandsverantwortlichkeitsgesetz und in Deutschland durch das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) geregelt; außerdem sind das Transparenzund Publizitätsgesetz (TransPuG), der Corporate Governance Kodex und bei der Prüfung der Kreditwürdigkeit Basel II bzw. III zu beachten. In den USA gilt hierzu der Sarbane Oxley Act.
2.5 Strategie unter Unsicherheit
99
Risiken Risiken „Höherer Gewalt“
Erdbeben, Überschwemmungen, Blitzschlag, Sturm
politische und/oder ökonomische Risiken
Veränderungen im ökonomischen und gesellschaftlichen Umfeld
Unternehmensrisiken
Finanzrisiken
Geschäftsrisiken
Ziele und Strategie; Organisation; Beschaffung; Produkte; Absatz/Vertrieb; Forschung & Entwicklung
Liquiditäts- und Finanzplanung; Zins- und Währungsabhängigkeiten; Verlustrisiken in den Finanzpositionen
Risikobereich
Risikobereich
Risikobereich
I
II
III
Abb. 2.15
Betriebsrisiken
Unternehmensstruktur; Ablaufprozesse EDV, Personal
Risikokategorien im Unternehmen (nach Keitsch 2007, S. 6)
Ergebnis der Risikoanalyse ist gewöhnlich ein Risikoportfolio, auch Risikolandkarte oder Wahrscheinlichkeits-Auswirkungs-Matrix genannt (vgl. Abb. 2.16). Damit kann das mögliche Schadensausmaß und die Wahrscheinlichkeit des Risikoeintritts übersichtlich dargestellt und kommuniziert werden. Dabei ist jedoch zu bedenken, dass eine Quantifizierung oft nicht möglich ist und dass es nicht reicht, nur die einzelnen Verlustrisiken darzustellen, ohne ihre mögliche Verkettung und die damit verbundenen Erträge zu berücksichtigen. Die Quantifizierung ist problematisch, weil sich Wahrscheinlichkeiten bei Ungewissheit kaum ermitteln lassen (vgl. Kap. 2.5.1) und weil die Ergebnisse mathematisch anspruchsvoller Berechnungen von den zugrunde gelegten Annahmen abhängen und von ihrer Interpretation. Ein Beispiel ist die Verlustaversion: Menschen gewichten erwartete Verluste stärker als Gewinne in gleicher Höhe (vgl. Kahnemann 2011). Auch das Ergebnis der Risikoabschätzung hängt von den Annahmen ab. Szenarien treten ein, die nicht im Kalkulationsmodell berücksichtigt worden sind – wie in Fukushima das gemeinsame Auftreten von Erdbeben und Tsunami in unvorhergesehener Stärke. Nach Fukushima stellt sich die Risikofrage neu, sagen dazu Kauermann & Küchenhoff (2011): „Ein Reaktorunfall alle 250.000 Jahre – eine solche statistische Aussage klingt beruhigend. Der Umstand, dass ein Reaktor nur um den Faktor zehn sicherer ist als ein Flugzeug, schon weniger.“ Zu diesem Ergebnis kommen sie, wenn sie die beiden katastrophalen Unfälle – Tschernobyl und Fukushima – auf die Zahl der installierten Kernreaktoren beziehen und hypothetisch auf 15.000 Kernkraftwerke, das ist die Zahl der kommerziell betriebenen Flugzeuge auf der Welt, hochrechnen.
100
2 Ziele Schadenausmaß bestandsgefährdend
erheblich
niedrig gering
mittel
hoch Eintrittswahrscheinlichkeit
Abb. 2.16
Risikostrategie und Ziel-Risikopositionierung (Ettmüller 2003, S. 695)
Das integrierte Risikomanagement (Enterprise Risk Management, ERM) versucht die Grenzen des traditionellen Risikomanagements zu überwinden. „Der ERM-Ansatz wurde mit dem Zweck eingeführt, die vielen potentiell wichtigen Gefahren, denen ein Unternehmen ausgesetzt ist, mit einem integrativen unternehmensweiten Rahmenwerk systematischer zu bewerten – einschließlich der operativen und strategischen Risiken und unter Berücksichtigung sowohl der möglichen Verluste als auch der Erträge (downside losses and upside gains), die eine unsichere Umwelt bietet.“ (Andersen & Schrøder 2010, S. 128) Anerkannte internationale Standards wie ISO 31000 und Rahmenwerke wie das COSO Enterprise Risk Management Framework liefern Unternehmen ein formalisiertes Verfahren, das an die jeweiligen Bedingungen angepasst werden kann. Der Risikomanagementprozess beginnt danach mit der Identifikation der Risiken für jede Ebene des Unternehmens bis hin zum einzelnen Mitarbeiter. Die Risikoanalyse quantifiziert und aggregiert die Risiken soweit dies möglich ist. Verbreitet ist die Unterscheidung nach strategischen, operativen, finanziellen und Compliance-Risiken. Zu Corporate Compliance gehört mehr als die Beachtung der einschlägigen rechtlichen Rahmenbedingungen: „Corporate Compliance bezieht neben den externen auch die internen Regeln ein und will auf diese Weise zu einer möglichst ‚gerichtsfesten‘ Umgebung beitragen, in der die Geschäfte des Unternehmens geplant, entschieden und abgewickelt werden können.“ (vgl. Jäger et al. 2009, S. 25) Bei der Risikobewertung wird das bereits erwähnte Risikoportfolio verwendet. Jedem identifizierten und bewerteten Risiko wird ein Risikoeigner (Risk Owner) zugeordnet, der für die Risikoreaktionspläne verantwortlich ist (vgl. Abb. 2.17). Dieser Prozess wird durchgeführt in Abstimmung mit den Unternehmenszielen und den im Unternehmen eingerichteten Funktionen der Überwachung und Berichterstattung (wie interne Revision und Control-
2.5 Strategie unter Unsicherheit
101
ling). Die Wirksamkeit des Risikomanagementsystems hängt ab von der Unterstützung durch die Unternehmensführung (Governance), einem entsprechenden Risikobewusstsein der Menschen, einer angemessenen ERM-Organisation über alle Hierarchieebenen und von den Technologien, die zur Identifizierung von Risiken, der Unterstützung bei den Entscheidungen und zur Überwachung der Umsetzung der Risikoreaktionspläne dienen. Governance Unternehmensziele
Risikoreaktion
Risikoanalyse
Organisation
Technologie
Risikoidentifizierung
Risikobewertung
Überwachung und Berichterstattung
Menschen Abb. 2.17
Komponenten des Enterprise Risk Managements
Risikomanagement ist eine Aufgabe der Unternehmensführung. In einer Aktiengesellschaft ist es die Aufgabe des Vorstands für ein angemessenes Risikomanagement zu sorgen; die des Aufsichtsrats ist es, ihn dabei zu überwachen (vgl. Praxisbeispiel).
Praxisbeispiel: Prüfkatalog zum Risikomanagementsystem Für Mitglieder des Aufsichtsrates wird folgender Fragenkatalog zur Risikoprüfung empfohlen: Existiert ein Risikoinventar und wird es regelmäßig revidiert? Werden die Ursachen der Risiken erforscht? Sind die Risiken mit Geldeinheiten bewertet und wurde eine Eintrittswahrscheinlichkeit ermittelt? Wie erfolgt die Dokumentation des Überwachungssystems? Gibt es ein Risikohandbuch? Wie wird über das System im Aufsichtsrat berichtet?
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2 Ziele
Wird der Aufsichtsrat über riskante Geschäfte zufriedenstellend unterrichtet? Gibt es einen Katalog zustimmungspflichtiger Geschäfte, nach dem besonders riskante bzw. gegebenenfalls bestandsgefährdende Geschäfte der Zustimmung des Aufsichtsrates bedürfen? Ist sichergestellt, dass der Vorstand alle relevanten Hinweise und Warnungen erhält? Umfasst das Überwachungssystem auch ein Modul zur strategischen Frühaufklärung? Werden kennzahlenorientierte oder indikatorbasierte Systeme für ein kurzfristiges Controlling (Frühwarnung) eingesetzt? Wie werden die Module des kurzfristigen Risikocontrollings, des Risikomanagements und der strategischen Frühaufklärung integriert? Ist es möglich, mit dem System auch solche Entwicklungen zu erkennen, die sich erst zaghaft andeuten, oder müssen bereits manifeste Auswirkungen im Rechnungswesen vorliegen? Sind organisatorische Neuzuschnitte im Zusammenhang mit der Einführung eines Risikomanagementsystems erfolgt? Wie läuft die Abstimmung zwischen Revision, strategischem Controlling und dem Risikomanagementsystem? Wird das strategische Frühaufklärungssystem vom strategischen Controlling verantwortet oder ist es zwischen diesem Bereich und dem Marketing aufgeteilt? Fragen: 1. Welche Möglichkeiten bietet ein Risikomanagementsystem? 2. Wodurch wird dessen Wirksamkeit begrenzt? Quelle: Müller, M.: Praktische Hinweise zum so genannten Risikomanagement. Arbeitshilfen für Aufsichtsräte der Hans Böckler Stiftung Nr. 13, Düsseldorf 2009.
Drei Beispiele illustrieren die Verbreitung des ERM-Modells. Bei Siemens (2012) wird das Enterprise Risk Management in Anlehnung an das COSO Rahmenwerk als konzernweites System von Methoden und Prozessen verstanden, das zum Umgang mit Risiken und Chancen im Zusammenhang mit dem Erreichen der Geschäftsziele von Siemens verwendet wird. Ziel ist nicht nur Downside Risks zu begrenzen sondern auch Upside Gains zu erzielen: ERM soll es dem Management ermöglichen, in Bezug auf Risiken und Chancen wirksam mit Unsicherheiten umzugehen, heißt es bei Siemens. Neben Compliance gehören dazu auf den jeweiligen Ebenen des Konzerns die Bereiche Finanzen, operatives Geschäft und Strategie. Compliance ist bei Siemens inzwischen fest über alle Organisationsebenen im Unternehmen verankert. Im Vorstand verantwortet ein Chefsyndikus das Thema. Auch SAP verfügt über ein solches umfassendes integriertes Risikomanagementsystem. Dieses geht über die gesetzlichen Anforderungen an ein Frühwarnsystem und die reine Betrachtung bestandsgefährdender Risiken hinaus. Compliance-Risiken und auf die Rechnungslegung bezogene Risiken hat das interne Kontrollsystem (IKS) im Blick. Finanzielle, vor allem aber operative und strategische Risiken werden davon abgegrenzt. Insgesamt ist die „Global Governance, Risk und Compliance (GRC)“-Organisation der SAP verantwortlich, die mit einer globalen Risikomanagement-Richtlinie (Global Risk Management Policy) re-
2.5 Strategie unter Unsicherheit
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gelt, wie die bei den dezentralen Einheiten entstehenden Risiken erfasst, kommuniziert und aggregiert werden (vgl. Gans et al. 2012). Das Praxisbeispiel zum Risikomanagement in der BASF-Gruppe ist geeignet, die Überlegungen zum Thema noch einmal zu prüfen und anzuwenden.
Praxisbeispiel: Risikomanagement in der BASF-Gruppe Das Risikomanagement der BASF-Gruppe erfasst alle finanzwirtschaftlichen, leistungswirtschaftlichen und funktionsübergreifenden Risiken aus Unternehmensprozessen. Dazu werden Risikochecklisten und -beiblätter erstellt. Der Inhalt ist wie folgt systematisiert:
Wo kann das Risiko auftreten (Ebene)? Wie kann das Risiko erkannt werden (Risikoindikator)? Welche Informationen gibt es bereits dazu? Wer berichtet risikorelevante Informationen? Gibt es ein spezielles Analyseinstrument? Wie oft wird berichtet/das Risiko beobachtet? Wer ist der Empfänger der Informationen? Wer ist für die Risikosteuerung verantwortlich? Wer ist für das Audit verantwortlich?
Diese Risiken werden über das Intranet zentral erfasst, kategorisiert und quantifiziert und in einem Risikoportfolio aus Schadensausmaß und Eintrittswahrscheinlichkeit dargestellt (vgl. Abb. 2.16). Fragen: 1. Bei welcher Risikokategorie sehen Sie bei der Quantifizierung die größten Schwierigkeiten? 2. Können Worst Case-/Best Case-Szenarien geeignet sein, Risiken zu beschreiben, wenn eine Quantifizierung nicht möglich ist? Quelle: Ettmüller, K.: Risikomanagement in der BASF-Gruppe. In: Controlling 2003, Nr. 12, S. 689–697.
STRATEGISCHE RISIKEN MANAGEN Strategien werden durch vermeidbare, strategische und externe Risiken beeinflusst. Nach dieser eingangs bereits erwähnten Abgrenzung von Kaplan & Mikes (2012) sind strategischen Risiken Wagnisse die ein Unternehmen eingeht, weil es einen besonderen Ertrag erwartet. Etwas weiter definiert sind strategische Risiken Ereignisse, die den Erfolg des Unternehmens gefährden. Dazu gehören beispielsweise (vgl. Slywotzky & Drzik 2005; Olson et al. 2008, S. 56): Zusammenbruch branchenspezifischer Rahmenbedingungen: Wird eine Branche reifer und nimmt in ihr der Wettbewerb zu, kann dies zu Veränderungen führen, welche die Gewinnmargen branchenweit unter Druck setzen. Zu diesen Veränderungen zählen beispielsweise sprunghaft steigende F&E-Kosten und Investitionen in Sachanlagen, die
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2 Ziele
Deregulierung in ehemals öffentlichen Bereichen, die Zunahme der Verhandlungsmacht von Zulieferern und der Kunden etwa durch das Internet im Handel. Technologische Veränderungen und Nachahmer: Produktionsverfahren, Produkte und Dienstleistungen veralten durch technologischen Fortschritt. Dieses Risiko kann sich auch darin äußern, dass ein Patent auf eine noch immer aktuelle und im Hinblick auf den Wettbewerb vorteilbringende Technologie abläuft. Kosten für Rechtsstreite, Milliardenstrafen und Verkaufsverbote sind Risiken in den weltweiten Patentstreitigkeiten zwischen Apple, Google und Samsung, denen die Unternehmen unter anderem durch Firmenübernahmen entgegenzuwirken suchen. Markenerosion oder -kollaps: Der Wert einer starken Marke liegt vor allem darin, dass sie die Gewinnmargen der eigenen Produkte und Dienstleistungen schützt. Der Markenwert leidet, wenn skandalöse Praktiken wie Kinderarbeit oder Umweltverschmutzung aufgedeckt werden oder unerwartete Qualitätsmängel wie explodierende NotebookAkkus oder Blei im Spielzeug auftreten. Einzigartiger Wettbewerber: Neben dem Risiko eines verschärften Wettbewerbs durch billigere oder bessere Konkurrenten entsteht ein Risiko durch einen überragenden Wettbewerber, der mit einem einzigartigen Geschäftsmodell innerhalb kurzer Zeit bedeutende Marktanteile gewinnt. Ein Beispiel dafür ist Apples iPhone oder Toyotas Pionierstellung bei Hybrid-Automobilen. Kundenverlagerung: Verschieben sich die Präferenzen der Kunden in Bezug auf eine bestimmte Produkt- oder Dienstleistungsgruppe, kann das eigene Angebot schnell obsolet werden. Das ist umso dramatischer, je stärker die Abhängigkeit von wenigen Großkunden oder einzelnen kleinen Kundensegmenten ist. Fehlschlagen neuer Projekte: Ein neues Produkt oder eine neue Dienstleistung funktioniert aus technischen oder organisatorischen Gründen nicht, ist für die Zielkunden nicht attraktiv, kann zu schnell von Konkurrenten kopiert werden oder entwickelt sich am Markt nicht wie gewünscht. Ebenso kann eine großangelegte Marketingkampagne, ein bedeutendes IT- oder F&E-Projekt oder eine Übernahme fehlschlagen. Ein Beispiel dafür sind die gescheiterten Versuche von Sony als Branchenstandard Betamax oder die Minidisc durchzusetzen. Innovationsstillstand: Dazu gehört das Unvermögen, in Anbetracht zunehmender Marktsättigung neue Wachstumsquellen zu erschließen oder in einem wachsenden Markt neue Produkte und Dienstleistungen in geeigneter Zeit zu entwickeln. Aktuell ist dies gegenwärtig in der Pharmaindustrie der Fall, die unter ihrer Innovationsschwäche leidet.
Beim Management strategischer Risiken mit der ERM-Methode ist entscheidend, wie der Unsicherheitsgrad (vgl. Kap. 2.5.1) eingeschätzt wird. Liegt eine hinreichend klare Zukunft vor (1. Grad), kann mit einer Sensitivitätsanalyse abgeschätzt werden, wie sich der Erfolg einer Strategie ändert, wenn wichtige Annahmen variiert werden. Bei höheren Graden der Unsicherheit können Szenarios und andere Instrumente des Zukunftsmanagements weiterhelfen (vgl. etwa Fink & Siebe 2006). „Visionsgetriebene Szenarios“ können dazu dienen, über den Tellerrand hinauszuschauen, um langfristig neue strategische Ideen im Dialog zu entwickeln und zu kommunizieren. „Entscheidungsgetriebene Szenarios“ hingegen werden mit einem eher kurzfristigen Zeithorizont benutzt, wenn etwa neue Produkte bei unsicherer Nachfrage auf den Markt gebracht werden. In Situationen mit dem Unsicherheitsgrad 3 und
2.5 Strategie unter Unsicherheit
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4 können regelmäßig nur qualitative Aussagen getroffen werden. Wenn die Strategie es beispielsweise erfordert, dass der Verbraucher das Produkt schneller als sonst annimmt, kann es Sinn machen, diese Strategie zugunsten einer anderen zu verwerfen (vgl. Courtney 2003).
106
2 Ziele
Zusammenfassung 1. Zum Zielsystem des Unternehmens gehören quantifizierte finanzielle Ziele, wie die Rentabilität in einem bestimmten Zeitraum auf mindestens 12 Prozent zu steigern, und qualitative, schwer messbare Ziele, wie eine Vision zu verfolgen, ein neues Geschäftsmodell zu entwickeln und in einen bestimmten Markt einzusteigen. 2. Eine Kernaufgabe des Zielsystems ist die Leistungssteuerung (Performance Management). Als finanzielle Größen zur Unternehmenssteuerung, Unternehmensbewertung und Berichterstattung werden in den vergangenen Jahren zunehmend Kennzahlen eingesetzt, die sich am ökonomischen Gewinn orientieren. Mit dynamischen Finanzkennzahlen, wie dem Discounted Cashflow (DCF), sollen Gestaltungsspielräume des Rechnungswesens erkennbar und die Zeitstruktur der Zahlungsströme berücksichtigt werden. Kapitalmarktorientierte Kennzahlen, wie der Economic Value Added (EVA), berücksichtigen darüber hinaus die Finanzierungstruktur und den Renditeanspruch der Aktionäre. Als problematisch erweist sich jedoch, die Zahlungsströme den Strategien halbwegs willkürfrei zuzuordnen und die Kompliziertheit der Berechnungen, die die Nachvollziehbarkeit und damit die Transparenz einschränkt. Mehr noch gilt dies für die Anwendbarkeit von Realoptionen für die Strategieanalyse. In der Praxis greift man deshalb häufig wieder auf die traditionellen buchhalterischen Kennzahlen zurück. 3. In der Balanced Scorecard werden finanzielle Kennzahlen durch nicht-finanzielle Werttreiber wie die Kunden-, interne Prozess- sowie Lern- und Wachstumsperspektive ergänzt. Dadurch soll ein ganzheitliches Managementsystem implementiert werden, um sich der eigenen Strategie, ihrer kritischen Erfolgsfaktoren und Wirkungszusammenhänge bewusst zu werden. Daran wird unter anderem die „top-down“-Vorgehensweise kritisiert und die Dominanz finanzieller Ziele. 4. Die Mission (der Grundauftrag) des Unternehmens umfasst den nicht-finanziellen Zweck des Unternehmens: Was ist das Geschäft, was sollte es sein? Worin werden die wesentlichen Erfolgsfaktoren gesehen? Was sind die grundlegenden Werte, die Präferenzen des Managements, der Eigentümer und der Mitarbeiter? Wie sieht das Marktumfeld aus? 5. Der Shareholder- und der Stakeholder-Ansatz beschreiben zwei sich diametral gegenüberstehende Perspektiven. Gewinn und Verantwortung müssen sich jedoch nicht ausschließen, sondern können sich ergänzen. Auch die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen (Corporate Social Responsibility) kann ein Mittel zur Wertsteigerung sein. 6. Aus finanzwirtschaftlicher Sicht ist der Zusammenhang, dass hohe Gewinne mit hohen Risiken verbunden sind, bekannt, in der Strategielehre wird er bisher wenig beachtet. Strategien beruhen auf Annahmen über zukünftige Entwicklungen, die bekanntlich unsicher sind. Durchschlagender Erfolg bei einem neuen Produkt oder Produktionsprozess erfordert, die Strategie in einer Weise umzusetzen, die die Anpassung verhindert, wenn die zukünftige Entwicklung anders verläuft als erwartet. Daraus ergibt sich ein Paradox: Strategien mit den größten Erfolgsmöglichkeiten haben zugleich die größte Möglichkeit zu scheitern. Traditionelle Risikomanagementsysteme sollten daraufhin überprüft werden, ob ihre Organisations-
Fragen zur Diskussion
107
und Governancestrukturen zur Natur strategischer Risiken passen, die Methoden zur Identifikation und Beurteilung strategischer Risiken angemessen sind und ob Konzepte zur Erzeugung strategischer Flexibilität vorliegen. Vor diesen Herausforderungen steht aber auch das das moderne integrierte Risikomanagement.
Fragen zur Diskussion 1. Wie unterscheidet sich der Charakter der Ziele in der Zielhierarchie des Unternehmens? 2. Worin besteht der Unterschied zwischen dem ökonomischen Gewinn und dem buchhalterischen Gewinn? 3. Was spricht für ein kapitalmarktorientiertes Wertmanagement, was dagegen? 4. Welche Bedeutung hat die Mission für die Strategieentwicklung? 5. Shareholder- und Stakeholder-Ansatz: Welcher ist richtig? 6. Corporate Social Responsibility. Lassen sich Wertsteigerung und Verantwortung verbinden? Reicht die Selbstverpflichtung des Unternehmens? 7. Kann man Unsicherheit managen?
3
Strategien Grundlagen der Unternehmensführung
Umwelt
Strategien
Organisationsgestaltung Internationale Strategie und Organisation
Unternehmensleistung
Ziele
Internationale Strategie und Organisation
Abb. 3.1
Kapitelübersicht
Im dritten Kapitel erfahren Sie: Was eine Geschäftsstrategie ist und warum bei der Entwicklung des Geschäftsmodells sowohl die Markt- als auch die Ressourcenperspektive zu berücksichtigen sind. Warum im Zentrum der Unternehmensstrategie die Konfiguration des Unternehmens steht und dass dabei das Verhältnis von Reaktionsfähigkeit und Synergie ebenso auszubalancieren ist, wie Kontinuität und schöpferische Zerstörung bzw. Diversifikation und Kerngeschäft. Dass Strategien in Unternehmensnetzwerken im Spannungsfeld zwischen Wettbewerb und Hierarchie angesiedelt sind, unter welchen Bedingungen strategische Partnerschaften vorteilhaft sind und welche Anforderungen durch Outsourcing, Offshoring und Crowdsourcing entstehen.
110
3 Strategien
Überblick Wie bei der Analyse in einem chemischen Labor werden zur Strategieentwicklung Instrumente verwendet. Allerdings geht es hier nicht um einen toten oder belebten Gegenstand, sondern um ein weitaus komplexeres Gebilde – eine Organisation in ihrem gesellschaftlichen Zusammenhang. Es ist daher nicht überraschend, dass die Frage, welche Instrumente wie angewendet werden sollten, nicht immer einhellig beantwortet wird. Strategien werden auf unterschiedlichen Ebenen entwickelt: Für die Geschäftsstrategie (Business Strategy) sind die Strategischen Geschäftseinheiten (Strategic Business Units) verantwortlich, die auf verschiedenen Geschäftsfeldern (Strategic Business Areas) mit Produkten und Dienstleistungen tätig sind. Die zentrale Aufgabe ist es, das Geschäftsmodell im jeweiligen Kontext aus Markt- und Ressourcensicht zu entwickeln. Für die Unternehmensstrategie (Corporate Strategy) ist die Führung des Gesamtunternehmens verantwortlich. Die Geschäftseinheiten werden von Geschäftsbereichen (Divisions) geführt und diese wiederum von der Spitze des Gesamtunternehmens. Die wichtigste Herausforderung ist dabei die Konfiguration des Unternehmens. Bei der Strategie für das Unternehmensnetzwerk (Network Level Strategy) ist die zentrale Frage, wie die Organisation im Verhältnis zu anderen Akteuren (Kunden, Lieferanten und externe Experten) gestaltet werden soll, eher eigenständig oder aber eingebettet in ein Netz von Beziehungen. Dabei wird sich in diesem Kapitel erneut zeigen, dass Paradoxien und gegensätzliche Perspektiven die Strategielehre dominieren (vgl. Abb. 3.2). Wettbewerbsvorteile werden auf Geschäftsfeldebene durch ein entsprechendes Geschäftsmodell erzielt, aber es macht einen Unterschied, ob dieses von den Ressourcen oder aber vom Markt aus entwickelt wird (vgl. Kap. 3.1). Bei der Konfiguration des Unternehmens geht es um das Thema, ob das Unternehmen als Portfolio von autonomen Geschäftseinheiten geführt oder integriert sein sollte – mit einem starken zentralen Kern von gemeinsamen Ressourcen, Aktivitäten und Produktangeboten. Daran schließen sich weitere Fragen an: soll man evolutionär wachsen oder mit der Tradition brechen, soll man diversifizieren oder sich auf das Kerngeschäft konzentrieren (vgl. Kap. 3.2)? Auf Netzwerkebene schließlich kommt es darauf an, ob die Organisation durch distanzierte Marktbeziehungen geprägt wird oder aber eingebettet ist, etwa durch partnerschaftliche Lieferantenbeziehungen (Toyota), strategische Allianzen (Star Alliance) und interaktive Wertschöpfung (Adidas) sowie Crowdsourcing (IBM) (vgl. Kap. 3.3). Eine Alternative zur Partnerschaft ist der Zusammenschluss mit anderen Unternehmen (Merger & Acquisition) oder aber auch die Spaltung von Unternehmen und Restrukturierung (Downsizing). Diese Themen, wie ebenso Funktionalstrategien (Functional Strategies) für Marketing und Vertrieb, Produktion, Forschung & Entwicklung, Personal, Informationstechnologie, Finanzierung und andere mehr werden im Rahmen der vorliegenden Schrift nur angerissen. Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass es aus Sicht der strategischen Unternehmensführung zunächst nachrangig ist, in welchem Land und in welcher Rechtsform das Gesamtunternehmen auch immer tätig ist. Es kommt also weniger darauf an, ob es sich um
3.1 Geschäftsstrategie
111
eine deutsche Aktiengesellschaft, eine französische Société Anonyme oder eine amerikanische Incorporated handelt oder ob das Gesamtunternehmen eher wie ein westlicher Konzern aus Mutter- und Tochtergesellschaften oder aber als wirtschaftlicher Verbund (Keiretsu) nach Art japanischer Unternehmen geführt wird. Kap.
Strategiethema
Strategieparadox
Strategieperspektiven
3.1
Geschäftsstrategie
Märkte vs. Ressourcen
Außen-Innen vs. Innen-Außen
3.2
Unternehmensstrategie
Reaktionsfähigkeit vs. Synergie
Portfolio-Organisation vs. Integrierte Organisation
3.3
Netzwerkstrategie
Wettbewerb vs. Kooperation
Eigenständige Organisation vs. eingebettete Organisation
Abb. 3.2
3.1
Strategieebenen: Thema, Paradox, Perspektive (nach De Wit & Meyer 2010, S. 14)
Geschäftsstrategie
Einstiegsfall: Canon und Sony – Wurzeln des Erfolgs Noch in den 1970er Jahren schien das amerikanische Unternehmen Xerox, mit einem Marktanteil von 93 Prozent weltweit und einem Markennamen der gleichbedeutend für „kopieren“ verwendet wurde, unangreifbarer als irgendein anderes Unternehmen in dieser Branche. Kopierer waren zu dieser Zeit raumfüllende Maschinen, so groß fast wie ein Auto. Aber schon zu Beginn der 1990er Jahre hatte Canon den zweiten Platz als Global Player erreicht und Xerox in der Menge der verkauften Einheiten überholt. Dafür war nicht nur ein neues Endprodukt, die Erfindung des kleinen Tischkopierers, wie wir ihn heute kennen, maßgeblich, sondern eine besondere Strategie. Das Geheimnis für den Erfolg von Canon im Kopierer-Geschäft liegt in seinen Ressourcen und Fähigkeiten, laut Canon “im synergistischen Management der gesamten technologischen Fähigkeiten, in der umfassenden Verbindung von Canons Know-how in den Bereichen der Feinoptik, Feinmechanik, der Mikroelektronik und der angewandten Chemie.“ Anfang der 1990er Jahre haben Prahalad & Hamel für diesen Strategieansatz den Begriff der Kernkompetenz geprägt. Darunter wird eine besondere Fähigkeit eines Unternehmens verstanden, die den Zugang zu unterschiedlichen Märkten erlaubt und von Wettbewerbern nicht leicht angeeignet werden kann. Dieses Strategiekonzept lässt sich mit der Metapher eines Baums veranschaulichen: Kernkompetenzen bilden die Wurzeln, die über die daraus entstehenden Kernprodukte (der Stamm) die Endprodukte (die Äste, Blätter und Früchte) erst hervorbringen – diese wiederum können ganz unterschiedlichen Branchen angehören (vgl. Abb. 3.3). Die Früchte von Canons Kernkompetenzen finden sich in unterschiedlichsten Geschäftsfeldern, von Kameras über Kopierer bis hin zu Masken-Justiergeräten für
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3 Strategien
die Chip-Herstellung. Wer sich nur auf die Endprodukte konzentriert, kann die Stärke seiner Konkurrenten nicht richtig einschätzen. Der Marktanteil ist daher nicht unbedingt ein Ausdruck der Wettbewerbsfähigkeit. Der Anteil an den Kernprodukten ist wichtiger als der Anteil an den Endprodukten. So produzierte damals Canon 84 Prozent aller Aggregate für Tischlaserdrucker, obwohl sein Anteil am Endprodukt gering war. Matsushita hatte einen Weltproduktionsanteil von rund 45 Prozent bei Schlüsselkomponenten für Videorecorder – bei einem Marktanteil am Endprodukt von nur 20 Prozent. Ziel dieser Strategie ist es, den Abnehmern die Motivation zu nehmen, selbst Kernprodukte zu entwickeln. Erfolgreiche japanische Konzerne, so die Autoren, definieren sich als Portfolio von Kernkompetenzen, während die amerikanischen Wettbewerber diese vernachlässigten und ihre Politik vor allem am Kerngeschäft mit Endprodukten ausrichten. Die Autoren sehen in dem auf interne Ressourcen fokussierten Ansatz weniger die Gefahren des Festhaltens am Bewährten, sondern vielmehr Brücken in die Zukunft. Aus der Notwendigkeit, die Strategie anders zu verstehen, ergibt sich die Notwendigkeit, anders über die Organisation zu denken. Die Früchte: Endprodukte CLC 500
etc. Video
etc.
etc
Copy-Baby
EOS
Laserprinter
Laserfax
Die Äste: Geschäftsbereiche Kameras
Kopierer
Laser
Der Stamm: Kernprodukte Linsen
Toner-"Drums"
Die Wurzeln: Kernkompetenzen Feinoptik
Abb. 3.3
Feinmechanik
Mikroelektronik
Lasertechnik
Canon: Von Kernkompetenzen zu Endprodukten (nach Prahalad & Hamel 1991)
Heute kann die Strategie von Sony als Beispiel für eine Strategie gelten, die auf Kernkompetenzen basiert. Als Howard Stringer im März 2005 als erster westlicher CEO das Ruder beim Sony-Konglomerat übernahm, war dieses in fast all seinen Geschäftsbereichen in ernsthaften Schwierigkeiten. Sony Electronics, der größte Bereich, der bis zu 70 Prozent des Gesamtumsatzes einbrachte, machte Verluste. Sony Pictures schien sich mit der Übernahme von MGM verhoben zu haben. Zwischen Sony Music und der Bertelsmann Music Group stiegen die Spannungen; den Kampf um den Fernsehgerätemarkt hatte man an Sharp verloren, der Apple iPod grub der Walkman-Produktlinie das Wasser ab. Ziel der Restrukturierung war es nun, nach dem mittelfristigen strategischen Plan vom September 2005 die Kompetenz von Sony bei der High-Density Technologie (Blu-ray Disc) zur Wurzel seiner Wettbewerbsfähigkeit in seinen Hauptgeschäftsfeldern Elektronik, Spiele und Unterhaltung zu machen. Sony beherrscht diese Technologie hervorragend, sie kann bei
3.1 Geschäftsstrategie
113
vielen Produkten und Märkten angewendet werden, und sie lässt sich vom Wettbewerber nicht leicht kopieren: sie ist mit anderen Worten eine Kernkompetenz. Anstatt die Geschäftsbereiche gegeneinander konkurrieren zu lassen, wird der Wettbewerbsvorteil in der Integration mit der HD-Technologie gesehen. Ziel der „Sony Group Corporate Strategy“ 2008–2010 war es, auf dieser Grundlage das Unternehmen zum führenden globalen Anbieter von „networked consumer electronics and entertainment“ zu machen. Aber der Erfolg lässt auf sich warten. 2011 bricht der Aktienkurs ein; 2012 stuft die Ratingagentur Fitch das Unternehmen auf Ramschniveau herab. Sony hat in wichtigen Wachstumssegmenten den Anschluss verloren. „Sony will change“ und insbesondere seine Entscheidungsprozesse beschleunigen, ist 2012 die Botschaft des neuen Präsidenten und CEO Kazuo Hirai. Fragen: 1. Welche Vorteile hat eine Strategie, die sich auf Kernkompetenzen konzentriert? 2. Welche Risiken sind damit verbunden? Quellen: Ackenhusen, M.: Canon – Competing on capabilities. In: Mintzberg, H. et al., The Strategy Process, London 1995, S. 257–277; Prahalad, C.K. & Hamel, G.: Nur Kernkompetenzen sichern das Überleben. In: Harvard Business Manager 1991, Nr. 2, S. 66–78; Kumar, K.: Howard Stringer. Turning Sony Around. ICFAI Business School Case-Study Nr. 307-280-1, Chennai 2007; www.sony.net; Wirtschaftspresse vom 22.11.2012.
Der Einstiegsfall zeigt, dass die Frage, aus welcher Perspektive Strategien entwickelt werden eine erhebliche Bedeutung für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen hat: etwa entlang der Marktanforderungen oder aber von den Kompetenzen, also von der Ressourcenbasis her. Ausgangspunkt der folgenden Darstellung ist das Geschäftssystem, das aus unterschiedlichen Perspektiven analysiert und entwickelt wird: sowohl vom Produktangebot und der Positionierung am Markt als auch vom Aktivitätssystem und der Ressourcenbasis ausgehend. Im Anschluss daran geht es um die Strategieformulierung und -umsetzung auf Geschäftsebene.
3.1.1
Elemente des Geschäftssystems
Die oberste Führungsebene hat die Aufgabe, die Ziele und Strategie des Unternehmens festzulegen, um den Rahmen zu setzen, innerhalb dessen die einzelnen Geschäftsbereiche ihre individuellen Strategien entwickeln können. Im Marktumfeld kommt es darauf an, gegenüber den Konkurrenten in der gleichen Branche möglichst einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil zu erreichen. Ob ein Unternehmen Erfolgspotenziale in einer Branche hat, hängt vom Geschäftssystem (bzw. Geschäftsmodell) ab, das es für eine bestimmte Geschäftsumwelt entwickelt hat bzw. mit dem es diese verändert. Geschäftssysteme lassen sich für das einzelne Geschäft, für verbundene Geschäfte auf Konzern- und Netzwerkebene sowie für ganze Branchen, wie „König“ Fußball (vgl. Karpavicius & Jucevicius 2009) entwickeln. Das Thema kam mit dem Internet-Hype um das Jahr 2000 auf und war damals umstritten. Für den Management-Guru Gary Hamel (Hamel 2000, S. 19) „findet der Wettbewerb nicht länger zwischen Produkten oder Dienstleistungen statt, sondern zwischen Geschäftskonzepten.“ Der nicht weniger berühmte Michael Porter (2001, S.73) schreibt hingegen wenig später, nachdem die Börsenblase geplatzt ist: „Die Definition eines Geschäftsmodells ist bestenfalls dunkel. (...) Der Geschäftsmodell-Ansatz ist eine Einladung zum fehlerhaften Denken und zur Augenwischerei.“
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3 Strategien
Ein Geschäftssystem ist „eine Konfiguration von Ressourcen (Inputs), Aktivitäten (Throughput) und Produkt- und Dienstleistungsangeboten (Output), die Wert für den Kunden schaffen sollen – es ist die Art und Weise, wie ein Unternehmen sein Geschäft betreibt.“ (De Wit & Meyer 2010, S. 236; anders Hungenberg 2008, S. 152 ff.) Das Grundmodell besteht aus den Elementen Produktangebot, Aktivitätssystem und Ressourcenbasis (vgl. Abb. 3.4): Ein Wettbewerbsvorteil entsteht, wenn das Geschäftssystem ein höheres Wert- oder Nutzenversprechen für den Käufer (Customer Value Proposition) erzeugt, als die Konkurrenz. Merkmale dafür sind ein Mix aus Preis, Verfügbarkeit, Qualität, technischen Eigenschaften, Image, Farbe, Geschmack usw. Das Marketing nutzt dazu die Instrumente der Produkt-, Preis-, Distributions- und Kommunikationspolitik (Product, Price, Place, Promotion) (vgl. u.a. Kreutzer 2010). Plattformen oder Netzwerke sind für eine Kundengruppe von Wert, wenn sie auch anderen Kundengruppen den Zugang verschaffen. Beispiele dafür sind Visa, Google, Ebay, Microsoft Windows (vgl. Osterwalder & Pigneur 2011). Vorausgesetzt ist dabei, dass ein Unternehmen über ein entsprechendes Aktivitätssystem in den Kernfunktionen wie Forschung & Entwicklung, Beschaffung und Logistik, Produktion, Marketing und Vertrieb sowie Service verfügt, hier als Wertkette (Value Chain) bezeichnet. Eine weitere Komponente des Geschäftssystems ist die Ressourcenbasis, die benötigt wird, um wertschöpfende Aktivitäten zu erzielen. Dazu gehören unter anderem das Know-how und Motivation der Mitarbeiter, Patente, Betriebe, Kapital und Beziehungen zu Kunden und Lieferanten, die die Basis für ein überlegenes Produkt- und Dienstleistungsangebot bilden. Dieses einfache Grundmodell wird in den folgenden Kapitel 3.1 und 3.2 auf Mehrgeschäfts- und Netzwerkebene weiterentwickelt. Märkte
Innen – Außen – Perspektive
Abb. 3.4
Aktivitätssystem (Wertkette)
Außen – Innen – Perspektive
Produktangebot
(Wertversprechen)
Ressourcenbasis (Wertausstattung)
Komponenten eines Geschäftssystems (nach De Wit & Meyer 2010, S. 259)
3.1 Geschäftsstrategie
115
Das Geschäftssystem (oder das Geschäftsmodell, wie es überwiegend genannt wird) ist bei der Gründung (Start-Up) und bei der Neuausrichtung von Unternehmen besonders aktuell. Ein einzigartiges Geschäftsmodell kann vom Kaufmotiv (Produkt- und Dienstleistungsangebot) ausgehend entwickelt werden, ohne aber das Aktivitätssystem und die Ressourcenbasis zu vernachlässigen. Dabei sind die Dynamik des Wandels und die Koordination sämtlicher Elemente zu beachten, wie die folgenden Beispiele aus der Touristik- und Handelsbranche zeigen: Der Tourismuskonzern TUI muss zum einen dem Preisdruck im traditionellen Massenmarkt standhalten, zum anderen aber auch individueller Reisenden etwas bieten. Hinzu kommt, dass Kunden sich ihre Reisen online selbst zusammenstellen und Wachstumsmärkte außerhalb Westeuropas entstehen. Ein anderes Beispiel ist der Einzelhandel: Strukturwandel, Verdrängungswettbewerb und Überkapazitäten prägen die Branche. Modeketten und Discounter verdrängen Kaufhäuser und Onlinehäuser wie Amazon und Co. bedrohen selbst Branchengrößen wie den Otto-Konzern oder die Saturn- und Media-Markt-Kette. Statt sich im weiter im Tagesgeschäft zu verzetteln, sollten Unternehmen sich am Geschäftsmodell orientieren, um „Strategien kohärent zu definieren und erfolgreich umzusetzen“ (Rudolph 2009, S. 21). Dominante Geschäftsmodelle im Einzelhandel sind nach Rudolph der Global Discounter (Aldi), der Content Retailer (Zara) und der Channel Retailer (Amazon). Ein strategischer Leitstern ist dabei das besondere Wertversprechen (Kaufmotiv). Die Ressourcensicht darf aber nicht vernachlässigt werden: Die Koordination sämtlicher Elemente ist für den Erfolg entscheidend (vgl. Praxisbeispiel). Auch im Großhandel hängt der Geschäftserfolg von der Profilierung der Geschäftsmodelle ab. Diese variieren je nach Aktivitätssystem, d.h. Leistungsbereich und Branche (vgl. Zentes u.a. 2006). Allerdings ist die Orientierung an einer einzelnen „Best Practice“ nicht ohne Tücken, man sollte besser in Systemen denken (vgl. Pfeffer & Sutton 2007). Auch andere und weniger einseitig orientierte Geschäftsmodelle können erfolgreich sein. Dies liegt daran, dass nicht nur andere Profilierungsstrategien, sondern auch Wachstums-, Kooperations- und Internationalisierungsstrategien relevant und Strategien nicht unabhängig voneinander sind (vgl. Liebmann u.a. 2008). Dominante Handelskonzerne wie Edeka, Metro und Rewe halten sich nicht an Branchengrenzen und verbinden Geschäftsmodelle.
Praxisbeispiel: Aldi, Zara und Amazon – Positionierung im Einzelhandel Alarmstimmung: Wie kaum eine andere Branche ist der Einzelhandel unter Druck. Traditionsunternehmen, Kaufhäuser wie Karstadt oder die Baumarktkette Praktiker kämpfen ums Überleben oder wurden abgewickelt, wie die Drogeriekette Schlecker und der Versandhändler Neckermann. Die durch Überkapazitäten ausgelöste Verdrängungskonkurrenz und der wachsende Onlinehandel beschleunigen den Niedergang traditioneller Handelsformate. Neu ist: Der Kunde steht online im Laden oder bestellt gleich bei Amazon und Co. Veränderung findet vom Rand statt: Der Onlinehandel macht zwar immer noch weniger als ein Zehntel des Einzelhandels aus, ist aber von 2005 bis 2011 um 80 Prozent ge-
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3 Strategien
stiegen. Welche Chancen hat der klassische Handel noch, wenn selbst Branchengrößen wie der Otto Konzern oder die Media Markt/Saturn-Kette Federn lassen müssen? Die Profilierung des Geschäftsmodells ist eine Antwort auf diese Entwicklung. Rudolph (2009, S. 22 f.) ermittelt drei international erfolgversprechende Geschäftsmodelle im Einzelhandel: den Global Discounter, den Content Retailer und den Channel Retailer. „Aldi ist ein klassischer Fall eines Global Discounters. Die Unternehmensphilosophie entspricht dem Leistungsversprechen ‚Gute Qualität zu Tiefstpreisen‘. Um dieser Leitidee gerecht zu werden, beschränkt sich Aldi auf ca. 1000 bis 1500 Artikel, ein standardisiertes Ladengestaltungskonzept, sehr effiziente Organisationsprinzipien und ein klares Bekenntnis zum Discountkonzept. Jeder Mitarbeiter im Unternehmen soll seinen Beitrag leisten, um die Preisführerschaft weiter zu verbessern, egal, ob er in Einkauf, Logistik, Warenwirtschaft, Informatik, Lagerhaltung oder Verkauf tätig ist. Zara folgt dem Geschäftsmodell des Content Retailers, welcher stets die aktuellsten Modetrends aufgreift und sich durch innovative Mode beim Kunden profiliert. ‚Cutting Edge Fashion‘ zu bezahlbaren Preisen – das ist es, wofür Zara aus Sicht des Konsumenten steht. Um sicherzustellen, sich stets am Puls der Zeit zu bewegen und die Kunden durch permanente Innovationen zu begeistern, benötigt Zara einerseits fundierte Markt- und Trendanalysen, andererseits eine Supply Chain, welche eine schnelle und flexible Reaktion auf sich verändernde Konsumentenbedürfnisse zulässt. Dazu Miguel Diaz, Senior Marketing Manager Zara: ‚It is critical for us to have five fingers touching the factory and the other five touching the consumer.‘ Amazon setzt als Channel Retailer auf ein Höchstmaß an Auswahl sowie individuelle Serviceangebote für seine Kunden. Die Vision von Amazon versinnbildlicht das gewählte Geschäftsmodell: ‚We seek to offer earth’s biggest selection and to be earth’s most customer-centric company, where customers can find and discover anything they may want to buy online.‘ Individuell auf den Kunden und sein Profil zugeschnittene Lösungen und personalisierte Angebote dienen dazu, dem Konsumenten den Einkauf bei Amazon möglichst bequem und einfach zu gestalten, und stehen damit im Vordergrund. Um jedem Kunden ein Höchstmaß an Auswahl und Bequemlichkeit beim Online-Shopping zu bieten, bedarf es eines engen und guten Beziehungsnetzes zu Herstellern und Verteilern. Neben seinem eigenen Produktportfolio bietet Amazon auch Drittanbietern (beispielsweise Kunden) eine Plattform zum Verkauf eigener gebrauchter Produkte an.“ Auch im Groß- und Außenhandel hängt der Erfolg von der Profilierung des Geschäftsmodells je nach Wertschöpfungspartner und Leistungsbereich ab. Rewe beispielsweise ist Gastronomie-Branchenspezialist im Bereich der Beschaffung und Logistik. Andererseits ist die Profilierung und Positionierung nur eine mögliche Wettbewerbsstrategie und reicht gegen die Verdrängungskonkurrenz nicht aus.
3.1 Geschäftsstrategie
117
Fragen: 1. Welche Chancen und welche Risiken verbinden Sie mit der Profilierung des Geschäftsmodells? 2. Hat der klassische Handel gegenüber der Online-Konkurrenz noch Chancen, wenn selbst Branchengrößen wie der Otto oder Media Markt/Saturn Federn lassen müssen? 3. Die reichsten Deutschen haben ihr Vermögen im Einzelhandel gemacht. Ist diese Branche für Sie attraktiv? Warum? Warum nicht? Quellen: Brauck, M.: Mensch gegen Maschine. In: Der Spiegel 2012, Nr. 30, S. 60–64; Rudolph, Th.: Erfolgreiche Geschäftsmodelle im Detailhandel. In: Die Volkswirtschaft 2006, Nr. 6, S. 20–23; Zentes, J. Innovative Geschäftsmodelle und Geschäftsprozesse im Großhandel. Frankfurt a.M. 2007.
Eine erweiterte Version dieses Grundmodells haben Osterwalder & Pigneur (2011) als Business Model Canvas entwickelt. Dazu gehören: Schlüsselressourcen, Schlüsselaktivitäten und Wertangebote für den Kunden, wie bisher dargestellt; Schlüsselpartner und die Kostenstruktur werden inputseitig hinzugefügt; Kundenbeziehungen, Vertriebskanäle, Kundensegmente und Einnahmequellen werden outputseitig einbezogen. Mit diesem Werkzeug zum Beschreiben, Analysieren und Entwerfen von Geschäftsmodellen können Muster führender Unternehmensstrategien neu interpretiert werden. Der Welterfolg von Apple beispielsweise beruht auf innovativen Geschäftsmodellen, auf „The Next Big Thing“ (Steve Jobs). Nach der Einführung des iTunes/iPod-Geschäftsmodells im Oktober 2001, des iPhones im Januar 2007 und des iPads im Januar 2010 vervielfachten sich die Einnahmen von Apple. Zuvor hatte Apple Schwierigkeiten, angesichts mächtiger Rivalen wie IBM und Microsoft, zu überleben (vgl. Amit & Zott 2012). Unternehmen verändern ihre Umwelt durch innovative Geschäftsmodelle (vgl. Rall & König 2006; Christensen et al. 2009; Kim & Mauborgne 2009). Beispiele dafür sind die Selbstbaumöbel von IKEA, Billig-Fluggesellschaften wie Southwest-Airlines und Easyjet, Dienstleister in der Bauindustrie wie Bilfinger Berger und Hilti (vgl. Praxisbeispiel) und die Revolutionierung der mobilen Unterhaltung durch Apple. Die Kombination iPod/iTunes, 2003 eingeführt, entwickelte sich in nur drei Jahren zu einem Produkt im Wert von beinahe zehn Milliarden US-Dollar. Ursache dieses Erfolgs in einer Branche, die durch das illegale Herunterladen unter Druck steht, war ein innovatives Geschäftsmodell: „Apple tat etwas weitaus Klügeres, als lediglich eine solide Technik mit einem schicken Design zu präsentieren. Apple verpackte nämlich eine solide Technik mit einem großartigen Geschäftsmodell. Das eigentlich innovative war, dass Apple das Herunterladen digitaler Musik einfach und praktisch gestaltete. Zu diesem Zweck verknüpfte das Unternehmen Hardware, Software und Service miteinander. Dieser Ansatz funktionierte wie das berühmte Rasierklingen-und-Rasierer-Modell von Gillette, nur umgekehrt: Im Grunde hat Apple die ‚Rasierklingen‘ (iTunes-Musik, niedrige Gewinnspanne) verschenkt, um den Kauf des ‚Rasierers‘ (iPod, hohe Gewinnspanne) zu er-
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3 Strategien
zwingen. Dieses Modell hat den Begriff ‚Wert‘ neu definiert und dem Verbraucher eine ganz neue Art von Komfort geboten.“ (Christensen et al. 2009, S. 38) Vom Nutzenversprechen für den Kunden ausgehend sind Schlüsselprozesse und -ressourcen zu entwickeln und dabei die Gewinne im Auge zu behalten. Twitter beispielsweise, der zunehmend beliebte Internet-Kommunikationsdienst, hatte, anders als Google und andere, die bei der Werbung verdienen, bis 2009 keinen Umsatz. Das Geschäftsmodell lebte von der Hoffnung, dass Microsoft oder Google diesen Dienst mit seinen Angeboten kombiniert. Im Oktober 2009 ist es soweit. Das 2006 gegründete Unternehmen, erhält aus Partnerschaften mit Microsoft und Google 25 Millionen US-Dollar und soll damit erstmals einen Gewinn erzielen. 2011 wird der Wert von Twitter auf 8 Milliarden US-Dollar geschätzt. Diese Ausrichtung auf innovative Geschäftssysteme wird von Kim & Mauborgne (2009) als Blue Ocean Strategie vermarktet. Anstatt den Wettbewerb im Red Ocean gesättigter Märkte und etablierter Branchen zu suchen, sollten Unternehmen neue Märkte schaffen und der Konkurrenz ausweichen. Der Erfolg einer Strategie hängt davon ab, ob die Komponenten des Geschäftssystems abgestimmt entwickelt werden und die dazugehörigen Anspruchsgruppen – die Mitarbeiter, Kunden, und Anteilseigner – ein entsprechendes Nutzenversprechen erhalten. People Proposition, Value Proposition, Profit Proposition: Fehlt eine Komponente dieses Dreiklangs, stellt sich der Erfolg nicht ein. Ein Beispiel dafür ist der Online-Musik-Provider Napster, dem es nach Gründung im Jahre 1999 durch sein Wertversprechen in kurzer Zeit gelang mehr als 80 Millionen registrierte Nutzer zu gewinnen, der jedoch an rechtlichen Hürden scheiterte, bevor er ein Gewinnversprechen aufbauen konnte. Apple hingegen ist im gleichen Geschäftsfeld durch ein innovatives Geschäftsmodell erfolgreich (vgl. auch Kap. 4.6.1). Eine grundlegende Umwälzung aller Geschäftssysteme, eine „Revolution der Innovation“ erwarten Prahalad & Krishnan (2009), Professoren an der Michigan University und anerkannte Experten für neue Strategietrends. Danach sollen Unternehmen das globale Ressourcennetz nutzen, um gemeinsam mit ihren Kunden einzigartige Kundenerfahrungen zu erzeugen. Innovationstreiber ist die Informationstechnologie, die die Individualisierung und globale Ressourcenbeschaffung erst möglich macht. Unternehmen müssen lernen, sich auf den einzelnen Kunden zu konzentrieren, selbst wenn sie hundert Millionen Kunden haben. Beispiele sind iTunes und Amazon, die die Vorlieben jedes einzelnen Kunden kennen und in passende Angebote umsetzen. Dies gelingt nur, wenn die Menschen als Individuen behandelt werden. Die Individualität, die Einzigartigkeit des Menschen in all seinen Rollen (Kunde, Mitarbeiter, Investor, Lieferant und Bürger) anzuerkennen, wird eine Voraussetzung für erfolgreiche Wertgenerierung. Demgegenüber ist allerdings zu bedenken, dass die Menschen sich, je nach Landeskultur, nicht nur als Individuen, sondern auch als Teil von Gruppen verstehen. In China gibt es dazu ein Sprichwort: „Der Nagel, der herausragt, wird in das Brett gehämmert“.
3.1 Geschäftsstrategie
119
Praxisbeispiel: Wie Hilti zum Dienstleister wurde Hilti, ein auf seinem Gebiet weltweit führendes Liechtensteiner Unternehmen in Familienbesitz mit 22.000 Mitarbeitern und 3,3 Mrd. Euro Umsatz, ist nicht nur für seinen pneumatischen Bohrhammer bekannt, sondern auch für seine Management-Innovationen. Dazu gehören ein neu erfundenes Geschäftsmodell (vgl. Abb. 3.5) und eine besondere Unternehmenskultur. Nach Christensen, Johnson und Kagermann ist das veränderte Geschäftsmodell entscheidend dafür, dass neue Märkte erschlossen werden konnten: „Hilti hat eine große Chance zur Steigerung der Rentabilität genutzt, indem das Unternehmen Produkte in eine Dienstleistung umwandelte. Anstatt Werkzeuge (zu stetig sinkenden Preisen) zu verkaufen, bietet Hilti nun einen Service an, mit dem die richtigen Werkzeuge zum richtigen Zeitpunkt bereitgestellt werden, ohne Reparatur- oder Lageraufwand für den Kunden. Für einen solch radikalen Wandel beim Nutzenversprechen für den Kunden mussten alle Elemente des Geschäftsmodells verändert werden.“
Traditioneller Hersteller von Elektrowerkzeugen
Hilti-Flottenmanagement
Verkauf von Industrie- und Profielektrowerkzeugen und Zubehör
Nutzenversprechen für den Kunden
Vermietung eines umfassenden Werkzeugarsenals, um die Produktivität des Bauunternehmens vor Ort zu erhöhen
Niedrige Margen, hoher Lagerumschlag
Gewinnformel
Höhere Margen, ressourcenintensiv, monatliche Zahlung für Werkzeugwartung, -reparatur und -ersatz
Vertriebskanal, kostengünstige Produktion in Entwicklungsländern, Forschung & Entwicklung
Schlüsselressourcen und -prozesse
Stark ausgeprägter Direktverkauf, Vertragsverwaltung, IT-Systeme für die Bestandsverwaltung und Reparatur, Lagerhaltung
Abb. 3.5
Hilti-Geschäftsmodell (Christensen et al. 2009, S. 43)
Zu den Schlüsselressourcen und -prozessen gehören in diesem Zusammenhang aber auch die sogenannten „weichen“ Erfolgsfaktoren: 2003 erhielt Hilti den Carl-Bertelsmann-Preis für seine „vorbildliche Unternehmenskultur“ (vgl. dazu Kapitel 4). „Der Erfolg von Hilti sei das Ergebnis einer positiven Wechselbeziehung zwischen den Elementen Mitarbeiterzufriedenheit, Kundenzufriedenheit und wirtschaftlicher Ertragskraft“, heißt es. Hilti selbst bekennt sich auf seiner Homepage zur Stakeholder-Value-Orientierung: „Hilti lebt klare Werte und orientiert sich am Stakeholder-Value-Ansatz. Das Unternehmen bezieht die Interessen aller mit dem Unternehmen verbundenen Partner – Kunden, Lieferanten und Mitarbeiter – in die Überlegungen ein und nimmt auch die Verantwortung für Gesellschaft und Umwelt aktiv wahr. Das führt zu einer Vertrauensbasis, die den langfristigen Erfolg des Unternehmens ermöglicht.“
120
3 Strategien
Fragen: 1. Auf welche Komponenten des Geschäftssystems (bzw. Geschäftsmodells) kommt es bei Hilti an? Welche Bedeutung haben weitere Komponenten des Organisationssystems? 2. Kennen Sie ähnliche Beispiele für Unternehmen, die mehr im Dienstleistungsbereich wachsen? Ist die Rentabilität zum Ende der Wertkette hin grundsätzlich höher? Quelle: Christensen, C.M. et al.: Wie Sie Ihr Geschäftsmodell neu erfinden. In: Harvard Business Manager 2009, Nr. 4, S. 37–49; hier S. 42 f.; www. bertelsmann-stiftung.de; www.hilti.com, abgefragt am 4.12.2012.
Die Frage, aus welcher Perspektive das Geschäftssystem entwickelt werden soll (vgl. erneut Abb. 3.4), wird in der Managementlehre kontrovers diskutiert: Beim Market Based View wird das Geschäftssystem von Außen nach Innen entwickelt, vom Markt und vom Nutzenversprechen für den Kunden, von den Chancen und Bedrohungen des Umfelds. Der Resource Based View hingegen geht von Innen nach Außen vor, von der Ressourcenbasis aus, den Stärken und Schwächen des Unternehmens. Beide Sichtweisen sind in der Strategielehre wie in der Praxis außerordentlich relevant. Bereits der Einstiegsfall zu Canon und Sony illustrierte, dass eine Strategieperspektive, die von den Ressourcen ausgehend die Märkte bearbeitet, zu anderen Ergebnissen führt, als eine Perspektive, die von den Märkten ausgeht. Dies wird bei der näheren Betrachtung des Geschäftssystems deutlicher.
3.1.2
Chancen und Bedrohungen: Produktangebot und Positionierung am Markt
PRODUKTANGEBOT ANALYSIEREN Beim Produktangebot stellt sich zunächst die Frage der Geschäftsfeldabgrenzung. Dies ergibt sich daraus, dass Unternehmen, die sich nicht auf einen begrenzten Umfang von Produkt-Marktkombinationen einstellen, Nachteile haben. Dazu gehören: Geringe Größenvorteile. Aktivitäten und Ressourcen können nicht zielgerichtet eingesetzt werden. Weniger Lernvorteile. Je weniger ein Unternehmen spezialisiert ist, desto weniger können das besondere Aktivitätssystem und die besondere Ressourcenbasis ausgebildet werden. Unklare Markenimages und Unternehmensidentität. Das Unternehmen steht für alles und nichts. Hohe organisatorische Komplexität. Mit den Produkten und Märkten wächst die organisatorische Komplexität und damit das Problem, diese zu beherrschen. Begrenzte Flexibilität. Weniger spezialisierte Unternehmen sind leichter organisatorisch überfordert, sich zu verändern.
3.1 Geschäftsstrategie
121
Eine Branche ist dadurch definiert, dass eine Anzahl von Unternehmen ähnliche Produkte oder Dienstleistungen mit ähnlichen Wertschöpfungsaktivitäten und Ressourcen herstellen. Branchen sind durch Ähnlichkeiten auf der Angebotsseite charakterisiert, ob es sich nun um den primären Sektor, wie die Landwirtschaft oder die Ölförderung, handelt, oder um den sekundären Sektor, wie die Nahrungsmittel- und Chemieindustrie, oder schließlich um den tertiären Sektor, wie den Lebensmitteleinzelhandel oder das Bankgewerbe. Märkte werden gewöhnlich definiert als Gruppe von Kunden mit ähnlichen Bedürfnissen; hier handelt es sich um eine Ähnlichkeit auf der Nachfrageseite. So kann der Markt etwa für den Transport von Berlin nach Paris von unterschiedlichen Branchen bedient werden – von der Luftfahrt oder der Eisenbahn, vielleicht aber auch der Schifffahrt. Theodore Levitt, der als deutscher Emigrant später als Professor an der Harvard Business School berühmt wurde, hat die These entwickelt, dass ein Unternehmen seine Geschäftsfelder nach den bleibenden Marktbedürfnissen definieren sollte, anstatt nach den vergänglichen Produkten oder der Branche, in der es tätig ist (vgl. Levitt 1983; Kotler & Bliemel 2001). Bei der Bahn wäre der produktorientierten Definition „Wir betreiben eine Eisenbahnlinie“ die marktorientierte Definition „Wir bieten pünktlichen Transport“ vorzuziehen, bei Revlon hieße es statt „Wir stellen Kosmetika her“ besser „Wir verkaufen Hoffnungen auf Schönheit“. Kritiker machen sich darüber lustig. So wurde ernsthaft behauptet, die Hersteller von Pferdepeitschen würde es trotz der Verdrängung von Pferdekutschen durch das Automobil heute noch geben, wenn sie sich zur gegebenen Zeit als Verkäufer von Starthilfen verstanden hätten. Dabei hätte das Produkt damals und heute absolut nichts gemein – nicht das Material, die Technologie, die Ressourcen. Ironisch wurde bemerkt, treffender als „Starthilfen“ wäre „Geißelungsmarkt“ gewesen (vgl. Mintzberg et al. 1999). Das Konzept des Harvard-Professors Derek Abell (1980) hat sich durchgesetzt, bei der Festlegung des Geschäftsfelds eines Unternehmens drei Dimensionen zu berücksichtigen: die Kundengruppen, an die es sich wendet, die Kundenbedürfnisse, die es befriedigt und die Technologie zur Erfüllung dieses Zwecks. Der Vorteil dieser Abgrenzung ist, dass neben der Marktperspektive die Aktivitäten sowie die Ressourcenperspektive angesprochen werden. Typische Geschäftsfelder, die manchmal auch als Geschäftsbereiche bezeichnet und weiter untergliedert werden, sind etwa bei der Lufthansa Passagierbeförderung, Logistik, Technik, Catering und IT-Services, bei der Commerzbank sind es private Kunden, Asset Management, Firmenkunden und Investment Banking. Eher aus Marktsicht werden die drei Dimensionen für Marken-Cluster im folgenden Beispiel zur Automobilbranche gebildet (vgl. Abb. 3.6). Die Unternehmensberatung Mercer hat 6 Marken-Cluster identifiziert und 71 Marken diesen Marken-Clustern zugeordnet. Jedes Marken-Cluster steht für eine Markenausprägung, für eine Differenzierung am Markt, denen bestimmte Wertschöpfungsstrategien zugeordnet werden (vgl. Mercer & IML 2004).
122
3 Strategien
3 Dimensionen für Marken-Cluster
Marken-Cluster
Anzahl Marken
Masse, Preis, Komfort
30
Masse, Preis, Sport
5
Masse, Qualität, Komfort
7
Premium, Preis, Komfort
2
Premium, Qualität, Komfort
10
Premium, Qualität, Sport
17
Beispiele
Premium
Masse
Komfort
Sport
Abb. 3.6
Preis Qualität
Markencluster in der Automobilbranche (Mercer & Fraunhofer 2004)
Strategischen Geschäftseinheiten (Strategic Business Units) sind organisatorische Einheiten, mit denen die Strategischen Geschäftsfelder (Strategic Business Areas) bearbeitet werden. Strategische Geschäftseinheiten umfassen ein einzelnes oder mehrere Geschäftsfelder, haben einen eigenen Kreis von Wettbewerbern und werden von einem Manager geleitet, der für die strategische Planung und Ergebnisse auf dieser Ebene verantwortlich ist. Größere Unternehmen bestehen also aus verschiedenen Geschäftsbereichen, die von der Unternehmenszentrale gesteuert werden und die mehr oder minder miteinander kooperieren.
UMFELDANALYSE BETREIBEN Ausgangspunkt der Umfeldanalyse sind die Chancen und Risiken, die das Umfeld im Vergleich zu den Stärken und Schwächen des Unternehmens bietet. Dazu gehören zunächst die allgemeinen Umfeldfaktoren insgesamt, seien sie nun politischer, ökonomischer, soziokultureller oder technologischer Art (PEST-Analyse: Political, Economical, Sociocultural, Technological Influences). Hierbei gilt die Aufmerksamkeit denjenigen Schlüsselfaktoren, die aktuell den Wandel antreiben, gegebenenfalls als PESTEL ergänzt um ökologische und rechtliche Faktoren (vgl. Abb. 3.7). Dazu wird man heute beispielsweise die Anforderungen der Globalisierung, des Internets und der Auflösung des Normalarbeitsverhältnisses rechnen. Mit der Methodik des vernetzten Denkens lassen sich auch komplexe Ursache-WirkungsKetten darstellen (vgl. Probst & Gomez 1991). Die eigentliche Schwierigkeit liegt darin, die Wirkungen dieser Umwälzungen richtig einzuschätzen. So sind die Angleichung der Verbrauchsgewohnheiten, Kostenvorteile, Regierungseinfluss und globaler Wettbewerb in der Automobilindustrie seit längerem schon mächtige Treiber der Globalisierung, allerdings erst in jüngster Zeit bei Arzneimitteln. Früher dominierte die Schlussfolgerung, dass sich hieraus der „Zwang zur Größe“ ergebe. Heute, nach den Erfahrungen etwa mit der sogenannten „New Economy“, wird man hinzufügen, dass es ebenfalls darauf ankommt, „schnell“ zu sein und auf individualisierte Kunden- und Mitarbeiterbedürfnisse einzugehen. Bei hoher Unsicherheit kann die Szenario-Technik hierfür ein geeignetes Planungsinstrument sein. So kön-
3.1 Geschäftsstrategie
123
nen beispielsweise die Auswirkungen des Klimawandels analysiert werden, indem aus den Daten der bisherigen Entwicklung ein Trendszenario für die Zukunft entwickelt wird. Zur Abschätzung dient weiter die Darstellung der bestmöglichen Entwicklung (Best Case) und der schlechtesten Entwicklung (Worst Case), wobei die Spannweite der Möglichkeiten mit der Fortdauer der Zeit zunimmt, häufig dargestellt als sogenannter Szenario-Trichter. Die Bedeutung der Themen Grenzen des Wachstums und Klimawandel zeigt auch, dass die PEST-Analyse durch die ökologische Dimension erweitert werden sollte; sie heißt dann PESTE, wobei das E für „Ecological“ steht. Technologischer Wandel Mobiles Internet
Besondere Internationale Ereignisse
Sozialer Wandel
T
Die Europäische Union verbietet hormonbehandeltes Fleisch
Wachsende Erwerbstätigkeit von Frauen
Branche
P Wieder zunehmende staatliche Regulierung
Politische und rechtliche Bedingungen
Unternehmen
E Instabilität des Wachstums
S Verändertes Image von Komfort-Geländewagen (SUV)
Kulturelle Trends
Wirtschaftliches Klima Abb. 3.7
Beispiel für eine PEST-Analyse
Mit der Wettbewerbsanalyse wird die Struktur in den jeweiligen Branchen, in denen die Strategischen Geschäftseinheiten tätig sind, analysiert. Dazu hat Michael Porter, HarvardProfessor und einer der führenden Experten auf dem Gebiet des Strategischen Managements, die sogenannte 5-Kräfte-Branchenanalyse entwickelt (vgl. ders. 1979; 2008 und Abb. 3.8) Branchen sind attraktiv, wenn sie Wettbewerbsvorteile gegenüber der Konkurrenz erlauben. Die 5-Kräfte-Analyse ist deshalb bedeutend, weil sie den in der Praxis dominierenden Blick auf die Konkurrenz innerhalb einer Branche, ausgefochten mit der Preis- und Produktpolitik, um andere Perspektiven erweitert: Der Wettbewerb zwischen den etablierten Unternehmen innerhalb der Branche ist groß, wenn der Konzentrationsgrad und das Branchenwachstum niedrig ist, wenn Austrittsbarrieren und Überkapazitäten bestehen, wenn Unternehmen ihrer Branche verpflichtet sind und die Informationslage komplex ist, und wenn ein anhaltender Preiswettbewerb besteht.
124
3 Strategien
Für die Markteintrittsbedrohung ist beispielsweise wesentlich, ob Größenvorteile vorliegen, die den Marktzugang für neue Wettbewerber erschweren. Abnehmermacht liegt beispielsweise vor, wenn die Größe und Konzentration der Käufer im Verhältnis zu den Produzenten hoch sind. Für kleine und mittlere Lebensmittelhersteller wird dies der Fall sein, wenn der wichtigste Kunde ein großer Discounter wie ALDI ist. Lieferantenmacht liegt etwa vor, wenn diese Möglichkeiten zur Vorwärtsintegration nutzen können. So drängt etwa Flextronics, einer der weltweit führenden Auftragsfertiger für Elektronikkomponenten zunehmend in die Endgerätefertigung (Beispiel: XboxSpielekonsole). Die Bedrohung durch Ersatzprodukte schließlich hängt von der Abnehmerneigung zu Substituten ab. Die Reisebüro-Branche beispielsweise kommt durch Online-Anbieter in erhebliche Bedrängnis. Eine attraktive Branche ist nach Porter (1987, S. 46) dadurch gekennzeichnet, dass „Eintrittsbarrieren hoch sind, Zulieferer und Abnehmer nur über eine mäßige Verhandlungsmacht verfügen, dass es nur wenige Ersatzprodukte oder -dienste gibt und die Rivalität zwischen den Mitwettbewerbern stabil bleibt.“ Das Internet beispielsweise steigere die Nachfragemacht und senke Eintrittsbarrieren ab, insgesamt sei deshalb dessen Einfluss auf die Branchenattraktivität eher negativ (vgl. ders. 2001). Erhebliche Rentabilitätsunterschiede zwischen Branchen in den USA von 1992 bis 2006 von etwa 37,6 Prozent in der Getränkeindustrie und 5,9 Prozent in der Luftfahrtindustrie seien auf die Wirkung dieser 5-Kräfte zurückzuführen (vgl. ders. 2008 und Koller et al. 2011). BEDROHUNG DURCH NEUE ANBIETER Skaleneffekte Umstellungskosten Kapitalbedarf Etablierte Vorteile Zugang zu Vertriebskanälen Staatliche Restriktionen Erwartete Vergeltung LIEFERANTENMACHT Konzentrationsgrad Abhängigkeit des Abnehmers Umstellungskosten Produktdifferenzierung Keine Ersatzinputs Vorwärtsintegration der Lieferanten
KONKURRENZ INNERHALB DER BRANCHE Konzentrationsgrad Branchenwachstum Austrittsbarrieren und Überkapazitäten Komplexe Informationslage Anhaltender Preiswettbewerb
BEDROHUNG DURCH ERSATZPRODUKTE Abnehmer-Substitutionsneigung Relativer Preis und Leistung der Substitute
Abb. 3.8
5-Kräfte-Branchenstrukturanalyse (nach Porter 2000, 2008)
ABNEHMERMACHT Wenige Großabnehmer Standardisierte Produkte Umstellungskosten Rückwärtsintegration Preissensibilität der Abnehmer Informationsstand der Abnehmer
3.1 Geschäftsstrategie
125
Wie ist dieses Instrument der 5-Kräfte-Analyse zu bewerten? Porter kommt aus dem Bereich Industrieökonomik (Industrial Organization) und Wettbewerbspolitik. Die Leitidee ist hier, dass aus einer monopolistischen Marktstruktur ein entsprechendes Marktverhalten und Marktergebnis folgt – eben überdurchschnittliche (Monopol-) Gewinne. Daher die Betonung der Lieferanten- und Käufermacht und des steigenden Wettbewerbs durch die Markteintrittsbedrohung und Ersatzprodukte. Zur Kritik der 5-Kräfte-Analyse werden folgende Argumente angeführt (vgl. Brandenburger & Nalebuff 1996; Coyne & Subramaniam 1996; Grant & Nippa 2006; Kim & Mauborgne 2009; Tapscott 2001): Branchenfaktoren – mit in allen Studien weniger als 20 Prozent – erklären nur einen geringen Anteil der Rentabilitätsunterschiede. Komplementäre Produkte – ohne CD-Spieler nützt mir die schönste CD-Sammlung nichts – müssten als sechste Kraft berücksichtigt werden. Geschäftsbeziehungen sind durch eine Dualität von Wettbewerb und Kooperation (Coopetition) geprägt und nicht nur durch das Streben nach Monopolgewinnen. Nur die Positionierung in bestehenden Branchen wird analysiert, nicht aber der dynamische Wettbewerb (Hyperwettbewerb, Blue Ocean Strategy), die Entstehung ganz neuer Branchen durch neue Geschäftssysteme. Die Strategie wird nicht nur durch die Branchenstruktur geformt. Branchenstrukturen entstehen, wie oben gezeigt, auch umkehrt aus Unternehmensstrategien. Fords Modell T, Nintendos Wii-Spielkonsole, das Online-Auktionshaus eBay und der InternetMarktplatz Amazon sind dafür Beispiele. Die impliziten Annahmen des 5-Kräfte-Modells sind, dass Abnehmer, Lieferanten, Wettbewerber und Anbieter von Ersatzprodukten nur durch distanzierte Marktbeziehungen miteinander verbunden sind, dass Wert aus strukturellen Wettbewerbsvorteilen entsteht und dass die Unsicherheit so niedrig ist, dass die Entscheider das Verhalten der Wettbewerber vorausberechnen können, um ihre eigene Strategie zu wählen. Diese Annahmen sind zu rigide. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die 5-Kräfte-Analyse ein wichtiges Instrument ist, um die Gewinnattraktivität von Branchen in einer gegebenen Situation zu bewerten, dass diese allerdings die heutige Komplexität und Dynamik nicht erfasst und daher weitere Analysewerkzeuge erforderlich sind.
GESCHÄFT POSITIONIEREN Wettbewerbsvorteile aus Monopolsituationen bestimmen auch die Empfehlungen von Porter (1990c) zur nachfolgenden Phase der Strategieentwicklung: zur Positionierung innerhalb eines Geschäfts. Diese hängt von der Fähigkeit des Unternehmens ab, mit den 5-Kräften des Branchenumfeldes besser umgehen zu können als seine Konkurrenten. Bei der Positionierung geht es erstens darum, wo der Wettbewerb geführt wird, also um das strategische Zielobjekt, und zweitens darum, wie der Wettbewerb geführt wird (vgl. Abb.3.9).
126
3 Strategien
Strategisches Zielobjekt
Strategischer Vorteil
Abb. 3.9
Branchenweit
Beschränkung auf ein Segment
Singularität aus der Sicht des Käufers
Kostenvorsprung
Differenzierung
Umfassende Kostenführerschaft
Konzentration auf Schwerpunkte (Nischen)
Wettbewerbsstrategien (Porter 1990c, S. 67)
Obwohl es eine Vielzahl von Stärken und Schwächen gibt, die ein Unternehmen gegenüber seinen Wettbewerbern haben kann, gibt es drei Grundtypen von Wettbewerbsstrategien: Differenzierung. Der strategische Vorteil entsteht aus der Einzigartigkeit aus Sicht des Käufers. Erreicht wird diese durch die Differenzierung der Produkte, durch Qualität, Service, Image und andere besondere Eigenschaften. Umfassende Kostenführerschaft. Wettbewerbsvorteile durch Standardisierung, die einen Kostenvorsprung durch Größen- und Lernvorteile ermöglichen, insofern diese nicht bereits ausgeschöpft sind. Konzentration auf Schwerpunkte. Der dritte Strategietyp ist, dass ein Unternehmen nicht die ganze Branche abdeckt, sondern sich auf einen engen Teilmarkt, eine Marktnische, konzentriert, „also auf eine bestimmte Abnehmergruppe, einen bestimmten Teil des Produktprogramms, oder einen geographisch abgegrenzten Markt“ (Porter 1990c, S. 67; vgl. Praxisbeispiel Beyerdynamic). Eine solche Strategie verfolgen beispielsweise wenig bekannte Weltmarktführer (Hidden Champions) wie Baader, Webasto oder Dorma (vgl. Simon 2012). In allen drei Fällen geht es wiederum um eine Monopolposition: Differenzierung soll kaum einnehmbare Einzigartigkeit erzeugen, Kostenführerschaft entsteht aus von Konkurrenten nicht erreichbaren Größen- und Lernvorteilen, und bei einer auf enge Teilmärkte ausgerichtete Nischenstrategie bleiben Wettbewerber schon deshalb außen vor, weil sie die Geheimnisse des Geschäftssystems nicht verstehen. Unternehmen, die sich scheuen, sich festzulegen, laufen nach Porter Gefahr, zwischen die Stühle zu geraten („Stuck in the Middle“) und sich mit einer geringeren Rentabilität zufrieden geben zu müssen.
3.1 Geschäftsstrategie
127
Praxisbeispiel: Beyerdynamic – Positionierung als Audiospezialist Massenware für wenig Geld ist das Motto in der Radio- und Fernsehindustrie nachdem Hifi-Billigproduzenten den Absatz für viele Hersteller erschweren. Jedoch werden nicht nur die Preise, sondern auch die Qualität gedrückt, was wiederum für so manchen Hersteller von Vorteil ist. So hat beispielsweise Beyerdynamic auf qualitativ hochwertige und hochpreisige Produkte gesetzt. 1924 in Berlin gegründet, entwickelt und fertigt Beyerdynamic dynamische Kopfhörer und Mikrofone. Heute gehört das Unternehmen mit Sitz in Heilbronn zu den führenden Anbietern auf dem Markt für Kopfhörer, Mikrofone und Konferenztechnik. Bis zum Jahre 2003 hatte das Unternehmen einige verlustreiche Jahre zu verkraften, doch durch Innovationen und eine neue Positionierung auf dem Markt wurde das Unternehmen trotz des starken Gegenwinds durch die Konkurrenten Sony und Sennheiser wieder auf Kurs gebracht und realisierte innerhalb von vier Jahren einen Umsatzzuwachs von 60 Prozent. Diese Erfolgsgeschichte wurde zusätzlich durch einen Großauftrag von der OECD über 1.000 Sprechstellen gekrönt. An den Konferenzplätzen sind keine SchwanenhalsMikrofone mehr zu sehen, sondern die Mikrofon-Neuheit „Revoluto“. Diese tischkärtchengroßen Mikrofone bieten dem Sprecher einen weiten Raum mit guter Sprachqualität. Innerhalb dieser Sprechzone kann sich der Sprecher frei bewegen, d.h. die Stimme des Redners wird unabhängig von seiner Größe eingefangen und auch dann noch klar übertragen, wenn er aufsteht oder sich einmal zur Seite bewegt. Der Unternehmenserfolg rührt allerdings nicht aus der Verlagerung der Produktionsstätte in Billiglohnländer, sondern vor allem von der Umstrukturierung des Produktangebots her. Jeder Kunde kann auf der Internetseite von Beyerdynamic seinen persönlichen Kopfhörer selbst zusammenstellen – Spezialanfertigungen sind kein Problem. Durch das Prinzip der Einzelfertigung („Losgröße 1“) weiß auch jeder Mitarbeiter im Werk, für welchen Kunden dieses spezielle Produkt angefertigt wird. Für Beyerdynamic ist die Positionierung im Hochpreissegment durch Einzel- und Sonderanfertigungen erfolgreich verlaufen. 2012 meldet das Unternehmen, dass es seinen Umsatz seit 2003 nahezu verdoppeln konnte. Fragen: 1. Welche Kräfte veranlassen eine komplett neue Positionierung eines Unternehmens auf dem Markt? 2. Welche Strategie hat Beyerdynamic hierbei verfolgt? 3. Wie werden Veränderungen wie eine Neupositionierung initiiert? 4. Mit welchen Mitteln können Innovation und Veränderungen in den Prozessen eines Unternehmens implementiert werden? Quellen: o.V.: Mikrofone in der Tischplatte. Der Audiospezialist Beyerdynamic etabliert sich im Hochpreissegment. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 25.03.2008; www.beyerdynamic.de.
128
3 Strategien
Kritiker wiederum argumentieren, dass die Marktverhältnisse es heute erfordern und Organisationskonzepte es heute erlauben, dass Unternehmen beide Strategien, Differenzierung und Kostenführerschaft, nebeneinander verfolgen (Hybridstrategie). Markt- und Leistungsanforderungen verlangen eine Synthese aus Massenproduktion und kundenindividueller Produktion: die individualisierte Massenfertigung (Mass Customization) (vgl. Piller 1998; Reichwald & Piller 2009 und Abb. 3.10): Höhere Markt- und Leistungsanforderungen sorgen für die Abkehr von der Massenproduktion der 1960er-Jahre (Beispiel Volkswagen Käfer). Gesättigten Märkten und der Machtverschiebung vom Verkäufer- zum Käufermarkt in den reicheren Gesellschaften wurde zunächst durch mehr Qualität und Variantenvielfalt begegnet. In den 1990er Jahren schließlich nimmt die Bedeutung von Strategien zu, die beide Pole des Spannungsfeldes, Individualität und Masse, zu berücksichtigen suchen. Beispiele dafür finden sich in der Automobilindustrie, in der etwa bei Volkswagen die gleiche Plattform mit unterschiedlichen „Hüten“ verwendet wird. Schon mit Einführung des Golf IV wurde die so genannte Plattform PQ 34 auch im Škoda Octavia, Audi TT, Audi A3, Seat Leon, Seat Toledo und im VW New Beetle verbaut. Kostenvorteile entstehen aus der Standardisierung (Gleichteile für alle Konzern-Parallelmodelle und Ausstattungsvarianten) neben Differenzierungsvorteilen aus Kundensicht durch unterschiedliche „Hüte“. Neue Organisationskonzepte. Das Toyota-Produktions-System (TPS) ist bekannt dafür, dass flexibel nach individualisierten Kundenbedürfnissen, mit hoher Qualität und niedrigen Kosten produziert werden kann (vgl. Kap. 4.3.1). Weitere Beispiele bieten Unternehmen wie Timbuk2, ein Hersteller von Life-Style-Umhängetaschen, dessen Organisation es erlaubt, dass man das gewünschte Produkt nach Farben, Applikationen etc. über das Internet konfigurieren kann. Kunden und weitere Akteure werden durch Crowdsourcing und Open Innovation interaktiv in die Wertschöpfung einbezogen (vgl. Kap. 3.3.4).
1960: „Masse“ 1970: Qualitätsbewegung 1980: Variantenmanagement 1995: Mass Customization Marktforderung Indivi- Vielfalt Qualität dualität
Abb. 3.10
Leistungsanforderung Preis
Effizienz Qualität
Kundenindividuelle Massenproduktion (Piller 1998, S. 52)
Flexi- Innovation bilität
3.1 Geschäftsstrategie
129
Die Wahl des richtigen strategischen Ansatzes könnte ein Ausweg in diesem Streit sein. Der Positionierungsansatz von Porter ist eher geeignet für Unternehmen, die sich nur ungern auf neues Gebiet begeben, während bei innovativen Geschäften sowohl Differenzierung als auch Kostenführerschaft angestrebt werden sollte. Dies setzt allerdings neue Geschäftsmodelle und integratives Denken voraus – wir haben uns damit im Kapitel 1.3.1 am Beispiel der Four Seasons Hotels bereits auseinandergesetzt. Nach dem Blue Ocean Konzept sind innovative Geschäftsmodelle nur erfolgreich, wenn nicht nur ein Wertangebot (Value Proposition) für den Kunden geschaffen wird, sondern auch Gewinne (Profit Proposition) erzielt und die Mitarbeiter (People Proposition) gewonnen werden, um diese Strategie zu verfolgen und umzusetzen (vgl. Kap. 3.3.1). Allerdings sind zuvor noch weitere Dimensionen des Aktivitätssystems und der Ressourcenbasis zu berücksichtigen.
3.1.3
Stärken und Schwächen: Aktivitätssystem und Ressourcenbasis
Stärken und Schwächen, auch im Vergleich zu anderen Unternehmen, stehen im Mittelpunkt der Analyse des Aktivitätssystems und der Ressourcenbasis. Das Aktivitätssystem wird definiert als integrierter Wertschöpfungsprozess, der zu einem Produkt- und/oder Serviceangebot führt. Die Ressourcenbasis umfasst die dazu notwendigen Ausstattungen, Kompetenzen und Fähigkeiten (Capabilities). Die verschiedenen Aktivitäten und Ressourcen müssen abgestimmt entwickelt werden (Alignment).
AKTIVITÄTSSYSTEM ANALYSIEREN Die Aktivitätssysteme unterscheiden sich je nach Branche. Bei einem Autohersteller sieht das Aktivitätssystem anders aus als bei einer Werbeagentur, bei einer Billig-Fluggesellschaft wie Easyjet anders als bei einer traditionellen Airline wie Lufthansa, und selbst die BilligFluggesellschaften unterscheiden sich. Als Einstieg ist eine Aktivitätsanalyse geeignet, die zeigt, wodurch sich das Geschäftsmodell vom Wettbewerber abhebt. Bei Southwest-Airlines, die das Geschäftsmodell der Billig-Fluggesellschaft 1971 entdeckt haben, gehört dazu der begrenzte Passagier-Service, nur Punkt-zu-Punkt Strecken, niedrige Preise, produktive Teams am Boden sowie häufige und zuverlässige Flüge (vgl. Abb. 3.11). Der Erfolg des Unternehmens, das heute eine höhere Marktkapitalisierung aufweist als der Rest der U.S.Fluggesellschaften zusammen, beruht zudem auf einem besonderen Verhältnis zu den Anspruchsgruppen seines Geschäftssystems. Von seiner Gründung bis heute stehen bei Southwest-Airlines die Mitarbeiter an erster Stelle, an zweiter die Kunden und an dritter Stelle die Anteilseigner. Selbst der Nachfragerückgang infolge der Terroranschläge vom 11. September 2001 führte bei Southwest nicht zu Entlassungen (vgl. Pfeffer 1998; 2009). Eine ähnliche Geschäftsphilosophie hat in Deutschland etwa auch Reinhard Mohn für Bertelsmann vertreten (vgl. ders. 1986).
130
3 Strategien
Keine Bordverpflegung
Kein Gepäckumschlag Eingeschränkter Service für Fluggäste Keine Anschlüsse an andere Fluglinien
Keine Platzreservierung
Häufige, verlässliche Abflugtermine
Abfertigung am Terminal in 15 Minuten
Begrenzter Rückgriff auf Reisebüros Standardisierte B-737-Flotte
Kurze Direktflüge zwischen mittelgroßen Städten und kleineren Flughäfen
Flugscheinautomaten Gut bezahlte Mitarbeiter
Flexible Vereinbarungen mit den Gewerkschaften
Abb. 3.11
Sparsames und hochproduktives Boden- und Abfertigungspersonal
Hohe Mitarbeiterbeteiligung am Grundkapital
Sehr niedrige Flugpreise
Hochgradige Flugzeugnutzung
„Southwest, the low-fare airline“
Das Aktivitätssystem von Southwest-Airlines (Porter 1997, S. 54)
Eine weitere Methode um das Aktivitätssystem zu verstehen, ist die Wertkettenanalyse (vgl. Porter 2000, S. 63 ff. und Abb. 3.12). Dabei werden für einen Industriebetrieb primäre und sekundäre Aktivitäten unterschieden. Primäre Aktivitäten befassen sich mit der physischen Herstellung des Produkts und dessen Verkauf und Übermittlung an den Abnehmer sowie dem Kundendienst. Dazu gehören: Eingangslogistik. Tätigkeiten im Zusammenhang mit dem Eingang, der Lagerung und der Bereitstellung von Betriebsmitteln. Operationen. Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Umwandlung des Inputs in die endgültige Produktform. Ausgangslogistik. Aktivitäten im Zusammenhang mit der Sammlung, Lagerung und physischen Distribution des Produkts an die Abnehmer. Marketing und Vertrieb. Tätigkeiten zur Bereitstellung von Mitteln, durch die die Abnehmer das Produkt kaufen oder zu dessen Kauf verleitet werden können. Kundendienst. Tätigkeiten im Zusammenhang mit Dienstleistungen zur Förderung oder Werterhaltung des Produkts.
3.1 Geschäftsstrategie
131
UNTERNEHMENSINFRASTRUKTUR Unterstützende Aktivitäten
PERSONALWIRTSCHAFT TECHNOLOGIEENTWICKLUNG BESCHAFFUNG
Eingangslogistik
Operationen
Marketing & Vertrieb
Ausgangslogistik
Kundendienst
Primäre Aktivitäten
Abb. 3.12
Das Modell einer Wertkette (Porter 2000, S. 62)
Die Primäraktivitäten werden unterstützt durch vier Sekundäraktivitäten. Die gestrichelten Linien zeigen den Zusammenhang mit den Primäraktivitäten: Beschaffung. Aktivitäten, die mit dem Einkauf von Produkten verbunden sind, wie Lieferantenauswahl, Verhandlungen, Vertragsabschluss und Rechnungslegung. Technologieentwicklung. Aktivitäten, die sich mit der übergreifenden Entwicklung von Technologien, einschließlich Grundlagenforschung, sowie mit der Produkt- und Prozessgestaltung beschäftigen. Personalmanagement. Aktivitäten, die mit dem Personalmanagement verbunden sind, wie Personalbeschaffung, Weiterbildung, Entwicklung, Beurteilung und Entlohnung. Unternehmensinfrastruktur. Alle allgemeinen Aktivitäten, die für die Wertkette nötig sind, wie Geschäftsführung (und Betriebsrat), Planung, Finanzierung, Rechnungslegung, Informationstechnik und Außenbeziehungen. Die Unternehmensinfrastruktur unterstützt die gesamte Wertkette. Die besondere Konfiguration der Wertkette eines Unternehmens ist die Grundlage für Wettbewerbsvorteile. Jede dieser Tätigkeiten kann zur relativen Kostenposition eines Unternehmens beitragen und eine Differenzierungsbasis schaffen. Individualisierte Produkte in der Fertigung oder die jederzeitige Lieferfähigkeit im Vertrieb sind solche Differenzierungsmerkmale. Die Analyse beginnt mit der Aufschlüsselung der Aktivitäten, dem Vergleich einzelner Aktivitäten mit anderen (Benchmarking), und mit der Ermittlung von „Zielkosten“, die aus dem Marktpreis abgeleitet werden (Target Costing). Dabei werden auch vorund nachgelagerte Wertketten betrachtet, etwa die der Zulieferer und des Handels bei einem Elektronikhersteller. Zweckmäßig ist es, dabei die Gesamtkosten (Total Cost of Ownership, TCO) zu ermitteln. Der Tintendrucker für den heimischen Computer beispielsweise ist preiswert, die Gesamtkosten zeigen sich erst, wenn die gesamten Kosten verfolgt werden (Tintenverbrauch, Ersatzpatronen, Wechselkosten, wenn Teile nicht kompatibel sind, Repa-
132
3 Strategien
raturkosten). Ähnliche Vorgehensweisen, um den Kunden zu fangen (Locked-in-Strategie) kennen wir schon von Gillettes Rasierer und Apples iTunes. Ein weiteres Verfahren zur Analyse des Aktivitätssystems ist die Nutzwertanalyse (ScoringMethod). Dazu werden kritische Erfolgsfaktoren (Key-Performance Indicators, KPI) ausgewählt, mit Schulnoten bewertet, gegebenenfalls noch gewichtet und dann mit dem Wettbewerber verglichen. Die Abb. 3.13 zeigt eine solche Nutzwert-Analyse für einen Automobilzulieferer aus Nachfragesicht. Kauffaktoren wie Preis, Qualität und die Fähigkeit zur Justin-Time-Lieferung werden bewertet, mit einem oder mehreren Wettbewerbern verglichen und Empfehlungen abgeleitet. Wegen der Branchenkenntnisse und Betriebsunabhängigkeit werden diese Analysen häufig von Unternehmensberatungen durchgeführt. Dabei ist jedoch zu beachten, dass die dabei erzielten Ergebnisse in Ziffern mit Punkt und Komma, bei aller formalen Objektivität, auf subjektiven Einschätzungen beruhen. Fremdvergabe etwa wird der Einkäufer wahrscheinlich optimistischer betrachten als der Betriebsleiter. Erfüllung durch:
Eigenes Unternehmen
Kauffaktor 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18.
Abb. 3.13
Funktionale Qualität Liefertreue/ - zuverlässigkeit Preis-/ Leistungsverhältnis Lieferzeit Schnelligkeit in der Problemlösung Preis Lebensdauer/ Ausfallrate Fähigkeit zu JiT – Lieferung Innovationskraft Reklamationsbearbeitung Techn. Problemlösungskompetenz Anwendungstechnische Beratung Erreichbarkeit des Außendienstes Kulanz Sonderausführungen/konstruktionen Image des Herstellers Bekanntheit des Herstellers Sortiment / Programmbreite
Wettbewerber
schlecht 5
sehr gut 4
Existenzgefährdender Bereich
3
2
Empfehlungen
1
Zentrale Anforderungen in dieser Produkt-/Marktkombination sind • Produktqualität etc. • Lieferservice Preis und Preis-/Leistungsverhältnis müssen auf ein gesundes Maß gebracht werden. Die Verbesserung der Innovationskraft und des entwicklungstechnischen Umfeldes sind nur für den Produktbereich der Spezialitäten anzustreben, um hier tragfähige Differenzierungsfaktoren aufzubauen.
Anpassungsbedarf im Leistungsprofil
Beispiel einer Nutzwertanalyse bei der Z-AG, einem Automobilzulieferer
RESSOURCENBASIS ANALYSIEREN Innerhalb des Geschäftssystems hat die Ressourcenbasis eine besondere Bedeutung. Folgt man der Argumentation im Einstiegsfall zu Canon, so sind die Kernkompetenzen Wurzeln des Erfolgs und nicht allein die Marktstellung. Diese Perspektive gehört zum Ressourcenansatz (Resource Based View), der sich kritisch gegenüber der herkömmlich dominierenden Marktsicht (Market Based View) versteht, wie sie sich etwa in der 5-Kräfte-Branchen-
3.1 Geschäftsstrategie
133
analyse und den Strategien zur Wettbewerbspositionierung von Porter findet. Zu den Ressourcen gehören (vgl. De Wit & Meyer 2010, S. 247 ff. und Abb. 3.14): Materielle und immaterielle Ressourcen (Tangible and Intangible Resources). Materielle Ressourcen wie Land, Gebäude, Maschinen und Material werden gekauft, immaterielle Ressourcen hingegen werden entwickelt. Träger der immateriellen Ressourcen sind die Menschen. Wenn sie nicht bereit sind, ihre Kompetenzen zur Verfügung zu stellen und Beziehungsressourcen zu pflegen, leidet der Erfolg. Sony musste das bei der Übernahme von Columbia Pictures schmerzlich erfahren, als viele Mitarbeiter das Unternehmen verließen und damit auch ihr Wissen mitnahmen. Heute, in der sogenannten Wissensgesellschaft, hat die Bedeutung der immateriellen Ressourcen zugenommen. Es sind nicht mehr so sehr die „bricks“ (Ziegelsteine) die zählen, sondern die richtigen „clicks“ am Computer. Beziehungsressourcen und Kompetenzen (Relational Resources and Competencies). Beziehungsressourcen entstehen aus der Interaktion des Unternehmens mit seiner Umwelt. Gemeint sind die Beziehungen zu Kunden, Lieferanten, Wettbewerbern und Regierungsstellen, die einen Wettbewerbsvorteil darstellen können (vgl. Praxisbeispiel Toyota). Die Reputation des Unternehmens gegenüber anderen Akteuren ist eine weitere Ressource. Dies ist die Aufgabe des Wertemanagements (vgl. Kap. 1 und 2). Kompetenzen hingegen hat ein Unternehmen, wenn es das Wissen (Knowledge), die Fähigkeiten (Capabilities) und die Einstellungen (Attitudes) hat, um erfolgreich in einem bestimmten Bereich zu agieren. Wissen lässt sich unterscheiden nach dem Gewusst-Wie, -Was, -Wo, -Wann, und -Warum. Durch Fähigkeiten entsteht in einer Organisation das Potential bestimmte Aktivitäten durchzuführen. Das kann zum Beispiel die Fähigkeit zur Entwicklung von neuen Produkten sein. Fertigkeiten (Skills) hingegen, sind die dazu notwendigen Funktionen wie Marktforschung, Entwicklung und Produktion. Die Einstellung verweist auf die mentale Haltung und Kultur einer Organisation. Wie beim Sport ist auch in Organisationen die mentale Einstellung eine Ressource, die für den Erfolg relevant ist. Ressourcenbasis
Materielle Ressourcen • Land • Gebäude • Maschinen • Material • Geld
Immaterielle Ressourcen
Beziehungsressourcen • Beziehungen • Reputation
Abb. 3.14
Arten von Unternehmensressourcen (De Wit & Meyer 2010, S. 247)
Kompetenzen • Wissen • Fähigkeiten • Einstellung
134
3 Strategien
Praxisbeispiel: Toyota – Erfolg durch Zulieferpartner In den 1980er Jahren nahm die industrielle Wettbewerbsfähigkeit der USA im Vergleich zu den aufstrebenden Machtblöcken Japan und Europa deutlich ab. Eine Kommission des renommierten Massachusetts Institute of Technology kam zu dem Schluss, dass die Ursachen dafür unter anderem in einem veralteten Massenproduktionssystem, technologischen Schwächen bei der Entwicklung und Produktion, in der Vernachlässigung der menschlichen Fähigkeiten, der Zusammenarbeit zwischen Management und Mitarbeitern sowie den Zulieferern zu suchen seien. Diese Aussage basiert unter anderem auf der bekannten Studie zur „Lean Production“ über die „zweite Revolution in der Automobilindustrie“. Insbesondere Toyota galt nun als „schlankes“ Vorbild, von dem westliche Hersteller zu lernen haben, unter anderem von den partnerschaftlichen Lieferantenbeziehungen. Viele westliche Unternehmen versuchten, Elemente dieses Konzepts von Toyota zu übernehmen, aber es gibt Grenzen. Dazu gehören: einzigartige historische Bedingungen, Ungewissheit über die Erfolgsfaktoren, soziale Komplexität und die institutionellen Rahmenbedingungen. Zur Einzigartigkeit gehört, dass die Netzwerkstrukturen in Japan durch äußere Einflüsse bereits Ende der 1940er Jahre entstanden sind, während etwa General Motors seine Komponentensparte Delphi erst vor einigen Jahren mit hohen wirtschaftlichen und sozialen Kosten abgestoßen hat. „History matters“: Pfadabhängigkeiten sind zu berücksichtigen. Untersuchungen haben ergeben, dass bis zu 75 Prozent aller Auslagerungsvorhaben scheitern. Europäische Autohersteller waren anfangs kleiner und zahlreicher und europäische Zulieferer, wie Bosch oder ZF Friedrichshafen, waren konzentrierter. Diese kleinen Hersteller hatten niemals die Größe oder die Mittel um darüber nachzudenken alles selber zu machen, wie dies Henry Ford und GM fast über fünfzig Jahre praktiziert haben. Ein zweiter Grund besteht darin, dass immaterielle Ressourcen häufig nicht einfach zu verstehen sind. Warum brauchen westliche Autohersteller so lange, um Effizienzvorteile von Toyota einzuholen? Die Potenziale bei Toyota und anderen schlanken Produzenten liegen weniger in den „harten“ organisatorischen Strukturen sondern mehr in den Fähigkeiten, das Wissen der Mitarbeiter zu nutzen und Beziehungen zu Kunden, Lieferanten und Mitarbeitern zu entwickeln. Diese „weichen“ Erfolgsfaktoren, die entscheidend sind bei der Entwicklung komplementären Wissens in Netzwerken, sind nicht einfach zu verstehen und zu übertragen. Ein dritter Grund, der die Imitation beschränkt, ist die soziale Komplexität aufgrund unterschiedlicher Kulturen, Menschen und historischer Entwicklungen. Japanische Automobilunternehmen haben eine jahrzehntelange Erfahrung mit Zuliefernetzwerken, während diese bei US-Herstellern nur auf dem Papier standen. Der Widerstand von Mitarbeitern und ihren Vertretern gegen Outsourcing, wie bei Delphi und Volkswagen, ist ein weiterer Grund, der die Imitation beschränkt. Schließlich spielt der institutionelle Rahmen eine Rolle, zum Beispiel Eigentumsrechte und Patente. Wichtiger noch sind die nationalen Rahmenbedingungen der Unternehmensverfassung (Corporate Governance), die den Organisationszweck prägen. So gibt es im Fall von Volkswagen mächtige Anspruchsgruppen (Stakeholder) wie die Betriebsräte und die IG Metall sowie den Einfluss der niedersächsischen Lan-
3.1 Geschäftsstrategie
135
desregierung, die Vereinbarungen entstehen ließen, die Outsourcing und Produktionsverlagerung ins Ausland begrenzen. Ende 2009 musste Toyota weltweit 20 Millionen Fahrzeuge zurückrufen, weil Probleme im Zusammenhang mit dem Bremspedal auftraten. Die Schlagzeilen waren in den USA besonders dramatisch; später zeigte sich, dass die Kunden nicht unbeteiligt waren, weil sie Brems- und Gaspedal verwechselten. Ursachen waren nach Cole (2011) die Vernachlässigung der Qualität gegenüber dem Wachstum, verbesserte Produkte der Konkurrenten und die durch die Medien beeinflusste öffentliche Meinung. Im Herbst 2012 wurden weltweit erneut fast 10 Millionen Fahrzeuge zurückgerufen. Gelingt es Toyota sein Produktionssystem wieder auf den Pfad exzellenter Qualität zurückzubringen? Oder sind die spektakulären Massen-Rückrufaktionen nur eine Folge der offenen Kommunikation des Unternehmens und der von allen Herstellern verfolgten Gleichteile-Politik? Fragen: 1. Hängt die Bedeutung von Beziehungsressourcen vom Geschäftsmodell ab? 2. Warum ist es für westliche Hersteller so schwierig, Toyota zu imitieren? Quellen: Cole, R.E.: What Really Happened to Toyota. In: Sloan Management Review 2011, Summer, S. 29–35; Dertouzos, M.L.et al.: Made in America. Regaining the Productive Edge. Cambridge Mass.1989; Womack, J.P. et al.: Die zweite Revolution in der Autoindustrie. Frankfurt, New York 1991; Müller, H.-E.: Supplier integration. An international comparison. In: International Journal of Automotive Technology and Management, 2009, Nr. 1, S. 18–39; Automotive News Europe vom 10. Oktober 2012.
Der Ressourcenansatz geht zurück auf Penrose (1959) und Wernerfelt (1984), zentrale Begriffe sind Kernkompetenz (Core Competence) und dynamische Fähigkeit (Dynamic Capability). Prahalad & Hamel (1991; 1995) haben den Begriff der Kernkompetenz als Wurzel von Wettbewerbsvorteilen geprägt. Nicht auf die alleinige Beurteilung von dezentralen strategischen Geschäftseinheiten nach ihren kurzfristigen Markterfolgen komme es an. Vielmehr werden von den Ressourcen, den Kernkompetenzen ausgehend, Kernprodukte entwickelt, die dann als Endprodukte an den Märkten Wachstum ermöglichen. Der Einstiegsfall Canon/Sony hatte diese Perspektive „von innen nach außen“ illustriert. Anhand von drei Kriterien lassen sich Kernkompetenzen in einem Unternehmen identifizieren: Kernkompetenzen eröffnen den möglichen Zugang zu einer weiten Vielfalt von Märkten. 3M, zum Beispiel, ein auf den ersten Blick außerordentlich diversifiziertes Unternehmen, entwickelt ständig neue Produkte auf der Basis einer Vielzahl von Technologieplattformen. Die bekannten gelben Post-It-Notizzettel sind als Nebenprodukt aus der Klebetechnik für Schleifpapiere entstanden. Kernkompetenzen sollen wesentlich und für den Kunden erkennbar zum Nutzen des Endprodukts beitragen. Die Fähigkeit von Honda, kleine und leistungsfähige Motoren zu bauen, gehört dazu, wie ebenso die Fähigkeit von Porsche, hochwertige Komponenten zu einem sportlichen Lifestyle-Produkt zu gestalten. Schließlich sollte eine Kernkompetenz von den Wettbewerbern nur schwer zu imitieren sein. Das gilt für immaterielle Ressourcen insbesondere dann, wenn eine komplexe Abstimmung individueller Technologien und Fähigkeiten erforderlich ist. Wie gezeigt, gelang es Apple aufgrund seiner Fähigkeit, innovative Trends bei Informations- und
136
3 Strategien
Kommunikationstechnologien aufzuspüren und umzusetzen – etwa beim Mediendownload oder bei Multimedia-Handys –, und damit Kundennutzen durch Produkte wie iPod, iTunes und iPhone zu erzielen. Nicht die beste technische Lösung ist entscheidend, sondern die vom Kunden wahrgenommene beste Lösung. Dabei handelt es sich häufig um Neuerungen jenseits des gewachsenen Pfades der Innovationen (Disruptive Innovations, vgl. Kap. 4.6). Ähnlich argumentieren auch Barney & Hesterly (2007), die ein VRIO-Strategie-Werkzeug zur Analyse der Fähigkeiten (Capabilities) entwickelt haben. Nachhaltige Wettbewerbsvorteile durch Fähigkeiten und andere Ressourcen entstehen, wenn vier Fragen positiv beantwortet werden: Value. Ist das Unternehmen in der Lage, mit seinen Ressourcen Chancen zu nutzen und externen Risiken entgegenzuwirken? Rarity. Sind die Ressourcen/Fähigkeiten vergleichsweise selten? Imitability. Sind die Ressourcen/Fähigkeiten nur schwierig und mit Kostennachteilen zu imitieren? Organization. Ist das Unternehmen auch organisatorisch in der Lage, die Ressourcen/Fähigkeiten auszuschöpfen? Damit kann zum Beispiel erklärt werden, warum es für westliche Hersteller schwierig ist, Kompetenzen von Toyota zu imitieren (vgl. Praxisbeispiel Toyota). Während der marktorientierte Ansatz dahingehend kritisiert wird, dass Anforderungen gestellt werden, die von den verfügbaren Ressourcen nicht erfüllt werden können, wird gegenüber dem Ressourcenansatz geltend gemacht, dass er dazu neige, die Beharrungskräfte zu fördern. Pfadabhängigkeiten (Path Dependencies), wie sie sich etwa in der mehr als 100-jährigen Vorherrschaft der QWERT-Tastatur zeigen, können sich auch als Nachteil herausstellen (vgl. Sydow et al. 2009). Deshalb rückte in den letzten Jahren das Konzept der dynamischen Fähigkeiten (Dynamic Capabilities) in den Vordergrund, die das Potenzial der Unternehmen umfasst, auch in turbulenten Umwelten Kompetenzen aufzubauen und umzubauen (vgl. Teece et al. 1997; Eisenhardt & Martin 2000).
3.1.4
Strategieformulierung und -umsetzung
SWOT-ANALYSE BETREIBEN Aus der Umwelt ergeben sich beständig neue Chancen und Risiken für die strategische Entwicklung. Aber erfolgreiche Strategien hängen auch von der Leistungsfähigkeit des Unternehmens, vom Geschäftssystem ab. Ein klassisches Werkzeug zum Abgleich von Umwelt und Organisation und zur Formulierung von Strategien ist die SWOT-Analyse. Für eine wirksame Strategie sollten die Stärken (Strengths) und Schwächen (Weaknesses) des Unternehmens mit den Chancen/Gelegenheiten (Opportunities) und Bedrohungen/Risiken (Threats) der Umwelt abgeglichen sein. Die SWOT-Analyse kann zur Formulierung von Strategien, hier zur Festlegung der strategischen Stoßrichtung, beitragen (vgl. Abb. 3.15). Bei BMW beispielsweise ist eine Stärke der Motorenbau, eine Schwäche die schmale Produktpalette. Neue Gelegenheiten ergeben sich aus der Verschiebung des Kundeninteresses
3.1 Geschäftsstrategie
137
von Sportlichkeit zu Vielseitigkeit, Komfort und Individualität. Mit den Touring- und Cabrio-Varianten der M-Baureihe verfolgt BMW die Strategie seine Stärken zur Nutzung von Gelegenheiten einzusetzen. Der Erwerb von Rolls-Royce Motor Cars Ltd. soll zur Überwindung von Schwächen durch Nutzung von Gelegenheiten beitragen. Bedrohungen z.B. durch Emissionsvorschriften werden durch die Nutzung der eigenen Stärken abgewehrt, etwa durch die Erforschung klimaschonender Antriebssysteme. Schließlich werden eigene Schwächen eingeschränkt und Bedrohungen durch den Einstieg in kleinere Fahrzeuge wie den Mini oder die 1er Reihe vermieden. Unklar bleibt bei der SWOT-Analyse allerdings, wie die Anwender zu den jeweiligen strategischen Stoßrichtungen kommen.
Abb. 3.15
Stärken/ Strenghts (S)
Schwächen/ Weaknesses (W)
1. 2. 3. Auflisten der 4. 5. Stärken 6. 7. 8.
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.
Gelegenheiten/ Opportunities (O)
SO-Strategien
WO-Strategien
1. 2. 3. 4. Auflisten der 5. Gelegenheiten 6. 7. 8.
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.
Bedrohungen/ Threats (T)
ST-Strategien
WT-Strategien
1. 2. 3. Auflisten der 4. 5. Bedrohungen 6. 7. 8.
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.
Einsatz von Stärken zur Nutzung von Gelegenheiten
Nutzen der eigenen Stärken zur Abwehr von Bedrohungen
Auflisten der Schwächen
Überwindung der eigenen Schwächen durch Nutzung von Gelegenheiten
Einschränkung der eigenen Schwächen und Vermeidung von Bedrohungen
SWOT-Analyse (nach Macharzina & Wolf 2010)
Die Abstimmung zwischen den beiden Seiten in der SWOT-Analyse kann auch deshalb frustrierend sein, weil die spezifische Ressourcenbasis und das Aktivitätssystem im Vergleich zur laufenden Entwicklung an den Märkten in gegensätzliche Richtungen weisen. Die Ursache dafür ist, wie gerade beschrieben, der Gegensatz zwischen der Markt- und Ressourcensicht, d.h. zwischen Außen-Innen-Perspektive und Innen-Außen-Perspektive. Daher ergeben sich unterschiedliche Optionen, die abzugleichen sind (vgl. Abb. 3.16). Jede Geschäftseinheit wird sich am Markt gegebenenfalls unterschiedlich positionieren: Entweder als Kostenführer oder aber durch Differenzierung, als Nischenanbieter oder im Rahmen einer Mischstrategie. Um den Widerspruch zwischen der Festlegung auf eine bestimmte Strategie
138
3 Strategien
und der strategischen Unsicherheit managen zu können, kommt es darauf an, Optionen zu schaffen, anstatt nur zwischen Alternativen auszuwählen (vgl. Kap 1.4. und 2.5). Außen-Innen-Perspektive
Innen-Außen-Perspektive
Betonung auf
Märkte vor Ressourcen
Ressourcen vor Märkten
Orientierung
Chancengetrieben (Externes Potential)
Stärkengetrieben (Internes Potential)
Ausgangspunkt
Marktnachfrage & Industriestruktur
Ressourcenbasis & Aktivitätssystem
Abstimmung durch
Anpassung an die Umwelt
Anpassung der Umwelt
Strategiefokus
Vorteilhafte Positionen
Unterscheidende Ressourcen
Strategische Bewegungen
Externe Positionierung
Ressourcenbasis aufbauen
Taktische Bewegungen
Notwendige Ressourcen akquirieren
Externe Positionierung
Wettbewerbsinstrumente
Verhandlungsmacht & Mobilitätsbarrieren
Überlegene Ressourcen & Imitationsbarrieren
Abb. 3.16
Perspektiven: Außen-Innen versus Innen-Außen (nach De Wit & Meyer 2010, S. 261)
ZIELE FESTLEGEN Nachdem die einzelne Geschäftseinheit ihren Grundauftrag definiert und ihr Umfeld sowie ihre Leistungsfähigkeit analysiert hat, kann die Geschäftseinheit, bevor sie ihre Strategie formuliert, ihre spezifischen Betriebs- und Ergebnisziele für den Planungszeitraum festlegen. „Mit den Leistungszielen offenbart das Management, wieviel es erreichen will; die Strategie zeigt auf, was zur Zielerreichung getan werden muss, und die operative Taktik bestimmt, wie es getan wird.“ (Kotler & Bliemel 2001, S. 138) Das System der Leistungsziele wird in hierarchische Ziel-Mittel-Beziehungen geordnet. Dabei ist zu beachten: Die Rentabilität, der Gewinn bezogen auf das eingesetzte Kapital, kann beispielsweise durch ein höheres Gewinnniveau oder durch weniger eingesetztes Kapital gesteigert werden. Die Ziele sollten quantifiziert werden und sich auf einem realistischen Niveau bewegen. Finanzielle und nicht-finanzielle Ziele sollten gleichberechtigt bewertet werden. Schließlich kommt es darauf an, dass die einzelnen Zielkombinationen ausgewogen sind. Dazu kann die Balanced Scorecard beitragen. Es ist Aufgabe der Unternehmensführung, auch widerstreitende Zielkombinationen in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen. Beispiele dafür sind hohe Gewinnspannen gegen große Umsatzvolumina, Ertragsziele gegen soziale oder andere Ziele, hohes Wachstum gegen geringes Risiko.
3.1 Geschäftsstrategie
139
MITARBEITERINTERESSEN BERÜCKSICHTIGEN Über die unmittelbare Beteiligung der Mitarbeiter hinaus kann die institutionelle Mitwirkung der Arbeitnehmervertretung zur Zielfestlegung, Strategieentwicklung und -umsetzung beitragen (vgl. Kap. 1 und 2). Angestrebt wird, Interessen auszugleichen und Folgen von wirtschaftlichen Entscheidungen sozialverträglich zu gestalten. Spezialisierte Ratgeber versuchen Antworten auch auf die damit verbundenen betriebswirtschaftlichen Fragen zu geben (vgl. Bierbaum et al. 2004; Breisig 2006; Köstler et al. 2009; Rupp & Laßmann 2009). Bei Verhandlungen über Restrukturierungsvorhaben und damit verbundenen geplanten Betriebsänderungen nach § 111 ff. BetrVG stehen häufig Sozialplan-Details wie Abfindungsregelungen im Vordergrund. Dazu gehört aber auch die Betriebsänderung selbst, über die der Unternehmer rechtzeitig und umfassend zu unterrichten hat, die wirtschaftlich zu begründen und mit dem Betriebsrat mit dem Ziel des Interessenausgleichs zu beraten ist. Themen sind (vgl. Grossmann & Balkenhol 2006): Die Zielsetzung der geplanten Restrukturierung. Die Zielsetzung sollte aus einer Strategie abgeleitet sein, die nicht nur auf finanzielle Kennzahlen reduziert ist. Die Analyse der geplanten Ausgangssituation. Informationen sollten aktuell, vollständig, sicher und bestimmt sein. Die Darstellung und Bewertung von Handlungsalternativen. Die Annahmen, die den einzelnen Szenarien zu Grunde liegen, und die Zuverlässigkeit der Prognosen sollten geklärt werden. Wer wird wann einbezogen? Der Umsetzungsfahrplan (Road Map). Dieser sollte konkret und realistisch sein. Bei einem großen deutschen Reise- und Transportunternehmen konnte die Arbeitnehmervertretung den Vorstand überzeugen, einen Teilbereich der Buchhaltung nicht nach Osteuropa zu verlagern, weil die Annahmen zu optimistisch und der Umsetzungsplan unrealistisch war. Auch in Fällen, in denen für Arbeitnehmer nichts zu gewinnen ist, können durch die Beteiligung die negativen sozialen Folgen begrenzt werden (vgl. Praxisbeispiel NXP).
Praxisbeispiel: IBM, Philips, NXP und die Halbleiterfertigung in Böblingen 30 Jahre wurden in einem Werk in Böblingen Halbleiter produziert: Speicher und LogikBausteine. 15 Jahre davon waren Kampf ums Überleben, zuerst bei IBM, dann bei Philips, dann unter dem Namen NXP bei einem Konsortium unter Führung des Finanzinvestors Kohlberg Kravis Roberts & Co (KKR). Die IG Metall Stuttgart beschreibt dies mit folgenden Worten: „Philips kauft eine Halbleiterfabrik. Eine gute, moderne Fabrik. Von IBM, die nicht mehr produzieren, sondern nur noch dienstleisten will. Philips verkündet Visionen. Von Wachstum, von einem prosperierenden Werk. Philips fordert die Belegschaft: Arbeitet gut, seid sparsam, dann geben wir genügend Arbeit. Die Belegschaft arbeitet gut und ist sparsam. Sie bekommt nur manchmal genügend Arbeit. Philips mag nicht mehr. Das Geschäft ist mühsam, das Geld verdient sich nicht leicht. Philips findet Käufer für das Geschäft. Sie nennen sich NXP. Niemand kennt NXP. Das trifft sich gut. Die Belegschaft arbeitet gut und ist sparsam. Sie bekommt auch von NXP nicht genügend Arbeit. Die Manager von
140
3 Strategien
NXP kommen von Philips. Philips hat noch Geld in NXP stecken. NXP verkündet Sachzwänge, betriebswirtschaftliche. NXP schließt die gute, moderne Halbleiter-Fabrik. NXP verteilt die Arbeit an andere, ältere Fabriken. Und nach Fernost. Obwohl das niemand versteht. NXP hat keinen Ruf zu verlieren. Das trifft sich gut. Und keiner ist verantwortlich. Wie immer.“ Die wichtigsten Ereignisse der Auseinandersetzungen zwischen Geschäftsführung und Arbeitnehmervertretung in dieser Zeit waren: 1998
Erste Betriebsänderung nach Ausstieg von IBM. 120 Arbeitnehmer verlieren ihren Arbeitsplatz. Keine betriebsbedingten Kündigungen.
2000
Zweite Einigungsstelle für einen Interessenausgleich und Sozialplan. Eine Einigung in Verhandlungen war nicht möglich.
2001
Verschmelzung auf die Philips Semiconductors GmbH. Abschluss eines Anerkennungs- und Ergänzungstarifvertrags nach arbeitskampfähnlichen Auseinandersetzungen.
2004
Dritte Einigungsstelle für einen Interessenausgleich und Sozialplan. Betriebsbedingte Kündigungen.
2005
Nach monatelangen Verhandlungen wird ein Standortsicherungs-Tarifvertrag abgeschlossen. Es droht die Schließung des Betriebs.
2007
Die Schließung des Werks wird angekündigt. Abschluss eines Sozial-Tarifvertrages nach Arbeitskampfmaßnahmen.
Im Jahre 2008 erzielt NXP einen Nettoumsatz von 5,4 Mrd. US-Dollar. NXP ist der zweitgrößte Halbleiterhersteller und der größte Emittent von hochspekulativen Anleihen (Junk Bonds) Europas. Der Sitz ist weiterhin in Eindhoven/Niederlande. Analysten bezweifelten, dass NXP überleben kann. 2011 liegt der Umsatz bei 4,2 Mrd. US-Dollar. Seit dem Börsengang 2010 hat sich im September 2012 der Börsenkurs allerdings verdoppelt. Es gibt Gerüchte, dass NXP Lieferant des neuen iPhones ist. Fragen: 1. Strategieänderungen, wie der Rückzug aus Geschäftsfeldern, werden häufig ohne Bezug zu den daraus folgenden operativen Maßnahmen betrachtet. Was spricht dafür, was dagegen? 2. Werden Veränderungsprozesse durch das Arbeits- und Sozialrecht eher erschwert oder erleichtert? Quelle: IG Metall Stuttgart (Hrsg.): Ein Ära geht zu Ende. Die Zerstörung der Halbleiterfertigung in Böblingen, Stuttgart 2008; Electronic Engineering Times 2008 vom 22.9.2008; Financial Times vom 25.2. 2009; www.nxp.com; http://abcnews.com, abgefragt am 12. 9.2012.
3.1 Geschäftsstrategie
141
INSTRUMENTE DER STRATEGIEUMSETZUNG ANWENDEN Kehren wir noch einmal zum Anfang dieses Kapitels zurück: Ausgangspunkt der strategischen Planung ist die Strategieentwicklung, zu der, wie gezeigt, die Festlegung der Mission und Vision mit den dazugehörigen Werten sowie die Strategieanalyse gehören. Die Ergebnisse aus den dabei angewandten Instrumenten beeinflussen die Formulierung der Strategie, sowohl bei der Formulierung der Ziele als auch als Vorgaben für Richtungen und Maßnahmen der Strategieentwicklung. Die Strategieformulierung erfolgt auf der Ebene des Gesamtunternehmens und des Geschäftsbereichs jeweils für das Geschäftssystem, das heißt die Ressourcenbasis, das Aktivitätssystem und das Produkt- und Dienstleistungsangebot. Daraus abgeleitet werden Funktionalstrategien entwickelt, beispielsweise für Marketing, Produktion, Beschaffung, Finanzierung, Personal und Forschung und Entwicklung, die je nach der Wettbewerbsstrategie unterschiedlich sind. Wenn die Geschäftseinheit eine Differenzierungsstrategie verfolgt, werden die entsprechenden Funktionalstrategien anders aussehen, als bei einer Strategie der Kostenführerschaft. Zur operativen Planung gehört die Festlegung der Planungsprämissen durch die zentrale Planungsabteilung. Die Teilpläne werden durch die jeweiligen Einheiten unter Beachtung der Vorgaben erstellt. Aufgabe der Geschäftsführung und der zentralen Planungsabteilung ist es, die Teilpläne abzustimmen und die Beschlussfassung über den Gesamtplan herbeizuführen. Die Umsetzung und das Controlling einer neuen Strategie erfordert Anpassungen in der Organisation, vor allem in den Bereichen Führung, Organisationsgestaltung, Personalmanagement und Informationstechnik (vgl. Galbraith & Kazanjian 1986; Daft 2008 und Abb. 3.17): Umwelt Organisation
Führung • Überzeugen • Mitarbeiter motivieren • Mitarbeiter beteiligen • Den Wandel gestalten
Strategie
Organisationsgestaltung
Personalmanagement
• Dezentrale und zentrale Strukturen • Teams aufbauen • Prozesse, Projekte und Beteiligung optimieren • Kulturen und Werte beeinflussen
• Mitarbeiter anwerben/auswählen • Mitarbeiter bewerten, entwickeln und vergüten • Personalplanung sozialverträglich gestalten
Informations- und Steuerungssystem • Enterprise Resource Planning Systems • Internet und E-Business • Social Communities • Controlling, Anreizsysteme, Budgetierung
Abb. 3.17
Instrumente der Strategieumsetzung (in Anlehnung an Daft 2010, S. 203)
Leistung
142
3 Strategien
Führung (Leadership) bedeutet, Mitarbeiter zu überzeugen und zu motivieren, da organisatorischer Wandel (Change Management) besser umzusetzen ist, wenn Mitarbeiter beteiligt werden (vgl. Kap. 1.3 und 4.7). Zur Organisationsgestaltung (Organizational Design) gehören Fragen, wie Prozesse, Projekte und die Beteiligung der Mitarbeiter optimiert werden können, sowie Themen der Zentralisation und Dezentralisation von Strukturen, der Spezialisierung der Arbeit und der Arbeitsbedingungen, welche Aufgaben selbstgesteuert in Teams und Geschäftseinheiten und welche hierarchisch gesteuert werden sollen (vgl. das folgende Kapitel). Durch eine Strategieänderung wird ebenso das Personalmanagement (Human Resource Management) in seinen Funktionen beeinflusst. Dazu gehören Funktionen wie Mitarbeiter anwerben und auswählen, bewerten, entwickeln und vergüten und die Personalplanung sozialverträglich zu gestalten. Schließlich verändern sich auch die Anforderungen an das Informations- und Steuerungssystem (Information Technology and Controlling). Zur Informations- und Kommunikationstechnologie gehören die Möglichkeiten durch das Enterprise Resource Planning System (ERP), etwa von SAP, Prozesse zu modellieren und zu integrieren, das Internet für das Management der Kundenbeziehungen (Customer Relationship Management, CRM) bzw. für Differenzierungs- oder Mass-Customization-Strategien zu nutzen und die Kommunikation durch Social Communities (Blogs, Facebook, Twitter usw.) zu entwickeln. Die Informationstechnologie (IT) beansprucht inzwischen die Rolle eines Partners für innovative Geschäftsmodelle, ist nicht mehr nur Lieferant oder Versorger, nicht mehr nur Operator, sondern auch Innovator (vgl. Kagermann & Österle 2007; Capgemini 2008; Pohland 2009). Zur Überprüfung des Controllingsystems gehört die Auseinandersetzung mit Themen wie der Balanced Scorecard und der Budgetierung. Dazu im Folgenden einige Bemerkungen. Ursprünglich nur als Controllinginstrument konzipiert, gelten die Balanced Scorecard und Strategy Maps nach Kaplan & Norton (2008) trotz aller Kritik (vgl. Kap. 2.2.2) inzwischen als geeignete Mittel, um die Ausgewogenheit bei der Zielfestlegung und der Strategieformulierung im strategischen Plan abzubilden und daraus wiederum Funktionalstrategien zur Strategieumsetzung sowie zur Abstimmung der Organisation abzuleiten. Die Abb. 3.18 zeigt, dass die Ergebnisse aus der Anwendung der oben beschriebenen Analyseinstrumente und der strategischen Optionen in einer Strategy-Map abgebildet werden können, die UrsacheWirkungs-Zusammenhänge angibt. Weitere Instrumente kommen infrage, wie die Abbildung zeigt. Einige davon (5-Kräfte-Branchenanalyse, Resource Based View und Blue Ocean Strategie) haben wir in diesem Kapitel bereits dargestellt, einige (Social Responsibility und Enterprise Risk Management COSO) bereits im zweiten Kapitel angesprochen und weitere werden wir in den folgenden Kapiteln erläutern. Auf die Darstellung von Methoden wie One-to-One Marketing, Futurization und Ideation verzichten wir hier. In diesem Zusammenhang sind auch Anreizsysteme wie die Managervergütung und Boni zu prüfen (vgl. Kap. 1.4 und 2.4).
3.1 Geschäftsstrategie
143 Financial- and Portfolio-Based Approaches BCG growth-share matrix
Risk
GE matrix
COSO
Shareholder value/economic value added Positioning/Niches
Strategy Map
Five forces value chain
Financial Perspective
Core competencies
Customer Perspective
Scenario planning
Time-driven ABC
Social Responsibility Local community
Operations Excellence
Customer Relationship
Innovation
TQM/Six Sigma Reengineering
Experience cocreation One-to-one marketing
Profit from the core
Productivity/Quality
Customer Value Proposition Blue ocean
Resource-based view
Lean manufacturing
Enterprise risk management
Learning and Growth Perspective
Social Responsibility
ISO 14001 SOX 404 Innovation Open innovation Futurization Ideation Core competencies
Abb. 3.18
Instrumente der Strategieanalyse und die Strategy Map (nach Kaplan & Norton 2008)
Seit den 1990er Jahren wird auch vermehrt vom externen Rechnungswesen gefordert, die aggregierten Finanzkennzahlen in Bilanz und GuV durch nicht-finanzielle und zukunftsorientierte Berichtselemente zu ergänzen. Die Entscheidungsrelevanz des externen Rechnungswesens beruht somit nicht allein auf der Bereitstellung scheinbar neutraler und objektiver Kennzahlen, sondern auch auf mehr Transparenz zu komplexen Zusammenhängen, Stakeholder-Beziehungen und subjektiven Entscheidungsprozessen (vgl. Chahed 2009). Die Unternehmensleistung wird zunehmend nicht mehr allein am nachhaltigen wirtschaftlichen Erfolg gemessen, sondern auch an der Erreichung sozialer und ökologischer Ziele (Triple Bottom Line). Ursachen dafür sind, dass insbesondere große Unternehmen als verantwortlich gegenüber der Gesellschaft angesehen werden und dass ihre Attraktivität auf dem Arbeitsmarkt sowie ihr Markenwert davon abhängen. Die Messung der ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit kann auf einer vergleichenden Bewertung der Belastungen erfolgen. Der Sustainable-Value-Ansatz ermittelt demgegenüber in einer monetären Kennzahl, wie viel Wert durch einen zusätzlichen oder verringerten Einsatz ökologischer und sozialer Ressourcen geschaffen wird (vgl. Figge & Hahn 2004; www.sustainablevalue.com). Der BMW Group werden danach im Vergleich zur Autobranche hervorragende Ergebnisse bescheinigt (vgl. Barkemeyer et. al 2009). Allerdings gibt es auch dabei erhebliche methodische Probleme (bei Konsistenz und Vollständigkeit sowie der Variablenkontrolle, wie der Wertschöpfungstiefe). Im beeindruckend umfangreichen und von PricewaterhouseCoopers geprüften „Sustainable Value Report“ der BMW-Group (2010) wird auf die detaillierte Darstellung der relevanten „Key Performance Indicators“ nicht verzichtet. Nach der Strategieentwicklung und -auswahl geht es, wie gesagt, um die Umsetzung der Strategie, die Abstimmung der Organisation, die Entwicklung von Funktionalstrategien und die Ableitung der operativen Pläne und Budgets. Erst bei der tatsächlichen Umsetzung in der
144
3 Strategien
Unternehmenspraxis zeigt sich, ob sich die Planung bewährt. Aufgabe des Controllings ist es, Abweichungen festzustellen und Vorschläge zur Verbesserung der Strategie zu entwickeln. Beispielsweise kann es sein, dass in einer turbulenteren Umwelt die bisherige Form der Budgetierung nicht mehr zweckmäßig ist. Ein Budget ist ein an finanziellen Wertgrößen orientierter Plan, den es für alle Planungsstufen und -fristigkeiten geben kann. In der Praxis dominiert allerdings der kurzfristige Plan mit hoher Verbindlichkeit, das Jahresbudget (vgl. Horváth 2009, S. 200 ff.). Das Budget ist eine Form der dezentralen Steuerung der Organisation, denn die Unternehmensleitung verzichtet auf konkrete Handlungsanweisungen. TopDown oder Bottom-Up werden Budgets, also finanzielle Ziele, mit dem Funktionsbereich, der Abteilung, oder der Stelle erarbeitet und vereinbart. Neben dem bürokratischen Aufwand können sich durch die Budgetierung aber Fehlsteuerungen durch Ausweichreaktionen der Budgetverantwortlichen und die Vernachlässigung des Unternehmensziels ergeben (vgl. Wöhe & Döring 2010, S. 207 f.): Budget slack. Vereinbarung „komfortabler“ Budgetvorgaben. Budget Wasting. Unsinnige Ausgaben zur Sicherung des bisherigen Budgets („Dezemberfieber“). Budget-Schere. Notwendige Maßnahmen unterbleiben. Number Game. Das „Zahlenspiel“ vernachlässigt langfristige Erfolgspotentiale. Budget-Egoismus. Budgetverantwortliche vernachlässigen externe Effekte auf andere Unternehmensbereiche. Weitere Controllinginstrumente wurden deshalb entwickelt, um die Budgetierung zu verbessern oder aber ganz auf die Budgetierung zu verzichten (vgl. Weber & Lindner 2003). Mit Kennzahlen oder der Balanced Scorecard kann die Budgetierung verbessert werden (Better Budgeting). Durch die Segmentierung und Dezentralisierung der Organisation (etwa durch die Bildung von Profitcentern, die untereinander mit Verrechnungspreisen abrechnen, vgl. Kap. 4) kann, wenn die Dynamik des Umfelds hoch ist, auf Budgetierung auf dieser Ebene verzichtet werden (Beyond Budgeting). Je nach Ausgestaltung entsteht ein anderes Verhältnis zwischen planmäßigem Ressourceneinsatz und dem freien Spiel der Marktkräfte. Als Pioniere werden in diesem Zusammenhang oft Aldi, Dell, Google, Ikea, Svenska Handelsbanken und Toyota erwähnt.
3.2
Unternehmensstrategie
Einstiegsfall: Die Rückkehr der Konglomerate Seit den 1990er Jahren ist die Diversifizierung „Out“ und die Fokussierung auf das Kerngeschäft „In“. Mischkonzerne (Conglomerates) – stark diversifizierte Unternehmen, die in unterschiedlichen Bereichen mit unterschiedlichen Wertschöpfungsketten tätig sind und deren Geschäftsbereiche nicht oder nur wenig verwandt sind – galten als überholt. Schwingt nun das Pendel wieder in Richtung Mischkonzern?
3.2 Unternehmensstrategie
145
Ein traditionelles Beispiel für einen Mischkonzern ist die Oetker-Gruppe. Auf deren Homepage heißt es 2012: „Die Oetker-Gruppe gehört mit über 26.000 Mitarbeitern und einem Umsatz von rund 10 Milliarden Euro zu den großen europäischen Familienunternehmen. Holding der Oetker-Gruppe ist die Dr. August Oetker KG. Eine breite Diversifikation in sechs Geschäftsfeldern mit mehr als 400 Firmen weltweit kennzeichnet das international agierende Unternehmen, das bereits seit über 100 Jahren besteht.“ Oetker ist in sechs Geschäftsfeldern von Nahrungsmitteln über die Schifffahrt bis hin zu Bankgeschäften tätig. Neue Mischkonzerne diversifizieren vor allem in verwandte Branchen. Google beispielsweise betreibt nicht mehr nur eine über Werbung finanzierte Suchmaschine, sondern betätigt sich auch im Bereich des Mobilfunks (mobiles Internet) oder in der Ökostrombranche und kooperiert mit Softwareherstellern wie Salesforce.com. Software wird in den von Google angebotenen Programmen, genannt „Google Apps“, eingebunden und kann von Kunden online genutzt werden. Microsofts Vormachtstellung bei Bürosoftware wird damit untergraben. Apple wiederum ist nicht mehr allein in seinem bisherigen Kerngeschäft, dem Computer mit dem „Macintosh“-Betriebssystem, erfolgreich. Das Unternehmen erweiterte seine Produktpalette um andere Bereiche: Mobiltelefone („iPhone“), Musikspieler („iPod“) und Musikhandel („iTunes Music Store“). Microsoft wird mit seinem Surface Tablet nicht nur zu einem Wettbewerber von Apple sondern auch zu seinen langjährigen Partnern – PC-Herstellern wie HP, Dell und Acer. Gut aufgestellte Mischkonzerne wie Bayer, Thyssen-Krupp oder auch MAN zeigen, dass durch eine schnelle Integration neu hinzugewonnener Sparten, durch einheitliche und gemeinsame Werte und Ziele, ein Zusammenschluss unterschiedlichster Geschäftsbereiche unter einem Dach erfolgreich sein kann. Je schneller die Integration vollzogen ist, desto besser; anderenfalls kann eine Unternehmung nur zu einem losen Verbund historisch gewachsener Einheiten werden, der umso einfacher wieder zerschlagen werden kann. Die klassische Idee des Konglomerats, d.h. diversifizierte Unternehmen mit völlig unterschiedlichen Sparten hat an Bedeutung verloren. Dabei zählten Größe und Risikostreuung. Noch in den 1960er Jahren hatte Harold Geneen, CEO von ITT, den wohl größten Mischkonzern der Geschichte geschaffen: er kaufte über 300 Unternehmen auf, in Branchen wie Versicherungen (u. a. Hartford, Abbey Life), Autovermietungen (Avis Rent A Car), Hotels (Sheraton), Fahrzeugtechnik (KONI) sowie der Satellitenkommunikation und Flüssigkeitstechnik. Nachdem er ITT verlassen hatte, wurde allerdings schnell klar, dass ein solch großer Konzern nicht mehr kontrollierbar ist und die Gewinne nicht den Erwartungen entsprachen. Die neue Unternehmensführung entschied sich, das Unternehmen wieder auf seine Kernkompetenzen zu beschränken. Wie man am oben genannten Beispiel von Google und Apple erkennen kann, konzentriert man sich heute überwiegend auf verwandte Bereiche. Fragen: 1. Sind Google und Apple heute wirklich Mischkonzerne? 2. Was spricht für Produktdiversifikation, was dagegen? 3. Warum werden der verbundenen Diversifikation höhere Erfolgschancen eingeräumt?
146
3 Strategien
Quellen: o.V.: Apple, Bayer, Google und die Rückkehr der Konglomerate. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 19.12.2007, S. 14.; o.V.: Bündnis mit Google. Der Softwarehersteller Salesforce.com kooperiert mit der Suchmaschine und attackiert Microsoft. In: Süddeutsche Zeitung Nr. 87 vom 14.04.2008, S. 20; o.V.: Der Mischkonzern ist die richtige Struktur. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 16. März 2009, S. 14; http://www.oetker-gruppe.de, abgefragt am 15.10. 2012.
3.2.1
Konfiguration des Unternehmens
Jedes Unternehmen, das in mehreren Geschäftsbereichen tätig ist, weist eine bestimmte Konfiguration auf. Aufgabe der Unternehmensstrategie (Corporate Strategy) ist es zu klären: (1) In welchen Geschäften sollte das Unternehmen tätig sein? (2) Wie soll diese Gruppe von Geschäften geführt werden (vgl. De Wit & Meyer 2010, S. 303)? Dazu sind Wachstumsstrategien festzulegen, Wertarchitekturen zu überprüfen und die Potenziale des Gesamtunternehmens zu entwickeln. Sind Synergien zu fördern oder ist die Autonomie und Reaktionsfähigkeit (Responsiveness) der Geschäftsbereiche vorzuziehen? Sind Kooperationen sogar mit Konkurrenten einzugehen oder sollte man besser eigenständig bleiben? Dies sind die Themen in diesem und dem folgenden Kapitel zur Unternehmens- und Netzwerkstrategie. Zur Vertiefung wird hier Corporate Strategy & Governance von Müller-Stewens & Brauer (2009) empfohlen, die allerdings die Begriffe anders verwenden: Portfoliomanagement wird durch eine Konfigurationsstrategie erreicht, Synergiemanagement durch Koordination.
WACHSTUMSSTRATEGIEN FESTLEGEN Die Konfiguration des Unternehmens wird durch die Wachstumsrichtungen und Maßnahmen zur Potentialentwicklung geprägt (vgl. Abb. 3.19). Ein Unternehmen kann aus einem bestehenden Geschäft heraus in verschiedene Richtungen zu wachsen. Dabei ist nach der Produkt-Markt-Matrix von Igor Ansoff (1965) die Marktdurchdringung, also die Ausweitung des Marktanteils bei bestehenden Produkten und Märkten, eine erste mögliche strategische Option. Maßnahmen der Potenzialentwicklung
Richtung der Markt- und Kompetenzentwicklung Produkte
B Produktentwicklung mit bestehenden mit neuen Kompetenzen
intern
Interne Entwicklung
extern
Übernahme und Beteiligung
C Marktentwicklung Neue Segmente Neue Gebiete Neuer Nutzen
D Diversifikation mit bestehenden mit neuen Kompetenzen
extern
Unternehmenskooperation
Märkte
Bestehend
Neu
A Sichern/Ausbauen Rückzug Konsolidierung Marktdurchdringung
Neu
Bestehend
Intern/ extern
Restrukturierung
Verkleinerung Vergrößerung der Unternehmung
Abb. 3.19
Wachstumsrichtungen und Potentialentwicklung des Unternehmens
3.2 Unternehmensstrategie
147
Darüber hinaus kann das Unternehmen den Umfang (Scope) seiner Aktivitäten erweitern, indem es das Produktspektrum erweitert (Produktentwicklung) oder sich in benachbarte Marktsegmente oder Regionen (Marktentwicklung) bewegt. Dies kann bis zu einem gewissen Grad in den Grenzen des bisherigen Geschäfts geschehen. Diversifikation liegt vor, wenn das Unternehmen in neue Produkte und Märkte vordringt. Dabei kann ein Unternehmen vertikal, horizontal oder lateral diversifizieren (vgl. Ansoff 1957). Kommen vorgelagerte Produktionsstufen hinzu, etwa wenn eine Zeitung eine eigene Druckerei aufbaut, so spricht man von vertikaler Diversifikation oder auch Rückwärts-Integration (Backward- or Upstream-Integration). Übernimmt ein Automobilhersteller zuvor selbständige Händler, so ist das eine Vorwärts-Integration (Forward- or Downstream-Integration). In vielen Branchen wird heute mehr Geld mit den entsprechenden Dienstleistungen verdient als mit Produkten. Unternehmen wie IBM, Holzmann, Hilti und Nokia wandern in die nachgelagerten Wertstufen: Downstream, „where the real money is“ (Wise & Baumgartner 1999). Eine horizontale Diversifikation entsteht, wenn verwandte Geschäfte auf der gleichen Produktionsstufe integriert werden, also wenn etwa, wie im Einstiegsfall angesprochen, Google mit dem Softwarehersteller Salesforce kooperiert. Bei der lateralen (konglomeraten) Diversifikation wächst das Unternehmen außerhalb der bisherigen Branchengrenzen; zwischen den Komponenten der Geschäftsysteme, also zwischen den Produkten/Märkten, dem Aktivitätssystem und der Ressourcenbasis besteht keinerlei oder nur wenig Verbundenheit (vgl. Einstiegsfall). Dieses Standardmodell der Produkt-Markt-Matrix ist heute aus zwei Gründen zu modifizieren. Zum einen sind im Zuge der Globalisierung seit den 1980er Jahren neue Geschäftsmodelle entstanden, wonach Erfolgspotenziale nicht nur im Wachstum in alten und neuen Geschäftsfeldern, sondern auch im Rückzug auf das Kerngeschäft und im Outsourcing gesehen werden (vgl. Kap. 3.3.3). Zum anderen wird mehr Gewicht auch auf den ResourceBased-View gelegt (vgl. Kap. 3.1.1 und 3.2.4): Wachstum kann mit bestehenden und mit neuen Kompetenzen erreicht werden. Das Wachstum kann durch unterschiedliche Maßnahmen der Potentialentwicklung umgesetzt werden. Dazu gehört zunächst die interne Entwicklung durch den Ausbau bestehender Betriebe (Brownfield-Investitionen) oder durch Neuinvestitionen (Greenfield-Investitionen), auch als organisches Wachstum bezeichnet. Übernahme und Beteiligung an anderen Unternehmen (Mergers & Acquisitions, M&A) sowie die Unternehmenskooperation sind weitere Möglichkeiten. Der Rückzug aus bisherigen Wertschöpfungsstufen und die Verkleinerung des Leistungspotenzials werden durch Restrukturierung umgesetzt. Restrukturierungen wie die Einschränkung, Stilllegung und oder Verlegung von Betrieben oder von Betriebsteilen und die Änderung der Betriebsorganisation und des Betriebszwecks sind häufig Folge von Zusammenschluss und der Spaltung von Unternehmen und Betrieben (vgl. Ireland et al. 2009). Diese Themen sind komplex und können hier nicht weiter vertieft werden (vgl. allein zu den mit der Restrukturierung aufgeworfenen arbeitsrechtlichen Fragen Willemsen et al. 2011). Eine vergleichsweise neue Entwicklung ist, dass Unternehmenskauf und -verkauf miteinander verbunden werden. Unternehmen trennen sich von Randbereichen und stärken ihr Kerngeschäft durch Übernahmen und Beteiligungen. Linde beispielsweise hat die Gabelstaplersparte an einen amerikanischen Finanzinvestor verkauft und konzentriert sich mit der Über-
148
3 Strategien
nahme von BOC auf das Geschäft industrieller Gase. Nach einer Studie der Boston Consulting Group (BCG) können Unternehmen durch den regelmäßigen Zu- und Verkauf von Geschäftsbereichen – Siemens etwa hat von 1990 bis 2011 250 Geschäftseinheiten im Wert von 30,7 Milliarden verkauft und 400 Geschäftsbereiche für 43 Milliarden Dollar zugekauft – ihren Marktwert steigern (vgl. Kengelbach et al. 2012).
WERTARCHITEKTUR PRÜFEN Was bedeutet es, wenn die Tankstelle zum Convenience Shop wird, während umgekehrt Handelsketten Benzin anbieten? Warum bieten Automobilhersteller Bankdienstleistungen an und werden Autovermieter zu Autohändlern? Dieses als Business Migration bezeichnete Phänomen kann zunächst als Marktentwicklung bzw. Diversifikation eingeordnet werden, ist aber eng verknüpft mit neuen Wertarchitekturen: „Auf der Suche nach Wachstumschancen wandern Unternehmen über Branchen- und Produktgrenzen hinweg in fremde Märkte. Das Phänomen ‚Business Migration‘ ist allgegenwärtiges Symptom eines fundamentalen Wandels. Neue Wettbewerbsmuster entstehen jenseits des Industriekonzepts.“ (Heuskel 1999, S. 7) Bei der Wertarchitektur des Unternehmens geht es darum, in wie vielen Geschäften das Unternehmen tätig sein soll, welche Bedeutung jedes Geschäft haben soll, wie die Geschäfte arrangiert sind. Wie sieht die Architektur der Wertketten aus? Welche Aktivitäten sollen selbst erstellt, welche zugekauft, welche in Kooperation mit Partnern erstellt werden? Oder ist die völlige Zerlegung und Restrukturierung des Unternehmens das Ziel, vergleichbar zum Dekonstruktivismus in der Architektur, etwa beim Guggenheim Museum in Bilbao? Wie schnell sich Wertarchitekturen (vgl. Abb. 3.20) ändern, zeigt das Beispiel der Computerindustrie, die Andrew Grove, ehemaliger CEO von Intel, in seinem Buch Nur die Paranoiden überleben (1997) beschreibt. Die Frage Integration oder Desintegration, Kerngeschäft oder Outsourcing wird je nach Wertarchitektur völlig anders beantwortet: Integrator. Ford und General Motors verfolgten anfangs die Strategie, bei der Herstellung eines Autos alles selbst zu machen, später dann, in den 1990er Jahren, haben sie die Komponentenfertigung fremdvergeben. Heute gelten 25 Prozent Wertschöpfungstiefe bei Automobilherstellern als üblich. Allerdings kann das Bild täuschen. Zur Toyota-Gruppe gehören die Zulieferpartner; so betrachtet liegt die Wertschöpfungstiefe bei 75 Prozent (vgl. Kap. 3.3.1). Wertschichtenspezialist. Noch in den 1980er Jahren beherrschte IBM mit einem Marktanteil von über 70 Prozent als vertikal integrierter Konzern die Weltcomputerindustrie. Nur zehn Jahre später dominierten bereits Wertschichtenspezialisten wie Intel und Microsoft, zwischen denen zwar eine komplementäre Beziehung besteht, die aber voneinander unabhängig sind. Nur Apple geht einen eigenen Weg (vgl. Praxisbeispiel, S. 153 f.). Orchestrierer. Das fokale Unternehmen, die Spinne in diesem Netzwerk, produziert nicht selbst, sondern schließt Verträge mit Zulieferern, vorzugsweise in Niedriglohnländern. Dell, Nike und Puma sind beispielsweise so aufgestellt, Toyota nur auf den ersten Blick.
3.2 Unternehmensstrategie
149
Marktmacher verändern die Regeln dieses Markts. Beispiele dafür sind die Selbstbaumöbeln des schwedischen Möbelkonzerns IKEA oder das Sabre Computerreservierungssystem für die Tourismusbranche.
Abb. 3.20
Integrator
Schichtenspezialist
Orchestrierer
Marktmacher
Wertarchitekturen (nach Heuskel 1999, passim)
POTENZIALE DES GESAMTUNTERNEHMENS ENTWICKELN Beim Management eines Unternehmens, das aus mehreren Geschäften besteht (MultiBusiness-Enterprise), geht es darum, die damit verbundene Differenzierung der Aufgaben durch einen entsprechenden Grad der Integration zu ergänzen (vgl. Lawrence & Lorsch 1967). Synergien können durch Integration ausgeschöpft werden. Diese wird erreicht durch: Zentralisierung. Zusammenführung der Leitung in einer Zentrale. Koordinierung. Diese wird notwendig, weil die Ressourcen, Aktivitäten und Produktangebote auf verschiedene Geschäftseinheiten verteilt sind. Standardisierung. Wenn ähnliche Ressourcen (Technologien, Menschen), standardisierte Aktivitäten (F&E, HR-Management) und gemeinsame Produkteigenschaften (HighTech-Positionierung) angewendet werden, können Größen- und Lernvorteile genutzt werden. Wenn jede Geschäftseinheit als Profitcenter wie ein „Unternehmen im Unternehmen“ nur die eigenen Interessen verfolgt, werden Synergien verschenkt. Gemeinsame Ressourcen (Kernkompetenzen) werden nicht nur nicht genutzt, sondern gefährdet, Aktivitäten werden nicht abgestimmt entwickelt und Vorteile aus einem gemeinsamen Produktangebot nicht wahrgenommen (vgl. Prahalad & Hamel 1991). Deshalb greift die Zentrale durch Rahmenbedingungen steuernd ein und fördert die Kooperation zwischen den Geschäftseinheiten (vgl. Abb. 3.21). Auf der anderen Seite besteht die Gefahr, dass durch übermäßige Integration die Fähigkeit zur flexiblen Reaktion verloren geht. Die Strategieforscher Michael Goold
150
3 Strategien
und Andrew Campbell (1994) fanden heraus, dass es bei diesem Corporate Parenting drei Arten gibt, wie die Zentrale steuert: die finanzielle Steuerung, die den Strategischen Geschäftseinheiten ein hohes Maß an Autonomie lässt; die Art der strategischen Planung, bei der die Geschäftseinheiten kaum Spielräume haben; die strategische Steuerung, die zwischen den beiden Extremen liegt.
Zentrale Steuerung SGE A
Kooperation Konkurrenz
Steuerung SGE B
Kooperation Konkurrenz
SGE C
Unternehmen Umwelt
Geschäft A
Abb. 3.21
Geschäft B
Geschäft C
Zentrale und Strategische Geschäftseinheiten (De Wit & Meyer 2010, S. 307, modifiziert)
Welche Art der Steuerung (Control) angewendet wird, hängt davon ab, wie die Gewichte im Spannungsfeld von Synergie und Autonomie, die die Geschäftseinheiten brauchen, gesetzt werden (vgl. dazu das Praxisbeispiel Deutsche Telekom). Symbolisch für Kontrollorientierung kann der Telekommunikationskonzern ITT unter seinem CEO Harold Geneen der 1960er Jahre gelten, für die radikale Dezentralisierung steht der Elektrokonzern Asean Brown Boverie der 1990er Jahre, geführt von Percy Barnevik, der das Unternehmen in 1.200 Profitcenter zergliedert hatte. Dadurch wird die Konkurrenz zwischen den Geschäftseinheiten gefördert (vgl. näher Kap. 4). Bei der Wahl zwischen schwerfälligem Zentralismus und rücksichtslosem Bereichsegoismus kann es den Entscheidern ähnlich gehen wie dem Seefahrer Odysseus, der sich in der Meeresenge von Messina den verlockenden Seeungeheuern Scylla und Charybdis ausgesetzt sah.
3.2 Unternehmensstrategie
151
Praxisbeispiel: Synergie oder Autonomie bei der Deutschen Telekom Die neuere Geschichte der Deutschen Telekom lässt sich nach ihren Vorsitzenden ordnen. Zu Beginn der Ära des Vorstandsvorsitzenden Ron Sommer ab 1995 stand im November 1996 der Börsengang der Telekom, des ehemaligen Staatsunternehmens. Ziel war es, den Geschäftsbereichen mehr Handlungsfreiheit zu geben. Einzelne Geschäftsfelder wurden ausgegründet, mit dem Ziel sie im Rahmen der sogenannten Vier-Säulen-Strategie (TCom, T-Mobile, T-Online und T-Systems) jeweils als eigenständige AG an die Börse zu bringen. Umgesetzt wurde dies jedoch nur für die T-Online. Der Aktienkurs verfiel. Im November 2002 übernahm Kai-Uwe Ricke den Telekom-Vorstandsvorsitz. Die Autonomie der Geschäftsbereiche wurde verringert. Im April 2005 revidierte Ricke die VierSäulen-Strategie, indem er die erst vor viereinhalb Jahren an die Börse gebrachten 20,4 Prozent Anteile der T-Online wieder zurückkaufte. So sollte die konzerninterne Konkurrenz zwischen T-Online und den DSL-Anschlüssen der T-Com verringert und der Konzern eher an den Bedürfnissen der Kunden ausgerichtet werden. 50.000 Stellen werden abgebaut, ab 2005 noch einmal 30.000 Stellen. Als neuer Telekom-Vorstandsvorsitzender trat am 13. November 2006 René Obermann an. Als Schwerpunkte kündigte er die Verbesserung des Service und eine stärkere Verzahnung der Sparten Festnetz und Mobilfunk an. Sein Sanierungsplan führte im Frühjahr 2007 zu einem massiven Tarifkonflikt bei der Deutschen Telekom, in dessen Folge über 50.000 Mitarbeiter ab dem 1. Juli 2007 in die Tochtergesellschaft T-Service ausgegliedert wurden. In Ergänzung des Sanierungsplans führte Obermann im selben Monat einen Billigableger unter dem Namen Congstar ein und übernahm den Vertrieb des iPhones, um die Marke Telekom neu zu positionieren. Zugleich wird die Zentralisierungsstrategie weiter verfolgt. Am 1. April 2010 wurden die zwei eigenständigen Geschäftseinheiten T-Home (Festnetz) und T-Mobile (Mobilfunk) zur Telekom Deutschland GmbH zusammengeführt. Diese Zusammenlegung geht auf den Plan zur One Company zurück, die der Konzern auch in anderen Ländern umgesetzt hat. Damit werden die Produkte rund um Festnetz, Mobilfunk, Internet und IPTV aus einer Hand angeboten. Weitgehend unverändert niedrig blieb der Aktienkurs seit 2002 bei etwa 10 Euro. Fragen. 1. Wie hat sich die Konzernsteuerung verändert? 2. Warum? Quelle: Weitgehend übernommen aus http://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Telekom; www.telekom.de; www.onvista.de; abgefragt am 10.10.2012.
152
3.2.2
3 Strategien
Portfolio-Organisation oder integrierte Organisation?
Entscheidungen auf der Ebene des Gesamtunternehmens werden geprägt durch das Spannungsfeld von Reaktionsfähigkeit (Autonomie) und Synergie (vgl. De Wit & Meyer 2010).
SYNERGIEN NUTZEN Synergie entsteht aus der Verwandtschaft (Relatedness) zwischen Strategischen Geschäftsbereichen. Die bekannteste Aussage dazu stammt von Richard P. Rumelt (1974, S. 29): „Geschäfte sind verwandt, wenn sie gemeinsame Fähigkeiten, Ressourcen, Märkte und Zielsetzungen aufweisen.“ Für das Geschäftssystem des Mehrgeschäftsunternehmens können drei Quellen von Synergien unterschieden werden (vgl. Abb. 3.22 und das Praxisbeispiel Apple): Nutzung gemeinsamer Ressourcen, Abstimmung der Positionen beim Produktangebot und Integration der Wertkette: Nutzung gemeinsamer Ressourcen. Synergien entstehen aus der Nutzung gemeinsamer Ressourcen durch Übertragung oder Verteilung zwischen den Geschäftseinheiten. Materielle Ressourcen wie Geld lassen sich leichter übertragen als immaterielle Ressourcen wie Wissen und Fähigkeiten. Nachwuchsprodukte können durch reife Produkte finanziert werden. Aus gemeinsamen Kernkompetenzen und Kernprodukten entstehen, wie das Canon-Praxisbeispiel gezeigt hat, Endprodukte für unterschiedliche Märkte. Immaterielle Ressourcen, wie Software, können ohne weiteren Aufwand vervielfacht werden, Geld legal nicht. Abstimmung der Positionen beim Produktangebot. Synergien durch Verwandtschaft entstehen auch auf der Ebene des Produktangebots, wenn die Positionierung am Markt abgestimmt wird. Die Verhandlungsmacht gegenüber den Käufern wird gestärkt, wenn verbundene Produkte angeboten werden, die sich ergänzen und zu einer gemeinsamen Marke mit einer dazugehörigen Reputation gehören. Praxisbeispiele wie die von Sony und Apple illustrieren, dass man damit mehr oder minder erfolgreich ist. Integration der Wertkette. Geschäftseinheiten sind verwandt, wenn die Integration ihrer Wertketten effizienter und/oder effektiver ist, als wenn sie getrennt wären. Die Integration kann horizontal durch die Verbindung gemeinsamer Aktivitäten oder vertikal durch die Verbindung aufeinanderfolgender Wertschöpfungsaktivitäten erfolgen. So teilen sich Geschäftseinheiten wertschöpfende Aktivitäten in den Bereichen Beschaffung, Produktion oder Marketing. Shared Services sind den letzten Jahren vermehrt im Bereich Gebäudeinstandhaltung (Facility Management), Personal, Finanzierung und Unternehmenskommunikation eingerichtet worden, häufig auch als Zentralbereich. Synergien aus vertikalen Lieferanten-Abnehmer-Beziehungen entstehen aus verschiedenen Gründen: aus technischer Verbundenheit (Beispiel: Eisenhütte/Stahlwerk), weil Transaktionskosten bei hoher Spezifität der Komponenten vermieden werden können (Beispiel: Antriebe bei einem Sportwagenhersteller) oder weil Lernvorteile genutzt und Wissensabfluss vermieden werden.
3.2 Unternehmensstrategie
153
Zentrale Märkte
Märkte
Innen – Außen – Perspektive
Abb. 3.22
SGE B
Produktangebot
Abstimmung der Positionen
Produktangebot
Aktivitätssystem
Integration der Wertkette
Aktivitätssystem
Ressourcenbasis
Nutzung gem. Ressourcen
Ressourcenbasis
Außen – Innen – Perspektive
SGE A
Synergie der Geschäftsbereiche nutzen (nach De Wit & Meyer 2010, S. 310)
Viele Untersuchungen zeigen, dass verwandt diversifizierte Unternehmen (Related Diversifiers) erfolgreicher sind als nicht-verwandt diversifizierte Unternehmen (Unrelated Diversifiers). Neben den genannten Synergien gehören zu den Motiven einer Diversifikation auch der Risikoausgleich, die Nutzung überschüssiger firmenspezifischer Vermögenswerte sowie die Nutzung der Vorteile des internen Kapitalmarkts (vgl. Rumelt 1982; Markides 1995; Palich et al. 2000; Resch 2005; Scheel 2009). Aufgrund dieser weiteren Diversifikationsziele können auch konglomerat diversifizierte Unternehmen erfolgreich sein. In diesem Zusammenhang lässt sich eine Analogie zur Biologie herstellen: In der Natur hat die Population die höchsten Überlebenschancen, die den größten Genpool besitzt, da sie sich am flexibelsten an neue Gegebenheiten anpassen kann. Überträgt man dies auf die Wirtschaft, könnte man behaupten, dass diejenigen Unternehmen überleben, die viele verschiedene Arten von Produkten oder Dienstleistungen anbieten, also den größten Genpool haben. Daraus ließe sich schlussfolgern, dass stark diversifizierte Unternehmen auf Grund ihres großen „Genpools“ überlebensfähiger sind. Das Geheimnis ist, wie Beinhocker (2007) dies ausdrückt, Risikostreuung durch Variation (vgl. Kap. 2.5).
Praxisbeispiel: Synergie bei Apple Konzentration auf das Kerngeschäft, Outsourcing und Zusammenarbeit im Netzwerk sind Standardtherapien, die Unternehmensberater ihren Klienten seit den 1990er Jahren blind verordnen. Die Computerindustrie ist hier keine Ausnahme. Nachdem IBM als vertikal integrierter Konzern in den 1980er Jahren seine Vormachtstellung verloren hat, dominieren Schichtenspezialisten wie Intel und Microsoft sowie Logistiker wie Dell, die Komponenten von Zulieferern auftragsgesteuert montieren. Auch Apple scheint in dieses Schema zu passen, weil das Unternehmen zwar die Produkte in Kalifornien konzipiert, aber beispielsweise von Foxconn in China zusammenbauen lässt. Wie aber konnte Apple damit
154
3 Strategien
nicht nur zum wertvollsten, sondern auch zu einem der innovativsten Unternehmen der Welt werden, seine Konkurrenten überholen und in neue Wachstumsfelder der Verbraucherelektronik, Telekommunikation und Unterhaltungsbranche vordringen? Die vertikale Integration der Wertschöpfung scheint eines der Geheimnisse des Erfolgs von Apple zu sein: „Es ist ein Hardware-Unternehmen, ein Software-Unternehmen, ein Serviceunternehmen und ein Handelsunternehmen. Die meisten Technologieunternehmen der Welt beherrschen ein oder zwei dieser Disziplinen, aber nur bei Apple arbeiten alle vier harmonisch zusammen. Apple ist, wie wir es nennen, vertikal integriert. Es steuert alle wichtigen Glieder der Kette um Produkte herzustellen und zu verkaufen. Apple baut tolle Hardware, besitzt die Erfahrung mit der Schlüsselsoftware, optimiert die Software für diese Hardware, stattet sie mit Webdiensten aus (iTunes und iCloud) und steuert schließlich das Verkaufserlebnis mit seinen eigenen Stores. Im Gegensatz dazu stellen die meisten anderen PC-, Smartphone- und Tablet-Anbieter die Hardware (Dell, Toshiba, Motorola, Samsung, etc.) her, packen die Software von jemand anderem darauf (Windows und Android), fügen Services von Dritten hinzu (Google, Verbindungsdienste, etc.) und verkaufen das Produkt im Laden irgendeines Anderen“ (Bajarin 2011). Apple hat bahnbrechend neue Produkte geschaffen, entwickelt aber auch bestehende Produkte kontinuierlich weiter – ähnlich wie Volkswagen seinen Golf. Das perfekte Design und die über alle Anwendungen hinweg intuitive Benutzbarkeit der Apple-Produkte ist das Ergebnis eines Prozesses, der als „Deep Collaboration“ oder „Simultaneous Engineering“ bezeichnet wird. Produkte werden nicht in getrennten Stufen nacheinander entwickelt, sondern von der Design-, Hardware- und Softwareeinheit gemeinsam. Synergien entstehen neben der Prozess- und Teamorientierung, aus der eigenständigen, rebellischen Kultur, die noch aus der Zeit als Außenseiter gegen IBM und Microsoft stammt, aus der loyalen Kundenbasis, die einem Fanclub gleicht, und nicht zuletzt durch den von Steve Jobs geprägten Führungsstil. Wieso konnte Sony – trotz anerkannter technologischer Fähigkeiten, Markenreputation und eigenem Musik- und Filmgeschäft – bei bahnbrechenden Neuerungen wie dem iPod/iTunes Music Store nicht mithalten? Technisch war Sony soweit, aber man befürchtete das eigene CD-Geschäft zu kannibalisieren. Ähnlich war es auch bei Microsoft. Eigene Projekte, wie ein Tablet-PC wurden gestoppt oder kamen zu spät, weil sie nicht zur Windows-Plattform passten und weil Microsoft dadurch mit seinen eigenen Kunden konkurrieren würde. „Giant Apple“: Mit einem Börsenwert von 623 Milliarden Dollar wird Apple im August 2012 zum wertvollsten Unternehmen aller Zeiten. Doch das Unternehmen ist nicht unangreifbar. Samsung hat bei Smartphones und Tablets inzwischen aufgeholt, Amazon greift mit dem Kindle-Geschäftsmodell an und manche sehen in Apple inzwischen den „Big Brother“ aus Orwells 1984 – eine Rolle, die Steve Jobs damals IBM zugeschrieben hatte.
3.2 Unternehmensstrategie
155
Fragen: 1. Lassen sich die im Text genannten drei Synergiequellen im Fall Apple anwenden? 2. Was spricht dafür, auch die Reaktionsfähigkeit zu entwickeln? Quellen: Bajarin, B.: Why Competing with Apple Is So Difficult. In: TimeTechland 2011 vom 1. Juli 2011, http:// techland.time.com; Heracleous, L. & Papachroni, A.: Strategic Leadership and Innovation at Apple Inc, ECCHCase Nr. 309-083-1, Warwick Business School 2012; Koh, O. J.: How Apple’s Corporate Strategy Drove High Growth, ECCH-Case 312-183-1, INSEAD 2012.
REAKTIONSFÄHIGKEIT ENTWICKELN Die Kehrseite der Synergie ist der Verlust von Autonomie und damit Reaktions- und Anpassungsfähigkeit (Business Responsiveness). Die Verbundenheit der Geschäftseinheiten eines Unternehmens beschränkt zugleich die Möglichkeit schnell und angemessen auf Veränderungen des Wettbewerbsumfelds zu reagieren. Zu den Hauptproblemen gehören: Hoher Verwaltungsaufwand und langsamere Entscheidungen. Die Abstimmung zwischen den Geschäftseinheiten ist kosten- und zeitaufwändig. Strategien sind nicht vereinbar. Die Anpassung der Geschäftseinheiten an die Unternehmensstrategie führt zu Kompromissen, wodurch Geschäftsanforderungen weniger erfüllt werden. Fehlsteuerung und Entmutigung. Weil die Zentrale das Geschäft nicht so kennt wie die jeweilige Geschäftseinheit kommt es zur Fehlsteuerung. Innovation und Unternehmergeist werden durch zentrale Regelungen erstickt. Welche Handlungsmöglichkeiten bestehen, um mit diesem Spannungsfeld von Synergie und Autonomie umzugehen, um das Unternehmen einerseits als Ganzes zu sehen, aber zugleich seine Teile zu respektieren? In der Managementliteratur finden sich dazu zwei völlig gegensätzliche Positionen. Die eine geht davon aus, dass ein Unternehmen am besten als Portfolio von autonomen Geschäftseinheiten betrachtet werden sollte, an der die Zentrale finanzielle Beteiligungen hält und die deshalb finanziell gesteuert werden sollten. Am anderen Ende des Spektrums dominiert die Perspektive, dass Unternehmen eng integriert sein sollten, mit einem starken zentralen Kern von gemeinsamen Ressourcen, Aktivitäten und Produktangeboten (vgl. Abb. 3.23). In letzter Zeit war die Dezentralisierung, ja Dekonstruktion von Unternehmen besonders populär (vgl. etwa Peters 1993; Heuskel 1999; Hagel & Singer 1999; Osterwalder & Pigneur 2011). Entscheidend aber ist es, beide Perspektiven im Blickfeld zu behalten. Portfolio-Organisation versus Integrierte Organisation: Die Relevanz dieser gegensätzlichen Perspektiven lässt sich an drei Themen in den folgenden Unterkapiteln demonstrieren: Kontinuierliche Veränderung oder schöpferische Zerstörung? Diversifikation oder Kerngeschäft? Strategische Partner oder Marktbeziehungen?
156
3 Strategien
Portfolio-Perspektive
Integrierte Perspektive
Betonung auf
Autonomie vor Synergie
Synergie vor Autonomie
Unternehmenskonzept
Gemisch von Geschäftsbeteiligungen
Gemeinsame Kernkompetenzen
Unternehmenskomposition
Potentiell unverbunden (verschieden)
Eng verbunden (fokussiert)
Schlüsselerfolgsfaktor
Autonomie der Geschäftsbereiche
Synergie zwischen Geschäftsbereichen
Synergien durch
Cashflow-Optimierung und Risikostreuung
Integration von Ressourcen, Aktivitäten und Positionen
Managementmodell
Externe finanzielle Steuerung
Gemeinsame Strategieentwicklung
Erste Aufgabe der Zentrale
Budgetverteilung und Leistungskontrolle
Richtung festlegen und Synergien realisieren
Position der Geschäftsbereiche
Geschäftsbereiche sind unabhängig
Geschäftsbereiche sind wechselseitig abhängig
Koordination zw. den Geschäftsbereichen
Gering, gelegentlich
Hoch, strukturell
Wachstum durch Übernahmen
Übernahmen leicht zu handhaben
Übernahmen schwer zu integrieren
Abb. 3.23
3.2.3
Portfolio- versus Integrationsperspektive (nach De Wit & Meyer 2010, S. 323)
Kontinuierlicher Wandel oder schöpferische Zerstörung?
Jedes Unternehmen verfolgt eine bestimmte Mission, einen Zweck, der sich im Zeitablauf ändert. So hat sich die Preussag aus dem Bergbau und Stahl heraus zum führenden europäischen Touristikanbieter TUI gewandelt. Mannesmann, früher bekannter Röhrenhersteller, galt lange als Beispiel erfolgreicher Diversifizierung – inzwischen ist der Konzern nach der feindlichen Übernahme durch Vodafone Airtouche Plc. „gekauft und zerlegt“. Vodafone wollte nur die Sparte Telekommunikation und trennte sich von allen traditionellen Geschäftsfeldern. Die Stahlröhren gingen an die Salzgitter AG, die damit zum Weltmarktführer aufgestiegen ist, die Autozulieferteile an Siemens, die Uhren an die Richemont AG, den zweitstärksten Uhrenanbieter weltweit. Was ist also richtig, Kontinuität durch Anpassung an veränderte Verhältnisse oder die völlige Dekonstruktion der Wertarchitektur? Wir haben eingangs, im Kapitel 2.4.1 die Studie „Built to Last“ von Collins & Porras angesprochen, wonach Unternehmen, die langfristig an ihrer Vision, ihren grundlegenden Werten und Zwecken, festhalten, aber ihre Geschäftsstrategien und -praktiken beständig an eine sich verändernde Welt anpassen, erfolgreicher sind. Visionäre und auf Kontinuität angelegte Unternehmen schaffen nach dieser Untersuchung für den Zeitraum 1897–1994 in den USA mehr Unternehmenswert und Arbeitsplätze als gewöhnliche Unternehmen. Nun kann man sich heute, nach Jahren der Shareholder-Value-Bewegung, des Business Reengineerings,
3.2 Unternehmensstrategie
157
Downsizings und Outsourcings, neuer Wertarchitekturen und anderer Managementkonzepte mit Recht die Frage stellen, ob dieser Zusammenhang noch zutrifft. Kritiker wie Foster & Kaplan von McKinsey (2001) gehen davon aus, dass Unternehmen ihr Portfolio an Beteiligungen wie eine Finanzholding verwalten und auf längerfristige Visionen verzichten sollten. Auch Private-Equity-Gesellschaften kaufen Unternehmen nur, um sie wieder zu verkaufen. Manche Unternehmen, wie die Preussag, haben ihren Zweck gänzlich geändert. Weiter wird darauf verwiesen, dass so manche Vision gescheitert ist, wie die damals von Edzard Reuter, Daimler Benz in einen „integrierten Technologiekonzern“ zu verwandeln. Unternehmen müssten sich den Kräften der „Creative Destruction“, der „schöpferischen Zerstörung“ durch die Marktkräfte stellen. Offenbar gelingt der strategische Wandel nicht immer, um das Unternehmen an veränderte Rahmenbedingungen anzupassen (vgl. Praxisbeispiel Microsoft).
Praxisbeispiel: Das verlorene Jahrzehnt von Microsoft Es war einmal, da dominierte Microsoft die Computerindustrie, stieg zum reichsten Unternehmen der Welt auf. Seit 2000 ist alles anders. Microsoft hat fast jedes neue Geschäft verpatzt: E-books, Musik, Suche, Social Networking usw. Ist dessen CEO Steve Ballmer dafür verantwortlich, der in dieser Zeit den Gründer Bill Gates abgelöst hat? Unterlag Microsoft der gleichen Arroganz der Macht, die bereits zuvor IBM entthront hatte? Der Journalist Kurt Eichenwald kommt nach Gesprächen mit früheren und heutigen Beschäftigten von Microsoft zu folgender Einschätzung: „Was als schlanke Wettbewerbsmaschine begann, geführt von jungen Menschen mit einer Vision und einmaligem Talent, mutierte zu einem aufgeblähten und bürokratieschweren Apparat, dessen Kultur unabsichtlich Manager belohnte, die innovative Ideen abwürgten, die die gewohnte Ordnung der Dinge gefährden könnten. Mit dem Anbruch des Jahrtausends waren die Flure von Microsoft nicht länger von barfüßigen Programmierern bevölkert, die in ihren Hawaii-Hemden die Nächte und Wochenenden durcharbeiteten, um gemeinsam Spitzenleistungen zu erzielen, stattdessen wurde das Leben hinter dicken Firmenwänden farblos und brutal. Erbhöfe wucherten, und die Meisterschaft in der internen Politik wurde zum Schlüssel für die Karriere. (...) Mitarbeiter wurden nicht für gute Arbeit belohnt sondern dafür, dass ihre Kollegen scheiterten. Dadurch wurde das Unternehmen durch endlose Messerstechereien gelähmt. Potentielle Marktschlager – solche wie das E-book oder die Smartphone-Technologie – wurden durch Gezänk und Machtspiele geblockt, behindert oder verzögert.“ Zum Jahresanfang 2000 platzte die Börsenblase, Karrierewege bei Microsoft wurden auf den Kopf gestellt und die Bürokratisierung begann: „Während bisher Innovationen der Jobkitzel waren und zugleich der Weg durch Aktienoptionen reich zu werden, war finanzieller Erfolg nun nur noch auf dem Weg sicher, wie bei den Schwerfälligen und Alten, wie bei General Motors oder IBM – durch Beförderung.“ Zwischen den älter und reich gewordenen Führungskräften und den Neuzugängen entstand ein Graben. Mitarbeiter bekämpften einander um die Beförderung, Boni oder nur das Überleben zu erreichen. Das HR-Performance-Managementsystem, das Mitarbeiter nach einer Zwangsverteilung (Glockenkurve) in Star- und Low-Performer unterscheidet, wird von allen Mitarbeitern, die Eichenwald interviewt hat, als der „schädlichste Prozess“ bei Microsoft bewertet. Um das eigene Ranking, das alle sechs Monate durchgeführt wurde, nicht zu gefährden, vermied
158
3 Strategien
man es, mit Spitzenleuten zusammenzuarbeiten, sorgte dafür, dass Kollegen keine guten Leistungen zustande brachten, und vernachlässigte nachhaltige Ergebnisse. Außerdem gab es gewisse Bewertungsspielräume der Vorgesetzten, die das politische Spiel weiter befeuerten. Danach war die Organisation vergleichbar mit einem „Korb voller Krebse“ (vgl. Kap. 4.4.2): Diese Unternehmenskultur sorgte dafür, dass Microsoft zurückfiel. Nachzutragen ist, dass im August 2012 bekannt wurde, dass SAP, das führende deutsche Unternehmen für Geschäftssoftware, ein solches HR-Performance-Managementsystem bei seinen 60.000 Beschäftigten weltweit einführen will. SAP hat in diesem Jahr SuccessFactors übernommen, ein Unternehmen, das auf diesem Gebiet spezialisiert ist. Wird Performance-Management mit der Glockenkurve nun auch in Kontinentaleuropa wirksam? Carl Friedrich Gauß würde sich im Grabe umdrehen. Fragen: 1. Halten Sie diese Analyse für zutreffend und/oder haben Sie weitere Erklärungen (Leadership, Strategie, Zufall etc.)? 2. Halten Sie Ihre Ergebnisse für verallgemeinerbar? Quellen: Eichenwald, K.: Microsoft’s Lost Decade. In: VanityFair 2012, Nr. 8, www.vanityfair.com, abgefragt am 22.8.2012; o.V.: Wie uns die Arbeit verführt. In: Stern, Nr. 35 vom 23.8.2012. o.V.: Management the Microsoft way. In: The Economist vom 21.8.2012, www.economist.com, abgefragt am 20.8.2012.
Dieser schöpferische Dekonstruktivismus ist, ebenso wie in der Architektur oder Kunst, nur eine Möglichkeit neben anderen (vgl. das Praxisbeispiel Apple zuvor) und zudem nicht unbedingt erfolgreich: Die Kritik kommt aus dem Hause McKinsey selbst. Nach Capozzi, Kellen & Smit (2012) hat die Auswertung einer Datenbank von 750 weltweit tätigen Unternehmen ergeben, dass von dem jährlichen Wachstum von insgesamt 8,6 Prozent vergleichbar großer Unternehmen von 1999 bis 2005 nur 0,1 Prozent auf organisch steigende Marktanteile mit bestehenden oder neuen Produkten zurückgehen, 5,5 Prozent auf das Marktwachstum in den Segmenten bestehender Geschäftsportfolios und 3,0 Prozent auf Übernahmen und Beteiligungen (M&A). Von den 322 Unternehmen, die im Zeitraum von 1999 bis 2007 ein organisches Wachstum durch höhere Marktanteile aufweisen, erreichen nur 6 Prozent die Spitzenklasse und das Wachstum mit unverändertem Portfolio ist auch hier am höchsten. Diese Spitzenklasse wird angeführt von Apple, ein Unternehmen, das im Gegensatz dazu, fast ausschließlich durch höhere Marktanteile mit bahnbrechenden Produkten (Disruptive Innovation) gewachsen ist. Die Autoren warnen aber davor, dieses als Musterlösung (Best Practice) zu verordnen und einem Herdentrieb zu folgen. Sie empfehlen stattdessen eine Innovation mit Augenmaß (Innovation at Scale), „wiederholbares und nachhaltiges organisches Wachstum quer durch die Organisation durch neue Produkte und Dienstleistungen – Wachstum, das auf dem Kerngeschäft des Unternehmens aufbaut.“ (ebd., S. 4)
3.2.4
Diversifikation oder Kerngeschäft?
Noch in den 1970er Jahren war die Diversifikation der dominierende Trend. Ab den 1990er Jahren setzte im Zuge der Globalisierung die Gegenbewegung ein: die Konzentration auf das Kerngeschäft. In beiden Fällen geht es um die Verwendung von Ressourcen, wenngleich
3.2 Unternehmensstrategie
159
mit unterschiedlicher Ausrichtung. Die Portfolio-Analyse, eine in der Managementliteratur seit langem beliebte Methode zur Zuweisung von Ressourcen an Strategische Geschäftseinheiten (SGE), folgt dem Market Based View, während der Kernkompetenz-Ansatz dem Resource Based View zuzuordnen ist.
RESSOURCENZUWEISUNG MARKTORIENTIERT ÜBERPRÜFEN Ausgangspunkt der Portfolio-Analyse der Boston Consulting Group (BCG), einem der weltweit führenden Beratungsunternehmen, ist die Überlegung, dass jedes Produkt einen Lebenszyklus durchläuft. In der Entstehungsphase sind Alternativen zu entwickeln und zu bewerten, dann wird in Forschung & Entwicklung investiert und schließlich werden die Produktion und der Absatz vorbereitet (vgl. Abb. 3.24). Der Marktzyklus beginnt mit der Markteinführung, läuft dann über Marktdurchdringung und -sättigung bis hin zu Marktdegeneration. Über den gesamten Lebenszyklus werden Kosten angesammelt (Cash-Out), die, wenn es gut läuft, durch kumulierte Umsatzerlöse (Cash-In) mehr als übertroffen werden. Der Schnittpunkt beider Kurven heißt Gewinnschwelle (Break-Even-Point). Nachwuchsprodukte schreiben danach rote Zahlen, können aber durch reife Produkte, die die Gewinnschwelle überschritten haben, finanziert werden. Umsätze (Einzahlungen) und kumulierte Kosten (Auszahlungen)
kumulierte Umsätze
alternative Verläufe
kumulierte Kosten Umsätze
Suche alternativer ProblemLösungsideen
Alternativenbewertung und Auswahl
Zeit Forschung
Entwicklung
Produktionsund Absatzvorbereitung
Entstehungszyklus
Markteinführung
Marktdurchdringung
Marktsättigung
Marktdegeneration
Marktzyklus bzw. Marktperiode Lebenszyklus
Abb. 3.24
Lebenszyklus eines Produkts
Die Produkte der SGEs werden nun in eine Marktwachstum-Marktanteil-Matrix eingetragen (Hedley 1977 und Abb. 3.25). Die vertikale Achse zeigt das Marktwachstum in den jeweiligen Märkten, in denen sie tätig sind. Die Skala reicht von 0–22 Prozent, ein Marktwachstum von über 10 Prozent gilt als hoch. Die horizontale Achse zeigt den relativen Marktanteil der SGE, d.h. den eigenen Marktanteil im Verhältnis zum größten Konkurrenten im relevanten
160
3 Strategien
Segment. Sehr niedrig ist ein relativer Marktanteil von 0,1, d.h. der Umsatz der SGE beträgt nur 10 Prozent des Umsatzes des Marktführers. Als maximal wird ein Wert von 10 angesetzt, während ein Wert von 1 entsteht, wenn der Umsatz genauso hoch wie der des Marktführers ist. Das Praxisbeispiel Z AG illustriert wie ein Portfolio ausgefüllt aussieht, wobei die Kreisflächen den Anteil am Gesamtumsatz anzeigen. Entsprechend den Feldern der Matrix werden vier Typen von SGE unterschieden (vgl. Abb. 3.25):
hoch
Nachwuchs-Produkte (Question Marks). Nachwuchsprodukte in Wachstumsmärkten, in denen sich der Marktführer bereits etabliert hat. Deshalb ist der Marktanteil noch gering, es besteht Finanzierungsbedarf und es ist nicht sicher, ob die Produkte Erfolg haben werden. Star-Produkte (Stars). Aus einem Nachwuchsprodukt ist ein „Star“, ein Marktführer in einem Wachstumsmarkt geworden. Hier werden bereits erste Gewinne erzielt. Cash-Produkte (Cash Cows). Wenn die Wachstumsrate unter 10 Prozent sinkt, verfügen die Geschäftseinheiten über Cash-Produkte. Erweiterungsinvestitionen sind nicht mehr notwendig und Größenvorteile können aus der Führungsposition am Markt realisiert werden. Aus den Überschüssen können die anderen SGEs unterstützt werden. Im Praxisbeispiel Z AG gibt es nur einen „Star“ und zwei „Milchkühe“ mit wenig Umsatzanteil. Das Portfolio ist nicht ausgewogen und es besteht externer Finanzierungsbedarf. Auslauf-Produkte (Poor Dogs). Auslaufprodukte mit geringem Marktanteil in stagnierenden Märkten. Diese SGE ist gefährdet, geschlossen oder verkauft zu werden. Nachwuchsprodukte (Question Marks)
Star-Produkte (Stars)
Innovator
niedrig
Marktwachstum
Imitator
Auslaufprodukte (Poor Dogs)
niedrig
Cash-Produkte (Cash Cows)
Relativer Marktanteil
hoch
Lebenszyklus eines Produktes
Abb. 3.25
Portfolioanalyse der Boston-Consulting Group (nach Hedley 1977, verändert)
3.2 Unternehmensstrategie
161
Praxisbeispiel: Z AG – über Cash Cows und Poor Dogs Wie die Portfolioanalyse angewendet wird, illustriert das folgende Beispiel: Die Z AG ist ein (fiktives) Zulieferunternehmen mit drei Betrieben. Hergestellt werden Bauteile für mechatronische Regelungssysteme. Die Produkte, wie Pumpen und ähnliches, basieren auf unterschiedlichen Prinzipien: Elektro, Luftdruck, Öldruck und Mechanik. Beliefert werden industrielle Kunden vor allem aus den Branchen Automobil, Schienenfahrzeuge, Hausgeräte und Flugzeuge. Im Geschäftsjahr werden 200 Millionen Umsatz mit insgesamt 1.550 Arbeitnehmern im Inland erzielt. Im Betrieb Bremen, dem Firmensitz und dem Hauptwerk des Unternehmens, werden die Produkte a und b produziert. Im Betrieb Bremen werden einschließlich Verwaltung und Vertrieb 1.030 Arbeitnehmer beschäftigt. Im Betrieb Köln werden die Produkte e und f für die Hausgeräteindustrie produziert. Der Personalstand liegt bei 270 Arbeitnehmern. Der dritte Betrieb liegt in Münster und beschäftigt 250 Arbeitnehmer. Hier werden die Produkte c und d hergestellt. Darüber hinaus gibt es bisher Vertriebsniederlassungen in Frankreich, Italien und Spanien. Hauptinstrument der strategischen Planung ist eine Analyse mit dem BCG-Portfolio. Dieses ergibt, dass das Hauptgeschäft der Z AG zwar auf einen attraktiven Markt trifft, dass aber die Wettbewerbsposition der Z AG unzureichend ausgeprägt ist (vgl. Abb. 3.26). Daraus leitet der Vorstand der Z AG einen akuten strategischen Entscheidungsbedarf ab, um sich eindeutig im Markt- und Wettbewerbsumfeld zu positionieren und eine Fehlallokation der Ressourcen zu vermeiden.
? Marktwachstum
hoch
Selektieren!
6,5%
50,1%
4 3%
2 mittel
*
3,9% 1
Verbesserung Lieferservice!!!
8
5 3,2%
9
3
3,8%
1: a – Automobilbranche 2: b – Automobilbranche 3: c – Automobilbranche 4: a – Schienenfahrzeugbranche 5: b – Schienenfahrzeugbranche 6: e – Hausgerätebranche 7: f – Hausgerätebranche 8: a – Luft-(Flugzeug)branche 9: d – Luft-(Flugzeug)branche
5,7%
Cashflow 8,4% 6 5,3%
gering 7
ÿ schlechter
gleich
Relative Marktposition
Abb. 3.26
BCG-Portfolio der Z AG
! besser
Kreisgröße repräsentiert Anteil am Umsatz
162
3 Strategien
Fragen: 1. Wie bewerten Sie das Portfolio der Z AG? Welche Normstrategien leiten Sie daraus ab? 2. Welche Vorteile und welche Nachteile hat das BCG-Portfolio als Planungsinstrument? 3. Welche Konsequenzen sind für die Standorte zu erwarten? Die Vorteile dieser und anderer Portfoliomethoden bestehen darin, dass sie dazu beitragen, dass Manager zukunfts- und strategieorientiert denken und die Entscheidungsgrundlagen verbessert werden. Aber sie sollten auch mit Vorsicht betrachtet werden. Der Reiz des Portfolios liegt darin, dass beide Dimensionen der SWOT-Analyse in nur einer Grafik abgebildet sind. Die vertikale Achse, das Marktwachstum, steht für Chancen aus dynamisch wachsenden Märkten. Die horizontale Achse, der relative Marktanteil, indiziert die Stärke der Geschäftseinheit. Ein hoher Marktanteil bedeutet eine hohe Menge, eine hohe Menge hat Größen- und Lernvorteile und niedrige Stückkosten zur Folge, und damit steigt der Gewinn. Dieser Zusammenhang wurde von der Boston Consulting Group in empirischen Untersuchungen als Erfahrungskurve festgehalten. Mit jeder Verdoppelung der kumulierten Produktionsmenge (der Erfahrung) einer Produktart sinken deren Stückkosten um 20 bis 30 Prozent. Allerdings ist das Konzept der Erfahrungskurve vielfach kritisiert worden (vgl. Steinmann & Schreyögg 2005, S. 225 f.). Empirisch sind auch andere Kostenverläufe feststellbar. Jenseits einer mindestoptimalen-technischen Betriebsgröße sinken die Stückkosten nicht mehr, sondern steigen sogar. Technologische Sprünge begründen eine neue Erfahrungskurve. Das „Gesetz der Massenproduktion“ geht von falschen Annahmen aus (so bereits Gutenberg 1951, 1983). Weitreichender ist die Kritik an der Portfolioperspektive des BCG-Modells: Die Analyse erfolgt von Außen nach Innen aus Marktsicht, darüber hinaus werden Synergien, strategisches Lernen und sich herausbildende Strategien nicht betrachtet (vgl. Praxisbeispiel Honda). Synergien sind kein Thema bei der BCG-Analyse, weder bei der Nutzung gemeinsamer Ressourcen, noch bei der Integration der Wertketten, oder bei der Abstimmung des Produktangebots. Die einzige Ressource, die hier verteilt wird, ist Geld zur Querfinanzierung. Weitere geteilte materielle und immaterielle Ressourcen werden ebenso nicht analysiert. Auf die Frage „Diversifikation oder Kerngeschäft“? gibt das BCG-Portfolio keine hinreichende Antwort. Welchen Beitrag liefert eine Analyse, die von Innen nach Außen vorgeht?
Praxisbeispiel: Honda – Theorie und Praxis Henry Mintzberg ordnet in seinem Buch Strategie Safari das BCG-Portfolio einer der von ihm ausgemachten rund dutzend Strategieschulen zu, der Positionierungsschule. Diese „richtet ihre Aufmerksamkeit ausschließlich auf generische Strategien, auf etablierte Branchen, auf bereits gebildete Gruppen und auf harte Daten. Wenn man nur etablierte Kategorien studiert, hemmt man die Schaffung neuer. Die BCG hätte Honda in die Kategorie armer Hund einordnen müssen, als das Unternehmen 1959 in den amerikanischen Motorradmarkt eintrat. Der Markt war bereits definiert –
3.2 Unternehmensstrategie
163
große Maschinen für harte Burschen in schwarzem Leder – und Honda ein unbedeutender Player. Die Japaner hätten sich fernhalten müssen. Aber indem Honda unter anderem einen neuen Markt für kleine Motorräder schuf, die von Durchschnittsbürgern gefahren wurden, wurde der arme Hund zum leuchtenden Stern: Er sicherte sich einen gewaltigen Anteil des neuen Wachstumsgeschäfts, das er selbst geschaffen hatte.“ Richard Rumelt, wie Mintzberg Strategieprofessor, berichtet, wie er selbst hat lernen müssen, dass Ansätze der Positionierungsschule irreleiten können: „1977 stellte ich in der MBA-Abschlussprüfung folgende Frage zum Fall des Honda Motorrads: ‚Soll Honda ins globale Autogeschäft einsteigen?‘ Es war eine ‚geschenkte‘ Frage. Jeder, der mit ‚Ja‘ antwortete, fiel durch. Die Märkte waren gesättigt. In Japan, in den USA und in Europa gab es effiziente Konkurrenten. Honda hatte wenig oder überhaupt keine Erfahrung auf dem Automobilsektor. Honda verfügte über kein Auto-Vertriebssystem. 1985 fuhr meine Frau einen Honda.“ Fragen: 1. Was spricht für, was gegen die Anwendung des BCG-Portfolios? 2. Können Sie andere Beispiele zur Kritik anführen? Quelle: Mintzberg, H., Ahlstrand, B. & Lampel, J.: Strategy Safari. Eine Reise durch die Wildnis des strategischen Managements. Wien 1999, S. 140.
WACHSTUM DURCH KERNKOMPETENZEN ANSTREBEN Was ist das eigentlich, das Kerngeschäft? Alles, was mehr als x Prozent Rendite bringt? Oder sind es Nachwuchsprodukte, die später zu Gewinnbringern werden? Oder Bereiche, in denen man Marktführer ist? Sind es Kernprodukte, die aus Kompetenzen und dynamischen Fähigkeiten (Capabilities) entstehen? Sollten Mischkonzerne generell zerschlagen werden, wenn ein gemeinsamer Kern nicht zu entdecken ist? Oder sollten Unternehmen nur das Portfolio aus Rendite und Risiko optimieren und wie Beteiligungsunternehmen handeln, die Geschäftsbereiche mit der Absicht kaufen, um sie zu verkaufen? Unstrittig ist, dass man unter dem „Kerngeschäft“ das Wesentliche versteht, das den Erfolg eines Unternehmens ausmacht. Doch dann fangen die Schwierigkeiten an (vgl. Praxisbeispiel Hoechst). Angenommen, zum Kerngeschäft werden die Geschäftseinheiten gerechnet, die Gewinne abwerfen. Wie gerade gezeigt, ist das nicht richtig, denn bei der Beurteilung ist der Lebenszyklus der Produkte zu berücksichtigen. Nachwuchsprodukte oder aber auch neue, durch Zusammenschlüsse geschaffene Kombinationen, werfen regelmäßig erst nach einer Investitionsphase Überschüsse ab. Aber auch das BCG-Portfolio hat seine Tücken. Porter, der auf dem Gebiet der Managementlehre als renommierter Autor gilt, hält den Brauch, die Wettbewerbsposition einer Unternehmenseinheit mit Hilfe des Marktanteils zu beschreiben, für „ebenso gefährlich, wie sie trügerisch einleuchtend ist. Zwar ist der Marktanteil sicherlich (zum Beispiel wegen der Betriebsgrößenersparnisse) für die Wettbewerbsposition relevant, doch ist die Branchenführerschaft nicht Ursache, sondern Folge von Wettbewerbs-
164
3 Strategien
vorteilen.“ (Porter 2000, S. 55 f.) Als Beleg gilt hier das Beispiel Xerox, dessen hohe Marktanteile bei Kopierern durch den überlegenen Ressourceneinsatz des japanischen Konkurrenten Canon keine starke Wettbewerbsposition wiedergaben.
Praxisbeispiel: Hoechst – von der Diversifikation zum Kerngeschäft Anfang der 1990er Jahre wurde das Chemieunternehmen Hoechst restrukturiert und in strategische Geschäftseinheiten (SGE) gegliedert. Beim Kauf und Verkauf von Aktivitäten stellte sich auch die Frage, was bleiben soll. Der damalige Vorstandvorsitzende Jürgen Dormann definierte als Kerngeschäft: „Als Kerngeschäft (core business) sehen wir solche an, die aufgrund ihres Markterfolges tragende Säulen des Gesamtunternehmens sind und für die wir eine Reihe von Kriterien aufgestellt haben: Kerngeschäfte stehen im Einklang mit unserem Selbstverständnis als weltweit tätiges Chemieunternehmen. Kerngeschäfte bringen einen substantiellen Beitrag zum Konzernumsatz. In Kerngeschäften streben wir die Technologie- und Kostenführerschaft an, die uns eine überdurchschnittliche Rendite ermöglicht. Kerngeschäfte befinden sich in Märkten, die ein langfristiges Wachstumspotential des Hoechst-Konzerns darstellen. Kerngeschäfte werden bei der Ressourcenverteilung bevorzugt.“ Randgeschäfte versucht man demgegenüber „rechtzeitig zu identifizieren und den Rückzug aus ihnen vorzubereiten, bevor es zu verlustträchtigen Sanierungs- und Liquidationsaktionen kommt.“ 1994 konzentriert Hoechst das Kerngeschäft auf Pharma, Landwirtschaft und Biotechnologie. 1995 wird das Kerngeschäft Pharma weiter deutlich ausgebaut. Bereiche, die nicht zum Kerngeschäft gehören, wie Anlagenbau, Kosmetik und Druckerei werden verkauft. 1999 fusioniert Hoechst mit dem französischen Chemie- und Pharmakonzern RhônePoulenc zu Aventis. Beide Firmen trennen sich von ihren Chemiesparten. Es entsteht einer der größten Pharmakonzerne weltweit. Die Agrochemie wird 2002 verkauft. 2004 wird Aventis von der französischen Sanofi-Gruppe feindlich übernommen. Fragen: 1. Wie definieren Sie das Kerngeschäft bei einem Unternehmen? Geben Sie ein Beispiel! 2. Welche systematischen Kriterien wenden Sie dabei an? Quelle: Dormann, J.: Akquisition und Desinvestition als Mittel der Strukturanpassung bei Hoechst. Zeitschrift für Betriebswirtschaft, 1992. Ergänzungsheft Nr. 2, S. 51–68; www. sanofi.com, abgefragt am 15.10.2012.
Auch die Vorstellung, dass die wesentliche Aufgabe der Gesamtunternehmensstrategie im Portfoliomanagement dezentraler Geschäftseinheiten besteht – im Extremfall Geschäftsbereiche kaufen, um sie zu verkaufen –, ist nach Porter abzulehnen. Bis Anfang der 1970er
3.2 Unternehmensstrategie
165
Jahre rechtfertigte man die umfassende Diversifikation in neue Produkte und Märkte mit Synergieeffekten, die durch das Zusammenlegen unterschiedlicher, aber verwandter Geschäftstätigkeiten und nicht zuletzt durch Übernahmen und Beteiligungen entstehen sollten. Das war häufig nicht der Fall. Gegen Ende der 1970er Jahre schien das Konzept der Synergie nach allgemeiner Meinung passé: „Anstatt Synergie hieß die Lösung jetzt offensichtlich Dezentralisierung, wobei der Führung der Unternehmenseinheiten Vollmacht und Verantwortung zu übertragen war und sie aufgrund ihrer Ergebnisse zu belohnen waren. In der neueren populären betriebswirtschaftlichen Literatur wird Dezentralisierung als Grundlage vieler erfolgreicher Unternehmen ermittelt, und viele größere Konzerne praktizieren sie jetzt mit nahezu religiöser Ehrfurcht. Die Dezentralisierung hat, zusammen mit der Ernüchterung über Synergie, die Ansicht bestätigt, dass die wesentliche Aufgabe der Gesamtunternehmensstrategie im Portfoliomanagement besteht.“ (Porter 2000, S. 409 f.) Nach Porter (ebd., S. 488) kommt es jedoch darauf an, Verflechtungen herzustellen, ohne die Vorteile einer stärkeren Dezentralisierung in Frage zu stellen. Das Ergebnis ist keine Matrixorganisation, sondern sind „unabhängige Unternehmenseinheiten, die Organisationsmittel und gemeinsame Wertvorstellungen miteinander verbinden.“ Die Bestimmung des Kerngeschäfts nur vom Endprodukt her kommt einer Simplifizierung der Wirklichkeit gleich. Ressourcen und Aktivitäten, die das Kerngeschäft erst erfolgreich sein lassen, werden nicht erfasst (vgl. Praxisbeispiel BASF).
Praxisbeispiel: BASF-Stammwerk Ludwigshafen – Stabilisierung im Verbund Die Folgen der Finanzkrise bekam auch die Chemieindustrie zu spüren. Nach dem Oktober 2008 gingen bei BASF, dem größten Chemiekonzern der Welt, die Auftragseingänge um ein Viertel zurück. Schon im November wurden 80 Anlagen stillgelegt, davon 40 am Stammsitz in Ludwigshafen, wo kurz zuvor noch alle 300 Anlagen in 160 Produktionsbereichen voll ausgelastet waren. Doch während führende amerikanische Chemiekonzerne wie Dow Chemical und Dupont dabei waren, Tausende von Arbeitsplätzen abzubauen, hielt sich BASF gut. Auf dem riesigen Areal in Ludwigshafen sprach keiner von Entlassungen. Das Geheimnis ist die höhere Flexibilität im Verbund. Abstell- und Wartungsarbeiten werden sowohl am Verbundstandort als auch im gesamten BASF-Verbund aufeinander abgestimmt. Der Chemieriese kann es sich leisten, einen seiner fünf „Steamcracker“ abzustellen und die restlichen weiter gut auszulasten. Im Steamcracker wird Leichtbenzin aufgespalten, die Zwischenprodukte werden dann weiterverarbeitet, etwa zu Kunststoffen. Die Kapazität dieses teuren Herzstücks der Petrochemie lässt sich nur schwer reduzieren. Kleinere Konkurrenten mit nur einem Steamcracker haben deshalb Wettbewerbsnachteile. In einer Personalplattform hat die BASF-Führungsspitze die Profile der Mitarbeiter und den gewandelten Bedarf in der Produktion erfasst. 600 Mitarbeiter sind in andere Betriebe gewechselt. Durch Flexibilität im Verbund gab es kaum Kurzarbeit, und die Ziele der Stand-
166
3 Strategien
ortvereinbarung zum integrierten Unternehmensverbund, die einen Verzicht auf Kündigungen garantiert, konnten eingehalten werden. Im ausgegliederten Chemiepark-Modell, das andere Konzerne verfolgen, sind solche Lösungen kaum möglich, sagt der Betriebsratsvorsitzende Robert Oswald. Beim Verbundmodell der BASF am Stammsitz in Ludwigshafen gibt es keine zersplitterte Belegschaft mit unterschiedlichen Arbeitsbedingungen. Das Verbundmodell hat auch Vorteile, wenn es gilt, Synergien und Energieeffizienzen zu erschließen. Damit unterscheidet sich ausgerechnet der Marktführer BASF von anderen Chemiekonzernen, die seit 1990 viele Bereiche ausgegliedert haben. Der Stammsitz in Ludwigshafen gilt als weltgrößtes zusammenhängendes Chemieareal. Fragen: 1. Gibt es den geschilderten „Zwang zur Größe“ nur in der Chemiebranche? Gibt es Branchen in denen kleine und mittlere Unternehmen eher überlegen sind? 2. Wenn Sie die Entwicklung der BASF mit Hoechst und Bayer vergleichen, die nach 1945 ebenfalls aus der Zerschlagung der ehemaligen I.G. Farben entstanden sind, welche Unterschiede in der Wachstumsstrategie erkennen Sie? Quelle: Freytag, B. & Psotta, M.: Ruhe in LU. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 27. Juni 2009, S.13. Scheytt, St.: Für uns der bessere Weg. Robert Oswald im Interview. In: Mitbestimmung, 2011, Nr. 11, S. 14.
Anfang der 1990er Jahre veröffentlichten die Strategie-Professoren C.K. Prahalad und Gary Hamel einen Beitrag, der den Ressourcenansatz und die Perspektive der integrierten Organisation in den Vordergrund gerückt hat (vgl. Kap. 3.1.3). Erfolgreiche Unternehmen setzten danach auf Wachstum auf der Grundlage von Kernkompetenzen (vgl. Abb. 3.27). Kernkompetenzen als Grundlage von Wettbewerbsvorteilen bewahren und neu entwickeln!
Rückbesinnung auf das Kerngeschäft (Ziel: Mindestrendite 15% ) Diversifikation Wertschöpfung durch mehr Eigenleistung und Synergie 1970 Abb. 3.27
1980
1990
2000
Kernkompetenzen als Wachstumschance (eigene Darstellung nach Hamel & Prahalad 1995)
3.2 Unternehmensstrategie
167
Managementaktivitäten würden hauptsächlich darauf verwendet, kleiner (Restrukturierung des Portfolios und Reduzierung der Belegschaft) oder besser (Reengineering der Prozesse und ständige Verbesserung) zu werden. Es komme aber darauf an, anders zu werden, über das Reengineering hinauszugehen und den Schwerpunkt auf die Neuerfindung der Industrie und die Erneuerung der Strategie zu legen (Hamel & Prahalad 1995). Aus der Notwendigkeit, die Strategie anders zu verstehen, ergibt sich die Notwendigkeit, anders über die Organisation zu denken: „In den letzten Jahren haben viele Unternehmen hart an der Organisationstransformation gearbeitet. Sie haben traditionelle Aufgaben der Zentrale wie Planung und Human-Ressourcen-Management den einzelnen Geschäftseinheiten übertragen; sie haben versucht, den Angestellten aller Ebenen größeren Spielraum zu geben; sie haben Randbereiche abgestoßen und sich auf das Kerngeschäft konzentriert (...) Diese Ideen stellen die Antithese zu den hochzentralisierten, überbürokratischen, kontrollorientierten, technologiebestimmten ‚big brain‘ Organisationsarchetypen der sechziger und siebziger Jahren dar. (...) Trotzdem hat sich in vielen Fällen gezeigt, dass das Gegenmittel gegen Bürokratie und unnötige Zentralisierung ebenso toxisch wirken kann wie das Gift, das es neutralisieren soll.“ (ebd., S. 424 f.) Hamel & Prahalad empfehlen daher weniger Schwarz-Weiß-Denken und stattdessen eine Synthese: Zielgerichtetes Handeln statt Bürokratie oder Empowerment, Kernkompetenz statt Diversifizierung oder Kerngeschäft. Welche Stellung haben nun Strategische Geschäftsfelder (SGFs) und Strategische Geschäftseinheiten (SGEs) in diesem ressourcenorientierten Strategiekonzept? Nach dem traditionellen Ansatz strategischer Planung werden SGFs als homogene Gruppen von Produkten/Dienstleistungen im Hinblick auf Kundengruppen, Kundenbedürfnisse bzw. Technologien definiert. SGEs sind dezentrale Einheiten zur organisatorischen Umsetzung strategischer Planung. Sie wurden, wie oben bereits hervorgehoben, Ende der 1970er Jahre vor allem in diversifizierten Konzernen eingeführt, um das Unternehmen dezentraler führen zu können. Ihre autonome Stellung ist jedoch durch Verflechtungen zu ordnen, um, wie Porter (1987) ausführt, Synergieeffekte zu nutzen. Portfoliomanagement ist nur eine der Rollen, die die Muttergesellschaft einnehmen kann: neben denen der Restrukturierung, des Wissenstransfers und der Förderung gemeinsam genutzter Aktivitäten. Auch Prahalad & Hamel (1991) kritisieren das SGE-Konzept in der traditionellen Strategieplanung, weil SGEs bei ihrer vergleichsweise autonomen Stellung zu wenig Mittel für die Entwicklung von Kernkompetenzen bereitstellen und Innovationen nur kleinmütig voranbringen können. Der wertstiftende Beitrag des Top-Managements sollte statt in der Optimierung der Geschäftserträge durch abwägende Mittelverteilung auf die einzelnen Geschäftseinheiten in der Formulierung eines strategischen Gesamtkonzepts und im Schaffen von Kompetenzen zur Sicherung der Zukunft bestehen. Dezentrale Strukturen sind auch nach diesem Ansatz nicht überholt, sondern im Rahmen eines strategischen Gesamtkonzepts zu führen. Es wird von der Anzahl der autonom geführten Geschäftseinheiten und der strategischen Gemeinsamkeit zwischen den Geschäften abhängen, ob der Konzern als reine Finanzholding (Quandt-Gruppe), als Konglomerat (General Electric, Oetker, Samsung) als faktische Managementholding (Siemens, Asean Brown Boverie) oder als funktional integriertes Unterneh-
168
3 Strategien
men geführt wird (vgl. Praxisbeispiel Novartis). Auch bei Konzernstrukturen besteht die Gefahr, Modewellen aufzusitzen. Mischkonzerne, die in vielen unabhängigen Geschäftsfeldern aktiv sind, galten bis vor kurzem als lahme Dinosaurier und Wertvernichter. Heute ist wieder vom Comeback der Konglomerate die Rede. Diese Mischkonzerne, die Größenvorteile und die Möglichkeiten der Querfinanzierung ausnützen könnten, würden besser in eine Welt passen, die durch das Zusammenwachsen der Branchen gekennzeichnet sei. Es kommt nach Heuskel (1999) aber darauf an, sie richtig zu führen. Dazu gehöre mehr denn je der geschäftsübergreifende Wissenstransfer. Nicht nur auf Wertsteigerungsmanagement komme es daher an, sondern auf den Erfolgsfaktor Mensch. Warum sollen nicht erfolgreiche Mischkonzerne wie Bosch, Oetker, General Electric, Virgin, Hyundai und Samsung, um nur einige zu nennen, ebenso eine Daseinsberechtigung haben, wie die „Einproduktfirmen“ Coca-Cola, Levi’s, McDonald’s? Je nach Situation wird man in der Praxis Unternehmen finden, die mehr dem Typus der Portfolio-Organisation oder dem der integrierten Organisation entsprechen.
Praxisbeispiel: Novartis – Schweizer Pharmariese erweitert Geschäftsbasis Im April 2011 ist die teuerste Übernahme der Schweizer Wirtschaftsgeschichte komplett: Der Schweizer Pharmariese Novartis hat den Augenheilkunde-Konzern Alcon für 50 Milliarden Dollar von Nestlé nun komplett übernommen und als neuen Geschäftsbereich eingegliedert. Alcon, Marktführer im Bereich der Augenheilkunde, ist auf Augenchirurgiegeräte, Augenmedikamente, Kunstlinsen und Kontaktlinsen-Pflegemittel spezialisiert. Da Novartis ebenfalls im Bereich der Kontaktlinsen und Augenmedikamente vertreten ist, werden erhebliche Synergien aus der Integration erwartet. Die Nachteile des traditionellen Pharmamarkts lassen sich mit hohen Forschungskosten, diversen Nachahmerprodukten und staatlichen Preisvorschriften zusammenfassen. Novartis verbreitert durch den Zukauf seine Geschäftsbasis und macht sich auf diese Weise unabhängiger vom eigentlichen Kerngeschäft. „Synergien heben und Risiken verringern“ waren nach Angaben von Novartis die mit der Akquisition verbundenen Zielsetzungen. Alcon ist dabei nicht die erste Übernahme. Bereits in den vergangenen Jahren hat sich der Schweizer Pharmariese mit Zukäufen bei Generika und Impfstoffen zunehmend vom klassischen Geschäft mit rezeptpflichtigen Medikamenten entfernt. Dem Vorbild von Novartis folgen inzwischen auch andere Pharmakonzerne, die bisher nur den traditionellen Pharmamarkt bedienten. Pfizer und Sanofi beispielsweise erweitern ihr Produktportfolio um patentfreie und freiverkäufliche Arzneien sowie um andere Gesundheitsprodukte. Zurzeit bewegt sich die Pharmabranche zwischen zwei Extremen. Auf der einen Seite stehen Konzerne wie Novartis, Pfizer oder Sanofi, die sich zunehmend in neue Geschäftsbereiche vorwagen und auf diese Weise ihre starke Abhängigkeit von den wenigen firmeneigenen Topmedikamenten zu reduzieren, während andere namhafte Pharmagrößen wie Astra-Zeneca oder Bristol-Myers weiterhin strikt an ihrem Kerngeschäft mit margenstarken, verschreibungspflichtigen Medikamenten festhalten.
3.3 Netzwerkstrategie
169
Fragen: 1. Worin liegen die möglichen Vorteile einer Diversifikationsstrategie? 2. Was sind die damit verbunden Gefahren? 3. Welche der beiden Strategien ist die bessere im Hinblick auf die derzeitige Situation innerhalb der Pharmabranche? Quellen: o.V.: Novartis verwässert Kerngeschäft. Financial Times Deutschland vom 8. 4. 2008; Dunsch, J., Novartis will Alcon komplett übernehmen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 4. 1. 2010; Alcon Media Release vom 8. 4. 2011; www.novartis.com.
3.3
Netzwerkstrategie
Einstiegsfall: Smart in Hambach – ein Unternehmensnetzwerk Unter den Automobilen hat der Anfangs ungewöhnliche „Smart“ einen festen Nischenplatz erobert. Andere Hersteller haben inzwischen nachgezogen, wie Toyota mit dem kleinen „iQ“. Weniger bekannt ist das innovative Produkt- und Produktionskonzept des Smart, das noch im Jahre 1997, bei der Eröffnung der Smart-Fabrik im lothringischen Hambach, als Experiment angesehen wurde: 35 sogenannte Systempartner liefern vorgefertigte Großmodule, wie Achsen, Türen oder den Antrieb, direkt an das Montageband, einige von ihnen sind unmittelbar im Werk angesiedelt (vgl. Abb. 3.28).
Abb. 3.28
Das Smart-Produktionsnetzwerk (Der Spiegel 1997, Nr.42, S. 139 ff.)
Der kanadische Konzern Magna zum Beispiel presst die Blechteile und schweißt die Karosserie zusammen. Anschließend wird sie in der Anlage der Firma Eisenmann lackiert und zur Halle von VDO transportiert. Die Fertigungstiefe, also der Anteil an der Eigenfer-
170
3 Strategien
tigung, wird von Smart mit 10 Prozent angegeben. Smart sieht seine eigentliche Aufgabe im Management der Systempartner im Unternehmensnetzwerk. Einige strategische Partner sind inzwischen ausgeschieden, aber das außergewöhnliche Grundmodell „Ein Betrieb mit vielen Unternehmen“ funktioniert bis heute. Fragen: 1. Ist das Smart-Produktionsmodell in Hambach/Lothringen eine Innovation? 2. Warum hat sich dieses Produktionsmodell bis heute nicht allgemein durchgesetzt? Quellen: o.V.: Modell für Mercedes? In: Der Spiegel 1997, Nr. 42, S. 139–142; Sydow, J. & Möllering, G: Produktion in Netzwerken. München 2009.
Der Einstiegsfall zeigt, dass das die bisherige Darstellung zur Konfiguration des Unternehmens nicht ausreicht. Ein Unternehmen kann auch mit anderen Unternehmen, Kunden, Lieferanten und externen Experten eine kooperative Strategie im Netzwerk verfolgen. Netzwerke sind Systeme, die auch in anderen Lebensbereichen vorkommen, wie politische und elektrische Netzwerke; auf die kommt es hier nicht an. Nach einer kurzen Erklärung was Unternehmensnetzwerke sind, wird das Thema am Beispiel der Lieferantenbeziehungen exemplarisch vertieft. Wir nehmen dazu die Argumentation zur Bedeutung von Beziehungsressourcen (Relational Resources) wieder auf und vertiefen das Praxisbeispiel aus der Automobilindustrie (vgl. Kap. 3.1.3). Beziehungen zwischen Unternehmen werden geprägt durch das Spannungsverhältnis von Wettbewerb und Kooperation. Soll sich ein Unternehmen daher mehr als eigenständige Organisation begreifen, das lediglich distanzierte Marktbeziehungen zu anderen Unternehmen eingeht oder als in ein Netz von Beziehungen eingebettete Organisation, die zwischen strategischen Partnerschaften und Marktbeziehungen wählen kann? Was spricht für Make, Buy und Cooperate und wie können neueste Entwicklungen wie Open Innovation und Crowdsourcing eingeordnet werden?
3.3.1
Unternehmen, Markt und Netzwerk
DAS UNTERNEHMENSNETZWERK ANALYSIEREN Bereits aus dem 18. Jahrhundert stammt die vom Klassiker der Wirtschaftslehre Adam Smith (1776) bekannte Metapher vom Markt als der regelnden „unsichtbaren Hand“ (Invisible Hand). Individuen und Unternehmen treffen eigennützige Entscheidungen, die über Marktpreise gesteuert und koordiniert werden, wodurch sich eine spontane Ordnung herausbildet. Der bekannte Wirtschaftshistoriker Alfred Chandler (1977) hat demgegenüber, angesichts der Bedeutung der Großunternehmen im 20. Jahrhundert und ihrer ausgefächerten Hierarchien, das Bild der „sichtbaren Hand“ (Visible Hand) geprägt. Koordiniert wird hierarchisch über Anweisungen. So entsteht eine geplante Ordnung. Zusätzlich sind in den letzten Jahrzehnten vermehrt Organisationsformen zwischen Markt und Hierarchie entstanden, die als Unternehmensnetzwerke bezeichnet werden (vgl. grundlegend Sydow 1992; Picot et al. 2003; Whittington 2003). Zum Netzwerk gehören folgende Merkmale (vgl. Sydow & Möllering 2009 und Abb. 3.29):
3.3 Netzwerkstrategie
171
Make
Internalisierung
Unternehmung • geplante Ordnung • anweisungskoordiniert
Buy Markt
Externalisierung
• spontane Ordnung • preiskoordiniert
Cooperate Netzwerk
strategizing organizing
Abb. 3.29
• hybride Ordnung • hybride Koordination oder Koordination durch eigenständige Mechanismen
Make, Buy und Cooperate: Strategische Alternativen und ihre Organisationsformen (Sydow & Möllering 2009, S. 34)
Durch Hierarchie entsteht eine durch Anweisungen koordinierte, geplante Ordnung im Unternehmen. Bereits bei Strategischen Geschäftseinheiten, die als Profitcenter mit Verrechnungspreisen geführt werden, wird neben der Hierarchie auch der Markt als Koordinationsinstrument genutzt. Profitcenter sind demnach hybride Koordinationsordnungen, aber noch fest im Unternehmen verankert. Sie gelten auch als internes Outsourcing, bisher integrierte Funktionen werden im Unterschied zur reinen Fremdvergabe begrenzt externalisiert. Joint Ventures, Franchising, Subunternehmen und Zulieferpartner sind Organisationsformen zwischen Hierarchie und Markt, die eine strategische Partnerschaft etablieren (vgl. näher dazu Kap. 4 und 5). Der auf distanzierten Marktbeziehungen (Arm’s-Length-Transaction) beruhende Vertrag kommt auf dem Markt, am anderen Pol des Spektrums, zustande. Die sich herausbildende spontane Ordnung wird über Preise koordiniert. Diese unterschiedlichen Koordinationsformen (Organizing) entwickeln sich mit den entsprechenden Strategien (Strategizing): Make, Buy und Cooperate. Im Unternehmensnetzwerk (wie auch beim Spezialfall der bilateralen Kooperation, Partnerschaft oder Allianz) erfolgt die Koordination weder hierarchisch noch durch den „stummen Zwang“ der Marktkräfte, sondern durch wechselseitige Abstimmung und Anpassung. Um im Bild zu bleiben: Beziehungen beruhen in Netzwerken weder auf der unsichtbaren noch auf der sichtbaren Hand, sondern auf einem „andauernden Handschlag“ (Continuous Handsha-
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3 Strategien
ke) (vgl. Gerlach 1992). Neben den herkömmlichen strategischen Alternativen, etwas auf dem Markt zu kaufen (Buy) oder es in der Hierarchie selbst zu machen (Make), entsteht ein dritter Weg: die Zusammenarbeit im Netzwerk (Cooperate). Das Spannungsverhältnis zwischen Hierarchie, Kooperation und Marktwettbewerb ist damit nicht aufgehoben: Strategische Netzwerke, wie bei Nike und Toyota, werden eher hierarchisch von einem oder mehreren fokalen Unternehmen strategisch geführt. Bei regionalen Clustern, die wie das Silicon Valley in der Computerbranche, die Emilia Romagna in der Textil- und Bekleidungsindustrie oder die Region um Stuttgart im Maschinenbau von der räumliche Nähe leben, ist dies nicht der Fall (vgl. Sydow & Möllering 2009; zur Automobilindustrie vgl. Wilhelm 2009). Netzwerkmanagement ist also ein Management von Spannungsverhältnissen: „Zunächst einmal dominiert in Unternehmungsnetzwerken typischerweise Kooperation über Wettbewerb (vgl. Sydow 1992, S. 93 f.). Weil das Netzwerk als mehr oder weniger hybride Organisationsform ökonomischer Aktivitäten allerdings neben hierarchischen Momenten auch Merkmale des Marktes mit einbezieht, ist es alles andere als frei von Wettbewerb.“ (Sydow & Möllering 2009, S. 201) Für dieses Spannungsverhältnis ist der Begriff „Coopetition“ (Brandenburger & Nalebuff 1996) populär geworden.
LIEFERANTENBEZIEHUNGEN ENTWICKELN Als „Squeezing“ wird die Methode des Lieferantenmanagements bezeichnet, bei der Einkäufer die Lieferanten durch „Preisverhandlungen, Ausweitung von Zahlungszielen, steigende Qualitätsanforderungen bei gleichbleibenden Preisen, die unentgeltliche Übernahme von Innovationen, ausgedehnte Garantieübernahmen oder Überwälzung von fälligen Investitionen“ auspressen (Henke et al. 2012, S. 26). Dabei werden zusätzliche Kosten durch Reaktionen der Lieferanten, ein möglicher Vertrauensverlust und die Schwächung der Lieferkette sowie Reputationsschäden übersehen, weil sie erst später eintreten. Supply-ChainManagement versucht diese Schwächen des operativen Einkaufs zu vermeiden. Beziehungsressourcen (Relational Resources) sind dabei ein Hauptelement (vgl. Kap. 3.1.3). Dies kann am Beispiel der Automobilindustrie verdeutlicht werden. Anfang des 20. Jahrhunderts haben Engpässe bei der Versorgung mit Rohmaterial Henry Ford dazu gebracht, die gesamte Wertkette zu übernehmen. In den 1920er Jahren betrieb die Ford Motor Company eigene Kohle- und Eisenerzminen, Wälder, Kautschuk-Plantagen, Sägewerke, Schmelzöfen, Glaswerke und besaß Eisenbahnen, Frachtschiffe und mehr. General Motors stand dem nicht nach. Später zeigte sich dann, dass die Kehrseite der Stabilität und Effizienz, den dieser hohe Grad der vertikalen Integration mit sich brachte, der Verlust an Flexibilität war. Allerdings brachten Bestrebungen durch Ausgliederung und Fremdvergabe (Outsourcing) jene Flexibilität zurückzugewinnen, die bei gesättigten Märkten wichtig wurde, nicht immer das gewünschte Ergebnis. Vielmehr scheint der Schlüssel für den Erfolg in der Fähigkeit zu liegen, partnerschaftliche Beziehungen zu den Zulieferern im Netzwerk zu entwickeln (vgl. Womack et al. 1991, S. 146 f. und Praxisbeispiel Toyota et al.).
3.3 Netzwerkstrategie
173
Praxisbeispiel: Lieferantenbeziehungen bei Toyota, General Motors und Volkswagen Outsourcing, neue Zulieferarchitekturen und globale Beschaffungsstrategien gelten als Erfolgspotenziale in der Automobilindustrie. Studien ermitteln, dass sich der OutsourcingTrend fortsetzen wird. Bis zum Jahre 2025 soll bei den bekannten Automobilherstellern im Produktionsbereich 71 Prozent der Wertschöpfung fremd bezogen werden (vgl. Mercer 2012). Aber ist das immer ein Erfolgsrezept? General Motors (GM) hat zwar wie andere westliche Automobilhersteller seine Komponentensparte unter dem Namen Delphi Ende der 1990er Jahre abgespalten. Aber heute sind beide Unternehmen, GM und Delphi, alles andere als ein Vorbild. GM holt Teile seiner Komponentenfertigung zurück (Insourcing). Volkswagen hat 2006 seine Absicht, interne Zulieferwerke zu verkaufen zurückgenommen und entwickelt seitdem erfolgreich das Komponentengeschäft mit einem eigenen Markenvorstand. Toyota gilt als Referenz für Lean Production, ein Managementkonzept, bei dem Outsourcing ein zentrales Instrument sein soll. Tatsächlich bezieht die weltweit führende Toyota-Gruppe nicht viel fremd: gleichbleibend nur etwa 24 Prozent, wie eine Stichprobe über fast zwanzig Jahre zeigt (vgl. Nagaoka et al. 2008). Nicht Outsourcing, sondern die Entwicklung der Partnerbeziehungen zu Lieferanten, Mitarbeitern und Kunden gehört zu den Erfolgsgeheimnissen von Toyota. Nach der renommierten Studie zur japanischen Herausforderung durch die „schlanke Produktion“ (vgl. Womack et al. 1991) hatten Mitte der 1980er Jahre viele Automobilunternehmen mit der Reduzierung des Anteils der Teile experimentiert, die sie von konzerninternen Zulieferern bezogen. Diese Vorgehensweise war von dem Glauben inspiriert, dass niedrige Löhne bei externen Zulieferern das Wettbewerbsgeheimnis des japanischen Zuliefersystems wären. Dieser Richtungswechsel verfehlte nach Meinung der Autoren der Studie weitgehend den Kern des Problems. Der Schlüssel zu einem wettbewerbsfähigen Teilezuliefersystem liegt in der Art, in der der Hersteller mit seinen Zulieferern zusammenarbeitet. „Ob die Zulieferer aus dem Unternehmen selbst oder von außerhalb kommen, macht erstaunlicherweise kaum einen Unterschied.“ (diess, S. 146 f.) Nachfolgende Studien zeigten, dass die wenig erfolgreichen amerikanischen Automobilhersteller, die nun einen kooperativen Ansatz propagierten, in der Praxis mit ihren Partnern nach dem Muster distanzierter Marktbeziehungen umgingen. Demgegenüber waren in Japan die LieferantenHersteller-Beziehungen strategisch segmentiert, nur ein Teil der Lieferanten wurde als strategischer Partner eingebunden, der andere Teil in langfristige Marktbeziehungen (vgl. Dyer et. al 1998). Partnerschaft hat im jeweiligen Landes- oder Unternehmenskontext eine unterschiedliche Bedeutung. Unscharfe Unternehmensgrenzen sind eine Schwierigkeit, wenn es darum geht, vertikale Integration und Netzwerkstrukturen zu beurteilen und auszubalancieren. Nach der oben bereits angesprochenen Studie bezieht Toyota nur 12 Prozent aus dem eigenen Haus und 64 Prozent von Keiretsu-Partnern, die zur Toyota-Gruppe gehören, aber auch an Konkurrenten liefern. Erst heute will sich Toyota für global aufgestellte Zulieferer außerhalb Japans, wie die Bosch Gruppe, öffnen, wobei die Frage bleibt, wie weit. Ist dies nun eine besondere Form der vertikalen Integration, eine „Quasi-Hierarchie“, oder eine Netzwerk-
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3 Strategien
struktur? Ein Nachteil der vertikalen Integration ist der erschwerte Marktzugang interner Zulieferer. Außerdem gibt es weniger Möglichkeiten sich weiterverwendbares Wissen von den Lieferanten anzueignen, etwa bei der Entwicklung des Elektroautos. Lernchancen können sich aber auch als Nachteil des Outsourcings herausstellen, wenn Wettbewerber Zugang zu firmeninternem Wissen erhalten. Nach dem Ressourcenansatz ist es schwierig und mit Kosten verbunden, wenn Unternehmen versuchen, andere zu kopieren. Unterschiedliche Entwicklungspfade können vor diesem Hintergrund analysiert werden, um zu prüfen, inwieweit der Toyota-Weg Vorbild sein sollte. BMW, Audi und Volkswagen entwickeln aktuell Strategien zur Zuliefersegmentierung und -integration nach dem LeanProduction-Konzept. Ein Kernelement ist dabei, dass es bei der Beschaffung nicht allein auf den Preis ankommt, sondern auch auf das Entwicklungspotenzial der Partner. Traditionelle Komponentenwerke werden sich wie Zulieferer aufstellen müssen, wenn sie überleben wollen. Dazu gehört auch die Entwicklung einer Komponentenstrategie. Partnerschaftliche Beziehungen zu Lieferanten, Mitarbeitern und Kunden, die auch Konflikte aushalten und Krisen überleben, sind entscheidend nicht nur für Unternehmen, sondern auch für den Standort (vgl. Müller 2009). Fragen: 1. Wodurch unterscheidet sich der „Toyota-Weg“ von anderen Unternehmen? 2. Wie haben die westlichen Hersteller auf diese Herausforderung reagiert? 3. Wie wirkt sich ein gravierender Absatzrückgang auf die Lieferantenbeziehungen aus? Quellen: Dyer, J.H. et al.: Strategic Supplier Segmentation: The Next „Best Practice“ in Supply Chain Management. In: California Management Review 1998, Nr. 2, S. 57–77; Knauer, M.: Toyota auf der Suche nach Lieferanten. In: Automobilwoche vom 1.10.2012; Oliver Wyman: FAST 2025. Future Automotive Industry Structure. VDA (Hrsg.): Materialien zur Automobilindustrie, Nr. 45, Berlin 2012. Müller, H.-E.: Autozulieferer: Partner auch in der Krise? Lieferanten-management bei Toyota, General Motors und Volkswagen, Düsseldorf 2009; Nagaoka, S. et al.: Determinants of firm boundaries: Empirical analysis of the Japanese auto industry from 1984 to 2002. In: Journal of Japanese International Economics 2008, S. 187–206; Womack, J.P. et al.: Die zweite Revolution in der Autoindustrie. Frankfurt, New York 1991.
Auch auf der gleichen, horizontalen Wertschöpfungsstufe können sich Unternehmen entschließen, anstatt in den Wettbewerb einzutreten, die Zusammenarbeit zu suchen oder aber Konkurrenten zu übernehmen. Aufeinanderfolgende Wertschöpfungsstufen können grundsätzlich in einem Unternehmen vertikal integriert oder Spezialisten überlassen werden, die über Markt- und/oder Kooperationsbeziehungen verbunden sind. Ein Netz von Partnerunternehmen, das von einem Unternehmen geführt wird, welches die Rolle einer strategischen Zentrale übernimmt, wird als fokales Netzwerk bezeichnet. Man kann darüber streiten, ob etwa Toyota ein solches fokales Netzwerk ist, oder, im Unterschied zur einheitlichen Leitung im Konzern, nur eine andere Form der vertikalen Integration (Quasi-Hierarchie). Aus der Verbreitung von Outsourcing und Netzwerkstrukturen seit den späten 1980er Jahren, aus neuartigen Geschäftsmodellen, wie bei Nike und Adidas, die kein Stück mehr an ihren Produkten selbst machen, sondern dies spezialisierten Zulieferern überlassen, wird manchmal gefolgert, dass das Ende des Großunternehmens eingeläutet sei (vgl. u.a. Peters 1993). Faktisch sieht es jedoch anders aus: Langfristig steigt, trotz einiger gegenläufiger Tendenzen, die Unternehmenskonzentration (vgl. Grant & Nippa 2006; Rugman & Collinson 2012).
3.3 Netzwerkstrategie
175
So ist der Anteil der 100 größten Industrieunternehmen an der Industrieproduktion der USA von 35 Prozent im Jahre 1928 auf 66 Prozent 1998 angestiegen. Die Vereinten Nationen haben über 60.000 transnationale Konzerne identifiziert, aber die größten 500 davon tätigen 80 Prozent der weltweiten Direktinvestitionen. Dabei sind die in dauerhafte Kooperationsbeziehungen eingebundenen Zulieferer nicht mitgezählt.
3.3.2
Eigenständige versus eingebettete Organisation
Eine Organisation ist mehr oder weniger in ein Netzwerk von Beziehungen eingebettet. Im weiten Sinn gehören dazu alle Stakeholderbeziehungen – also auch zur Öffentlichkeit, zur Politik auf den jeweiligen Ebenen, zu den Medien, im regionalen Netzwerk usw. Hier soll es vor allem um die Beziehungen zwischen Unternehmen gehen. Kooperationsbeziehungen zwischen den Unternehmen sind lose oder eng, die Machtverteilung zwischen den Akteuren ist ausgeglichen oder nicht und die Arrangements können bilateral oder multilateral sein (vgl. Abb. 3.30). Wir haben bereits skizziert, dass Automobilhersteller wie Toyota und Volkswagen die Rolle des fokalen Unternehmens einnehmen, welches das Zuliefernetzwerk mehr oder weniger markt- oder partnerorientiert steuert. Mit sinkender Wertschöpfungstiefe auf bis zu 20 Prozent bei einigen dieser OEMs (Original Equipment Manufacturers) und wachsender Konzentration bei großen Zulieferern wie Bosch, Magna und Johnson Controls haben sich jedoch in den letzten Jahren die Machtverhältnisse in der Branche verschoben. Zulieferer treten inzwischen selbst als Endproduzenten auf. Außervertragliche Vereinbarungen
Multilaterale Abkommen
Bilaterale Abkommen
Abb. 3.30
Lobbyverband (z.B. European Roundtable of Industrialists) Gemeinsame Standardisierung (z.B. Linux-Bündnis) Wissensgemeinschaften (z.B. Strategic Management Society)
Vertragliche Vereinbarungen Forschungs-Konsortium (z.B. Symbian bei PDAs) Internationale Marketing-Allianz (z.B. Star Alliance im Bereich Fluggesellschaften) Exportpartnerschaft (z.B. Niederländischer Export-Verband)
Lizenzvertrag Vereinbarung über Querverkäufe (z.B. Disney und Coca-Cola) (z.B. zwischen Vertrag über gemeinschaftliche Pharmaunternehmen) Entwicklung Mitarbeiteraustausch im F&E-Bereich (z.B. Disney und Pixar in der (z.B. zwischen IT-Unternehmen) Filmbranche) Vereinbarung über den Austausch Markenallianz von Marktinformationen (z.B. Coca-Cola und McDonald‘s) (z.B. zwischen Hardware- und Softwareherstellern)
Kapitalbasierte Vereinbarungen Gemeinsam genutztes Zahlungssystem (z.B. Visa) Baukonsortium (z.B. Eurotunnel) Gemeinsames Reservierungssystem (z.B. Galileo)
Joint Venture für Produktinnovation (z.B. Sony und Ericsson bei Mobiltelefonen) Grenzüberschreitendes Joint Venture (z.B. DaimlerChrysler und Beijing Automotive) Lokales Joint Venture (z.B. CNN Turk in der Türkei)
Beispiele für relationale Arrangements (De Wit & Meyer 2010, S. 373)
In unterschiedlichen Arrangements der Zusammenarbeit wird versucht, symbiotische Beziehungen herzustellen, die das Beste beider Welten nutzen: sowohl die Vorteile der Hierarchie, als auch die des Marktes (Coopetition). So hat Inditex, der Mutterkonzern der spanischen Modekette Zara, mit einem der größten Konzerne Indiens, der Tata-Gruppe, ein Ge-
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3 Strategien
meinschaftsunternehmen gegründet, um Zara den Einstieg in den indischen Markt zu erleichtern. Um sich auf die Zukunft des Elektroautos vorzubereiten, setzen Autokonzerne auf die Zusammenarbeit mit anderen Branchen: Volkswagen kooperiert mit E.ON und Toshiba, Daimler mit RWE, Continental und Evonik sowie dem kalifornischen Hersteller von ElektroSportwagen Tesla, BMW arbeitet mit Vattenfall zusammen. Wenn auch Konkurrenten kooperieren und Allianzen eingehen, etwa durch Co-Research, Co-Production oder CoMarketing, wirkt die Konkurrenz dennoch weiter. So zerbrach etwa die strategische Allianz der Deutschen Telekom mit der France Télécom, als die Deutsche Telekom versuchte, bei Telecom Italia einzusteigen. Ähnlich wie Übernahmen scheitern auch Allianzen häufig (vgl. Jansen 2008). Jede Organisation versucht im Wettbewerb ihre eigenen Interessen durchzusetzen, gleichzeitig aber auch zu kooperieren. Um diesen widerstreitenden Anforderungen genügen zu können, „müssen Unternehmen eingebettet (embedded) und unabhängig (independent) zugleich sein – eingebettet in ein Netzwerk von kooperativen Wechselbeziehungen, obwohl unabhängig genug, die Macht zu ihrem eigenen Vorteil auszuüben.“ (De Wit & Meyer 2010, S. 379) Im Spannungsfeld beider Perspektiven positionieren sich Autoren der Strategielehre in unterschiedlicher Weise. Michael Porter (1990a, S. 224) beispielsweise bevorzugt die Perspektive der eigenständigen Organisation: „Allianzen sind kaum eine Lösung … kein Unternehmen sollte abhängig sein von einem anderen selbständigen Unternehmen bei Fertigkeiten und Vermögensgegenständen, die für seinen Wettbewerbsvorteile wesentlich sind. … Allianzen neigen zur Mittelmäßigkeit, schaffen keine Führung in der Welt.“ Aus dieser Sicht gilt nach Friedrich von Schiller: „Der Starke ist am mächtigsten allein.“ Andere hingegen halten es mit Alexandre Dumas: „Alle für einen, einer für alle!“ Danach ist die eingebettete Organisation vorzuziehen; ist die Symbiose, nicht die Aggression, die grundlegende wirtschaftliche Funktion. Unternehmen, die sich auf ihre Kernkompetenzen zurückziehen, indem sie Funktionen an Spezialisten outsourcen, können dies erfolgreich nur tun, wenn sie vertrauensvolle Partnerbeziehungen zu ihren wichtigsten Lieferanten aufbauen. Diese beiden gegensätzlichen Perspektiven – eigenständige versus eingebettete Organisation – sind vergleichbar zu den entsprechenden Perspektiven auf Unternehmensebene: PortfolioOrganisation versus integrierte Organisation. Dieselben Synergien die eine Strategie der Integration von Geschäftseinheiten auf der Unternehmensebene begründen (vgl. Kap 3.2.2), gelten auch für die Zusammenarbeit zwischen Organisationen im Geschäftsmodell auf Netzwerkebene: Die Nutzung gemeinsamer Ressourcen erzeugt Lerneffekte, etwa weil der Zugang zu mehr Kunden und damit zu wiederverwertbarem Wissen gewonnen wird. Die Integration der Wertketten, bringt z. B. bei einer Airline-Allianz Größenvorteile durch die Verwendung eines integrierten Buchungssystems und reibungslosen Flugverkehr für den Kunden. Die Abstimmung des Produktangebots ermöglicht etwa die Durchsetzung eines neuen Industriestandards (Beispiele: Betamax gegen VHS; HD-DVD gegen Blue-Ray Disc). Ein weiteres Beispiel dafür ist das systematische Beschaffungsmanagement (Supply Chain Management), wie es zuerst bei Toyota und anderen japanischen Automobilunternehmen umgesetzt wurde, inzwischen aber auch bei deutschen Herstellern wie Siemens, Bayer und
3.3 Netzwerkstrategie
177
Volkswagen angestrebt wird. Während traditionell sehr viele Lieferanten über distanzierte Marktbeziehungen gesteuert wurden, geht es heute um die stärkere Integration der externen und internen Partner in die Kernprozesse des Unternehmens. Die Instrumente dazu sind bei Volkswagen und Audi Lieferantenklausuren, Projektklausuren und Innovationsforen, bei denen die strategischen Partner neben den Marktpartnern ausgewählt, bewertet und entwickelt werden (vgl. Berkenhagen & Vrbica 2007; Müller 2009a). Allerdings sind auch die Nachteile der eingebetteten oder integrierten Organisation zu berücksichtigen: Hoher Verwaltungsaufwand und langsamere Entscheidungen, Zielkompromisse und die Entmutigung von Initiativen. Deshalb etwa sind bei japanischen Automobilherstellern wie Toyota oder Honda die Lieferantenbeziehungen je nach Komponentenart in strategische Partnerschaften und Marktbeziehungen segmentiert und nicht, wie häufig angenommen allein partnerschaftlich ausgerichtet (Dyer et al. 1998). Eindeutig ist, dass Toyota die Spinne im Netz ist und nicht die Fliege. Die meisten Partner gehören zur Toyota-Gruppe, und: „Kontrolle ist die Kehrseite des Vertrauens, das Toyota und Honda ihren Zulieferern entgegenbringen.“ (Liker & Choi 2005, S. 68)
3.3.3
Make, Buy und Cooperate
Wie nun vertikale Integration und strategisches Outsourcing ausbalancieren? Hier nur wenige Bemerkungen zu den theoretischen Überlegungen. Ein Modell für die Wahl von Organisationsformen zwischen Markt und Hierarchie kann von der Annahme ausgehend entwickelt werden, dass Eigenerstellungs-(Make-)Entscheidungen (oder die vertikale Integration) bevorzugt werden, wenn die Leistungsfähigkeit des Unternehmens und die strategische Relevanz der Komponente hoch sind. Genauer wird die strategische Relevanz definiert als Spezifität aus Markt- und Ressourcensicht, Komplexität und gegenseitiger Abhängigkeit (vgl. Abb. 3.31). Umgekehrt ist es bei Buy-Entscheidungen. Cooperate umreißt ein Spektrum strategischer Entscheidungen, dass zwischen beiden Polen liegt, organisatorisch z.B. als strategische Partnerschaft oder Strategische Geschäftseinheit.
Wechselseitige Abhängigkeit
Spezifität der Märkte und Ressourcen
Interne Leistungsfähigkeit
Komplexität
Abb. 3.31
Einflussfaktoren für die Wahl zwischen Markt und Hierarchie (Müller 2009)
178
3 Strategien
Eine theoretische Grundlage ist dabei der Transaktionskostenansatz. Danach wird eine Zusammenarbeit zwischen potenziellen Konkurrenten oder zwischen Käufern und Verkäufern wahrscheinlich vorteilhaft sein, wenn die Kosten des Kaufs und der Transaktion (Anbahnungs-, Verhandlungs- und Vertragskosten), die durch die Zusammenarbeit entstehen, niedriger sind, als die internen Kosten, die durch die Eigenerstellung anfallen. Mit höherer Spezifität eines Produktes steigen die Transaktionskosten (vgl. Williamson 1975). Die Kritik setzt daran an, dass Organisationen mehr sind als ein durch Preise koordiniertes Netz von Verträgen (vgl. Kap. 1.4.2). Von der Logik der selbstregulierten Anpassung des Marktes ist die Logik der zielgerichteten Anpassung (Purposive Adaptation) durch Koordination und interne Kooperation zu unterscheiden, die Williamson nicht erkennt (vgl. Ghoshal & Moran 1996). In diese Richtung geht der Relational View, der darauf abhebt, dass die erfolgskritischen Ressourcen eines Unternehmens seine Grenzen überschreiten, weil sie eingebettet sind in Ressourcen und Routinen, die zwischen den Unternehmen bestehen. Interorganisatorische Wettbewerbsvorteile entstehen danach aus a) beziehungsspezifischem Vermögen, b) Routinen des Wissensaustauschs, c) komplementären Ressourcen/Fähigkeiten und d) effektiver Governance (Dyer & Singh 1998). Dazu gehören auch kulturelle Ressourcen und Fähigkeiten. Gerade Fallstudien zu Toyota betonen immer wieder diese weichen Erfolgsfaktoren, die es dem Unternehmen erlauben, nachhaltige und tiefe Beziehungen zu ihren Zulieferern aufzubauen. Der Transfer von explizitem und verborgenem Wissen wird dadurch gefördert: Toyota und Honda beziehen traditionell nicht viel aus Niedriglohnländern; die Innovationsfähigkeit ihrer Zulieferer war ihnen wichtiger als Lohnkosten (vgl. Liker & Choi 2005). Kandidaten für die interne Beschaffung oder für strategische Partnerschaften sind jene „hochwertigen Inputs, die verbunden sind mit den Kernkompetenzen des Abnehmers und geeignet sind, die Produkte des abnehmenden Unternehmens zu differenzieren.“ (Dyer et al. 1998, S. 68) Vertrauen zwischen Lieferanten und ihren Abnehmern ist wichtig, wenn die Spezifität des Vermögens und die Unsicherheit hoch sind (vgl. Dyer & Chu 2011). Die interne Beschaffung kann als funktionale hierarchische Struktur oder als multidivisionale Struktur, mit relativ eigenständigen Strategischen Geschäftseinheiten gestaltet werden (vgl. näher dazu Kap. 4). Nachteile der Make-Strategie können geheilt werden durch die Verwandlung interner Lieferanten in Profitcenter und Schattenseiten der Buy-Strategie können durch strategische Partnerschaften verringert werden (vgl. Park et al. 2000). Es würde den Rahmen sprengen, alle Ansätze auf diesem jungen und stark wachsenden Gebiet der Managementforschung darzustellen. Verwiesen wird deshalb auf die grundlegenden Arbeiten von Sydow (1992 ff) und auf De Wit & Meyer (2010, Kap. 7).
3.3.4
Outsourcing, Offshoring und Crowdsourcing
Zum Spezialfall Outsourcing gibt es inzwischen eine umfangreiche Literatur; hier nur einige Anmerkungen aus eher praktischer Sicht (vgl. näher u.a. Dittrich & Braun 2004; Hermes & Schwarz 2005; Hollekamp 2005; Müller & Prangenberg 1997). Outsourcing ist ein Kunstwort, das aus „outside“, „resource“ und „using“ zusammengesetzt ist. Bisher eigenerstellte Leistungen werden fremd bezogen. An sich nichts Ungewöhnliches. Der Begriff tauchte zuerst in den Schlagzeilen auf, als im Jahre 1989 Eastman Kodak seine Datenverarbeitung an
3.3 Netzwerkstrategie
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IBM und DEC übergab. Bis dahin galt die damals neuartige Verarbeitung von Daten in Großrechnern noch als ein Königreich, das jeder zu besitzen suchte. Nun schien sie ein gewöhnliches Gebrauchsgut (Commodity) geworden zu sein, das man unbeschadet fremd beziehen konnte. Heute dürfte klar sein, dass die Dinge komplizierter sind. Inzwischen steht jeder Bereich auf dem Prüfstand, aber es geht um mehr, als nur um „Buy“. Bei komplexen Projekten dieser Größenordnung und Vertragslaufzeit entsteht in aller Regel eine Kooperationsbeziehung, die Kompetenzen auf beiden Seiten erfordert. Netzwerkstrategien, also Partnerschaften, Co-Sourcing, manchmal auch wieder Insourcing sind die Folge (vgl. Müller & Fentz 2005). Eine Analyse der deutschsprachigen Literatur von Matiaske & Mellewigt (2002) identifiziert vier zentrale Motive für Outsourcing: Kostenvorteile durch Größenvorteile, Lerneffekte, erhöhten Kostendruck, niedrigere Entlohnungstarife und variabilisierte Fixkosten; Konzentration auf das Kerngeschäft, dadurch geringere Komplexität und höhere Flexibilität; Leistungsverbesserung durch die Inanspruchnahme von Spezialisten; geringerer Finanzbedarf und Risikoverlagerung. Allerdings zeigte sich in den ausgewerteten Studien kein einheitliches Bild hinsichtlich der Erfolgswirkungen – zumal nicht Erfolge unmittelbar gemessen werden, sondern nur die Häufigkeit, mit der bestimmte Effekte von den Unternehmen positiv eingeschätzt werden. Ziehe man die genannten Risiken in Betracht, so büßt Outsourcing den Nimbus eines „Wundermittels“ vollends ein. Dazu gehören u.a.: Höhere Gesamtkosten als bei der Eigenerstellung durch mangelhafte Kostenerfassung, Transaktionskosten und versunkene Kosten; opportunistisches Verhalten des Outsourcingnehmers; Demotivation und Verunsicherung des Personals; Auslagerung von Kernkompetenzen, die nicht als solche erkannt werden; Abhängigkeit bei komplexen Leistungen. Wie bei anderen Maßnahmen zur Restrukturierung der Wertschöpfungskette auch, kommt es beim Outsourcing nicht auf einen Königsweg, sondern auf jeweils angemessene Lösungen an. Eine maßgebliche Herausforderung ist dabei, dass Führungsfähigkeit auf diesem Gebiet entwickelt wird. Zur wirtschaftlichen und strategischen Bewertung gehört nämlich auch, dass die Beziehungen nicht nur zu den Outsourcing-Partnern, sondern auch zu wichtigen Anspruchsgruppen, wie Kunden und Mitarbeitern, entwickelt und nicht zerstört werden. Dies wird nicht immer erkannt. Die Informations- und Kommunikationstechnologie ist ein mächtiger Antrieb für neue Geschäftsmodelle und gesellschaftliche Umwälzungen. Aktuell ist beispielsweise die Rede von einer durch die Digitaltechnologie ausgelösten vierten industriellen Revolution (Industrie 4.0), mit der durch das „Internet der Dinge“ die intelligent vernetzte, flexible Produktion möglich werden soll (vgl. Kap. 4.5.3). Out-, Off- und Crowdsourcing sind weitere Strategien, die dadurch gefördert werden. Outsourcing entstand Anfang der 1990er Jahre; Offshoring (Offshore Outsourcing) kam in den 2000er Jahren hinzu: die Ausgliederung von Funktionen an überseeische Dienstleister, vor allem um Arbeitskosten einzusparen. Indien hat sich da-
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3 Strategien
durch zu einem bedeutenden Standort für IT-Business Process Outsourcing und Callcenter entwickelt (vgl. Praxisbeispiel Infosys). Von Nearshoring spricht man, wenn Aktivitäten beispielsweise von Westeuropa in nahe osteuropäische Länder oder von Nordamerika nach Mexiko oder Brasilien ausgegliedert werden.
Praxisbeispiel: Infosys – Mit Offshoring zum Global Player Mysore, eine Stadt im südindischen Bundesstaat Karnataka, enttäuscht die touristischen Erwartungen nicht: Maharaja-Paläste, bunte Märkte und freundliche Menschen, aber auch eine chaotische Infrastruktur und andere Merkmale eines Entwicklungslands. Wie aus einer anderen Welt sieht demgegenüber der Infosys Standort nur wenige Kilometer außerhalb aus. Infosys verfügt hier über eines der modernsten Entwicklungs-und Trainingszentren weltweit, spektakuläre Architektur auf einem riesigen Campus, auf dem die Mitarbeiter lernen und wohnen. „Wir wollen wachsen, und dazu müssen wir attraktive Bedingungen für unsere Mitarbeiter bieten“ sagt dazu dessen Leiter Nagarajan Srinivasan. 30.000 Menschen werden bei Infosys jedes Jahr eingestellt und trainiert. Infosys Technologies Limited (ITL) wächst seit Jahren rasant. Noch im Jahr 2004 beschäftigte Infosys 25.000 Menschen und erzielte 1 Milliarde Umsatz, 2011 waren es schon 130.000 Mitarbeiter in 55 Ländern bei einem Umsatz von 6 Milliarden. 30 Jahre zuvor wurde Infosys mit einem Startkapital von 1000 $ in Indien gegründet. Der Gründer und späterer Vorsitzender von Infosys, N.R. Narayana Murthy und fünf weitere SoftwareIngenieure hatten die Idee, den etablierten Konzernen in Hochlohnländern weniger anspruchsvolle Teile der Softwareentwicklung und -instandhaltung durch qualifizierte und kostengünstige indische Arbeitskräfte anzubieten. Einen nennenswerten Inlandsmarkt gab es damals nicht. Infosys war von Anfang an weltweit tätig, ist also ein „Born Global“. Dieses Offshore-Outsourcing Modell lief in den ersten Jahren nur schleppend an, nicht nur weil die Datenverbindungen noch langsam waren, sondern auch, weil das Vertrauen in ein Land, das bis heute unter Korruption und Vetternwirtschaft leidet, gering war. Mit dem Infosys-Credo „Powered by Intellect, Driven by Values“ soll deutlich gemacht werden, dass Infosys anders ist. Anfang 2000 stieß das Offshing-Modell auf Grenzen, nicht nur weil indische Konkurrenten das Modell nachahmten, sondern auch, weil multinationale Wettbewerber wie IBM, EDS und Accenture große Standorte in Indien eröffneten. Weil der Kostenvorteil erodierte, veränderte Infosys seine Strategie. Infosys wollte nun in die Klasse dieser Premiumanbieter aufrücken und baute die Marketing- und Personalentwicklungsaktivitäten aus. Außerdem setzte man auf Diversifikation. Infosys Consulting, 2004 gegründet, erzielte 2011 bereits Umsatzerlöse von 200 Millionen $ mit einer Marge von 25 Prozent. Darüber löst das Unternehmen etwa 600 Millionen $ Umsatz bei seinem indischen Mutterunternehmen aus. Infosys gehört heute zu den führenden Global Playern in der IT-Branche. Kritiker des Offshorings befürchten, dass die westlichen Unternehmen ihre eigenen Konkurrenten großziehen und ganze Branchen ruinieren, wie bereits die Radio- und Fernsehindustrie in den 1960er Jahren. Unternehmen, die Arbeit in Entwicklungsländer auslagern, werden oft beschuldigt, Arbeitsplätze zu zerstören, ihre soziale Verantwortung mit Füßen
3.3 Netzwerkstrategie
181
zu treten, sowie die Rechte der Kunden zu gefährden (etwa wenn Krankenberichte und Kreditkartennummern offshore verarbeitet werden) und manchmal sogar die nationale Sicherheit. Außerdem zeigt eine Gallup Umfrage, dass weniger als ein Drittel der Mitarbeiter indischer BPO-Firmen feste Bindungen an ihr Unternehmen entwickeln. Befürworter sehen hingegen eine Win-Win-Situation für die betroffenen Länder. Fragen: 1. Was war ursprünglich das Geschäftsmodell von Infosys und wie und warum wurde es verändert? 2. Wie ist Ihre Meinung in der Offshoring Pro- und Contra Debatte? Quellen: Burgelman, R.A. & Schifrin, D.: Infosys Consulting in 2011. ECCH-Fallstudie SM 195, 2011; Gill, J.: India’s Outsourcing Firms Must Boost Morale. In: Business Week vom 4. November 2012; Kumar, N. et al.: India’s Global Powerhouses: How They Are Taking on the World. Boston 2009; Mukerjee, K. & Verma, M.: Infosys’ Growth Strategies. ECCH-Fallstudie Nr. 506-014-1, 2009; Narayana Murthy, N.R.: Why Don’t We Try To Be India’s Most Respected Company? (Interview) In: Harvard Business Review 2011, November, S. 80–86; Peng, M.W.: Global. Mason/Ohio 2011, S. 56; Weigand, J. et al.: Infosys Quest for Germany. ECCH-Fallstudie Nr. 210-014-1, 2009.
Beim Crowdsourcing schreibt eine Organisation Aktivitäten an ein undefiniertes und gewöhnlich großes Netzwerk von Menschen aus (vgl. Howe 2006). Dadurch entsteht neben der internen Lösung eines Problems und der Fremdvergabe an einen bestimmten Vertragspartner eine weitere Handlungsoption, deren Nutzung von der Art des Problems, dem erforderlichen Lösungswissen, der Crowd und den zu bewertenden Lösungen abhängt (vgl. Afuah & Tucci 2012). Wenn dadurch bisherige Aktivitäten des Unternehmens fremdvergeben werden, handelt es sich um eine weitere Form des Outsourcings. Beispiele sind die Plattform iStockPhoto, die Bilder von jedermann sammelt und kostengünstig verkauft, die freien Entwickler von „Apps“ für Smartphones und Tablet-Computer bei Apple oder Google oder das offene Innovationsnetzwerk „Be Liquid“ von IBM (vgl. Praxisbeispiel).
Praxisbeispiel: Crowdsourcing bei IBM – Licht und Schatten Noch im 17. Jahrhundert konnte man die Position eines Schiffs auf offener See nicht bestimmen. Zwar ließ sich mit dem Sonnenstand und dem Mond bereits die geographische Breite bestimmen, aber für die Ost-West-Position fehlte ein Instrument. Nachdem es den angesehensten Experten nicht gelungen war, eine Lösung zu finden, entschloss sich die britische Regierung, das Problem für ein erhebliches Preisgeld in der Zeitung für jedermann auszuschreiben. Überraschend fand im Jahre 1741 jemand eine Lösung, von dem es keiner erwartet hatte: John Harrison, Autodidakt, Zimmermann und späterer Uhrmacher, gewann die Ausschreibung mit dem Chronometer, mit dem sich die Position sicher bestimmen ließ. Mit dieser Geschichte beginnt ein unterhaltsames und informatives Video, mit dem IBM sein „Be Liquid“-Programm in Facebook vorstellt. Nicht wenige Leute in einem geschlossenen System, sondern ein offener Markt für Ideen, der sich heute mit dem Internet und den Social Communities ganz anders darstellt, sind auch hier der Ansatz. Beim Crowdsourcing wird ein größeres Projekt in kleine, klar definierte Teilprobleme zerlegt, die sich in 3–5 Tagen bearbeiten lassen, dann am weltweit offenen Markt ausge-
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3 Strategien
schrieben und im Erfolgsfall vergütet. Der abschließende Kommentar von IBM: „Wir schaffen Wert für unsere Kunden indem wir IBM als Innnovationsnetzwerk öffnen.“ Aber es gibt auch Schatten, zumindest aus der Sicht von Beschäftigten. Im April 2010 brachte die Zeitschrift Personnel Today die Nachricht, dass IBM durch Crowdsourcing bis zum Jahr 2017 die Zahl seiner weltweit rund 400 Tausend Mitarbeiter auf ein Viertel, also auf rund 100 Tausend verringern will. Auch Gebäudekosten, Kosten für Krankenversicherung und Altersversorgung könnten entsprechend eingespart werden. Es hagelte Kritik, IBM dementierte. Zwei Jahre später, im Frühjahr 2012, berichtet die Zeitschrift Der Spiegel, dass IBM eine Radikalreform seiner Belegschaft prüft. Ein internes Papier zeichnet die Blaupause für die Arbeitswelt von morgen: Kleine Kernmannschaften dirigieren ein Heer freier Mitarbeiter – weltweit. Das Handelsblatt meldet, dass Kundenprojekte bei IBM, wie etwa die Beratung bei der Modernisierung von Software, im Rahmen des bereits laufenden „Liquid“-Programms „verstärkt von freien anstelle der bisher fest angestellten Mitarbeitern durchgeführt werden. IBM will solche Projekte auf Internetplattformen ausschreiben, wo sich dann auch die ehemals fest angestellten IT-Entwickler um die Jobs bewerben können. Nicht die Arbeit verschwindet, wohl aber die bisherige Form des festen Arbeitsplatzes. (...) Alleine in Deutschland wird eine hohe vierstellige Zahl der bislang 20.000 Stellen bei IBM verlorengehen, berichten Insider.“ Das Unternehmen, das übrigens mit der OnlineCommunity TopCoder Inc. kooperiert, will sich zu den Zahlen nicht äußern, berichtet die Zeitung weiter. Im IBM-Statement auf eine Anfrage des Handelsblatts heißt es: „Wir richten unser Geschäft ständig innovativ und wettbewerbsfähig aus. Transformation ist Teil unseres Geschäftsmodells. Entsprechend passt sich unsere Belegschaft an.“ IBM nutzt Crowdsourcing bereits. Bei der internen Anwendungsentwicklung in Deutschland wird bis 2013 das Modell „GenO – Generation Open“ getestet, berichtet Molitor (2012, S. 15): „Große Projekte werden in viele kleine Pakete zerlegt, die 40 bis 80 Stunden umfassen. Freie oder Festangestellte aus dem weltweiten IBM Verbund können sich auf die Online-Ausschreibung bewerben. (...) Der Budgetanteil solcher Ausschreibungen bewege sich derzeit noch im einstelligen Prozentbereich. Für die kommenden Jahre sei zu erwarten, dass solche Versteigerungsplattformen zwar eine alltägliche, aber nicht die bestimmende Methode der Arbeitsteilung bei IBM werden.“ Fragen: 1. Welche Chancen sehen Sie in dieser Transformation für IBM und welche Grenzen und Gefahren? 2. Lässt sich dieses Modell auf andere Unternehmen und Branchen 1:1 übertragen? Quellen: http://selmanvid.wordpress.com/2012/03/20/crowdsourcing-bei-ibm; Dettmer, M. & Dohmen, F.: Frei schwebend in der Wolke. In: Der Spiegel, Nr. 6, S. 62–64; Koenen, J.: IBM baut in Deutschland Tausende Stellen ab. In: Handelsblatt vom 1.2.2012 und 14.3.2012, www.handelsblatt.com, abgefragt am 10.10.2012; Molitor, C.: Ins Netz gegangen. In: Magazin Mitbestimmung 2012, Nr. 7/8, S. 10–15; Peacock, L.: IBM crowd sourcing could see employed workforce shrink by three quarters. In: Personnel Today 2010, www.personneltoday.com, abgefragt am 18.03.2012.
Open Innovation bedeutet, dass externe Akteure in technische Problemlösungen einbezogen werden (vgl. Chesbrough 2003) und dass Produktinnovationen selbst von den Nutzern aus-
3.3 Netzwerkstrategie
183
gehen (vgl. von Hippel 2005). So verfügt etwa der Online-Marktplatz InnoCentive nach Angaben auf seiner Webseite über 250 Tausend registrierte „Solver“ in nahezu 200 Ländern, die um Preisgelder von 500 Dollar bis 1 Million Dollar konkurrieren, um Neuerungen bei Procter & Gamble, Eli Lilly und anderen etablierten Konzernen voranzubringen. Procter & Gamble bindet unter dem Programmtitel „Connect and Develop“ systematisch externe Akteure in seine Innovationsprozesse ein. Adidas lässt die Kunden an der Produktentwicklung mitwirken (vgl. Praxisbeispiel). Neu daran ist nicht, dass Kunden, Geschäftspartner und Lieferanten an der Leistungserstellung mitwirken. Dies war bisher schon beim Friseur bei der Selbstbedienung im Einzelhandel oder am Geldautomat der Fall. Wenn aber Softwarearbeiten an eine offene, virtuelle Menschenmasse weltweit ausgeschrieben werden (TopCoder/IBM) oder der Kunde in den Innovationsprozess integriert wird (Mi Adidas), um nur einige Beispiele zu nennen, so kennzeichnet dies eine Entwicklung, bei der es nicht nur um Kosteneinsparungen oder ein besseres Marketing geht, sondern um eine veränderte Ausrichtung des Unternehmens (vgl. näher Kap. 4.6.3).
Praxisbeispiel: Mi Adidas – gestalte dich selbst Am Beispiel des Kindergeburtstags schildern Pine & Gilmore den Weg zur Erlebnisgesellschaft. Mehl, Milch, Eier – früher backte die Mutter den Geburtstagskuchen aus natürlichen Zutaten, dann kamen Produkte wie Dr. Oetkers Backmischung hinzu, später setzte man auf Service im Café. Heute muss mehr Erlebnis geboten werden, geht es nicht mehr ohne Zauberei. Teurer wurde es auch. Ähnlich ist es beim Sport. Nike und Adidas liefern sich Bieterschlachten um Sportstars für ihre Werbung, Kunden fühlen sich wie Profis, wenn sie sich ihren Schuh individuell anpassen lassen, und sind bereit, dafür einen Aufschlag zu zahlen. Adidas verkauft individualisierte Sportschuhe seit dem Jahr 2000, kurz nachdem der Konkurrent Nike damit begonnen hatte. Unter der Marke „mi adidas“ können Kunden im Internet die Passform, die Funktion und das Aussehen für ihren Schuh auswählen und in Sporthäusern noch weiter individualisieren, ein Service, der zuvor Fußballstars wie David Beckham und Top-Läufern wie Haile Gebrselassie vorbehalten war. Alle Schuhe werden in Asien „auf Anfrage“ (on-demand) nach dem Prinzip der MassCustomization hergestellt. Dazu gehört Modularität. Um die Komplexität und die Lieferzeit zu senken, wird für jeden Kunden nicht ein eigener Leisten entwickelt, sondern der Fuß des Kunden wird einem vorhandenen Leisten zugeordnet. Neben der Marketingwirkung gewinnt Adidas durch dieses Programm Kundennähe zurück, entwickelt Prozesse und Produkte. Denn traditionell tritt Adidas nur mit Großabnehmern wie Karstadt in Kontakt. Die Integration von Kunden in den Innovationsprozess wurde auch durch einen internetbasierten Ideenwettbewerb unterstützt, der neue Ideen und Verbesserungen nach dem Prinzip der Open Innovation einbrachte. Fragen: 1. Was hat die Individualisierung von Produkten mit Erlebnissen zu tun? 2. Verändert sich das Geschäftsmodell durch die Beteiligung der Kunden als Innovationspartner?
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3 Strategien
Quellen: Pine II, B.J. & Gilmore, J.H. (1998): Welcome to the Experience Economy. In: Harvard Business Review, 1998, Nr. 7–8, S. 97–105; Reichwald, R. & Piller, F.: Interaktive Wertschöpfung. Open Innovation, Individualisierung und neue Formen der Arbeitsteilung. 2. Aufl. Wiesbaden 2009, S. 291 ff; www.adidas.com.
Open Innovation nutzt Crowdsourcing für Neuerungen. Hierarchien sollen keine Rolle spielen, Kunden und andere Experten können an der Produktentwicklung mitwirken. Durch Crowdsourcing entsteht ein offenes, interaktives Netzwerk. Hippel (2005) spricht sogar von einer Demokratisierung der Innovation, weil Nutzer von Produkten und Dienstleistungen zunehmend in der Lage sind, diese individuell oder in der Zusammenarbeit mit anderen selbst zu erneuern. Es entstehen so Virtuelle Gemeinschaften (Virtual Communities), bei denen eine offene Gemeinschaft von Akteuren durch Social Media in einen interaktiven Prozess einbezogen wird. Diese wirken nicht nah zusammen, wie das bisher üblich war, sondern nur als ob, eben virtuell. Die Zusammenarbeit findet, über das Internet vermittelt, „Anytime, Anyplace“ zu jeder Zeit und an jedem Ort statt. Reiche Medien, wie die durch physische Nähe vermittelten fünf Sinne, sind hier eher die Ausnahme. Sie werden nur gewählt, wenn die Komplexität der Aufgabe, etwa zu Projektbeginn, dies erfordert. Die Zusammenarbeit muss nicht unmittelbar finanziell motiviert sein, wie die Beispiele Wikipedia und die Open Source Software zeigen. Als interaktive Wertschöpfung analysieren Reichwald & Piller (2009) Crowdsourcing, virtuelle Gemeinschaften und Open Innovation. Danach geht diese dritte Stufe der Arbeitsteilung über die Arbeitsteilung im Unternehmen und in Unternehmensnetzwerken hinaus: Hierarchie. Die erste, hierarchische Stufe der Arbeitsteilung nach dem traditionellen tayloristischen Prinzip stößt durch die Individualisierung der Nachfrage, die wiederum die Kreativität und Aktivität der Nachfrager fördert, auf Grenzen. Um auf Käufermärkten die Ziele der Qualität, Flexibilität und Produktivität gleichwertig verfolgen zu können, werden interne und externe Barrieren geschliffen. Netzwerke. Nicht so sehr hierarchische Strukturen, sondern die Organisation nach Prozessen tritt nun in den Vordergrund, nicht nur im Unternehmen, sondern auch durch die Kooperation mit Kunden, Lieferanten und weiteren Partnern im Produktionsnetzwerk (vgl. näher Kap. 4.3). Aber auch diese Netzwerkarrangements, die kennzeichnend sind für die zweite Stufe der Arbeitsteilung, stoßen auf Grenzen. Erstens galten und gelten Kunden „meist als passive Wertempfänger, nicht jedoch als Partner in einem Wertschöpfungsnetzwerk. (...) Zweitens agieren bestehende Netzwerkarrangements innerhalb einer Gruppe bekannter Akteure, die sich explizit zur Lösung einer Problemstellung zusammengeschlossen haben.“ (ebd., S. 41 f.) Interaktive Wertschöpfung. Die Idee der interaktiven Wertschöpfung setzt hier an, indem Organisationen die mit dem Internet entstandenen Möglichkeiten des Wissensaustauschs mit externen Akteuren in allen Phasen der Wertschöpfung nutzen. Durch Open Innovation werden neue Produkte für viele Abnehmer entwickelt, durch Mass Customization individualisieren die Kunden ihre Produkte selbst (vgl. bereits Kap. 3.1.2 und später 4.6). Durch den Verzicht auf vertragliche Regelungen zugunsten informeller Mechanismen, wie beispielsweise Selbstselektion, können Transaktionskosten eingespart werden. Dazu müssen
3.3 Netzwerkstrategie
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Unternehmen aber ihre Aufgaben in modulare und kleinteilige (granulare) Aufgaben zerlegen können, damit sich aus einer großen Masse von Kunden und Nutzern diejenigen per Selbstselektion eine Aufgabe suchen, für die sie am besten qualifiziert und/oder motiviert sind. Auf der anderen Seite entstehen Transaktionskosten für die Trennung der „Spreu vom Weizen“ und die interbetriebliche Integration der outgesourcten Teilaufgaben. Daraus ergeben sich nach Reichwald & Piller (2009, S. 111 ff.) drei Grenzen der interaktiven Wertschöpfung: (1) Kosten der Selektion und der Integration der Teilergebnisse. (2) Anforderungen an die Zerlegbarkeit (Granularität und Modularität) in Teilaufgaben. (3) Wichtigkeit materieller Inputfaktoren, die sich nicht an Kunden oder andere externe Akteure übertragen lassen. Interaktive Wertschöpfung und Crowdsourcing im offenen Netzwerk können gleichbedeutend verwendet werden, zumal an Begriffen auf diesem neuen Gebiet kein Mangel ist. Den Beginn eines Zeitalters der Hyperspezialisierung sehen Malone et al. (2011) in dieser neuen Form der Arbeitsteilung. Weil die Arbeit zunehmend wissensbasiert ist und die Kommunikationstechnologie fortschreitet, wird die Arbeit atomisiert. Was heute noch die Aufgabe eines Einzelnen ist, wird zukünftig besser, schneller und billiger von der Masse der vielen Wissensarbeiter erledigt. In dieser Welt der Hyperspezialisierung können die Unternehmen flexibel ihre Kapazitäten anpassen und die Menschen die Zeit, Ort und Aufgabe der Arbeit wählen. Weniger qualifizierte Arbeiten können ausgelagert, traditionelle Grenzen des Arbeitsmarktes überwunden und Menschen in Entwicklungsländern virtuell mobil werden. Als Kronzeuge wird Adam Smith angeführt, der bereits im Jahre 1776 beschrieben hatte, dass die Spezialisierung der Arbeit ein mächtiger Antrieb für den wirtschaftlichen Fortschritt ist. Bezeichnend ist daran, dass mit der Prozessorganisation, einer anderen Managementinnovation unserer Zeit, gerade das Gegenteil assoziiert wird: das Ende der Arbeitsteilung (vgl. Hammer & Champy 1993). Offenbar muss man sich auch auf diesem Gebiet moderner Managementkonzepte vor Übertreibungen und Halbwahrheiten hüten und etwa die oben genannten Grenzen der interaktiven Wertschöpfung berücksichtigen. Neben den Chancen der Hyperspezialisierung benennen Malone et al. (2011) aber auch Gefahren: Ein digitales Tagelöhnertum („Digital Sweatshops“) könnte entstehen, die Arbeit stumpf und bedeutungslos werden, Vorleistungen werden nur vergütet, wenn die Ausschreibung gewonnen wird, eine Unterbietungskonkurrenz aus armen Regionen droht und die elektronische Leistungskontrolle nimmt zu. Die Bindungskraft (Retention) des Unternehmens nimmt ab, weil kein Mitarbeiter weiß, ob er nicht der nächste ist, der seinen Arbeitsplatz verliert. Die in der industriellen Ära entstanden Regularien greifen nur noch teilweise, sind also weiterzuentwickeln. Allerdings ist das Human Resources Outsourcing, die Ausgliederung von Arbeitsplätzen an externe Dienstleister kein Neuland. Beinahe jedes Großunternehmen hält heute rund 20 Prozent seiner Belegschaften dauerhaft flexibel, durch Leiharbeit, Werkvertrags-Konstruktionen, befristete Jobs oder die Vergabe von externen Projekten, die man früher selbst erledigt hat. „Nach unveröffentlichten Daten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) sank die Zahl der unbefristeten Vollzeitjobs von 1999 bis 2009 um 18,5 Prozent. Nur noch etwas über die Hälfte aller Arbeitnehmer ist so beschäftigt. Zugleich stieg die Zahl der atypischen Erwerbsformen wie Leiharbeit um fast 79 Prozent an.“ (Dettmer & Dohmen 2012, S. 64)
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3 Strategien
Als Zwischenergebnis kann festgehalten werden: Strategie ist die Kunst Wert zu schaffen. Vor dem Hintergrund des globalen Wettbewerbs, sich wandelnder Märkte und neuer Technologien geht es nicht mehr nur darum, bestehende Aktivitäten einer Wertkette zu optimieren: „Erfolgreiche Unternehmen fügen nicht nur Wert hinzu, sie erfinden ihn neu. Ihr Brennpunkt in der strategischen Analyse ist nicht das Unternehmen oder die Branche, sondern das wertschaffende System selbst, in dem unterschiedlichen Akteure – Lieferanten, Geschäftspartner, Kunden – zusammenarbeiten, um kooperativ Wert zu schaffen.“ (Normann & Ramírez 1993, S. 65 f.) Zu ergänzen ist, dass auch die Mitarbeiter dazugehören, wenn diese, wie etwa bei Continental, BASF und Siemens über interne soziale Netzwerke mitwirken, ohne dass Hierarchien dabei eine Rolle spielen sollten. Siemens etwa hat in der geschützten Umgebung des Intranets eine „Blogosphere“ eingerichtet, mit im Jahr 2012 rund 2300 Blogs und bisher gut 15000 Beiträgen (vgl. Molitor 2012). Netzwerkstrategien werden mit jeweils veränderten Geschäftsmodellen entwickelt und mit dem interaktiven Internet (Web 2.0), mit Crowdsourcing und virtuellen Gemeinschaften ist eine neue Stufe erreicht. Enterprise 2.0: Weniger die Eigenständigkeit des Unternehmens ist hier die strategische Perspektive als vielmehr die Einbettung in ein interaktives offenes Netzwerk. Den Erfolg wird man als „Social Media ROI“ kaum zurechnen können, wohl aber im Investment der Nutzer erkennen (vgl. Hoffmann & Fodor 2010). Eine Studie von McKinsey ermittelt, dass die Potentiale bisher nicht ausgeschöpft werden, beispielweise um den E-Mail-Ballast zu verringern. Durch eine verbesserte Kommunikation und Zusammenarbeit mit Social Media ließe sich die Arbeitsproduktivität um 20 bis 25 Prozent steigern (vgl. Chui et al. 2012). Die Web 2.0-Anwendungen rechnen sich für die Unternehmen inzwischen. Daher sollte das Web 2.0, dazu gehört mehr als nur Facebook und Twitter, in die täglichen Arbeitsalltag integriert und ausgebaut werden, der Informationsfluss weniger hierarchisch sein, den unteren Ebenen mehr Entscheidungsspielraum gegeben werden und die Interaktion mit Kunden, Geschäftspartnern und Mitarbeitern über das Web entwickelt werden. Wir haben uns in diesem Kapitel mit der Geschäfts-, Unternehmens- und Netzwerkstrategie auseinandergesetzt und damit einen weiteren Meilenstein erreicht. Deutlich wurde, dass es vor dem Hintergrund einer zunehmenden Komplexität und Dynamik darauf ankommt, die Dinge aus unterschiedlichen Perspektiven zu analysieren, Optionen zu entwickeln, Entscheidungen zu treffen und zu lernen, mit strategischem Wandel umzugehen. Liebmann, Zentes & Swoboda (2008) verwenden hierfür den Begriff des fortschrittsfähigen Unternehmens, das mit seinen Anspruchsgruppen vernetzt ist, Stärken von innen heraus entwickelt und die Fähigkeit hat, Marktveränderungen zu bewältigen. Aber zuvor sind noch Fragen offen: „Es ist keine Kunst eine Strategie zu formulieren, die Schwierigkeit ist, sie zum Laufen zu bringen.“ Dieser bereits angeführte Satz von Igor Ansoff leitet über in das nächste Thema, die Organisationsgestaltung.
Zusammenfassung
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Zusammenfassung 1. Die Schrittfolge der strategischen Planung gibt einen Orientierungsrahmen für die Strategieentwicklung auf den verschiedenen Ebenen: Geschäftsbereich, Gesamtunternehmen, Unternehmensnetzwerk. 2. Zum Geschäftssystem (Geschäftsmodell) einer Organisation gehören die Ressourcenbasis (die Wertausstattung), das Aktivitätssystem (die Wertkette) und das Produkt- und Dienstleistungsangebot (das Wertversprechen). Die Ausrichtung des Produkt- und Dienstleistungsangebots beginnt mit der Geschäftsfeldabgrenzung und der Bildung von entsprechenden Strategischen Geschäftseinheiten. 3. Die Chancen und Bedrohungen der Umwelt werden zunächst mit der PESTEL-Analyse abgeschätzt, die Herausforderungen der allgemeinen Unternehmensumwelt darstellt. Zur Branchenanalyse ist die 5-Kräfte-Analyse von Porter verbreitet, die die Attraktivität einer Branche von deren Marktstruktur ableitet: der Konkurrenz innerhalb der Branche, den Markteintrittsbedrohungen, der Käufer- und Lieferantenmacht sowie der Bedrohung durch Ersatzprodukte. Davon hängt auch die Positionierung im Wettbewerb ab: Unternehmen können die Optionen der Differenzierung, der Kostenführerschaft und der Nischenstrategie verfolgen. 4. An der Einseitigkeit dieses Ansatzes von Porter, der an monopolistischen Wettbewerbsvorteilen aus Marktstruktur, -verhalten und -ergebnis orientiert ist, setzt die Kritik an. Hybridstrategien, komplementäre Produkte, dynamischer Wettbewerb und die Tatsache, dass Geschäftsbeziehungen durch eine Dualität von Wettbewerb und Kooperation (Coopetition) und nicht nur durch das Streben nach Monopolgewinnen geprägt sind, werden angeführt. 5. Zur Entwicklung der Geschäftsstrategie gehört weiter die Analyse der Stärken und Schwächen des Aktivitätssystems und der Ressourcenbasis. Verbreitet sind hier die Wertkettenanalyse von Porter sowie die Nutzwert-Analyse (Scoring-Methode), die Informationen auch im Vergleich mit Geschäftseinheiten anderer Unternehmen (Benchmarking) bereitstellen. 6. Eine Strategie ist nur so gut wie ihre Umsetzung. Ausgehend von der Markt- und Ressourcenanalyse werden Ziele und Strategien für die jeweiligen Geschäfte formuliert und mit den Managementfunktionen Führung, Organisation, Personalmanagement, Information und Controlling umgesetzt. Nützliche Werkzeuge sind Strategy Maps und die Balanced Scorecard. 7. Ausgangspunkt für die Unternehmensstrategie ist die Frage nach der Konfiguration des Unternehmens. Zentrale Themen sind hier die Wertarchitektur und das ausgewogene Management des Gesamtunternehmens. Synergien entstehen aus der Nutzung gemeinsamer Ressourcen, der Integration der Wertkette und der Abstimmung der Positionen des Produkt- und Dienstleistungsangebotes. Die Kehrseite der Synergie ist der Verlust von Reaktionsfähigkeit; beide Perspektiven sind abzuwägen. Auch die Ressourcenzuweisung sollte nicht allein aus Marktsicht, sondern auch aus Ressourcensicht erfolgen.
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3 Strategien
8. Unternehmensnetzwerke sind Organisationsformen, die sich zwischen Unternehmen und Markt herausbilden. Die Bewertung der Kooperation, der strategischen Partnerschaft, hängt davon ab, ob das Unternehmen eher als eigenständige Organisation oder als eingebettete Organisation angesehen wird. Das Management der Beziehungen (RelationshipManagement) zu Kunden, Lieferanten, Anteilseignern und Mitarbeitern gehört zu einem vergleichsweise neuen Gebiet der Strategischen Unternehmensführung, das an Bedeutung gewinnt. Geschäftsmodelle werden durch Outsourcing, Offshoring und Crowdsourcing verändert.
Fragen zur Diskussion 1. 2. 3. 4.
SWOT-Analyse: Worum geht es? Welche Instrumente der Unternehmensanalyse halten Sie für besonders relevant? Was spricht für den „Resource Based View“, was für den „Market Based View“? Wie und warum werden Strategische Geschäftsfelder und Strategische Geschäftseinheiten abgegrenzt? 5. Wie sollte sich eine Geschäftseinheit im Wettbewerb positionieren? 6. Welche Bedeutung hat die Mission für die Unternehmensplanung? 7. Was spricht für die Portfolio-Organisation, was für die integrierte Organisation? 8. Der radikale Umbau von Unternehmen bietet Chancen, aber auch Risiken. Welche? 9. Sind die Diversifikation und die Konzentration auf das Kerngeschäft unvereinbare Gegensätze? 10. Bei welchen Strategieinstrumenten sind Größenvorteile und Verbundvorteile relevant? 11. Ist es richtig, dass japanische Unternehmen ihre Zulieferer partnerschaftlich einbinden, westliche Hersteller hingegen auf distanzierte Marktbeziehungen setzen? 12. Welche Chancen und welche Risiken bieten Outsourcing, Offshoring und Crowdsourcing?
4
Organisationsgestaltung Grundlagen der Unternehmensführung
Umwelt
Strategien
Organisationsgestaltung Internationale Strategie und Organisation
Unternehmensleistung
Ziele
Internationale Strategie und Organisation
Abb. 4.1
Kapitelübersicht
Im vierten Kapitel erfahren Sie: Welche Bereiche der Organisationsgestaltung bei der Strategieentwicklung zu berücksichtigen sind und wie dabei Führung und Selbstorganisation miteinander zu verbinden sind. Welche Bedeutung die multidivisionale Struktur hat und wie die zentrale und dezentrale Führung im Konzern abgeglichen wird. Warum es bei Organisationsfragen darauf ankommt, neben den Strukturen auf die Prozesse und Projekte, auf die Organisationskultur und die Menschen zu achten. Dass kontroverse Erklärungsansätze der Organisation zum Verständnis und zur Organisationsgestaltung beitragen können. Was unter Innovationsmanagement und Change Management zu verstehen ist und warum mehr Entscheidungsorientierung in der Organisation notwendig ist.
190
4 Organisationsgestaltung
Überblick Lean Management, Total Quality Management, Business Reengineering, Change Management sind einige der bekannten Managementkonzepte der letzten Zeit. Ihnen ist gemeinsam, dass sie an den Organisationsprozessen ansetzen, um herausragende Leistungen des Unternehmens zu erzielen. Toyota beispielsweise gilt immer noch als nicht erreichtes Vorbild der schlanken Produktion, des Lean Managements. In diesem Zusammenhang veröffentlicht Michael Porter (1997) einen Beitrag mit dem Titel Was ist Strategie? indem er argumentiert, dass diese Konzepte zwar geeignet sein könnten, die operative Effizienz zu erhöhen, nicht aber zum Bereich der Strategie gehörten. Henry Mintzberg (1999) hält dem entgegen, dass, wie bei vielen seiner Kollegen, auch bei Porter eine einseitige Sicht zur Strategie vorliege (vgl. Kap. 1). Wir müssen diesen akademischen Streit hier nicht weiter vertiefen. Selbst unter der (unzutreffenden) Annahme, dass die Organisation nicht mehr ist, als ein Instrument zur Umsetzung der fertigen Strategie, kommt es doch auf sie an, denn viele Strategien scheitern an ihrer Umsetzung. Nach Bob de Wit und Ron Meyer (2010, S. 486) müssen Manager akzeptieren, dass es in einem komplexen System, wie dies eine Organisation ist, ein vergebliches Unterfangen wäre, alles zu kontrollieren. Das strategische Paradox aus Kontrolle und Chaos „entsteht aus der Tatsache, dass ‚Anordnung von oben‘ und ‚Initiative von unten‘ Anforderungen sind, die im Konflikt zueinander stehen, und sich deshalb nur schwierig zur gleichen Zeit vereinbaren lassen.“ Führung versus Selbstorganisation sind deshalb prägende, gegensätzliche Perspektiven, die sich bei Strategien im organisatorischen Kontext stellen. Bei der Organisationsgestaltung (Organizational Design) geht es zunächst darum zu klären, was darunter verstanden werden soll (vgl. Kap. 4.1). Der Siemens-Einstiegsfall weist bereits darauf hin, dass Änderungen der Organisationsstruktur zu wichtigen Führungsentscheidungen des Unternehmens gehören. Die Landesgesellschaften wurden entmachtet und den Geschäften untergeordnet. Das ist typisch für eine multidivisionale Struktur. Dabei stellt sich auch die Frage nach dem Verhältnis von zentraler und dezentraler Führung. Beide Themen stehen im Zentrum unseres Kapitels zur Organisationsstruktur (Kap. 4.2). Die genannten Managementkonzepte rücken hingegen die Prozesse, Projekte und Menschen ins Blickfeld (Kap. 4.3) und, damit eng verbunden, die Organisationskultur (Kap. 4.4). Im Anschluss daran werden einige Erklärungsansätze zur Organisationsgestaltung dargestellt (Kap. 4.5). Dabei ist insbesondere die Kontroverse über die Frage interessant, ob eine neue Form die multidivisionale Struktur abgelöst hat. Ein Überblick zu den wichtigsten Argumenten zum Innovationsmanagement (Kap. 4.6) und Change Management (Kap. 4.7) rundet das Kapitel ab.
4 Organisationsgestaltung
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Einstiegsfall: Siemens – Kulturrevolution durch neue Strukturen? Peter Löscher, der Vorstandsvorsitzende von Siemens, hatte wiederholt betont, dass er eine „Evolution, keine Revolution“ in Europas größtem Technologieunternehmen anstrebe. Aber bereits zum Jahresende 2007, nach den ersten 100 Tagen seiner Leitung, wurden radikale Veränderungen der Managementstruktur von Siemens umgesetzt, die tiefgreifende Auswirkungen auf die Unternehmenskultur hatten. Zuvor hatte Siemens drei Managementebenen: „Coaches“ im „Executive Board“, die mehrere Geschäftsbereiche überblicken, ohne jedoch die vollständige Verantwortung zu übernehmen, die Geschäftsbereiche selbst und sehr einflussreiche Landesgesellschaften. Nun wird die oberste Führungsebene mit zentraler Machtbefugnis ausgestattet. Diese besteht aus dem Vorstandsvorsitzenden, dem Finanzvorstand und Top-Managern für Technologie, Compliance und Personal sowie den CEOs der drei „Superdivisions“, den Sektoren Industry, Energy und Healthcare, die sich wiederum in 15 Divisionen gliedern (vgl. Abb. 4.2). Ziel in diesem Portfolio an Geschäftsaktivitäten ist es die Position 1 oder 2 an attraktiven Wachstumsmärkten zu erreichen. Die Ländergesellschaften werden durchgängig den Geschäftsbereichen untergeordnet und die „Coaches“ auf der Executive Board Ebene abgeschafft. Aufsichtsrat Vorstand Sektor CEO Industry
Sektor CEO ~€ 40 Mrd.
Energy
Sektor CEO Healthcare1) ~€ 11 Mrd.
~€ 20 Mrd.
Industry Automation
Fossil Power Generation
Imaging & IT
Drive Technologies
Renewable Energy
Workflow & Solutions
Building Technologies
Oil & Gas
Diagnostics
Osram
Service Rotating Equipment
Industry Solutions
Power Transmission
Mobility
Power Distribution
Anmerkung: Organisationsstruktur ohne Cross-Sector Businesses, zentrale und regionale Einheiten
Abb. 4.2
Die multidivisionale Organisationsstruktur von Siemens (Löscher 2007, S. 4)
Die Entmachtung der Landesgesellschaften ist ein radikaler Schritt. Bisher hatten sie, mehr als die Geschäftsbereiche selbst, die Führungsrolle bei Vertragsverhandlungen in ihrem jeweiligen Land übernommen, selbst wenn das Geschäft nur eine Geschäftseinheit, wie die Energieerzeugung, betraf. Löscher ist klar: Wenn die Geschäftseinheit selbst die Entscheidungen trifft, wird sie dies in Konflikt mit gewissen Landesfürsten bringen. „Es geht darum, die Kultur von Siemens tiefgreifend zu verändern. Deshalb müssen wir in kleinen Schritten vorgehen“, meint ein Top-Manager. Auch weil Löscher von außen kam – von
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4 Organisationsgestaltung
Merck aus den Vereinigten Staaten, nachdem sein Vorgänger inmitten des Bestechungsskandals zurücktrat – muss er mit einer bestehenden, tief verankerten Kultur sehr sorgfältig umgehen. Es war unvermeidlich, dass durch diese Veränderungen frisches Blut in das TopManagement kam und traditionelle Geschäftsfelder abgestoßen wurden. Für Werner Mönius, Mitglied im Gesamtbetriebsrat und Aufsichtsrat von Siemens, begann die Auflösung der Siemens-Familie bereits in den 1990er Jahren: „Jedes Jahr 14 bis 17 Prozent Rendite – unter dem Diktat des Finanzmarktes leiden Führungskräfte genauso wie die Beschäftigten.“ Erst einen Tag vor einer angedrohten Kundgebung am 27. Juli 2008 ging Löscher auf die Forderungen des Konzernbetriebsrats und der IG Metall ein: Es wird Personalabbau geben, aber keine betriebsbedingten Kündigungen. Siemens verpflichtete sich, bis zum 30.9.2010 keine Standorte zu schließen oder zu verlagern. Auch diese Konfliktbereitschaft ist Ausdruck des Kulturwandels bei Siemens. Noch Ende 2008 ist in der Wirtschaftspresse zu lesen, dass Siemens seinen Umbau abgeschlossen hat. Seit dem 1. Oktober 2011 gibt es bei Siemens mit dem Sektor Infrastructure & Cities (IC) ein viertes Hauptgeschäftsfeld. In dem neuen Sektor mit rund 87.000 Mitarbeitern werden die Divisionen Mobility und Building Technologies aus dem Industry-Sektor sowie die Division Power Distribution und das Smart-Grid-Geschäft aus dem Energy-Sektor zusammengeführt. Das Geschäft sind nachhaltige Technologien für urbane Ballungsräume und deren Infrastrukturen. Fragen: 1. Wie würden Sie die ‚neue‘ Organisationsstruktur von Siemens beschreiben? 2. Welche Strategie steckt dahinter und welche Chancen und Risiken sind mit dieser Struktur verbunden? 3. Was hat das alles mit der Unternehmenskultur und -verantwortung zu tun? 4. Wie kann der damit verbundene organisatorische Wandel bewältigt werden? Quellen: Löscher, P.: Neue Konzernstruktur für Siemens. Pressegespräch vom 29. November 2007, www.siemens.com/presse; Milne, R.: Siemens prepares for its cultural revolution. In: Financial Times vom 02.10.2007; Schmidt, U.: Hart, aber ehrlich. In: Die Mitbestimmung 2008, Nr. 10, S. 10–15; Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 14. November 2008; Siemens-Geschäftsbericht 2008, S. 78 ff. und 2011, S. 52 ff; www.siemens.com und http://de.wikipedia.org, abgefragt am 25.10.2012.
4.1
Herausforderungen der Organisationsgestaltung
Die Unternehmensleistung (Performance) hängt nicht nur von der Strategie ab, sondern auch von deren Umsetzung in der Organisation. Beide werden geprägt vom Wettbewerbsumfeld, wie umgekehrt dieses in einem gewissen Umfang auch durch die Strategie und Organisation eines Unternehmens beeinflusst wird (vgl. Abb. 4.1). Zu den Instrumenten der Unternehmensführung gehören aus traditioneller Sicht Planung, Organisation und Kontrolle. Heute wird oft hervorgehoben, dass das Unternehmen nicht nur eine Organisation hat, sondern eine Organisation ist, ein zielgerichtetes Sozialsystem, bei dem es auf die Prozessabläufe und die Menschen mit ihren jeweiligen Einstellungen, Interessen und Einflussmöglichkeiten ankommt (vgl. Kap. 1). So wie heute nicht nur von der Planung, sondern vom Strategischen
4.1 Herausforderungen der Organisationsgestaltung
193
Management die Rede ist, so haben sich auch die Vorstellungen zur Gestaltung des Organisationssystems verändert. Zur Umsetzung der Strategie gehört demnach mehr als nur die Strukturierung der Organisation. Anschaulich wird dieses Organisationssystem mit dem Bild vom Organismus eines Unternehmens (vgl. Bartlett & Ghoshal 1998; Abrahamson 2004; De Wit & Meyer 2010, Roberts 2004), der sich mit dem Geschäftssystem entwickelt (vgl. Abb. 4.3): Geschäftssystem. Das Geschäftssystem umfasst, wie im Kapitel 3 gezeigt, die besondere Konfiguration der Ressourcen, der wertschöpfenden Aktivitäten und Angebote von Produkten und Dienstleistungen, mit denen ein Unternehmen an den Märkten auftritt. Dieses wird bei einem Automobilhersteller anders aussehen als bei einer Online-Bank, bei einem „Hidden Champion“ anders als bei einem großen „Global Player“. Hidden Champions sind wenig bekannte, aber auf dem Weltmarkt erfolgreiche Unternehmen wie Haribo und Stihl (vgl. Simon 2012). Organisationssystem. Der Begriff des Organisationssystems umfasst, welchen Regeln die Mitglieder einer Organisation unterliegen und wie sie sich untereinander und in Beziehung zum Geschäftssystem verhalten. Näher ausgefächert gehören dazu die Elemente Struktur, Prozesse und Kultur einer Organisation.
Geschäftssystem
Organisationsstruktur (Anatomie)
Organisationsprozess (Physiologie)
Organisationskultur (Psychologie)
Organisationsmitglieder (Organisationseinheiten)
Abb. 4.3
Elemente des Organisationssystems (nach De Wit & Meyer 2010, S. 169; Bartlett & Ghoshal 1995)
Organisationsstruktur. Die Organisationsstruktur regelt die horizontale und vertikale Arbeitsteilung (Spezialisierung). Oft ist auch die Rede von der Aufbauorganisation, dem
194
4 Organisationsgestaltung
Organigramm oder vom „Wer an wen berichtet“. Integriert wird durch Hierarchie, Pläne und Selbstabstimmung (Teams). Bildlich gesprochen ist dies die Anatomie der Organisation. Organisationsprozesse. Zu den Organisationsprozessen gehören die Richtlinien, Prozeduren und Routinen, um die Personen und Einheiten in einer Organisation zu steuern und zu koordinieren. Dazu zählen etwa der Fluss der organisatorischen Abläufe von der Bestellung bis zur Auslieferung, Planungs- und Kontrollprozeduren sowie die finanzielle Budgetierung und das Berichtswesen. Aber auch Prozesse mit geringer Reichweite oder kurzfristiger Bedeutung wie jährliche Verkäuferkonferenzen, die Zusammenarbeit mit Mitarbeitern, Kunden und Lieferanten etwa über Online-Plattformen bis hin zu den Geschäftsessen gehören dazu. Bildlich betrachtet ist dies die Physiologie der Organisation. Organisationskultur. Die Organisationskultur bezeichnet eine Weltsicht und entsprechende Verhaltensmuster, die von den Mitgliedern einer Organisation geteilt werden. Dazu gehören etwa die Extremvorstellungen: „Die da oben, wir da unten!“ versus „Wir gemeinsam!“ Die Organisationskultur in einem erfolgreichen Softwarehaus wie SAP ist anders als bei einem insolvenzbedrohten Handelshaus. Die Metapher von der Psychologie der Organisation ist hier passend. Menschen in der Organisation. Hier geht es um das Organisationsverhalten (Organizational Behaviour) von Menschen als Individuum, in Teams und in der Gesamtorganisation. Dies ist auch der Kernbereich des Personalmanagements (Human Resource Management). Die Aufgabe der Organisationsgestaltung ist es nun, diese verschiedenen Bereiche, auch im Hinblick auf anstehende Veränderungen, zielgerichtet zu entwickeln und deren Wechselwirkungen nicht aus dem Auge zu verlieren. Dabei ist es aus strategischer Sicht durchaus angemessen, sich auf den jeweiligen Engpassfaktor zu konzentrieren (vgl. Kap. 1.1). Im SiemensEinstiegsfall ist die Organisationsstruktur der Engpassfaktor; von deren Veränderung werden Auswirkungen auf die Unternehmenskultur erwartet. Aber wie muss man sich diese Wechselwirkungen genauer vorstellen? Zu Beginn der 1980er Jahre veröffentlichten McKinsey-Autoren ein Buch mit dem Titel Auf der Suche nach Spitzenleistungen, das schnell Bestseller wurde. Die zentrale Botschaft wird in einem sogenannten 7-S-Modell dargestellt, das bis heute in nahezu jedem ManagementLehrbuch wiedergeben wird (vgl. Abb. 4.4). Ähnlich wie gerade entwickelt, werden verschiedene Bereiche der Organisation unterschieden, die plakativ alle mit einem „S“ beginnen: Als Strategie wird hier die Ausrichtung der Produkte auf Märkte verstanden, als Struktur die „Anatomie“ der Organisation, System meint die Prozesse. Neben diesen „harten“ Faktoren, die relativ leicht zu erkennen und zu analysieren sind, werden „weiche“ Faktoren genannt, die nicht leicht zu beobachtend sind, etwa wie der unter Wasser liegende Teil eines Eisbergs. Dazu gehören die Unternehmenskultur (Stil) aber auch die besonderen Qualifikationen (Spezialkenntnisse) und Fähigkeiten der Mitarbeiter (Stammpersonal). Gesteuert wird das Ganze durch übergeordnete Ziele (Selbstverständnis). Zwischen den Faktoren besteht Wechselwirkung.
4.1 Herausforderungen der Organisationsgestaltung
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Struktur hart
Strategie
Systeme
weich
Selbstverständnis Spezialkenntnisse
Stil Stammpersonal
Abb. 4.4
7-S-Diagramm – Wechselwirkung der Organisationsfaktoren (Peters, Waterman & Phillips 1980)
Diejenigen Unternehmen sind am erfolgreichsten, die den „Best Fit“, die beste Abstimmung zwischen diesen Faktoren, erreichen. Die mangelnde empirische Absicherung des Modells und die Tatsache, dass viele der so genannten Spitzenunternehmen wie IBM, Caterpillar und Citibank später erhebliche Schwierigkeiten hatten, konnte die Beliebtheit des Modells nicht gefährden. Kritiker meinen nämlich, dass die in dieser und anderen Best-Practice-Studien für ihren Erfolg gelobten Unternehmen keineswegs immer die besseren Strategien haben: „Oft profitieren sie auch einfach nur von glücklichen Zufällen – die statistische Streuung macht’s möglich.“ (Raynor et al. 2009, S. 14) Unstrittig ist, dass neben dem „Fit“ auch auf „Stretch“ geachtet werden sollte, also auf die Fähigkeit zum organisatorischen Wandel (Organizational Change) und zur Innovation. Als Beispiel dafür wird IBM angeführt: Die erste Revolution in der Computerindustrie hin zum Personal Computer hatte man verschlafen, vielleicht weil das Unternehmen mit den Großrechnern zu erfolgreich war und schwerfällig wurde. Bei der zweiten Revolution durch das Internet war man bereits wach: Umgesetzt wurde der Wandel durch das „Management von unten“, durch die Koalition von denen, die die schwachen Signale der Veränderung spürten und dabei von Einzelnen des TopManagements unterstützt wurden. Nicht der Druck von oben hat diesen erfolgreichen Wandel ermöglicht: Man hat vielmehr Ideen, Initiativen und Enthusiasmus, die von unten kamen gefördert. Dies ist ein Indiz dafür, dass mit dezentralen Strukturen, mit Handlungsspielräumen für Mitarbeiter (Empowerment) und Selbstorganisation statt mit zentraler Planung und Steuerung das Feld für die strategische Neuausrichtung bereitet werden kann. Die neue IBM ist heute wieder ein erfolgreiches Unternehmen (vgl. Hamel 2001). Manager sehen ihre Aufgabe darin zu steuern und zu kontrollieren – zugleich aber wissen sie, dass dies im komplexen System der Unternehmung nicht wie bei einer Maschine durch Hebel und Instrumente gelingen kann. Das unübersichtliche Marktumfeld stellt beständig neue Anforderungen an Planung und Kontrolle im Unternehmen. Es ist nicht nur so, dass auf den Märkten die „unsichtbare Hand“ (Adam Smith) wirkt und in den Unternehmen die „sich-
196
4 Organisationsgestaltung
tbare Hand“ (Alfred Chandler) der hierarchischen Kontrolle und Steuerung wirksam wird. Vielmehr besteht Wechselwirkung zwischen diesen beiden Institutionen der Arbeitsteilung im Betrieb und in der Gesellschaft. Hinzu kommt, dass Chaos in Organisationen nicht immer eine Schwäche ist. Geplante Ungeregeltheit, wie sie sich praktisch in Pilotprojekten und anderen Formen des Experimentierens zeigt, stellt eine Quelle der Innovation dar. Allerdings sind Anordnung von oben (Top-Down) aber auch Initiative von unten (Bottom-Up) gegensätzliche Ansprüche. Daher ist das Paradox von Kontrolle und Chaos in der Literatur über Strategie, Organisation, Führung und Corporate Governance ein immer wiederkehrendes Thema. Die entsprechenden strategischen Perspektiven sind einerseits Führung, um das Chaos in den Griff zu bekommen. Die „sichtbare Hand“ sorgt dafür, dass die Organisation der Strategie angepasst wird. Anderseits wirkt die Selbstorganisation: Mit der organisatorischen Dynamik im Chaos wird die Initiative freigesetzt, entwickelt sich durch die „unsichtbare Hand“ die relative Ordnung der Märkte und folgt die Strategie der Umwelt und Organisation (vgl. De Wit & Meyer 2010, Kap. 9). Vorausgesetzt ist dabei immer, das weder ein Markt- noch ein Hierarchieversagen vorliegt, wovon, wie sich zeigen wird, nicht unbedingt ausgegangen werden kann. Das Thema Unternehmensnetzwerke (vgl. Kap. 3.3) wird im Folgenden nicht sonderlich vertieft. Moderne Unternehmen sind eingebettet in ein Netzwerk von Beziehungen. Die Vorstellung aber, dass Großunternehmen heute nur noch aus losen Netzwerken, Projekten und Teams bestehen sollen, geht überwiegend an der Realität vorbei, wie der SiemensEinstiegsfall verdeutlicht. Google und Gore & Associates, die diesem Typus vielleicht entsprechen, sind immer noch Ausnahmen. Wird die Struktur der Strategie angepasst oder sind darüber hinaus auch Wechselwirkungen zu erwarten und inwiefern sind weiche Erfolgsfaktoren zu berücksichtigen? Wie gezeigt wird, entzünden sich an dieser Frage bis heute lebhafte Kontroversen.
4.2
Primäre Strukturen der Organisation
Zwei Themen sind im Zusammenhang mit der Strategie bei der Organisationstruktur besonders relevant: die multidivisionale Struktur und die Ausgewogenheit von zentraler und dezentraler Führung im Konzern. Netzwerkstrukturen, die durch Allianzen und Outsourcing entstehen und Organisationsgrenzen unscharf werden lassen, haben wir bereits im vorigen Kapitel angerissen. Mit der horizontalen Ausdifferenzierung der Aufgaben und Verantwortungen wächst auch die Notwendigkeit der Integration. Zwar tragen Organisationsprozesse und -kulturen zur Integration bei, aber „der grundlegende Mechanismus zur vertikalen Integration ist gewöhnlich die Organisationsstruktur – die formale Autorität.“ (De Wit & Meyer 2010, S. 169)
4.2.1
Von der funktionalen zur multidivisionalen Struktur
Für jede Organisation stellt sich die Frage, wie Aktivitäten zu steuern und zu koordinieren sind, um ihre Ziele zu verwirklichen. Als Differenzierung wird ein Prozess bezeichnet, durch den eine Organisation Menschen und Ressourcen verteilt, um Aufgaben zu erfüllen.
4.2 Primäre Strukturen der Organisation
197
Dazu werden Aufgaben- und Autoritätsbeziehungen etabliert. Es geht also um den Prozess der Steuerung der Arbeitsteilung oder des Spezialisierungsgrads in einer Organisation. Organisationsstrukturen können viele oder wenige Ebenen aufweisen, Entscheidungen zentralisiert und dezentralisiert sein. Die Anzahl der Ebenen und die Leitungsspanne sind je nach Unternehmensgröße und Branche verschieden; einen Eindruck für den Bereich der Filialunternehmen (Multi-Unit-Enterprises) wie Handels- und Restaurantketten sowie Banken vermittelt die Abb. 4.5. In den vergangenen Jahren war viel davon die Rede, Hierarchien zu verflachen, um flexibler auf Umweltveränderungen reagieren zu können. Bevor wir uns dieser Frage zuwenden, sollen zunächst die Grundformen der funktionalen und multidivisionalen Aufbauorganisation dargestellt werden. Kontrollspannen auf den Hierarchiestufen Zahl der Manager, die an einen Vorgesetzten berichten Regionalleiter an Bereichsleiter Bezirksleiter an Regionalleiter
Einzelhändler
Restaurants
8
5
8
Abb. 4.5
3
7
14
Filialleiter an Bezirksleiter
Hierarchiestufen
Banken
4
9
9
15
5
4
Kontrollspannen in Filialunternehmen (nach Garvin & Levesque 2008, S. 113)
GRUNDFORMEN Die Stelle ist die kleinste Organisationseinheit, mit bestimmten Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortungen. Demgegenüber ist der Arbeitsplatz der Ort der Aufgabenerfüllung. Organisationale Rollen sind die Erwartungen, die an eine Person gerichtet werden. Werden Stellen zur Integration durch hierarchische Beziehungen zu größeren Einheiten zusammengefasst, entstehen hierarchisch geführte Abteilungen, Hauptabteilungen, Bereiche usw., erfolgt hingegen die Integration durch Selbstabstimmung, entstehen Teams. In einer einfachen Organisation, in denen nur eine oder wenige Personen alle Aufgaben erfüllen, ist die Differenzierung niedrig. Indem nun eine Person eine bestimmte Aufgabe übernimmt, beginnt die Arbeitsteilung und Spezialisierung. Eine funktionale Struktur wird nach gleichartigen Verrichtungen gebildet. Das ist etwa bei der Montage in der Automobilfertigung, bei der Beschaffungs-, Produktions- oder Marketingabteilung eines Produktionsunternehmens oder bei der Kreditabteilung einer Bank der Fall. Formale Beziehungen werden gewöhnlich in einem Organigramm abgebildet, das die Weisungs- und Berichtswege anzeigt.
198
4 Organisationsgestaltung
Die Vorteile einer funktionalen Struktur liegen in der Spezialisierung der Tätigkeiten, den Lerneffekten wiederholter Tätigkeit und in der Entwicklung von gemeinsamen Normen und Werten. Es entwickeln sich spezifische Fähigkeiten und Kompetenzen. Von Adam Smith stammt dazu das bekannte Beispiel der Nähnadel-Manufaktur, in der jeder Arbeiter nur eine äußerst spezialisierte Funktion übernimmt. Auf der anderen Seite nehmen die Probleme zu, wenn die Organisation erfolgreich ist, wächst und sich zunehmend ausdifferenziert. Dazu gehören Steuerungsprobleme: Grenzen der Arbeitsteilung treten nicht nur auf durch Inflexibilität und Demotivation auf der Arbeitsebene, sondern auch durch die zunehmende Komplexität der Organisation. Hinzu kommen Kommunikationsprobleme und Zielkonflikte, weil die Funktionen ein Eigenleben und unterschiedliche Zielsetzungen entwickeln. Die „Herren und Damen vom Vertrieb“ versuchen etwa den unterschiedlichsten Kundenwünschen zu folgen, um den Umsatz zu steigern, während für „die Männer und Frauen aus der Produktion“ Kostensenkungen etwa durch Standardisierungen vorgegeben sind oder die „Kollegen und Kolleginnen aus der Forschung & Entwicklung“ nach technisch ausgefeilten Lösungen suchen. Weitere Probleme sind, dass mit wachsender Ausdifferenzierung der Funktionen, deren Wertschöpfungsbeitrag schwerer zu messen und zuzurechnen ist, die Anpassung an regional- und kundenspezifische Bedürfnisse nur unzureichend erfolgt und die Leitung – vom operativen Geschäft überlastet – sich zu wenig mit strategischen Fragestellungen befasst. Eine objektorientierte Struktur entsteht dann, wenn in einer Organisation Aktivitäten nach Produkten, Regionen oder Kunden gruppiert werden. Das Ziel einer Organisation sind dabei kleinere Geschäftseinheiten (Business Units), die sich besser führen lassen, denn mit der Vielzahl und Komplexität der Objekte nehmen Steuerungsprobleme zu. Zwei Formen dieser Struktur sind sehr ähnlich und dennoch grundlegend verschieden: In der Produktspartenstruktur (Product-Divisions-Structure) werden Unterstützungsfunktionen wie Forschung & Entwicklung, Marketing & Vertrieb und Rechnungswesen zentralisiert. Der Manager einer Produkt-Division muss sich mit jeder zentralen Unterstützungsfunktion abstimmen. Bei der multidivisionalen Struktur (Multidivisional Structure) werden die Unterstützungsfunktionen in die eigenverantwortlichen Geschäftseinheiten dezentralisiert, die als Profitcenter nicht mehr nur hierarchisch, sondern auch über interne Märkte (Verrechnungspreise) koordiniert werden. Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass funktionale Zentralbereiche (Corporate Headquarters Staff) gebildet werden, die die oberste Unternehmensleitung (Corporate Manager) darin unterstützen, die Aktivitäten der Geschäftsbereichsleiter (Divisional Manager) zu überwachen und strategisch zu führen. An sie berichten wiederum die Abteilungsleiter der Funktionen, wie Forschung & Entwicklung, Personal, Finanzen, Produktion sowie Marketing und Vertrieb (vgl. Abb. 4.6).
4.2 Primäre Strukturen der Organisation
199 Geschäftsleitung Vorstand
Unternehmensstrategie
Geschäftsfeldstrategien
Division/Sparte A Strategische Geschäftseinheit A Forschung und Entwicklung
Forschung und Entwicklung
Personal
Personal
Finanzen
Finanzen
Produktion
Produktion
Marketing und Vertrieb
Marketing und Vertrieb
Funktionalstrategien
Abb. 4.6
Division/Sparte B Strategische Geschäftseinheit B
Strategie und Organisationsstruktur (nach Grant & Nippa 2006, S. 46)
DIE MULTIDIVISIONALE STRUKTUR ALS MANAGEMENTINNOVATION Die bereits in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts entdeckte multidivisionale Struktur ist mehr als nur eine weitere staubtrockene Organisationsstruktur, sie ist eine ManagementInnovation (vgl. Hamel 2006). Erstmals wurden in großen, diversifizierten Unternehmen interne Märkte eingesetzt, aus Abteilungen wurden Profitcenter. Damit können die Vorteile beider Welten – Kontrolle und Führung, als auch Selbstorganisation – genutzt werden. Es entsteht eine Struktur, die eine Synthese dieser gegensätzlichen Strategieperspektiven erlaubt. Vorteile der multidivisionalen Struktur sind:
Klare Trennung von Geschäfts- und Unternehmensverantwortung; Orientierung am Markt und Wettbewerb; Bessere Erfolgszurechnung; Leichter umzustrukturieren.
Nachteile der multidivisionalen Struktur können sein: Bereichsegoismus und Doppelarbeit; Synergien werden verschenkt, Kernkompetenzen gefährdet; Aktivitäten werden nicht abgestimmt entwickelt, Vorteile aus einem gemeinsamen Produktangebot nicht wahrgenommen; Koordinierungsprobleme zwischen den Geschäftseinheiten und Probleme mit der Steuerung über Transferpreise. Die auf der zweiten Leitungsebene erkennbare multidivisionale Struktur kann nicht nur nach Produkten, sondern auch nach Regionen oder nach Kundengruppen gebildet werden.
200
4 Organisationsgestaltung
Divisionen werden auch als Sparten oder Strategische Geschäftseinheiten bezeichnet. Der entscheidende Unterschied zur Produktspartenstruktur ist, dass bei der multidivisionalen Struktur eigenverantwortliche Geschäftseinheiten (Unternehmen im Unternehmen) gebildet werden, die zugleich zentral gesteuert und kontrolliert werden. Koordiniert wird sowohl über Pläne und Hierarchien als auch durch den „stummen Zwang“ interner Märkte. Während die zentrale Leitung die Unternehmensstrategie verantwortet, werden die Strategischen Geschäftsfelder (Strategic Business Areas) von den Bereichen (Divisions), die wiederum häufig aus mehreren Strategischen Geschäftseinheiten (Strategic Business Units) bestehen, verantwortet. Dabei geht es um ein ausgewogenes Verhältnis der beiden Strategieperspektiven zentrale Führung versus Selbstorganisation. In der Praxis sind die Bezeichnungen uneinheitlich. Die neue Organisationsstruktur von Siemens umfasst zum Beispiel, wie im Einstiegsfall gezeigt, 15 Divisionen, die von den drei Sektoren (Super-Divisionen) Industrie, Energie und Gesundheit geführt werden. Die Divisionen wiederum führen die Business Units und diese die Business Segmente. Andere große Unternehmen verfügen je nach Branche und Größe über bis zu 150 Divisionen. Interne Zulieferer werden etwa bei Volkswagen nicht mehr als Betriebe, sondern als Geschäftseinheiten mit eigener Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung aufgestellt und dem Wettbewerb mit externen Lieferanten ausgesetzt. Seit Jahren wird ein Ausschreibungsverfahren verwendet, um externe und interne Zulieferer auszuwählen: „Global Sourcing“ gilt für laufende Prozesse, „Forward Sourcing“ für neue Produkte. Die Bedingungen sind für externe und interne Zulieferer gleich, für letztere gibt es lediglich die Möglichkeit, nachzulegen, einen „Last-Call“ zu starten. Ein „Make-or-Buy Committee (MBC)“ organisiert den Prozess auf Konzernebene und bereitet die endgültige Entscheidung für das „Corporate Sourcing Comittee (CSC)“ vor. Dieses Verfahren ist typisch für ein multidivisionales, nach Sparten organisiertes Unternehmen. Schon Alfred Sloan von General Motors, der diese Organisationsstruktur mitgeprägt hat, versuchte damit so etwas wie einen „fairen Preis“ zu ermitteln. Bereits in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts führte Alfred Sloan, damals Präsident und CEO bei General Motors, die multidivisionale Struktur ein (vgl. ders. 1990; Praxisbeispiel General Motors). Diese organisatorische Innovation war damals ein strategischer Wettbewerbsvorteil gegenüber dem Hauptkonkurrenten Ford. Durch die teilweise Autonomie der Geschäftseinheiten und dennoch zentrale Steuerung unterscheidet die multidivisionale Struktur sich deutlich von der Produktdivisionsstruktur, bei der die Unterstützungsfunktionen zentralisiert und interne Märkte nicht vorhanden sind.
Praxisbeispiel: General Motors – die Entstehung der multidivisionalen Struktur William C. Durant gründete General Motors (GM) am 16. September 1908 aus etwa 25 Unternehmen. Nur Buick überlebte als operative Sparte bis heute. Ursprünglich behielt jede Gesellschaft ihre operative Identität. GM war nichts anderes als eine Holding, eine Zentrale, die von 25 Satelliten umgeben war. Als Alfred P. Sloan im Jahre 1923 Präsident von GM wurde, übernahm er diese Ansammlung von unabhängig geführten Automobilunternehmen, welche ihre eigenen Entscheidungen trafen sowie über eine jeweils eigene Forschung & Entwicklung und ein eigenes Produktprogramm verfügten.
4.2 Primäre Strukturen der Organisation
201
Ford, der Hauptwettbewerber von GM, war ganz anders organisiert. Von Anfang an hatte Henry Ford auf Größenvorteile und Massenproduktion gesetzt und dazu eine mechanistische Struktur etabliert. Er schuf eine hochgradig zentralisierte Organisation, in der er die vollständige persönliche Kontrolle über alle Entscheidungen hatte. Um die Kosten zu senken, produzierte Ford zunächst nur ein Fahrzeug, das Modell T, und widmete sich dabei insbesondere Verbesserungen in der Produktion. Wegen dieser Struktur war Ford zunächst viel ertragreicher als GM. Ford hatte nicht nur das bessere Produkt, sondern war auch finanziell überlegen. Der Erfolg von Ford hätte Sloan dazu verleiten können, einige kleine Einheiten von GM zu schließen und die Produktion auf wenige Standorte zu konzentrieren, um weniger Automodelle und die damit verbundenen Größenvorteile nutzen zu können. Um drei Automodelle zu produzieren, wäre eine produktorientierte Struktur mit drei Sparten, ergänzt um Zentralfunktionen wie Marketing, Forschung & Entwicklung sowie Engineering, möglich gewesen. Sloan hingegen erkannte jedoch die Bedeutung der unterschiedlichen Kombinationen von Forschungs-, Design- und Marketingkompetenzen, die in den kleinen Automobilunternehmen vorhanden waren. Er sah das Risiko, die Vielfalt der Talente zu verlieren, wenn er all diese Fähigkeiten in einer zentralen Forschungs- und Entwicklungsabteilung zusammenfassen würde. Wenn dieselben Unterstützungsfunktionen, wie Konstruktion und Design, für alle Sparten tätig sein würden, bestand überdies die Gefahr, dass alle Autos von GM ähnlich aussehen würden. Sloan erkannte aber auch die Vorteile der zentralisierten Steuerung, um Größenvorteile zu realisieren, die Kosten in den Griff zu bekommen und für die strategische Planung des Gesamtunternehmens. Deshalb suchte er nach einer Organisationsstruktur, mit der er diese Ziele gleichzeitig verfolgen konnte. Die Antwort fand er in der im Jahre 1920 eingeführten multidivisionalen Struktur, die die Vorteile der zentralen Koordination nutzen soll, ohne die Vorteile der Dezentralisierung zu verlieren. Jedem der unterschiedlichen Geschäfte von GM wurde eine eigenständige Einheit mit Funktionen wie Verkauf, Produktion, Technik und Finanzierung zugeordnet. Jede dieser Divisionen war nun ein Profitcenter und wurde nach seiner Rentabilität bewertet. Sloan war sich des wesentlichen Vorteils der Verknüpfung von Dezentralisierung und Rentabilität bewusst: Sie machte die Leistung jeder einzelnen Division transparent. Er legte fest, dass Transaktionen zwischen den Divisionen nach Verrechnungspreisen auf Kostenbasis zuzüglich eines festgelegten Gewinnzuschlages abgewickelt wurden. Um teure interne Zulieferer zu vermeiden, ließ er externe Wettbewerber bewerten, um einen fairen Preis festzustellen. Dazu etablierte er ein wirksames und professionelles zentrales Management, um solche Bewertungen durchführen zu können. Die Hauptaufgabe der zentralen Unternehmensführung war es nun, die Leistung der Divisionen zu prüfen und eine Strategie für die Gesamtorganisation zu planen. Die Leitung der Divisionen war demgegenüber für produktbezogenen Entscheidungen verantwortlich. In den 1980er Jahren nun, nach harter japanischer Konkurrenz, stellte GM seine multidivisionale Struktur in Frage. Die Vervielfachung von Forschung & Entwicklung, Engineering und Beschaffung bei jeder Division für sich kosteten GM Milliarden Dollar zusätzlich. 1984 wurden die fünf eigenständigen Autodivisionen in zwei Gruppen zusammengefasst: Chevrolet und Pontiac konzentrieren sich auf Kleinwagen; Buick, Oldsmobile und Cadillac auf die Oberklasse. Die Reorganisation sollte die Kosten verringern und die Produkt-
202
4 Organisationsgestaltung
entwicklung beschleunigen – aber es wurde ein Fiasko. Mit der zentralen Steuerung von Design und Engineering auf Gruppenebene wurden sich die Autos der verschiedenen Divisionen immer ähnlicher. Niemand konnte mehr einen Buick von einem Cadillac oder einem Oldsmobile unterscheiden. Die Umsätze gingen zurück. Zudem wurden Entscheidungen nicht schneller. Durch die Gruppenebene entstand eine weitere Schicht in der Hierarchie. Am Ende hatte GM 13 Hierarchieebenen, während beispielsweise Toyota nur fünf aufwies. Erneut war das Unternehmen in Schwierigkeiten. Vor der Reorganisation war es zu dezentralisiert, nun zu zentralisiert. Was sollte man tun? Als GM seinen Fehler erkannt hatte, gab man das Produktdesign wieder an die Divisionen zurück, während man kostenintensive Funktionen wie Engineering und Einkauf zentralisiert ließ. Diese Restrukturierung war zunächst erfolgreich. Drastische Kosteneinsparungsprogramme brachten jedoch wenig Erfolg. Von 1978 bis 1997 baute GM 297.000 Mitarbeiter ab, etwa die Hälfte aller seiner Mitarbeiter in den USA. Nach Streiks in den Komponentenstandorten Flint und Michigan spaltete GM diese als neues Unternehmen Delphi ab. GM setzte unter den veränderten Wettbewerbsverhältnissen auf strukturelle Veränderungen der Organisation – auf Outsourcing, weniger Divisionen und eine flachere Hierarchie. Im Jahre 2002 gab GM bekannt, dass es bis 2005 so effizient sein würde, wie seine japanischen Wettbewerber. Anfang 2005 stand Toyota bestens da, während der weltgrößte Automobilhersteller GM nicht nur im Heimatmarkt an Marktanteilen verlor, sondern auch in Europa mit seinen Marken Opel, Vauxhall und Saab Verluste schrieb. Erneut setzt GM auf Restrukturierung und Personalabbau. Schon 2005 wurde GM in der Presse als „taumelnder Riese“ bezeichnet, 2008 wurde erstmals von einem möglichen Konkurs gesprochen. Nur durch die massive Unterstützung der amerikanischen Regierung überlebten General Motors, Ford und Chrysler die Branchenkrise. Der Niedergang von Opel, der deutschen Tochter von GM, kann nach Hawranek (2012) vor allem auf zwei Gründe zurückgeführt werden. Seit 1997 sinken die Marktanteile von Opel beständig, weil einerseits nur kurzfristig drastische Sparmaßnahmen durchgezogen wurden, um die Anleger zu beeindrucken, ohne in technologische Verbesserungen und in die Markenpflege zu investieren. Andererseits führte nun GM die deutsche Tochter nicht mehr „an der langen Leine, getreu dem Grundsatz des GM-Gründers Alfred Sloan, der den einzelnen Marken stets eine große Eigenständigkeit versprochen hatte. Dies war eine Voraussetzung für den Erfolg.“ Fragen: 1. Welche Aufgaben hat die Zentrale, welche die Geschäftseinheit in der multidivisionalen Struktur? 2. Welche Koordinationsinstrumente werden eingesetzt? 3. Wie ändert sich die Struktur mit der Strategie und sind darüber hinaus noch andere Organisationsfaktoren relevant? Quellen: Jones, G.R.: Organizational Theory. Upper Saddle River 2004; Grant. R.M. & Nippa, M.: Strategisches Management, München 2006. Hawranek, D.: Chronik eines angekündigten Todes. In. Der Spiegel 2012, Nr. 24, www.spiegel.de, abgefragt am 12.12.2012.
4.2 Primäre Strukturen der Organisation
203
FOLGT DIE STRUKTUR DER STRATEGIE? „Structure follows Strategy“: Nach Untersuchungen des Wirtschaftshistorikers Alfred D. Chandler (1962) lassen sich Organisationsstrukturen durch die Veränderung der Strategie erklären. Chandler teilt die Geschichte des amerikanischen Industrieunternehmens in vier Kapitel ein: Kapitel 1: Unternehmerische Stufe der ersten Expansion und Akkumulation von Ressourcen; Kapitel 2: Rationalisierung dieser Ressourcen im Rahmen zentralisierter funktionaler Strukturen; Kapitel 3: Diversifizierung: Ausschöpfen der Ressourcen durch Expansion in neue Produkte und Märkte; Kapitel 4: Multidivisionale Struktur zur effizienten Nutzung der diversifizierten Ressourcen. Daraus ergaben sich für Chandler damals auch wirtschaftspolitische Konsequenzen: „Für das heutige Wohlergehen und das zukünftige Wachstum der amerikanischen Wirtschaft ist diese neue Strategie und mit ihr der neuen Strukturen von höchster Wichtigkeit.“ (ebd., S. 394) Vor dem Hintergrund dieses Modells der „Ordnung und Vernunft“ betrachtete er die damaligen lokalen Eigenheiten in Europa als irrationale Hindernisse auf dem Weg zum weltweiten Fortschritt. Bildlich ausgedrückt hätten diese wunderlichen Kiwis gegen die amerikanischen Wiesel keine Überlebenschance. Tatsächlich nutzen die größten Konzerne der Welt heute überwiegend eine multidivisionale Struktur, weil diese es ihnen erlaubt, sich auf unterschiedliche Strategische Geschäftsfelder (Strategic Business Areas) auszurichten und ihre Strategischen Geschäftseinheiten (Strategic Business Units) dementsprechend zu gliedern. Erst seit Anfang der 1990er Jahre hat sich die multidivisionale Struktur als dominierende Form großer, diversifizierter Unternehmen nach den USA auch in England, Frankreich und Deutschland durchgesetzt (vgl. Whittington & Mayer 2000). Zur gleichen Zeit aber wuchs auch die Kritik: Die zentral gesteuerte multidivisionale Struktur, auch als Spartenorganisation bezeichnet, wurde als zu unflexibel angesehen, die Suche nach neuen Organisationskonzepten wie Lean Production, Outsourcing, Prozessmanagement und Unternehmensnetzwerken trat nun in den Vordergrund. Bevor wir im Folgenden auf diese Organisationskonzepte (Kap. 4.3) und die Kritik an der multidivisionalen Struktur, der sogenannten M-Form (Kap. 4.5), näher eingehen, noch einige Überlegungen zu den hier einschlägigen Strategieperspektiven Führung versus Selbstorganisation. Bereits die multidivisionale Struktur wird dadurch geprägt, weil sie die zentrale Steuerung mit der Selbstorganisation durch interne Märkte verbindet. In einer heute turbulenteren und individualisierteren Situation neigen radikale Kritiker zur unangemessenen Vereinfachung. Managementguru Tom Peters (1993) sah beispielsweise in Großunternehmen nur noch schwerfällige Dinosaurier, die es zu zerschlagen gelte. Entscheidend ist auch hier die Balance zwischen beiden Perspektiven auszuhalten und zu gestalten. Das zeigt sich auch beim Spannungsfeld zentrale versus dezentrale Führung.
204
4.2.2
4 Organisationsgestaltung
Zentrale und dezentrale Führung im Konzern
In einer sich rasch verändernden globalisierten Welt hat die Bedeutung der Multinationalen Konzerne (Multinational Corporations) weiter zugenommen. Entgegen mancher Vermutung vom „Ende der Hierarchie“ ist die Unternehmenskonzentration langfristig angestiegen. Vor diesem Hintergrund ist die Frage ein Dauerbrenner wie viel Dezentralisierung der Entscheidungen möglich und wie viel Zentralisierung in diesen Unternehmen notwendig ist. Die Zentralisierung verspricht Effizienz, die Dezentralisierung Wachstum in neuen Märkten und Innovation. Zunächst geht es im Folgenden um den Unterschied zwischen rechtlichen Einheiten (Legal Entities) und Leitungsstrukturen, der wichtig ist, um Fehlinterpretationen zu vermeiden. Danach geht um die Managementholding, die den traditionellen Stammhauskonzern häufig abgelöst hat. Dann erst schließlich stellt sich die Frage, in welche Richtung das Pendel zwischen Dezentralisierung und Zentralisierung gerade schwingt. Als weiterführende Literatur zum Thema vgl. Müller-Stewens & Brauer (2009); Roland Berger 2010; Scheffler (2005) und Theisen (2000).
UNTERSCHIEDE ZWISCHEN RECHTLICHEN EINHEITEN UND LEITUNGSSTRUKTUREN Nach dem Aktiengesetz liegt ein Konzern vor, wenn verbundene Unternehmen als Tochtergesellschaften unter einheitlicher Leitung stehen. Auch nach den International Accounting Standards IAS Nr. 27/28 wird bei Beteiligungen größer als 50 Prozent ein beherrschender Einfluss vermutet, bei Beteiligungen größer als 20 Prozent handelt es sich um assoziierte Unternehmen mit maßgeblichem Einfluss. Der hier verwendete umgangssprachliche Konzernbegriff, der das Gesamtunternehmen (Corporate) im Unterschied zum einzelnen Geschäft (Business) meint, ist nicht unbedingt deckungsgleich mit seiner rechtlichen Definition. Besser wäre es eigentlich von der Unternehmensgruppe (Group) zu reden. Die Unternehmensspitze wird als Zentrale (Headquarter) bezeichnet. Diese ist aus rechtlicher Sicht meistens leicht auszumachen, während die tatsächlichen Leitungsstrukturen, auf die es bei den Organisationsstrukturen ankommt, für den Außenstehenden nur schwer zu entschlüsseln sind. Rechtliche Strukturen sind relevant etwa für die Frage, ob ein Betrieb und ein Unternehmen vorliegt und ob verbundene Unternehmen einen Konzern bilden. Zu den Gestaltungszielen gehören unter anderem die Haftungsbegrenzung, die Minimierung der Steuerlast oder die Umgehung der Mitbestimmung. Die jeweiligen Steuersysteme sowie das Gesellschaftsrecht der Gastländer sind hierbei die wichtigsten Einflussgrößen. Beim Thema Strategie und Organisation geht es aber vor allem um die Leitungsstrukturen, um die Differenzierung von Aufgabe, Kompetenz und Verantwortung. Diese können durchaus von den rechtlichen Strukturen abweichen; typisch etwa beim sogenannten „Frühstücksdirektor“ (der einer Gesellschaft vorsteht, aber keine wirklichen Aufgaben hat), beim historisch gewachsenen Stammhauskonzern oder in strategisch geführten Unternehmensnetzwerken, wie den japanischen Keiretsu. So ist der Vorstand einer Tochtergesellschaft, also der rechtlichen Einheit, zwar formal dafür verantwortlich, die Geschäfte in eigener Verantwortung zu führen, aber tatsächlich können die Geschäfte des Unternehmens an ihm vorbei von den Leitern der Strategischen Geschäftseinheiten (SGE) gesteuert werden.
4.2 Primäre Strukturen der Organisation
205
VOM STAMMHAUSKONZERN ZUR MANAGEMENTHOLDING Wer sagt, Elefanten können nicht tanzen? Das ist der Titel eines Buches von Louis Gerstner, der für die Wende bei IBM in den 1990er Jahren verantwortlich ist. 1990 war das beste Geschäftsjahr in der Geschichte von IBM – nur drei Jahre später hatte sich die Branche so verändert, dass das Überleben des zuvor dominanten Weltkonzerns auf dem Spiel stand. Wie können Großunternehmen beweglicher werden? Das war das Thema in diesen Jahren: Lange Zeit schien die Überlegenheit der Großkonzerne unangreifbar. Nun galten sie oft als zu schwerfällig, um sich schnell an wandelnde Kundenbedürfnisse anpassen zu können. IBM, so heißt es, hat deshalb die Entwicklung des Personal Computers verschlafen. Selbst die größten Unternehmen sahen sich nicht mehr in der Lage globale Präsenz in sich rasch wandelnden Märkten herzustellen. Neugründungen und mittelständische Unternehmen gehörten zu einer anderen Welt, die den Großunternehmen nicht ernsthaft gefährlich werden konnten. Nun hieß es auf einmal: „Small and Fast is Beautiful.“ Die Erhöhung der Flexibilität, die Förderung der Innovationskraft, die Verbesserung der Kooperationsfähigkeit und das Management der Kernkompetenzen waren nun die Ziele der Konzernorganisation. Ein ganzes Jahrhundert lang war Wachstum das Ziel. Nun stand die Segmentierung des Geschäfts, die Spaltung und die Kooperation großer Unternehmen auf der Tagesordnung. Die Verringerung der Wertschöpfungstiefe und die Konzentration auf das Kerngeschäft, Prozessorientierung, Herstellung eindeutiger Produkt- und Prozessverantwortung, Schaffung einer geschäftsfeldorientierten Aufbauorganisation, Hierarchieabbau, das Prinzip des internen Kunden sowie Herstellung klarer Ergebnisverantwortung in reaktionsschnellen Einheiten waren nun die Schlagworte. In diesem Umfeld wurde die Managementholding, eine dezentrale Form der Spartenorganisation, zu einem weiteren Trendbegriff der 1990er Jahre. Daimler Benz, Mannesmann, Thyssen und MAN waren in Deutschland die Vorreiter. Bereits 1990 hatten dort 46 Prozent der 50 größten Industrieunternehmen den Stammhauskonzern in eine Managementholding restrukturiert (Bühner 1993, S. 285). Noch in den 1970er Jahren war in Deutschland der Übergang von der funktionalen Organisation zur Spartenorganisation das zentrale Thema. Als Hintergrund wurden Führungsprobleme in gewachsenen Stammhauskonzernen bei zunehmender Diversifizierung und Globalisierung genannt. Bei der herkömmlichen Spartenorganisation werden produkt-, kundenoder regionalorientierte Geschäftsbereiche gebildet, die durch starke Zentralbereiche, etwa für Finanzen und Controlling, Personal etc. koordiniert werden. Bei dieser herkömmlichen Geschäftsbereichsorganisation mit großen Zentralbereichen werden die dezentralen Einheiten häufig mit Umlagen belastet, die sie nicht beeinflussen können. Demgegenüber unterscheidet sich die Geschäftsbereichsorganisation nach Holdingart durch flache Hierarchien, einen hohen Autonomiegrad der Geschäftsbereiche, viele kleine Geschäftsbereiche und wenige einfache Steuerungsinstrumente. Damit geht es um nichts anderes als die Umsetzung der multidivisionalen Organisationsstruktur.
206
4 Organisationsgestaltung
Aus rechtlicher Sicht ist zwischen Stammhauskonzern und Holdingkonzern kein Unterschied zu erkennen: beide bestehen aus der Spitzengesellschaft und ihren Beteiligungen. Der organisatorische Unterschied aber ist gravierend. Beim Stammhauskonzern, der in seiner Geschichte durch Übernahmen und Beteiligungen gewachsen ist, besteht eine organisatorische Einheit von Management-, Dienstleistungs- und operativen Funktionen. Auch eine Holding „hält“, wie der Name sagt, als Spitzengesellschaft Anteile an rechtlich selbständigen Gesellschaften. Aber aus organisatorischer Sicht ist die Holding „hohl“, weil sie keine operativen Funktionen ausführt – ein Wortspiel, das auf Scheffler (2005) zurückgeht. Drei Arten der Holding sind zu unterscheiden: Wenn eine Vielzahl autonomer Geschäfte vorliegt und die Gemeinsamkeiten gering sind, spricht dies für den Typ der Finanzholding. Die Zentrale beschränkt sich auf die finanzielle Führung. Wenn die Anzahl der autonomen Geschäfte geringer ist und außerdem viele strategische Gemeinsamkeiten zwischen den Geschäften bestehen, wird man die strategische Führung des Konzerns einer Strategischen Managementholding übertragen. Wenn die Geschäfte eng verbunden sind, wird die Zentrale auch operativ Einfluss nehmen, dann spricht man von einer Operativen Managementholding. Unternehmen diversifizieren mehr oder weniger verwandt. Je nach Grad der notwendigen Integration der Geschäfte sind unterschiedliche Führungsprinzipien erforderlich: von der nur finanziellen Führung über die strategische Führung in der Managementholding bis hin zum operativen Einfluss der Zentrale (vgl. Roland Berger 2008). Man kann heute darüber spekulieren, ob der Zusammenschluss von Daimler und Chrysler anders verlaufen wäre, wenn man nicht versucht hätte zu integrieren. Die Frage: „Welche Struktur folgt auf welche Strategie?“ kann auch hier zur Orientierung dienen. Wir hatten gesehen, dass sich Multi-BusinessStrategien nach dem Grad der Verbundenheit (Relatedness) unterscheiden (vgl. Kap. 3.2.2). Chandler hat gezeigt, dass wachsende Unternehmen ihre Strategie nach Produkten und/oder Märkten diversifizieren, worauf dann eine multidivisionale Organisationsstruktur (M-Form) entsteht. Wenn das operative Geschäft einen hohen Grad an Verbundenheit erzwingt, entsteht eine kooperative Variante der M-Form; wenn umkehrt eine unverbundene Strategie verfolgt wird, ist eine kompetitive Form vom Typ der Finanzholding wahrscheinlich. Für Strategien, die auf verwandte Diversifizierung setzen, ist die Managementholding typisch und eine Variante der M-Form einschlägig, die aus der Unternehmenszentrale, Strategischen Geschäftseinheiten (SGEs) und deren Divisions besteht (vgl. Volberda et al. 2011). Das Holding-Konzept sieht eine klare Aufgabentrennung zwischen der Leitung der Geschäftsbereiche und der Holding-Leitung vor. Eine konzernleitende Holding zeichnet sich im Vergleich zum Stammhaus durch eine größere Flexibilität und Neutralität gegenüber den Konzernunternehmen aus. Außerdem wird sich bei der Holdingorganisation die Konzernleitung intensiv der strategischen Konzernführung widmen. Auf der anderen Seite sind aber auch Nachteile zu berücksichtigen. Nachteile der Holdingorganisation liegen in der Gefahr, dass sich der Verwaltungsapparat der Holding unnötig aufbläht oder sich zu einem „Elfenbeinturm“ entwickelt und dass die Holding zentralistische Tendenzen fördert. Diese Gefahren lassen sich am besten vermeiden, wenn sich die Holding auf ihre originären Führungsaufgaben beschränkt.
4.2 Primäre Strukturen der Organisation
207
Ausgelöst wird der Übergang vom Stammhaus zur Holding oft, wenn die rechtliche Gesellschaftsstruktur und die organisatorische Leitungsstruktur auseinandergelaufen sind. Der Bayer Konzern beispielsweise ist aus dem Stammhaus in Leverkusen heraus gewachsen, auch heute noch einer der größten Industriestandorte der Welt. 2001 baute Bayer den Stammhauskonzern zu einer Managementholding um (vgl. Abb. 4.7). Erreicht werden sollten dadurch klar abgegrenzte, eigenverantwortliche Geschäftsbereiche und die Möglichkeit, dass sich Partner gezielt, etwa im Pharmabereich, beteiligen können. Innerhalb des weltweit tätigen Bayer-Konzerns übernimmt die Bayer AG als strategische Holding die Rolle der Konzernführungsgesellschaft, geleitet durch den Konzernvorstand. Auf der Homepage heißt es dazu: „Die Bayer AG definiert die gemeinsamen Werte, Ziele und Strategien des gesamten Konzerns. Drei Teilkonzerne und drei Servicegesellschaften arbeiten eigenverantwortlich unter Führung der Management-Holding. Der Konzernvorstand wird bei der strategischen Führung des Unternehmens vom Corporate Center unterstützt.“ (Bayer 2012) Unterstützende Aktivitäten wurden gebündelt, um Kernbereiche von Supportaktivitäten zu entlasten: Corporate Center Bereiche wie u.a. Corporate Development, Group Accounting and Controlling, Finance, HR and Organization haben die Federführung gegenüber den betroffenen Bereichen. Zentrale Servicefunktionen sind in drei Dienstleistungsgesellschaften (Shared Service Center) zusammengefasst. Bayer Business Services ist dabei das internationale Kompetenzzentrum des Bayer-Konzerns für IT-basierte Dienstleistungen. Hoechst ist einen anderen Weg gegangen. Der ehemalige Wettbewerber von Bayer hat 1997 sein riesiges Stammwerk bei Frankfurt in einen Industriepark verwandelt, die Zentrale an einen neuen Standort verlagert, die Chemie an Clariant verkauft und mit dem französischen Konzern Rhone Poulenc zur Aventis fusioniert. Später wurde Aventis dann vom französischen Sanofi-Konzern feindlich übernommen und erneut restrukturiert. Die beiden Praxisbeispiele Hoechst und Bayer zeigen: Die Holding kann dazu beitragen, die gewachsene Bindung an einen Standort zu lösen, sie muss es aber nicht. Konzernvorstand Corporate Center
Arbeitsgebiete
Bayer HealthCare
Servicegebiete
Bayer CropScience
Bayer MaterialScience
Bayer Business Services Bayer Technology Services Currenta
Abb. 4.7
Organisationsstruktur des Bayer-Konzerns (www.bayer.de; abgefragt am 10.10.2012)
208
4 Organisationsgestaltung
ZWISCHEN BEREICHSEGOISMUS UND SCHWERFÄLLIGEM ZENTRALISMUS Zwei Jahrzehnte nach dem Beginn des Dezentralisierungstrends schwingt das Pendel zurück. Nun meldet die Wirtschaftspresse „Trendwende in Großunternehmen: Die Dezentralisierung hat sich nicht bewährt – jetzt kehrt die Macht zurück in die Zentralen.“ (Leendertse 2010) Bei Siemens, Telekom, Thyssen Krupp, TUI und Volkswagen, so heißt es, ziehen die Konzernzentralen wieder die Zügel an. Nach einer Studie der Unternehmensberatung Oliver Wyman (2009) hat eine falsch verstandene Dezentralität die Konzernführung teilweise entmachtet und weit vom operativen Geschäft entfernt. 90 Prozent der deutschen Konzerne hätten ihre Entscheidungsstrukturen und -prozesse in den letzten Jahren stärker zentralisiert. Auch nach einer Studie von Roland Berger (2010) ist der Trend zur Zentralisierung seit 2005 ungebrochen. Stellhebel der Zentralisierung sind: Personelle Verflechtungen. Direkte Zentralisierung von Entscheidungen durch Zustimmungsvorbehalt. Zentralisierung von Funktionen, insbesondere im Finanzbereich und in der internen Revision. Einführung von Shared Service Centern und Outsourcing. Bündelung des Wissens durch die Zusammenarbeit mit Experten vor Ort (Interne Unternehmensberatung, Centers of Excellence, Communities of Practice). Dabei wird deutlich, dass es nicht nur einfach darum geht, „die Zügel wieder fester anzuziehen“, sondern dass Zentralisierung als „intelligente Führung durch die Unternehmenszentrale“ verstanden wird und dass es darum geht, das Verhältnis von zentraler Führung und dezentralem Management neu auszugestalten. Der Beitrag der Zentrale zum Unternehmenserfolg, der oft in Frage gestellt wird, besteht darin „Antworten auf die zunehmende Komplexität“ zu finden. Die Aufgaben der Zentrale sind deshalb: Expertenwissen bereitstellen, Dienstleistungen steuern, schlagkräftige Einheiten bilden, vernetzt arbeiten und Identität schaffen. Der Anteil des zentralen Einkaufs ist beispielsweise gegenüber dem operativen Einkauf vor Ort von 27 Prozent 2003 auf 39 Prozent 2009 gestiegen. Dadurch kann mehr Einkaufsvolumen bei gleicher Mitarbeiterzahl bewältigt werden. Die Bedeutung des Outsourcings ist von 2005 bis 2010 rückläufig, während Shared Services weiterhin auf der Tagesordnung stehen (vgl. Roland Berger 2010). Bei einem Trendwechsel besteht immer die Gefahr, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Weder Bereichsegoismus noch schwerfälliger Zentralismus sind erstrebenswert: Integration: Die Verbreitung der multidivisionalen Struktur zeigt, dass beide Perspektiven – zentrale Führung und dezentrale Selbstorganisation – zu integrieren sind (vgl. Praxisbeispiel Johnson & Johnson). Maßgeschneiderte Lösungen: Ein Profilierungsraster ist geeignet, um anhand verschiedener Kriterien, wie Kundensegmentierung, Synergiepotential und Zeithorizont etc., die je nach Geschäftsaktivität angemessene Balance zwischen Zentralisierung und Dezentralisierung zu ermitteln (vgl. Zimmermann et al. 2008). Strategische Initiativen: Konzernprogramme (wie Shape 2012 bei Metro, One bei Deutsche Post oder Perform to Win bei E.ON) können als strategische Initiativen zu mehr
4.2 Primäre Strukturen der Organisation
209
Vernetzung beitragen, wenn sie mehr sind, als Rasenmäher-Methoden zur Kosteneinsparung (vgl. Schmid et al. 2009). Wertbeitrag der Konzernführung: Von der Idee, dass der Aufwand für die Konzernführung begründbar sein muss, geht das Drei-Hürden-Modell von Campbell et al. (2011) aus. Zentralisierungsvorschläge sollten fallengelassen werden, wenn sie nicht zwingend sind wie etwa die Konzernrechnungslegung, wenn sie nicht mindestens 10 Prozent mehr Wert hinzufügen und wenn die Risiken der Zentralisation niedrig sind: Risiken durch einerseits weniger Beweglichkeit und Motivation und andererseits mehr Bürokratie. Spielräume statt Regeln: Eine globale Studie der Boston Consulting Group zeigt, dass überdurchschnittlich erfolgreiche Unternehmen weniger auf harte Strukturen, als auf die „innere Stärken“ der Organisation setzten, auf „Führungskompetenz, Kooperation und Mitarbeitermotivation.“ Der Aspekt „Rolle der Zentrale“ erreicht den vorletzten Platz (Dicke et al. 2012, S. 55 f.)
Praxisbeispiel: Johnson & Johnson – Zentralisierung von Entscheidungen Johnson & Johnson (J&J) ist eines der größten und angesehensten Unternehmen in den Vereinigten Staaten. Als Hersteller von selbstklebenden Heftpflastern, Johnson’s Babypuder, Johnson’s Babyshampoo, Tylenol sowie anderen bekannten Produkten hat das Unternehmen einen einzigartigen Ansatz, seine 166 Geschäftseinheiten (Business Units) zu steuern (Geschäftseinheiten tragen die volle Verantwortung für ein bestimmtes Produkt, wie z.B. „Heftpflaster“ und „Windeln“). Seit bereits fünfzig Jahren verfolgt J&J die Philosophie des ehemaligen Vorsitzenden Robert Johnson. Johnson glaubte daran, dass die Dezentralisierung von Entscheidungsbefugnissen in den Einheiten und die Erlaubnis der Leiter ihre eigenen Geschäfte zu steuern, mehr Wert schafft, als Befugnisse zu zentralisieren. Kleine Einheiten sind eindeutiger für ihre Leistung zur Rechenschaft zu verpflichten als größere Einheiten und können schneller auf die Bedürfnisse ihrer Kunden eingehen. Eine dezentralisierte Organisation lässt sich leichter kontrollieren, und die Motivierung und Koordinierung von Mitarbeitern ist einfacher für die Leiter der Geschäftseinheiten als für die Unternehmensspitze, da diese direkt vor Ort agieren. Die Leiter der 166 Geschäftseinheiten, aus denen sich J&J bildet, handeln unabhängig voneinander. Sie verfügen über ihre eigene Belegschaft, entwickeln abgestimmte Koordinations- und Motivationssysteme und wählen die Produkte und Märkte, in denen sie expandieren wollen. Jeder J&J-Bereich setzt beispielsweise seine Mitarbeiter in der Produktentwicklung sinnvoll ein, so dass diese, zusammen mit Fachleuten aus Vertrieb, Produktion und Forschung, schnell und effizient neue Produktideen umsetzen können. Der Nutzen dieser Strategie ist beeindruckend. Johnson & Johnson hat Rekordgewinne erzielt und seine Aktien haben sich in ihrem Wert seit 1978 fast verdreifacht. Ralph S. Larsen, J&Js CEO von 1989–2002, unterstützte den dezentralen Ansatz des Unternehmens. Er war jedoch beunruhigt, dass das Unternehmen derartig dezentralisiert ist, dass es seine Betriebsmittel nicht mehr optimal einsetzt. Die unterschiedlichen Bereiche konnten nicht von ihren Erfolgen und Misserfolgen voneinander lernen. Der Mangel an
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4 Organisationsgestaltung
Koordination und Integration zwischen den Einheiten bedeutete, dass Chancen für neue Produktentwicklungen ausblieben und deshalb Möglichkeiten für J&J Wert für seine Stakeholder zu erzeugen, verloren gingen. Des Weiteren verschwendete die Vervielfachung von funktionalen Aktivitäten, wie Beschaffung, Vertrieb und Finanzen, in den Geschäftseinheiten Betriebsmittel. Beispielsweise hatte jede Einheit ihre eigene Vertriebseinheit, um ihre eigenen spezifischen Produkte zu verkaufen, sowie eine eigene Gehalts- und Abrechnungsabteilung. Dezentralisation impliziert häufig auch Motivationsprobleme. Typischerweise finden Beförderungen nur innerhalb der Einheiten statt, so dass ambitionierte und erfolgreiche Manager selten zwischen diesen wechseln können. Letztendlich werden strategische Fehler begangen, weil erfahrene Führungskräfte keinen Einfluss auf die jeweilige Bereichsstrategie haben. J&Js Problem des dezentralen Ansatzes spiegelte sich in den hohen Gemeinkosten wider, die zu dieser Zeit beim Vertrieb um 41 Prozent lagen. Ausgehend davon, dass J&J mit seiner Dezentralisation zu weit gegangen war, hatte Larsen die Geschäftseinheiten ermutigt, die Betreuung seiner Kunden zu zentralisieren, um Kosten zu reduzieren. Beispielweise setzte er sich für einen kollektiven und zentralisierten Ansatz beim Vertrieb ein. Zudem ermutigte er die 166 Einheiten, ihre Marketing- und Fertigungsaktivitäten zu koordinieren und zu integrieren, so dass sie voneinander lernen, Kosten reduzieren und die Qualität steigern können. Um zu garantieren, dass die Einheiten gemeinschaftliche Erfolge erzielen, werden sie von der Zentrale beaufsichtigt. Durch die Veränderung des Gleichgewichts zwischen Zentralisation und Dezentralisation erhoffte sich Larsen bei J&J eine verbesserte Koordination und Motivation sowie eine effizientere Nutzung der Potentiale der Mitarbeiter und Produktionsmittel. Bis heute stellt J&J seinen dezentralen Managementansatz heraus, möchte dabei aber zugleich zentral sein: „Wir sind groß und klein zugleich“, heißt es auf der Webseite. Fragen: 1. Welche Argumente sprechen für eine dezentralisierte Entscheidungsfindung bei J&J? 2. Basierend auf diesen Argumenten – warum, denken Sie, favorisierte Larsen eine zentrale Entscheidungsfindung? Quellen: Jones, G.R.: Organizational Theory, Upper Saddle River 2004; http://www.jnj.com, abgefragt am 25.9.2012.
Diese Themen (Issues) sind auch für die Mitbestimmung der Arbeitnehmer relevant. Betriebsräte im Konzern haben eine ähnliche Aufgabe wie Manager, denn sie müssen das Ganze, also die Entwicklung des Unternehmens, im Auge behalten und ihre Arbeit effizient organisieren. Darüber hinaus müssen sie entsprechend ihres demokratischen Auftrags bei ihren Entscheidungen das Interesse der Arbeitnehmer besonders beachten und sich legitimieren. Der Konzernbetriebsrat oder der Europäische Betriebsrat wird den rechtlichen Strukturen entsprechend gebildet. Unternehmensnetzwerke und Just-in-time-Konstellationen sind nicht einbezogen, weil nach der Rechtsprechung immer eine gesellschaftsrechtliche (beteiligungsmäßige) Verknüpfung verlangt wird. Eine allein an den rechtlichen Strukturen orientierte Architektur der Interessenvertretung wäre nicht angemessen. Ein Beispiel: Bei einem Konzept von Spartenführungsgesellschaften unter einer Managementholding ist eine Zu-
4.3 Prozesse, Projekte und Menschen
211
sammenfassung der Betriebsräte in der Sparte eine Lösung. Durch Tarifvertrag kann man z.B. Spartengesamtbetriebsräte einrichten, die dann wiederum einen Konzernbetriebsrat bilden. Eine weitere Herausforderung ist, dass durch die Zentralisierungswelle die Kompetenzen des lokalen Managements beschnitten werden. „Schnell ist man an dem Punkt angelangt, an dem auch arbeitsplatz- und beschäftigungsrelevante Entscheidungen in der fernen Zentrale getroffen werden. Für deutsche Tochtergesellschaften ausländischer Konzerne bedeutet dies, dass Managemententscheidungen, die in Frankreich, in Großbritannien oder in den USA getroffen werden, mit sehr detaillierten Vorgaben zur Umsetzung ausgerufen werden. Diese Entwicklung ist gleich in doppelter Hinsicht problematisch. Erstens, weil die Spielräume des deutschen Managements immer enger werden. Zweitens, weil das deutsche Betriebsverfassungsgesetz im Kern auf die Mitbestimmung im Betrieb setzt, nicht auf eine Beeinflussung der zentralen Entscheidungsinstanzen in der Konzernzentrale. (...) Wer dieses Risiko vermeiden will, muss sich um eine klare Profilierung zentraler Mitbestimmungsgremien kümmern. Dazu ist Balance zwischen der zentralen Aushandlung von Rahmenbedingungen und der konkreten, dezentralen Mitbestimmung notwendig, was wiederum eine klare und strategische Ausrichtung der Arbeit des Konzernbetriebsrates erforderlich macht.“ (Balkenhol 2010, S. 45 ff.)
4.3
Prozesse, Projekte und Menschen
Mit dem Wachstum von Organisationen entwickelt sich die vertikale und horizontale Spezialisierung der Aufgaben, damit aber auch die Notwendigkeit der Integration bzw. Koordination. In einem turbulenten und komplexen Umfeld steigt die Unsicherheit über mögliche externe Veränderungen. Die Folgen für die Organisation sind wachsende Unterschiede zwischen den Abteilungen, zwischen Funktionen wie Marketing, Fertigung, Forschung & Entwicklung, über ihre Ziele, Aufgaben und Zeithorizonte. Damit wächst die Notwendigkeit, dass die Abteilungen prozessbezogen zusammenarbeiten und die Organisation insgesamt flexibler auf Umweltveränderungen reagiert. Innovationen bei Produkten, Märkten und Technologien erfordern mehr Koordination durch Teams, Projektmanager und Informationsaustausch auf gleicher Ebene (vgl. Daft 2010). Sekundärstrukturen, veränderte Koordinations- und Kontrollmechanismen sowie die Prozessorganisation gewinnen an Bedeutung. Insgesamt ergibt sich die Notwendigkeit, das Verhältnis der Strategieperspektiven Führung und Selbstorganisation neu auszutarieren.
Praxisbeispiel: Googles innovative Managementarchitektur Jeder Internetnutzer kennt das im kalifornischen Mountain View ansässige Unternehmen Google. Die im Jahr 1998 von den Stanford Studenten Sergey Brin und Larry Page gegründete Online-Suchmaschine, wird im August 2012 für 82 Prozent der weltweiten Internetsuchaufträge am Schreibtisch herangezogen, 91 Prozent sind es bei Mobilgeräten. Google finanziert sich durch Werbung und hat sich innerhalb weniger Jahre zu einer der wertvollsten Marken der Welt entwickelt.
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4 Organisationsgestaltung
Google versucht sein ehrgeiziges Ziel‚ „die Informationen der Welt zu organisieren“, unter anderem mit einer sehr innovativen Managementarchitektur zu erreichen. Dabei ist Googles Organisation wie das Internet selbst organisiert: dezentral, eng vernetzt und außergewöhnlich flach. Durchschnittlich kommen auf eine Google Führungskraft rund 20 Mitarbeiter. Manche Produktentwicklungsmanager haben sogar teilweise bis zu 100 direkte Mitarbeiter. Branchenüblich ist ein Verhältnis von 7:1. Weiterhin setzt der Suchmaschinenriese in seinem Produktentwicklungsprozess, aus dem unter anderem Dienste wie Google Earth, Google Scholar oder Gmail hervorgegangen sind, auf einen Schwarm kleiner (zumeist ca. drei bis vier Personen), autonomer Teams. Der unmittelbare Konkurrent Microsoft (MSN Live Search) wählt dagegen eine grundsätzlich andere Vorgehensweise. Für den Softwaregiganten ist es keine Seltenheit, wenn innerhalb seiner zahlreichen Projekte hunderte Mitarbeiter gleichzeitig beschäftigt sind. Die Entwicklung des Betriebssystems Vista benötigte zum Beispiel die Ressourcen von insgesamt 4.000 Mitarbeitern; dennoch war Vista ein Flop. Obwohl die Wachstumsrate und die Gewinnsituation weiter beeindruckend sind, startet Google im April 2011 ein Erneuerungsprogramm, das die 29.000 Google-Mitarbeiter wachrütteln soll: „Eine gewisse Behäbigkeit machte sich breit im Inneren jenes Unternehmens, das nach dem Willen der Gründer niemals ein normaler Konzern werden sollte. Nach und nach schoben sich Sedimentschichten von Mittelmanagern zwischen die einzelnen Projektleiter und das Executive-Team um Brin, Page und den damaligen Chief Executive Officer (CEO) Eric Schmidt. Immer mehr Mitarbeiter werkelten an esoterisch anmutenden Entwicklungsprojekten, die sich bei der Markteinführung regelmäßig als Flops herausstellten“ (Maier & Rickens 2011). Topleute wanderten ab zu sozialen Netzwerken wie dem Konkurrenten Facebook, die nun spannender Projekte und lukrativere Aktienoptionen versprechen. Im Januar 2012 wurde der Börsenwert von Facebook so hoch wie der von Daimler und BMW zusammen geschätzt, bei kaum Umsatz und Gewinn – jedoch es kam anders. Fragen: 1. Worin liegen die Vorteile einer flachen Organisationsstruktur? 2. Was könnten unter Umständen Nachteile sein? 3. Was verbirgt sich hinter Googles Methode in seiner Produktentwicklung verstärkt auf den Einsatz von kleinen, voneinander unabhängig agierenden Teams zu setzen? Quellen: Hamel, G.: Das Ende des Managements – Unternehmensführung im 21. Jahrhundert. Berlin 2008; IBM Global Business Services: Innovationsmanagement und Kooperationsmanagement im Blick – Global CEO Study 2006; Maier, A. & Rickens, Ch.: Revoolution. In: Manager Magazin 2011, Nr. 10, S. 32–40. http://www.google.com/about/company; http://www.netmarketshare.com.
4.3.1
Sekundärstrukturen
Bereits die informellen Beziehungen, die sich mehr oder minder spontan auf den Fluren, Tagungen und Golfplätzen neben der formellen Organisation entwickeln, verweisen auf die Grenzen des hierarchischen Modells. Die funktionale oder divisionale Struktur, das grundle-
4.3 Prozesse, Projekte und Menschen
213
gende Skelett der Organisation wird durch flexible, hierarchieübergreifende Sekundärstrukturen ergänzt (vgl. Vahs 2009): Produktmanagement: Produktmanager übernehmen die Koordination von Unternehmensaktivitäten für verschiedene Produkt- und Absatzmärkte. Kunden- und Lieferantenmanagement: Kunden-Manager (Key-Account-Manager) werden insbesondere für Großkunden eingesetzt. Das Management der Kunden- und Lieferantenbeziehungen (Customer-Relationship-Management, Supply Chain Management) geht über die traditionellen Unternehmensgrenzen hinaus. Funktionsmanagement: Ziel ist die bereichsübergreifende Koordination insbesondere bei Querschnittsfunktionen wie Personal, Recht, Qualitätssicherung oder Umweltschutz. Projektmanagement: Ein Projektmanager wird eingesetzt für zeitlich befristete, neuartige und komplexe Vorhaben. Sein Einfluss kann reichen von einem bloßen Koordinator bis hin zum Schwergewichts-Projektmanager (Heavy-Weigth-Projectmanager). Prozessmanagement: Prozessmanager werden eingesetzt etwa zur Koordination des Produktenstehungsprozesses oder des Auftragsabwicklungsprozesses. Insbesondere die Informations- und Kommunikationstechnologien wirken hierbei unterstützend. Die Sekundärstruktur ergänzt die funktionale oder divisionale Primärstruktur, die daran orientiert ist, wer wem unterstellt ist, oder anders ausgedrückt, wer an wen berichtet. Jeder Mitarbeiter hat hierbei nur einen Vorgesetzten. Dieses Managementprinzip der Einheit der Leitung (Unity of Command) hat zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts der Franzose Henri Fayol zuerst aufgestellt, seine Verbreitung gibt ihm Recht. Die Annahme ist, dass die Verletzung des Einlinienprinzips zu Verwirrung, Reibereien und Unzufriedenheit führt. Etwa zur gleichen Zeit empfahl der Begründer der Managementlehre in den USA, Frederick Winslow Taylor, spezialisierte Funktionsmeister zur Führung der Arbeiter, also ein Mehrlinienprinzip. Die Nachteile der Mehrfachunterstellung scheinen allerdings größer zu sein als die Vorteile der spezialisierten Führung, denn für die Primärstruktur ist diese eher die Ausnahme als die Regel. Allerdings entsteht eine Mehrlinienorganisation in dem Maße, in dem die Primärstruktur durch die überlagerte Sekundärstruktur modifiziert wird. Das ist bei der Einrichtung von Stabs- und Dienstleistungsstellen, die die Entscheidungsträger in der Linie unterstützen, zunächst nicht der Fall. Diese Stellen haben formal keine Entscheidungskompetenz gegenüber den Linienstellen, können aber als Experten faktische Entscheidungsmacht ausüben. Wird ihnen im Rahmen des Funktionsmanagements auch Richtlinienkompetenz (DottedLine-Prinzip) zugesprochen, so entsteht in diesem Umfang auch formell eine Mehrlinienstruktur. Ebenso können Produktmanager außer im Vertrieb bei der Unternehmensführung im Stab oder in einem Produktausschuss mit Richtlinienkompetenz angesiedelt sein, oder aber das Matrix-Produktmanagement funktionsübergreifend koordinieren – auch dann entsteht eine Mehrlinienstruktur. Je nachdem, wie viel Einfluss gewährt wird, wird die primäre Entscheidungsstruktur modifiziert. In einer Mehrlinienstruktur haben die Beschäftigten zwei oder mehr Vorgesetzte, die unterschiedliche Zielsetzungen verfolgen können. Two-Boss Manager in einer Matrixstruktur haben zwei Vorgesetzte, drei Vorgesetzte gibt es bei der eher seltenen Tensorstruktur
214
4 Organisationsgestaltung
mit drei Linien. Der wichtigste Vorteil ist, dass Organisationen damit besser mit interner und externer Komplexität umgehen können, der wesentliche Nachteil ist, dass keine einheitliche Leitung vorliegt. Die Lösung für dieses Spannungsverhältnis ist die Überlagerung der Primärstrukturen durch Sekundärstrukturen. Typisch ist dies etwa beim Innovationsmanagement (vgl. Kap. 4.6). Die Organisationsexperten Kates und Galbraith (2007, S. 119) kommen daher zu der Bewertung: „Es ist wichtig festzuhalten, dass die Matrix selbst keine Organisationsstruktur ist. (…) Die Matrix überlagert die Struktur indem sie Geschäftsdimensionen in einer Weise miteinander verbindet, dass die unterliegende Struktur tragfähig bleibt.“ (Kates & Galbraith 2007, S. 119) Komplexe Projektlandschaften stellen erhebliche Anforderungen an das Managementsystem. Die Siemens AG führt beispielsweise pro Jahr mehr als 25.000 parallele Projekte durch und generiert 50 Prozent ihres Umsatzes durch Projektarbeit. Der Erfolg des Multiprojektmanagements kann nach verschiedenen Kriterien der Prozessqualität, des Ertrages des Projektportfolios und des Geschäftserfolgs gemessen und gesteuert werden (vgl. näher Kock et al. 2012). Projekt- und Prozessmanagement prägt inzwischen das alltägliche Geschäft und verstärkt die Tendenz zu sekundären bzw. virtuellen Organisationsstrukturen (vgl. Roland Berger 2010).
4.3.2
Koordination, Kontrolle und Beteiligung
Nicht abwegig ist die Annahme, dass Organisationen weiter funktionieren würden, wenn das Management für einige Zeit ausfällt. Das wird verständlich, wenn man sich die Funktionsweise von unterschiedlichen Koordinationsmechanismen vor Augen führt (vgl. Grant & Nippa 2006, S. 249 ff.): Hierachieausübung durch Regeln und Anweisungen. Grundlage dafür sind Arbeitsverträge, aus denen ein Direktionsrecht des Arbeitgebers abgeleitet wird. Dieses wird umgesetzt durch Regeln und Anweisungen und beschränkt durch arbeits- und sozialrechtliche Regelungen. Selbstorganisation beziehungsweise wechselseitige Anpassung. Dies ist bei Sportoder bei teilautonomen Arbeitsgruppen zu beobachten. Einzelne übernehmen im Team unterschiedliche Aufgaben und koordinieren sich ohne formale festgelegte Autoritätsbeziehungen. Teams werden hierarchieübergreifend eingesetzt zur Qualitätsverbesserung als Teams im kontinuierlichen Verbesserungsprozess (Continous Improvement Process), funktionsübergreifend als Simultaneous-Engineering-Teams, standort- oder unternehmensübergreifend als virtuelle Teams bzw. virtuelle Netzwerke. Organisationale Routinen sind reguläre und vorhersagbare Aktivitätsmuster innerhalb einer Organisation, die aus einer Reihe koordinierter Aktionen einzelner Individuen bestehen (vgl. Nelson & Winter 1982, Geiger & Koch 2008). Werden diese auch schriftlich festgehalten, spricht man von Programmen. So gibt es etwa bei McDonald’s umfangreiche Handbücher (Programme) wie ein Hamburger zu braten ist, aber die Mitarbeiter werden diese in der Praxis nur selten nachschauen müssen, weil ihnen die Arbeitsgänge in der Zusammenarbeit mit ihren Kollegen vertraut sind. Hierzu gehören auch die Managementsysteme in den Funktionen Planung, Finanzen, Personal, Information und Controlling.
4.3 Prozesse, Projekte und Menschen
215
Preise. Märkte werden als Koordinationsmechanismus auch innerhalb der Organisation eingesetzt. Divisionen und Profitcenter tauschen ihre Leistungen auf der Grundlage von Verrechnungspreisen aus. Dabei setzt die Unternehmensleitung Rahmenbedingungen für Preisverhandlungen fest. Allerdings lassen sich die meisten Koordinationsprobleme nicht ausschließlich durch diese Koordinationsmechanismen lösen: „Ein wesentliches Koordinationsproblem entsteht dadurch, dass die unterschiedlichen Organisationsmitglieder häufig – zumindest teilweise – konfliktäre Ziele und Interessen verfolgen.“ (Grant & Nippa 2006, S. 250). Diese können zwischen Management und Aktionären, zwischen den Geschäftsbereichen im Wettbewerb um knappe Ressourcen, zwischen den Funktionen wie Beschaffung, Produktion und Vertrieb, zwischen Arbeitgeber und Mitarbeitern sowie anderen Anspruchsgruppen bestehen. Anreiz-, Kontroll- und Beteiligungssysteme werden entwickelt, um interpersonelle Zielkonflikte zu überwinden: Kontrollmechanismen. Zur hierarchischen Kontrolle werden Anreize (etwa durch Entlohnung und Beförderung) und Sanktionen (von der Versetzung bis hin zur Kündigung) eingesetzt. Finanzielle Anreize sollen dafür sorgen, individuelle Ziele auf ein gemeinsames Ziel auszurichten. Beteiligung. Hier geht es um die jeweiligen Möglichkeiten der Partizipation der Anteilseigner und Mitarbeiter an Managemententscheidungen, letztere individuell oder kollektiv als Mitbestimmung. Kulturen und gemeinsame Werte. Die Unternehmenskultur wirkt wie ein Klebstoff, der die Organisationsmitglieder miteinander verbindet. Darauf kommt es insbesondere in dezentral geführten Organisationen an. Dabei sind die Einflüsse der jeweiligen Landeskulturen zu beachten. Sachbezogenes Verhandeln ist eine weitere Möglichkeit, mit Konflikten umzugehen (vgl. Fisher et al. 2009). Allerdings haben die Akteure auch die Möglichkeit, die Organisation zu verlassen (Exit), anstatt sich an den Entscheidungen zu beteiligen (Voice) (vgl. Hirschmann 1970). Im bürokratischen Modell der Organisation haben sich Menschen als bloße Stelleninhaber an die vorgefundene Ordnung anzupassen. Hierarchien sind Ordnungen von Subsystemen, die zunächst eine höhere Koordinationseffizienz aufweisen, als selbstorganisierte Teams. Modular aufgebaut, wie die Komponenten eines Fahrzeugs, weisen sie eine höhere Anpassungsfähigkeit auf als einheitliche Systeme. Mit wachsender Größe der Organisation und steigender Komplexität und Dynamik des Umfelds ändern sich aber die Formen der Organisation, wie zum Abschluss dieses Kapitels noch erläutert wird. Für die Organisationsgestaltung sind heute Themen wie Teamentwicklung und Prozessorganisation dominant – hierarchische Strukturen werden dadurch aber keineswegs abgelöst. Unternehmen wie Gore & Associates, die scheinbar ohne Rang und Titel auskommen, sind eine Ausnahme geblieben.
216
4.3.3
4 Organisationsgestaltung
Prozessorganisation
Die Bedeutung der Organisation nach Prozessen ist in den Schriften zur Organisationslehre (Organization Design) und zum Produktionsmanagement (Operations Management) inzwischen anerkannt. Hier geht es nur um einige Eckpunkte, die für das Verständnis relevant sind. Neue Anforderungen an die Unternehmen entstehen durch veränderte Wettbewerbsverhältnisse und Erwartungen der Menschen, zugleich ermöglichen Informations- und Kommunikationstechnologien neue Lösungen: Der Wandel vom Verkäufer- zum Käufermarkt, die Marksättigung und Individualisierung bei Produkten und Dienstleistungen führen dazu, dass Wege gesucht werden, den Zielkonflikt zwischen Produktivität, Qualität und Flexibilität neu auszutarieren. Höhere Ansprüche der Menschen (nicht nur als Konsumenten, sondern auch als Produzenten) an abwechslungsreiche Tätigkeiten passen nicht zum bürokratischen Strukturmodell und lassen sich in größeren Bereichen der „Wissensgesellschaft“ auch durchsetzen. Die Informationstechnologie erhöht mit der Reichweite und Reichhaltigkeit der Kommunikation die Möglichkeiten, Prozesse im globalen Netzwerk zu steuern. Organisationsstrukturen wirken vor diesem Hintergrund als Barrieren (vgl. Lawrence & Lorsch 1967; Picot et al. 2003), manche sprechen deshalb von einer Silo-Organisation. Barrieren gibt es
vertikal zwischen Hierarchieebene und Rang, horizontal zwischen Funktionen und Fachrichtungen, extern zwischen der Organisation, ihren Lieferanten, Kunden etc., geographisch zwischen Nationen, Kulturen und Märkten.
Daher rücken kooperative und partnerschaftliche Beziehungen (Relationship Management) in den Vordergrund, werden Management-Fachgebiete breiter aufgestellt:
Aus der Beschaffung wurde Supply Chain Management. Aus der Personalverwaltung wurde Human Resource Management. Aus der Kundenpflege wurde Customer Relationship Management. Das Geschäft wird zunehmend in Projekten und Prozessen abgewickelt.
Mit Lean Production, Business Reengineering und Total Quality Management sind seit Beginn der 1990er Jahren Managementkonzepte entstanden, die die traditionelle Massenproduktion individualisieren. Nicht allein die Steigerung der Produktivität ist maßgebend, sondern ein Zieldreieck aus Produktivität, Qualität und Flexibilität. Im Zentrum stehen die Orientierung an Geschäftsprozessen und einen bessere Zusammenarbeit mit Mitarbeitern, Kunden und Lieferanten. Im Konzept der schlanken Produktion (Lean-Production) wird davon ausgegangen, dass effiziente Prozesse vom Lieferanten über die Produktion bis hin zum Kunden, vor allem von
4.3 Prozesse, Projekte und Menschen
217
den Beziehungen (Relations) zwischen den Akteuren abhängen (vgl. Abb. 4.8).12 Diese „weichen“ Kompetenzen und Ressourcen, die entscheidend sind bei der Entwicklung komplementären Wissens in Netzwerken, sind nicht einfach zu verstehen und zu übertragen (vgl. Kap. 3.1.3.). Wie schon beim Taylorismus wird in den Produktionskonzepten der Schlüsselfaktor für Veränderungen gesehen; Begriffe wie Lean Management, Lean Banking und Lean Government sind davon abgeleitet. Nicht die Technologie, dezentrale Strukturen oder Outsourcing sind entscheidend, sondern der Vorrang der Organisationsprozesse vor den Strukturen und die Beteiligung der Menschen an den Entscheidungen. Effizienz in dezentralen Strukturen entsteht durch die Aktivierung der Mitarbeiter: Niedrige Kosten, schnelle Durchlaufzeiten, höhere Qualität werden durch die Beteiligung der Mitarbeiter „vor Ort“ erreicht; Innovationen entstehen in funktionsübergreifenden und durchsetzungsstarken Projektteams; kontinuierliche Verbesserungen werden durch Teamarbeit und Fehlertoleranz gefördert; Vertrauen, Engagement und Motivation beruhen auf partnerschaftlichen Beziehungen. Der Aufstieg der Massenproduktion in der Autoindustrie begann Anfang des 20 Jahrhunderts mit dem Produktionsmodell von Ford, indem die handwerkliche Produktion durch „die vollständige und passgenaue Austauschbarkeit der Bauteile und die Einfachheit ihres Zusammenbaus“ (Womack et al. 1991, S. 31) ersetzt wurde. Erst dadurch wurde das Fließband möglich. Ein halbes Jahrhundert später hatte Toyota mit seinem schlanken, flexibilen Produktionssystem eine „zweite Revolution in der Autoindustrie“ ausgelöst. Bis 2018 will Volkswagen in Anlehnung daran ein eigenes Produktionssystem etablieren, das auf gleiche Bauteile, gleiche Maschinen und einheitlich ausgebildete Produktionsarbeiter in der flexiblen Fertigung für alle zwölf Marken des Konzerns setzt (vgl. Seiwert et. al. 2012). Die Idee dazu wurde, wie es heißt, aus der Not geboren, um die gewachsene Komplexität in den Griff zu bekommen. Das erinnert an die damalige Weiterentwicklung der Massenproduktion bei General Motors durch Sloan um 1925 (vgl. das Praxisbeispiel oben), der durch die Standardisierung der Komponenten und die Dezentralisierung der Entscheidungen eine Antwort den Zielkonflikt zwischen unterschiedlichen Kundenbedürfnissen und Massenproduktionsvorteilen gesucht hat. In der Verbindung mit den Prinzipien der schlanken Produktion (Prozessorganisation und Aktivierung der Mitarbeiter) bestehen hier Erfolgspotenziale. Risiken liegen darin, dass Rückrufaktionen massenhafter auftreten und grundlegende Innovationen behindert werden können.
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Verschiedene Bezeichnungen sind hier im Umlauf: Lean Management, Lean Production, schlanke Produktion, Production au plus juste, Just-in-time Production, Toyota Produktionssystem etc. Vgl. näher Ohno 1988; Womack u a. 1991; Liker 2004; Liker &Meier 2005; Sackmann 2005; Becker 2006; Hino 2006; Jürgens 2007; Takeuchi u. a. 2008; Liker & Hoseus 2009.
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4 Organisationsgestaltung Traditionelle Massenproduktion Logik: Austauschbare Teile, Fließband, Größenvorteile Spezialisierte Maschinen Große Losgrößen Wenig Produktwechsel Enges Produktspektrum Massenmarketing Geringe Qualifikation der Arbeitskräfte Spezialisten Zentrale Expertise und Koordination Hierarchische Planung und Kontrolle Vertikale interne Kommunikation Sequentielle Produktentwicklung Statische Optimierung Akzent auf Menge Hohe Lagerbestände Angebotsgesteuert (Push-Prinzip) Produktion auf Lager, wenig Kundenkommunikation Marktbeziehungen zu Lieferanten und Mitarbeitern Vertikale Integration
Abb. 4.8
Moderne schlanke Produktion Logik: Flexibilität, Qualität, Produktivität; Verbundvorteile und Kernkompetenzen Flexible Maschinen, geringe Einrichtungskosten Kleine Losgrößen Häufige Produktverbesserungen Breites Produktspektrum Zielmärkte Funktionsübergreifend qualifizierte Arbeitskräfte Mitarbeiterinitiative Informationen vor Ort und Selbstabstimmung Horizontale Kommunikation Funktionsübergreifende Entwicklungsteams Simultane Produktentwicklung Kontinuierliche Verbesserung Akzent auf Flexibilität, Qualität und Produktivität Geringe Lagerbestände Nachfragegesteuert (Pull-Prinzip) Produktion nach Auftrag, viel Kundenkommunikation Langfristige Partnerbeziehungen Zusammenarbeit mit internen und externen Lieferanten
Charakteristische Merkmale der schlanken Produktion (nach Womack u.a. 1991; Roberts 2004)
Mit der Verbreitung der Informationstechnologie ab Mitte der 1990er Jahre, entstand das Konzept des Business Process Reengineering, das von der Annahme ausgeht, dass die effiziente Anwendung der Informationstechnologie die prozessorientierte Restrukturierung von Organisationen voraussetzt (vgl. Hammer & Champy 1993; Osterloh & Frost 2003). Serviceorientierte Architekturen (SOA) sind die aktuelle Version dieses Konzepts. Dabei geht es darum, heterogene Systeme mit der Informationstechnologie zu orchestrieren (vgl. Pohland 2009). Der Tatbestand, dass menschliches Verhalten anfangs kein Thema war, dürfte zum Scheitern einer Vielzahl der Reengineering Projekte beigetragen haben (vgl. Womack 1996). Auch das Versprechen vom Ende der Arbeitsteilung kann Business Reengineering nicht einlösen, weil „auch jede noch so radikale Prozessorganisation sich sinnvoll nur vor dem Hintergrund des Prinzips tief greifender Spezialisierung denken lässt.“ (Steinmann & Schreyögg 2005, S. 473) Das umfassende Qualitätsmanagements (Total Quality Management, TQM) ähnelt den beiden skizzierten Managementkonzepten. Das in Deutschland bekannteste TQM-Konzept ist das EFQM-Modell für Excellence der European Foundation for Quality Management (vgl. Abb. 4.9). Im Unterschied zur den Qualitätsmanagement-Normen nach ISO 9000 ff., wonach eine Zertifizierung auch noch für „Schwimmwesten aus Beton“ zu erhalten wäre, steht hierbei das gesamte Unternehmen auf dem Prüfstand. Sogenannte Befähiger (Enabler) und Ergebnisse (Results) werden bei der Selbstbewertung gewichtet. Nach dem EFQM Modell „benötigt eine Organisation eine starke Führung und eine klare strategische Richtung um nachhaltig erfolgreich zu sein. Sie muss ihre Menschen, Partnerschaften und Ressourcen sowie Prozesse entwickeln, um nutzensteigernde Produkte und Dienstleistungen für ihre Kunden zu entwickeln. Wenn die richtigen Ansätze effektiv umgesetzt werden, werden Ergebnisse erreicht, die die Organisation und ihre Stakeholder erwarten“ (EFQM 2012, S. 4).
4.3 Prozesse, Projekte und Menschen
219
Der organisationsübergreifende Vergleich (Benchmark) wird durch Wettbewerbe und Preise angeregt. Zuvor wurde in den USA der Baldrige National Quality Award und in Japan der Deming-Preis entwickelt. Qualität wird in einem funktionsübergreifenden Ansatz verglichen, beurteilt und entwickelt. ERGEBNISSE
BEFÄHIGER
Mitarbeiter bezogene Ergebnisse 10%
Mitarbeiter 10%
Führung 10%
Strategie 10% Partnerschaften und Ressourcen 10%
Prozesse, Produkte und Dienstleistungen 10%
Kundenbezogene Ergebnisse 15%
Geschäftsergebnisse 15%
Gesellschaftsbezogene Ergebnisse 10%
LERNEN, KREATIVITÄT UND INNOVATION
Abb. 4.9
Das EFQM-Modell für Excellence 2013 (nach EFQM 2012; eigene Übersetzung)
Die genannten Konzepte haben viel gemeinsam, so dass im Einzelfall kaum auszumachen ist, welches angewendet wird (vgl. Praxisbeispiel Lemken). Der Konkurrenzkampf auf dem Markt für Managementkonzepte ist härter geworden. Man sollte sich durch die verwirrende Vielfalt nicht verunsichern lassen: Lean Management, Kaizen, Total Quality Management, Reengineering – die Unterschiede sind in der Praxis nicht bedeutend. Wesentlicher ist die Akzentverschiebung zugunsten der „harten“ Strukturen und Prozesse in letzter Zeit. Centerbildung, Ausgliederung, flache Hierarchien, Prozessorganisation: Das „Reengineering des Organigramms“ scheint raschere Erfolge zu versprechen als die Veränderung der Arbeitsorganisation durch Teamgeist, Kaizen und personalpolitische Programme der direkten Verhaltensänderung. Demgegenüber wurde bereits frühzeitig vor dem Rückfall in technokratische Managementkonzepte gewarnt, die der humanen Dimension von Veränderungsprozessen kaum Raum geben. Manche Methoden zur Erzielung von nicht weniger als „Quantensprüngen“ erinnern an mittelalterliche Rezepte zum Goldmachen, mit anderen Worten: an heiße Luft (vgl. Kieser 1997).
220
4 Organisationsgestaltung
Praxisbeispiel: Lemken GmbH & Co. KG – Reorganisation bei einem Mittelständler Die Lemken GmbH & Co. KG ist ein Hersteller von Landmaschinen, der mit 1.000 Mitarbeitern 2011 einen Umsatz von 266 Mio. Euro erzielt. Es handelt sich um ein mittelständisches Unternehmen im niederrheinischen Ort Alpen, das es seit über 150 Jahren gibt und das seit sieben Generationen im Familienbesitz ist. Anlass der Reorganisation war, dass die Fertigungsorganisation nicht mehr den gewachsenen Anforderungen der Käufer entsprach, die heute kundenspezifische Lösungen und dennoch günstige Preise erwarten. Vorher wurde der Werkstattbereich zentral über einen Leitstand gesteuert (vgl. Abb. 4.10). Um den neuen Anforderungen an Variantenvielfalt, Termintreue, Flexibilität und kleinen Losgrößen zu genügen, wurde die Organisation dezentralisiert (vgl. Abb. 4.11). Das Geschäft wurde in kundenauftragsbezogene Produktionsbereiche segmentiert und jeweils eigenverantwortliche Managementteams und gewerbliche Teams gebildet. Die gewerblichen Mitarbeiter können nun mitdenken, mitentscheiden, mitumsetzen. Die Gemeinkosten und Bestände gingen zurück und auch der Krankenstand. Die Reorganisation war erfolgreich. Kunde
Verkauf
Montage 1
Montage 2
Meister
Meister
Arbeitsvorbereitung Leitstand
Lager
Schweißerei Meister
Zuschnitt 1
Schmiede 2
Zerspanung 1
Meister
Meister
Meister
Einkauf
Materialfluss Informationsfluss-Steuerung Rohmaterial
Abb. 4.10
Vorher: Zentrale Fertigung bei Lemken (Kreienbaum o.J.)
4.3 Prozesse, Projekte und Menschen
221
Verkauf
Verkauf
Managementbüro Pflüge
Managementbüro Grubber
Managementbüro Kreiseleggen
Werkergruppe 1 Montieren Schweißen Zerspanen Puffer
Werkergruppe 2 Montieren Schweißen Zerspanen Puffer
Werkergruppe 3 Montieren Schweißen Zerspanen Puffer
Managementbüro Saatbeetkombination Werkergruppe 4 Montieren Schweißen Zerspanen Puffer
Managementbüro Allgemeine Teilefertigung Zerspanung
Zuschnitt
Schmiede
Materialfluss Informationsfluss-Steuerung
Rohmaterial
Abb. 4.11
Nachher: Dezentrale Fertigung bei Lemken (Kreienbaum o.J.)
Fragen: 1. Wie haben sich Umwelt und strategische Ausrichtung bei Lemken verändert und ist dies typisch? 2. Welche Änderungen der Organisation würden Sie empfehlen? 3. Welche Aufgaben stellen sich für Unternehmensführung, Werksleitung und Betriebsrat? Quellen: Kreienbaum, W.: Das Betriebsprojekt in der Lemken GmbH & Co. KG. o.O, o.J.; http:// lemken.com
Wir haben gesehen, dass in der Managementliteratur, je nach Perspektive, neben den Strukturen und Prozessen die Menschen und damit auch Kulturen nur sehr bedingt vorkommen. Welche Bedeutung hat nun die Unternehmens- und Landeskultur als dritte Dimension der Organisation?
222
4 Organisationsgestaltung
4.4
Organisationskultur
Um die Metapher vom Anfang dieses Kapitels wieder aufzugreifen: Die Unternehmenskultur ist die Psychologie, das Selbstverständnis der Organisation. Ein „Die da oben, wir da unten“ gilt heute auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht als nicht mehr zeitgemäß, erwünscht ist oftmals ein „Wir gemeinsam“. Welcher Zusammenhang besteht zwischen der Organisationskultur und dem Unternehmenserfolg? Welche Wechselwirkung besteht zu den beiden anderen Dimensionen der Organisation, den Strukturen und Prozessen?
4.4.1
Eine gesunde Organisationskultur?
Unter der Unternehmenskultur versteht man die Werte, Normen und Symbolsysteme, die von den Mitgliedern einer Organisation geteilt werden. Die Unternehmenskultur entwickelt sich nach Ansicht des Organisationspsychologen Edgar Schein einerseits aus der Anpassung an das Umfeld, zum anderen aus der internen Integration; neue Mitglieder der Organisation werden sozialisiert, erlernen ihr Verhalten mehr oder weniger durch einen unsichtbaren Lehrplan. Nur auf den ersten Blick sind Kulturen leicht zu verstehen (vgl. Abb. 4.12). Kultur, die an der Oberfläche sichtbar ist
Symbolsysteme wie Sprache, Rituale, Kleidung, Umgangsformen, Architektur Normen und Standards wie formulierte Werte, Leitlinien, K Gebote und Verbote Grundlegende Werte wie „Jeder steht für den Anderen ein“ oder „Jeder ist sich selbst der Nächste“
Abb. 4.12
Unterliegendes Selbstverständnis
Ebenen der Unternehmenskultur (nach Schein 1984, Abb. 1)
Sichtbar und damit leicht erkennbar wie die Spitze eines Eisbergs sind Symbolsysteme wie Sprache, Rituale, Kleidung, Umgangsformen, Architektur und Bürogestaltung. Tieferliegende Normen und Standards sind nicht sichtbar, können aber aus dem Verhalten der Menschen entschlüsselt werden. Demgegenüber sind grundlegende Werte so tief eingebunden in einer Organisation, dass sie den Mitgliedern nicht bewusst sind, aber dennoch die Normen und Standards sowie die Symbolsysteme beeinflussen. In manchen Organisationen gehört dazu die Annahme, dass Menschen faul sind und alles tun, um sich vor ihren Aufgaben zu drücken. Einem eher aufgeklärten Organisationstyp entsprechen Werte, die davon ausgehen, dass Menschen sich für ihre Aufgaben einsetzen und dass Management und Mitarbeiter part-
4.4 Organisationskultur
223
nerschaftlich zusammenarbeiten. Werte werden erkennbar in den Symbolen, Stories, Helden, Slogans und Zeremonien: Ein Symbol ist ein Gegenstand, eine Handlung oder ein Ereignis, dass für andere Bedeutung transportiert. Beispiele dafür sind Vorrechte in der Kantine, bei der Kleidung, bei den Firmenparkplätzen. Partnerschaftliche Werte werden auch von Unternehmen kommuniziert, die sich an Lean-Management-Konzepten orientieren. Über Reinhard Mohn, den Gründer von Bertelsmann, ist bekannt, dass er seine Mahlzeiten in der Kantine mit den Mitarbeitern einnahm. Stories und Helden sind Geschichten, die auf wahren Ereignissen und Personen beruhen und immer wieder erzählt und ausgetauscht werden. Die amerikanische Managementliteratur ist voll davon. So soll der Gründer von Hewlett Packard eigenhändig das Schloss zum Lager aufgebrochen haben, um sein Vertrauen in die Mitarbeiter zu kommunizieren. Ein Slogan ist ein Satz oder nur ein Ausdruck, der kurz und bündig grundlegende Werte einer Organisation ausdrückt. Beispiele dafür sind der Slogan „Leistung aus Leidenschaft“ der Deutschen Bank oder „Samstags gehört Vati uns“ der Gewerkschaft IG Metall der 1950er Jahre. Zu den Zeremonien gehören Feierlichkeiten, Ereignisse, die sich an das Publikum wenden. Beispiele dafür sind die Auszeichnung der umsatzstärksten Außendienstmitarbeiter, der innovativsten Ingenieure, der freundlichsten Kundendienstmitarbeiter. Auch hierdurch werden Leistungswerte des Unternehmens kommuniziert. Anpassungsfähige Unternehmenskulturen
Nicht-anpassungsfähige Unternehmenskulturen
Sichtbares Verhalten
Manager beachten aufmerksam die Anspruchsgruppen, insbesondere die Kunden, und initiieren organisatorischen Wandel um ihren legitimen Interessen zu dienen, selbst wenn sie dadurch Risiken eingehen.
Manager neigen dazu, sich politisch und praktisch abzuschotten. Dadurch können sie ihre Strategien nicht schnell anpassen und Chancen im Geschäftsumfeld nicht wahrnehmen.
Ausgedrückte Werte
Manager kümmern sich intensiv um Kunden, Eigentümer und Mitarbeiter. Ihnen sind Werte wichtig und dadurch können sie nützlichen Wandel vorantreiben, z. B. Führungsinitiativen von oben und unten.
Manager kümmern sich vor allem um sich selbst, ihre jeweilige Arbeitsgruppe oder ein Produkt bzw. eine Technologie, die damit zusammenhängt. Sie schätzen planmäßige und risikovermeidende Managementprozesse mehr als Führungsinitiativen.
Abb. 4.13
Merkmale anpassungsfähiger Kulturen (nach Kotter & Heskett 1992)
Unternehmenskulturen sind in der Praxis nicht homogen, sondern durch Subkulturen geprägt: Wie das Management sich sieht und wie es von den Mitarbeitern gesehen wird, kann
224
4 Organisationsgestaltung
voneinander abweichen. Von einer starken Unternehmenskultur wird ausgegangen, wenn sich die Subkulturen nicht blockieren und die Verankerungstiefe hoch ist. Starke Kulturen allein garantieren allerdings nicht den Erfolg von Unternehmen, vielmehr erlaubt erst eine „gesunde Unternehmenskultur“ die Anpassung an das Umfeld und damit den Erfolg (vgl. Abb. 4.13). In anpassungsfähigen Unternehmenskulturen orientieren sich Manager an Kunden, Mitarbeitern und Prozessen, die nützlichen organisatorischen Wandel bringen. In nichtanpassungsfähigen Kulturen sorgen sich Manager vor allem um sich selbst. Ihr Wertesystem bremst sie, Risiken zu übernehmen und Wandel durchzusetzen. Anpassungsfähige Kulturen entwickeln sich in einer dynamischen Umwelt, die erfordert, dass hohe Risiken eingegangen werden. Ein detaillierteres Diagnosemodell für Unternehmenskulturen hat Denison (2006) entwickelt (vgl. Abb. 4.14). Dieses basiert auf vier Kulturmerkmalen, die in der Literatur als Einflussfaktoren für den Organisationserfolg identifiziert wurden: Mitwirkung, Kontinuität, Anpassungsfähigkeit und Mission. Jedes dieser Merkmale wird mit drei Indizes gemessen. Mitwirkung. Effiziente Organisationen übertragen Verantwortung an die Mitarbeiter, bauen ihre Organisation um Teams herum auf und entwickeln beständig die Kompetenz ihrer Mitarbeiter. Kontinuität. Führungskräfte und Mitarbeiter verstehen es, zu einer Übereinkunft zu kommen und dabei unterschiedliche Standpunkte einzubeziehen. Die Aktivitäten der Organisation sind gut koordiniert und integriert. Gemessen wird dieses Merkmal durch die Indizes Kernwerte (ein gemeinsamer Werteset), Übereinstimmung (die Fähigkeit, auch bei kritischen Fragen eine Übereinstimmung zu erzielen) sowie Koordination und Integration (das Zusammenwirken der Organisationseinheiten, um gemeinsame Ziele zu erreichen). Anpassungsfähigkeit. Gut integrierte Organisationen können wenig anpassungsfähig sein. Anpassungsfähige Organisationen schaffen ein System an Normen und Überzeugungen, das die Anforderungen der Umwelt in Handeln umsetzt. Die Anpassungsfähigkeit wird an Indizes gemessen: Wandel schaffen, Kundenorientierung und organisationales Lernen. Mission: Eine Mission bietet eine klare Ausrichtung und Ziele, die dann dazu dienen, eine angemessene Vorgehensweise für die Organisation und ihre Mitglieder zu definieren. Dieses Merkmal wird in dem Modell gemessen anhand der Indizes strategische Ausrichtung, Ziele und Zielvorstellungen sowie mit der Vision.
4.4 Organisationskultur
Abb. 4.14
225
Kulturprofil eines 100 Jahre alten Fabrikationsbetriebs (Denison 2006, S. 17)
Denison illustriert sein Modell anhand eines Fabrikationsbetriebs im Niedergang. Eine Befragung der oberen 50 Mitarbeiter der Organisation ergab wichtige organisationale Probleme. Zwar gibt es Stärken bei der Kontinuität, aber die einzige Stärke im Bereich der Mission ist der betriebliche Fokus auf Ziele und Zielvorstellungen, was darauf hindeutet, dass langfristige Ziele fehlen und man die Unternehmensstrategie ohne einen hohen Beteiligungsgrad der Organisationsmitglieder umzusetzen sucht. Auf Grundlage der Diagnose können Maßnahmen eingeleitet werden, um die Situation zu verbessern.
4.4.2
Wechselwirkung zwischen Organisationskulturen, -strukturen und -prozessen
Alfred D. Chandler hatte Anfang der 1960er Jahre herausgefunden, dass die Struktur der Strategie folgt. Ab den 1970er Jahren interessierte man sich weniger für Strukturen als vielmehr für das Verhalten von Menschen in Organisationen. Nicht nur die sogenannten weichen Erfolgsfaktoren traten hinzu, sondern auch die Wechselwirkung zwischen den Faktoren. In den 1980er Jahren war Tom Peters mit seinem Kollegen Waterman, damals noch bei McKinsey, mit seinem Buch Auf der Suche nach Spitzenleistungen (1984) außerordentlich erfolgreich. Die Kernaussage wird, wie bereits oben beschrieben, im sogenannten 7-S-Modell zusammengefasst: Erfolgreiche Unternehmen setzen mehr auf „weiche“, kulturelle Faktoren wie den Stil der Führung, das Stammpersonal mit seiner Leistungsfähigkeit und
226
4 Organisationsgestaltung
-bereitschaft, Spezialkenntnisse und das Selbstverständnis als kulturgeprägte Identität, weniger hingegen auf „harte“ Faktoren wie eine ausformulierte Unternehmensstrategie, formale Organisationsstrukturen und ausdifferenzierte Hierarchie-, Planungs- und Kontrollsysteme. Jahre später meint Tom Peters (1993), er habe sich geirrt: „Größe schließt Spitzenleistung aus“. Die revolutionären Botschaften von damals – Kundenorientierung, Unternehmenskultur – wirken nur, so Peters, wenn die übergeordneten Unternehmensstrukturen niedergerissen werden. Daher komme es auf die Zerteilung der Organisation, der Wasserköpfe und Fürstentümer, auf Outsourcing und dezentrale Strukturen an. Diese Orientierung passte zum Zeitgeist, dem damaligen Mythos von einer „New Economy“, sie vernachlässigte aber nicht nur Größenvorteile. Man sollte über Empowerment und Selbstorganisation nicht reden, ohne die Grenzen zu benennen: „Es geht um Fremdorganisation von Selbstkoordination und -strukturierung hochgradig standardisierter Arbeitsabläufe. Die Arbeitsgruppe darf ihr eigener Taylor sein.“ (Kieser 1994, S. 220) Henry Fords Prinzipien sind, in diesem abgeschwächten Sinn, weiter gültig. Häufig werden nur die Vorteile, nicht aber die Risiken und Grenzen dezentralisierter und enthierarchisierter Organisationsformen benannt: „Keine Struktur ist darwinistischer, keine fördert mehr den Fitten – solange er fit bleibt – und keine ist verheerender für den Schwachen. Die verflüssigten Strukturen begünstigen die inneren Konkurrenzen und sind manchmal Nährboden für heftige Machtkämpfe. Die Franzosen haben eine bildhafte Beschreibung für solche Prozesse: ‚un panier des crabes‘ – ein Korb voller Krebse; alle kneifen sich, um höher oder gar herauszukommen.“ (Mintzberg 1979, S. 462) Das Praxisbeispiel „Microsofts verlorenes Jahrzehnt“ illustriert Relevanz dieses Arguments. Überhaupt bewegt sich die Debatte häufig in falschen Gegensätzen. Nicht auf zentralisiert oder dezentralisiert kommt es an, sondern auf die dem Umfeld und der Situation angemessene Gestalt einer austarierten Organisation. Wir haben dieses Beispiel vorangestellt, um auch im Bereich der Unternehmenskultur unsere zentrale Hypothese zu unterstreichen: Managementkonzepte, die allein auf einzelne Bereiche wie die Unternehmenskultur, die Organisationsstruktur oder die Organisationsstrategie setzen, statt sie aufeinander abgestimmt zu entwickeln, müssen scheitern. Die Vorzüge dieser integrierten Perspektive zeigen sich etwa auch in der Mitarbeiterführung. So lässt sich das Zieldreieck aus Produktivität, Qualität und Flexibilität zum einen direkt durch personalpolitische Instrumente verfolgen, zum anderen aber auch indirekt etwa durch die Delegation der Verantwortung für diese Ziele in dezentrale Teams, eine vertrauensvolle Unternehmenskultur und Strategien, die auf die Nutzung der kreativen Potentiale der Mitarbeiter setzen (vgl. Wunderer & Kuhn 1995). Was kann man aus den Mängeln und Einseitigkeiten der früheren Auseinandersetzungswelle mit der Unternehmenskultur lernen, und worauf kommt es beim Ansatz an? Dazu folgende Thesen: Auf den ganzen Menschen kommt es an. Die Schwierigkeiten vormals „exzellenter“ Firmen wie IBM und Citibank werden mit dem Bild vom Ikarus-Paradox, das besagt, dass Spitzenfirmen ihren eigenen Niedergang produzieren können, mehr verklärt als er-
4.4 Organisationskultur
227
klärt. Bei der Frage „Wenn Sie wählen könnten zwischen den großen amerikanischen Unternehmen, in welchem würden Sie arbeiten wollen?“ zählte nur eines der acht beliebtesten Unternehmen zu den von Peters/Waterman auserkorenen exzellenten Firmen. Bei den beliebten Firmen standen andere Merkmale im Vordergrund: Partnerschaft und Partizipation, Maßnahmen zur Arbeitsplatzsicherung usw. (vgl. Neuberger & Kompa 1987). Der Vereinnahmung des ganzen Menschen sind Grenzen gesetzt. Die jeweilige Ausgestaltung der Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Beziehungen setzt den Rahmen für die Unternehmenspolitik. Sich weder an Mystik noch an bloßer Zweckrationalität orientieren. Eine weitere Überzeichnung ist die begeisterte Wiederentdeckung der qualitativen, nicht messbaren Faktoren, die damals bis hin zu einer gewissen Wirksamkeit des sogenannten New Age Management („Vodoo-Economics“) reichte. Der Gegenpol zur Mystik ist die Zweckrationalität, die in der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur über weite Strecken prägend ist. Aber schon Max Weber wusste, dass ein Herrschaftsverhältnis umso labiler ist, je mehr es auf rein zweckrationalen Erwägungen beruht. Stabilität gewinnt es erst durch das Hinzukommen sittlicher Motive und eines bestimmten Glaubens an dessen rationale, traditionelle oder charismatische Legitimität. Bereits bei Marx und Keynes wird die Wirtschaftsgesellschaft – Begriffe wie „Bereicherungstrieb“ und „Hang zum Verbrauch“ indizieren dies – nicht durch blutleere Abstraktionen regiert. Wirtschaftliches Handeln schließt im Gegenteil soziale Beziehungen und Bewusstseinsformen, geistige und künstlerische, also kulturelle Lebensäußerungen mit ein. So musste der Nestor der deutschen Betriebswirtschaftslehre, Erich Gutenberg, rückblickend selbstkritisch feststellen, dass er „keinen Weg [fand] zu einer Verknüpfung der sozialen Tatbestände mit den betrieblichen Funktionen, deren gemeinsames Ergebnis die Leistungen der Unternehmen sind.“ (zitiert nach Schanz 1992, S. 86) Für die Managementlehre in Deutschland ist die Erkenntnis, dass die Unternehmung nicht nur eine Organisation hat, sondern eine Organisation ist, dass die Menschen nicht als Objekte, sondern als Individuen in ihrem sozialen und kulturellen Verhalten betrachtet werden sollten, eine erst seit Mitte der 1960er Jahre gültige Auffassung. Wechselwirkung beachten. Man sollte fragen, warum bestimmte Themen wie die Unternehmenskultur zeitweilig aktuell sind, diese aber nicht verabsolutieren. Auf den ersten Blick scheint die Geschichte der These „Kultur folgt Struktur“ Recht zu geben. Wir haben bereits erörtert, dass die Organisationsstruktur mit der Auseinandersetzung um neue Managementkonzepte zum Erfolgsfaktor Nummer eins aufrückte, ein Platz, den vormals die Unternehmenskultur nicht minder unbescheiden eingenommen hatte. Viele Probleme der Reorganisation entstehen aus der ungenügenden Integration der Managementbereiche. Die Fokussierung allein auf die formale Organisationsstruktur (flache Hierarchien, Outsourcing, Centerstrukturen), das Vertrauen allein auf „mehr Marktdruck“ beim Reengineering, führt in die Sackgasse. Anzustreben ist die Koordination der relevanten Bereiche, ein integrativer Ansatz, um nachhaltige Erfolge zu erzielen Denn Mitarbeiterführung kann nicht nur direkt, sondern auch indirekt über „Strategie“, „Struktur“, und „Kultur“ erfolgen. Es geht um die Gestaltung des Unternehmens als soziales System. Eine innovative Unternehmenskultur entwickeln. Kulturwandel ist nur über eine breite Partizipation möglich und letztlich aus ethischer Sicht auch nur in dieser Weise vertretbar (vgl. Steinmann & Schreyögg 2005, Kap. 12). Unternehmenskulturen lassen sich durch
228
4 Organisationsgestaltung
„Kulturingenieure“ nicht kurzfristig einführen oder anordnen, sondern lediglich im Sinne von Kurskorrekturen beeinflussen. Die stärkere Dezentralisierung der Organisationsstrukturen allein reicht nicht aus. Erfolgreiche Unternehmen, die organisatorischen Wandel gut bewältigen, zeichnen sich durch weitere Merkmale aus: Beteiligungstradition, kulturprägende und kulturtragende Persönlichkeiten, allgemeinen Grundkonsens im Hinblick auf die generelle Unternehmenskonzeption, Interessenausgleich, kooperative Konfliktbewältigung und funktionierende Institutionen der betrieblichen Interessenvertretung; Offenheit, Transparenz und weitreichende, in der Alltagspraxis wirksame Arbeits-, Führungsund Beteiligungskonzepte (vgl. Bertelsmann Stiftung & Hans Böckler Stiftung 2001).
4.5
Einflussgrößen der Organisationsgestaltung
In der Einleitung zu diesem Kapitel haben wir behauptet, dass Organisationsfragen durch das strategische Paradox „Kontrolle versus Chaos“ geprägt werden. Entsprechend wird zum einen auf die Rolle der Unternehmensführung zur planmäßigen Entwicklung der Organisation gesetzt, zum anderen aber auf die Selbstorganisation, die relative Ordnung aus dem Chaos heraus. Beide Perspektiven zeigen sich auch bei den Einflussgrößen der Organisationsgestaltung (vgl. De Wit & Meyer 2010, S. 486 ff.). Dazu gehören unter anderem die Umwelt, Strategie, Technologie, Entwicklungsphase und die Menschen einer Organisation, die in ihrem Zusammenhang gesehen werden müssen (vgl. Steinmann & Schreyögg 2005, Kap. 7.5; Kates & Galbraith 2007). Zuvor jedoch einige Bemerkungen zum Verhältnis von Strategie und Organisation, das besonders deutlich wird an der Kontroverse um Chandlers multidivisionale Struktur, die sogenannte M-Form.
4.5.1
Organisation im Strategiekontext
MANAGEMENTINNOVATION ORGANISATION Traditionell werden Organisation und Personal als Mittel angesehen, um Strategien umzusetzen. So gesehen kann gar kein Zweifel daran bestehen, dass die Strategie die Organisation beeinflusst. Wenn aber die Zukunft von Unternehmen, ja ganzer Volkswirtschaften, von Organisationskonzepten abhängt, ist diese Perspektive zu einseitig. In den 1980er Jahren nahm die industrielle Wettbewerbsfähigkeit der USA im Vergleich zu Japan und Europa deutlich ab. Eine Kommission des renommierten Massachusetts Institute of Technology kam zu dem Schluss, dass die Ursachen dafür unter anderem in einem veralteten Massenproduktionssystem, technologischen Schwächen bei der Entwicklung und Produktion, in der Vernachlässigung der menschlichen Fähigkeiten und der Zusammenarbeit zwischen Management und Mitarbeitern sowie mit den Zulieferern und Kunden zu suchen seien (vgl. Dertouzos et al. 1989). Diese Aussage basiert unter anderem auf der nunmehr bekannten Studie zur „Lean Production“, über die „zweite Revolution in der Automobilindustrie“. Das ToyotaProduktionssystem galt nun als schlankes Vorbild, von dem westliche Hersteller zu lernen haben (vgl. Kap. 4.3.3).
4.5 Einflussgrößen der Organisationsgestaltung
229
Das seit den 1990er Jahren verbreitete Lean-Management-Konzept setzt, ebenso wie Business Reengineering bei den Organisationsprozessen an, während die Veränderungen fünfzig Jahre zuvor bei der multidivisionalen Organisation von den Strukturen ausgingen. Beides waren Managementinnovationen, die neue Maßstäbe für die Theorie und Praxis gesetzt haben (so Birkinshaw et al. 2008). Beim Business Reengineering haben Prozesse den Vorrang vor Strukturen, bisher getrennte Funktionen werden zu Prozessen zusammengefasst. Ist vor diesem Hintergrund der Lehrsatz von Chandler, dass die Struktur der Strategie folgt, heute noch relevant? Die Prinzipien der Massenproduktion gehen unter anderem zurück auf Henry Ford, dessen entscheidende Leistung darin bestand, die anfangs handwerkliche Automobilproduktion zu standardisieren. Ein Symbol dafür war das Ford T-Modell, von dem man sagte, man könne es in jeder Farbe haben, Hauptsache sie sei schwarz. Bei General Motors wurde die Massenproduktion unter Leitung des damaligen Präsidenten und CEOs Alfred Sloan weiterentwickelt. Sloan schien mit der Einführung der multidivisionalen Struktur bei General Motors in den 1920er Jahren „auch den Konflikt zwischen der notwendigen Standardisierung zur Senkung der Produktionskosten und der Modellvielfalt zur Befriedigung der unterschiedlichen Kundenbedürfnisse“ gelöst zu haben. „Sloans Innovationen waren eine Revolution in Marketing und Management der Autoindustrie. Sie änderten jedoch nichts an der von Henry Ford institutionalisierten Vorstellung, dass die Arbeiter in den Fabriken austauschbare Teile des Produktionssystems waren.“ (Womack et al. 1991, S. 46) Das Topmanagement hat bei diesem Konzept klar beschriebene Aufgaben: die Strategie und die Struktur sowie entsprechende Informations- und Steuerungssysteme festzulegen – Menschen kommen bei diesen Gestaltungskriterien nicht vor. Auch Jack Welch, ehemaliger Vorsitzender von General Electric, bewertet die oft bewunderte multidivisionale Struktur mehr als kritisch: „Dieses System war richtig in den 1970er Jahren, ein wachsendes Handikap in den 1980er Jahren, aber es wäre ein Fahrschein zum Friedhof in den 1990er Jahren gewesen.“ Denn: „Die klassische multidivisionale Struktur ist eine Organisation, die dem Vorstand das Gesicht zuwendet und den Hintern dem Kunden.“ Im englischen Original heißt es „ticket to the bone-yard“ – Knochenhof, wörtlich übersetzt. Organisationen sind mehr als nur Strukturen: Projekte, informelle Beziehungen und Netzwerke überlagern die Primärstrukturen; Organisationsprozesse und -kulturen sind relevant. Dadurch wird das Bild vollständiger. Auch eine Person wird man nicht allein nach ihrem Knochengerüst beurteilen. Aber die Kritik geht weiter. Der bekannte Satz Chandlers „Structure follows Strategy“ wird infrage gestellt. Richtig ist auch, dass umgekehrt die Strategie der Struktur folge, oder aber der Kultur, wie dies im bereits erwähnten 7-S-Diagramm von McKinsey angenommen wird. Aus Sicht des Prozessmanagements (Business Reengineering), das mit der Verbreitung der Informations- und Kommunikationstechnologie in den 1990er-Jahren entstanden ist, sind Prozesse gegenüber Strukturen sogar vorrangig.
230
4 Organisationsgestaltung
DIE KONTROVERSE UM DIE M-FORM Wie grundsätzlich hier der wissenschaftliche Streit ist, zeigt die folgende Kontroverse. Die multidivisionale Struktur wird auch als M-Form bezeichnet. Dieser Begriff geht zurück auf Williamson (1975), der die von Chandler beschriebene multidivisionale Struktur aus Sicht der Neuen Institutionenlehre formal auf der Basis von Transaktionskosten erklärt hat. Die Grundannahme ist, dass auch Markttransaktionen Kosten verursachen, etwa für Anbahnung, Vertragsabschluss und Trennung. Sind die internen Vertragskosten niedriger als die externen Vertragskosten, entsteht ein Unternehmen. Dieser Ansatz wird auch als „transaction costs economics theory of the firm“ bezeichnet. Elemente der M-Form sind: Dezentralisierung der Geschäfte in eigenständigen Divisionen; interne Märkte; zentralisierte strategische Steuerung; Zentralabteilungen unterstützen das Top-Management und überwachen die Divisionen. Kritiker wenden nun ein, dass die Lehrbuch-M-Form zum organisatorischen Niedergang führt, wie das Beispiel General Motors zeige (Freeland 1996; Staehle et al. 1999, S. 398 ff.). Entscheidend für den Erfolg „schlanker“ Unternehmen sind nicht Strukturen sondern ein langfristiger Unternehmenszweck (Mission), Prozesse und die Beziehungen zu Kunden, Mitarbeitern und Zulieferern (Womack et al. 1991; Müller 2009b). Für die renommierten Strategieforscher Bartlett & Ghoshal (1997) ist dies der Hintergrund für einen fundamental neuen Managementansatz, die Neue Form (N-Form) oder das „individualisierte Unternehmen“: „Great Companies are Defined by Purpose, Process, and People“ heißt es nun. Ansatzpunkt für die Kritik an der Neuen Institutionenlehre und für eine „Managerial Theory of the Firm“ sind veränderte Umfeldbedingungen: „Vor dem Hintergrund radikaler Veränderungen des inneren und äußeren Umfelds entwickeln große, global tätige Unternehmen eine neue organisatorische Form. Unter der Prämisse von Wissen und Expertise als strategische Schlüsselressource, eher als Kapitalausstattung oder Größe, ist diese Form von der multidivisionalen Organisation, die in den 1920er Jahren entstand und zum dominierenden Unternehmensmodell der Nachkriegszeit wurde, grundlegend verschieden.“ (Bartlett & Ghoshal 1993, S. 23) Als Beispiel für die N-Form verweisen Bartlett & Ghoshal auf die Organisation von Asean Brown Boverie (ABB) der 1990er Jahre. Unter dem damaligen Vorstandsvorsitzenden Percy Barnevik setzte das Unternehmen auf Selbstorganisation. Das Unternehmen wurde in 1.200 Profitcenter dezentralisiert. Zugleich aber sollten die Vorteile der Größe bewahrt werden. Das explizite Ziel war eine Synthese, nämlich gleichzeitig groß und klein zu sein, zentralisiert und dezentralisiert, global aufgestellt und lokal anpassungsfähig. Dafür spricht, dass sich in der heutigen Welt, in der Wissensgesellschaft, die Rolle des Topmanagements als Chef-Stratege, struktureller Architekt und Entwickler von Informations- und Steuerungssystemen verändert. Die von oben nach unten gesteuerte funktionale Struktur wird durch funktionsübergreifende Geschäftsprozesse und Netzwerke abgelöst. Außerdem erlaubt man den Menschen operative Entscheidungen zu treffen. Bartlett & Ghoshal sehen in diesem Ansatz, der bereits begonnen habe, sich aber im 21. Jahrhundert weiter verbreiten werde, einen Richtungswechsel von der Strategie zum Unternehmenszweck, von Strukturen zu Prozessen
4.5 Einflussgrößen der Organisationsgestaltung
231
und von Systemen, die Menschen steuern sollen, hin zu einem Umfeld, das die Menschen befähigt, Initiative zu ergreifen, zu kooperieren und zu lernen. Führung üben weniger als je zuvor die Wenigen an der Spitze aus. Es geht dabei um Politik, Kulturen und Netzwerke, um Teams und Koalitionen sowie mehr um Einfluss und Macht, als um direkte Steuerung. Dagegen wird argumentiert, dass es in der laufenden Auseinandersetzung über die Quellen der Unternehmensleistung (Corporate Performance) auch auf angemessene strukturelle Arrangements wie die M-Form ankommt. Gooderham und Ulset (2002, S.117) wenden ein, dass „jeder organisatorische Vorteil, den Transnationale Unternehmen besitzen, immer noch in der hierarchischen Governance verankert ist“, wie dies von den „Transaction Costs Economics (TCE)“ identifiziert und „in ihrer multinationalen M-Form-Anwendung umrissen wird.“ Die Kritiker können gewichtige Argumente anführen. Nach der äußerst einflussreichen historischen Untersuchung Strategy and Structure von Chandler (1962) zu Beginn der 1960er Jahre galt die multidivisionale Organisationsstruktur – die sogenannte M-Form – als die Struktur der Wahl für große, global tätige Unternehmen vor allem aus den USA, die Produkt- und Marktvielfalt anzielten. Spätestens Anfang der 1990er Jahre hat sich die MForm als dominierende Form großer, diversifizierter Unternehmen auch in England, Frankreich und Deutschland durchgesetzt (Whittington & Mayer 2000). Mehr noch: Asean Brown Boveri (ABB), jenes Unternehmen, das Bartlett & Ghoshal als äußerst erfolgreiche Verkörperung ihrer Neuen Form herausstellen, kam später, nicht zuletzt aufgrund seiner dezentralen Organisation (und Matrixstruktur) in ernsthafte Schwierigkeiten (vgl. Kap. 5.2). Whittington & Mayer (2000) versuchen nun, beide Ansätze, in denen sich das Strategieparadox von Kontrolle und Chaos widerspiegelt, miteinander zu versöhnen. Auf der Grundlage ihres empirischen Nachweises, dass sich die multidivisionale Struktur nach den USA auch in Europa zum Ende des zwanzigsten Jahrhunderts durchgesetzt hat, skizzieren sie unterschiedliche Entwicklungstypen der M-Form (vgl. Abb. 4.15) Zuletzt habe sich der auf Wissen basierende Netzwerktyp der multidivisionalen Organisation entwickelt. Als Beispiel gilt wiederum Asean-Brown Boverie (ABB), ein Unternehmen, das bis Ende der 1990 Jahre als Prototyp für neue Organisationsformen galt. Die Netzwerkorganisation ist aus dieser Sicht eine Variante, kein Ersatz der M-Form. Ähnlich können auch die im vorigen Kapital vorgestellten Formen der Holding als Varianten dargestellt werden.
232
4 Organisationsgestaltung
Investiert
Verwaltet
Netzwerk
Ursprung
1920er
1960er
1980er
Schlüsselressource
Kapital
Größen- und Verbundvorteile
Wissen
Schlüsseltechnik
Kennzahlen des Rechnungswesens
Planung
Austausch
Schlüsselfunktion
Finanzierung & Rechnungslegung
Unternehmensplanung
Menschliche Ressourcen
Strukturform
Pyramide
Birne
Pfannkuchen
Beispiel
Dupont
General Electric
ABB
Abb. 4.15
Entwicklungstypen der multidivisionalen Organisation (Whittington & Mayer 1997, S. 83)
Abschließend kann festgehalten werden, dass sowohl die Struktur- als auch die Prozessperspektive heute ihre Berechtigung haben. Es kommt auf die anpassungsfähige Organisation an. Problematisch ist, wie immer, die einseitige Betrachtung. Es gibt weder ein „Jenseits der Hierarchie“ durch Prozessmanagement, noch erfährt man durch die Betrachtung der Struktur allein genug über die Gestalt der Organisation. Hinter dem Schreibtisch von Edzard Reuter, einem früheren Vorstandsvorsitzenden von Daimler Benz, hing ein Bild eines Dinosauriers mit der Aufschrift: „History is full of giants who couldn’t adapt.“ Die Krise von General Motors, damals Pionier der multidivisionalen Struktur, und der Aufstieg von Toyota als Weltmarktführer, heute immer noch Vorbild für Prozessmanagement, unterstreichen, dass Organisationsfragen von der Strategie nicht zu trennen sind.
4.5.2
Umfeld und Strategie
Wir haben gesehen, dass Strategien vom Umfeld abhängen, warum sollte das nicht auch für die Organisation gelten? In empirischen Untersuchungen wurde festgestellt, dass Organisationen durch die Situation geprägt werden, in der sie sich befinden: das Umfeld, die verwendete Technologie, die Menschen sowie die Entwicklungsphasen von der Gründung bis zur Reife. Umgekehrt können Organisationen in gewissem Umfang auch die Situation beeinflussen. Die Unsicherheit des Umfelds ist der Ausgangspunkt der sogenannten Kontingenztheorie. Lawrence und Lorsch (1967) haben Branchen analysiert, bei denen sie, gemessen an Dimensionen wie Komplexität und Dynamik, unterschiedliche Grade der Unsicherheit festgestellt haben. Diese ist gering in der Blechdosenherstellung, hoch in der Kunststoffindustrie. Dann
4.5 Einflussgrößen der Organisationsgestaltung
233
fanden sie heraus, dass die Differenzierung der Ziele, Werte und Aufgaben zwischen den Abteilungen der Unternehmen stark ausgeprägt ist, wenn die Unsicherheit hoch ist und dass entsprechend stark die funktionsübergreifende Integration ist. Auch nach Burns & Stalker (1961) sind Organisationen dann erfolgreich, wenn sie sich den Umweltbedingungen anpassen: Mechanistische Systeme, die dem Typus der traditionellen bürokratischen Struktur entsprechen, sind erfolgreich in einem stabilen Umfeld. Dazu gehört gewöhnlich eine starre, vertikal zentralisierte Struktur bei der die meisten Entscheidungen an der Unternehmensspitze fallen. In einem unsicheren, sich rasch wandelnden Umfeld hingegen, sind organische Organisationsformen überlegen: Die Struktur ist weniger rigide, vielmehr anpassungsfähiger, Entscheidungen sind mehr dezentralisiert und fallen auch nach wechselseitiger Abstimmungen auf funktions- und bereichsübergreifender Ebene (vgl. Abb. 4.16). Erkennbar ist hier die Ähnlichkeit zu den oben beschriebenen prozess- und beteiligungsorientierten Organisationskonzepten und mit dem Gesetz der erforderlichen Varietät in der Kybernetik (Ashby 1956).
niedrig
Abb. 4.16
Unsicherheit des Umfeldes
hoch
Mechanistisches System
Organisches System
einfache Struktur
komplexe Struktur
schwache Differenzierung
starke Differenzierung
schwache Integration
starke Integration
zentralisierte Entscheidungen
dezentralisierte Entscheidungen
Standardisierung
wechselseitige Abstimmung
Mechanistische und organische Organisationsformen (nach Jones 2007; Burns & Stalker 1961 und Lawrence & Lorsch 1969)
Wenn die Umweltbedingungen komplexer und dynamischer werden, ändern sich auch Strategie und Organisation. In einer Zeit, als McDonald’s nur eine Sorte Hamburger herstellte, so dass sogar ein Big-Mac-Währungsindex vorkam, war das Unternehmen für seine mechanistische Organisationsform bekannt. Alles war in dicken Handbüchern haarklein vorgeschrieben – die Franchisenehmer hatten keinen Spielraum. Das weltweite Wachstum, die Anpassung an unterschiedliche Kundenwünsche und die Diversifizierung der Produkte und Regionen, sorg-
234
4 Organisationsgestaltung
ten dann dafür, dass McDonald’s sich ändern musste. Mehr organische Organisationssysteme, mehr Flexibilität und Spielräume vor Ort waren die Folge. Nach den vorhergehenden Kapiteln dürfte klar geworden sein, dass der Zusammenhang zwischen Strategie und Organisation nicht so einfach und eindeutig ist, wie er manchmal beschrieben wird (vgl. etwa Jones 2007; Hellriegel & Slocum 2009): Auf der Ebene der Unternehmensstrategie ist deutlich geworden das Chandlers Lehrsatz „Structure follows Strategy“ zwar heute noch relevant, keinesfalls aber hinreichend ist. Vieles spricht dafür, dass auf eine Diversifikationsstrategie eine multidivisionale Struktur folgt, dagegen spricht, dass aus modernen Organisationskonzepten, die nach Bartlett & Ghoshal auf „Purpose, Process und People“ setzten, neue Strategien entstehen. Bei der Geschäftsfeldstrategie passt zwar zur Wettbewerbsstrategie der Kostenführerschaft ein mechanistisches System, während ein organisches System eher für eine Differenzierungsstrategie oder eine Hybridstrategie (Mass Customization) geeignet ist. Die angemessene Organisation ist eine Bedingung auch im VRIO-Konzept (vgl. Kap. 3.1.3). Ein organisches System ist besser geeignet für die Entwicklung von dynamischen Kernkompetenzen oder Capabilities, weil die Unsicherheit des Umfelds höher ist. Allerdings gibt es Wechselwirkungen. Auch bei der Netzwerkstrategie ist die Matrix- oder Netzwerkstruktur keinesfalls die zwingende Konsequenz wachsender Komplexität und Dynamik (vgl. Kap. 3.2.1 und 5.2). Außerdem sind nicht nur die Struktur, sondern weitere Faktoren bei der Organisationsgestaltung zu berücksichtigen (vgl. Kap. 4.3 und 4.4).
4.5.3
Technologie
Zur Technologie zählen Wissen, Werkzeuge, Techniken und Aktivitäten, die gebraucht werden, um Inputs der Organisation in Output zu verwandeln (Folgendes nach Staehle et al. 1999; Hellriegel & Slocum 2009; Daft 2010). Hierbei sind die Fertigungs-, Aufgaben-, Dienstleistungs- und Digitaltechnologie besonders interessant. Zur Fertigungstechnologie bestätigt eine einflussreiche Studie von Woodward (1965) die Bedeutung der Unterscheidung von mechanistischen und organischen Systemen. Darin werden drei Grundformen der Fertigungstechnologie mit steigendem Grad technischer Komplexität unterschieden: Einzelfertigung und kleine Stückzahlen, Massenproduktion und kontinuierliche Prozesstechnologie. Lediglich die Massenproduktion wies mechanistische Systeme auf, die beiden anderen Grundformen wurden als organisch klassifiziert, als vergleichsweise lose gekoppelte, flexible Systeme, wie wir sie oben im Kapitel über Prozessmanagement bereits kennengelernt haben. Als Aufgabentechnologie soll hier die Interdependenz der Aufgaben in einer Organisation bezeichnet werden (vgl. Abb. 4.17). Aufgaben können gepoolt sein, wie bei den Vertretern einer Versicherung; sequentiell nacheinander ablaufen, wie etwa bei einer Ölraffinerie mit angeschlossenem Tankstellennetz;
4.5 Einflussgrößen der Organisationsgestaltung
235
komplex reziprok miteinander verbunden sein, wie bei der Entwicklung eines neuen Automobilmodells oder in Unternehmensnetzwerken. Je komplexer die Aufgaben miteinander verbunden sind, desto eher wird eine organische Organisationsform erforderlich sein. Sogenannte Multi-Unit-Unternehmen, wie Handelsund Restaurantketten oder Bankniederlassungen, dürften dabei einen vergleichsweise niedrigen Grad an Komplexität aufweisen. Gepooled C
A
B
A
Sequentiell
Reziprok
C
C
B
A
Einfach
Abb. 4.17
B
Komplex
Technologische Interdependenz der Aufgaben bei der Organisationsgestaltung (nach Hellriegel & Slocum 2009, S. 353)
Die Dienstleistungstechnologie entwickelt sich, weil Dienstleistungen im Vergleich zu industriellen Funktionen bedeutender werden – nicht nur in den USA, sondern auch in Europa. Zu den sonstigen Dienstleistungen zählen Beratungsunternehmen, Rechtsanwälte, Fluggesellschaften, Hotels, Werbeagenturen, Vergnügungseinrichtungen und Bildungseinrichtungen. Aber auch in der verarbeitenden Industrie wächst der Dienstleistungs- und Erlebnisanteil bei den Produkten. In Großunternehmen sind spezialisierte Abteilungen oder Service Center für Marketing, Personal und Finanzierung bei Großunternehmen als Dienstleister für die Fertigung in den Betrieben tätig. Die Besonderheit der Dienstleistungstechnologie ist, dass der Output immateriell ist und „uno actu“ erzeugt wird. Dadurch ist der direkte Kontakt der Mitarbeiter mit den Kunden erforderlich. Ähnlich wie bei der Prozesstechnologie sind bei Dienstleistungen die organisatorischen Konsequenzen, dass diese in der Regel in organischen, flexiblen und dezentralisierten Strukturen erbracht werden. Die Digitaltechnologie ist die Grundlage der modernen Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT), die sich vor allem in den vergangenen zwei Jahrzehnten entwickelt hat. Die elektronische Datenverarbeitung (EDV) begann stationär, wurde aber zunehmend mobil: Anfangs dominierte der Großrechner, dann kamen PC-Tischcomputer, Notebook, Smartphone und Tablet-PC hinzu und neuerdings bedienen wir uns beim Cloud Computing der irgendwo im Netzwerk verteilten Server. Damit verändern sich auch die Nutzungsgewohnheiten, Unternehmensgründer entdecken Chancen, Traditionsbranchen kommen unter Druck. Bereits seit längerem konvergieren die Bereiche Elektronik, Datenverarbeitung, Te-
236
4 Organisationsgestaltung
lekommunikation und Content. Das war ein Grund, warum etwa Sony bereits Ende der 1990er mit der Übernahme von CBS Records und Columbia Pictures in das Musik- und Filmgeschäft einstieg. Web 1.0, 2.0, 3.0: Heute gehen die entscheidenden Veränderungen im Umgang mit Informationen vom Word-Wide-Web und dem Internet als dessen Infrastruktur aus (vgl. Naughton 2012). Dadurch verändert sich auch die Verlagsbranche. Im Herbst 2012 wird bekannt, dass die Medienkonzerne Bertelsmann und Pearson ihre Verlage Random House und Penguin zum mit Abstand größten Publikumsverlag der Welt fusionieren. Damit wollen die Konzerne im Wettbewerb gegen die Technologieriesen Amazon, Google und Apple bestehen. Der Verkauf von Büchern und sonstigen Produkten über Amazon, Online Auktionen bei eBay, Werbung und Information durch Google, Soziale Netzwerke und Werbung durch Facebook, Innovation mit Crowdsourcing – in all diesen Fällen ist das Web die Grundlage des Geschäfts. Dabei hat die Veränderung der Welt durch die digitale Revolution gerade erst begonnen, wie die beeindruckende Datensammlung von Blodget & Cocotas (2012) zeigt. Mit bahnbrechenden Innovationen werden wir es auf diesem Gebiet weiterhin zu tun haben, aber wir wissen noch nicht, wohin uns diese Entwicklung führt. Inzwischen spricht man bereits von Industrie 4.0, einer durch die Digitaltechnologie ausgelösten vierten industriellen Revolution. Der Einsatz von Maschinen bei vorher manuellen Fertigungsprozessen löste im 18 Jahrhundert die erste industrielle Revolution aus, dann kam die Elektrifizierung Ende des 19. Jahrhunderts als eine technische Grundlage der Massenproduktion, die dritte industrielle Revolution basiert auf der Automatisierung durch Elektronik und Informationstechnologie und schließlich geht die kommende vierte Version einer industriellen Revolution von einem Internet der Dinge (Internet of Things) aus: „Ideen und Informationen sind wichtig, aber Dinge sind bedeutender. Dennoch ist die heutige Informationstechnologie abhängig von Daten die Menschen hervorgebracht haben, sodass unsere Computer mehr über Ideen wissen, als über Dinge. (…) Wir müssen unsere Computer mit eigenen Mitteln ausrüsten um Informationen zu sammeln, sodass sie die Welt selbst in ihrer chaotischen Pracht sehen, hören und riechen können.“ (Ashton 2009, S. 1) Beim Internet der Dinge geht es um die internetartige Vernetzung von Maschinen, Produkten und deren Komponenten und den Austausch von Informationen zwischen ihnen in Echtzeit, also um mehr, als dies mit dem Leitbild des Computer-Integrated Manufacturing begonnen wurde. Die deutsche Bundesregierung hat dazu ein Zukunftsprojekt Industrie 4.0 aufgelegt. RFID-Sensoren (Radio-Frequency-Identification) in Logistikprozessen sind dabei nur ein Anfang. Ein komplexeres Beispiel ist die Landung des Mars Exploration Rovers „Curiosity“ im August 2012. Sieben Minuten hatte der Rover Zeit um von 21.000 Stundenkilometern abgebremst zu werden. Aber 20 Minuten braucht das Signal von der Erde bis zum Marsrover. Die Nasa-Ingenieure konnten in dieser Zeit die Steuerung nicht beeinflussen. Die Mission war nur deshalb erfolgreich, weil die Landung mit Simulationssoftware bereits vorher geprobt wurde. Das Web verbindet nicht nur die Dinge, sondern auch Kunden, Lieferanten und Geschäftspartner auf neue Weise in einem Netzwerk, das über die Organisationsgrenzen hinausgeht. Zu den Chancen gehören: Innovative Geschäftsmodelle entstehen, Einige werden dadurch
4.5 Einflussgrößen der Organisationsgestaltung
237
reich, wie damals Rockefeller. Durch das Internet werden die Reichweite und die Reichhaltigkeit der Kommunikation gleichzeitig erhöht, das favorisiert beispielsweise den Onlinehandel. Die Interaktion „zu jeder Zeit, an jedem Ort“ ermöglicht eine zuvor undenkbare Vernetzung und Kommunikation. Viel Verantwortung der Mitarbeiter in Teams, persönliche und elektronische Kommunikation, viel Flexibilität und Raum für neue Ideen sind Merkmale einer Organisation, die die Möglichkeiten des Internets nutzt. Aber es gibt auch Risiken: Dazu gehören Gefährdungen beim Urheberrecht, Persönlichkeitsrecht und Datenschutz. Gefahren werden auch im Bereich der Bildung und Persönlichkeitsentwicklung gesehen: Ein Buch mit dem Titel Digitale Demenz steht wochenlang auf den Bestsellerlisten. Arbeitsplätze werden bedroht: durch den Onlinehandel im stationären Einzelhandel, durch die Konkurrenz zwischen Printmedien, Fernsehen und Google-TV, durch Crowdsourcing im Industrieund Dienstleistungsbereich (vgl. Kap. 3.3.4). „Von Gutenberg bis Zuckerberg“, vom Buchdruck des 15. Jahrhundert bis hin zum sozialen Netzwerk unserer Zeit: Nicht ungewöhnlich ist bei Revolutionen, dass sich Optimisten und Pessimisten unversöhnlich gegenüberstehen. Beide haben gute Argumente; aber jede durch Technologien getriebene Umwälzung gibt und nimmt – darauf haben schon Marx und Schumpeter hingewiesen. Die Lösung zur Überwindung der gegenseitigen Blockade besteht darin, wie auch sonst hier vertreten, einseitige Perspektiven zu überwinden: „Schumpeter beschreibt die Umwälzungen, durch die der Kapitalismus sich erneuert, als ‚schöpferische Zerstörung‘. Beide Worte sind bedeutend: Der Prozess ist ‚schöpferisch‘, weil großartige neue Möglichkeiten entstehen; aber er ist auch ‚zerstörerisch‘, weil Dinge, die wirklich Wert haben, vernichtet werden. Das Problem der Optimist-Pessimist-Dichotomie ist, dass die Optimisten selten die zerstörerische Realität ansprechen, während die Pessimisten selten die schöpferischen Möglichkeiten des Neuartigen anerkennen. Wir müssen diesen sterilen Schlagabtausch überwinden.“ (Naughton, 2012, S. 294) Insgesamt fördern die Einflüsse des Umfelds und der Technologien die Ablösung mechanistischer durch organische Organisationsformen. Dadurch ändern sich die Gestalt der Organisation und seiner Netzwerke – der Strukturen, Prozesse, Kooperationsbeziehungen und Kulturen und auch die Rolle der Menschen.
4.5.4
Menschen
Die Gestaltung von Organisationen wird durch die Bedürfnisse, Erwartungen und Verhaltensweisen des Menschen beeinflusst, wie auch umgekehrt die Strukturierung von Organisationen den Menschen beeinflusst. Zu unterscheiden sind der Einzelne in der Organisation und die Führung von Gruppen oder Teams. Die Folge einer Arbeitsteilung, die dem Individuum wenige Entfaltungsmöglichkeiten bietet, sind mangelnde Motivation und Unzufriedenheit oder aber politische Anstrengungen, diese Bedingungen zu ändern. In diesem Kapitel, in dem es um Erklärungsansätze für die Organisationsgestaltung geht, ist an dieser Stelle ein kurzer theoriegeschichtlicher Rückblick zweckmäßig. Der Amerikaner Frederick Winslow Taylor (1856–1915) ging neben anderen davon aus, dass die Arbeitsproduktivität durch die Anwendung wissenschaftlicher Methoden
238
4 Organisationsgestaltung
erhöht werden kann. Eine der ersten Anwendungen war das Montage-Fließband in der Highland-Park-Fabrik von Ford im Jahre 1913. Merkmale des „Scientific Management“ waren
hochgradig arbeitsteilige, gleichförmige Teilaufgaben, Selektion der Arbeiter und Training für diese Aufgaben, Trennung von Hand- und planender Kopfarbeit, leistungsorientierte Bezahlung.
Die Organisation sollte dadurch so effizient wie eine Produktionsmaschine werden. Menschen wurden als Rädchen in einem Maschinensystem betrachtet, individuelle Unterschiede sowie Ideen und Vorschläge der Arbeiter wurden nicht beachtet. Dieser klassischen Perspektive folgt auch der deutsche Soziologe Max Weber (1864–1920), der Prinzipien formuliert hat, nach denen die ideale Bürokratie funktioniert (ders. 1972). Dazu gehören Arbeitsteilung mit klarer Stellenbeschreibung für Aufgabe, Kompetenz und Verantwortung, hierarchische Strukturen, Koordination und Kontrolle durch Regeln und Ausführungsvorschriften, Trennung von Management und Eigentümern, Trennung von Amtsstelle und Inhaber, schriftliche Formalisierung aller Vorgänge. Später entwickelt sich demgegenüber die humanistische Perspektive des Managements, die davon ausgeht, dass es darauf ankommt, menschliches Verhalten auf der Ebene des Individuums, der Gruppe und der Gesamtorganisation zu verstehen. Erkenntnisse in dieser Richtung lieferten die Hawthorne-Studien, die im Jahre 1924 begannen und zeigten, dass die Arbeitsproduktivität der Beschäftigten davon abhängt, dass diese nicht nur als stimmbegabte Werkzeuge von den Managern behandelt werden. Später wurden unterschiedliche Menschenbilder unterschieden, die bei Führungsentscheidungen eine Rolle spielen. Nach dem Sozialpsychologen Douglas McGregor (1906–1964) wird traditionell dem Menschen unterstellt, Arbeit zu scheuen und Verantwortung zu vermeiden (Theorie X), tatsächlich aber wäre in der modernen Zeit, genau das Gegenteil der Fall (Theorie Y) (ders. 1960). William Ouchi (1981) meint darüber hinaus, dass die menschlichen Beziehungen (das Humankapital) und die Kultur in der Organisation entscheidend sind (Theorie Z). Dabei kommt es aber darauf an, dass Menschen nicht nur in guten Zeiten als Humankapital betrachtet werden. Maßgeschneiderte Bindungspakete für die wenigen Schlüsselpersonen, die schlecht zu ersetzen sind und bei denen eine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass sie das Unternehmen verlassen (Cosack et al. 2010), sind ein Ansatz. Wirtschaftskrisen werden besser bewältigt, wenn darüber hinaus Stellen gesichert und Know-how-Verlust vermieden wird, unter anderem durch das Abschmelzen von Arbeitszeitkonten und Kurzarbeit. Systematisches Beschäftigungsmanagement wird nicht immer betrieben, wenn Personalabbau droht (vgl. Bertelsmann Stiftung 1999; Kronauer & Linne 2005 und das Praxisbeispiel E-AG).
4.5 Einflussgrößen der Organisationsgestaltung
239
Praxisbeispiel: E-AG – beschäftigen statt entlassen Die E-AG, ein (fiktiver) großer deutscher Energieversorger plant Personalabbau. Zur Geschichte des Unternehmens gehört, dass betriebsbedingte Kündigungen bisher noch nicht vorgekommen sind. In mehreren Gesprächsrunden zwischen dem Arbeitgeber und dem Betriebsrat einigt man sich auf einige sozialverträgliche Maßnahmen zum Personalabbau (vgl. Abb. 4.18). Dabei bleibt offen, was genau noch möglich ist. Summe = 249
noch zu quantifizieren
300 MA
81 MA
36 MA 33 MA 69 MA 30 MA Ruhestand
Abb. 4.18
Auslaufen befristeter Verträge
Arbeitszeitflexibilisierung
Altersteilzeit I
Altersteilzeit II
Insourcing
Freiwilliges Einsatz in Ausscheiden neuen GeAbfindungen schäftsfeldern
Ziel
Sozialverträgliche Maßnahmen des Personalabbaus
Fragen: 1. Welche weiteren Möglichkeiten um Entlassungen zu vermeiden kennen Sie? 2. Wie sind diese Maßnahmen betriebswirtschaftlich zu bewerten? Unter dem Einsatz von Gruppen- oder Teamarbeit versteht man, „dass in einem arbeitsteiligen System bewusst Aufgaben so organisiert werden, dass sie nicht einer einzelnen Person (‚Aufgabenträger‘), sondern einer Gruppe von Personen überantwortet werden.“ (Steinmann & Schreyögg 2005, S. 593). Die Begriffe werden unterschiedlich verwendet. Nach einer Studie eines Fraunhofer Instituts hatten in den 1980er Jahren weniger als zehn Prozent der deutschen Industriebetriebe Gruppenarbeit verwirklicht. 2009 verfügten nahezu zwei Drittel (60 Prozent) von 1.484 deutschen Industriebetrieben über Gruppenarbeit in irgendeiner Form. Das arbeitsorganisatorische Gestaltungsprinzip der Gruppenarbeit wurde danach breit aufgegriffen. Fordert man indessen, dass die Gruppengröße zwischen drei und 15 Mitarbeitern liegt und dispositive und qualitätssichernde Aufgaben integriert sind, sind es noch 46 Prozent, soll zusätzlich auch noch ein homogenes Qualifikationsniveau aller Gruppenmitglieder vorliegen, sinkt die Quote auf 23 Prozent (vgl. Lay et al. 2011). In einem Team arbeiten zwei oder mehr Menschen interaktiv zusammen und koordinieren ihre Arbeit, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen (vgl. zum Folgenden Daft 2010, Kap. 19). Das Dilemma von Teams besteht darin, dass der Einzelne seine Unabhängigkeit aufgeben
240
4 Organisationsgestaltung
muss, Trittbrettfahrerei nicht selten ist und Fehlfunktionen durch mangelndes Vertrauen, Angst vor Konflikten, Verantwortungslosigkeit etc. auftreten. T.e.a.m. steht dann für ...: „Toll, ein andrer macht’s.“ Je nach organisatorischem Kontext, Typ, Charakteristik und Zusammensetzung des Teams entstehen Teamprozesse, deren Ergebnisse im Hinblick auf Teamleistung, persönliche Zufriedenheit und Lernfähigkeit effektiv sein sollten. Typische Phasen in der Teamentwicklung sind: Forming. Eine erste Etappe, in der man sich, unterstützt durch den Teamleiter, orientiert und kennenlernt. Storming. Später dann treten die individuellen Persönlichkeiten und Rollen hervor, was regelmäßig zu Konflikten führt. Der Teamleiter sollte die Beteiligung jedes Teammitglieds fördern. Norming. In dieser Phase sind die Konflikte gelöst und der Zusammenhalt entwickelt sich; der Teamleiter sollte die Einheit im Team herausstellen und die Normen und Werte klären. Performing. Die Lösung von Problemen und die Bewältigung der Aufgaben steht im Vordergrund. Der Teamleiter sollte für Hochleistung sorgen. Adjourning. Die Auflösung des Teams wird vorbereitet, vom Teamleiter unterstützt mit Ritualen und der Verteilung von Plaketten. Der Zusammenhalt im Team entwickelt sich im Prozess. Konflikte sollten nicht unter den Teppich gekehrt werden, um engstirniges Gruppendenken (Groupthink) zu vermeiden: Hochleistung braucht Dissonanz (vgl. Scholz & Schmitt 2010).
4.5.5
Entwicklungsphasen
Bei einem neu gegründeten Unternehmen (Start-Ups) stellen sich andere Fragen der Organisationsgestaltung als bei einem reifen Unternehmen, das vielleicht schon über eine mehr als hundertjährige Geschichte verfügt. Ein interessantes Modell, wonach Organisationen wie Lebewesen einen Lebenszyklus durchlaufen und die Stadien ruhigen, evolutionären Wachstums bereits den Keim für organisatorische Umwälzungen, also revolutionäre Phasen, in sich tragen, stammt von dem amerikanischen Management-Professor Larry E. Greiner (1972) (vgl. Abb. 4.19). Das Wachstum der ersten Phase lebt von der Kreativität der Gründer, führt aber notwendig zu einer Führungskrise, weil mit wachsendem Alter und Größe der Organisation nicht nur die Kreativität der „Entrepreneure“ gefragt ist, sondern auch die effizienzsteigernde Steuerung des Unternehmens (vgl. Praxisbeispiel Apple und Google). Wachstum durch Lenkung in der zweiten Phase wird dann mit einem professionellen Management erreicht, was wiederum zu einer Autonomiekrise führt, weil kreative Mitarbeiter durch die wachsende Bürokratie und die damit verbundene Zentralisierung der Entscheidungen frustriert sind. Um die Krise zu überwinden, wird eine dritte Phase des Wachstums durch Delegation von Entscheidungen eingeleitet, an deren Ende eine Kontrollkrise steht, weil die Führungskräfte in Machtkämpfe um knappe Ressourcen verwickelt sind. Wachstum durch Koordination kann in der vierten Phase erreicht werden, wenn die zentrale Kontrolle und die Dezentralisie-
4.5 Einflussgrößen der Organisationsgestaltung
241
rung der Bereiche richtig ausbalanciert werden, wie dies etwa in der multidivisionalen Struktur möglich ist. In der Folge kommt es jedoch zu einer Bürokratiekrise, die Organisation ist zu schwerfällig geworden. Ein Weg aus der Krise ist dann das Wachstum durch Zusammenarbeit zwischen den Personen in Projekten und Teams um verlorene Innovationskraft zurückzugewinnen. Stadium 1 Groß
Stadium 2
Stadium 3
4. Wandelund Veränderungskrise
Organisationsgröße
3. Kontrollkrise
2. Autonomiekrise 1. Führungs- und Wachstumskrise
Stadium 5 5. ? Krise
Evolutionsstadium Revolutionsstadium
4. Wachstum durch Koordination
5. Wachstum durch Kooperation und Zusammenarbeit
3. Wachstum durch Delegation
2. Wachstum durch Richtungsgebung 1. Wachstum durch Kreativität
Klein Jung
Abb. 4.19
Stadium 4
Organisationsalter
Reif
Revolution und Evolution wenn Organisationen wachsen (Greiner 1972, S. 11)
Praxisbeispiel: Steve Jobs und Apple, Eric Schmidt und Google Im Jahre 1976 verkaufte Steve Jobs seinen VW Minibus und baute mit seinem Partner Steven Wozniak in der nun freien Garage seinen ersten Computer. Bereits 1985 erreichte das von ihnen gegründete Unternehmen Apple Inc. einen Umsatz von über 2 Milliarden USDollar, im gleichen Jahr wurde Steve Jobs aus dem Unternehmen gedrängt. Weil der Gründer kein Interesse am operativen Geschäft gezeigt hatte, wurden erfahrene Manager von außen berufen, und Steve Jobs wechselte in den Aufsichtsrat, ohne sich allerdings aus dem Geschäft herauszuhalten. Durch die unklare Ausrichtung des Unternehmens fielen die Gewinne. 1997 übernahm Jobs wieder die Geschäftsführung, nachdem er zuvor mit der Gründung von NeXT Computer und Pixar Animation Studios weitere Managementerfahrung gesammelt hatte. Innovationen wie die iPod-Medienprodukte sind nicht zuletzt auf die nun eingerichtete Zusammenarbeit in Projekten und Teams zurückzuführen. Nach Krankheit und Tod von Steve Jobs übernahm der amerikanische Manager Tim Cook im
242
4 Organisationsgestaltung
August 2011 die Führung. Gemessen am Börsenwert ist Apple 2012 das wertvollste Unternehmen der Welt. Sind deshalb geniale Spezialisten besser als generalistische Manager geeignet, ein reifes Unternehmen zu führen? Tim Cook verfügte bereits neben seiner klassischen Ingenieurund MBA-Ausbildung über eine langjährige Managementpraxis, als er 1998 von Steve Jobs angeworben wurde. Auch das Beispiel Google spricht gegen diese Überlegung. Ein Jahr lang hatte der Google-Verwaltungsrat Druck auf die beiden jungen Unternehmensgründer Sergey Brin und Larry Page ausgeübt, sich endlich einen erfahrenen Manager, einen „Erwachsenen“ an die Spitze des Unternehmens zu holen. 2001 nahm dann Eric Schmidt, der bis dahin Chef des Softwarehauses Novell gewesen war und sich bei seinem vorherigen Arbeitgeber Sun Microsystems den Ruf eines Pioniers des Internets erarbeitet hatte, das Angebot an, CEO bei Google zu werden. Nachdem der Internetkonzern die Android-Plattform für Smartphones etabliert und einen eigenen Webbrowser herausgebracht hat, bewegt er sich nun in Richtung Cloud-Computing. 2012 gehört Google zu den zehn wertvollsten Unternehmen der Welt. Fragen: 1. Welchen Beitrag liefert das Lebenszyklus-Modell von Greiner um Entwicklungen bei Apple und Google zu erklären? 2. Kennen Sie Beispiele von Organisationen, bei denen das Lebenszyklusmodell passt? Quellen: Knop, C.: Microsoft-Gegner vom Dienst, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 9. Juli 2009, S. 19 und weitere Presseberichte.
Mit seinem Konzept des idealtypischen Verlaufs der Unternehmensentwicklung folgt Bleicher (2011) dem Lebenszyklus-Modell von Greiner. Von der Pionierphase über Markterschließung, Diversifikation, Akquisition, bis hin zu Kooperation und Restrukturierung – jeweils sind Krisen und eine erhöhte Komplexität eingeschlossen. Die Modelle zeigen das für Organisationen typische Spannungsverhältnis von Kontrolle und Chaos, von Führung und Selbstorganisation. Die Annahme, dass auch Unternehmen einen Lebenszyklus durchlaufen, schärft den Blick für die damit verbundenen Probleme und dafür, dass in den Lösungen bereits der Keim für neue Probleme liegt. Greiner selbst weist darauf hin, dass Organisationen sich entscheiden können, nicht zu wachsen. Ein gewisser „Zwang zur Größe“ wird sich jedoch aus den Branchenbedingungen ergeben. Die Unternehmensgröße hängt nicht nur vom Alter der Organisation ab. Juristische Personen wie die Aktiengesellschaft oder die Incorporated sind, weniger noch als inhabergeführte Unternehmen, nicht mit natürlichen Personen vergleichbar, bei denen eine nachlassende Schaffenskraft, Alter und Tod unvermeidbar ist. Traditionsunternehmen, die langfristig an ihren grundlegenden Werten und Zwecken festhalten, aber ihre Geschäftsstrategien und -praktiken an eine sich verändernde Welt anpassen, sind sogar erfolgreicher (vgl. Kap. 3.2.3). Gleichwohl kann eine Phasenanalyse geeignet sein, Schwachstellen der Entwicklung aufzudecken und durch geeignete Organisationsformen wie bereichsübergreifende Teams, Wagnisbereiche sowie Kooperationen das Innovationspotenzial zu erhöhen.
4.6 Innovationsmanagement
4.6
243
Innovationsmanagement
Innovation wird hier als ein Prozess verstanden, in dem aus Ideen ein neues Produkt, eine neue Technologie oder ein neues Geschäftsmodell entsteht, das sich im Unternehmen und im Markt durchsetzt. Anpassungsfähige, organische Organisationsformen sind, wie bereits gezeigt, besser als mechanistische Organisationsformen geeignet, Innovationen in einem turbulenten Umfeld hervorzubringen (vgl. Kap. 4.5.2). Strategische Flexibilität lässt sich damit als Antwort für Strategien unter Unsicherheit (vgl. Kap. 2.5) und neue Geschäftssysteme (vgl. Kap. 3.1.1) auch organisatorisch realisieren. Aber nicht nur Strategien, Strukturen und Prozesse sind relevant (vgl. Kap. 4.3 und 4.4). Neue Produkte und Technologien sind für Innovationen entscheidend, aber es ist etwas anderes, Dinge zu ändern als Menschen. Niccolo Machiavelli wusste davon bereits im Jahre 1513: „Dabei ist zu bedenken, dass … nichts so schwierig zu betreiben, so unsicher im Hinblick auf den Erfolg und so gefährlich in der Durchführung ist, als die Vornahme von Neuerungen.“ (ders. 1961, S. 54) Dies ist auch beim Innovations- und Change-Management relevant. Beide Organisationsthemen sind eng miteinander verbunden, und es wird sich erneut zeigen, dass es auch hierbei auf die Balance zwischen Führung und Selbstorganisation ankommt. Innovation ist nicht nur eine Aufgabe der Forschungs- und Entwicklungsabteilung (Research & Design, R&D) – Leitbild ist heute ein integriertes Innovationsmanagement. Aber wieviel Integration und wieviel Selbstorganisation sind angemessen? Außerdem ist das Spannungsverhältnis zwischen der Durchsetzung von Neuerungen und der Entwicklung des laufenden Geschäftes erfolgskritisch. Nicht nur die Geschäfts- und Unternehmensebene sind relevant, sondern auch die Interaktion im weltweiten Netzwerk.
4.6.1
Integration versus Separierung
Beim Innovationsmanagement kommt es nach dem Lean-Management Konzept (vgl. Kap. 4.3.3) neben geeigneten Strukturen auf weitere Dimensionen der Organisation an. Komplexe Innovationsprojekte, wie die Entwicklung des Airbus 380 oder eines neuen Automodells bei BMW, werden flexibel und integriert gemanagt (vgl. Clark & Fujimoto 1991; Cusumano & Nobeaka 1998; Boutellier et al. 2008): Vertikale Integration. „Schwergewichts-Projektmanager“ (Heavy-Weigth-Projectmanager) oder „-Produktmanager“ tragen die volle Verantwortung für den Projekterfolg. Ein hochrangig besetzter Lenkungsausschuss und das Kernteam bewerten das Projekt nach jeder Phase neu (Gates & Stages). Funktionale Integration. Funktionen wie Forschung & Entwicklung, Einkauf, Produktion bis hin zu Marketing werden in Projektteams zusammengebracht. Die Funktionen werden nicht mehr nacheinander abgearbeitet, sondern nebeneinander (Simultaneous Engineering). Objektintegration. Innovationen bleiben nicht nur auf die technischen Gebiete der Forschung & Entwicklung beschränkt, sondern umfassen alle Geschäftsprozesse, also auch Lieferanten, Nutzer und Geschäftspartner.
244
4 Organisationsgestaltung
Damit entwickelt sich das traditionelle F&E-Management zu einem integrierten Innovationsmanagement weiter, bei dem gleichlaufend mit den Produktinnovationen auch alle betroffenen Geschäftsprozesse neu gestaltet werden. Dies lässt sich nicht in ein Korsett eines nur technisch-betriebswirtschaftlich verstandenen Prozessmanagements zwängen. „Bei hochintegrativen Vorhaben sind Werte und Normen, eine eigens entwickelte Projektkultur sehr wichtig.“ (Boutellier & Gassmann 1997, S. 30 f.) Ein Kernbereich des Innovationsmanagements ist die Organisationsgestaltung (vgl. Boutellier & Gassmann 1997; Grant & Nippa 2006; Kates & Galbraith 2007; Hill & Jones 2009; Daft 2010). Entscheidend ist, wie die Organisation mit Ungewissheit, aber auch Ignoranz und anderem Widerstand gegen Wandel umgeht. Noch im Jahre 1997 stellte Ken Olsen, Gründer und CEO der Digital Equipment Corporation, dem frühen Pionierunternehmen der Computerindustrie, fest: „Ich kann mir keinen vernünftigen Grund denken, warum sich ein Mensch wünschen könnte, einen Computer in seinem Hause zu haben.“ (zitiert nach Grant & Nippa 2006, S. 416) Auch heute ist noch ungewiss, ob sich etwa das Elektroauto durchsetzt – viele Versuche sind in der Vergangenheit gescheitert. In beiden Fällen, beim Personal Computer wie beim Elektroauto, handelt es sich um bahnbrechende Innovationen. Davon zu unterscheiden sind weiterentwickelnde Innovationen. Haribo etwa wird bei Verbesserung seiner Gummibärchen oder der Erweiterung seines Konfekt-Produktprogramms nur begrenzten Risiken ausgesetzt sein und auch von Intel wird man in regelmäßigen Abständen eine neue ChipGeneration erwarten. Mit diesem Spektrum von Innovationsstrategien sind die Organisationsstrukturen abzugleichen (vgl. Abb. 4.20). Laufende Produktverbesserungen können innerhalb bestehender Produkteinheiten umgesetzt werden, für neue Produkte sollte ein schwergewichtiges Produktteam und für neue Geschäfte eine separierte Einheit gebildet werden (vgl. Praxisbeispiel Procter & Gamble). Neben der integrierten Führung kommt also auch die Perspektive der separierten Selbstorganisation zum Einsatz. Das aber reicht nicht. weiterentwickelnde Innovationen
bahnbrechende Innovationen
Strategie Produktverbesserung
Produkterweiterung
nah
Nächste Generation
Neues Produkt
Neue Technologie
Abstand vom Kerngeschäft
Neues Geschäft fern
Struktur Bestehende Produkteinheit integriert
Abb. 4.20
Leichtgewichtiges Produktteam
Schwergewichtiges Produktteam
Organisatorische Einbindung
Separierte Einheit separiert
Abgleich von Innovationsstrategie und Organisationsstruktur (Kates & Galbraith 2007, S. 175 ff.)
4.6 Innovationsmanagement
245
Praxisbeispiel: Procter & Gamble unter Kreativitätsdruck Der amerikanische Konsumgüterhersteller Procter & Gamble (P&G) ist mit 84 Milliarden US-Dollar Umsatz und 138.000 Mitarbeitern in 80 Ländern weltweit führend. „Innovation ist der Grundstein unseres Erfolgs“, heißt es auf seiner Internetseite. 29.000 Patente: seine 170-jährige Geschichte ist geprägt von der ständigen Entwicklung herausragender, noch nie dagewesener Produkte durch innovative Technologien. Dazu zählen vor allem das amerikanische Pendant zum deutschen Waschmittel „Ariel“ namens „Tide“, die amerikanische Zahncreme „Crest“ und die erste Wegwerfwindel unter dem Namen „Pampers“. Dazu hat auch die globale Expansion beigetragen. Denn gerade durch den Aufkauf von namhaften Unternehmen in verschiedenen Marktsektoren, wie z.B. der Wella AG in Darmstadt, konnte vor allem eines erschlossen werden: hochentwickeltes Fachwissen. Um den Erfolg auszubauen, hatte man 1993 ein Konzept mit dem Namen „Strengthening Global Effectiveness“ entwickelt. Es kam zu großen Restrukturierungsprogrammen, die nur kurzfristig Erfolge einfuhren. Man erkannte, dass die Gewinnsteigerungen zum einen lediglich aus Kosteneinsparungen entstanden, die natürlich nur begrenzt möglich waren, und zum anderen aus kleinen Verbesserungsschritten bei den Produkten und im Betrieb. Zur Realisierung ihres großen Zieles – eine Zuwachsrate von 7 Prozent pro Jahr – jedoch, mussten moderne und fortschrittliche Produkte und neue Marken noch schneller als in vergangenen Jahren entwickelt werden. Zwar gab es in der Tat exzellente Wissenschaftler innerhalb des Hauses, doch deren neuartige Technologien wurden oft ignoriert – sie passten nicht in die Philosophie des Unternehmens: Fokus auf Zuwachs und Stärkung der Hauptmarken. Das Management von P&G maß von da ab der Innovation höchste Priorität zu. Der Kunde sollte wieder im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen. P&G hatte sich entschlossen, die Balance zwischen marktbzw. technisch orientierter Innovation mehr auszugleichen, als es in der Vergangenheit geschehen war. Durch die breitgefächerten Geschäftsfelder von P&G besteht eine außergewöhnliche Bandbreite an branchenspezifischem Spezialwissen. Trotz dieses immensen Potentials fand kein effizienter Wissenstransfer zwischen den verschiedenen Sparten statt. Hierfür jedoch war in erster Linie P&G selbst verantwortlich. Diese interne Konkurrenz im Konzern war gewollt. Ziel war es, die einzelnen Teilbereiche einer Produktkategorie anzuspornen, Leistungsdruck aufzubauen und Informationen nur notwendigerweise innerhalb der verschiedenen Geschäftseinheiten auszutauschen. Verstärkt wurde dies zudem durch das „Product Champion System“, mit dem Beschäftigte für besonders herausragende Produktideen oder Verbesserungen ausgezeichnet wurden. Als ersten Lösungsansatz gründete P&G ein „Innovation Leadership Team“ (ILT). Zweck dieser Einheit sollte in erster Linie sein, die Entwicklungszeit von Innovationen zu optimieren. Dabei fand man heraus, dass viele potenziell erfolgversprechende Projekte in der Vergangenheit unbeachtet geblieben waren. Auf diesen Missstand reagierte das Management mit der Einrichtung eines unabhängigen „Corporate Innovation Fund“ (CIF). Von nun an war es Innovationsgruppen möglich, ihre Projekte dort vorzustellen, um Fördermittel im Falle eines interessanten Ansatzes für die Umsetzung zu erlangen. Die Anzahl von
246
4 Organisationsgestaltung
neuen Produktideen stieg schlagartig. Das war Grund genug, diesen Strategieansatz auszubauen. Die „Corporate New Ventures Group“ (CNV), bestehend aus Personen der unterschiedlichsten Bereichen von P&G, wurde 1994 geboren. Diese sollte das ILT unterstützen, allerdings ihren Fokus vielmehr auf Ideen richten, die nicht auf einen Bereich maßgeschneidert waren, sondern vielmehr Bereichstechnologien vereinten. Durch die Zusammenarbeit von internen und externen Beratern sollte die Optimierung von Entwicklung und Produktion vorangetrieben und die Stärkung der Kernkompetenzen des Unternehmens verbessert werden. Die vorhandenen Potenziale aller Geschäftsbereiche sollten erkannt und für das gesamte Unternehmen nutzbar gemacht werden. Überdies sollten künftige Innovationen nicht mehr ein Zufallsprodukt, sondern das Ergebnis eines strukturierten und planbaren Prozesses sein. Hierfür erstellte man folgenden Strategierahmen: technologische Fertigkeiten von P&G erkennen; versteckte Bedürfnisse der Verbraucher wahrnehmen, verstehen, verarbeiten; Auswerten der benötigten Technologien zur Umsetzung des neuen Produkts und ökonomische Evaluation des Entwicklungsprozesses. Aber ein Problem gab es doch: CNV war keine eigene Sparte und musste die Produkte an die Geschäftsbereiche weitergeben, um sie an den Markt zu bringen. Dabei traf man oftmals auf Widerstand. Fragen: 1. Wie können Risiken reifer Organisationen systematisch angegangen werden? 2. Welche Bedeutung haben kulturelle und personelle Bedingungen in den jeweiligen Phasen der Organisationsentwicklung? Quelle: Whitney, D: Corporate New Ventures at Procter & Gamble. Harvard Business School Case Study, 1997; www.pg.com.
4.6.2
Innovation versus Effizienz
Die Schwierigkeit für Manager etablierter Unternehmen liegt in der Gratwanderung zwischen radikaler Innovation und Bewahrung des traditionellen Geschäfts. Die Anpassungsfähigkeit einer Organisation (Adaptability) ist die eine Seite, die nötige Ausrichtung im laufenden Geschäft (Alignment) die andere Seite. Ambidextrie (Ambidexterity) bedeutet nun, dass die Leistung einer Organisationseinheit umso höher ist, je mehr beide Seiten entwickelt und ausgewogen sind (vgl. Gibson & Birkinshaw 2004; Birkinshaw & Gibson 2008): Ambidextrie auf Unternehmensebene. Nokia, das finnische Mobiltelefon-Unternehmen, entwickelt beständig neue Anwendungen und Telefonmodelle, pflegt aber auch sein traditionelles Handygeschäft. Google verwendet 70 Prozent seiner Zeit für das Kerngeschäft, 20 Prozent für verwandte Projekte und 10 Prozent für unverbundene neue Geschäfte (vgl. Battelle 2005). Billigflug-Gesellschaften wie Easyjet, Online-Händler wie Amazon oder Online-Banker wie die Ing-DiBa haben innovative Geschäftsmodelle durchgesetzt. Für die dadurch bedrohten etablierten Unternehmen wie Lufthansa, Mediamarkt oder die Bayerische Vereinsbank reicht es nicht, nur eine separate Einheit für das neue Geschäftsmodell einzurichten. Vielmehr muss eine delikate, „beidhändige“ Ba-
4.6 Innovationsmanagement
247
lance (Ambidextrie) erreicht werden: genug Trennung zwischen den beiden Geschäftsmodellen um Konflikte zu vermeiden, aber nicht zu viel, um Synergien zu ermöglichen (vgl. Markides & Oyon 2010). Außerdem sollte die Unternehmensspitze die Führung hier nicht den Geschäftsbereichen überlassen (Tushman et al. 2011). Ambidextrie in Projektteams. Projektteams sollten über ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Wissensnutzung (Exploitation) und Wissensaufbau (Exploration) verfügen. „Je radikaler die angestrebte Innovation ist, desto freier und flexibler sollten die Rahmenbedingungen von Teams gestaltet sein.“ (Busch & Hobus 2012, S. 34) Insbesondere bei bahnbrechenden Innovationen besteht das Risiko für die etablierten Unternehmen darin, dass sie das Entstehen eines neuen Produktes, einer neuen Technologie oder eines neuen Geschäftsmodells nicht rechtzeitig erkennen. Die Harvard Professoren Bower und Christensen (1995) haben hierfür den Begriff „Disruptive Technology“ geprägt, Christensen (1997) spricht später von „Disruptive Innovation“. Ursachen dafür, dass diese Art der Innovation von den bisherigen Marktführern „verschlafen“ wird, sind weniger Trägheit, sondern folgende Merkmale:
bahnbrechende Innovationen haben Anfangs schlechtere Leistungswerte, werden von den bisherigen Kunden nicht nachgefragt, weisen anfangs nur ein geringes Marktvolumen auf, und das bisherige Geschäftsmodell (vgl. Kap. 3.1.1) ist dafür nicht geeignet.
Viele Beispiele lassen sich dafür anführen: Die Leistung von Digitalkameras war anfangs schlechter als die von herkömmlichen Kameras, wie ebenso die von Halbleitern gegenüber Röhren oder der ersten Personal Computer gegenüber Zentralrechnern. Heute ist noch offen, ob der Elektroantrieb den Verbrennungsmotor bei Kraftfahrzeugen ersetzen wird. Die Risiken sind hoch, denn bisher ist noch unsicher, ob genügend Lithium-Rohstoff für die Batterien verfügbar ist, wie Sicherheitsprobleme gelöst werden, welche Infrastruktur entwickelt wird etc. Deshalb gibt es unterschiedliche Einschätzungen darüber, wie groß der Markt für Elektroautos in absehbarer Zeit werden wird. Tesla, ein neu gegründetes kalifornisches Unternehmen, hat das erste Elektroauto mit modernen Batterien auf den Markt gebracht. Daimler beteiligt sich an Tesla um den Fuß in die Tür zu bekommen. Alle großen Automobilhersteller versuchen gegenwärtig auf den Zug aufzuspringen, entwickeln Hybridlösungen und kooperieren mit neuen Akteuren wie Batterieherstellern und Elektrizitätskonzernen. Bahnbrechende Innovationen entstehen selten aus etablierten Geschäften, weil sie ein radikal anderes Geschäftsmodell erfordern. Apple hat mit der iPod/iTunes-Kombination gezeigt, dass sich mit einem neuen Geschäftsmodell auch in einer durch Raubkopien niedergehenden Branche Erfolge erzielen lassen (vgl. Christensen et al. 2009) Das Unternehmen erzielt sein Wachstum vor allem aus disruptiven Innovationen (vgl. Kap. 3.2.3), gehört damit allerdings zu den Ausnahmen, die sich bekanntlich nicht verallgemeinern lassen. Innovation mit Augenmaß (Innovation at Scale), wiederholbares und nachhaltiges Wachstum durch die Weiter- und Neuentwicklung von Produkten und Dienstleistungen, ist eine Alternative (vgl. Capozzi et al. 2012). Innovation, Wachstum und Risikobereitschaft sind prägende Ziele bei bahnbrechenden Innovationen – nicht Kosten, Gewinn und Effizienz (vgl. O’Reilly III & Tushmann 2004). Da-
248
4 Organisationsgestaltung
durch entsteht ein Spannungsverhältnis zwischen Innovation und Effizienz, das auszutarieren ist (vgl. Praxisbeispiel 3 M). Als strategische Ziele zur beidhändigen Steuerung des Forschungs- und Entwicklungsbereichs bieten sich an Wachstum, Innovation, Betriebssicherheit und Effizienz (vgl. McCarthy & Gordon 2011). Lose und flexible Organisationsformen sind gut für neue Ideen, aber weniger dafür geeignet, diese umzusetzen. Kreative lassen sich nicht in feste Bahnen zwingen. Neue Geschäfte haben ein paradoxe Eigenschaft: Bahnbrechende Innovationen wie erneuerbare Energien, das Online-Banking oder das mobile Internet können von Neugründungen (Start-Ups) regelmäßig nicht bewältigt werden, weil Finanzmittel, Technologien, Wissen und Marktmacht des großen Unternehmens fehlen. Auf der anderen Seite entstehen neue Geschäftsideen gerade schrittweise aus kleinen Aktionen, mit der dafür notwendigen Kreativität und Flexibilität (vgl. Buckland et al. 2003). Große Unternehmen müssen also auch klein sein, wenn sie Innovationen voranbringen wollen. Welche Anforderungen stellen sich daher an Strategieentwicklung und Organisationsgestaltung?
Praxisbeispiel: 3M – Spannung zwischen Innovation und Effizienz 3M, das Multi-Technologieunternehmen mit sechs Geschäftsbereichen, das seit 1902 innovative Produkte und Dienstleistungen entwickelt, konnte sich im Laufe der Zeit entscheidende Wettbewerbsvorteile aufgrund seiner Innovationsstärke sichern. Das Unternehmen, das sich selbst als Vorreiter bei der Entwicklung und Anwendung von Technologien bezeichnet, beabsichtigt wenigstens ein Drittel des Jahresumsatzes durch Produkte, die vor weniger als fünf Jahren auf dem Markt eingeführt wurden, zu erzielen. Aus diesem Grund werden Erfindungen und neue Technologien gezielt vorangetrieben. Oft wurde beschrieben, wie 3M das macht: kleine Einheiten, Förderung von Mitarbeiterinitiativen und Karrieremöglichkeiten, hohe Toleranz gegenüber Fehlern usw. Dennoch generierte 3M Mitte 2007 nur 25 Prozent des Umsatzes durch Produktneuheiten bei gleichzeitig geringeren Investitionen in Forschung & Entwicklung. Als ein möglicher Grund für diese Veränderungen wird die Einführung des Six-Sigma-Ansatzes unter der Führung des ehemaligen CEOs James McNerney gesehen. Six-Sigma ist eine Methode des Qualitätsmanagements zur Optimierung der Prozesse und Effizienzsteigerung, die insbesondere durch die Erfolge bei General Electric Beachtung erlangte. Allerdings besteht bei innovativen Unternehmen wie 3M ein Spannungsverhältnis zwischen Effizienzvorteil und Innovation. Da Six Sigma vorwiegend der Beschreibung, Messung, Analyse, Verbesserung und Überwachung der Geschäftsprozesse dient, bleibt die Förderung von Innovationen oftmals auf der Strecke. Der spätere CEO George Buckley schien sich hingegen wieder auf die Stärken des Unternehmens zu besinnen und auf Wachstum und Innovation zu setzten, wobei er höhere Investitionen in F&E verspricht. Dennoch bleibt die kontinuierliche Verbesserung der Produkte, Prozesse und Dienstleistungen ein wichtiges Bestreben des Unternehmens. Buckley will damit beweisen, dass sich Effizienzsteigerung und Innovation nicht zwangsläufig ausschließen müssen. Ob er Recht hat, wird die Zukunft zeigen.
4.6 Innovationsmanagement
249
Fragen: 1. Beschreiben Sie das Spannungsverhältnis zwischen Innovation und der Effizienzsteigerung! 2. Sehen Sie hierbei einen Unterschied zwischen weiterentwickelnden und bahnbrechenden Innovationen? 3. Denken Sie, dass Effizienzsteigerung und Innovation miteinander zu vereinbaren sind? Quellen: Jones, G.R.: Organizational Theory. Upper Saddle River 2007; Ireland, R.D. et al.: Strategic Management. Cengage, Mason Ohio 2009; http://solutions.3mdeutschland.de.
Neue und traditionelle Geschäfte haben völlig unterschiedliche Geschäftssysteme, Organisationsformen und -kulturen. Für bahnbrechende Innovationen sind folgende Bereiche der Strategieentwicklung und Organisationsgestaltung relevant, zwischen denen Wechselwirkung besteht: Strategien: Verantwortung, Wert und Wertesystem festlegen (vgl. Kap. 2), Geschäftsmodell an einem einzigartigen Kundennutzen (Customer Value Proposition) ausrichten, Aktivitätssystem und Ressourcenbasis (Kap. 3) und Organisation (Kap. 4) abstimmen. Zur Innovationsorganisation gehören insbesondere: Strukturen: Separierung und Integration austarieren. Bei Toyota, BMW und Volkswagen werden heute sogenannte Schwergewichts-Produktmanager und -Teams für die Entwicklung neuer Automodelle eingesetzt, während in der Automobilindustrie früher Funktionen wie Beschaffung, Produktion und Absatz lediglich koordiniert wurden (Leichtgewichts-Produktteams) (vgl. Kap. 4.3.1). Für neu entstehende Geschäfte kann es zweckmäßig sein, nicht nur Projektteams, sondern eine separierte Geschäftseinheit (New Venture Division) einzurichten, die von der Zentrale geführt wird und mit eigenen Finanzmitteln ausgestattet wird (New Venture Funds) (vgl. Praxisbeispiel Procter & Gamble). DuPont, 3M und Hewlett Packard nutzen „Internal New Venturing“, um in neue, oftmals verwandte Geschäftsfelder vorzustoßen. Mosanto stieg 1979 in die damals noch unentwickelte Biotechnologie über eine „New Venture Division“ ein. Heute hat Mosanto in den USA eine marktbeherrschende Stellung bei gentechnisch verändertem Saatgut. Prozesse: Den Innovationsprozess definieren, Ideen aufnehmen, Konzepte ausarbeiten, Projekte auswählen, die Entwicklung beginnen (Prototypen), über die Produktion bis hin zur Markteinführung. Ideennetzwerke und die fachübergreifende Zusammenarbeit fördern (Verbesserungsteams, Cross-Functional Teams). Ciba Geigy führt einmal jährlich eine Ideenbörse durch, bei der ausgefallene Ideen gesammelt und bewertet werden. Menschen: Freiräume zur Entfaltung von Kreativität und Experimentierlust schaffen. Fehler tolerieren. Der haftende Notizzettel (Post-it Notes) ist beim amerikanischen Unternehmen 3M nur entstanden, weil das Unternehmen den Mitarbeitern 15 Prozent von ihrer Arbeitszeit dafür einräumt, an eigenen Projekten zu arbeiten. Ähnlich ist es bei Apple und Microsoft. Akquisition und Kooperation: Die Zusammenarbeit mit Kunden und Partnern fördern. Beispiele für Innovationen durch interne Zusammenarbeit sind der TDI-Motor, das Doppelkupplungs-Getriebe und die elektromechanische Lenkung, die von VW-Geschäftseinheiten entwickelt wurden. Ein Beispiel für eine Innovation durch externe Zusammen-
250
4 Organisationsgestaltung
arbeit ist das inhalierbare Insulin, bei dem Inhale (Idee), Hoechst (Biotechnologie) und Pfizer (Finanz- und Marktmacht), beteiligt waren, das allerdings später wieder vom Markt genommen wurde. Performance Management: Wertorientierte finanzielle Steuerungsgrößen überprüfen, nicht-finanzielle Steuerungsgrößen entwickeln. Die üblichen, wertorientierten Investitionsrechenverfahren (vgl. Kap. 2.2) wirken als „Innovationskiller“, wenn der geplante Wert einer Innovation mit dem Wert verglichen wird, wenn man nichts tut. Letzterer wird bei unterlassenem Wandel sinken (vgl. Christensen et al. 2008). Timing: Sich für eine Pionier- oder Folgerstrategie entscheiden, etwa bei der Wahl des Markteintrittszeitpunkts. Beide Strategien haben Vor- und Nachteile, allgemein gültig lässt sich nicht bestimmen, was besser ist. Netscape war Innovator bei Internet-Browser, Microsoft als Folger war der Gewinner. Polaroid war Innovator und Gewinner bei der Sofortbildkamera, Kodak konnte nicht aufschließen. Allerdings gerät Polaroid in Vergessenheit, weil es dem Unternehmen nicht gelang, bei der digitalen Revolution im Geschäft zu bleiben.
4.6.3
Interaktion im Netzwerk
In einer Netzwerkorganisation kooperieren Akteure mit dem Ziel, eine Win-Win Situation zu erreichen (vgl. Kap. 3.3). Sogar Konkurrenten arbeiten zusammen, etwa bei der Entwicklung eines neuen Automodells oder zur Durchsetzung eines Softwarestandards. Wenn zwischen Herstellern und Zulieferern eine Partnerbeziehung und nicht nur eine distanzierte Marktbeziehung besteht, ist auch die interaktive Zusammenarbeit im Innovationsnetzwerk intensiv. Der Endkonsument erkennt in der Regel nicht, dass das Produkt ein Ergebnis gemeinsamer Innovationsleistungen ist. So wird etwa bei Porsche 911 nur ein Fünftel der Wertschöpfung vom Hersteller erbracht, der Rest kommt von den externen Lieferanten (vgl. Abb. 4.21). Gute Beziehungen der Hersteller zu ihren Zulieferern zahlen sich aus. 2012 gehört hierbei nach BMW auch Porsche zur Spitzengruppe noch vor Mercedes, Jaguar/LandRover und Toyota (Fini 2012).
Abb. 4.21
Zulieferer des Porsche 911 (Automotive News Europe 2012, Nr. 1)
4.7 Change Management
251
Durch die Einbettung des Unternehmens in ein Geflecht von Beziehungen – zu den Lieferanten, Mitarbeitern, Händlern, Kunden usw. – entstehen Innovationsnetzwerke. Vorhandenes Wissen wird mit externem Wissen rekombiniert, um das Problem der lokalen Suche zu überwinden. Dieses wird als Tendenz beschrieben, „zunächst (und oft nur) in einem lokalen Umfeld (geographisch und disziplinär bzw. funktional) nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen“ (Reichwald & Piller 2009, S. 146). Open Innovation ist eine weitere Stufe verteilter Problemlösungsprozesse, bei dem ein offener Aufruf an eine große, undefinierte Masse von Akteuren (Crowdsourcing) gestartet wird, um ein Netzwerk von Lieferanten-, Mitarbeiter- oder Kundenbeziehungen zu entwickeln. Wesentliches zu dieser interaktiven Wertschöpfung wurde bereits im Kap. 3.3.4 gesagt und mit den Praxisbeispielen IBM, MiAdidas, InnoCentive, Procter & Gamble, u.a.m. illustriert. Eine Darstellung der Wettbewerbsvorteile von Open Innovation und der Motive für Kunden und externe Problemlöser, sich zu beteiligen, sowie einige Instrumente finden sich in Reichwald & Piller (2009, S. 115 ff.). Dabei besteht die Lead-User-Methode aus der Identifikation innovativer Anwender und deren Einbindung durch Innovationsworkshops. Toolkits sind ein internetgestütztes Instrument, das Nutzer unterstützen soll, selbst ihre Bedürfnisse in neue Produktkonzeptionen zu übertragen. Innovationswettbewerbe und Communities für Open Innovation sind weitere Instrumente. Die engen Bezüge zur interaktiven Wertschöpfung durch die Individualisierung der Produkte und Mass Customization (vgl. Kap. 3.1.2) sind nicht zu übersehen.
4.7
Change Management
Die Entwicklung der Anpassungsfähigkeit der Organisation in einer zunehmend komplexen und dynamischen Umwelt ist die Aufgabe des Veränderungsmanagements (Change Management). Dessen Instrumente setzen sowohl an den Strukturen, Abläufen und Spielregeln an, den sogenannten harten Faktoren, als auch an Einstellungen und Verhalten der Menschen, den weichen Faktoren. Adressat der Maßnahme (Intervention) ist dabei der Einzelne, die Gruppe, das Unternehmen und die relevanten Umwelten des Unternehmens. Teams, Profitcenter sowie Projektstrukturen beispielsweise verändern eher die harten Faktoren auf Gruppenebene. Maßnahmen der Organisationsentwicklung etwa durch die Rückkopplung von Mitarbeiterbefragungen (Survey Feedback), Leitbildentwicklung und die gezielte Beeinflussung der Unternehmenskultur sollen eher die weichen Faktoren der Einstellung und des Verhaltens auf Unternehmensebene verändern (vgl. Doppler & Lauterburg 2008). Mit diesen Themen haben wir uns bereits auseinandergesetzt, zu klären ist noch, welche Gefahren bei Restrukturierungsmaßnahmen bestehen und wie Widerstand gegen Wandel bewältigt werden kann.
4.7.1
Gefahren der Strategieumsetzung
Eine geniale Strategie reicht nicht aus, um erfolgreich zu sein. Unternehmen scheitern bei der Strategieumsetzung, weil sie unmittelbar mit Restrukturierungen beginnen. Die Umsetzung der Strategie sollte mit der Klärung der Entscheidungsrollen und des Informationsflusses
252
4 Organisationsgestaltung
beginnen. Dann zeigt sich auch, welche Strukturen richtig sind. Dies ist das Ergebnis einer Untersuchung von Neilson et al. (2008), das auch von einer Studie der Unternehmensberatung Bain & Company gestützt wird. Bei weniger als ein Drittel von 57 Reorganisationen zwischen 2000 und 2006 wurde die Leistung gesteigert, die meisten hatten keinen Effekt oder haben sogar Wert vernichtet. Chrysler beispielsweise wurde vor der Insolvenz und der Übernahme durch Fiat in drei Jahren gleich dreimal reorganisiert. Organisationsstrukturen erhöhen die Leistungsfähigkeit von Unternehmen nur, wenn Entscheidungen dadurch besser, schneller und effizienter werden (vgl. Blenko et al. 2010). Routineentscheidungen sind noch mit den geringsten Problemen verbunden, anders ist es bei Entscheidungen unter Unsicherheit (vgl. Kap. 2.5). Mehrdeutige Entscheidungen, die im vorliegenden Buch im Vordergrund stehen, wie die Abwägung zwischen Markt- versus Ressourcenorientierung, Reaktionsfähigkeit versus Synergie, Wettbewerb versus Kooperation sowie Funktion versus Funktion sind ein besonderer Engpass. Rogers & Blenko (2006, S. 57) illustrieren diesen Engpass am Beispiel der ungeklärten Verantwortung zwischen Produktentwicklern und Marketingleuten bei einem Automobilhersteller. Auf die Frage: „Wer hat zu entscheiden, welche Produkteigenschaften zur Standardausstattung gehören?“ entgegneten 64 Prozent der Entwickler: „Wir“. 83 Prozent der Marketingleute sagten: „Wir“. Auch bei der Frage: „Wer entscheidet, welche Farben angeboten werden?“ fühlten sich 77 Prozent der Entwickler als zuständig, aber auch 61 Prozent der Marketingleute. Es war nicht überraschend, dass die neuen Modelle sich verspäteten. Für eine wirksame Strategieumsetzung ist daher die Stärkung der Entscheidungsorientierung in der Organisation zu empfehlen. Zu einer Decision-Driven Organization gehören nach Blenko et al. (2010, S. 61) sechs Schritte:
Identifizieren Sie die Schlüsselentscheidungen in Ihrer Organisation. Bestimmen Sie an welcher Stelle Ihrer Organisation diese Entscheidungen fallen sollten. Organisieren Sie die Makrostruktur nach den Wertschöpfungsquellen. Finden Sie heraus, welchen Verantwortungsbereich die Entscheider in der Struktur brauchen. Stimmen Sie damit andere Elemente des Organisationssystems ab, wie das Anreizsystem, den Informationsfluss und die Prozessabläufe. Unterstützen Sie Manager dabei, Fähigkeiten und Verhaltensweisen zu entwickeln, um Entscheidungen schnell und gut durchzuführen. Faktenbasiertes Management (Evidence Based Management) kann dazu beitragen, das Gewicht intuitiver Entscheidungen zu verringern (vgl. Pfeffer & Suton 2007). Amazon und Google, die sogenannten Born Digitals, entwickeln ihr Geschäft auf der Grundlage großer Datenmengen über das Nutzerverhalten der Kunden. Die Übertragung dieses Big Data Prinzips auf andere Branchen kann nach McAffee & Brynjolfsson (2012) die Leistungsfähigkeit der Unternehmen erhöhen und eine Managementrevolution auslösen. Benötig werden dazu aber nicht nur die erforderlichen Kompetenzen und Technologien, sondern auch eine veränderte Entscheidungskultur, denn die Uneinsichtigkeit eines dominanten HIPPOs (HighestPaid Person’s Opinion) kollidiert mit faktenbasiertem Management.
4.7 Change Management
253
Eine Checkliste zur Überprüfung von Entscheidungen ist nützlich (vgl. Praxisbeispiel). Je nach Persönlichkeit und Funktion, je nach Teamprozess (vgl. Kap. 4.5.4) und Entscheidungsmethode, je nach Konsens oder Konflikt ergeben sich unterschiedliche Rollen der Entscheidungsträger. Eine Methode, die sich am Anfang eines Entscheidungsprozesses anbietet, ist das Brainstorming, die interaktive Entwicklung von Ideen, wie verrückt sie auch immer sein mögen. Eine rigorose Debatte unterschiedlicher Standpunkte kann gefördert werden, indem Gruppenteilnehmer die Rolle des Advocatus Diaboli einnehmen. Die Gefahr des Groupthink-Phänomens kann damit vermindert werden (vgl. Daft 2010). Oft nimmt man auch Fehlentscheidungen in Kauf und greift zur „Quick and Dirty“ Entscheidung, um die Sache zum Abschluss zu bringen. Dabei ist auch der Rat, was man nicht tun sollte, zu beachten. Verluste zu vermeiden kann manchmal sinnvoller sein, als die mit den erwarteten Gewinnen verbundenen Risiken einzugehen. Auch Schachgroßmeister konzentrieren sich darauf Fehler zu vermeiden, Anfänger versuchen zu gewinnen (vgl. Kap. 2.5). Konstruktive Konflikte sind sinnvoll, aber nicht immer erreichbar. Weitere Hinweise zu den Themen Macht, Konflikt und Verhandlung finden sich in Jones (2007), Fisher et al. (2009), Hellriegel & Slocum (2009) sowie Macharzina & Wolf (2010).
Praxisbeispiel: Entscheidungen auf dem Prüfstand Betrachten Sie die letzten drei bedeutenden Entscheidungen, an denen Sie beteiligt waren und stellen Sie sich folgende Fragen: 1. 2. 3. 4. 5.
Waren die Entscheidungen richtig? Wurden sie angemessen schnell getroffen? Wurden sie gut ausgeführt? Wurden die richtigen Leute einbezogen, in der richtigen Art und Weise? War bei jeder Entscheidung klar: – Wer wird eine Lösung vorschlagen? – Wer liefert Input? – Wer hat das letzte Wort? – Wer ist verantwortlich für die Durchführung? 6. Wurden die Entscheidungsrollen, der Prozess und der Zeitrahmen respektiert? 7. Beruhten die Entscheidungen auf den geeigneten Fakten? 8. In welchem Umfang gab es abweichende Fakten oder Meinungen; war klar, wer entscheidet? 9. Hatten die Entscheider die angemessene Stellung in der Organisation? 10. Bewertet und motiviert die Organisation die Beteiligten, um die richtigen Entscheidungen zu treffen? Quelle: Rogers, P. & Blenko, P.: Who Has the D? How Clear Decision Roles Enhance Organizational Performance. In: Harvard Business Review 2006, Januar, S. 53–61.
4.7.2
Widerstand gegen Wandel
Erfolg macht blind? Nicht unbedingt. Microsoft wurde mächtig mit Windows und Office, kam aber zu spät bei Suchmaschinen und mobilen Anwendungen. IBM hat den Übergang
254
4 Organisationsgestaltung
vom Großrechner zum PC verschlafen, die Internetrevolution aber nicht. Ursachen für Widerstand gegen Wandel liegen in den Strukturen, Prozessen und Kulturen der Organisation, aber auch in begrenzten Ressourcen, irreversiblen Investitionen und Vereinbarungen zwischen Organisationen (vgl. Hellriegel & Slocum 2009). Das Volkswagen-Werk in Wolfsburg gilt aus heutiger Sicht als zu groß – dies ist aber kaum zu ändern, weil die Kosten „versunken“ sind (Sunk Costs). Das Management möchte vielleicht Personal abbauen – Verträge zur Beschäftigungssicherung hindern es daran. Widerstand gegen Veränderungen entsteht auch aus menschlichem Verhalten (vgl. Kotter 1995; Daft 2010): Eigeninteressen der Mitarbeiter. Menschen lehnen Wandel ab, wenn sie glauben, dass dieser im Gegensatz zu ihren eigenen Interessen steht. Veränderungen der Strategie, Organisation oder Technologie können zu tatsächlichen oder wahrgenommenen Nachteilen bei Arbeitsbedingungen, Bezahlung, Ansehen und Macht führen. Mangelndes Verständnis und Vertrauen. Wenn bereits vorige Initiativen im Sande verlaufen sind oder sich bereits eine Misstrauenskultur etabliert hat, kann Widerstand erwartet werden, wenn ein vorgeschlagener Kurs erneut verfolgt werden soll. Unsicherheit. Nicht ausreichende Informationen über zukünftige Ereignisse können sich, individuell verschieden, als Angst vor dem Unbekannten niederschlagen. Widerstand entsteht auch, weil Menschen befürchten, dass sie nicht in der Lage sind, die geforderten neuen Qualifikationen und Einstellungen zu erwerben. Unterschiedlichen Bewertungen und Ziele. Dies ist häufig der Fall zwischen Funktionen und Bereichen. Wenn die Damen und Herren von der Geschäftsführung etwas vorschlagen, wird dies von den Leuten vom Vertrieb und den Männern und Frauen aus der Produktion unterschiedlich bewertet. Das Marketing achtet darauf, dass ein Produkt oder eine Dienstleistung beim Kunden ankommt, im Betrieb geht es darum, dass die Produktivität, die Qualität und die Zeit, um ein Produkt auf den Markt zu bringen (Time to Market), stimmen. Von Kurt Lewin, der 1933 vor den Nationalsozialisten in die USA fliehen musste und zu den bedeutendsten Psychologen des vergangenen Jahrhunderts zählt, stammen wichtige Beiträge zur Erforschung und zum Umgang mit Widerstand gegen Veränderungen (vgl. ders. 1963). Mit der Kräftefeld-Analyse (Force-Field Analysis) wird analysiert, welche Kräfte angestrebte Veränderungen antreiben und welche beschränkend entgegenwirken. Dadurch entsteht ein Gleichgewicht, das durch die Beeinflussung der Kräfte verändert werden kann. Betroffene sollten beteiligt, Gewohnheiten in einer Schrittfolge von Auftauen-VerändernStabilisieren bearbeitet werden. Diese Überlegungen gehören heute zur modernen Managementlehre: Auftauen (Unfreezing). Zunächst wird die Dringlichkeit der Situation kommuniziert und die Bereitschaft für neue Ideen geweckt. Verändern (Moving). Dann wird eine machtvolle Koalition derer geschmiedet, die die Veränderung wollen, und eine Vision verbreitet. Andere werden ermächtigt, die Vision umzusetzen. Stabilisieren (Refreezing). Geplante kurzfristig wirksame Erfolge und andere Maßnahmen zur Stabilisierung sollen den Rückfall in alte Gewohnheiten vermeiden.
4.7 Change Management
255
Widerstand entsteht aber nicht nur aus vertrauten Gewohnheiten und Angst vor dem Unbekannten, sondern auch aus unterschiedlichen Interessen und Zielen. Lufthansa beispielsweise hat Anfang der 1990er Jahre systematisch Methoden des Change Managements eingesetzt (vgl. den Einstiegsfall zu Kap. 1). Zuerst wurde die Dringlichkeit dadurch hervorgehoben, indem die stolze Lufthansa zum Sanierungsfall erklärt wurde, dann mit der Beteiligung von Sanierungsgruppen die Veränderung umgesetzt. Dazu gehörte auch die Verständigung zwischen relevanten Anspruchsgruppen aus Management, Anteilseignern und Arbeitnehmervertretungen, die schließlich in Vereinbarungen mündeten. Auch bei Vattenfall Europe, einem der größten Energieversorger in Deutschland, der 2001/2002 aus dem Zusammenschluss von Bewag, HEW, Laubag und VEAG entstand, war die Einigung mit den Arbeitnehmervertretungen auf einen Rahmen-Interessenausgleich ein Meilenstein für die Umsetzung einer neuen Konzernstruktur (vgl. Friedrichs et al. 2009). Neben Lewins Kräftefeld-Methode werden daher je nach Situation und Art des Widerstands unterschiedliche Veränderungsstrategien angewendet (vgl. Daft 2010): Weiterbildung und Kommunikation dient dazu, Mitarbeiter durch Informationen auf den Wandel vorzubereiten. Neben der Vorbereitung auf konkrete Maßnahmen gehört dazu auch die Weiterbildung auf Tagungen und Seminaren. Die Lufthansa School of Business beispielsweise hat ein Programm für die anspruchsvolle Klientel der oberen Führungskräfte entwickelt, an dem auch Systempartner wie Fraport, Flughafen München und Deutsche Flugsicherung teilnehmen (vgl. Klatt & Brantzen 2008). Damit werden neben der Weiterbildung zugleich soziale Netzwerke entwickelt. Ähnliches gilt auch für die Teilnahme von Betriebsräten an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen nach § 37.6 BetrVG. Beteiligung. Durch die Beteiligung der Betroffenen werden diese in den Veränderungsprozess eingebunden, zusätzliche Informationen gewonnen und Lernprozesse angestoßen. Neu ist die Nutzung von Social Networking Services (SNS) wie Facebook oder Twitter über private Zwecke hinaus. Im Iran haben im Juni 2009 so die Gegner der Regierung ihren Widerstand organisiert. Bei Accenture, IBM und SAP sind Mitarbeiter durch ähnliche Dienste über das Intranet inzwischen weltweit vernetzt und zeigen aktives Interesse daran, sich zu beteiligen (vgl. Richter et al. 2009). Verhandlung und Vereinbarung. Eine weitere Möglichkeit mit Widerstand umzugehen, sind Anreize und Zugeständnisse. Ein Beispiel dafür sind in Europa die Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern (Pacts for Employment and Competitiveness, PECs ), bei denen Zugeständnisse bei Löhnen und Arbeitsbedingungen durch Beschäftigungssicherung ausgeglichen werden. Zwang und Manipulation. Während die ersten drei Methoden zeitraubend sein können, sind Zwang und Manipulation risikoreich, weil sie die Menschen nicht mitnehmen. Den Zusammenschluss von Hoechst und Rhône-Poulenc sowie von Daimler und Chrysler beispielsweise haben Mitarbeiter und Aktionäre überraschend erst bei der Umsetzung erfahren. Die amerikanischen Professoren Kotter & Schlesinger (1979) empfehlen deshalb, eine jeweils passende Strategie für Veränderungen zu wählen. Wenn es schnell gehen muss, wird empfohlen klar zu planen, Wenige einzubeziehen und alles zu tun den Widerstand zu über-
256
4 Organisationsgestaltung
winden. Lässt die Lage mehr Zeit zu, wird man am Anfang nicht perfekt planen und Viele mit dem Ziel einbeziehen, den Widerstand zu minimieren. Dieses Kapitel begann mit der Feststellung, dass eine Organisation mehr umfasst, als ihre hierarchische Struktur. Darüber hinaus sind Prozesse, Projekte, Menschen und Kulturen für die Leistungsfähigkeit von Organisationen relevant. Dies zeigte sich insbesondere bei den Themen Innovations- und Change Management. In aktuellen Konzepten zum Prozessmanagement und der entscheidungsorientierten Organisation verlieren die Strukturen den „Platz in der ersten Reihe“, ja sie werden sogar nachrangig. Aber von einem „Jenseits der Hierarchien“, das Tom Peters bereits 1993 ausgerufen hat, kann keine Rede sein. Das zeigt sich auch im folgenden Kapitel, welches von den speziellen Fragen der internationalen Unternehmensführung handelt.
Zusammenfassung
257
Zusammenfassung 1. Die Unternehmensleistung hängt nicht nur von der Strategie ab, sondern auch von deren Umsetzung in der Organisation. Das Organisationssystem eines Unternehmens besteht aus der Struktur (der Anatomie), den Prozessen (der Physiologie) und der Kultur (der Psychologie). Die Aufgabe der Organisationsgestaltung ist es diese verschiedenen Bereiche, auch im Hinblick auf anstehende Veränderungen, zielgerichtet zu entwickeln und dabei deren Wechselwirkungen nicht aus den Augen zu verlieren. Führung versus Selbstorganisation sind dabei die strategischen Perspektiven. 2. Bei der multidivisionalen Struktur, die bei diversifizierten Unternehmen die funktionale Struktur ablöst, werden eigenverantwortliche Geschäftseinheiten gebildet, die als Profitcenter nicht mehr nur hierarchisch, sondern auch über interne Märkte (Verrechnungspreise) koordiniert werden. Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass Zentralbereiche (Corporate Headquarters Staff) gebildet werden, die die oberste Unternehmensleitung (Corporate Manager) darin unterstützen, die Aktivitäten der Geschäftsbereichsleiter (Divisional Manager) zu überwachen und strategisch zu führen. 3. Bei der Führung im Konzern sind rechtliche Einheiten (Legal Entities) und Leitungsstrukturen zu unterscheiden. Ein Stammhauskonzern kann in eine dezentrale Holdingstruktur umgebaut werden, ohne die Rechtsstrukturen anzutasten. Das ist beispielsweise relevant für Mitbestimmungsstrukturen, die an den rechtlichen Gestaltungen ansetzen. 4. In einem turbulenten und komplexen Umfeld steigt die Unsicherheit. Veränderungen bei Produkten, Märkten und Technologien erfordern mehr Koordination durch Teams, Projektmanager und Informationsaustausch auf gleicher Ebene. Sekundärstrukturen, veränderte Koordinations- und Kontrollmechanismen sowie die Prozessorganisation gewinnen an Bedeutung. 5. Neben den bekannten Koordinationsmechanismen durch Hierarchieausübung und Selbstorganisation wird innerhalb des Unternehmens auch über organisatorische Routinen und Preise koordiniert. Durch Kontrollmechanismen, finanzielle Anreize, Beteiligung der Mitarbeiter und über Kulturen und gemeinsame Werte sollen interpersonelle Zielkonflikte überwunden werden. 6. Lean Management, Business Process Reengineering und Total Quality Management sind Managementkonzepte, die an der Prozessorganisation ansetzen. Allerdings scheinen die Technologie, dezentrale Strukturen oder Outsourcing weniger entscheidend zu sein, als der Vorrang der Organisationsprozesse vor den Strukturen und die Beteiligung der Menschen an den Entscheidungen. 7. Unter der Kultur eines Unternehmens versteht man die Werte, Normen und Symbolsysteme, die von den Mitgliedern einer Organisation geteilt werden. In anpassungsfähigen Unternehmenskulturen orientieren sich Manager an Kunden, Mitarbeitern und Prozessen, die nützlichen organisatorischen Wandel bringen. In nicht-anpassungsfähigen Kulturen sorgen sich Manager vor allem um sich selbst. Zwischen Organisationskulturen, -strukturen und prozessen besteht Wechselwirkung.
258
4 Organisationsgestaltung
8. Zu den Einflussgrößen der Organisationsgestaltung gehören die Bereiche Strategie, Umfeldeinflüsse, Technologie, Menschen und der Lebenszyklus des Unternehmens. Die traditionelle Auffassung von Chandler, dass die Struktur notwendig der Strategie folgt, wird heute bestritten. Die weitestgehende Kritik von Bartlett & Ghoshal geht davon aus, dass erfolgreiche Unternehmen heute stattdessen auf die Zwecke, Prozesse und Menschen des Unternehmens setzen. Dafür spricht, dass in einem turbulenten Umfeld organische Organisationsformen mechanischen überlegen sind. Weitere Einflussgrößen wie die Technologie und der Lebenszyklus der Organisation sind bei der Erklärung zu berücksichtigen. 9. Die Schwierigkeit für Manager etablierter Unternehmen bei Innovationen liegt in der Gratwanderung zwischen radikaler Innovation und Bewahrung des traditionellen Geschäfts.. Die Leistung einer Organisationseinheit ist umso höher, je mehr beide Seiten entwickelt und ausgewogen sind. Bahnbrechende Innovationen entstehen selten aus etablierten Geschäften, weil sie einen grundlegenden Wandel des Geschäftsmodells erfordern. 10. Change Management setzt sowohl an den Strukturen, Abläufen und Spielregeln an, den sogenannten harten Faktoren, als auch an Einstellungen und Verhalten der Menschen, den weichen Faktoren. Für eine wirksame Strategieumsetzung ist daher die Stärkung der Entscheidungsorientierung in der Organisation zu empfehlen. Die Kräftefeld-Analyse ist eine Methode, die bei Widerstand gegen Veränderungen angewendet wird, neben Strategien, die je nach Risiko und verfügbarer Zeit gewählt werden.
Fragen zur Diskussion 1. Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Strategie und Struktur einer Organisation? 2. Was spricht dafür, dass das Unternehmen eine Organisation hat, was dafür dass es eine Organisation ist? 3. Welche Wechselwirkungen bestehen zwischen Geschäftssystem und Organisationssystem? Erläutern Sie dies an einem Beispiel! 4. Warum sind Organisationen mehr als Strukturen? 5. Inwiefern setzt strategischer Wandel an Strukturen und Prozessen aber auch an den Kulturen und Menschen an? 6. Was verstehen Sie unter indirektem Personalmanagement? 7. Was spricht für geplante Steuerung bei der Strategieumsetzung, was für die Selbstorganisation? 8. Inwieweit lässt sich die gewachsene Bedeutung des Prozessmanagements in den letzten Jahren mit Organisationstheorien erklären? 9. Was können etablierte Unternehmen tun, um sich auf bahnbrechenden Wandel vorzubereiten? 10. Sollte die Klärung der Entscheidungsrollen Priorität vor Restrukturierungsmaßnahmen haben? 11. Woraus kann Widerstand gegen Wandel entstehen und wie kann Wandel gestaltet werden?
5
Internationale Strategie und Organisation Grundlagen der Unternehmensführung
Umwelt
Strategien
Organisationsgestaltung Internationale Strategie und Organisation
Unternehmensleistung
Ziele
Internationale Strategie und Organisation
Abb. 5.1
Kapitelübersicht
Im fünften Kapitel erfahren Sie: Wie Unternehmen Chancen und Risiken des internationalen Wachstums identifizieren können, welche Formen des Markteintritts möglich sind und wie die Risiken kontrolliert und Ergebnisse erzielt werden können. Dass die beiden strategischen Perspektiven globale Integration versus lokale Reaktionsfähigkeit die wichtigsten Orientierungen für die internationale Strategie und Organisation sind. Welche Organisation zu einer zugleich global als auch lokal orientierten Strategie passt. Was den Wandel im internationalen Kontext antreibt und welchen Stellenwert darüber hinaus Managementprozesse sowie Landeskulturen haben und welche Herausforderungen für das internationale Personalmanagement sich daraus ergeben.
260
5 Internationale Strategie und Organisation
Überblick Als Lehmann Brothers, die viertgrößte amerikanische Investmentbank, am 15. September 2008 zusammenbrach, wurde eine weltweite Wirtschaftskrise ausgelöst, die bis heute zu spüren ist. „Lehmann hat bis zuletzt an seiner Hochrisiko-Strategie festgehalten und die Bücher in vielerlei Hinsicht geschönt“, kommentiert die Neue Zürcher am 3. April 2010 den späteren Untersuchungsbericht. Unternehmen beeinflussen die gesamtwirtschaftliche Entwicklung – manchmal sogar sehr, wie dieses Beispiel zeigt. Wie genau aber die Zusammenhänge sind und was zu tun ist, darüber streitet man. „Was die Weltwirtschaft angeht, so ist sie verflochten“, hat Kurt Tucholsky einmal gesagt – bis heute sind Konfusion und Unsicherheit nicht aufgelöst. Das gilt selbst für das Thema, um das es hier nur gehen kann: Strategie und Organisation Multinationaler Unternehmen vor dem Hintergrund der Globalisierung. Zur Globalisierung – ein Begriff, der geradezu inflationär verwendet wird – gibt es widerstreitende Auffassungen. Für „Hyper-Globalisten“ leben wir in einer grenzenlosen Welt, in der Nationalstaaten nicht mehr länger relevant sind. „Globalisierungs-Skeptiker“ halten, gestützt auf Statistiken entgegen, dass die Welt quantitativ vor dem ersten Weltkrieg offener und mehr integriert war als heute. Die Realität ist, dass Nationen, Regionen und Distanzen weiterhin einflussreich bleiben und dass es auf die Qualität der Globalisierung ankommt: „Heute leben wir in einer Welt mit tiefreichender Integration, organisiert vor allem in und zwischen geographisch umfassenden und komplexen globalen Produktionsnetzwerken“, hält Peter Dicken (2011, S. 7) dazu fest. „Eine wichtige Aufgabe ist deshalb“, so Dicken weiter, „einigen der grob fahrlässigen Globalisierungsmärchen entgegenzutreten:
Die Welt ist nicht flach (gegen Friedman). Die Welt ist nicht grenzenlos (gegen Ohmae). Globale Unternehmen beherrschen nicht die Welt (gegen Korten). Globalisierung ist nicht immer gut (gegen die neoliberalen Hyper-Globalisierer). Globalisierung ist nicht immer schlecht (gegen die Globalisierungsgegner).“
Zunächst ist es zweckmäßig, einige Begriffe zu klären. Internationale Unternehmensführung erfordert zunehmend, wie im Folgenden entwickelt wird, eine sowohl globale als auch lokale Orientierung. Als Antwort auf diese mehrdimensionale Herausforderung wird eine „transnationale Lösung“ (Bartlett & Ghoshal 1989) entwickelt. Danach wäre es nur konsequent, vom Transnationalen Unternehmen bzw. Management zu reden. In Anlehnung an den gängigen Sprachgebrauch verwenden wir stattdessen die Bezeichnung „Multinationales Unternehmen“ (MNU). Dahinter steckt die Absicht, den ermüdenden semantischen Streit darüber zu vermeiden, ob nun Internationales, Multinationales, Globales oder Transnationales Unternehmen bzw. Unternehmung bzw. Konzern die passenden Namen sind. Wir verwenden diese gleichbedeutend, unterscheiden aber bei den entsprechenden Orientierungen. Als Ausweg aus diesem Begriffschaos wird eine einfache Definition vorgeschlagen: Ein Multinationales Unternehmen (MNU) bzw. Multinational Enterprise (MNE) kontrolliert und koordiniert Operationen in mehr als einem Land. Nennenswerte Direktinvestitionen im Ausland und die strategische und organisatorische Integration der Operationen sind dazu
5 Internationale Strategie und Organisation
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erforderlich. Kooperationen gehören dazu, aber Export und Lizenzvergabe reichen nicht, um nach dieser Definition als MNU zu gelten. In den Studien der Vereinten Nationen findet sich heute eine ähnliche Definition, allerdings überwiegend die Bezeichnung „Transnational Corporation“. Wir folgen hier Bartlett & Beamish (2011, S. 2): „Because we use that term very specifically, we continue to define the general form of organizations with international operations as MNEs.“ Spannender sind Fragen, aber ebenfalls streitig, ob die „Multis“ heimat- und grenzenlos sind, ob sie nicht nur groß und gewinnträchtig, sondern auch gesellschaftlich verantwortlich sind und mit welchen Strategien sie international wachsen und ihre Aktivitäten organisieren. Von den 60.000 Multinationalen Unternehmen der Welt, die die Vereinten Nationen ermittelt haben, sind 80 Prozent der Direktinvestitionen den größten 500 zuzurechnen (vgl. UNCTAD 2007; Rugman & Collinson 2012). Diese kommen aus den USA, Westeuropa und Japan, aber zunehmend auch aus China und Südkorea. In vielen Branchen, wie etwa bei Haushaltsgeräten („Weiße Ware“), hat die Unternehmenskonzentration in den vergangenen Jahren zugenommen. Global Player, die ihre Waren in mehreren Ländern herstellen und verkaufen, gewinnen weiter an Gewicht (vgl. Carr & Liu 2009). Dazu gehören nicht nur Großunternehmen. Auch verhältnismäßig kleine, weniger bekannte Unternehmen, wie Hanni, Brita und Baader, können als „heimliche Gewinner“ (Hidden Champions) weltweite Nischenmärkte dominieren (vgl. Simon 2012). Die Anforderungen, um im Ausland erfolgreich tätig sein zu können – über große Entfernungen hinweg und mit den unterschiedlichsten politischen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Bedingungen –, wirken wie eine Hürde, die von der Heimatbasis ausgehend überwunden werden muss. Diese Eintrittsbarrieren sind nach Land und Branche unterschiedlich. Herkömmlich geht man deshalb davon aus, dass Unternehmen einen schrittweisen Reifeprozess durchlaufen müssen – aber es gibt auch Unternehmen, insbesondere in Hochtechnologiebranchen, die aus dem Stand international auftreten, die sogenannten Born Globals. Moderne Informations- und Kommunikationsmittel wie das Internet, die Luftfahrt und der Containertransport beschleunigen generell die Globalisierung. Die neuen Möglichkeiten Multinationaler Unternehmen, ihre Produktion über Landes- und Organisationsgrenzen hinweg zu verschieben, hat das Kräfteverhältnis zuungunsten der Akteure verändert, die bisher diesen Aktionsradius nicht entwickelt haben: Regierungen, Arbeitnehmervertretungen und andere Nicht-Regierungsorganisationen (vgl. Dörrenbächer & Becker-Rittersbach 2009). Sind Unternehmen in dieser neuen Weltordnung nicht länger mehr an die Wirtschaftsbedingungen und die Politik des Landes gekoppelt, in dem sie ihren Sitz haben? Wie soll sich ein Unternehmen vor diesem Hintergrund ausrichten? Im vorliegenden Rahmen werden nur einige zentrale Fragen der Internationalen Strategie und Organisation angesprochen.13 Dabei wird wie üblich die Perspektive eines Unternehmens eingenommen, das international expandiert, nicht so sehr die andere Seite der Medaille: die Strategien der Unternehmen und ande-
13
Zu den Themen Internationales Management bzw. International Business werden als Vertiefung empfohlen: Bartlett & Beamish 2011; Dicken 2011; Holtbrügge & Welge 2010; Kutschker & Schmid 2011; Peng & Meyer 2011; Rugman & Collinson 2012.
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5 Internationale Strategie und Organisation
rer Akteure in den Zielländern. Zentrale Fragen der Internationalen Strategie und Organisation sind im Folgenden:
Wie lassen sich internationale Chancen identifizieren? Sollten Ressourcen und Produkte global standardisiert oder lokal angepasst werden? Was spricht für die globale Integration, was für die lokale Reaktionsfähigkeit? Welche Optionen der Internationalisierung sollten gewählt werden? Wie lassen sich Risiken begrenzen und managen? Wie lässt sich die Unternehmensleistung (Corporate Performance) im internationalen Maßstab messen und steuern? Welche Vor- und Nachteile hat eine Strategie, die sowohl die globale Integration nutzt, als auch die lokale Reaktionsfähigkeit? Ist eine Matrix-Organisationsstruktur, die die Produkt- und Regionalverantwortung kombiniert, die angemessene Antwort auf diese Strategie? Welche Bedeutung haben Organisationsprozesse und -kulturen in diesem Umfeld? Welche Herausforderungen entstehen dadurch für das internationale Personalmanagement?
Der Einstiegsfall IKEA zeigt, dass eine zu starke Orientierung am bisher erprobten und bewährten Erfolgspfad zu Fehleinschätzungen führen kann, allerdings auch die Überanpassung.
Einstiegsfall: Schwierige Anpassung – IKEA in Japan Die Medienkritik war heftig. „Frauen wegretuschiert“: Ikea hatte im Katalog für SaudiArabien alle Fotos von Frauen entfernt. Im Oktober 2012 entschuldigte sich der schwedische Möbelkonzern und räumte Fehler ein. Der Ausschluss von Frauen widerspreche den Werten der Unternehmensgruppe, teilte der Konzern mit. Die Anpassung an die lokalen Bedingungen war für IKEA bereits in Japan schwierig. Als IKEA im Jahr 1974 durch ein Joint Venture mit einem lokalen Partner in den japanischen Markt eintrat, erwartete der Konzern nicht, dass er sich bereits 1986 wieder aus dem diesem Markt zurückziehen würde. IKEA scheiterte vor allem aus folgenden Gründen: IKEAs begrenzte internationale Erfahrung und mangelhafte Vorbereitung, Konflikte zwischen den Joint-Venture-Partnern, Mangelndes Verständnis für die Bedürfnisse des japanischen Konsumenten. Tommy Kullberg, CEO von IKEA Japan, sagte dazu später: „Der japanische Markt und seine Verbraucher waren noch nicht reif für IKEA, und IKEA war zweifellos nicht reif für Japan.“ Seit der Gründung im Jahr 1943 ist IKEA mit seinen Selbstbaumöbeln zu einem der größten Möbelhersteller und -händler der Welt herangewachsen. Im August 2007 gehörten 231 selbstgeführte sowie zusätzlich 29 als Franchise-Unternehmen geführte IKEA Stores in 24 Ländern zum Weltkonzern, die mehr als 522 Millionen Besucher anlockten. Insgesamt beschäftigt IKEA 118.000 Mitarbeiter in 40 Ländern und erwirtschaftet dabei einen Umsatz von etwa € 19,8 Milliarden. Europa trägt als IKEAs Kernmarkt 82 Prozent zum Gesamtumsatz bei. Nordamerika liegt mit einem Anteil von 15 Prozent noch immer relativ
5 Internationale Strategie und Organisation
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weit vor der Region Asien mit nur 3 Prozent. Das Potenzial der Region ist noch nicht ausgeschöpft. Neben der Fähigkeit kostengünstig zu operieren ist für IKEA seine schwedische Identität wichtig. Dazu gehört das schwedische Möbeldesign, die typischen IKEA-Farben (blau und gelb), die die schwedische Nationalflagge repräsentieren, sowie die schwedischen Spezialitäten, die im Restaurant und dem IKEA-Shop angeboten werden. Bereits fünf Jahre nach der Eröffnung des ersten IKEA Stores hat der Konzern mit der Aufnahme seiner internationalen Aktivitäten begonnen. Zunächst wurden Märkte in unmittelbarer Nähe anvisiert wie z.B. Norwegen und Dänemark, die große Ähnlichkeiten zum Heimatmarkt Schweden aufweisen. Mit zunehmender Sättigung der skandinavischen Märkte hat sich IKEA dann der Erschließung des restlichen Europas zugewandt und im Jahr 1973 den Markteintritt in der Schweiz sowie im darauf folgenden Jahr in Deutschland gewagt. Nach Erschließung der wichtigsten europäischen Märkte verlagerte sich der Schwerpunkt auf entferntere Regionen wie Nordamerika und Asien. Die internationale Expansion erfolgt meist phasenweise und durch unternehmenseigene Filialen. Dementsprechend etabliert IKEA zunächst nur einen einzigen Store bevor die Ausbreitung in der Region erfolgt. Vor dem Eintritt in den japanischen Markt hatte IKEA kaum Erfahrung mit wesentlich unterschiedlichen Marktbedingungen sammeln können, da die meisten der bearbeiteten Märkte große Ähnlichkeiten zum Heimatmarkt aufwiesen. Aufgrund dessen unterschätzte der Konzern mögliche Gefahren sowie die Wichtigkeit einer gründlichen Marktforschung zur Vorbereitung des Markteintritts. In der Folge fehlte eine solide Informationsbasis, auf der angemessene Entscheidungen bezüglich der Internationalisierungsstrategie getroffen werden konnten. Die verfolgte „One-Design-Suits-All“-Strategie verhinderte zudem die notwendigen Anpassungen an die lokalen Bedingungen. Zur Reduzierung der Risiken und Unsicherheiten in Verbindung mit dem Eintritt in den fremden Markt entschied sich IKEA für ein Joint Venture mit einem einheimischen Unternehmen. Der Partner bezweifelte allerdings von Beginn an die erfolgreiche Umsetzung des IKEA-Konzeptes, was zahllose Konflikte zwischen beiden Partnern zur Folge hatte. Während der gesamten zwölf Jahre, die IKEA in Japan operierte, gelang es dem Konzern nicht, den japanischen Konsumenten zu verstehen. Dieser gilt als einer der anspruchsvollsten und schwierigsten der Welt. Infolge dessen konnten die Produkte nicht ausreichend an den Geschmack und die Bedürfnisse der Käufer angepasst werden. Beispielsweise waren die Möbel einfach zu groß für die kleinräumigen japanischen Wohnungen. Nachdem sich außerdem die japanische Wirtschaft in einer Phase starken Wachstums befand, lag das Interesse der Konsumenten stärker auf dem Luxusgütersegment, wobei hohe Preise eine hohe Produktqualität signalisierten. Zudem erwarteten die Käufer ein äußerst hohes Service-Niveau in den Geschäften. Daher konnte das IKEA-Konzept in Japan insgesamt wenig Akzeptanz finden. Im Jahr 2006, also 32 Jahre nach dem ersten Versuch, IKEA in Japan zu etablieren, eröffnete der Möbelhersteller wiederum einen Store in Funabashi nahe Tokio. Mehr als 35.000 Besucher konnten am Eröffnungstag gezählt werden. Seit dem ersten Markteintritt hat sich jedoch einiges verändert – und zwar nicht nur bei IKEA sondern auch im externen Unternehmensumfeld. IKEA ist internationaler und offener geworden. Die Erfahrungen in anderen, zum Teil auch asiatischen Märkten konnte sich der Konzern zu Nutze machen. Vor
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5 Internationale Strategie und Organisation
dem Wiedereintritt in den japanischen Markt hat IKEA die Marktbedingungen gründlich untersucht, beispielsweise durch die Besichtigung von über 100 japanischen Haushalten. Die Besuche gaben Aufschluss über den japanischen Lebensstil sowie die durchschnittliche Wohnsituation. Ergebnis der Marktforschung ist eine auf „Small Space Living“ ausgerichtete Strategie. Es werden demgemäß also Möbel angeboten, die zu den kleinen Wohnungen der japanischen Konsumenten passen. Darüber hinaus begann IKEA schon im Vorfeld mit dem Aufbau von nachhaltigen Beziehungen zum politischen Umfeld in Japan. Insgesamt hat IKEA im japanischen Markt stärkere Anpassungen vorgenommen als in jedem anderen Land der Welt. Die Showrooms innerhalb der Einrichtungshäuser sind an die Größe eines typischen japanischen Zimmers angepasst. Die Größe der Möbel wurde reduziert, um besser in die kleinen Wohnungen zu passen. Einheimische Regelungen und Anforderungen an die Möbel wurden beachtet zum Beispiel in Bezug auf Erdbebensicherheit. Zur Verbesserung des Serviceniveaus bietet IKEA Liefer- und Aufbauservice an und generell ist mehr Servicepersonal im Store vorhanden. Trotzdem muss IKEA ein gewisses Maß an Standardisierung erhalten, um so die nötigen Größenvorteile zu generieren und die schwedische Identität zu bewahren. Nicht nur IKEA selbst, sondern auch das Unternehmensumfeld hatte sich inzwischen gewandelt. Japan ist zum weltweit zweitgrößten Einzelhandelsmarkt (Retail Market) herangewachsen. Zusätzlich erleichterte die Deregulierung des japanischen „Large-Scale Retail Store Law“ den Markteintritt großer Handelsunternehmen und hat so IKEA zum Wiedereintritt ermutigt. Darüber hinaus bietet das Wachstum im Immobilienmarkt und der Möbelbranche den Möbelhändlern steigende Chancen. Zudem zeichnet sich ein Trend hin zu einer höheren Wichtigkeit des eigenen Zuhauses ab: den Konsumenten scheint es wichtiger zu werden, Zeit zu Hause zu verbringen. Daher steigt das Interesse am Bereich Wohnen und Design. Außerdem ist nach einer Phase der wirtschaftlichen Rezession und der damit verbundenen ungünstigen Einkommensentwicklung zudem das Preisbewusstsein der japanischen Käufer gestiegen, und folglich werden preisgünstige Produkte stärker akzeptiert. Auch das Konzept des Selbst-Zusammenbauens findet verstärkt Zustimmung. IKEA selbst sah 2008 seine Zukunft in Japan weitgehend positiv und war überzeugt, dass der Konzern dauerhaft erfolgreich im japanischen Markt Fuß fassen kann. Drei neue Einrichtungshäuser sind in diesem Jahr eröffnet worden und bis 2011 sollten weitere zehn folgen. Damit sollte Japan in Zukunft IKEAs größter Markt sogar noch vor Deutschland werden. Experten waren allerdings geteilter Meinung bezüglich der Erfolgschancen des Möbelherstellers. Nach Angaben von IKEA gibt es 2012 in Japan fünf Stores. Wurde zu viel erwartet? Fragen: 1. Ist Ikea ein Multinationales Unternehmen? 2. Warum ist Ikea erst gescheitert und war dann erfolgreich? 3. Glauben Sie, dass die Fehler vermeidbar gewesen wären? Quellen: Lief, C.: IKEA: Past, present and future. IMD Case Study 4-0282, Lausanne 2008; Madhogaria, R. K: IKEA in Japan. ICFAI-Case Study Nr. 306-377-1, Bangalore 2006; Schmid, S.: Strategien der Internationalisierung. München/Wien 2006; IKEA-Geschäftsberichte; www.ikea.com/jp; www.spiegel.de, abgefragt am 20.10.12.
5.1 Strategien der Internationalisierung
5.1
265
Strategien der Internationalisierung
Die einzelnen Schritte des folgenden Prozessmodells der Internationalisierung (vgl. Abb. 5.2) sind: internationale Chancen identifizieren, die internationale Orientierung festlegen und Ressourcen und Produkte entwickeln, Optionen festlegen, sowie die Risiken kontrollieren und die Ergebnisse bewerten und gegebenenfalls umsteuern. Internationale Chancen identifizieren
Marktgröße Rendite Größen- und Lernvorteile Standortvorteile
Abb. 5.2
5.1.1
Ressourcen und Produkte entwickeln Internationale Orientierung
Optionen festlegen
Internationale Strategie
Markteintrittsstrategien:
Multilokale Strategie
- Zielmarkt
Globale Strategie Transnationale Strategie
Risiken kontrollieren
Managementprobleme und -risiken
Strategische Ergebnisse
Bessere Leistung
- Timing - Konfiguration - Koordination
Managementprobleme und -risiken
Innovation
Prozessmodell der Internationalisierung (nach Ireland et al. 2009, S. 213)
Chancen identifizieren
Chancen, die sich aus dem internationalen Unternehmenswachstum ergeben, sind (vgl. De Wit & Meyer 2010; Ireland et al. 2009): Marktgröße. Wenn die lokale Marktdurchdringung auf Grenzen stößt, kann der Eintritt in die internationalen Märkte neue Wachstumsmöglichkeiten eröffnen. Das Wachstum von IKEA über die schwedischen Grenzen hinaus ist dafür ein Beispiel. Auch Baukonzerne wie Bilfinger Berger und Holzmann haben Wachstum in den letzten Jahren vor allem im Ausland erzielt. Rentabilität. Branchen, die ein hohes Kapitalminimum für den Betrieb und die Forschung & Entwicklung erfordern, wie etwa die Pharmaindustrie, sind auf große Märkte für ihre Rentabilität angewiesen. Vorteile können erzielt werden durch die Fähigkeit, mit Kunden und Wettbewerbern umzugehen, die auch international aktiv sind. Ressourcen können in die Länder transferiert werden, in denen sie die höchsten Erträge bringen (Allokationseffekt). Größen- und Lernvorteile. Größen- und Verbundvorteile (Economies of Scale and Scope) lassen sich mit wachsender Marktgröße und internationaler Diversifizierung erreichen. Volkswagen, General Motors und Honda realisieren mit ihrer Produktion in China globale Größenvorteile. Durch den Austausch von Ressourcen und Wissen zwischen
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5 Internationale Strategie und Organisation
Geschäftseinheiten und Geschäftspartnern über nationale Grenzen hinweg werden Synergien realisiert. Insbesondere in der Automobilindustrie ist die Zusammenarbeit mit den Zulieferpartnern ein Wettbewerbsfaktor (vgl. Müller 2009b). Standortvorteile. Unterschiede bei den Kosten für Arbeitskräfte, Energie, Rohstoffe, die Nähe zu Kunden und Lieferanten, der Zugang zu Wissen und Kompetenzen sowie das politische Klima in den jeweiligen Ländern usw. sind Kriterien bei der Standortwahl (vgl. Zentes et al. 2004; Holtbrügge & Welge 2010). Dabei sind Vorteile mit Hürden und möglichen Risiken der Auslandstätigkeit jeweils abzugleichen (vgl. Praxisbeispiel Varta). Diese werden je nach Branche, etwa in der Automobilindustrie (vgl. Kinkel & Zanker 2007; Schmid & Grosche 2008) im Unterschied zu Dienstleistungen in der Informationstechnologie, anders aussehen. Aus der Standortnähe ergibt sich eine bessere lokale Reaktionsfähigkeit durch Fühlungsvorteile: Unterschiede der Marktstruktur, bei Kundenbedürfnissen, Vertriebskanälen, der Infrastruktur und den politischen Rahmenbedingungen werden aus der Nähe besser verstanden und es wird gelernt, damit umzugehen.
Praxisbeispiel: Varta Microbatterie – der Standort Deutschland wird wieder attraktiver Varta Microbattery GmbH ist einer der führenden Hersteller von Mikrobatterien. Das Unternehmen stellt immer leistungsfähigere und kleinere Batterien für medizinische Geräte wie Hörgeräte, aber auch für Handys, Notebooks und andere Kommunikationstechnologien her. Da die Konkurrenz weltweit im Bereich der Batterien immer mehr zunahm und Varta im Jahre 1993 erstmals keinen Gewinn erwirtschaftete, wurde die Produktionspalette vom traditionellen Kerngeschäft der Industrie-, Auto- und Gerätebatterien auf den viel versprechenden Zukunftsmarkt der Mikrobatterien reduziert. Somit wurde Varta nicht nur vom Großunternehmen zum Mittelständler, sondern verlagerte auch große Teile seiner Produktion von Ellwangen in der Schwäbischen Alb nach Singapur. Ein wichtiger Grund für das Outsourcing waren die niedrigen Lohnkosten und die Nähe zu asiatischen Kommunikationstechnologie-Herstellern. Eine Zeit lang wurden die erhofften Einsparungen erreicht, jedoch holte der technische Fortschritt Varta ein: Die Stückzahlen der Produktion mussten von 90 auf 500 Stück pro Minute erhöht werden. Die Produktionsstätte in Singapur war für einen solchen Output nicht ausgerüstet und hätte generalüberholt werden müssen. In der Produktion in Deutschland jedoch war eine dafür notwendige Hochgeschwindigkeitstechnologie nicht nur bereits entwickelt, sondern auch erfolgreich eingesetzt worden. Deshalb lag es nahe, auf Synergieeffekte der Produktion zu setzen: Varta holte kurzer Hand die komplette Produktion aus Singapur nach Deutschland zurück. Dadurch, dass Varta auf die bestehende Produktion und ihre Hochgeschwindigkeitstechnologie in Deutschland bauen konnte, konnte der Lohnkostenanteil an der Produktion in Deutschland um unter 15 Prozent gesenkt werden. Im Jahre 2011 erwirtschafteten die etwa 2.000 Mitarbeiter von Varta weltweit einen Umsatz von 126 Millionen Euro, wobei der Exportanteil bei 80 Prozent liegt. Doch Varta Microbattery GmbH ist mit ihrem Produktions-Insourcing nicht das einzige Unternehmen in Deutschland. Laut einer Studie des Fraunhofer Instituts für System- und Innovationsforschung (ISI) wird der Standort Deutschland wieder attraktiver. Die Studie
5.1 Strategien der Internationalisierung
267
„Modernisierung der Produktion“ zeigt auf, dass die Rückverlagerungen zwar gleichbleibend waren, jedoch die Produktionsverlagerungen ins Ausland deutlich zurückgegangen sind. Auf jede vierte bis sechste Verlagerung folgt innerhalb von vier bis fünf Jahren eine Rückverlagerung. Die Gründe sind meist die mangelhafte Planung der Produktionsverlagerung sowie mögliche Kosteneinsparungen, die nur kurzfristig von Vorteil sind. Hinzu kommen Qualitätseinbußen und Lieferungsschwierigkeiten. Bei der Entscheidung zur Produktionsverlagerung, oder auch einer Make-or-BuyEntscheidung, sollten demnach nicht nur Kosteneinsparungen im Vordergrund stehen, sondern es sollte eine sorgfältige Sourcing-Strategie entwickelt werden, die auch langfristige Überlegungen zu wichtigen Faktoren wie Qualitätssicherung, Liefersicherheit, Infrastruktur und Personalrecruiting beinhaltet. Fragen: 1. Was spricht für eine Standortverlagerung? 2. Was spricht gegen eine Standortverlagerung? Quellen: Etscheit, G.: Vorreiter des Insourcing. Die Zeit, Nr. 20 vom 11.05.2005; Kinkel, S. / Spomenka, M.: Produktionsverlagerungen rückläufig. In: Mitteilungen aus der ISI-Erhebung zur Modernisierung der Produktion. Fraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung, 2008, Nr. 45, S. 2 ff.; http://www.vartamicrobattery.com, abgefragt am 15.11. 2012.
Näher betrachtet geht es darum, Marktchancen, aber auch Ressourcen zu entwickeln. Gegen die verbreitete Annahme, dass Multinationale Unternehmen kein Zentrum mehr haben würden, sondern überall in einer grenzenlosen Welt heimisch wären, gibt es Argumente. Es geht nicht nur darum, dass die weltweit größten MNUs zwar überwiegend globale Marken sind, dass sich aber ihr Herkunftsland immer noch einwandfrei bestimmen lässt (vgl. Rugman & Collinson 2012). Vielmehr sind die meisten MNUs tief in ihrem Herkunftsland verwurzelt und ihr Erfolg in der Welt hängt auch von den Standortvorteilen der Heimatbasis ab. Begründen lässt sich dies mit dem Konzept der Cosmopolitan Corporation von Ghemawat und dem Diamant Modell von Porter. Das Konzept der Cosmopolitan Corporation wendet sich gegen die idealistische Vorstellung vom Weltbürger in den Zeiten der Globalisierung. Der Journalist Thomas Friedman (2005) beispielsweise, ist mit der provokativen Metapher „Die Welt ist flach“ erfolgreich. Länder, Unternehmen und Individuen müssten sich der Tatsache stellen, dass durch die modernen Kommunikations- und Transportmittel wie Internet, Container und Jetflugzeug geschichtliche und geographische Distanzen zunehmend irrelevant werden. Auch der von Ohmae (2009) geprägte Begriff der „Borderless World“ wird so wahrgenommen. Allerdings ist dies bestenfalls nur eine mögliche Perspektive. „Rootedness“ ist realistischer: Nicht nur die Unternehmen, sondern auch deren Kunden, Mitarbeiter, Investoren und Lieferanten sind tief in ihrem Herkunftsland verwurzelt (vgl. Ghemawat 2011). Multinationale Unternehmen produzieren kaum homogene Produkte, werden nicht nur zentral gesteuert, sind nicht heimatlos und eher regional, als weltweit tätig. Zwar führt die Verschiebung der Wachstumsmärkte zu einem zunehmenden Druck auf Unternehmen, sich zu globalisieren. Aber wie Pankaj Ghemawat (2005) und Alan Rugman (2004) zeigen, variiert der Grad der internationalen Integration zwischen Ländern und Unternehmen stark und bleibt gewöhnlich mehr begrenzt,
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5 Internationale Strategie und Organisation
als gemeinhin angenommen. Nur 10 bis 25 Prozent des Handels, des Kapitals, der Information und der Menschen überschreiten die Landesgrenzen, erheblich beeinflusst von geographischen Distanzen und Länderunterschieden. Von den 500 weltweit größten Unternehmen stammen 400 aus Nordamerika, der Europäischen Union und aus Asien, 80 Prozent aller Umsätze entfallen auf die Heimatregion dieser Triade. Das bedeutet, dass viele der weltgrößten Unternehmen nicht global, sondern regional verankert sind. Nestlé, das oft zitierte Beispiel, ist eine Ausnahme von der Regel. Die Schlussfolgerung von Ghemawat (2011) ist, dass Unternehmen mit ihrer Strategie mittelfristig mehr auf Anpassung als auf Aggregation setzen und auch ihre Organisation und Personalstrategie dementsprechend gestalten sollten. Wir kommen darauf zurück. Das Diamant-Modell von Michael Porter (vgl. Abb. 5.3) ist geeignet, um nationale Wettbewerbsvorteile zu analysieren, die die Grundlage für das Wachstum Multinationaler Unternehmen im Ausland ist. Die zentrale These von Porter ist: „Die Wettbewerbskraft einer Nation hängt ab von der Innovations- und Entwicklungsfähigkeit seiner Industrien und Unternehmen, die Wettbewerbsvorteile gegenüber ihren ausländischen Herausforderern erlangen, indem sie auf den Druck starker Mitbewerber, draufgängerischer Zulieferer und anspruchsvoller Kunden im eigenen Land reagieren.“ (Porter, 1990, S. 103) Unternehmensstrategie, -struktur und Wettbewerb
Nachfragebedingungen
Faktorbedingungen
Verwandte und unterstützende Branchen
Abb. 5.3
Wer bestimmt den nationalen Wettbewerbsvorteil? (nach Porter 1999, S. 95)
5.1 Strategien der Internationalisierung
269
Zentrale Fragen der vier Grunddimensionen dieses Modells sind (vgl. Porter 1999): Unternehmensstrategie, -struktur und Wettbewerb: Werden Führungsstil und vorherrschende Organisationsstrukturen im Land den Branchenanforderungen gerecht? Welche Strategien nutzen nationale Organisationsformen? Zieht die Branche besonders begabte Menschen im Land an? Passen die Ziele der Investoren zu den Wettbewerbsbedürfnissen der Branche? Gibt es leistungsfähige heimische Konkurrenten? Die Situation ist unterschiedlich. Vorteile in Deutschland sind insbesondere die erfolgreichen kleinen und mittleren Industrieunternehmen, in Japan der Wettbewerb und Kooperation in Netzwerken, in den USA die Zusammenarbeit zwischen Computerherstellern und Softwareunternehmen. Faktorbedingungen: Faktorbedingungen beziehen sich auf Arbeit, Land, natürliche Ressourcen und die Infrastruktur, wie etwa qualifizierte Arbeitskräfte und ein digitales Kommunikationssystem. Besitzt das Land besonders fortschrittliche oder geeignete Produktionsfaktoren? In welchen Segmenten? Für welche Strategien? Hat das Land überlegene faktorbildende Mechanismen in der Branche (z.B. spezielle Forschungsprogramme, überragende Bildungseinrichtungen)? Zeigen selektive Faktornachteile im Land maßgebliche Auslandsverhältnisse an? Nachfragebedingungen: Sind die Branchenkunden des Landes die fortschrittlichsten oder anspruchsvollsten? In welchen Segmenten? Hat das Land in der Branche ungewöhnliche Bedürfnisse, die sich leicht übertragen lassen? Sind die Absatzkanäle im Land differenziert und deuten sie internationale Trends an? Je nach Umfang und Art der Nachfragebedingungen ergeben sich Größen- und Differenzierungsvorteile. Verwandte und unterstützende Branchen: Hat das Land Zulieferbranchen von Weltrang? Für welche Bereiche? Gibt es starke Positionen in wichtigen verwandten Branchen? Beispiele für unterstützende Branchen sind etwa Kameras und Kopierer in Japan. Außerdem sind staatliche Einflüsse durch die Industrie- und Wettbewerbspolitik zu beachten sowie der Zufall und historische Ereignisse, die die Länder zu dem gemacht haben, was sie sind. Die Kritik am Diamant-Modell von Porter wird vor allem daran festgemacht, dass darüber hinaus die Rolle der Multinationalen Konzerne als weiterer Einflussfaktor nicht berücksichtigt wird. Nestlé macht beispielsweise 98 Prozent seines Umsatzes außerhalb der Schweiz, daher ist der Schweizer Diamant nationaler Wettbewerbsvorteile weniger relevant, als jener der Länder, in denen Nestlé tätig ist. Verschiedene Diamanten für die jeweiligen Länder müssten deshalb im Zusammenhang analysiert werden (vgl. Rugman & Collinson 2012). Vor diesem Hintergrund haben sich Porter & Rivkin (2012a) auch zur Lage in den USA geäußert: „Eine Nation ist dann wettbewerbsfähig, wenn sie Wohlstand für die Unternehmen und seine Bürger schafft.(…) Die kurzfristige Erhöhung der Produktivität, die viele US-amerikanische Firmen in der großen Rezession 2008 durch Entlassungen betrieben haben, ist kein Zeichen von Wettbewerbsfähigkeit, sondern von Schwäche. (...) Amerika braucht eine Strategie und einen Konsens über die einzuschlagende Rich-
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5 Internationale Strategie und Organisation
tung. Die Regierung wird eine wichtige Rolle spielen, aber die Unternehmen müssen vorangehen.“ (ebd. S. 56 ff) Unternehmen bewerten inzwischen ihre Offshoring-Aktivitäten neu. Die versteckten Kosten würden häufig unterschätzt, manches wird wieder zurück in die USA verlagert (vgl. Porter & Rivkin 2012b). Dazu passt die Empfehlung von Capelli u.a (2010), Professoren an der renommierten Wharton School an der University of Pennsylvania, sich näher mit dem „India Way“ auseinanderzusetzen. Die westliche Managementpraxis gehöre auf den Prüfstand. Wie damals von Japan und Toyota, müsste man nun von den führenden indischen Unternehmen lernen, wie man Wert auf die Mitarbeiter legt, Barrieren durch Improvisation überwindet, Produkte für große unterentwickelte Märkte entstehen lässt, sich langfristig orientiert und gesellschaftlichen Fragen oberste Priorität im Geschäft einräumt (vgl. Capelli et al. 2010). Mit dem Themenkomplex der unterschiedlichen nationalen Standortbedingungen haben wir uns bereits unter den Überschriften „Varianten des Kapitalismus“, und „Shareholder versus Stakeholder Value“ und „Ressourcenbasis“ beschäftigt. Abschließend dazu ein Blitzlicht zur Wiederholung: Standortvorteile der Heimatbasis und ein entwickeltes Ressourcenerbe sind schwer zu kopieren und das Rückgrat des Welterfolgs. So äußerte sich auch der Produktionschef der Volkswagen Gruppe, Michael Macht, auf die Frage eines Journalisten der Zeitschrift Automotive News Europe im März 2012, ob angesichts rückläufiger Märkte die Volkswagen-Gruppe noch alle seine Werke in Deutschland und Westeuropa benötige: „Nein, im Gegenteil, die deutschen und europäischen Standorte bleiben das Rückgrat unseres Erfolges. Deswegen investieren wir planvoll in neue Technologien und Kapazitäten hier. Insgesamt sind das 28 Milliarden Euros bis 2016 in Deutschland allein.“ Herkömmlich waren es drei große Machtzentren in der Welt, die sogenannte Triade aus den USA, der EU und Japan, die die wirtschaftliche Entwicklung in der Welt prägten; die sogenannte „Dritte Welt“ lieferte die Rohstoffe und war Abnehmer von Industriewaren. In letzter Zeit indes haben sich die Kräfteverhältnisse verschoben. Neue Wirtschaftsmächte wie Brasilien, Russland, Indien und China (die BRIC-Länder), gewinnen an Bedeutung (vgl. Dicken 2011; Khanna 2008). In China wurde 2009 der erste Airbus komplett hergestellt, ICEs von Siemens ebenso. China und Indien sind international längst nicht mehr nur Hersteller von Industriegütern und IT-Dienstleistungen, sondern entwickeln sich zu wettbewerbsfähigen Standorten für die Innovationsnetzwerke Multinationaler Unternehmen (vgl. Sauvant 2008; Bruche 2009; Immelt et al. 2009). Direktinvestitionen in Asien sind keine Einbahnstraße mehr: Finanzstarke Unternehmen aus China, aber auch aus Indien und Südostasien (wie Haier, Lenovo, und Tata) übernehmen mit staatlicher Unterstützung Firmen im Westen (vgl. Praxisbeispiel Tata).
Praxisbeispiel: Tata – indischer Mischkonzern kauft Jaguar Die Tata Group ist wohl der größte Mischkonzern Indiens. Sie kauft und verkauft Firmen, erschließt neue Märkte und wächst dynamisch. Die Unternehmensgruppe des Patriarchen Ratan Tata betätigt sich in sieben Sektoren: Maschinenbau, Baustoffe, Energie, Dienstleistungen, industrielle Fertigung, Konsumprodukte sowie der Chemieindustrie. Land Rover und Jaguar (JLR), eine der letzten Errungenschaften, wechselten im Juni 2008 für 2,3 Mil-
5.1 Strategien der Internationalisierung
271
liarden Dollar von Ford zu Tata Motors. Ford hatte beide Autohersteller erst 2002 übernommen. Nun waren sie günstig zu haben, nicht wegen Land Rover, denn dieses Unternehmen brachte Ford im Jahre 2007 einen Gewinn von 1,5 Milliarden US-Dollar ein, sondern mehr wegen Jaguar. Jaguar kostete Ford in den letzten 18 Jahren etwa 10 Milliarden Dollar, wobei der Absatz kontinuierlich sank. Skeptiker meinen, dass Tata Motors sich damit entweder zwei der luxuriösesten Automarken oder ein Meer voller Sorgen gekauft hat. Der Kauf von Jaguar war auf Grund der mangelnden Synergien und der hohen operativen Kosten kaum wertsteigernd. Tata hatte zugesagt, die britischen Produktionsstätten nicht zu verlagern und neue Fahrzeuge zu entwickeln; die Tradition von Jaguar sollte erhalten werden. Die indische Tata Gruppe gab der JLR-Unternehmensführung viel Handlungsspielraum und stattete sie mit einem Budget von 2 Mrd. englischen Pfund jährlich aus. Im September 2012 präsentierte Jaguar auf dem Pariser Autosalon einen Nachfolger des legendären Jaguar E-Typs von 1961, der gut ankam. Der Luxus-Automobilmarkt hat einen Anteil von nur 0,1 Prozent an den weltweiten Autoverkäufen, aber er kann junge Menschen anziehen und den Markenwert erhöhen. Auch für Land Rover geht es aufwärts. 2012 sind die Fabriken voll ausgelastet, Umsatz und Gewinn steigen – das in einer Zeit, in der der europäische Automobilmarkt mit chronischen Überkapazitäten zu kämpfen hat. Fragen: 1. Warum hat die indische Tata-Gruppe Rover und Jaguar übernommen? 2. Welche Risiken sind damit verbunden? Quellen: o.V.: Now what? Tata, Jaguar and Land Rover. The Economist vom 27.03.2008; o.V.: The cat returns. The Economist vom 29.9.2012; http://www.tata.com, abgefragt am 15.11.2012.
5.1.2
Global versus local – internationale Orientierung festlegen
Zur Mission und Strategie des Unternehmens gehört auch eine bestimmte Grundorientierung, Mentalität oder Einstellung für das Wachstum im Ausland. Die Stärke Multinationaler Unternehmen kann beispielsweise darin bestehen, differenzierte Produkte für die jeweiligen Landesbedürfnisse zu produzieren. So wird etwa McDonald’s Rindfleisch-Burger in Indien nur schwer verkaufen können, weil die Kuh dort immer noch als heiliges Tier gilt. Der Leitsatz „Wenn Du in Rom bist, mach es wie die Römer“ trifft hier zu. Aber auch die jeweiligen Ressourcen und Fähigkeiten in den Ländern sind wichtig. Nicht umsonst sind französische Köche und deutsche Ingenieure in der Welt angesehen. Eine multilokale Strategie setzt auf lokale Reaktionsfähigkeit (Local Responsiveness) des Unternehmens (vgl. Abb. 5.4).
272
5 Internationale Strategie und Organisation
Lokale Reaktionsfähigkeit
Hoch
Ziel: lokale Differenzierungsvorteile
Multilokale Strategie Niedrigste Koordinationskosten
Transnationale Strategie Höchste Koordinationskosten und Zielkompromiss Ziel: Kostenvorteile
Globale Strategie Hohe Koordinationskosten
Niedrig Niedrig
Abb. 5.4
Ziel: Differenzierung und Kostenvorteile
Globale Integration
Hoch
Internationale strategische Orientierungen (nach Bartlett & Ghoshal 1998, S. 309 passim)
Die globale Strategie ist die Gegenposition dazu. Anfang der 1980er Jahre forderte der Marketing-Guru Theodore Levitt, dass Unternehmen lernen müssten, die Welt als einen großen Markt zu betrachten. Gut geführte Unternehmen sollten sich auf standardisierte Produkte konzentrieren, die gut und preiswert sind, statt sich bei vermeintlich lokal unterschiedlichen Verbraucherpräferenzen zu verzetteln, die sich längst aufgelöst hätten (Levitt 1983). Ursachen waren die Verringerung von Handelsbeschränkungen, neue Transportmöglichkeiten durch die Containerschifffahrt sowie Radio und Fernsehen als neue Kommunikationsmedien; selbst Stammeskrieger im afrikanischen Busch hörten nun Nachrichten mit Transistorradios und tranken Coca-Cola. Die „Global Corporation“ war nun das neue Leitbild. Dann geschah etwas Unerwartetes: Eine Gegenbewegung setzte ein. Die Menschen verlangten mehr lokale Souveränität, Anerkennung ihrer kulturellen Identität und lokale Produkte. Die globalen Markenunternehmen reagierten darauf mit einer Strategiewende. Während Coca-Cola zuvor die Entscheidungen zentralisiert und die Produktion standardisiert hatte, aktivierte man nun wieder die multi-lokale Erfahrungen, ohne die Vorteile der globalen Standards aufzugeben. Jenseits ihres je nach Land unterschiedlichen historischen Erbes stehen Multinationale Unternehmen heute vor dieser „transnationalen Herausforderung“ (vgl. Bartlett & Ghoshal 1998; Bartlett et al. 2008). Als transnationale Strategie wird eine Orientierung des Unternehmens bezeichnet, die sowohl auf die globale Integration als auch auf die lokale Anpassungs- und Reaktionsfähigkeit setzt. Zu Coca-Cola gehören heute nicht mehr nur eine Marke, sondern mehr als 200 überwiegend lokale Marken, McDonald’s variiert die Menus, wie zum Beispiel mit dem China-Burger, um sich an den lokalen Geschmack anzupassen und der Musiksender MTV hat für die jeweiligen Länder verschiedene Programme. „Das Paradox der Globalisierung ist, das sie nicht zu einer Angleichung der Geschmacksrichtungen geführt hat, sondern zu einem riesigen Anstieg der Wahlmöglichkeiten für den
5.1 Strategien der Internationalisierung
273
Verbraucher. Die Menschen können heute Produkte aus aller Welt kaufen: global, regional und lokal.“ (Tomkins 2003) Vorteile der transnationalen Strategie sind die Bewältigung des Paradoxes von Globalisierung versus Lokalisierung – aber es gibt auch Nachteile. Erstens ist die transnationale Strategie ein Zielkompromiss, zweitens sind hierbei die Kosten der Koordination am höchsten. Die Positionierung im Spannungsfeld zwischen globaler Integration und lokaler Reaktionsfähigkeit variiert je nach Geschäft, Funktion und Aufgabe selbst innerhalb eines Unternehmens. Bei Unilever beispielsweise wird das Geschäft mit Reinigungsmitteln mehr standardisiert sein als die Marketingfunktion, die mehr auch lokalen Anforderungen genügen muss; mehr gilt dies noch bei der Vertriebsaufgabe (vgl. Bartlett & Ghoshal 1998). Die bisherige Darstellung ist allerdings nicht vollständig. Das Ziel war es, zunächst erst das Global-Local Paradox und seine Lösung zu entwickeln. Die internationale Strategie ist eine vierte strategische Orientierung, die man sich als ersten Schritt des Wachstums im Ausland vorstellen kann (das leere Feld in Abb. 5.4), weil das Unternehmen dort sein Geschäft ebenso betreibt wie im Herkunftsland. Wir haben bereits darauf hingewiesen, dass die Begriffe multinational, global und transnational uneinheitlich verwendet werden, was die Sache nicht leichter macht. Wir verwenden im Folgenden die Bezeichnung „International“ auch als Oberbegriff für die genannten Möglichkeiten. Als erster Wissenschaftler hat wohl Howard V. Perlmutter diese unterschiedlichen strategischen Orientierungen hervorgehoben. In seinem Beitrag The Tortuous Evolution of the Multinational Corporation – A drama in three acts...., schreibt er, dass die unterschiedlichen Geisteshaltungen oder Einstellungen („states of mind or attitudes“) weniger aus der Herkunft der Unternehmen abzuleiten sind, sondern „aus den Annahmen, die den weitreichenden Entscheidungen zum Produkt, der Funktion oder der Geographie zugrunde liegen.“ (ders., S. 11) In seinem EPG-Modell (vgl. Abb. 5.5) dominieren bei einer ethnozentrischen Orientierung die Werte und Interessen der Zentrale bei der Formulierung und Implementierung der Strategie. Die polyzentrische Orientierung lässt den Landesgesellschaften Spielräume bei der Anpassung an die lokalen Bedingungen. Die geozentrische Orientierung ist wiederum die Verbindung von globaler Integration und lokaler Reaktionsfähigkeit (Responsiveness). Die später eingeführte regiozentrische Orientierung ist dieser ähnlich. Man spricht nun vom EPRG-Modell (vgl. Heenan & Perlmutter 1979; Chakravarthy & Perlmutter 1985). Das Thema „Standardisierung versus Anpassung“, das hier zugrunde liegt, bewegt die Forschung seit mehr als 50 Jahren (vgl. Schmid & Kotulla 2011) Auf den ersten Blick ist nicht erkennbar, dass die Terminologien von Perlmutter und Bartlett & Ghoshal vergleichbar sind, leichter wird es, wenn die regiozentrische Orientierung zunächst ausgeklammert wird. Logisch ist diese weitere Dimension im Modell wenig aufregend, allerdings ist sie faktisch wichtig. Handel wird überwiegend innerhalb und nicht zwischen den Regionen Europa, Amerika und Asien betrieben. Regionen sind real, sie behindern nicht die länderübergreifende Integration, sondern ermöglichen sie (vgl. Ghemawat 2005): „Es ist oft ein Fehler, wenn man eine weltweite Strategie absteckt. Bessere Ergebnisse sind durch solide Regionalstrategien zu erzielen, die zu einem globalen Ganzen verbunden werden.“ (Ghemawat 2005, S. 98)
274
5 Internationale Strategie und Organisation
Die Logik des Global-Local Paradoxes lässt sich auch für die Entwicklung von Regionalstrategien und deren Aggregation zu einem globalen Ganzen anwenden. Mit der PESTEL- und SWOT-Analyse (vgl. Kap. 3) kann untersucht werden, welche Orientierung in der jeweiligen Konstellation angemessen ist. Orientierung des Unternehmens
Ethnozentrisch (HerkunftslandOrientierung)
Polyzentrisch (Gastland-Orientierung)
Geozentrisch (Welt-Orientierung)
1. Mission
Gewinn (Wirtschaftlichkeit)
Verantwortung (Legitimität)
Gewinn und Verantwortung (Wirtschaftlichkeit und Legitimität)
2. Governance • Richtung der Zielsetzung
Von oben nach unten
Von unten nach oben
Gegenseitig vereinbart auf allen Ebenen des Unternehmens
• Kommunikation
Hierarchisch. Die Zentrale verteilt Anweisungen und Rat
Wenig Kommunikation zwischen der Zentrale und den Tochtergesellschaften
Vertikale und laterale Kommunikation im Unternehmen
• Ressourcenverteilung
Investitionsgelegenheiten werden von der Zentrale entschieden
Eigenständige Tochtergesellschaften. Keine Quersubventionierung
Weltweite Projekte, gesteuert von der Zentrale und lokalen Managern
3. Strategie
Global integriert
Lokal reaktionsfähig
Global integriert und lokal reaktionsfähig
4. Struktur
Hierarchische Produktdivisionen
Hierarchische Gebietsdivisionen mit autonomen Landeseinheiten
Ein Netzwerk von Organisationen
5. Kultur
Herkunftsland
Gastland
Global
Abb. 5.5
5.1.3
Generische Orientierungen im EPG-Modell (nach Chakravarthy, B.S., & Perlmutter 1985, S. 5)
Optionen auswählen
Die Analyse der Chancen des Unternehmens in den jeweiligen Ländern und die Festlegung der Orientierung liefert eine Grundlage, um Optionen zu formulieren, die auf folgende fünf Fragen Antworten geben (vgl. Schmid 2006): Markteintrittsstrategie. Mit welchen Markteintrittsstrategien- und Marktbearbeitungsformen soll internationalisiert werden? Zielmarktstrategie. In welche Zielmärkte soll internationalisiert werden? Timingstrategie. Welche zeitlichen Aspekte sollen bei der Internationalisierung des Unternehmens beachtet werden? Konfigurationsstrategie. Wie will sich das Unternehmen im Spannungsfeld von geographischer Streuung (Dezentralisierung) und geographischer Konzentration (Zentralisierung) der Wertschöpfungsaktivitäten aufstellen? Koordinationsstrategie. Mit welchen Instrumenten will das Unternehmen seine internationalen Aktivitäten koordinieren? Unternehmen, die international tätig werden, können unterschiedliche Markteintrittsformen wählen. Der Entwicklungspfad wird dabei folgende Phasen durchlaufen (wobei auch Phasen übersprungen werden können): zuerst Exporte, dann Präsenz vor Ort durch eigene
5.1 Strategien der Internationalisierung
275
Vertriebsgesellschaften, weiter die Aufnahme lokaler Produktion, autonome Landesgesellschaften mit der vollen Integration aller Geschäftsfunktionen vor Ort und schließlich die Integration global verteilter Stufen der Wertschöpfungskette (vgl. Abb. 5.6). Evolutionsphase Phase I
Export
Phase II
Präsenz vor Ort
Phase III
Heimatland
F&E
Konstruktion
Fertigung
Marketing
Bedeutende überseeische Märkte Vertrieb
Service
Händler
Eigene Vertriebsgesellschaft
Aufnahme lokaler Produktion
Lokale Fertigung
Phase IV Autonome Landesgesellschaften
Vertrieb & Service
Volle lokale Integration Alle Geschäftsfunktionen vor Ort Personal
Phase V
Globale Integration Gemeinsame F&E, Finanzen, Wertesysteme, Corporate Identity
Abb. 5.6
Stufen der Globalisierung (Krubasik & Schrader 1990, S. 23)
Näher betrachtet sind vielfältige Formen des internationalen Markteintritts möglich (vgl. Schmid 2007). Nach dem Grad der Kontrolle und der Bindung von Ressourcen im Ausland geordnet sind dies: Exporte: Ausfuhren von im Inland erstellten Waren und Dienstleistungen ins Ausland. Franchising: Ein inländischer Franchisegeber überlässt sein Konzept gegen Gebühren einem ausländischen Franchisenehmer. So etwa bei Body Shop, Coca-Cola, Baumärkten. Vertragsfertigung: Ein Unternehmen überträgt einen oder mehrere Stufen der Fertigung auf einen ausländischen Vertragspartner. Flextronics ist als Auftragsfertiger für Handyhersteller entstanden, produziert inzwischen aber auch fertige Geräte. Joint Ventures: Ein Gemeinschaftsunternehmen mit einem oder mehreren ausländischen Unternehmen. Die chinesische Regierung hat Gemeinschaftsunternehmen für westliche Unternehmen verbindlich gemacht, um die eigene Entwicklung voranzutreiben. Strategische Allianzen: Mehrere Unternehmen arbeiten auf vertraglicher Basis in genau definierten Bereichen zusammen, also Co-Research, Co-Production, Co-Marketing. Beispiele sind die Allianzen der Airlines, wie die Star Alliance der Lufthansa. Minderheitsbeteiligung: Ein inländisches Unternehmen erwirbt eine Beteiligung an einem ausländischen Unternehmen von unter 50 Prozent, häufig als Vorstufe zur Übernahme.
276
5 Internationale Strategie und Organisation
Rechtlich unselbständige Einheiten: Betriebsstätten, Niederlassungen, Filialen oder Repräsentanzen sind eventuell Vorstufen für eigene Tochtergesellschaften. Tochtergesellschaften sind rechtlich selbständige Auslandseinheiten eines inländischen Unternehmens ab 50,1 Prozent Anteil; entweder als Neugründung (GreenfieldInvestment) oder durch Übernahme von Anteilen. Fusionen: Zusammenschluss mit inländischen und ausländischen Unternehmen, wie etwa in Europa bei Rhône-Poulenc und Hoechst zu Aventis, oder, die Kontinente übergreifend, bei der zeitweiligen Übernahme von Chrysler durch Daimler. Zwischen 2007– 2011 waren weltweit die Greenfield-Investitionen im Durchschnitt deutlich höher als die Mergers & Acquisitions (vgl. UNCTAD 2012). Zielmarktstrategien klären, wo ein Unternehmen geographisch präsent sein möchte, je nach Attraktivität, den Risiken und Eintrittsbarrieren des Ländermarktes und des Marktsegments. Dabei wählt jedes Unternehmen seinen individuellen Weg. Wella beispielsweise war früher auf dem japanischen Markt tätig als seine Konkurrenten. Der Renault Logan, ein in Rumänien hergestelltes Billigauto (Low-Cost-Car, LCC) sollte zunächst nur in ärmeren Ländern verkauft werden, stieß dann aber auf eine unerwartet hohe Nachfrage in Westeuropa (vgl. Schmid & Grosche 2008). Timingstrategien klären die Frage, ob ein Unternehmen früher oder später in einen Auslandsmarkt eintritt. Bei einer Wasserfallstrategie treten Unternehmen nacheinander in Länder ein, bei einer Sprinklerstrategie gleichzeitig. Für eine Pionierstrategie (First-Mover Strategy) sprechen die Vorteile, früher Erfahrungen machen und Eintrittsbarrieren aufbauen zu können als die internationale Konkurrenz. Volkswagen beispielsweise ist mit seiner Pionierstrategie zuerst mit Produktionsstätten in Mexiko und später dann in China erhebliche Risiken eingegangen, war aber insgesamt damit erfolgreich. Folgerstrategien (Follower Strategy) hingegen haben den Vorteil, aus Fehlern der Vorgänger lernen zu können und damit Kosten zu vermeiden. Pizza Hut beispielsweise dringt erst dann in bestimmte Ländermärkte vor, wenn McDonald’s dort bereits Fast-Food-Restaurants populär gemacht hat. Konfigurationsstrategien legen fest, ob ein Unternehmen seine Wertschöpfungsaktivitäten regional eher dezentral ausrichtet (häufig ist das beim Vertrieb der Fall) oder ob die Aktivitäten eher zentralisiert werden (etwa bei Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten in der Nähe der Zentrale) (vgl. Zentes et al. 2004; Kutschker & Schmid 2011). Außerdem gibt es auch Mischstrategien (vgl. Abb. 5.7 und Praxisbeispiel Renault Logan). So fertigt der amerikanische Weltmarktführer für Aufzüge und Rolltreppen Otis, ein Unternehmen, das in 163 Ländern auf vier Kontinenten vertreten ist und in dem 34 Sprachen gesprochen werden, Fahrstühle für den amerikanischen Markt mit Türsystemen aus Frankreich, Antrieben aus Spanien, Elektronik aus Deutschland und einem speziellen Antriebsmotor aus Japan und montiert diese Aufzüge in den USA. Die Entscheidungen werden geprägt durch die bereits erwähnten Gründe für die Standortwahl: Für die Zentralisierung sind dies unter anderem Größen- und Verbundvorteile und die Fühlungsvorteile der räumlichen Nähe, für die Dezentralisierung sind es etwa Faktorkostenvorteile und die Nähe zu den Märkten. Koordinationsstrategien. Je regional dezentraler die Wertschöpfungsaktivitäten konfiguriert sind, desto mehr Koordination durch organisatorische Instrumente wie Strukturen, Pro-
5.1 Strategien der Internationalisierung
277
zesse und Kulturen ist erforderlich (vgl. Lawrence & Lorsch 1969). Dies wird im folgenden Kapitel näher ausgeführt. Zu den Erklärungsansätzen des Internationalisierungsprozesses gehört zunächst das traditionelle Lebenszyklusmodell von Vernon (1966). Danach exportieren US-Unternehmen ein neues Produkt zunächst nach Europa, um dann dort die Produktion aufzunehmen und in Entwicklungsländer zu liefern, bis schließlich in der Reifephase nicht nur Europa in die USA exportiert, sondern auch Entwicklungsländer. Stufenmodelle sind am zunehmenden Engagement von der Lizenzvergabe über die eigene Produktion bis hin zum globalen Produktionsnetzwerk orientiert. Pfadabhängigkeit und organisatorisches Lernen sind Merkmale des Uppsala-Modells, wonach nach ein Unternehmen nach einem Anfangsengagement im Ausland schrittweise lernt, wie es weiter vorgehen kann; dazu gehören auch Netzwerkbeziehungen (vgl. Johansen & Vahlne 2009). Das schwedische Unternehmen Ikea hat zwanzig Jahre gebraucht (1943–1963) bevor es im Nachbarland Norwegen auftrat. Unternehmen können aber auch Stufen überspringen oder sich als Born-Globals von Anfang an international engagieren. Die ist besonders verbreitet bei Unternehmen aus vergleichsweise kleinen Ländern, wie aus Schweden, den Niederlanden oder der Schweiz. Das müssen nicht nur die „üblichen Verdächtigen“ aus der IT-Branche sein, wie Logitech oder Infosys. Nestlé hat bereits fünf Monate nach seiner Gründung im Ausland produziert. Export allein war nie die Absicht (vgl. Dicken 2011). Zentralisierungsstrategie
Mischstrategie
Dezentralisierungsstrategie
Heimatland Gastland 1 Gastland 2 Gastland 3
Legende:
Abb. 5.7
Beschaffung
Forschung und Entwicklung
Produktion
Vertrieb
Grundvarianten von Konfigurationsstrategien (Kutschker & Schmid 2011, S. 1001)
Praxisbeispiel: Dezentrale Zentralisierung beim Renault Logan Um das Wachstum von Renault außerhalb der gesättigten Märkte Westeuropas voranzutreiben, gab dessen damaliger Vorstandvorsitzender Louis Schweitzer 1995 den Ingenieuren im Hauptquartier in Paris den Auftrag, ein Auto für Länder zu entwickeln, in denen sich bisher nur wenige Einwohner ein Auto leisten können. Als Märkte interessant sind insbesondere Schwellenländer wie China, Indien und Russland. Das Billigauto Dacia Logan ist seit der Markteinführung im Jahr 2004 ein Erfolg. Mittlerweile werden auf derselben Plattform zu-
278
5 Internationale Strategie und Organisation
sätzlich ein Kombi, ein Pritschenwagen, der Kleinwagen Sandero, der Geländewagen Duster und der Van Lodgy gebaut. „Dacia ist durch diese Vielfalt zum erfolgreichsten Autobauer in der Geschichte des Automobils geworden“, sagt dazu der Autoexperte Dudenhöffer. Noch nie habe es ein Hersteller geschafft, in weniger als zehn Jahren die Produktion praktisch von null auf 800.000 Fahrzeuge pro Jahr zu steigern, ein Viertel davon für Westeuropa. Inzwischen ziehen andere Hersteller nach. Ein Low-Cost-Car (LCC) darf nur 10.000 US-Dollar oder weniger kosten. Technisch ist der Logan einfach konstruiert und verwendet günstige Bauteile. Entscheidend für den Erfolg war aber die stimmige Konfiguration und Koordination der Wertschöpfungskette. 1999 übernahm Renault den bis dahin staatlichen Automobilhersteller Dacia aus Rumänien. Nach der Sanierung wurden die Dacia-Werke in Mioveni sehr effizient. Die Arbeitskosten lagen bei 2,5 Euro die Stunde, weniger als ein Zehntel der Arbeitskosten in Frankreich. Deshalb ist auch die Montage in den beiden Hauptwerken in Rumänien weniger automatisiert. Dort ist ein Großteil der Logan-Wertschöpfungsaktivitäten zentralisiert. Im Jahr 2009 werden in diesen Werken mit einer Kapazität für 400.000 Fahrzeuge alle Fahrzeugbausätze für den weltweiten Bedarf produziert, die an sieben weiteren Standorten in der Welt montiert werden Durch diese Nabe-Speiche(Hub and Spoke)-Konfiguration werden Größen und Lerneffekte, aber auch unterschiedliche Produktvarianten für die Länder möglich. Vom schleichenden Niedergang der französischen Autoindustrie berichtet die Presse im Jahr 2012: „Hohe Kosten, zu europäisch, keine aufregenden Modelle“, heißt es. „Der Autokonzern PSA Peugeot Citroen macht schwierige Zeiten durch und Renault überlebt nur dank seiner Schwestermarken.“ Die Schwestermarken sind Nissan und die Billigautos der Tochtergesellschaften Dacia in Rumänien und Avtovaz in Russland. Das Problem der europäischen Hochkostenländer ist, dass die Billigautos dort keine Arbeitsplätze schaffen. Hinzu kommen eine verfehlte Modellpolitik und zu wenig Wachstum im Oberklassesegment und in China. Im Zeitraum von 1980 bis 2010 sank die Zahl der Beschäftigten in der Automobilindustrie in Frankreich auf 231.000 – das ist weniger als die Hälfte. Außerdem wird gemeldet dass auch die Volkswagen Gruppe bis 2015 eine Billigauto-Untermarke einführen könnte. Das Ziel von VW ist es, Toyota und General Motors zu überholen und bis zu diesem Jahr zum weltweit größten Autohersteller aufzusteigen. Fragen: 1. Wie bewerten Sie die Wachstumschancen für Low-Cost-Cars? 2. Ist der Smart von Daimler ein anderes Konzept? Warum hat BMW keine Low-CostCars? Quelle: Schmid, S. & Grosche, P.: Management internationaler Wertschöpfung in der Automobilindustrie. Gütersloh 2008. Schubert, C. & Ruhkamp, C.: Schleichender Niedergang der französischen Autoindustrie. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 25.7.2012; Ruhkamp, C.: Billigautos für Arme erobern die Schwellenländer. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 12.10.2012; Automotive News Europe vom 12.10.2012
5.1 Strategien der Internationalisierung
5.1.4
279
Risiken kontrollieren und Ergebnisse erzielen
Nachdem die Chancen identifiziert, die internationale Orientierung festgelegt sowie Optionen ausgewählt worden sind, geht es darum die Risiken zu kontrollieren, die Ergebnisse zu bewerten und gegebenenfalls umzusteuern (vgl. Kap. 2.5). Es gibt verschiedene Gründe, warum Unternehmen international diversifizieren. Internationale Diversifikation ist eine Strategie, durch die ein Unternehmen den Umsatz von Produkten und Dienstleistungen über die Grenzen von Regionen und Ländern hinaus ausdehnt. Untersuchungen haben gezeigt, dass mit wachsender internationaler Diversifikation die Rendite zunächst sinkt, dann aber schnell ansteigt, wenn das Unternehmen gelernt hat, sein internationales Wachstum voranzubringen. Gründe dafür sind, wie bereits angesprochen, Größen- und Lernvorteile durch Wissenstransfer, der größere Markt sowie die Möglichkeiten Standortvorteile auszunutzen und Risiken und Renditen durch Diversifikation zu stabilisieren. Der größere Markt verringert auch die Risiken, dass hohe F&E-Investitionen sich nicht rentieren, weil sie sich durch technische Neuerungen überholen. Die Innovationsbedingungen verbessern sich also. Häufig kann der Lebenszyklus sogar ausgedehnt werden, wie dies etwa bei Volkswagen mit dem Modell Santana in China der Fall war. Damit steigen die Anforderungen, das Unternehmen erfolgreich zu führen: Denn mit der internationalen Diversifikation steigt die Komplexität, wodurch wiederum die Ungewissheit und damit das Risiko erhöht wird. Die internationale Expansion ist mit vielfältigen, vor allem politischen und wirtschaftlichen Risiken verbunden. Die Analyse der formellen und informellen Spielregeln, der Unterschiede zwischen angelsächsischen liberalen Marktwirtschaften und kontinentaleuropäischen koordinierten Marktwirtschaften im Rahmen eines „Institution-Based View“ ist daher erforderlich (vgl. Hall & Soskice 2001; Peng 2009, S. 8 ff.). Zu den politischen Risiken gehören Terrorismus und Kriege (wie die im Irak und in Afghanistan) sowie die Instabilität politischer Institutionen. Zu den wirtschaftlichen Risiken zählt etwa ein drohender Staatsbankrott, Korruption vor allem in wenig entwickelten Ländern, sowie die Schwierigkeit, geistiges Eigentum zu schützen. Systematisch wird versucht, mit Scoring- und Szenario-Methoden sowie mit einer Konkurrentenbewertung (Competitive Intelligence) zu einer Abschätzung zu kommen. Das Wachstum im Ausland ist grundsätzlich belastet mit der Bürde des Fremden (Liability of Foreignness). Wie der Eingangsfall IKEA demonstriert, kommt es dabei leicht zu Fehlern. Mit der wachsenden internationalen Diversifikation steigen die Anforderungen an die Koordination: Sprachen, Kulturen, politische Regimes, Logistikkosten und andere Unterschiede erschweren den Einstieg. Walt Disney ist mit seinem Themenpark bei Paris zunächst gescheitert, hatte aber damit in Japan keine Probleme. Die Fusion von Daimler und Chrysler war perfekt geplant, ist aber auch gescheitert, weil die Kulturen nicht zusammenpassten. Eine McKinsey Studie von Dewhurst u.a. (2011) kommt zu dem Ergebnis dass die Kapitalmarkt-Performance starker Multinationaler Unternehmen (Global Champions) geringer ist, als die erfolgreicher Unternehmen, die weniger international aufgestellt sind (Local Champions). Die Autoren führen diese „Globalisierungsstrafe“ auf schlechtere Werte bei fast allen Kriterien der „Organizational Health“ zurück: „alignment, execution and renewal“. Es könnte, so die Autoren, an den Anforderungen der heiklen Balance zwischen lokaler Anpassung
280
5 Internationale Strategie und Organisation
und Standardisierung liegen. Umso mehr kommt es auf die Unterstützung des Managements durch ein angemessenes Internationales Controlling an (vgl. Hoffjan 2009). Ein besonderes Problem ist die Produkt- und Konzeptpiraterie. Nachgemachte Schokoladenhasen, gefälschte Markentextilien, kopierte Geschäftskonzepte – der Diebstahl geistigen Eigentums ist kein Einzelfall mehr, sondern ein Massenereignis. Zu den Ursachen gehören die zunehmende Immaterialisierung der Werte, die neue Arbeitsteilung in einer globalisierten Welt und der Zusammenprall unterschiedlicher Kulturen und Entwicklungsstadien. Markenprodukte sollen heute mehr Erlebnisse vermitteln als harten Nutzen. Wissen, „Clicks“ auf Mäusen und Tastaturen gelten mehr als nur „Bricks“, die Bausteine traditionellen Reichtums. Aber Immaterielles lässt sich teilweise leichter kopieren – das ist die Schattenseite. So soll die teure Plastik-Handtasche von Luis Vuitton Lebensstil symbolisieren; ihre Herstellung kostet nur einen Bruchteil ihres Marktwerts. Die Verflechtung der Wertketten – Produktion aus China, Software aus Indien – erhöht mit den Chancen auch die Risiken der Endproduzenten. Geschäftsregeln, gemeinsame Werte und eine angemessene staatliche Ordnung sind in vielen aufstrebenden Ländern bis heute nicht ausreichend entwickelt. Von der Hoffnung, dass längst vereinbartes internationales Recht endlich umgesetzt wird, kann die Praxis nicht leben. Zu den Abwehrstrategien gehören: erkennen, vorbeugen, abwehren, aber auch nutzen und dulden (vgl. Sokianos 2006). Täter und Opfer lassen sich nicht immer klar bestimmen. Zum Beispiel musste das Internet-Auktionshaus eBay im Dezember 2009 erneut eine Strafe an den Luxuskonzern LVMH (Moët Hennessy-Louis Vuitton) zahlen, weil Fälschungen von LVMH in Auktionen aufgetaucht sind.
5.2
Organisation im internationalen Kontext
Einstiegsfall: ABB – Aufstieg und Fall eines Modells Mit einem Umsatz von 38 Mrd. US-Dollar im Jahr 2011, einem EBIT von 4,7 Mrd. USDollar und 145.000 Mitarbeitern weltweit, ist Asea Brown Boveri (ABB) heute nicht nur ein großer Hersteller von elektrischen Systemen und Ausrüstungen. ABB galt vor wenigen Jahren noch als Modellfall für die flexible, transnationale Organisation. Ihr ehemaliger Chairman, Percy Barnevik, wurde als „Manager des Jahrhunderts“ gefeiert, als europäisches Gegenstück zu Jack Welch von General Electric. Aus einer Fusion zweier Unternehmen im Jahr 1987 hervorgegangen, erwirtschaftete ABB Ende der 1990er Jahre mehr als 25 Mrd. US-Dollar Umsatz mit über 240.000 Mitarbeitern in 1.200 als Profitcenter definierten individuellen Geschäftseinheiten in der ganzen Welt. Percy Barnevik prägte dazu den Leitsatz „We want to be global and local, big and small, radically decentralized with centralized reporting and control.” ABB verfolgte eine transnationale Strategie, die es erlaubte, zwei Dinge zu vereinen: Differenzierungsvorteile durch die Anwendung seiner Kernkompetenzen in den einzelnen Landesmärkten und Kostenvorteile durch globale Größe. Jede Geschäftseinheit sollte außerdem auf die Bedingungen der lokalen Märkte, in denen sie tätig sind, antworten. Um diese ehrgeizige Strategie umzusetzen, muss die Organisation in der Lage sein, ihre Res-
5.2 Organisation im internationalen Kontext
281
sourcen auf globaler Ebene zu steuern. Die Manager verfolgten eine duale Zielsetzung: Erstens eine lokale, landesspezifische Zielsetzung, welche die globalen Ressourcen des Konzerns nutzt, um dem Kunden lokal maßgeschneiderte Produkte zu liefern. Zweitens eine globale Zielsetzung, bei der die Mitarbeiter ermutigt werden, auf lokaler Ebene Wissen und Fähigkeiten zu entwickeln, um diese für globale Produkte einzusetzen. Um diese Ziele zu erreichen, entwickelte ABB eine globale Matrixstruktur, die den Transfer der Kernkompetenzen über die weltweiten einzelnen Geschäftseinheiten ermöglichen sollte (siehe Abb. 5.8).
Leiter der Geschäftsbereiche
CEO Exekutivkomitee
Leiter der Landesholding Dänemark
Antriebe
Griechenland
ABB Antriebe (Griechenland)
Transformatoren ABB Transformatoren (Dänemark)
Individuelle Geschäftseinheit Abb. 5.8
Die Matrixstruktur von Asean Brown Boverie der 1990er Jahre (Asean Brown Boverie)
Für den Gesamtkonzern verantwortlich waren der CEO Barnevik und sein TopManagement-Team, das aus 12 Mitgliedern bestand; zusammen bildeten sie das Exekutivkomitee. Alle drei Wochen trafen sie sich in verschiedenen Ländern. Die 50 Leiter der Geschäftsbereiche berichteten direkt dem Exekutivkomitee. Sie waren verantwortlich für die globale Ausrichtung der 1.200 individuellen Geschäftseinheiten. Die Aufgabe des Leiters eines Geschäftsbereichs war es, den Transfer der Kernkompetenzen zwischen den Geschäftseinheiten eines Geschäftsbereichs zu koordinieren. Sie hatten außerdem die Produktionskosten zu minimieren und den Einkauf effizient zu gestalten. Zusätzlich überwachten sie den globalen Austausch von Managern, um eine internationale Unternehmenskultur zu bilden, die den Transfer von neuen Fähigkeiten und Technologien zwischen den einzelnen Geschäftseinheiten voranbringen sollte. Dem Exekutivkomitee berichteten ebenso die Landesleiter. Die Landesleiter leiteten die nationalen Holdinggesellschaften und waren verantwortlich für die Überwachung und Kontrolle der Aktivitäten der jeweiligen Ge-
282
5 Internationale Strategie und Organisation
schäftseinheiten eines Landes. Der Direktor von ABB Deutschland zum Beispiel, bereitete die Veröffentlichungen im finanziellen Bereich vor und stellte sicher, dass jede Geschäftseinheit nach den institutionellen und rechtlichen Bedingungen in Deutschland agierte. An den Schnittstellen der globalen Matrix befanden sich die 1.200 individuellen Geschäftseinheiten. Deren Leiter hatte zwei Vorgesetzte: Er berichtete an den zuständigen Landesleiter und den Leiter des Geschäftsbereiches, der für die globale Ausrichtung verantwortlich war. Dieser „Two-Boss-Manager“ war sowohl für die Anpassung der Produkte an den lokalen Markt verantwortlich, als auch dafür, dass Wissen und Fähigkeiten mit anderen Geschäftseinheiten ausgetauscht wurden, um die Kernkompetenzen von ABB insgesamt zu stärken. Obwohl diese Matrixstruktur auf dem Papier einen blendenden Eindruck machte, brachte sie Probleme mit sich. In der Theorie ergänzen sich die Aktivitäten der Landesleiter und der Leiter der Geschäftseinheiten, aber in der Praxis konkurrierten sie oft miteinander. Die Leiter der Geschäftseinheiten sahen keinen Anreiz global zu agieren, wenn sie auf der Landesebene Probleme erwarten. Überdies kontrollierte der Landesleiter die Ressourcen der Geschäftseinheiten. Wenn er es bevorzugte, lokal zu handeln und nicht mit den Leitern der Geschäftsbereiche kooperieren will, wer konnte ihn dazu zwingen? Eine globale Matrix ist sehr anspruchsvoll. Nur wenn bei ABB die Leiter der Geschäftsbereiche, die Landesleiter und die Leiter der Geschäftseinheiten zusammenwirken, können sie die Vorteile einer transnationalen Strategie erreichen. Auch die radikale Dezentralisierung mit 1.200 Profitcentern erwies sich als tückisch. Statt eines schwerfälligen Tankers, hatte man nun einen Flohzirkus. Ohne Ausgleich und Kooperation wird die Matrix zu einer unübersichtlichen Bürokratie verkommen, bei der Einheit gegen Einheit und Manager gegen Manager agiert. ABB hoffte, nicht zuletzt mit der dezentralen Matrixstruktur, zu einem dominierenden Player zu werden. Doch es kam anders. Goran Lindahl, der Barnevik Ende der 1990er Jahre ablöste, führte wieder eine herkömmliche divisionale Struktur ein. Der neue Chairman zitierte Lenin, um die Motive für die neue Struktur zu illustrieren: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.“ Wenig später hatte sich ABB schon wieder eine neue, nun kundenorientierte Struktur gegeben, die aber nur eine Variante der divisionalen Struktur ist. Mit dem Wechsel des ExChefs von Aventis, Jürgen Dormann, in den Aufsichtsrat von ABB wurde öffentlich, dass die Lage des ehemaligen Vorzeigeunternehmens dramatisch schlecht war: „Weltkonzern ABB steht am Abgrund“, so damals die Schlagzeile in der Wirtschaftspresse (Financial Times Deutschland vom 4.4.2002). Hinzu kam, dass die beiden Ex-Chefs sich mit astronomisch hohen Abfindungen versorgt hatten: 148 Millionen Schweizer Franken an Barnevik und 85 Millionen an Lindahl. Erst unter Druck waren sie bereit, davon einen Teil zurückzugeben. Nach 2002 ging es mit ABB wieder aufwärts. Haben die LeadershipQualitäten von Dormann ABB gerettet? Fragen: 1. Was war in der Matrixstruktur von ABB die Aufgabe der Landesleiter, der Leiter der Geschäftsbereiche und der Leiter der 1.200 Geschäftseinheiten? 2. Welche Vorteile und Nachteile bieten die Matrixstruktur und die radikale Dezentralisierung der Organisation?
5.2 Organisation im internationalen Kontext
283
3. Inwieweit können am Beispiel von ABB die Möglichkeiten und Grenzen der multidivisionalen Struktur bzw. der sogenannten neuen Form, bei der es weniger auf Strukturen, als auf Zwecke, Prozesse und Menschen ankommt (Kapitel 4.5.1), herausgearbeitet werden? Quellen: Catrina, W.: ABB – Die verratene Vision. Zürich 2003; Jones, G.R.: Organizational Theory. Upper Saddle River 2004; www.abb.com.
5.2.1
Bereiche internationaler Organisationsgestaltung
Ende des zwanzigsten Jahrhundert war Asean Brown Boveri (ABB), ähnlich wie General Motors zu Beginn des Jahrhunderts, nicht nur ein bedeutendes Unternehmen, sondern auch ein Symbol für eine Managementinnovation. Die Matrixstruktur aus lokalen Landesleitern und global verantwortlichen Leitern der Geschäftsbereiche schien die endlich gefundene Antwort auf die Herausforderungen einer transnationalen Strategie zu sein, die zugleich die Vorteile der globalen Standardisierung und der lokalen Reaktionsfähigkeit entwickelt. Außerdem entsprachen weitere organisatorische Besonderheiten bei ABB – wie die radikale Dezentralisierung in über 1.200 Geschäftseinheiten, die Betonung der Eigeninitiative sowie des kulturellen Zusammenhalts – der Diskussion jener Zeit um neue Managementkonzepte. Für renommierte Managementexperten wie Bartlett & Ghoshal, die den Begriff des transnationalen Managements geprägt haben, ist ABB geradezu der Modellfall für eine neue Organisationsform, in der „Zwecke, Prozesse und Menschen“ im Mittelpunkt stehen und nicht mehr nur Strategien und Strukturen, die in Chandlers Welt der 1950er Jahre maßgeblich waren (vgl. Kap. 4.5.1). Ist nun auch diese neue Organisationsform überholt, weil ABB wenige Jahre später Entscheidungen wieder zentralisiert, die Matrixstruktur abschafft und zur traditionellen, multidivisionalen Struktur zurückgekehrt ist? Der Einstiegsfall gibt auf diese Frage keine Antwort. Wenn sich ein Unternehmen verstärkt international orientiert, etwa weil es seine ProduktMarkt-Strategie verändert und ergänzend zum Export auch Auslandsniederlassungen aufbaut, so wird es auch seine Organisation neu ausrichten. Aber welche Organisation passt zu den grundsätzlichen strategischen Orientierungen? Unbestritten ist, dass zu einer Organisation mehr gehört als seine Struktur, mehr als die bekannten Kästchen und Linien des Organigramms, die zeigen, wer an wen berichtet oder wer mit wem zusammenarbeitet (vgl. Kap. 4). Überwiegend wird davon ausgegangen, dass eine Unternehmung nicht nur eine Organisation hat, sondern eine Organisation ist. Sie entspricht somit eher dem Bild eines komplexen Organismus als dem eines einfachen Mechanismus. Neben den „harten“ Strukturen und Prozessen gehören auch die „weichen Faktoren“ – die Unternehmenskultur, Ziele und Selbstverständnis des Menschen, Wissen und Kompetenzen – zu den Elementen einer Organisation. Insbesondere im vielfältigen internationalen Umfeld wachsen die Komplexität, zugleich aber auch die Dynamik der Veränderungen und damit auch die Anforderungen an die Organisation. Das Spannungsverhältnis von globaler Integration und lokaler Reaktionsfähigkeit ist das dominierende Feld der internationalen Strategieentwicklung, das auch bei der Organisation beachtet werden sollte. Yip (2003, S. 182 ff.) beschränkt in „Total Global Strategy II“
284
5 Internationale Strategie und Organisation
den Blick nur auf eine Seite. Das ist zunächst nicht falsch, wenn man davon ausgeht, dass in den ersten Phasen des internationalen Wachstums eines Unternehmens die lokale Eigenständigkeit bereits entwickelt ist und nun die zentrale Herausforderung darin besteht, mit welcher Organisation die globale Integration gestaltet werden kann. Elemente einer globalen Organisation sind nach Yip beispielsweise: global zentralisierte Entscheidungen, ein globales Informationssystem, eine globale Unternehmensidentität und ausländische Führungskräfte in Top-Positionen (vgl. Abb. 5.9). So sinnvoll die Herausarbeitung der Globalisierungsperspektive auch ist, vernachlässigt wird hierbei die lokale bzw. regionale Perspektive, die aber in der Realität kein zu überwältigendes Hindernis darstellt, sondern eine eigenständige und faktisch relevante Orientierung ist. Yip empfiehlt beispielsweise ein globales Kundenmanagement, eine global besetzte Führungsspitze und ein Commitment gegenüber den weltweit Beschäftigten, nicht nur gegenüber denen im Herkunftsland. Soweit es nur um kulturelle Befangenheit geht (vgl. ebd. S. 209) wird man zustimmen können, etwas anderes ist es aber, die lokalen oder regionalen Wurzeln bei Kunden, Mitarbeitern und Management (vgl. Kap. 5.1) einer einseitigen Ideologie zu opfern. Eine Antwort auf das Global-Local Paradox ist damit nicht gefunden.
Organisationsstruktur
Managementprozesse
• Global zentralisierte Entscheidungen • Keine Trennung von Inlandsund Auslandsgeschäft • Corporate vor Geschäft vor Region
Globale Strategien entwickeln und umsetzen
• Globales Informationssystem • • Länderübergreifende Koordination • • Globaler Wissensaustausch Kulturen • Globale strategische Planung • • Globale Budgetierung • • Globale Identität • Globales Kundenmanagement • Verpflichtung gegenüber den weltweit Beschäftigten • Globale Leistungs• beurteilung und Vergütung • Interdependenz des Geschäfts Abb. 5.9
Menschen
Ausländische Manager einsetzen Länderübergreifende Karrierepfade Häufige Reisen Statements und Aktionen des Topmanagements Global besetzte Führungsspitze
Elemente der globalen Organisation (nach Yip 2003, S. 184)
Für Yip ist das Globale Unternehmen der Fixstern, andere hingegen orientieren sich am Transnationalen Unternehmen. Obwohl es Transnationale Corporations (TNCs) in allen Arten und Größen gibt, so sind sie doch nach Dicken (2011, S. 121) durch zwei grundlegende Eigenschaften gekennzeichnet: TNCs sind „Netzwerke innerhalb von Netzwerken“, weil sie durch eine Unzahl komplexer Beziehungen, Transaktionen und Interaktionen inner-
5.2 Organisation im internationalen Kontext
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halb und mit anderen Schlüsselakteuren gekennzeichnet sind, und weil sie als solche eingebettet (embedded) sind in den jeweils unterschiedlichen nationalen Kontext. Ein solcher „Relational Network View“ einer Transnational Corporation wirft die Frage der Organisationsgrenzen auf. Die Tochter- und Enkelgesellschaften sind nicht nur in rigide hierarchische Beziehungen in der Unternehmensgruppe eingebunden, sondern auch in kooperative Beziehungen eingebettet sowie durch distanzierte Marktbeziehungen verbunden (vgl. Abb. 5.10). Unternehmensgrenze Unternehmensgrenze
Externe Netzwerkunternehmen (Strategische Allianzen; Joint Ventures)
Externes Unternehmensnetzwerk (Lieferanten, Kunden)
Externer Geschäftsakteur Eingebettete Beziehung Distanzierte Marktbeziehung
Abb. 5.10
Externe und interne Netzwerkunternehmen (Zulieferer, Kunden, weitere Enkelgesellschaften )
Transnationale Unternehmen als Netzwerke innerhalb von Netzwerken (Dicken 2011, S. 122)
„Die besondere Art und Weise, in der TNCs ihre Netzwerke organisieren und konfigurieren, ergibt sich deshalb aus einer Anzahl wechselseitig zusammenhängender Einflüsse; das sind vor allem: die Art und Komplexität der Branchenumwelten, in denen das Unternehmen operiert, einschließlich der Art und Weise des Wettbewerbs, der Technologie, der regulativen Strukturen usw., die besondere Geschichte und Geographie des Unternehmens, einschließlich seines kulturellen und administrativen Erbes (...), sowie Eigenschaften, die sich aus seiner Einbettung im Herkunftsland ableiten.“ (Dicken 2011, S. 122) Die Relevanz dieser Sichtweise kann am Beispiel der Hidden Champions verdeutlicht werden. In Deutschland, Österreich und der Schweiz gibt es mehr als 1.500 dieser wenig bekannten Weltmarktführer, sie sind hier mehr beheimatet als irgendwo sonst in der Welt. Nach Simon (2012) entsteht der globale Erfolg dieser mittelständischen Unternehmen aus einem komplexen Bündel interagierender Ursachen; in Deutschland sind dies:
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5 Internationale Strategie und Organisation
Historische Kleinstaaterei. Das historische Erbe, das Unternehmen aufgrund der Kleinstaaterei bis Ende des 19. Jahrhunderts internationalisieren mussten, um zu wachsen, wirkt bis heute. Traditionelle Kompetenzen. Jahrhundertealte Kompetenzen werfen ihr Licht bis in die Gegenwart. So wurden im Schwarzwald seit je Uhren gefertigt. Die dafür erforderlichen feinmechanischen Kompetenzen werden auch in andere Branchen übertragen. Herausragende Innovationskraft. Das zeigt sich an der hohen Anzahl von Patenten. Starke Produktionsbasis. Anders als beispielsweise Großbritannien und die Vereinigten Staaten hat Deutschland seine Produktionsbasis erhalten. Günstige Lohnstückkosten. Davon profitiert der Export. Scharfe Konkurrenz. Die schärfsten Konkurrenten sind in der Nähe angesiedelt. Das fördert nach dem Diamant-Modell von Porter die Wettbewerbsfähigkeit. Made in Germany. Qualität trägt bei zum Exporterfolg bei. Industriecluster. Industriecluster wie etwa für Schneidwaren in Solingen versammeln höchste Kompetenz weltweit in einer Region. Unternehmercluster. Windhagen im Westerwald hat 4260 Einwohner und 3 mittelständische Weltmarktführer – das soziale Netzwerk spornt an. Regionale Streuung. Wissen wird nicht, wie anderswo, an einem Ort konzentriert. Duale Berufsausbildung. Dieses in der Welt einmalige System wird inzwischen von anderen Ländern nachgeahmt. Geostrategische Mittellage. Günstig zur Überbrückung von Distanzen und Zeitzonen. Mentale Internationalisierung. Vergleichsweise weiter kultureller Horizont. Mit den Themen Mission (vgl. Kap.2.3), Ressourcenbasis (vgl. Kap. 3.1.3), Netzwerkstrategie (vgl. Kap. 3.3) und Organisation (vgl. Kap. 4), die Peter Dicken und Hermann Simon hier explizit oder implizit ansprechen, haben wir uns bereits auseinandergesetzt; im Folgenden geht es um den Zusammenhang von Strategie und Organisation im internationalen Kontext. Wie zuvor gezeigt, sind in der jeweiligen Situation unterschiedliche Unternehmensstrategien angemessen, seien sie nun international, multinational, global oder transnational. Für die strategiegerechte Organisationsgestaltung sind folgende Faktoren relevant, die in diesem Kapitel näher betrachtet werden: Organisationsstruktur. Auch aus internationaler Sicht geht es zunächst um die durch generelle Regeln geschaffene Ordnung, um die Organisationsstruktur oder Aufbauorganisation. Ist vielleicht die Matrixstruktur die richtige Antwort auf eine Global-LocalStrategie? Weitere Fragen, die über das Verhältnis von Mutter- und Tochtergesellschaften hinausgehen, kommen hinzu: Soll das Wachstum in ausländischen Märkten durch Neugründung oder aber durch Aufkauf bzw. Beteiligung erfolgen? Welchen Stellenwert hat die weltumspannende Kooperation von Unternehmungen, die sich gewissermaßen zwischen Markt und Hierarchie entwickelt? Die Formen reichen hier vom Franchising, wie bei McDonald’s, über die Kooperation von Konkurrenten, wie bei der gemeinsamen Entwicklung von Speicherchips durch Siemens und IBM, bis hin zu Netzwerkunternehmen, wie Nike oder Puma, die keinen Stich an ihren Turnschuhen selbst machen, sondern Zulieferer aus Niedriglohnländern einsetzen.
5.2 Organisation im internationalen Kontext
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Managementprozesse und -systeme. Dazu gehören Aktivitäten wie Planung, Ablauforganisation und Controlling. Hierarchische Formen der Koordination werden ergänzt durch prozessorientierte Regeln der Abstimmung (Programme, Pläne und Budgets) sowie durch personenorientierte Formen der Integration: die Selbstabstimmung in Projekten und Teams, informelle Beziehungen und Netzwerke. Welche Anforderungen ergeben sich bei der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit? Wandel von Organisationen und Kulturen. Welches sind die wesentlichen Treiber des organisatorischen Wandels? Kulturen sind Werte und Normen, die das Verhalten der Organisationsmitglieder prägen, sie sind der „Klebstoff“, der Organisationen zusammenhält. Es gibt immer mehr Global Player: Sind Landeskulturen dann noch relevant, sind sie eher Hindernis oder Potenzial? Entwickelt sich mit den Marktkräften neben der Diversität auch die Konvergenz der Kulturen? Herausforderung Personalmanagement. Mit der Internationalisierung verändern sich Organisationsstrukturen, -prozesse und -kulturen. Welche Herausforderungen ergeben sich dadurch für ein effizientes Personalmanagement? Sollen weltweit gleiche Standards bei der Bewertung und Entwicklung von Führungskräften angewendet werden oder sind diese lokal bzw. regional anzupassen?
5.2.2
Internationale Organisationsstrukturen
Wenn ein Unternehmen beginnt im Ausland tätig zu werden, so wird sich zunächst die Organisation kaum ändern. Zu Reorganisationsmaßnahmen wird es erst dann kommen, wenn Umfang und Vielfalt der Exporte, Lizenzabkommen und Auslandsproduktion soweit angewachsen sind, dass die bisherigen Strukturen nicht mehr als angemessen wahrgenommen werden. Wir haben im vorigen Kapitel gesehen, dass grundsätzlich unterschiedliche Strukturen möglich sind. Mit wachsender Diversifizierung der Strategie wird die funktionale Struktur im Regelfall durch eine multidivisionale Struktur abgelöst und durch Netzwerkstrukturen ergänzt. Je nach dem Grad der realisierten Integration des Auslandsgeschäfts in die Gesamtstrategie der Unternehmung kommt jedoch eine weitere Unterscheidung hinzu: Das Auslandsgeschäft kann vom Inlandsgeschäft organisatorisch getrennt werden oder integriert sein. Beim Trennungsmodell (Split) wird unmittelbar unter der Unternehmensleitung eine Internationale Division eingerichtet, die für die internationalen Aktivitäten zuständig ist. Demgegenüber soll durch integrierte Strukturen die weltweite Orientierung unterstützt werden. Hierbei wird keine Trennung von Inlands- und Auslandsaktivitäten auf der Ebene unter der Geschäftsleitung vorgenommen. Deren Grundformen sind: Die globale funktionale Struktur. Diese ist geeignet, wenn das Unternehmen nach Produkten und Regionen noch wenig diversifiziert ist. Beispiel: BMW. Die globale Regionalstruktur fördert lokale Anpassungsfähigkeit, weniger Größen- und Lernvorteile. Beispiele: Cemex, Black & Decker. Die globale multidivisionale Produktstruktur realisiert bei wachsender Diversifizierung Größen- und Lernvorteile, weniger die lokale Anpassungsfähigkeit. Beispiele: Siemens, Bayer, Du Pont.
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5 Internationale Strategie und Organisation
Herkömmlich gab es beispielsweise bei Starbucks die Trennung zwischen der U.S Division und Starbucks Coffee International. Diese Internationale Division erreichte einen Umsatzanteil von nur 20 Prozent. Um das internationale Wachstum zu stärken, wurde Starbucks zum Jahresende 2011 in drei regionale Divisons reorganisiert: China und Asien-Pazifik, die Amerikas, und EMEA (Europa, Mittlerer Osten, Russland und Afrika). In diesem Zusammenhang wird häufig ein Stufenmodell der Internationalisierung von Stopford und Wells angeführt, dem eine Untersuchung der 187 größten Multinationalen Unternehmen der USA Ende der 1960er Jahre zugrundeliegt (vgl. Stopford & Wells 1972). Die strategische und administrative Komplexität, die Unternehmen, die international expandieren, zu bewältigen haben, wird mit zwei Variablen gemessen: der Anzahl der Produkte, die international verkauft werden (foreign product diversity), und mit dem Anteil der Auslandsumsätze am Gesamtumsatz (foreign sales as a percentage of total sales). In der Anfangsstufe ihrer internationalen Ausdehnung führen nach diesem Modell die Unternehmen ihre internationalen Operationen im Regelfall in einem getrennten Geschäftsbereich, in einer Internationalen Division (vgl. Abb. 5.11). Danach folgen alternative Entwicklungspfade. Wächst nur der Anteil des Auslandsumsatzes weiter, so werden integrierte Regionalstrukturen aufgebaut. Wächst aber der Grad der Auslandsdiversifikation weiter, so wählen USamerikanische Unternehmen zunehmend integrierte Produktstrukturen. Wenn aber sowohl der Auslandsumsatz als auch die Produktvielfalt im Ausland hoch sind, dann entsteht das Gitter einer internationalen Matrixstruktur (The Grid), wie wir sie im ABB-Einstiegsfall kennengelernt haben. Unternehmensberater, Wissenschaftler und Manager haben die globale Matrix, die in der Theorie gut zu funktionieren scheint, als Regelfall auch für die Praxis angesehen, tatsächlich aber schien die Struktur dabei mehr der Mode als der Strategie zu folgen. Dow Chemical, Citibank und Asean Brown Boverie und andere Pioniere der globalen Matrixstruktur haben diese später wieder abgeschafft. Die meisten Unternehmen vermeiden heute die Matrixstruktur um eine globale und zugleich lokale Strategie umzusetzen (vgl. Bartlett & Ghoshal 1998; Kates & Galbraith 2007).
Produktdiversität im Ausland
5.2 Organisation im internationalen Kontext
Weltweite ProduktDivision
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Globale Matrix (oder „Gitter“)
Alternative Entwicklungspfade
Internationale Division
RegionalDivision
Anteil des Auslandsumsatzes am Gesamtumsatz Abb. 5.11
Die Matrixstruktur als Antwort auf die Global-Local-Strategie? (Stopford & Wells 1972 nach Bartlett & Ghoshal 2008, S. 334)
Die Kritik am Stufenmodell von Stopford und Wells kann man an folgenden Punkten festmachen: Nicht allgemein gültig. Europäische Unternehmen haben sprunghaft integrierte Strukturformen aufgebaut und lassen die Internationale Division einfach aus. Die Enge der zersplitterten Märkte der europäischen Länder hat die Auslandstätigkeit ihrer Unternehmen mit dem Ziel des Wachstums und des Risikoausgleiches gefördert (vgl. Franko 1976; Bühner 2004; Kutschker & Schmid 2011). Daher ist der Unterschied zwischen USamerikanischen und europäischen Unternehmen in bestimmten Phasen ihrer Entwicklung plausibel. Andere Organisationsstrukturen werden nicht betrachtet. Gemischte Strukturen sind in der Praxis nicht ungewöhnlich. Bei Procter & Gamble haben heute in reichen Ländern die Geschäftseinheiten die Verantwortung für Gewinne und Ressourcenverteilung, in ärmeren Ländern, wie China und Osteuropa, sind es dagegen die Regionen. Der Grund ist, dass der Wettbewerb in ärmeren Ländern härter und weniger vertraut ist. Bei unterschiedlichem Globalisierungsgrad der Geschäftsbereiche spricht manches für eine gemischte Struktur. Die zunehmende Bedeutung internationaler Strategischer Allianzen und Unternehmensnetzwerke muss heute berücksichtigt werden. Mehrlinien-Strukturen fördern Konfusionen und Konflikte. Nur auf dem Papier ist die Matrixstruktur die ideale Antwort einer zugleich globalen und lokalen Strategie. Zwar fördern die weltweite Produktverantwortung der Leiter der Geschäftsbereiche Standardisierungsvorteile und die Verantwortung der „Landesfürsten“ auf gleicher Ebene die loka-
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5 Internationale Strategie und Organisation
le Anpassung. Aber es wird übersehen, dass die Matrixstruktur als Mehrliniensystem („Two-Boss-Manager“) zu unklaren Verantwortlichkeiten und Konflikten führt. Organisationen sind mehr als nur Strukturen. Die formale Struktur reicht nicht aus um die Komplexität der strategischen Aufgaben zu bewältigen. Die Konfiguration und Koordination wird nur teilweise erfasst, weil die dritte und folgende Leitungsebene nicht dargestellt und über die Organisationsprozesse und -kulturen nichts ausgesagt wird. Sekundärstrukturen wie Teams, Projekte und informelle Strukturen sowie weitere Formen der Koordination kommen hinzu. Erkennbar ist, dass sich diese Kritik nicht nur gegen ein Modell richtet, sondern grundlegend ist. Bartlett & Ghoshal haben sich bereits Anfang der 1990er Jahre von der Vorstellung abgegrenzt, dass die Matrixstruktur die definitive Antwort auf die von ihnen beschriebene Tendenz zur transnationalen Strategie ist. Drei Argumente sind dabei zentral: 1.) formale Strukturen reichen nicht mehr, 2.) die Matrixstruktur hat Schwächen und 3.) kommt es auf die Menschen an. Erstens. Durch die gestiegene Komplexität und Dynamik reicht die formale Struktur nicht mehr aus: „In einer wachsenden Zahl von Unternehmen erkennen nun die Manager, dass die formale Struktur ein mächtiges, aber stumpfes Instrument für strategischen Wandel ist. Die Anpassung der Struktur wird weniger bedeutend und ist schwerer zu erreichen. Um seine lebendigen multidimensionalen und flexiblen Fähigkeiten zu entwickeln, muss ein Unternehmen das Denken seiner Manager und seine wesentlichen Entscheidungssysteme neu ausrichten. Dabei wird der gesamte Managementprozess – einschließlich der administrativen Systeme, Kommunikationswege, Entscheidungsgremien und zwischenmenschlichen Beziehungen – zu einem Mittel, diesen Wandel zu erreichen.“ (Bartlett et al., 2008, S. 336) Hinzu kommt zweitens, dass die hierarchische Steuerung durch eine Matrixstruktur, die in den 1970er und 1980er Jahren modern wurde, in der Praxis scheiterte. Die duale Berichtsstruktur führt zu Konflikt und Konfusion, wuchernden Informationskanälen, unklaren Verantwortlichkeiten und zur Überforderung der Manager, die durch Sprachen, Zeit und Kulturen voneinander getrennt sind, die Dinge zurechtzubiegen. Die Matrix hat zwar eine multidimensionale Struktur, verletzt aber Fayols Prinzip der einheitlichen Auftragserteilung. Die hierarchische Struktur ist nur die grundlegende Anatomie der Organisation. Die wechselseitigen Beziehungen und Entscheidungsprozesse, die Physiologie, gehören dazu wie ebenso die Kultur, die Psychologie der Organisation. Nicht zu vergessen sind deshalb drittens die Mitglieder einer Organisation, also die Menschen. Deren Steuerung über Veränderungen der Formalstruktur ist grob, nicht immer wirksam und oft brutal. Ein Grundauftrag des Unternehmens, der von den Organisationsmitgliedern gemeinsam verfolgt wird, ein effizientes Personalmanagement, das die Identifikation mit den Unternehmenszielen unterstützt, und die Förderung der hierarchieübergreifenden Zusammenarbeit sind nach Bartlett und Ghoshal die entscheidenden Ansatzpunkte für eine „Matrix in Mind“. Nicht die Strukturen sind also entscheidend, sondern: „Menschen sind der Schlüssel, um komplexe Strategien und Organisationen zu führen.“ (Bartlett & Ghoshal 2000, S. 138) Es wird nicht überraschen, dass die Themen und Kontroversen, die wir bereits aus dem grundlegenden Kapitel zur Organisation kennen, sich nun auch im internationalen Kontext
5.2 Organisation im internationalen Kontext
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wiederholen. Das fängt an bei den sogenannten weichen Erfolgsfaktoren, läuft dann über die Kontroverse um die multidivisionale Struktur (M-Form) und die Bedeutung von Prozessen, Projekten und Menschen und endet beim Innovations- und Change Management. Erinnern wir uns: Bartlett und Ghoshal gehen davon aus, dass jenseits den Strukturen, eine neue Form (N-Form) entstanden ist: „Great companies are defined by purpose, process, and people“, ist die Botschaft. Deren Kritiker halten hingegen an der multidivisionalen Struktur (M-Form) fest. Eine pragmatische Antwort auf diese Kontroverse ist, dass beide Perspektiven ihre Berechtigung haben (vgl. Kapitel 4.5.1). Wohl als organisatorischer Ausdruck des Übergangs von einer multilokalen zu einer globalen oder transnationalen Strategie ist zu werten, dass seit Mitte der 1990er Jahren die zuvor häufig starke Stellung der Landesleiter entscheidend geschwächt wurde. Marc Jarvis, Marketingchef bei Oracle erinnert sich: „Es war wie im England des Mittelalters: Die Fürsten hatten mehr Macht als der König. Heraus kamen viele kleine Unternehmen unter einem gemeinsamen Namen.“ (nach The Economist, 9. Mai 2002). In großen weltumspannenden Konzernen, die über ein breites Produktprogramm verfügen und in vielen Ländern tätig sind, hat sich häufig die multidivisionale Struktur durchgesetzt, hier gilt: „Corporate before Business before Region.“ Beispiele dafür sind Bosch, Bayer, Daimler, Henkel und neuerdings Siemens. Um der Anforderung von Bartlett & Ghoshal zu genügen und den „ganzen Managementprozess“ zumindest in Umrissen zu verstehen, wenden wir uns nun weiteren Bereichen der internationalen Organisation zu.
5.2.3
Internationale Managementprozesse und -systeme
Hierarchien sind nur eine Form der Koordination in einer Organisation (vgl. Kutschker & Schmid 2008). Neben diese strukturelle Koordination treten technokratische, personenorientierte und sonstige Form der Koordination, wie z.B. durch Transferpreise (vgl. Abb. 5.12). Auf einige der zentralen Fragestellungen auf diesem Gebiet gehen wir im Folgenden unter den Kapitelüberschriften „Managementprozesse und -systeme“, „Organisatorischer Wandel und Kulturen“ sowie „Herausforderungen für das Personalmanagement“ ein. Die ebenfalls bedeutenden institutionellen Rahmenbedingungen, seien sie nun administrativ-politischer, geographischer oder wirtschaftlicher Art, werden nur am Rande erwähnt. Strukturelle Koordination - Organisationsstrukturformen - Abteilungen - Stäbe, Zentralabteilungen, Zentralbereiche, Projektorganisationsformen - Zentralisierung oder Dezentralisierung von Entscheidungen Abb. 5.12
Technokratische Koordination
Personenorientierte Koordination
- Programme - Pläne - Budgets - Berichtssysteme - Formalisierung - Sonstige Regeln
- Persönliche Weisungen - Selbstabstimmungen - Persönliche Besuche - Transfer von Führungskräften - Standardisierung von Rollen - Kulturorientierte Koordination
Sonstige - Transferpreise - Wissenstransfer - Selbstorganisation - ...
Ausgewählte Koordinationsinstrumente (Kutschker & Schmid 2011, S. 1035)
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5 Internationale Strategie und Organisation
Mit dem Wachstum der Größe der Organisation, der Vielfalt der Geschäftsfelder und Länder, in denen ein Unternehmen tätig ist, wächst auch die Anforderung, die an verschiedene Personen und Orte, sowie zu unterschiedlichen Zeiten verteilten Aufgaben wieder zusammenzuführen. Denn mit der Arbeitsteilung steigt die Spannung zwischen Differenzierung und Integration (vgl. Lawrence & Lorsch 1967). Grundsätzlich stehen dazu die Instrumente wie Hierarchie, Programme und Pläne und Selbstabstimmungsregeln zur Verfügung. Es versteht sich, dass diese Managementprozesse ein bedeutendes Element der globalen Strategie darstellen: „Während die Organisationsstruktur eine unmittelbare Wirkung auf das Verhalten der Manager ausübt, sind es die Managementprozesse, die das System bewegen. Angemessene Prozesse und Systeme können sogar bis zu einem gewissen Grad angemessene Strukturen ersetzen. Zu diesen Prozessen und Systemen gehören das globale strategische Informationssystem, die länderübergreifende Koordination, die globale strategische Planung und Budgetierung und die globale Leistungsbeurteilung und -vergütung.“ (Yip 2003, S. 193) Darüber hinaus aber sind Strukturen und Prozesse selbst differenzierter zu betrachten: Ein zentraler Unterschied gegenüber der für das vergangene Jahrhundert typischen Massenproduktion besteht darin, dass Unternehmen in hochentwickelten Ländern bei gestiegener Komplexität und Dynamik sowohl Kostenvorteile als auch Differenzierung und Flexibilität anstreben müssen. Unter den Bedingungen dieses Zieldreiecks sind organische Systeme, wie T. Burns und G. Stalker bereits Anfang der 1960er Jahre aufgrund empirischer Studien herausgefunden haben, mechanistischen Systemen überlegen (vgl. Kapitel 4.5.2). Hier noch einmal zur Wiederholung: Ein mechanistisches System ist gekennzeichnet durch formale Regeln, zentralisierte Entscheidungen, eng definierte Arbeitsaufgaben und strikte hierarchische Unterstellung. Es entspricht dem Modell der Bürokratie, die schon der deutsche Soziologe Max Weber zu Beginn des 20. Jahrhunderts beschrieben hat. Ein organisches System hingegen ist charakterisiert durch die geringe bis mittlere Bedeutung formaler Regeln, durch dezentralisierte und gemeinsame Entscheidungsprozesse, breit definierte Arbeitsaufgaben und eine flexible Hierarchie mit weniger Ebenen. Deshalb wächst die Bedeutung auch nicht-hierarchischer Integrationsformen durch Selbstabstimmung in Projekten und Teams sowie durch informelle Verbindungen und Netzwerke. Das genannte Zieldreieck kann besser verfolgt werden durch Projekte, Einsatzgruppen, Koordinationsrollen und andere Formen von Sekundärstrukturen, die die oben beschriebenen Primärstrukturen überlagern. Je nach Gewicht der Kompetenzverteilung entsteht so ein komplexes Entscheidungsgeflecht. An drei Bereichen soll die Bedeutung der Managementprozesse und -systeme für die internationale Organisation verdeutlicht werden: Innovations- und Wissensmanagement im weltweiten Netzwerk, prozessorientierte Managementsysteme und internationale Organisationsmodelle.
5.2 Organisation im internationalen Kontext
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INNOVATIONSMANAGEMENT IM WELTWEITEN NETZWERK Für Innovationen ist nicht nur die Forschungs- und Entwicklungs-Abteilung zuständig. Vielmehr wird Innovationsmanagement funktionsübergreifend verstanden (vgl. Kap. 4.6). Im internationalen Kontext entstehen neue Problemstellungen, die es zu gestalten gilt (vgl. Boutellier et al. 2008). Bei Projekten, die nur an einem Standort durchgeführt werden, kann sich der persönliche Wissensaustausch ungehindert entwickeln und Vertrauen aufgebaut werden. Bei weltweit standortverteilten Projekten wirken der fehlende Austausch aller fünf Sinne sowie Sprach-, Kultur- und Statusunterschiede wie Barrieren. Nach Wilson & Doz (2012) kommt es beim globalen Innovationsmanagement deshalb vor allem auf vier Stellhebel an: Rahmenbedingungen. Entwicklung der Kompetenzen zur Zusammenarbeit vor Projektstart zunächst an zwei, drei Standorten. Schaffung eines stabilen Umfelds. Managementstrukturen. Leitung durch einen hochrangigen Projektmanager. Ein Standort sollte die Führungsrolle übernehmen, um zeitraubende Verhandlungen zu vermeiden. Ressourcen. Der Mittelumfang sollte vor Projektbeginn geklärt werden; die Ressourcen sollten nach den Fähigkeiten und nicht nach der Verfügbarkeit zusammengebracht werden. Begrenzung der Zahl externer Partner, um die Komplexität beherrschbar zu halten. Kommunikation. Globale Projekte sollten sich am Reichtum der Kommunikationskanäle standortgebundener Projekte orientieren. Die Anforderungen können am Beispiel eines Simultaneous Engineering Teams in der Produktentwicklung verdeutlicht werden. Spezialisten aus unterschiedlichen Funktionsbereichen (wie Beschaffung, Produktion und bis hin zu Marketing und Vertrieb) arbeiten dabei standortübergreifend unter der Leitung eines hochrangigen Managers zusammen. Mit modernen Informations- und Kommunikationstechnologien geht das auch länderübergreifend zu jeder Zeit und an jedem Ort und in sogenannten virtuellen Teams (vgl. Picot et al. 2003). Jenseits technischer Lösungen ergeben sich im internationalen Kontext aber neue Aufgaben für das Management durch unterschiedliche Kulturen, komplexe Projekte und standortverteiltes organisatorisches Lernen (vgl. Abb. 5.13):
Herausforderungen auf der Ebene der Standorte und gesellschaftsrechtlichen Einheiten (Legal Entities) reichen von der Überwindung geographischer Distanzen bis hin zu Fragen der Steueroptimierung. Auf der Ebene der Hierarchien und Funktionen geht es unter anderem um das erforderliche Ausmaß funktionaler Spezialisierung, aber auch um Themen wie das „NotInvented-Here Syndrom (NIH)“, das bedeutet, dass neues Wissen abgelehnt wird, weil man es nicht selbst entdeckt hat. Auf der Ebene der Projekte und Prozesse stellt sich neben dem klassischen Austarieren des Verhältnisses von Projekt und Linie die Frage, wie die Zusammenarbeit in virtuellen Teams gestaltet werden kann. Weil die Mitglieder von Projektteams regional verstreut arbeiten und aus unterschiedlichen Ländern und Kulturen kommen, muss geklärt werden, welche Kommunikationsmittel in welchem Stadium eines Projektes eingesetzt werden. Ein E-Mail gilt als armes Medium im Vergleich zum persönlichen Kontakt von Angesicht zu Angesicht. Deshalb wird man zu Beginn eines Projektes, wenn die Dinge noch unübersichtlich sind, zunächst persönliche Treffen trotz hoher Reisekosten ansetzen.
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5 Internationale Strategie und Organisation
Informelle Beziehungen und Netzwerke, wie sie sich etwa auf Seminaren und Trainings, aber auch bei Freizeitaktivitäten entwickeln, fördern den Wissenstransfer und den „Klebstoff“ (Corporate Glue) einer gemeinsamen Kultur.
Informelle Beziehungen und Netzwerke
• • • • •
Sozialisierung Informeller Informationsfluss Face-to-face Wissenstransfer Verborgenes Wissen Normen und Werte
Projekte und Prozesse
• • • • •
Routinen Prozessintegration Verstreute F&E-Teams Projektmanagement Projekt versus Linie
Hierarchie und Funktion
• • • • •
Funktionale Spezialisierung Optimierung der Geschäftseinheit Berichtsstrukturen Budget- und Ressourcen-Allokation NIH-Syndrom
• • • • •
Steuer-Optimierung Lokale Ressourcen abklopfen Lokale Marktbedürfnisse treffen Geographische Distanzen Beschränkte Kommunikation
Standorte und rechtliche Einheiten
Abb. 5.13
Ebenen und Problemstellungen der internationalen F&E-Organisation (Boutellier et al. 2008, S. 116)
PROZESSORIENTIERTE MANAGEMENTSYSTEME Mit der Verbreitung neuer Organisationskonzepte, wie Lean-Management, Business Process Reengineering und Total Quality Management, rücken prozessorientierte Managementsysteme in den Vordergrund (vgl. Kap. 4.3.3). Aktuelle Steuerungskonzepte wie die Balanced Scorecard sehen Qualitäts- und Flexibilitätsziele nicht mehr als nur nachrangig gegenüber finanziellen Zielen an – organisatorische Fragen werden dadurch aufgewertet (vgl. Kap. 2.2.2). Die Geschichte dieser Managementkonzepte hat gezeigt, dass hier der internationale Wissenstransfer, aber auch die Entwicklung einer eigenständigen Lösung Engpassfaktoren sind. Ein Beispiel dafür ist die Frage, inwieweit das Toyota-Produktionssystem in andere Länder und Unternehmen übertragen werden sollte (vgl. Kap. 3.3.1). „Distance still matters“: Das ist der Titel eines bekannten Beitrages von Ghemawat (2001), der nach kulturellen, administrativen, geographischen und wirtschaftlichen Distanzen unterscheidet (CAGEFramework) und damit Manager dabei unterstützt, die unterschiedliche Bedeutung von Distanzen in den jeweiligen Branchen zu identifizieren und zu bewerten. Unternehmen erkennen, „dass weitverstreute Low-Cost-Lieferketten sie angreifbar machen – durch Protektionismus, steigende Transportkosten und Qualitätsprobleme.“ (Ghemawat 2011, S. 97)
5.2 Organisation im internationalen Kontext
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Beim Global Sourcing sollten daher die Total Cost of Ownership und die damit verbundenen Risiken nicht vergessen werden (vgl. Chopra & Meindl 2012). Nach einem Bericht der Vereinten Nationen können kleine und mittlere Unternehmen in der globalen Lieferkette komplexen CSR-Anforderungen (vgl. Kap. 2.4) besser genügen, wenn Regierungen und Multinationale Unternehmen sich mehr für die Harmonisierung in diesem Bereich einsetzten (vgl. UNCTAD 2012).
INTERNATIONALE ORGANISATIONSMODELLE Welche Rolle spielen vor diesem Hintergrund internationale Organisationsmodelle, in denen der Autonomiegrad der Tochtergesellschaften festgelegt wird? Ist der Autonomiegrad zu hoch, besteht die Gefahr, dass die Töchter die Ziele der Muttergesellschaft nicht hinreichend beachten, ist er zu gering, leidet die lokale Anpassungsfähigkeit (vgl. Holtbrügge & Welge 2010). Wie kann dieser Zielkonflikt bewegt werden? Einer der einflussreichsten Ansätze hierzu stammt von Bartlett & Ghoshal (1998; 2008): Danach bestand in den 1950er und 1960er Jahren bei den ausländischen Tochtergesellschaften vor allem amerikanischer Unternehmen eine hohe Abhängigkeit von der Muttergesellschaft in der Art einer koordinierten Föderation. Wissen konnte so leicht transferiert werden, aber die Nutzung von lokalen Anpassungsvorteilen war erschwert. Demgegenüber führten europäische Unternehmen ihre Auslandsgesellschaften als dezentralisierte Föderation. Dadurch wird die flexible Anpassung an die jeweiligen lokalen Bedingungen gefördert, während Verbundeffekte erschwert werden. Das Organisationsmodell insbesondere japanischer Unternehmen wiederum entsprach einer zentralisierten Nabe-Speiche-Konfiguration: Vermögen, Ressourcen und Kompetenzen sind in der Muttergesellschaft zentralisiert. Dadurch lassen sich Größenvorteile aus der globalen Abstimmung erzielen, die Anpassungsfähigkeit an die lokalen Bedingungen bleibt hingegen begrenzt (vgl. Abb. 5.14). Keines der genannten Organisationsmodelle, die Bartlett & Ghoshal als das jeweilige organisatorische Erbe bezeichnen, erscheint zur Umsetzung einer transnationalen Strategie geeignet, bei der es um die gleichzeitige Nutzung von Standardisierungs-, Differenzierungs- und länderübergreifenden Lernvorteilen geht. Hierfür ist nach Bartlett & Ghoshal ein integriertes Netzwerk notwendig. Zu dessen Merkmalen gehören ausgeprägte organisatorische Interdependenzen, die Dezentralisierung strategischer Entscheidungskompetenzen, weltweite organisatorische Lernprozesse durch den regen Austausch von Technologie, Kapital und Mitarbeitern sowie mehr „weiche“, personelle und kulturelle Koordinationsinstrumente. Statt von einer Matrixstruktur fordern die Autoren deshalb eine „Matrix in Mind“, einer Einstellung, die Bereichsgrenzen überwindet.
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5 Internationale Strategie und Organisation Dezentralisierte Föderation
E
Koordinierte Föderation
Viele Ressourcen dezentralisiert, aber von der Zentrale gesteuert
Lose, persönliche Steuerung. Finanzströme: Dividende für Kapital
Enges, formales Steuerungssystem. Wissensfluss: Technologie und Expertise der Muttergesellschaft lokal angepasst
Das Konzernmanagement gibt den Landesgesellschaften viel Freiraum Zentralisierte Nabe Die meisten Ressourcen sind zentralisiert
J
Das Konzernmanagement behandelt die Landesgesellschaften als ausgedehnte Inlandsoperationen Integriertes Netzwerk
Verteilte, spezialisierte Ressourcen und Fähigkeiten
Feste Steuerung durch zentralisierte Entscheidungen. Güterströme von der Zentrale aus Das Konzernmanagement behandelt die Landesgesellschaften als Lieferanten für den globalen Markt
Abb. 5.14
USA
Die meisten Ressourcen sind dezentralisiert
Ein komplexer Prozess der Koordination und Kooperation im Umfeld gemeinsamer Entscheidungen
Viel Austausch von Komponenten, Ressourcen, Menschen und Informationen zwischen verflochtenen Einheiten
Modelle der organisatorischen Konfiguration (nach Bartlett & Ghoshal et al. 2008, S. 338 ff.)
Ein Beispiel veranschaulicht den Ansatz von Bartlett & Ghoshal (1989). Die Entwicklung und Verbreitung des Wissens im Multinationalen Unternehmen hängt von dessen Strategie und organisatorischer Konfiguration ab: Bei einer multilokalen Strategie in der dezentralisierten Föderation wird das Wissen in den Landesgesellschaften entwickelt und behalten. Bei einer globalen Strategie und einer zentralisierten Nabe-Speiche-Konfiguration wird das Wissen vor allem in der Zentrale und den wichtigsten Standorten entwickelt und behalten. Bei einer transnationalen Strategie eines integrierten Netzwerkes wird Wissen gemeinsam entwickelt und weltweit geteilt. Zum Wissensmanagement (Knowledge Management) gehören die Strukturen, Prozesse und Systeme, die aktiv Wissen entwickeln, verstärken und übertragen (vgl. zum Folgenden Peng & Meyer 2011, S. 464 ff.). Explizites Wissen ist kodifizierbar, das heißt, es kann mit geringen Verlusten niedergeschrieben und übertragen werden. Implizites Wissen (Tacit Knowledge) ist nicht kodifizierbar und kann nur durch Learning by Doing übertragen werden. Auf Team- und Organisationsebene wird das implizite Wissen durch organisatorische Routinen übertragen (vgl. Kap. 4.3.2). „Wissen entsteht meistens in Gruppen von Menschen die ähnliche oder verwandte Tätigkeiten ausführen und ihr Wissen darüber austauschen, bekannt als Communities of Practice (CoP).“ (ebd., S. 467 f.) Solange das Wissen nicht kodifiziert ist, entstehen im tagtäglichen Geschäft Innovationen; soziale Netzwerke wirken unterstützend. Weil im integrierten Netzwerk Wissen an verschiedenen Stellen in Landesge-
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sellschaften entwickelt wird, statten Multinationale Unternehmen einzelne Tochtergesellschaften mit einem weltweiten Mandat aus, wie beispielsweise bei Bayer und Siemens. Diese Sekundärstrukturen werden als Centers of Excellence bzw. Centers of Competence bezeichnet, wobei die Initiative auch von der Tochtergesellschaft aus gehen kann (Subsidiary Initiative). Eine Untersuchung von Ambos et al. (2010) zeigt, dass Tochtergesellschaften durch Initiativen ihren Einfluss erhöhen können, dass sie aber dazu die Aufmerksamkeit der Zentrale erlangen müssen. Vorbehalte könnten darin bestehen, dass Initiativen die Beobachtung durch die Zentrale heraufbeschwören, was im Gegenzug die Autonomie der Tochtergesellschaft verringern kann. Die Aufgabe der Zentrale besteht in der Bündelung und Bereitstellung des relevanten Wissens und der Ableitung von übergreifenden Standards, Prozessen und Instrumenten (vgl. Kap. 4.2.2). Nicht immer ist das zielführend: „Distanz kann ein Vorteil sein. Sie erlaubt den ausländischen Tochtergesellschaften mit unkonventionellen oder unpopulären Projekten zu experimentieren, die stillgelegt würden, wenn sie für die Zentrale sichtbarer wären.“ (Birkinshaw & Hood 2001, S. 135) Allerdings kann der Anlass, um die Zusammenarbeit zwischen der Zentrale und der Tochtergesellschaft neu zu regeln, auch viel einfacher sein, etwa wenn der zentrale Finanzbereich Verfahrensmodelle zur Vermeidung von Steuerrisiken entwickelt. Fassen wir zusammen: Die Konfiguration des integrierten Netzwerkes wird als komplexer Prozess der Koordination und Kooperation im Umfeld gemeinsamer Entscheidungen bestimmt, bei der einige Ressourcen im Stammland zentralisiert und andere wiederum zwischen den vielen nationalen Aktivitäten verteilt werden. Im Blickfeld stehen weder die spontane Ordnung des Marktes noch die planmäßige Ordnung in hierarchischen Strukturen, sondern ein politisches System. Dies konkretisiert, den von Bartlett & Ghoshal als N-Form bezeichneten Ansatz, bei dem der Zweck des Unternehmens, die Prozesse und die Menschen im Mittelpunkt stehen. Dieser andere fachliche Zugang bleibt naturgemäß unscharf. Ansatzpunkt des strategischen Wandels ist der gesamte Managementprozess. Demgegenüber ist die Anpassung der Struktur weniger bedeutend und schwerer zu erreichen. Allerdings gibt das Modell von Bartlett & Ghoshal keine Auskunft darüber, welche Struktur für eine transnationale Strategie angemessen sein sollte. Weltweit verteilte Kompetenzzentren und Regionalzentren der Unternehmen, also multizentrische Organisationen sprechen für diesen Ansatz. Diese Strukturen ergänzen aber gewöhnlich nur das multidivisionale Geschäftsprinzip der M-Form (vgl. Kutschker & Schmid 2011); oft bleibt dies in der Literatur unklar: M-Form und N-Form sind beide relevant. Als Beitrag zur organisatorischen Konfiguration ist auch der Beitrag von Kumar & Puranam (2011) zu verstehen. Weil China und Indien sich zu wichtigen Märkten und Innovationsquellen entwickeln, sollten sich Multinationale Unternehmen als T-förmige Länderorganisation aufstellen. Prozesse, die kundenorientiert sind, sollten lokal angepasst werden. Rein unterstützende Funktionen dagegen werden weltweit so verteilt, dass alle Ressourcen optimal genutzt werden. Somit zeigt sich, dass die Unterscheidungen nach Produkt-, Regional-, oder Kundenstrukturen, nach Einlinien- oder Matrixstruktur nicht ausreichen, um internationale Organisationen zu analysieren und zu gestalten. Es kommt ebenso auf die Prozesse und Systeme an, auf die Konfiguration des Organisationsmodells. Mitarbeiter, Kulturen und der organisatorische Wandel sind weitere Bereiche der Organisationsgestaltung.
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5.2.4
5 Internationale Strategie und Organisation
Organisatorischer Wandel und Kulturen im internationalen Umfeld
Es ist naheliegend, dass Unternehmens- und Landeskulturen eine bedeutende Rolle beim organisatorischen Wandel spielen. Unter der Überschrift „Change Management“ hat uns das Thema bereits beschäftigt, nun gilt es noch einige Triebkräfte im internationalen Kontext zu skizzieren. Bekannt dürfte auch sein, dass Landeskulturen sich unterscheiden, selbst zwischen Nachbarn wie Frankreich und Deutschland. Die spannende Frage ist: Sind Kulturen bei aller Verschiedenheit, die eine ganze Branche von Kulturberatern beschäftigt, auch gleich? Welche Schlussfolgerungen ergeben sich daraus für die Unternehmensführung?
TREIBER DES WANDELS ERKENNEN Zu den zentralen Triebkräften des organisatorischen Wandels (Organizational Change) (vgl. Kap. 4.7) gehören der Global Shift, der technologische Wandel und veränderte Arbeitsbeziehungen im internationalen Produktionsverbund: Global Shift. Als Global Shift bezeichnet Dicken (2011) die Transformation der Weltwirtschaft durch globale Produktionsnetzwerke, wozu auch die Multinationalen Unternehmen, Staaten, Interessengruppen und Technologien zählen. Zu diesem Prozess gehört auch die wichtigste Verschiebung der Weltordnung zugunsten Ostasiens, vor allem Chinas. Mit der Globalisierung verändern sich die Branchengrenzen (Business Migration), werden Funktionen und Bereiche externalisiert (Outsourcing) und regional verlagert (Offshoring), entstehen internationale Wertschöpfungsnetzwerke (Global Sourcing). Es liegt auf der Hand, dass sich damit auch Zielsystem, Strategien und Organisation eines Unternehmens verändern. Neue Akteure eines Wertschichtenwettbewerbs, wie Intel und Microsoft, bildeten sich heraus. Erdölkonzerne, wie Shell, entdecken an ihren Tankstellen den Lebensmitteleinzelhandel als neues Geschäftsfeld. Nike versteht sich als Entertainment-Unternehmen, nicht als Sportartikelhersteller. Traditionsunternehmen wie Preussag, Hoechst und Mannesmann, sind heute nicht mehr wiederzuerkennen. Das Beispiel IBM zeigt, wie innerhalb weniger Jahre die komfortable Stellung eines marktbeherrschenden, vertikal integrierten Konzerns verfallen kann (vgl. Grove 1997; Heuskel 1999). Eine weitere Konsequenz des durch die Globalisierung ausgelösten Strategiewechsels besteht darin, dass seit den 1990er Jahren nicht mehr die Diversifikation, sondern die Konzentration auf das Kerngeschäft in den Mittelpunkt rückt. Die Folgen sind Wachstum und Verkleinerung, Übernahme und Spaltung von Unternehmen, Outsourcing und Kooperation bis hin zur Veränderung des Grundauftrags selbst. Exemplarisch können die durch den Global Shift induzierten Reorganisationsprozesse in der Automobilindustrie nachvollzogen werden, in der gerade wieder eine Konzentrationswelle stattfindet. Diesmal allerdings nicht bei Markenintegratoren wie Ford, VW und Toyota, sondern in der Arena der wenig bekannten Zulieferer wie Delphi, Visteon und Bosch, die nun als Entwicklungs-, Produktions- und Logistikspezialisten sowie als Finanzdienstleister auftreten. Das traditionelle Beschaffungsverhältnis zwischen Zulieferern und Abnehmer entwickelt sich zum weltweiten Sourcing-Management, als Management der Kooperationsbeziehung im Unternehmensnetzwerk (vgl. Chopra & Meindl 2012; Laseter 1998; Sydow & Möllering 2009; Zentes et al. 2004).
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Technologischer Wandel. Moderne Transport- und Kommunikationstechnologien sind zentrale Triebkräfte der Globalisierung, weil sie Raum und Zeit gleichsam schrumpfen lassen. Mit dem Jetflugzeug sind Fernreisen zu einem Massenereignis geworden; auch mit dem Container sinken die Transportkosten – verschwindet aber auch die Seefahrer-Romantik. Satelliten und Glasfaserkabel, das Internet und die Massenmedien: Durch die modernen Informations- und Kommunikationstechnologien ist „Überall am selben Ort“ (Dicken 2011, Kap. 4). Innovative Technologien, Produkte, Geschäftsmodelle oder Managementkonzepte entstehen und verbreiten sich auf dieser Grundlage sehr viel schneller als früher. Die modernen Transport- und Kommunikationstechnologien befähigen zur länderübergreifenden Zusammenarbeit in Entwicklungsteams (Virtual Teams), zur Zusammenarbeit zwischen Zulieferern und Abnehmern (Supply Chain Management), zwischen Unternehmen und Kunden (Customer Relationship Management) und zur internationalen Unternehmensführung. Die Metapher der „grenzenlosen Unternehmung“ (Boundaryless Organization), die in diesem Zusammenhang gern verwendet wird (vgl. Ashkenas et al. 1995) ist allerdings, wie oben bereits angesprochen ein Märchen. Das Bild der durch den technologischen Wandel ausgelösten Konvergenz sollte nicht überstrapaziert werden. Veränderte Arbeitsbeziehungen. Schließlich sind vor diesem Hintergrund veränderte Arbeitsbeziehungen für die Aktualität des organisatorischen Wandels ausschlaggebend. So basiert der Erfolg der Nike- und Adidas-Netzwerke auch auf der Produktion in asiatischen Niedriglohnstandorten (vgl. Praxisbeispiel Nike und Adidas). Eine populäre These in diesem Zusammenhang ist, dass die Verfügbarkeit billiger Arbeitskräfte im globalen Produktionsverbund in den reichen Ländern nur noch Wissensarbeitern eine Chance gibt. Hinzu kommen die Zunahme von atypischer Beschäftigung (Contingent Workforce). Dazu gehören die Teilzeitarbeit mit mehreren Jobs, Leiharbeit, WerkvertragsKonstruktionen, befristetete Arbeitsverträge und die Scheinselbständigkeit von Subunternehmern. Auf der anderen Seite müssen sich Unternehmen heute auf eine abnehmende freiwillige Bindung ihrer Führungskräfte und Spezialisten einstellen. In diesem Segment des Arbeitsmarkts entwickelt sich erstmalig ein länderübergreifender Wettbewerb.
Praxisbeispiel: Sind Nike und Adidas für ihre Lieferanten verantwortlich? Nike und Adidas sind Weltmarktführer auf dem Markt für Sportartikel. Große Sportartikelunternehmen haben ihre Produktion fast vollständig an Zulieferer (Subcontractors), zuerst vor allem in Asien, ausgelagert. Heute ist diese Basis breiter: Allein Adidas bezog 2011 seine Produkte aus rund 1.200 Zulieferwerken in 63 Ländern. Durch das Outsourcing der Produktion entstehen erhebliche Kostenvorteile, aber auch Risiken, da die Qualität der Produkte sowie die Einhaltung angemessener Arbeitsbedingungen und Umweltstandards nicht immer gegeben sind. Sollte ein Unternehmen mit Lieferanten zusammenzuarbeiten oder eher Abstand zu halten? Diese Frage kann für Nike und Adidas einfach beantwortet werden: Beide führen den Wettbewerb vor allem über das Marketing, Kritik in den Medien schadet der Reputation und damit dem Markenwert in dieser Lifestyle-Branche. Deshalb
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haben beide Unternehmen in den vergangenen Jahren erheblichen Einfluss auf ihre Lieferanten genommen. Das war nicht immer so. Nike hat von Anfang an auf eigene Produktion verzichtet und sich auf fernöstliche Zulieferer verlassen. In den 1980er Jahren kamen die Schuhe vor allem aus Taiwan und Südkorea, aber als dann dort die Löhne stiegen, beschaffte man sie von Zulieferern in Indonesien und China. 1991 wurden die ersten Kritiken von indonesischen Organisationen bekannt, die sich vor allem gegen die Verletzung der Rechte der Kinder und Frauen, gegen erzwungene Überstunden und gegen die niedrigen Löhne richteten, die mit 1 US-Dollar am Tag unter dem Existenzminimum lagen. Nike reagierte auf die Kritik in zweifacher Weise: Man ließ erklären, dass dies die Sache der Zulieferer sei, denn die Fabriken gehörten Nike ja nicht, zugleich entwarf man einen Verhaltenskodex, der als „General Policy Statement“ wohl zunächst nicht mehr als nur eine Marketingmaßnahme war. Darin heißt es, dass Nike und seine Vertragspartner „die Rechte ihrer Mitarbeiter wahren, ihren Einfluss auf die Umwelt so gering wie möglich halten, gesunde Arbeitsbedingungen schaffen und die Gesundheit und das Wohlergehen ihrer Mitarbeiter fördern.“ Dagegen hatte der Verbraucheraktivist Mark Kasky wegen irreführender Werbung geklagt. In zweiter Instanz wurde festgestellt, dass dieser Code of Conduct keine freie Meinungsäußerung sei, sondern eine Werbemaßnahme, die darauf abzielte, das Vertrauen der Kunden wiederzugewinnen. Nach Meinung vieler Experten hat Nike den Prozess verloren, man einigte sich aber auf einen Vergleich. Negative Medienberichte in den 1990er und Anfang der 2000er Jahre sorgten dafür, dass für Nike das Thema auf der Tagesordnung blieb. Der Filmemacher Michael Moore drehte 1997 einen kritischen Dokumentarfilm und in dem 2000 erschienen Bestseller von Naomi Klein No Logo! heißt es: „Das Nike-Logo ist das beliebteste Tatoomotiv in den USA. Doch je mehr Menschen das hässliche Gesicht hinter der schillernde Maske des großen Logos entdecken, umso mächtiger wird der Widerstand gegen multinationale Konzerne, die den Verbraucher täuschen und die Globalisierung der Arbeitsplätze zur Ausbeutung missbrauchen.“ In den letzten Jahren hat sich die Lage beruhigt – vielleicht weil Nike nun Verantwortung für seine Lieferkette übernimmt? Auch Adidas hat auf die öffentliche Kritik an den Arbeitsbedingungen bei Lieferanten reagiert: ein Weltdirektor für soziale Fragen, an den 30 Mitarbeitern berichten, wurde eingestellt, ein Verhaltenskodex (Standards of Engagement) wurde festgelegt, und Adidas wurde Mitglied der Fair Labor Association (FLA). Die FLA ist eine Non-Profit-Organisation, die Firmen bei der Einhaltung von Verhaltenskodizes und Umweltstandards unterstützt. Weitere Mitglieder sind unter anderem Nike, Puma und Asics. Die Standards of Engagement sind Bestandteil der Hauptzulieferer-Rahmenverträge von Adidas. Die Organisation der Zulieferer gliedert sich bei Adidas in drei Gruppen: Hauptzulieferer, die eine direkte vertragliche Beziehung haben, Subunternehmer ohne direkte Vertragsbeziehung, da sie von den Hauptzulieferern engagiert werden und Lizenznehmer, die unter dem Namen von Adidas Brillen, Uhren und auch Kosmetika herstellen. Adidas versucht, aus den oben genannten Gründen seine Zulieferer zu kontrollieren, denn die schlechte Presse der Firma war nicht immer selbstverschuldet. Also wurde zusätzlich zu dem Bereich Global Operations, der die Zulieferer auswählt, die neue Einheit Social and Environmental Affairs (SEA) gegründet. Dieses Team ist dafür zuständig, angemessene Ar-
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beitsbedingungen und Umweltstandards nach dem Verhaltenskodex von Adidas sicher zustellen. Mitarbeiter des SEA fungieren auch als Kontrolleure in den Fabriken. Zulieferer mit hohem Auftragsvolumen oder erhöhtem Missachtungsrisiko werden vorrangig kontrolliert. Kommt es zu einer Vertragsverletzung durch die Missachtung der Verhaltenskodizes, werden Verwarnungen und Sanktionen ausgesprochen, die bis zu einer Einstellung aller Aufträge führen können. Führende Sportartikelunternehmen können es sich heute nicht mehr leisten, gegenüber Missständen bei ihren Lieferanten nur ein wenig Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben. Zur Verantwortung gegenüber der Gesellschaft (vgl. Kap. 2.4.2) gehört heute auch der Einfluss auf die globale Zulieferkette. Der „Sustainability Progress Report 2011“ von Adidas und der „Sustainable Business Performance Summary 2010/11“-Bericht von Nike sind dafür beeindruckende Beispiele. Fragen: 1. Sind Unternehmen ihren Zulieferern gegenüber verantwortlich? 2. In welchem Maße sollte Verantwortung übernommen werden? 3. Können Partnerschaften bzw. Allianzen mit der Konkurrenz hilfreich sein? Wenn ja, warum? Quellen: Hegmann, G.: Adidas initiiert Hilfsfonds für Billigarbeiter. Financial Times Deutschland vom 4.10.2012; Hendry, J.: Nike in Asia – Just Do it. University of Cambridge Case Study; Klein, N.: No Logo! München 2000; o.V:, Just good business. The Economist vom 17.01.2008; Schmid, S.: Strategien der Internationalisierung. München/Wien 2006, S. 52 ff; http://www.adidas-group.com und www.nikeresponsibility.com, abgefragt am 16.11.2012.
DIVERGENZ UND KONVERGENZ DER KULTUREN FESTSTELLEN Unterschiede in den Landeskulturen nehmen in der Literatur zum Internationalen Management einen gesicherten Platz ein (vgl. Kutschker & Schmid 2011; Mead & Andrews 2009; Daft 2010). Nach dem Ansatz des Anthropologen Edward Hall (1987) wird die zwischenmenschliche Kommunikation durch den jeweiligen Kontext der Landeskultur geprägt (vgl. Abb. 5.15). In Hoch-Kontext-Kulturen (wie in arabischen und asiatischen Ländern) kommt es neben dem Wort auch auf den unausgesprochenen Kontext an: nicht das Geschäft, sondern Vertrauen, persönliche Beziehungen und ein angenehmes Umfeld sind Ausgangspunkt der Kommunikation. Ein „nein“ beispielsweise wird nicht ausgesprochen. Viele Vereinbarungen werden nicht schriftlich fixiert. In Niedrig-Kontext-Kulturen (wie in Nordamerika und Westeuropa) hingegen geht es unmittelbar zur Sache, kommt es auf die persönliche Expertise und Leistung an und ein klarer, präziser und schneller Austausch ist wichtig. Auf diesem Gebiet ist Deutschland Weltmeister.
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5 Internationale Strategie und Organisation
Hoher Kontext Abb. 5.15
Niedriger Kontext
Hoch-Kontext versus Niedrig-Kontext-Kulturen (nach Hall & Hall 1987, passim)
Anspruchsvoller ist der Ansatz von Hofstede, der mehrere landeskulturelle Dimensionen unterscheidet. Seine bekannte Befragung von 116.000 IBM-Mitarbeitern weltweit, die die Datenbasis für seine Kategorisierung von Landeskulturen abgibt, stammt aus den 1970er Jahren (vgl. Hofstede 1985). Sie ist allerdings in nachfolgenden Untersuchungen, wie denen des umfangreichen GLOBE-Projektes (vgl. House et al. 2004), bestätigt und erweitert worden, wenngleich Hofstede et al. (2010) dies bestreiten. Die Ergebnisse für die 74 Länder können hier nicht dargestellt werden. Stattdessen werden nur die Spitzenplätze erwähnt und die Ergebnisse für drei Länder der globalen Triade: USA, Japan und Deutschland (vgl. Abb. 5.16). Hofstede verwendet fünf Dimensionen um Landeskulturen mit einem Index zu messen: Die Machtdistanz misst den Grad der Ungleichheit in einer Gesellschaft. In Malaysia und Russland ist die Machtdistanz sehr hoch, gering ist sie in Österreich und den skandinavischen Ländern. Der Individualismus ist besonders ausgeprägt in den USA, Australien, England und Kanada, dagegen wenig in Guatemala und anderen lateinamerikanischen Ländern. Maskuline Werte wie Durchsetzungsfähigkeit, Härte und materieller Erfolg sind in der slowakischen und japanischen Gesellschaft dominierend, weniger bedeutend in Schweden und anderen skandinavischen Ländern. Der Unsicherheits-Vermeidungsindex misst die (In-)Toleranz gegenüber Unsicherheit, etwa im Hinblick auf Arbeitsplatzsituation. In Griechenland und Portugal versucht man diese zu vermeiden, während in Singapur, Schweden und Dänemark darin am wenigsten ein Problem gesehen wird. Bei der Langzeitorientierung erreicht der Index die höchsten Werte für China, Hong Kong und Taiwan; diese ist gering in Pakistan und Tschechien, aber auch in den USA und Deutschland.
5.2 Organisation im internationalen Kontext D
USA
Österreich
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J
J Guatemala
D
USA USA
Individualismus: „Ich, wir und die anderen“
USA Schweden
D
J Slowakei
Maskulinität: „Er und Sie“
USA Singapur
D
J Griechenland
Unsicherheitsvermeidung: „Was anders ist, ist gefährlich“
USA Pakistan 0
Malaysia
Machtdistanz: „Gleicher als andere“
D
J China
Langzeitorientierung: „Gestern, jetzt oder später“
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60
90
120
Index* * Darstellung nicht maßstabsgerecht
Abb. 5.16
Dimensionen einiger Landeskulturen (nach Hofstede 2010, passim)
Typische Empfehlungen zum Umgang mit interkulturellen Unterschieden sind dann entsprechende Trainings, vermehrte Auslandsaufenthalte, mehr „Diversity“ in den Führungsorganen sowie die Nutzung der modernen Kommunikationsmedien, um das gegenseitige Verständnis zu entwickeln. Allerdings sind gegenüber dieser einzig auf Kulturunterschiede abhebenden Perspektive auch kritische Überlegungen angebracht: Gemeinsamkeiten werden ignoriert. Es ist zu fragen, ob allein kulturelle Unterschiede bestehen und nicht auch Gemeinsamkeiten. Menschenrechte und Völkerrecht werden vom Naturrecht, der Idee der unveräußerlichen Rechte aller Menschen beeinflusst. Anthropologen suchen inzwischen auch wieder nach Gemeinsamkeiten der Kulturen (vgl. Antweiler 2009). Konvergenz wird vernachlässigt. Die Verbreitung des kapitalistischen Weges zersetzt herkömmliche Normen und Werte und erzeugt damit auch ein eigenes kulturelles und politisches System. Nicht nur westliche und östliche Philosophie sind relevant, sondern auch die transaktionale und relationale Perspektive (vgl. Gupta 2011). Stellenwert wird überschätzt. Beschränkt sich der Stellenwert kultureller Unterschiede etwa nur auf gute Sitten und Folklore? Welchen Einfluss haben kulturelle Unterschiede auf den Unternehmenserfolg (vgl. Stiles 2007)? Wenn zunehmend weltweit gleiche Standards bei der Personalbeurteilung und -entwicklung für Führungskräfte eingeführt werden, zeigt dies auch eine nur begrenzte Bedeutung kultureller Unterschiede.
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In ihrer Auswertung der Literatur zur Entwicklung von Kulturen kommen Festing et al. (2011) zu dem Schluss, dass die Denkansätze der Kulturdivergenz und Kulturkonvergenz weiter kontrovers diskutiert werden. Organisationen werden sich immer ähnlicher, aber die Unterschiede im Verhalten der Organisationsmitglieder bleiben bestehen. Unstreitig scheint zu sein, dass die Unternehmenskultur die Landeskultur nicht überschreibt – im Gegenteil: Sie akzentuiert vielmehr die landeskulturellen Unterschiede. Auf der anderen Seite sind Kulturen in einem Land nicht homogen, und sie verändern sich auch über die Zeit. Die lineare Logik, dass etwas gleich oder verschieden ist und nicht gleich und verschieden, stößt auch in der Kulturforschung auf Grenzen. Paradoxa wie Kooperation und Konkurrenz, Global und Local sind bekannt – warum nicht auch Konvergenz und Divergenz der Kulturen? Ein dritter, weniger bekannter Ansatz der vergleichenden Kulturforschung verwendet dazu den Kunstbegriff „Crossvergence“ (vgl. Carr 2005; Ralston et al. 2008; Tung 2008). In ihrer Untersuchung zu Bedeutung von Kultur und Ideologie auf die Werte von Managern stellen Ralston et al. (2008) zunächst fest, dass die Ideologie der Geschäftsumwelt (Marktwirtschaft) für die Kulturkonvergenz steht, während der Unterschied in den Landeskulturen den Denkansatz der Kulturdivergenz unterstützt. Die Anhänger des Crossvergence-Ansatzes gehen davon aus, dass aus beidem ein neues eigenständiges Wertsystem entsteht. Ihre Analyse kommt zu dem Schluss, dass weder Konvergenz noch Divergenz durch ihre Auswertung der Daten aus USA, Russland, Japan und China unterstützt werden. Vielmehr sehen sie die Crossvergence-Hypothese bestätigt. Deshalb sollte man sich auf Anstrengungen fokussieren, die unterschiedlichen kulturellen Werte zu verstehen und zu koordinieren, anstatt sie in eine einzige Unternehmenskultur zu pressen. Beispielsweise hält sich gerade in Ländern, die zum westlichen Kulturkreis gehören, das hartnäckige Vorurteil, es gäbe einen Führungsstil, der mehr oder weniger in allen asiatischen Staaten angemessen ist (vgl. Tjitra et al. 2012). Das Thema Unternehmenskultur hat uns bereits im 4. Kapitel beschäftigt. Edgar Schein hat darauf hingewiesen, dass die Analyse von Kulturen nicht allein an äußeren Symbolen, wie der Sprache und Kleidung, festzumachen ist. Kulturen entstehen durch einen unsichtbaren Lehrplan und sind keineswegs ingenieurmäßig zu verändern. Starke Unternehmenskulturen sind durch eine hohe Verankerungstiefe gekennzeichnet. Volkswagen, Bertelsmann und Hewlett Packard sind bekannt für partnerschaftliche Beziehungen zwischen Management und Mitarbeitern, dennoch ist der HP-Way nicht mit dem Selbstverständnis bei Bertelsmann oder Volkswagen gleichzusetzen. So wie kulturelle Unterschiede als Hindernis, aber auch als Potenzial im weltweiten Lernprozess wirken können, so ist auch eine starke Unternehmenskultur nicht per se ein Erfolgsfaktor. Die starke konservative Kultur und bürokratische Struktur, die IBM bis zu den 1980er Jahren eine scheinbar unangreifbare Position beschert hatte, erwies sich in einer veränderten Situation als Hindernis.
5.2.5
Herausforderungen für das internationale Personalmanagement
Das im internationalen Kontext grundlegende Global-Local-Paradox ist nicht nur für die Unternehmensführung einschlägig, sondern auch für das Personalmanagement und soll deshalb als Auswahlkriterium bei diesem umfangreichen Thema dienen. Dabei geht es nicht nur,
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wie oft geschrieben wird, um eine Balance zwischen globaler Standardisierung und lokaler Anpassung, sondern um eine Synthese die Perlmutter als geozentrische Orientierung und Bartlett & Ghoshal als transnationale Lösung beschrieben haben. Die in der Literatur umstrittene Frage, ob die Personalführung zum Fach Unternehmensführung gehört, muss uns hier nicht weiter beschäftigen. Punktuell haben wir das Thema bereits angesprochen und auf die entsprechenden „Links“ verwiesen. Das Ziel soll hier allein sein, auf einige Fallen und Stolpersteine hinzuweisen. Zur Vertiefung wird auf den Standardtext zum Internationalen Personalmanagement von Festing et al. (2011) verwiesen. Zur Einführung skizzieren wir, wie die Personalfunktion bei einem internationalen Konzern aufgestellt sein kann, hier am praktischen Beispiel des Bayer Konzerns. Exemplarisch setzen wir uns dann mit drei relevanten Themen auseinander, die vor allem Manager und Spezialisten betreffen: Kompetenzmanagement oder: Gibt es den universellen Manager? Stellenbesetzung oder: Der richtige Mensch am richtigen Platz? Führungskräftebeurteilung und -entwicklung oder: Gleichbehandlung trotz Unterschied?
ZUR PRAXIS DER PERSONALFUNKTION Die Rolle der Personalfunktion hat sich verändert. Heute ist Human Resource Management (HRM) gemeint, wenn man vom Personalmanagement spricht. Es geht nicht mehr allein um die administrativen Funktionen des Personalwesens, sondern auch um seine strategischen Funktionen. Das Personalmanagement hat damit den Anspruch anderen wichtigen Funktionen, wie Marketing oder Finanzierung, „auf gleicher Augenhöhe“ zu begegnen (vgl. Peng & Meyer 2011, Wagner 2010). Die Anforderungen an ein effizientes Personalmanagement, das substanzielle Beiträge zum Geschäftserfolg liefert und zur personalpolitischen Umsetzung der Unternehmensstrategie beiträgt, sind gestiegen. Eine Antwort darauf gibt das folgende Beispiel des Bayer Konzerns. Dessen Zentrale hat „in dem groß angelegten Projekt ‚Transforming Human Resources‘ über fünf Jahre ihre Personalfunktion weltweit reorganisiert, um die operativen Geschäftseinheiten besser zu unterstützen. Bayer ist mit über 300 Gesellschaften in fast allen Ländern der Erde tätig. Von den über 108.000 Mitarbeitern sind circa 66 Prozent außerhalb Deutschlands tätig“, schreibt der Leiter des Projektes Frank Witasek (2010). Nach Darstellung des langjährigen Personalchefs Jan Peters (2010) gliedert Bayer sein HR-Funktionsmodell in vier Säulen. Das bekannte HR-Modell von Dave Ulrich (1996, 2009) hat dabei Pate gestanden: Die administrative Rolle wird durch ein weltweit zugängliches HR-Internetportal sowie durch wenige HR-Shared Service Center in Deutschland, USA, Brasilien, Mexico und Asien abgedeckt. Für die konzeptionelle Rolle gibt es ein Center of Expertise, das die HR-Prozesse des Gesamtmodells verantwortet und die Kernbereiche des Personalwesens abdeckt: Strategie, Vergütung, Entwicklung und die Betreuung der obersten Führungskräfte. In der beratenden Rolle sind die HR-Business-Partner, die den Managern und Mitarbeitern des operativen Geschäfts auf globaler bzw. regionaler Ebene, auf der Ebene eines Landes oder eines Standortes zur Verfügung stehen. Nach dem jeweiligen Standardisierungspotenzial werden drei Kategorien von Personalprozessen unterschieden:
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globale Prozesse mit einem weltweit einheitlichen Prozessdesign, wie etwa Systeme zur Leistungsbewertung; Kernprozesse mit einer konzernweit einheitlichen Grundstruktur, die jedoch in Teilbereichen an lokale Gegebenheiten und rechtliche Erfordernisse angepasst sind, wie etwa in den USA durch Antidiskriminierungsmaßnahmen bei der Personalbeschaffung; lokale Prozesse, die nur wenig Potenzial zur Standardisierung aufweisen, wie etwa die Gewährung von Nebenleistungen. Nach Peters ist es Bayer damit gelungen, die Personalfunktion global auszurichten und zugleich lokale rechtliche und kulturelle Besonderheiten zu berücksichtigen.
GIBT ES DEN UNIVERSELLEN MANAGER? Erinnern wir uns an die Anforderungen, vor denen ein Multinationales Unternehmen (MNU) in unserer Zeit steht: „Das MNU des frühen 21. Jahrhunderts unterscheidet sich wesentlich von seinen Vorfahren. Es wurde durch eine Umwelt transformiert, in denen vielfache, oft im Konflikt stehende Kräfte gleichzeitig beschleunigend wirken. Die Globalisierung der Märkte, die Verkürzung der Produkt- und Technologie-Lebenszyklen, Ansprüche von Regierungen und vor allem die Intensivierung des globalen Wettbewerbs haben eine Umwelt der Komplexität, Diversität und des Wandels für die meisten Multinationalen Unternehmen geschaffen.“ (Bartlett & Beamish 2011, S. 588) Gibt es den universellen Manager, der diesen Anforderungen an multidimensionaler Kompetenz gewachsen wäre? Kurz gesagt: nein. Die Vorstellung, im Trainingscenter den überall einsetzbaren transkulturellen Leader produzieren zu können, mag Anhänger von Victor Frankenstein inspirieren – realistisch ist sie nicht. Bereits Perlmutter (1969, S. 17) hat vor den Belastungen einer geozentrischen Karriere gewarnt: „Die Opfer sind oft groß und übertreffen für manche Familien die Belohnungen des Aufstiegs. Viele Manager finden es schwierig neue Sprachen zu lernen und ihren kulturellen Überlegenheitskomplex, ihren Nationalstolz und die Unbehaglichkeit gegenüber Fremden zu überwinden. Außerdem können internationale Karrieren riskant sein, wenn in der Zentrale der Ethnozentrismus vorherrscht.“ Die umfangreiche Literatur zum Thema „Managing Expatriates“ zeigt, das diese Argumente nicht aus der Luft gegriffen sind (vgl. Festing et al. 2011; Peng & Meyer 2011). Expatriates sind Beschäftigte, die im Ausland arbeiten, aber dort nicht einheimisch sind. Die anhaltende Rootedness, die enge Bindung von Managern, Mitarbeitern und Unternehmen an ihre Herkunft, begrenzt ihre Universalität: „Vertrauen, das manche als Währung der Führung bezeichnet haben, nimmt rasant mit der Entfernung ab. (...) Auch bei beim Informationsaustausch, ebenso zentral für Führung, erhalten die Menschen 95 Prozent ihrer Nachrichten aus heimischen Quellen. (...) Ebenso sind 98 Prozent der verbrachten Minuten am Telefon und 85 Prozent der Facebook-Freunde einheimisch. (...) Die anhaltende Rootedness von Unternehmen und Mitarbeitern führt zu der überraschenden Konsequenz, dass Global Leader
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ihre eigenen Wurzeln nicht verstecken oder durchtrennen sollten, um Weltbürger zu werden. Sie sollten sich vielmehr bereitwillig einem ‚rooted cosmopolitanism‘ öffnen, indem sie ihre eigenen Wurzeln pflegen und sich darüber hinaus verzweigen, um sich mit ihrem Ebenbild andernorts zu verbinden, die wie sie selbst in unterschiedlichen Orten und Kulturen tief verwurzelt sind.“ (Ghemawat 2012, S. 3 f.) Ins Ausland entsandte Führungskräfte, die sich sowohl mit der Kultur ihres Herkunftslandes als auch des Gastlandes identifizieren, sind danach leistungsfähiger, aber viel mehr als ein tiefgehendes Verständnis zweier Kulturen („Biculturals“) sei nicht möglich. Was ist also zu tun? Die Lösung besteht darin, die Rollen und Aufgaben auf spezielle Gruppen von Kompetenzträgern im transnationalen Unternehmen zu verteilen (vgl. Bartlett & Ghoshal 1998; Bartlett & Beamish 2011): Der globale Geschäftsmanager ist Stratege in seinem Geschäft, Architekt der Vermögens- und Ressourcenkonfiguration und der länderübergreifenden Koordination. Der weltweite funktionale Manager scannt das fachbezogene weltweite Wissen, verbreitet „Best Practices“ und ist ein Vorkämpfer für transnationale Innovationen. Der Manager einer Landesgesellschaft versteht unterschiedliche Kulturen, ist ein Verteidiger und Fürsprecher des Landes und setzt die Unternehmensstrategie vor Ort um. Der Top-Manager steigert die Leistung des Unternehmens, indem er diese oft konkurrierenden Perspektiven und Fähigkeiten integriert und für die laufende Erneuerung sorgt. Um Missverständnissen vorzubeugen, sei noch einmal erwähnt, dass es auf das Geschlecht des Menschen an dieser Stelle nicht ankommt.
DER RICHTIGE MENSCH AM RICHTIGEN PLATZ? Die Strategien zur Stellenbesetzung im Multinationalen Unternehmen werden geprägt von dessen internationaler Orientierung. Mit dem EPG-Modell von Perlmutter (vgl. Kap. 5.1.2) lassen sich drei grundlegende Ansätze abgrenzen. Der ethnozentrische Ansatz führt dazu, dass alle Schlüsselpositionen von Parent Country Nationals (PCNs), also Managern und Spezialisten aus dem Herkunftsland der Führungsgesellschaft besetzt werden. Dies deshalb, weil die Managementpraxis in den ausländischen Tochtergesellschaften sich kaum von denen im Herkunftsland unterscheiden soll und weil diese Kompetenzen dort nicht verfügbar sind. Der polyzentrische Ansatz ist dazu das genaue Gegenteil. Host Country Nationals (HCNs) kennen die lokalen Verhältnisse besser und werden durch ihren Einsatz motiviert, aber die Abstimmung zwischen der Zentrale und den Tochtergesellschaften im Ausland wird schwieriger. Bei einem geozentrischen Ansatz sollte die Herkunft keine Rolle mehr spielen, sondern die Leistung. Das Unternehmen erhält dadurch den Zugang zu den weltweit besten Talenten, es gibt gleiche Karrierechancen für alle. Es kommt nicht mehr darauf an, ob diese PCNs, HCNs oder Third Country Nationals (TCNs) sind (vgl. Peng & Meyer 2011; Festing et al. 2011). Verfolgen Multinationale Unternehmen tatsächlich eine solche Politik, auch bei der Beurteilung und Entwicklung ihrer Führungskräfte und Spezialisten?
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GLEICHBEHANDLUNG TROTZ UNTERSCHIED? Im April 1996 führte Black & Decker für seinen asiatischen Regionalbereich ein Führungskräfteentwicklungs- und -beurteilungssystem ein, mit dem das Unternehmen bereits zuvor in den USA gute Erfahrungen gemacht hatte. Jede Führungskraft wird nicht nur vom Vorgesetzten, sondern auch von den Untergebenen und Ihresgleichen (Peers) beurteilt (360 Grad Feedback). Entgegen mancher Vorbehalte, dass dieses System in asiatischen Kulturen nicht funktioniere, weil man dort den Vorgesetzten nicht offen kritisiert, hatte Black & Decker dieses System dort eingeführt (vgl. IVEY 1998). Beschreibt dieser Fall eine Ausnahme oder einen Trend? Noch vor wenigen Jahren war es in europäischen Unternehmen üblich, Auslandsgesellschaften mehr oder weniger an der losen Leine zu führen und dazu Manager aus dem Stammhaus zu entsenden. Heute kommt es zunehmend darauf an, diese Einbahnstraße zu überwinden und die besten Führungskräfte, unabhängig von ihrer Herkunft, an das Unternehmen zu binden. Nach Untersuchungen von Begley & Boyd (2001, 2003) für US-amerikanische Technologieunternehmen und mit der gleichen Methode von Müller (2001) für deutsche Industrieunternehmen wie BASF, Bayer, DaimlerChrysler, Henkel, Lufthansa, SAP, Schering, Siemens und Volkswagen, haben diese erst zur Jahrhundertwende eine neue Richtung eingeschlagen: „Durch weltweite Standards für den Einsatz qualifizierter Fach- und Führungskräfte werden die Unternehmen auch intern transnationaler.“ (Müller 2001, S. 16) Diese auf den ersten Blick widersprüchlich wirkende These wird damit begründet, dass der strategische Engpassfaktor (vgl. Kap. 1.1.1) zu dieser Zeit die globale Integration der zuvor lokal autonomen Funktionen war. Roland Schulz, damals geschäftsführender Gesellschafter der Henkel KGaA, beschreibt diesen Strategiewechsel für sein Unternehmen wie folgt: „Bis 1990 waren wir noch sehr stark ‚deutschlastig‘ und haben den einzelnen Ländern sehr hohe Freiheitsgrade eingeräumt. Die Ländergesellschaften waren in ihrer Personalpolitik sehr autonom. Lediglich für die obersten zweihundert Führungskräfte gab es vielleicht eine gewisse Harmonisierung bei ein paar Themen. Aber seit zehn Jahren haben wir systematisch und wie wir glauben professionell das gesamte personalpolitische Instrumentarium überarbeitet. Damit haben wir es geschafft, dass wir heute von einer einheitlichen Führungskräftestruktur ausgehen können, die wir in den Schlüsselfragen der Personalpolitik gleich behandeln. Bewertung, Bezahlung, Managemententwicklung, Training und Ausbildung – wir haben alle diese Instrumente für Führungskräfte mit weltweiter Verbindlichkeit harmonisiert.“ (Zitiert nach Müller 2001, S. 16f.) Dabei wird auch, zumindest in einigen Unternehmen, auf die lokale Anpassung durch die Beteiligung der Regionen sowie auf weltweites Lernen und globalen Wissenstransfer durch reales und virtuelles Networking geachtet. Instrumente auf diesem Gebiet sind die Förderung des internationalen Austauschs, Meetings, Corporate Universitys. Dadurch entsteht eine neue Konstellation im Kräftedreieck von globaler Integration, lokaler Anpassung und weltweitem Lernen (vgl. Abb. 5.17), entwickelt sich eine transnationale Personalstrategie für qualifizierte Führungs- und Fachkräfte. Um ein „sowohl-als-auch“ geht es, nicht um ein
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„entweder-oder“. Falsch wäre es, sich an einem Wechsel in der Personalpolitik von vorher dezentral geführten Landesgesellschaften zu nun von der Zentrale gesteuerten globalen Managern, standardisierten Prozessen und einer globalen Unternehmenskultur zu orientieren (vgl. Conn & Yip 2001). Globale Integration Gleichbehandlung der Führungskräfte durch weltweit gültige Grundsätze und Instrumente
Weltweites Lernen und globaler Wissenstransfer durch reales und virtuelles Networking
Früher: Hohe Freiheitsgrade für die Landesgesellschaften, die lokale Anpassung dominiert
Lokale Anpassung Lokale Anpassung durch Beteiligung der Regionen Weltweites Lernen Abb. 5.17
Elemente einer internationalen Personalstrategie für Führungskräfte (Müller 2001, S. 22)
Ein wesentlicher Antrieb für eine harmonisierte internationale Führungskräftebeurteilung und -Entwicklung (Leadership Evalution and Development bzw. Performance Management) ist die internationale Geschäftsverantwortung. Die Vorfahrtsregel „Corporate before Business before Region“ ist bei vielen Großunternehmen verbreitet. Mit größeren regionalen Einheiten und globaler Geschäftsverantwortung entwickelt sich auch die länderübergreifende Integration des Managements von Führungskräften. Dazu noch einmal Roland Schulz von Henkel: „Bereits 1985 haben wir entschieden, dass wir eine weltweite Verantwortung der Strategischen Geschäftseinheiten haben wollen. Daher hatten wir es als Personalleute leichter. Aus der nun weltweiten Geschäftsverantwortung ergab sich auch für den Human-Ressource-Bereich eine neue Anforderung. Denn die Leiter der international besetzten Teams wollten dann auch, dass diese gleich behandelt werden. Der Antrieb kam aus dem Geschäft heraus, aber auch aus der Führungskräfte- und Mitarbeiterbefragung, die wir gemacht haben: Das Thema Gleichbehandlung und gleiche Chancen hat einen enormen Stellenwert bekommen. Davon hängt unsere Attraktivität als Arbeitgeber auch in den verschiedenen Ländern ab.“ (Zitiert nach Müller 2001, S. 21) Es ist deshalb zunächst zweckmäßig, die internationale Personalpolitik mit einer Checkliste zu überprüfen (vgl. Begley & Boyd 2000):
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Relevanz: Ist die Politik im gegenwärtigen Geschäftsumfeld relevant? Strategie: Passt die Politik zu den Unternehmenszielen? Anpassungsfähigkeit: Passt die Politik auch bei veränderten Gegebenheiten? Anwendungsfähigkeit: Ist die Politik über alle Unternehmensbereiche hinweg anwendbar? Vertrautheit: Ist den Mitarbeitern die Politik bewusst? Klarheit: Ist die Politik leicht zu verstehen und anzuwenden? Grenzen: Sind die Grenzen für akzeptables Verhalten bestimmt? Verpflichtung: Unterstützen die Mitarbeiter die Politik?
In einer Studie von Conn & Yip (2001), in der 35 große amerikanische Multinationale Konzerne untersucht wurden, werden die Vorteile einer weltweit orientierten Strategie für Global Leaders auch empirisch belegt. Danach führen Verbesserungen in der Effektivität von globalen Vergütungs-, Entsendungs- und Trainingsprozessen zu messbaren Steigerungen bei der weltweiten Übertragung von erfolgskritischen Fähigkeiten (Critical Capabilities) wie Innovationsgeschwindigkeit, Qualitätsmanagement und kostengünstige Produktion. Wie wir in diesem Kapitel gesehen haben, ist dabei aber die lokale oder regionale Dimension nicht aus den Augen zu verlieren. In Festing et al. (2011, S. 307 f.) ist nachzulesen, dass Unternehmen landesspezifische Profile des Performance Managements entwickeln. Standardisierung wird eher bei global integrierten Unternehmen, bei geringer kultureller Distanz zur Tochtergesellschaft und bei den strategischen Elementen des Prozesses (wie beispielsweise der Zielsetzung und Bestimmung der Beurteilungskriterien) gewählt. Das Beispiel des Bayer Konzerns illustriert erneut, dass differenzierte und multidimensionale Ansätze in der Praxis entscheidend sein können. Dies zu vermitteln, darum ging es in der vorliegenden Schrift.
Zusammenfassung
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Zusammenfassung 1. Ein Multinationales Unternehmen (Multinational Corporation, MNC) hat seine Zentrale (Headquarter) in einem Land und ist in einem oder mehreren anderen Ländern tätig – ist also keinesfalls heimatlos. 2. Strategien der Internationalisierung können in einer Schrittfolge entwickelt werden: internationale Chancen identifizieren, die internationale Orientierung festlegen und Ressourcen und Produkte entwickeln, Optionen festlegen sowie die Risiken kontrollieren und die Ergebnisse bewerten und gegebenenfalls umsteuern. 3. Chancen der internationalen Expansion sind ein größerer Markt, dadurch eine höhere Rentabilität nicht zuletzt durch Größen- und Lernvorteile sowie Standortortvorteile durch Ressourcennutzung und Marktnähe. Die Wettbewerbskraft einer Nation und damit ihre Attraktivität als Heimatbasis für Multinationale Unternehmen hängen nach dem DiamantModell von Porter von der Innovations- und Entwicklungsfähigkeit seiner Industrien und Unternehmen ab, die Wettbewerbsvorteile gegenüber ihren ausländischen Herausforderern erlangen, indem sie auf den Druck starker Mitbewerber, Zulieferer und anspruchsvoller Kunden reagieren. Die Vorstellung von einer durch die Globalisierung nun grenzenlosen Welt ist zu einfach: Multinationale Unternehmen produzieren kaum homogene Produkte, werden nicht nur zentral gesteuert, sind nicht heimatlos und eher regional, als weltweit tätig. 4. Im Spannungsfeld zwischen globaler Integration und lokaler Reaktionsfähigkeit sind die wesentlichen Grundorientierungen festzulegen. Nach Bartlett & Ghoshal setzt die multilokale Strategie auf die lokale Anpassungs- und Reaktionsfähigkeit, während die globale Strategie sich an den Größen und Lernvorteilen der Standardisierung ausrichtet. Die Kombination der beiden strategischen Ausrichtungen wird als global-local oder transnationale Strategie bezeichnet. In der Terminologie von Perlmutter sind das entsprechend die polyzentrische, die ethnozentrische und die geozentrische Orientierung. 5. Die Analyse der Chancen des Unternehmens in den jeweiligen Ländern und Festlegung der Orientierung liefert eine Grundlage, um Optionen zu formulieren, die Antworten geben auf Fragen der Markteintritts-, Zielmarkt-, Timing-, Konfigurations-, und Koordinationsstrategie. Je regional dezentraler die Wertschöpfungsaktivitäten konfiguriert sind, desto mehr Koordination durch organisatorische Instrumente wie Strukturen, Prozesse und Kulturen ist erforderlich. 6. Traditionell stehen die Organisationstruktur und die Frage nach Zentralisierung oder Dezentralisierung im Vordergrund der internationalen Organisation. Die Matrixstruktur nach Regionen und Produkten scheint auf den ersten Blick die ideale organisatorische Lösung für eine Global-Local-Strategie zu sein. Tatsächlich haben Unternehmen, die Pioniere auf diesem Gebiet waren, die Matrix wieder abgeschafft und im Regelfall durch eine multidivisionale Produktstruktur ersetzt. 7. Hinzukommen Managementprozesse, Kulturen und Führungssysteme, die nach Bartlett & Ghoshal in der organisatorischen Konfiguration des integrierten Netzwerks eine angemessene Antwort auf die transnationale Herausforderung darstellen.
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5 Internationale Strategie und Organisation
8. Unterschiedliche Landeskulturen (Divergenz) sind für die internationale Unternehmensführung relevant. Bisher ungeklärt ist, wie bedeutend diese Unterschiede für den Unternehmenserfolg sind und ob nicht auch gemeinsame Kulturen (Konvergenz) entwickelt werden. 9. Der universelle Manager ist ein Märchen. Die internationale Strategie prägt die Besetzung von Managementstellen. Führungskräfte werden zunehmend weltweit nach gleichen Standards beurteilt und entwickelt. Allerdings sollte dabei auch auf die lokale Anpassung durch die Beteiligung der Regionen sowie auf weltweites Lernen und globalen Wissenstransfer geachtet werden.
Fragen zur Diskussion 1. Welche Rolle spielt die Heimatbasis bei der Entwicklung einer transnationalen Strategie? 2. Welche Optionen der Internationalisierung halten Sie in Ihrer Branche für besonders relevant? 3. Welche Organisationsstruktur passt zu einer transnationalen Strategie? 4. Welche Bedeutung haben internationale Kompetenzzentren (Centers of Competence), etwa in der Pharmaindustrie? 5. Welche Probleme können sich bei der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit bei F&EProjekten ergeben? 6. Was ist bei organisatorischem Wandel insbesondere im internationalen Umfeld zu beachten? 7. Welchen Stellenwert haben unterschiedliche Landeskulturen und wie kann man damit umgehen? 8. Sollten bei der Führungskräftebeurteilung und -entwicklung international gleiche Standards angewendet werden?
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Stichwortverzeichnis 360 Grad Feedback 308 3M 135, 248 5-Kräfte-Branchenanalyse 123, 133, 142 7-S-Modell 194, 225 A Accenture 180, 255 Adidas 110, 183, 299 Advocatus Diaboli 253 AEG 55 Agenturtheorie – Begriff 42 – Kritik 42 Air Berlin 4 Airbus 243 Aktivitätssystem 114, 129 Aldi 90, 116 Amazon 116, 118, 125, 154, 236, 246, 252 Ambidexterity 246 Anreizsysteme 37, 43, 142 Apple 13, 71, 88, 104, 117, 132, 135, 153, 174, 181, 241, 247, 249 Arm’s-Length-Transaction 171 Asean Brown Boverie 150, 167, 230, 280, 283, 288 Audi 174, 177 Aufgabentechnologie 234 Aufsichtsrat 22, 33, 39, 97, 101 – Effizienzprüfung 39 – Überwachungslücken 38 Ausgleichsgesetz der Planung 6 B Baader 126, 261 Balanced Scorecard 56, 57, 66, 142, 294 BASF 35, 103, 165, 186, 308 Bayer 145, 176, 207, 287, 291, 305, 308 BCG-Portfolio 159, 163 Bedürfnispyramide 83 begrenzte Rationalität 78 Benchmarking 131
BenQ 65, 270 Bertelsmann 71, 129, 304 Beschäftigung – atypische 185, 299 Best Practice 115, 158 Betrieb – Begriff 7 Beyerdynamic 127 Beyond Budgeting 144 Beziehungsressourcen 172 Biculturals 307 Big Data 252 Bilfinger Berger 71, 117, 265 Black & Decker 308 Blue Ocean Strategie 118, 142 BMW 84, 85, 92, 137, 143, 174, 176, 212, 243, 249 Board of Directors 34, 75 Body Shop 85 Born Digitals 252 Born Globals 180, 261, 277 Bosch 74, 134, 168, 291, 298 Bottom-Up 15, 17, 196 Boundaryless Organization 299 Bounded Rationality 78 BP 79 Brainstorming 253 Branche – Definition 121 BRIC-Staaten 270 Brita 261 Budgetierung 144 Built to Last 81, 156 Bürokratie 238, 292 Business Migration 148, 298 Business Model Canvas 117 Business Reengineering 31, 167, 218, 229, 294 Business Responsiveness 155 Business Strategy 15, 111
336 C CAGE-Framework 294 Callcenter 180 Canon 111, 132 Capability 26, 133, 310 Capital Asset Pricing Modell 61 Cashflow 60 Caterpillar 195 Centers of Competence 297 Centers of Excellence 208, 297 CEO 34 Change Management 251, 298 – Entscheidungsrollen 251 – Phasenmodell 254 – Restrukturierung 251 – Strategischer Wandel 3 – Widerstand 253 Chief Executive Officer 34 Chrysler 54, 255 Citibank 195, 226, 288 Cloud Computing 235 CNN 71 Coca-Cola 13, 168, 272 Code of Conduct 74, 87 Columbia Pictures 133 Co-Management 30 Communities of Practice 208, 296 Competing Values Framework 70 Competitive Intelligence 279 Compliance 46, 87, 100 Compliance-Erklärung 38 Continental 65, 71, 176, 186 Contingent Workforce 299 Continuous Handshake 172 Controlling 6, 142 – Begriff 22 Coopetition 125, 175 Core Competence 135 Core Purpose 81 Core Values 81 Corporate Communication 76 Corporate Governance 31, 34, 134 Corporate Governance Kodex 38, 87 Corporate Integrity 80 Corporate New Venture 246 Corporate Parenting 150 Corporate Social Responsibility 37, 68, 77, 79, 82, 142, 143, 299 Corporate Strategy 15 Corporate University 308 Cosmopolitan Corporation 267
Stichwortverzeichnis Creative Destruction 82, 157 Cross-Functional Team 249 Crossvergence 304 Crowdsourcing 179, 237 Customer Relationship Management 142, 216, 299 Customer Value Proposition 114, 249 D Daimler 26, 54, 84, 176, 205, 247, 255 DaimlerChrysler 291, 308 Decision-Driven Organization 252 Deep Collaboration 154 Deloitte 66 Delphi 173, 298 Deutsche Bank 92 Deutsche Telekom 150, 176 Dezentralisierung 165, 208, 228, 274, 282 Diamant-Modell 268 Dienstleistung 7, 68, 147 Dienstleistungstechnologie 235 Differenzierung 126 Digital Sweatshops 185 Digitaltechnologie 235 Disruptive Innovation 136, 247 Diversifikation 144 – horizontal 147 – international 265, 279 – konglomerat 147 – lateral 147 – vertikal 147 – verwandt /unverwandt 153 – Ziele 153 Dorma 126 Dornier-Luftfahrt 55 Dottet-Line-Prinzip 213 Dow Chemical 288 DuPont 59 Dynamic Capability 135 E E.ON 39, 176 Easyjet 117, 129 eBay 125, 236 Economic Value Added 61 EDS 180 EFQM-Modell 218 Einlinienprinzip 213 Eintrittsbarrieren 261 Einzelhandel 115, 264, 298
Stichwortverzeichnis Eli Lilly 183 Empowerment 167, 195, 226 Enterprise 2.0 186 Enterprise Risk Management 100 Entrepreneur 240 Entscheidungen unter Unsicherheit 252 Entscheidungskultur 252 Entscheidungsrollen 251 Entsprechenserklärung 38 EPG-Modell 273 EPRG-Modell 273 Erfahrungskurve 162 Erfolgsfaktoren 68 Erfolgskriterien 79 Erfolgspotential 19, 71 ethnozentrische Orientierung 273 Ethnozentrismus 30 Europäische Aktiengesellschaft 34 Europäischer Betriebsrat 34, 210 Evidence Based Management 252 Evonik 176 Exit-Option 47 Expatriate 306 externes Rechnungswesen 143 F Facebook 33, 142, 181, 186, 212, 236, 237, 255, 306 Fair Labor Association 300 Faktenbasiertes Management 252 Fertigungstechnologie 234 Filialunternehmen 197 Finanzinvestor 139 Finanzkennzahlen – dynamisch 60 – kapitalmarktorientiert 61 – traditionell 59 Finanzkrise 23, 92 Finanzmärkte 76, 92 Flexicurity 30 Fokker 55 Force-Field Analysis 254 Ford 125, 172, 200, 229, 238, 271, 298 Fortschrittsfähiges Unternehmen 186 Four Season Hotels 24 France Télécom 176 Führung 23, 196 – dezentral 204 – integrativ 23 – konventionell 23
337 – persönlich 28 – systemisch 28 – transformierend 27 – zentral 204 Führung von unten 30 Führungsentscheidungen 5 Führungsstil 23 Führungssystem 23 Funktionsmanagement 213 G Gates and Stages-Modell 243 General Electric 65, 167, 229 General Motors 72, 78, 79, 173, 200, 229, 265 Genpool 153 geozentrische Orientierung 273 Geschäftseinheit 283 Geschäftsfeld 121 Geschäftsfeldabgrenzung 120 Geschäftsmodell 24, 104, 113, 141, 186, 236, 247, 249 – innovatives 25, 142, 147, 243 Geschäftsstrategie 111 – Analyse des Aktivitätssystems 129 – Beschäftigung 139 – Beziehungsressourcen 133 – Budgetierung 144 – Chancen und Bedrohungen 120 – Controlling 143 – Geschäftsfeld 121 – Geschäftsmodell 113 – Kernkompetenzen 135 – Nutzwertanalyse 132 – PEST-Analyse 122 – Ressourcenbasis 132 – Stärken-Schwächen Analyse 129 – Strategieumsetzung 141 – SWOT-Analyse 136 – Umfeldanalyse 121 – VRIO-Analyse 136 – Wertkettenanalyse 130 – Wettbewerbsstrategien 125 – Ziele festlegen 138 Geschäftssystem 113, 126, 193 Gesellschaftliche Verantwortung 76 Gesetz der Massenproduktion 162 Gewaltenteilung 36 Gewinn
338 – buchhalterischer 58 – ökonomischer 58 Gewinnmaximierung 57 Gillette 117 Glass Ceiling 30 GlaxoSmithKline 82 Global Compact 87 Global Leader 310 Global Manufacturing Principles 86 Global Player 261 Global Shift 298 Global Sourcing 200 globale Integration 262, 283 globale Organisation 284 globale Strategie 272 Globales Unternehmen 260 Globalisierung 260 Globalisierungsmärchen 260 Global-Local Paradox 273, 284 Google 60, 104, 118, 144, 145, 181, 196, 211, 237, 241, 242, 246, 252 Greenpeace 82 Greenwashing 83 Grenzen des Wachstums 8, 123 Großhandel 115 Groupthink 39, 240, 253 grundlegende Zwecke 81 Gulliver-Problem 79 gute Führung 23 H Haier 270 Hanni 261 Haribo 193, 244 Headquarter 204 Heavy-Weigth-Projectmanager 213, 243 Heimatbasis 261, 267 Heimatland 267 Henkel 291, 308 Hewlett Packard 81, 249, 304 Hidden Champion 126, 193, 261, 285 Hilti 117, 119 HIPPO 252 Hochtief 71 Hoechst 163, 250, 255, 298 Holzmann 265 Honda 135, 162, 177, 265 HR-Funktionsmodell 305 Human Resource Management 142, 216, 305 Human Resources Outsourcing 185 Hybridstrategie 128
Stichwortverzeichnis Hyperspezialisierung 185 Hyperwettbewerb 125 Hyundai 168 I IBM 17, 30, 139, 181, 195, 205, 226, 286, 298, 304 Ikarus-Paradox 226 IKEA 262 immaterielle Vermögenswerte 60 Inditex 175 Industrial Organization 125 Industrie 4.0 179, 236 Informations- und Kommunikationstechnologie 235 Informationstechnologie 142, 216 Infosys 180 Ing-DiBa 246 InnoCentive 183 Innovation 184, 270 – Ambidexterity 246 – bahnbrechende Innovationen 244 – Begriff 243 – Disruptive Innovation 246 – Innovation im Netzwerk 250 – Innovation und Organisation 244 – Innovationstreiber 118 – innovative Geschäftssysteme 117 – weiterentwickelnde Innovationen 244 Innovation at Scale 158, 247 Innovations-Management 243, 244 – globales 293 Innovationsnetzwerke 251 Institution-Based View 279 Integrator 148 Integrierte Organisation 152 Integriertes Strategisches Management 9 Intel 148, 153, 298 Interaktive Wertschöpfung 184 Interessenausgleich 139 Interessengruppen 31 Interkulturelle Unterschiede 303 Internal New Venturing 249 Internationale Arbeitsorganisation 87 Internationale Division 287 Internationale Kulturen – Crossvergence 304 – Divergenz 304 – Konvergenz 304 Internationale Organisation 280
Stichwortverzeichnis – Centers of Excellence 296 – Change Management 298 – Communities of Practice 296 – CSR 299 – Hidden Champions 285 – Innovationsmanagement 293 – Integriertes Netzwerk 295 – Internationale Division 287 – Internationales Personalmanagement 304 – Knowledge Management 296 – Kritik an der Matrixstruktur 290 – Landeskulturen 301 – Managementprozesse 292 – Matrix in Mind 295 – Matrixstruktur 290 – multidivisionale Struktur 287 – Netzwerkstruktur 287 – Organisationsmodelle 295 – Organisationsstruktur 287 – Prozessmanagement 294 – Split 287 – Standortbedingungen 285 – Stufenmodell 287 – Subsidiary Initiative 297 – Technologien 298 – Transnationales Unternehmen 285 Internationale Strategie – Born Globals 261, 277 – Chancen 265 – Controlling 279 – Cosmopolitan Corporation 265 – EPG-Modell 271 – Erklärungsansätze 277 – Global versus Local 271 – Globalisierung 260 – Hidden Champions 261 – Internationale Orientierungen 271 – Konfigurationsstrategie 274 – Lebenszyklusmodell 277 – Markteintrittsstrategie 274 – Multinationales Unternehmen 260 – Porters Diamant 269 – Prozessmodell 265 – Regionalstrategien 273 – Risiken 279 – Standortbedingungen 270 – Timingstrategie 274
339 – Uppsala Modell 277 – Zielmarktstrategie 274 Internationale Unternehmensführung 260 Internationales Controlling 280 Internationales Personalmanagement – Beurteilung und -Entwicklung 308 – Kompetenzmanagement 306 – Stellenbesetzung 307 Internationalisierung – Prozessmodell 265 interne Märkte 198 Internet der Dinge 179, 236 Invisible Hand 170 iStockPhoto 181 ITT 145 J Jaguar 270 Johnson & Johnson 209 K Karstadt 115, 183 Keiretsu 173, 204 Kerngeschäft 163, 298 Kernkompetenz 111, 132, 163, 281 Key-Performance Indicators 132 Klimawandel 8, 64, 84, 89, 123 Knowledge Management 296 Koalitionstheorie 46 Kodak 250 Kohlberg Kravis Roberts 139 Konfiguration 276, 297 Konglomerat 147, 168 Kontingenztheorie 232 Kontrollsysteme 37 Konzern 204 – Begriff 7 Konzernbetriebsrat 210 Koordinationsmechanismen 214 Koordinationsstrategie 276 Korruptionsbekämpfung 87 Kostenführerschaft 126 Kräftefeld-Analyse 254 Kunden- und Lieferantenmanagement 213 L Land Rover 270 Landeskultur 301 Leadership 23, 25, 27, 142 Lead-User-Methode 251
340 Lean Management 190, 216 Lean Production 203, 228 Lebenszyklus – einer Organisation 240 – eines Produktes 159, 279 Lebenszyklusmodell 277 Legal Entities 204, 257 Leistungsindikatoren 67 Leitbild 74, 251 Leitungsspanne 197 Lemken 220 Lenovo 270 Levi’s 168 Liability of Foreignness 279 Lieferantenbeziehungen 172 Lindt 13 lokale Reaktionsfähigkeit 262, 283 Low-Cost-Car 276, 278 Lufthansa 3, 121, 129, 255, 308 Luis Vuitton 280 LVMH 280 M Maggi 13 MAN 205 Management 25 – Begriff 5 Managementholding 204, 205, 208 Managementinnovation 228 Managementlehre 7 Managementprozesse – internationale 291 Managerherrschaft 42 Managerial Revolution 33 Managervergütung 37, 44, 74, 142 Mannesmann 45, 205, 298 Marken-Cluster 121 Market Based View 120, 132 Markt – Definition 121 Markt für Unternehmenskontrolle 37 Markteintrittsstrategie – internationale 275 Marktirrationalismen 76 Marktmacher 149 Mass Customization 128, 142, 234 Massenproduktion 229, 292 Matrix in Mind 295 Matrix-Produktmanagement 213
Stichwortverzeichnis Matrixstruktur 214, 281, 283, 290 – internationale 288, 290 Matsushita 112 Mattel 85 McDonald’s 13, 168, 214, 233, 271, 276, 286 McKinsey 16, 81, 90, 157, 194 Media Markt 115, 116 Mehrdeutige Entscheidungen 252 Mehrlinienorganisation 213 Mehrlinienprinzip 213 Merger & Acquisition 110, 147, 276 M-Form 230, 291, 297 Mi Adidas 183 Microsoft 60, 97, 117, 145, 153, 157, 249, 250, 253, 298 Mischkonzern 144 Mission 70, 224, 271 Mitbestimmung 30, 34, 71, 139, 210, 261 Moral Hazard 93 Mosanto 249 Multi-Business-Enterprise 149 multidivisionale Struktur 196, 287 multilokale Strategie 271 Multinationaler Konzern 204 Multinationales Unternehmen 260 – Führungskräftebeurteilung und entwicklung 308 – Kompetenzmanagement 307 – Organisation 280 – Personalfunktion 305 – Stellenbesetzung 307 – Strategie 265 Multi-Unit-Enterprise 197, 235 N Nachhaltigkeitsberichterstattung 88 Napster 118 Nearshoring 180 Nestlé 13, 84 Net Operating Assets 61 Netscape 250 Netzwerk 7, 170, 184, 250, 292 – fokales 174 Netzwerkstrategie 169 – Coopetition 175 – Crowdsourcing 181 – Definition 170 – fokales Netzwerk 174 – Kooperation 177
Stichwortverzeichnis – Offshoring 179 – Open Innovation 182 – Outsourcing 178, 179 – Relational View 177 – Relationale Arrangements 176 Netzwerkstruktur 173, 287 Neue Institutionenlehre 230 New Economy 31, 45 New Venture 97 New Venture Division 249 N-Form 230, 291 Nike 174, 286, 298, 299 Nischenstrategie 126 Nitendo 125 Non-Financials 66 Novartis 168 Nutzenversprechen 114 Nutzwertanalyse 132 NXP 139 O OECD 87 Oetker 145 Offshoring 179 Open Innovation 182, 251 Open Source Software 184 operative Planung 15, 22 Orchestrierer 148 Organisationale Routine 214 Organisationsentwicklung 251 Organisationsgestaltung 142, 192, 194, 228 – Change Management 251 – Crowdsourcing 236 – Dezentralisierung 208, 226 – Digitaltechnologie 235 – Dotted-Line-Prinzip 212 – Entscheidungen 252 – Entwicklungsphasen 240 – funktionale Strukur 196 – Heavy-Weight-Projectmanager 212, 243 – Holding 205 – Innovationsmanagement 243 – internationale 286 – Interne Märkte 214 – Kompetenzzentren 207 – Kontingenztheorie 230 – Koordinationsmechanismen 214 – Lean Management 216 – Lebenszyklus 240
341 – Managementinnovation 228 – Matrixstruktur 213 – mechanistische Systeme 232 – Mehrlinienstruktur 213 – Menschen 237 – M-Form 230 – multidivisionale Struktur 198 – Multiprojektmanagement 213 – objektorientierte Struktur 198 – Organisationale Routinen 214 – organische Systeme 232 – Primärstrukturen 196 – Projektorganisation 212 – Prozessorganisation 212, 216 – Qualitätsmanagement 219 – Relationsship Management 216 – Sekundärstrukturen 212 – Shared Service Center 207 – Simultaeous Engineering 243 – Soziale Netzwerke 236 – Stammhaus 207 – Strategie und Organisation 234 – Strategische Geschäftseinheiten 199 – Structure follows Strategy 203 – Teamphasen 239 – Teams 239 – Technologie 234 – Unternehmenskultur 222 – Web 2.0 236 – Widerstand gegen Wandel 244 – Zentralisierung 208 Organisationskonzepte 203 Organisationskultur 194, 222 Organisationsprozess 194 Organisationsstruktur – internationale 287 Organisationssystem 193 Organisationstruktur 193 Organisationszweck 18, 71 organisatorischer Wandel 251, 298 Organizational Behaviour 194 Organizational Change 195, 251, 298 Organizational Health 279 Otto Konzern 82, 116 Outsourcing 98, 132, 134, 147, 148, 171, 173, 177, 179, 196, 202, 203, 208, 217, 226, 227, 298, 299
342 P Partnerschaft 71 Path Dependencies 136 Pay for Performance 44 PEC 255 People Capabilities 26 Performance 25, 56, 60, 66, 132, 192, 231, 250, 262 – Definition 19 – finanzielle 58 Performance-Management 157 Personalmanagement 142 PEST Analyse 122, 274 Pfadabhängigkeit 136, 277 Pfizer 250 Philips 139 Piraterie 280 Pixar 241 Planung 22 Planungskalender 15 Polaroid 250 polyzentrische Orientierung 273 Porsche 6, 71, 84, 135, 250 Portfoliomanagement 164 Portfolio-Organisation 152 Portfolioperspektive 162 Praktiker 115 Preussag 298 Pricewaterhouse-Coopers 86 Principal-Agent Theorie 74 Private-Equity 157 Problem der lokalen Suche 251 Procter & Gamble 97, 183, 245 Product-Divisions-Structure 198 Produktmanagement 213 Profitcenter 171, 198 Projektmanagement 213 Prozessmanagement 203, 213, 294 Prozessorganisation 216 Puma 286 Q Quandt 167 Quasi-Hierarchie 174 R Realoption 62 regiozentrische Orientierung 273 Relational Network View 285 Relationship Management 216
Stichwortverzeichnis Renault Logan 276, 277 Reputation 85, 87, 133, 152, 172 Resource Based View 120, 132, 142 Resource Planning System 142 Ressourcen 133 Ressourcen-Ansatz 135, 167 Ressourcenbasis 114, 129, 132 Restrukturierung 31, 110, 139, 147, 148, 167, 251 Reuters 13 Revlon 121 Rhone Poulenc 255 Richemont 156 Risikomanagement 98, 142 Risikoportfolio 103 Risikoüberwachungssystem 37 Road Map 139 Rolls-Royce 137 Rootedness 267, 306 Routineentscheidungen 252 RWE 176 S Salzgitter AG 156 Samsung 104, 154, 167, 168 Sanofi 164 SAP 33, 102, 142, 158, 255, 308 Saturn 115, 116 Schaeffler 6 Schering 308 Scherzinger 67 schöpferische Zerstörung 82 Scientific Management 238 Scoring-Methode 132 Sekundärstrukturen 212, 213 Selbstorganisation 196 Service-Profit-Kette 68 Shared Services 152, 208 Shareholder 34 Shareholder Value 31, 55, 74 Shareholder-Value-Ansatz 42 Shell 79, 82, 298 Siemens 60, 64, 102, 156, 167, 176, 186, 190, 191, 200, 208, 214, 270, 286, 287, 291, 297, 308 Silo-Organisation 216 Simultaneous Engineering 154, 214, 243 Simultaneous Engineering Teams 293 Six Sigma 248 Smart 169 Social Communities 142
Stichwortverzeichnis Social Media 184, 186 Social Networking 255 Societas Europaea 34 Solvay 82 Sony 95, 104, 111, 112, 132, 236 Sourcing-Management 298 Southwest-Airlines 16, 117, 129 soziale Marktwirtschaft 34 Soziale Netzwerke 236 Sozialplan 139 Spartenorganisation 198, 205 Stakeholder 22, 34, 43, 75, 143 Stakeholderansatz 46 Stakeholder-Value-Ansatz 46, 76, 119 Stammhauskonzern 204, 205 Standortvorteil 266 Starbucks 288 Start-Up 240, 248 Stewardship Theory 46 Strategem 12 Strategic Business Area 122 Strategic Business Unit 122 Strategic Intent 71, 81 Strategie 9 – Definition 9 – Geschäftsstrategie 120 – Internationale Strategie 265 – Netzwerkstrategie 169 – Strategie und Organisation 234 – Strategieperspektiven 19 – Strategieumsetzung 141 – Strategische Flexibilität 97 – Unternehmensstrategie 144 Strategieausschuss 39 Strategieparadox 95 Strategieperspektiven 11 Strategieprozess 18 Strategische Allianz 176 Strategische Führung 10 Strategische Geschäftseinheit 122, 159, 167, 171 Strategische Partnerschaft 171, 175, 178 strategische Planung 21 Strategischer Wandel 2 Strategisches Geschäftsfeld 122, 167 Strategisches Management 9 Strategisches Risiko 89, 95 Strategy Formation 12 Strategy Maps 66, 142 Stuck in the Middle 126
343 Stufenmodell der Internationalisierung 288, 289 Subsidiary Initiative 297 Substitutionsgesetz der Organisation 6 SuccessFactors 158 Sunk Costs 254 Supply Chain 88 Supply Chain Management 176, 216, 299 Survey Feedback 251 Sustainability Reporting 88 Sustainable-Value-Ansatz 143 Svenska Cellulosa Aktiebolaget 26 SWOT-Analyse 136, 162, 274 Synergie 149, 152, 165, 167 Szenario 104, 123 T Tableau de Bord 66 Tacit Knowledge 296 Target Costing 131 Tata 175, 270 Tata Group 270 Team 194, 196, 214, 237, 239, 247, 249 Teamentwicklung 240 Technokratie 28 Technologie 234 Tensorstruktur 214 Tesla 247 T-förmige Länderorganisation 297 Theorie Y 238 Theorie Z 238 Thyssen 205 Timbuk2 128 Timingstrategien 276 TopCoder 183 Top-Down 15, 17, 196 Toshiba 176 Total Cost of Ownership 131 Total Quality Management 218, 294 Toyota 71, 78, 104, 134, 173, 177, 228, 249, 298 Transactional Leadership 27 Transaktionskosten 178, 230 Transferpreise 291 Transnational Corporation 261, 284 transnationale Strategie 273 Transnationales Unternehmen 260 Transparenz 37 Treuhänder-Theorie 46 Triade 270 Triple Bottom Line 63, 143
344 TUI 71, 115, 156, 208 Twitter 118, 186, 255 Two-Boss Manager 213 U UAW 78 UBS 93 Umfeldanalyse 122 Umfeldeinflüsse 232 Ungewissheit 90, 244 – strategische 94 UNICEF 86 Unity of Command 213 Unternehmen – Begriff 7 Unternehmen im Unternehmen 200 Unternehmensführung – Führungsebenen 10 – funktionelle Perspektive 5 – institutionelle Perspektive 5 – integrierte strategische 19 – normativ 10 – operativ 10 – ordnungsmäßige 22 – strategische 5, 10 – traditionelle Sicht 5 Unternehmensgruppe 204 Unternehmenskommunikation 76 Unternehmenskonzentration 33, 174 Unternehmenskultur 223, 251 – Begriff 222 – Diagnose 224 Unternehmensleistung 76, 143, 192, 231 – Definition 19 Unternehmensnetzwerk 170, 203, 210, 298 Unternehmensstrategie 144 – BCG Portfolio 159 – Business Responsiveness 155 – Corporate Parenting 150 – Dekonstruktion der Wertkette 155 – Diversifikation 147, 158 – Kerngeschäft 158 – Kernkompetenz 163 – Konfiguration 146 – Merger & Acquisition 147 – Outsourcing 147 – Portfoliofestlegung 152 – Potentialentwicklung 149
Stichwortverzeichnis – Strategischer Wandel 157 – Synergie 152 – Unternehmenszentrale 150 – Wachstumsstrategie 146 – Wertarchitektur 148 Unternehmensverfassung 31 Unternehmenswachstum 146 – internationales 265 Unternehmenswert 78 Uppsala Modell 277 V Value Based Management 75, 78 Varta 266 Vattenfall 176, 255 VDO Automotive 65 Veränderungsstrategien 255 Verfügungsmacht 42 Verhaltensgrundsätze 74 Verhaltenskodex 87 Verité 86 vertikale Integration 173, 174, 177 Verwaltungsrat 34, 74 Virgin 71, 168 Virtual Communities 184 Virtual Teams 293, 299 Visible Hand 170 Vision 73 visionäre Unternehmen 81 Visteon 298 Vodafone 156 Voice-Option 47 Volkswagen 71, 79, 128, 134, 154, 173, 174, 175, 176, 177, 200, 249, 254, 265, 270, 276, 278, 298, 304, 308 Vorstand 33, 97 W Wachstumsstrategie 146 Web 2.0 186, 236 Webasto 126 Weighted Average Cost of Capital 61 Wertarchitektur 148 Werte 81 Wertemanagement 87 Wertkettenanalyse 130 Wertorientierte Unternehmensführung 75, 78 Wertorientierung 63 Wertschichtenspezialist 148 Wertschichtenwettbewerb 298
Stichwortverzeichnis Wertsteigerung 58 – Begriff 58 Werttreiber 68 Wettbewerbsanalyse 123 Wettbewerbsstrategie 125 Widerstand gegen Wandel 244, 253 Wikipedia 184 Willensbildung 35 Wirtschaftsprüfer 37 Wissensmanagement 296 X Xerox 111, 164 Y Yahoo 60 Z Zara 116, 175 Zeitschere des Managements 8
345 Zentralbereiche 198 Zentralisierung 208 ZF Friedrichshafen 134 Ziele – Formalziele 57 – nicht-finanzielle 66 – Sachziele 57 – Strategisches Risiko 89 – Triple Bottom Line 63 – Zielsystem 56 Zielkonflikt 138 Zielmarktstrategien 276 Zielsystem – Funktionen 56 – SMART-Anforderungen 57 Zukunftsmanagement 104 Zulieferer 74, 82, 88, 104, 124, 131, 172, 173, 298, 311 Zwang zur Größe 122, 242