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German Pages 599 [629] Year 1998
JUS PRIVATUM Beiträge z u m Privatrecht Band 32
Claus Luttermann
Unternehmen, Kapital und Genußrechte Eine Studie über Grundlagen der Unternehmensfinanzierung und zum internationalen Kapitalmarktrecht
Mohr Siebeck
Claus Luttermann, geboren 1964: Wehrdienst, Studium der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften in Münster, Köln und Berkeley. Nach Promotion und Assessorexamen Habilitation in Münster. Lehrstuhlvertretung an den Universitäten München und Konstanz.
Gedruckt mit Unterstützung der Fritz Thyssen Stiftung, Köln
Die Deutsche
Bibliothek
-
CIP-Einheitsaufnahme
Luttermann, Claus: Unternehmen, Kapital und Genußrechte : eine Studie über Grundlagen der Unternehmensfinanzierung und zum internationalen Kapitalmarktrecht / Claus Luttermann. - Tübingen : Mohr Siebeck, 1998 (Jus privatum ; Bd. 32) ISBN 3-16-147021-4
978-3-16-157867-0 Unveränderte eBook-Ausgabe 2019
© 1998 J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Textservice Zink in Schwarzach aus der Garamond-Antiqua belichtet, von Guide-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier der Papierfabrik Niefern gedruckt und von der Großbuchbinderei Heinr. Koch in Tübingen gebunden. ISSN 0940-9610
Für Lauritz
„Greif nur hinein ins volle Menschenleben, Wo du es packst, da ist's interessant." Theodor
Fontane*
Vorwort Mein Griff galt den Genußrechten und damit einem kapitalmarktlichen Phänomen, das als Relikt vergangener Zeit gesehen wird. Recht betrachtet, sind Genußrechte (verbrieft: Genußscheine) ein lebenskräftiges Grundmuster der Zuordnung von Risiko und Chance bei der Finanzierung von Unternehmen. Sie öffnen die Welt der Kapitalmärkte, auch in internationaler Perspektive. Genußrechte führen zu den Grundlagen der Unternehmensfinanzierung und eines umfassenden Unternehmensrechts - zum Ganzen in seinen vielfältigen Bezügen, dem wir für eine tragfähige Rechtsordnung zustreben müssen. Das versucht diese Studie am praktisch herausragenden Beispiel kapitalmarktlicher Finanzierung bei der Aktiengesellschaft als Publikumsgesellschaft (publicly held Corporation). Es geht um Mischformen (Hybridinstrumente), die im großen Spektralbereich zwischen klassischen Eigenkapitalformen (Aktien) und Fremdkapitalformen (Anleihen) siedeln. Hier wird der Bogen zwischen unserer europäisch eingebetteten Rechtsordnung und den international U.S.-amerikanisch dominierten Kapitalmärkten gespannt. Die Studie entstand in dreijähriger Assistentenzeit. Zwei Jahre arbeitete ich in Münster am Institut für Internationales Wirtschaftsrecht, gefördert durch meinen akademischen Lehrer, Prof. Dr. Bernhard Großfeld, der mir Freiraum gab und die Ideale Humboldtscher Universität vermittelte. Für die Rechtsvergleichung war ich 1995/96 ein Jahr Gast an der University of California at Berkeley bei Dekan Prof. Richard M. Buxbaum. Er, Prof. Laurent Mayali (Boalt Hall, School of Law) sowie die Walter A. Haas Business School boten mir beste Forschungsmöglichkeit; zwei Monate konnte ich ebenso im Hastings College of the Law, San Francisco, arbeiten. Allen dafür nochmals Dank. Die Fritz Thyssen Stiftung und die Deutsche Forschungsgemeinschaft förderten die Arbeit mit Stipendien, die Thyssen Stiftung auch durch Druckkostenzuschuß. Dafür danke ich Stiftern und Steuerzahlern. Die Juristische Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität zu Münster hat das Werk im Sommersemester 1997 als Habilitationsschrift angenommen. Herr Prof. * Unsere lyrische und epische Poesie seit 1848, in: Deutsche Annalen zur Kenntnis der Gegenwart und Erinnerung an die Vergangenheit, Band 1 (1853), unter Rückgriff auf Johann Wolfgang von Goethe, Faust, Erster Teil, Vorspiel auf dem Theater.
Vili
Vorwort
Dr. Klaus-Peter Berger erstellte dankenswert zügig das Zweitgutachten. Die Studie wurde im April 1997 beendet; spätere Quellen sind gelegentlich eingearbeitet. Beim Korrekturlesen half mein Vater, Dipl.-Finanzwirt Wilhelm Luttermann. Meine Ehefrau, Dr. Karin Luttermann, unterstützte mich rundum liebevoll; unserem Sohn Lauritz ist das Werk gewidmet. Münster und München, im Frühjahr 1998
Claus
Luttermann
Inhaltsübersicht § 1 Einleitung
1
Teil I Entwicklung und Grundfragen der Genußrechte § 2 Zur allgemeinen historischen Entwicklung
31
§ 3 Genußrechte in Deutschland
49
§ 4 Grundfragen der Genußrechte
80
Teil II Grundlagen der Finanzierung in rechtsvergleichender Sicht § 5 Unternehmen, Kapital und Recht
135
§ 6 Eigenkapital im deutschen Bilanzrecht und Rechtsvergleichung
177
§ 7
Grundlagen der Finanzierung von Kapitalgesellschaften in den Vereinigten Staaten von Amerika
195
§ 8 Finanzierung mit Hybridformen (hybrid securities) und Eigenkapitalbegriff in den Vereinigten Staaten von Amerika
238
§ 9 Bilanzrecht in den Vereinigten Staaten von Amerika und internationale Konzernrechnungslegung
358
§ 1 0 Genußrechte auf internationalen Kapitalmärkten und kritische Gesamtschau
453
Teil III Finanzierung mit Genußrechtkapital § 11 Rechtsfragen des Investitionsgenußscheins (Investitionsgenußrechts)
486
§ 12 Die Kodifikationsfrage, Ergebnis und Ausblick
540
Literaturverzeichnis Rechtsprechungsregister (Gerichte in den USA) Sach- und Personenregister
553 579 585
Inhalt Vorwort
VII
Abkürzungsverzeichnis
XXIII
§ 1 Einleitung
1
A. Problemaufriß
1
I. Unternehmen
1
1. Unternehmensbegriff
1
2. U n t e r n e h m e n und Unternehmensträger
3
II. Kapital
5
1. Kapitalbegriff
5
2. Unternehmensfinanzierung und Eigenkapitalausstattung a) Betriebliche Finanzwirtschaft, Eigenkapital und Fremdkapital b) Leverage-Effekt und Kapitalmarkt
6 .
7 10
c) Kennzahlen deutscher und ausländischer Unternehmensentwicklung
12
d) D i e These der „Eigenkapitallücke" und deren Kritik
13
3. U b e r die menschliche N a t u r und Anreize
16
4. Rechtsordnungen als Anreizsysteme
18
III. Genußrechte
19
1. Ü b e r Risiko
19
2. Finanzierungssystem und Vertragsgestaltung
21
3. Genußrechte als Finanzierungsform
IV. Internationale Dimension und Rechtspolitik B. Motiv, Ziel und Gang der Untersuchung
23
24 27
Teil I E n t w i c k l u n g und Grundfragen der G e n u ß r e c h t e § 2
Zur allgemeinen
historischen
A. Stand der Forschung
Entwicklung
31 31
XII
Inhalt
B. Über die Ursprünge I. Etymologie des Wortes Genußrecht
32 33
1. Quellenlage
33
2. Genuß(recht) als Rechtsbegriff
34
II. Rechtsbildung und Grundmuster
36
III. Beispiel: Die affines der societates publicanorum C. Neuzeitlichere Genußrechte I. Verwendung und Verbreitung
37 39 39
1. Amortisation
39
2. Finanzierung u n d sonstige G r ü n d e
41
II. Ausstattung und Gesetzgebung
43
III. Beispiel: Schweizerisches Recht
45
5 3 Genußrechte in Deutschland
49
A. Genußrechte bis zum Ende der Kaiserzeit I. Entstehungsgründe und Ausstattung II. Rezeption
49 49 52
1. Gesetzgebung
52
2. Schrifttum
54
3. Rechtsprechung
III. Kolonialgesellschaften
55
57
B. Genußrechte in der Weimarer Republik
57
I. Entstehungsgründe und Umstellung
57
II. Gesetzgebung 1. Gesetzliche Genußrechtsregeln
60 60
a) Goldbilanzverordnung
60
b) Aufwertungsgesetz
61
2. Kapitalverkehrsteuergesetz
63
III. Schrifttum
63
IV. Rechtsprechung
65
C. Genußrechte bis in die Gegenwart I. Rückblende: Zeit der Bedeutungslosigkeit
67 67
1. Allgemeine Verhältnisse
67
2. Aktienrechtsreform 1937
70
a) Reformverlauf u n d Finanzierungsregeln b) Speziell Genußrechte 3. Aktienrechtsreform 1965
70 73 74
XIII
Inhalt
II. Wiederentdeckung Ende der achtziger Jahre
75
1. Gesetzgebung: Sonderbereiche und Aktiengesetz
75
2. Steuerrecht
77
III. Genußrechte in der Praxis
5 4 Grundfragen
77
80
der Genußrechte
A. Allgemeine Ausgangslage
80
I. Genußrechtsbegriff
80
1. Definitionsansatz
80
2. Kategorienbildung
81
II. Genußrechtsverhältnis
83
1. Inhalt und Qualifikation
83
2. Die Frage der Konstruktion
84
III. Der Fall Klöckner: Genußrecht als Störfaktor oder Chance?
. .
B. Grundlegung
86 88
I. Mißverständnis
88
II. Genußrecht
92
1. Zur juristischen Begriffsbildung
92
2. Sprache: Bedeutungsanalyse
94
3. Explikation
96
a) „Typische" Vermögensrechte und Schuldrecht
96
b) „Massenweise" Begebung (Börsenemission)
97
c) Abstraktionsprinzip und Genußkapitaleinlage
99
4. Zwischenergebnis: Zweckbezug
100
III. Genußrecht als schuldrechtliche Beteiligung
101
1. Scheindilemma
101
2. Theorie vom Wertanteil am Gesellschaftsvermögen
101
a) Problem, Meinungen und Stellungnahme
101
b) Wertanteil am Gesellschaftsvermögen
104
3. Genußrecht als Beteiligung
106
4. Schuldrechtliche Beteiligung
107
a) Beteiligungsformen
107
b) Speziell Genußrechte
109
5. Präzisierung des Genußrechtsbegriffs
113
IV. Der Genußrechtsvertrag als Typus
113
1. Eigenständiger Charakter des Genußrechtsverhältnisses
113
2. Rechtliche Strukturtypen und Typenreihen
115
3. Genußrechtliche Typenbildung, Systembezug und Einzelfall
. . . .
V. Rechtsform und Branche des Unternehmensträgers C. Ansatz: Investitionsgenußschein (Investitionsgenußrecht)
117
120 . . . .
123
XIV
Inhalt
I. Grundgedanken
123
II. Begriff
127
I I I . Zulässigkeit
128
1. Aktienrecht a) Umgehungsthesen b) Stellungnahme 2. Europarecht
128 128 129 132
I V . Zwischenergebnis und weitere U n t e r s u c h u n g
133
Teil II
Grundlagen der Finanzierung in rechtsvergleichender Sicht 5 5 Unternehmen,
Kapital und Recht
A . U n t e r n e h m e n als Wagnisgemeinschaft und R e c h t s o r d n u n g
135 . . .
I. Wagnisgemeinschaft
135 135
II. Entwicklungsgeschichtliche Aspekte
136
I I I . D a s Prinzip der Angemessenheit 1. Grundlegung 2. Folgerungen für Organisations- und Finanzierungsformen
139 139 143
I V . Kapitalmarkt und Standardisierung
144
B . G e m e i n s a m e r Z w e c k und Kapitalanlage
145
I. D e r „gemeinsame Z w e c k " eines Verbandes Ausgangsbasis und Problemlage
146
II. Z w e c k , Gemeinsamkeit des Z w e c k s und Kapitalanlage
148
1. Zweckgedanke 2. Begriffe und entwicklungsgeschichtliche Aspekte 3. Der „Zweck" gemeinsamer Zweckverfolgung, Investition und Institutionen 4. Bedeutung der Ergebnisbeteiligung 5. Ergebnisbeteiligung und der „animus societatis contrahendae" I I I . Angemessene Risikotragung C . Finanzierung von Kapitalgesellschaften I. Juristische Person: Problemaufriß II. Ö k o n o m i s c h e A n s ä t z e 1. Betriebswirtschaft 2. Kapitalstrukturregeln und Bilanzanalyse 3. Kritik I I I . Regelungsbeispiele, besonders Insolvenzrecht
148 149 151 155 . . .
158 160 163 163 166 166 167 169 170
Inhalt
XV
D. Finanzierungsfreiheit und Finanzierungsverantwortung
173
I. Rechtsgrundlagen
173
II. Verlustbeteiligung von Genußrechtkapital
175
§ 6 Eigenkapital im deutschen Bilanzrecht und Rechtsvergleichung
177
A. Ausgangslage beim Eigenkapitalbegriff I. Eigenkapital und Fremdkapital mit Eigenkapitalfunktion
177 . . . .
II. Bilanzrechtliches Eigenkapital
177 179
1. Formeller Ansatz u n d Gesetzesnormen
179
• 2. Funktionale Betrachtung im Steuerrecht
180
a) Kapitalverkehrsteuergesetz
181
b) Körperschaftsteuerrecht
183
3. Funktionale Betrachtung im Handelsbilanzrecht
186
III. Einordnungsfragen beim Genußrechtkapital
187
B. Unternehmensfinanzierung und rechtsvergleichender Ansatz . . I. Haftung und Liquidität
190 190
II. Rechtsvergleichung
191
§ 7 Grundlagen der Finanzierung von Kapitalgesellschaften in den Vereinigten Staaten von Amerika A. Die Vereinigten Staaten: Kulturelle Schlaglichter
195 195
I. Im literarischen Spiegel
196
II. Zu Rechtssystem und Verfassungssymbolismus
196
III. Business und Risikogedanke
199
1. Lebenseinstellungen
199
2. Pensionsfonds und Kapitalanlage
200
3. Investitionsstrategien
202
B. Die Business Corporation
203
I. Die spezifische Form der Publikumsgesellschaft
203
II. Entwicklungsgeschichtliche Aspekte
204
III. Rechtsgrundlagen
206
1. Überblick
206
2. Revised Model Business C o r p o r a t i o n Act (1984)
206
3. Einzelstaatliches Recht (Delaware, Kalifornien, N e w York)
IV. Eigenkapitalquoten, Besteuerung und Wertpapierneuemissionen
. . . .
208
209
XVI
Inhalt
C. Finanzierungstheorie
210
I. Internationaler Diskurs und Literaturauswahl
210
II. Zeitgenössische Finanzierungstheorie 1. D e r ( M a r k t - ) W e r t des U n t e r n e h m e n s u n d seiner W e r t p a p i e r e
211 . . .
211
2. B e w e r t u n g s e l e m e n t e ( U b e r b l i c k )
212
3. Z u r K a p i t a l s t r u k t u r : E n t w i c k l u n g u n d U b e r b l i c k
213
4. I n t e r e s s e n k o n f l i k t e
215
5. K a p i t a l s t r u k t u r a n s ä t z e
216
III. Marktwert, Hypothesen und Bewertungsmodelle
219
1. D a s „ L e v e r a g e " - M i ß v e r s t ä n d n i s
219
2 . M a r k t e f f i z i e n z h y p o t h e s e und V e r m ö g e n s b e w e r t u n g
221
3. G e w i n n v o r h e r s a g e u n d B e w e r t u n g s m o d e l l e
IV. Allgemeine Gleichgewichtstheorie und Marktanalyse V. Wahrscheinlichkeitsrechnung und Wertlehre VI. Spieltheorie
§ 8 Finanzierung mit Hybridformen (hybrid securities) und Eigenkapitalbegriff in den Vereinigten Staaten von Amerika A. Fremdfinanzierung (debt financing) über Hybridformen: Grundlagen I. Entwicklungsgeschichtlicher Ansatz
223
225 229 234
238 238 238
1. B e g r i f f e traditioneller T y p e n : b o n d , d e b e n t u r e u n d n o t e
239
2. U n t e r n e h m e n s f i n a n z i e r u n g und die E i s e n b a h n e n
241
II. Rechtskonzepte zur Kapitalstruktur
245
1. E q u i t y und debt (securities)
245
2. Legal capital s y s t e m und K r i t i k
248
3. D e r k a l i f o r n i s c h e W e g
252
4. R e v i s e d M o d e l B u s i n e s s C o r p o r a t i o n A c t als K o n t r a p u n k t
255
III. Hybridformen (hybrid securities)
258
1. B e g r i f f
258
2. F o r m e n v i e l f a l t u n d „ j u n k b o n d " - T r a u m a
259
3. A b g r e n z u n g z u m R e c h t der W a r e n t e r m i n g e s c h ä f t e ( c o m m o d i t i e s law) 4. B e w e r t u n g , K r e d i t r i s i k o und B e w e r t u n g s a g e n t u r e n
IV. Weiterer Untersuchungsgang B. Rechtsfragen hybrider Finanzierungsverhältnisse I. Allgemeine Rechtsgrundsätze
262 265
268 268 269
1. Vertragsfreiheit
269
2. V e r t r a g s a b s c h l u ß u n d C o n s i d e r a t i o n l e h r e
270
XVII
Inhalt II. Corporate trust indenture: Grundlagen
271
1. Begriff und entwicklungsgeschichtliche Aspekte
271
2. Regulierungen
273
a) Trust Indenture Act 1939
274
b) Model Indentures
275
c) Trust Indenture Reform Act 1990
277
d) Bundesstaaten (state common law)
280
3. D e r Wertpapiertreuhänder (indenture trustee)
282
a) Rollenverständnis: trustee oder stakeholder?
282
b) Ansatz
284
c) Rechtsprechung und Kritik
286
d) Reform und neuere Rechtsprechung
288
4. Rechtsnatur und Zusammenfassung
290
III. Vertragsgestaltung
291
1. Einstieg und Ubersicht
291
2. Kapitalbindungsdauer (term-to-maturity)
293
a) Gebunden für die Ewigkeit?
293
b) Kündigungsrechte (put und call)
296
c) Kritik
298
3. Kapitalnachrang und Wandlungsrecht
298
a) Kapitalnachrang (subordinated debentures)
298
b) Wandlungsrecht (convertible debentures)
300
c) Kritik
303
4. Beteiligung am Unternehmensergebnis: Ausgangslage
303
a) Income debentures und income bonds
303
b) Kritik
306
5. Innovative Finanzierungsformen mit Teilhabecharakter
306
a) Risikomanagement und kreative Spielkonzepte b) Weitere Spielbeispiele wie „ P N s " , „ A R C N s " und „ M I P S "
306 . . .
6. Zwischenergebnis
IV. Investorenschutz und Unternehmensleitung
311
1. Ausgangspunkt: Zwei Welten? a) Risiko und Wert: Transfer zu Lasten von debt securities
308 310 311
. . . .
311
b) Fremdfinanzierter Unternehmenskauf: Metropolitan Life Insurance C o . v. R J R Nabisco, Inc 2. Schutzkomponenten (Übersicht)
314 316
a) Allgemeinrechtliche Regeln
316
b) Vertragsklauseln (indenture covenants)
318
3. Interpretation von indentures
320
a) Klassischer Ansatz: Vertragsdoktrin
320
b) Kritik: Investoren im magischen Viereck
322
c) Standardverträge und Restatementdoktrin
325
XVIII
Inhalt
4. Die Diskussion um Investorverhältnisse (corporate debt relationships)
327
V. Zwischenergebnis: Veränderte Organisationsparameter
329
C . Eigenkapitalbegriff und Steuerrecht
330
I. Verschuldungsgrenzen (Kapitalisierung) 1. Allgemeine Regeln 2. Konkursrecht
330 330 332
II. Steuerrecht (federal corporate income tax law) 1. Grundprinzipien und Rechtsrahmen 2. Rechtslage im „judicial jungle" a) Ausgangspunkt: Internal Revenue Code §§ 163 und 385 b) Rechtsprechung: Einzelfall und „substance rather than form" c) Gesetzgebung und Treasury Regulations zu IRC § 385 (bis 1989) d) Sonderfall: Unternehmenserwerb (IRC § 279) 3. Kritik und Gesetzesänderungen: „bifurcation"
334 334 336 336 340 345 349 350
III. Kritik, Steuerneutralität und Fazit
354
§ 9 Bilanzrecht in den Vereinigten Staaten von Amerika und internationale Konzernrechnungslegung
358
A . Ausgangslage
359
I. Internationale Kapitalmärkte II. Rechnungslegung in den U S A : V o n M y t h e n und Fakten 1. Publizitätsvorschriften und Regelungsinstanzen a) Grunddaten b) Securities and Exchange Commission und Privatorganisationen 2. Werte im Interessengeflecht 3. Der Name der Macht und Machtkontrolle III. Weiterer Untersuchungsgang und V o r b e m e r k u n g B. Zum Bilanzrecht in den U S A I. Rechnungslegung (financial reporting): Ein Rechtsgebiet 1. Die SEC als Verwaltungsagentur 2. Standardsetzung für die Rechnungslegung a) Gründe und Idee des Publizitätsrechts b) Gesetzgebungsmaterialien c) Der Handstreich des Privatsektors d) Festigung der Machtposition e) Uber Grundsätze und leere Drohungen
359 . . . .
361 361 361 363 365 366 371 372 372 372 375 376 378 380 383 386
XIX
Inhalt f)
Verfassungsmäßigkeit
390
g) Die Securities Investor Protection Corporation
393
3. Das Bilanzrecht (business accounting law)
395
a) Elemente und Bedeutung
395
b) Praxis
398
c) Zwischenergebnis
400
4. Rechtsmaßstab („materiality")
401
II. Regeln: „Generally Accepted Accounting Principles" und Eigenkapitalbegriff
405
1. Etikettenschwindel: Einführende Gedanken zu U.S. „ G A A P "
. . .
a) Rechtsrahmen und Begriffsursprung
405 405
b) Ausprägung durch Private
406
c) Ein Blick auf die Rechtsprechung
408
d) Zirkelsuche
410
2. Bilanzierung als debt oder equity security?
412
a) Grundlagen und Beispiel
412
b) Diskussion
415
c) Bestimmte Wertpapierinvestitionen (FAS N o . 115)
418
3. Kritik und Dissens im Financial Accounting Standards Board
. . .
419
I I I . B i l a n z g e s t ü t z t e K l a u s e l n in t r u s t i n d e n t u r e s
421
1. Prüfsteine des Rechnungslegungssystems
421
2. Problemlagen der Gewinnabhängigkeit
423
3. Kritik
425
I V . S t a n d a r d s e t z u n g als P o l i t i k
427
1. Brennpunkt einer „unendlichen" Geschichte
427
2. D e r Metcalf-Report des Senats
430
3. Reaktionen
434
V. Realitäten
436
1. D e r Bumerangeffekt
436
2. Folgerungen und Gemengelagen
437
V I . E i n neues Rechnungslegungsmodell?
440
C . Globalisierung und internationale Konzernrechnungslegung
. .
I. G l o b a l i s i e r u n g s d r a n g
441 441
II. Regelungsbeispiel Bankrecht
442
1. Transnationale Bedeutung
442
2. Risikogewichtetes Eigenkapital und Genußrechte
444
III. Lösungswege und Fallen internationaler Harmonisierung
. . . .
449
XX
Inhalt
§ 10 Genußrechte und kritische
auf internationalen Gesamtschau
Kapitalmärkten 453
A. Genußrechte auf internationalen Kapitalmärkten
453
I. Schlüssel globaler Finanzstrategien: depositary receipts und participation certificates
453
1. Geschichte, Begriffe u n d G r u n d s t r u k t u r 2. F o r m e n u n d Formalien, alternativer Direktzugang, Verbreitung
454 455
II. Internationale Zertifikate und Genußrechte
458
1. Beispiel: Genußscheine der Roche Holding A G (Basel)
458
2. A n m e r k u n g e n nach U.S.-amerikanischem, schweizerischem u n d deutschem Recht
462
III. Genußrechte und der Gewinn von Zukunft
463
B. Kritische Gesamtschau
465
I. Mathematik und die ökonomische Analyse des Rechts
465
II. Die juristische Analyse der Ökonomie
468
III. Rechtsregeln als Spielregeln und der Verlust von Form
470
IV. Kapitalmarktliche Rechtsstrukturen
471
1. Grenzen: System u n d Systembindung 2. Ausgangspunkt: Wirtschaftsleben und relationales Vertragsrecht 3. Das Investorverhältnis als relationales Vertragsrecht 4. Kapitalgesellschaftsmodelle, Konventionen u n d Bilanzrecht
V. Die Suche nach Angemessenheit
. .
471 474 476 479
482
Teil III F i n a n z i e r u n g mit G e n u ß r e c h t k a p i t a l § 11 Rechtsfragen des (Investitionsgenußrechts)
Investitionsgenußscheins
A. Kapitalmarktliches Vertragsrecht I. Vertragsrecht und institutioneller Anlegerschutz II. Schutzrahmen für Genußrechtkapital
486 486 486 490
1. Rechtsnormen
490
2. Haftungsverhältnis
492
III. Vertragskontrolle 1. Anwendbarkeit des AGB-Gesetzes 2. Vertragsfreiheit und Angemessenheitskontrolle a) Grundlegung
495 495 497 497
Inhalt b) Kontrollmaßstab c) Kontrollumfang 3. Ausprägungen des Kapitalanlegerschutzes 4. Verlustteilnahme und Wiederauffüllung
XXI 498 500 502 505
a) Ansatz und laufende Verlustteilnahme
505
b) Kapitalherabsetzung
507
c) Anmerkungen zum bilanzrechtlichen Schutzrahmen 5. Finanzielle Kompensation a) Strukturelles Machtgleichgewicht b) Kompensationshebel 6. Transparenzgebot
IV. Unternehmensleitung und Genußberechtigte
509 511 511 512 514
517
1. Ausgangslage
517
2. Unternehmerische Sorgfaltspflichten
518
3. Kapitalmarktliche Anbindung
520
4. Beteiligungsrechtliche Folgen
522
V. Interessenvertretung B. Handelsrecht und Steuerrecht, Konzernlage I. Handelsbilanzrecht
526 528 528
1. Ausgangslage
528
2. „Haftkapital" statt „Eigenkapital"
530
II. Steuerrecht
533
III. Konzernlage
536
$ 12 Die Kodifikationsfrage, Ergebnis und Ausblick A. Die Frage der Kodifikation I. Gesetzliche Genußrechtsregelung?
540 540 540
II. Über Vertragsfreiheit und Rechtsstrukturen
542
III. Publikumsanleger und institutionelle Anleger
544
IV. Institutionenschutz und Standardisierung
546
B. Reflexion, Ergebnis und Ausblick
549
Literaturverzeichnis
553
Rechtsprechungsregister (Gerichte in den USA)
579
Sach- und Personenregister
585
Abkürzungsverzeichnis A. A.2d AAER AaO/aaO ADR(s) ADS(s) a.E. a.F. AICPA aOR APB App. ARCN(s) BAnz BG/BGE BGBl. Cal. Cal.Gen.Corp.L. CAPM C.F.R. Ch. Cir. C.I.R. Cl.Ct. Cong. Corp. Ct. Ct.App. Ct.Cl. CVR(s) D. D.C. Del. Del.Gen.Corp.L. Div. DJT E. ERISA F. F.2d F.3d FAS
Atlantic Reporter/Annotated Atlantic Reporter, Second Series Accounting and Auditing Enforcement Releases am angegebenen O r t american depositary receipt(s) american depositary share(s) am Ende alte Fassung American Institute of Certified Public Accountants altes Obligationenrecht (Schweiz) Accounting Principles Board of the American Institute of Certified Public Accountants Appellate/Appeal(s) adjustable rate convertible note(s) Bundesanzeiger (schweizerisches) Bundesgericht/Bundesgericht Entscheidungssammlung Bundesgesetzblatt California California General Corporation Law Capital Asset Pricing Model C o d e of Federal Regulations Chancery/Chancery Court Circuit Commissioner of Internal Revenue Claims Court Congress Corporation(s) Court C o u r t of Appeals Court of Claims contingent value right(s) District, (Federal) District C o u r t District Court/District of Columbia Delaware General Corporation Law of Delaware Division Deutscher Juristentag Eastern Employee Retirement Income Security A c t Federal/Federal Reporter Federal Reporter, Second Series Federal Reporter, Third Series Financial Accounting Standard(s)
XXIV FASB Fed.Reg. Fn. FS F.Supp. FTC GAAP H HdWW Holdheim Hrsg. IAS IASC IdW Inc./inc. IOSCO IRC IRS LCPS(s) lit. LYON(s) LZ M.B.C.A. Md. MIPS Misc. m.w.Nachw. N. n. NAFTA NASD NASDAQ N.J. No(s)./no.(s) N.W. N.W.2d N.Y. N.Y.2d NYSE NZG P. P.2d p./pp. par./para. PN(s) Publ.L. QIB(s) R. Rec. Reg. Rev. RGR
Abkürzungsverzeichnis Financial Accounting Standards Board Federal Register Fußnote Festschrift Federal Supplement Federal Trade Commission Generally Accepted Accounting Principles U.S. House of Representatives Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaft Monatsschrift (Wochenschrift) für Aktienrecht und Bankwesen, Steuer- und Stempelfragen Herausgeber International Accounting Standards International Accounting Standards Committee Institut der Wirtschaftsprüfer Incorporated International Organization of Securities Commissions Internal Revenue Code, 26 U.S.C. Internal Revenue Service limited conversion preferred stock(s) litera liquid yield option note(s) Leipziger Zeitung für Deutsches Recht Model Business Corporation Act Maryland monthly income preferred security (securities) Miscellaneous mit weiterem (weiteren) Nachweis(en) Northern note North American Free Trade Area National Association of Securities Dealers National Association of Securities Dealers Automated Quotation System N e w Jersey Number(s) North Western Reporter North Western Reporter, Second Series N e w York N e w York Reporter, Second Series N e w York Stock Exchange Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Pacific Reporter Pacific Reporter, Second Series page/pages paragraph participating note(s) Public Law Qualified Institutional Buyer(s) Rule(s) Record(s) Regulation Review/Revised Reichsgerichtsräte
Abkürzungsverzeichnis R.M.B.C.A. Rn. Rptr. S/S. s. SAG SAS S.Ct. S.D. SEAQ SEC Sec. SEEDs seq. Sess. SFAS sfr SIPA SIPC Sp. Stat. stat. Super. S.W. S.W.2d SZGerm SZW/RSDA TC TCM TIA Treas.Reg. U. UCLA U.L.A. U.S. U.S.C. U.S.C.A. v. Va. vol. W. WiB WiGBl. Wis. WPg WTO ZBJV ZfB ZfbF
XXV
Revised Model Business Corporation Act Randnummer(n). Reporter U.S. Senate/Seite(n) section(s) Schweizerische Aktiengesellschaft Statements on Auditing Standards Supreme Court/Supreme Court Reporter Southern District Stock Exchange Automated Quotation Securities and Exchange Commission Section(s) selected equity-linked debt security (securities) sequi Session Statements of Financial Accounting Standards Schweizer Franken Securities Investor Protection Act Securities Investor Protection Corporation Spalte Statute(s) statutory(ly) Superior South Western Reporter South Western Reporter, Second Series Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung Schweizerische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Tax Court Reports Tax Court Memorandum Decisions Trust Indenture Act (Annotated) Treasury Regulations Uniform University of California, Los Angeles Uniform Laws Annotated United States United States Code United States Code Annotated versus Virginia volume West(ern) Wirtschaftsrechtliche Beratung (ab 1998: NZG) Wirtschaftsrat Gesetzblatt Wisconsin Die Wirtschaftsprüfung World Trade Organization Zeitschrift des Bernischen Juristenvereins Zeitschrift für Betriebswirtschaftslehre Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung
Weiter wird verwiesen auf: Kirchner, Hildebert, schen Rechtssprache, 4. Auflage, Berlin 1993; Prince, legal citations, 5th ed. Buffalo (N.Y.) 1997.
Abkürzungsverzeichnis der deutMary Miles, Bieber's dictionary of
§ 1 Einleitung
A.
Problemaufriß
Die Finanzierung von Unternehmen ist ein weites Feld. Das Thema umfaßt einen Lebensbereich mit eng verwobenen ökonomischen und rechtlichen Aspekten. Anschaulich kann das Recht als die „ordnende Form" und die Ökonomie als die „geregelte Materie" umschrieben werden 1 , wobei das Recht immer die auch inhaltlich wertende Bezugsgröße ist. Die Finanzierung von Unternehmen als Lebensverhältnis wird oft zu einseitig erörtert; innerhalb vereinzelter Fachrichtungen herrscht dann noch verworrene Begriffsvielfalt. Wir untersuchen auf breiterer Grundlage hybride Finanzierungsinstrumente. Jene Erscheinungen also, die praktisch im gesetzlich weithin ungeordnet wirkenden Bereich zwischen den klassisch definierten Polen „Eigenkapital" und „Fremdkapital" siedeln und in unterschiedlichen Mixturen Elemente beider Seiten vereinen. U m auf dem bisher unzureichend kartographierten Feld sicher und mit Aussicht auf Ertrag arbeiten zu können, sind bestimmte Vorgaben notwendig. Auf der Suche nach Erkenntnis schlagen wir gleich einige Orientierungspflöcke ein. Für diese Studie über Grundlagen der Unternehmensfinanzierung und zum internationalen Kapitalmarktrecht markiert der Dreiklang „Unternehmen, Kapital und Genußrechte" den Weg, der im Rahmen der U n tersuchung vor allem anhand der Aktiengesellschaft abgeschritten wird. Dabei stehen rechtsvergleichend Grundstrukturen und Prinzipien im Mittelpunkt, geht es um übergreifende Zusammenhänge und „innere, stillwirkende Kräfte" 2 . Das Ziel sind praktisch nutzbare, sinnvoll angemessene Lösungsansätze in einem umfassend gedachten, zivilrechtlich begründeten Unternehmensrecht.
I. 1.
Unternehmen
Unternehmensbegriff
Wir behandeln Unternehmen. Das ist leicht gesagt und zeugt sogleich Erklärungsbedarf. Der Begriff „Unternehmen" ist geläufig, aber unbestimmt. 1 2
Stammler, Wirtschaft und Recht, S. 211. F. C. von Savigny, Vom Beruf unserer Zeit, S. 14.
2
51
Einleitung
Daher zunächst ein Blick auf sprachliche Wurzeln.3 Das Verbum „unternehmen" stand mittelhochdeutsch für „abschneiden, unterbrechen, wegnehmen, verhindern"; ein Unternehmer wurde mit lateinisch interceptor, oris (Unterschlager) belegt. Kein vertrauenserweckendes Etikett! Der frühe sprachgeschichtliche Befund bezieht sich freilich auf menschliches Handeln allgemein. Die spätere Bezeichnung wirtschaftlicher Tätigkeit ist westeuropäisch geprägt. Im 18. Jahrhundert erläutert Johann Adelung4 das Verb „unternehmen" mit „sich, etwas Wichtiges zu bewerkstelligen, anheischig machen, etwas Schweres zu thun vornehmen, ingleichen dasselbe wirklich anfangen". Das zeigt Einflüsse von englisch undertake5 und französisch entreprendre, was etwa bedeutet „eine Last unten anfassend auf sich nehmen"6. Für die Handlung des Unternehmens steht der substantivierte Infinitiv Unternehmen oder, damals bevorzugt, die Unternehmung.7 Beide Begriffe werden bis heute synonym gesetzt. Weil „Unternehmen" und Komposita wie „Unternehmensführung", „Unternehmenskonzentration", „Unternehmenskultur" oder „Unternehmensberatung" inzwischen zum allgemeinen Wortschatz gehören, erscheint das Wort „Unternehmen" selbstverständlich, selbstredend. Dabei sind nur einzelne Vermögenswerte Elemente wie dem „Unternehmen" zugeordnete Grundstücke, technische Anlagen, Maschinen, Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe oder fertige und halbfertige Erzeugnisse und Waren sinnlich wahrnehmbar. Insgesamt stehen wir bei einem „Unternehmen" vor einer Idee, einem Gedankengebäude. Die damit bleibende Frage, was „Unternehmen" tatsächlich bedeutet, ist hier nicht abschließend zu beantworten. Wohl aber ist festzulegen, wofür der Begriff in dieser Untersuchung steht. Es geht um „Unternehmen" als Schöpfungen des Wirtschaftslebens. Ihr Begriff tritt uns durch einen ersten Blick in das wirtschaftswissenschaftliche Schrifttum näher. Unternehmen (Unternehmung) wird dort etwa bezeichnet als: allgemein ein produktives soziales System, die von einem Unternehmer geführte Wirtschaftseinheit (Joseph Schumpeter) oder auch eine geordnete, in und zwischen Märkte eingebettete Menge an Handlungsabläufen.8 Solche
3 Insgesamt: Mitzka, Trübners Deutsches Wörterbuch, 7. Band, S. 317f. (Stichwort „Unternehmen"). 4 Grammatisch-kritisches Wörterbuch, 4. Theil, Sp. 918 (Stichwort „Unternehmen"). 5 Von undernim. Vgl. althochdeutsch untarneman, mittelhochdeutsch undernemen; Grimm, Deutsches Wörterbuch, Band 11, 3. Abteilung, Sp. 1696. 6 Vgl. Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch, 4. Theil, Sp. 918; Mitzka, Trübners Deutsches Wörterbuch, S. 317. 7 Adelung, aaO. Ökonomen bevorzugen noch heute meist diesen Begriff. Früher bezeichnete auch die „Handlung" eine „zur Betreibung kaufmännischer Geschäfte gegründete Anstalt oder Einrichtung"; Schiebe, Universallexikon der Handelswissenschaften, 2. Band, S. 55f. 8 Dieter Schneider, Investition, S. 4f. Grundlegend Gutenberg, Die Unternehmung als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie, 1929.
5 /
Einleitung
3
Definitionen entstammen oft verschiedenen Ansätzen zu einer Theorie der Unternehmung (des Unternehmens) und sind insoweit vorgeprägt.9 Davon unberührt vermitteln sie aber Vorstellungen vom „Unternehmen", das jeder Ansatz als Forschungsobjekt zu erfassen sucht. Ganz allgemein wird Unternehmen schlicht als „eine Form der Organisation" 10 umschrieben. Es kann damit bei der Feststellung bleiben, daß in der nachfolgenden Studie das komplexe Gedankengebäude „Unternehmen" als Lebensverhältnis im Blickpunkt steht, das in seiner kulturellen Bedingtheit notwendig auch rechtliche Komponenten umfaßt.11 Einige werden wir für die Finanzierung von Unternehmen beleuchten. 2. Unternehmen
und
Unternehmensträger
Die bunte Palette juristischer Betrachtung, zentriert um das Begriffspaar „Unternehmen" und „Unternehmensträger", erfordert einige Anmerkungen. Historisch ist die" Entwicklung eng mit dem Handelsrecht verknüpft. In Deutschland und anderen europäischen Staaten wird sie besonders durch die im Jahrhundert der Aufklärung erblühende Wissenschaft befördert. Seither läßt sich die zunehmende Sonderung des Unternehmensvermögens bis hin zur Annahme des Unternehmens als eigenes Rechtssubjekt verfolgen.12 Einher gehen mit der fortschreitenden Industrialisierung bald Ansätze, „das Unternehmen" auch ideologisch zu belegen. Die wirtschaftliche Einheit des Unternehmens verleitet dazu, den Begriff „Unternehmen" rechtstechnisch zu funktionalisieren. Das belegen mannigfache Versuche. Dabei erreichen die Zielgrößen gesamtgesellschaftliche Dimension, wie namentlich Walther Rathenaus13 sozialethisch begründete Lehre vom „Unternehmen an sich" zeigt. Die Diskussion ist weiterhin aktuell, und es bleibt recht wahrscheinlich, daß sie je nach sozialpolitischem Umfeld immer wieder nachhaltig aufflammen wird. Verwiesen sei auf die Debatte über ein Unternehmensrecht als Unternehmensverfassungsrecht, für die Werner Flume klarstellte, daß hier Kardinalfrage die Mitbestimmung der Arbeitnehmer unter Überwindung der klassenkämpferischen Antithese der Faktoren Kapital und Arbeit ist.14 Dabei 9 Zum Diskurs über neuere Ansätze Schneider, Betriebswirtschaftslehre, S. 459ff. Übersicht zu den Begriffen Unternehmen und Betrieb (als eigenständige Kategorie) bei Kolbeck, in: HdWW, 8. Band, S. 65 ff (Stichwörter „Unternehmen" und „Unternehmen und Betrieb"). 10 North, Institutionen, S. 87. " Stammler, Wirtschaft und Recht, S. 212, formuliert vom Recht aus, daß dieses kein für sich bestehendes Ding sei, „sondern in jeder rechtlichen Normierung liegt immer und notwendig eine Regelung von unterliegender sozialer Wirtschaft". 12 Eingehend für 1794 bis 1861 Conradi, Das Unternehmen im Handelsrecht, besonders S. 67ff. (zur Diskussion um 1825) und S. 202ff. (zur Diskussion unter dem A D H G B ) . 13 Vom Aktienwesen, S. 154f. Zur Begriffsentwicklung neuerdings Riechers, Das „Unternehmen an sich", Tübingen 1996. 14 Flume, U m ein neues Unternehmensrecht, Berlin 1980.
4
§ 1
Einleitung
steht der Unternehmensbegriff zentral. Kurt Ballerstedt15 formuliert allgemein, die Entwicklung des Unternehmensrechts sei „rechtspolitisch wie wissenschaftlich so wenig abgeschlossen, daß eine Definition des Begriffs ,Unternehmen' dank ihrer notwendig apodiktischen Formulierung in den Verdacht einer versuchten Erschleichung geraten kann". Ein zweites Beispiel betrifft das Verhältnis von Handelsrecht und allgemeinem Zivilrecht. Die neuere Unternehmensrechtstheorie will das Handelsrecht zum Außenprivatrecht von Unternehmen entwickeln. Dessen Adressatenkreis soll statt des geltenden Kaufmannsbegriffs ein Rechtsbegriff „Unternehmen" bestimmen. Ein solcher ist bisher aber nicht anerkannt. Damit sind Kontroversen vorgezeichnet, wie das Handelsbilanzrecht zeigt. Die dort zur Umsetzung der EG-Jahresabschlußrichtlinie geplante Einführung eines übergreifenden Begriffs „Unternehmen" zur Adressatenregelung verwarf eine neue Regierungsmehrheit aus rechtspolitschen Gründen.16 Versuche einer einheitlichen „Unternehmenssteuer" und im internationalen Bereich der Ansatz, Konzerngesellschaften ungeachtet eigener Rechtspersönlichkeit unter dem Begriff „Einheitsunternehmen" (unitary business) zu besteuern17, runden das Bild ab. Diese Schlaglichter beleuchten die Kräfte, die mit dem Begriff „Unternehmen" auftreten. Um so wichtiger ist daher die Feststellung, daß der rechtstechnische Kern dieser Vorgänge, die Frage der Funktionalisierung eines Unternehmensbegriffs als systembildenden Faktor im Recht, nicht Gegenstand dieser Studie ist.18 Wir nehmen die gesicherte Basis der Differenzierung nach Unternehmen und Unternehmensträger. Danach ist der Unternehmensträger als Rechtssubjekt Bezugspunkt aller Rechte und Pflichten der als Identifikationsgröße mit „Unternehmen" gedachten wirtschaftlichen Einheit.19 Unternehmensträger kann im hier behandelten privatrechtlichen Bereich namentlich ein Mensch, eine Personengesellschaft oder eine Kapitalgesellschaft als juristische Person sein. In dieser Untersuchung wird die kapitalgesellschaftliche Form der Aktiengesellschaft im Zentrum stehen, die als Unternehmensträgerin über ein Unternehmen verfügt. Bei dessen Betrieb geht es gemeinhin formuliert um die Mehrung von Nutzen durch Einsatz von Kapital. Damit ist das Stichwort des zweiten Eckpunktes genannt.
FS Konrad Duden, S. 22. " Dazu Großfeld, Z G R 1987, 504, 508 ff. Kritisch zur allgemeinen Diskussion Bydlinski, Handels- oder Unternehmensrecht, 1990; zum historischen Hintergrund Conradi, Unternehmen im Handelsrecht. 17 Luttermann, RIW 1996, 935 ff.; zur Unternehmenssteuer Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, S. 1 ff. 18 Zur Klarstellung sei angemerkt, daß die Ausführungen dieser Untersuchung daher - soweit nicht ausdrücklich anders gekennzeichnet - auch nicht auf die angesprochenen Streitfragen gemünzt sind. " Im Kern ebenso Karsten Schmidt, Handelsrecht, S. 81 f. (m.w. Nachw.). 15
1.
§ 1
Einleitung
II.
Kapital
5
Kapitalbegriff
Unternehmen wirtschaften mit Kapital. „Das Kapital" stand lange vor dem gleichnamigen Hauptwerk von Karl Marx als Begriff im Zentrum zahlreicher Betrachtungen, erscheint aber gerade seither ideologisch besonders bunt gefärbt - buchstäblich: ebenso schillernd wie unscharf. Er ist für unsere Zwecke zu klären. Das Wort Kapital kommt sprachgeschichtlich vom lateinischen caput10, capitis, was auch Hauptsumme, Stock bedeutet und im Gegensatz zu den darauf bei Fremdnutzung regelmäßig gezahlten Zinsen steht. Danach ist Kapital eine Summe Geldes, die dazu bestimmt ist, Gewinn zu bringen und dafür gegen Zinsen ausgeliehen wird.21 Der Volksmund spricht heute noch vom „toten Kapital" und meint damit brach liegendes Geld, das keinen Gewinn bringt. Im Sprachgebrauch klingt also mit dem Wort Kapital gedanklich die allgemeine Vorstellung von „Finanzierung" und „Verzinsung" an22, was den Gehalt eines praktikablen Kapitalbegriffes anschaulich umschreibt. Das zeigt der Diskurs über kapitaltheoretische Fragen in den Wirtschaftswissenschaften. Ihn hier in einigen Grundlinien zu skizzieren, ist geboten, da er Elemente für die spätere rechtliche Behandlung des Sachverhaltes erschließt. Zunächst zur Nationalökonomie. Dort begegnet der Kapitalbegriff in der Investitionstheorie sowie im nachhaltigen Streit über die Verteilung von Einkommen. Diese Diskussion, seit Adam Simth von herausragenden Denkern wie etwa David Ricardo, Karl Marx, John B. Clark, Irving Fisher, Joseph Schumpeter und Walter Eucken geprägt, entbrannte über den Ursprung des Zinses und kreist um die Zusammensetzung des Kapitals.23 Der Grund: Im Rahmen der Distributionstheorie bezeichnet das Wort Kapital die Quelle des Kapitalzinses. Bald jede Zinstheorie führt so zu einer anderen Definition von Kapital. Adam Smith etwa leitet den Wert der Dinge von den Kosten her („produzierte Produktionsgüter"). Für Clark ist Kapital ein abgeleitet-homogener, mit den natürlichen Produktionsfaktoren Arbeit und Boden kombinierter Produktionsfaktor. Allgemein wird nach neueren analytischen Ansätzen eine der - freilich nicht immer einheitlich gefaßten - Bezugsgrößen Realkapital (Kapitalmenge), Wertkapital (Kapitalgüterbestandswert) oder Geldkapital (Sparkapital) betont. Betriebswirtschaftliche Ansätze blicken auf das Unternehmen (die Unternehmung) und fassen den Kapitalbegriff gemeinhin pragmatisch.
20 Das seinerseits auf das altindische kapalam (Schädel) zurückgeht; vgl. im Englischen die in der Landwirtschaft benutzte, mit der Kopfzahl von Herden quantifizierte Bezeichnung „live stock". 21 Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch, 1. Theil, Sp. 1303. 22 So schon treffend Preiser, FS Rieger 1953, S. 14, 16. 23 Theoriegeschichtlich Brinkmann, FS Rieger 1953, S. 9-13; Männer, HdWW, Stichwort „Kapital I " , S. 348f., wo die folgenden Definitionen entnommen sind.
6
§1
Einleitung
Von diesem an der Praxis orientierten Punkt aus hat Erich Preiser Anfang der sechziger Jahre die Konfusion geordnet und den tragfähigen Kern eines allgemeinen Kapitalbegriffes herausgearbeitet. Danach sei Kapital der Inbegriff von Finanzierungsmitteln für Investitionen, also kurz: Geld für Investitionszwecke. 24 Dieses (liquide) Kapital wird durch Investition (Anlage) zum (festgelegten) Vermögen, das Inbegriff der in der Verfügungsgewalt einer Person stehenden Güter ist; „Kapital" und „Vermögen" sind begrifflich scharf zu trennen.25 Genau das geschieht bei dem in Buchführung und Bilanzierung üblichen Kapitalbegriff, der mit dem von Preiser formulierten gleichläuft. Das gesamte für ein Unternehmen aufgenommene Kapital wird auf der Passivseite der Bilanz dem aktivierten Vermögen gegenübergestellt. Dabei ist das im Unternehmen investierte Kapital als Geld (ausgenommen: Kassenbestände) freilich nicht mehr stofflich vorhanden, sondern als Rechnungsposten zur Erinnerung vermerkt. Während die Aktivseite über die Verwendung des als Vermögen angelegten Kapitals informiert, zeigt die Passivseite die Herkunft der Finanzierungsmittel. Mit dem Aspekt der Mittelherkunft rückt das Recht mit seiner privatrechtlichen Zuordnung in den Blickpunkt. Der Rechtsbezug des Kapitals mag für die theoretische Volkswirtschaftslehre „verhältnismäßig nebensächlich" 26 sein. Für die uns interessierenden Ordnungsstrukturen der Unternehmensfinanzierung ist er wesentlich. Die Gesamtheit der für einen Unternehmenszweck eingesetzten Mittel kann allgemein als Kapital (genauer: Gesamtkapital) bezeichnet werden. Juristisch ist aber entscheidend, wer für das Unternehmen die Finanzmittel auf welcher Rechtsgrundlage bereitstellt. Danach sind Rechte und Pflichten der Beteiligten im Beziehungsgefüge auszuloten. Diese Anforderung wird traditionell gespiegelt in der bilanzrechtlichen Grundstruktur der Passivseite als Kapitalstruktur des Unternehmens, auf die wir gleich eingehen. 2. Unternehmensfinanzierung
und
Eigenkapitalausstattung
Im Zentrum der Finanzierung von Unternehmen steht die Frage der Eigenkapitalausstattung. Die kontrovers geführte Diskussion, die primär als eine über ökonomische Zusammenhänge erscheint, währt schon Generationen. Die Jurisprudenz hat sich wiederholt intensiv mit diesem Bereich befaßt; besonders in der Weimarer Republik, wo die Deutschen Juristentage in Heidelberg (1924) und Köln (1926) Rechtsfragen des Kapitalmangels der krisengeschüttelten deutschen Wirtschaft vertieften, und dann unter den vergleichs24 Preiser, FS Rieger 1953,14, 20f. Ahnlich Schumpeters Begriff von Kapital als jene Summe von Geld und anderen Zahlungsmitteln, welche zur Überlassung an Unternehmer in jedem Zeitpunkt verfügbar ist (Geldkapital); auch Sandig, Finanzierung mit Fremdkapital, S. 13. 25 Aus der Anlage fließender Ertrag ist die Vermögensrente. Näher insgesamt Brinkmann, FS Rieger 1953, S. 21 f., 37-38. 26 Schmalenbach, Kapital, Kredit und Zins, S. 1 (zu Kapital als „Gütervorrat").
5 1
7
Einleitung
weise milden Rahmenbedingungen der letzten zwei Dekaden. Es war gegen Ende der achtziger Jahre, als wiederum besorgte Blicke die Ausstattung deutscher Unternehmen mit Eigenkapital bemängelten und der 55. Deutsche Juristentag in Hamburg (1984) fragte: „Welche Maßnahmen empfehlen sich, insbesondere im Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht, um die Eigenkapitalausstattung der Unternehmen langfristig zu verbessern?". Die seither breit geführte Debatte dauert an. Sie hat im Schrifttum interessante Zwischenergebnisse befördert, doch ist gerade aus juristischer Sicht weiterhin manche Frage offen. Einführend seien einige Basisdaten skizziert.
a) Betriebliche Finanzwirtschaft,
Eigenkapital und
Fremdkapital
Ein Unternehmen braucht Kapital, mit dem es wirtschaftet. Aus Sicht der Ö k o n o m i k 2 7 werden die Abläufe in einem Unternehmen dem Leistungsbereich oder dem Finanzbereich zugeordnet. D e r Leistungsbereich umfaßt die Beschaffung von Gütern und Dienstleistungen zur Leistungserstellung, die Produktion und die Lagerwirtschaft 2 8 sowie den Absatz erstellter Leistungen. Mit jedem leistungswirtschaftlichen Vorgang korrespondiert ein finanzwirtschaftlicher Vorgang: Beim Kauf von Rohstoffen für die Fertigung von Produkten fließen Finanzmittel aus dem Unternehmen ab, beim Verkauf produzierter Güter fließen dem Unternehmen Finanzmittel zu. Solche Zahlungsvorgänge und alle damit verbundenen Dispositionen sind dem Finanzbereich zugeordnet. Seine zentrale Aufgabe ist, die Zahlungsfähigkeit des Unternehmens durch Deckung des entstehenden Kapitalbedarfs sicherzustellen. 29 D a für muß der Kapitalbedarf ermittelt werden. Das erscheint auf den ersten Blick relativ einfach. N e h m e n wir eine Kapitalgesellschaft als Beispiel. Im Grundsatz gilt: Entscheidend für Bestand und Entwicklung der Kapitalgesellschaft ist, daß sie jeweils gemessen an ihren Zahlungsverpflichtungen und Investitionsvorhaben über ausreichende Kapitalien einschließlich eines Sicherheitspolsters verfügt, von dem sie in Krisenzeiten zehren kann. D e r daraus insgesamt resultierende Kapitalbedarf eines Unternehmens ist innerhalb der Finanzplanung - jedenfalls als Näherungswert - rechnerisch bestimmbar. Denkbar einfach wäre er zu decken, indem allen Kapitalgebern anteilig eine gleichartige Teilhabe am Unternehmensergebnis - positiv also an erwarteten, aber noch ungewissen Überschüssen aus dem Leistungsbereich - eingeräumt wird (Beteiligungstitel/Restbetragsansprüche). 30 Alle Kapitalgeber sind dann wirtschaftlich mit Blick auf künftige Zahlungen ebenso wie bezogen auf künftige Verluste mit demselben Risiko be27 Uberblick etwa bei Busse, Betriebliche Finanzwirtschaft, S. 3 ff. Grundsätzlich zu Finanzierungsfragen Dieter Schneider, Investition, Finanzierung und Besteuerung, 1992. 28 Die im Dienstleistungssektor regelmäßig entfällt. 29 Hax/Laux, Finanzierung, S. 11. 30 Vgl. Hax/Laux, Finanzierung, S. 11 f.; zu insolvenzrechtlichen Folgen mangelnder Finanzmittel in § 5 C III.
8
$ 1
Einleitung
legt. Eine juristische Komponente bringt einen entscheidenden Akzent ins Spiel: Die Differenzierung der Kapitalausstattung eines Unternehmens nach £zge«kapital und /remi/kapital. Bilanzrechtlich hat der Kaufmann in der Bilanz das - nur unzulänglich (vgl. § 272 H G B ) definierte - sogenannte Eigenkapital gesondert auszuweisen (§§ 247 Abs. 1, 266 Abs. 3 lit. A. H G B ) . Es erscheint als Differenzposten auf der Passivseite, der sich bei Kapitalgesellschaften aus der Summe von Rückstellungen, Verbindlichkeiten und Rechnungsabgrenzungsposten gegenüber dem ausgewiesenen (Gesamt-)Kapital berechnet; effektiv sind die stillen Rücklagen dem ausgewiesenen Eigenkapital hinzuzurechnen. Unter „Eigenkapital" werden traditionell die Mittel verstanden, über die das Unternehmen zeitlich „unbegrenzt" verfügen kann. 31 Das sind grundsätzlich die Einlagen der Eigner als Form der Außenfinanzierung und die thesaurierten Gewinne als Form der Innenfinanzierung. Die Bezeichnung ¿¿gewkapital verweist also gemeinhin auf die Rechtsstellung der Mittelgeber als Eigentümer (bei Einzelkaufmann, Personengesellschaften) oder als Anteilseigner (bei Kapitalgesellschaften), denen grundsätzlich die im Unternehmen erwirtschafteten - auch thesaurierten - Gewinne gebühren. Für die Kapitalgesellschaft ist dieser Ansatz dahin zu präzisieren, daß die Rechtsgrundlage Maß gibt für die Einordnung der von einem Gesellschafter begebenen Mittel als Eigenkapital (bei gesellschaftsrechtlicher Einlage) oder Fremdkapital (z.B. bei schuldrechtlichem Darlehen). Aus dieser formell 32 umschriebenen Bezugsgröße „Eigenkapital" folgt die (negative) Abgrenzung, daß grundsätzlich alle Finanzmittel des U n ternehmens /rem^kapital sind, die nicht auf gesellschaftsrechtlicher Grundlage bereitgestellt werden. Praktisch jedes Unternehmen wirtschaftet danach auch mit Fremdkapital. Das Verhältnis von Eigenkapital und Fremdkapital in einem Unternehmen, also die Kapitalstruktur, betrifft rechtlich betrachtet das Machtgefüge des U n ternehmensträgers. Der Kapitalstruktur entspricht eine bestimmte Kontrollstruktur, der das Unternehmen unterliegt. Sie erschöpft sich nicht in der gemeinhin plakatierten Konstruktion, im Gegensatz zu Fremdkapitalpositionen seien mit der Eigenkapitalposition eines Gesellschafters regelmäßig Einflußmöglichkeiten im Unternehmen verknüpft; das wird noch gezeigt. 33 Der auch hier zunächst unterstellte Dualismus von Eigen- und Fremdkapital hat wesentliche Folgen für die Finanzwirtschaft eines Unternehmens. Wir betreten damit den Bereich der betriebswirtschaftlichen Kapitaltheorie. Sie zielt darauf, in theoretischen Modellen abgestimmte Aussagen über Bedarf, Verwendung und Aufbringung von Kapital für eine möglichst „opti-
31 Siehe nur Großfeld, Bilanzrecht, Rn. 311. Zu überkommenen Charakteristika von Eigen- und Fremdkapital bei Sandig, Finanzierung mit Fremdkapital, S. 16-18. 32 Weiter zum Eigenkapitalbegriff unter § 6 A. 33 Unten etwa § 7 C II 4 und 5.
§ 1
Einleitung
9
male" Unternehmensfinanzierung zu treffen. 34 Ist der Erklärungswert solcher Modellanalysen für Lebensverhältnisse auch durch die (unvermeidliche) Wahl weniger - überwiegend konstanten und nach einzelnen Grundmodellen verschiedenen - Prämissen erheblich eingeschränkt, so können sie doch für die Erkenntnis von Zusammenhängen aufschlußreich sein. Soweit im Rahmen unserer Betrachtungen unter juristischem Blickwinkel geboten, werden wir sie behandeln. Vorangestellt sei, was einen Juristen kaum überrascht: Auch in der Kapitaltheorie ist - wie noch deutlich wird - vieles umstritten. Zunächst skizzieren wir einige mit dem Dualismus von Eigen- und Fremdkapital verknüpfte Grundlinien zu Kapitalkosten, Verschuldungsgrad und Risiko; wiederum wird eine Kapitalgesellschaft unterstellt, betrachtet erst aus Sicht der Anteilseigner. Anteilseigner wollen im Grunde eine möglichst hohe Rentabilität ihres im Unternehmen eingesetzten Kapitals. Die Kosten der Kapitalbeschaffung müssen dafür minimiert werden. Dabei ist der wirtschaftliche Bezug zwischen Eigen- und Fremdkapital zu beachten. Denn durch die Aufnahme von Fremdkapital (zur Substitution von Eigenkapital oder zur Erhöhung des Gesamtkapitals) verändert sich die Eigenkapitalrendite, also der Ertrag für den Eigenkapitalgeber (Leverage-Effekt). Das heißt im Kern 35 : Maßgebend ist die Struktur der Kapitalkosten des Unternehmens, die sich aus Eigenkapital- und Fremdkapitalkosten summieren. Die Kosten für Fremdkapital umfassen die kreditindizierten Aufwendungen des Kreditnehmers wie Zinsen, Abschlußgebühr, Disagio und eine mögliche Risikoprämie (Fremdkapitalzins). Die Eigenkapitalkosten folgen aus den Dividendenforderungen der Anteilseigner, die regelmäßig an alternativen Anlagemöglichkeiten ausgerichtet sind.36 Auf dieser Basis beschreibt der Leverage-Effekt, daß mit zunehmender Fremdfinanzierung des Unternehmens die Eigenkapitalrendite steigt, wenn die Investitionsrendite - also der mit dem Gesamtkapital erwirtschaftete Leistungssaldo - höher als der Fremdkapitalzins ist. Das Unternehmen wird mithin seine Investitionen soweit fremdfinanzieren, wie die Eigenkapitalrentabilität durch Aufnahme von Fremdkapital gesteigert werden kann, also solange seine Verschuldung erhöhen, wie der Fremdkapitalzins niedriger ist als die Investitionsrendite. 37 Sind beide Para34 Übersicht bei Perridon/Steiner, Finanzwirtschaft, S. 476ff. und unten § 5 A III. Grundsätzlich zur Modellbildung in der Ökonomie Zschocke, Modellbildung in der Ökonomie, 1995. 35 Dazu Franke/Hax, Finanzwirtschaft, S. 463 ff.; Perridon/Steiner, Finanzwirtschaft, S. 478 ff. (je mit Beispielen). Zu den Kostenkomponenten (Zinsrate, Risikoprämie) Black, Exploring general equilibrium, S. 91 f. 36 Anders formuliert: Sie entsprechen den Renditeerwartungen. Auch hier wird auf eine Kapitalgesellschaft abgestellt. 37 Wenn mithin bei Investitionsrendite (r) und Fremdkapitalzins (i) gilt: (r - i) > 0. Zu beachten ist, daß bei Erhöhung des Gesamtkapitals die Grenzrendite sinken kann; vgl. Perridon/ Steiner, Finanzwirtschaft, S. 498 („leistungswirtschaftliches oder Geschäftsrisiko").
10
5 1
Einleitung
meter gleich groß oder liegt der Fremdkapitalzins sogar über der Investitionsrendite, lohnt weitere Verschuldung nicht. Diese betriebswirtschaftlichen Annahmen beruhen auf einem festen Fremdkapitalzins sowie konstanter Investitionsrendite. Sie sind nur eine Seite der Medaille. Hinzu tritt der Risikoaspekt, der den Blick auf die Kapitalmarktseite lenkt. Mit der Aufnahme von Fremdkapital verschiebt sich im Unternehmen die vorhin gedachte einheitliche Risikolage bei gleichartigen Beteiligungstiteln, denn Fremdkapital ist der Idee nach weniger risikobehaftet als Eigenkapital: Fremdkapitalgeber erhalten regelmäßig Rechtsansprüche auf fixe Zinszahlung und Tilgung (Forderungstitel/Festbetragsansprüche). Mit Eigen- und Fremdkapitalgebern sind jetzt zwei Gruppen von Risikoträgern im Unternehmen engagiert. Wird Eigenkapital durch Fremdkapital ersetzt, erhöht das gedacht risikoärmere Fremdkapital mit seinen fix zu bedienenden Zahlungsansprüchen strukturell das Risiko für das verbliebene ergebnisabhängige Eigenkapital (Risikoeffekt). 38 Ebenso steigt wohl auch die Wahrscheinlichkeit einer Insolvenz des Unternehmens, dessen Marktwert gleichzeitig sinken kann. 39 Das sind mögliche Folgen, die Anteilseigner für den Anstieg der erwarteten Eigenkapitalrendite in Kauf nehmen. b) Leverage-Effekt
und
Kapitalmarkt
Mit dem Verschuldungsgrad steht sogleich ein Klassiker der finanztheoretischen Literatur im Blickfeld: das Theorem von Franco Modigliani und Merten H. Miller. Sie formulierten in ihren Thesen zur Finanzierung von Aktiengesellschaften, der Marktwert und die durchschnittlichen Kapitalkosten eines Unternehmens seien unabhängig von seiner Kapitalstruktur. 40 Danach wäre die angesprochene Relation von Eigen- und Fremdkapital und damit der Verschuldungsgrad eines Unternehmens unbeachtlich. Das ist so tatsächlich nicht der Fall. Der Schwachpunkt bei Modigliani und Miller, der heftig kritisiert wird 41 und freilich beiden Autoren bewußt war 42 , sind die realitätsfernen Prämissen des Modells. Davon interessieren hier vor allem die Annahmen eines vollkommenen Kapitalmarktes und der Trennbarkeit von Leverageund 38 Vgl. Hax/Laux, Finanzierung, S. 12; mit Rechenbeispiel Perndon/Steiner, Finanzwirtschaft, S. 480ff. („Kapitalstrukturrisiko"). 39 Franke/Hax, Finanzwirtschaft, S. 334. Eingehende, instruktive Kritik der Hypothese sinkenden Insolvenzrisikos durch steigende Eigenkapitalquote bei Schneider, Investitionen, S. 588 ff. 40 Modigliani/Miller, The cost of capital, Corporation finance and the theory of investment, 48 The American Economic Review 261-297 (1958), deutsche Ubersetzung in Hax/Laux, Finanzierung, S. 86, 92 f.; dazu noch in § 7 C III 1. 41 Etwa Moxter in Hax/Laux, Finanzierung, S. 133, 147ff., insbesondere 150ff., 157; vgl. Perndon/Steiner, Finanzwirtschaft, S. 498 ff. 42 Modigliani/Miller (in Hax/Laux, aaO., S. 111), sprechen von drastischen, aber notwendigen Vereinfachungen, um das Finanzierungsproblem theoretisch überhaupt handhaben zu können.
5 1
Einleitung
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Risikoeffekt, da sie wesentliche Aspekte von Marktabläufen bei Ungewißheit zeigen. Für den „vollkommenen" Kapitalmarkt wird bei atomistischer Konkurrenzsituation neben gleichem Marktzugang unterstellt, daß alle Marktteilnehmer über umfassende Informationen verfügen und keine Transaktionskosten entstehen. Eine solche statische, partielle Gleichgewichtsanalyse fordert Kritik, die schon in wenigen Zügen43 Problembereiche offenlegt. Tatsächlich herrscht auf den Kapitalmärkten eine Dynamik, die ungleiche Informationslagen bei Marktteilnehmern befördert und zu mehr oder minder spekulativen Transaktionen führt. Bei der Beschaffung von Informationen für die Finanzplanung wie beim folgenden Eigen- und Fremdkapitalhandel selbst fallen Transaktionskosten an: Abschluß und Abwicklung der Verträge verursachen regelmäßig Kosten wie Börsen- und Bankgebühren, Durchführung von Hauptversammlungen der Aktionäre, Kreditsicherheiten. Unvollkommen informierte Anbieter und Nachfrager sowie vielfältige Transaktionskosten kennzeichnen neben weiteren Parametern mithin in der Praxis die - weit von „Vollkommenheit" entfernten - Kapitalmärkte. Schließlich ist wesentlich, daß Risiko- und Leverage-Effekt zusammenwirken. Wenn Letztgenannter auch gültig einen Anstieg der erwarteten Eigenkapitalrendite bei Aufnahme von Fremdkapital beschreibt, verleitet er isoliert betrachtet zu falschen Schlüssen. Denn gleichzeitig beeinflußt die wachsende Verschuldung die Kosten der Aufnahme weiterer Fremdkapitalien. Der Risikoeffekt wirkt umfassend. Die Fremdkapitalaufnahme kann außer dem schon angesprochenen Risiko des Eigenkapitals auch jenes des im Unternehmen versammelten Fremdkapitals erhöhen. Das ist der Fall, wenn mit dem Anstieg der Fremdmittel die fixen Zahlungsverpflichtungen des Unternehmens und die Gefahr steigen, daß Gläubiger mit ihren Kreditforderungen ausfallen. Der Kapitalmarkt wird auf die verschlechterte Finanzsituation des Unternehmens reagieren, das höhere Risiko bewerten und den Zinssatz für weiteres Fremdkapital entsprechend höher ansetzen. Damit sinken die im Leverage-Effekt formulierten Zuwächse der Renditeerwartungen der Eigenkapitalgeber.44 Dieser Entwicklung kann begegnet werden, indem die aktuellen oder neue Anteilseigner dem Unternehmen zusätzliches Eigenkapital zuführen und damit den Verschuldungsgrad senken. Soweit zunächst zum traditionell geprägten, auch als neoklassische Finanzierungstheorie bezeichneten Ansatz und dessen Kritik.
43 Eingehend Franke/Hax, Finanzwirtschaft, S. 466 (näher noch in der 2. Auflage, 1990, S. 437ff.). 44 Siehe mit Graphik Perridon/Steiner, Finanzwirtschaft, S. 493 f.
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c) Kennzahlen
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deutscher und ausländischer
Unternehmensentwicklung
Die geschilderten juristischen, betriebswirtschaftlichen und kapitalmarktlichen Zusammenhänge verdeutlichen den Stellenwert von sogenanntem Eigenkapital für ein Unternehmen. Auf dieser theoretischen Basis wollen wir uns mit dem praktischen Sachverhalt, der Kapitalstruktur deutscher und ausländischer Unternehmen, vertraut machen. Erforderlich ist ein Maßstab, der die Kapitalstruktur veranschaulicht. Als Ausgangspunkt sei die bei der Finanzanalyse übliche 45 sogenannte vertikale Eigenkapitalquote gewählt. Sie wird ermittelt, indem man den prozentualen Anteil des in der Bilanz ausgewiesenen Eigenkapitals am bilanzierten Gesamtkapital berechnet. Die gewonnene Verhältniszahl zeigt, inwieweit das durch die Bilanzsumme dargestellte Vermögen des Unternehmens durch Eigenkapital gedeckt ist. D e r reziproke Wert, also der prozentuale Anteil des Fremdkapitals am bilanzierten Gesamtkapital, kennzeichnet den Verschuldungsgrad des Unternehmens. Blicken wir zunächst auf einige von der Deutschen Bundesbank aufbereitete Kennzahlen zur Entwicklung der Eigenkapitalausstattung deutscher U n ternehmen. Den folgenden Daten 4 6 liegen ganz überwiegend die Steuerbilanzen von 45 000 bis 70 000 Unternehmen verschiedener Wirtschaftszweige zugrunde. Berechnungsgrundlage sind die Eigenmittel (berichtigt) als Summe aus Rücklagen (berichtigt 47 ) und Eigenkapital im Verhältnis zur Bilanzsumme (bereinigt 48 ). Danach wird der Eigenmittelanteil aller Unternehmen ausgewiesen für: 1971 mit 2 5 , 3 % , 1976 mit 2 2 , 5 % , 1981 mit 1 8 , 7 % , 1986 mit 1 8 , 9 % und 1991 mit 1 7 , 7 % ; bei 5 0 % der rund 29 000 Kapitalgesellschaften lag die Eigenkapitalquote unter 9 , 8 % . Auffallend im Berichtszeitraum ist der tendenzielle Quotenabfall. Vor allem aber erscheinen durchschnittlich die Kennzahlen deutscher Unternehmen im internationalen Vergleich relativ niedrig. Auch neuere Untersuchungen der externen Jahresabschlußanalyse zeigen deutlich höhere Eigenkapitalquoten etwa der Unternehmen in Japan und in den Vereinigten Staaten von Amerika. 4 9 Auf diese wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsarbeiten und dortige Kennzahlen sei mit der Anmer45 Insgesamt Perridon/Steiner, Finanzwirtschaft, S. 533-35; Gruhler, Industrielle Eigenkapitalausstattung, S. 5. 46 Einzelheiten in Deutsche Bundesbank, Jahresabschlüsse westdeutscher Unternehmen 1971 bis 1991, Sonderveröffentlichung 1993, S. 7ff.; dazu und mit weiteren Angaben Hansen, Der deutsche Aktienmarkt, AG, Sonderheft Oktober 1996, 36ff. („unbefriedigende Kapitalstruktur deutscher Unternehmen"). 47 Sie umfassen Gewinnvortrag und Eigenmittelanteil des Sonderpostens mit Rücklageanteil; Berichtigungsposten zum Eigenkapital (ausstehende Einlagen, eigene Aktien bzw. Anteile am Bestand, Disagio, negative Kapitalkonten etc.) sind von den Rücklagen abgesetzt; siehe ebenda, S. 13. 48 Sie wird berechnet: ausgewiesene Bilanzsumme - (Berichtigungsposten zum Eigenkapital + Wertberichtigungen). 49 Mit zahlreichen weiteren Nachw. Francfort/Rudolph, ZfbF 44 (1992), 1059ff.; Stehle, ZfB 64 (1994), 811-837; Burger/Schellberg, WPg 1994, 406ff.; optimistischer (im Vergleich mit den USA und Großbritannien) Perlitz/Küpper/Löbler, Z G R 1985, 16ff.
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kung verwiesen, daß Ansätze und Methoden der Untersuchungen und folglich auch die Aussagen teils erheblich variieren. Das ist nicht der einzige Einwand. Kennzahlen statistischer Jahresabschlußanalysen sind grundsätzlich mit Bedacht zu handhaben. Zahlen täuschen eine Objektivität vor, die ihnen nicht zukommt, und verbergen gerade im internationalen Vergleich ihre wesentliche Grundlage: das kulturelle Umfeld. 5 0 N i m m t man Bilanzdaten zur Berechnung von Kennzahlen, so liegt auf der Hand, daß unterschiedliche Bilanzziele und darauf abgestimmte Ansatzvorschriften und Bewertungsmethoden nationaler Rechtsordnungen kaum vergleichbares Basismaterial liefern. Auch die Interpretation muß den jeweiligen Bezugsrahmen beachten. In Deutschland besteht ein hoch entwickelter Gläubigerschutz, der von strengen Kapitalbindungsregeln der Aktiengesellschaft bis hin zu einem ausgefeilten Rechtsschutzsystem einschließlich Zwangsvollstreckung reicht. Hier erscheinen niedrigere Eigenkapitalien unbedenklicher als in einem Land wie den U S A , das den aktien- und insolvenzrechtlichen Schutz der Gläubiger weniger betont. Beschränken wir uns auf die nationale Lage, bleibt der Informationsgehalt von Jahresabschlußkennzahlen fraglich, wie das Problem der Messung von Eigenkapital verdeutlicht. I m Bewußtsein dieser Einschränkungen kann die Aussagefähigkeit vorliegender Kennzahlen dahin gewichtet werden, daß wohl international eine statistische Tendenz sinkender Eigenkapitalquoten beobachtbar ist.
d) Die These der „Eigenkapitallücke"
u,nd deren Kritik
Die skizzierte Entwicklung der Eigenkapitalquoten gab Anlaß für die von der Annahme beherrschte Diskussion, deutsche Unternehmen seien durchschnittlich im internationalen Vergleich „mangelhaft" mit Eigenkapital ausgestattet. Die These der „Eigenkapitallücke" wurde formuliert, mit 170 Mrd. D M beziffert und verbreitet(e) vor allem mit Blick auf volkswirtschaftliche Größen wie Insolvenzquote und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft allgemein Sorge. 51 D o c h schon die Bezeichnung „Eigenkapitallücke" ist mehrdeutig. Im engeren Sinne kann damit die in der Relation von Eigenund Fremdkapital als „ungünstig" empfundene Kapitalsir»&f»r der Unternehmen gemeint sein, die - ohne eine zusätzliche Mark zu mobilisieren durch vertragliche Substitution von Festbetragsansprüchen durch Restbe-
50 Großfeld, Bilanzziele und kulturelles Umfeld, S. 19 ff., insbesondere S. 21 f.; das räumen auch angeführte ökonomische Untersuchungen ein. Grundsätzlich Moxter, in: Bruns/Häuser, Eigenkapital und Kapitalmarkt, S. 80-96. 51 Zahl von Birgit Breuel (nach Albach, Referat D J T 1984, Sitzungsberichte, S. K 9); mit weiteren Nachw. (auch aus Wirtschaft und Politik) Kübler/Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 119; Schneider, Investition, S. 585; Albach/Hunsdiek/Kokalj, Finanzierung mit Risikokapital.
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tragsansprüche zu beheben ist.52 Weitergehend wird sie dahin verstanden, daß mit Blick auf die Kapital Volumina der Unternehmen die Eigenkapitalquoten als „unzureichend" anzusehen sind53, da sie - nach dem (oben lit. a [a.E.]) beschriebenen Mechanismus - der Erhöhung des Gesamtkapitals und damit der Investitionskraft der Unternehmen Grenzen setzen. Praktisch können beide Aspekte relevant sein. Die These der „Eigenkapitallücke", die auch wegen der genannten Einwendungen gegen die zugrundegelegten Meßmethoden angezweifelt wird, ruht maßgeblich in den Vorstellungen der schon kritisch beleuchteten neoklassischen Finanztheorie. Namentlich Friedrich Kühler und Reinhard H. Schmidt54 bestreiten die Schlüssigkeit der These. Bereits den verbreitet im Schrifttum zugrundegelegten bilanzrechtlichen Kapitalbegriff sehen sie problematisch, da er Eigen- und Fremdkapital als Bestandsgrößen behandelt55: Diese vergangenheitsorientierte Vorstellung von (Eigen-)Kapital als zugeführten (haftenden) Mitteln befördere die Verknüpfung zwischen „dem Ursachenkomplex der sog. Eigenkapitalschwäche" und den „als kritisch angesehenen Konsequenzen von Investitions- und Innovationsschwäche und steigender Krisenanfälligkeit". Insbesondere die Substituierbarkeit von Kapital lege einen zukunftsorientierten Kapitalbegriff als Stromgröße nahe, der den Gegenwartswert von Zahlungsansprüchen und Zahlungserwartungen bezeichne. Sie kritisieren weiter die Erklärungsversuche, warum „zu wenig" Eigenkapital angeboten und nachgefragt werde, mangels klaren Konzepts von Eigenkapitalrenditen und Eigenkapitalkosten als unbefriedigend. Bei der Eigenkapitalrendite sei zu beachten56, daß in einer Welt mit unsicheren Erwartungen die erwartete Rendite gleich dem Kalkulationszinsfuß ist, mit dem die erwarteten Erträge diskontiert werden. Wegen der Unsicherheit der ex ^wie-Eigenkapitalrendite könne daher der Kapitalmarktzins für sichere Anlagen57 zufällig, nicht aber strukturell über der - sich auf einem rational bewertenden Aktienmarkt ex post ergebenden - Eigenkapitalrendite liegen. Erforderlich zur Prüfung von Angebot und Nachfrage auf dem (Eigen-/Fremd-) Kapitalmarkt sei auch eine klare Vorstellung über die Eigenkapitalkosten.58 Das wären nicht Dividendenzahlungen an aktuelle Eigenkapitalgeber, sondern definitionsgemäß deren entgangenen Erträge aus alternativen Kapitalanlagen
52
So interpretieren Kübler/Schmidt,
Gesellschaftsrecht, S. 122 f., das überwiegende Schrift-
tum. So wohl Karsten Schmidt, JZ 1984, 771, 774 (mit Daten). Gesellschaftsrecht, S. 119ff., und R.H. Schmidt, in: Ott/Schäfer, Ökonomische Analyse, S. 170, 186ff.; D. Schneider, DB 1986, 2293 ff. 55 Kühler/Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 121 f. 56 Ebenda, S. 128-131. 57 Dazu schon oben unter lit. a). 58 Vor allem die Beziehung zwischen Eigenkapitalkosten der Unternehmen und Eigenkapitalrenditen der Kapitalgeber. AaO., S. 131-133. 55
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(„Opportunitätskosten") 59 sowie die zusätzlichen Zahlungen an die neuen Eigenkapitalgeber aus der Unternehmenskasse; hinzu träten weitere Kostenkomponenten wie Steuern und vor allem die (gleich noch behandelten) „agency costs", die insgesamt Belastungsunterschiede bei Eigen- und Fremdkapital bedingten. Kühler und Schmidt bestreiten vor diesem Hintergrund die These der „Eigenkapitallücke" im Sinne einer „falschen" Kapitalstruktur und formulieren die Gegenthese. Sie begreifen die beobachtete Struktur von Eigen- und Fremdkapital deutscher Unternehmen sowie die korrespondierende Struktur der Geldanlage in Restbetrags- und Festbetragsansprüche als Ergebnis eines bewußten Auswahlprozesses, der die „richtige" Kapitalstruktur repräsentieren könne.60 Danach gibt es keine Eigenkapitallücke. Die zutreffende und damit tragfähige Basis ihrer Beweisskizze ist, daß die Kapitalstrukturen aller Unternehmen einer Volkswirtschaft insgesamt als komplexes Vertragssystem den Kapitalgebern Festbetrags- oder Restbetragsansprüche zuordnet und damit ungewisse Erträge und Risiken aufteilt.61 Auf dieser Basis gründet die Gegenthese im Kern auf dem Gedanken der „agency costs", die zu den Kapitalkosten zählen. Der neoinstitutionalistische Ansatz sieht wirtschaftliche Abläufe allgemein als Auftragsbeziehungen, in denen regelmäßig ein Auftragnehmer (Agent; bei der AG also der Vorstand) für einen Auftraggeber (Prinzipal; bei der AG [gemeinhin] die Aktionäre) handelt. Es entstehen Interessenkonflikte, wobei die asymmetrische Informationsverteilung zwischen beiden Seiten den Agenten ermöglicht, auf Kosten der Prinzipale eigene Interessen zu verfolgen („moral bazard"-Problem). Ein System von Anreizen (z.B. ergebnisabhängige Vergütung der Vorstände) und Kontrollen (z.B. Informations-, Mitsprache-, Kündigungsrechte der Prinzipale) soll dem zum besten aller Beteiligten entgegenwirken. Das verursacht Kosten (agency costs), die möglichst minimal zu halten sind und entsprechend der gewählten Anreiz- und Kontrollkombination bei Eigen- und Fremdkapital verschieden ausfallen. Angesichts der erkennbaren Belastungsunterschiede von Eigen- und Fremdkapital verstehen Kühler und Schmidt ihre Gegenthese der „richtigen" Kapitalstruktur eher als ein empirisch nicht prüfbares „methodisches Postulat" 62 . Sie behaupten nicht, sondern vermuten, daß die beobachteten Kapitalstrukturen optimal sind; und zwar aufgrund der Annahme rationalen Verhaltens der Beteiligten63: Sparer-Haushalte, Finanzintermediäre und Unternehmen würden prima facie bei bestehender Vertragsfreiheit nicht gemeinsam an einer für sie ungünstigen Kapital- bzw. Anlagestruktur festhalten. Die Ge59 60 61 62
Höhere Zahlungen des Unternehmens erhöhten nicht die Kapitalkosten; aaO., S. 132. AaO., S. 124 und 134 (näher dort S. 134-152). AaO., S. 134. AaO., S. 136; dort, S. 137-139, auch nähere Erläuterungen zur Einschätzung der Gegen-
these. " AaO., S. 136 f.
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danken der Gegenthese greifen auch in der juristischen Literatur Platz. Heinz-Dieter Assmann64 meint, die Kapitalstruktur eines Unternehmens spiegele entgegen der „Eigenkapitallückenthese" schon sämtliche Risiken als Kosten der einzelnen Finanzierungskomponenten. Es gehe nur darum, die Kostenfaktoren einzelner Finanzierungsformen zu mindern und den marktlichen Allokationsmechanismus von Finanzmitteln zu stärken.
3. Über die menschliche Natur und Anreize Die Gegenthese der „richtigen" Kapitalstruktur von Kühler und Schmidt scheint gegenüber der verbreiteten These der „Eigenkapitallücke" die Logik auf ihrer Seite zu haben. Aber was heißt das? Die Gegenthese unterstellt „rationales", also von der Vernunft geprägtes Verhalten. Das ist im Unternehmensbereich, wo Wagnis die treibende Kraft ist und Informationsasymmetrien Gesetz des Handelns sind, eine unsichere Größe. Eine Größe, deren außersubjektiver Realitätswert jedenfalls fraglich bleibt. Um hier tragfähige Antworten oder zumindest Ansätze zu solchen zu finden, müssen wir überkommene Forschungsgrenzen wie die zur Ethologie und Psychologie überschreiten. Dabei wird schnell deutlich, daß bei allen Erklärungsversuchen Vorsicht und Bescheidenheit oberste Gebote sind. Konrad Lorenz bezeichnet am Ende seines Versuchs einer Naturgeschichte menschlichen Erkennens die naturwissenschaftliche Erforschung des Wirkungsgefüges, das die menschliche Sozietät und ihre Geistigkeit trägt, als „eine schier unabsehbar große Aufgabe" 65 . Die ethologische Kernaussage, daß auch das soziale Verhalten des Menschen Instinkthaftes, durch kulturelle Einwirkungen nicht Veränderbares enthalte66, stimmt für die Annahme „rationalen" Verhaltens nachdenklich. Gleichwohl besteht kein Anlaß für Kulturpessimismus oder gar fatalistische Anflüge. Nach Lorenz gibt es die Möglichkeit objektiven Wissens. Er führt unter vergleichender Beiziehung von Erkenntnissen der Logik nach Karl Popper aus, daß logisches Denken - nicht anders als das Bilden bedingter Reaktionen und unzählige andere „psychologische" Vorgänge - eine Leistung des menschlichen Weltbildapparates sei.67 Erläuternd ist anzumerken68: Jener im Laufe der Evolution durch Anpassung geformte Apparat ist uns a priori gegeben; über ihn gewinnen wir nach der Annahme des hypothetischen Realismus unsere Erkenntnisse als Ergebnis der Wechselwirkung zwischen erkennendem Subjekt und erkannt werdendem Objekt, die beide gleicherma-
Großkommentar AktG, Einl. Rn. 411. Die Rückseite des Spiegels, S. 304. 66 AaO., S. 303. 67 Lorenz, aaO., S. 129ff., 131. 68 Vgl. aaO. sowie S. 11-42 (grundsätzlich) und S. 212ff. (zu Menschengeist und Kultur als lebendes System). 64
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ßen wirklich sind. Gleichsam als (Ab-)Bilder der äußeren Realität69 enthält er bereits eine gewaltige Menge stammesgeschichtlich erworbener, im Genom gespeicherter Informationen, und mit jedem Erwerb neuen Wissens verändert er sich. Anpassungsformen im Sinne der erwähnten „psychologischen" Vorgänge sind auch kausales und begriffliches Denken. 70 Als kognitive Apparate des menschlichen Geistes ermöglichen sie Reflexion, das Erkennen von Zusammenhängen und im Gebrauch bewahrten und neu erworbenen Wissens zielgerichtetes Handeln im Sinne einer Zweck-Mittel-Verschränkung. Das führt uns zu den Aspekten „Anreiz" und „Erwartung", die unser Handeln motivieren. Die entsprechenden Ergebnisse psychologischer Forschung71 sind aufschlußreich für die hier interessierenden Vorgänge auf dem Kapitalmarkt. Motivation wird in der Psychologie als Anstreben von Zielzuständen, von „Bekräftigungen" gesehen und setzt zweierlei voraus. Einerseits muß das Eintreten des Zielzustandes vorwegnehmbar sein, was eine entsprechende Erwartungshaltung begründet. Weiter muß das Individuum dem Zielzustand Wertcharakter beimessen. Er wird wegen seiner Wertigkeit für das Individuum von diesem erstrebt, wirkt also als „Bekräftigung". Dabei ist allgemein zu beachten, daß bestimmte, den Zielzustand ausmachende, mit ihm zusammenhängende oder ihn bedrohende Objekte und Ereignisse jeweils eine herausgehoben positive oder negative Bedeutung haben. Positiver Anreiz zieht Individuen an, negativer Anreiz stößt sie ab. Wir handeln anreizorientiert. Unter dem ökonomischen Prinzip, das ein Spiegelbild der genannten Zusammenhänge ist, erstreben die Marktteilnehmer Nutzenmaximierung. Sie werden also gemeinhin „positiven" Anreizen, die ihrem Ziel förderlich sind, folgen und entsprechend „negative" Anreize zu meiden suchen. Diese Grundlage stützt die Gegenthese von Kühler und Schmidt insoweit, daß wir sie wie folgt präzisieren können: Die beobachtbare Kapitalstruktur der Unternehmen und die korrespondierende Struktur der Geldanlagen spiegeln als „bewußt gewählte"72 die von den Marktteilnehmern unter den herrschenden (Rahmen-)Bedingungen als „optimal" empfundenen Strukturen. Wir bezeichnen mit „Rahmenbedingungen" die Gesamtheit jener entweder als „positiv" oder „negativ" empfindbaren Anreize, die wie geographische, kulturelle und infrastrukturelle Gegebenheiten als Wirkungsgefüge die vom einzelnen Marktteilnehmer in der Regel nicht beeinflußbare Entscheidungsbasis bilden. Tatsächlich beeinflussen vielfältige weitere Bedingungen die Entschei" Die Annahme, auch in der Evolution des Körperbaus entstünden Bilder der Außenwelt, unterlegt Lorenz (aaO., S. 17) anschaulich mit Goethes Sicht, das Auge sei ein Abbild der Sonne und der physikalischen Eigenschaften, die dem Licht eigen sind, unabhängig, ob Augen da sind, das Licht zu sehen (vgl. Goethe, Zur Farbenlehre, Tübingen 1810, S. X X X V I I I ) . 70 Lorenz, aaO., S. 132 und 212ff. 71 Nach dem internationalen Standardwerk von Heckhausen, Motivation und Handeln, S. 133. 72 Was nicht immer gleich „rational" heißt.
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düngen der Marktteilnehmer oder ihrer Repräsentanten. Namentlich auch persönliche Umstände, Gefühle, Wertvorsteilungen. Während gerade solche Aspekte Zweifel an der „Rationalität" von Entscheidungen nähren, müssen wir uns hier auf die nachvollziehbaren Rahmenbedingungen konzentrieren.
4. Rechtsordnungen
als
Anreizsysteme
Zentral im Wirkungsgefüge der Rahmenbedingungen stehen die für uns vor allem relevanten rechtlichen Vorgaben. Eine Rechtsordnung setzt viele Fixpunkte, an denen sich die Markteilnehmer orientieren (müssen) und nach denen sie ihre Marktbeziehungen gestalten. Angefangen im nationalen Bereich beim Bürgerlichen Gesetzbuch, das auf uns gekommene Hauptwerk freiheitlicher Privatrechtsordnung, über das Gesellschaftsrecht mit seinen differenzierten Gestaltungstypen, Insolvenzrecht, einem in verschiedenen Facetten fortschreitenden Kapitalmarktrecht, bis hin zum Rechtsschutz- und Zwangsvollstreckungssystem, um einige Stichworte zu nennen. Insgesamt geht es um die Funktionsfähigkeit unseres Gesellschaftssystems und damit im Kern um die Kontrolle von Macht. Besonders deutlich zeigt das immer wieder die Unternehmensform der Aktiengesellschaft. Sie steht - wie angesprochen - traditionell im Blickpunkt der Diskussion wirtschaftlich geprägter und damit verknüpfter gesamtgesellschaftlicher Fragen. Wesentlich ist dabei die Einbindung der beteiligten Kräfte. Es gilt, zwischen den Polen interner Kontrolle durch Gesellschafter und externer Kontrolle durch den Kapitalmarkt 73 eine jedenfalls strukturelle, also rechtssystematisch abgesicherte Stabilität zu gewährleisten, die praktische Machtbalance ermöglicht. Grundlage dafür ist ein ausgewogenes, ethisch gefestigtes74 Anreizsystem. Im Kanon gesamtgesellschaftlicher Rahmenbedingungen sei hier das in ökonomischer Sicht herausragende Steuerrecht genannt. Im Anschluß an Findeisen betonen gerade Vertreter der betriebswirtschaftlichen Steuerlehre, das Steuerrecht sei auf die wirtschaftlichen Gedankengänge abzustimmen. 75 Das Steuerrecht ist den Marktteilnehmern besonders bewußt, weil regelmäßig die ökonomische Sinnhaftigkeit einer Finanzierungs- oder Anlageentscheidung an den steuerlichen Folgen hängt. Steuern bieten ein großes Anreizpotential. Aus jüngster Zeit sei beispielhaft auf das im Zuge der deutschen Wiedervereinigung zur Motivation von Investitionen im Beitrittsgebiet ergangene Fördergebietsgesetz verwiesen. Freilich bietet das Steuerrecht ein Potential, das auffallend problembehaftet und gemeinhin „negativ" belegt ist: Wo Steuern erhoben werden, kommt es zu Ausweichhandlungen. Bleiben wir
Zu beiden Aspekten Ebke, Unternehmenskontrolle, S. 7 ff. Grundlegend dazu unten in § 5 A III. 75 Swoboda, in: Hax/Laux, Finanzierung, S. 347ff. (m. Nachw. in Anm. 4). Weiter zum Einfluß von Steuern auf den Marktwert des Unternehmens Kapitalkosten Drukarczyk, Finanzierung, S. 151 ff. 73
74
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zunächst im nationalen Rahmen. Bei der Unternehmensfinanzierung lautet für den Steuerpflichtigen die ökonomische Alternative, die steuerlich günstigste Form zu wählen oder andernfalls insoweit Wettbewerbsnachteile hinzunehmen. Darum geht es in der schon lange währenden Diskussion über die Vereinheitlichung der Unternehmensbesteuerung und auch bei der Frage der Kapitalstruktur. Wird die Finanzierung von Unternehmen mit Fremdkapital steuerlich gegenüber der Finanzierung mit Eigenkapital begünstigt (oder vice versa), hat das Fremdkapital (oder das Eigenkapital) für die Marktteilnehmer einen entsprechend höheren „positiven" Anreiz. In Deutschland ist wohl gemeinhin eine Begünstigung von Fremdkapital feststellbar.76
III.
Genußrechte
Nach „Unternehmen" und „Kapital" bleibt in unserem Dreiklang noch der Begriff „Genußrechte". Ihn zu klären, ist Aufgabe dieser Studie. Einleitend ordnen wir ihn gedanklich in das Spektrum der einem Unternehmen zur Kapitalbeschaffung verfügbaren Finanzierungsformen ein, das selbst erst aus dem lebenseigenen Risikogefüge erhellt.
1. Uber
Risiko
Ausgangspunkt ist die dem Leben eigene Ungewißheit künftiger Entwicklung. Der Mensch handelt, indem er Bedingungen in seine Umwelt setzt, deren Auswirkungen er im Zusammenspiel aller von ihm nicht beeinflußbaren „Kräfte" nur abschätzen kann. Sticht er zum Handel mit Menschen in anderen Regionen auf einem Schiff in See, bleibt schon das Unternehmen der Reise - auch bei aller ihm möglichen Sorgfalt - angesichts von Unwägbarkeiten wie Sturm, Ausfall technischer Anlagen und Kollisionen etwa von Havarie bedroht. Ebenso wie dieser Ausgang einer Reise ist bei allen unseren Handlungen die Zukunft der unsichere Horizont unserer Orientierung. Der Aufklärung aller für eine Entscheidung relevanten Aspekte ist damit eine natürliche Grenze gesetzt. Diese Grundbedingung menschlicher Existenz ist Kern philosophischer Betrachtungen. Nach Karl Jaspers sucht der Mensch im Dasein Sicherheit innerhalb der Außenwelt und verzweifelt daran, daß diese unmöglich ist, da es im Dasein „keine sichere Prognose" gibt und alles „zwischen den Grenzen einer sehr
76 Dazu Albach/Hundsdiek/Kokalj, Risikokapital, S. 8; Weichen, Probleme des Risikokapitalmarktes, S. 79ff., 99ff. Nach Institut der Deutschen Wirtschaft, Zahlen zur wirtschaftlichen Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland 1995 (Tabelle 68) betrug z.B. 1991 die Risikoprämie -0,5 (mit) und -2,9 (ohne Steuergutschrift) für die Nettoeigenkapitalrendite gegenüber der Fremdkapitalrendite. Beachte aber noch unten § 7 B IV.
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großen Wahrscheinlichkeit und Unwahrscheinlichkeit" liegt.77 Die Ungewißheit kann also zwar graduell verschieden sein, ist als solche aber Bestandteil jeder Entscheidungsgrundlage menschlicher Handlung - auch im rechtsgeschäftlichen Verkehr. Der Grad der Ungewißheit ist mit den Informationsdefiziten der Parteien verknüpft, die aus den allgemein begrenzten Aufklärungsmöglichkeiten und im Einzelfall verletzten Obliegenheiten oder Pflichten möglicher Aufklärung folgen. Auf ungewisser Grundlage zu fällende Entscheidungen sind risikobeladen. Beachtet man die lebenseigene Ungewißheit, dann ist insoweit jedes Rechtsgeschäft denknotwendig risikobehaftet und mehr oder weniger ein Wagnis. Danach ist - auch wenn man Kategorien besonderer Risikoverträge bilden kann78 - gerade im unternehmerischen Bereich mit Blick auf die bei einem Unternehmen versammelten Finanziers allgemein von einer Wagnisgemeinschaft zu sprechen. „Das eigentliche Leben wagt", formuliert Jaspers und grenzt den Begriff „Wagnis" vom „Abenteuer" ab, in dem der Mensch das Wagen und die damit einhergehenden Prozesse des Sterbens und Werdens verantwortungslos absolut setze und zum Selbstzweck stilisiere.79 Die Übergänge sind freilich fließend. Der Risikobegriff ist kaum fixierbar, er hat höchst normativen Charakter. Der Ursprung von „Risiko" und dem Eigenschaftsund Umstandswort „riskant" ist noch unklar. Sprachgeschichtlich dem altitalienischen risico (auch: risco) entlehnt, tritt Rysigo nachweislich im 16. Jahrhundert in der deutschen Kaufmannssprache auf und geht wohl auf das vulgärlateinische resecum (Felsklippe; übertragen: „,Gefahr' [, die verschifften Waren droht]") 80 , noch weiter vielleicht auf das arabische rizq zurück; das lateinische reseco, secui, sectum bedeutet abschneiden, de vivo auch das Kapital oder den Grundstock angreifen.81 Im Sprachgebrauch steht das Verb „riskieren" gemeinhin für Gefahr laufen, etwas aufs Spiel setzen, wagen. Was in diesem Sinne als Risiko wie bewertet und behandelt wird, entscheidet die Gesellschaft allgemein für die Rechtsordnung und entscheiden dann für die Vertragsgestaltung die im Einzelfall Beteiligten. Die jeweils mit einer Entscheidung getroffene Antwort auf die zentrale Frage der Bewertung ist in-
77 Jaspers, Philosophie, Bd. II: Existenzerhellung, S. 281. Zum folglich zentralen Wahrscheinlichkeitsbegriff unten in § 7 C V. 78 Nach Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, S. 290ff., 292, werden gegenüber den „eigentlichen Wagnisverträgen wie etwa den Spielverträgen" (§§ 764 B G B , 52 ff. BörsG) bei „einfachen Austauschverträgen" und „rechtsverbindlichen Spekulationsverträgen" neben „dem spekulativen Moment weitere wirtschaftlich nützliche Zwecke verfolgt". 79 Jaspers, Philosophie, Bd. III: Metaphysik, S. 224. 80 Pfeifer, Etymologisches Wörterbuch, Band 2, S. 1130f. (Stichwort „Risiko", m. Nachw.), auch: Verbalsubstantiv im Sinne von ,das vom Festland abgeschnittene'. 81 Schüz, Risiko und Wagnis, Band 2, S. 218, umschreibt dies mit „Lebensunterhalt, der von Gott und Schicksal abhängt"; vgl. für Risiko italienisch rischio, französisch risque und spanisch riesgo; griechisch rbiza steht für Wurzel, Klippe.
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dividuell wie kulturell bedingt. Menschen handeln zweckorientiert.82 Welchen Einsatz sie bereit sind zu erbringen, um ein Ziel zu erreichen, das bestimmen bei uns - gründend auf der geistesgeschichtlichen Idee kantischer Aufklärung - weithin die individuell herrschenden Wertvorstellungen. Der „moderne", „Ich-bezogene" Mensch wird geneigt sein, diese Aussage ohne weiteres zu unterzeichnen. Dabei muß bewußt bleiben, daß unsere Wertvorstellungen maßgeblich kulturell (vor-)geprägt sind. Der Europäer trägt - in Anlehnung an die genannte naturgeschichtliche Sicht von Lorenz gesprochen - einen Weltbildapparat in sich, der vor allem die spezifische Evolution der abendländischen Kultur spiegelt. Diese vor allem vom Römischen Reich und dem Christentum geprägte Kultur unterscheidet sich namentlich auch im Empfinden von Risiken von anderen Kulturen und ist selbst keine Konstante. Werte und damit die Einschätzung und Behandlung von Risiken unterliegen Wandel. Lange war etwa im Abendland der Abschluß von Lebensversicherungen gehindert, weil diese als frevelhafte, sittenwidrige Wetten auf das Leben galten. Hier wirkte noch die aristotelische Sicht, die mathematischquantitative Analysen des Zufalls als pietätlose Herausforderung göttlicher Ordnung empfand.83 Beim wert- und mithin entscheidungsorientierten Risikobegriff sind also wesentlich Wahl und gesellschaftliche Akzeptanz von Zweck-Mittel-Relationen zur Behandlung von Risiken. 2. Finanzierungssystem
und
Vertragsgestaltung
Risiken gehen wir gemeinhin zur Wahrnehmung von Chancen ein. Die mehr oder minder gewisse und insoweit bestimmbare Chance muß psychologisch genügend positiven Anreiz ausstrahlen, um zur Übernahme eines entsprechenden Risikos zu motivieren. Bei der Finanzierung von Unternehmen wird nichts anderes als solche Chance-und-Risiko-Konstellationen gehandelt: Der Aussicht eines Investors auf Gewinn steht die Möglichkeit gegenüber, dafür eingesetztes Kapital zu verlieren. Die Bereitschaft, Risiko zu übernehmen, wird belohnt - oder ökonomisch bezeichnet: entlohnt; „sicher" ist das aber nicht. Ein Blick in die Wirtschaftsgeschichte zeigt den Gedanken der Risikoentlohnung schon für Thomas von Aquin und die Scholastik belegt. So verwundert nicht, daß Risiko in der Volkswirtschaftslehre als besonderer Produktionsfaktor gilt.84 Entsprechend der Begründung der Kapitalproduktivität in der österreichischen Kapitaltheorie nach Böhm-Bawerk wird dabei die 82 Zum Zweckgedanken im Recht § 5 B II; über Werte und Wertewandel der Risikobeurteilung Schüz, aaO., S. 215, 219ff. 83 Loeffel, Blaise Pascal, S. 78, im Kontext der Genesis der Wahrscheinlichkeitsrechnung (dazu noch unten in § 7 C V). Allgemein zum Wertewandel Schüz, aaO., S. 221 ff., mit Rechtsbeispielen aus verschiedenen Kulturen. 84 Uber Risikoentlohnung in der Wirtschaftsgeschichte Konrad, Risikoproduktivität und Besteuerung, S. 9ff.
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Grenzproduktivität des Risikos und der subjektive Preis des Risikoträgers als „Risikozins" 85 gesehen. Wesentlich für die Höhe der Risikoentlohnung ist der Zeitfaktor. Im soziologischen Sinn geht es beim Risiko als zukunftsbezogene Größe um Zeitbindung: Der Möglichkeitsraum der Zukunft wird durch Dispositionen der Gegenwart beschränkt.86 Nach den getroffenen Vereinbarungen verzichten die Kapitalgeber als Risikoträger eines Unternehmens auf alternative Verwendungen ihres Kapitals; gemäß der Bindungsdauer, mit der auch die Risikointensität verknüpft ist, werden sie ihre Entlohnungsforderungen beziffern. Der Kapitalmarkt ist der Ort, wo die Interessen der Kapitalisten und der Kapitalsuchenden über Angebot und Nachfrage koordiniert werden. Im engen Beziehungsgeflecht betriebswirtschaftlicher, volkswirtschaftlicher und internationaler Komponenten wirken hier die Akteure von dem Bestreben geleitet, bei Nutzenmaximierung das eigene Risiko möglichst begrenzt zu halten.87 Das Mittel, mit dem - wie auch vielfältig sonst im Leben - Risiken (zu-)geordnet werden, ist der Vertrag. Damit rücken die einzelnen Finanzierungsformen ins Zentrum. Ausgehend von überkommenen Grundmustern der Finanzierung, auf die wir später eingehen werden, ist im Laufe der Zeit ein auf die sich wandelnden Bedürfnisse abgestimmtes Spektrum differenzierter Finanzierungsformen in Praxis und Theorie entwickelt worden. Die Vertragstheorie ist im Zivilrecht beheimatet, das auf der Idee der privatautonomen, eigenverantwortlichen Lebensgestaltung und Risikobewältigung des Menschen gründet. Es beschränkt sich darauf, für den rechtsgeschäftlichen Verkehr Rechtsinstitute (Vertragstypen) anzubieten, mit denen der Einzelne - auch in Gemeinschaft mit anderen - bestimmte Risiken bewältigen kann.88 Die Vertragschließenden handeln idealiter mit Blick auf die Gesamtheit ihrer Bedürfnisse die Konditionen für die Bereitstellung von Kapital für ein Unternehmen aus. Das umfaßt auch die Bewertung der von den Parteien mit dem Vertrag intendierten Chance-Risiko-Konstellation. Als Arbeitsgröße kann insoweit dem Schrifttum zur Kapitalmarkttheorie die verbreitete Definition entlehnt werden, Risiko sei die Möglichkeit, daß das Handlungsergebnis beiderseits von dem Mittelwert abweichen kann, der ein durchschnittliches oder erwartetes Ergebnis bezeichnet.89 Dazu Konrad, aaO., S. 2 ff. Luhmann, Risiko und Gefahr, S. 16f., unter dem Aspekt der Belastung von Zeitbindung mit sozialen Kosten. 87 Neudeutsch bezeichnet wird „Risikomanagement" betrieben; näher etwa mit Beiträgen zum Bankensektor Krümmel/Rudolph, Finanzintermediation und Risikomanagement. Zur internationalen Dimension Büschgen, Internationales Finanzmanagement, 1997, und gleich unter IV. 88 Näher Diederichsen, in: Schüz, Risiko und Wagnis, Band 1, S. 150, 155, der beim Abschluß von Verträgen zur Vermeidung oder Kompensation bestimmter Gefahrensituationen zwischen unmittelbarer (z.B. bei Garantie- oder Versicherungsvertrag) und mittelbarer (z.B. bei Kauf oder Miete) Zweckrationalität unterscheidet. 89 Konrad, Risikoproduktivität, S. 1, in Anlehnung an Hans-Werner Sinn (m.w. Nachw.). 85 86
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Einleitung
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Ein Unternehmen kann grundsätzlich auf drei Wegen finanziert werden und zwar durch: Einbehalt erwirtschafteter Gewinne („Binnenfinanzierung") sowie Anteilskapital der Gesellschafter („Eigenkapital") und Drittmittelzuführung („Fremdkapital"). Die beiden letztgenannten Kategorien bezeichnen im Bereich der Organisationsformen nach der Herkunft der Finanzmittel traditionell die typischen Pole der Unternehmensfinanzierung, also bei der Aktiengesellschaft den „typischen" Aktionär und den „typischen" Kreditgeber. Dazwischen sind aber zahlreiche Mischformen der Finanzierung entstanden. Sie vereinen in verschiedener Intensität Elemente beider Seiten. 90 Dieses Spektrum wird nachfolgend behandelt; hier seien angesichts fließender Übergänge zunächst nur einige in grober Zuordnung angeführt. Einmal jene Formen der Fremdfinanzierung mit Eigenkapitalelementen, wie die unterschiedlich gestaltete Gesellschafter-Fremdfinanzierung, Gewinnobligationen, Wandel- oder Optionsanleihen, sogenannte partiarische Darlehen und Darlehn mit Rangrücktritt. Daneben stehen Formen der Eigenkapitalfinanzierung mit Fremdkapitalelementen, wie Anteile von Minderheitsaktionären mit garantierter Mindestdividende, stimmrechtlose Vorzugsaktien oder Anteile an Publikumskommanditgesellschaften. Das System der Finanzierungsformen bietet Unternehmen wie Kapitalgebern Möglichkeiten, eine ihrem Risikoempfinden angemessene Form - in der Regel eine abgestimmte Mixtur verschiedener Systemelemente - zur Deckung des Finanzbedarf des Unternehmens respektive zur Kapitalanlage zu wählen.
3. Genußrechte
als
Finanzierungsform
Eine Form der Finanzierung von Unternehmen sind Genußrechte, die wertpapiermäßig verbrieft als Genußscheine bezeichnet werden. In der ersten bekannten genußrechtlichen Monographie deutscher Sprache spricht Victor Klemperer in seiner 1898 in Halle/Saale publizierten Dissertation einleitend vom Genußschein als „einer eigentümlichen, aus dem Aktienrechte heraus und gewissermaßen zwischen den Fugen der Aktiengesetzgebung hindurch erwachsenen, rechtlich hochbedeutsamen Erscheinung". 9 1 Schon zuvor, aber auch nachher zeigen Genußrechte eine wechselvolle Geschichte. Vor wenigen Jahren wurde die Rechtsform einer breiten Öffentlichkeit durch den Klöckner-Fall bekannt, der uns später noch beschäftigt. Hervorzuheben ist sogleich der praktische Vorzug dieser Finanzierungsform. E r wird anhand des aktienrechtlichen Leitbildes deutlich. Ernst-Joachim Mestmäcker schrieb anschaulich, die Aktiengesellschaft sei der einzige Nachfrager nach risikotragendem Kapital, der an den öffentlichen Kapitalmarkt herantrete. Durch Aufteilung und Mobilisierung der Besitztitel gelinge 90 Allgemein aus ökonomischer Sicht Wilden, Nachrangige Finanzierungsformen. Näher zur Typik § 4 B IV. " Klemperer, Die rechtliche Natur der Genußscheine, S. 1.
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es, zahllose, kleine Kapitalbeträge aus dem Markt,herauszupumpen' und sie einheitlicher Verwendung zuzuführen. 92 Dann bemerkte er weiter mit Eugen Schmalenhach, die Fungibilität der Aktie als Wertpapier befähige den Kapitalisten überdies, Kapital, das er nicht auf lange Frist hergeben könne oder wolle, dennoch für langfristige Zwecke zur Verfügung zu stellen. Die Aktiengesellschaft verwandle kurzfristiges in langfristiges Kapital.93 Dieser Befund gilt nicht nur für Aktien, sondern auch für die fungiblen Genußscheine. Bei ihnen wirken weitere Aspekte. Aktiengesellschaften erstreben mit der Unternehmensfinanzierung über Genußrechtkapital gemeinhin ein „magisches Fünfeck". Das Genußrechtkapital soll (1) als nachrangiges Kapital Haftungsfunktion haben und (2) damit handelsbilanzrechtlich die Eigenkapitalquote steigern, (3) nur ergebnisabhängig zu bedienen sein, (4) den Genußrechtsinhabern keine unternehmerische Mitsprache (Stimmrecht) in der Hauptversammlung geben und (5) die Ausschüttungen auf Genußrechtkapital steuerrechtlich als gewinnmindernde Betriebsausgabe abzugsfähig sein. In der Grundform des hier vorgestellten „aktienrechtlichen" Genußrechts treten wesentlich Vorzüge für Investoren und gesamtgesellschaftliche Bezüge hinzu, die wir später94 einfügen. Bei anderen Gesellschaftsformen als der Aktiengesellschaft kommt sogar ein „magisches Sechseck" in Betracht, da dort inzwischen der Zugang zum börslichen Kapitalmarkt durch Genußscheinemissionen diskutiert wird.
IV. Internationale
Dimension
und
Rechtspolitik
Angesichts der genannten Rahmenbedingungen und Verknüpfungen ist die Kapitalstruktur der Unternehmen wie der gesamte Bereich ihrer Gründung und Finanzierung wesentlich als eine rechtspolitische Frage erkennbar. 95 Sie ist heutzutage nur angemessen handhabbar, wenn man die internationalen Verknüpfungen in die Überlegungen einbezieht. Kapital ist sprichwörtlich „scheu wie ein Reh" und mit den Mitteln moderner Kommunikationstechnik von höchster Mobilität. Enorme Kapitalmengen werden täglich auf der Suche nach attraktiven Standorten und Wirkungsformen global bewegt. Dabei wirkt wiederum das Steuerrecht hervorragend. Das belegen die - bislang weithin noch stockenden - Bemühungen um eine Harmonisierung des Steuerrechts in der Europäischen Union. International kommt es einerseits zu grenzüberschreitenden Steuerausweichhandlungen privater Marktteilnehmer. Als Beispiel seien die Gründung von Basisunternehmen im Ausland und die
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Verwaltung, Konzerngewalt u n d Rechte der Aktionäre, S. 31 f. Ebenda, S. 32. 94 Grundüberlegungen in § 4 C I. 95 Vgl. Karsten Schmidt, JZ 1984, 771 ff. (allerdings von der „Eigenkapitallücken"-These ausgehend). 93
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Einleitung
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Finanzierung deutscher Kapitalgesellschaften durch nichtanrechnungsberechtigte Steuerausländer mit „eigenkapitalersetzenden" Gesellschafterdarlehn genannt. 96 Andererseits steht staatliches Bemühen, transnationale Sachverhalte in nationale Steuerbemessungsgrundlagen einzubeziehen. Prominentes Beispiel ist die Einheitsbesteuerung ( u n i t a r y taxation) multinationaler Konzerne im Rechtskreis der Vereinigten Staaten von Amerika, besonders in Kalifornien. 97 Die vergleichende Betrachtung darf aber nicht beim Steuerrecht stehen bleiben. Sie muß das gesamte Spektrum der für Unternehmen (auch potentiell) relevanten Rechtsvorgaben beachten. Besonders augenfällig ist das beim Handelsbilanzrecht. Wir sahen schon, daß der ausgewiesene Verschuldungsgrad die Kapitalkosten beeinflussen kann. Nehmen wir die Aufnahme von aktienrechtlichem Eigenkapital. Aktienkurse lehnen sich (auch) an bilanzrechtliche oder aus dem Zahlenwerk der externen Rechnungslegung abgeleitete Kennzahlen an. Wesentlich ist daher, was in der Bilanz steht und - als Voraussetzung - was überhaupt in der Bilanz stehen darf oder aufgeführt sein muß. Die Tragweite dieser vorderhand unproblematischen Feststellung zeigt grundsätzlich das Beispiel des deutschen Weltkonzerns Daimler-Benz beim Gang an die New York Stock Exchange im Jahre 1993. Die U.S.-Bundesaufsichtsbehörde für Wertpapierhandel, die Securities and Exchange Commission (SEC), forderte für die Zulassung von Daimler-Benz über sogenannte american depositary receipts9S eine Rechnungslegung nach U.S.-amerikanischen Regeln. Daimler erfüllte diese Bedingung und legte neben dem von ihm nach deutschem Bilanzrecht zu erstellenden Abschluß einen zweiten Abschluß nach den sogenannten „generally accepted accounting principles" in den Vereinigten Staaten (U.S. „ G A A P " ) 9 9 vor. Das Ergebnis: Die Abschlüsse (hier: für das Geschäftsjahr 1992) zeigten verschiedene Bilder ein und desselben Konzerns. Nach U.S. „ G A A P " wird etwa ein Gewinn (net income) von 1.350 Millionen D M , nach deutschem Bilanzrecht einer von 1451 Millionen D M ausgewiesen. Besonders auffallend sind die Divergenzen in der Bilanz. Nach U.S. „ G A A P " steht ein Gesamtvermögen (total assets) von 90 592 Millionen D M bei einem Eigenkapital (stockholders' equity) von 27 604 Millionen D M zu Buche, während die nach deutschen Normen gefertigte (offenbar) vorsichtigere Bilanzierung bei einem Gesamtvermögen von 86 184 Millionen D M nur ein Eigenkapital von 19 719 Millionen D M zeigt. Danach erscheint im internationalen Vergleich die Kapitalstruktur einer nach 96 Zu Basisunternehmen Luttermann, IStR 1993, 153-160; zum Eigenkapitalersatzrecht unter § 6 A II. 97 Dazu Luttermann, IStR 1994, 489-493 und ders. R I W 1996, 935-948. 98 Dazu unten § 10 A I. 99 Reconciliation in accordance with Statement of Financial Accounting Standards (SFAS); dazu Einführungsprospekt American Depositary Shares der Daimler Benz A G vom 27.1.1994, dem (S. 10) nachfolgende Daten entstammen. Dazu auch mit Hintergründen Bruns, WPKMitt. Sonderheft 1997, 3Iff. Zum Bilanzrecht in den USA ausführlich unten in § 9.
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Einleitung
deutschem Recht bilanzierenden Gesellschaft optisch weniger attraktiv für eine Kapitalanlage als die Kapitalstruktur einer vergleichbaren, nach U.S.amerikanischen Standards bilanzierenden Gesellschaft. Ahnlich können Vorgaben auf anderen Rechtsgebieten wie z.B. gesetzlich festgeschriebene Lohnnebenkosten oder betriebliche Mitbestimmung der Arbeitnehmer über die Kostenschiene die Wettbewerbssituation der Unternehmen bei der Kapitalnachfrage beeinflussen. Staatliche Rahmenbedingungen wirken auch auf die Angebotsseite ein. Neben dem maßgeblichen Einfluß des Steuerrechts auf das verfügbare Einkommen der Sparer-Haushalte sei nur die Bedeutung des Systems der Alterssicherung, in Deutschland in Form von gesetzlicher Rentenversicherung und betrieblicher Altersversorgung, 100 für das Kapitalangebot angesprochen. Hier können für die Unternehmensfinanzierung über (interne) Pensionsrückstellungen und (externe) Pensionsfonds ebenso attraktive Möglichkeiten eröffnet wie Motivationslagen negativ beeinflußt werden. Ein ausgeprägtes, gerade auch staatlich organisiertes System der Alterssicherung wie in Deutschland senkt das Interesse an privater Altersvorsorge etwa in Form angesparten Aktienvermögens - wie in den USA etwa über Pensionsfonds 101 - und führte im internationalen Vergleich bislang zu einer geringeren Börsenkapitalisierung. 102 Die skizzierten Rahmenbedingungen und ihr Wirkungsgefüge umfassen die gesamte Volkswirtschaft und sind im internationalen Standortwettbewerb bestimmend. Größere Unternehmen und gerade solche unter der Rechtsform der Aktiengesellschaft benötigen zunehmend den internationalen Kapitalmarkt. Blicken wir daher noch einmal auf die genannten Modelle. Kühler und Schmidt betonen zutreffend, daß die Kapitalstruktur der Unternehmen - bei gegebenen Investitionen sowie gegebenem Einkommen und Konsum der Sparer-Haushalte - nur veränderbar ist, wenn die Sparer-Haushalte zu korrespondierenden Änderungen in ihrer Anlagestruktur bereit sind. In Forderungstiteln angelegtes Kapital muß dazu in Beteiligungstitel „umgewandelt" werden. Führen wir in dieses Modell unsere internationalen Überlegungen ein, ändert sich Wesentliches. Es geht dann weniger um die besagte „Umwandlung", die bei einer vergleichsweise erst schwach ausgeprägten Aktienkultur in Deutschland 103 noch unbefriedigendes Potential findet. Das Ziel heißt dann, auf leistungsstarken Märkten wie dem US-amerikanischen (po100 Weichen, Probleme des Risikokapitalmarktes, S. 162 ff., zum Einfluß auf die Höhe privater Ersparnisse und die Allokation von Kapital für Pensionsverpflichtungen. 101 Sie beträgt nach dem Deutschen Aktieninstitut e.V. (DAI), F.A.Z. vom 3.6.1995, Nr. 128, S. 16, nur 25% des Bruttoinlandsprodukts, in Japan und den U S A dagegen 70% und in Großbritannien sogar 125%; nur 5,4% der deutschen Gesamtbevölkerung hielt Aktien (beachte aber Fn. 103). 102 Dazu in § 7 A III 2. 103 Optimistisch zu Funktionsfähigkeit und Zukunft des deutschen Aktienmarktes Christians, in: ders., Finanzierungshandbuch, S. 525, 531 ff.; die erste Emission der Telekom AG Ende 1996 stützt diese Sicht.
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Einleitung
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tentielles) Aktienkapital in deutsche Unternehmen zu „lenken". Auf diesem Weg kann das innerhalb der („Volks-")Wirtschaft wirkende ergebnisabhängige Beteiligungskapital relativ gegenüber den festverzinslichen Fremdmitteln wie auch das Gesamtkapitalvolumen erhöht werden. Entscheidend dafür ist, wie die im größeren Rahmen kapitalsuchenden Unternehmen und Unternehmensgruppen (Konzerne) als Wettbewerber in einer offenen (Global-)Wirtschaft international dastehen - welchen Anreiz sie für anlagebereites Kapital bieten. Das gilt ebenso bei dem Unterfangen, über weniger traditionelle hybride Finanzierungsformen im Spektrum der Forderungs- und Beteiligungstitel Kapital auf internationalen Märkten möglichst kostengünstig zu akquirieren. Die isolierte Sicht auf das Wirkungsgefüge einer nationalen Rechtsordnung ist dafür überholt. Wir müssen erkennen, daß unter dem ökonomischen Prinzip zunehmend weltweit auch nationale Rechtsordnungen im Wettbewerb stehen104 und insofern eine weitsichtige Rechtspolitik gefordert ist. Für in- wie ausländische Kapitalinvestitionen sind dem Umfeld angemessene, anreizstarke Rahmenbedingungen zu setzen, wozu namentlich ausgewogener Anlegerschutz zählt. In der Europäischen Union ist dazu der Blick auch auf die supranational geprägte europäische Rechtsordnung und deren Zusammenspiel mit den Verhältnissen der Mitgliedstaaten zu richten. Der internationale Wettbewerb ist nicht - wie bislang meist diskutiert105 - auf ökonomische Im- und Explikationen begrenzbar.
B. Motiv, Ziel und Gang der Untersuchung Wir müssen das Recht wieder ganzheitlich denken. Savigny forderte dazu treffend vom Juristen neben dem historischen Sinn, der das eigentümliche jedes Zeitalters und jeder Rechtsform zu erfassen vermag, den systematischen Sinn, um „jeden Begriff und jeden Satz in lebendiger Wechselwirkung mit dem Ganzen anzusehen". 106 Fixierung auf Einzelnormen oder Teilrechtsordnungen tradierten Zuschnitts wirkt sinnkürzend, weil Stückwerk entsteht. Das ist unergiebig, wo in einer komplexen Welt tragfähige Lösungen Not tun. Die kapitalmarktliche Finanzierung von Kapitalgesellschaften, namentlich der Aktiengesellschaft, ist hier Paradefall. Bei ihr sind angesichts globaler Entwicklungen wesentliche Aspekte ausländischer und internationaler Rechtsordnung einzubeziehen. Wir versuchen daher, allgemeine Grundlagen 104 Instruktiv etwa im Lichte der Globalisierung Porter, The competitive advantage of nations, 1990. 105 Dazu etwa noch unten § 5 B II 3, § 7 C und § 10 B I. Zum Rechtsgebiet der internationalen Konzernrechnungslegung Luttermann in FS Kropff 1997. 106 Vom Beruf, S. 48. Vgl. auch Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 625 (zu den Grundbedingungen einer leistungsfähigen Zivilrechtswissenschaft); Henke, Recht und Staat, S. 649 f. (allgemein zur Jurisprudenz); Schrödinger, Was ist Leben?, S. 30 (zur universalen Betrachtungsweise).
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Einleitung
der Finanzierung körperschaftlich organisierter Gesellschaften als Lebensverhältnis herauszuarbeiten und juristisch zu klären. Zum Verständnis gehört die theoretische Basis der Ökonomie, die weithin praktische Verhältnisse dominiert, mit in das Bild. Dabei darf das auch in deutschen Fachkreisen eher im Sinne geschlossener Zirkel gepflegte, meist englische Vokabular nicht schrekken. Selbst hinter monströs auftretenden Kürzeln für Finanzierungsinstrumente wie „LYON", „ARCN" oder „MIPS" 107 stehen schlicht vertragliche, einfach nachvollziehbare Rechtskonstruktionen. Insofern gilt es, Nebelwerfer zu entlarven und durch Aufdecken von Zusammenhängen unnötig unter Juristen verbreitete Berührungsscheu abzubauen. Freilich: In diesem Gesamtkontext gerät allein angesichts der Legion einschlägiger Literatur jeder Versuch leicht zur Fließsandarbeit. Zu bannen ist diese Gefahr nicht; aber ihr ist zu begegnen. Dazu werden die vorhin bereits einleitend gegründeten Pfähle weiter grundlegend verstrebt und konkret für das „aktienrechtliche" Genußrecht ausgebaut. Das Ziel ist, den sich derzeit vollziehenden kapitalmarktlichen Wandel juristisch zu erfassen und Ansätze für eine bessere Nutzung des Rechtsinstituts „Genußrecht" zu etablieren. Leitend für Genußrechte als rechtlich fundierte und praktisch interessante Alternative im Spektrum der Finanzierungsformen von Unternehmen ist dabei die angemessene Berücksichtigung der beteiligten, schutzwürdigen Interessen. Dazu werden die genußrechtlichen Fragen, die alle Grundfragen der Unternehmensfinanzierung berühren, in diesen größeren Zusammenhang gestellt. Das Genußrecht bietet sich besonders an. Es ist ein altes Grundmuster, das - jedenfalls expressis verbis - auch im geltenden Recht weithin unberührt erscheint und selbst nach über einhundertjähriger Diskussion im Rechtsgehalt noch unklar ist. Uns wird es gleichsam zum Medium, mit dem wir als Leitfaden den Bogen von frühen (rechts-)historischen Anfängen zur Gegenwart und darüber hinaus schlagen können, um so die Grundlagen der Finanzierung von Kapitalgesellschaften im Lichte der Jurisprudenz exemplarisch zu erhellen. Dabei werden weithin verkrustete Begriffsvorstellungen - so zur Gemeinschaft der Investoren eines Unternehmens, zum Eigenkapitalbegriff und zur Tragweite privatrechtlicher Vertragsfreiheit - aufgelöst, die eine verstärkte Nutzung des beachtlichen Genußrechtpotentials auf den Kapitalmärkten unnötig hindern. Die Kapitalmärkte sind im Umbruch. Damit ändern sich auch die Rechtsparameter kapitalmarktlich geprägter Unternehmensträger, vor allem der Aktiengesellschaft und ihrer Finanzierungsformen. Für zukunftsgewinnende Rechtsgestaltung in diesem gesamtwirtschaftlich zentralen Bereich müssen wir uns mittels Standortbestimmung auf Grundlagen besinnen. Rechtsvergleichend beziehen wir dazu die Rechtskultur in den Vereinigten Staaten von Amerika ein, wo der kapitalmarktliche Wandel bereits scharf spürbar ist. 107 Diese Akronyme werden erläutert in § 8 B III 5 b ( „ A R C N " , „MIPS") und in § 10 A II 1 („LYON").
§ 1
Einleitung
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Neue Muster der Unternehmensfinanzierung strömen von dort über globale Vernetzung und internationale Konzerne auf unsere Rechtskultur zu. Die Intensität wird künftig noch steigen. Auch insofern ist der Ansatz beim Aktienrecht insgesamt aufschlußreich. Julius Lehmann formulierte in den dreißiger Jahren als Gutachter des Deutschen Juristentages, die Aktiengesellschaft sei eine internationale Institution, die, wahrscheinlich aus verschiedenen Wurzeln sprossend, sich in den verschiedenen Ländern verschieden ausformte, wobei jedoch stets eine starke Wechselwirkung stattgefunden habe.108 Unsere Untersuchung belegt das zeitgemäße Wechselspiel, indem sie besonders für die deutsche Aktiengesellschaft als Publikumsgesellschaft und ditpuhlicly held Corporation in den Vereinigten Staaten von Amerika Verbindungslinien in Finanzierungsfragen aufzeigt. Zugleich werden Grenzen deutlich, die vor allem beim Handelsbilanzrecht als dem Kern gesellschafts- und kapitalmarktrechtlicher Konstruktion für drängende Fragen internationaler Rechnungslegung beachtlich sind. Wir müssen dafür weiter ausgreifen als ursprünglich gedacht. Selbst im englischsprachigen Schrifttum lag keine für unsere Zwecke notwendig systematische Darstellung der Zusammenhänge vor, die in Deutschland weithin unbekannt sind. Ich versuche, dem Leser diese auch rechtlich eigenartig lebendige, zugleich tief in abendländischer Denktradition verwurzelte Kapitalmarktkultur näher zu bringen. Ingesamt gebührt zwei Schlüsselpunkten besonderes Augenmerk. Einmal der Sprache, in der Recht lebt und durch die es wirkt und die zu wenig beachtet wird; bei Ubersetzungen habe ich mich um szVzwgemäße Wortwahl nach dem amerikanischen Sprachgebrauch bemüht. Daneben sind im Zeitkontext verstärkt Protagonisten maßgeblicher Entwicklungen herausgestellt; denn Rechtskultur entsteht durch menschliches Handeln in bestimmten Lebensverhältnissen, nicht im sterilen Vakuum. Beide Punkte gehören zur ganzheitlichen Forschung. Damit ist unser Weg vorgezeichnet. Die weitere Arbeit ist dreigliedrig geordnet. Den Boden bereitet zunächst die Untersuchung von Entwicklung und Grundlagen der Genußrechte; darauf wird das verbriefte Investitionsgenußrecht (der Investitionsgenußschein) als schuldrechtliches Beteiligungsinstrument des Kapitalmarktes rechtlich fixiert (Teil I). Dann geht der Blick in vergleichender Sicht auf die Grundlagen der Finanzierung von Unternehmen; hier steht die Rechtskultur in den Vereinigten Staaten von Amerika zentral (Teil II). Insgesamt mündet das im dritten Schritt in Rechtsfragen, die grundsätzlich beispielhaft für Hybridformen auf schuldrechtlicher Basis - für die Finanzierung mit Genußrechtkapital abzuhandeln sind; schließlich wer108 Gutachten ]. Lehmann, Soll bei einer zukünftigen Reform des Aktienrechts eine Annäherung an das englisch-amerikanische Recht in grundlegenden Fragen stattfinden?, Verhandlungen 34. DJT (Köln) 1926, Band 1, S. 258, 261. Neuere Erkenntnisse bei Reimann (Hrsg.), The reception of continental ideas in the common law world 1820-1920, Berlin 1993.
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§1
Einleitung
den die wesentlichen Ergebnisse der Untersuchung gefaßt und ein Ausblick gewagt (Teil III). Reißen wir im Gebäude der Jurisprudenz mit Gustav Radbruch 109 alle Fenster auf und blicken auf die Fülle des Lebens dort draußen und betrachten darüber den weiten Himmel der Idee.
109 Einführung in die Rechtswissenschaft, S. 132, wo er das schöne, hier wiedergegebene Bild auf die freirechtliche Bewegung der Jahrhundertwende (mit Eugen Ehrlich, Hermann Kantorowicz) projiziert.
Teil I
Entwicklung und Grundfragen der Genußrechte Rechtsformen entstammen der Vielfalt des Lebens. Besonders deutlich ist das im Wirtschaftsbereich. Wo Menschen handeln und Phantasie obwaltet, schafft Erfindungsreichtum neue Formen für Leistungsaustausch und Kooperation. Auch die nachfolgend untersuchten Genußrechte sind ein Kind der Wirtschaftspraxis. Wertpapiermäßig verbrieft heißen sie Genußscheine. Genußrechte sinnvoll in das Rechtssystem einzuordnen, setzt Verständnis der rechtlichen und tatsächlichen Zusammenhänge voraus. Wir nähern uns über eine historische Betrachtung. Sie beginnt bei den allgemeinen Grundlagen, versucht, die noch im dunkeln liegenden Wurzeln der in europäischer Tradition gewachsenen Genußrechte ein Stück weiter freizulegen (in § 2), und führt über die spezielle Entwicklung in Deutschland bis zur Gegenwart (in § 3). Auf dieser Basis werden dann (in § 4) praktische Grundfragen der Rechtslage von Genußrechten erörtert.
§ 2 Zur allgemeinen historischen Entwicklung A. Stand der Forschung Frankreich wird gemeinhin als Ursprungsland der Genußrechte und Genußscheine genannt.1 Einige Autoren 2 führen das Institut der Genußscheine auf die Amortisationen bei den österreichischen Privateisenbahnen Mitte des 19. Jahrhunderts zurück, zu der wir noch kommen. 3 Die erstgenannte Ansicht wird auf die fast zeitgleichen Vorgänge um den Bau des Suez-Kanals in 1 So etwa Ernst, Der Genußschein, S. 32; Forlin, Der Partizipationsschein, S. 18; Göbrum, Einsatzmöglichkeiten von Genußrechten, S. 7; Kartini, Die Genußscheine, S. 3; Wedel, Der Partizipationsschein, S. 36; G. Werner, Bedeutung des Genußscheins, S. 3. Vorsichtiger formulieren Broillet, Der Genußschein, S. 7; Zander, Der Genußschein, S. 4. 2 Z.B. Straub, Die Stellung der Inhaber der Genußscheine, S. 3; Helmut Schaefer, Genußscheine, S. 5; Kievernagel, Die Genußscheine, S. 9; Grabe, Bedeutung des Genußscheins, S. 12 und 16. 3 UnterCIl.
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Teil I: Entwicklung
und Grundfragen
der
Genußrechte
Ägypten gestützt. Der französische Diplomat und Ingenieur Ferdinand de Lesseps verfolgte den ebenso ehrgeizigen wie kostspieligen Plan einer Verbindung zwischen Mittelmeer und Rotem Meer. Einhundert Freunde und Förderer unterstützten ihn dabei finanziell durch eine 1854 gebildete Studiengesellschaft, in die jeder 5000 Franc (FF) einlegte. Nachdem durch ägyptischen Regierungsakt im Jahre 1856 die endgültige Konzession für den Kanalbau erteilt war, folgte 1858 die Gründung der Compagnie Universelle du Canal Maritime de Suez (Suez-Kanal-Gesellschaft) 4 . Sie gewährte jedem der einhundert Mitglieder der Studiengesellschaft für seine frühe Hilfe einen part de fondateur (Gründeranteilschein) ohne Nennwert und Stimmrecht, die insgesamt 10% des künftigen Reingewinns absorbierten.5 Die Suez-Kanal-Gesellschaft florierte, und die an der Pariser Börse kotierten6 Gründeranteilscheine erzielten äußerst hohe Kurse.7 Technisch bleibt zunächst anzumerken: Der Anspruch auf Teilnahme am Reingewinn ist ein Vermögensrecht, das grundsätzlich allein den Gesellschaftern zusteht. Im Vorgriff kann bereits gesagt werden, daß Genußrechte typischerweise ein solches - gemeinhin rein forderungsrechtlich verstandenes Vermögensrecht auch einem Dritten (Nichtgesellschafter) gewähren. Der Gründeranteilschein der Suez-Kanal-Gesellschaft verbriefte danach wohl ein Genußrechtsmuster. Die spektakuläre Entwicklung dieses Wertpapieres in Frankreich, durch spätere Mißbräuche von Genußrechten bei der PanamaKanal-Gesellschaft 8 getrübt, führte zu seinem außergewöhnlichen Bekanntheitsgrad. Die unvermittelte Geburtsstunde des ersten europäisch geprägten Genußrechts war das aber nicht. Abgesehen davon, daß die Suez-Kanal-Gesellschaft schließlich eine Korporation unter ägyptischem Recht war, beginnt die Geschichte von Genußrechten viel früher.
B. Über die
Ursprünge
Der Ursprung einer im Rechtsverkehr auftretenden Form ist selten fixierbar. Rechtsinstitute beruhen auf kulturhistorischer Entwicklung. Viele Faktoren, im wirtschaftlichen Bereich gerade auch aus unterschiedlichen Kultur4 Ausführlich Farnie, East and west of Suez. The Suez Canal in history 1854-1956, Oxford 1969. Zur Finanzierungsgeschichte der Gesellschaft Holdheim, in Holdheim 3 (1894), 96ff. 5 Art. 63 Ziffer 2 Statut Suez-Kanal-Gesellschaft, im französischen Wortlaut mitgeteilt von Ernst, Der Genußschein, S. 32 und Wedel, Der Partizipationsschein, S. 36. 6 Nach Broillet, Der Genußschein, S. 7, noch im Jahr 1947. 7 Von Wolff, Die Genußscheine, S. 3, beziffert den Kurs eines Scheines für 1912 auf 2,3 Mio. FF. Für 1926 werden 11 Mio. FF, für 1936 sogar 1,6 Mrd. F F genannt. Um das Wertpapier handelbar zu erhalten, wurde es erst in Zehntel, 1880 schon in Hundertstel, schließlich in Tausendstel des Ausgangswertes zerlegt (nach Ernst, Der Genußschein, S. 33 Fn. 4). 8 Spekulative Kurssteigerung der für Fr. 5000,- Nominalwert ausgegebenen, aber praktisch bald wertlosen Papiere auf Fr. 30 000,-; von Steiger FS Carry 1964, S. 99, 108.
$ 2 7.ur allgemeinen
historischen
Entwicklung
33
kreisen, nehmen im Laufe der Zeit Einfluß. Die Genese verläuft kaum sichtbar. Davon können wir auch bei den Genußrechten ausgehen. Die Suche nach Ursprüngen erscheint aber nur auf den ersten Blick aussichtslos. Mit dem Mut der Unbefangenheit setzen wir bei der Sprache selbst an. Sie zeigt, daß sogenannte Genußrechte eine lange Tradition haben.
I. Etymologie 1.
des Wortes
Genußrecht
Quellenlage
Ausgangspunkt ist das erste Kompositum des Wortes Genußrecht, also der Genuß. Im deutschen Wörterbuch der Brüder Jacob und Wilhelm Grimm werden wir unter dem im hochdeutschen noch jungen „Genusz" fündig, dessen Stelle lange das Wort „geniesz" einnahm. 9 Mit beiden Begriffen wurde (schon) damals eher „sinnengenusz" verbunden. 10 In der älteren Bedeutung überwiegt die Vorstellung des Nutzens, der Nutznießung: „genusz ist (...) der nutzen dessen man von irgend einem gute genieszt". 11 Deutlich ist der wirtschaftliche Bezug bei dem neben „geniesz" stehenden (mittelniederdeutschen „genut", das im 15. Jahrhundert für „genut von einem geliehenen gute, gewinn, nutznieszung eines capitals" 12 steht. Auch Adelung versteht unter „Genuß" den der Zinsen eines Kapitals: „Ich habe von dem Gute weiter nichts als den Genuß, das Recht, den jährlichen Ertrag zu genießen". 13 Joachim Campe erläutert: „Der Genuß einer Wohlthat, eines Rechts". 14 Weiteren Aufschluß gibt das Verb „genieszen" 15 . Bezeichnet es im Rechtsgebrauch allgemein dem Einzelnen günstige Umstände 16 , so steht es ursprünglich für eine „nutznieszung aller art, besonders in gemeinschaft". 17 Das führt uns zum „Geniesser", den Georg Henisch als jemanden bezeichnet, der „zur Schiffhandlung mit einlegt und geniest" und zwar im Sinne von latei9 Grimm, Deutsches Wörterbuch, 4. Band, 1. Abtheilung, 2. Theil, Sp. 3518, Ziffer 1). Pfeif e r , Etymologisches Wörterbuch, S. 427, datiert das mittelhochdeutsche „genuz" mindestens auf das 15. Jahrhundert. 10 Grimm, aaO., Sp. 3519, Ziffer 3). " Grimm, aaO., Sp. 3518, Ziffer 2). Maaler, DieTeütsch spraach, 1561: „Genieß (der) Nutzung"; Lexer, Mittelhochdeutsches Handwörterbuch, 1872, unter „geniez" (Sp. 859): „der nutz und geniez". 12 Grimm, aaO., unter 1) b). 13 Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch, 1796, Sp. 573 (unter „Der Genuß", Ziffer 1.2). 14 Wörterbuch der deutschen Sprache, 1808, S. 310 (unter „Der Genuß"). 15 Auch: „geniezen" (mhd.), „giniozan" (ahd.), „ganiutan" (goth.), urverwandt mit littauisch nauda (Nutzen, Ertrag). Einzelheiten bei Heyne, Deutsches Wörterbuch, 1890, Sp. 1104 (unter „genießen"). Vgl. Adelung, aaO., Sp. 567 (3. Abs.: Anm.). 16 Beispiele bei Grimm, aaO., Sp. 3457f., Ziffer 3), u.a. (unter e) aus dem Schwabenspiegel und der Carolina. 17 AaO., Sp. 3455, Ziffer 2).
34
Teil I: Entwicklung
und Grundfragen
der
Genußrechte
nischpartiarius} 3 Die Brüder Grimm 19 geben schließlich unter Bezug auf Manisch an, daß so im 17. Jahrhundert „ein actionär" bezeichnet werde, der „dividendengenusz" hat. Nach diesen Beispielen aus Werken der allgemeinen Sprachwissenschaft erscheinen Mitglieder der Wortfamilie „Genuß" sprachhistorisch bereits früh mit rechtlicher Bedeutung. Das große Standardwerk der älteren deutschen Rechtssprache, das Deutsche Rechtswörterbuch, unterstreicht diesen Befund. Die frühe Rechtsbedeutung der Vorläufer von Begriffen wie Genieß, Genuß, genießen in vielen Lebenssachverhalten im Sinne von Nutzen, Ertrag, Vorteil, Gewinn, ist hier reichlich belegt.20 So z.B. der Genieß von einem Amt oder Gericht, von Landbesitz 21 oder Zins. In einer Quelle von 1342 etwa geht es um die Teilhabe am Ertrag eines Bergwerks: „des perges gemezzen (lies aber: geniezzen)". 22 Aus dem Jahre 1447 wird berichtet von der „genyesslichkeit" (Genießlichkeit, Ertrag) „der Zebenlehn an czinsen". 23 Der Ehemann hat nach einer schweizerischen Quelle von 1728 „das geneiss-recht der ehefrauen mittel" 24 . Ein Genußsame ist schon im 16. Jahrhundert das Recht des Genusses, der Nutznießung eines Gutes.25 Die Reihe läßt sich fortsetzen, doch mag es beim Genannten bewenden. Abschließend ist noch die neuere mittelhochdeutsche Urkundenforschung über die Rechts- und Geschäftssprache des 13. Jahrhunderts anzuführen. Sie erfaßt deren Sprachzustand durch Auswertung der altdeutschen Originalurkunden vor allem des ausgehenden 13. Jahrhunderts, in dessen erster Hälfte erst ganz vereinzelt deutsch beurkundet worden ist. Die Ergebnisse zeigen, daß schon in den Urkunden jener Zeit etwa „geniez" im Sinne von Ertrag, Nutzen, Gewinn oder „geniezen" im Sinne von Nutzen haben dokumentiert sind.26
2. Genuß(recht)
als
Rechtsbegriff
Die Qualität des Wortes Genuß(recht) als Rechtsbegriff ist vor allem eine Frage der Definition; darauf wird für das geltende Recht noch näher eingegangen. Hier gibt das Deutsche Rechtswörterbuch Anhalt. Es unterscheidet Begriffe, die ohne rechtliche Beziehung undenkbar sind oder notwendig ein Teütsche Sprach vnd Weißheit, 1616, Sp. 1495. " Ebenda, Sp. 3460, Ziffer 4) c). 20 Deutsches Rechtswörterbuch (verarbeitet vor allem Quellen des 14.-17. Jahrhunderts), 4. Band, Sp. 218-220, 221-225 und 246f. 21 Darüber auch Preussisches Allgemeines Landrecht, Theil I, Titel 18, § 680: „Besitz und Genuß eines Grundstücks". 22 Deutsches Rechtswörterbuch, Sp. 222 (I.2.b). 23 Ebenda, Sp. 225 (Genießlichkeit). Siehe dort auch unter Genießung eine Quelle von 1399: „mit czinsen, rentin, ... nutzbarkeit und genissungen". 24 AaO., Sp. 225 (Genießrecht). 25 AaO., Sp. 247. 26 Ohly/Schmitt, Wörterbuch der mittelhochdeutschen Urkundensprache, S. 647f. 18
5 2 Xur allgemeinen
historischen
Entwicklung
35
Rechtsverhältnis voraussetzen (Rechtswörter im engeren Sinne) 27 , von solchen, die zwar auch anderweitig benutzt werden, aber in irgendeinem rechtlichen Kontext einen besonderen Sinn haben (Rechtswörter im weiteren Sinne) 28 . Das Wort „ G e n u ß " und seine Flexionsformen gehören nach den hier zitierten Quellen zumindest der zweiten Kategorie an. 29 Bei der Wertung muß uns aber bewußt sein: Die in den Quellen angedeuteten Zeit- und Rechtsumstände sowie das damalige Rechtsbewußtsein sind heute nur noch bedingt nachvollziehbar. 30 Vielleicht war Genuß originär ein terminus tecbnicus, also ein Rechtswort im engeren Sinne. Immerhin zeigen die Quellen, daß die Wortfamilie Genuß früher einen sehr stark rechtlich geprägten Bedeutungsgehalt hatte. In einigen der oben angeführten Zitate erscheint Genuß sogar als Synonym für das Wort Recht. Das Wort „Genußrecht" wäre demnach eine Verdoppelung („Rechtrecht"). Letzte Klarheit ist hier nicht erzielbar. Uns interessiert, daß alle beigezogenen Autoren übereinstimmend Genuß (auch) im Sinne von Nutzen, Ertrag, Gewinn, Zinsen von einem Kapital erläutern. Ungeachtet der Bedeutungsbreite von Genuß können wir historisch damit einen (vermutlich den) spezifischen Sinn des Wortes benennen, der rechtlich relevant und für den Wortstamm bis in das 13. Jahrhundert belegt ist. Auf eine Grundformel gebracht ist Genuß(recht)inhaber danach jemand, der sich zum persönlichen Nutzen (mit Kapital) an einem Unternehmen beteiligt und kraft der (finanziellen) Beteiligung an dessen Erfolg (Gewinn) teilhat. Dieser Sinngehalt entspricht jenem, den auch wir - neben zunehmend sinnenbetontem Verständnis - rechtlich mit dem Wort Genuß(recht) verbinden; das wird noch näher beleuchtet. Ein Blick auf andere Sprachen zeigt Parallelen. Im Französischen heißen verbriefte Genußrechte bon (oder action) de jouissance. D e r Begriff jouissance umfaßt neben G e n u ß im Sinne von Freude, Lust, auch Nutznießung; an der Börse steht er für Zinsengenuß. 31 Das italienische Wort godimento (genießen) bedeutet als godimento d'interessi Zinsgenuß, buoni (oder azione) di godimento bezeichnet ein verbrieftes Genußrecht. 32 Festzuhalten ist, daß im deutschsprachigen Kreis das Wort Genuß als Rechtsbegriff schon seit Jahrhunderten auch für die Beteiligung am Gewinn eines Unternehmens steht.
27 Beispiele: Vormund, Richter, Auflassung, verklagen, gewährleisten; Deutsches Rechtswörterbuch, S. IX. 28 Beispiele (aaO.): Hof, Klage, Mann, geloben, leisten. 29 Genusz erscheint z.B. in den Salzburger Alpen schon in einem Weisthum von 1616, Grimm, Sp. 3518 (Ziffer l.a.). 30 Dazu aus germanistischer Sicht Kaufmann, Deutsches Recht, S. 165-170 (mit Beispielen). 31 Bertaux/Lepointe, Dictionnaire français-allemand, 1966, S. 705; Piccard/Thilo/Steiner, Dictionnaire juridique, français-allemand, 1950, S. 306. 32 Vgl. Bidoli/Cosciani, Dizionario Italiano-Tedesco/Tedesco-Italiano, Teil I, 1968, S. 367, Teil 11,1968, S. 378, 1226.
36
Teil I: Entwicklung
und Grundfragen
der
Genußrechte
II. Rechtsbildung und Grundmuster Der bisherige Befund vermittelt einen ersten kulturhistorischen Eindruck von sogenannten Genußrechten allgemein. Er beschreibt aber nur bedingt Frühformen von Genußrechten als Rechtsform, die jemanden - aus heutiger Sicht vor allem außenstehende Dritte (Nichtgesellschafter) - am Erfolg eines Unternehmens beteiligt. Damit ist das Problem der historischen Kontinuität angesprochen, jenes „Phänomen der Kulturkonstanz" als „Wanderung geprägter Formen in ihrer Eigenständigkeit durch eine wechselnde geschichtliche Umwelt" 33 . Eine Urzelle mag in unserem Fall schon in antiker Zeit liegen; die Genealogie nachzuzeichnen, wäre aber Aufgabe einer darauf gerichteten rechtshistorischen Forschungsarbeit. Wir erhellen einige für die weitere Untersuchung fruchtbare Kernaspekte. Ausgangspunkt ist die Einsicht, daß es „Dauerfragen" des Rechts gibt.34 Ein Gang in die Geschichte zeigt bei allem Wandel: Im Recht treten immer wieder gleiche Grundmuster für die Regelung bestimmter Lebenssachverhalte auf, selbst in unterschiedlichen Rechtskulturen. Kauf, Miete, Darlehen, um nur einige zu nennen, sind von „sachlogischen Strukturen" 35 bestimmt, welche jeweils die Variationsbreite möglicher Rechtsregeln einschränken. Das gilt auch im vorliegenden Bereich der Kapitaleinlage in (fremde) Handelsgeschäfte. Die Lösungsmöglichkeiten für die Finanzierung von Unternehmen und die damit verbundene Verteilung von Risiko und Gewinn unternehmerischer Tätigkeit sind begrenzt. Die Interessen der Beteiligten können nicht in beliebig viele Rechtsformen gekleidet werden. Eine mögliche Form ist das Genußrecht. Sein Grundmuster ist nach zeitgenössischer Prägung beschreibbar als: Gewinnbeteiligung von Nichtgesellschaftern gegen Anlage von Kapital in einem Unternehmen bei auf den Einsatz beschränkter Haftung. Damit ist zugleich die klassische Form von Spekulationsgeschäften beschrieben. Dieser Zusammenhang wird später noch für die Einordnung von Genußrechten vertieft. Zunächst lösen wir uns einmal vom Begriff „Genußrecht" und blicken auf der Zeitschiene zurück. Dort ist das genannte Grundmuster im europäischen Mittelalter erkennbar, in Ansätzen schon im Altertum. Nach Levin Goldschmidt war damals, vermutlich bereits in hellenischer Zeit, auch zwischen durch Hausgewalt nicht verbundenen Personen die Kapitalanlage im Spekulationsgeschäft auf Gewinn und die Einlage beschränktem Verlustrisiko „wohlbekannt" 36 . Aus römischer Zeit nennt er etwa die Bankkommenda (depositum irreguläre) und das spätere, Seedarlehen (fenus nauticum) und com-
33 14 35 36
Heinrich Mitteis, Rechtsgeschichte, S. 3. Thieme, Kontinuität - Diskontinuität in der Sicht der Rechtsgeschichte, S. 150, 163. Hans Welzel, nach Thieme (aaO.). Universalgeschichte des Handelsrechts, S. 255.
5 2 Zur allgemeinen
historischen
Entwicklung
37
menda nahestehende „Geschäft auf Seegewinn" (ad proficuum marisf1. Bei solchen Vergleichen muß wiederum die Andersartigkeit der Verhältnisse bewußt bleiben. U n s geläufige Konstruktionen wie Privatrechtsgemeinschaften mit juristischer Personqualität treten bei den Griechen und weitgehend auch bei den R ö m e r n noch nicht auf. 38 Die begriffliche Durchbildung des Rechts steht am Anfang und unser Grundmuster in Koordinatensystemen, die eben nur unvollkommen nachvollziehbar sind. Vor diesem Hintergrund schauen wir näher auf ein Beispiel aus römischem Recht.
III.
Beispiel:
Die
affines der societates p u b l i c a n o r u m
Die Gesellschaften der römischen Steuerpächter, societates publicanorum39, haben eine lange, wechselvolle Geschichte. In den Digesten noch im 3. Jahrhundert n. Chr. erwähnt, werden sie von Livius schon für das Jahr 215 v. Chr. behandelt, und ein Beleg geht sogar bis 493 v. Chr. zurück. 40 Die Publicanengesellschaften sind so skizziert 41 : D e r römische Staat verpachtete öffentliche Einkünfte (z.B. die Zehnten, Hafenzölle, H u t - und Weidegelder) und Besitzungen (Domänen, Salinen, Bergwerke) an persönlich haftende und oft gesellschaftlich verbundene Bürger auf Zeit. Die Publicanen betrieben die Staatspachtungen selbst oder gaben sie in Unterpacht, zogen die öffentlichen Abgaben ein und tätigten daneben umfassend Bankgeschäfte, Handel, Reederei, übernahmen und kreditierten z.B. Militärlieferungen sowie öffentliche Bautätigkeit. Sie waren ertragreiche, staatstragende Wirtschaftsunternehmen mit großem politischen Einfluß und erreichten in den letzten Jahrzehnten der Republik ihren Zenit. 42 Voraussetzung für diese erfolgreiche Entwicklung war zweierlei. Den Publicanen mußten für ihre Tätigkeit große Kapitalien sowie eine beständigere Rechtsform als die Gesellschaft des klassischen Rechts, societas, zur Verfügung stehen. Dabei ist zu beachten, daß die societas Rechte und Pflichten allein unter den Gesellschaftern erzeugt. Sie ist keine Körperschaft und wird Ebenda, S. 255-257; zur commenda noch unten in § 5 A II. Dazu Kränzlein, Eigentum und Besitz im griechischen Recht, S. 136 f.; zum Verbandsbegriff der römischen Jurisprudenz Gierke, Deutsches Genossenschaftsrecht, Band 3, S. 34ff. und Ludwig Mitteis, Römisches Privatrecht, S. 339ff. 39 Auch: societates vectigalium; zur unterschiedlichen Benennung in den Quellen Ürögdi, R E XI, Sp. 1204, ab Z 47. Zu Literatur dort (Sp. 1184) und Schmoller, Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft, 16 (1892), 731, 741 (Fn. 1). Neueren Datums: Cimma, Ricerche sulle società di publicani, Mailand 1981. 40 Bei Ürögdi, aaO., Sp. 1192-1203, Nachweis der lateinischen Quellen. 41 Renaud, Actiengesellschaften, S. 2f. Näher Cimma, aaO., S. 3-40 und 115-158; Ürögdi, aaO., Sp. 1186-1192. 42 Schmoller, aaO., S. 742. Cicero (bei Ürögdi, aaO), nennt die Publicanen „firmamentum reipublicae", die Stütze des Staates. Zur Steigerung des „Associationswesens" Mommsen, Römische Geschichte, S. 862 f. 37
38
38
Teil I: Entwicklung
und Grundfragen
der
Genußrechte
durch Tod oder Willensbekundung eines socius aufgehoben. 43 Von ihr weicht die societas publicanorum ab. Wegen der unbefriedigenden Quellenlage ist zwar deren juristische Personqualität im Sinne einer modernen Kapitalgesellschaft zumindest für die Zeit der Republik umstritten. 44 Belegt ist aber, daß sie bei Wechsel von Mitgliedern fortbestand, insoweit also körperschaftlichen Charakter hatte. Rechtsträger war die Gesamtheit der jeweils vertraglich verbundenen Mitglieder. 45 Es bleibt die Frage, wie eine societas publicanorum ihren enormen Kapitalbedarf decken konnte. Zuerst zu nennen sind die socii, meist wohlhabende Bürger wie etwa Großkaufleute, deren Zahl pro Gesellschaft aber relativ gering war.46 Aufschlußreich für uns ist, daß es neben den socii eine zweite, weit verbreitete Kategorie gab: Die a f f i n e s (adfines) oder a u c h p a r t i c i p e s . n Ein solcher war nur mit einer Einlage am Vermögen der Gesellschaft beteiligt (pars adscripta), wofür er keinen festen Zins, sondern eine Gewinnbeteiligung erhielt.48 Der a f f i n i s wurde in einer Liste geführt, erlangte aber nicht die Position eines socius. Einzelheiten der Rechtsfigur sind bei dürftiger Quellenlage unklar. Korporationsrechte standen den a f f i n e s wohl nicht zu.49 Achilles Renaud50 beschreibt deren Stellung: Ihnen habe weder Stimmrecht noch sonst Einfluß auf die Angelegenheiten der Gesellschaft zugestanden, von der Geschäftsführung seien sie ausgeschlossen gewesen; dafür habe sich die Haftung auf den Anteil am Gesellschaftsvermögen beschränkt. Sie standen zu den socii in einem „unvollkommenen Societätsverhältniß" 51 , das auch als „stille Theilhaberschaft" 52 charakterisiert wird. Es konnte eingegangen werden aufgrund Erbgang nach einem socius (sog. „partem defuncti adpersonam heredis adscribere") oder bei Gründung der Gesellschaft, vielleicht auch
Käser, Das römische Privatrecht I, § 133.3. Ablehnend etwa Cimma, aaO., S. 95f.; Ürögdi, aaO., Sp. 1207f. (m.w. Nachw.). Ohne Zäsur sieht R. Schmid, AcP 36 (1853), S. 145, 182, eine juristische Person kraft Gesetz; Roesler, ZHR 4 (1861), S. 252, 294 und L. Mitteis, Römisches Privatrecht, S. 405, nehmen Wahlfreiheit an; zweifelnd Renaud, Actiengesellschaften, S. 7. 45 Käser, aaO., § 133.3. (dort Fn. 23) und § 72 I. und II. sowie Ürögdi, aaO., Sp. 1207f. 46 Nach Ürögdi, aaO., Sp. 1206, ab Z 2, kontrollierte der Staat den Beitritt und berichtet Livius (bei Ürögdi, aaO) von drei societates mit insgesamt neunzehn socii, die im 2. punischen Krieg Heereslieferung nach Spanien besorgen. 47 Vgl. Schmoller, aaO., S. 731, 745. 48 Schmoller, ebenda; nach ihm konnte das Kapital während der Dauer der Gesellschaft nicht abgezogen werden. 49 Ürögdi, aaO., Sp. 1205, Z 33 und Roesler, ZHR 4 (1861), 252, 294, der aber, S. 281 f., ein Teilnahmerecht an allgemeinen Beratungen erwägt; ähnlich Schmoller, aaO. 50 Actiengesellschaften, S. 6. So auch Ürögdi, aaO., Sp. 1205, Z 33. 51 Roesler, ZHR 4 (1861), S. 252, 279. 52 Renaud, Actiengesellschaften, S. 6. Roesler, ZHR 4 (1861), S. 252, 281, übersetzt „affines publicorum" mit „Actionäre" oder „stille Gesellschafter", spricht allerdings auch von einem „gewöhnlichen Gläubiger- und Schuldverhältnis"; Schmoller, aaO., S. 745, sieht in ihnen „nicht bloße Gläubiger". 43 44
5 2 7.ur allgemeinen
historischen
Entwicklung
39
darüber hinaus. 53 Ob die partes adscriptae wertpapiermäßig verbrieft und grundsätzlich frei veräußerbar waren, ist ungewiß. Im Schrifttum sind mehrere Ansichten vertreten. Eine lehnt etwa die freie Veräußerbarkeit ab und erwägt ein depositum irreguläre mit ergebnisabhängiger Verzinsung, alternativ den Vollzug entsprechender Stipulationen. 54 Nach anderen Stimmen waren die partes verkehrsfähig und wurden zu wechselnden Kursen gehandelt. 55 Insgesamt ist danach festzustellen, daß wir mit den affines der societates publicanorum das genußrechtliche Grundmuster beobachten können.
C. Neuzeitlichere I. Verwendung 1.
und
Genußrechte Verbreitung
Amortisation
In neuerer Zeit traten Genußrechte zunächst bei Aktiengesellschaften vor allem anläßlich der Armortisation von Aktien auf.56 Ziel einer Amortisation ist die schrittweise Verminderung der Zahl der Aktienrechte. Dabei gibt es zwei Varianten: Die Gesellschaft kauft systematisch am Markt eigene Aktien an oder, und das war im 19. Jahrhundert die Regel, zahlt periodisch durch das Los bestimmte Aktien an den Inhaber heim. Damit gelangen wir zum Ausgangspunkt. Die eingangs (unter A) erwähnten österreichischen Bahnaktiengesellschaften benennt das dazu angeführte Schrifttum als ersten Fall einer solchen Tilgung von Aktien. Anlaß war dort eine Verordnung von 1854 zur Konzessionierung von Privateisenbahnbauten. 57 Danach konnte eine Konzession für Bau und Betrieb von Bahnen mit privatem Kapital auf höchstens 90 Jahre erteilt werden. Bei Ablauf fiel mit Ausnahme der Fahrnisse das Eigentum an der Bahn selbst, an Grund und Boden sowie den zugehörigen Bauwerken unentgeltlich an den
53 Bei Gründung: Roesler, ZHR 4 (1861), S. 252, 281; Renaud, Actiengesellschaften, S. 6. Weitergehend: Ürögdi, aaO., Sp. 1205, Z 9-30. 54 Mitteis, Römisches Privatrecht, S. 413 f.; ähnlich und insgesamt eingehend Cimma, aaO., S. 88-95 (Ziffer 10). 55 Ürögdi, aaO., Sp. 1205, Z 9-30 (m.w. Nachw.); Schmoller, aaO., S. 745. Ähnlich Goldschmidt, Universalgeschichte des Handelsrechts, S. 291. Eher ablehnend Renaud, Actiengesellschaft, S. 7; Roesler, ZHR, 4 (1861), S. 252, 276 und 280. 56 Insoweit zutreffend bisher nur Daenner, Die Genußscheine, S. 1. 57 Ministerium für Handel, Gewerbe und öffentliche Bauten, Teilabdruck bei Klemperer, Genußscheine, S. 8 (Anm. 1). Grundlegend zu staatlichen Rechten an Eisenbahnen Reyscher, Zeitschrift für deutsches Recht, 13 (1851), 243 ff., der Verkehrswegkonzessionen in England (ab 1802), Frankreich (ab 1823), Belgien (ab 1832) sowie Osterreich und deutschen Staaten behandelt.
40
Teil I: Entwicklung
und Grundfragen
der
Genußrechte
Staat. Die erste Konzession erging zum Jahresbeginn 1855. 58 Das Heimfallrecht des Staates erscheint als Damoklesschwert für kapitalmarktliche Verhältnisse. Es hätte - so theoretisch korrekt im einschlägigen Schrifttum 5 9 - einen Kursverlust der Eisenbahnaktien bis fast zur Wertlosigkeit bei Ablauf der Konzession bewirkt, da es die Vermögenswerte des Unternehmens entschädigungslos entziehe. Das betraf aber nur wenige Bahnen. Tatsächlich garantierte die Staatsregierung regelmäßig den Konzessionären in einem bestimmten Rahmen Zinsen vom Anlagekapital und dessen Amortisierung innerhalb der Konzessionsdauer, wozu sie zweckgebunden noch zwei Zehntel Prozent des Anlagekapitals per anno gewährte. 60 So vom Staat gestützt, handelten die Gesellschaften wie folgt: Sie losten satzungsgemäß periodisch Aktien aus und tilgten diese durch Rückzahlung des Nennwertes aus laufendem Reingewinn, bei dessen Unzulänglichkeit aus einem Reservefonds. 61 U m Härten zu vermeiden, bekamen die betroffenen Gesellschafter Genußscheine, die regelmäßig auf den Inhaber lauteten und den Anspruch auf die Superdividende 62 sicherten. Diese Papiere werden oft als Genußaktien bezeichnet. Der Umfang der Auslosungen mit Genußscheinausgabe bei den österreichisch-ungarischen Privatbahnen, der später gesetzliche Maßnahmen zeitigte63, ist wohl Grund für die breite Beachtung dieser Vorgänge. Ihnen Originalität für die Verbindung von Amortisation und Genußrecht zu bescheinigen 64 , ist aber unberechtigt. Diese juristische Konstruktion ist älter. Troplong etwa erörtert für das französische Recht bereits 1843 genußrechtliche Formen, die als actions de jouissance für amortisierte Aktien begeben werden und ein Recht auf Beteiligung am Erfolg des Unternehmens sowie an dessen Vermö58 Das mit Regeln zum Bau von Privatbahnanlagen vom 18. Juni 1838 früher eingeführte Heimfallrecht blieb praktisch bedeutungslos, weil die danach bis um 1850 gebauten österreichisch-unganschen Bahnen in Staatseigentum betrieben wurden; Klemperer, Genußscheine, S. 10. 59 Z.B. Straub, Die Stellung der Inhaber der Genußscheine, S. 4. 60 Beschorner, Das deutsche Eisenbahnrecht, S. 14-16, mit beispielhaftem Zitat aus der Konzessionsurkunde der Kaiserin Elisabeth Eisenbahngesellschaft vom 8.3.1856; Saling's Börsenpapiere I, S. 8f., ders. II, S. 261 (515), 374, ders. III, S. 101; Feistmantel, Jur. Blätter 1881, 413. 61 Mayer, Holdheims Monatsschrift, 9 (1900), 53, 57 und (insoweit wieder zutreffend) Straub, Die Stellung der Inhaber der Genußscheine, S. 4 f.; Grabe, Bedeutung des Genußscheins, S. 12-14. Den Vorgang bezeichnen Gottheb, Der Genußschein, S. 65ff. und Frantzen, Genußscheine, S. 45, als Scheinamortisation. Dagegen entsteht mit Knappe, Die Bilanzen der Aktiengesellschaft, S. 74 ff, 85f., gebundenes Ersatzgrundkapital in einem Amortisationsfonds; vgl. H. Simon, Die Bilanzen der Aktiengesellschaften, S. 126. 62 Regelmäßig 5% des nach Zahlung an die Aktieninhaber verbleibenden Uberschusses. Ubersichten zu den Genußscheinen Österreich-ungarischer Bahnen bei Feistmantel, Jur. Blätter 1881, 414; Ortmann, Der Genußschein, S. 90-94; Winter, Die sogen. Genußscheine, S. 6063. 63 Dazu unter II 1. 64 Z.B. Grabe, Bedeutung des Genußscheins, S. 12; Straub, Die Stellung der Inhaber der Genußscheine, S. 3 f.
5 2 Zur allgemeinen
historischen
Entwicklung
41
gen bei Liquidation verbriefen. 65 Die Idee der Tilgung von Aktienkapital selbst ist schon bei den großen Handelsgesellschaften bekannt. Bei der 1719 in Wien gegründeten Orientalischen Compagnie sollten die Aktien mittels Verlosung schrittweise amortisiert werden. 6 6 Konstruktionen wie in Frankreich und Osterreich finden wir im 19. Jahrhundert in vielen Ländern Europas. Das Schrifttum 6 7 gibt zahlreiche Beispiele von Eisenbahngesellschaften in England, Italien, Jugoslawien, den Niederlanden, Polen, Rumänien, Rußland, der Schweiz und der Türkei, die nach vergleichbarem Muster verfahren sind. Dieses kommt aber nicht nur bei Eisenbahngesellschaften vor, sondern überhaupt bei Unternehmen, deren Betriebsvermögen mit der Zeit rechtlich oder tatsächlich ganz oder weitgehend wertlos wird. Genannt werden Unternehmen, die z.B. Berg- oder Elektrizitätswerke, Patentverwertung, Steinbrüche oder Tongruben als Gegenstand haben. 68 Davon unabhängig, gaben auch Unternehmen anderer Wirtschaftszweige Genußscheine bei der Auslosung von Aktien aus. 69
2. Finanzierung und sonstige Gründe Genußrechte dienten vielfältigen wirtschaftlichen Zwecken. Neben der Verwendung bei der Tilgung von Aktienkapital finden wir sie im 19. Jahrhundert vor allem im Rahmen der Gründungsfinanzierung von Unternehmen. Das Beispiel der Suez-Kanal-Gesellschaft ist schon eingangs erläutert worden. Das Spektrum der Sachverhalte ist aber auch hier breit. Gründervorteile für besonderes Engagement und Risiko in Form von Genußrechten an Sacheinleger sind häufig. Anlaß gaben die unter dem Stichwort „qualifizierte Gründung" bekannten Probleme. Sacheinlage können grundsätzlich ebenso Arbeitskraft und Dienstleistungen wie Gegenstände und Rechte aller Art (Grundstücke, Maschinen, Patente, Lizenzen) sein, deren Wert oft schwer einschätzbar ist. Das birgt die Gefahr der Uberbewertung zugunsten der Gründer und zum Nachteil der Gläubiger. Als Reaktion auf zunehmende Mißbräuche begannen unter Führung des französischen Rechts (dort: Ap-
65 Troplong, Le droit civil, du contrat de société, Band 1, Nr. 136 (S. 151 f.). W o l f f , Die Genußscheine, S. 83 (Fn. 2), nennt solche Genußaktien der Compagnie de chemins de fer de Paris à Rouen von 1840 und der Compagnie du chemin de fer à Orléans von 1841. 66 Jacques Savary, Dictionnaire universel de commerce, tome IV, Genf 1750, p. 1200 sq. (nach: Renaud, Actiengesellschaft, S. 26). Goldschmidt, Universalgeschichte des Handelsrechts, S. 292, spricht über „sinnreiche Amortisationssysteme" italienischer Kapitalvereine (montes, maonae) etwa ab dem 13./14. Jahrhundert. Instruktiv zur Amortisation Saling's Börsenpapiere I, 351 ff. 67 Kievernagel, Die Genußscheine, S. 14f.; Ortmann, Der Genußschein, S. 94-96; Saling's Börsenpapiere I, S. 272, 358; Winter, Die sogen. Genußscheine, S. 63 f. 68 Z.B. Fastenrath, Die Genußscheine, S. 57f.; Saling's Börsenpapiere I, S. 358. " Beispiele bei Ortmann, Der Genußschein, S. 89f.
42
Teil I: Entwicklung
und Grundfragen
der
Genußrechte
portaktien mit beschränkter Umlauffähigkeit 7 0 ) um die Jahrhundertwende immer mehr Staaten, die Wahlfreiheit der einem Gründer gegen Sacheinlage gewährten Rechte einzuschränken. Die Praxis wandte sich daraufhin verstärkt verbleibenden Möglichkeiten zu und sicherte Gründern Vorteile bei einem künftigen Unternehmenserfolg durch die Schaffung von Genußrechten. 71 Genußrechte wurden oft zusätzlich zu Aktien ausgegeben. Ein Beispiel gibt die 1916 vom ungarischen Staat und einem Syndikat unter Führung der Deutschen Bank zur Ausbeutung von Erdgasfeldern gegründete Ungarische Erdgasaktiengesellschaft. Laut Gründungsvertrag emittierte sie 20 000 A k tien und die gleiche Anzahl Genußscheine, beide Kategorien überwiegend an das Syndikat. Der Staat erhielt für die von ihm in die Gesellschaft eingelegten Erdgasfelder als Entgelt 4000 Aktien sowie 8000, mit Anspruch auf Vorzugsanteil an Gewinn und Liquidat ausgestattete Genußscheine, die als handelbare Papiere zusätzliche Teilhabe am Erfolg des Unternehmens bei Kurssteigerung sicherten. 72 Neben solchen Sonderfällen reizten Genußrechte an der Börse das allgemeine Publikum durch Ausgabe von Genußscheinen für die Zeichnung von Aktien. 7 3 Verbreitet dienten Genußrechte auch direkt der Kapitalbeschaffung, indem Unternehmen statt Aktien allein Genußscheine gegen Bareinlagen emittierten. Ein Beispiel ist die Emission der Schweizerischen Seetalbahngesellschaft aus dem Jahre 1904.74 Nach der vorliegenden Literatur gab es zahlreiche Länder in Europa, w o genußrechtliche Formen so oder ähnlich bei der Finanzierung von Unternehmen eingesetzt wurden. Berichtet wird schließlich von Genußrechten, die Unternehmen im Gegenzug für Subventionen oder andere öffentliche Hilfe an die Leistungsträger (Staat, Gemeinden) ausgaben. So erlangten etwa Italien und Deutschland neben einigen schweizerischen Kantonen Genußrechte der Gotthardbahngesellschaft. 75 Weiteren Verwendungen von Genußrechten etwa zur Sanierung, Gewinnverteilung oder Ablösung von Vorrechten werden wir noch (in § 4) begegnen. Anzumerken bleibt der europaweite Handel mit verbrieften Genußrechten, der im ausgehenden 19. Jahrhundert zunimmt. U m 1890 notieren etwa auf dem Amsterdamer Courszettel neben Zertifikaten niederländischer
70 Zur Umlaufsperre unter Ziffer II; Apportaktien ( a c t i o n s d'apport) sind gegen Sacheinlagen begebene Papiere mit sonst gleichem Inhalt wie Kapitalaktien (actions capital). 71 Hallstein, Aktienrechte der Gegenwart, S. 149-151 sowie S. 155 ff. mit Einzelheiten zum Ablauf qualifierter Gründungen nach damaligem Recht in einzelnen Staaten. 72 Die Genußscheine gewährten sogar Stimmrecht, und ihr Vorzugsanteil wirkte auch gegenüber den an das Syndikat ausgeteilten Genußscheinen. Näher Makai, in Holdheim, 25 (1915), 134 ff.; Böckler, Der Genußschein, S. 131 ff. 73 Beispiele bei von W o l f f , Die Genußscheine, S. 7. 74 Wedel, Der Partizipationsschein, S. 42; weitere Beispiele zum deutschen Recht gleich in
§4.
75
Von W o l f f , Die Genußscheine, S. 39 (dort Fn. 3).
5 2 Xur allgemeinen
historischen
Entwicklung
43
Genußscheine der Großen Unternehmen ( b e w i j z e n van deelgerecbtigdheid)76 Russischen, der Warschau-Wiener- und der K u r s k - C h a r k o w - A z o w - E i s e n bahn. Genußscheine der schweizerischen Jura-Simplon-Bahn werden zu gleicher Zeit an den Börsen von Frankfurt/Main und Berlin gehandelt. 77
II. Ausstattung und
Gesetzgebung
D e r bei Amortisation von der Auslosung betroffene Aktionär blieb regelmäßig Träger der Individualrechte eines Gesellschafters. Die durch Tilgung der österreichischen Eisenbahnaktien geschaffenen Genußrechte, geregelt im Aktienregulativ von 1899 78 , traten an die Stelle der eingelösten Aktien. Entgegen Stimmen im Vorfeld der Gesetzgebung 7 9 bestimmte § 33 Ziff. 3, den ausgefolgten Genußscheinen statutarisch - abgesehen vom Nachrang bei Zahlung von Dividendeund Liquidat hinter den Aktionären 8 0 - ausdrücklich die Rechte von Aktien beizulegen. Die daher auch als Genußaktien bezeichneten Namens- oder Inhaberpapiere sicherten dem ausgelosten Aktionär neben dem schon genannten Recht auf Superdividende vor allem das Stimmrecht in der Generalversammlung. 81 U b e r Frankreich, das lange keine gesetzliche R e gelung besaß, wird dagegen von Eisenbahngesellschaften berichtet, wo die Hinterlegung der bei Amortisation ausgegebenen Genußaktien nicht den Zutritt zur Generalversammlung eröffnete. 82 Die Gesetzgeber der einzelnen Länder schätzten den Regelungsbedarf sehr verschieden ein, wie ein Blick auf einige Staaten belegt. 83 Belgien erlaubt den 76 Oder: bewijzen van deelgerecbtigdheid in eventuele winsf, winstaandeelen. Für Genußschein auch: oprichtershewijs oder winstbewijs; vgl. winstaandeel (Gewinnanteil). 77 Saling's Börsenpapiere II, S. 50, 58 und 40; vgl. noch unten III. Feistmantel, Jur. Blätter 1881, 415, bezeichnet Genußscheine noch als „exotische Papiere". An der Pariser Börse notieren 1896 immerhin Genußscheine von 29 Gesellschaften offiziell und ca. 120 weitere werden nebenbei gehandelt; von Wolff, Die Genußscheine, S. 5. 78 Ministerial-Verordnung betreffend das Regulativ für Aktiengesellschaften vom 20.9.1899, öRGBl. Nr. 175 (Teilabdruck bei Becker, Genußscheine, S. 11). Sie sanktioniert die übliche Praxis; vgl. Korn, Holdheims Wochenschrift 3 (1894), 294. 79 Pappenheim, Holdheims Monatsschrift, 8 (1899), 1, 7, forderte, das Genußrecht rein gläubigerrechtlich bei Schaffung von Mehrheitsverbänden und einem obligatorischen Bilanzschiedsgericht zu konstruieren. 80 Nachrang war typisch für Aktien ersetzende Titel; so polnisches Gesetz vom 22.3.1928 für „Genußaktien ohne bestimmten Nennwert" und italienischer Entwurf 1925 für azioni di godimento; im ungarischen Entwurf 1926, der „Genußscheine" als Gläubigerrecht sieht, besteht Satzungsautonomie; insgesamt Hallstein, Aktienrechte der Gegenwart, S. 91. 81 Dazu Mayer, Holdheims Monatsschrift, 9 (1900), 53, 57f. Einzelheiten bei Reber, Der Genußschein nach dem österreichischen Aktienregulativ, Diss. Erlangen 1923. 82 Holdheim, Holdheims Monatsschrift 3 (1894), 98, mit Bezug auf ein Gesetz von 1867, das für Beschlüsse die Mitwirkung eines Quorums des Aktienkapitals (das Genußaktien nicht mehr repräsentierten) verlangt. 83 Angaben vor allem nach Hallstein, Aktienrechte der Gegenwart, und der darauf aufbauenden Länderauswahl bei Ernst, S. 49-56.
44
Teil I: Entwicklung
und Grundfragen
der
Genußrechte
Gesellschaften in einem Gesetz von 1873, parts bénéficiaires satzungsautonom mit Ansprüchen auf Reingewinn und Liquidatsanteil sowie unter bestimmten Voraussetzungen mit Stimmrecht auszustatten. Später werden die Papiere der ursprünglich für Apportaktien im französischen Recht 1893 eingeführten befristeten Umlaufsperre unterstellt. 84 In Frankreich werden Genußrechte zunächst meist als Gesellschaftsrechte behandelt 85 und nach langer Vorbereitung erst 1929 gesetzlich geregelt. 86 Das ermöglicht Handelsgesellschaften, verschiedene Gattungen übertragbarer Genußrechte als Gründeranteile (parts de fondateur) oder Genußscheine (parts bénéficiaires) zu begeben, die keine Gesellschafterstellung, aber neben einem Anteil an Reingewinn und Liquidât auch Bezugsrechte gewähren. Die Genußberechtigten jeder Gattung bilden einen mehrheitlich beschließenden Verband (masse), dessen Vertretern aktiengleiche Informationsrechte gegenüber der Gesellschaft zustehen und der bei beeinträchtigenden Gesellschaftsbeschlüssen mitbestimmt. 87 Zahlreiche Staaten regelten nur oder vor allem zur Eindämmung verbreiteter Mißbräuche durch Gründer die Genußrechte in Form der Gründervorteile, dehnten diese Vorschriften teilweise aber auf alle Aktionären oder Dritten gewährte Vorrechte aus. Der vom französischen Recht beeinflußte italienische Codice di Commercio von 1882 begrenzt in Art. 127 die Gewährung einer Gewinnbeteiligung auf 10 vom Hundert und maximal fünf Jahre. Ähnlich restriktive Vorschriften enthielt für Portugal Art. 164 § 3 Cödigo C o m mercial von 1888, für Argentinien Art. 321 Cödigo de Comercio von 1889, für Bulgarien Art. 156 Handelsgesetz von 1897 sowie Kodifikationen in Griechenland, der Türkei und Polen zwischen 1920 und 1928. 88 Im englischen Recht treten d i e f o u n d e r s shares auf, die wegen ihres Nachrangs auch deferred shares genannt werden. Sie verbriefen das Recht auf Anteil an dem nach Dividendenzahlung an die Aktionäre verbleibenden Gewinn, manchmal auch Stimmrecht und Anspruch auf Liquidationsanteil. 89 Argentinien kennt außer 84 Oben Ziffer 1.2. und Hallstein, Aktienrechte der Gegenwart, S. 153 (auch zur entsprechenden Rechtslage in Luxemburg). Die Sperre bewirkt, daß die Papiere erst 10 Tage nach Genehmigung der zweiten Jahresbilanz seit Entstehung negoziabel und vorher nur in schriftlicher, öffentlicher Form unter Mitteilung an die Gesellschaft übertragbar sind. 85 Dazu Richter, Zentralblatt für Handelsrecht 1928, 179, 180. So z.B auch noch 1916 die mit Stimmrecht ausgestatteten Genußscheine der Ungarischen Erdgasaktiengesellschaft (dazu oben unter Ziffer I 2). 86 Gesetz vom 23.1.1929 über die von Gesellschaften ausgegebenen Gründeranteile; zur Vorgeschichte Broillet, Der Genußschein, S. 13. Ergänzt sei: Schon das Gesetz vom 31.3.1927 dehnte die Umlaufsperre für Apportaktien aus auf gegen Sacheinlagen (apports en nature) begebene parts de fondateur/parts bénéficiaires; Zander, Der Genußschein, S. 26ff. 87 Näher Hallstein, Aktienrechte der Gegenwart, S. 152f.; Zander, S. 16f., 26; vergleichbare Regelungen z.B. in der Schweiz (dazu gleich unter Ziffer 2.) und Italien. 88 Genaue Daten bei Hallstein, Aktienrechte der Gegenwart, S. 153; Ernst, S. 53 (Griechenland) sowie S. 55 zum spanischen Aktiengesetz vom 17.7.1951. Eingehend zu ausländischen Aktienrechten um 1880 Anlage A zum deutschen Entwurf von 1884, abgedruckt bei Schubert/ Hommelhoff, Aktienreform 1884, S. 522ff. 89 Hallstein, Aktienrechte der Gegenwart, S. 152; Grabe, S. 17.
§ 2 Zur allgemeinen
historischen
Entwicklung
45
den genannten Gründervorzügen den gesetzlich nicht geregelten und nur auf Gläubigerrechte beschränkten bono beneficiario. In Brasilien werden genußrechtliche Formen als partes beneficidrias schon 1882 offiziell erwähnt und 1940, ähnlich wie 1956 im türkischen Handelsgesetzbuch, gesetzlich normiert. 9 0 Auch in jüngerer Zeit geben europäische Nachbarn Beispiele einschlägiger Finanzierungsformen und Regeln. In Osterreich können Aktiengesellschaften allgemein Genußrechte gewähren, Banken und Versicherungen darüber hinaus zur Stärkung der Eigenkapitaldecke auf sondergesetzlicher Basis sogenannte Partizipationsscheine. Das sind am Gewinn beteiligte stimmrechtlose Substanzrechte, denen nach einer beachtlichen Emissionswelle letztlich nicht der Durchbruch gelang und die teils wieder in Aktienkapital umgewandelt werden. 91 In Frankreich besteht seit 1978 die Möglichkeit, über Investmentzertifikate (certificats d'investissement) Anlegern die finanziellen Rechte eines Aktionärs einzuräumen; bestimmte Aktiengesellschaften können auch A n teilscheine (titres participatifs) als letztrangige Anleihen ausgeben. 92 Vertiefend sei noch der Weg von Genußrechten zwischen Praxis und Gesetzgebung in der Schweiz nachgezeichnet, die ein international beachtliches Beispiel bietet.
III.
Beispiel:
Schweizerisches
Recht
Bei den Eidgenossen haben Genußrechte einen interessanten Werdegang. Lange Zeit waren sie auch dort ohne gesetzliche Vorgaben eine allgemein akzeptierte Erscheinung der Wirtschaftspraxis. Erste Genußscheine soll in der Schweiz die 1873 gegründete Aktiengesellschaft Crédit Gruyérin ausgegeben haben. 9 3 Bedeutung erlangten die 170 000 nicht bilanzierten, sogenannten tider Berner Jura-Simplon-Bahn von 1889. tres de bons de jouissance auporteur D e n Stammaktionären der fusionierten Schweizer Westbahn zum Ausgleich für verlorenes Aktienkapital begeben, gewährten sie Anteil an Reingewinn und Liquidat nach den Prioritäts- und Stammaktien, aber kein Mitgliedschaftsrecht. 9 4 Das Schweizer Bundesgerichts behandelte sie in seinem ersten Grundsatzurteil über Genußrechte.
90 Näher Ernst, Der Genußschein, S. 50f., 55f., wonach die brasilianischen Regeln, ebenso wie die türkischen, wohl dem schweizerischen Recht von 1936 (dazu gleich Ziffer 2.) entlehnt sind. " Nowotny, Z G R 1994, 195, 223f. 92 Guyon, Z G R 1995, 208, 212. 93 Von Wolff, Die Genußscheine, S. 5. Aus der älteren Literatur auch Broillet. 94 Ortmann, Der Genußschein, S. 16 f; Ernst, Der Genußschein, S. 36f. Um 1890 wurden diese Genußscheine als einzige auf dem Berliner Courszettel notiert; Saling's Börsenpapiere II, S. 40.
46
Teil I: Entwicklung
und Grundfragen
der
Genußrechte
Die Rechtsnatur von Genußscheinen war damals umstritten. Überwiegend galten sie als Aktien minderen Rechts. 95 Anders das Bundesgericht 96 : Das Stimmrecht in der Hauptversammlung sei das Wesensmerkmal des in der Aktie verbrieften Mitgliedschaftsrechts; da es den Genußscheinen fehle, seien diese ein Recht sui generis. Jedenfalls sind Genußrechte noch Raritäten. Die meist nennwertlosen Papiere werden besonders genutzt als Gründergenußschein (für Gründerverdienste, nicht bilanzierte Sacheinlagen, zum Anreiz erster Zeichner) und als Sanierungsgenußschein (gegen Forderungsverzicht, bei Herabsetzung von Aktienkapital), aber auch bei Amortisation von Aktien und zur Kapitalbeschaffung. Ab 1918 werden zunehmend Genußscheine emittiert. 97 Vor Revision des schweizerischen Obligationenrechts ( O R ) durch Bundesgesetz von 1936 unterlagen Genußrechte den allgemeinen Regeln des Zivilgesetzbuches. 98 Nach der Revision bestimmte Art. 657 a O R " : Die Generalversammlung kann durch Genußscheine 1 0 0 „keine Mitgliedschaftsrechte (...), sondern nur Ansprüche auf einen Anteil am Reingewinn oder am Liquidationsergebnis oder auf Bezug neuer Aktien" verleihen (Abs. 3) an Personen, die „mit dem U n ternehmen durch frühere Kapitalbeteiligung, Aktienbesitz, Gläubigeranspruch oder durch ähnliche Gründe verbunden sind" (Abs. 1); die Berechtigten bilden eine mit eigenen Rechten ausgestattete, nach Majorität handelnde Gemeinschaft (Abs. 4).
Die Begrenzung des Kreises (potentiell) Genußberechtigter rückte im Jahre 1960 ins Zentrum einer Kontroverse um den gesetzlich bezweckten Schutz der Aktionäre. Anlaß gab die Swisspetrol Holding AG, die zur Kapitalbeschaffung Genußscheine im Nominalwert von 18 Millionen Franken zur öffentlichen Zeichnung auflegte. Nach treffender Ansicht darf im wohlverstandenen Aktionärsinteresse ein Genußrecht nach der Gründung nur für einen der Gesellschaft verschafften äquivalenten Vorteil gewährt werden.101 Der 95 Dazu von Wolff, Die Genußscheine, S. 12ff.; dort (S. 15) Auszug einer Botschaft des Bundesrates vom 9.12.1889 an die Bundesversammlung betreffend die Übertragung von Konzessionen an die Jura-Simplon-Bahn (BB1.1889,4,1205), der die Genußscheine nach den darin verbrieften Rechten als „Aktien dritten Ranges" betrachtet. 96 Urteil vom 15.4.1905, B G E 31 II 441, 451, 459. 97 Schwill, SAG 1934, 128,131: Es gab 1910 bei 1% und 1932 bei 2,34% aller Aktiengesellschaften Genußscheine; zu Verwendungsarten von Wolff, Die Genußscheine, S. 6-10. 98 Näher zur Revision handelsrechtlicher Normen im O R durch das Gesetz vom 18.12.1936 bei Ernst, Der Genußschein, S. 43-45; danach war der Genußschein zuvor nur in Art. 25 Bundesgesetz über Stempelabgaben vom 4.10.1917/22.12.1927 genannt. 99 Inzwischen ist dieses alte O R (aOR) erneut revidiert; dazu gleich. Für amortisationsbedingt bestehende Genußaktien (dazu oben 1.1.) galt Ubergangsrecht, neue durften grundsätzlich nicht mehr geschaffen werden; Siegwart, Kommentar Schweiz. Z G B , 5. Band, 5. Teil, Zürich 1945, Art. 622, Rdnr. 25, 31. 100 Born de jouissance in der französisch-, huoni di godimento in der italienischsprachigen Schweiz. 101 B G , Urteil vom 3.10.1967, B G E 93/1967 II 399;Jäggi, SAG 34 (1961), 1, 4f.; Ernst, Der Genußschein, S. 159f.; a.A. Schucany, SAG 33 (1960), 219-222. Grundsätzlich zur Kapitalbeschaffung über Genußscheine Bär, ZBJV 101 (1965), 201 ff.
5 2 2.ur allgemeinen
historischen
Entwicklung
47
Genußrechtserwerb gegen Zahlung von Geld als Kapitaleinlage erfüllt diese Bedingung. Tatsächlich hinderte die Vorschrift nicht die steigende Zahl der zum Schutz vor Uberfremdungsgefahr statt Aktien ausgegebenen Genußrechte. Auf dem Kapitalmarkt konnte sie jedermann erwerben und, dem Beispiel der Swisspetrol folgend, kam es ab 1960 zu umfangreichen Neuemissionen. 102 Markanter Einschnitt ist dabei im Jahr 1963 die Emission der Gebrüder Sulzer A G , Winterthur. Das Unternehmen gab Inhaberpapiere (Nennwert: 100 sfr) mit Vermögensrechten (Anteil an Reingewinn und Liquidationserlös, Verlustrisiko 1 0 3 ) und Bezugsrechten einer Aktie gleichen Nennwertes unter der Bezeichnung Partizipationsschein aus. Dazu die Geschäftsleitung: Das Papier unterliege Art. 657 a O R , ihm sei aber zur Abgrenzung gegenüber dem Genußschein im herkömmlichen Sinne als Ersatztitel (für verlorenes Recht oder Gründeraufwand) ein Name gegeben worden, der auf sein Wesensmerkmal (Beschaffung neuer Eigenmittel) hinweise. 104 D e r Vorgang machte Schule. Zahlreiche Unternehmen folgen, legen Partizipationsscheine zur Verstärkung der Eigenkapitalbasis auf, und im Jahr 1986 haben sie bereits 3 7 , 5 % Anteil am Gesamtvolumen aller neuen Eigenkapitalaufnahmen. 1 0 5 Das Bundesgericht behandelte den Partizipationsschein als Sonderart des Genußscheins nach Art. 657 aOR. 1 0 6 Es sah das Genußrecht selbst zunächst als bedingtes Gläubigerrecht, bescheinigte ihm später aber überwiegend beteiligungsrechtlichen Chrakter. 1 0 7 Praktisch war der Partizipationsschein zulässiger Ersatz für die in der Schweiz verbotene stimmrechtlose Aktie 1 0 8 , der aber den Geruch eines minderen Rechts nicht abstreifen konnte. Ende der neunziger Jahre sank sein Stern, Neuemissionen bekamen Seltenheitswert, und vermehrt wandelten Gesellschaften ihre Partizipationsscheine in Aktien um. Bei dieser Sachlage wählte der Gesetzgeber in der Revision des Aktienrechts im Jahr 1992 eine gesonderte Regelung des Partizipationsscheins (Art. 656a bis 656g O R ) . Zwei Grundsätze prägen die Neuordnung. Erstens 102 R. Weber, Kapitalbeschaffung mit Partizipationsscheinen, S. 34-36, 41 ff. und Wedel, Der Partizipationsschein, S. 178ff. (dort S. 88f. auch zur Uberfremdungsgefahr). 103 So Wedel, Der Partizipationsschein, S. 109 und 194. Zweifelhaft, da in Gesetz, Satzung und Partizipationsvertrag nicht geregelt; zumindest Vorrang der Genußrechtinhaber vor Aktionären im Konkurs. 104 Pressemitteilungen in Neue Zürcher Zeitung, Auszug bei: Bär, ZBJV 101 (1965), 202. 105 In Höhe von 6,04 Milliarden sfr; näher Forlin, Der Partizipationsschein, S. 19-23. Uber Erfolgsgründe Wohlmann, SZW/RSDA 1991, 169, 171 f. ,06 Urteil vom 2.3.1979, B G E 105/1979 Ib 175 E.2b. 107 Urteile vom 25.1.1957, B G E 83/1957 I 133 E.2. (Gläubigerrecht) und 23.9.1987, B G E 113/1987 II 528 E.4a (Beteiligungsrecht). Die Bundesratbotschaft über die Revision des Aktienrechts vom 23.2.1983, BBl. 1983 II 745, 800, nennt Genuß- und Partizipationsscheine Beteiligungsrechte ohne Mitverwaltungsrechte. Zur Diskussion im Schrifttum Bär, ZBJV 101 (1965), 201, 211 ff. 108 So bereits Bär, ZBJV 101 (1965), 201, 226. Zu seinen Eigenschaften Wohlmann SZW/ RSDA 1991, 169, 170.
48
Teil I: Entwicklung
und Grundfragen
der
Genußrechte
sind die Partizipanten vermögensrechtlich sowie beim Bezug auf neue Aktien einer Aktienkategorie gleichzustellen und ihre Position darf nur verschlechtert werden, wenn die gleichstehenden Aktionäre entsprechend beeinträchtigt werden (Art. 656f OR). Der Partizipant hat kein Stimmrecht, das Statut kann aber einzelne Mitwirkungsrechte gewähren. 109 Und zweitens darf das Partizipationskapital maximal doppelt so hoch sein wie das Aktienkapital (Art. 656b O R ) . Der Partizipationsschein ist damit als eine Art stimmrechtlose Aktie anerkannt und vom weithin unverändert in Art. 657 O R geregelten Genußschein abgesondert. Neu ist, daß der Genußschein nennwertlos sein muß und weder Partizipationsschein genannt noch gegen eine Einlage ausgegeben werden darf, die unter den Aktiven (Art. 657 Abs. 3 O R ) bilanziert wird. Neben der jetzt ausdrücklich vorgesehenen Rolle als Mittel der Arbeitnehmerbeteiligung (Art. 657 Abs. 1 O R ) wird im Schriftum 110 als verbleibender Einsatzbereich für den Genußschein die Unternehmenssanierung genannt. Die Praxis zeigt ein anderes Bild. Schweizerischen Genußscheinen werden wir später 111 auf der Bühne internationaler Kapitalmarktgeschäfte erneut begegnen. Dagegen schwindet inzwischen offenbar an den heimischen Börsen das Potential des Partizipationsscheins. Nach der Aktienrechtsreform setzte angesichts erhöhter Beweglichkeit von Aktie und Aktienkapital eine U m wandlungswelle ein 112 , in der zahlreiche Publikumsgesellschaften ihre Partizipationsscheine vom Markt nahmen.
109 Wie Teilnahme an der Generalversammlung und Antragsrecht (Art. 656c). Nachweise zu Reformdebatte und neuem Recht bei von Kunz, 129 ZBJV 1993, 727, 728 ( A n m . 4, 5). 110 Forstmoser, SZW/RSDA 1992, 58, 67. In § 10 A l l . 112 Forstmoser, W M 1996, 1157, 1163.
§ 3 G e n u ß r e c h t e in Deutschland D e r kulturgeschichtliche Hintergrund von Genußrechten in Deutschland ist schon beleuchtet, die Entwicklung im 19. und 20. Jahrhundert aber bislang ausgeblendet worden. Wir greifen dort den Faden auf und geben einen U b e r blick zum Einsatz von Genußrechten bei Unternehmen. Gestützt auf ein detailreiches Schrifttum werden die bestimmenden Entwicklungslinien aufgezeigt. Drei Hauptperioden kristallisieren sich heraus. Eine erste Spanne bis zum Ende der Kaiserzeit, in der die Wissenschaft nach der Jahrhundertwende Genußrechte verstärkt untersucht (dazu A). Die zweite Periode bilden die dreißiger Jahre (B), und die dritte Periode ist die Zeit etwa ab 1980 (C). Dabei begleitet jeweils eine Flut literarischer Abhandlungen die deutliche Zunahme von Genußrechten in der Praxis.
A. Genußrechte
bis zum Ende der
Kaiserzeit
I. Entstehungsgründe und Ausstattung In Österreich-Ungarn und anderen Ländern haben wir schon gesehen, daß Genußrechte um die Mitte des 19. Jahrhunderts vor allem bei der Amortisation von Aktien konzessionierter Eisenbahngesellschaften auftraten. Die Situation in den deutschen Staaten war anders. Nehmen wir als Beispiel Preußen. Die Konzessionierung von Verkehrswegen an Private war hier regelmäßig nicht mit einem Heimfallrecht verbunden. D e r Staat konnte nach § 42 G e setz über die Eisenbahnunternehmungen konzessionierte Bahn-Aktiengesellschaften nur gegen volle Entschädigung der Gesellschafter aufkaufen. H e i m fallrechte bestanden lediglich im kommunalen Bereich bei einigen deutschen Kleinbahnen, die für ausgeloste Aktien Genußscheine ausgaben. 1 Darüber hinaus waren solche Amortisationen aber in deutschen Landen auch bei A k tiengesellschaften mit anderem Tätigkeitsfeld verbreitet, wobei der Zeitpunkt des Auftretens verschwommen bleibt. Bei Saling ist noch 1878 zu lesen, die Einrichtung der Genußscheine sei in einem vereinzelt gebliebenen Fall, dem Statut der Berliner Bazar-Aktiengesellschaft von 1871, jetzt auch in Deutsch-
1 Beispiele bei Klemperer, Genußscheine, S. 16-18; zum preussischen Eisenbahngesetz vom 3.11.1938 Straub, Die Stellung der Inhaber der Genußscheine, S. 5. Vgl. allgemein Fuhrmann, Genußaktien und Genußscheine, 1907.
50
Teil I: Entwicklung
und Grundfragen
der
Genußrechte
land in seiner Zweckmäßigkeit erkannt worden. 2 Bekannt sind Genußscheinausgaben bei Amortisation etwa durch Bergwerke, Terrain- und Baugesellschaften sowie eine Baubank. 3 Die Ausgabe von Genußscheinen bei Auslosung von Aktien bildet quantitativ zunächst wohl den Schwerpunkt. Genußrechte werden aber vielfältig eingesetzt. Sie treten etwa auf als Gründerlohn, als Gratifikation, als Gegenleistung bei Käufen oder für die Abtretung von Konzessionen, für die Uberlassung von Patenten, Warenzeichen, Mobilien und Immobilien sowie für sonstige Leistungen jeder Art seitens Aktionären oder Dritten. 4 Oft erfolgt die Ausgabe von Genußscheinen zu Aktien, um zu deren Zeichnung anzuregen. Ebenso gibt es sie bei Aktiengesellschaften mit relativ kleinem Aktienkapital und hohen Erträgen. Dort wird auf die eigenständig handelbaren Genußscheine ein Teil des Dividendenanspruchs der börslich hoch bewerteten Aktien verlagert, damit diese beweglich bleiben. 5 U m die Jahrhundertwende schreibt Fuld'' über den „ziemlich umfangreichen" Gebrauch der Genußscheinausgabe bei Sanierung von Aktiengesellschaften: Dies sei ein Mittel, „auf leichte Weise gewissen Schwierigkeiten abzuhelfen, welche bei dem Geschäftsbetriebe der Gesellschaften im Hinblick auf Kapitalbedürfnisse aufgetreten sind". Leitmotiv war dabei regelmäßig, die Betriebsmittel zu erhöhen, ohne zusätzliches stimmberechtigtes Aktienkapital in die Gesellschaft zu holen. Den recht variablen Einsatz von Genußrechten zeigen einige Beispiele. Darleihern wurden neben Verzinsung und Rückzahlung der Dahrlehnssumme über die Ausgabe von Genußscheinen besondere Vergütungschancen gewährt. Genannt seien die 1884 begebenen Genußrechte der Dresdener A k tiengesellschaft Consolidiertes Feldschlößchen, die bis hin zum Reichsgericht Gegenstand von Rechtsstreitigkeiten waren. 7 Berichtet wird auch über den Einsatz von Genußrechten bei der U m w a n d l u n g anderer Rechtsformen in 2 Saling's Börsenpapiere I, S. 272 (Statut der AG vom 25.11.1871). Renaud behandelt die Genußscheinausgabe bei Amortisation bereits in seinem Lehrbuch über „Actiengesellschaften" von 1863, S. 680. Statutenauszug der Bazar AG bei Keyßner, Aktiengesellschaften, S. 233235 (dort Fn. 28), kritisch dazu Klemperer, Genußscheine, S. 20; vgl. auch Kartini, Die Genußscheine, S. 20. 3 Klemperer, Genußscheine, S. 18 ff. Eingehend zur wirtschaftlichen Funktion dieser Genußrechte Festge, Genußscheine im Aktienrecht, S. 14 ff. 4 Dazu etwa Ortmann, Der Genußschein, S. 5 ff.; Winter, Die sogen. Genußscheine, S. 4 ff.; H. Schäfer, Genußscheine und Genußaktien, S. 22ff. (jeweils mit Beispielen); auch Fastenrath, Die Genußscheine, S. 34ff. 5 Insgesamt Straub, Die Stellung der Inhaber der Genußscheine, S. 32ff., 49ff.; Klemperer, Genußscheine, S. 88ff.; Winter, Die sogen. Genußscheine, S. 27ff. (jeweils mit Beispielen). 6 Zeitschrift für das gesamte Aktienwesen 1902, 216. 7 Urteile OLG Dresden vom 30.11.1900, in: Holdheim 10 (1901), 97ff.; vom 13.1.1902, in: Holdheim 11 (1902), 106ff.; RG vom 31.5.1902, in: Holdheim 11 (1902), 259. Weitere Beispiele bei Klemperer, Genußscheine, S. 83 (Ziffer 1); Winter, Die sogen. Genußscheine, S. 12 (Ziffer 5, 6).
§ 3 Genußrechte
in
Deutschland
51
Aktiengesellschaften als Entschädigung von Alteigentümern. 8 Die Firma Bremer Zuckerraffinerie setzte 1893 durch Einziehung und Annulierung der Stammaktien ihr Grundkapital herab und entschädigte die Aktionäre mit Genußscheinen. 9 U m etwa eine Unterbilanz zu beseitigen oder die Kapitalbasis eines Unternehmens zu verbreitern, sind Genußscheine schließlich auch gegen Kapital begeben worden. 10 Eine solche Einlage vermittelte dem Genußscheininhaber keine verhältnismäßige Beteiligung (Art. 216 A D H G B ) am Vermögen der Gesellschaft. Verluste am Grundkapital mußte er nicht mittragen." Im übrigen war Verlustteilnahme möglich. 12 Entsprechend der Vielfalt ihrer Verwendung variiert die Ausstattung der verbrieften Genußrechte der einzelnen Gesellschaften. Dennoch können einige Konstanten benannt werden. Die Genußscheine gewähren, sieht man von den im Zuge einer Amortisation von Aktien ausgegebenen, meist stimmberechtigten Papieren 13 ab, grundsätzlich keine Mitgliedschafts-, aber Vermögensrechte. Typisch ist der verschieden hoch gewährte Prozentanteil 14 am Reingewinn des Unternehmens, zu dem vielfach eine Beteiligung am Liquidationserlös hinzutritt. Die wohl überwiegend ohne Nennwert ausgegebenen Genußscheine sind regelmäßig auf den Inhaber gestellt und damit leicht übertragbar. O f t behält sich die begebende Gesellschaft vor, die Genußrechte gegen Zahlung einer Kapitalabfindung abzulösen, seltener ist sie berechtigt, die Genußscheine in Aktien umzutauschen. 15 Sogar die Deutsche Reichsbank, eine Anstalt des öffentlichen Rechts, verfügte über einen als Genußscheinkapital zu bezeichnenden Kapitalstock von deutlich über einhundert Millionen Mark. 16 Ihn brachten private Anleger auf. Sie erhielten dafür Reichsbankanteilscheine („Reichsbankgenüsse"), die Teilhabe an Reingewinn und Liquidationserlös der Notenbank gewährten. Ein letztes Beispiel unterstreicht den Einfallsreichtum: Bei gemeinnützigen, nicht 8
Klemperer, Genußscheine, S. 79. ' D a z u in H o l d h e i m 3 (1894), 173 f. und 4 (1895), 95. 10 Beispiele bei Klemperer, Genußscheine, S. 83 f. (Ziffer 2); Winter, Die sogen. G e n u ß scheine, S. lOff. " D a z u Urteile Hanseatisches O L G v o m 4.4.1892, in: H o l d h e i m 1 (1892), 205, 206; R G vom 27.10.1892, in: H o l d h e i m 2 (1893), 29 u n d vom 20.4.1893, in: H o l d h e i m 2 (1893), 236. 12 Ortmann, D e r Genußschein, S. 33, G. Werner, S. 43; so z.B. Deutsch-Amerikanische Petroleumgesellschaft, in: H o l d h e i m 13 (1904), 168, 170 (r. Sp.). Abwegig insoweit Klemperer, Genußscheine, S. 85; Festge, Genußscheine im Aktienrecht, S. 67. 13 Vgl. zur Ausstattung oben § 4 C I 1 und Keyssner, Die Aktiengesellschaften, S. 233-235. 14 Zu möglichen Verteilungsvarianten zwischen Aktionären u n d Genußscheininhabern z.B. die Statute: Sächsische Gußstahlfabrik (Döhlen), in: H o l d h e i m 6 (1897), 279, 280, u n d A G (namentlich nicht benannt), in: H o l d h e i m 10 (1901), 227f. 15 So etwa bei der Deutsch-Amerikanischen Petroleumgesellschaft, Bremen; Winter, Die sogen. Genußscheine, S. 13 f. 16 Dies betrug nach § 23 Bankgesetz vom 14.3.1875, RGBl. S. 177, zunächst 120 Mio. Mark und w u r d e später erhöht. Einzelheiten bei Claussen, FS Werner 1984, 81, 96f.; Frantzen, Genußscheine, S. 72 sowie z u m Schicksal der Reichsbankgenüsse unten sub C I 1.
52
Teil I: Entwicklung
und Grundfragen
der
Genußrechte
erwerbswirtschaftlich ausgerichteten Unternehmen (z.B. Theater, zoologische Gärten, Lesehallen) treten unter der Bezeichnung „Genußschein" U r kunden auf, die keinerlei handelbare Gewinn- oder Vermögensansprüche verkörpern. 1 7 Darin werden Aktionären meist statt einer Dividende N u t zungsrechte an gesellschaftseigenen Anlagen und Einrichtungen gewährt; sie sind schlichte Legitimationszeichen.
II. 1.
Rezeption
Gesetzgebung
Genußrechte werden in den handelsrechtlichen Kodifikationen des 19. Jahrhunderts, dem Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuch ( A D H G B ) von 1861 und dem Handelsgesetzbuch von 1897, nicht genannt. I m Schrifttum unbeachtet blieb bislang aber die Änderung des A D H G B durch ein G e setz von 1884. 1 8 Angesichts der bereits genannten Gründermisere bei Aktiengesellschaften in jener Zeit handelte auch der deutsche Gesetzgeber. Nach dem neu eingefügten Art. 209b A D H G B waren Gesellschaftern für Gründungsaufwand (Abs. 3) oder während der Dauer der Gesellschaft (Abs. 1) gewährte „besondere Vorteile" (z.B. Vorauserhebung von Dividenden 1 9 ) im G e sellschaftsvertrage festzusetzen. Solche Vorteile konnten auch Genußrechte sein, womit die N o r m für diese einschlägig war. Anzumerken bleibt, daß die Begrenzung der Gründerfreiheit etwa gegenüber dem italienischen oder belgischen Recht 2 0 moderat ausfiel. Gesetzlich werden Genußrechte ausdrücklich zuerst im Steuerrecht beachtet, was nicht verwundert. Die Delegierten-Konferenz der deutschen Handelskammern im November 1881 hatte noch die Steuerpflichtigkeit der G e nußscheine bestritten, der Bundesrat aber mit Beschluß im Juli 1882 bereits festgestellt, daß solche mit Vermögensrechten wie Aktien zu besteuern sind. 21 N a c h einer vom Bundesrat 1885 erlassenen Anweisung sollten Genußscheine als Aktien oder als Schuldverschreibungen gestempelt werden. Die Recht-
Einzelheiten bei Becker, Genußscheine, S. 17ff. Vom 18.7.1884, betreffend die Kommanditgesellschaften auf Aktien und die Aktiengesellschaften, RGBl. 1884 S. 123. 19 Beispiel aus Begründung zum Gesetzentwurf, abgedruckt bei Schubert/Hommelhoff, Aktienrechtsreform 1884, dort S. 434; vgl. auch Erläuterungen bei Willenbücher, Das A D H G , zu Art. 209b (Anm. 2) und Art. 175b (Anm. 1 und 3). 20 Dazu oben § 2 C II; bei Prüfung der Reformbedürftigkeit der Novelle 1884 wurde in Deutschland die Einführung einer Vertretung der Prioritätsobligationäre in der Generalversammlung nach belgischem Vorbild erwogen, aber nicht realisiert; Pohle, Zur Reform des Aktienrechts, in: Holdheim, 3 (1894), 389, 390f. 21 Zum Ganzen Saling's Börsenpapiere II, S. 222 (Deligierten-Konferenz am 18. und 19.11.1881; Bundesrats-Beschluß vom 5.7.1882); zu Umsetzungsproblemen des Beschlusses Klemperer, Genußscheine, S. 102. 17 18
§ 3 Genußrechte
in
Deutschland
53
sprechung verwarf diese Regelung. 2 2 Das Reichsstempelgesetz von 1894 bestimmt dann ausdrücklich die Abgabenpflicht für „Genußscheine und ähnliche zum Bezüge eines Antheils an dem Gewinn einer Aktienunternehmung berechtigende Werthpapiere". 2 3 Ohne den Begriff „Genußschein" zu definieren, setzt der Gesetzgeber verschiedene Kategorien voraus. Einerseits Genußscheine, die als Ersatz anstelle amortisierter Aktien ausgegeben werden, und andererseits „alle übrigen" (inländische, ausländische). Sie wurden jeweils mit unterschiedlichen Stempeln belegt. Die Gesetzesnovelle 24 von 1918 erstreckte die Stempelpflicht dann auch auf Genußscheine von Gesellschaften mit beschränkter Haftung. Eine privatrechtliche Vorschrift über Genußrechte enthält die Verordnung über die staatliche Genehmigung zur Errichtung von Aktiengesellschaften aus dem Jahr 1917. Sie begründet in § 1 Ziffer 3 einen Genehmigungsvorbehalt des Staates „für den Beschluß über die Ausgabe von Genußscheinen, welche bei einer Aktiengesellschaft oder einer Kommanditgesellschaft auf Aktien einen Anspruch auf Dividende oder im Falle der Auflösung der Gesellschaft einen Anspruch in bezug auf das zu verteilende Gesellschaftsvermögen gewähren sollen". 25 Damit äußerte sich der Gesetzgeber erstmals ausdrücklich zum materiellen Gehalt verbriefter Genußrechte. Im Zeichen des ersten Weltkrieges und des daraus folgenden deutschen Zusammenbruchs war Zweck der Verordnung, „während der Zeit der Übergangswirtschaft volkswirtschaftlich nicht gerechtfertigte Ansprüche von dem Kapitalmarkt fernzuhalten". 26 Verfügbares Kapital sollte, so führt Grabe27 aus, der staatlichen Kriegsanleihe und nicht Privatinstituten zufließen. Der Gesetzgeber sah also angesichts der Ausnahmesituation Handlungsbedarf, die Ausgabe bestimmter Genußscheine zu reglementieren. Er beschränkte seinen Vorbehalt mit Änderungsverordnung vom 12.2.1920 28 dahin, daß die Genehmigung nur bei zweifelsfreiem Verstoß gegen den Verordnungszweck versagt werden durfte, und setzte die geänderte Verordnung am 15.10.1920 ganz außer Kraft. 29
Dazu gleich gleich in 3 (letzter Absatz); Anweisung des Bundesrats vom 25.9.1885. Vom 27.4.1894, RGBl. 1894 S. 369, Anmerkung zu Tarifnummer 1. und 2. (aaO., S. 375), Absatz 2; die allgemeine Anweisung des Preußischen Finanzministers von 1895, abgedruckt in Neumann, Börsensteuergesetz, 1896, S. 136, setzte noch „einen verhältnismäßigen Antheil am Vermögen der Gesellschaft" voraus. Zum Nachfolger des Reichsstempelgesetzes unten in B II 2. 24 Reichsstempelgesetz vom 26.7.1918, RGBl. I 799, Artikel 4 zu Tarifnummer 3. Siehe auch RG, Urteil vom 25.11.1919 - VII 295/19, RGZ 97, 197. 25 Verordnung vom 2.11.1917, RGBl. S. 987, aufgrund § 3 Gesetz über die Ermächtigung des Bundesrats zu wirtschaftlichen Maßnahmen usw. vom 4.8.1914, RBG1. S. 327f. 26 So der mit Verordnung vom 12.2.1920, RGBl. S. 229, in § 1 Verordnung von 1917 (vorstehende Fn.) eingefügte Absatz 2. 27 Bedeutung des Genußscheins, S. 11. 28 RGBl. S. 229. 29 Verordnung, betreffend die Aufhebung der Verordnung über die staatliche Genehmigung zur Errichtung von Aktiengesellschaften usw. vom 9.10.1920, RGBl. S. 1718. 22
23
54
Teil I: Entwicklung
2.
und Grundfragen
der
Genußrechte
Schrifttum
In den letzten Dekaden des 19. Jahrhunderts befaßt sich zunehmend die Wissenschaft mit den in der Praxis immer häufiger bei Unternehmen auftretenden Genußrechten. Es ist das bleibende Verdienst von Victor Klemperer, auf empirischer Grundlage erstmals das „Wesen" des Genußscheins systematisch untersucht zu haben. Er sieht bei ihnen in der Verbriefung eines Anspruchs (jedenfalls) auf Reingewinnteilnahme eine einheitliche wirtschaftliche Funktion. 30 Ausgehend vom wirtschaftlichen Entstehungsgrund nimmt er einleitend eine Dreiteilung vor zwischen Genußscheinen, die: (1) anläßlich der Amortisation von Aktien aus dem Reingewinn, (2) unabhängig von Aktien oder (3) „zu Aktien" ausgegeben werden. 31 Für die juristische Konstruktion gelangt Klemperer32 im Ergebnis zu folgender Unterscheidung: Genußscheine, die Mitgliedschaftsrechte verbriefen und damit ihrer Rechtsnatur nach Aktien seien (Genußaktien); dazu zählt er prinzipiell die Papiere oben sub (1). Dagegen stehen Genußscheine, die nur Gläubigerrechte verbriefen (Genußobligationen); das sind regelmäßig die Papiere oben sub (2) und (3), selten auch solche nach (1). Die Arbeit Klemperers ist richtungsweisend, vor allem für schon bald auf die Jahrhundertwende folgende Untersuchungen. Deren Autoren übernehmen33 die genannte Dreiteilung oder modifizieren sie durch Zusammenziehen der Kategorien (2) und (3). Damit wird nur noch unterschieden, ob die Genußrechte anläßlich oder unabhängig von Aktientilgung begeben wurden. 34 Die Gewichte verschieben sich. Hatte Klemperer noch schwerpunktmäßig an die Stelle ausgeloster Aktien tretende Genußrechte behandelt, erörtern spätere Autoren (z.B. Becker, Winter, Fastenrath) verstärkt frei geschaffene Genußrechte. Das zunehmende Interesse spiegelt die steigende Bedeutung, die in der Praxis von Gesellschaften vor allem gegen Einlage an Dritte begebene Genußrechte jetzt einnehmen. Die Bewertung der Rechtsnatur des jeweils begründeten Verhältnisses ist im Schrifttum unterschiedlich. Abgesehen von im Einzelfall angezeigten Ab30 Klemperer, Die rechtliche Natur der Genußscheine, Halle/Saale 1898, S. 99. Kleinere Beiträge früher etwa von Feistmantel, Jur. Blätter 1881, 413 ff. sowie bei K. Lehmann, Das Recht der Aktiengesellschaften, 1. Band, 1898. 31 Klemperer, Genußscheine, S. 3. Uber Genußscheine „zu Aktien" oben sub I.; einige Autoren sprechen von Aktiengenußscheinen als vom Aktienrecht im Bestand abhängigen Zubehör; Leist, Die Sanierung der Aktiengesellschaften, S. llOf. Näher Klemperer, Genußscheine, S. 88ff.; Winter, Die sogen. Genußscheine, S. 27ff. 32 AaO., S. 99f.; dazu Rezension von Pappenheim, in: Holdheim 8 (1899), 42. 33 So etwa Winter, Die sogen. Genußscheine, S. 3; H. Schäfer, Genußscheine und Genußaktien, S. 7; Rudolf Fischer, in: Ehrenbergs Handbuch 3/1, 395 f. und Fastenrath, Die Genußscheine. 34 Z.B. Becker, Genußscheine, S. 13; Festge, Genußscheine im Aktienrecht, S. 9f. und Ortmann, Der Genußschein. Straub, Die Stellung der Inhaber der Genußscheine, S. 2, erweitert dagegen die Klemperersche Einteilung um „Genußscheine, die zu Schuldverschreibungen einer AG ausgegeben sind" als 4. Kategorie.
13
Genußrechte
in
Deutschland
55
weichungen wird für den Regelfall überwiegend die Bildung einer stillen G e sellschaft favorisiert. 35 N e b e n der Einordnung als „Rechtsgebilde eigener A r t " 3 6 wird bei schlichter Beteiligung am Reingewinn auch gesprochen von: einem „einfache(n) Gläubiger- oder Schuldverhältnis" 3 7 oder einem durch verfügbaren Reingewinn bedingten Gläubigerrecht 3 8 , das auch als „unvollkommene Kapitalschuld" 3 9 bezeichnet ist. Die an Order ausgegebenen G e nußscheine selbst werden als kaufmännische Verpflichtungsscheine nach § 363 H G B eingestuft. 40 Insgesamt erscheint das Genußscheinrecht allerdings recht diffus. N o c h im Jahre 1916 schreibt Rudolf Fischer in Ehrenbergs Handbuch 4 1 , daß mit „Genußschein" kein fester Begriff verbunden werde, die bekundeten Rechte seien von verschiedenem Charakter.
3.
Rechtsprechung
Die zivilistische Rechtsprechung hatte sich zunächst besonders mit G e nußscheinen zu befassen, die anläßlich der Tilgung von Aktienkapital ausgegeben waren. Das Reichsgericht 4 2 stellte in seinem ersten einschlägigen E r kenntnis fest, daß es sich dabei „um eine statutenmäßig vorgesehene und vorgeschriebene von der Auslosung der betreffenden Aktie bedingte Veränderung des in der Aktie verkörperten Anteilsrechts handelt". Auf den „wissenschaftliche(n) Aufbau des in Rede stehenden Rechtsverhältnisses" ging es nicht ein. Bald schon sind auch die aus sonstigen Gründen geschaffenen Genußrechte Gegenstand gerichtlicher Verfahren. Eine frühe steuerrechtliche Entscheidung des Reichsgerichts 4 3 stellt lapidar fest: „Unter ,Genußscheinen' werden im Verkehrsleben verschiedenartige Urkunden verstanden". Später 44 wird dieser Satz leicht abgewandelt: „Mit dem Ausdruck ,Genußschein', den das Handelsgesetzbuch nicht kennt, ist ein feststehender Begriff nicht verbunden,
35 Ortmann, Der Genußschein, S. 32f., der es auch als „gewisses obligatorisches Gesellschaftsverhältnis" (!) bezeichnet; Staub, Kommentar zum Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuch, 671 (m.w. Nachw.); Rudolf Fischer, in: Ehrenbergs Handbuch 3/1, 397 bringt nur einen Vergleich; indifferent Klemperer, Genußscheine, S. 85 und Becker, Genußscheine, S. 46; ablehnend Winter, Die sogen. Genußscheine, S. 18 ff. 36 Hachenburg, LZ 11 (1917), Sp. 776, 780. 37 "Winter, Die sogen. Genußscheine, S. 22. 38 Festge, Genußscheine im Aktienrecht, S. 66; Simon; in: Holdheim 10 (1901), 102 f. 39 Leist, Die Sanierung der Aktiengesellschaften, S. 118; Fastenrath, Die Genußscheine, S. 43. 40 Becker, Genußscheine, S. 33 f.; Festge, Genußscheine im Aktienrecht, S. 67f. sowie später etwa Kartini, Die Genußscheine, S. 9; G. Werner, Bedeutung des Genußscheins, S. 58. 41 Band 3/1, § 56 I. 42 Urteil vom 3.12.1888 - I V 215/88, J W 1889,47. 43 Urteil vom 2 7 . 1 0 . 1 8 9 2 - V I 158/92, R G Z 30, 16f. 44 R G , Urteil vom 17.06.1901 - I 63/01, in: Holdheim 10 (1901), 227, 228f. (= R G Z 49, 10, 13f.).
Teil I: Entwicklung
56
und Grundfragen
der
Genußrechte
derselbe dient vielmehr zur Bezeichnung von Urkunden verschiedenartigen Charakters". Weiter heißt es dort dann präziser: „Ob unter den so bezeichneten Urkunden auch solche begriffen sind, die als Aktien oder doch als Zubehör von Aktien betrachtet und deshalb als Verbriefung von Gesellschaftsrechten angesehen werden müssen, ist hier nicht zu erörtern. Denn die Bedeutung eines sogenannten Genußscheines hängt von dem Inhalt der Rechte ab, die er beurkundet und dieser Inhalt ist daher in jedem einzelnen Fall nach Anlaß und Zweck seiner Ausstellung zu ermitteln." An dieser strikt am Einzelfall ausgerichteten Betrachtung der Genußrechte hielt die Rechtsprechung weithin fest. Einige gerichtliche Erkenntnisse enthalten treffliche Ausführungen etwa zum Wesen von Aktionärsrecht und Dividendenanspruch sowie die vertragliche Teilhabe Dritter an Reingewinn und Liquidationserlös. Solche Ansätze bleiben aber isoliert und ungenutzt, die Erscheinung „Genußrecht" als Rechtsinstitut methodisch abzusichern. Dabei verstellt terminologische Unschärfe wieder den Blick auf den Kern. So werden die behandelten Genußrechte zwar ganz überwiegend als Gläubigerrecht bewertet. Gleichzeitig wird das Rechtsverhältnis zwischen Genußrechtsinhabern und Gesellschaft aber etwa bezeichnet als: „obligatorisches Gesellschaftsverhältnis" 45 oder auch „Sozietätsverhältnis", das mangels Ubertragbarkeit der Genußscheine jedoch keine stille Gesellschaft im handelsrechtlichen Sinne sei. 46 Schließlich definiert das Reichsgericht 47 den Genußschein als „ein Inhaberpapier über eine Geldschuldforderung, die dem Inhaber gegenüber der Gesellschaft zusteht und für ihn ein klagbares Recht auf Zahlung gegen die Gesellschaft begründet". Unter einen solchen Obersatz läßt sich gar manches subsumieren. Geben wir noch einen Blick auf die steuerliche Rechtsprechung vor der Änderung des Reichsstempelgesetzes im Jahre 1894. Wie oben (in 1) ausgeführt, stand hier mangels gesetzlicher Regelung die Stempelpflicht „wie A k tien" für Genußscheine in Frage. Die Gerichte verwarfen solches Ansinnen. Sie stellten vor allem darauf ab, daß Inhaber von Genußscheinen keinen Anteil am Grundkapital und damit Verluste der Gesellschaft daran nicht mitzutragen hätten. 48 Danach wurden (verbriefte) Genußrechte nicht als „Aktien im Rechtssinne" eingestuft.
RG, Urteil vom 31.5.1902 - I ZS, in: Holdheim, 11 (1902), 259, 260. Hanseatisches O L G , Urteil vom 1.2.1904, in: H o l d h e i m 13 (1904), 168, 170: die Gesellschaft schulde „ihren Sozien [= Genußberechtigten] als dritten Personen" den vertraglichen Gewinnanteil; wirtschaftlich seien sie „Aktionäre ohne Stimmrecht". 47 RG, Urteil vom 4.5.1915 - VII 428/14, J W 1915, 794. 48 Z.B. Entscheidungen Hanseatisches O L G vom 4.4.1892 - Bf. I 359 de 91, in: Holdheim 1 (1892), 205, dazu R G vom 27.10.1892 - VI 158/92, R G Z 30, 16; KG vom 20.12.1892 - II U 2073 92, in: H o l d h e i m 2 (1893), 167, bestätigt in R G vom 20.4.1893 - IV 78/93, in: H o l d h e i m 2 (1893), 236. 45 46
$ 3 Genußrechte
III.
in
57
Deutschland
Kolonialgesellschaften
Eine Sonderstellung nehmen die Genußrechte deutscher Kolonialgesellschaften ein. 49 Das strenge Aktienrecht des Reiches genügte nicht den schwierigen tatsächlichen Verhältnissen in den sogenannten Schutzgebieten. Für dort tätige, regelmäßig aktienähnlich strukturierte Unternehmen galt ein O k troisystem: Nach Gesetz 5 0 aus dem Jahre 1888 erlangten sie Rechtsfähigkeit durch Beschluß des Bundesrates; fortan unterlag die gecharterte Handelsgesellschaft dem per O k t r o i verliehenen Spezialrecht 51 und der Aufsicht des Reichskanzlers. U m Kapital in die überseeischen Unternehmen zu lenken, gaben Kolonialgesellschaften zusätzlich zu Anteilscheinen verbriefte Genußrechte aus. Bezeichnung und Zahl der pro Anteilschein begebenen Zertifikate variierten. Das jeweilige Gesellschaftsstatut bestimmte frei von Zwängen des Aktienrechts ihre Rechtsnatur. Einige Beispiele 52 : Die Genußscheine der großen Gesellschaften Süd-Kamerun und Nordwest-Kamerun vermittelten den Inhabern die Stellung eines Gesellschaftsmitgliedes einschließlich Stimmrecht in der Generalversammlung; da sie ohne Einzahlung begeben wurden, waren sie Freiaktien vergleichbar. Jene der Schantung-Eisenbahngesellschaft in Tsingtau sowie der Neuginea Kompagnie waren dagegen als Gläubigerrechte gestaltet. Gemein war allen Genußscheinen, daß sie dem Inhaber Ansprüche auf Dividende und Liquidationsanteil gaben. D e r Versailler Vertrag beendete diese Episode deutscher (Rechts-)Geschichte.
B. Genußrechte
in der Weimarer
Republik
I. Entstehungsgründe und Umstellung Die zwanziger Jahre sind ein Jahrzehnt der Genußrechte. Die Zahl der Emission von Genußscheinen nimmt auffallend zu. Die Grundpalette der Anlässe, zu denen sie ausgegeben werden, entspricht weithin den schon benannten. Das gilt auch für die rechtliche Ausformung der Genußscheine, wobei einzelne Gestaltungselemente (Höhe und Rang des Reingewinnanspruchs, Teilhabe am Liquidationserlös, Bezugsrechte) wie gehabt variiert 49 Einzelheiten bei Ortmann, Der Genußschein, S. 99-109; Winter, Die sogen. Genußscheine, S. 68-72; Becker, Genußscheine, S. 62-65; Böckler, Der Genußschein, S. 116£f. Allgemein E. Wolff, Praxis der Finanzierung, S. 137ff.; Wackerbeck, Die deutschen Kolonialgesellschaften, 1977. 50 Betreffend die Rechtsverhältnisse der deutschen Schutzgebiete vom 15.3.1988, RGBl. 1888 S. 75. 51 Subsidiär dem allgemeinen Bürgerlichen Recht; Winter, Die sogen. Genußscheine, S. 69f. 52 Überblick bei Ortmann, Der Genußschein, S. 101 ff.; Winter, Die sogen. Genußscheine, S. 70f.
58
Teil I: Entwicklung
und Grundfragen
der
Genußrechte
und modifiziert werden. Einzelheiten dazu sind insoweit entbehrlich, als wir hier Grundlinien der Entwicklung betrachten; im übrigen sei auf vorliegende Übersichten 5 3 verwiesen. Genußrechte werden zunehmend zur Kapitalbeschaffung eingesetzt. Der dabei zu verzeichnende, sprunghafte Anstieg hat einen handfesten Hintergrund, der nähere Betrachtung lohnt: die Inflation. Bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges galt in Deutschland der Goldstandard. Die Reichsbank war nach § 1 Bankgesetz 5 4 verpflichtet, ihre Noten dem Inhaber gegen deutsche Goldmünzen einzutauschen. Die Einlösungspflicht wurde nach Kriegsausbruch suspendiert 55 und nicht wieder in Kraft gesetzt. Faktisch war die Mark nur noch Papierwährung. Der Kurs der Papiermark sank dennoch bis Anfang 1919 nur relativ mäßig, nahm dann mit Schwankungen weiter ab und stabilisierte sich 1920 bis Mitte 1921 auf niedrigem Niveau. Nach der Londoner Konferenz beginnt die Währung ab Mitte 1922 rapide zu verfallen, im Herbst 1923 ist es ein Sturz im freien Fall. 56 Die Inflation ist nicht auf Deutschland beschränkt. Auch der französische Franc fällt, und die Finanzkrise hat internationale Dimension bis in die Vereinigten Staaten von Amerika. Nirgends aber ist der Währungsverfall so drastisch und fatal wie in der von inneren U n ruhen geschüttelten Weimarer Republik. Es ist die „Zeit der Rechtsverfälschung" 57 . Die Rechtsverhältnisse verlieren die Währung als feste Bezugsgröße. Die Geldentwertung wird zur Inflationssteuer, zur Enteignung der Geldgläubiger. Mit der Entwicklung seit 1919 steigt der Kapitalbedarf der deutschen Wirtschaft. Bei den Unternehmen wird der Mangel an eigenem Kapital chronisch. Grundkapitalerhöhungen können mit der Inflation nicht Schritt halten. Auch birgt die dabei notwendige Einbeziehung fremder Mittel für die Gesellschaften die Gefahr der Überfremdung. In dieser Situation ziehen es immer mehr Unternehmen vor, neues Betriebskapital über die stimmrechtlosen Genußrechte zu akquirieren. Der von Aktiengesellschaften an Kapitaleinleger regelmäßig begebene Genußschein 58 entspricht im Nennwert der Stammaktie und gewährt die gleichen Rechte auf Teilhabe an Reingewinn und Liquidationserlös. Gelegentlich verbriefen diese auch als Substanzgenußscheine bezeichneten Papiere zusätzlich ein Bezugsrecht auf neue Genußscheine, das an jenes der Aktionäre auf junge Aktien anknüpft. Ebenso wird eine verhältnismäßige 53 Wertheimer, JW 1923, 573, 574f. und Schmalenbach, Finanzierungen, S. 266-280, differenzieren über ein Dutzend wirtschaftliche Ausgabegründe; Gottlieb, Der Genußschein, S. 28; aus jüngerer Zeit Frantzen, Genußscheine, S. 47-63. 54 Vom 14.3.1875, RGBl. 177 i.d.F. von Art. 4 Gesetz vom 1.6.1909, RGBl. 515. 55 Gesetze vom 4.8.1914, RGBl 326 und 347. Dazu Verordnung vom 28.9.1914, RGBl. 412. Zur Entwicklung der Währung Miigel, Aufwertungsrecht, S. 33 ff. 56 Vom 20.11.1923 an war eine deutsche (Papier-)Mark den einbillionsten Teil einer Goldmark wert. 57 Abraham, Goldmarkbilanz, S. 32. 58 Näher Kartini, Die Genußscheine, S. 5; Gottlieb, Der Genußschein, S. 6f.
5 3 Genußrechte
in
Deutschland
59
Minderung des Genußscheinkapitals bei Herabsetzung des Grundkapitals vereinbart. Die Wahl von Genußrechten war im Ansatz für deren Inhaber durchaus vorteilhaft. Die prozentuale Beteiligung am Reingewinn sicherte einen trotz Inflation relativ wertbeständigen Anspruch gegen die verpflichtete Gesellschaft. Hier verfängt der schon Anfang des Jahrhunderts von Leist59 geprägte Satz, der Genußschein sei „eine Anweisung auf bessere Zeiten". Mit der Einführung der Rentenmark wird Ende 1923 die Konsolidierung eingeleitet, die über die Rückkehr der Goldwährung zur Reichsmark führt. 6 0 Die Übergangsfolgen für die Wirtschaft zeigt etwa die Verordnung über Goldbilanzen. 6 1 Zur Ermittlung des vorhandenen Vermögens verpflichtet ihr § 1 die Kaufleute, ab Anfang 1924 Inventar und Bilanzen auf Goldmark umzustellen. Bestehende Genußrechte sind wirtschaftlich, bestimmte auch rechtlich von der Umstellung betroffen. 6 2 Inhaber von Genußscheinen, die nur einen Anteil an Reingewinn und Liquidationserlös gewähren, bereiten keine Probleme. Sie nehmen an den jetzt in Reichsmark berechneten Größen weiter in dem im Genußrechtsvertrag vereinbarten Verhältnis teil. Auf Papiermark lautende Genußrechtsansprüche (z.B. Zahlung eines bestimmten Betrages) sind dagegen umzustellen. Dabei wird unterschieden zwischen einzelnen Genußrechten, die von A k tien unabhängig sind, und solchen, die von Aktien abhängen. Für letztere ordnet § 33 der Zweiten Verordnung zur Durchführung der GoldbilanzVO 6 3 an: „Soweit sich die Rechte von Genußscheininhabern nach den Rechten von Aktionären bestimmen, ändern sie sich durch die Umstellung in demselben Verhältnis wie die Aktien; eine Bestimmung des Gesellschaftsvertrages oder eine sonstige Vereinbarung, wonach die Rechte der Genußscheininhaber ohne deren Zustimmung nicht eingeschränkt werden können, ist insoweit ohne rechtliche Wirkung. Entsprechendes gilt für Genußscheine, die von einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung ausgegeben sind." Besteht keine 59 Die Sanierung der Aktiengesellschaften, S. 11 .Findeisen, Zeitschrift für das Aktienwesen 1922, 445, 447ff., erörtert unter dem Begriff „Gewinnobligationen" betriebswirtschaftliche und steuerliche Entstehungsgründe. 60 Zur Rentenmark: Verordnung vom 15.10.1923 über die Errichtung der Deutschen Rentenbank, RGBl. I, 963. Weiter: Reichsmünzgesetz, RGBl. II 254, Reichsbankgesetz, RGBl. II 235, Reichs-Privatnotenbankgesetz, RGBl. II 246, Reichsgesetz über die Liquidierung des Umlaufs an Rentenbankscheinen, RGBl. II 252, alle vom 30.8.1924 und in Kraft getreten am 11.10.1924; Verordnung vom 10.10.1924, RGBl. II 383. 61 Vom 28.12.1923, RGBl. 1 1253, deren § 1 Abs. 2 als Goldmark den Gegenwert von 10/42 des nordamerikanischen Dollars setzte. Zum Zweck der Goldmark-Eröffnungsbilanz R G , Urteil vom 11.2.1927 - II 94/26, R G Z 116, 119 (122, 124). Einzelheiten bei Abraham, Goldmarkbilanz, und Thalheimer, Die Genußscheine in der Verordnung über Goldbilanzen, Köln 1925. 62 Dazu noch in IV. Allgemein Daenner, Die Genußscheine, S. 42ff.; Kartini, Die Genußscheine, S. 33 ff., 42ff. 63 Vom 28.3.1924, RGBl. I 385. Zur Zweigliederung Gottlieh, Der Genußschein, 78f.; Caemmerer J Z 1951, 417, 419f.
60
Teil I: Entwicklung und Grundfragen der Genußrechte
Aktienabhängigkeit, wird das einzelne G e n u ß r e c h t im Wege sogenannter freier Aufwertung über § 2 4 2 B G B angepaßt. 6 4 Diese - und sogleich n o c h behandelte weitere - Schritte sollen Rechtsverhältnisse wieder ins L o t bringen. N a c h der Umstellung werden Ende 1927 G e n u ß s c h e i n e im G e s a m t n e n n w e r t von 64,5 (Kurswert: 94,4) Millionen R e i c h s m a r k an deutschen B ö r s e n n o tiert. 6 5 N o c h bis in die dreißiger J a h r e sind zahlreiche Genußscheinemissionen zu verzeichnen.
II. 1. Gesetzliche a)
Gesetzgebung
Genußrechtsregeln
Goldbilanzverordnung
I m Zuge der beschriebenen Umstellung befaßt sich auch der Gesetzgeber näher mit G e n u ß r e c h t e n . A n l a ß dazu gaben die Umstellungsfolgen. E i n m a l k o n n t e n Spitzenbeträge bei der Neueinteilung des Grundkapitals entstehen, w e n n dieses nicht glatt in der Zahl vorhandener A k t i e n aufging. D a b e i drohte den ohnehin finanzschwachen Gesellschaften die Auszahlungspflicht. A n d e rerseits ging es u m den S c h u t z kleiner Kapitalanleger. E s mußte für den recht häufigen Fall eine Regelung getroffen werden, daß etwa ein A k t i o n ä r nicht über genügend Papiermarkaktien verfügte, um eine neue ( G o l d - ) A k t i e zu erlangen. A u c h hier blieb regelmäßig nur die - für A k t i o n ä r e wegen relativ niedrigen Kursen ungünstige - Auszahlung. Jedesmal stand also vor allem das Schicksal der Vermögensrechte der Gesellschafter in Frage. D e r Gesetzgeber wählte zur L ö s u n g des P r o b l e m s in der vorhin genannten G o l d b i l a n z V O von 1924 die Schaffung eines gesetzlichen Genußrechts. E r langte ein Gesellschafter einer Aktiengesellschaft, einer Kommanditgesellschaft auf A k t i e n oder einer Gesellschaft mit beschränkter H a f t u n g anläßlich der Umstellung gegen seine Gesellschaft einen Zahlungsanspruch, hatte er in dessen H ö h e nach § 12 Satz 1 G o l d b i l a n z V O auf Antrag in der Regel A n spruch auf einen Inhabergenußschein. 6 6 D i e Vorschrift regelt weiter in den Sätzen 2 bis 5: „ D i e G e n u ß s c h e i n e gewähren kein Stimmrecht, j e d o c h einen Anspruch auf entsprechende Beteiligung am Reingewinne der Gesellschaft und im Falle der Auflösung der Gesellschaft einen A n s p r u c h in bezug auf das zu verteilende Gesellschaftsvermögen. D i e Beteiligung am Reingewinn darf durch Kapitalerhöhungen nicht verkürzt werden. D i e G e n u ß s c h e i n e k ö n n e n unter Einhaltung einer Kündigungsfrist v o n drei M o n a t e n von der GesellDazu auch unten in II 1 b und IV. Bondi/Winckler, Die Praxis der Finanzierung, S. 22. 66 Auch Umstellungsgenußschein genannt. Näher Breit, Goldbilanz-Verordnung, S. 300ff.; Kartini, Die Genußscheine, S. 62ff.; Daenner, Die Genußscheine, S. 51 ff.; Gottlieb, Der Genußschein, S. 39ff. 64
65
§ 3 Genußrechte
in
Deutschland
61
schaft frühestens zum Ablauf des dritten auf die Ausstellung folgenden G e schäftsjahrs, von dem Inhaber zum Schlüsse eines jeden Geschäftsjahrs gekündigt werden. Die Ausgabe der Genußscheine bedarf nicht der staatlichen Genehmigung." Damit wird erstmals ein Genußschein weithin gesetzlich bestimmt. Aufschlußreich ist die Ablehnung dieser Regelung in Wissenschaft und Praxis. 67 Als wesentlicher Grund der Kritik wird angeführt, daß nach Kapitalerhöhungen wegen § 12 Satz 3 GoldbilanzVO die Berechnung 6 8 der einzelnen Gewinnanteile die Gesellschaften übermäßig belaste. Der Gesetzgeber reagierte prompt. N a c h § 40 Abs. 3 der ein Vierteljahr später erlassenen Zweiten DurchführungsVO zur GoldbilanzVO 6 9 konnten sich Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien von der Pflicht der Genußscheinausgabe durch Ausstellung eines Anteilscheins auf den Inhaber befreien. 70 Für diese Papiere galten grundsätzlich die Aktienregeln entsprechend. Eine betragsgleiche Anzahl von Anteilscheinen gewährte die Stimm-, Bezugs- sowie Vermögensrechte einer neuen Aktie und konnte in eine solche umgetauscht werden. Diese Alternative nutzte die Praxis ganz überwiegend. Genußscheine nach § 12 GoldbilanzVO traten kaum auf.
b)
Aufwertungsgesetz
Die Bedeutung radikal geänderter Grundlagen des Währungsrechts für Rechtsverhältnisse wird zunächst verkannt. Die Staatsgewalten verharren trotz steigender Inflation auf dem Grundsatz Mark = Mark. Damit schreitet die Entschuldung der Schuldner zu Lasten der Gläubiger fort. Die Frage drängt, wie die Entwertung vor und während der Inflation begründeter Geldforderungen zu regeln sei. Erst eine Entscheidung des Reichsgerichts 71 bricht dem Grundsatz Bahn, den Nennbetrag der auf Reichswährung lautenden Forderungen nach Treu und Glauben unter Beachtung der Geldentwertung zu erhöhen. Regierung und Gesetzgeber, anfangs ablehnend eingestellt, grün67 Referierend Gottlieb, Der Genußschein, S. 38 f. Siehe auch Breit, Goldbilanz-Verordnung, S. 302f. (Anm. 1); Rosendorff', Goldbilanzierungsgesetz, S. 109; Thalheimer, Die Genußscheine, S. 130. 68 Bei ihr müssen Kapitalerhöhungen wieder herausgerechnet werden, um die Vorgabe von § 12 Satz 3 GoldbilanzVO zu erfüllen. Vgl. auch sub 2 (letzter Absatz) zur möglichen Anrufung einer Spruchstelle, die später hinzu kam und in die Kritik einbezogen wurde. 69 Dazu bereits supra I. 70 Zum Anteilschein Breit, Goldbilanz-Verordnung, S. 270ff. Zusätzlich entspannte die Finanzsituation der Gesellschaften, daß Reingewinnauszahlung außerhalb einer Kündigung erst nach Ablauf des dritten Geschäftsjahres nach Ausstellung erfolgen mußte (Abs. 4 der genannten Norm). 71 Vom 28.11.1923 - V 31/23, R G Z 107, 78; wegweisend schon Vorinstanz O L G Darmstadt, Urteil vom 29.3.1923 - 1 Z S W 72/23, J W 1923, 459. Zu Entwicklung und Inhalt des Aufwertungsgedankens Abraham, Aufwertungsgesetz, S. 8ff.; Mügel, Aufwertungsrecht, S. 52 ff., 92ff.; ders., DurchführungsVO, S. 311 ff.; Neukirch, Gesetz über die Aufwertung, S. 39ff.
62
Teil I: Entwicklung
und Grundfragen
der
Genußrechte
den auf ihm die dritte Steuernotverordnung. 72 Eingehender wird der Gläubigerschutz nach Einführung des Goldstandards im Aufwertungsgesetz 73 umgesetzt, das vor dem 14.2.1924 in alter Reichswährung begründete und vom Währungsverfall betroffene Ansprüche aufwertet. Von Interesse sind hier Ansprüche aus verzinslichen oder mit Aufgeld rückzahlbaren Schuldverschreibungen, die von natürlichen Personen, Personenvereinigungen oder juristischen Personen des Privatrechts ausgegeben sind. Sie werden nur in Höhe von 15 vom Hundert des Goldmarkbetrages aufgewertet. Nach § 37 Abs. 1, § 33 Aufwertungsgesetz erwerben Altbesitzer74 dafür aber (mit dem 1.7.1925) zusätzlich ein Genußrecht. Dessen gesetzliche Ausstattung 75 : Der Nennwert beträgt 10 vom Hundert des Goldmarkbetrages der Schuldverschreibung. Auf dieser Basis gewährt das Genußrecht unbeeinträchtigt durch Kapitalerhöhungen oder sonstige Maßnahmen des Schuldners eine - teilweise gegenüber Geschäftsinhaber oder Gesellschafter nachrangige - Beteiligung am Reingewinn, bis insgesamt 6 vom Hundert des Gesamtnennbetrages der Genußrechte auf die Genußberechtigten entfallen. Diese Beträge sind bis zur Höhe des ursprünglichen Zinssatzes der Schuldverschreibung, jedoch nicht über 5 vom Hundert hinaus, zur Verzinsung, im übrigen zur Tilgung des Genußrechtnennwerts zu verwenden. Das Genußrecht beteiligt am Liquidationserlös und kann unter bestimmten Voraussetzungen verbrieft sowie abgelöst werden. Schon damals war umstritten, wann Genußrechtsinhaber in ihrem Anspruch auf Teilnahme am Reingewinn durch Kapitalerhöhung oder sonstige Maßnahmen „beeinträchtigt" werden. Dazu ist hier76 eine frühere Besonderheit noch anzumerken. War das Vorliegen einer Beeinträchtigung oder der Ausgleich einer solchen fraglich, sah der Gesetzgeber eine sogenannte Spruchstelle 77 vor. Sie war mit einem Richter sowie zwei fachkundigen Beisitzern besetzt, verhandelte entsprechend dem Gesetz über die freiwillige Gerichtsbarkeit und konnte von einem Vertreter der Genußrechtsinhaber als Schiedsrichter angerufen werden. Befand die Spruchstelle eine angefochtene Maßnahme als „beeinträchtigend", hatte der Schuldner sie bei Berechnung der Gewinnanteile der Genußrechtinhaber außen vor zu lassen. Vom 14.2.1924, RGBl. I 74. Dazu Mügel, Aufwertungsgesetz, S. 55 ff. Gesetz über die Aufwertung von Hypotheken und anderen Ansprüchen vom 16.7.1925, RGBl. I 117; in Kraft getreten am 15.7.1925. 74 Das ist jemand, der die Schuldverschreibung vor dem 1.7.1920 erworben und fristgemäß angemeldet hat; dazu § 39 Aufwertungsgesetz und Daenner, Die Genußscheine, S. 57. 75 Näher Daenner, Die Genußscheine, S. 57ff.; Gottlieb, Der Genußschein, S. 49ff.; Kommentierungen zu §§ 40-43 Aufwertungsgesetz bei Mügel, Aufwertungsrecht, und Neukirch, Gesetz über die Aufwertung. Scharfe Kritik übt Abraham, Aufwertungsgesetz, S. 226 (Ziffer 72
73
10). 76 Nachweise zum Meinungsstreit bei Mügel, DurchführungsVO, S. 318 (zu § 41). Zum geltenden Recht etwa unten in § 11 A III 3, 4. 77 Eingerichtet durch die vierte Verordnung zur Durchführung der GoldbilanzVO vom 28.8.1924, RGBl. I 697; näher Gottlieb, Der Genußschein, S. 54f.
5 3 Genußrechte
2.
in Deutschland
63
Kapitalverkehrsteuergesetz
Eine Bemerkung gehört den gesetzgeberischen Aktivitäten im Steuerrecht. Die Vorschriften des Reichsstempelgesetzes über die Besteuerung von Genußscheinen setzte das neue Kapitalverkehrsteuergesetz 7 8 außer Kraft. Nach § 5 des neuen Gesetzes galten Genußscheine, die eine Kapitalgesellschaft ausgegeben hat, nunmehr „als Gesellschaftsrechte an Kapitalgesellschaften" (Abs. 1 lit. b) und deren Inhaber „als Gesellschafter" (Abs. 3). Die gesetzliche Fiktion folgte allein wirtschaftlichen Gesichtspunkten. 79 Sie enthob die Rechtsprechung der gezeigten, bislang schwierigen Frage der steuerlichen Behandlung von Genußrechten, ist aber für die rechtssystematische Einordnung unergiebig.
III.
Schrifttum
Angesichts der erheblichen Zunahme von Genußrechten in der Praxis sowie der genannten Maßnahmen des Gesetzgebers greift das Schrifttum dieses Thema verstärkt auf. Abgesehen von Aufsätzen und handelsrechtlichen Standardwerken sind vor allem Monographien zu nennen. Allein aus dem Zeitraum zwischen 1921 und 1925 liegen hier über ein Dutzend einschlägige Dissertationen vor. 80 Neben den auch dort behandelten, anläßlich der Amortisation von Aktienkapital ausgegebenen Genußscheinen 81 interessieren hier Ausführungen über ansonsten geschaffene Genußrechte. Deren Subsumtion unter die Rechtsform der stillen Gesellschaft wird weiterhin diskutiert, jetzt aber im Ergebnis grundsätzlich abgelehnt. 82 Dabei werden etwa gegenüber der hohen Verkehrsfähigkeit von Genußscheinen die Umstände beim Wechsel in der Person des stillen Gesellschafters angeführt. Gefestigt erscheint im
78 Im Gesetz über Änderungen im Finanzwesen vom 8.4.1922 (Anlage 4), RGBl. 1335, 334; dazu noch in § 6 A II 2 a. Zum Reichsstempelgesetz oben unter A II 1. 79 Wertheimer, JW 1923, 573, 576, nach dem die gesetzliche Wertung „manches Mal zutreffend sein mag, in vielen Fällen aber zweifellos ungerechtfertigt ist". 80 Außer den in diesem Abschnitt noch anderweitig zitierten sind das etwa die Arbeiten von: Kievernagel, Lindt, Reher, Schärtl, Tilmann und Varrelmann\ siehe auch Reischer. Instrutive Ubersicht zu „Zwischenformen von Aktie und Schuldverschreibung" von Flechtheim in Düringer-Hachenburg, Das Handelsgesetzbuch, Anhang zu § 179, der (Anm. 5) den Genußschein als „eine internationale Erscheinung" bezeichnet und funktionell dem preferred share der englisch-amerikanischen Praxis vergleicht. 81 Zur rechtlichen Einordnung z.B. Kliwoneit, Die Genußscheine, S. 24ff.; Grabe, Bedeutung des Genußscheins, S. 63 ff. 82 So Kollmar, Die Genußscheine, S. 23 ff.; G. Werner, Bedeutung des Genußscheines, S. 44; Daenner, Die Genußscheine, S. 22f. und Kliwoneit, Die Genußscheine, S. 57f., der mit OLG Hamburg, Urteil vom 1.2.1904, in: Holdheim 13 (1904), 168, von einem Gesellschaftsverhältnis besonderer Art spricht. Zur früheren Diskussion oben A II 2.
64
Teil I: Entwicklung
und Grundfragen
der
Genußrechte
Schrifttum die Ansicht83, daß Genußscheine allein Gläubigerrechte verbriefen. Vereinzelt84 wird betont, es handele sich nicht um „reine" Gläubigerrechte, sondern durch die Art ihrer Entstehung um ein Mittelding zwischen Forderung und Aktie. Diese Einordnung ist - kann sie aus wirtschaftlicher Sicht auch treffen - rechtlich schief. Für die Qualifikation eines Rechtes ist maßgeblich dessen Gehalt, nicht die „Art" der Begründung. Die wirtschaftlich geprägte Betrachtung von Genußrechten ist typisch. Sie hat, wie wir schon sahen, Tradition und behält Gewicht. Versuche, Genußscheine nach bestimmten Kriterien in Kategorien zu fassen, setzen regelmäßig beim wirtschaftlichen Gehalt der Papiere oder dem Grund ihrer Entstehung an.85 Zu nennen ist der Ansatz des Ökonomen Rudolf Bethmann?b Er unterscheidet Genußscheine, die der Emittent ohne Kapitalzufluß etwa zur Ablösung von Vorrechten und Schulden, als Ausgleich für verlorenes Aktienkapital oder für Sacheinlage ausgibt (Typ I), und Genußscheine, die gegen Kapitalzufluß geschaffen werden (Typ II). Das trifft den wirtschaftlichen Sachverhalt. Doch bei der rechtlichen Einordnung von Genußrechten scheitern hier regelmäßig Versuche, weil sie in wirtschaftlichen Schemata verharren oder sich davon zumindest nicht ausreichend lösen. Die gewählten Ordnungsmuster variieren. Bei der rechtlichen Qualifikation von Genußrechten dominiert der Blick auf das Aktienrecht. Zwei Beispiele seien angeführt. Ein Modell unterscheidet im Kern87 folgende Rechtstypen: (1) Genußscheine mit schuldrechtlichem Charakter, die als Hauptforderung die Übertragung einer Quote des Reingewinns und/oder des Liquidationserlöses gewähren, daneben eventuell weitere Vermögensrechte, nie aber Verwaltungsrechte (sog. „echte" Genußscheine). (2) Als Genußscheine bezeichnete Papiere „aktienrechtlicher Natur", die neben dem Anspruch auf Anteil an Gewinn- und/oder Liquidationserlös auch mitgliedschaftliche Kennzeichen einer Aktie (Stimm-, Auskunftsrechte etc.) besitzen (sog. „unechte" Genußscheine). Der zweite Typus betrifft bei Auslosung von Aktien
83 Etwa Wertheimer, J W 1923, 573, 575 f.; Böckler, Der Genußschein, S. 134; Daenner, Die Genußscheine, S. 21 Rudolf Fischer in Ehrenbergs Handbuch 3/1, 396;/. v. Gierke, Handwörterbuch, S. 717. 84 Staub-Pinner, Kommentar zum H G B , § 179 Anm. 27 (allerdings widersprüchlich; vgl. dort Anm. 24). 85 G. Werner übernimmt die Dreiteilung von Klemperer (oben A II 2); Lenzner unterscheidet Genußscheine: an Gründer, bei Sanierung, zur willkürlichen Verteilung vermögensrechtlicher Bezüge, an Stelle amortisierter Aktien. 86 ZfhF 29 (1935), 424 f. Ihm im juristischen Schrifttum folgend z.B. Knoppe, B B 1966, 281; Ernst, Der Genußschein, S. 67 und Frantzen, Genußscheine, S. 63 (m.w. Nachw.). 87 Neurath, Die Genußscheine, S. 46ff.; Breit, Goldbilanz-Verordnung, S. 153 ff. (Anm. 189-193) und Daenner, Die Genußscheine, S. 24f., die in Einzelheiten differieren.
§ 3 Genußrechte
in
Deutschland
65
ausgegebene Genußscheine. 88 In deren Aussonderung, die heutzutage irrelevant ist, erschöpft sich dieser Ansatz. Bedeutsamer ist ein anderes Modell, das zwei Hauptgruppen unterscheidet 89 : (1) Genußscheine, bei denen die Gewinnbeteiligung jener der Stammaktien gleichgestellt ist und die mithin Anteilsrechte an der Gesellschaftssubstanz gewähren (sog. „aktienähnliche Genußscheine"); (2) Genußscheine, die allein Gläubigerrechte verbriefen (sog. „Genußobligationen"). Dieser Ansatz behandelt - insofern zutreffend - allein die unabhängig von einer Amortisation von Aktienkapital ausgegebenen Genußscheine. Seine Einteilung ist abzulehnen. Sie nimmt Bezug auf § 33 Zweite DurchführungsVO zur GoldbilanzVO 9 0 , der aber nur die Umstellung solcher „Rechte von Genußscheininhabern" regelt, die sich „nach den Rechten von Aktionären bestimmen". Einen besonderen Rechtstyp von Genußschein, wie ihn das genannte Schrifttum mit dem „aktienähnlichen Genußschein" aus der Vorschrift ableitete, hatte der Gesetzgeber schon nach dem Wortlaut nicht im Sinn. Das hat neben anderen Autoren auch das Reichsgericht festgestellt. 91 Dessen ungeachtet dürfte das damalige Mißverständnis, literarisch perpetuiert, eine Keimzelle der immer noch vertretenen These von sog. „aktienähnlichen" Genußscheinen sein. 92 Von den Reaktionen im Schrifttum auf die Sondergesetzgebung zu einzelnen Genußrechtsfragen bleibt noch die Ansicht 93 anzuführen, einige der gesetzlichen Regeln in weiter Auslegung auf alle Genußscheine anzuwenden.
IV.
Rechtsprechung
Genußrechte bevölkern weiterhin die Prozeßlandschaft. Die Rechtsprechung fußt wie bisher auf der Grundthese, Genußscheine könnten Rechte verschiedenster Art verbriefen. Für die rechtliche Beurteilung komme es deshalb zunächst darauf an, welcher Art diese Rechte im Einzelfall seien. An88 Daenner, Die Genußscheine, S. 24; Neurath, Die Genußscheine, S. 47 f. sowie Breit (vorstehende Fn.), der von „Pseudogenußscheinen" spricht; kritisch zur Definition Gottlieh, Der Genußschein, S. 19f. 89 Rosendorff, Goldbilanzierungsgesetz, S. 115 f.; Staub-Pinner, Kommentar zum HGB, §179 Anm. 30. Kartini, Die Genußscheine, S. 22 ff. (m.w. Nachw.), nennt als dritte Gruppe sog. „Metä-Genußscheine", bei denen sich der Reingewinnanteil nach einem bestimmten Schlüssel errechne und deren rechtlicher Aufbau weder aktien- noch obligationenähnlich sei. 90 So Rosendorff und Pinner (vorstehende Fn.). Der § 33 ist im Wortlaut oben unter I (im 5. Absatz) zitiert. 91 Im Ansatz schon Breit, Goldbilanz-Verordnung, S. 156f. (Anm. 197). Dem RG (dazu gleich in IV) zustimmend etwa Daenner, Die Genußscheine, S. 43f.;/. v. Gierke, Handwörterbuch, S. 718. 92 Dazu in § 4 A I 2. 93 Das erörtert, soweit ich sehe, allein Neurath, Die Genußscheine, S. 36ff., für den (oben unter II 1 a teilzitierten) § 12 GoldbilanzVO.
66
Teil I: Entwicklung
und Grundfragen
der
Genußrechte
teilsrechte an Jahresgewinn und Liquidationsmasse sowie den Zahlungsanspruch bei Kündigung ordnet danach das Reichsgericht 94 , inzwischen verfestigt zu ständiger Rechtsprechung, als Gläubigerrechte ein. Ansonsten rücken die Zeitumstände teilweise noch bis weit in die dreißiger Jahre Umstellungsund Aufwertungsfragen ins Zentrum der Gerichtspraxis. In ihrem Lichte werden einzelne Aspekte von Genußrechten aufschlußreich erörtert. Mit Blick auf den schon (oben in I) behandelten § 33 Zweite DurchführungsVO zur GoldbilanzVO ist vor allem die Frage der „Aktienabhängigkeit" von Genußrechten anzuführen. Das Reichsgericht leitet aus der Vorschrift zwei Prämissen ab. Zunächst müßten „die Rechte der einzelnen Genußscheininhaber in einer gewissen Beziehung zu Rechten der Einzelaktionäre stehen, im Gegensatz zu einer Ausgestaltung in der Weise, daß Rechte der Gesamtheit der Genußscheininhaber in ein derartiges Verhältnis zu Rechten der Aktionärschaft stehen"; hier folgt das Gericht einer verbreiteten Literaturmeinung. 9 5 Weiter soll die Aktienumstellung die im Genußschein verbrieften Einzelrechte nur insoweit erfassen, als sich der Inhalt des einzelnen Genußscheinrechts nach dem Inhalt der Aktionärsrechte richtet. Das Reichsgericht meint mit ,im Genußschein verbriefte Einzelrechte' etwa: das Gewinnanteilsrecht des Papierinhabers, seine Beteiligung an der Liquidationsmasse oder auch einen Ablösungsanspruch im Falle der Kündigung. Sie werden 9 6 jeweils als „aktienabhängig" eingestuft, wenn sie dem Genußscheininhaber einen Anteil gewähren, wie er einem Aktionär zufällt oder aber einen Bruchteil oder einen Hundertsatz davon. Ansprüche auf Beteiligung am bilanzmäßigen Reingewinn sind regelmäßig aktienabhängig gestaltet. Hier wie bei den übrigen Rechten kann die Einordnung im Einzelfall aber schwierig sein, das zeigen vorliegende Entscheidungen. 97 Unabhängig davon ist angesichts abweichender Ansichten im Schrifttum die sachgerechte Differenzierung des Reichsgerichts festzuhalten, daß derselbe Genußschein aktienabhängige und aktienunabhängige Genußrechte verbriefen kann. Abschließend ist noch die Einlassung des Reichsgerichts zur Anwendung von § 63 Abs. 2 Nr. 1 Aufwertungsgesetz zu nennen, der „Gesellschaftsverträge und Beteiligungsverhältnisse" einheitlich der Aufwertung nach § 242 BGB unterstellt. Den Begriff „Beteiligungsverhältnis" legt das Gericht weit aus und subsumiert darunter auch die Teilhabe der Genußscheininhaber am Reingewinn: Dieses „bedingte Gläubigerrecht" sei „ein, wenn auch eigenarti-
94 RG, Urteil vom 16.11.1926 - II 135/26, RGZ 115,227,230; zur früheren Rechtsprechung oben in A II 3. 95 Nachweise ebenda. 96 RG, ebenda, S. 232. 97 RG, Urteile vom: 16.11.1926 (aaO.) 231 ff.; 30.9.1927 - II 40/27, RGZ 118, 152 ff.; 13.3.1931 - II 315/30, RGZ 132, 199ff.; vgl. auch vom 30.6.1927 - II 7/27, RGZ 117, 379, 384 sowie Daenner, Die Genußscheine, S. 44 ff. (m. Nachw. zum Schrifttum).
§ 3 Genußrechte
in Deutschland
67
ges, Gewinnbeteiligungsverhältnis". 9 8 Ü b e r die allgemeine Genußrechtsnatur sagen freilich weder Subsumtion noch gesetzliche Gleichbehandlung von „Gesellschaftsvertrag und Beteiligungsverhältnis" etwas aus. Letztere reagiert als Sonderregel darauf, daß - so das Reichsgericht" - die wirtschaftliche Entwicklung Verhältnisse geschaffen habe, die in keinen der vom Gesetz für Gesellschaften vorgesehenen Rahmen paßten, den Gesellschaftsverhältnissen aber in Ansehung der Aufwertung gleichgestellt werden müßten. Diese B e handlung ist aufschlußreich, um Genußrechte ihrem Wesen nach zu erfassen und rechtlich einzuordnen.
C. Genußrechte
bis in die
Gegenwart
Die dritte bedeutende Periode der Genußrechte im 20. Jahrhundert beginnt Anfang der achtziger Jahre. Sie reicht bis in die Gegenwart und ist Gegenstand der weiteren Untersuchung. Die Grundlinien werden erst in der G e samtschau deutlich. Vorab ist daher der Rückblick auf die Entwicklung in der Zwischenzeit (etwa 1924-1980) geboten, in der Genußrechte nahezu bedeutungslos waren.
1. Rückblende:
Zeit der
Bedeutungslosigkeit
Die allgemein bewegte, gut ein halbes Jahrhundert messende Zeitspanne umfaßt die beiden großen deutschen Aktienrechtsreformen des 20. Jahrhunderts. D e r Uberblick zeigt, daß die Finanzverfassung der Aktiengesellschaft grundlegend von der ersten Reform des Jahres 1937 geprägt ist. Für die B e handlung ihrer finanzwirtschaftlichen Rechtsinstitute, zu denen Genußrechte zählen, müssen wir auch heute noch dort ansetzen. Zunächst zu den Verhältnissen im Uberblick.
1. Allgemeine
Verhältnisse
Von der Hochphase in den zwanziger und dreißiger Jahren aus verfällt das Interesse an Genußrechten zunehmend. Nach dem zweiten Weltkrieg sind zunächst noch vor 1945 begebene Genußscheine vorhanden. Ihre Zahl ist aber, wie auch bei anderen Wertpapierformen, gegenüber dem ursprünglichen Umfang der Emissionen durch kriegsbedingte Verluste dezimiert. Das erfordet in den Westzonen und in Berlin eine allgemeine Wertpapierbereinigung. Zum Stichtag 1.12.1950 werden dabei Genußscheine von rund 110 Gesell98 RG, Urteil vom 30.6.1927 - II 7/27, R G Z 117, 379, 384. Zur Auslegung von § 63 Abs. 2 Nr. 1 AufwG bei Mügel, Aufwertungsgesetz, S. 401 (Ziffer 3.1.). 99 RG, Urteil vom 6.12.1928 - IV 93/28, R G Z 122, 387, 391 f.
68
Teil I: Entwicklung
und Grundfragen
der
Genußrechte
Schäften verzeichnet. 100 Neuemissionen sind in der Zeit nach 1945 bis Ende der siebziger Jahre selten. Einige dieser Zertifikate sind bekannt. 101 Allen voran die Genußscheine der Audi N S U Auto Union A G (Neckarsulm/Ingolstadt) von 1969 zur Regelung der Rechte am legendären Wankelmotor sowie die gegen Einlagen begebenen Genußscheine der Ilse Bergbau-AG (Köln) von 1960 und der Triumph Interdress A G (München) von 1964/65. Erwähnenswert ist die Ausgabe von Genußscheinen durch die Deutsche Bundesbank. Sie entstehen 1961 bei der Auflösung der Deutschen Reichsbank durch Umtausch gegen die alten Reichsbankgenüsse. 102 Die noch bis 1976 gehandelten Genußscheine gewährten dem Inhaber außer Anteil an einem Liquidationserlös nach gesetzlicher Dotierung der Rücklagen einen Anteil in Höhe von 6% des Nennwertes aus dem Reingewinn, bei dessen Dürftigkeit einen Nachzahlungsanspruch. Die Genußrechte waren nicht im Jahresabschluß auszuweisen, jedoch im Geschäftsbericht zu erwähnen. Diese Publizitätsregel erinnert an den aktienrechtlichen § 260a Abs. 3 Nr. 4 HGB, der mit der Aktienrechtsnovelle 1931 für nach dem 31.12.1930 beginnende Geschäftsjahre galt. 103 Er normierte erstmals die Pflicht zu Angaben über die im Laufe des Geschäftsjahres ausgegebenen Genußscheine im Geschäftsbericht. Angesichts von Zusammenbrüchen großer Aktiengesellschaften war die Vorschrift in einem Paket weiterer Regeln über Offenlegung, Bilanzprüfung und Aufsichtsrat aus dem Reformprozeß abgesondert und kurzfristig in Kraft gesetzt worden. Anzuführen bleibt aus der nationalsozialistischen Ära die Lenkung von Gesellschaftern zustehenden Gewinnanteilen in Reichsanleihen durch das Anleihestockgesetz, das auch Genußrechte auf Reingewinn erfaßte. 104 Gehen wir noch einmal in die ersten Nachkriegsjahre. Sie bringen mit den Währungsgesetzen neben dem Ubergang von Reichsmark auf Deutsche M a r k zum Währungsstichtag (21.6.1948) 105 einschneidende Änderungen für bestehende Rechtsverhältnisse, betreffen also auch Genußrechte. Genannt seien zwei Regelwerke. Das von den alliierten Militärregierungen der drei westli100 Ernst, Der Genußschein, S. 68 (dort Fn. 67). Aktiengesellschaften gab es in dieser Zeit bundesweit insgesamt 2559; Zöllner, in: Kölner Kommentar Einleitungs-Band, Rn. 85. 101 Übersicht bei Frantzen, Genußscheine, S. 64-72; Wedel, Der Partizipationsschein, S. 44 f. 102 Dazu oben in A I (a.E.). Zu den Genußscheinen der Bundesbank nach §§ 3, 5 Abs. 1, 2 Gesetz über die Liquidation der Deutschen Reichsbank und der Deutschen Golddiskontbank vom 2.8.1961, BGBl. I S. 1165: Frantzen, Genußscheine, S. 73f. 103 Eingefügt durch Verordnung des Reichspräsidenten über Aktienrecht vom 19.9.1931, RGBl. I S. 493. Scblegelberger/Quassowski/Scbmölder, Verordnung über Aktienrecht, S. 132 (Ziffer 2) und § 260a, Rdnr. 22-24. 104 Nach Art. 1 lit. a Durchführungs- und ErgänzungsVO vom 27.2.1935, RGBl. I 316; ausgenommen waren nach §§ 37 ff AufwG 1925 entstandene Genußrechte. 105 § 1 Abs. 1 Erstes Gesetz zur Neuordnung des Geldwesens (Währungsgesetz) vom 18.6.1948. Abdruck bei Harmening, Währungsgesetze, S. 1 und Harmening/Duden, Die Währungsgesetze, S. 2, die (S. 79 ff.) in die Währungsgesetzgebung einführen.
5 3 Genußrechte
in
Deutschland
69
chen Besatzungszonen erlassene Umstellungsgesetz 1 0 '' sowie das vom Bundesgesetzgeber beschlossene D-Mark-Bilanzgesetz. 1 0 7 Dieses verpflichtet alle Kaufleute, rückwirkend zum Währungsstichtag Inventar und Eröffnungsbilanz in D - M a r k aufzustellen. Es bereinigt so - nach dem Vorbild der Goldbil a n z V O von 1923 1 0 8 - die überholten Wertansätze der Reichsmarkbilanzen und führt zur Neufestsetzung des Kapitals. Beide neuen Regelwerke erfassen Genußrechte, ohne sie ausdrücklich zu erwähnen. Entscheidend ist die Abgrenzung zwischen Wert- und Summenrechten. 1 0 9 Lautet ein Genußrechtanspruch auf einen festen Betrag (Summenrecht), wird er nach § 18 Abs. 1 Nr. 3 U m s t G im Verhältnis 1 : 1 umgestellt. Wertbezogene Genußrechte, z.B. auf Aktienrechte ausgerichtete Anteile an Gewinn und/oder Vermögen eines Unternehmens, sind der Umstellung entzogen. Sie richten sich als aktienabhängige Gläubigerrechte nach den durch die Neufestsetzung entstandenen Kapital- und Gewinnverhältnissen ( § 4 1 Abs. 2 D-Mark-Bilanzgesetz). Wie schon bei der Umstellung im Jahre 1924 beschäftigt Literatur 1 1 0 und Gerichte daher vor allem die Frage, wann ein G e nußrecht „aktienabhängig" und damit ein Wertrecht ist. Die Rechtsprechung beantwortet diese Frage im Grundsatz auf ihrer Linie der zwanziger Jahre. 1 1 1 Das gilt auch für den Verwässerungsschutz aktienabhängiger Genußrechte bei Neufestsetzung des Kapitals nach § 41 Abs. 2 D-Mark-Bilanzgesetz: Wirtschaftliche Beeinträchtigungen der Genußrechtsposition seien zulässig, nicht aber ein Eingriff in den rechtlichen Bestand. 1 1 2 Festzuhalten ist, daß G e nußrechte zwar weiterhin allgemein den Schuldverhältnissen zugeordnet, bei der Umstellung aber erneut 113 als „obligatorische Beteiligung" behandelt werden. Anzumerken bleibt ein Urteil aus dem Jahre 1959, in dem der Bundesgerichtshof erstmals die direkte und analoge Anwendung der Regeln der stillen Gesellschaft auf Genußrechte anspricht. Beides lehnt er ab; dafür fehle als Grundvoraussetzung ein personalistischer Zusammenschluß mehrerer Perso106 Als Drittes Gesetz zur Neuordnung des Geldwesens in Kraft getreten am 27.6.1948; abgedruckt bei Harmening, Währungsgesetze, S. 28 ff. und Harmening/Duden, Die Währungsgesetze, S. 19ff. 107 Vom 21.8.1949, B G B l . S. 279. Einführend dazu Schmölder/Geßler/Merkle, D-Mark-Bilanzgesetz, S. 35 ff. 108 Dazu oben sub B I und II 1 a. 109 Näher Harmening/Duden, Die Währungsgesetze, U m s t G § 13, Anm. 14 und § 18, Anm. 17 (S. 247 f) sowie Schulze, B B 1950, 19, 20. 110 Dazu Caemmerer,JL 1951, 417, 419 ff (m.w. Nachw.). Zur Umstellung 1924 oben sub B I, III und IV; zum Substanz- oder Wertrechtcharakter - auch von Genußrechten - unten in § 4 B III. 111 B G H , Urteile vom 5.3.1959 - II Z R 145/57, W M 1959, 434 und 24.11.1958 - II Z R 248/ 56, W M 1 9 5 8 , 1 5 4 1 , 1 5 4 2 ; vgl. B G H , Urteil vom 23.10.1958 - II Z R 4/57, B G H Z 28, 259ff. (zu den „Harpen-Bonds" als Inhaberschuldverschreibung). Unterschiede beider Umstellungen nennen Harmening/Duden, Die Währungsgesetze, § 13 Umstellungsgesetz, Anm. 13. 112 B G H , Urteil vom 23.10.1958 (vorstehende Fn.), 277f. 113 Wie in der Umstellung 1924; dazu oben B IV (letzter Absatz).
70
Teil I: Entwicklung
und Grundfragen
der
Genußrechte
nen zu einer Zweckgemeinschaft. 114 Genußscheine erschöpften sich in geldwerten Ansprüchen, die ihrem Wesen nach in keiner Weise gesellschaftsrechtlich geprägt seien, und verkörperten demgemäß weder Kontroll- noch Mitwirkungsrechte. Diese Einlassung zeigt ihrer Diktion nach die grundsätzliche Position des erkennenden Senats, erscheint im Urteilskontext aber als obiter
dictum.
In der Nachkriegszeit schaffen immer mehr Gesellschaften noch bestehende Genußrechte auf verschiedenen Wegen ab, etwa durch Umtausch in Aktien oder Rückkauf. Mangels Neuemissionen sinkt daher der Handel mit Genußscheinen stetig. Gesamtwirtschaftlich sind sie schon in den fünfziger Jahren bedeutungslos. Ein Zustand, der bis in die achtziger Jahre andauert. 115 Das schwindende Interesse in der neuen Bundesrepublik an der Akquisition von Kapital über Genußrechte ist praktisch erklärbar. Der im Wirtschaftswunder gipfelnde Neuaufbau der Volkswirtschaft ist für das nationale wie internationale Kapital attraktiv. Die Unternehmen können ihren Bedarf daher bereits anderweitig decken. Bei den Aktiengesellschaften wird diese Entwicklung zu Lasten von Genußrechten als Anlageform durch rechtliche Rahmenbedingungen nachhaltig begünstigt.
2. Aktienrechtsreform
1937
Den Rechtsrahmen schafft die mit dem Aktiengesetz 116 von 1937 vollzogene Reform des Aktienrechts in Form neuer Möglichkeiten der Kapitalbeschaffung und Finanzierung.
a) Reformverlauf
und
Finanzierungsregeln
Die Reform gründet auf der Diskussion in der Weimarer Republik. 117 Das damals geltende Recht entstammte weithin noch dem Aktiengesetz von 1884. Seit jenem Beginn modernen deutschen Aktienrechts hatte tiefgehender Strukturwandel das Aktienwesen erfaßt. Ausbildung der Großunternehmung, Konzentrationsbewegung durch Kartell- und Konzernbildung sowie Dominanz der Verwaltung über die Kapitalgeber bei schwindendem Einfluß des Einzelaktionärs - das sind Kennzeichen der Entwicklung." 8 Die Folge Urteil vom 5.3.1959 - II ZR 145/57, W M 1959, 434, 436. " 5 Von den wenigen literarischen Bearbeitungen dieser Zeit seien noch Knoppe, BB 1966, 281 ff. und Ernst, AG 1967, 75 ff. genannt; zum Umschwung gleich sub II. '"' Gesetz über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien vom 30.1.1937, RGBl. I 107. 117 Zu Einzelheiten später noch an entsprechenden Stellen. Näher zur Reform Klausing, Gesetz über Aktiengesellschaften, S. 17ff.; Schubert, in: Schubert/Hommelhoff, Die Aktienrechtsreform am Ende der Weimarer Republik, S. 25 ff.; ders., in: Schubert, Ausschuß für Aktienrecht, S. XXff. Auch Drescher, Sicherung der Interessen des Einzelaktionärs, S. 33 ff. 118 Eingehend Drescher, Sicherung der Interessen des Einzelaktionärs, S. 3-32. ,H
§ 3 Genußrechte
in
Deutschland
71
war eine seit Anfang der zwanziger Jahre zunehmende Reformdiskussion. Sie umfaßt die stets aktuelle Frage, wie die Finanzierung der Aktiengesellschaften effizient zu regeln ist. Im Raum stehen etwa: Unterpariemission, Quotenaktie, genehmigtes Kapital, bedingte Kapitalerhöhung, Schuldverschreibungen mit Umtausch- oder Bezugsrecht, Vorzugsaktie ohne Stimmrecht und auch der Genußschein, um nur einige Stichworte zu nennen, von denen viele für uns heute geläufiges Handwerkszeug sind. Zunächst zur Chronologie der Reform. Mit am Anfang stehen Mitte der zwanziger Jahre zwei Juristentage, die nach dem deutschen Zusammenbruch rechtsvergleichend Wege zur Lösung des Kapitalmangels der Unternehmen diskutieren. D e r 33. Deutsche Juristentag in Heidelberg 1924 behandelt angesichts des hohen Kapitalbedarfs der deutschen Wirtschaft nach dem Zusammenbruch die Frage, ob sich nach „anglo-amerikanischem" Vorbild Änderungen der Aktiengesetzgebung zur Erleichterung der Kapitalbeschaffung empfehlen. Die Antwort fällt weithin abschlägig aus. 119 Auch der 34. Deutsche Juristentag 1926 in Köln, den die Diskussion über eine umfassende R e form des Aktienrechts prägt, lehnt den vorgelegten Gutachten 1 2 0 folgend eine Reform durch Annäherung an das „anglo-amerikanische R e c h t " grundsätzlich ab. Dennoch rücken gerade die dort beheimateten, uns interessierenden Hybridformen der Unternehmensfinanzierung wie income oder convertible bonds mit den Juristentagen in den Blickpunkt eines breiteren wissenschaftlichen Diskurses. Insgesamt bleiben aber die Unklarheiten über den Reformbedarf bestehen. Fachkreise 121 ringen weiter um Antworten. Einen Markstein setzt die Fragebogenaktion des Reichsjustizministeriums 1929, die Wissenschaftler, Praktiker, Verbände und Gewerkschaften anspricht. 122 1930 liegt der erste Entwurf eines Aktiengesetzes vor, und Teile der überarbeiteten Fassung werden in der schon (oben 1) genannten Aktienrechtsnovelle im September 1931 umgesetzt. Den im O k t o b e r 1931 folgenden zweiten Entwurf 1 2 3 berät zunächst der dazu gebildete aktienrechtliche Arbeitsausschuß des Vorläufigen Reichswirtschaftrates. Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung befaßt sich der Ausschuß für Aktienrecht der Akademie für Deutsches Recht mit ihm, und ein weiterer Gesetzentwurf von 1935 führt schließlich zum Aktiengesetz von " ' Dazu die Beschlüsse des Juristentages, in: Verhandlungen des 33. D J T (Heidelberg) 1924, S. 427{. 120 Abgedruckt in Verhandlungen 34. D J T (Köln) 1926, Band 1: Julius Lehmann, S. 258 ff.; Band 2: Pinner; Solmssen und Heymann, S. 611 ff.; Beschlüsse (nachfolgende Fn.) S. 797f. 121 Darunter die vom Juristentag berufene Kommission zur Prüfung der „Frage einer etwa notwendigen Reform des deutschen Aktienrechts"; dazu Beschluß Nr. 3, Verhandlungen 34. D J T (Köln) 1926, Band 2, 798 und, mit weiteren Angaben, Schubert, in Schubert/Hommelhoff, aaO., S. 28 f. 122 Herausragend die Antworten des Deutschen Anwaltvereins, in: dessen Druckschriften Nr. 20 (zu Fragebogen I-IV) und Nr. 22 (zu Fragebogen V - I X ) mit Abdruck der zugehörigen Fragebögen. 123 Abgedruckt bei Schubert/Hommelhoff, Die Aktienrechtsreform, S. 849ff.
72
Teil I: Entwicklung
und Grundfragen
der
Genußrechte
1937.124 Die letzten Etappen der Reform fordern zu Recht die Frage, inwieweit dieses Aktiengesetz vom Nationalsozialismus ideologisiert worden ist. Diese Frage ist hier nicht im einzelnen zu beantworten. 125 Im Bereich der hier behandelten Finanzverfassung weicht das Aktiengesetz jedenfalls nicht wesentlich von den Reformüberlegungen am Ende der Weimarer Republik ab. Inhaltlich wird insoweit ein Konzept umgesetzt 126 , das - nach Angaben des Reichsjustizministeriums zum Entwurf von 1931127 - zur Sicherstellung des Grundkapitals im Interesse der Aktionäre und Gläubiger an überkommenen aktienrechtlichen Grundsätzen festhält und zugleich dem unabweisbaren Bedürfnis nach neuen Formen der Finanzierung und Kapitalbeschaffung Rechnung trägt. Der Regelungskanon umfaßt weitere Kernpunkte. Etwa das Verbot der Ausgabe von Aktien für einen geringeren Betrag als den Nennbetrag (Unterpariemission, § 9 Abs. 1 AktG 1937), das die Aufbringung des satzungsmäßigen Grundkapitals sichert. Andere Regeln eröffnen neue Wege zur Kapitalbeschaffung. Die Einführung des genehmigten Kapitals (§§ 169-173 AktG 1937) bietet dem Vorstand die Möglichkeit kurzfristiger Kapitalbeschaffung und erhöht damit den Bewegungsspielraum der Aktiengesellschaft am Markt. Weitere Flexibilität bringt, freilich in eng begrenztem Verwendungsfeld, die bedingte Kapitalerhöhung (§§ 159-168 A k t G 1937). Schließlich seien die Zulassung von Vorzugsaktien ohne Stimmrecht bis zur Höhe von einem Drittel des Grundkapitals (§§115-117 AktG 1937) sowie von Wandel- und Gewinnschuldverschreibungen (§ 174 A k t G 1937) als Mittel der Kapitalbeschaffung genannt. Diese neuen rechtlichen Möglichkeiten bestehen beim Wiederaufbau im Nachkriegsdeutschland ihre Bewährungsprobe. Die Gesellschaften agieren mit ihnen erfolgreich. Neben dem Institut des genehmigten Kapitals ist es hier vor allem die stimmrechtlose Vorzugsaktie, die den Genußschein verdrängt. Als reine Finanzierungsvorzugsaktie kann über sie ohne Bedenken vor Überfremdung 1 2 8 Kapital beschafft werden. Die Zielgruppe unter den Anlegern ist primär am Ertrag einer Beteiligung und nicht an der Wahrnehmung von Gesellschafterrechten interessiert. Die vermögensrechtliche Ausstattung der Vorzugsaktien ist nach Lage des Kapitalmarktes flexibel gestaltbar. Zahlungspflicht besteht für den Emittenten nur bei entsprechender Gewinnlage. Damit kann er nach seinem Kapitalbedarf Wertpapiere mit attrakti-
124 Zu den Akademieberatungen Schubert, in: ders., Ausschuß für Aktienrecht, S. X X V f f . ; z u m weiteren Gang ders., ebenda, S. X L . 125 Dazu Begründung E A k t G 1965, BT-Drs. 3/1915, S. 92, und Schubert, aaO., S. XLVI, die das Gesetz inhaltlich der Reformrichtung der Weimarer Republik verpflichtet sehen. 126 Wenn auch teilweise aus veränderten Motiven; siehe dazu das Beispiel unten (Fn. 128). 127 Erläuternde Bemerkungen, abgedruckt bei: Schubert/Hommelhoff, Die Aktienrechtsreform, S. 923. 128 Die amtliche Begründung, bei: Klausing, Gesetz über Aktiengesellschaften, S. 103, hatte hier - ideologisch verzerrt - nur „ausländisches" Kapital im Blick.
§ 3 Genußrechte in Deutschland
73
ven Vorzügen anbieten, die bekannten und bewährten aktienrechtlichen Regeln unterliegen. Stimmrechtlose Vorzugsaktien erfüllen so insgesamt o f fenbar allseitige Bedürfnisse. D a s Interesse an G e n u ß r e c h t e n als Mittel der Kapitalbeschaffung schwindet. A u c h in anderen Einsatzbereichen - etwa bei Sanierungen, w o die Regeln über vereinfachte Kapitalherabsetzung neue Wege eröffnen 1 2 9 - verlieren sie ihre Bedeutung. D a m i t geraten G e n u ß r e c h t e im K o n t e x t der Zeitumstände allgemein aus dem Blickfeld.
b) Speziell Genußrechte U n a b h ä n g i g von dieser späteren E n t w i c k l u n g bleibt festzuhalten, daß G e nußrechte im Zuge der R e f o r m in die neue aktienrechtliche Kodifikation aufg e n o m m e n werden. N a c h § 128 A b s . 2 N r . 5 A k t G 1937 m u ß der Geschäftsbericht Angaben über die im Geschäftsjahr neu geschaffenen und die bestehenden G e n u ß r e c h t e enthalten. D a s entspricht im G r u n d s a t z dem zuvor geltenden § 260a H G B . 1 3 0 D e r § 1 7 4 A b s . 3 A k t G ordnet die sinngemäße Geltung seines Absatzes 1 (über die Ausgabe von Schuldverschreibungen, die vor allem einen B e s c h l u ß der Hauptversammlung voraussetzt) für die Schaffung v o n G e n u ß r e c h t e n an. § 174 Abs. 4 A k t G 1937 gewährt den A k t i o n ä r e n ein Bezugsrecht auf G e n u ß r e c h t e . D e r G r u n d für diese Sonderregeln liegt auf der H a n d . Sie sollen von der Ausgabe betroffene Vermögensrechte des einzelnen A k t i o n ä r s ( G e w i n n - und Beteiligungsquote) schützen. Vorgaben zur inhaltlichen Gestaltung v o n G e n u ß r e c h t e n enthält das G e s e t z nicht. A u f s c h l u ß dazu geben die erläuternden B e m e r k u n g e n des Reichsjustizministeriums z u m E n t w u r f von 1931. 1 3 1 U n m i t t e l b a r im A n s c h l u ß an die M o t i v e zur Einführung der Vorzugsaktie ohne Stimmrecht als neue Finanzierungsf o r m heißt es dort: „Von einer besonderen Regelung der sonstigen Zwischenformen von Aktien und Schuldverschreihungen, also insbesondere von Gewinn-Schuldverschreibungen, Genußscheinen, Genußaktien sieht der Entwurf ab. Sie sind ihrer Ausgestaltung und ihrem Zwecke nach derart mannigfaltig und ihre weitere Entwicklung ist noch so sehr im Fluß, daß eine ins einzelne gehende Regelung auf diesem Gebiet nur hemmend wirken könnte. Ihre Ausgestaltung bleibt daher einstweilen zweckmäßig der Praxis überlassen. Aus diesem Grunde ist auch von einer Begriffsbestimmung für Genußscheine abgesehen." D i e amtliche Begründung zu § 174 A k t G 1937 1 3 2 betont, in der Vorschrift über Wandel- und Gewinnschuldverschreibungen sowie G e n u ß r e c h t e sei:
129 Siehe Verordnung des Reichspräsidenten vom 6.10.1931, RGBl. I 537, 556f. und §§ 182191 AktG 1937; dazu Frantzen, Genußscheine, S. 75. 130 Dazu oben unter 1. 131 Abdruck bei Schubert/Hommelhoff, Die Aktienrechtsreform, S. 907ff.; nachfolgendes Zitat dort auf S. 929. 132 Abdruck bei Klausing, Gesetz über Aktiengesellschaften, S. 155.
74
Teil I: Entwicklung und Grundfragen der Genußrechte
„keine Neueinführung dieser Zwischenformen zwischen Aktie und Schuldverschreibung zu erblicken. Vielmehr sind diese Formen bereits nach geltendem Recht zulässig und in der Praxis in den mannigfaltigsten Formen ausgestaltet worden. Die uneingeschränkte Möglichkeit, solche Papiere zu schaffen und auszugestalten, hat jedoch zu Mißbräuchen verschiedenster Art geführt. Der Entwurf schreibt daher gewisse Sicherungen vor, die Mißbräuche dieser Rechtseinrichtung verhüten sollen."
Abgesehen von diesen Sicherungen, auf die wir später n o c h eingehen, beläßt der historische Gesetzgeber der Praxis mithin Regelungsfreiheit für die Ausgestaltung von G e n u ß r e c h t e n .
3. Aktienrechtsreform
1965
D a s zweite große aktienrechtliche R e f o r m w e r k dieses Jahrhunderts, das geltende Aktiengesetz 1 3 3 v o n 1965, ist das Ergebnis einer seit A n f a n g der fünfziger J a h r e auf breiter F r o n t geführten Reformdiskussion. I m Z e n t r u m steht der Dividendenschutz für Kleinaktionäre, die Publizität sowie das K o n z e r n recht mit den Kernfragen nach Leitungsmacht und Verantwortlichkeit. 1 3 4 D i e s e Bereiche, v o m Aktiengesetz 1937 nur u n v o l l k o m m e n beachtet, werden allgemein als verbesserungsbedürftig angesehen. Anders ist die Lage bei den Regeln zur Finanzverfassung der Aktiengesellschaft. H i e r griff die Aktiennovelle von 1959 vor 1 3 5 : Sie eröffnete den Weg, eigene A k t i e n zur Ausgabe an die Belegschaft zu erwerben und verbesserte die Publizität durch Neugliederung der G e w i n n - und Verlustrechnung. V o r allem aber regelte sie erstmals die (sog. nominelle) Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln, bei der freie Rücklagen buchmäßig in gebundenes Gesellschaftsvermögen umgewidmet werden. A n s o n s t e n ü b e r n i m m t das Aktiengesetz 1965 im Bereich der Finanzierungsformen und Regeln zur Kapitalbeschaffung die E c k d a t e n des Aktiengesetzes 1937. Das gilt auch für Genußrechtsregeln. D e r vorhin genannte § 174 A k t G 1937 zur Ausgabe von G e n u ß r e c h t e n wird - abgesehen von sprachlichen Änderungen des A b s . 1 und dem Wegfall der Genehmigungspflicht nach §§ 795, 808a B G B 1 3 6 - in § 2 2 1 A k t G 1965 ü b e r n o m m e n . D i e Berichtspflicht über G e n u ß r e c h t e im Geschäftsbericht nach § 128 A b s . 2 Nr. 5 A k t G 1937 ü b e r n i m m t § 148 A b s . 2 N r . 6 A k t G 1965. A n z u m e r k e n bleiben zwei Änderungen. D e r Bundesgesetzgeber verdoppelt vor allem den zulässigen Gesamtnennbetrag stimmrechtsloser Vorzugsaktien (§ 139 Abs. 2 A k t G ) und fügt z u m Schutz auch von Gläubigeransprüchen vor Verwässerung § 2 1 6 Abs. 3 A k t G ein, der § 12 K a p E r h G nachge-
Vom 6.9.1969, BGBl. I 1089. Uberblick bei Zöllner, in: Kölner Kommentar Einleitungs-Band, Rn. 72ff. (m.w. Nachw.). 135 Sogenannte „kleine Aktienrechtsrefom", Gesetz über die Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln und über die Gewinn- und Verlustrechnung vom 23.12.1959, BGBl. I S. 789. 136 Dazu insgesamt Begründung EAktG vom 13.6.1960, BT-Drs. 3/1915, S. 198 (zu § 210). 133 134
5 3 Genußrechte
in
Deutschland
75
formt ist. Davon abgesehen ist festzuhalten: Die heute für die Finanzierung von Aktiengesellschaften geltenden aktienrechtlichen Normen gründen weithin auf der Aktienrechtsreform von 1937. Für Genußrechte sind die seither bestehenden Kerntatbestände unverändert, und erst die - gleich genannte europäische Rechtsvereinheitlichung zeitigte für sie weitere Sondernormen im Aktienrecht.
II. Wiederentdeckung
Ende der achtziger Jahre
Die Zeit der Bedeutungslosigkeit von Genußrechten ging Anfang der achtziger Jahre zu Ende. Genußrechte, weiterhin gesetzlich allgemein ungeregelt, waren schon zuvor im Schrifttum vereinzelt wieder als Finanzinstrument erörtert worden. 137 1980 begab die Bertelsmann AG, Gütersloh, als erstes Unternehmen Genußrechte an Mitarbeiter. Angesichts der zu dieser Zeit aufkommenden, oben 138 schon behandelten Diskussion um die Eigenkapitalausstattung deutscher Unternehmen wird der Gesetzgeber tätig.
1. Gesetzgebung: Sonderbereiche und
Aktiengesetz
Der Gesetzgeber schreibt in Sonderbereichen Kriterien für die Ausgestaltung von Genußrechten fest. Da wir einzelne Fragen später noch aufgreifen, genügt hier der Überblick. Ende 1983 ist es zunächst das 1. Vermögensbildungsgesetz, bei dem der Einsatz (auch) von Genußrechten zwei Zielen dienen soll139: Anregung der Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital der Wirtschaft bei gleichzeitiger Verbesserung der Kapitalbasis der Unternehmen durch staatliche Förderung der Vermögensbildung. Dazu wurden in den Anlagekatalog § 2 Abs. 1 Nr. 2 des 4. Vermögensbildungsgesetzes Genußscheine aufgenommen, die einen Anteil am Gewinn eines inländischen Unternehmens gewähren. Das eröffnete den Weg, die pro Arbeitnehmer auf 936 D M erhöhten vermögenswirksamen Leistungen in Genußscheine als eine
137 N e b e n Ernst, D e r G e n u ß s c h e m im deutschen u n d schweizerischen Aktienrecht, 1963; Wedel, D e r Partizipationsschein als Kapitalbeschaffungsmittel der Aktiengesellschaft, 1969 (ebenfalls mit vergleichendem Schwerpunkt nach schweizerischem Recht); weiterhin etwa Schudt, D e r Genußschein als genossenschaftliches Finanzierungsinstrument, 1974. A u s dem anschließenden Schrifttum zur Ubersicht etwa Pougin, Genußrechte, 1987; Bundschuh/Hadding/Schneider (Hrsg.), Recht und Praxis der Genußscheine, 1987; betriebswirtschaftlich geprägt die Dissertationen von Capelle (1989), Fischer (1989), Oettmeier (1989) u n d Singer (1990).
138 139
In§ 1 All 2.
Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 2.9.1983, BT-Drs. 10/337, S. 1,10. Gesetz zur F ö r d e r u n g der Vermögensbildung der Arbeitnehmer durch Kapitalbeteiligung v o m 22.12.1983, BGBl. I S. 1592ff.; zur steuerlichen Seite gleich sub 2. Übersicht (auch zu den folgend genannten Gesetzen) bei Frantzen, Genußscheine S. 78 ff.
76
Teil I: Entwicklung
und Grundfragen
der
Genußrechte
Form der „Kapitalbeteiligung" 1 4 0 anzulegen. Das 5. Vermögensbildungsgesetz 141 begrenzte die Begünstigung auf Genußrechte, die vom Arbeitgeber oder von einem Unternehmen ausgegeben werden, das kein Kreditinstitut ist. Der zweite Bereich ist die Kreditwirtschaft. Zur Stärkung der Eigenkapitalbasis führt dort Ende 1984 die dritte Novelle des Kreditwesengesetzes nach kontroverser Diskussion Genußrechtkapital im Sinne von § 10 Abs. 5 K W G als neue Kategorie bankaufsichtsrechtlichen „haftenden Eigenkapitals" ein. 142 Der Begriff „haftendes Eigenkapital" nach § 10 K W G wird später in das H y pothekenbankgesetz übernommen. 1 4 3 Danach können neben Kreditinstituten auch Hypothekenbanken durch Genußrechtskapital ihre Eigenmittel verstärken. Mit Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes 144 im Jahre 1986 besteht diese Möglichkeit auch bei Versicherungsunternehmen. Für sie anerkennt der Gesetzgeber nach dem Vorbild des K W G Genußrechtkapital im Sinne von § 53c Abs. 3a VAG versicherungsaufsichtsrechtlich als Eigenmittel. Gleichzeitig erlaubte der Gesetzgeber den Versicherungsunternehmen, in einem bestimmten Rahmen mit ihrem Deckungsstockvermögen und übrigen gebundenen Vermögen selbst Genußrechte anderer Unternehmen zu erwerben. 145 Diese gesetzgeberischen Maßnahmen sollen verfügbare Gelder verstärkt in produktives Beteiligungskapital lenken. Sie sind Teil eines ordnungspolitischen Konzepts, das auch Unternehmensbeteiligungsgesellschaften als Kapitalsammelstellen umfaßt, denen die Ausgabe von Genußrechten selbst aber zunächst untersagt war. 146 Zwei Änderungsgesetze z u m A k t G 1965 seien noch angeführt. Beide sind durch Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts veranlaßt. Mit der Umsetzung der Zweiten Richtlinie (Kapitalrichtlinie, 77/91/EWG) wird ein neuer Abs. 2 in § 221 AktG über die Vorstandsermächtigung zur Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen eingefügt. 147 Die Dritte Richtlinie zum Schutz der Gesellschafter und Gläubiger
So die Regierungsbegründung, BT-Drs. 10/337, S. 10, 11 und 13. In der Fassung vom 19.2.1987, BGBl. I S. 630; näher Gast/Wissman, Mitarbeiterbeteiligung durch Genußrechte, BB Beilage 17/1987; Silberberger, Der Partizipationsschein als Möglichkeit einer Mitarbeiterbeteiligung, Tübingen 1983. Bekanntmachung der Neufassung vom 19.1.1989, BGBl. I S. 137 (für Genußrechte jetzt § 2 Abs. 1 Nr. 1 f und 1 VermBG). 142 Einzelheiten - auch zum internationalen Hintergrund - unten sub § 9 C II; zur Diskussion etwa Bericht des Finanzausschusses vom 27.11.1984, BT-Drs. 10/2510, S. 3 f. 143 Durch Änderungsgesetz vom 8.6.1988, BGBl. I S. 710. 1,4 Durch Gesetz zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für institutionelle Anleger vom 16.12.1986, BGBl. I S. 2485. 145 § 54a Abs. 2 Nr. 5a VAG und Bericht der Abgeordneten Huonker und von Wartenberg, BT-Drs. 10/6154, S. 12f. 146 § 7 Gesetz über Unternehmensbeteiligungsgesellschaften vom 17.12.1986, BGBl. I S. 2488. Beachte aber - auch zur Neuregelung - unten in § 4 B V sowie zur Auflage von Genußscheinfonds sogleich in III. 147 Gesetz vom 13.12.1978, BGBl. I S. 1959; die bisherigen Abs. 2 und 3 wurden Abs. 3 und 4. Siehe zur Kapitalnchtlmie noch in § 4 C III 2. 140 141
§ 3 Genußrechte
in Deutschland
77
von Aktiengesellschaften (Fusionsrichtlinie, 78/855 E W G ) führt zu § 340 Abs. 2 Nr. 7 und § 347a A k t G (inzwischen: § 5 Abs. 1 Nr. 7 und § 23 U m w G 1994), die ausdrücklich die Behandlung von Genußrechten bei Verschmelzung von Rechtsträgern regeln. 148
2. Steuerrecht Genußrechte sind gesetzlich, w i e schon gezeigt, erstmals gegen Ende des 19. Jahrhunderts ausdrücklich v o m Steuerrecht erfaßt w o r d e n . Der Steuergesetzgeber beachtet sie seither in zahlreichen Vorschriften. Im Zusammenhang mit den vorhin genannten M a ß n a h m e n ist die Einführung von § 19a EStG 149 hervorzuheben. Er stuft die einem Arbeitnehmer i m R a h m e n des Dienstverhältnisses zugewandten Genußrechte als „Vermögensbeteiligungen" ein und privilegiert sie steuerlich in einem bestimmten R a h m e n . Den Kreis begünstigter Genußrechte begrenzte das Steuerreformgesetz 1990. 150 Die für Kapitalgesellschaften zentrale Frage, ob Zahlungen auf Genußrechte als steuermindernde Betriebsausgaben angesetzt w e r d e n können, behandelt die bereits 1934 in das Körperschaftsteuergesetz a u f g e n o m m e n e Regelung des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG. Diese Vorschrift nährt manche Diskussion u m Genußrechte und w i r d später wieder aufgegriffen. 1 5 1
III. Genußrechte
in der Praxis
Praktisch sind die regelmäßig verbrieften Genußrechte nach dem Kriterium der Börsennotierung zu unterscheiden. Die Zahl nicht börslich notierter Genußscheine ist nur ungenau zu schätzen und w i r d mit ca. 774 Emissionen bei einem Gesamtvolumen von nominal rund 4,1 M r d . D M beziffert. 1 5 2 U b e r die hier interessierenden, an deutschen Börsen i m Amtlichen Handel oder im Geregelten M a r k t notierten Genußscheine liegen aussagekräftige Angaben vor. Insgesamt sind Mitte 1997 von 103 Emittenten insgesamt 257 börsennotierte Emissionen mit einem Gesamtnominalwert von rund D M 30 Milliarden verzeichnet. Inzwischen gibt es unter dem vorhin genannten Gesetz für Kapitalanlagegesellschaften auch Genußscheinfonds, über die Anleger in breitere in- und ausländische Paletten von Genußscheinen investieren k ö n nen. Gegen entsprechende Fondsgebühren ist das Anlagerisiko damit diversi148 Verschmelzungsrichtlinie-Gesetz vom 25.10.1982, BGBl. I S. 1425; dazu noch in § 11 A II 1. 149 Durch Art. 3 des 1. Vermögensbeteiligungsgesetzes, aaO. 150 Entsprechend 5. Vermögensbeteiligungsgesetz (dazu oben a.); Steuerreformgesetz vom 25.7.1988, BGBl. I S. 1093. 151 Bis 1977 war sie als § 7 Satz 2 KStG gültig. Zur steuerlichen Genußrechtslage unten § 11 B II. 152 Diese und die folgenden Daten (ohne weitere Quellenangabe) sind der detailreichen Publikation „Genußscheine" der Commerzbank AG, 7. Aufl., Stand: Juli 1997 entnommen.
78
Teil I: Entwicklung und Grundfragen der Genußrechte
fizierbar. Mitte 1997 sind Gernußscheinfonds mit einem Genußscheinvolumen von rund D M 2,2 Mrd. verzeichnet. 153 Zahl und Volumina der Neuemissionen von Genußscheinen schwanken. Bei nur drei Emissionen vor 1984 (Volumen in DM: ca. 270 Mio. D M ) und weiteren fünf bis 1986 (ca. 1 Mrd.) wurden 1986 allein elf Zertifikate (ca. 1,35 Mrd.) aufgelegt. Nach dem Einbruch 1988 mit nur vier Emissionen (ca. 200 Mio.) sind von 1991 bis Ende 1994 insgesamt 161 Emissionen (ca. 17 Mrd.) verzeichnet, danach sank die Zahl der Neuemissionen. Das durchschnittliche Volumen je Emission steigt seit 1996 aber deutlich (1994 bei 53 Emissionen insgesamt ca. 5,2 Mrd., 1996 bei 21 Emissionen insgesamt ca. 3,1 Mrd. und bis Mitte 1997 bei 4 Emissionen insgesamt ca. 1,7 Mrd.). Nach Rechtsform und Branche der Emittenten ist das nominale Gesamtvolumen der börsennotierten Genußscheine (in Millionen DM; in Klammern angegeben: Zahl der Emissionen) wie folgt verteilt 154 : Kreditinstitute Versicherungsunternehmen AG KGaA
18 090
(95)
550
(4)
GmbH
80
(2) (34)
eG G m b H & C o KG Körperschaft des öffentl. Rechts Summe
2 364 25 6 885
513
(1) (98)
27 994 (234)
513
(7)
Summe
Industrieunternehmen 1 129
(11)
-
7
557
(5)
-
350
(1) (3)
19 732 (113) 430
-
30
(1)
2 394
(5) (35)
-
-
25
-
-
6 885
(7)
1 516
(16)
(1) (98)
30 023 (257)
Die Übersicht verdeutlicht die Gewichte. Neben Sparkassen als Körperschaften des öffentlichen Rechts emittierten besonders Aktiengesellschaften, aber auch eingetragene Genossenschaften Genußscheine; andere Rechtsformen sind kaum vertreten. Nach Branchen geordnet stehen Kreditinstitute zahlenmäßig klar in Front, was auf die Spezialregelung der Genußrechte als haftendes Eigenkapital zurückzuführen ist 155 ; das durchschnittliche Volumen pro Emission ist bei Industrieunternehmen aber deutlich höher. Börsennotierte Genußscheine sind Inhaberpapiere. Sie gelten in der Praxis weithin als Finanzierungsinstrument mit Eigenkapitalcharakter, die außer einem Ausschüttungsanspruch (sog. „blanker" Genußschein) teils auch ein
153 Nach: Commerzbank AG, aaO., S. 16. Zum Einsatz von Genußscheinen bei offenen Immobilienfonds Helmer, Die vermögensverwaltende Immobilien-KG mit Genußscheinen, 1997. 154 Tabelle der Commerzbank AG (aaO., S. 5; hier: mit gerundeten Summen) entnommen; dort auch die vorstehenden (hier: bei den Volumenangaben interpolierten) Daten. 155 Zur Spezialregelung für Kreditinstitute oben in II 1 sowie noch unten in § 9 C II.
5 J Genußrechte
in Deutschland
79
Wandelrecht auf Aktien (Wandelgenußscheine) 156 oder andere Optionen gewähren. Die Ausstattung der Genußscheine ist weiterhin variantenreich und hier mit einigen Charakteristika zu skizzieren. 157 Ganz überwiegend ist der Genußberechtigte in voller Höhe seines eingelegten Genußkapitals am laufenden Verlust des Emittenten beteiligt, und zwar mittels Verminderung seines RückZahlungsanspruchs in Relation zum bilanzierten Eigenkapital. Eine Wiederauffüllung des Genußscheinkapitals nach Verlustteilnahme, die in Folgejahren mit ausreichendem Bilanzgewinn durch Zuschreibung der Rückzahlungsansprüche erfolgt (Besserungsabrede), hat regelmäßig Vorrang vor einer Ausschüttung oder einer Aufstockung offener Rücklagen. Die Ausschüttungen sind unterschiedlich gestaltet. Nach den Grundmerkmalen der marktgängigen Genußscheine werden zwei Kategorien gegliedert. Einmal die sog. „rentenähnlichen" Ausschüttungen mit einem jährlich konstanten oder variablen Prozentsatz auf das Nennkapital, soweit dazu der Bilanzgewinn reicht, oder einer jährlichen, vom Bilanzgewinn unabhängigen Mindestverzinsung plus einer gewinnabhängigen Verzinsung. Daneben stehen die (bislang) selteneren sog. „aktienähnlichen" Ausschüttungen 1 5 8 , die vom jeweiligen Bilanzgewinn (Jahresüberschuß) abhängen oder aber nach der Eigen- oder Gesamtkapitalrendite bemessen sind. Mangelt der Bilanzgewinn in einem Jahr, besteht teilweise ein Nachzahlungsanspruch in entsprechend gewinnreichen Folgejahren. Die Laufzeiten der notierten Genußscheine liegen überwiegend zwischen 10 bis 15 Jahren, 14 Emissionen sind unbefristet. Selten wird den Genußberechtigten ein Kündigungsrecht eingeräumt, dagegen behalten sich die Emittenten fast durchweg ein Kündigungsrecht aus steuerlichen Gründen vor (sog. „Angstklausel"). Genußrechtsbedingungen bestimmen regelmäßig, daß bei Konkurs (Insolvenz) und Liquidation die RückZahlungsansprüche der Genußberechtigten allen anderen Gläubigerforderungen nachgehen (Nachrangabrede).
156 Ausgaben z.B. von Asea B r o w n Boveri, Bayerische H y p o t h e k e n - und Wechselbank, C o m m e r z b a n k und Philips (Gesamtvolumen rund 1,3 M r d . D M ) ; teils an die Aktiendividende angekoppelt. 157 Einzelheiten bei C o m m e r z b a n k A G , aaO., S. 60ff., und Lutter, in: Kölner Kommentar, § 221 Rn. 199-216, 273-290; zu Genußscheinbedingungen Frantzen, Genußscheine, S. 295ff. ( A b d r u c k zahlreicher Originaltexte), S. 481 ff. (Genußscheinemittentenliste nach Rechtsformen), Thielemann, Das Genußrecht, S. X X X I I I ff. (tabellarische Ubersicht). 158 Insgesamt 36 Emissionen (= 9 , 9 % ) gegenüber 221 Emissionen (= 9 0 , 1 % ) der als „rentenähnlich" eingestuften Genußscheine; aaO., S. 8.
§ 4 Grundfragen der G e n u ß r e c h t e Die aufgearbeiteten Linien der historischen Entwicklung zeigen erhebliche Unsicherheiten und manche Unstimmigkeit in der rechtlichen Behandlung von Genußrechten. Sie reichen bis in die Gegenwart. Das belegen anhaltende Kontroversen in zentralen Rechtsfragen. Insoweit ist die Diskussion, die teilweise leer läuft, zunächst zu ordnen (dazu A ) und auf eine einheitliche Grundlage zu stellen (B); darauf bauend wird der Ansatz für die weitere U n tersuchung formuliert (C).
A. Allgemeine I.
Ausgangslage
Genußrechtsbegriff
Die Probleme beginnen bei der Begriffsbestimmung. Wir haben gesehen, daß Wissenschaft und Rechtsprechung schon über ein Jahrhundert bemüht sind, das Phänomen „Genußrecht" begrifflich zu erfassen. Die dazu - vor allem im Schrifttum - unternommenen Versuche zeigen aber noch immer ein unbefriedigendes Bild; sie lassen sich zu einem Definitionsansatz und dem Bemühen um Kategorienbildung verdichten.
1. Definitionsansatz Genußrechte werden im Schrifttum allgemein definiert als: Rechte, die ihrem Inhalt nach aktionärstypische Vermögensrechte sind. 1 Dazu werden gezählt die Beteiligung an Gewinn und Liquidationserlös, Bezugs-, Benutzungs- und Umtauschrechte; entsprechenden Beispielen sind wir schon begegnet. D e r Bezug auf die Person eines Aktionärs ist traditionell geprägt durch die überwiegende Verwendung von Genußrechten bei Aktiengesellschaften. Gemeinhin wird angenommen, daß auch andere Unternehmensträger solche Rechte begründen können. 2 Einige Autoren umschreiben Genuß-
1 Siehe nur Flechtheim, in: Düringer-Hachenburg, Anh. § 179, Anm. 6a (S. 225 f.) und RidNiebler, Genußrechte, S. 3 (m.w. Nachw.). 2 Dazu unten B II 2.
§ 4 Grundfragen
der
Genußrechte
81
rechte daher rechtsformneutral als „mitgliedschaftstypische" Vermögensrechte 3 , was dem Rechtsinstitut aber die wesentlichen Konturen nimmt. 4 Als negatives Kriterium wird einhellig angefügt, daß ein Genußrecht keine mitgliedschaftlichen Verwaltungsrechte eines Aktionärs (Stimm- und Anfechtungsrecht, Kontrollrechte) vermittelt. 5 Das folgt im Grundsatz logisch aus der Stellung des Genußrechtinhabers, der eben nicht Aktionär ist und insoweit auch nicht die jenem mitgliedschaftlich zustehenden Rechte hat. Zur Begriffsbestimmung ist das Kriterium aber kaum ergiebig, wie die Kontroverse um Kontrollbefugnisse des Genußberechtigten (z.B. Recht auf Auskunft, Einsicht in die Bücher, Teilnahme an der Hauptversammlung) 6 zeigt. Solche Rechte können nur aus einer zuvor bestimmten Rechtsposition erwachsen. Das genannte Kriterium umschreibt also eine Rechtsfolge, nicht aber den Tatbestand „Genußrecht". Für dessen Kennzeichnung bleibt es damit zunächst allein beim Kriterium „typische Vermögensrechte eines Aktionärs". Die allein daraus erwachsende Scheidungskraft ist, wie schon gesehen, eher gering. Damit liegt keine Definition, sondern nur ein Ansatz dazu vor. 2.
Kategorienbildung
Im Bewußtsein dieser für ein Rechtsinstitut unzulänglichen Begriffsfassung wird der Definitionsansatz regelmäßig durch Versuche ergänzt, Genußrechte in Kategorien zu fassen. Beispiele aus früherer Zeit wurden schon genannt. 7 Zwei in der neueren Literatur vertretene Ansätze seien hier angeführt. Ein im Schrifttum 8 verbreiteter Ansatz unterscheidet zwischen Genußrechten im engeren und im weiteren Sinne. Solche im engeren Sinne gewähren nur die typischen, wenn auch möglicherweise modifizierten Vermögenspositionen eines Aktionärs. Genußrechte im weiteren Sinne enthalten neben typischen Vermögensrechten eines Aktionärs eine feste Forderung gegen die verpflichtete Gesellschaft (z.B. Mindestverzinsung eingelegten Kapitals, fester RückZahlungsanspruch); sie umfassen danach auch Gewinn- und Wandelschuldverschreibungen. Martin Karollus9 filtert drei Gruppen „aus der Vielfalt der denkbaren Ausgestaltungsvarianten", und zwar 10 : (1) nach dem Inhalt
Siehe nur Reuter, in: Fritsch/Liener/Schmidt, Die deutsche Aktie, S. 251, 254; ThieleDas Genußrecht, S. 8 (m.w. Nachw.). 4 Ahnlich Kallrath, Die Inhaltskontrolle der Wertpapierbedingungen, S. 14. Einzelheiten unter B II. 5 Für alle Karollus, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, § 221 Rn. 238. 6 Ausgeprägte Herrschaftsrechte wie Stimm- und Anfechtungsrecht werden durchweg abgelehnt. 7 Oben sub § 3 A II 2 und B III. 8 So im Anschluß an Stüdemann, S. 53 und Ernst, Aktiengesellschaft, S. 99 f., z.B. RidNiebler, Genußrechte, S. 4f.; Kallrath, Inhaltskontrolle der Wertpapierbedingungen, S. 14f. 9 In: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, § 221 Rn. 248-251. 10 In: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff § 2 2 1 , Rn. 258ff. (m.w. Nachw.). 3
mann,
82
Teil I: Entwicklung
und Grundfragen
der
Genußrechte
des gewährten „Genusses", (2) nach dem Ausgabezweck (Genußrechte von Kreditinstituten und Versicherungsunternehmen, Finanzierungs-, Arbeitnehmer-Genußrechte etc.) sowie - sich teils mit den beiden ersten Gruppen überschneidend - (3) nach dem Vorliegen einer Einlage für das Genußrecht. Neben der Gruppe (2) untergliedert er auch die Gruppe (1) weiter in einzelne „Genußrechtstypen": (a) Genußrechte, die wie Obligationen gestaltet sind (Kennzeichen: fester RückZahlungsanspruch, keine Verlustteilnahme), (b) „aktiengleiche" Genußrechte (Kennzeichen: kein RückZahlungsanspruch während der werbenden Tätigkeit der Gesellschaft; keine Geltendmachung im Konkurs; nachrangige Bedienung bei Liquidation) sowie (c) „aktienähnliche" Genußrechte (Kennzeichen: Mischformen von Eigen- und Fremdkapital; besonders Verlustteilnahme). Einige Anmerkungen genügen an dieser Stelle. Der erstgenannte Ansatz ist mit Blick auf die bei § 221 A k t G angesiedelte Frage einer Abgrenzung zwischen Gewinnschuldverschreibung und Genußrecht zu sehen. Insoweit war schon unter dem Vorläufer § 174 A k t G 1937 umstritten, ob wie bei einer Schuldverschreibung auch bei „herkömmlichen" Genußrechten feste Ansprüche (z.B. auf Kapitalrückzahlung oder Verzinsung) zulässig sind.11 Im Sinne einer einheitlichen Anwendung von § 221 A k t G wird das im Schrifttum 12 bejaht; dazu ist die Gewinnschuldverschreibung als Unterfall eines weit gefaßten Genußrechtbegriffs erfaßt. Das mag für den Anwendungsbereich von § 221 AktG zutreffend und förderlich sein; auch Karollus greift diesen Ansatz in seiner - allerdings leicht differenzierteren - Gruppe (1) auf. Die Vorschrift behandelt aber allein die aus der Teilhabe Dritter an Aktionärsrechten erwachsende Interessenkollision. Das ist nur ein Aspekt. Die Anforderungen an einen rechtlich brauchbaren Genußrechtbegriff sind komplexer. Karollus geht dann auch einen Schritt weiter. Er zielt auf eine - zutreffend - als notwendig gesehene Standardisierung der praktisch entwikkelten Genußrechtsvarianten und bezieht weitere Aspekte ein. Die Einteilung selbst aber erscheint vor allem in der Sonderung der Genußrechte nach „Ausgabezweck" und „Genußinhalt" künstlich. Beide Aspekte korrespondieren und sind weder tatsächlich noch rechtlich zu trennen. Die hier angeführten Ansätze gründen auf älterer Literatur; ähnlich wie diese bleiben sie für Rechtsfragen letztlich unbefriedigend.
11
Dazu Ernst, D e r Genußschein, S. 99 (m.w. Nachw.). Emst, ebenda; Caemmerer, JZ 1951, S. 417, 418; Karollus, in: G e ß l e r / H e f e r m e h l / E c k a r d t / K r o p f f , § 2 2 1 Rn. 248-251, 478, mit zahlreichen Nachweisen und eingehender Begründung. Widersprüchlich zu Gewinnschuldverschreibungen Lutter, in: Kölner Kommentar, § 221 Rn. 21 u n d 230, 234. Zu § 221 A k t G noch in B III 4 b (a.E.). 12
§ 4 Grundfragen
II.
der
Genußrechte
83
Genußrechtsverhältnis
Zwischen dem Genuß Gewährenden und dem Genußrechtinhaber besteht das Genußrechtsverhältnis.13 Dessen Inhalt, Qualifikation sowie rechtstechnische Konstruktion sind Ausgangspunkt für Antworten auf Rechtsfragen der Genußrechte. 1. Inhalt
und
Qualifikation
Den möglichen Inhalt und die allgemeine Variationsbreite von Genußrechten zeigten schon die bisherigen Ausführungen. Dabei illustrierte die historische Entwicklung bis zur Gegenwart, daß gerade die praktische Gestaltungsvielfalt das Problem im rechtstechnischen Umgang mit Genußrechten und dem Genußrechtsverhältnis ist.14 Das betrifft zunächst die Qualifikation des Genußrechtsverhältnisses im Spannungsfeld zwischen Mitgliedschafts- und Drittrechten; für die Zeit bis zum Zweiten Weltkrieg haben wir das bereits gesehen. Aus dem Nachkriegsschrifttum ist Hans Würdinger hervorzuheben. Er wird immer wieder dafür angeführt, für Genußrechte ihrer Rechtsnatur nach eine eigenständige Kategorie von Rechtsverhältnis zwischen Mitgliedschaftsund Drittrecht formuliert zu haben.15 Tatsächlich hat Würdinger Genußrechte in seinem Lehrbuch zum Aktienrecht 16 lange ausdrücklich als Beteiligungsrechte - an anderer Stelle17 früher sogar als solche mit „personal-gesellschaftliche^)" Charakter - bezeichnet. Die von ihm formulierte Rechtskategorie „Beteiligung" ist aber keine Zwischenform von Mitgliedschafts- und Drittrecht, wie noch gezeigt wird; spätere Äußerungen von Würdinger deuten auf eine Qualifikation als Gläubigerrecht.18 Diese Tendenz entspricht der früher wie auch derzeit in der Literatur herrschenden Strömung. Danach sind Genußrechte Gläubigerrechte, das bestehende Rechtsverhältnis ist schuldrechtlicher, nicht korporationsrechtlicher Natur.19 Die Rechtsprechung läuft insoweit parallel. Der Bundesgerichtshof
" Dafür kann - richtig verstanden (vgl. unten B IV 1) - auch schlicht das Wort „Genußrecht" synonym stehen. 14 Ubersicht zum Theorienstreit zur Genußrechtsnatur Ernst, Der Genußschein, S. 103 ff. Eigenkapitalbildung Im übrigen aus dem vorliegenden Schrifttum etwa Feddersen/Knauth, durch Genußscheine, S. 17ff. 15 So etwa von Karollus, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, § 221 Rn. 245; Rid-Niebler, Genußrechte, S. lOff. (12); Schön, JZ 1993, S. 925, 927; vgl. auch Goerdeler/Müller, in: Hachenburg, Anh. § 29 Rn. 3 (dort Fn. 7). 16 1. Aufl. 1959, S. 87f.; 2. Aufl. 1966, S. 86-88; 3. Aufl. 1973, S. 77f. 17 Würdinger, Gesellschaften, 2. Teil: Recht der Kapitalgesellschaften, S. 74. 18 Dazu sub B III 3. 19 Siehe nur Hüffer, Aktiengesetz, § 221 Rn. 26f. („Dauerschuldverhältnis eigener Art").
84
Teil I: Entwicklung
und Grundfragen
der
Genußrechte
stellte schon 1959 fest20, es gehöre zum Wesen der „Anteilsrechte" aus Genußscheinen, daß sie „nicht gesellschaftsrechtlich gegrägt sind" und ihnen eine „personalistische Bindung irgendwelcher Art" nicht eigen sei. Diese Linie festigte der Bundesgerichtshof in seiner Klöckner-Entscheidung. Dort 21 heißt es, Genußrechte seien ihrem Charakter nach ein „schuldrechtliches Gläubigerrecht", da sie sich „in einem bestimmten geldwerten Vorteil erschöpfen". Dennoch treten auch in der jüngeren Literatur Vorbehalte22 und abweichende Stimmen auf, die jedenfalls bei „aktienähnlich" gestalteten Genußrechtsverhältnissen „sehr wohl einen korporationsrechtlichen Einschlag" 23 sehen, von einer „mitgliedschaftsähnlichen" 24 Rechtsnatur sprechen oder (auch) eine Qualifikation als stille Gesellschaft befürworten 25 . Weitergehend ist die Annahme eines Vertragstypus sui generis verbreitet.26 2. Die Frage der
Konstruktion
Mit der Qualifikation einher geht die Frage der rechtstechnischen Konstruktion des Genußrechtsverhältnisses. Sie wird von Teilen des Schrifttums in der genannten Diskussion aufgeworfen. Zu nennen sind zwei Ansätze. 27 Beide behandeln Genußrechte als Gläubigerrechte. Die Schwierigkeiten bei der Qualifikation des Genußrechtsverhältnisses versuchen sie methodisch durch differenzierende Analyse zu lösen. Der ältere Ansatz 28 ordnet das Genußrecht als einseitige abstrakte Verbindlichkeit (§ 780 BGB) ein, dem verschiedene Kausalverhältnisse (z.B. Darlehen, Kauf, Miete, Dienstvertrag; teilweise auch stille Gesellschaft) zugrundeliegen können. Tassilo Ernst führt aus29: Das Genußrechtsverhältnis bestehe aus einem rein schuldrechtlichen Umsatzgeschäft sowie einem gesellschaftsUrteil vom 5.3.1959 - II Z R 145/57, W M 1959, 434, 436. B G H , Urteil vom 5.10.1992 - I I Z R 172/91, W M 1992, 1902 (LS 3); dazu insgesamt näher gleich unter III.; bestätigt im Urteil vom 9.11.1992 - II Z R 230/9, D B 1993, 31 (Bremer Bankverein). Zu beiden Urteilen Luttermann, D B 1993, ab 1809 (m.w. Nachw.). 22 So z.B. Rid-Niebler, Genußrechte, S. 12, unter Bezug auf Würdinger. 23 Karollus, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, § 221 Rn. 247. 24 Lorch, Genußschein, S. 91 ff. 25 Z.B. Goerdeler/Müller, in: Hachenburg, Anh. § 29, Rn. 5 (a.E.); Karollus, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, § 221 Rn. 247, 279, der aber (Rn. 282f.) widersprüchlich einschlägige Normen nur „entsprechend" anwenden will. 26 Siehe nur Ernst, Der Genußschein, S. 124; Rid-Niebler, Genußrechte, S. 81 f. (m.w. Nachw.). 27 Nicht mehr vertreten wird eine frühere Ansicht (siehe z.B. Ortmann, Der Genußschein, S. 19 ff.), Genußscheine begründeten nie ein originäres Schuldverhältnis zwischen Empfänger und Gesellschaft, sondern nur derivative (Aktionärs-)Ansprüche; dagegen bereits zutreffend Gottlieb, Der Genußschein, S. 25ff. 28 So wohl zuerst Gottlieb, Der Genußschein, S. 25; Ernst, Der Genußschein, S. 122 ff.; neuerdings Goerdeler/Müller, in: Hachenburg, Anh. § 29 Rn. 4; Lutter, in: Kölner Kommentar § 221 Rn. 239 (m.w. Nachw.). 29 A a O . (vorstehende Fn.). 20 21
5 4 Grundfragen
der
Genußrechte
85
ähnlichen oder (bei stiller Gesellschaft) gesellschaftsrechtlichen Verpflichtungsgrund zur Gewinnbeteiligung; für seine Qualifikation sei im Einzelfall abzuwägen, ob der schuldrechtliche oder der gesellschaftsrechtlich geprägte Teil überwiege. Genußrecht und stille Gesellschaft sind danach keine Gegensätze, sondern auf verschiedenen Ebenen angesiedelt. Diesen Gedanken hat jüngst Wolf gang Schön30 aufgegriffen und umgemünzt auf seinen andersartigen Ansatz. Danach weist die Qualifikation eines Schuldverhältnisses als „Genußrecht" in zwei verschiedene Richtungen. 31 Einerseits auf die Stellung des Genußrechtinhabers als „Gläubiger" der unternehmenstragenden Gesellschaft. Dieses „Innenverhältnis" sei „schuldrechtlich" strukturiert. Auf der anderen Seite stehe das (Konkurrenz-)Verhältnis der Genußrechtinhaber zu den eigentlichen „Mitgliedern" der Gesellschaft. Dieses „Außenverhältnis" sei - bei der Aktiengesellschaft - „aktienrechtlich" strukturiert. Bei dieser Sicht hält Schön die Trennung des älteren Ansatzes in kausales und abstraktes Schuldverhältnis für entbehrlich. Die „stille Gesellschaft" beziehe sich auf das „Innenverhältnis", das „Außenverhältnis" definiere das „Genußrecht"; beides seien verschiedene Qualitäten eines Finanzierungsinstruments. Neben der unterschiedlichen Konstruktion der Ansätze sind beide Lager übergreifende Positionen vorhanden. Besonders deutlich sind zunächst die Meinungen innerhalb des älteren Ansatzes gestreut. Dort bleibt nicht nur umstritten, ob das Genußrechtsverhältnis ein Typus sui generis ist. 32 Fraglich ist ebenso, wo der Gewinnanspruch des Genußberechtigten entspringt - aus dem Kausalverhältnis 33 oder aus dem abstrakten Versprechen. 34 Damit nicht genug. Während einige Autoren 3 5 eine stille Gesellschaft im Kausalverhältnis ausschließen, halten andere 36 sie für möglich. Schön dagegen variiert bei seinem Ansatz vorsichtig formulierend in zwei Beziehungen. E r stellt für das Innenverhältnis fest, daß gewinnabhängige Genußrechte gegen Kapitaleinlage zwischen Unternehmer und Genußberechtigtem eine Zweckgemeinschaft begründeten und „daher als stilles Gesellschaftsverhältnis gewürdigt werden können"; freilich ohne das Kündigungsrecht nach § 234 Abs. 1 Satz 1 H G B . Im Außenverhältnis unterliege das Genußrecht wegen seiner aktienähnlichen Ausgestaltung am Kapitalmarkt eigenen Regeln (Verbriefungsfähigkeit, freie
Schön, J Z 1993, 925, 926 und 930; ders. ähnlich schon in Z G R 1993, 210, 235. So auch schon Gottlieh, Der Genußschein, S. 27, der aber, S. 25, abstraktes und kausales Verhältnis trennt und, S. 28 f., ein partiarisches Rechtsverhältnis zwischen Gesellschaft und Genußscheininhaber annimmt. 32 Bejahend Ernst, Der Genußschein, S. 124; ablehnend Goerdeler/Müller, in: Hachenburg, Anh. nach § 29 Rn. 4. 33 Brodmann, J W 1932, 716; Ernst, Der Genußschein, S. 123. 34 Gottlieh, Der Genußschein, S. 28. Dazu noch unten in B II 3 c. 35 Lutter, in: Kölner Kommentar, § 221 Rn. 239; früher: Gottlieh, Der Genußschein, S. 28; Brodmann, J W 1932, 716. 36 Goerdeler/Müller, in: Hachenburg, Anh. nach § 29 Rn. 5, 6. 30 31
Teil I: Entwicklung
86
und Grundfragen
Übertragbarkeit). Insgesamt erfaßt Schön
als Schuldverhältnis sui generis,37
III.
Der Fall Klöckner:
Genußrecht
der
Genußrechte
das Genußrecht unausgesprochen
als Störfaktor
oder
Chance?
Nach allem zeigen Genußrechte eine Konstante: sie erscheinen rechtlich „unfaßbar". Bei der Unternehmensfinanzierung gegen Einlage verwendet, werden sie zum Lehrbuchfall. Zur praktisch gewachsenen Bedeutung tritt als wesentlicher Aspekt hinzu, daß Genußrechte wie ein Brennpunkt Kernfragen unserer Rechtsordnung bündeln. Die Diskussion, entsprechend von rechtspolitischen Erwägungen geleitet, wirkt ungemein polarisierend und spiegelt Grundpositionen. Dabei bleibt die rechtliche Behandlung der Genußrechte von Unbehagen geprägt. Derzeit wird das wohl durch gestiegene Sensibilität für Belange des Anlegerschutzes besonders gespürt. D e r aus Bankenkreisen Anfang der achtziger Jahre noch euphorisch propagierte „Genuß ohne Reue" 3 8 ist spätestens seit den Vorgängen bei Klöckner vergällt. Bei den gegen Einlage begebenen Klöckner-Genußscheinen nahmen die Inhaber gemäß den zugrundeliegenden Genußscheinbedingungen 3 9 an Verlusten teil; insbesondere durch paritätische Herabsetzung des Genußkapitalgrundbetrages bei Herabsetzung des Grundkapitals der Gesellschaft zum Ausgleich von Wertminderungen oder sonstigen Verlusten. Mit dieser Vertragsklausel reduzierte die Hauptversammlung zum Ausgleich von (drohenden, später aber tatsächlich nicht eingetretenen) Verlusten aus Spekulationsgeschäften das Grundkapital durch vereinfachte Kapitalherabsetzung (§ 229 A k t G ) von D M 270,3 Millionen auf 100 D M und erhöhte es zugleich wieder auf D M 250 Millionen. Kurz darauf gab Klöckner die Herabsetzung des G e nußkapitals von D M 100 Millionen auf 37 D M bekannt, zog den Restbetrag ein und erklärte die Genußscheine für kraftlos. Das Vorgehen warf zahlreiche, im Schrifttum kontrovers diskutierte Fragen zur Rechtsstellung der G e nußrechtsinhaber auf; einige davon gingen mit dem Klöckner-Fall durch alle Instanzen. Mangels ausdrücklicher N o r m e n zur Gestaltung des Genußrechtsverhältnisses war der Kernpunkt die Kontrolle der Genußscheinbedingungen nach dem A G B - G e s e t z . Das O L G Düsseldorf 4 0 erkannte dazu: Eine NichtVereinbarkeit mit wesentlichen Grundgedanken einer gesetzlichen Regelung, von der abgewichen 37 Entsprechend empfiehlt Schön, JZ 1993, 925, 934, für genußrechtliche Prinzipienbildung und Gestaltung von Genußrechtsverträgen [nur] den „Blick auf das Recht der stillen Gesellschaft"; seine hier (zitierend) beigezogene Position aaO., 930. 38 Claussen, A G 1985, 77ff. und Replik von Reuter, A G 1985, 104ff. 39 Siehe dort § 3 Abs. 2 und § 7 der Genußscheinbedingungen, abgedruckt bei Emde, Der Genußschein als Finanzierungsinstrument, S. 197ff., sowie bei Frantzen, Genußscheine, S. 441 ff. 40 Urteil vom 10.5.1991 - 17 U 19/90, D B 1991, 1563ff. (sub II 2 a aa), = A G 1991, 438ff. (mit Anm. Claussen), = ZBB 1992, 30ff. Dazu Hirte, ZIP 1991,1461 ff; Schäfer, WM 1991,1941 ff.
§ 4 Grundfragen
der
Genußrechte
87
werde (§ 9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG), scheide mangels gesetzlicher Regeln zum Anlegerschutz bei Genußscheinbedingungen aus. Das entspricht der von Horst Hammen formulierten Haltung, die Inhaltskontrolle zaubere kein positives Recht des Genußrechts herbei. 41 Weiter betonte das Gericht 42 , es könne nicht Aufgabe der Rechtsprechung sein, einen Standard für Genußscheine zu entwickeln oder jedenfalls einen allgemeinen rechtlichen Rahmen abzustekken, innerhalb dessen sie sich verhalten müßten; allenfalls ginge es um die Frage, ob die vorliegenden Bedingungen in Einzelpunkten einer Ergänzung oder Korrektur bedürften. Nach Sachlage hielt das Oberlandesgericht solches Eingreifen nicht für geboten. Insgesamt klingt die Entscheidung wie ein komfortabler Freibrief für Genußscheinemittenten wohl mit §§ 138, 242 BGB als letzten - aber auch einzigen, recht allgemeinen und als solchen problematischen - „Schutzwall" für Anleger. Sie bestärkte den Eindruck vom Genußrecht als einem „rechtlosen" 43 Gebilde. Die Revision 44 korrigierte und stellt klar, daß Kontrollmaßstab der Genußscheinbedingungen bei „aktienähnlich" gestalteten Genußrechten „aktienrechtliche Normen und Grundsätze" seien. Die Ausführungen dazu sind aber farblos. Doch der Bundesgerichtshof wog weiter einige andere Aspekte. Insbesondere erkannte er auf einen Abfindungsanspruch des Genußrechtsinhabers bei Auflösung von Rückstellungen aus Genußrechtskapital sowie eine schadensersatzbewährte Schutzpflicht der ausgebenden Gesellschaft für dessen Erhalt; Einzelheiten werden später (in § 11) behandelt. Festzuhalten ist hier: Die Entscheidung klärte einige wichtige Fragen, zumindest im Ansatz. 45 Selbst solche Grundsatzurteile, zu denen das vorliegende zählt, sind freilich durch ihren Einzelfallbezug für die erforderliche allgemeine Prinzipienbildung im Grunde begrenzt. Ein ähnliches Bild zeigt die zeitnahe Entscheidung zum Bankverein Bremen AG 46 , w o der Ausschluß des Bezugsrechts von Aktionären auf Genußrechte streitig war. Das entsprechend geteilt reagierende Schrifttum - auch soweit darin grundsätzlich Zustimmung erklang - zeigt das Spektrum offener Fragen. 47 Daraus erwächst teilweise die Forderung, Genußscheinbedingungen zu standardisieren. 48 Dieter Reuter, der die neuere Genußrechtsdiskussion von Anbeginn kritisch belebte, geht einen Schritt weiter. Er argumentiert vor allem rechtssystematisch gegen die Finanzierung mit Genußrechtskapital, sieht die BB 1990, 1917, 1919. AaO. (dort sub III.l.); zustimmend etwa Schäfer, WM 1991, 1941, 1944. 43 Kübler/Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 179. 44 BGH, Urteil vom 5.10.1992 - II ZR 172/91, BGHZ 119, 305 (LS 3) = WM 1992, 1902ff., DB 1992, 2383ff., JZ 1993, 958ff. 45 Übersicht bei Luttermann, DB 1993, S. 1809ff. (sub III.) 46 BGH, Urteil vom 9.11.1992-ZR 230/91, BGHZ 120, 141 = DB 1993, 31 ff. 47 Siehe (m.w. Nachw.) nur Lutter, ZGR 1993, 291 ff.; Sethe, AG 1993, 293 ff., 351 ff. und ablehnend zum Schadensersatzanspruch - Busch, AG 1993, 163. 48 Dazu unten § 12 A I. 41
42
88
Teil I: Entwicklung
und Grundfragen
der
Genußrechte
einzelfallbezogene Rechtsgestaltung als „Problem wagnishafter Entscheidung"49 und schlußfolgert: „Als Alternative zur Aktie in ihrer Eigenschaft als Mittel zur Beschaffung von Risikokapital über die Börse sollte er [der Genußschein] aus rechts- wie wirtschaftssystematischen Gründen schleunigst von der Bildfläche verschwinden"50. Das ist ein scharfes Wort. Sind Genußrechte, und gerade die gegen Einlage begründeten, mithin phantomhafte Systemstörer? Freilich, die Schwierigkeiten der rechtlichen Erfassung von Genußrecht und Genußrechtsverhältnis sind offengelegt. Die aufgezeigten Entwicklungslinien bezeugen insoweit Kontinuität. Reuter wäre wohl recht zu geben, wenn die Rechtslage nicht befriedigend klärbar ist. Jedenfalls erscheint das umstrittene Rechtsinstitut praktisch nicht überholt. Die oben genannten Daten aktueller Genußrechtsemissionen unterstreichen die praktische Relevanz. Weiteres Potential liegt wohl noch brach, denn Marktgängigkeit und Rechtslage sind zwei Seiten einer Medaille. Zunächst zeigt das bunte Meinungsspektrum insoweit (nur) eines: weiterhin bestehenden Klärungsbedarf. Einstweilen lehnen wir daher Reuters Folgerung ab und begreifen die „Genußrechtslage" als Chance51.
B.
Grundlegung
Diese Chance besteht, wie schon einleitend genannt, mit Blick auf den Einsatz von Genußrechten bei der Unternehmensfinanzierung: Genußrechtsverhältnisse als für die Beteiligten attraktive Alternative im Spektrum der Finanzierungs- und Anlageformen. Um das zu erreichen, muß erst die überkommene und hartnäckig gepflegte Vorstellung über Bord geworfen werden, das Genußrechtsverhältnis irre in einem geradezu „rechtsresistenten", zumindest aber „rechtsbeliebigen" Raum und sei entsprechend beliebig privatautonom gestaltbar. I.
Mißverständnis
Diese Vorstellung beruht auf einem tiefen Mißverständnis. Es erscheint aus heutiger Sicht historisch vor allem begründet durch die Aussage aus dem Reichsjustizministerium im Entwurfstadium des AktG 1937 aus dem Jahre 1930: Eine detaillierte Regelung der nach Ausgestaltung und Zweck mannigfaltigen Genußscheine könnte deren noch so sehr fließende Entwicklung hemmen, daß die Ausgestaltung einstweilen der Praxis überlassen bleibe. Reuter, in: Fritsch/Liener/Schmidt, Die deutsche Aktie, S. 251, 255. Reuter, aaO., S. 261; anders noch ausdrücklich den., A G 1985, 104. Vgl. insgesamt Reuter, D J T Gutachten. 51 Schließlich wird die Position von Reuter (und Hirte) hier - siehe besonders S. 463 ff., 493 (dort Fn. 24) und S. 550 f. - abgelehnt. 49 50
5 4 Grundfragen
der
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Genußrechte
D i e s e A u s s a g e spiegelt, w i e a u f g e z e i g t 5 2 , die u r s p r ü n g l i c h e n
gesetzgeberi-
schen M o t i v e , k a u m ausdrückliche G e n u ß r e c h t s r e g e l n zu fassen. Sie war und ist a b e r e n t g e g e n aller I n t e r p r e t a t i o n k e i n F r e i b r i e f f ü r die P r a x i s . U n d s c h o n gar k e i n z e i t l i c h u n b e g r e n z t e r . Insofern wird übersehen: Das Reichsjustizministerium sprach von
einst-
weilen., u n d s e i t h e r sind m e h r als 6 5 J a h r e ins L a n d g e z o g e n . D a m i t ist d e r B e g r ü n d u n g s w e r t j e n e r A u s s a g e n u r n o c h gering. D a r a n ä n d e r t a u c h n i c h t s d e r B l i c k a u f z w i s c h e n z e i t l i c h e A k t i v i t ä t e n des b u n d e s r e p u b l i k a n i s c h e n G e s e t z g e b e r s , v o r a l l e m auf das A k t G 1 9 6 5 . S e l b s t w e n n m a n dies w e g e n d e r z u m A k t G 1 9 3 7 u n v e r ä n d e r t e n B e h a n d l u n g d e r G e n u ß r e c h t e als i n s o w e i t g l e i c h g e r i c h t e t e s V o t u m a u f f a ß t e , sind a u c h seit d i e s e m Z e i t p u n k t i m m e r h i n ü b e r 3 0 J a h r e v e r s t r i c h e n . D i e v o r l i e g e n d e n M a t e r i a l i e n 5 3 des l e t z t e n g r o ß e n R e f o r m w e r k e s g e b e n a b e r k e i n e n A n h a l t s p u n k t , d a ß d e r G e s e t z g e b e r die P r o b l e m a t i k d e r G e n u ß r e c h t e ü b e r h a u p t e r n e u t e r w o g e n hat - w a s d e r e n d a m a liger B e d e u t u n g s l o s i g k e i t e n t s p r a c h . Marcus
Lutter''1'
stellt h i e r z u fest, das
G e n u ß r e c h t sei „ o h n e g r ö ß e r e A u f m e r k s a m k e i t " v o n § 1 7 4 A k t G 1 9 3 7 i n die Nachfolgevorschrift § 221 A k t G 1965 gekommen. Freilich bestärkten auch von offizieller Seite immer wieder entsprechende Äußerungen das Mißverständnis. Zwei Beispiele der Bundesregierung unter Helmut Kohl seien hier genannt. 1984 stellte sie durch den damaligen Staatssekretär im Bundesministerium der Justiz Klaus Kinkel auf die Anfrage eines Bundestagsabgeordneten 55 fest, für die inhaltliche Ausgestaltung von Genußrechten bestehe „grundsätzlich Gestaltungsfreiheit". In den Beratungen eines Gesetzes über Unternehmensbeteiligungsgesellschaften äußerte sie zunächst, der mögliche Inhalt von Genußscheinen sei gesetzlich nicht umschrieben, hinsichtlich ihrer Ausgabebedingungen bestehe „weitgehend Gestaltungsfreiheit". Aufschlußreich sind die weiteren Einlassungen, die hier im Auszug wiedergegeben werden. Voranzuschicken ist, daß der Bundesrat im Gesetzgebungsverfahren angeregt hatte, auch Unternehmensbeteiligungsgesellschaften in der GmbH-Rechtsform zuzulassen, die sich über die Ausgabe von Genußscheinen refinanzieren können. 5 6 Die Bundesregierung befand dazu nach Ausführungen über mögliche Beeinträchtigungen, die - sofern vertragliche Sperren fehlten - Genußscheinrechten durch Beschlüsse beim Emittenten drohten: „ N i c h t p r a k t i k a b e l e r s c h e i n t , f ü r G e n u ß s c h e i n e i m R a h m e n des
UBGG
anlegerschützende Mindeststandards festzuschreiben. Dies w ü r d e einen unOben in § 3 C I 2 b; dort auch Abdruck des wörtlichen Zitats. Nachweise oben § 3 C I 3 und bei Zöllner, in: Kölner Kommentar, Einl. Rn. 73; siehe vor allem BT-Drs. 3/1915, S. 198 (zu §210); auch keine Ansätze in Stenographische Protokolle BTag, 187. Sitzung vom 25.5.1965, S. 9402ff. 54 Z G R 1993, 290, 305; pauschal ders., in: Kölner Kommentar, § 221 Rn. 226, über Vorzugsaktie und Genußschein: „die Gesetzgeber der Jahre 1937 und 1965 [haben das Verhältnis] bewußt offen gelassen"; vgl. zur Diskussion zum AktG 1937 noch unten in C III 1 b. 55 Zur Zulässigkeit von Genußscheinen bei Kapitalgesellschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts, Anwort des Staatssekretärs vom 5.10.1984 an den Abgeordneten Langner, BTDrs. 10/2079, S. 8. Hiiffer führte sie in Aktiengesetz (1. Aufl.), §221 Rn. 23, fälschlich noch als Aussage des Gesetzgebers an. 56 BT-Drs. 10/4551, S. 34 (Ziffer 1.). Zum ganzen bereits Frantzen, Genußscheine, S. 91 ff. 52 53
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Teil 1: Entwicklung
und Grundfragen
der
Genußrechte
verhältnismäßig großen gesetzgeberischen A u f w a n d erfordern, da durch solche Regelungen eine Vielzahl an möglichen Ausgestaltungen ausgeschlossen werden müßte." 5 7 U n d weiter heißt es: „Nicht durchführbar erscheint auch, die im Vergleich zu Aktionären für Genußscheininhaber fehlenden Anlegerschutzvorschriften durch ein erhöhtes Maß an Aufsicht durch Behörden auszugleichen. Dies würde erhebliche zusätzliche Aufwendungen an persönlichen und sächlichen Mitteln erfordern. Diese müßten entweder von der Staatskasse oder über Gebühren von den Unternehmen getragen werden, was deren Rentabilität wesentlich verschlechtern würde." 5 8
Die Ansicht der Bundesregierung setzte sich durch. Der Aussagegehalt ihrer Stellungnahme reicht über das konkrete Gesetzgebungsvorhaben hinaus. Schon im Gesetzentwurf hatte die Bundesregierung die Gewährung von Genußrechten durch Unternehmensbeteiligungsgesellschaften mit Blick auf anderweitige Finanzierungsmöglichkeiten grundsätzlich abgelehnt: Ein Festlegen des Mindestinhaltes der Genußrechtsbedingungen analog der Regelung in § 15 Abs. 3 K A G G könne „präjudizierend" auf die Ausgestaltung der Genußrechte anderer Emittenten wirken. 5 9 Insgesamt kann der Tenor der Bundesregierung in Klartext pointiert werden: Die Genußrechtslage ist als juristisch mangelhaft erkannt und wird als solche der Privatautonomie anheimgestellt. Diese Haltung von Verfassungsorganen rührt schon eigenartig an. Die lapidare Feststellung der Bundesregierung: „Aus der Sicht der Kapitalgeber eignen sich Genußscheine somit eher für den erfahrenen oder beratenen Anleger als für das breite Publikum" 6 0 rundet das Bild ab. Die Folgen können fatal sein, wie die Erfahrung zeigt, wenn in der Praxis das „breite Publikum" tatsächlich betroffen ist. Dann ist eben im Schrifttum zu lesen, die richterliche Inhaltskontrolle könne kein positives Recht „herbeizaubern", und man sieht ein Obergericht, das sich genau auf diesen Standpunkt zurückzieht. 6 1 Solche Handhabung der Genußrechte erinnert an wilde Gründerzeiten und läßt mangels Rechtsschutz die Rechtsordnung baden gehen. Aus derartigen Sachverhalten ist aber nicht die Forderung abzuleiten, Genußrechte abzuschaffen. Sie sind weniger Ausdruck mangelhafter Genußrechtslage. Vielmehr erscheinen sie als Folge einer schon mythenhaften Vorstellung vom Genußrecht als - salopp gesagt - „heikler" Materie, die von methodischer Durchdringung besser weithin unberührt bleibe. Das belegen etwa die genannten, fade klingenden Begründungen der Bundesregierung. Ähnliche Vorstellungen dürften schon den Gesetzgeber des ersten AktiengeBT-Drs. 10/4551, S. 42. AaO. 59 BT-Drs. 10/4551, S. 21 (Nr. 7). 60 AaO., S. 42. " Dazu insgesamt bereits oben sub A III. 57
58
§ 4 Grundfragen
der
Genußrechte
91
setzes bewogen haben. 62 Unsere historische Betrachtung zeigte die verbreitete Ratlosigkeit im rechtstechnischen Umgang mit Genußrechten bis hin zum Reichsgericht und das Votum ungebunden privatautonomer Gestaltungsfreiheit als Ausflucht daraus. Es gab freilich schon damals mahnende Stimmen wie die von Erich Brodmann. Er, selbst ehemaliger Reichsgerichtsrat, schrieb 1928 mit kritischem Blick auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts über die Genußscheine: „Meist wird behauptet, daß das ein ausgeprägtes Rechtsinstitut nicht sei und daß man für ihre Beurteilung ganz nur auf das angewiesen sei, was die Parteien im einzelnen Fall bedungen haben [RGZ 30, 16 63 ]. In Wahrheit gilt d as nur vom Inhalt der im Genußschein verbrieften Rechte und auch da nur bis zu einem gewissen Grade. Dagegen ist es sehr wohl möglich und auch recht nötig, den Begriff allgemeingültig zu bestimmen." 6 4
Brodmann hat diese Kritik später noch einmal bekräftigt und ausdrücklich auf die eingangs angesprochene, folgenreiche Aussage des Reichsjustizministeriums von 1930 gemünzt. 65 Gerade der letzte Satz des Zitats interessiert hier, deutet er doch auf einen für die rechtstechnische Behandlung von Genußrecht und Genußrechtsverhältnis entscheidenden Aspekt: die an sie als Rechtsinstitut zu stellenden Anforderungen. An dieser Stelle sei noch einmal betont, daß es dabei besonders beim Einsatz von Genußrechten als Finanzierungsinstrument auch um die Frage der Marktgängigkeit, also Akzeptanz, und damit um ein Anreizproblem geht. Hier zeigt sich der Kern des Mißverständnisses. Ein angemessener Rechtsrahmen und ein insoweit begrenzter Gestaltungsspielraum der Parteien eines Genußrechtsverhältnisses ist nicht hinderlich, sondern bereitet gerade erst das Feld, auf dem das (Finanzierungs-)Instrument praktisch nutzbar wird und auf dem dann Privatautonomie gestaltend wirken kann. Erkenntnisse der neueren Finanztheorie nach dem neoinstitutionalistischen Ansatz belegen, daß gerade aus zu geringer Bindung derer, denen Kapital anvertraut werden soll, Mißtrauen der Kapitalanbieter und damit Anreizprobleme folgen. 66 Ebenso sei beispielhaft die öffentliche Anhörung vor dem Finanzausschuß des Deutschen Bundestages zur Einführung von haftendem Genußrechtskapital bei Kreditinstituten angeführt. Dort kritisierten Verbände und Sachverständige mangelnden Anlegerschutz 67 und die fehlende gesetzliche Beschrei-
62 A.A. Lutter, in: Kölner Kommentar, § 221 Rn. 226, der in der Zurückhaltung des Gesetzgebers „ein Signal für eine Offenheit der gesetzlichen Regelung" sieht, die „ein weites Feld für die Gestaltung durch die beteiligten Gesellschaften einräumt". 63 Dazu oben sub § 3 A II 3. 64 Brodmann, Aktienrecht, § 179, Anm. 9.a. 65 Brodmann, JW 1932, 716. 66 Etwa R.H. Schmidt, in: Ott/Schäfer, Ökonomische Analyse, S. 170, 191. Zum Anreizaspekt oben in § 1 A II 3. 67 So Ernst Geßler, ein Altmeister des deutschen Aktienrechts, und Schutzgemeinschaft der Kleinaktionäre, BT-Drs. 10/2510 (vom 27.11.1984), S. 4.
92
Teil I: Entwicklung
und Grundfragen
der
Genußrechte
bung des Genußrechtskapitals, die unüberschaubare Ausgestaltungsmöglichkeiten zulasse68. Im Grunde trifft diese Kritik branchenunabhängig. Sie entspricht den Feststellungen von Reuter und zeigt, wie berechtigt dessen Kritik gegenwärtiger Genußrechtshandhabung ist. Um sie zu entkräften, muß die Genußrechtslage ohne das aufgezeigte Mißverständnis de lege lata grundlegend aufbereitet werden. Genußrecht und Genußrechtsverhältnis sind begrifflich und rechtstechnisch - gegebenenfalls einschließlich gesetzgeberischen Handlungsbedarfs de lege ferenda - zu klären; einige vorhandene Ansatzpunkte können dazu aufgegriffen werden. Erst bei unbefriedigendem Ergebnis ist das Reutersche Petitum nach „Verbannung" von Genußrechten die sachgerechte Konsequenz.
II.
Genußrecht
Setzen wir noch einmal bei dem in verschiedenen Gesetzen schlicht enthaltenen Begriff „Genußrecht" an. Uwe Hüffer69 meint im überkommenen Tenor, bei dessen Bestimmung sei „insbesondere auf den jeweiligen Normzweck abzustellen" und an der unterschiedlichen Zwecksetzung der angezogenen Normen scheitere eine „einheitliche Begriffsbestimmung". Diese juristisch verbreitete70 Sicht ist unhaltbar.
1. Zur juristischen
Begriffsbildung
Rechtsnormen stehen nicht vereinzelt. Sie bilden komplexe (Teil-)Systeme, denen einheitliche Wertprinzipien und Ordnungsmuster zugrunde liegen. Diese sind zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen bei der Rechtsanwendung zu erkennen und zu beachten. Der Rechtsanwender muß aber den Einzelfall zunächst auf die - möglicherweise - einschlägige(n) Rechtsnormen) eingrenzen. Erst dann ist deren Gehalt systematisch zu erschließen und festzustellen, inwieweit eine Regelung tatsächlich greift. Der Eingriff ei68 Einhellige Ansicht, aaO., S. 4 (dort S. 2 die Anhörungsliste, darunter auch Bundesverband Deutscher Banken, Deutscher Gewerkschaftsbund, Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz, Institut der Wirtschaftsprüfer und Vereinigung der Auslandsbanken in Deutschland sowie Hankel). Meilicke, BB 1987, 1609, 1614, verwies angesichts vieler offener Fragen lapidar darauf, vor Kauf das Kleingedruckte der Genußscheinbedingungen zu studieren. " Aktiengesetz, § 221 Rn. 23, der aber das daraus folgende - schon im Ansatz vermeidbare - „Dilemma" erkennt (aaO., Rn. 24 f.). Zu den verschiedenen Gesetzen oben § 3 C II. 70 Ahnlich Gehling, WM 1992,1093ff., der von normzweckbezogenen Genußrechtsbegriffen ausgeht, aber z.B. (S. 1098) Identität zwischen dem des 5. VermBG und dem nach § 10 KWG feststellt. Auch Karollus, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, § 221 Rn. 241 ff., argumentiert normspezifisch; dazu unten 3 b. Weitere Nachw. bei Hüffer (vorstehende Fn.) auf Lutter, Busch und Sethe.
5 4 Grundfragen
der
Genußrechte
93
ner Rechtsnorm darf auch angesichts der Lebensvielfalt keine Lotterie sein. Ein Ansatz 7 1 , die Fülle des Lebens ordnend zu erfassen, ist, einem bestimmten Phänomen einen mehr oder weniger „abstrakten" Begriff zuzuordnen. Als Tatbestandsmerkmale sind solche Begriffe - wie auch anschließende, ähnlich „abstrakt" gefaßte Rechtsfolgen und Regelungsinhalte 7 2 - die Bausteine gesetzter Normen. N a c h Abstraktionsgrad können unter einen Begriff weitere Begriffe (Phänomene) subsumiert werden, die selbst spezifische Merkmale des höheren Begriffs aufweisen. D e r Begriff Rechtsgeschäft umfaßt z.B. G e sellschaftsvertrag und Schuldvertrag, der sich seinerseits in Kauf, Miete, Darlehen und weitere Schuldvertragstypen gliedert. Dieses (formal-)logische „äußere" System prägt unsere Rechtsordnung maßgeblich. Es hat keinen Selbstzweck und darf nicht zu formaler Begriffsjurisprudenz entarten. Kritisiert wird, zunehmende Abstraktionshöhe führe letztlich zu Sinnentleerung. 73 Die Kritik greift nicht, wenn - wie gleich unter 2 - das „äußere" System in der Jurisprudenz auch aus sprachlicher Sicht seiner Grundfunktion entsprechend gewürdigt wird. Bleiben wir zunächst bei der juristischen Methodik. Ihre zentrale Aufgabe ist, die Rechtsgewinnung effektiv und dabei möglichst einfach zu gestalten. 74 Das erfordert - bei möglichst präziser Sprache des Gesetzes und trotz sparsamen Umgangs mit Begriffen auch, rechtserheblich verschiedene Phänomene begrifflich zu kennzeichnen. D e r „abstrakte" Begriff ist Synonym eines bestimmten Phänomens: Für schuldvertraglich als Darlehen überlassenes Kapital wird „Zins" gezahlt, während ein Aktionär als gesellschaftsvertraglicher Kapitalgeber „Dividende" erhält. Aus einer Vielzahl solcher Begriffe entsteht ein notwendiges, durch Konvention verfestigtes Koordinatensystem. Formuliert die Kautelarpraxis außerhalb des Systems (spricht etwa von „Dividenden", wo es um „Zinsen" geht, oder bezeichnet eine „Schenkung" als „Kauf"), mag das ärgerlich sein. Die Rechtslage bleibt aber in der Regel durch wertende Analyse der Sachlage innerhalb des Koordinatensystems bestimmbar. Gebraucht der G e setzgeber seinerseits Begriffe beliebig, also jeweils ohne gefestigte Zuordnung zu einem Phänomen, ist eine Bestimmung mangels Koordinatensystem unmöglich und jede Rechtsordnung bald hinfällig. Solche Konfusion ist selbst beim „Genußrecht" nicht angelegt. Die geschichtliche Bestandsaufnahme hat nicht nur die Kontinuität genußrechtlicher Praxis im zwanzigsten Jahrhundert gezeigt. Sie belegt - einschließlich der bis heute wirkenden Gründe gesetzgeberischer Enthaltsamkeit, G e n u ß rechte näher zu umschreiben - gerade das Bewußtsein der normierenden G e setzgeber um die geübte Praxis. Danach wie auch nach der Logik ist nicht anGrundsätzlich insgesamt Larenz, Methodenlehre, S. 437f. (439ff.). AaO., S. 441. 73 Vgl. etwa Larenz, aaO., S. 20ff., 456f. Freilich mögliche Sinnentleerung setzt ungewöhnlich überzogene Abstraktion voraus ist bei vernünftigem (kompetentem) Sprachgebrauch regelmäßig auszuschließen; siehe dazu auch unten sub 2. 74 Vgl. zum Charakter methodischer Regeln Bydlinski, Methodenlehre, S. 78. 71
72
94
Teil I: Entwicklung
und Grundfragen
der
Genußrechte
zunehmen, daß gesetzliche Regelungen den Begriff „Genußrecht" anführen und damit auf beliebige Phänomene zielen. Alles spricht dafür, daß in Gesetzen das Wort Genußrecht (Genußschein) allgemein ein bestimmtes Kapitalanlage- und Finanzierungsphänomen begrifflich kennzeichnet. 75 Auch unterschiedliche Normzwecke ändern dieses Phänomen nicht, sie nehmen darauf Bezug. Entgegen der eingangs genannten These von Hüffer und anderen Autoren ist eine „einheitliche Begriffsbestimmung" also ebenso möglich wie geboten. Wir stehen nicht vor einer „genußrechtsbedingten" Besonderheit, sondern auf einem ureigenen Feld wissenschaftlicher Arbeit der Jurisprudenz: dem der Sprache. Sie ist der Schlüssel zum Verständnis. 2. Sprache:
Bedeutungsanalyse
„Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache" schreibt der Sprachphilosoph Ludwig Wittgenstein und sieht den Wortgebrauch als eine Frage der Bedeutungserklärung. 76 Ein Wort als solches ist zwar bedeutungslos. Seine Bedeutung bezieht es aus dem jeweiligen Gebrauchskontext (Handlungszusammenhang). An diesem sprachwissenschaftlichen Ansatz kann die Jurisprudenz nicht vorbei. Schon in der Gemeinsprache ist aber die Verwendungsweise eines Wortes in einem bestimmten Kontext konventionalisiert. Erst solche Bedeutungserklärung ermöglicht Verstehen wie Verständigung, und gerade die Rechtsordnung ist - wie gezeigt - auf nichtbeliebige Definitionen angewiesen. Eine trügerische Fehlvorstellung ist, dabei stünden „nur Worte" in Rede. „Nur Worte" sind die angesprochenen, durch höchsten Abstraktionsgrad sinnentleerten Worte; vielleicht auch manche der nominalistisch, also beliebig vom Sprecher gebildeten, damit aber ohnehin für die Jurisprudenz unergiebigen Definitionen. 77 Nichtbeliebige Definitionen sind dagegen mehr als „nur Worte". Mit Blick auf den Wittgensteinschen Ansatz heißt „Definition": abgrenzen, zwischen verschiedenen Arten von Dingen differenzieren, „wo die Sprache einen Unterschied mit Worten angibt" 78 . Herbert Hart führt in seiner analytischen Rechtstheorie 79 treffend aus, der definierte Ausdruck könne bei ständigem Sprachgebrauch die Beziehungen aufdecken, die zwischen dem mit 75 Dafür steht auch der „chamäleonartige Charakter" ( L u t t e r m a n n , DB 1993, 1809, 1813): Ein Chamäleon mag zwar häufig seine Farbe wechseln, bleibt aber immer als Exemplar einer bestimmten Spezies klassifizierbar. 76 Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, § 23: „Die Erklärung der Bedeutung erklärt den Gebrauch des Wortes"; vgl. aaO., § 72: „Gesprochenes kann man durch die Sprache erklären, drum kann man die Sprache selbst, in diesem Sinne, nicht erklären.". Ebenda das oben einleitende Zitat in § 43. Ubersicht zur klassischen Sprechakttheorie bei K. Luttermann; Gesprächsanalytisches Integrationsmodell, S. 7ff. (m.w.Nachw.). 77 Dazu Bydlinski, Methodenlehre, S. 300. 78 Hart, Begriff des Rechts, S. 28. 79 AaO.,S. 28f.
§ 4 Grundfragen
der
Genußrechte
95
dem Wort bezeichneten Phänomen und anderen Phänomenen herrschen. Wenn wir Definitionen suchten und fänden, stellt er mit dem Sprachwissenschaftler John Austin fest, „betrachteten wir nicht nur W o r t e , . . . sondern auch die Realitäten, über die wir mit den Worten sprechen" 80 . Diese „Realitäten" (Phänomene, Lebensverhältnisse) sind Gegenstand der Jurisprudenz. Sie gilt es, durch Worte zu erfassen und Begriffen zuzuordnen. „Begriff" steht hier als Denkform und bezeichnet Prädikate, die eine bestimmte Bedeutung haben 81 ; genauer: denen durch Konvention eine bestimmte Bedeutung beigelegt ist. Die Jurisprudenz lebt in einer Sprache. Sie ist, wie Ernst A. Kramer treffend ausführt, keine esoterische Kunst, in der jede Bindung an Sprachkonventionen oder an den jeweiligen gesellschaftlichen Verständnishorizont wegfallen könne. 82 Sie muß den Bezug zu ihrem (Sprach-)Umfeld pflegen. Für die juristische Begriffsbildung bedeutet das: Sie hat beim „tatsächlichen" Sprachgebrauch anzusetzen. Ist die so erlangte Definition schwankend oder für juristische Zwecke zu vage, muß der Begriffsinhalt genauer bestimmt werden (Explikation). 83 Die Wortbedeutung von „Genußrecht" haben wir bereits erhellt. 84 Danach trat „Genuß(recht)" sprachgeschichtlich recht früh als Rechtsbegriff auf. Umgangssprachlich bezeichnete das Wort bereits im 17. Jahrhundert den „Dividendengenuß" der Aktionäre. Auch heute noch erfaßt der Begriff im allgemeinen Sprachgebrauch diesen Sachverhalt und wohl auch jede andere Form der Teilhabe an einem Erfolg. Uber die Aktiengesellschaften aber begann sich bei der aufgezeigten Amortisation von Aktienkapital, sein Bedeutungsinhalt zu sondern. Die betroffenen Aktionäre behielten - etwa in Form einer Superdividende - ihren „Dividendengenuß", wurden also trotz Auslosung weiter am Unternehmenserfolg beteiligt. Was lag näher, als dieses spezifische Phänomen mit „Genußrecht" zu belegen? Schließlich war der Begriff umgangssprachlich wie rechtssprachlich schon lange allgemein für „Teilhabe an Nutzen und Erfolg" eingeführt. Er umfaßte damit das spezifische Phänomen, ohne selbst schon rechtsspezifisch festgeschrieben zu sein. Mit ihm konnte zwischen verbliebenen und ausgelosten „Erfolgsteilhabern" differenziert werden. 8 5 So enstand im Sprachgebrauch ein besonderer Genußrechtsbegriff, der juristisch eben bis heute gemeinhin umschrieben wird als: Rechte, die ihrem Inhalt nach typische Vermögensrechte eines Aktionärs sein können. 80 AaO., S. 29. Bezogen auf das „formal-logische" Begriffssystem (dazu oben sub 1) zeigt das, wie irreführend es sein kann, von „abstrakten" Begriffen zu sprechen. 81 Kuhlen, Typuskonzeption, S. 25ff., der Begriffe auch „interpretierte Zeichen" nennt. 82 Kramer (nach: Bydlinski, Methodenlehre, S. 300). 83 Bydlinski, Methodenlehre, S. 300f. Näher über Explikation Kuhlen, Typuskonzeption, S. 30-33. 84 Oben § 2 B I. 85 Die Differenzierung wurde freilich unterschiedlich gehandhabt bis hin zu Genußrechten mit Stimmrecht wie das eines Aktionärs; vgl. insgesamt oben § 2 sowie § 3 A und B.
96
Teil I: Entwicklung
3.
und Grundfragen
der
Genußrechte
Explikation
Diese allgemein genannte, aber wie gezeigt zu ungenaue Begriffsbestimmung ist präziser zu fassen. Es geht hier um den Versuch, auf der Grundlage des Sprachgebrauchs Kriterien des Begriffs „Genußrecht" herauszuarbeiten, die ihm eine bestimmte Bedeutung geben. Maßstab ist dabei der Nutzen 8 6 für den verfolgten Zweck, ein bestimmtes Phänomen als Rechtsform „Genußrecht" von anderen Rechtsformen (Phänomenen) abzugrenzen. Das Ziel ist ein entsprechend präzisierter, allgemeiner Tatbestand zur Subsumtion von Einzelfällen. Expliziert wird gemäß der rechtssprachlichen Verknüpfung anhand der Aktiengesellschaft. a) „Typische"
Vermögensrechte
und
Schuldrecht
Bezugspunkt der Genußrechte sind die „typischen" Vermögensrechte eines Aktionärs. Was ist darunter zu verstehen? Die „typischen" Vermögensrechte eines Aktionärs entstammen dem Wesenskern seiner Kapitalbeteiligung. Sie sind verkörpert in den Ansprüchen, kraft Anteil am Grundkapital der Aktiengesellschaft am Bilanzgewinn in Form von Dividende (§§ 58 Abs. 4, 60 AktG) und am Restvermögen bei Liquidation der Gesellschaft (§ 271 AktG) teilzuhaben. Beide Rechtspositionen werden ergänzt durch Bezugsrechte des Aktionärs (§§ 186, 221 Abs. 4 AktG), die seine Beteiligungsquote relativ zu anderen Berechtigten sichern. Das ist der enge Kreis „typischer" Vermögensrechte eines Aktionärs. Solch ein Vermögensrecht - und zwar als Bezugsgröße denknotwendig nur ein solches Vermögensrecht - kann grundsätzlich auch über ein „Genußrecht" eingeräumt werden; auf Einzelfragen gehen wir später ein. Entscheidend ist neben dem Inhalt der Charakter der Rechtsposition, unter die subsumiert werden soll. Die Aktionäre sind Gesellschafter. Ihre Rechte auf Teilhabe an Gewinn und Liquidationserlös sowie die Bezugsrechte auf solche neuen Rechtspositionen (Ausgabe junger Aktien, Genußrechte) entstammen dem Mitgliedschaftsverhältnis. Dagegen kennzeichnet der Begriff „Genußrecht", daß die genannten Vermögensrechte gerade nicht als mitgliedschaftliche Rechtspositionen gewährt werden. Der Genußrechtsinhaber steht als solcher außerhalb des Verbandes der Aktionäre. Seine Teilhabe - die im Grunde mit Vermögensrechten der Aktionäre konkurriert und das auch muß 87 - entstammt keinem Mitgliedschaftsverhältnis, sondern einer Gläubi-
86 Dazu Bydlinski, Methodenlehre, S. 301, der auch von „Fruchtbarkeit" spricht. Kuhlen, Typuskonzeption, S. 31, f ü h r t entsprechend aus, daß Explikationen nicht wahr oder falsch, sondern n u r adäquat (zweckmäßig) oder inadäqaut (unzweckmäßig) sein können. 87 Ebenso bereits Lutter, in: Kölner Kommentar, § 221 Rn. 198.; Gehling, W M 1992, 1093, 1094f. (aber wohl begrenzt auf einen „Genußrechtsbegriff des § 221 Abs. 3 A k t G " ) .
§ 4 Grundfragen
der
Genußrechte
97
gerposition gegenüber der Aktiengesellschaft. 88 Dieser Unterschied ist wesentlich für den Genußrechtsbegriff, grenzt er ihn doch im Verhältnis zu anderen Rechtspositionen ab. Er ist in die Begriffsbestimmung aufzunehmen. Davon unberührt bleiben aus dem Genußrechtsverhältnis erwachsende Zinsansprüche und weitere Kompensationspositionen. 89 Danach können wir vorläufig wie folgt präzisieren: Genußrechte sind Inbegriff schuldrechtlicher Ansprüche 90 auf Teilhabe am Gewinn und/oder Liquidationserlös einer Aktiengesellschaft; hinzu tritt grundsätzlich ein entsprechendes Recht auf Bezug solcher neuen Rechtspositionen zur Sicherung der Beteiligungsquote. Anders gewendet ist schon festzuschreiben: N u r soweit ein derartiges schuldrechtliches Vermögensrecht vorliegt, ist die Bezeichnung „Genußrecht" zureffend. Wird der Begriff abweichend oder für einen genußrechtlichen Tatbestand ein anderer Begriff verwendet, ist das unbeachtlich 91 ; bestimmte Rechtsfolgen können Vertragsparteien so weder vermeiden noch herbeiführen. b) „Massenweise"
Begebung
(Börsenemission)
Eine Aktiengesellschaft kann nach überkommener Sicht Genußrechte in großem Stil, entsprehende Rechtspositionen aber grundsätzlich auch in Einzelverträgen begründen. Die Bedürfnisse für solche individuellen Vereinbarungen können verschieden sein. Genannt werden z.B. besondere Tantiemen an (ehemalige) Mitglieder von Aufsichtsrat oder Vorstand 92 oder auch Regelungen im Rahmen von Lizenzvereinbarungen, um künftiger, noch ungewisser Erfolgsteilhabe Form zu geben. Das Verhältnis derart einzelvertraglich gewährter Rechte zum Begriff „Genußrecht" ist umstritten. Einerseits werden sie von ihm ganz ausgenommen, weil „Genußrecht" nur gleichartige, irgendwie genormte Rechtsvorteile umfasse. 93 Andere Autoren sehen in ihnen zwar „Genußrechte", subsumieren sie aber nicht unter § 221 Abs. 3 AktG 1965. Gefordert wird dazu die Ausgabe von (genußrechtlichen) Rechtspositionen „mit einem kollektiven Element" 94 oder auch „eine größere Emission gleichartiger Genußrechte" 95 . 88 Dazu historisch etwa oben in 2 sowie in § 2 B I und § 3 A I, B I. Besonderheiten k o m men bei Begründung von Genußrechten „societatis causa" in Betracht; dazu Lutter, FS Döllerer 1988, S. 383 ff. 89 D a z u noch in III 4 b u n d später besonders in § 11 A III 5. 90 Insoweit im Ergebnis gleich Karollus, in: G e ß l e r / H e f e r m e h l / E c k a r d t / K r o p f f , § 221 Rn. 238. 91 G r u n d s a t z der falsa demonstratio non nocet; ebenso Karollus, in: G e ß l e r / H e f e r m e h l / E c k a r d t / K r o p f f , § 221 Rn. 239 (m.w. Nachw.). 92 Gottlieb, D e r Genußschein, S. 6; Ernst, A G 1967, 75, 77. 93 Teichmann/Koehler, K o m m e n t a r z u m Aktiengesetz, § 174 A n m . 4. 94 Schilling, in: G r o ß k o m m e n t a r A k t G , § 221 A n m . 10; Wünsch, FS Strasser 1983, 871, 877; Schön, Z G R 1993, 210, 235. 95 Karollus, in: G e ß l e r / H e f e r m e h l / E c k a r d t / K r o p f f , § 221 Rn. 241.
98
Teil I: Entwicklung
und Grundfragen
der
Genußrechte
Die letztzitierten Autoren argumentieren mit dem Normzweck von § 221 AktG 1965, der über die Regelung der Zuständigkeit der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft bei der Genußrechtsausgabe und die Gewährung eines Bezugsrechtes auf den Schutz der Aktionäre zielt. Sie umschreiben damit den Begriff „Genußrecht" eher normspezifisch, was hier schon abgelehnt wurde. Entscheidend ist, daß die Frage der Zuständigkeit der Hauptversammlung erst aufkommt, wenn feststeht, daß es überhaupt um ein „Genußrecht" geht. Insoweit ist das Kriterium „massenweise Gewährung" für die Begriffsbestimmung kaum geeignet. Abgehoben von der Einzelnorm lohnt es jedoch nähere Betrachtung. Dabei sind verschiedene Aspekte zu differenzieren. Einmal geht es um die Frage nach dem Verhältnis zwischen Genußrecht und Unternehmensvertrag; diese konzernrechtliche Frage wird zunächst zurückgestellt. Andererseits steht der vorrangige Aspekt der Begriffsbestimmung zum Schutz (potentiell) betroffener Interessen im Raum. In diesem Kern treffen sich beide genannten Meinungen, auch wenn sie auf unterschiedlichen Stufen ansetzen. Die Position, „Individualvereinbarungen" tatbestandlich auszuklammern, wirbt auf den ersten Blick mit dem Charme, den Genußrechtsbegriff per definitionem einzugrenzen. Dabei mag als ihr Vorzug erscheinen, daß auch die beim Genußrecht in Bezug genommene(n) Vermögensposition(en) des Aktionärs im Grundsatz typisierte, also insoweit nicht individuell ausgehandelte Rechtspositionen sind. Damit verfehlt freilich der Blick Wesentliches. Einerseits sind auch Aktien im Rahmen ihrer typischen Rechtspositionen durchaus verschieden gestaltbar. Verwiesen sei auf Vorzugsaktien ohne Stimmrecht. Sie müssen zwar eine notwendige Ausstattung (Vorzugsdividende, Recht auf Nachzahlung) aufweisen. Wie hoch aber etwa der Vorzug bemessen ist, ob er zugleich die Höchstdividende bezeichnet oder weitergehend eine Mehrdividende geboten wird, kann im Einzelfall satzungsgemäß bestimmt werden. 96 Möglich ist ebenso, nach § 60 Abs. 3 AktG die Gewinnbeteiligung bestimmter Aktien einzuschränken oder ganz auszuschließen. 97 Wer käme auf die Idee, solche Tatbestände aus dem Begriff „Aktie" auszuklammern? Andererseits ist das Kriterium „individuell" ungeeignet, eine sinnvolle Trennlinie unter Schutzaspekten zu ziehen. Auch eine sogenannte „Individualvereinbarung" kann erhebliche Auswirkungen auf die Geschäftslage haben. Nicht die Zahl, sondern die Gesamtsumme der auf schuldrechtlicher Basis begründeten aktionärstypischen Vermögensrechte ist maßgebend, soll der Aktionärsschutz (z.B. nach § 221 AktG) nicht untergraben werden. Entsprechend begründete aktionärstypische Vermögenspositionen sind ihrerseits schutzbedürftig (z.B. nach § 5 Abs. 1 Nr. 7, § 23 UmwG). Es wäre abnorm, den Rechtsinhabern solcher schuldrechtlichen Positionen den allgemeinen
" 97
Näher Hüffer, Aktiengesetz, § 139 Rn. 8 und (allgemein) Rn. 5-10. Hüffer, Aktiengesetz, § 60 Rn. 7.
§ 4 Grundfragen
der
Genußrechte
99
gesetzlichen Schutz unter Verweis auf eine ohnehin nur bedingt scheidungskräftige „Individualität" 9 8 ihrer Position vorzuenthalten. Die teils vertretene umgekehrte Abgrenzung eines Genußrechtsbegriffs über das Kriterium „massenweise Begebung" wäre zwar weiter zu objektivieren, indem man strikt auf börsliche Emissionen abstellte. Die vorgenannten Einwände würden davon aber nicht berührt. Insgesamt muß vielmehr maßgebender Anknüpfungspunkt jeder Prüfung bleiben, inwieweit die Gesellschaft jeweils aktionärstypische Vermögensrechte einräumt. Damit ist der oben (unter lit. a) ausgeführte, subsumtionsfähige Kern des Genußrechtsbegriffs bestätigt. Weitere Aspekte wie eine „ G e n u ß " - G e w ä h r u n g im „laufenden G e schäftsverkehr" 9 9 können im Einzelfall ergänzende Prüfungspunkte sein. Das Kriterium „Börsenemission" trägt begrifflich bei der praktisch besonders wichtigen F o r m des verbrieften Investitionsgenußrechts (Investitionsgenußschein). 100
c) Abstraktionsprinzip
und
Genußkapitaleinlage
Nach bisherigem Stand bezeichnet der Genußrechtsbegriff die Gewährung von aktionärstypischen Vermögensrechten auf schuldrechtlicher Grundlage, also außerhalb eines gesellschaftsrechtlichen Verhältnisses. D e r Begriff wird mithin einseitig auf die (potentielle) Vorteilsposition des Genußrechtinhabers gefaßt. Dahinter mag vor allem die traditionelle Einstufung von Genußrechten als abstraktes, also vom Grundverhältnis zwischen ausgebender Gesellschaft und ersten Erwerber unabhängiges Schuldversprechen nach § 780 B G B 1 0 1 stecken. Besonderheiten, namentlich Mängel im kausalen Grundverhältnis, könnten so zugunsten der Nacherwerber abgeschnitten werden. Die Abstraktheit der regelmäßig verbrieften Genußrechte (Genußscheine) soll deren Umlauffähigkeit sichern, ist aber unter Hinweis auf eine kausale Natur des Rechtsverhältnisses bestritten. 1 0 2 Beide Positionen verharren letztlich in überkommenen Schablonen, die den eigenständigen Charakter des Genußrechtsverhältnisses nicht tragen. Die konsequente Durchführung des Abstraktionsgedankens verbaut Nacherwerbern sinnwidrig auch schützende Einwände aus den im Grundverhältnis vereinbarten Genußscheinbedingungen, während die rein kausale Betrachtung 98 Beachtlich ist insofern etwa, daß sämtliche „Genußrechte" einer Gesellschaft von einem Inhaber, namentlich in Form der heutzutage üblichen Globalurkunden, gehalten werden können. Das verweist zugleich in den Bereich von Gewinnabführungsverträgen; dazu unten in
CII.
" Karollus, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, § 221 Rn. 242, mit Verweis auf Schilling, in: Großkommentar, § 221 Anm. 10, spricht insofern zutreffend von einer Kontrollfrage. 100 Dazu unterC. 101 Lutter, in: Kölner Kommentar, § 221 Rn. 239: „stets" (m.w. Nachw.); enger Karollus, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, § 221 Rn. 342: „zumeist". 102 Rid-Niebler, Genußrechte, S. 142f., sieht den „Genußschein mit Eigenkapitalcharakter" als deklaratorisches und damit kausales Wertpapier.
100
Teil I: Entwicklung
und Grundfragen
der
Genußrechte
tatsächlich die Umlauffähigkeit erheblich beeinträchtigen kann. Vorzugswürdig ist bei Genußscheinen im Grundsatz die Annahme eines (bedingt) abstrakten Rechtsverhältnisses, das die Inhaltskontrolle der Genußscheinbedingungen nicht hindert.103 Diese sind im Genußschein mitverkörpert. Folglich ist für die Begriffsfassung der Gesichtskreis zu weiten. Allein der Blick auf die mit dem Genußrecht erworbenen vermögensrechtlichen Positionen erfaßt nicht den Wesensgehalt des Genußrechtsverhältnisses. Er bestimmt sich nach dem Kerngehalt des Genußrechtsvertrages. Dazu zählt auch und gerade die Gegenleistung für die Genußgewährung. Die schon im schweizerischen Obligationenrecht betrachtete Haltung, daß eine Aktiengesellschaft Genußrechte grundsätzlich nur für ein wertmäßiges Äquivalent begründen darf, gibt rechtes Maß.104 Das notwendige Äquivalent muß ein entsprechend werthaltiger Vorteil sein, den die Gesellschaft erlangt (hat). Praktisch ist das in der Regel die Einlage von Kapital (Genußkapitaleinlage). Sie dient aus Sicht der Aktiengesellschaft der Finanzierung des Gesellschaftsunternehmens und aus Sicht der Genußberechtigten der Kapitalanlage. Dafür sind im Genußrechtsvertrag bestimmte Konditionen vereinbart. Vom Einzelfall abgehoben entstammen diese einem rechtlich begrenzten Grundkanon, also (gemäß oben lit. a) etwa: Gewinnteilhabe, Wandelrecht, Nachrangigkeit des RückZahlungsanspruches bei Liquidation, Verlustbeteiligung. Insgesamt ist danach das Genußrechtsverhältnis als Rechtskategorie in seiner Sinnhaftigkeit nur durch Einbeziehung seiner Zweckprägung erfaßbar. Das strahlt auf den Genußrechtsbegriff aus. Der Begriff „Genußrecht" wird folglich nicht durch Bezug auf den jeweiligen Normzweck einzelner GesetGenußrechtsverhältnisses zesregeln bestimmt, sondern durch den Zweck des selbst.105 Andernfalls würde der zweite Schritt vor dem ersten gesetzt und damit jeder Versuch um die gebotene Begriffsklarheit straucheln. Die Genußkapitaleinlage ist in den Genußrechtsbegriff einzubeziehen. 4. Zwischenergebnis:
Zweckbezug
Damit bleibt festzuhalten, daß nicht wechselnder Normbezug, sondern der wesenseigene Zweckbezug der Rechtsform für die Definition von „Genußrecht" maßgebend ist. Im wofür kristallisiert der Nukleus des Genußrechts103 Ähnlich Karollus, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, § 221 Rn. 342, der vom abstrakten Schuldversprechen als Regelfall ausgeht. Bereits nach geltendem allgemeinen Recht ist das Abstraktionsprinzip kein ausnahmsloses Dogma: Mängel des Grundgeschäfts können das Erfüllungsgeschäft erfassen. 104 Das gilt auch für Aktionäre als Genußrechtserwerber ihrer Gesellschaft, namentlich unterbindet es Ausgaben tatsächlicher „Gratis-Genußrechte". Zu weit insofern Lutter, in: Kölner Kommentar, § 221, Rn. 237, wonach dabei keine Fragen „zur Einlage, ihrer Leistung und ihrem Wert entstehen"; dagegen abgewogen Karollus, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, § 221 Rn. 344. Zum schweizerischen Recht oben § 2 C III. 105 Grundlegend über Zweckbegriff und Kapitalanlage/Finanzierung unten § 5 B.
§4
Grundfragen
der Genußrechte
101
Verhältnisses. Das genußrechtliche Phänomen wird als Rechtsform durch Rückgriff auf seinen spezifischen Gehalt als Kapitalanlage- und Finanzierungsform gegenüber anderen Rechtsformen der Kapitalanlage und Finanzierung abgrenzbar. Demnach wird für die Aktiengesellschaft allgemein „Genußrecht" zunächst wie folgt präzisiert: Ein Genußrecht ist der Inbegriff eines schuldrechtlichen Anspruchs auf ein typisches Vermögensrecht eines Aktionärs (wie Gewinn- und/oder Liquidationseriösteilhabe, Bezugsrecht auf junge Genußrechte, Umtauschrecht in Aktien), den eine Aktiengesellschaft gegen einen entsprechend wertigen Vorteil gewährt. Zeitgemäß können wir das später (unter C) für die Kapitalaufnahme mittels Genußscheinemission weiter klären. Zuvor ist die Rechtsform „Genußrecht" in das zivilrechtliche Gesamtsystem der Rechtsverhältnisse methodisch einzuordnen.
III. 1.
Genußrecht
als schuldrechtliche
Beteiligung
Scheindilemma
Das Genußrecht ist der Inbegriff eines Genußrechtsverhältnisses. Bevor wir darauf (unter IV) eingehen, ist der rechtliche Charakter von Genußrechten näher zu beleuchten. Wir haben gesehen, daß dies schon immer das Kernproblem war. Als Grund dafür trat hervor, daß in Form eines Genußrechts dem Inhaber gegenüber der Aktiengesellschaft zwar ein Vermögensrecht wie einem Aktionär eingeräumt wird, aber auf schuldrechtlicher Basis. Damit treffen zwei grundsätzlich konträr gedachte Rechtscharaktere - Mitgliedschaftsrecht und Gläubigerrecht - faktisch in einer Rechtsposition zusammen. Das scheinbare Dilemma ist aufzulösen. Den nachhaltigsten Ansatz dazu hat Hans Würdinger vorgelegt. Wie schon angesprochen, subsumiert er Genußrechte der „Beteiligung": Einem Rechtsverhältnis, das er „als rechtslogische Denkform" formuliert, als „ein subjektives Recht eigener Kategorie". 106 Wir wollen diesen Ansatz vertiefend aufgreifen. Er ist angebunden an die Rechtsposition des Aktionärs und führt als Ausgangspunkt zu der allgemeinen Frage nach dem Verhältnis des Gesellschafters zum Gesellschaftsvermögen. 2. Theorie a) Problem,
vom Wertanteil Meinungen
und
am
Gesellschaftsvermögen Stellungnahme
Das von den Gesellschaftern einem bestimmten Zweck gewidmete Gesellschaftsvermögen ist dinglich gebundenes Sondervermögen, das rechtlich vom Privatvermögen des einzelnen Gesellschafters geschieden ist. Dieses Tren106 Würdinger, Aktienrecht (l.Aufl.), S. 41; zustimmend etwa Ernst, Der Genußschein, S. 115f. und A G 1967, S. 75, 78.
102
Teil I: Entwicklung
und Grundfragen
der
Genußrechte
nungsprinzip prägt die Gesamthand und die juristische Person, wenn auch in unterschiedlicher Schärfe.107 Bei einer Gesamthand stehen die im Sondervermögen versammelten Rechte einer Personenmehrheit gemeinsam und paritätisch zu. In Form einer juristischen Person ist das Sondervermögen als eigenständiger Rechtskreis verselbständigt. Noch im ausgehenden 19. Jahrhundert war die juristische Personqualität der Aktiengesellschaft umstritten.108 Die Diskussion ging gerade um die Frage der Aktionärsstellung zum Gesellschaftsvermögen. Mit der allgemeinen Anerkennung eigener Rechtspersönlichkeit der Aktiengesellschaft ist dieses Problem nicht gelöst. Das zeigt das Meinungsspektrum. Der Aktionär soll keinerlei „Miteigentum"109 am Gesellschaftsvermögen, auch kein „sonstiges dingliches Recht", nach anderer Ansicht ein „sachenrechtsähnliches Recht", jedenfalls aber Vermögensrechte mit mehr als einem „bloß schuldrechtlichen Charakter" haben.110 Die Regierungsbegründung zum Entwurf AktG 1965 spricht vom „wirtschaftlichen Eigentum der Aktionäre" 111 . Abgesehen von solchen Konstruktionen geht es im Kern bei allen Gesellschaftsformen um folgende Sachlage. Indem die Gesellschafter das Vermögen der Gesellschaft stellen (es also nicht etwa schenkweise zuwenden), entstehen drei Zuordnungsfragen; zuzuordnen sind: (1) die Substanz, (2) Nutzen und Ertrag der Substanz sowie (3) die Dispositionsbefugnisse über Substanz und Ertrag.112 Im Anschluß an Otto von Gierke ist dabei inzwischen die Erkenntnis verbreitet, daß die auf Interessenausgleich in Zweierbeziehungen gerichteten Kategorien des Schuld- und Sachenrechts im Gesellschaftsrecht so nicht tragen.113 Die Mitgliedschaftsrechte sind zutreffend als eigenständige Kategorie subjektiver Rechte erfaßt114, wobei die Akzente verschieden gesetzt werden. Eine Ansicht sieht in dem Inhalt des Mitgliedschaftsrechts „gesellschaftsrechtlich vermitteltes Eigentum" und das Stimmrecht als Ausdruck der dem 107 Vgl. Wedemann, Gesellschaftsrecht, S. 198f. und S. 248ff.; Reinhardt/Schultz, Gesellschaftsrecht, Rn. 43. Zur juristischen Person näher in § 5 C I. 108 Im Anschluß an Art. 126 A D H G B , nach dem „jeder Aktionär einen verhältnismäßigen Anteil am Vermögen der Gesellschaft" hatte; Einzelheiten bei K. Lehmann, Recht der Aktiengesellschaften, Band 1, S. 236ff. 109 Siehe nur von Godin/Wilhelmi, Aktiengesetz, § 1 Anm. 3. 110 Ubersicht bei Flechtheim, in: Düringer-Hachenburg, § 179 Anm. 12. Zum parallelen Problem bei der Gesamthand Nachweise bei Huber, Vermögensanteil, S. 145 (dort Fn. 9-11). 111 BT-Drs. IV/171, S. 93; daran anschließend auch Kühler, Gesellschaftsrecht, S. 171. Der Abgeordnete Wilhelmi bezeichnet die Aktionäre in der 1. Lesung, Stenographische Protokolle, 4. Wahlperiode, 187. Sitzung, 25.5.1965, S. 9403, als „Eigentümer und Mitglieder der Gesellschaft". 112 Siehe Reinhardt, FS W. Schmidt 1959, S. 24f. 113 Eingehend Wiedemann, Gesellschaftsrecht, S. 700ff., der O. von Gierke, Genossenschaftstheorie (1887), S. 319, zitiert; vgl. Reinhardt, FS W. Schmidt 1959, S. 23, 24 und 26ff., der allerdings - zumindest mißverständlich - von „der Eigentümerstellung des Aktionärs als Träger des Unternehmens" spricht, S. 29. 114 So schon Würdinger, Aktienrecht (1. Aufl.), S. 39ff., 41; Wiedemann, Gesellschaftsrecht, 5. 702.
5 4 Grundfragen
der
Genußrechte
103
„Eigner" zustehenden Verfügungsbefugnis. 115 Dem einlegenden Gesellschafter bleibt danach die Substanz seiner Einlage mittelbar zugeordnet. Bei juristischen Personen sind die Gesellschafter nach dem Trennungsprinzip allerdings nicht mehr als „Eigentümer" anzusprechen. 116 Diese mit dem Sacheigentum (§ 903 B G B ) verknüpfte Bezeichnung steht der Gesellschaft (also etwa der A G , G m b H ) zu. Man sollte allgemein von Anteilseignern, Beteiligten oder schlicht von Gesellschaftern sprechen. Würdinger117 sieht die Mitgliedschaft (Beteiligung) als Zuordnung quotaler Vermögensrechte an den Aktionär, der selbst nicht mehr Eigentümer der geleisteten Einlage sei und dafür das Stimmrecht erhalte. Er bezeichnet diese rechnerische „Beteiligung" am Gesellschaftsvermögen als Wertanteil und stuft sie als bei allen Gesellschaftsformen wiederkehrendes Rechtsverhältnis ein. Dieses Denkmodell erfaßt erstmals das Verhältnis der Gesellschafter zu dem im Bestand wechselnden Gesellschaftsvermögen bei allen Gesellschaftsformen. Namentlich Ulrich Huber hat in seiner Habilitationsschrift 118 die Theorie vom Wertanteil untermauert und ausgebaut. Beide Positionen liegen freilich enger aneinander, als bei der Gemengelage in diesem Vermögensbereich auf den ersten Blick erscheinen mag. Die Beteiligung des Gesellschafters als „Wertanteil" wird ohne jeden Bezug auf die Muster des Sacheigentums eine zu abstrakte Größe. So sieht auch Huber den Gesellschafter als jemanden, dem ein Stück des gemeinsamen Unternehmens zwar „nicht unbedingt der dinglichen Zuordnung nach", wohl aber dem Wert nach „gehöre" und spricht in Abgrenzung zum „Nutznießer ohne Recht an der Substanz" (z.B. Destinatär einer Stiftung) von einer „eigentumsähnlichen" Stellung. 119 Dabei zeigt gerade die Regelung der Dispositionsbefugnis 115 So BVerfGE 50, 290, 342 ff. (MitbestimmungsG) etwa zum Eigentumsschutz nach Art. 14 G G ; siehe auch oben BT-Drs. und Literatur (vier Fn. zuvor) sowie weitere Nachweise zum Schrifttum bei Würdinger, Aktienrecht, S. 49 (dort Fn. 4). 116 Siehe Wiedemann, Gesellschaftsrecht, S. 199, der für die juristische Person eine „vollkommene Vermögenssonderung" annimmt und es auch ablehnt, deren Mitglieder als „wirtschaftliche Eigentümer" anzusprechen; a.A. Huber, Vermögensanteil, S. 171. 117 Aktienrecht (1. Aufl.), S. 39 ff., wo er seine Auffassung von der Beteiligung als eigenständiges subjektives Recht entwickelt und ders., Aktienrecht (4. Aufl.), S. 48 ff. 118 Vermögensanteil, Kapitalanteil und Gesellschaftsanteil, S. 145 ff.; ähnlich spricht etwa Ulmer, in: Münchener Kommentar, § 717 Rn. 15, vom sog. „Vermögenswert der Beteiligung", lehnt jetzt aber die rechtliche Anerkennung ab (§ 705 Rn. 153b). Vgl. dagegen früher schon Kohler, AcP 91 (1901) 155ff., der dem Eigentum als Urbild des Substanzrechts („die Sache an sich") die Wertrechte („die Sache kraft ihrer Werteigenschaft") kontrastiert, für die er das Pfandrecht als Urbild sowie auch die „Aktien- und sonstigen Gesellschaftsrechte" (S. 208) benennt. 119 Huber, Vermögensanteil, S. 156; siehe dort auch S. 152 f., wonach die Beteiligung am Gesellschaftsvermögen nicht gänzlich unabhängig von der dinglichen Zuordnung der Gegenstände des Gesellschaftsvermögens sei. Würdinger formuliert in RGR-Kommentar zum H G B (2. Aufl., 1. Band, Berlin 1953), Allg. Einl. Anm. 70, Beteiligungen vermittelten dem Inhaber einen Wertanteil jenes Vermögens, auf welches sie sich beziehen, stellten also eine Form des Sachbesitzes dar.
104
Teil 1: Entwicklung
und Grundfragen
der
Genußrechte
von Gesellschaftern, wie variantenreich die Konstruktion „korporativen" Vermögens sein kann. Das relativiert beide genannten Positionen. Ihre jeweilige Bezugnahme auf das Stimmrecht verliert schon angesichts der stimmrechtslosen Vorzugsaktie an Aussagekraft. Schließlich kann die Ansicht vom „gesellschaftsrechtlich vermittelten Eigentum" ihrerseits den „Anteil", der dem einzelnen Gesellschafter am Gesellschaftsvermögen „vermittelt" wird, nur mit den rechnerischen Mitteln der Theorie vom Wertanteil erfassen und darstellen. Diese entsprechen der gesetzlichen Regelung und Funktion der Kapitalanteile120, den Wert der Beteiligung des Gesellschafters am Gesellschaftsvermögen auszudrücken. Nämlich bei Kapitalgesellschaften121 mittels Quotient; in Aktiengesellschaften ist dieser traditionell das Verhältnis des Nennbetrags der gehaltenen Aktien zur Nennbetragssumme aller Aktien. Insgesamt dürfte die Kombination beider Positionen - etwa auf der Grundlage des Ansatzes, das individuelle Eigentumsrecht wandele sich in ein neuartiges Sondervermögensrecht ( W i e d e m a n n ) - für das Gesellschaftsrecht122 vorzuziehen sein. Nach diesem Verständnis steht der Wertanteil für das gesellschaftsrechtliche Sondervermögensrecht, das dem Gesellschafter kraft seiner Mitgliedschaft zukommt. b) Wertanteil
am
Gesellschaftsvermögen
Der Gesellschafter hat einen Anteil am Wert des gesellschaftlich gebundenen Sondervermögens (Gesellschaftsvermögen). Der Begriff „Vermögen" wird verschieden interpretiert.123 Bilanziell gefaßt bezeichnet er grundsätzlich die vom Kaufmann auf der Aktivseite ausgewiesenen bewerteten Wirtschaftsgüter (Bilanzvermögen). Weitergehend kann die mit der Aktivseite korrespondierende Passivseite der Bilanz einbezogen werden, denn die Summe des Vermögens (Aktiva) ist dazu bestimmt, die Summe des Kapitals (Passiva) zu decken. Schlüsselt man die Passivseite grob auf, so stehen dort neben dem Eigenkapital die bewerteten Schulden (Fremdkapital). Sie lasten auf den Aktiva124, für diese Schulden haftet das Bilanzvermögen. Die Differenz zwischen dem Wert des Bilanzvermögens und dem Wert der Schulden wird Rein-
Zu diesen ausführlich Huber, Vermögensanteil, S. 173 ff. Bei Personengesellschaften werden die Kapitalanteile im Saldo laufender Kapitalkonten ausgewiesen; dazu Pauli, Das Eigenkapital der Personengesellschaften, Münster 1989. 122 Nach Würdinger, Aktienrecht, 1. Aufl., S. 41 (4. Aufl., S. 50), erfaßt die „Beteiligung" als Wertanteil weitere Erscheinungen; siehe unten sub Ziffer 2. Zum vermögensrechtlichen Charakter des Mitgliedschaftsrechts noch unter C I (vorletzter Abs.), zum Sondervermögen unter § 5 C I. 123 Grundsätzlich Heinen, Handelsbilanzen, S. 14ff.; von Tuhr, Der Allgemeine Teil Deutschen Bürgerlichen Rechts, Band 1, S. 313 ff.; zu älterer Literatur Gruchot, Erbrecht, S. 4ff. 124 Siehe Gruchot, Erbrecht, S. 4; von Tuhr, Der Allgemeine Teil Deutschen Bürgerlichen Rechts, Band 1, S. 323 f. 120 121
§ 4 Grundfragen
der
Genußrechte
105
vermögen genannt. 125 Das Reinvermögen bezeichnet den (bilanziellen 126 ) Wert des Gesellschaftsvermögens. Die genannten Größen sind jeweils in Geld als dem allgemeinen Tauschmittel ausgedrückt. An dem Vermögen der Gesellschaft hat der Gesellschafter - wie gerade {lit. a) gezeigt - einen ziffernmäßig darstellbaren, rechtlichen Anteil. Dieser Wertanteil, den Huber überzeugend ausführt, 127 ist ebenso wie das Gesellschaftsvermögen selbst kein Datum, sondern in seiner Höhe schwankend. Der Gesellschafter ist am Gesellschaftsvermögen in seinem wechselnden Bestand und Wert beteiligt. Auszugehen ist vom Startkapital, also den anfänglichen Einlagen, mit dem die Gesellschafter die Gesellschaft vermögensmäßig dotieren. Die wirtschaftliche Tätigkeit der Gesellschaft mindert dieses Vermögen bei Verlust und mehrt es bei Gewinn. Der einzelne Gesellschafter partizipiert daran über die vereinbarte Beteiligungsquote. Entsprechende Veränderungen durch Gewinne oder Verluste - aktuelle ebenso wie erwartete künftige - beeinflussen seinen Wertanteil. Der Wert der Einlage 128 sowie der Beteiligungsschlüssel an Gewinn- und Verlust sind also die Faktoren, mit denen der Wertanteil des Gesellschafters am Sondervermögen auf der Zeitschiene benannt werden kann. Der Wertanteil kann bei Kündigung des Gesellschaftsverhältnisses oder bei Liquidation der Gesellschaft realisiert werden. Ist der Deckungsgrad der Vermögensrechte über die Schulden größer als „Plus/Minus = Null", repräsentiert das Reinvermögen selber einen Wert. 129 Entsprechend seiner Beteiligung nimmt der Gesellschafter daran im Rahmen der Auseinandersetzung teil. Sein „Anteil" am Gesellschaftsvermögen (Wertanteil) wird dann „versilbert". Bei handelbaren Anteilen, also namentlich den Aktien einer Aktiengesellschaft, geschieht das regelmäßig durch den Verkauf über die Börse. 130 Der Wertanteil wird von der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG erfaßt. 131
125 Heinen, Handelsbilanzen, S. 14; Wöbe, Bilanzierung und Bilanzpolitik, S. 33; von Tuhr, Der Allgemeine Teil Deutschen Bürgerlichen Rechts (aaO.), nennt es „Nettovermögen". 126 Der tatsächliche Wert kann davon abweichen; Ursache dafür können etwa die Bilanzpolitik (z.B. Bildung stiller Rücklagen, Uberbewertung von Aktiva) oder die Tatsache sein, daß Werte des Gesellschaftsvermögens (z.B. Firmenwert) nicht bilanziert sind. 127 Vermögensanteil, S. 145ff.; darauf wird nachfolgend Bezug genommen. 128 Gegebenenfalls zuzüglich weiterer Einlagen, abzüglich Entnahmen. 129 Huber, Vermögensanteil, S. 145. 130 Dabei können die Verhältnisse Börsenwert einer Aktie/Wert des AG-Vermögens und Aktiennennbetrag/Nennbetrag des Grundkapitals voneinander abweichen. Gegen den Einwand Wiedemanns, gerade das entkräfte die Wertanteilstheorie, bereits treffend Huber, Vermögensanteil, S. 147f. Weiter über Wert des Gesellschaftsunternehmens und seiner Wertpapiere unten in § 7 C II. 131 Vgl. Huber, Vermögensanteil, S. 172; Würdinger, Aktienrecht, S. 49 f.
106
3. Genußrecht
Teil I: Entwicklung
als
und Grundfragen
der
Genußrechte
Beteiligung
Auf der Grundlage der Theorie vom Wertanteil hat Würdinger auch Genußrechte als eine Form der „Beteiligung" bezeichnet. Die Grundannahmen sind, daß der Genußberechtigte der Aktiengesellschaft als Dritter (Nichtmitglied) gegenüberstehe, das Genußrecht mangels Forderung im Sinne von § 241 B G B aber kein Gläubigerrecht sei. Das Genußrecht, so Würdinger in seinem Lehrbuch zum Aktienrecht 132 , vermittele dem Berechtigten einen (Wert-)Anteil 133 am Jahresgewinn oder am Liquidationserlös oder an beidem und habe „insoweit (...) dieselbe Rechtsnatur wie die Beteiligung des Aktionärs". Das motivierte ihn, Genußrechte zusammen mit den Anteilen der Aktionäre am Vermögen der Aktiengesellschaft134 als subjektive Rechte in die Rechtskategorie „Beteiligung" einzustellen.135 Zunächst sei nochmals festgehalten, daß für Würdinger die „Beteiligung" keine Rechtskategorie zwischen Mitgliedschafts- und Drittrecht ist. Sie ist, wie aufgezeigt, ein Denkmodell, um die aus der Mitgliedschaft in einer Gesellschaft entspringenden Rechtsfragen im Verhältnis der Gesellschafter zum gebundenen Gesellschaftsvermögen zu lösen, wofür die überkommenen schuld- und sachenrechtlichen Denkmuster nicht ausreichen. Die „Beteiligung" als subjektives Recht eigener Art steht als Ausdruck eines neuen „Sondervermögensrechts" geradefür das Mitgliedschaftsrecht in seinem substantiellen Gehalt. Nicht das übliche Sacheigentum ist dem Aktionär zugewiesen, sondern ein Wertanteil am Gesellschaftsvermögen als besondere Form der Sachzuweisung. „Beteiligung" und „Mitgliedschaft" bezeichnen nach Würdinger136 dasselbe Rechtsverhältnis, sind synonym gesetzt und bilden den Kontrapunkt zum Drittrecht. Würdinger hat sein für das Verhältnis Aktionär/Vermögen der Aktiengesellschaft entwickeltes Denkmodell „Beteiligung" auf das Genußrecht übertragen. Das ist insofern zutreffend, als damit die dem Genußberechtigten zugewiesene Teilhabe an Gewinn und Liquidationserlös - die im Grunde jener des Aktionärs inhaltlich nachgebildet ist - ihrem Wertgehalt entsprechend auch als „Wertanteil" erfaßt wird. Diesen Sachverhalt kennzeichnet Würdinger, indem er klarstellt, das Genußrecht habe insoweit dieselbe Rechtsnatur wie die Beteiligung des Aktionärs. 137 Genußrecht und Aktionärsrecht sind also nur partiell gleichgesetzt. Eine weitergehende Übertragung seines DenkSiehe nur 1. Aufl., S. 88 und 4. Aufl., S. 86. Ab der 2. Aufl. seines Lehrbuchs spricht er nur noch vom „Anteil", was aber dem Inhalt nach ersichtlich keine Änderung seiner Position ausdrückt. 134 Sowie den Anteilen der Gesellschafter einer bürgerlich-rechtlichen Gesellschaft, den Kapitalanteilen der Gesellschafter einer O H G oder K G , den Gewinnanteilen stiller Gesellschafter und den Anteilen der Miterben am Nachlaß; siehe nachfolgende Fn. 135 Siehe nur Würdtnger, Aktienrecht (1. Aufl.), S. 41; weithin folgend Ernst, Aktienrecht, S. 114ff. und ders., A G 1967, 75, 78. 13 ' Siehe dazu auch ebenda, 4. Aufl., (S. 49). 137 Ebenda. 132
133
5 4 Grundfragen
der
Genußrechte
107
modells auf Genußrechte hat Würdinger nicht im Sinn. Sie ist auch nicht möglich, denn der Genußberechtigte steht als Dritter - anders als der Aktionär - eben in keinem Mitgliedschaftsverhältnis zur Aktiengesellschaft. Das offenbart zugleich die Problematik. Wenn „Beteiligung" und „Mitgliedschaft" wie bei Würdinger synonym gesetzt werden, muß das Genußrecht eines Dritten als „Beteiligung" mangels Mitgliedschaft etwas anderes sein als die „Beteiligung" eines Aktionärs. Dieser Unterschied wäre nach dem oben138 ausgeführten Grundsatz begrifflicher Klarheit auch terminologisch zu markieren. Würdinger differenziert hier nicht ausreichend. Hinzu kommt, daß er es - jedenfalls zunächst - abgelehnt hat, Genußrechte als Gläubigerrechte anzusprechen.139 Damit ist das Rechtsverhältnis insgesamt unzulänglich erfaßt, denn es bleibt die Frage: Welche Rechtsnatur hat das Genußrecht, soweit es nicht der „Beteiligung" des Aktionärs entspricht? 4. Schuldrechtliche
Beteiligung
Diese Frage ist einheitlich für das Genußrecht als Inbegriff des Genußrechtsverhältnisses zu beantworten. Ausgangspunkt ist dabei die schon getroffene Feststellung, daß der Genußberechtigte gemäß seiner Gläubigerstellung gegenüber der Aktiengesellschaft eine schuldrechtliche Position innehat. Dazu ist anzumerken, daß Würdinger gemäß der letzten Auflage seines Lehrbuchs140 die Grundannahme strikter Ablehnung des Genußrechts als Gläubigerrecht entfallen ließ. Das deutet auch bei ihm auf die Annahme eines „besonderen", eigenartigen Gläubigerrechts hin.141 Vor diesem Hintergrund steht folgender Lösungsvorschlag. Das Genußrecht ist seinem Wesen nach als schuldrechtliche Beteiligung zu etablieren. Die Überlegungen laufen damit auf zwei Fragenkomplexe zu: Was kennzeichnet eine schuldrechtliche Beteiligung allgemein (dazu sogleich), und wie ist es speziell bei Genußrechten (sub b). a)
Beteiligungsformen
Nimmt man die beschriebene Rechtskategorie „Beteiligung", so kann sie nur die begriffliche Klammer sein, die verschiedene Formen der Beteiligung umfaßt. Rechtstechnisch sind grundsätzlich zwei Spielarten zu unterscheiden: die mitgliedschaftliche Beteiligung und die schuldrechtliche Beteiligung. Mit beiden Formen korrespondiert jeweils ein bestimmtes „Wertrecht". DaÜber juristische Terminologie oben unter II 1 und 2. So ausdrücklich ders., Aktienrecht in der 1. bis 3. Aufl. (z.B. 3. Aufl., S. 78). Vgl. aber nachfolgend unter Ziffer 3. 140 Vgl. aaO., 4. Aufl., S. 85 ff. 141 Was im übrigen Würdingers ursprünglicher Sicht von 1943 entspricht; in: Gesellschaften, 2. Teil (Kapitalgesellschaften), S. 74, bezeichnete er - wohl erstmals - Genußrechte als „Beteiligungrechte", um sie gegen „gewöhnliche Gläubigerrechte" abzugrenzen. 138
139
108
Teil I: Entwicklung
und Grundfragen
der
Genußrechte
mit w i r d - zunächst allgemein gesprochen - ein Recht bezeichnet, das seinem Inhaber den (Teil-)Wert eines Gutes zuweist, das selbst formalrechtlich und tatsächlich einem anderen Rechtsträger zugeordnet ist. 142 Die mitgliedschaftliche Beteiligung haben w i r bereits betrachtet. Sie u m faßt mit d e m Wertanteil das gesellschaftsrechtlich vermittelte Sondervermögensrecht des Gesellschafters. H i n z u treten regelmäßig die mit einer M i t gliedschaft verbundenen Herrschafts-, Anfechtungs- u n d Kontrollrechte. N i m m t man beispielsweise die Aktiengesellschaft, dann ist der Wertanteil des A k t i o n ä r s ein Wertrecht an dem dinglich der juristischen Person zugeordneten Vermögen. Die mitgliedschaftliche Beteiligung, der „quasi-dingliche" Gehalt eines solchen Wertrechts, 1 4 3 ist gegen laufende W ä h r u n g s s c h w a n k u n g e n i m m u n u n d zeigt seinen „wahren Wert" gerade in Krisenzeiten. Die bei einem Währungsschnitt erforderliche Neufestsetzung der Kapitalverhältnisse einer Gesellschaft berührt nicht das Verhältnis der mit den Anteilen (als mitgliedschaftlichen Beteiligungen) verbundenen Rechte der Gesellschafter zueinander. 144 Inzwischen ist anerkannt 1 4 5 , daß auch Gläubigerrechten durch Parteiwillk ü r die Qualität eines Wertrechts beigelegt w e r d e n kann. Damit ist die F o r m der schuldrechtlichen Beteiligung angesprochen. N e b e n der A b g r e n z u n g gegen die mitgliedschaftliche Beteiligung ist auch ihr Verhältnis zur wertbeständigen Forderung zu beachten. Der Gläubiger als Inhaber einer auf eine feste Geldsumme (Geldbetrag) lautenden Forderung trägt neben dem speziellen Insolvenzrisiko seines Schuldners auch das allgemeine Inflationsrisiko, von dem der Geldbetragsschuldner grundsätzlich profitiert. Das Inflationsrisiko des Gläubigers kann durch w e r t m ä ß i g e Gestaltung eines Rechtsverhältnisses gemindert werden, indem eine Forderung statt auf einen fixen Betrag etwa auf eine nach einem bestimmten Maßstab (z.B. Preisindex) zu berechnende S u m m e geht. D a n n liegt eine wert beständige Forderung vor. 146 Ein solcher reiner Inflationsschutz führt freilich nicht zu einem „Wertrecht" im genannten Sinne, kann aber seinerseits Reflex eines Wertrechtes sein. Einer derartigen Konstellation begegneten w i r schon im historischen Teil. In der Wirtschaftskrise nach dem Ersten Weltkrieg w a r e n es gerade Genußrechte, die man entsprechend eingesetzt u n d - o b w o h l Gläubigerrechte - in der anschlie142 Vgl. Huber, Vermögensanteil, S. 166, der den Begriff aber, S. 167, auf alle „Geldwertschulden" bezieht; dazu sogleich (übernächster Absatz). 143 Huber, Vermögensanteil, S. 168, spricht von Wertrechten „im eigentlichen Sinne des Wortes". 144 Siehe z.B. § 41 Abs. 1 D - M a r k - B i l a n z g e s e t z vom 21.8.1949 (WiGBl. S. 279): „Das Verhältnis der mit den Anteilen verbundenen Rechte zueinander w i r d durch die Neufestsetzung nicht berührt." 145 Vgl. nur Huber, Vermögensanteil, S. 166f. und von Maydell, Geldschuld und Geldwert, S. 223; z u m früheren Meinungsstreit Caemmerer, JZ 1951, 417, 419, mit insgesamt recht instruktiven Ausführungen. 146 Dazu und z u m entsprechenden Begriff der „Wertschuld" Mügel, Aufwertungsrecht, S. 338-341.
5 4 Grundfragen
der
Genußrechte
109
ßenden Aufwertungsfrage einheitlich mit den gesellschaftsrechtlichen Positionen unter dem Begriff „Beteiligungsverhältnisse" als Wertrechte behandelt hat.147 Das hatte einen ganz bestimmten Grund, der zugleich den Kern des Wertrechts bezeichnet. Schuldrechtliche Beteiligungen an Gesellschaften haben gegenüber der wertbeständigen Forderung die Eigenart, daß der Inhaber am geschäftlichen Erfolg (ordentliche Erträge) oder auch am Vermögen (außerordentliche Erträge aus Auflösung stiller Rücklagen; Liquidation) des Schuldners teilnimmt. Im Unterschied zur mitgliedschaftlichen Beteiligung geschieht das aber als Nichtgesellschafter (Dritter). Dem Gläubiger wird für seine Leistung statt Festzins oder über eine Mindestverzinsung hinaus ein Gewinnanteil 148 und/ oder ein Anteil am Liquidationserlös zugesagt und zwar in Abhängigkeit von den Gewinn- oder Kapitalverhältnissen der Gesellschaft. Ihm ist damit schuldrechtlich ein Anteil an Werten zugewiesen, die vermögensrechtlich der Gesellschaft und darüber grundsätzlich den Gesellschaftern zugeordnet sind. Der § 41 Abs. 2 D-Mark-Bilanzgesetz 1949 nennt beispielhaft solche vertraglichen Beziehungen „der Gesellschaft zu Dritten, die von der Gewinnausschüttung der Gesellschaft, dem Nennbetrag oder dem Wert ihrer Aktien oder ihres Nennkapitals abhängen"; Konstellationen also, wie sie im Grunde bei Genußrechten vorliegen.149 Die schuldrechtliche Beteiligung kennzeichnet mithin, daß sie auf die (Vermögens-)Substanz der Gesellschaft bezogen ist und deshalb an Veränderungen in deren Kapital- oder Gewinnverhältnissen grundsätzlich wie eine mitgliedschaftliche Beteiligung teilnimmt. Als Wertrecht ist sie von Geldwertschwankungen unabhängig, ihr eigener Wert aber variiert vor allem entsprechend den jeweiligen Kapital- und Gewinnverhältnissen der Gesellschaft. Wirtschaftlich rückt der als Dritter schuldrechtlich Beteiligte insoweit in eine dem Gesellschafter vergleichbare Position. b) Speziell
Genußrechte
Genußrechte sind die klassische Form der schuldrechtlichen Beteiligung Dritter an Gewinn und/oder Vermögen insbesondere von Aktiengesellschaften. Sie sind spätestens in der Inflationszeit als Wertrechte erkannt und später auch ausdrücklich als „schuldrechtliche Beteiligung" bezeichnet wor-
147
R G Z 132, 203 spricht von „Wertanteilsrechten"; dazu insgesamt oben unter § 3 B. Solche Schuldverhältnisse werden gemeinhin als „partiarische Rechtsverhältnisse" erfaßt; dazu unten IV 1. 149 Vgl. Schmölder/Geßler/Merkle, D-Mark-Bilanzgesetz, § 41 Rn. 16; d o r t neben G e n u ß rechten weiter genannte Beziehungen wie Gewinnschuldverschreibungen, Konzessions- und Lizenzverträge können angesichts der Gewinnteilhabe ebenfalls dem Wertbegriff subsumiert werden. 148
110
Teil I: Entwicklung
und Grundfragen
der
Genußrechte
den150, ohne daß man allerdings daraus die gebotenen und naheliegenden rechtlichen Konsequenzen gezogen hätte. Beispielhaft dafür steht Wolfgang Schilling, der im Großkommentar zum Aktienrecht ausführte, daß „das Genußrecht vermögensrechtlich wie eine gesellschaftsrechtliche Beteiligung ausgestattet werden kann"m. Diese Sicht ist bis heute allgemein unverändert und drückt sich in der verbreiteten Vorstellung von der „Begriffslosigkeit" des Genußrechts aus. Sie ist abzulehnen. Die wirtschaftlich-vermögensrechtliche Gestaltung von Genußrechten als solche wie mitgliedschaftliche Beteiligungen ist im Grund keine privatautonome Option. Entscheidend ist, daß Genußrechte begriffsnotwendig wirtschaftlich-vermögensrechtlich wie eine mitgliedschaftliche Beteiligung als Wertrecht ausgestattet sind. Die gegenteilige Sicht ist wohl bedingt durch das aufgezeigte Mißverständnis, die Parteien könnten Genußrechte beliebig formen. Dieses Grundübel der Genußrechtsbehandlung offenbart ein merkwürdiges Verständnis privater Gestaltungsfreiheit. Gehen wir schrittweise vor und nehmen als Ausgangspunkt einen Vergleichstatbestand. Angesichts der Tatsache, daß Genußrechte regelmäßig bei Geldeinlagen in das Vermögen einer Gesellschaft begründet werden, ist dazu das Darlehen nach § 607 B G B gewählt. Bei der üblichen Form der Kreditgewährung wird dem Darlehnsnehmer Geld zur zeitlichen, freien Nutzung überlassen, und die Darlehnssumme fixiert die Anzahl der zurückzuzahlenden Währungseinheiten (Geldbetrag)152. Daraus folgt zweierlei. Einmal wird der fixierte Rückzahlungsbetrag nach dem Grundsatz Währungseinheit (z.B. Euro) = Währungseinheit (Euro) grundsätzlich von Währungsschwankungen nicht berührt. Der Darlehnsgeber trägt mithin das Inflationsrisiko. Etwas anderes gilt in dem schon besprochenen Fall, daß seine Forderung vertraglich wertbeständig gestaltet ist. Andererseits kann der Darlehnsgeber neben dem fixierten RückZahlungsanspruch und den Zinsen keine weitergehenden Ansprüche stellen. Selbst wenn der Darlehnsnehmer die empfangene Summe durch erfolgreiche Investition enorm vermehrt, hat der Darlehnsgeber insofern auch unter Bereicherungsaspekten keinerlei Rechte. Anderes gilt auch hier nur, wenn der Darlehnsgeber durch ausdrückliche vertragliche Vereinbarung an dem vom Darlehnsnehmer mit dem überlassenen Kapital erzielten Erfolg beteiligt wird.153 Treffen die Parteien eine entsprechende Vereinbarung, entsteht eine Form schuldrechtlicher Beteiligung 150 Erstmals so wohl Schilling, in: Großkommentar Aktiengesetz, § 221 Anm. 11, der noch in B B 1950, S. 459, 463, deren Einordnung als „obligatorische Beteiligung" ablehnte; diese Bezeichnung aber etwa schon bei Caemmerer, JZ 1951, S. 417, 421 und Ernst, Der Genußschein, S. 115. 151 AaO. (vorstehende Fn.); Hervorhebung nicht im Original. 152 Von Maydell, Geldschuld und Geldwert, S. 211 f. 153 Ebenda, S. 214f.; a.A. wohl Seibert, Kapitalanlagen, der (S. 65ff.) die Brenzung der Teilnahme des Stillen an Wertsteigerungen des Unternehmens erörtert. Das wäre der Fall eines „partiarischen Darlehns"; dazu unten in IV 1.
§ 4 Grundfragen
der
Genußrechte
111
und mithin für den Kapitalgeber ein Wertrecht im vorhin genannten Sinne. Dieser Mechanismus privater Gestaltungsautonomie wird bei der eingangs skizzierten Sicht unkritisch und unter Verwechslung von Tatbestand und Rechtsfolge auf Genußrechte übertragen. Genußrechte werden danach mit anderen Gläubigerrechten wie der Forderung aus einem Darlehen über einen Kamm geschoren. Mit dem Blick auf das Genußrecht allein als ein gewöhnliches Gläubigerrecht greift man aber zu kurz; es ist mehr. Das folgt aus dem Begriff des Genußrechts, der - wie festgestellt - streng auf die typischen Vermögensrechte des Aktionärs bezogen ist. Die typischen Vermögensrechte des Aktionärs, die sich wesensgemäß nach dem Verhältnis zwischen Nennbetrag der Aktie und dem Grundkapital oder nach der Zahl der (Stück-)Aktien bemessen, sind ihrerseits stets Wertrechte. Diese Qualität, die Kern der aktionärstypischen Vermögensrechte ist, wird von der Wahl der Rechtsgrundlage nicht berührt. Genußrechte kennzeichnet gerade, wie wir sahen, daß sie dem Inhaber typische Vermögenspositionen eines Aktionärs auf schuldrechtlicher Basis als Gläubigerrechte einräumen. Im Grundsatz unterscheidet den Genußrechtsinhaber also der zweite Aspekt vom mitgliedschaftlich berechtigten Aktionär, während der erste Aspekt beiden eigen ist. Anders als der genannte Darlehnsgeber soll der Genußberechtigte gerade an den Gewinn- und/oder Kapitalverhältnissen der „Genuß" gewährenden Gesellschaft in ihrer Wechselhaftigkeit teilnehmen. Das setzt voraus, daß seine Rechtsposition nicht - wie etwa der Zins beim Darlehn - als Datum fixiert ist, sondern den Charakter der typischen Vermögenspositionen der Aktionäre als Wertrecht teilt. Der Genußrechtsinhaber erhält als Gläubiger eben keinen vorab bestimmten Betrag, sondern eine Quote vom Gewinn und/oder Liquidationserlös. Seine Gewinnteilhabe etwa bemißt sich daher - auf der Basis des Nennbetrags seines Genußkapitalanteils - regelmäßig nach der Aktiendividende. 154 Ihm wird also mittels Genußrecht schuldrechtlich ein Wert rechnerisch zugewiesen, der nach dem Sondervermögensrecht der Gesellschaft im Grundsatz den Aktionären mitgliedschaftlich zusteht. Ähnlich repräsentiert etwa ein Umtauschrecht in Aktien (Wandelgenußschein), dessen Kursentwicklung praktisch an den Kurs der Aktien der Emittentin gekoppelt ist, einen Sachwert." 5 154 Meist durch Koppelung, also z.B.: gleiche Ausschüttung auf Genußkapital wie auf Aktienkapital oder eine in Prozent der Dividende berechnete Genußscheinausschüttung; möglich ist auch, daß die Genußberechtigten eine prozentuale (Vorab-)Zuweisung des (verteilbaren) Gewinns erhalten oder ihr Gewinnanteil etwa an die Eigenkapital- oder Gesamtkapitalrendite anknüpft. Zur verhälnismäßigen Neufestsetzung der Aktien- und Genußrechtsnennbeträge Schmölder/Geßler/Merkle, D-Mark-Bilanzgesetz, § 41 Rn. 18. Entgegen von Caemmerer,JZ 1951,417,418, liegt im Grunde auch eine Substanzbeteiligung vor bei festgesetzten Höchstbeträgen („Kappungsgrenzen"), sofern diese jedenfalls deutlich über marktüblichen ( Z i n s s ä t zen liegen. 155 Ebenso von Caemmerer, JZ 1951, 417, für Wandelschuldverschreibungen ( c o n v e r t i b l e bonds). Zu Wandlungsrecht und Wertentwicklung unten in § 8 B III 3 b.
112
Teil I: Entwicklung
und Grundfragen
der
Genußrechte
Damit sind Genußrechte ihrem Wesen nach stets Wertrechte im genannten Sinne. Daneben können den Genußberechtigten zugleich gewöhnliche Betragsrechte - etwa eine laufende feste Sockelverzinsung, bei Kündigung oder Liquidation Rückzahlung mindestens des Genußkapitalnennbetrags - eingeräumt werden. Soweit sie als angemessener Ausgleich für die besondere Haftungslage der Genußberechtigten dem Genußrechtsverhältnis eigen sind, teilen sie dessen einheitlich wertrechtlichen Charakter. Das ist geboten, da andernfalls das wirtschaftliche Verhältnis zwischen den einheitlich gewährten Betrags- und Wertrechten - wie in der Währungsreform - wesentlich auseinanderfallen kann. Das entspricht zwar isoliert betrachtet ihrer „verschiedenen wirtschaftlichen Natur" 156 , nicht aber dem wirtschaftlichen Gesamtgehalt des Genußrechtsvertrages, der beide abgestimmt als wertrechtliche Sinneinheit begründet.157 Wirtschaftlicher Gehalt und Rechtsqualität entsprechen daher auch insoweit den typischen vermögensrechtlichen Positionen des Aktionärs. Klarzustellen bleibt, daß die Genußscheininhaber keine Aktionärsrechte „abgetreten" bekommen oder ihre Rechte von diesen „abgeleitet" sind, sondern für sie ein neues, eigenständiges Gläubigerrecht entsprechender Qualität durch Vertrag mit der Gesellschaft begründet wird.158 Die Vermögensrechte von schuldrechtlich beteiligten Genußberechtigten und mitgliedschaftlich beteiligten Aktionären sind jeweils dem Oberbegriff der Beteiligung zu subsumieren. Durch das als Wertrecht ausgeformte Genußrecht berührt der Genußberechtigte die vermögensrechtlichen Positionen der Aktionäre. Das ist zugleich der Hintergrund für das Zustimmungserfordernis der Aktionäre nach § 221 Abs. 1 AktG bei der Ausgabe von Genußrechten. Damit ist folgendes festzuhalten: Es steht nicht im Belieben der Parteien, ob sie - wie in unserem Beispiel beim Darlehn - ein Genußrecht als Wertrecht gestalten. Als eine Form der Beteiligung sind Genußrechte begriffsnotwendig Wertrechte. Ein Genußrecht setzt tatbestandlich ein schuldrechtliches Rechtsverhältnis auf wertrechtliche Teilhabe wie ein aktionärtypisches Vermögensrecht voraus. Andernfalls wären Genußrechte begriffsinhaltlich der Parteienwillkür anheimgestellt. Mit der Gewährung eines Genußrechtes wird der wertrechtliche Rahmen akzeptiert.
156 So von Caemmerer,]2. 1951, 417,422, der die verschiedenen Umstellungsfolgen bei Verbindung von Substanz- und Betragsrechten illustriert und befürwortet; ebenso noch BGH, Urteil vom 5.3.1959 - II ZR 145/57, WM 1959, 434, 435. 157 Für diese Position streitet ebenfalls die Idee der Mindestausschüttung für Aktionäre (§ 254 Abs. 1 AktG), deren Entsprechung auch im Genußrechtsverhältnis greift, dort aber gerade zum strukturellen Machtausgleich notwendig von Gewinn und Gewinnverwendungsbeschluß unabhängig gestellt werden muß; vgl. dazu in § 11 A III 5. 158 So schon gegen eine früher auftretende Meinung Brodmann, Aktienrecht, § 179 Anm. 9b (a.E.); Flechtheim, in: Düringer-Hachenburg, Anh. zu § 179 Anm. 6a (a.E.).
5 4 Grundfragen
5. Präzisierung
des
der
Genußrechte
113
Genußrechtsbegriffs
Wir können damit den Genußrechtsbegriff weiter präzisieren. Genußrechte sind wie die aktionärstypischen Vermögensrechte begriffsnotwendig Wertrechte (geborene Wertrechte), aber anders als die Aktienrechte auf schuldrechtlicher Basis. Als solche sind sie von anderen schuldrechtlichen Rechtspositionen abzugrenzen, die wertmäßig ausgestattet werden können (gekorene Wertrechte). Der Charakter als Wertrecht prägt Genußrechte und ist damit in die Begriffsbestimmung aufzunehmen. Die bisherige Definition ist wie folgt zu modifizieren: Ein Genußrecht ist ein Anspruch auf ein typisches Vermögensrecht eines Aktionärs (wie Gewinn- und/oder Liquidationseriösteilhabe, Bezugsrecht auf junge Genußrechte, Umtauschrecht in Aktien), den eine Aktiengesellschaft gegen einen entsprechend wertigen Vorteil als schuldrechtliche Beteiligung (Wertrecht) gewährt.
IV. Der Genußrechtsvertrag
als Typus
Das Genußrecht wird vertraglich zwischen dem Unternehmensträger und dem ersten Erwerber begründet (Genußrechtsvertrag). Der Genußrechtsvertrag ist die Grundlage des zwischen dem „Genuß" gewährenden Unternehmensträger und dem Genußrechtsinhaber bestehenden Genußrechtsverhältnisses. Der Genußrechtsvertrag ist rechtlich nach den bisherigen Ergebnissen einzuordnen. Dabei geht es in diesem Abschnitt vor allem darum, die Grundlage für die weitere Untersuchung theoretisch-methodisch zu klären.
1. Eigenständiger
Charakter
des
Genußrechtsverhältnisses
Halten wir zunächst folgendes fest. Ein Genußrechtsvertrag und damit ein Genußrechtsverhältnis besteht nur insoweit, wie vertraglich mindestens eine genußrechtliche Position (z.B. Gewinnbeteiligung) vereinbart ist. Ein Genußrechtsvertrag kann und wird in der Regel zugleich mehrere genußrechtliche Positionen (z.B. Gewinnteilhabe und Beteiligung am Liquidationserlös oder Bezugsrecht) begründen. Denn allein für den notwendigen Verwässerungsschutz der Gewinnteilhabe hat der Genußberechtigte aus dem Genußrechtsverhältnis Anspruch auf Bezug junger, vermögensrechtlich konkurrierender Genußrechte. 159 Mehrere zugleich begründete genußrechtliche Positionen bilden im Grunde eine Sinneinheit, die zugleich die Modalitäten der Gegenleistung (Genußkapitaleinlage) umfaßt. Für diese Sinneinheit des Genußrechtsverhältnisses steht begrifflich das Genußrecht 160 , verkörpert auch in Zum Verwässerungsschutz unten in § 11 A II 1, III 3. In diesem Sinne können „Genußrecht", „Genußrechtsvertrag" und „Genußrechtsverhältnis" synonym gesetzt werden. Dagegen - typisch für die überkommen isolierende Betrachtung (vgl. oben II 3 c) - im Ansatz scheidend in „Rechtsnatur des Genußrechts als sol159 160
114
Teill:
Entwicklung
und Grundfragen
der
Genußrechte
einem Wertpapier (Genußschein). Daran ist die Einordnung des grundlegenden Genußrechtsvertrages im Gefüge der Vertragsarten auszurichten. Die Versuche der Einordnung sind zahlreich und schon im historischen Untersuchungsteil angesprochen worden. Nicht überzeugend ist eine Qualifikation als sogenanntes partiarisches Rechtsverhältnis. Soweit man partiarische Rechtsverhältnisse überhaupt als selbständige Rechtsform behandelt161, ist damit weder das Wesen der Genußrechte zu erfassen noch deren Bandbreite abzudecken. Carl Crome, der die Basis für die Lehre vom partiarischen Rechtsverhältnis gelegt hat, spricht dieses selbst als „Spezie gegenüber dem Genus" an162. Es geht also nicht um einen eigenständigen Vertragstyp, sondern um die Modifikation bestimmter Schuldverhältnisse (Kauf, Miete, Darlehen, Dienstvertrag etc. als „Genus") allein in ihrer Entgeltregelung. Danach kennzeichnet das „partiarische" Verhältnis, daß der Vertragspartner (Verkäufer, Vermieter, Darlehnsgeber, Dienstverpflichtete) an dem unter Einsatz des „Vertragsgegenstandes" erzielten wirtschaftlichen Erfolg teilnimmt. Das typische Genußrechtsverhältnis dagegen modifiziert kein anderes Rechtsverhältnis, es wird „um seiner selbst Willen" begründet, wobei der Genußrechtsvertrag auch die Gegenleistung regelt. Vor allem braucht es sich nicht in einer Gewinnbeteiligung erschöpfen.163 Nimmt man die Beteiligung am Gesellschaftsvermögen durch Ansprüche Genußberechtigter am Liquidationserlös, könnte spitzfindig darauf verwiesen werden, daß sich dieser jedenfalls teilweise letztlich aus (thesauriertem) Gewinn rekrutiert. Das wäre freilich eine dogmatische Verbiegung, die den grundlegenden Unterschied zwischen Unternehmensgewinn und Unternehmensvermögen überbügeln würde. Daneben verbleiben die genußrechtlichen Positionen von Bezugs- und Umtauschrecht, die mit dem Verständnis des partiarischen Rechtsverhältnisses nicht erklärbar sind. Versuche, den Genußrechtsvertrag unter einen der geregelten Verträge des Bürgerlichen Rechts oder des Handelsrechts zu subsumieren, begegnen Bedenken. Hier ist die Qualifikation als stille Gesellschaft164 anzuführen. Dagechem" und „Genußrechtsvertrag im engeren Sinne" Rid-Niebler, Genußrechte, S. 81. Davon unberührt können die verschiedenen Rechte eines Genußscheins differenzierend zu behandeln sein; vgl. oben III 4 b. Zum eigenständigen Charakter bereits RGZ 122, 387, 391 f. (dazu schon oben in § 3 B IV.). So Schön, ZGR 1993, 210ff., der auf dieser Grundlage eine Reihe guter Gründe gegen das partiarische Darlehen anführt. BGH, Urteil vom 10.10.1994 - II ZR 32/94, DB 1994, 2610ff., geht weiter von dessen Abgrenzung gegenüber der stillen Gesellschaft nach dem Kriterium „gemeinsamer Zweckverfolgung" aus. 162 Crome, Die partiarischen Rechtsgeschäfte, S. 29. Vgl. Larenz, Schuldrecht BT, § 62 II, S. 431 f., der in diesen wohl auch keinen eigenständigen Vertragstyp sieht. Vgl. unsere Ausführungen oben in III 4 b. 163 Siehe nur Ernst, Der Genußschein, S. 122; Rid-Niebler, Genußrechte, S. 82. 164 So etwa für „aktienähnliche" Genußrechte Karollus, in: Geßler/Hefermehl/Eckard/ Kropff, § 221 Rn. 247,279, der aber Rn. 282 f. (widersprüchlich) Regeln der stillen Gesellschaft (nur) „entsprechend" anwendet; zur älteren Literatur oben § 3 A II 2.
§ 4 Grundfragen
der
Genußrechte
115
gen werden vor allem zwei Einwände erhoben.165 Neben der auch beim Genußrechtsverhältnis geleisteten „Einlage" in das Vermögen fehle dort die Grundlage der stillen Gesellschaft, der gesellschaftsrechtliche Zusammenschluß der Vertragspartner zu gemeinsamer Zweckverfolgung. 166 Aus diesem personalistischen Charakter folge zugleich die mangelnde Verkehrsfähigkeit der stillen Gesellschaft gegenüber dem Genußrechtsverhältnis. Die Einwände sind gewichtig. Genußrechte sind im Gegensatz zu vergleichbaren Gesellschafterrechten ihrem historischen Ansatz im 19. Jahrhundert nach nichtmitgliedschaftliche Positionen, verzichten also gerade auf ein Gesellschaftsverhältnis. Diese Leitidee prägte ihre weitere Entwicklung und bestimmt auch heute noch die eigenartigen Mixturen gesellschaftsrechtlich nachgebildeter Vermögensrechte für Nichtgesellschafter in Genußrechtsverträgen. Selbst wenn auch die Vertragsparteien der stillen Gesellschaft deren Ubertragbarkeit vereinbaren können, ist das nach der gesetzlichen Regelung ein atypischer Fall stiller Gesellschaft. Eine den Genußrechten in ihrer wertpapiermäßigen Form (Genußschein) eigene Verkehrsfähigkeit ist damit jedenfalls nicht erzielbar. Es gibt mithin im Grundsatz beachtliche Unterschiede. Damit ist der Genußrechtsvertrag keine stille Gesellschaft im Sinne des Handelsgesetzbuches. Festzuhalten ist, daß das genußrechtliche Vertragsverhältnis seinem Wesen nach gegenüber sonstigen anerkannten oder ausdrücklich geregelten Rechtsformen einen eigenständigen Charakter hat. Nimmt man das Gesamtsystem und die „atypischen" Erscheinungen mit in den Blick, verliert die Unterscheidung freilich erheblich an Schärfe - nicht aber an Bedeutung. Darauf ist gleich einzugehen. Dabei wird sich zeigen, daß es insgesamt weniger um einen scharfen Gegensatz zwischen stiller Gesellschaft und Genußrechtsvertrag geht. Um nachvollziehbare Anhaltspunkte für eine angemessene, also für die Vertragsparteien interessengerechte Rechtsgewinnung zu benennen, sind vergleichend nicht nur, aber auch die Regeln der stillen Gesellschaft mit einzubeziehen. 2. Rechtliche Strukturtypen
und
Typenreihen
Der Genußrechtsvertrag ist in seinem begrifflich eigenständigen Charakter als Typus zu markieren. Die weitläufig diskutierte Denkform des „Typus" dient nach Karl Larenz 167 dazu, „eine Lebenserscheinung oder einen Sinnzusammenhang in der Fülle seiner Ausprägung zu erfassen". Sie kennzeichnet 165 Für alle Rid-Niebler, Genußrechte, S. 81 (m.w. Nachw.). Der BGH, Urteil vom 5.3.1959 II ZR 145/57, WM 1959, 434, sprach dem „Wesen der Genußscheine" grundweg „eine personalistische Bindung irgendwelcher Art" ab; bestätigt in BGH, Urteil vom 5.10.1992 - II ZR 172/ 91, WM 1992, 1902, 1903 f. 166 Vgl. Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 62 II 1 c. 167 Methodenlehre, S. 461 (auch 465). Nachweise zur Diskussion bei Bydlinski, Methodenlehre, S. 543 (dort Fn. 349).
116
Teil I: Entwicklung
und Grundfragen
der
Genußrechte
bestimmte Arten von Rechtsverhältnissen näher, insbesondere subjektive Rechte und vertragliche Schuldverhältnisse. Das Typuskonzept als Methode der Rechtsgewinnung kann für das Genußrechtsverhältnis als schuldvertragliche Lebensbeziehung fruchtbar gemacht werden. Folgendes sei vorangestellt. Entgegen der auch von Larenz vertretenen „klassischen" Typuslehre sehen wir den „Typus" nicht als Gegensatz zum schon behandelten (klassifikatorischen) „Begriff". Nach dem klassischen Konzept versagt die begriffliche Abgrenzung in Fällen der Kombination von Elementen verschiedener Grundvertragstypen (wie Kauf, Darlehn, Gesellschaft) in „Mischtypen". 168 Das trifft auf genußrechtliche Verhältnisse nicht zu, wie der ausgeführte Genußrechtsbegriff zeigt. Der Genußrechtsvertrag verbindet zwar typische mitgliedschaftliche und schuldrechtliche Elemente, hebt sich dabei aber eben in der Eigenart seiner Mischung von anderen Grundtypen ab. Er ist selbst ein Grundtypus, dessen Standort für die Rechtsgewinnung im Verhältnis zu anderen Typen zu bestimmen ist. Dazu wird die Denkform des Typus beigezogen. Der Typus stellt die „wesenseigenen" Regeln einer bestimmten Form von Rechtsverhältnis im sinnhaften Zusammenspiel seiner Elemente dar, bezeichnet also jeweils die besondere Struktur von Rechtsgebilden (sog. „rechtliche Strukturtypen") 169 . Solche Strukturtypen können der Rechtspraxis folgend oder auch - soweit bei der Rechtsetzung für notwendig befunden - modifizierend formuliert werden. Das Ergebnis sind außergesetzliche oder gesetzliche Vertragstypen wie Leasing, Factoring, Kauf, Miete, Darlehen. Grundtypen wie die letztgenannten entsprechen offenbar in hohem Maße den Bedürfnissen der Lebenswirklichkeit und sind „zeitbeständig". Bei den Genußrechtsverhältnissen haben wir den historischen Nachweis eines Grundmusters oben gezeigt. Der einzelne Typus hat in der Sinnhaftigkeit seiner Strukturelemente die Funktion eines Leitbildes, dem ein Lebenssachverhalt subsumiert werden kann, sofern dieser selbst spiegelbildlich die bestimmten Kernelemente aufweist. Mehrere Typen wirken systembildend und können unter bestimmten Perspektiven zu Typenreihen geordnet werden. Nehmen wir als Beispiel die Finanzierung einer Aktiengesellschaft unter dem Blickpunkt, in welchem Verhältnis der Kapitalgeber zum Unternehmensträger steht. Den einen Pol der Reihe markiert der in der Hauptversammlung kraft seiner Mitgliedschaft stimmberechtigte (typische) Aktionär, den anderen Pol der (typische) Darlehnsgeber nach § 607 B G B als außenstehender Dritter. Dazwischen läßt sich - Genußrechtsverträge zunächst ausgenommen — grundsätzlich folgende Typenreihe bilden: Aktionär, stiller Gesell-
168 Vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 465 f., der als Beispiel auch die „partiarischen Verträge" nennt. Grundsätzlich Bydlinski, Methodenlehre, S. 543 ff. (545 f.), der zutreffend die theoretische Übertreibung einer Differenzierung in „Typus" und „Begriff leS" ablehnt. 169 Siehe Larenz, Methodenlehre, S. 466; dort, S. 466ff., auch zum nachfolgenden.
§ 4 Grundfragen
der
117
Genußrechte
schafter, Obligationär 170 , Darlehnsgeber. Die auf den ersten Blick recht schroff abgegrenzten Typen nähern sich deutlich an, wenn man einzelne ihrer Elemente variiert. So kann der stimmrechtslose Vorzugsaktionär trotz Mitgliedschaft in der Aktiengesellschaft regelmäßig nicht über deren Geschäftspolitik mitentscheiden, während dem stillen Gesellschafter (außerhalb der Innengesellschaft) Geschäftsführungsbefugnis eingeräumt werden kann. In die andere Richtung nähert sich der Stille, obwohl Gesellschafter einer Innengesellschaft mit dem Unternehmensträger, bei Ausschluß einer Verlustbeteiligung dem Darlehnsgeber. Gewährt man diesem über oder neben Zinsen eine Erfolgsbeteiligung - w o f ü r die eingebürgerte Bezeichnung „partiarisches Darlehn" gesetzt sei - überlagern sich beide Positionen weitgehend. Jetzt läßt sich folgende Typenreihe bilden: Aktionär, stimmrechtsloser Vorzugsaktionär, stiller Gesellschafter mit Geschäftsführungsbefugnis, (typischer) stiller Gesellschafter, stiller Gesellschafter ohne Verlustbeteiligung, partiarischer Darlehnsgeber, Obligationär, Darlehnsgeber. Man kann die Grundversionen (Aktionär, stiller Gesellschafter etc.) „Normaltypen" im Sinne gesetzlich fixierter Regelungsmuster und darauf bezogen ihre Varianten als „atypisch" bezeichnen. Fest steht, Unterschiede innerhalb der Reihe verschwimmen zu mehr oder weniger fließenden Übergängen. Die Bildung von Typen und Typenreihen legt die sinnhaften Verbindungslinien verschiedener Regelbereiche offen und gibt so Anhaltspunkte, dem Einzelfall die angemessenen Regeln durch wertende Betrachtung zuzuordnen. Das wertende Vorgehen ist freilich keine Besonderheit der Typusbetrachtung. Alles Recht ist seinem Wesensgehalt nach Wertung.
3. Genußrechtliche
Typenbildung,
Systembezug
und
Einzelfall
Der beschriebene Mechanismus gilt im Grundsatz auch für Genußrechtsverhältnisse. Schon verschiedentlich ist gefordert worden, genußrechtliche (Sub-)Typen zu fixieren. 171 Beim Blick in die Praxis kristallisieren sich zwei Verkehrstypen des Genußrechtverhältnisses heraus, die dort und im Schrifttum als „obligationsähnliche" Genußrechte und als „aktienähnliche" Genußrechte firmieren. Die Bezeichnungen, nicht einheitlich verwandt, stehen im Kern für Vereinbarungen über Verlustbeteiligung des Genußrechtskapitals und/oder die Art des Leistungsentgelts. Von „obligationsähnlichen" Genußrechten wird bei Ausschluß der Verlustteilnahme sowie Vereinbarung eines 170 Eingehend zu seiner Stellung als Inhaber eines „Bruchteil(s) einer Anleihe", der von typischen Gläubigern zu scheiden ist Lederer, Die Verwaltungs- und Kontrollbefugnisse der Obligationäre einer AG, S. 1 ff. (hier: S. 7), der (aaO., S. 5) das „Versprechen einer Geldforderung in bestimmter Höhe" als Abgrenzungskriterium gegenüber (typischen) Genußrechten nennt. 171 Siehe nur Lutter, in: Kölner Kommentar, § 221 Rn. 405 (durch Standardisierung der Genußscheinbedingungen); zustimmend Karollus, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, § 221 Rn. 258.
118
Teil I: Entwicklung
und Grundfragen
der
Genußrechte
Festzinssockels gesprochen, von „aktienähnlichen" Genußrechten, soweit Gewinn- und Verlustbeteiligung vereinbart ist.172 „Obligationsähnliche" Gestaltungen sind - wie vorhin dargelegt - begrifflich auszuscheiden, soweit sie kein Wertrecht begründen. Bei den tatsächlichen Genußrechtsverhältnissen bleibt das Problem, die rechtlichen Bezugspunkte zu benennen. Neben dem genannten Typuskonzept bestimmen systematisch-teleologische Aspekte die Lösung. Zunächst zum Typus. Nimmt man die beiden genannten genußrechtlichen Kategorien, können diese nach dem Verhältnis der Genußberechtigten zum Unternehmensträger, insbesondere der Risikoteilhabe, in unsere (gekürzte) Typenreihe eingeordnet werden: stimmrechtsloser Vorzugsaktionär, (typisch) stiller Gesellschafter, „aktienähnlich" Genußberechtigter, stiller Gesellschafter ohne Verlustbeteiligung, „obligationsähnlich" Genußberechtigter („partiarischer Darlehnsgeber") 173 , Darlehnsgeber. Die sogenannten „aktienähnlichen" und „obligationsähnlichen" Genußrechtsverträge sind im Rechtsverkehr ausgebildet, also Verkehrstypen. Sie lassen sich in ihren Varianten - soweit es sich um Wertrechte handelt - auf den genußrechtlichen Grundtypus zurückführen, der durch unsere Begriffsbestimmung gekennzeichnet ist. Dieser Begriff ist der Ausgangspunkt und gibt den Rahmen für die Rechtsgewinnung im Einzelfall, der weiter anzureichern ist. Insofern ist die Lage erheblich anders als etwa bei stillen Gesellschaften. Dort lassen sich „atypische" Konstrukte ebenfalls auf einen Grundtypus zurückführen, der aber als gesetzlicher „Normaltyp" festgeschrieben ist. Der Regelkanon des Gesetzes gibt Anhalt für die Rechtsgewinnung im Einzelfall. Abweichungen im Lebenssachverhalt lassen die Wertung zu, inwieweit die gesetzliche Regelung des „Normaltypus" ihrem Sinngehalt nach anzuwenden oder aber ergänzend oder ausschließlich auf Regelungen eines anderen Strukturtyps zurückzugreifen ist. Expressis verbis liegt für Genußrechtsverträge kein vergleichbarer gesetzlicher Regelkanon vor. Auch die verkehrstypischen Erscheinungen, mit denen man im - oben bereits teils trockengelegten - Fahrwasser weitestgehend privatautonomer Gestaltungsfreiheit rauschen würde, bieten keine verläßliche Basis. Andererseits ist dem Vorhalt vom Genußrecht als einem „farblosen" Gläubigerrecht zu begegnen.174 Einen Maßstab legt die genannte Typenreihe nahe. Wir sahen, daß etwa „aktienähnlich" gestaltete Genußrechtsverträge zwischen der „typisch" stillen Gesellschaft und einer stillen Gesellschaft ohne Verlustbeteiligung plazierbar sind.175 Sie rücken damit in den sinnhaften Zu172 Karollus, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, § 221, Rn. 259-262,278, 286; Gehling, W M 1992, 1093 ff. 173 Beide Begriffe dürften in der Regel weithin deckungsgleiche Kreise bezeichnen. 174 Vgl. Schön, JZ 1993, 925, 927. 175 Andererseits könnten stille Gesellschaften, wird für den Genußrechtsbegriff auf das „kollektive Element" verzichtet, selbst unter einen (weiten) Genußrechtsbegriff subsumiert werden.
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sammenhang eines bestimmten Regelkomplexes, der unter Beachtung der besonderen Genußrechtstypik für die Rechtsgewinnung fruchtbar wirken kann.176 Erschöpfend sind Genußrechtsverträge in ihrer Eigenart und Variationsbreite aber auch danach nicht erfaßbar. Denn obwohl sie Gläubigerrechte darstellen, sind etwa Gestaltungen vergleichbar der wirtschaftlichen Position eines stimmrechtslosen Vorzugsaktionärs möglich. Erkennt man damit, daß der Genußrechtsvertrag in einem bereits bestimmten - hier: dem aktienrechtlichen - Regelgefüge existieren soll, wird das Maß deutlich. Die Einordnung des Genußrechtsverhältnisses mit den Rechtspositionen des Genußberechtigten ist vielmehr auf das - zwingende - Ordnungsgefüge der Genuß gewährenden Gesellschaft abzustimmen. Andernfalls bleiben Genußrechte suspekte „Vagabunden" mit dem Kernproblem, daß Konzeption wie rechtliche Behandlung ihrer Vertragsgestaltung letztlich der Beliebigkeit von Selbstbedienungsläden gleichen.177 Bis hin zu Konstrukten, die mehr oder minder die belastenden Elemente anderer Strukturtypen zum Nachteil der schwächeren Partei - das ist regelmäßig der „Genußberechtigte" vertraglich kumulieren. 178 Als Leitbild oder auch „Normtyp" ist mithin ein genußrechtlicher „Normaltypus" zu formulieren. Ihm ist - etwa in der Art eines „beweglichen Systems" nach Wilburg179 - ein angemessener Kanon gesetzlicher Regeln zuzuordnen; in diesem Rahmen können „atypische" Konstruktionen dann begrenzt modifiziert werden. Über die Begriffsbestimmung hinaus müssen dazu als erstes „typische" Elemente eines Genußrechtsvertrages benannt werden. Solche sind nur zu erfassen, wenn man über einzelne Regelbereiche - wie etwa dem verkürzten Blick auf die stille Gesellschaft - hinaus den Genußrechtsvertrag in seiner Sinnhaftigkeit als Teil eines größeren Systems begreift. Das geht nur über die der Genußrechtsgewährung zugrundeliegenden Motive und die Beachtung des Bezugssystems. Bleiben wir zunächst bei dem Beispiel der Aktiengesellschaft. Grundsätzlich ist folgendes zu beachten. Genußrechtsverträge werden, wie wir sahen, allgemein bei Finanzierungsvorgängen geschlossen. Darauf läuft bei ihnen alles zu. Die Finanzierung über Genußrechtsverträge ist eine Finanzierungsform neben anderen bei der Aktiengesellschaft. Mit der Besonderheit, daß sie traditionell als „gesellschaftsrechtlich" oder „schuldrechtlich" eingeordnete Elemente verbindet. Sie kann also nicht wie etwa eine Darlehns176 Ähnlich im Ergebnis insoweit, aber ohne Annahme einer eigenständigen Genußrechtstypik, Schön, JZ 1993, 925, 928-931. Karollus, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, §221 Rn. 279, subsumiert jedenfalls „aktienähnliche Genußrechte" als „stille Beteiligung" unter die §§ 230ff. HGB. 177 Vgl. oben A III; ähnlich im Ergebnis Habersack, ZHR 155 (1991), 378, 385f. 178 Vgl. Lutter, in: Kölner Kommentar, § 221 Rn. 228, der kritisch eine Konstruktion beleuchtet, wo das Genußrechtskapital unkündbar auf Dauer angelegt und die Vergütung rein gewinnabhängig gestaltet ist; ähnlich Vollmer/Lorch, ZBB 1992, 44, 50. 179 Dazu Überblick bei Bydlinski, Methodenlehre, S. 529ff.
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finanzierung isoliert als reines Gläubigerrecht betrachtet werden. Die im Genußrechtsvertrag vereinten Elemente vermögenstypischer Aktionärsrechte auf schuldrechtlicher Basis bezeichnen die Bezugssysteme: vor allem das Schuldrecht und das Aktienrecht. Beide Regelungskomplexe überschneiden sich im Genußrechtsvertrag. Bei ihnen müssen wir also zur grundlegenden Rechtsgewinnung wie auch bei späterer Einzelfallbetrachtung ansetzen. Damit ist bereits der Ausgangspunkt richterlicher Inhaltskontrolle von Genußrechtsbedingungen benannt: das Schuldrecht sowie aktienrechtliche Normen und Grundsätze. Diese Sicht teilte inzwischen der Bundesgerichtshof in Sachen „Klöckner", worauf später noch einzugehen ist.180 Dagegen vermag eine schuldrechtlich fixierte Betrachtung 181 den Sinngehalt genußrechtlicher Gestaltungsform nicht zu erfassen. Methodisch ist daher wie folgt vorzugehen. Ebenso wie das auf Privatautonomie gründende Schuldrecht bilden die mehr oder minder obligatorischen Gesetzesregeln der Aktiengesellschaft - einschließlich der typischen „Risiko"-Finanzierung über Aktienkapital - eine Teilordnung, deren Wertabstimmung zu wahren ist. Soweit sich beide Ordnungsgefüge innerhalb des Genußrechtsvertrages durchdringen, sind Spannungsfelder sachgerecht aufzulösen. Um in der Gesamtordnung schuld- und aktienrechtliche Wertungen in Einklang zu halten, müssen wir besonders die in den obligatorischen Regeln geborgenen Grundwertungen aufnehmen und dem „Normaltypus" des Genußrechtsvertrages nach seinem Sinngehalt angemessen zuordnen. Damit entsteht der Rahmen, in dem sich die Privatautonomie entfalten und das Genußrechtsverhältnis gestalten kann.
V. Rechtsform
und Branche
des
Unternehmensträgers
Das Kriterium des Bezugssystems gibt das Stichwort für die Frage, wie es mit Genußrechten bei anderen Unternehmensträgern als der Aktiengesellschaft steht. Dieser Aspekt der Rechtsform, ergänzt um unterschiedliche Branchenzugehörigkeit, ist hier im Grundsatz anzusprechen. Das Schrifttum182 geht überwiegend von einer Rechtsformneutralität des Genußrechts aus. Danach werden Genußrechtsverträge gemeinhin bei jedem Unternehmensträger als zulässig erachtet, also bei der Gesellschaft mit beschränkter Haftung ebenso wie bei der eingetragenen Genossenschaft, dem Versiche180 BGH, Urteil vom 5.10.1992 - II ZR 172/91, WM 1992, S. 1902,1904 (sub II.); dazu Luttermann, DB 1993, 1809, 1811. Soweit Hammen, EWiR § 9 AGBG 1/93, 3 und (diesem zustimmend) Schön, JZ 1993, 925, 927 (dort Fn. 14), die Bemerkung des BGH als „beiläufig" ansehen, berührt das den hier vertretenen Standpunkt nicht; weiter unten in § 11 A. 181 Vgl. nur OLG Düsseldorf, Urteil vom 10.5.1991 - 17 U 19/90, WM 1991, 1563, 1565 ff. (Klöckner); Emde, DB 1989, 209, 211 ff. (Rückgriff auf Grundsatz von Treu und Glauben). 182 Z.B. Gottlieb, Der Genußschein, S. 2; Frantzen, Genußscheine, S. 25ff. (m.w. Nachw.); dagegen nur bei AG und GmbH etwa Hachenburg, LZ 11 (1917), Sp. 776, 781; Kartini, Die Genußscheine, S. 15; Lenzner, Der Genußschein, S. 3; vgl./, v. Gierke, Hdwb, S. 716f.
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Genußrechte
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rungsverein auf Gegenseitigkeit, Personenhandelsgesellschaften, dem Einzelkaufmann bis hin zu öffentlich-rechtlichen Unternehmen. Im älteren wie auch noch im jüngeren Schrifttum183 erscheinen solche Einlassungen in der Regel als kaum näher begründete Behauptungen. Dabei sind bereits beachtliche Einwände gegen die Zulässigkeit von Genußrechtsverträgen zur Finanzierung von Unternehmen formuliert. Neben den für die Aktiengesellschaft aufgestellten sogenannten Umgehungsthesen, die wir noch behandeln184, werden ähnliche Argumente bei anderen Unternehmensträgern vorgebracht. Namentlich Reuter185 sieht in der Ausgabe „aktiengleicher" Genußrechte sowohl bei Gesellschaften mit beschränkter Haftung als auch bei Personengesellschaften eine Umgehung der Rechtsform der Kommanditgesellschaft auf Aktien. Vollmer186 lehnt Genußrechte bei Personengesellschaften wegen dort fehlender Kapitalbindung ab. Hier klingt schon die Kernfrage privater Gestaltungsfreiheit und ihrer Grenzen an, die wir noch behandeln werden. Fest steht jedenfalls, daß die Frage der Zulässigkeit und Gestaltung nicht pauschal zu beantworten, sondern dabei nach der Rechtsform des Unternehmensträgers zu differenzieren ist.187 Diese Ansicht gewinnt Raum, wie inzwischen vorliegendes Schrifttum188 über Rechtsfragen der Genußrechte bei anderen Unternehmensträgern als einer Aktiengesellschaft belegt; freilich wird dort im Kern nur die oben entzauberte aktienrechtliche Legende privatwillkürlicher Gestaltungsfreiheit fortgeschrieben. Die einzelnen Gesellschaftstypen sind von teils erheblich verschiedenen Leitmotiven geprägt. Das ist hier nicht näher auszuführen. Es ist offenbar, wo nur einmal etwa die Regelmodelle von Aktiengesellschaft und offener Handelsgesellschaft nebeneinander stehen. Werden weitere Typen wie die Gesellschaft mbH, die Kommanditgesellschaft oder die Kommanditgesellschaft auf Aktien beigezogen, läßt sich freilich wie bei den Finanzierungsformen eine Typenreihe bilden, in der Unterschiede zwischen benachbarten Grundtypen verschwimmen. Dennoch verbleiben selbst bei nahen Verwandten Eigenarten, wie die börsennotierte Aktiengesellschaft und die personalistisch gedachte Gesellschaft mbH zeigen. Für die Rechtsbehandlung der Genußrechte 183 Siehe nur Becker, Genußscheine, S. 17f.; Daenner, Die Genußscheine, S. 2 f; Ortmann, Der Genußschein, S. 4, 17; Winter, Die sogen. Genußscheine, S. 3; Rudolf Fischer, in: Ehrenbergs Handbuch 3/III, S. 292f. (vgl. auch 360); zum jüngeren Schrifttum Frantzen, vorstehende Fn. Für „aktienähnliche" Genußscheine aber instruktiv Lorch, Genußschein, S. 243 ff. 184 Dazu unterC III 1. 185 Gutachten zum 55. DJT, S. B26 f. 186 Z G R 1983, 445, 453 f. 187 Insoweit im Ansatz zutreffend etwa Sethe, A G 1993, 293, 300ff., 307f.; Übersicht bei Feddersen/Knauth, Eigenkapitalbildung durch Genußrechte, S. 20-27. 188 Genannt seien hier z.B. Schudt, Der Genußschein als genossenschaftliches Finanzierungsinstrument, 1974; Kastner, Versicherungswirtschaft 1986, 307ff. (zum VVaG); Niemeyer, Genußrechtskapital von Privaten bei Sparkassen und Landesbanken/Girozentralen, Bonn 1990; auch Zupancic, Risikokapitalbeschaffung durch Genußscheine bei großen mittelständischen Unternehmen, Köln 1989.
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Teil I: Entwicklung
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ist daher das jeweilige Bezugssystem entscheidend. Genußrechte der Aktiengesellschaft sind Gläubigerrechte mit vermögenstypischen Rechten eines Aktionärs; sie sind insoweit der Aktie angelehnt. Bei Genußrechten einer Gesellschaft mbH kontrastieren dagegen die Position eines GmbH-Gesellschafters und die typischen Vermögensrechte eines GmbH-Geschäftsanteils, bei solchen einer Kommanditgesellschaft steht der vermögenstypische Inhalt einer Kommanditbeteiligung im Raum. 189 Die Sachverhalte können - auch wenn im ersten Schritt die Zulässigkeit von Genußrechten bei einem anderen Gesellschaftstyp als der Aktiengesellschaft bejaht wird - nicht a priori über einen Kamm geschoren werden. Dortige Genußrechtsverträge, ihre mögliche Gestaltung einschließlich der Ordnung beteiligter Interessen sind im zweiten Schritt insgesamt auf den Kontext abzustimmen, den die jeweilige Gesellschaftsform prägt. Als Grundsatz gilt: Genußrecht bei einer Aktiengesellschaft ist nicht gleich Genußrecht bei einer anderen Gesellschaftsform. Das hier für die Aktiengesellschaft entwickelte Modell kann daher nicht unbesehen anderen Rechtsformen aufgesetzt werden. Ebenso ist untauglich, aktienrechtliche Terminologie bei Genußrechten anderer Unternehmensträger fortzuführen. 190 Den Blick für Unterschiede sollte schon die differenzierende Begriffswahl schulen. Der Gedanke des Bezugssystems greift bei Genußrechtsverträgen auch mit Blick auf die Zugehörigkeit des Unternehmensträgers zu bestimmten Branchen, namentlich in den vom Gesetzgeber besonders geregelten Bereichen der Kreditinstitute und der Versicherungswirtschaft. Nach spezialgesetzlichen Normen können dort besondere Spielregeln gelten. Bei Unternehmensträgern dieser Branchen überschneiden sich zwei Regelkreise, der gesellschaftsrechtliche (AktG, W a G , GenG etc.) und jener des K W G oder VAG. Das strahlt auf Genußrechtsverträge aus. Der alte - inzwischen durch das Dritte Finanzmarktförderungsgesetz aufgehobene - § 7 U B G G machte das mit dem spezifischen Verbot der Refinanzierung von Unternehmensbeteiligungsgesellschaften über Genußrechte deutlich, wobei aber fraglich bleibt, ob die früher zugrundgelegte Einschätzung mangelnden Genußrechtsschutzes überhaupt tragfähig ist.191 Damit ist noch einmal das genußrechtliche Kernpro189 Vgl. Schön, JZ, 1993, 925, 926. Insgesamt beachtlich bleibt freilich die Anmerkung von Zöllner, A G 1994, 336, 342 (dort Fn. 29), das neue Umwandlungsgesetz von 1994 zeige die Verwandtschaft der Unternehmensformen. 1.0 So aber z.B. Vollmer, 55. DJT, Sitzungsberichte, S. K 117f.; Rid-Niebler, Genußrechte, S. 74ff. undpassim („aktiengleiche Genußrechte" bei GmbH). 1.1 Zur Haltung des Gesetzgebers beim U B G G schon in § 3 C II 1. Nach den Ergebnissen dieser Untersuchung ist das wohl zu verneinen. Der Gesetzgeber des Dritten Finanzmarktförderungsgesetzes (vom 24.3.1998, BGBl. I 1998 S. 529, 561) meint: die bisherige Beschränkung sei „wegen der geänderten Zielsetzung des Gesetzes entbehrlich", behält aber das Verbot der Gewährung (atypischer) stiller Beteiligungen zur faktischen Führung der Unternehmensbeteiligungsgesellschaft wie eine Holding aufrecht; BT-Drs. 13/8933, S. 141. Vgl. zu Genußrechten bei Versicherungsunternehmen z.B. Mudrack, B B Beilage 5/1986, 16 ff; bei Kreditinstituten z.B. Bürger sowie noch unten in § 9 C II.
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blem fixiert. Folglich ist hier festzuhalten, daß Genußrechte - in bestimmten Regelbereichen und Branchen (Kreditinstitute, Versicherungsunternehmen) spezifischen Regeln unterliegen und insofern modifiziert sein können. Das hindert aber nicht die weitere, grundlegend übergreifende und vorliegende Spezialregeln einbeziehende Bestimmung der Genußrechtslage; es fordert eine solche vielmehr für einen festen Ausgangspunkt. Gerade das Bankrecht zeigt in einem sensiblen Bereich, daß rechtsformübergreifend ein genußrechtlicher Grundkanon zu formulieren ist. 192
C. Ansatz: Investitionsgenußschein
(Investitionsgenußrecht)
Nachdem wir den Genußrechtsbegriff methodisch ausgeformt haben, geht es jetzt um rechtspraktische Nutzung. Es gilt, die wesentlichen Aspekte sinnvoll zu verknüpfen. Das Ziel ist, im geltenden Rechtsrahmen eine den zeitgemäßen Anforderungen der beteiligten Interessen von Unternehmensleitung und Gesellschaftern sowie Anlegern angemessene Perspektive aufzuzeigen. A m Modell der Aktiengesellschaft versuchen wir eine solche Synthese mit dem Investitionsgenußschein (Investitionsgenußrecht). Die Kapitalanlageund Finanzierungsform wird hier zunächst grundlegend eingeführt (sub I, II) und auf ihre rechtliche Zulässigkeit hin überprüft (III); danach ist der weitere Untersuchungsgang bezeichnet (IV).
I. Grundgedanken D e r Mythos vom Genußrecht als „beliebig" privatautonom gestaltbare Rechtsform ist zerbrochen. Zugleich wurde ein weiterer Kernpunkt deutlich. Der schuldrechtliche Status, getragen von einer gegenüber dem Gesellschaftsrecht flexibleren Gestaltbarkeit im Bereich der Hybridformen, verleiht den Genußrechten eine - historisch betrachtet - erstaunliche Lebenskraft als Finanzierungsinstrument bei Unternehmen. 1 9 3 Das bietet Chancen für neue Impulse. Im nationalen Recht sind sie notwendig für die hierzulande in überkommenen, teils verkrusteten Denkschemata festgefahrene Diskussion der Finanzierung von Unternehmen gerade bei beschränkter Haftung des Unternehmensträgers. Dazu seien - auch angesichts des internationalen Wettbewerbs - einige Gedanken vorangestellt. Das Investitionsgenußrecht als Typus ist ein Instrument im Kanon der Finanzierungsformen, hier gemünzt auf Publikumsanleger bei Aktiengesellschaften. Gestaltet als schuldrechtliche Beteiligungsform und eingepaßt in das Ordnungsgefüge des kapitalmarktlich geprägten Aktienrechts spiegelt es 1.2 1.3
Zum Bankrecht unter § 9 C II (dort unter 2 zu Genußrechten). Näher zum Gewinn von Zukunft mittels Genußrechten in § 10 A III.
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Teil I: Entwicklung
und Grundfragen
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zeitgemäße Entwicklungslagen. Wesentlich ist, sich von der überkommenen Vorstellung des traditionellen Gläubigers zu lösen, der im Sinne eines typischen Kreditgebers auf rechtlich fixe Zins- und Rückzahlungsansprüche begrenzt bleibt. Vielmehr ist von Kapitalgebern auszugehen, die ihr Geld bei kalkulierbarer Risikolage letztlich „beweglich" investieren wollen: gemäß Renditeerwartungen, die nach dem Rechtsgehalt der Anlageform anhand der Marktverhältnisse bestimmbar und im Vergleich mit alternativen Anlageformen attraktiv sind. Die Beweglichkeit setzt zweierlei voraus. Das Genußrecht ist wertpapierrechtlich auf den Inhaber bezogen (Inhabergenußschein). Weiter muß für den Handel ein organisierter, leistungsfähiger Börsenmarkt bestehen, der kurzfristig Liquidität des Genußscheininhabers sichert. Während auf ausländischen Parketten die Finanzierung über börslich gehandelte Papiere (equity und debt securities) teils hervorragende Profile aufweist 194 , gewinnt in deutschen Landen das Börsengeschäft erst in jüngerer Zeit - im Zuge der Börseneinführung der Deutsche Telekom A G im November 1996 - erheblichen Aufschwung. Gerade im Spektralbereich jenseits der Aktien, vor allem bei Formen hybrider „Schuldpapiere", ist der heimische Markt im internationalen Vergleich aber weithin unterentwickelt. Die in Deutschland theoretisch eingemauerte, immer noch vorherrschende Kreditgebersicht hindert vernünftiges Fortschreiten. Hunderte von Milliarden (in fest- und zugleich arg niedrigverzinslichen Anlageformen) sind auf die tradierten finanztechnischen Lieblingskinder deutschen Temperaments fixiert: das „Sparbuch" und die „Hausbank". Beide erfüllen in unserem kulturellen Umfeld wichtige Funktionen, auch künftig. Aber angesichts sich wandelnder Verhältnisse sollte zumindest ein größerer Bruchteil der Sparmilliarden von Privathaushalten - ohne den Umweg der üblichen Festanlage Privater bei Kreditinstituten - investiv mobilisiert werden. Leistungsfähige Kapitalmärkte sind die Basis wirtschaftlicher Entwicklung. Sprudeln die heimischen Quellen nicht hinlänglich, weichen Gesellschaften auf ausländische Märkte aus. Der Zug deutscher Firmen nach der N e w Yorker Wall Street ins Börsenmekka ist keine Modeerscheinung, sondern Ausdruck eines tiefgreifenden Prozesses. E r betrifft „Unternehmer" und „Sparer". Wo internationaler Wettbewerb schärfer ins Haus bläst, rüttelt er nicht nur an unserer Rechtsordnung. 1 9 5 Ist das Problem der Kapitalbeschaffung dauerhaft, also struktureller Art, wird auf Sicht eine Präsenzverlagerung 1.4 Schwunghaft entwickelte sich in den U S A auch die „securitization die Umwandlung von Darlehnsschulden in fungible Wertpapiere; zu den Verhältnissen in den U S A näher unten in § 7 A III (zum kulturellen Umfeld) sowie § 8 A (zu debt und equity securities) und § 10 A I, II (zum Handel mit Titeln europäischer Gesellschaften). Vgl. für Deutschland zur „securitization" etwa Helmer, Die vermögensverwaltende Immobilien-KG mit Genußscheinen, 1997. 1.5 Haupteinfallstor ist das Bilanzrecht, das über Kapitalmarkt- und Gesellschaftsrecht auch auf allgemeines Vertragsrecht einwirkt; grundsätzlich unter dem globalen Konzernphänomen Luttermann in FS Kropff 1997 sowie unten etwa in § 9 A III, B III, § 10 B und § 1 1 .
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zukunftsgewinnender Wirtschaftstätigkeit folgen. Solche Verödung wirkt umso schärfer, als auch künftig Kapital eher ein knappes Gut und Arbeitskraft angesichts hoher Arbeitslosigkeit wohl - in herrschenden Denkmustern - übermäßig verfügbar sein wird. Das lenkt den Blick weiter auf gesamtgesellschaftliche Probleme der Existenzsicherung und Altersvorsorge. Wir sehen, daß unsere staatlich geprägten Nachkriegssysteme wie gerade die Rentenversicherung bei wachsender Last an Tragfähigkeit verlieren. Zunehmend ist eigenverantwortlich private Vorsorge gefordert, die staatliche Fürsorge entlastet. Ein wichtiger Baustein dabei ist die sinnvolle Kapitalanlage in Unternehmen, über die selbst private Kleinanleger am Wertzuwachs der Wirtschaft teilhaben können. Auf dieser Idee gründet immerhin die Wirtschaftskraft der Vereinigten Staaten, deren Börsenkultur auch insofern wertvolle Anregung bietet.196 Freilich geht es nicht um einfache Übernahme dortiger Strukturen. Insgesamt ist maßvolles Vorgehen geboten. Zwischen zunehmend global definierter Wettbewerbsfähigkeit und kultureller Eigenart gilt es Systemlösungen zu finden, die Interessenlagen Kapital nachfragender „Unternehmen" und Kapital anbietender „Investoren" angemessen abstützen. Das ist Aufgabe der Rechtsordnung. Der Investitionsgenußschein ist kein Wundermittel, aber ein vielfältig nutzbares Werkzeug. Er nimmt den Leitgedanken der Aktiengesellschaft als rechtlich eigenständiger Kapitalakkumulator auf und weitet ihn über Aktientitel hinaus aus. Damit bietet er aus Unternehmenssicht weitere Finanzierungsmöglichkeiten und für (potentielle) Investoren Anlagealternativen, die bestimmte Bedürfnisse ansprechen. Insofern ist beachtlich, daß es ebenso wie verschiedene Ausprägungen der Aktiengesellschaft auch verschiedene Investortypen gibt. Gerade die zentral stehende börsennotierte Publikumsaktiengesellschaft197 zeigt schon lange, daß die Aktionäre als homogener Verband eine Illusion sind. Vor mehr als zwei Generationen beschrieb Julius Lehmann dieses Phänomen anschaulich: „Derjenige Aktionär, der des Kursgewinnes wegen kauft und sich dessen überhaupt nicht bewußt wird, daß er mit dem Erwerb einer Aktie wirtschaftlich Mitbesitzer einer Bank oder einer industriellen Unternehmung wird, steht naturgemäß der Frage des Stimmrechts gleichgültig gegenüber. ( . . . ) In dieser Interesselosigkeit findet diese Stimmentrechtung [in der Inflationszeit] aber auch eine gewisse wirtschaftliche Rechtfertigung. So ungesund es ist, einer Verwaltung durch Stimmrechtsaktien dauernd die Auch private Pensionsfonds (dazu in § 7 A III 2) gehören in diesen Kontext; sie werden auch in Deutschland mit dem Inkrafttreten des Dritten Finanzmarktförderungsgesetzes als sogenannte „Altersvorsorge-Sondervermögen" von Kapitalanlagegesellschaften erhebliche Bedeutung erlangen. Selbst Frankreich, das angelsächsischem Einfluß traditionell reserviert gegenübersteht, beschloß, Pensionsfonds zur Alterssicherung neben gesetzlicher Sozialversicherung und Zusatzkasse einzuführen; vgl. Handelsblatt vom 26.11.1996, Nr. 229, S. 3, und F.A.Z. vom 20.1.1997, Nr. 16, S. 13. 1,7 Mestmäcker, Verwaltung, Konzerngewalt und Rechte der Aktionäre, S. 16f. und sog. „Drei-Klassen-Modell": kleine AG, eindeutig majorisierte Konzern-AG und Publikums-AG; dazu Wietbölter, Interessen und Organisation der Aktiengesellschaft, S. 32, 135 ff.
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Macht in einem Unternehmen anzuvertrauen, so ungesund ist es sicherlich auch, ein U n ternehmen in Abhängigkeit zu bringen von einer täglich wachsenden Aktionärschicht, die ohne Interesse an dem Unternehmen selber lediglich auf einen Spielgewinn bedacht ist." 1 9 8
Abgehoben von damaligen Zeitumständen charakterisiert das Bild des Spielers eine weit verbreitete Investormentalität. Genau betrachtet ist das alte Leitbild vom unternehmerisch tätigen Gesellschafter beim Aktionär als Anteilseigner unter der Idee der Aktiengesellschaft als Publikumsgesellschaft ein altes Scheinbild. Vor dem ersten Weltkrieg kennzeichnete bereits Walther Rathenau, sozialpolitisch gezielt, die Gattung des spekulativen Aktionärs: Sie „kauft, nicht um zu besitzen, sondern um zu verkaufen"199. Seither sind die Verhältnisse im Wettbewerb auf den Kapitalmärkten der Publikumsgesellschaften vor allem auf die Erzielung möglichst hoher Renditen getrimmt. Angestrebt wird Vermögensmehrung über Ausschüttungen sowie Kursgewinne der Wertpapiere.200 Unternehmenstreue tritt dahinter zurück. Erscheinen andere Gesellschaften lukrativer, lenken Investoren ihr Kapital heutzutage leicht dorthin um. Dennoch verwässert die Idee des „unternehmerischen" Aktionärs, die tatsächlich - seit alters her - nur für einflußreiche Großaktionäre paßt, weiterhin die Sicht für den kapitalmarktgerechten Ausbau201 der Rechtsstellung von Investoren jenseits des Aktionärs. Dabei ist systematisch betrachtet das gesellschaftsrechtliche Spektrum selbst facettenreich. Insofern führt Herbert Wiedemann 202 treffend den Grundsatz aus, es werde nicht gelingen, dem Einzelgesellschafter eine verbandsrechtlich zwingende Rechtsposition mit Mindestbefugnissen zuzuweisen. Das Mitgliedschaftsrecht, so Wiedemann2m, „vermittele" dem Anteilseigner dafür Mitwirkungs-, Vermögens-, Kontroll- und Lösungsrechte. Darüber hinaus repräsentiere die Mitliedschaft aber einen eigenen Vermögenswert, der freilich in seinem Zuschnitt je nach dem Verbandscharakter variiere.204 Bei einer geschlossenen Gesellschaft (z.B. in der mitunternehmeri-
198 Gutachten: Soll bei einer zukünftigen Reform des Aktienrechts eine Annäherung an das englisch-amerikanische Recht in grundlegenden Fragen stattfinden?, in Verhandlungen 34. D J T (Köln) 1926, Band 1, S. 258, 314. 1,9 Vom Aktienwesen, S. 143; zu Rathenau bereits oben in § 1 A I 2. Vgl. zu verschiedenen Gattungen nach Interessenlage der Kapitalgeber schon fürs römische Recht in § 2 B III. 200 Christians, Erschließung des Kapitalmarktes als Quelle für Risikokapital, in: ders., Finanzierungshandbuch, S. 525, 538. Allgemein zum Nichtinteresse Sandig, Finanzierung mit Fremdkapital, S. 15-19, der wesentlich noch auf „Fremdkapitalgeber" im überkommenen Sinne abstellt. 201 Trefflich Assmann, in: GroßkommAktG, Einl. Rn 379, unter dem Aspekt institutionellen Anlegerschutzes; dazu insgesamt noch unten in § 11. 202 Gesellschaftsrecht, S. 702f. 203 Ebenda; auch Reinhardt/Schultz, Gesellschaftsrecht, Rn. 52. 204 Ebenso Huber, Vermögensanteil, S. 169ff., mit dem Hinweis (S. 170), Mitwirkungsrechte seien nur teilweise vermögensrechtlich fundiert, teils auch gesellschaftsrechtlich.
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sehen O H G ) sei die dem einzelnen Mitglied zustehende Herrschaftsmacht dem Sacheigentum rechtsähnlich, während der Anlagegesellschafter einer Publikumsgesellschaft - w o strikte Mediatisierung und nur noch korporatives Eigentum nach Gesellschaftsinteresse vorliege - auf seine Mitgliedschaftsrechte beschränkt bleibe. Das schlägt sich nieder im Unterschied zwischen Eigentum (das neben Wert auch Herrschaftsrecht vermittelt) und Wertrecht. Für die Rechtsqualität der Genußrechte als schuldrechtliche Beteiligungen (Wertrechte) haben wir das oben bereits geklärt. Vor dem skizzierten Hintergrund kann beispielhaft das Investitionsgenußrecht verkrustete Denkmuster geschmeidig machen und ergänzen. Auf der Basis der bisherigen Arbeitsergebnisse werden wir weiter - namentlich rechtsvergleichend - ausgreifen. Damit wird zugleich der Zugang zur Kultur in den Vereinigten Staaten erleichtert, deren Rechtsmuster über die internationalen Kapitalmärkte auf uns einströmen. Versucht wird, eine ausbaufähige Brücke zwischen den beteiligten Interessen im Kapitalmarktgefüge zu schlagen. Es geht um einen möglichst schlichten wie belastbaren Rechtsrahmen. Die Erfolge der gesetzlich als „haftendes Eigenkapital" bei Kreditinstituten etablierten Genußrechte 205 geben dafür Ansporn; ebenso, daß Genußrechte auch schon in anderen Bereichen - wie etwa beim Medienkonzern Bertelsmann A G - und tatsächlich international Ansätze für breitere Marktgängigkeit zeigen. 206
II.
Begriff
Das Investitionsgenußrecht entspricht im Grunde dem bereits oben anhand der Aktiengesellschaft ausgeführten Genußrechtsbegriff. Er wird, damit ein marktgängiges Publikumspapier als Anlageform für Investoren wie als Finanzierungsinstrument für Unternehmen vorliegt, um das Kriterium b ö s l i cher Emission und Notierung als fungibles Wertpapier (Genußschein) ergänzt. Die Gegenleistung des Investors ist insoweit auf die Einlage von - in der Regel insgesamt verlustbeteiligtem - Geld (Genußscheinkapital oder kurz: Genußkapital) bei der emittierenden Gesellschaft begrenzt. Das Genußkapital muß auf einen Nennbetrag in Deutscher Mark (oder Euro) lauten. Die Genußscheine können als Nennbetragsgenußscheine oder als Stückgenußscheine begründet werden. Der Anteil am Genußkapital richtet sich beim Nennbetragsgenußschein nach dem Verhältnis seines Nennbetrags zum Genußkapital, beim Stückgenußschein nach dem nominalen Genußkapital geteilt durch die Zahl der ausgegebenen Genußscheine (= rechnerischer NennDaten oben in § 3 C III; zur Regelung selbst unten in § 9 C II. Dazu unten in § 10 A II; dort (unter III) sowie in § 11 B (passim) näher zum Genußschein der Bertelsmann AG, der zugleich zeigt, wie auch eine nicht börsennotierte Aktiengesellschaft über solche Titel im breiten Publikum Kapital akquirieren kann. 205 206
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Teil 1: Entwicklung
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der
Genußrechte
wert). 207 Das Genußkapital wird anderen Gläubigerpositionen gegenüber nachrangig gestaltet und steht für eine gewisse Dauer zur Verfügung. 208 Folglich ist ein Investitionsgenußschein (Investitionsgenußrecht) in Nennbetrags- oder Stückform: Ein wertpapierrechtlich verbriefter Anspruch auf ein typisches Vermögensrecht eines Aktionärs (Gewinn- und/oder Liquidationseriösteilhabe, Bezug junger Genußrechte, Umtauschrecht in Aktien), den eine Aktiengesellschaft gegen eine entsprechende, dauerhafte, nachrangige und am Verlust teilnehmende Genußkapitaleinlage als schuldrechtliche Beteiligung (Wertrecht) börslich gewährt. Zahlreiche der derzeit in Deutschland börsennotierten Genußscheine erfüllen diese Kriterien. Das Merkmal der Börsennotierung bietet zugleich wichtigen Anhalt, um im Einzelfall Investitionsgenußrechte gegenüber einem Unternehmensvertrag zur Gewinnabführung (§ 291 Abs. 1 AktG) abzugrenzen. 209
III.
Zulässigkeit
Die Zulässigkeit der Begründung von Genußrechten gegen Einlage zur Unternehmensfinanzierung ist im Grundsatz anerkannt, mit zwei Einschränkungen. Einwände sind gegen die sogenannten „aktiengleichen" Genußrechte erhoben worden; einmal in europarechtlicher Sicht (dazu 2), andererseits mit Verweis auf das deutsche Aktienrecht, dem wir uns zunächst zuwenden. Voranzustellen ist, daß die Zulässigkeitsdebatte über mehr als eine Dekade hin geführt wurde. 210 Sie war wichtig und klärend. Aber alle Kernargumente sind ausgetauscht, und die Einwände daher in gebotener Kürze zu behandeln. 1.
Aktienrecht
a)
Umgehungsthesen
Der aktienrechtliche Einwand gegen Genußrechte als Finanzierungsinstrument ist im Kern ein historisch/systematischer, der sich auf die gesetzliche Regelung der stimmrechtslosen Vorzugsaktie stützt. Namentlich Dieter Reuter und im Anschluß daran Heribert Hirte sehen die §§ 139 bis 141 A k t G im Grundsatz als abschließende, zwingende Regelung des Gesetzgebers für die Beschaffung stimmrechtslosen Eigenkapitals und haben danach sogenannte 207
Vgl. § 8 A k t G (nach Art. 1 Entwurf einer gesetzlichen Regelung über die Zulassung nennwertloser Aktien). 208 Auf Einzelheiten gehen wir später in § 11 ein. 209 Etwa auch anhand der Handelsvolumina. Vgl. nur Karollus, in: G e ß l e r / H e f e r m e h l / E c k a r d t / K r o p f f , § 221 Rn. 241-244, u n d dazu oben B II 3 b; zur Abgrenzung G e n u ß r e c h t / G e winnabführungsvertrag auch Hirte, ZBB 1992, 50ff. (zum B G H in „Bremer Bankverein"). 210 Eingehende Darstellung bei Frantzen, Genußscheine, S. 167 bis 178; Lutter, in: Kölner Kommentar, § 221 Rn. 224 (m.w. Nachw.).
5 4 Grundfragen
der
Genußrechte
129
Umgehungsthesen formuliert. Reuter2n zielt dabei auf den „aktiengleichen" Genußschein, der für ihn bei Publikumsemissionen mit Beteiligung an Gewinn und Liquidationserlös 212 vorliegt. Er sieht in ihm einen „schlichten Etikettenwechsel", mit dem die auf die Interessenlage von Kapitalgeber und Gesellschaft abgestimmten Normen zu Lasten der Genußberechtigten umgangen würden; daraus folge das Verbot solcher Konstruktionen. Hirte213 geht weiter, nimmt „aktiengleiche" Genußscheine schon bei Beteiligung nur am Gewinn an und erstreckt das Verdikt grundsätzlich auf den Einsatz von Genußrechten zur Eigenkapitalgewinnung. Beide Positionen stützen sich maßgeblich auf die Entstehungsgeschichte der aktienrechtlichen Regeln, die ein Nebeneinander von stimmrechtsloser Aktie und Genußrecht als Finanzierungsinstrument ausschließe. 214 Ubereinstimmend nehmen beide Positionen zur Mitarbeiterbeteiligung begründete Genußrechte vom Verbot aus.215 b)
Stellungnahme
Der Rückgriff von Reuter und Hirte auf die Entstehungsgeschichte verfängt sich in einem historisch nachvollziehbaren Irrtum. Am Anfang steht wohl die Einlassung des Berichterstatters Julius Flechtheim auf dem 33. Deutschen Juristentag 1924 in Heidelberg bei den Beratungen über die Einführung der Vorzugsaktie ohne Stimmrecht und eine intensivere Verwendung des Genußscheins. Nach dem Sitzungsprotokoll findet beides auf der Linie von Flechtheim keinen Anklang. Er führte sinngemäß aus 216 : Stimmrechtlose Vorzugsaktien, für das Herrschaftsgefüge von Gesellschaften durchaus vorteilhaft, dürften vom Standpunkt der erleichterten Kapitalbeschaffung unbeachtlich sein. Außerdem würden sie ganz einen Unterschied zwischen Vorzugsaktie und Genußschein verwischen. Letzterer selbst sei für die Beschaffung neuen Kapitals „sehr wenig geeignet". Als Mischform zwischen Schuldverschreibung und Aktie gewähre er typische Aktienrechte nur in Form von Gläubigerrechten ohne Stimmrecht. Dieser Mangel und die Abhängigkeit von Beschlüssen der Generalversammlung mache die Stellung des Genußscheininhabers außerordentlich prekär. Flechtheim sieht daher den GenußZ.B. in: Gutachten zum 55 DJT, S. B 25f.; ders. FS Stimpel 1985, 645, 654. Solche Konstruktionen sind aus steuerlichen Gründen (vgl. dazu unten § 11 B II) derzeit praktisch kaum relevant. 213 Siehe nur ZIP 1988, 477, 477f., 482. Schäfer, WM 1991, 1941, 1943, nimmt „Aktiengleichheit" mit Sperrwirkung an, wenn Genußscheine „trotz Gewinn- und Verlustbeteiligung nicht zurückzahlbar sind" (!). 2,4 Siehe nur Hirte, ZIP 1988, 477, 478 ff. 215 Reuter grundsätzlich in FS Robert Fischer 1979, 605, 619ff.; ders., in: Fritsch/Liener/ Schmidt, Die Deutsche Aktie, S. 251,261 und ders. (zusammen mit Katschinski), in: Gebhardt/ Gerke/Steiner, Handbuch des Finanzmanagements, S. 313, 328-330; Hirte, ZIP 1988, 477, 484 f. 216 Verhandlungen des 33. DJT (Heidelberg 1924), Band 2, S. 385,392f.; siehe dazu, ebenda, S. 415f., auch Berichterstatter Hachenburg zur Schaffung sog. echter Vorzugsaktien. 2.1
2.2
130
Teil 1: Entwicklung
und Grundfragen
der
Genußrechte
schein in der Praxis regelmäßig 217 nicht als Finanzierungsinstitut verwendet und schließt mit der Prognose, das sei auch durch gesetzliche Ausgestaltung dieser Rechtsform nicht erreichbar. Zweierlei ist anzumerken. Flechtheims Ansatz, seine praktische Einschätzung der tatsächlichen Verhältnisse jener Zeit, geht fehl. Nach den vorliegenden Erkenntnissen war der Genußschein gerade in den Inflationsjahren um 1920 ein beliebtes, weil vollwertiges Instrument am Kapitalmarkt. 218 Ferner spielt die von Flechtheim kritisch angesprochene Abgrenzung von Genußrechten und stimmrechtloser Vorzugsaktie in der weiteren Diskussion und vor allem im späteren Gesetzgebungsverfahren keine Rolle. Dazu liegen inzwischen die von Werner Schubert und Peter Hommelhoff veröffentlichten Materialien zur Aktienrechtsreform am Ende der Weimarer Republik vor. Anzuführen ist hieraus nur die Einlassung des damaligen Regierungsvertreters im vorläufigen Reichswirtschaftsrat Leo Quassowski von 1932, der die Vorschriften über Vorzugsaktien ohne Stimmrecht und Genußrechte maßgeblich bearbeitet hat. 219 Mit Blick auf die damals in der Praxis zur Kapitalbeschaffung üblichen Genußscheine äußert er, daß mit dem neuen Instrument der Vorzugsaktie ohne Stimmrecht kein Zwang und kein Druck zu dessen Einführung ausgeübt werde, sondern es nur eine weitere Finanzierungsmöglichkeit sei, die den Beteiligten zur Verfügung gestellt werde und die auch der ganzen Tendenz des Entwurfs entspreche, die Kapitalisierungsformen möglichst noch auszugestalten und auszubauen. 220 Diese Materialien und andere historische Quellen zur Frage der Finanzierung mit Genußrechtskapital in der Diskussion zum Aktiengesetz 1937 hat Christopher Fra.ntzen22\ auf den hier verwiesen wird, eingehend ausgewertet. Die Reform 1965 hat, wie wir schon zeigten, an dieser Einschätzung der Aktienrechtsreformer von 1937 nichts geändert. Historisch wie systematisch finden die Umgehungsthesen also keinen Halt. Genußrechtsverträge sind, das sei noch einmal betont, neben anderen Rechtsformen ein Finanzierungsinstrument der Aktiengesellschaft. Insofern entspricht ihre Funktion der Aktienfinanzierung. Entgegen der Ansicht von 217 Er sieht ihn, aaO., „fast ausschließlich" als Überbleibsel früherer Aktienrechte, als Lohn für Gründer/Aktionäre oder als Abspliß von Aktienrechten zur Verwässerung. 218 Siehe oben § 3 B I sowie Brodmann, Aktienrecht, § 179 Anm. 9b). Auch zuvor schon war der Genußschein als Mittel zur Kapitalverschaffung verbreitet; dazu oben sub § 3 A I. Der „Sanierungseinsatz" bei Kapitalgesellschaften bleibt davon - als eine Variante - unberührt; dazu Göhrum, Einsatzmöglichkeiten von Genußrechten bei einer notleidenden GmbH oder AG, 1992. 219 Frantzen, Genußscheine, S. 191 f. 220 Quassowski, Sitzungsprotokoll 5. Sitzung Aktienrechtsausschuß des Vorläufigen Reichswirtschaftsrats am 20.10.1932, abgedruckt bei Schubert/Hommelhoff, Aktienrechtsreform, S. 357; fehl geht danach die Annahme von Silverberg, ebenda, das Wesentliche des Genußscheins sei, daß er ohne Valuta ausgegeben werde. 221 S. 181 bis 192. Zur Bedeutung des AktG 1937 für die Rechtslage de lege lata bereits oben § 3 C I 2.
5 4 Grundfragen
der
Genußrechte
131
Reuter ist aber festzuhalten, daß die Bezeichnung als „aktiengleicher" Genußschein keine rechtliche Kategorie, sondern allenfalls als wirtschaftlicher Terminus brauchbar ist. Die Beteiligung des Aktionärs am Grundkapital der Aktiengesellschaft und die damit verbundene mitgliedschaftliche Stellung ist das maßgebliche Unterscheidungskriterium gegenüber dem Genußrechtsinhaber; eine solche („aktiengleiche") Rechtsposition kann und will über einen Genußrechtsvertrag nicht erreicht werden.222 Davon abgesehen, ist der Einwand des „schlichten Etikettenwechsels" dennoch beachtlich. Dahinter steckt ein die Umgehungsthesen aus teleologischer Sicht stützender Gedanke, über Genußrechtskapital sei das abgestimmte und weithin zwingende aktienrechtliche Schutzsystem aus Mitwirkungs-, Anfechtungs- und Kontrollrechten auszuhebein. Diese Befürchtung ist angesichts der verbreiteten Meinung eines „laissez faire" bei genußrechtlichen Gestaltungen223 nachvollziehbar und begründet, nicht aber das daraus abgeleitete Verbot der Genußrechtsfinanzierung. Den Bedenken ist Rechnung zu tragen mit der schon genannten Beiziehung auch des aktienrechtlichen Bezugssystems, um den für Genußrechtsverträge geltenden Regelkanon zu bestimmen. Vorweggenommen sei, daß danach durch die Drittstellung des Genußrechtsinhabers bedingte Besonderheiten wie namentlich dessen Haftungsposition im Verhältnis zum Grundkapital 224 einen „schlichten Etikettenwechsel" hindern. Abschließend ist auf eine wesentliche Schwachstelle der von Reuter und Hirte mit ihren Umgehungsthesen beabsichtigten Schutzwirkung hinzuweisen. Sie nehmen mit Genußrechtsverträgen zur Mitarbeiterbeteiligung gerade eine durch Risikohäufung grundsätzlich prekäre Konstruktion von ihrem Verbot aus. Die Beteiligung von Arbeitnehmern am Gewinn des Unternehmens ist im Ansatz ebenso sozialpolitisch bedenkenswert wie ideologisch befrachtet.225 Hier interessiert unter dem Blickpunkt der Finanzierung nur der Fall, daß der Arbeitnehmer teilweise über die Gewährung von Genußrechten entlohnt wird. Dann liegt in Höhe des nicht bar ausgezahlten Lohnanteils eine Einlage des Arbeitnehmers in das Unternehmen vor. Das Risiko des Arbeitnehmers, bei Wertverlust der Genußscheine namentlich bis hin zur Insolvenz seines Arbeitgebers mit Ansprüchen auszufallen, steigt entsprechend und zeitigt ein ganzes Problembündel. Die Konstellation der Risikohäufung ist nicht befriedigend lösbar und als solche jedenfalls aus vernünftiger Sicht der Risikobegrenzung nur bedingt genießbar.226 Dafür wird heutzutage neu222 So schon zutreffend Gottlieb, Der Genußschein, S. lOf. und im Anschluß daran Ernst, AG 1967, 75, 78; vgl. im neueren Schrifttum nur Lorch, Genußschein, S. 227ff. 223 Vgl. oben § 4 B I. 224 Weiter unten in § 5 D sowie in § 11 A. 225 Kritisch Wagner, Sicherungsbedürftigkeit von Mitarbeiterbeteiligungen?, S. 1 f.; weitere Literatur zur genußrechtlichen Mitarbeiterbeteiligung oben unter § 3 C II 1. 226 Im übrigen zum Schutz Reuter, NJW 1984, 1849, 1852ff.; auch Wagner, aaO., S. 40ff. Daß im Einzelfall - wie etwa bislang bei der Bertelsmann AG - die Mitarbeitermodelle bei se-
132
Teil I: Entwicklung
und Grundfragen
der
Genußreckte
modisch der anglophone Begriff „risk sharing" (Risikostreuung) im Sinne der Portfoliotheorie gesetzt, die freilich weniger innovativ ist, als sie erscheint; dem Grundgedanken begegnet man schon im antiken Rom. 227
2. Europarecht Heribert Hirte hat die Zulässigkeit von Genußscheinen des „deutschen Typs", womit solche in der Art von Klöckner zur Finanzierung mit „Eigenkapitalcharakter" gemeint sind, auch nach europarechtlichen Vorgaben bestritten; vor allem sieht er mit alternativer Begründung einen Verstoß gegen die Zweite Richtlinie (Kapitalrichtlinie, 77/91/EWG) 228 . Deren Artikel 25 formuliere entweder für Kapitalerhöhungen einen numerus clausus zulässiger Formen der Eigenkapitalbeschaffung, zu denen Genußscheine nicht zählten; andernfalls gelte nach Zielsetzung der Richtlinie der für Gläubiger und Anleger festgelegte Schutz ebenso für andere Eigenkapitalformen, also auch für Genußrechtskapital. 229 Diese Ansicht wird im Schrifttum zu Recht einhellig abgelehnt 230 , und auch der Bundesgerichtshof sah sich in den Fällen „Klöckner" - dazu hatte Hirte seinen Einwand im Vorfeld der Entscheidung formuliert - und „Bremer Bankverein" nicht zur Vorlage an den Europäischen Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag veranlaßt. Abgesehen von ihrer nur lückenhaften Regelungsdichte kann der Kapitalrichtlinie schon prinzipiell kaum ein geschlossenes europarechtliches System für Aktiengesellschaften, also weder für die Formen ihrer Eigenkapitalgewinnung noch den Anlegerschutz, entnommen werden. Dazu wäre ein Akt der Rechtsvereinheitlichung geboten, wie etwa entsprechende Verordnungsvorgaben im Statut einer noch immer auf Eis liegenden supranationalen Europäischen Aktiengesellschaft (SE).231 Richtlinien wie die vorliegende dienen der Rechtsangleichung und sind darauf beschränkt, nicht Identität, sondern Harmonisierung der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten im Sinne einer Gleichriöser Geschäftspraxis erfolgreich sein können, ändert angesichts nicht beeinflußbarer A u ßenumstände nichts am Grundsatz. Vgl. die etwa im US-amerikanischen System der Altersvorsorge über Pensionsfonds (dazu noch in § 7 A III) in ERISA § 404(a)(l)(C) fixierte Risikovorsorge; dazu Langhein/Wolk, Pension and employee benefit law, S. 651 f. 227 D a z u noch unter dem Aspekt der Wagnisgemeinschaft in § 5 A I. 228 Vom 13.12.1976 ( 7 7 / 9 1 / E W G ) , AB1EG N r . L 26 v o m 31.1.1977, S. 1 ff.: abgedruckt bei Lutter, Europäisches Unternehmensrecht, S. 114ff. 229 Hirte, Z I P 1991, 1461, 1462, 1469; im Ansatz schon ders., Z I P 1988, 477, 480f. 230 Siehe Gehimg, W M 1992, 1093, 1098f.; Groß, in: H e n s s l e r / K o l b e c k / M o r i t z / R e h m , S. 391,401 ff.; Lutter, in: Kölner Kommentar, § 221 Rn. 229f.; Sethe A G 1993,293, 301 ff.; Vollmer/Lorch, ZBB 1992, 44, 45 f. 231 Das Ausgabeverbot nach Art. 60 Entwurf SE-Statut 1989 „sonstiger Wertpapiere, die Nichtaktionären ein Recht auf Beteiligung am G e w i n n oder am Gesellschaftsvermögen einräumen", das Hirte f ü r sein Verdikt beizieht, ist im Kommissionsvorschlag von 1991 gestrichen; dazu Lutter, in: Kölner Kommentar, § 221 Rn. 230; z u m neueren Stand u m die SE ders., Europäisches Unternehmensrecht, S. 68. Z u m Entwurf einer Europäischen Genossenschaft u n d einschlägigen Kapitalisierungsfragen Luttermann, ZVglRWiss 93 (1994), 1-37.
5 4 Grundfragen
der
Cenußrechte
133
Wertigkeit zu gewähren. Insofern ist der Geltungsanspruch der Kapitalrichtlinie entscheidend. Nach ihren Artikeln 2 und 3 in Verbindung mit Artikel 3 der Ersten Richtlinie (Publizitätsrichtlinie, 68/151/EWG) 232 zielt sie mit ihren Vorgaben ausdrücklich nur auf die fixen, registergerichtlich erfaßten Eigenkapitalziffern, also auf das gezeichnete und das genehmigte y4&iie«kapital. Artikel 1 Abs. 2 Kapitalrichtlinie räumt den Mitgliedstaaten ein Wahlrecht ein, bestimmte in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft gegründete Gesellschaften mit veränderlichem Kapital von der Richtlinie auszunehmen. Entsprechend behandelt die Kapitalrichtlinie die Gründung der Aktiengesellschaft (Angaben nach Artikel 2; Mindestkapital: Artikel 6) sowie Erhöhung und Herabsetzung ihres Kapitals. Zum Schutz der Gläubiger, deren Sicherheit sich bei der beschränkten Haftung von Kapitalgesellschaften nach dem gebundenen Kapital bemißt, enthält die Kapitalrichtlinie daneben Regeln für die tatsächliche Aufbringung und den Erhalt des Haftungsstocks. Auch aus dieser in ihrem Eingang betonten Zielrichtung erhellt, daß sie keinen numerus clausus der „Eigenkapitalfinanzierung" 233 festschreiben soll. Zusätzlich über Genußrechte eingeholtes Haftkapital erhöht die Sicherheit von Gläubigern. Eine rigorose Begrenzung der Aktiengesellschaften auf die Aktie zur Beschaffung haftender Mittel wäre absurd. Insgesamt ist festzuhalten, daß europarechtliche Aspekte de lege lata die Begründung des gegenüber Aktienkapital qualitativ andersartigen Genußrechtkapitals nicht hindern. Daher ist auch der Anlegerschutz bei dieser Finanzierungsform vor allem aus dem nationalen Recht zu entwickeln 234 und nicht - wie von Hirte reklamiert - aus der Kapitalrichtlinie; sie kann gegebenenfalls aber eine Orientierungshilfe bieten.
IV. Zwischenergebnis
und weitere
Untersuchung
Die Gewährung von Genußrechten gegen Einlage zur Unternehmensfinanzierung ist nach geltendem Recht zulässig, auch bei Beteiligung des Genußrechtinhabers an Gewinn und Liquidationserlös. Eine „aktiengleiche" Rechtsposition kann und will mit dem genuin andersartigen Genußrechtsvertrag nicht begründet werden. Durchgreifende Einwände sind damit - auch gegen das hier formulierte Investitionsgenußrecht (den Investitionsgenußschein) - nicht ersichtlich. Wesentlich bleibt, für das Investitionsgenußrecht als hybrides Finanzierungsinstrument mit schuldrechtlicher Basis einen angemessenen Anlegerschutzrahmen zu fixieren (später in Teil III, §§11 und 12). Wir weiten dafür im folgenden Teil II rechtsvergleichend den Blick auf die 232 Vom 9.3.1968 (68/151/EWG), AB1EG N r . L 65 vom 14.3.1968, S. 8ff.; abgedruckt bei Lutter, Europäisches Unternehmensrecht, S. 104 ff. 233 Beachte zu den Aspekten „Eigenkapital" u n d „Haftkapital" noch unten § 11 B I. 234 Weiter dazu in § 5 A III 2.
134
Teil I: Entwicklung und Grundfragen
der
Genußrechte
Grundlagen der Finanzierung körperschaftlich getragener Unternehmen. Zunächst w e r d e n - zugespitzt auf die Finanzierung bei Kapitalgesellschaften als Unternehmensträger mit beschränkter H a f t u n g - Verknüpfungen von U n t e r nehmen, Kapital u n d Recht ( s u b § 5) sowie der Eigenkapitalbegriff i m deutschen Recht (§ 6) beleuchtet. M i t d e m dort rechtsvergleichend gefügten A n satz geht es in den Rechtskreis der Vereinigten Staaten von A m e r i k a , w o w i r die Finanzierung von Kapitalgesellschaften mit h y b r i d e n Finanzierungsformen untersuchen (§ 7 bis § 9 A und B). Das führt uns zu Genußrechten auf internationalen Parketten und einer kritischen Gesamtschau von Recht u n d Finanzierungsfragen (§ 9 C u n d § 10).
Teil II
Grundlagen der Finanzierung in rechtsvergleichender Sicht § 5 Unternehmen, Kapital und Recht Genußrechte und Genußrechtsvertrag sind bis hierher in eine Grundform gegossen. Um ihr Wesen als Finanzierungs- und Anlageinstrument besser erfassen und die rechtlichen Konturen des aktienrechtlichen Investitionsgenußscheins später1 angemessen austarieren zu können, müssen die größeren Zusammenhänge vertieft werden, in denen sie stehen. Dazu sind in einem ersten Schritt die Grundlagen der Finanzierung von Unternehmen als Lebenssachverhalt aus Rechtssicht zu beleuchten. Wir werden zunächst die beim Unternehmen versammelten Kapitalgeber als „Wagnisgemeinschaft" ansprechen (sub A), um danach Funktion und Grenzen des Merkmals „gemeinsamer Zweck" bezogen auf eine Mehrheit von Kapitalgebern zu betrachten (B); über Finanzierungsaspekte bei Kapitalgesellschaften (C) führt das zur Frage nach Grundsätzen „ordnungsmäßiger" Unternehmensfinanzierung bei einer juristischen Person als Unternehmensträgerin (D).
A. Unternehmen als Wagnisgemeinschaft und Rechtsordnung I.
Wagnisgemeinschaft
Ein Unternehmen und dessen Finanzierung ist mit vielfältigen Risiken behaftet. Für „etwas unternehmen" wird trefflich auch „wagen" synonym gesetzt.2 Gerade heutzutage ist es selten nur eine Person, die das Wagnis einer Unternehmensfinanzierung schultert. Im Kreis der Kapitalgeber treten Investortypen mit unterschiedlichen Interessen und Temperamenten zusammen. Die Diskussion im deutschen Rechtskreis um die Frage der (Eigen-)Kapitalausstattung von Unternehmen bleibt aber schon im Ansatz beschränkt. Und zwar regelmäßig auf die Gleichsetzung von „Risikokapital" mit dem von den Gesellschaftern eingelegten „Eigenkapital". Diese Sicht ist unnatürlich ver1 2
Unten in § 11. Grimm, Deutsches Wörterbuch, Stichwort: „unternehmen", Sp. 1699.
136
Teil II:
Grundlagen
der Finanzierung
in rechtsvergleichender
Sicht
kürzt. Im Grundsatz umfaßt die Wagnisgemeinschaft alle Kapitalgeber eines Unternehmens; sie sitzen gleichsam im selben Boot. Das erhellt aus der Tatsache, daß im Fall des Konkurses grundsätzlich jeder, der - ob als Gesellschafter oder Gläubiger - im Unternehmen engagiert ist, sein eingelegtes Kapital verlieren kann. Auch der „einfache" Darlehnsgeber läßt sich daher, gut beraten, bei ausgeprägter Risikoscheu Sicherheiten einräumen. Beginnen wir mit einer historischen Betrachtung.
II. Entwicklungsgeschichtliche
Aspekte
Unternehmen sind und waren kostspielig. Beim Blick in die Geschichte stößt man in früher Zeit vor allem auf die Seefahrt, das Salinenwesen und den Bergbau, die alle große Kapitalien erforderten und die Entwicklung von Unternehmertum und Rechtskultur besonders förderten. Für Bergbau wie Salinenwesen etwa gilt der Erfahrungssatz: „Das ist nicht eines Mannes Sache, sondern erfordert vereinte Kräfte". 3 Die Salzgewinnung durch Solbrunnen und Versiedung der Sole, im Salzburger Raum schon in römischem Fiskalbesitz betrieben, lag - wie die spätere Erbohrung von Erdschätzen (Salz, Erze, Steinkohle) - als Regal in grundherrlicher Hand von Königen, Fürsten und Bischöfen. Den Betrieb der Salinen übernahmen aber weitgehend eigenständig private Pächter in genossenschaftlicher Form der Pfännerschaften. Solche Korporationen bestanden über Jahrhunderte bis in unsere Zeit oder erblühten neu als Aktiengesellschaft oder Gewerkschaft, die als älteste und typische Assoziationsform des Bergbaus schon den Tridentiner Bergwerksgebräuchen von 1208 bekannt ist.4 Hohes Risiko durch Erdeinsturz oder Wassereinbruch in die Bergwerke bei unsicherem Ertrag sowie großem Kapitalbedarf zwangen zu gemeinschaftlichen Unternehmen, und das Bestreben war, Risiken durch zeitgleichen Betrieb mehrerer Grubenfelder zu verteilen.5 Besonderes Interesse verdient das Seehandelsrecht. Gerade dort haben sich durch praktische Bedürfnisse Ideen und Grundmodelle der Risikoverteilung ausgebildet, die in unseren heutigen Rechtsinstituten wirken und daher für das Rechtsverständnis beachtlich sind. Gleich vorangestellt läßt sich bei Betrachtung der verschiedenen Formen unabhängig von Entwicklungsstufe und wirtschaftlichem Bereich das aller Initiative gemeinsame Motiv isolieren. Der Fixpunkt ist das jedem Unternehmen anhaftende Moment der Spekulation. Allgemein gesprochen ist es die Aussicht auf Nutzen und Gewinn, die jeden
3 Eingehend Schmoller, Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft, 15 (1891), 635, 651 ff. (m. zahlreichen Nachw.). 4 Pitz, Das preußische Kuxrecht, S. 2. Zum gewerkschaftlichen Genußschein Tacken, Münster 1938. 5 Pitz, vorstehende Fn.
5 i Unternehmen,
Kapital und Recht
137
Beteiligten nach dem Maß seiner „spekulativen Energie" 6 umtreibt und sich in einer bestimmten Form finanziellen und/oder persönlichen Engagements ausdrückt. Der frühe Handel über die See bot dazu passendes Revier. Mit seinen erheblichen Risiken, die aus der Natur der Sache bei mangelnden technischen Kenntnissen wie auch aus Seeraub erwuchsen, ging die Chance auf enormen Gewinn bei Erfolg des Unternehmens einher. Einige Beispiele seien angeführt, wobei angesichts teils fließender Ubergänge Charakteristika zentral stehen. Zunächst ist das schon erwähnte Seedarlehn {fenus nauticum, pecunia traiectitia) zu nennen. Davon berichtet bereits das vom griechisch-hellenischen Kreis auf die römische Kultur überkommene pseudorhodische Seerecht (lex Rhodia de iactu).7 Beim Seedarlehen wird Kapital für eine Seeunternehmung begeben mit der Eigenart, daß grundsätzlich der Kapitalgeber, der auf diesem Wege oft auch Geld an einen überseeischen Ort remittierte, die Seegefahr trägt. Scheitert das Projekt an schiffahrtstypischer Gefahr wie dem Schiffswurf, wird der Kreditnehmer frei.8 Das Seedarlehn, mit dem man bei diesem Risiko hohe Zinsen erzielte, blieb bis Iustinian von den abendländischen Zinsverboten ausgenommen9 und gilt als das Spekulationsgeschäft des Altertums.10 Das ist einsichtig, konnten in dieser Wagnisgemeinschaft doch beide Seiten mit Vorteil „spekulieren": Dem Kreditgeber winkte - neben der Geschäftsbesorgung - ansehnliches Entgelt, wofür der Kreditnehmer sein Unternehmen jedenfalls absicherte mit Aussicht auf eigenen Gewinn bei Gelingen. Im Seedarlehn, das auf den Binnenhandel übertragen wird, liegen Keime der Assekuranz gegen Prämie, des Wechsels, der Bodmerei.11 Erwähnt sei noch eine im pseudorhodischen Seerecht erstmals bezeugte Gesellschaftsart. Bei ihr besteht eine Wagnisgemeinschaft aller Interessenten einer Seeunternehmung (Schiffseigner und -besatzung, Befrachter, Kapitalisten) auf Gewinn und Verlust, die der späteren italienischen colonna besonders nach dem Seerecht von Amalfi (tabula Amalfitana) entspricht.12
' Betrachtet man das Wirtschaftsleben, dann steht für „etwas unternehmen" berechtigt auch der Nebenbegriff des „Verwegenen" und mit Goethe, Ilmenau (1793): „Hat nie der Mutige Verwegnes unternommen?". 1 Käser, Römisches Privatrecht I (1971), § 124 III; Wieacker, Römische Rechtsgeschichte, § 16 II 3 (S. 349, dort auch Fn. 22). Grundlegend zur lex Rhodia nach Primärquellen, Ashhurner, The Rhodian Sea-Law, 1909. 8 Eingehend Klingmüller, in: Paulys Real-Encyclopädie, Sp. 2201 ff.; danach, Sp. 2205, hatte der Gläubiger häufig vertragliches Pfandrecht an Schiff oder Waren, was freilich bei Untergang oder Raub wertlos war. ' Klingmüller, ebenda, Sp. 2197 und 2203; Goldschmidt, Universalgeschichte des Handelsrechts, S. 345, mit Angaben zur Zinshöhe bei Seedarlehn im Mittelalter. 10 Goldschmidt, Universalgeschichte des Handelsrechts, S. 55 und 239. " Goldschmidt, Universalgeschichte des Handelsrechts, S. 347 (Darlehn auf Landgefahr), S. 55 (Assekuranz), S. 412ff. (Wechsel), S. 413 (Bodmerei). 12 Aus dem 12./14. Jahrhundert; Rehme, Haftung des Reeders, S. 9ff.; ders., in: Ehrenbergs Handbuch 1, S. 100.
138
Teil II: Grundlagen
der Finanzierung
in rechtsvergleichender
Sicht
Neben dem auch „societätsmäßig modifiziert" 13 auftretenden Seedarlehn ist schließlich die commenda hervorzuheben. Sie ist eine Sozietät zwischen einem Kapitalisten (commendator), der Waren, Geld oder Schiff einem Unternehmer (commendatarius, tractator) anvertraut (commendare, cummandare), der das Kapital „behufs Gewinnes ,arbeiten' läßt" 14 . Die Haftung des Kapitalisten ist auf die Einlage beschränkt. Der tractator kann gleichzeitig Commenden verschiedener Kapitalisten erlangen, zu denen er dann in streng gesonderten Rechtsbeziehungen steht, während kein einheitlicher Nexus zwischen allen Beteiligten besteht. 15 Die commenda erscheint als universales Rechtsinstitut, ebenso im Binnenhandel wie wohl in verschiedenen Kulturkreisen, und ist ein Vorläufer unserer stillen Gesellschaft und Kommanditgesellschaft. 16 Damit läßt sich von den früheren Zeugnissen der Bogen schlagen zu bekannten Erscheinungen bis in unsere Zeit. 17 Uber die Reederei, die oft mit stiller Gesellschaft verbunden war, treten zunächst die bedeutenden Kompagnien des 17. Jahrhunderts ins Blickfeld, allen voran die Niederländisch-Ostindische Compagnie von 1602, die aus acht ebenfalls in der Schiffahrt tätigen sogenannten voorzcompagnien enstand. Von dort führt dann der Weg zur erstmals im Code de Commerce von 1807 - neben der namentlich vereinigten Gesellschaft {en nom collectif) und der stillen Gesellschaft - als eigenständige Form der Handelsgesellschaft gesetzlich anerkannten Aktiengesellschaft (société anonyme). Bei ihr kann sich der Verlust der Handelsgesellschafter „nicht höher belaufen, als die Summe, für welche sie bey der Gesellschaft interessiert sind" (Ziffer 33 Code de Commerce) 18 . Zu beachten ist, daß die stille Gesellschaft nach französischem Recht (Ziffer 23 Code de Commerce) 19 als société en commandite unserer Kommanditgesellschaft entspricht. Die scharfe Trennung zwischen dieser und stiller Gesellschaft im deutschen Recht entstammt Goldschmidt, Universalgeschichte des Handelsrechts, S. 346f. Goldschmidt, Universalgeschichte des Handelsrechts, S. 259, wonach, S. 260, später oft oder societas maris genannt - vorkommt. beidseitige Kapitalbeteiligung - auch collegantia Rehme, Haftung des Reeders, S. 16ff. Wohl können mehrere commendatoren derselben commenda untereinander in Sozietät stehen, Goldschmidt, Universalgeschichte des Handelsrechts, S. 266. Vgl. K. Lehmann, Das Recht der Aktiengesellschaften, S. 27f., der damit erklärt, daß die großen Gesellschaften des Mittelalters mit ihren unzähligen stillen Teilhabern nie den Charakter von Aktiengesellschaften angenommen haben. 16 Rehme, in: Ehrenbergs Handbuch 1, S. 102f.; ders., SZGerm 47 (1927), 487, 513ff.; Goldschmidt, Universalgeschichte des Handelsrechts, S. 254; Silberschmidt, Die Commenda, S. 4ff. (m.w. Nachw.). Gegen Bezüge zwischen commenda und Kommanditgesellschaft Wieland, Handelsrecht, S. 734. 17 Siehe Rudolf Fischer, in: Ehrenbergs Handbuch 3/1, S. 14f. Zur Entstehung der AG eingehend Bösselmann, Entwicklung des deutschen Aktienwesens, S. 49ff. 18 Nach der verdeutscht herausgegebenen Version von C.D. Erhard, 2. Aufl. Dessau/Leipzig 1808. Zu Begriff und Arten der Compagnie Gmür, FS Harry Westermann 1974, S. 167, 168 ff. " Ebenda. 13 14
5 5 Unternehmen,
Kapital
und
Recht
139
der abschließend auf der Nürnberger Konferenz geführten Diskussion, die im Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuch von 1861 mündet. 20 Die skizzierte Entwicklung zeigt - auch wenn die Frage historischer Kontinuität hier offen bleibt - bereits den tragenden Gedanken beschränkter Beteiligung mit dem Zug hin zum „kalkulierbaren", weil begrenzten Wagnis. Das ruft den Rat des Cato an den Kapitalisten ins Gedächtnis, statt ein Schiff mit seinem Gelde auszurüsten lieber gemeinsam mit weiteren neunundvierzig Kapitalisten fünfzig Schiffe auszusenden, an dem sich jeder zum fünfzigsten Teil interessiert. 21 Der Rat gilt sinngemäß, wie schon für die Mitarbeiterbeteiligung über Genußrechte vermerkt, für jedweden Kapitaleinsatz bei Unternehmen. Dabei läuft die beschränkte Beteiligung als Prinzip zur Minimierung von - finanziellen - Risiken beim Einzelnen erkennbar auf die Bildung von Sozietäten und weitergehend auf verschiedene Rechtsformen der Haftungsbegrenzung zu. Das darf-freilich nicht den Blick dafür verstellen, daß die Ausprägung verschiedener Gesellschaftsformen nur eine Seite der Medaille zeigt. Die andere Seite ist notwendig die Frage nach nichtgesellschaftlichen Formen der Finanzierung. Insgesamt stehen wir vor einem historischen Prozeß, der Ausdruck tiefgreifender kultureller Veränderungen ist; wir werden das noch beleuchten. Festzuhalten ist hier, daß die Entwicklung der Finanzierung von Unternehmen grundlegend danach strebt, durch Rechtsgestaltung das einzelne Engagement „kalkulierbar" zu machen. Die Investition in Unternehmen wird gestaltbar. Bald schon ist nach dem Vorbild menschlicher Natur realisiert, daß sich unterschiedliche spekulative Temperamente als Teilnehmer einer Wagnisgemeinschaft versammeln können. Gerade in Form der aktienrechtlichen Publikumsgesellschaft sind jetzt durch Bündelung einer Vielzahl kleinerer Kapitalien - aber eben nicht nur in Aktienkapital - auch große Vorhaben möglich.
III. 1.
Das Prinzip der
Angemessenheit
Grundlegung
Mit der gerade bezeichneten Rechtsgestaltung für „Wagnisbereite" ist der Rahmen angesprochen, den die Rechtsordnung den Vertragsparteien für die Finanzierung von Unternehmen vorgibt. Ihn können die Parteien dann im Wege der Aushandlung gestalten. Damit steht wiederum die Frage der Vertragsfreiheit vor uns. Sie ist im Rechtsstaat eine Frage nach der Wirtschaftspolitik als Rechtspolitik. Dabei fällt auf, daß bei Entscheidungen im Grundsätz20 Dazu Goldschmidt, Alte und neue Formen der Handelsgesellschaft, in ders, Vermischte Schriften, S. 321, 327f.; Renaud, Das Recht der stillen Gesellschaft, S. 101 ff. 21 Mommsen, Römische Geschichte, S. 863. Im Börsenjargon heißt es heutzutage: Man soll nicht alle Eier in einen Korb legen. Zum Aspekt der Wahrscheinlichkeitsrechnung als ein Hauptinstrument der Risikokalkulation in § 7 C V.
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Teil II:
Grundlagen
der Finanzierung
in rechtsvergleichender
Sicht
liehen wie im Einzelfall immer wieder Argumentationsgrenzen spürbar werden und selbst ganz unterschiedliche Lösungen überzeugend begründbar erscheinen.22 Die notwendige Orientierung gibt nur eine allgemeine Grundlage, wie sie das Prinzip der Angemessenheit bietet. Wir entlehnen es dem Leben selbst, das uns angesichts der Evolution lebendiger Vielfalt die ständige Aufgabe lehrt: Das rechte Maß zu finden. Damit tritt zugleich eine zentrale Idee abendländischen Denkens vor uns, die bereits in der Nikomachischen Ethik des Aristoteles sinngemäß als Suche nach der „richtigen Mitte" thematisiert ist. In der Forderung praktischer Ethik kann das für den einzelnen Menschen wie für die Konstruktion des Gesamtsystems mit Albert Schweitzer auf den Leitstern fixiert werden: „Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will" 23 . Das Prinzip der Angemessenheit ist Handlungsmaxime. Es sei mit einigen Gedanken eingeführt. Dazu wählen wir das von Friedrich August von Hayek in der großen Tradition europäischer Freiheitsdenker ausgeführte Prinzip der Herrschaft des Gesetzes. Einleitend begegnet uns der große Zivilrechtslehrer Friedrich Carl von Savigny als Kronzeuge für den Grundbegriff der rechtlichen Ordnung der Freiheit: „Der Mensch steht inmitten der äußeren Welt, und das wichtigste Element in dieser seiner Umgebung ist ihm die Berührung mit denen, die ihm gleich sind durch ihre Natur und Bestimmung. Sollen nun in solcher Berührung freie Wesen nebeneinander bestehen, sich gegenseitig fördernd, nicht hemmend in ihrer Entwicklung, so ist dies nur möglich durch Anerkennung einer unsichtbaren Grenze, innerhalb welcher das Dasein, und die Wirksamkeit jedes Einzelnen einen sichern, freien Raum gewinne. Die Regel, wodurch jene Grenze und durch die dieser freie Raum bestimmt wird, ist das Recht." 2 4
Den Gedanken rechtlich begründeter Freiheit nimmt Friedrich von Hayek auf. Danach besagt die Herrschaft des Gesetzes als meta-gesetzliches Prinzip oder politisches Ideal, „was das Recht sein soll, welche allgemeinen Eigenschaften die einzelnen Gesetze besitzen sollen" 25 . Gemünzt auf die Regelung von Beziehungen zwischen Privaten fordert es auf der Grundlage der Gewaltenteilung vor allem, daß solche Gesetze „bekannt und gewiß" sind und „für alle gleich gelten", also allgemein26 sind. Das Prinzip - so von Hayek - be22 Fälle „gesetzlich verordneter Angemessenheit" sind davon praktisch weithin enthoben, wie die frühere Eigenkapitalausstattung der öffentlichen Unternehmen der alten Deutschen Bundespost zeigt; dazu Luttermann, Wirtschaftsführung und Rechnungslegung, S. 77ff.; vgl. auch unten sub § 6 B I zum Bilanzrecht. 23 Kultur und Ethik, S. 330, als Kern der Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben, die Schweitzer, aaO., S. 328ff., entwickelt. 24 Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Berlin 1840, Band I, S. 331 f., zitiert in modernisierter Rechtschreibung nach von Hayek, Verfassung der Freiheit, S. 178. 25 Hayek, Verfassung der Freiheit, S. 266; ausführlich dort zum Nachfolgenden S. 264 ff. und passim. 26 Die Vorstellung des „gleichen Rechts für alle" ist sprachlich früh in dem bedeutenden Wort gemein ausgedrückt, das auch für unparteiisch steht; Grimm, Deutsches Wörterbuch, 4. Band, Sp. 3190 und 3198. Dort Sp. 3192 (lit. e): Auch Recht und Gesetz selber müssen gemeine sein, um zu sein was sie sein sollen.
§ 5 Unternehmen,
Kapital und Recht
141
schränke alle staatliche Gewalt, auch die Gesetzgebung; seine Erfüllung setze in einer Demokratie voraus, daß es „zur moralischen Tradition der Gemeinschaft gehört", also mehrheitlich geteilt u n d unangefochten anerkannt sei. Zunächst mag verblüffen, daß die Herrschaft des Gesetzes auf die mit „Zwang" verbundenen Tätigkeiten des Staates beschränkt wird. 2 7 Genau betrachtet liegt hier gerade die Bedeutung eines Prinzips, dessen A n s p r u c h die Sicherung der persönlichen Freiheit durch die Herrschaft des Gesetzes ist. Indem es den Bereich kennzeichnet, der unter bestimmten Bedingungen der freien Verhandlung einzelner entzogen ist, w i r d zugleich der individuell bestehende Freiraum sichtbar. U n t e r d e m R e g i m e der Freiheit umfaßt der freie Bereich des Individuums alle nicht durch ein allgemeines Gesetz ausdrücklich eingeschränkten Handlungen. 2 8 U n d es ist genau diese Vorstellung einer freiheitlichen O r d n u n g , die unser Grundgesetz, jede Teilordnung u n d namentlich im traditionell hervorragenden Zivilrecht die viel diskutierte w i e oft mißverstandene „Vertragsfreiheit" prägt. A u c h für sie gilt der Grundsatz, daß Geltung u n d Durchsetzbarkeit eines Vertrages allein von bekannten Regeln abhängen dürfen, die der Staat allgemein u n d gleich formuliert. 2 9 Das Prinzip der Herrschaft des Gesetzes zieht die Grenze zwischen sogenanntem „zwingenden" Recht und „dispositiven" Recht, das ergänzend gilt, w e n n die Parteien nichts A b w e i c h e n d e s vereinbart haben. W o sie genau verläuft, ist - w i e das S p e k t r u m der Finanzierungsformen besonders im Schnittfeld von Gesellschaftsrecht und Schuldrecht zeigt - manchmal unklar. Nicht nur deshalb vermag das Prinzip allein uns nicht zu überzeugen. Das Prinzip der Herrschaft des Gesetzes ist das tragende rechtstechnische Fundament der Verfassung der Freiheit. A b e r eben in seiner Technizität ist es zu kalt. Allgemein, gleich und bekannt - diese Bedingungen k a n n im Grunde jedes Gesetz erfüllen. Das Maß für Bereiche, A r t und Inhalt gesetzlicher Regeln bleibt am Rande u n d gehört doch in das Zentrum freiheitlicher Verfassung. D e m Prinzip der Herrschaft des Gesetzes ist das Prinzip der Angemessenheit voranzustellen. Das Prinzip der Angemessenheit gründet auf der Verantwortung des Individuums, die im Kern immer nur eine selbstbestimmte, von innerer U b e r z e u gung getragene sein kann. 3 0 Blicken w i r als erstes auf den Bereich staatlicher Institutionen. U n b e r ü h t ihrer freiheitssichernden Funktion droht von dort Gefahr. Bei allem N u t z e n von Institutionen, die gerne und übergroß in den Vordergrund gestellt w e r d e n (das Parlament hat beschlossen, es entscheidet 27
Hayek, Verfassung der Freiheit, S. 267. Ebenda, S. 280. 29 AaO., S. 296. Das bedingt, daß staatliche Tätigkeit mit Zwangsausübung nur soweit zulässig ist, wie zur Durchsetzung allgemeiner Rechtsregeln erforderlich; vgl. aaO., S. 288. Näher zur Vertragsfreiheit in § 8 B I 1 und IV 3 (für die U S A ) sowie allgemein in § 12 A. 30 Canetti, Das Gewissen der Worte, S. 48, formulierte nach Karl Kraus: „Die wahre Verantwortlichkeit ( . . . ) ist souverän und bestimmt sich selbst". Auch Schweitzers Ethik gründet auf dem Verantwortlichkeitsgefühl und der freien Entschließung des einzelnen (aaO., S. 342 f.). 28
142
Teil II: Grundlagen
der Finanzierung
in rechtsvergleichender
Sicht
die Behörde, und das Gericht erkennt für Recht31), sind wesentlich doch immer die Menschen, die darin wirken. Es sind zunächst und vor allem jene, die das Rechtssystem maßgeblich beeinflussen. Max Weber nannte sie zeitgemäß die Rechtshonoratioren. 32 Hinzu tritt die große Zahl jener, die in der Rechtsordnung bestimmte Aufgaben ausüben. Sie alle entscheiden, inwieweit im Rahmen unserer „staatlichen" Gewalten deren auf die Idee der Gerechtigkeit bezogenen Funktionen 33 praktisch umgesetzt oder sinnentleert werden. Die Antwort auf die Frage, was angemessen ist, also nach dem Maß, ist damit in ihrem Wesen vorgezeichnet. Aber auszuformen bleibt sie immer wieder aufs neue. Roscoe Pound, der frühere Dekan der Harvard Law School, brachte das Problem „how to determine what is reasonable" auf den Nenner: „Nothing is more unreasonable than universal detailed definitions of the reasonable. What is reasonable has to be determined with reference to times and places and circumstances." 34 Das Prinzip der Angemessenheit stellt damit ebenso hohe wie notwendige Anforderungen. Als allgemeine Handlungsmaxime verlangt es vom Individuum das Gespür für die konkreten Lebensfragen und die ihren Gegebenheiten angemessene Lösung durch ein Handeln, das von der aufs höchste gesteigerten Verantwortung für betroffenes Leben geleitet ist.35 Diese Verantwortung wird durch die Freiheit vermittelt, die das eigene Leben genießt oder erstrebt. Das Bewußtsein, daß sie nicht delegierbar ist, muß hinzutreten und das Handeln tragen. Das Prinzip der Angemessenheit setzt bei der Legislative schon im Vorfeld der Normsetzung an und beschränkt das Prinzip der Herrschaft des Gesetzes: Derart, daß in der Sache nicht erforderliche und damit nicht gebotene also unangemessene, weil den Freiraum des Einzelnen übermäßig einengende - Regeln unterbleiben. In einem bereits geregelten Bereich, also de lege lata, verlagert sich das Wirkungsfeld des Prinzips der Angemessenheit auf den gesamten Bereich der Rechtsanwendung durch Staat (Exekutive, Judikative) und durch Private. Das Prinzip der Angemessenheit ist so als unsere Ordnung insgesamt durchdringendes Ideal zu verstehen. Die Umsetzung obliegt den Handelnden. Der Mensch darf freilich nicht überfordert werden. Hier liegt der Wert von Institutionen. Sie müssen die Struktur sein, die angemesse31 Instruktiv Karl Peters, „Gericht" und „Richter" - Institution und Persönlichkeit, in Gedächtnisschrift für Karlheinz Meyer, der (S. 335) das die richterliche Persönlichkeit überdekkende System der Prozeßordnungen als Hinderungsgrund benennt, Richter für Willkürhandlungen im Naziregime und sonstiges fehlerhaftes Verhalten zur Verantwortung zu ziehen. Jüngste Strafrechtserfahrungen bei den Handlangern kommunistischer Diktatur in Deutschland unterstreichen den Befund. 32 Daran anknüpfend beschreibt Rheinstein, Gesammelte Schriften 1, S. 74 ff., plastisch die Rechtshonoratioren und ihren Einfluß auf Charakter und Funktion der Rechtsordnungen am Beispiel der Vereinigten Staaten. 33 Genannt seien nur die unter dem Schutz der sog. „Ewigkeitsklausel" (Art. 79 Abs. 3 GG) stehenden Art. 1 und 20 GG. 34 Pound, in: FS Rabel, Band I 1954, S. 7, lOf. 35 Schweitzer, Kultur und Ethik, S. 340.
5 i Unternehmen,
Kapital und
Recht
143
nes Handeln befördert, weil sie es dem Einzelnen auch ohne „märtyrerische" Veranlagung ermöglicht. Dazu gehört wohl, daß die Struktur - im einleitend ausgeführten psychologischen Sinne - Anreize bietet, die auch ohne besondere altruistische Neigung entsprechendes Handeln zeitigen. Plakativ kann formuliert werden: durch Eigennutz Gemeinnutzen fördern. Dieser Gedanke ist tragend für die Beziehungen zwischen Privaten. Sie sind bei Gestaltung ihrer Freiräume - also bei Vertragsverhandlungen - regelmäßig von Eigennutz bewegt. Zugleich liegt hier der Bereich persönlichen, im marktwirtschaftlichen Rahmen auf die Probe gestellten Verantwortungsbewußtseins. Bei zu weitgehendem Versagen Einzelner ist die - wiederum angemessen - korrigierende Hand der Rechtsgemeinschaft herausgefordert. In diesem Sinne ist anerkannt, daß die Privatrechtsordnung sich nicht in formaler Freiheitsordnung erschöpfen darf, sondern eine materiale Verantwortungsethik wiederspiegeln muß. 36
2. Folgerungen für Organisations- und
Finanzierungsformen
Damit richten wir das Augenmerk auf einen wesentlichen Bereich der Privatrechtsordnung: die Formen der Finanzierung eines Unternehmens. Der „planende" 37 Gesetzgeber hat Vertragstypen zur Gestaltung von Wagnisgemeinschaften vorgegeben, die wir schon als „dispositive" oder auch „obligatorische" Maßstäbe weiterer Gestaltungsformen sahen. Blickt man danach auf die Investitionsbasis der wagnisbereiten Kapitalgeber, dann stehen im Spektrum der Wagnisgemeinschaft einerseits „rein" schuldrechtliche Vertragsformen (z.B. Darlehen). Dieser Bereich ist unproblematisch. Die gesetzlichen Regeln sind weithin dispositiv geprägt. Dagegen zeichnet das Gesetz die gesellschaftsrechtlichen Vertragsformen schon strenger und namentlich bei der Aktiengesellschaft teilweise auch zwingend, wie etwa § 141 AktG zur Aufhebung oder Beschränkung des Vorzugs bei stimmrechtlosen Vorzugsaktien zeigt.38 Bei Konstruktionen im Schnittfeld beider Regelbereiche besteht das Problem angemessener Zuordnung zwischen beiden Polen. Es ist gemildert, soweit auch hier gesetzliche Regelmodelle wie die stille Gesellschaft vorhanden sind, die Anhalt selbst für „atypische" Konstruktionen geben. Die Frage angemessener Zuordnung besteht in voller Schärfe, wenn es um eine eigenartige Konstruktion wie den schuldrechtlich begründeten Genußrechtsvertrag geht, unter dessen Namen eine ökonomische Kopie gesellschaftsrechtlicher Finanzierungsmuster entstehen könnte. Wir haben bei der Diskussion der Gestalt-
36 Wiedemann (unter Verweis auf Dieter Reuter), A n m . zu BVerfG, Beschluß v o m 19.10.1993, J Z 1994, 411. Zur Kontrolle seitens der Rechtsgemeinschaft durch Gesetzgeber u n d Richter unten in § 11 A und § 12. 37 Husserl, Recht und Zeit, S. 55. 38 N ä h e r etwa Hüffer, Aktiengesetz, § 141 Rn. 1, sowie noch unten in § 11 A III 5 a.
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Teil 11: Grundlagen
der Finanzierung
in rechtsvergleichender
Sicht
barkeit von Genußrechtsverträgen schon gesehen, daß solche Kopien zur Ausschaltung zwingender Regeln nicht dem Plan des Gesetzgebers entsprechen und finden hier die tragende Begründung im Prinzip der Herrschaft des Gesetzes. Danach setzt die Gültigkeit und Durchsetzbarkeit eines Vertrages dessen Ubereinstimmung mit den allgemeinen - auch bestimmten allgemeinen39 - Regeln voraus. Im Bereich der Finanzierungsformen sind das vor allem solche Regeln, die zum Schutz der Anleger oder der Aktionäre bestehen. Sie gilt es, speziell für die Aktiengesellschaft aus dem Spektrum der geregelten Finanzierungsformen auszufiltern. Danach können wir das Investitionsgenußrecht im Kanon der Finanzierungsinstrumente innerhalb der Wagnisgemeinschaft der Kapitalgeber eines Unternehmens einordnen, einen Regelkanon für diese Form formulieren und darin zwingende und dispositive Elemente kennzeichnen. Der Vorgang ist eine Frage angemessener Zuordnung unter der Herrschaft des Gesetzes und damit wiederum des Zusammenspiels beider Prinzipien. Unsere Begriffsbestimmung eines Genußrechtsvertrages und dessen Interpolation im vorhandenen Typenspektrum ist Ausgangspunkt. Ein Konflikt mit dem Prinzip der Herrschaft des Gesetzes besteht nicht. Wie die Wagnisgemeinschaft sich praktisch ordnet, welche Position der einzelne Spekulant durch die Wahl einer Anlageform einnimmt, ist dessen freie Entscheidung. Insoweit und nur insoweit kann er zwingende Regeln meiden.
IV. Kapitalmarkt
und
Standardisierung
Mit der Wahl einer bestimmten Anlageform, die aus Sicht des Unternehmens eine Finanzierungsform ist, sind wir beim Kapitalmarkt. Er ist der zentrale Schauplatz des Geschehens. Welche Formen der Kapitalanlage ein privates Unternehmen dort anbietet und inwieweit private Kapitalanleger solche Angebote wahrnehmen, obliegt beiderseits autonomer Präferenzwahl. Zur Entscheidungsoptimierung ist der Kapitalmarkt das Forum, auf dem die Interessen von Anbietern und Nachfragern - möglichst unter Abbau von Informationsasymmetrien 40 - koordiniert werden. Einführend wurde schon erörtert, daß die Rechtsordnung hier wie auch sonst ein durch rechtspolitische Erwägungen geprägtes Anreizsystem vorgibt, nach dessen Daten die Kapitalmarktteilnehmer ihre Entscheidungen maßgeblich ausrichten und - bei zwingenden allgemeinen Regelvorgaben - auch ausrichten müssen. Das ist unter dem Prinzip der Herrschaft des Gesetzes unbedenklich, solange die öffentliche Wirtschaftspolitik dabei nicht unter dem falsch verstandenen "
Vgl. von Hayek, Verfassung der Freiheit, S. 296. Zu Marktversagen aufgrund von Informationsasymmetrie gleich in B II 3 sowie bei Assmann, in: Assmann/Schütze, Handbuch des Kapitalanlagerechts, § 1 Rn. 63 f. (m.w. Nachw.). Vgl. in § 9 B I 2 a zum Kapitalmarktrecht in den USA. 40
5 i Unternehmen,
Kapital
und
Recht
145
Wunsch nach distributiver oder „sozialer" Gerechtigkeit 4 1 zu staatlichem D i rigismus mutiert. D e r Kapitalmarkt als anlegerschützende Institution gewinnt angesichts internationaler Verflechtung auch in Deutschland zunehmend an Bedeutung. Das gebietet, seine besondere Funktionsweise stärker in die Betrachtung hier beispielhaft für Genußrechte - einzubeziehen. Die Idee des Marktes ist Effizienz, verkörpert in den Schlagworten „Nutzenmaximierung" und „ K o stenminimierung". Ein wesentliches Element, dieses Ziel zu erreichen, ist der - vorhin (in II) an der Entwicklungsgeschichte von Unternehmensformen aufgezeigte - Aspekt der Kalkulierbarkeit. Angesichts der Ungewißheit des Lebens sind die Marktteilnehmer um ein hohes Maß an verläßlichen Daten bemüht. Märkte befördern so in vielfältiger Art und Weise Gleichförmigkeit, sei es in F o r m technischer Standards oder allgemeiner Verhaltenskodizes bis hin zu Rechtsregeln. Das betrifft ebenso den Kapitalmarkt, der im Grunde zur Standardisierung der Finanzprodukte tendiert. Freilich in unterschiedlichem Maße in seinen einzelnen Segmenten: weniger der ungeregelte „graue" Kapitalmarkt, ausgeprägt dagegen der organisierte Bereich mit seinen internationalen Implikationen. Insgesamt führt das über den traditionellen Ansatz des Aktien- und Börsenrechts hinaus hin zu einem - im deutschen Recht allerdings noch heterogenen - Kapitalmarktrecht, das im weiteren Untersuchungsgang im Blickpunkt steht. U n t e r Typisierungaspekten ist für Genußrechtsverträge festzustellen, daß der Marktmechanismus auch dort bereits standardisierend wirkte. Das zeigt die verbreitete Einteilung nach sogenannten „aktienähnlichen" und „obligatio n s - " oder „rentenähnlichen" Genußrechten. Solche Marktstandardisierung gewährleistet allerdings nicht, daß Grundbedingungen der Rechtsordnung erfüllt werden. Sie hat eine andere Qualität als gesetzgeberische Rechtstypizität. Ist sie nicht gegeben, kann im Vertragsrecht richterliche Kontrolle greifen, die bei allgemeinen Geschäftsbedingungen im A G B - G e s e t z angelegt ist. D o r t fordert der Gesetzgeber selbst in der Generalklausel eine Angemessenheitskontrolle (§ 9 A G B G ) . Darauf kommen wir für das Rechtsverhältnis des Investitionsgenußrechts im Gefüge der aktienrechtlich organisierten, in den Kapitalmarkt eingebetteten Wagnisgemeinschaft „Unternehmen" zurück. 42
B. Gemeinsamer
Zweck und
Kapitalanlage
Begreift man die Kapitalgeber eines Unternehmens als Wagnisgemeinschaft, die in einem B o o t sitzt, interessieren aus juristischer Sicht die „Sitz41 Grundlegend von Hayek, Verfassung der Freiheit, S. 297f. Als mahnendes Negativbeispiel steht im ausgehenden 20. Jahrhundert der sog. „real existierende Sozialismus", die zweite, durch den menschlichen Freiheitsdrang zerbrochene Diktatur auf deutschem Boden. 42 Unten in §§ 11, 12.
146
Teil II: Grundlagen
der Finanzierung
in rechtsvergleichender
Sicht
Ordnung" und daran knüpfende Rechtsfolgen. Wagnisgemeinschaften sind, sieht man vom Einzelunternehmer (klassischer Einzelkaufmann, EinmannGmbH) ab, im Zentrum regelmäßig als Gesellschaften mit einem „gemeinsamen Zweck" als Bezugspunkt formiert. Allein der Blick darauf verkürzt freilich die Sicht. Die Interessenlage der um das Zentrum in weiteren Radien gelagerten - auch und vor allem nichtgesellschaftlichen - Teilnehmer 43 der Wagnisgemeinschaft sind angemessen einzubeziehen. Das geschieht - jedenfalls bei der überkommenen Behandlung der Genußrechtkapitalgeber - nicht im gebotenen Maß. Vergewissern wir uns zunächst der Grundlagen der Kapitalanlage.
I. Der „gemeinsame Zweck" eines Verbandes Ausgangsbasis und Problemlage
-
Gesellschaften sind privatrechtliche Zweckverbände. Bei einer Personenvereinigungen ist die Beteiligung von wenigstens zwei, zu einem vereinbarten gemeinsamen Zweck verbundener Mitglieder erforderlich. Kapitalgesellschaften, mit einem gewidmeten Zweckvermögen dotiert, können Einmanngesellschaft sein; auch sie dienen einem bestimmten - wenn auch nicht „gemeinsamen" - Zweck. Typisch liegt aber eine Mehrheit von Kapitalgebern vor. Dann ist der vereinbarte „gemeinsame Zweck" die Triebfeder des Zusammenschlusses, wirkt als Verbandszweck konstitutiv und ordnet zugleich funktionell als „Lebensgesetz des Verbandes" die Verbandsordnung. 44 Dogmatisch dient das Merkmal „gemeinsamer Zweck" typischerweise dazu, eine Gesellschaft als kooperatives Schuldverhältnis gegen allein auf Austausch von Leistungen gerichtete Schuldverhältnisse (Austauschverträge) abzugrenzen. 45 Während insofern weitgehend Einigkeit herrscht, bestehen bei der regelmäßig von § 705 BGB ausgehenden Bestimmung des „gemeinsamen" Zwecks erhebliche Differenzen. Die Diskussion weist schon verschiedene Ansätze auf. Als Voraussetzung für die Annahme eines Gesellschaftsverhältnisse wird abgestellt auf „gleichgerichtete Interessen" im Sinne der oft zitierten Definition von Ballerstedt, der verfolgte Zweck sei gemeinsam, wenn jeder Partner ihn ebensowohl als den eigenen wie als den Zweck des anderen zu fördern verspreche. 46 Daneben wird mit verschiedenen Kriterien operiert 47 : Vorausgesetzt werden etwa „gleichläufige" Zwecke der in wechselseitiger Willensverbindung handelnden 43 Mit diesen sind praktisch auch die formal gesellschaftsrechtlichen, faktisch aber reinen Kapitalanleger ohne unternehmerische Interessen (vgl. unten § 12 A II 2) gleichgelagert. 44 Wiedemann, Gesellschaftsrecht, S. 8-11; vgl. auch Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 4 II 1. 45 Siehe n u r Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 4 I 2 a. 4 ' Ballerstedt, JuS 1963, 253, 255. 47 Übersicht bei Böhmer, JZ 1994, 982, 983 ff.
5 i Unternehmen,
Kapital und Recht
147
Beteiligten oder bestimmte Vereinbarungen über die Teilhabe am Ergebnis, wobei auch danach differenziert wird, ob eine wirtschaftliche oder ideelle Zweckverfolgung vorliegt. Die Diskussion ist hier weder erschöpfend zu behandeln, noch kann sie wenn auch unser Schwerpunkt bei der Aktiengesellschaft liegt - ganz ausgeblendet werden. Es geht zwar nicht um die Bedingungen des Erwerbs von Mitgliedschaftsrechten bei einer Aktiengesellschaft. 48 Solche können durch Genußrechtsverträge nicht gewährt werden. Wir sahen aber schon, daß diese Rechtsform in der Nähe von stiller Gesellschaft und den sogenannten partiarischen Rechtsverhältnissen angesiedelt ist. Also gerade in dem Bereich, wo es um die Abgrenzung gesellschaftlicher von traditionell schuldrechtlich behandelten Sachverhalten geht. Insoweit steht die Frage nach dem Verhältnis des Investitionsgenußrechts zu gesellschaftlichen Normen im Raum. Hervorzuheben sind dabei vor allem zwei Aspekte. Einmal sind Genußrechte nach dem Stand der Untersuchung im Grundsatz Gläubigerrechte, wobei das beim Genuß gewährenden Unternehmen eingelegte Kapital auch an Verlusten teilnehmen kann. Das erscheint insofern problematisch, als nach überwiegender Ansicht im Schrifttum jemand, der außer am Gewinn auch am Verlust teilhat, nur Gesellschafter sein könne. 49 Die Rechtsprechung, in der diese Sicht ebenfalls geteilt wird50, bietet kein einheitliches Bild. Der Bundesgerichtshof hat im Klöckner-Urteil, obwohl dort das Genußrechtkapital verlustbeteiligt war, die Annahme gesellschaftsrechtlicher Strukturen ausdrücklich abgelehnt51; insoweit ist auch im Schrifttum kaum Widerspruch erhoben worden. Freilich zieht namentlich Schön die bei Klöckner gleichzeitig mangels Erhalt und Schutz der Genußrechte anerkannte Schadensersatzpflicht der Gesellschaft gegenüber den Genußkapitalgebern bei, um daraus die Begründung einer „Zweckgemeinschaft" zwischen Gesellschaft und Genußberechtigten im Sinne einer stillen Gesellschaft abzuleiten.52 Daneben tritt ein zweiter Aspekt. Ebenfalls Schön53, der partiarische Rechtsverhältnisse als eigene Rechtsform ablehnt und die Subsumtion unter die Regeln stiller Gesellschaft vorschlägt, stellt die überkommene Lehre in Frage, 48 Die ohnehin gesetzlich normiert sind; insofern könnte die Frage dahinstehen, wie es um das Verhältnis des Aktionärs zu einem „gemeinsamen" Zweck der Gesellschaft stehe. Vgl. Ballerstedt, JuS 1963, S. 253, 256. 49 Siehe nur Crome, Die partiarischen Rechtsgeschäfte, S. 379f.; Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 62 II 1 c bb. 50 Siehe z.B. B G H , Urteil vom 26.9.1957 - II ZR 42/56, WM 1957, 1335, 1336; vom 10.6.1965 - III ZR 239/63, WM 1965,1052, 1053; vgl. auch vom 26.6.1989 - II ZR 128/88, WM 1989, 1850, 1851 (Abgrenzung Innengesellschaft/partiarisches Rechtsgeschäft). 51 B G H , Urteil vom 5.10.1992 - II ZR 172/91, WM 1992, S. 1902, 1904 (sub II.l.): Genußrechtsverträge gewähren keine gesellschaftsrechtlich geprägten Mitgliedschaftsrechte, sondern rein schuldrechtliches Gläubigerrecht. 52 Schön, J Z 1993, 925,929. Ähnlich Karollus, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, § 221 Rn. 247. 53 Z G R 1993, 210ff., besonders 242ff.
148
Teil II: Grundlagen
der Finanzierung
in rechtsvergleichender
Sicht
die für die Bildung einer „echten" Gesellschaft den animus societatis contrahendae voraussetzt. Mit dem Modus der Einordnung ist angesichts daran knüpfender Rechtsfolgen eine zentrale Frage angesprochen. Sie besteht auch für Genußrechtsverträge und ist daher insoweit zu klären. Vorab ist eines festzuhalten. Bei aller möglichen begrifflich-dogmatischen Trennschärfe, die eine theoretische Klärung der angesprochenen Fragen erzeugen mag, kann die am Einzelfall vorzunehmende Feststellung schwierig sein. Umso mehr ist diese Klärung unter Benennung maßgeblicher, objektivierbarer Kriterien zur angemessenen Differenzierung geboten; andernfalls bleibt eine reine Rechtslotterie eröffnet. Bereiten wir den Boden maßgeblicher Indizien auf.
II. Zweck, Gemeinsamkeit 1.
des Zwecks und
Kapitalanlage
Zweckgedanke
Unser Handeln ist jeweils von einem mehr oder weniger bestimmten Motiv oder auch von Motivationen getragen.54 Handlungen sind zweckgerichtet. Sie verfolgen einen Zweck oder auch mehrere Zwecke gleichzeitig. Wir handeln, um damit etwas zu erreichen. Diesen Gedanken hat in der Jurisprudenz Rudolf von Jbering wegweisend mit seinem Werk Der Zweck im Recht (1877/ 1883) durchdrungen, das unter dem Motto steht: „Der Zweck ist der Schöpfer des ganzen Rechts". Wie berechtigt die ihm widerfahrene Kritik teilweise auch sein mag, Erik Wolf nahm ihr die Spitze. Er wies treffend darauf hin, daß Jhering mit seiner Arbeit keine Suche nach der Rechtsidee, nicht die Bewertung' der Zwecke, sondern „die Erkenntnis ihrer faktischen .Wirksamkeit' für die Rechtsentstehung" 55 betrieb. Dazu ist das gewählte Motto ebenso schlicht wie weise. Erst das Bewußtsein um Entstehung und Gestaltung des Rechtes durch Zwecke ermöglicht kritische Distanz zum Untersuchungsgegenstand für die notwendige, wertende Interessenanalyse. In diesem Sinne gehen wir die angesprochenen Fragen zur sachgerechten Abgrenzung der Rechtspositionen der Teilnehmer einer auf Erwerb gerichteten Wagnisgemeinschaft „Unternehmen" an und beginnen wiederum mit einigen historisch geprägten Gedanken.
Dazu schon oben in § 1 A II 3 und 4. Nach Engisch, Auf der Suche nach der Gerechtigkeit, S. 228; dort, S. 227f., auch zur Kritik an Jhering. 54
55
§ 5 Unternehmen,
2. Begriffe
Kapital und Recht
und entwicklungsgeschichtliche
149
Aspekte
Der Begriff „Zweck" stand in seiner ursprünglichen Bedeutung für Dinge wie Zweig, Keil56 oder kleiner spitzer Nagel. In der Zeit des Armbrust- und Büchsenschießens besonders im 15. und 16. Jahrhundert bezeichnete er das Ziel, auf das geschossen wurde. Anknüpfend an diese gegenständlichen Verwendungen trat die Vorstellung des angestrebten Ziels in den Vordergrund, und es entwickelte sich die allgemeine Bedeutung des Begriffs. Sie bezeichnet das, was man mit einer Handlung will, das Ergebnis, das hinter ihr als Endpunkt (Endzweck) steht.57 Der Zweck verspricht vor allem Gewinn oder Nutzen 58 und ist dasjenige, weshalb eine Handlung geschieht.59 So verstanden, ist er das Wesen eines Vorgangs. Haben wir damit eine genauere Vorstellung der Wortbedeutung von Zweck, so richtet sich das Augenmerk auf die im geltenden Recht für eine Gesellschaft geforderte Gemeinsamkeit des Zwecks. Sie ist durch das dem Zweck vorangestellte Adjektiv „gemeinsam" gekennzeichnet. Gegenüber Austauschverträgen, mit denen von den Parteien auch - aber eben im Grundsatz gesondert - Zwecke verfolgt werden, ist es das entscheidende Abgrenzungskriterium für Gesellschaftsverträge. Das Wort „gemeinsam" ist eine alte verstärkte Nebenform zu „gemein", und beide sind sprachgeschichtlich urverwandt mit dem lateinischen communis. Dessen Begriffskern bezeichnete das Rechts- und Pflichtverhältnis eines einzelnen Gemeindebürgers zum Ganzen und vice versa.60 Es ist das, was alle angeht oder auch von allen ausgeht61 und im frühen Sinne allumfassende Gemeinschaft (universalitas) stiftet. Entsprechend steht im Bedeutungskreis der Wortsippe der Begriff „gemein" auch für vertraut, wohlbekannt (familiaris), Gemeinsamkeit für Vertraulichkeit (familiaritas).a Gemein ist die „Casse, wozu alle Glieder das Ihrige beytragen, und woraus ihre gemeinschaftlichen Bedürfnisse bestritten werden"63. Allmählich wird „gemein" auch auf Gemeinschaft überhaupt, selbst zwischen Zweien erstreckt, wobei diese Beschränkung des eigentlichen, alle Gemeinder einschließenden Wortsinnes auffiel.64 Hinter diesem Absinken des Begriffes steht kulturhistorisch die Abkehr vom umfassenden gemeinschaftlichen Leben und insoweit die Aufgabe 56 Zum Holz spalten. Zum ganzen Grimm, Deutsches Wörterbuch, Stichwort: „Zweck", Sp. 955f. 57 Vorstehende Fn., Sp. 959. 58 AaO. 59 Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch, Stichwort: „Der Zweck", Sp. 1782. 60 Grimm, Deutsches Wörterbuch, Stichwort: „Gemein", Sp. 3169f. 61 AaO., Sp. 3180 (/it. d). 62 Vgl. Grimm, aaO., Sp. 3195 sowie Sp. 3263 f. (Stichworte „Gemeinsame" bis „Gemeinsamkeit"). Im 15. Jahrhundert wird gemein mit universalis und Gemeinschaft mit universalitas gegeben, (aaO.) Sp. 3264 (Stichwort „Gemeinschaft"). 63 Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch, Stichwort: „Gemein", Sp. 548. 64 Grimm, Deutsches Wörterbuch, Stichwort: „Gemein", Sp. 3194 (Ziffer 5) und 3196 (lit. d).
150
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in rechtsvergleichender
Sicht
der (All-)Einheit. 65 Das leitet über zu juristischen Aspekten, die diese Entwicklung nachvollziehen. Anfänglich steht als natürliche Urform „wirtschaftlicher" Kooperation die von Vertrautheit geprägte Gemeinschaft der Familie. Im deutschen Rechtskreis ist sie in die engere häusliche Gemeinschaft (Haus) und die weitere Sippe oder Magschaft (Geschlecht) gegliedert, die beide von persönlicher Bindung geprägte Verbände sind. Ausgehend von diesem in germanischen Rechten früh angelegten Gedanken hat namentlich Otto von Gierke66 unter dem Gesichtspunkt von Genossenschaftsbegriff und Körperschaftsbildung Entwicklungslinien aufgezeigt. Nehmen wir aber zunächst einen Blick auf das in der europäischen Rechtsentwicklung zentral stehende römische Recht. Franz Wieacker67 hat den Weg von der altzeitlichen Hausgemeinschaft der Kleinfamilie über die klassischen fremdenrechtlichen Gesamtgesellschaften (societas omnium bonorum) hin zu Erwerbsgesellschaften bezeichnet. Danach birgt der genossenschaftliche Hausverband68 das Grundmuster, das die Gesamtgesellschaften als umfassende Lebens-, Wirtschafts- und Vermögensgemeinschaften nachbilden; allerdings bereits unter Teilnahme Fremder (Wahlbrüderschaft; legis actio). Solche totalrechtlichen Strukturen römischer Rechtsformen entsprechen den tatsächlichen Verhältnissen frühen Gemeinschaftslebens und haben ihr Spiegelbild in der älteren Gemeindeverfassung.69 Die Entwicklung führt allmählich zu den partiellen Erwerbsgesellschaften zwischen Nichtverwandten, bei denen der wirtschaftliche Zweck personal geprägte Beziehungen überstrahlt. Sie sind nicht mehr allumfassende Verbindung, sondern formfrei (konsensual) vereinbarte Zweckzusammenschlüsse mit fixen werbenden Kapitaleinlagen, die in den Dienst einer Interessengemeinschaft gestellt sind.70 Die Gemeinsamkeit wird bestimmt und beschränkt durch den zwischen den Verbandsmitgliedern vereinbarten Erwerbszweck und das dazu gebildete Sondervermögen.
Ebenda, Sp. 3204. Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, Band 1: Rechtsgeschichte der deutschen Genossenschaft, Berlin 1868, S. 14ff. 67 Societas. Hausgemeinschaft und Erwerbsgesellschaft, Weimar 1936. Einzelheiten dort und bei Käser, Römisches Privatrecht I, § 133.3.1. 68 Soweit er jedem gleiche Verfügungschanchen und paritätische Auseinandersetzung gewährt; siehe Wieacker, Societas, S. 235. Als zweites Grundmuster nennt Wieacker, S. 234f., das Kommissionsgeschäft mit Gewinnbeteiligung, etwa in Form der nordischen Sendeve, die der commenda gleicht; Schmoller, Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft, 17 (1893), 359, 385f. 69 Wieacker, Societas, S. 193 sowie zur (fortgesetzten) Hausgemeinschaft dort S. 153 ff., 169ff., 182. 70 Wieacker, S. 251. Soweit Gesellschaftsvermögen gebildet wird, gelten die Grundsätze der Bruchteilsgemeinschaft (communio) und des Bruchteilseigentums; Käser, Römisches Privatrecht I, § 133.3 III.2. (besonders S. 573). 65
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5 i Unternehmen,
Kapital und
Recht
151
Diese Entwicklung scheint nicht an den römisch-kanonischen Rechtskreis gebunden, sondern zeigt wohl eine breitere Tendenz. Wieacker benennt 71 ähnliche Formen nachgebildeter Hausgemeinschaften wie germanische Blutsbrüderschaft und südslawische Wahlbrüderschaft oder auch unter Kooptation Hausfremder fortgesetzte Hausgemeinschaften, so einige Varianten süddeutscher Handelsgesellschaften des ausgehenden Mittelalters. Neben dem als Familiengesellschaft kommerzialisierten Hausverband der Fugger und der von drei Familien gegründeten Große Ravensburger Gesellschaft 72 stehen hier Kooptation zwischen Brüdern und Dritten sowie auf Erwerb gerichtete Handelsgesellschaften Nichtverwandter. 73 Einzelne Zusammenhänge sind freilich umstritten. Die auf Erwerb gerichteten Handelsgesellschaften hängen nach einer Ansicht nicht mit den - oben schon ausgeführten - Verhältnissen der commenda, sondern mit der Familiengesellschaft zusammen. 74 Eine anderer Sicht sieht diese Formen derselben Institution zwanglos ineinander übergehen.75 Davon unberührt bleibt festzuhalten: Der „gemeinsame Zweck" bezeichnet allgemein das vereinbarte (Haupt-)Ziel, worauf die Kooperation von mindestens zwei Menschen, ihr vereintes Streben durch gegenseitige Förderung gerichtet ist und von dessen Verwirklichung sich regelmäßig alle einander Verpflichteten Nutzen erhoffen.
3. Der „ Zweck " gemeinsamer Investition und. Institutionen
Zweckverfolgung,
Wird der „gemeinsame Zweck" zur Leitidee der Gesellschaft erhoben, ist er über eine allgemeine Umschreibung hinaus als juristisches Abgrenzungskriterium mit Leben zu füllen. Wir stehen dabei heute vor einem verwinkelten, fest gegründet und scharf umgrenzt erscheinenden Gebäude gesellschaftsrechtlicher Formen, dessen Fundament nur noch wenig beachtet wird. Soll die gemeinsame Zweckverfolgung ein bestimmtes Lebensverhältnis (Gesellschaft) von anderen Lebensverhältnissen (Austauschverträge) scheiden und einem bestimmten Regelkanon unterstellen, erhebt sich die vorrangige Frage nach den Umständen: dem „Zweck" gemeinsamer Zweckverfolgung. Damit sind die Kräfte angesprochen, die eine auf Dauer angelegte Kooperation befördern. Ebenso rücken jene Kräfte ins Blickfeld, denen der Zweckverband in seinem Dasein ausgesetzt ist. Erst wenn eine nähere Vorstellung AaO., S. 212ff. Eingehend zur Struktur dieser Gesellschaft Rehme, SZGerm 47 (1927), 487, 544ff. 73 Zum Umfeld Rehme, SZGerm 47 (1927), 487, 525f. 74 Rehme, SZGerm 47 (1927), 487, 517ff.; zur Institutionenbildung insgesamt Rehme, Geschichte des Handelsrechts, in Ehrenbergs Handbuch 1, S. 166ff. Oben unter A I bereits zur commenda, die auch als erste Form der Vergesellschaftung, wenn auch nur zu einzelnen Geschäften, bezeichnet wird; Max Weber, Wirtschaftsgeschichte, S. 200. 75 Wieacker, Societas, S. 220; Käser, Römisches Privatrecht I, § 133.3.1. (S. 573): Gesamtgesellschaft verschmilzt mit der Erwerbsgesellschaft. 71
72
152
Teil II: Grundlagen
der Finanzierung
in rechtsvergleichender
Sicht
von diesen Zusammenhängen besteht, können wir die Abgrenzung sinnvoll angehen. Es sind mehrere Kraftzentren und besonders die folgenden, die hier wirken. Einen Hinweis gab 76 uns schon der Sprachgebrauch, wonach der „gemeinsame Zweck" das vereinte Streben nach einem bestimmten Nutzen als wesentlich für die Gesellschaft kennzeichnet. Das ist bei der Erwerbsgesellschaft im Ergebnis regelmäßig die Gewinnerzielung, worauf wir noch eingehen. Doch der Ansatz ist komplexer. Eigen- wie Fremdnutzen durch Gewinn kann auch das Streben eines Einzelnen bewirken. Aber die Beispiele von Wagnisgemeinschaften zeigten bereits, daß gemeinschaftliches Handeln durch Minderung des Risikos oft den Nutzen des Einzelnen relativ mehrt. Damit ist eine Quelle benannt, die vereintes Streben in einer Wagnisgemeinschaft praktisch speist. Freilich war die Situation einer Wagnisgemeinschaft auch und gerade in der angesprochenen alten Familienverfassung als totaler Lebensgemeinschaft gewährleistet. Der Grund, warum dennoch zunehmend Assoziationen in Form nachgebildeter Hausgemeinschaft unter Beteiligung Fremder aufkamen, dürfte vornehmlich steigender Kapitalbedarf gewesen sein. Er ist mit dem Ubergang von den commenda-Vcr\\i\x.msstn als Gelegenheitsverbindung hin zu dauerhafteren, kapital- und damit auch kreditintensiven Unternehmen verbunden. Max Weber77 verweist auf entsprechende Vorgänge im Italien des 14. Jahrhunderts, wo Haushalt und Geschäft zunächst zwar auch bei Aufnahme Fremder gemeinsam bleiben. Die zunehmende Hereinnahme fremder Kapitalien führt dann aber die Trennung von Haushalts- und Geschäftskasse herbei. Die Rechnungslegung rückt damit ins Zentrum wirtschaftlicher Tätigkeit. U m die notwendige Kreditwürdigkeit sicherzustellen, sind mit Blick auf sich differenzierende interne Verhältnisse nach außen die (Haftungs-)Verhältnisse zu dokumentieren. Im Innenverhältnis geht es um Gewinn- und Verlustanteile der Gesellschafter. In diesem Zuge nennt Gustav Schmoller78 Beispiele wie die Florentiner Gesellschaft Peruzzi oder der Gesellschaft der Alberti, bei denen ursprünglich als Geschäftsausgaben gebuchte Haushaltungskosten ab Anfang des 14. Jahrhunderts allmählich von den einzelnen Gesellschaftern zu tragen sind und so auch in den Büchern geordnet werden. Es entsteht neben dem Privatvermögen der Gesellschafter bilanztechnisch das Sondervermögen der Erwerbsgesellschaft. 79 Das Kreditbedürfnis befördert so entscheidend „die Entwicklung der frühkapitalistischen Institutionen" 80 . Wir erkennen daVorhin unter 1. Wirtschaftsgeschichte, S. 200-202. Im heutigen Kontext zur Entwicklungsgeschichte von Buchführung und Bilanzrecht Luttermann, FS Ludewig 1996. 78 Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft, 17 (1893), 359, 377f. " Zu entwicklungsgeschichtlichen Verflechtung zwischen Bilanzrecht und Gesellschaftsrecht Luttermann, FS Ludewig 595, 614-616; näher zur Vermögenssonderung Conradi, Das Unternehmen im Handelsrecht, 1992. 80 Weber, Wirtschaftsgeschichte, S. 201. 76 77
§ } Unternehmen,
Kapital und
Recht
153
mit erwerbsorientierte Gesellschaften als Organisationsformen des Kredits, der Investition und Kapitalanlage. Im Wirtschaftsverkehr kann man allgemein auch von Tauschvorteilen durch institutionell ausgeformte Abläufe sprechen. Dieser Ansatz trägt die in jüngerer Zeit wirtschaftstheoretisch gestaltete Institutionenökonomie, die „Institutionen" 81 und Transaktionskosten in ihrer Bedeutung für die Wirtschaft von Kulturkreisen erschließt. Die Erkenntnis um die Bedeutung von Institutionen als solche ist freilich so neu nicht. Beispielhaft sei noch einmal Schmoller angeführt. Als Nationalökonom hat er diesen Aspekt schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts in seiner breit angelegten Arbeit über die Fortbildung der „Unternehmung" als einen psychologischen Erziehungsprozeß und einen Entwicklungsprozeß von Institutionen beleuchtet. Schlagwortartig benannt kontrastiert er im Kontext seiner Zeit das „individuelle Privatgeschäft" mit den vielfältig ausgeprägten Organisationsformen der „Kollektivgeschäfte". Er kommt zu dem Schluß, daß es darum gehe, aus dem individuellen egoistischen Erwerbstrieb einen kollektiven zu machen, der einer Anzahl Personen gestatte, gemeinsam nach Gewinn zu streben. Der individuelle Egoismus werde damit ein anderer, verbinde sich mit gewissen Gefühlen der Verträglichkeit, der Pflicht, des Zusammenhaltens. Damit verschwinde er nicht, werde aber auf eine höhere Stufe erhoben. 82 Diese Ausführungen stehen erkennbar unter dem Eindruck der damaligen Gründerkrise, die namentlich in der Rechtsform der Aktiengesellschaft zu argen Mißständen führte. Sie bewegte im nachwirkenden Streit um die Berechtigung des Unternehmergewinnes den Nationalökonomen Schmoller zu einer differenzierteren Betrachtung der „Unternehmung" als bestimmte Art sozialer und wirtschaftlicher Organisation, um die Frage dahin zu formulieren: „ ( . . . ) w a s eine U n t e r n e h m u n g als O r g a n des g e s e l l s c h a f t l i c h e n L e b e n s sei, w o sie e n t stehe, u n t e r w e l c h e n B e d i n g u n g e n sie v e r s c h i e d e n e F o r m e n a n n e h m e , w e l c h e p s y c h o l o g i s c h e n U r s a c h e n , w e l c h e R e c h t s s ä t z e sie b e h e r r s c h e n , w e l c h e P e r s o n e n u n d P e r s o n e n g r u p p e n in ihr eine R o l l e spielen, w e l c h e F u n k t i o n e n u n d F o l g e n sie f ü r P r o d u k t i o n u n d Verkehr, für Güterverteilung und Kapitalbildung, für gesellschaftliches und sonstiges K u l t u r l e b e n habe, w i e sie sich e i n f ü g e in d a s S y s t e m d e r ü b r i g e n s o c i a l e n O r g a n e u n d Veranstaltungen."83
Die neue Institutionenökonomie bietet insofern eine Antwort, als sie die Wirtschaftsleistung in Bezug zum institutionellen und damit wirtschaftlichen Wandel setzt. Zentral stehen dabei im Gegensatz zur früheren neoklassischen Wirtschaftstheorie die vom Nobelpreisträger Ronald H. Coase hervorgehoZu unterschiedlichen Begriffsinhalten sogleich unten (Fn. 85). Schmoller, Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft, 17 (1893), 959, 1016; vgl. Max Weber, Wirtschaftsgeschichte, S. 183, 199ff., anhand der Genese der Handelsgesellschaft. 83 Schmoller, Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft, 14 (1890), 735, 738. 81
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Teil II: Grundlagen
der Finanzierung
m rechtsvergleichender
Sicht
benen und dann vor allem von Douglas C. North, ebenfalls Nobelpreisträger, aufgegriffenen Transaktionskosten. Sie entstehen auf den regelmäßig unvollkommenen Märkten durch kostspielige Information und Informationsasymmetrien unter den am Wirtschaftsprozeß Beteiligten. Dort herrschende Spielregeln können selbst ineffizient sein oder bei den handelnden Parteien unterschiedliche Anreize bewirken und damit ineffizientes Verhalten hervorrufen. 84 Wirtschaftlicher Fortschritt wird maßgeblich durch effiziente Märkte (Spielregeln) mit möglichst niedrigen Transaktionskosten erzielt. North summiert: Die Erfolgsgeschichten der Wirtschaftsgeschichte beschrieben die institutionellen Neuerungen, welche die Transaktionskosten gesenkt, eine bessere Nutzung der Tauschvorteile ermöglicht und somit die Erweiterung von Märkten erlaubten.85 Die von Coase begründete Schule speist eine Strömung, die unter der Bezeichnung „Ökonomische Analyse des Rechts" firmiert und bis an die Gegenwart beherrschenden Einfluß über die Ökonomie hinaus nimmt; dazu noch später.86 Vordergründig ist damit der wirtschaftliche Nutzen als der Wesensgehalt, also „Zweck", gemeinsamer Zweckverfolgung identifizierbar. Sicherlich ist der mittels Effizienzstreben verfolgte Aspekt wirtschaftlichen Nutzens wichtig, aber nicht der bewegende Grund, um sich zur Nutzenmehrung in bestimmten Rechtsformen der Gesellschaft - oder eben des Austauschvertrages - wirtschaftlich zu betätigen. Im Kern organisiert sich ein Verband „Gleichgesinnter" als Zweckgemeinschaft also vielmehr in einer bestimmten Gesellschaftsform (etwa der Aktiengesellschaft), um sich angesichts der Unwägbarkeiten wirtschaftlichen Handelns unter den spezifischen Schutz dieser Rechtsform zu stellen. Das ist der Zweck „gemeinsamer Zweckverfolgung". Diese Sicht gilt für alle Kapitalgeber eines Unternehmens, die wir als Wagnisgemeinschaft bezeichnen. Die theoretisch mögliche Sitzordnung im Unternehmensboot wird, bezogen auf das für den einzelnen Investor im Ergebnis entscheidende wirtschaftliche Risiko, durch die Rechtsordnung definiert. Unter diesen juristischen Vorgaben bleibt dem Kapitalgeber für seine Investition die Wahl einer Position mit einem bestimmten Risikoprofil. Er kann nach eigener Präferenz und Marktlage sich innerhalb des gesellschaftsrechtlichen Zweckverbandes als juristisch gekennzeichneter Anteilseigner des Unternehmensträgers oder außerhalb dieses Verbandes einordnen. Entsprechend umfaßt die Wagnisgemeinschaft „Unternehmen" zweckbezogen gesellschaftsrechtlich organisierte Teilnehmer und nichtgesellschaftliche Teilnehmer.
84 Näher North, Institutionen, 128-130. Kritisch zum Effizienzziel Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts. S. 25 ff.; Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, 1995. 85 North, Institutionen, 129. Terminologisch ist anzumerken, daß North die geltenden Spielregeln (Rechtsregeln) als „Institutionen" bezeichnet und diesen die Aktanten (Spieler, wie etwa Unternehmen) als „Organisationen" gegenüberstellt, während für Coase „Institutionen" etwa die Firma (das Unternehmen) und der Markt sind. 86 Unten in § 10 B I, II.
5 J Unternehmen,
Kapital und
Recht
155
Der Grundsatz gilt im gesamten Geschäftsverkehr. Für einzelne Geschäfte wie auf Dauer angelegte Kooperation wird eine spezifische Rechtsform gewählt, um sich im Verhältnis zu anderen Marktteilnehmern gerade im Recht dieser bestimmten Form zu positionieren. Damit schafft die Rechtsordnung in einer Welt voller Ungewißheit als Kernbestandteil menschlichen Gefüges die Basis und Anreize 8 7 für wirtschaftliches Handeln. Das ist der verbindende tiefere Grund, der im gesamten Recht wirkt. In seinen Bahnen fließen Kapitalströme in bestimmte Rechtsformen.
4. Bedeutung
der
Ergebnisbeteiligung
Der Aspekt anreizbewegter Ströme auf dem Kapitalmarkt leitet über zur Bedeutung der Ergebnisbeteiligung am Unternehmen aus Sicht der Rechtsordnung. Das Ergebnis wirtschaftlicher Tätigkeit kann sowohl negativer Art (Verlust) sein als auch positiv ausfallen (Gewinn). Die Frage lautet zunächst, inwieweit eine bestimmte Teilhabe 88 am Ergebnis eines Unternehmens überhaupt geeignet ist, dem Betroffenen die Position eines Gesellschafters zuzuweisen oder zu verwehren. Für Genußrechte kann sie dahin zugespitzt werden, welche Bedeutung eine Verlustteilnahme des Genußrechtkapitals hat. Eingangs dieses Abschnitts war bereits angemerkt worden, daß nach noch überwiegender Meinung jemand, der außer am Gewinn auch am Verlust teilhat, zwingend als Gesellschafter anzusehen sei. Wir werden die Bedeutung der Ergebnisbeteiligung erst grundsätzlich ansprechen und dann ( s u b 5) zum Vorgehen im Einzelfall die Interessenlage hinterfragen. In den Motiven des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) zur Gesellschaft heißt es: „Die Gesellschaft entsteht durch den obligatorischen Vertrag, durch welchen sich die Kontrahenten (Gesellschafter) verpflichten, zur Erreichung des vereinbarten Zweckes die vereinbarten Leistungen beizutragen." 8 9 Dann wird ausgeführt: „Aus der Gemeinsamkeit des vereinbarten Zweckes folgt, daß im Wesen der Gesellschaft die Antheilnahme eines jeden Gesellschafters an diesem Zwecke liegt. Ein Vertrag, durch welchen ein Gesellschafter von der Beitragspflicht befreit, aber zur Teilnahme am gemeinsamen Zwecke, also insbesondere am Gewinne berechtigt, oder zwar am Verluste, nicht aber am Gewinne betheiligt sein soll, ist hiernach kein Gesellschaftsvertrag." 90 Diese Vorstellung entstammt dem römisch-kanonischen Recht und ist mit der vorhin beschriebenen Entwicklung der Hausgemeinschaft zur partiellen Erwerbsgesellschaft verbunden. 91 Die der hausgemeinschaftlichen BrüderZur Rechtsordnung als Anreizsystem oben einleitend § 1 A II 4. Diese kann und wird regelmäßig in Geld oder einem geldwerten Vorteil bestehen, muß es aber nicht. 89 Mot. II, 594 (= bei Mugdan II, 332). 90 AaO. 91 Vgl. Flume, Allgemeiner Teil des BGB: Die Personengesellschaft, § 3 II (S. 39f.) und - ausführlich auch zum folgenden - Wieacker, Societas, S. 251 ff.; zur Entwicklung oben in 2. 87
88
156
Teil II:
Grundlagen
der Finanzierung
in rechtsvergleichender
Sicht
schaft nachgebildete legis actio kennzeichnet ursprünglich die Gleichheit der gesamthänderischen Anteile und der darauf beruhenden Gewinn- und Verlustbeteiligung, bis Mucius ungleiche, aber gleichmäßig auf den Wert der Kapitaleinlagen bezogene Gewinn- und Verlustanteile der Gesellschafter anerkennt.92 Im Zuge der Kommerzialisierung lockert das Gleichgewicht der Anteile auf, bis Servius Gewinnbeteiligung unter Ausschluß jeder Verlusttragung zuläßt.93 Die Gewinnberechtigung aller Gesellschafter blieb in den von römisch-kanonischen Quellen geprägten kontinentaleuropäischen Rechten das Wesensmerkmal der Sozietät. Das zeigen noch die vorhin zitierten Motive des BGB. Die Beteiligung jedes Gesellschafters am Gewinn erscheint danach als ein wesentlicher Aspekt der Gesellschaft. Die Verlustteilnahme scheint dagegen abdingbar zu sein. Beide Positionen finden sich freilich im Nachkriegsschrifttum ebenso modifiziert wie auch bestritten.94 Knüpfen wir zur Klärung an unsere Erkenntnisse zum Begriff „gemeinsamer Zweck" an. Wie wir sahen, kann „gemeinsamer Zweck" nur das sein, was die Gesellschaft als solche konstituiert, also ihr Wesen prägt. Der vereinbarte Gesellschaftszweck kann im einzelnen vielfältiger Art sein. Selbst für eine Handelsgesellschaft ist nach einer weit gefaßten Meinung die Absicht der Gewinnerzielung nicht begriffsnotwendig.95 Hier interessieren die Handelsgesellschaften als auf Erwerb ausgerichtete Gesellschaften. Insofern ist entscheidend, daß der „gemeinsame Zweck" positiv bestimmt wird.96 Die erwerblich ausgerichtete Gesellschaft zielt auf Gewinn. Das ist der vereinbarte gemeinsame Zweck, dem sich die Gesellschafter zu gemeinschaftlicher Verfolgung verschreiben und zu dessen Realisierung sie sich an der Gesellschaft beteiligen. Ob sie das mit Blick auf das Ergebnis eigen- oder fremdnützig tun oder auch weitere Zwecke damit verknüpfen, ist nebensächlich. Ebenso der Umstand, daß das Ergebnis der gemeinsamen Zweckverfolgung im Einzelfall negativ ausfallen kann. Gewöhnlich wird man insbesondere die Erzielung von Verlust nicht als Wesen einer Gesellschaft und damit nicht als „gemeinsamen Zweck" apostrophieren können. Verluste werden 92 Wieacker, aaO., gibt (nach Gaius III, 149) das Beispiel: Bei einem Verhältnis der Kapitaleinlagen von 1/3 (A) zu 2/3 (B) darf A zu 1/3 an Gewinn und Verlust teilhaben, B jeweils zu 2/ 3; unzulässig wäre, A 1/3 Verlust und 2/3 Gewinn zuzusprechen und B umgekehrt. 93 Allerdings nur beim Arbeiter, dessen Arbeitswert als (Sach-)Einlage dem Kapitalwert gleichkommt; dazu Wieacker, Societas, S. 261 ff. 94 Ubersicht zum Meinungsbild bei Flume, Allgemeiner Teil des B G B : Die Personengesellschaft, § 3 I I (S. 39-44). 95 Siehe nur Gierke/Sandrock, Handels- und Wirtschaftsrecht, S. 114 (m.w. Nachw.). Vgl. allerdings schon zum „Capitalistenthum" in römischer Zeit Mommsen, Römische Geschichte, S. 860, wonach im Kaufmannsgeist gerade die Mehrung des (ererbten) Vermögens „ein Theil der öffentlichen und der Privatmoral" war. 96 Ebenso Böhmer, J Z 1994, 982, 984, im Anschluß an Kellermann, Der Zweck insbesondere der Gesellschaft bürgerlichen Rechts, Kiel 1988, S. 161. Schön, Z G R 1993,210,221 f., sieht immerhin Verlustbeteiligung als „sekundäres Element", leitet aber - unzutreffend - den gemeinsamen Zweck vor allem aus „der Ergebnisbeteiligung" ab.
5 5 Unternehmen,
Kapital und Recht
157
nicht erstrebt, sondern gemeinhin erlitten und daher kaum zum gemeinsamen Zweck gesellschaftlicher Handlung erhoben. Das steuerlich beliebte Modell sogenannter Abschreibungsgesellschaften, wo es gerade um Verlustzuweisungen an die Gesellschafter geht, ist dabei ein Sonderling. Er mag leicht zum Grübeln über die steuerlichen Gründe der Konstruktion anregen, nicht aber zur Revision des zivilrechtlich grundlegenden „gemeinsamen Zwecks" einer Erwerbsgesellschaft. Danach bleibt festzuhalten, daß wohl die Absicht der Gewinnerzielung, nicht aber der Verlusterzielung als gemeinsamer Zweck für das Vorliegen einer erwerblich ausgerichteten Gesellschaft konstitutiv ist. Daraus folgen Konsequenzen. Die Gewinn erzielung als gemeinsamer Zweck einer erwerblich geprägten Gesellschaft ist von der Beteiligung an dem tatsächlich erzielten Ergebnis des gemeinschaftlichen Handelns klar zu scheiden.97 Die Beteiligung am Ergebnis kann die Folge der Stellung als Gesellschafter sein, ist aber nicht der Grund für die mitgliedschaftliche Rechtsposition. Ein Gesellschafter partizipiert am Ergebnis der Gesellschaft, weil er ihr Gesellschafter ist, nicht umgekehrt. Die Gesellschaft entsteht nicht durch Ergebnisbeteiligung, sie besteht gedanklich notwendig schon zuvor aufgrund des gemeinsamen Zweckes der Gewinnerzielung. Insofern macht es grundsätzlich keinen Unterschied, ob es um eine Außen- oder eine Innengesellschaft geht. Die gegenteilige, maßgeblich auf die Ergebnisbeteiligung gerichtete Sicht ist noch in den Vorstellungen des römisch-kanonischen Rechts verfangen, wo regelmäßig erst die Teilhabe am Ergebnis die Partizipanten der schuldrechtlich geprägten klassischen societas zu einer Erwerbsgesellschaft mit einem gemeinsamen Zweck verdichtete.98 Insofern entspricht es dem traditionellen Leitbild der Gesellschaft, daß alle Gesellschafter an Gewinn und Verlust beteiligt sind. Nach dem Stand der Rechtsentwicklung ist das aber ebensowenig zwingend99 wie der mögliche Teilhaberkreis mit den Gesellschaftern nicht abschließend definiert ist. Da nach unserer Erkenntnis weder die Gewinn- noch die Verlustbeteiligung als gemeinsamer Zweck für die Gesellschaft konstitutiv sind, können auch Nichtgesellschafter am Ergebnis der Gesellschaft beteiligt werden.
97 Darauf verweist schon Flume, Allgemeiner Teil des BGB: Die Personengesellschaft, § 3 II (S. 43). 98 Vgl. Wieacker, Societas, S. 310 und, insoweit zutreffend, Flume, Allgemeiner Teil des BGB: Die Personengesellschaft, § 3 II (S. 40f.); er überträgt (aaO., § 3 IV) diese Sicht de lege lata allerdings auf die stille Gesellschaft. Das ist aus unserer Sicht zu pointieren: Auch der Stille leistet seinen Beitrag im Rahmen der Innengesellschaft zum gemeinsamen Zweck der Gewinnerzielung. 99 Nach überwiegender und zutreffender Ansicht ist der Ausschluß der Gewinnbeteiligung gesellschaftsrechtlich zulässig; Huber, Vermögensanteil, S. 296 ff. Anders noch BGH, Urteil vom 10.6.1965 - III ZR 239/63, WM 1965, 1052, 1053 sowie positivrechtlich bei der Innengesellschaft nach § 231 Abs. 2 HGB, die aber jeweils den Ausschluß der Verlustbeteiligung gestatten.
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Teil II: Grundlagen
5. Ergebnisbeteiligung
der Finanzierung
in rechtsvergleichender
Sicht
und der „animus societatis contrahendae"
Während also die Gewinnbeteiligung von Nichtgesellschaftern allgemein anerkannt ist, wird der Schritt bei Verlustbeteiligung weithin abgelehnt. Daß die Stellung eines Nichtgesellschafters mit einer Verlustbeteiligung unvereinbar sein soll, ist nicht nachvollziehbar und wird auch kaum begründet. Gestreift wird die Frage regelmäßig bei der Abgrenzung von stiller Gesellschaft und partiarischen (Darlehns-)Verträgen. Die Abrede einer Gewinnbeteiligung nötige nicht immer zur Annahme eines Gesellschaftsvertrages, während eine Beteiligung am Verlust für die Annahme eines Gesellschaftsverhältnisses immer wesentlich sei - so in einem Urteil 100 der Bundesgerichtshof. Dieses Schema ist für unsere Fragestellung freilich schon den Koordinaten nach schief: Daß Gewinnbeteiligung, nicht aber Verlustbeteiligung101 mit einem (partiarischen) Darlehn vereinbar ist, liegt nach § 607 Abs. 1 BGB auf der Hand. Das einschlägige Schrifttum102 knüpft regelmäßig an die Rechtsprechung an und sieht bei Verlustbeteiligung allein die Möglichkeit einer Gesellschaft. Das führt kaum weiter, wo es nicht um die Zulässigkeit der Vereinbarung von Verlustbeteiligung bei einem (partiarischen) Darlehn, sondern beim Genußrechtsverhältnis geht. Obwohl auch dieses schuldrechtlich begründet ist, gehen Schrifttum und der Bundesgerichtshof, wie ausgeführt, in Sachen Klöckner von der Zulässigkeit aus, ohne allerdings die hier zu behandelnde Problematik anzusprechen. Einen Ansatz bietet die zuvor angeführte Rechtsprechung desselben Gerichts zum Verhältnis von stiller Gesellschaft und partiarischem Darlehn. Danach hat die Abgrenzung „unter umfassender Berücksichtigung des Vertragszweckes und der wirtschaftlichen Ziele der Vertragsparteien zu erfolgen" 103 . Dieser Passus nimmt den im rechtsgeschäftlichen Verkehr geltenden und das gesamte Vertragsrecht beherrschenden Gedanken der Privatautonomie auf, der namentlich in §§ 133, 157 und 305 BGB niedergelegt ist. Die Vertragsfreiheit des einzelnen, seine Lebensverhältnisse in Selbstbestimmung verantwortlich gestalten zu können, ist Kernbestandteil einer freiheitlichen Verfassung. Damit rückt die eingangs (in I) genannte Vorstellung vom „animus societatis contrahendae" ins Bild, die auch für das uns gestellte Abgrenzungsproblem Gewicht hat. Sie unterstellt einen speziell auf die Bildung einer Gesellschaft gerichteten gemeinschaftlichen Willen der Vertragspartner. Unter Rückgriff auf Franz Wieacker folgert Wolfgang Schön nach dem byzanti,0°
Vom 10.6.1965-III ZR 239/63, WM 1965, 1052, 1053. So grundsätzlich für jedes partiarische Rechtsverhältnis BGH, Urteil vom 26.9.1957 - II ZR 42/56, WM 1957, 1335, 1336. 102 Siehe nur Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts II/2, § 63 III 2 b (S. 57f.); Ulmer, in: Münchener Kommentar, Vor § 705 Rn. 84, je m.w. Nachw. 103 Ständige Rechtsprechung, m.w. Nachw. etwa BGH, Urteile vom 10.6.1965 - II ZR 42/ 56, WM 1957, 1335 und vom 26.6.1989 - II ZR 128/88, WM 1989, 1850, 1851; auch zur Abgrenzung atypischer stiller Gesellschaft von sonstigen Rechtsverhältnissen BGH, Urteil vom 29.6.1992 - II ZR 284/91, WM 1992, 1576ff. 101
5 5 Unternehmen,
Kapital und Recht
159
nisch-rechtlichen Hintergrund der „animus"-Lehre, wie sich dort durch Erhebung des „typos" eines Rechtsgeschäfts z u m Inhalt des Parteiwillens das Verständnis entwickelte, die Parteien könnten wahlweise „denselben Vertragsinhalt" als „Gesellschaft" oder als „einfaches Schuldverhältnis" vereinbaren. Schön spricht 104 von einem „psychologischen" 1 0 5 Willensansatz: Er begreift diesen als juristisch untauglichen Versuch, weil „die Vertragsparteien nicht abstrakt eine ,Gesellschaft' oder ein ,Darlehn' als solches, sondern konkret eine Kapitalhingabe gegen Gewinnbeteiligung ohne Rücksicht auf die juristische Typenbildung" beabsichtigten; in der bis heute nachwirkenden „animus"-Lehre sieht er die „bloße Fiktion eines in Wahrheit nicht vorhandenen Willens". Dieser Standpunkt, der in seiner Allgemeinheit nicht haltbar ist, fordert Widerspruch. Er läßt die in den Dekaden u m die Wende z u m 20. Jahrhundert vertretene Ansicht anklingen, daß bei einer rechtsgeschäftlichen Willenserklärung der Wille des Erklärenden auf einen „wirtschaftlichen" Erfolg gerichtet sei und nicht - wie zutreffend - auf ein rechtliches Sollen. 106 Insofern greift zu kurz, wer allein auf die „Kapitalhingabe gegen Gewinnbeteiligung" abstellt und sich mit dem H i n w e i s begnügt 107 , die Subsumtion unter den Vertragstyp leisteten nicht die Parteien, sondern die Rechtswissenschaft und die Gerichte. Letzteres trifft soweit zu, als praktisch namentlich die Gerichte entscheiden, ob nach der Rechtsordnung gelten kann, was nach dem Inhalt der abgegebenen Willenserklärungen gelten soll. Es ist aber lebensfremd allgemein anzunehmen, Parteien w ü r d e n sich beim Vertragsschluß u m juristische Typenbildung nicht scheren. N a c h den Erfahrungen der Praxis ist seit langem 108 davon auszugehen, daß gerade mit Blick auf anerkannte Vertragstypen ein bestimmter rechtlicher Erfolg angestrebt wird. Auch der „gemeine" 10 '' Rechtsbürger schwimmt gedanklich nicht in einem Einheitsbrei, sondern kann - sei es unter Rechtsberatung - klar differenzieren. Die Unternehmensfinanzierung ist dafür Paradebeispiel. Die Beteiligten haben regelmäßig recht genaue Vorstellungen, ob ein Kapitalgeber „Gesellschafter" werden will und auch werden soll oder schuldrechtlich am U n t e r nehmensergebnis beteiligter „Dritter". Die Rechtsfolgen dieser Entscheidung sind nicht nur nach Schuldrecht oder Gesellschaftsrecht, sondern gerade auch ZGR 1993, 210, 243; insgesamt dort 242 ff. Was im einzelnen darunter zu verstehen sein kann, betrifft ein Gebiet, daß erst in Ansätzen allmählich erschlossen und selbst in der Fachdisziplin umstritten ist; vgl. dazu bereits oben § 1 A II 3. Beachte auch Flume, Allgemeiner Teil des BGB: Das Rechtsgeschäft, S. 52 (3. Absatz). 106 Wiedemann, § 1 I 1 b (S. 8 ff.); vgl. auch Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 4 II 1. 107 So aber Schön, aaO. 108 Schon von Tuhr, Der Allgemeine Teil Deutschen Bürgerlichen Rechts, Band 2/1, S. 168 (m.w. Nachw. zu älterem Schrifttum) betont, der auf bestimmte Rechtswirkung gerichtete Wille trete bei zahlreichen Rechtsgeschäften in voller Schärfe hervor. Nach Jahrzehnten der Bildung „mündiger" Bürger sollte das zu unterstreichen sein. 109 Vgl. zum Begriff oben in 2. 104
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Teil II: Grundlagen
der Finanzierung
in rechtsvergleichender
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an die Einordnung in diesen Dualismus anknpüfend aus steuerlicher Sicht erheblich verschieden. Kreditinstitute und eine ebenso florierende Kautelarjurisprudenz gehen bei der gezielten Umsetzung zur Hand. Danach bleibt festzuhalten: Der rechtsgeschäftliche Wille der Partei(en) zielt auf ein bestimmtes rechtliches Sollen des Rechtsgeschäfts, ohne daß es hier gleich um eine „radikale" 110 Willenstheorie geht. Das Problem ist anders gelagert.
III.
Angemessene
Risikotragung
Im Kern geht es darum, ob die Rechtsordnung das anerkennt, was nach dem rechtsgeschäftlichen Willen der Parteien gelten soll. Auf unseren Kreis bezogen kann eine Kapitalhingabe in verschiedene rechtsgeschäftliche Konstruktionen gebettet sein. Die Kontrapunkte im Spektrum setzen typisch einerseits der gewinn- und verlustbeteiligte Gesellschafter und andererseits der Darlehnsgeber, von dem wir ausgehen. Dessen Stellung ist positivrechtlich dahin geregelt, daß er einen fixen Zins erhält und, wie schon aufgezeigt111, nicht an einem vom Darlehnsnehmer mit dem begebenen Kapital erzielten Ergebnis partizipiert. Fällt (erheblicher) Gewinn an, erscheint das ebenso als gewisse Härte wie die volle Rückzahlungspflicht des Darlehnsnehmers bei Mißlingen der Geschäfte. Zumal andere Regelungen denkbar sind. Am Entwicklungsgang von Wagnisgemeinschaften haben wir gesehen, daß frühe Formen wie Seedarlehn und commenda nur bei Erfolg der Unternehmung Entgelt für die Kapitalüberlassung in Gestalt von Gewinnanteilen gewährten und der Unternehmer (commendatarius, tractator) bei realisierter Seegefahr frei wurde. Die Lebenssphären von Gläubiger und Schuldner standen noch in innerem Zusammenhang, und die Rechtsregeln - zumindest noch so gedacht - nehmen das auf.112 Der Zins dagegen wird ursprünglich unter (Stammes-)Fremden genommen." 3 Vor diesem Hintergrund wird deutlich, daß es bei unserer Frage angesichts des rechtsgeschäftlichen Parteiwillens um nichts anderes als um angemessene Risikotragung geht. 110 Schön, aaO., unter Zitat der Wieackerschen Kritik, daß die Partei kein Rechtsgeschäft, sondern den „natürlichen Tatbestand der Rechtsfolge" (!) wolle. Das ist ersichtlich nicht auf den hier vertretenen Ansatz zu münzen; Wieacker selbst verweist (aaO., S. 282, dort Fn. 1) gegen die ältere Lehre (Ubersicht bei Flume, Allgemeiner Teil des B G B : Das Rechtsgeschäft, S. 51 ff.) auf die (in vorstehender Fn. genannte) Ausführung von Tuhrs als „wichtige Betrachtungen". Oben in § 4 B III 4 b. 1,2 Vgl. Schmoller, Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft, 17 (1893), 359, 379f., wonach sie „das Natürliche, der Denkart jener Menschen Entsprechende" war. Ganz deutlich auch bei der societas omnium bonorum, der Gemeinsamkeit jedes künftigen Erwerbs und Verlusts wesentlich ist; siehe oben II 2 und Wieacker, Societas, S. 185. 113 Im übrigen - so auch noch beim zinslosen römischen Darlehn (mutuum) - wirkt der Gedanke der Nothilfepflicht nach; Max Weber, Wirtschaftsgeschichte, S. 234f. Vgl. Schmoller (vorstehende Fn.), S. 379.
5 5 Unternehmen, Kapital und Recht
161
Risikotragung ist freilich nicht auf Gesellschaftsverhältnisse beschränkt. Max Weber stellt fest" 4 , der Kreditbedarf für Erwerbszwecke habe im christlichen Okzident angesichts der Größe der Risiken bei der überseeischen Erwerbsunternehmung anfänglich selten die Form des Darlehns mit festem Zins, häufiger die der Assoziation angenommen. Das ist nachvollziehbar. Die Assoziation mindert oder meidet Härten bei Kapitalnehmer und Kapitalgeber, insbesondere wenn die Erwerbsgesellschaft paritätisch gesamtnützig geordnet ist. Da jeder anteilig an Erfolg wie Mißerfolg partizipiert, halten sich Chance und Risiko die Waage. Diese altersstarre Sicht, die sicher auch früher schon durchbrochen wurde, entspricht kaum heutigen Interessenlagen. Die Vorstellungen vom „Gesellschafter mit paritätischem Gewinn- und Verlustanteil" und von dem „Nichtgesellschafter mit fixen Zins- und Rückzahlungsansprüchen" sind praktisch weithin modifiziert. Das hat eine Reihe wechselseitig bedingter Gründe. Prominent stehen die erheblich verbesserten Möglichkeiten, Risiken technisch einzugrenzen, und der praktische Bedarf nach flexibleren, differenzierten Formen der Finanzierung von Unternehmen." 5 Die moderne Finanzierungspraxis kennt - rechtlich sanktioniert - ebenso die Zusage eines garantierten Mindestgewinns an Gesellschafter" 6 wie sie zunehmend gerade die Verlagerung wirtschaftlicher Risiken auf Nichtgesellschafter betreibt. Genußrechtkapital ist nur ein Beispiel. Gleichfalls werden etwa Gesellschafter gebilligt, die keinen Verlust tragen.117 Das alles ist prinzipiell nichts Anrüchiges. Verlust(risiko) trägt schließlich auch, wer Garantieerklärungen abgibt oder Bürgschaften übernimmt. Damit ist im Grunde auch vereinbar, daß ein Nichtgesellschafter aus der ihm genuin „fremden" Risikosphäre Verluste trägt. Aber die Entwicklung bleibt aufmerksam zu beobachten. Wir werden noch deutlicher sehen, daß die Rechtsordnung mit Blick auf das grundlegende Strukturgefüge von Macht, Verantwortung und Kontrolle Grenzen bezeichnen muß. Bedenken können freilich erst durchschlagen, wo die vertraglich vereinbarte Chance-Risiko-Konstellation einseitig beim Nichtgesellschafter lastet; dort also, wo ihm besonders nach dem System zwingenden Rechts, aber auch im Einzelfall angesichts dispositiver Regeln, im Verhältnis zu den Gesellschaftern übermäßig Risiken zugedacht sind. Derartige Konstruktionen sind nicht ausschließbar. Vor ihnen schützt als eine wesentliche Verteidigungslinie gemeinhin das ökonomische Gesetz des Marktes. Der Kapitalgeber wird regelmäßig eine Position als Nichtgesellschafter mit Verlustteilnahme des Kapitals nur bei insgesamt angemessenen Konditionen, insbesondere gegen entsprechend höheren Gewinnanteil akWirtschaftsgeschichte, S. 235 f. Dazu beispielhaft unter § 8 (besonders A III, B I I I ) nach den Verhältnissen auf den U.S.-Kapitalmärkten. 116 Siehe B G H , Urteil vom 26.6.1989 - II Z R 128/88, W M 1989, 1850, 1851. Vgl. die M i n destausschüttung an Aktionäre nach § 254 Abs. 1 A k t G . 117 F ü r den stillen Gesellschafter ist das in § 231 Abs. 2 H G B gesetzlich anerkannt. Im übrigen kann darauf auch der im Text genannte garantierte Mindestgewinn hinauslaufen. 114
115
162
Teil II: Grundlagen
der Finanzierung
in rechtsvergleichender
Sicht
zeptieren. Die Kernfrage hat zwei Stränge mit paralleler Zielrichtung. Einmal die Entscheidung des Einzelnen, eine bestimmte Risikoposition im Wagnisspektrum des Unternehmens einzunehmen. Diese Positionswahl gründet auf freiem, vielfältig motiviertem Entschluß. Bei der Umsetzung wirkt eben in der Regel der auf ein bestimmtes rechtliches Sollen gerichtete Wille. Der Kapitalgeber mag als reiner Anleger gar kein Interesse daran haben, gesellschaftsrechtliches Engagement (Kontrolle, Treuepflicht etc.) zu zeigen, gleichwohl aber über Zinsen hinaus am Ergebnis der Geschäftstätigkeit des Unternehmens teilhaben. Kapitalnehmer mögen selbst das Entgelt für Kredit ergebnisabhängig gestalten oder die gesellschaftliche Haftungsbasis verbreitern, ohne den Kapitalgeber in den Gesellschafterkreis aufrücken zu lassen. In allen diesen Konstellationen geht es jeder Partei (auch) um Gewinnerzielung."' Erkennt man aber, daß Vertragsparteien gezielt den rechtstechnischen Rahmen für eine Finanzierungs- und Kapitalanlageform wählen, ist der Weg entscheidend, über den das wirtschaftliche Ziel „Gewinnerzielung" angestrebt wird: das rechtliche Mittel. Damit ist wiederum der gemeinsame Zweck als Abgrenzungskriterium zwischen Gesellschaftern und Dritten angesprochen. Er umfaßt die MittelmtW. Insoweit trägt der Gedanke der „animus"-Lehre, daß die Vertragsparteien auf ein bestimmtes - entweder gesellschafts- oder schuldrechtlich geprägtes - Rechtsverhältnis zur Umsetzung ihrer Interessen zielen. Dabei wird freilich nicht „derselbe" Vertragsinhalt realisiert. Einmal geht es um Gewinnerzielung als gemeinsamer Zweck gesellschaftlichen Zusammenwirkens. Andererseits wird schuldrechtlich Gewinnbeteiligung vereinbart, wobei die Vertragsparteien die Gewinnerzielung als Geschäftsgegenstand, 119 nicht aber als gemeinsam zu verfolgenden Zweck ihrer Vereinbarung ansehen. Damit tritt wieder der zweite Strang unserer Kernfrage hervor. Er bezeichnet die mit der Wahl eines bestimmten Rechtsverhältnisses verknüpfte - und insoweit vorrangige - Aufgabe der Rechtsordnung, die möglichen Rechtspositionen sinnvoll ordnend nach Verantwortlichkeit vorzuzeichnen. Insgesamt sind - wie überall im Recht - die Risiken im Rahmen der Rechtsordnung strukturell angemessen zuzuordnen. Die Rechtslage wahlfreier Rechtsverhältnisse ist im Gesamtsystem abgestimmt zu schichten. Projizieren wir das auf die Finanzierung der Kapitalgesellschaft als juristische Person. 1,8 Zutreffend weist im Anschluß an Larenz, Schuldrecht II (§ 62 II), S. 431, Schön, ZGR 1 9 9 3 , 2 1 0 , 2 1 9 , darauf hin, die entscheidende Fehlleistung der überwiegenden M e i n u n g sei, mit dem partiarischen Darlehn einen Schuldvertrag zu konstruieren, der z w a r die A b f ü h r u n g eines Gewinnanteils zur Rechtspflicht erkläre, den primären Tatbestand: die Erzielung des Gewinns aber aus dem Rechtsverhältnis der Parteien ausblende. 119 Insoweit liegt gleichartiges Interesse vor. Würdinger, Interessengemeinschaften, S. 15ff., sieht in solchen Konstellationen von den „Zeckgemeinschaften" nur graduell verschiedene „schlichte Interessengemeinschaften" und faßt beide unter den Begriff der „Interessengemeinschaften"; vgl. zur historischen Grundlage Wieacker, Societas, S. 280-84.
§ 5 Unternehmen,
C. Finanzierung
Kapital und
von
Recht
163
Kapitalgesellschaften
Die Finanzierung von Unternehmen ist aus juristischer Sicht untrennbar verbunden mit der Frage nach der Verantwortlichkeit. Unternehmerisches Wagnis kann zu Verlusten führen. Im Kern geht es darum, wer dafür haftet. Anders gewendet muß klar sein, inwieweit Haftung und damit Verantwortlichkeit - letztlich aus rechtsethischer Sicht - „(ver)teilbar", also auch begrenzbar ist. Angesichts der Unwägbarkeiten des Lebens und seiner besonderen Risiken im wirtschaftlichen Verkehr ist natürlich, daß der einzelne durch unternehmerisches Handeln in Gemeinschaft mit anderen nach Beschränkung persönlicher Haftungsrisiken strebt. Dazu rechtliche Möglichkeiten zu bieten, ist in einem angemessenen Rahmen auch gesamtgesellschaftlich notwendig. Andernfalls schwindet die Bereitschaft, unternehmerisches Wagnis aufzunehmen. Die Suche nach Rechtsformen der Haftungsbeschränkung, den kulturgeschichtlichen Gedanken der auf die Einlage begrenzten Haftung haben wir schon in hellenischer Zeit aufgespürt und am Entwicklungsgang von Wagnisgemeinschaften verfolgt.120 Nach dem Stand der Rechtsentwicklung focussieren wir jetzt den Blick auf juristische Personen als Unternehmensträger, namentlich auf die moderne große Aktiengesellschaft. Dabei sind die Kapitalisierungsprobleme hier nicht zu erschöpfen. Das Ziel ist, die wirkenden Rechtsprinzipien (sub I), den ökonomischen Kontext (II) und Regelungsbeispiele (III) aufzuzeigen, um danach die Bedeutung für Genußrechtsfragen grundsätzlich gewichten zu können (nachher in D).
I. Juristische
Person:
Problemaufriß
Recht als ein ordnender Faktor des Lebens setzt Eckdaten für den Rechtsverkehr. Als Grundpfeiler sind sie bei entsprechenden Sachverhalten von den Beteiligten zu beachten und üben die schon bezeichnete Anreizfunktion aus. Das gilt auch für Idee und Ausformung der Kapitalgesellschaft (Aktiengesellschaft, Kommanditgesellschaft auf Aktien, Gesellschaft mit beschränkter Haftung), die auf eng verknüpften rechtlichen und ökonomischen Erwägungen gründet.121 Das Recht muß dabei leiten. Am Anfang unserer Überlegungen stehen folglich Rechtsprinzipien, die das Gedankengebäude der Kapitalgesellschaft als juristische Person und damit eigenständiges Rechtssubjekt tragen. Die Rechtsfigur der juristischen Person ist praktisch seit einigen hundert Jahren in der Diskussion. Ihre Genesis seit dem 19. Jahrhundert verlief reOben § 2 B II und (in diesem § 5) oben B II 2. Siehe vorstehende Fn. sowie weiter unten in § 7. Immer noch instruktiv zum Verhältnis von Rechts- und Wirtschaftswissenschaft im Aktienrecht Mestmäcker, JuS 1963, 417ff. 120 121
164
Teil II:
Grundlagen
der Finanzierung
in rechtsvergleichender
Sicht
formpolitisch zunächst zwischen den Fiktionstheorien romanistischer (namentlich Savignyscher) Prägung, die juristische Personen als fiktive Rechtssubjekte charakterisieren, sowie der germanistischen Schule der Realitätstheorien. Diese früher vor allem von Otto von Gierke repräsentierte Richtung betont den Wirklichkeitsgehalt juristischer Personen als soziale Organismen. Als dritte Sicht trat die Zweckvermögenslehre (Brinz, Bekker) hinzu. Sie betrachtet die juristische Person als eine Form der Zuordnung von Vermögensgegenständen an Personenmehrheiten {Wieacker). Diesen Ansatz hat Herbert Wiedemann 122 wegweisend in seiner Theorie des organisierten Sondervermögens ausgebaut, die eine juristische Person als gesetzlich verselbständigte, mitgliedsunabhängige Sondervermögensordnung erklärt. Darauf sind wir nach allgemeiner Grundlage bereits oben123 für das Genußrecht als Form schuldrechtlicher Beteiligung eingegangen. Hier interessiert eingangs das mit der Sondervermögensordnung verknüpfte Trennungsprinzip. Es ist wesentlich für Finanzierungsfragen der Kapitalgesellschaften, von denen wiederum die Aktiengesellschaft als Leitmodell dient. Der Begriff Sondervermögen bezeichnet bereits, daß bestimmtes Vermögen gesondert, also ^¿gesondert wird. Das ist das Wesen des Trennungsprinzips bei der juristischen Person: Durch Zuordnung zur Aktiengesellschaft wird Vermögen gegenüber Dritten, aber auch gegenüber den Aktionären als Anteilseignern rechtlich verselbständigt. Es entstehen verschiedene Vermögenssphären. Einher geht die Haftungslage. Als Grundsatz gilt, daß im Außenverhältnis den Gläubigern der Aktiengesellschaft allein das Sondervermögen haftet (§ 1 Abs. 1 S. 2 AktG). Zum Schutz der Gläubiger gilt daher im deutschen Aktienrecht - im Gegensatz etwa zu jüngeren Gesellschaftsrechten U.S.-amerikanischer Bundesstaaten - ein ausgefeiltes System zwingender Regeln der Kapitalaufbringung und Kapitalbindung, das auf einem fixen Aktienkapitalstock der Aktiengesellschaft gründet.124 Der Grundsatz beschränkter Haftung kann zwar historisch nicht als unverbrüchliches Prinzip der Aktiengesellschaft gelten.125 Er ist aber unter geltendem Recht das praktische Leitbild juristischer Personen. Nur ausnahmsweise kommt ein Haftungsdurchgriff
122 Gesellschaftsrecht, § 4 I 1 c (S. 195, 196ff.); Wiedemann gibt (aaO., S. 191 ff.) auch pointierten Uberblick zur hier stichwortartig wiedergegebenen Ideengeschichte. Uber frühere Stadien Schnorr von Carolsfeld, Geschichte der juristischen Person, 1933. 123 Unter § 4 B III; dazu beachtlich ist die vorhin (in B II 3) ausgeführte Zweckbestimmung. 124 Siehe im AktG z.B. §§ 2 , 2 9 und 9 Abs. 1 (zur Kapitalaufbringung), §§ 57, 58 Abs. 5 (zur Kapitalerhaltung); zu den neueren Konzepten in den USA unten § 8 A II 2-4. 125 Zur geschichtlichen Entwicklung Großfeld, Aktiengesellschaft, S. 102 ff., der (S. 105) von einem „Ergebnis junger, positiver Zwecksetzung" spricht und (S. 105-112) die Haftungsbeschränkung als verantwortliche Risikozuordnung in ihrer wettbewerblichen Dimension nachzeichnet.
f 5 Unternehmen,
Kapital
und
Recht
165
auf die Verbandsmitglieder in Betracht, etwa im Fall krasser Unterkapitalisierung einer Kapitalgesellschaft. 126 Mit der Kapitalausstattung rückt sogleich das Bilanzrecht ins Zentrum gesellschaftsrechtlicher Argumentation. Zunächst ist dazu festzuhalten, daß wir keine juristische Person als solche sehen oder anfassen können. Insofern ist auch die Aktiengesellschaft als juristische Person tatsächlich bloß eine Fiktion, ein Denkmuster. Das Sondervermögen als wirtschaftliche Grundlage und „Substrat" 127 einer Kapitalgesellschaft wird erst durch bilanzielle Abbildung manifestiert. Erst im Bilanzbild ist es als selbständige Sphäre gedanklich und damit rechtlich erfaßbar. Auch der zweite, im Bewußtsein gemeinhin verschüttete Grundsatz, der bei einer juristischen Person als Unternehmensträger die Frage der Kapitalisierung neben dem Trennungsprinzip besonders schärft, ist bilanzrechtlicher Natur: das Periodisierungsprinzip. Der wirtschaftliche Erfolg eines Unternehmens ist letztlich nur nach Beendigung der Gesellschaft mittels einer Totalbilanz feststellbar, die dessen Gesamtdauer umfaßt. Zuvor bleiben angesichts der Ungewißheit künftiger Geschäftsentwicklung insbesondere Ausschüttungen an Gesellschafter juristischer Personen im Kern willkürlich. Denn damit wird unter dem Trennungsprinzip den Gesellschaftsgläubigern Haftungsmasse endgültig entzogen. Die Jurisprudenz haderte lange, diesen Schritt zu vollziehen. Lange galt noch für Aktionäre einer Aktiengesellschaft die Pflicht, früher aus Periodengewinn erhaltene Dividende bei späterer Insolvenz der Gesellschaft zurückzuzahlen. 128 Wer aber ist bereit, unter solchen Rechtsverhältnissen in ohnehin mehr oder minder riskante Unternehmen zu investieren? Aus praktischer Erwägung gilt inzwischen, in einem Jahresabschluß den Periodengewinn zu ermitteln. Der willkürliche Schnitt durch die Gesamtdauer eines Unternehmens im Geschäftsjahresrhythmus wird so zur Rechtsgrundlage für die Kapitalgesellschaften als Haftungsmodell. Vom allgemeinen Prinzip des Periodengewinnes profitiert zugleich der Steuerstaat, der seinen Teil bei Prosperität des Unternehmens über die Gewinnbesteuerung auch endgültig abschöpft. Insgesamt bezeichnen Trennungsprinzip und Periodisierungsprinzip die hervorragende gesamtrechtliche Bedeutung des Bilanzrechts, das entsprechend auf angemessenen Ausgleich betroffener Interessen auszurichten ist. Tatsächlich liegt in diesem Schnittfeld das Konfliktpotential der Rechtsfragen der Finanzierung von Kapitalgesellschaften und folglich der
126 Der B G H stellt dafür angesichts der wirtschaftlichen Verhältnisse im Einzelfall gemeinhin ab auf „die Wirklichkeiten des Lebens und die Macht der Tatsachen" (BGHZ 20, 4, 11); dazu mit Ubersicht zum Meinungsspektrum H ü f f e r , Aktiengesetz, § 1 Rn. 15 ff. 127 Wiedemann, Gesellschaftsrecht, S. 196. 128 Näher zur geschichtlichen Entwicklung Luttermann, in: Münchener Kommentar zum AktG, Band 3, Einführung (unter A I 4). Zur aktienrechthchen Bedeutung von Kapital und Gewinn Ballerstedt, Kapital, Gewinn und Ausschüttung bei Kapitalgesellschaften, S. 41 ff.
166
Teil II:
Grundlagen
der Finanzierung
in rechtsvergleichender
Sicht
Aktiengesellschaft als juristische Person. Versichern wir uns zunächst der rechtstatsächlichen Grundlagen.
II. 1.
Ökonomische
Ansätze
Betriebswirtschaft
Aufgabe der betrieblichen Finanzwirtschaft ist das finanzielle Gleichgewicht des Unternehmens als Grundlage für dessen Existenz. Erich Gutenberg129 nennt drei Zeitordnungen des Vollzugs der im Gleichgewicht zu haltenden gesamtbetrieblichen Vorgänge: die güterwirtschaftliche Zeitordnung betrieblichen Leistungsvollzuges, die finanzielle Zeitordnung daran geknüpfter Ein- und Auszahlungen sowie die finanzielle Zeitordnung der Einund Auszahlungen in den Kapitalfonds. Der Kapitalfonds umfaßt das gebundene (investierte) sowie das ungebundene (nicht investierte) Kapital und bezeichnet insgesamt die finanziellen Mittel, über die ein Unternehmen zur Deckung des Kapitalbedarfs zu einem bestimmten Zeitpunkt verfügt. 130 D e r Kapitalbedarf resultiert aus der zeitlichen Verwerfung der Auszahlungs- und Einzahlungsreihen eines Unternehmens. D e r Unternehmer bindet Kapital durch Investition in Vermögensgegenständen, Arbeits- und Dienstleistungen, wodurch es für andere Verwendungen nicht mehr verfügbar ist. Die Bindung endet erst, wenn erstellte und veräußerte Produkte oder geleistete Arbeiten und Dienste bezahlt sind. 131 Zwischen den entsprechenden Ein- und Auszahlungen können durch Kreditvorgänge Zeitverschiebungen eintreten. Nehmen wir ein Beispiel. Ein im Großhandel tätiges Unternehmen ist seinem Lieferanten vertraglich zur Zahlung eines Vorschusses in H ö h e von 50 (= Auszahlung) verpflichtet und räumt gleichzeitig selbst einem Kunden ein Zahlungsziel von einem Monat ein für gelieferte Ware zum Kaufpreis von 100 (= Einzahlung), stundet also die Forderung; zusammen binden beide Geschäftsvorfälle 150 Kapitalteile. Stehen derzeit liquide, also ungebundene Mittel nur in H ö h e von 30 zur Verfügung, muß das Unternehmen für die Vorschußzahlung 20 Kapitalteile kurzfristig anderweitig abdecken - etwa durch Barverkauf von Ware. Aus der Vielzahl solcher in einem Unternehmen zeitversetzt ablaufenden, betragsmäßig unterschiedlichen Vorgänge berechnet sich der Kapitalbedarf. Ziel betrieblicher Finanzplanung ist, den Kapitalbedarf zeitgerecht zu dekken und so den Betrieb des Unternehmens dauerhaft sicherzustellen. Juristischer Hintergrund einer entsprechend sorgfältigen finanzwirtschaftlichen Planung sind die insolvenzrechtlichen Tatbestände, auf die wir gleich (sub III) Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre, S. 272f. Gutenberg, aaO., S. 123. Siehe dazu Gutenberg, aaO., S. 5ff. Diese Bindung von Kapital im ökonomischen Sinne ist von der oben sub I angesprochenen Kapitalbindung im Rechtssinne zu unterscheiden. 129
130
5 5 Unternehmen,
Kapital und
Recht
167
eingehen. Sie markieren Grenzen, von wo ab die Unternehmensfortführung durch den aktuellen Unternehmensträger in Frage steht. Eine wichtige Rolle spielen hier Kapitalstrukturregeln, die zunächst aus ökonomischer Sicht Aufmerksamkeit fordern.
2. Kapitalstrukturregeln
und
Bilanzanalyse
Die Finanzierungstheorie ist bemüht, praktisch verwertbare Maßstäbe für die Finanzierung und damit für die Kapitalstruktur von Unternehmen zu entwickeln. Neben der gesonderten Betrachtung des Verhältnisses von Eigenund Fremdkapital auf der Passivseite der Bilanz geht es vor allem um die Finanzierung des Vermögens, also die Beziehungen zwischen den Bilanzgrößen „Vermögen" (Aktiva) und „Kapital" (Passiva).132 Die Suche nach Kapitalstrukturregeln hat Tradition. Schon im Jahre 1854 formulierte Hübner133 unter dem Eindruck größerer Konkurse von Banken das Prinzip der Fristenkongruenz: Kurzfristig gebundenes Kapital soll nur für kurzfristige Kredite verwandt und langfristige Kredite sollen nur aus langfristig gebundenem Kapital finanziert werden (sog. „Goldene Bankregel"). Danach sind in Wissenschaft und Praxis zahlreiche Finanzierungsregeln formuliert worden. Sie treffen unter bestimmten Gesichtspunkten Aussagen für die Wahl von Finanzierungsformen zur Deckung eines bestimmten kurz- oder langfristigen Kapitalbedarfs. Die verschiedenen Ansätze zielen unter Annahme der Unternehmensfortführung ( g o i n g concern) regelmäßig auf die Sicherung der Liquidität; nur einige seien hier genannt. Entsprechend der Goldenen Bankregel wird als allgemeine Bilanzregel gefordert, Anlagevermögen und anlageähnliches Umlaufvermögen (z.B. durchschnittlicher Lagerbestand an Vorräten) durch langfristiges Kapital (Eigenkapital und langfristiges Fremdkapital) zu finanzieren; für das (sonstige) Umlaufvermögen erscheint kurzfristige Kreditfinanzierung (Fremdkapital) passend, wobei teilweise ein Verhältnis von mindestens 2 : 1 gefordert wird. Neben der Maximalbelastungsregel, die ausgerichtet an der Goldenen Bankregel und der Anlagepolitik der Banken Regeln der Finanzierung aus der Prognose möglicher Liquidationsverluste ableitet, arbeitet die dynamische Verschuldensregel wie folgt prognostisch: Die Nettoverbindlichkeiten des Unternehmens sind in drei Jahren aus dem Kapitalfluß (casb flow) getilgt, wenn dieser mindestens konstant bleibt und die Nettoverschuldung sich nicht wesentlich ändert; daher sollen die Nettoverbindlichkeiten das Dreifache des Kapitalflusses nicht überschreiten.134 Dem existenzgefährden132 133
Systematische Artenübersicht bei Härle, Finanzierungsregeln, S. 23 ff. O. Hühner, Die Banken, Leipzig 1854, S. 28, zitiert nach Härle, Finanzierungsregeln,
S. 31. 134 Zu beiden Ansätzen Albach, „Finanzierungsregeln" und Kapitalstruktur der Unternehmung, in: Christians, Finanzierungshandbuch, S. 599, 603 ff.
168
Teil II:
Grundlagen
der Finanzierung
in rechtsvergleichender
Siebt
den Insolvenzgrund der Ü b e r s c h u l d u n g (wo Verluste das Eigenkapital übersteigen und das Fremdkapital angreifen) gilt das Prinzip der risikoentsprechenden Finanzierung. D a n a c h ist eine Finanzierung mit Eigenmitteln in einem U m f a n g geboten, der „alle eventuellen künftigen Verluste" abzudecken vermag. 1 3 5 Diese und andere Finanzierungsregeln werden im Schrifttum unterschiedlich ausgestaltet und interpretiert; für Einzelheiten ist auf die Spezialliteratur zu verweisen. 1 3 6 Einzeln betrachtet ist der Aussagewert der über solche Finanzregeln gew o n n e n e n Kennzahlen gering. Ö k o n o m i s c h e T h e o r i e und Praxis setzen daher auf Kennzahlensysteme, die unter bestimmten Aspekten eine Mehrzahl von Kennzahlen kombinieren; genannt sei hier nur das D u - P o n t - S y s t e m of Financial C o n t r o l , das auf der Rentabilität des Kapitaleinsatzes (return ort Investment) gründet. 1 3 7 D a n e b e n sind als neuere bilanzanalytische A n s ä t z e die verschiedenen Verfahren sogenannter Diskriminanzanalyse zu nennen. Sie verarbeiten empirisches Datenmaterial einer Vielzahl von U n t e r n e h m e n in mathematisch-statistischen Verfahren und zielen darauf, Kriterien zur F r ü h erkennung von insolvenzgefährdeten U n t e r n e h m e n zu gewinnen. 1 3 8 I m K e r n soll damit die Kreditfähigkeit und damit der G r a d „möglicher" Finanzierung eines bestimmten U n t e r n e h m e n s mit „Fremdkapital" ermittelt werden. H i e r wirkt die schon in der Einführung aufgezeigte ambivalente N a t u r von Fremdkapital, damit einerseits U m s a t z und Rentabilität steigern und andererseits Unabhängigkeit verlieren zu k ö n n e n bis hin zur E r ö f f n u n g eines Insolvenzverfahrens: „ D a z w i s c h e n liegt eine Z o n e der Ungewißheit. Irgendwo und irgendwann m u ß [bei weiterer Fremdkapitalaufnahme] der Vorteil in den Nachteil umschlagen" 1 3 9 . D i e kritische Vorlaufzone bis z u m Scheitelpunkt prognostizieren zu k ö n nen, geben Finanzanalysten vor. I m wissenschaftlichen Schrifttum liegen empirische U n t e r s u c h u n g e n vor, die anhand solcher Diskriminanzanalyse die T h e s e der erhöhten Insolvenzgefahr von U n t e r n e h m e n mit „niedriger" E i genkapitalausstattung zu belegen scheinen. 1 4 0 D i e Praxis setzt entsprechende, computergestützte Verfahren bei Bonitätsanalysen zur Krisenfrüherkennung 135 Härle, Finanzierungsregeln, S. 111; dort, S. 112ff., zur Berücksichtigung des Prinzips in Finanzierungsregeln. Zum Rechtsbegriff der Überschuldung gleich in III. 136 Übersicht unter finanzanalytischem Aspekt bei Perridon/Steiner, Finanzwirtschaft der Unternehmung, S. 529ff.; allgemein die immer noch lesenswerten Ausführungen von Härle, aaO. 137 Mit Übersichten zu Kennzahlensystemen Küting/Weber, Die Bilanzanalyse, S. 27ff. und Perridon/Steiner, S. 564 ff. 138 Genannt seien die Kennzahlensysteme nach Beaver, Weibel und Baetge/Huß/Niehaus\ dazu Perridon/Steiner, S. 501 ff. und Küting/Weber, Bilanzanalyse, S. 351 ff. 139 Sandig, Finanzierung mit Fremdkapital (1. Auflage 1965, S. 29), nach Vormbaum, Grenzen der Fremdfinanzierung, in: FS Sandig 1981, S. 425, 428f. 140 Siehe nur Albacb/Hunsdiek/Kokalj, Finanzierung mit Risikokapital, S. 49ff.; dazu Besprechung von Drukarczyk, ZfB 58 (1988), S. 1118ff.; zur „Eigenkapitallücke"-These oben § 1 A II 2 d.
5 5 Unternehmen,
Kapital
und
Recht
169
und Klassifikation von Unternehmen nach Güte- und Risikoklassen ein.141 Entsprechend der Einstufung bemißt der Kreditgeber die Anforderungen an das Unternehmen für (weiteren) Kredit wie etwa zusätzliche interne Informationen über die Lage, Risikoprämie, Sicherheiten. 3.
Kritik
Uns interessiert noch, wie kritisch Fachvertreter solche aus den Vereinigten Staaten von Amerika zunehmend auch in Deutschland verbreiteten Frühwarnsysteme beurteilen. Im neueren deutschsprachigen Schrifttum warnt besonders nachhaltig Dieter Schneider. Er sieht in durch statistische Bilanzanalyse und Wahrscheinlichkeitsrechnung gewonnenen „Informationssystemen" zur finanziellen Gefährdung eines Unternehmens keine verläßliche Hilfe für einzelne Finanzierungsmaßnahmen. 142 Pointiert gefaßt ist sein Ansatz, „die Kritikfähigkeit gegenüber dem Phrasenhaften (auch und gerade, wenn es im mathematischen Gewände einherschreitet) und die Nichtswürdigkeit unbegründeter Schlüsse von der Vergangenheit auf die Zukunft bloßzustellen" 143 . Abweichend von der allein tatsächlich gesichert erscheinenden Erkenntnis über die Zukunft, daß wir die mathematisch-logisch erzwungenen Bedingungen für eine Anwendung der Wahrscheinlichkeitsrechnung auf Einzelentscheidungen empirisch nicht erfüllen können, gründeten Frühwarnsysteme auf dem Glauben der „Berechenbarkeit" der Zukunft über quantitative Wahrscheinlichkeiten. 144 Der Finanztheorie mangelten hinreichend bestätigte Finanzierungshypothesen über Gesetzmäßigkeiten zwischen den vergangenheitsbezogenen Jahresabschlußzahlen und Konkurswahrscheinlichkeiten ebenso, wie die Testbarkeit modellmäßig abgeleiter Regeln noch fraglich sei.145 Statistische Jahresabschlußanalysen könnten modellhaft erarbeitete Finanzierungshypothesen weder ersetzen noch begründen und gäben keine Rechtfertigung für die als Verdichtung gedachte Unterdrük-
141 Über Bewertungsagenturen unten in § 8 A III 4. Ein neueres Klassifikationsprojekt mit dem Anspruch, die Aussagefähigkeit bisheriger Ansätze durch innovative, „intelligente" Kennzahlen zu übertreffen, zeigt Dagmar Hüls, Früherkennung insolvenzgefährdeter Unternehmen, Düsseldorf 1995; vgl. Parsley, The rorac [return on risk-adjusted capital] revolution, Euromoney Oct. 1995, 36ff. 142 Eingehend D. Schneider, Investitionen, S. 601, 603-614 (fast wörtlicher Abdruck ders., in: DB 1985, S. 1489ff.); hier im Text wiedergegebene Passagen im Original teilweise kursiv. Kritisch etwa auch (m. Nachw.) Ballwieser, WPg 1987, 57, 59, 66f.; Küting/Weber, Bilanzanalyse, S. 370f.; im älteren Schrifttum bereits scharfsinnig kritisch Lohmann, WPg 1959, S. 141 ff.; beachte dazu unten in § 6 A II 2. 143 Schneider, DB 1985, 1489. 144 Schneider, Investitionen, S. 603. Zur Wahrscheinlichkeitslehre unten in § 7 C V, zur „Berechenbarkeit" in § 10 B I, II. 145 AaO., S. 610. Das „Theoriedefizit" unterstreichen auch Küting/Weber, Bilanzanalyse, S. 370, als zentralen Kritikpunk.
170
Teil II: Grundlagen
der Finanzierung
in rechtsvergleichender
Sicht
kung von Einzelinformationen aus dem Jahresabschluß durch Bündelung von Kennzahlen. 146 Schneider resümiert sein Urteil über solche Prognosen für einzelne Unternehmen in der dem Wissenschaftstheoretiker Imre Lakatos entlehnten Rhetorik, „ob die Funktion von statistischen Techniken in den Sozialwissenschaften nicht vor allem darin besteht, daß sie einen Mechanismus liefern, der Scheinbestätigungen und den Anschein ,wissenschaftlichen Fortschritts' an Stellen produziert, w o sich in Wirklichkeit nur pseudointellektueller Mist anhäuft" 147 . Der Kritik ist widersprochen. Baetge und Niehaus halten entgegen, Ziel der statistischen Jahresabschlußanalyse sei Frühwarnung und nicht Insolvenzprognose; es solle keine zahlenmäßige N o r m subjektives Ermessen ersetzen, sondern das mittels Kennzahlenanalyse gewonnene Frühwarnsignal Ansatz und Ergänzung zu weiteren, umfassenden Unternehmensanalysen unter Einsatz langjähriger praktischer Erfahrungen sein. 1 ? 8 Diesen, den Kern der Schneiderschen Kritik freilich verfehlenden Aspekt sowie die grundsätzliche Aussagefähigkeit der Rechnungslegung und abgeleiteter Kennzahlen beleuchten wir noch. 149
III. Regelungsbeispiele,
besonders
Insolvenzrecht
Zuvor wollen wir schauen, welche Rolle finanzwirtschaftliche Regeln in der Jurisprudenz spielen. Unser Rechtssystem hat Finanzierungsregeln aufgegriffen. Anzuführen ist der an die Goldene Bankregel angelehnte kreditrechtliche Grundsatz II für langfristige Anlagengeschäfte nach den „Grundsätzen über das Eigenkapital und die Liquidität der Kreditinstitute". 150 Weiterhin die Prüfung der Deckungsstockfähigkeit von Industriekrediten durch das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungs- und Bausparwesen unter Einbezug der dynamischen Verschuldungsregel. 151 Zwei zentrale, die Kapitalstruktur von Unternehmen betreffende Rechtsbereiche betrachten wir in dieser Untersuchung näher. Die Frage der sogenannten Gesellschafter-Fremdfinanzierung im Steuerrecht (dazu später suh § 6 A II 2) und hier das neue Insolvenzrecht. Es löst die Konkursordnung von 1877 und die Vergleichsordnung von 1935 ab und vereinigt Konkurs und Vergleich in einem einheitEbenda. AaO., S. 614 (m. Nachw.). 148 Baetge/Niehaus in Coenenberg, Bilanzanalyse nach neuem Recht, S. 69, 86f. (m.w. Nachw.). 149 Unten sub % 6 B I 2; beachte auch § 10 B V. 150 Gemäß §§ 10 Abs. 1 Satz 2, 11 Satz 2 KWG; siehe Bekanntmachung Nr. 1/69 des Bundesaufsichtsamtes für das Kreditwesen vom 20.1.1969, BAnz. Nr. 17, geändert durch Bekanntmachung vom 29.12.1992, BAnz. Nr. 245; Albach, „Finanzierungsregeln" und Kapitalstruktur der Unternehmen, in: Christians, Finanzhandbuch, S. 599, 602. 151 Dazu mit Nachweis Albach, aaO., S. 604 f. 146 147
§ 5 Unternehmen,
Kapital und Recht
171
liehen Insolvenzverfahren. Das Kodifikationswerk der neuen Insolvenzordnung, nach langjährigen Vorarbeiten im Herbst 1994 veröffentlicht, tritt Anfang 1999 in Kraft. 152 Praktisch betreibt jedes Unternehmen seine Geschäfte unter dem Vorbehalt der Rechtsordnung, daß staatlicher Zwang bei mangelhafter Finanzwirtschaft eingreifen kann. Entsprechende Regeln sind allgemein Bestandteil marktwirtschaftlicher Systeme. Letztlich besteht die Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen ein Unternehmen, das seine finanziellen Verpflichtungen nicht mehr erfüllen kann, vom Markt zu nehmen. Dieser traditionelle Hammer des Konkursrechts zielt auf Liquidation restlichen Unternehmensvermögens, um Gläubiger (immerhin teilweise) zu befriedigen. In moderner Wirtschaftsordnung sind regelmäßig „mildere" Institutionen vorgeschaltet, die auf Erhaltung durch Sanierung und Reorganisation funktionsgestörter, notleidendef Unternehmen setzen. 153 In Deutschland diente dazu bislang das Vergleichsverfahren. Angelehnt vor allem an Erfahrungen in den Vereinigten Staaten von Amerika beschreitet das deutsche Reformwerk verstärkt einen als „marktkonform" gepriesenen, auch nach Aussagen der sogenannten „ökonomischen Analyse des Rechts" gestalteten Weg. 154 Was immer das heißen mag: Hier 155 ist entscheidend, daß weiterhin für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein auf die finanzwirtschaftliche Lage im Einzelfall bezogener Eröffnungsgrund vorliegen muß (§ 16 InsO). Die Insolvenzordnung nennt drei Tatbestände. Erstens den allgemeinen Grund der „Zahlungsunfähigkeit", wenn der Schuldner nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen ( § 1 7 InsO). Zweitens die „drohende Zahlungsunfähigkeit", wenn er „voraussichtlich" 156 bei Fälligkeit seiner Zahlungspflichten nicht leistungsfähig sein wird ( § 1 8 InsO). Diese beiden Eröffnungsgründe stellen mithin auf die Liquidität ab. Für juristische Personen tritt als dritter Eröffnungsgrund die „Überschuldung" hinzu. Eine „Überschuldung" liegt nach Legaldefinition vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt ( § 1 9 Abs. 2 Satz 1 InsO). Mit dieser Regelung, die an einschlägigen Normen anderer Gesetze (§ 92 Abs. 2 Satz 2 AktG, § 64 Abs. 1 Satz 2 GmbHG, § 98 Abs. 1 Nr. 2 GenG) orientiert ist, rücken die bilanzierte Kapitalstruktur und Bewertungfragen ins Blickfeld. Das war so schon nach altem
152 Insolvenzordnung vom 5.11.1994, BGBl I S. 2866; zur Reformarbeit Bah, in: Balz/ Landfermann, Insolvenzgesetze, ab S. X X I X . 153 Eingehend in rechtsvergleichender Sicht mit den U S A Flessner, Sanierung und Reorganisation. 154 Dazu Balz, in: Balz/Landfermann, Insolvenzgesetze, besonders S. X X X V I , X X X I X und XLIV-XLV; z u m rechtsvergleichenden Anteil Begründung z u m RegE, abgedruckt bei Balz/Landfermann, aaO., S. 53 f. 155 Kritik der „ökonomischen A n a l y s e des Rechts" unter § 10 B I und II. 156 Vgl. zu diesem Tatbestandsmerkmal der Wahrscheinlichkeit unten § 7 C IV bis VI sowie § 10 B I.
172
Teil II: Grundlagen
der Finanzierung
in rechtsvergleichender
Sicht
Recht. Überschuldung galt bei der Aktiengesellschaft als besonderer Konkursgrund nach § 207 Abs. 1 KO. Dessen Auslegung war umstritten. Allgemein wurde Uberschuldung angenommen, wenn in einer Vermögensbilanz die passivierten Verbindlichkeiten die Aktiva der Gesellschaft übertreffen. Mehrheitlich kristallisierte sich dazu heraus, als Vermögensbilanz eine von den Jahresabschlußregeln abweichende Uberschuldungsbilanz nach zweistufigem Prüfungsverfahren aufzustellen. 157 Wird auf der ersten Stufe eine positive (statt: negative) Prognose über den Fortbestand des Unternehmens getroffen, ist zu Fortführungswerten (statt: Liquidationswerten) zu bilanzieren und scheidet eine Uberschuldung im Rechtssinne aus. Danach ist „Uberschuldung" im Rechtssinne kumulativ die negative Fortbestandsprognose plus eine rechnerische Uberschuldung, die mittels Liquidationswerten festgestellt wird. 158 Dieser Gedanke wirkt modifiziert auch im neuen Recht. Danach dürfen bei der Bewertung des Schuldnervermögens Fortführungswerte (statt: Liquidationswerte) nur angesetzt werden, wenn Unternehmensfortführung beabsichtigt ist und das Unternehmen wirtschaftlich lebensfähig erscheint ( § 1 9 Abs. 2 Satz 2 InsO). 159 Überschuldung kann allerdings auch bei einer positiven Fortführungsprognose vorliegen. Insoweit wandte sich der Gesetzgeber bewußt gegen die bisherige, auch vom Bundesgerichtshof geteilte Mehrheitsmeinung. Das soll vermeiden, daß eine Gesellschaft angesichts mangelnder persönlicher Haftung auch ohne ein die Schulden deckendes Kapital weiter wirtschaftet. 160 Das Deckungskapital ist in einem Überschuldungsstatus zu ermitteln, in dem „Vermögen" und „Schulden" ins Verhältnis gesetzt werden. Beide Begriffe sind im insolvenzrechtlichen Kontext auszulegen. Davon zu unterscheiden ist grundsätzlich die buchmäßige Überschuldung nach Handelsbilanzrecht. Sie liegt vor, wenn das bilanzierte Eigenkapital durch Verluste (Jahresfehlbetrag; Verlustvortrag) aufgebraucht ist und damit die Passivposten die Aktivposten übersteigen (§ 268 Abs. 3 HGB). Folglich können beim Überschuldungsstatus abweichende Einordnungen im Sinne des tradierten bilanziellen Zweiklangs von „Eigenkapital" und „Fremdkapital" auftreten, worauf noch161 für Genußrechtkapital verwiesen wird. Jedenfalls normiert der Überschuldungstatbestand eine Kapitalstrukturregel. Insgesamt ist festzuhalten, daß unter dem gesetzgeberischen Ziel rechtzeitiger Eröffnung eines Insolvenzverfahrens eine Positivprognose über die Lebensfähigkeit des Unternehmens nicht vorschnell zu stellen und das SchuldMit Übersicht H ü f f e r , Aktiengesetz, § 92 Rn. 10-12. BGH, Urteil vom 13.7.1992 - II ZR 269/91, BGHZ 119, 201, 213f.; H ü f f e r , Aktiengesetz, § 92 Rn. 12 (m.w. Nachw.). 159 Begründung RegE (zu § 23, Uberschuldung), bei Balz/Landfermann, Insolvenzgesetze, S. 93; vgl. zum gesetzlichen Merkmal „wahrscheinlich" unten § 7 C IV bis VI sowie § 10 B I. Deutscher Bundestag, Bericht des Rechtsausschusses (zu § 23 Abs. 2, Uberschuldung), bei Balz/Landfermann, aaO. Siehe Anmerkungen in § 11 B I. 157 158
5 5 Unternehmen,
Kapital
und
Recht
173
nervermögen realistisch zu bewerten ist. 162 In diesem Rahmen ist die Kapitalstruktur neben der Liquiditätslage für ein Unternehmen das insolvenzrechtliche Barometer.
D. Finanzierungsfreiheit I.
und
Finanzierungsverantwortung
Rechtsgrundlagen
Unternehmerische Finanzierungsfreiheit trägt privatwirtschaftliches Handeln. Sie ist im Grundsatz anerkannt. D e m Unternehmer steht allgemein frei, über das „ob" und „wie" der Finanzierung eines Unternehmens zu entscheiden. Freilich hat Freiheit einen Zwilling: Verantwortung. Ein Unternehmer übt seine Tätigkeit nicht im Vakuum aus, sondern berührt damit - mehr oder minder - Interessen anderer Personen. Soweit solche Interessen berechtigt und schutzwürdig sind, erfordert das angemessenen Ausgleich, der Entscheidungsfreiheiten des einzelnen oder in Gemeinschaft handelnden Unternehmers auch begrenzen kann. Die entsprechende Notbremse des Insolvenzrechts sahen wir gerade. Sie ist Ausdruck der unternehmerischen Verantwortlichkeit. Für die Aktiengesellschaft als Rechtsform unternehmerischer Tätigkeit folgen daraus letztlich zwei Kardinalfragen: Inwieweit ist die unternehmerische Verantwortung bei der Aktiengesellschaft konkretisierbar, und wer ist dort überhaupt Unternehmer? In dem Grundsatzurteil „ B u M A G / W e s t L B " benannte der Bundesgerichtshof im Jahre 1984 den Kerngedanken seiner Rechtsprechung zur Qualifikation von Gesellschafterdarlehen in der G m b H als haftendes Eigenkapital: Es sei die Verantwortung des Gesellschafters für eine ordnungsmäßige Unternehmensfinanzierung. 1 6 3 D e r Gesellschafter als Unternehmer soll das mit der unternehmerischen Tätigkeit einhergehende Finanzierungsrisiko nicht auf dritte Gläubiger abwälzen können, jedenfalls nicht in einer Finanzierungskrise des Unternehmens. Eine solche wird gemeinhin angenommen, wenn mangels Kreditwürdigkeit kein Drittgläubiger zu marktüblichen Konditionen zur (weiteren) Kapitalüberlassung bereit ist. 164 Diesen Verantwortungsgrundsatz übertrug der Bundesgerichtshof rechtsfortbildend auf die Aktiengesellschaft und Aktionärsdarlehen mit spezifischer Ausprägung: Auch angesichts strenger Kapitalerhaltungsnormen im Aktienrecht sei zusätzlicher Begründung RegE (zu § 23, Überschuldung), bei Balz/Landfermann, aaO. B G H , Urteil vom 26.3.1984 - II Z R 171/83, B G H Z 90, 381, 389. Zur herausragenden Bedeutung der unternehmerischen Finanzierungsfreiheit aus steuerlicher Sicht bei Personengesellschaften B F H Großer Senat, Beschluß vom 8.12.1997 - GrS 1-2/95, Z I P 1998,287; dazu B F H E W i R § 4 E S t G 1/98, 365 f. ( L u t t e r m a n n ) . 164 Vgl. B G H , Urteil vom 13.7.1981 - II Z R 256/79, B G H Z 8 1 , 2 5 2 , 2 6 3 , sowie § 32a Abs. 1 Satz 1 G m b H G , der für Eigenkapitalzufuhr auf „die Gesellschafter als ordentliche Kaufleute" abstellt. 162 163
174
Teil II:
Grundlagen
der Finanzierung
in rechtsvergleichender
Sicht
Gläubigerschutz durch Einbeziehung eigenkapitalersetzender Gesellschafterdarlehn nicht grundsätzlich entbehrlich, da diese N o r m e n nicht immer den Verbrauch gebundenen Vermögens und folglich verstärkten Kapitalbedarf verhinderten. An die Einstufung von Gesellschafterdarlehen als haftendes Kapital seien aber allgemein schärfere Bedingungen zu stellen, da vom typischen Erscheinungsbild der Einfluß des einzelnen Aktionärs (namentlich in der Publikumsgesellschaft) rechtlich und tatsächlich begrenzt und seine Bindung an und seine Verantwortung für die Gesellschaft regelmäßig entsprechend geringer sind. 165 Der Bundesgerichtshof zog die Grundlinie für „die Kapitalausstattung einschließende unternehmerische Verantwortung" im Sinne der „Mitverantwortlichkeit für die seriöse Finanzierung der Gesellschaft" bei der aktienrechtlichen Sperrminorität von mehr als 2 5 % Aktienbesitz. Eine solche Beteiligung sei wesentlich, da sie dem Inhaber unter Umständen ein ausschlaggebendes Mitspracherecht bei zentralen Entscheidungen der Hauptversammlung über die Geschicke der Gesellschaft gebe. 166 Diese Betrachtungsweise, bei der im Einzelfall weitere Kriterien ergänzend beiziehbar sind, rief im Schrifttum von Beifall bis Ablehnung ganz unterschiedliche Reaktionen hervor. Sie verstärkte die schon ältere Diskussion um das Finanzierungsverhalten „ordentlicher Kaufleute", die Frage eines Systems von „Grundsätzen ordnungsmäßiger Unternehmensfinanzierung" sowie die Idee einer „Folgeverantwortung" der Gesellschafter, die aus mangelnder Kapitalausstattung mit Eigen- oder Fremdkapital erwachsen soll. 167 Insofern bleibt eine Passage im Urteil des Bundesgerichtshofes aufschlußreich. D o r t heißt es zum Aktionärsdarlehn: „ ( . . . ) die Behandlung eines Gesellschafterdarlehens als Eigenkapital beruht nicht auf dem Vorwurf, der Gläubiger habe es versäumt, auf eine notwendige Kapitalerhöhung hinzuwirken. I h r G r u n d liegt vielmehr darin, daß ein Gesellschafter sich tatsächlich zur Finanzhilfe entschlossen, für diese aber die für ihn scheinbar weniger riskante F o r m eines Darlehns gewählt hat, o b w o h l die Vermögenslage der Gesellschaft die Zufuhr echten Eigenkapitals erfordert hätte ( . . . ) . Entscheidend ist ( . . . ) nicht die Wahlfreiheit zwischen ei-
B G H Z 90, 381, 387f. und 389. B G H Z 90, 381, 391, unter Verweis auf die Sperrminoritätsregeln in z.B. §§ 19, 20, 21 und 328 (für wechselseitig beteiligte Unternehmen) sowie die steuerrechtliche Definition „wesentlicher Beteiligung" in (derzeit) § 17 Abs. 1 Satz 4 E S t G . Ebenfalls über 2 5 % für eine „wesentliche Beteiligung" fordert § 8a K S t G 1993; dazu unten in § 6 A II 2 b. Die Regeln zum Eigenkapitalersatzrecht der G m b H sollen dagegen bereits bei einer Beteiligung von über 10 vom Hundert am Stammkapital greifen; vgl. nachfolgende Fn. 165 166
167 So Wiedemann, ZIP 1986,1293, 1297; dazu und mit Ubersicht zur Debatte von Gerkan/ Hommelhofj, Kapitalersatz, besonders Rn. 1.45ff., 1.49ff. Inzwischen forderte der Handelsrechtsausschuß des Deutschen Anwaltvereins - wie für die Novelle des Eigenkapitalersatzrechts durch Art. 2 Kapitalaufnahmeerleichterungsgesetz bei der G m b H (vgl. dort aber vorstehende Fn.) im Frühjahr 1998 - auch bei der Aktiengesellschaft eine neue Gesetzesnorm (§ 57a AktG), daß Beteiligungsquoten bis 25 vom Hundert am Grundkapital nicht den Eigenkapitalersatzregeln unterliegen; Stellungnahme in N Z G 1998, 56, 57 und 58 f.
§ 5 Unternehmen,
Kapital und
Recht
175
ner Kapitalerhöhung und einer Finanzierung durch Darlehn, sondern zwischen einem finanziellen Beitrag überhaupt mit dem Risiko seiner Inanspruchnahme als haftendes Kapital und dem Absehen von jeglicher Finanzhilfe, was zu einer sofortigen, für die Gläubiger unter Umständen günstigeren Liquidation der Gesellschaft führen kann." 1 6 8
Dieser Ansatz befremdet in seiner Zweischneidigkeit. Praktisch befördert er die Abneigung (potentiell) wesentlich beteiligter Aktionäre, in - oder vielleicht schon im Vorfeld - einer Krise der Gesellschaft überhaupt noch in irgendeiner F o r m weiteres Kapital bereitzustellen. 1 6 9 Damit kann eine Krise geradezu herbeigeführt, zumindest aber vertieft werden. Wer, wenn nicht der wesentlich beteiligte Aktionär, soll denn in einer kritischen Situation die G e sellschaft finanziell stützen? Bekanntlich ist schnelle Hilfe doppelte Hilfe, die Schlimmeres - sprich: hier die Einleitung eines Insolvenzverfahrens - nachhaltig abwenden kann. Dagegen ist regelmäßig sowohl für den einzelnen Gläubiger wie gesamtwirtschaftlich fraglich, ob sofortige Liquidation tatsächlich die bessere Lösung bietet. Erst auf die Beine gestellt, wird die Diskussion sinnvoll: Besteht unternehmerische Verantwortung, dann besteht im Grundsatz auch Finanzierungsverantwortung. Freilich ist damit die Schwierigkeit verknüpft, einen rechtsfesten Kanon objektivierbarer Regeln aufzustellen. 170 Unabhängig davon können wir hier jedenfalls den maßgebenden Fixpunkt festhalten: Innerhalb der bei einem Unternehmen versammelten Wagnisgemeinschaft der Kapitalgeber muß eine Finanzierungsverantwortung wesentlich den gesellschaftsrechtlich organisierten Aktionären vor den Gläubigern der Aktiengesellschaft zugeordnet werden.
II. Verlustbeteiligung
von
Genußrechtkapital
Dieser Fixpunkt ist entscheidend für die Frage der Verlustbeteiligung von Genußrechtkapital. Wir zeigten oben 1 7 1 bereits die Bedeutung der Ergebnisbeteiligung und stellten fest, daß grundsätzlich auch Nichtgesellschafter am Ergebnis der Gesellschaft beteiligt werden können. Genußrechtinhaber sind B G H Z 90, 381, 390. Vgl. dagegen insoweit zutreffend § 32a Abs. 3 G m b H G nach Art. 9a des Kapitalaufnahmeerleichterungsgesetzes, der in der Krise der Gesellschaft zum Zwecke der Uberwindung der Krise erworbene Geschäftsanteile von den Regeln über den Eigenkapitalersatz freistellt; dazu Begründung des Rechtsausschusses vom 4.3.1998, BT-Drs. 13/10038, S. 28. 170 Dazu noch in § 6 A I und II sowie in § 10 B III bis V; beachtlich sehen daher von Gerkan/Hommelhoff, Kapitalersatz, Rn. 1.61, die „Finanzierungsverantwortung" als „schwerlich zum deduktionsfähigen Obersatz" entwickelbar und (Rn. 1.55) die im Text zitierte Passage des B G H als bewußte Einschränkung gegenüber der in Begriffen wie „Finanzierungsverantwortung" und „Verantwortung für eine ordnungsmäßige Unternehmensfinanzierung" verborgenen „Schubkraft". 171 Besonders in II 4 und 5. 168
169
176
Teil II:
Grundlagen
der Finanzierung
in rechtsvergleichender
Sicht
als solche der Genußrechte gewährenden Gesellschaft nicht gesellschaftsrechtlich verbunden. Gleichzeitig ist die Gewinnteilhabe konstitutives Genußrechtselement. 172 Was derart für die - aus Sicht des Genußberechtigten positive Ergebnisteilhabe gilt, ist nicht auf Verlustbeteiligungen als negative Ergebnisteilhabe übertragbar. Verlustbeteiligung ist kein konstitutives Genußrechtselement. Sie kann aber in einem bestimmten Rahmen vertraglich vereinbart werden. Grundsätzlich markieren folgende Eckpunkte den Vertragsspielraum. Die Verlustbeteiligung eines Genußscheininhabers ist auf die Höhe seiner Genußrechtkapitaleinlage (= Nennbetrag [plus Agio]) beschränkt; sie ist in das Gesellschaftsvermögen einzubringen, das allein den (vorrangigen) Gläubigern haftet.173 Im Genußrechtsverhältnis (also gegenüber Unternehmensträger und Gesellschaftern) haftet das bilanziell ausgewiesene Eigenkapital letztlich zwingend vor dem Genußrechtkapital, soweit nicht eine rechtlich begrenzt gleichrangige Haftung möglich und vereinbart ist. Die später174 noch spezifizierte Vorrangigkeitsstruktur ist beiderseits interessengerecht. Mit der Ausgabe von Genußrechten bietet die gewährende Gesellschaft in der Sitzordnung der Wagnisgemeinschaft „Kapitalgeber eines Unternehmens" einen Platz außerhalb des Gesellschafterkreises an. Die Investoren in Genußrechte nehmen diesen Platz als Gesellschaftsgläubiger ein, bar unternehmerischer Verantwortung. Eine andere Bewertung kommt in Betracht, wenn der Genußkapitalgeber auch Gesellschafter ist.
Dazu oben § 4 B II 1 und III 5. Insofern entspricht die Position § 1 Abs. 1 Satz 2 A k t G ; zur Auffüllung verlustbeteiligten Genußrechtkapitals unten in § 11 B I. 174 Ab § 11 A II (m.w. Verweisen). 172
173
§ 6 Eigenkapital im deutschen Bilanzrecht und Rechtsvergleichung Wir haben Kapital einleitend bezeichnet als „Geld für Investitionszwecke". 1 Die Kapitalgeber eines Unternehmens stellen es bereit. Sie bilden die beschriebene2 Wagnisgemeinschaft in einer bunten Welt, wo „Risiko" die ebenso ungewisse wie dominierende Größe bei der Finanzierung von Unternehmen ist. Die weiteren Betrachtungen zeigten verschiedene Unternehmensformen, namentlich die Aktiengesellschaft, und in einem ersten Blick das inzwischen breite Spektrum einzelner Finanzierungsinstrumente als Antwort des Lebens: Das alles sind Mittel, Risiken zu begrenzen und über den Marktpreis in ein als angemessen empfundenes Verhältnis zu Nutzen und Chance zu setzen. Die dazu von den jeweiligen Vertragsparteien getroffenen Entscheidungen schaffen individuell eine Risikohierarchie des im Unternehmen arbeitenden Kapitals. Dabei zeigte sich bereits das Bilanzrecht als Nukleus des Gesellschafts- und Kapitalmarktrechts. Letztlich aus haftungsrechtlicher Sicht steht traditionell die bilanzrechtliche Kategorie „Eigenkapital" im Zentrum des juristischen und wirtschaftswissenschaftlichen Diskurses über Finanzierungsfragen - auch bei dem für Genußrechte geleisteten Kapital (Genußrechtkapital). Das begriffliche Verständnis von „Eigenkapital" ist freilich vielfältig. Wir setzen daher beim Eigenkapitalbegriff im deutschen Bilanzrecht an (sub A) und schlagen dann den Bogen zum rechtsvergleichenden Untersuchungsgang (B).
A. Ausgangslage beim I. Eigenkapital
und Fremdkapital
Eigenkapitalbegriff mit
Eigenkapitalfunktion
Das Eigenkapital umfaßt nach einer im betriebswirtschaftlichen und im rechtswissenschaftlichen Schrifttum verbreiteten Ansicht die dem Unternehmen von den Eigentümern (Anteilseignern) von außen zugeführten oder durch Verzicht auf Gewinnausschüttung innen belassenen Mittel, die zeitlich unbegrenzt zur Verfügung stehen.3 Dieser auf den ersten Blick klar und ein' Oben sub § 1 A II 1. Oben in § 5 . 3 Für alle zunächst Coenenberg, Jahresabschluß und Jahresabschlußanalyse, S. 163 und Großfeld, Bilanzrecht, Rn. 311; Wiedemann, Gesellschaftsrecht, S. 554, stellt zusätzlich auf die Überlassung gegen Gewinnbeteiligung ab. 2
178
Teil II:
Grundlagen
der Finanzierung
in rechtsvergleichender
Sicht
deutig erscheinende Eigenkapitalbegriff weist genau betrachtet trübe Stellen auf; weiterhin vertreten andere Stimmen auch abweichende Definitionen. Die verschiedenen Ansätze betreffen die Finanzierung mit Genußrechtkapital. Greifen wir erst die kontroverse Diskussion auf. Zentral steht die Abgrenzung von „Eigenkapital" gegenüber „Fremdkapital". Allein aus dem betriebswirtschaftlichen Schrifttum benennt Peter Swoboda fünf verschiedene Gruppen4, wonach Eigenkapital definiert wird: (1) als - nach der gerade genannten Ansicht - von den Eigentümern zur Verfügung gestelltes Kapital; (2) als Kapital mit gewinnabhängiger Vergütung; (3) als Kapital mit Anspruch auf ein Auseinandersetzungsguthaben; (4) als haftendes Kapital oder (5) als Kapital, das durch Herrschaftsrechte, Vermögensrechte (Anteil am Liquidationserlös) und Gewinnanspruch gekennzeichnet sei. Ergänzend sei Dieter Schneider angeführt. Er handhabt ein ökonomisches Meßziel „Eigenkapital" als möglichst strukturgleiche, zahlenmäßige Abbildung und Abgrenzung der Eigenkapitalausstattung des Unternehmens gegen dessen Ausstattung mit Fremdkapital (Verschuldung) als betriebswirtschaftliche Sachverhalte.5 Beide Autoren erörtern die Abgrenzungskriterien.6 Swoboda setzt als Prüfungsmaßstäbe die Eindeutigkeit der Zuordnung, die Manipulationsfähigkeit der Zuordnung mittels geringfügiger formeller Vertragsanpassung sowie den Informationsgehalt der Zuordnung über die (Finanzierung der) Unternehmung und stellt bei allen Eigenkapitaldefinitionen einen oder mehrere Mängel fest.7 Im Tenor ist durchweg Manipulierbarkeit der Grund, aus dem jeweils auch ein geringer Informationsgehalt abgeleitet wird. Schneider, der zu ähnlichen Ergebnissen kommt, differenziert weitergehend zwischen der Eigenkapitalausstattung als Verlustpuffer aus Sicht der Unternehmensleitung und dem Risikokapital als Verlustpuffer nach Einschätzung der einzelnen Investoren.8 Klare Zuordnung im Einzelfall ist damit freilich ebenfalls nicht garantiert. Schneider'' resümiert insoweit, angesichts der Vielfalt von Finanzierungsverträgen sei eine eindeutige Grenzziehung zwischen der einen „Verlustpuffer" verkörpernden Eigenkapitalaustattung und der einen solchen „Verlustpuffer" erfordernden Verschuldung unmöglich. Rückblickend auf die schon angesprochenen Finanzierungsregeln ist das ein beachtlicher Aspekt. Neben Fehlerquellen bei der Beurteilung von Unternehmen wie die im Einzelfall zahlreichen Geschäfte außerhalb der Bilanz (Kreditzusagen, Rediskontierung von Wechseln, Haftungsverhältnisse, AktiSwoboda, FS Wittmann 1985, S. 343, 344 ff. (m.w. Nachw.). Investition, S. 42 ff. * Schneider, Investition, S. 47ff., gliedert bei der Eigenkapitalausstattung (versus Fremdkapitalausstattung) in: der Investor erhalte einen Restbetragsanspruch (Festbetragsanspruch), das Kapital stehe unbefristet (befristet) zur Verfügung, hafte (hafte nicht) und sei mit (ohne) Verfügungsmacht verknüpft. 7 Swoboda, FS Wittmann 1985, S. 347ff. 8 Schneider, Investition, S. 53; zu seinen Ergebnissen näher aaO., S. 47ff. 9 Ebenda, S. 53. 4
5
5 6 Eigenkapital
im deutschen
Bilamrecht
und Rechtsvergleichung
179
enoptionen, Swaps etc.) oder ebenso aus der Bilanz nicht erkennbare Finanzierungshilfen wie staatliche Bürgschaften und zinsgünstige öffentliche Kredite wird hier ein weiteres Fehlerpotential sichtbar. Die Zuordnung einzelner Finanzierungsformen zum Eigenkapital oder zum Fremdkapital verändert die Aussage über die Einhaltung von Kapitalstrukturregeln. Dieses Fehlerpotential ist erheblich. Einmal weil zunehmend problematisch erscheinende Mischformen des Fremdkapitals mit traditionellen Eigenkapitalfunktionen wie Haftung, Beteiligung an Gewinn und/oder Liquidationserlös auftreten. Vor allem aber, weil die Zuordnung der im Spektrum zwischen (reinem) Eigenkapital und (reinem) Fremdkapital gewählten Mischform regelmäßig an der finanzvertraglichen Gestaltung im Einzelfall hängt. Damit schwindet die Basis überkommener, generalisierender Regeln der Finanztheorie und - was zunächst festzuhalten ist - steigen die methodischen Anforderungen an die Bilanzanalyse. Das betriebswirtschaftliche Schrifttum arbeitet mithin bei den verschiedenen Eigenkapitaldefinitionen durchweg auch und vor allem mit rechtlichen Bezugsgrößen wie Eigentümerstellung und anspruchs- oder haftungsrechtlichen Qualitäten des begebenen Kapitals. Das unterstreicht unsere Feststellung, daß die Abgrenzung letztlich eine rechtliche und das heißt insbesondere eine bilanzrechtliche Frage ist; sie wird nachfolgend vertiefend geklärt.
II. Bilanzrechtliches
Eigenkapital
Die juristische Diskussion wird von der tradierten, früher bereits angesprochenen dualen Systematik 1 0 beherrscht. Sie gliedert bilanzrechtlich das Kapital eines Unternehmens auf der Passivseite der Bilanz in „Eigenkapital" (§ 272 H G B ) und fremdes Kapital wie Rückstellungen und Verbindlichkeiten, die gemeinhin unter dem Begriff „Fremdkapital" subsumiert werden. Die Definition des bilanziellen Eigenkapitalbegriffs 1 1 ist umstritten. Ein Blick in die Literatur zeigt, daß die Kontroverse um zwei Ansätze kreist: einen engeren „formellen" Eigenkapitalbegriff (dazu gleich in 1) und die weitere Idee „materiellen" oder funktionalen Eigenkapitals (dazu 2 und 3).
1. Formeller Ansatz und
Gesetzesnormen
D e r formelle Ansatz stellt bei der Abgrenzung von Eigenkapital und Fremdkapital einem überkommenen Verständnis entsprechend auf die Rechtsform 10 Siehe etwa § 131 A k t G 1937 (gründend auf der Aktienrechtsnovelle von 1931), § 151 Abs. 1 A k t G 1965 sowie den geltenden § 266 Abs. 3 H G B . " Daneben wird noch gesprochen vom rechnerischen Eigenkapital (= ausgewiesenes Eigenkapital + Teile der Sonderposten mit Rücklageanteil), das addiert mit den stillen Rücklagen als effektives Eigenkapital bezeichnet wird; siehe Großfeld, Bilanzrecht, Rn. 311.
180
Teil II: Grundlagen
der Finanzierung
in rechtsvergleichender
Siebt
der Kapitalbegebung ab. Die von den Vertragsparteien für die Unternehmensfinanzierung gewählte Konstruktion ist maßgeblich. Danach sind dem bilanziellen Eigenkapital (also ohne stille Rücklagen) die von den Gesellschaftern auf gesellschaftsrechtlicher Basis zur Verfügung gestellten und stehengelassenen Mittel zugeordnet. Das gilt für Personengesellschaften12 wie für Kapitalgesellschaften und umfaßt bei Aktiengesellschaft und Gesellschaft mbH das Nennkapital (Grund- bzw. Stammkapital) und die Rücklagen. 13 Die schuldrechtlichen Ansprüche der Gesellschafter gegen die Gesellschaft sowie die gesamten schuldrechtlichen Ansprüche Dritter (Nichtgesellschafter) werden dagegen zum Fremdkapital gezählt, wenn ihnen auch eigenkapitalähnlicher Charakter zuerkannt wird. 14 Dieser formelle, unter altem Recht gebildete Ansatz wird auch unter dem neuen Bilanzrecht nach dem Bilanzrichtlinien-Gesetz vertreten.15 Blicken wir auf gesetzliche Grundlagen. Expressis verbis äußern sich im geltenden Recht zur Frage der Zuordnung einzelner Finanzierungsformen zum Eigenkapital einige aufsichtsrechtliche Vorschriften; namentlich § 10 KWG über die Eigenkapitalausstattung der Kreditinstitute und § 53c VAG über die Eigenmittel der Versicherungsunternehmen. Abgesehen von spezialgesetzlichen Regeln bietet das positivrechtlich gesetzte Bilanzrecht für die Lösung der Abgrenzungsfrage wenig Ansatz. Verschiedene Normen des HGB wie der für alle Kaufleute geltende § 247 Abs. 1, der § 268 Abs. 3 (buchmäßige Uberschuldung), der § 301 (Kapitalkonsolidierung im Konzern) sowie besonders die Gliederungsvorschrift § 266 Abs. 3 A und der zugehörige § 272 behandeln zwar Eigenkapital. Große und mittelgroße Kapitalgesellschaften haben danach als Eigenkapital auszuweisen: Gezeichnetes Kapital, Kapitalrücklage, Gewinnrücklagen, Gewinn-/Verlustvortrag und Jahresüberschuß/-fehlbetrag. Dennoch erscheint de lege lata die Abgrenzungsfrage ungeklärt.16 2. Funktionale
Betrachtung
im
Steuerrecht
Daneben besteht die Vorstellung eines materiellen Kapitalbegriffes, der Eigenkapital im Gegensatz zu der formalen Sicht funktional beschreibt {„substance over form"). Die Bezugsgrößen und damit auch die unter diesem An12 Hier ist die Abgrenzung eine Frage der Organisation der Kapital- und Darlehnskonten der Gesellschafter; ausführlich Pauli, Das Eigenkapital der Personengesellschaften, 1989. 13 Für alle K r o p f f , in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, § 151 Rn. 3 und Forschte/Kofahl, in: Beck'scher Bilanz-Kommentar, § 272 Rn. 5 und 8. 14 So etwa K r o p f f , aaO., § 151 Rn. 91 (für Pensionsrückstellungen). 15 Siehe nur Groh, BB 1993, S. 1882, 1892 und ders., BB 1995, 559f. unter Rückgriff auf BFH Urteile vom 5.2.1992 - 1 R 127/90, BFHE 166,356 (betr. kapitalersetzendes Darlehn) und 30.3.1993 - IV R 57/91, BFHE 170, 449 (betr. Rangrücktritt). 16 Für alle Karsten Schmidt, FS Goerdeler 1987, S. 487, 494; Küting/Kessler, BB 1994, 2103, 2104 (m.w. Nachw.).
§ 6 Eigenkapital im deutschen Bilanzrecht und Rechtsvergleichung
181
satz formulierten Eigenkapitaldefinitionen sind verschieden. Die Diskussion funktionaler Eigenkapitalbegriffe entstammt dem Steuerrecht. Gesellschafter können ihrer Kapitalgesellschaft wegen des Trennungsprinzips neben gesellschaftsrechtlichen Einlagen auch Kapital in schuldrechtlicher Form zuführen, namentlich über Darlehn. Die traditionelle Kontroverse, wie derartige „Fremd"-Finanzierung von Unternehmen steuerlich zu handhaben sei, ist wohl zeitlos. Da sie für das Handelsbilanzrecht beachtlich ist (dazu in 3), betrachten wir zwei Marksteine der Entwicklung, und zwar steuerbilanzrechtliche Vorgänge im neueren Körperschaftsteuerrecht (dazu b), zunächst aber jene um das frühere Kapitalverkehrsteuergesetz. a)
Kapitalverkehrsteuergesetz
Der Reichsfinanzhof qualifizierte unter dem Reichsstempelgesetz von 1913 Darlehn als Leistungen der Gesellschafter im Sinne von § 3 GmbHG und stellte sie stempelsteuerpflichtig, wenn namentlich die Darlehnsforderung während der Gesellschaftsdauer nicht geltend zu machen oder nur mit dem Geschäftsanteil abtretbar oder das Darlehn wesentliche Voraussetzung für Beginn bzw. Fortführung der Gesellschaft war. 17 Auf dieser Rechtsprechung gründete § 6 lit. c des ursprünglichen Kapitalverkehrsteuergesetzes 18 (KVStG) von 1922. Er sollte verhindern, daß einer inländischen Kapitalgesellschaft das für ihre Zwecke erforderliche Betriebskapital steuerfrei durch Gesellschafterdarlehn gewährt wird. 19 Dazu unterzog die Norm die Darlehnsgewährung vor allem dann der Steuerpflicht, wenn sie: (1) eine wesentliche Voraussetzung des Beginns oder der Fortsetzung der Gesellschaft war - das prüfte der Reichsfinanzhof nach einem objektivierten Maßstab - und sich (2) sachlich als Beteiligung an der Gesellschaft darstellte. Dieses zweite Kriterium bereitete besondere Probleme. Der Reichsfinanzhof spitzte sie auf die Frage zu, wann „die Erhöhung des Gesellschaftskapitals das Gebotene gewesen wäre", und traf dazu die Feststellung 20 : „Das kann aber keineswegs überall schon dort angenommen werden, w o ein Dauerkredit gewährt wird, der zur Fortführung der Gesellschaft erforderlich erscheint. Die moderne Wirtschaft ist auf dem Kredit aufgebaut, und es gibt kaum ein größeres Unternehmen, das sich aus Gründen eines rationellen Betriebs nicht dauernd der Inanspruchnahme von Kredit bediente. Wie ein geschäftliches Unternehmen sich unter Umständen ausschließlich mit Kredit aufbauen kann, ohne eigenes Betriebskapital zu besitzen, so liegt in der dauernden Inanspruchnahme des Kredits seitens einer Gesellschaft keineswegs schon der Beweis, daß sie eines entsprechenden Betriebskapitals bedürftig sei und der Kredit bestimmt sei, dieses Bedürfnis zu befriedigen. Als sachliche Beteiligung an der 17 RFH Urteil vom 12.5.1923 - II A 54/23, RFHE 12, 125, 126f., ständige Rspr. nach Reichsstempelgesetz vom 3.7.1913, RGBl. S. 544 (und späteren Fassungen). 18 Vom 8.4.1922, RGBl. I S. 335, 354. 19 Gesetzesbegründung mit Ausschußberatung, angeführt in RFHE 12, 125, 126. 20 RFH Urteil vom 9.7.1926 - II A 250/26, RStBl. 1926 S. 302 f.
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Teil II: Grundlagen
der Finanzierung
in rechtsvergleichender
Sicht
Gesellschaft aber kann eine Kreditgewährung seitens des Gesellschafters sich nur darstellen, wenn sie nach der Ansicht der Beteiligten bestimmt ist, die Neubildung von Grundoder Stammkapital zu ersetzen."
D e r Reichsfinanzhof benannte mithin für die Prüfung zwar die subjektive Auffassung der Beteiligten als entscheidend. Die Erforschung der Willensrichtung aber, faktisch nur an objektivierten Punkten festmachbar, mündete folglich in die gleichen Erwägungen wie beim ersten Kriterium. War die Darlehnsgewährung eine „wesentliche Voraussetzung" des Beginns oder der Fortführung der Gesellschaft, wertete sie der Reichsfinanzhof daher im Sinne einer tatsächlichen Vermutung auch sachlich als Beteiligung an der Gesellschaft. Es sei denn, im einzelnen Falle sprachen besondere Umstände dagegen. 21 Wegen seiner Anwendungsprobleme ist § 6 lit. c K V S t G 1922 allgemein bemängelt und schließlich durch § 3 K V S t G 2 2 1934 ersetzt worden. Absatz 1 Satz 1 der jüngeren Vorschrift versuchte, den Steuertatbestand objektiv zu formulieren. Die Gewährung von Darlehn an eine inländische Gesellschaft durch einen Gesellschafter unterlag danach der Gesellschaftsteuer, wenn „die Darlehnsgewährung eine durch die Sachlage gebotene Kapitalzuführung (Beispiele: Kapitalerhöhung, weitere Einzahlungen, Zubußen) ersetzt" 2 3 . Eine Absicht wie bei § 10 Reichsabgabenordnung, durch Mißbrauch von Formen und Gestaltungsmöglichkeiten des bürgerlichen Rechts die Steuer zu sparen, war damit bedeutungslos. Während § 2 K V S t G 1934 die Fälle abdeckte, in denen die Gesellschaft mit „eigenem Kapital ohne Rückzahlungsanspruch ausgestattet wird", erfaßte § 3 Absatz 1 Satz 1 K V S t G 1934 ergänzend die Finanzierung der Gesellschaft mit rückzahlbarem Kapital in F o r m der Gesellschafterdarlehn. 24 Die Varianten der §§ 2, 3 K V S t G 1934 sind als einheitlicher Steuertatbestand in mehrfachen Abwandlungen, nämlich wirtschaftlich als „Zuführung von Gesellschaftskapital" verstanden worden. 2 5 D e r Gesetzgeber legte § 3 K V S t G ausdrücklich die Erkenntnis des Reichsfinanzhofs zugrunde, wonach der frühere § 6 lit. c K V S t G 1922 als Ersatztatbestand nur solche Fälle einer Darlehnsgewährung treffen soll, in denen die Erhöhung des Gesellschaftskapitals das wirtschaftlich Gebotene gewesen wäre; der neue Tatbestand sollte aufgrund seiner allein „objektiv faßbare(n) Grundlage" die Schwierigkeiten der alten Regelung möglichst beheben. 26 21 R F H E 12, 125, 129. Besondere Beweislast der Gesellschaft folgte daraus nicht, die Steuerbehörde blieb ermittlungspflichtig; R F H Urteil vom 24.4.1926 - II A 184/26, bei Mrozek StR § 6c Nr. 44. 22 Vom 16.10.1934, RGBl. I S. 1058. 23 Satz 2 nahm die Darlehnsgewährung mittels wertpapiersteuerpflichtiger Schuldverschreibungen aus. 24 Begründung zum Kapitalverkehrsteuergesetz, RStBl. 1934 S. 1460, 1465; dort auch zur Kritik an § 6 lit. c KVStG 1922. 25 Kluckhohn, Kapitalverkehrsteuergesetz, Ziffer 12 zu § 3 (S. 70). 26 Begründung zum KVStG 1934, aaO., S. 1466 (m. Nachw. zur RFH-Rspr.).
§ 6 Eigenkapital
im deutschen Bilanzrecht
und
Rechtsvergleichung
183
Es ist müßig, über den Erfolg dieses Anspruchs angesichts der rechtspraktischen Schwierigkeiten mit § 3 Abs. 1 Satz 1 KVStG 1934 zu reflektieren. Die Kardinalfrage lautete nunmehr, wann die Darlehnsgewährung eine „durch die Sachlage gebotene" Kapitalzuführung ersetzt. Das bekannte Abgrenzungsproblem erschien damit lediglich in neuem Gewände. Rechtsanwender suchten nach praktikablen, diesmal „rein" objektiven Maßstäben. Einen solchen sah der Reichsfinanzhof in einem Erkenntnis von 1939 in der schon angesprochenen Finanzierungsregel, das Anlagevermögen und ein Drittel des Umlaufvermögens müßten durch Eigenkapital gedeckt sein. 27 Noch im Jahre 1951 benannte die Oberfinanzdirektion Rheinland-Pfalz 28 diese Formel als Regelfall für die Besteuerung nach dem unverändert weitergeltenden § 3 Abs. 1 KVStG 1934. Die praktischen Verhältnisse nährten Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Norm. Die kontroverse Diskussion darüber zog sich hin bis zu einem Normenkontrollverfahren des FG Freiburg beim Bundesverfassungsgericht, das feststellte: Mit § 3 Abs. 1 KVStG in der Fassung vom 22.9.1955 (BGBl. I S. 590), der mit dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgrundsatz vereinbar sei, „nötigt [der Gesetzgeber] für die juristische Subsumtion zu einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise". 29 Das verankerte den funktionalen Eigenkapitalbegriff. Rechtsvergleichend ist interessant, daß einige Jahre später in Osterreich der Verfassungsgerichtshof den parallelen § 3 österreichisches KVStG für zu unbestimmt befand, um daran eine Steuerpflicht zu knüpfen. 30 b)
Körperschaftsteuerrecht
Das Grundproblem normativer Bestimmung der Eigenkapitalausstattung einer Kapitalgesellschaft als juristische Person blieb auch nach weiteren Kapiteln in dieser „unendlichen" Geschichte. Gehen wir auf den steuerlichen Hintergrund zurück. Ausgangspunkt für die verstärkte Finanzierung von Kapitalgesellschaften durch sogenanntes Gesellschafter-Fremdkapital war, daß Zinszahlungen auf Fremdkapital (z.B. Darlehn) grundsätzlich als Betriebsausgaben den zu versteuernden Unternehmensgewinn mindern (vgl. § 4 Abs. 4 EStG), Dividenden für Eigenkapitalüberlassung dagegen nicht (vgl. § 8 Abs. 3 KStG 1984). Das veranlaßte Anteilseigner zur Kapitalzuführung über Gesellschafterdarlehn, zumal ausgeschüttete Gewinne bis 1977 erst bei der Gesellschaft und dann erneut beim Anteilseigner besteuert wurden. 27 R F H Urteil vom 25.4.1939 - II A 175/38, mitgeteilt in der R u n d v e r f ü g u n g (nachstehende Fn.). 28 In Nr. 5 der Rundverfügung vom 22.2.1951, BB 1951, S. 244f. 29 Beschluß vom 10.10.1961 - 2 BvL 1/59, BVerfGE 13,153, 161. Zur Diskussion etwa Dehatin/Vogel, BB 1957, 639, 641 ff. und Gutachten für das FG Freiburg von Lohmann, W P g 1959, 141 ff. 30 Dazu Friedrich, DB 1969, 2057ff. und B F H Urteile v o m 3.12.1969 - II 162/65, B F H E 98, 59, 67ff., und II R 2/68, B F H E 98, 81, 82f.
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Teil II:
Grundlagen
der Finanzierung
in rechtsvergleichender
Sicht
Erst das körperschaftsteuerliche Anrechnungsverfahren beseitigte diese Doppelbelastung, indem es bei der Einkommensbesteuerung des Anteileigners die bereits gezahlte Körperschaftsteuer gutschrieb (§ 36 Abs. 2 Nr. 3 E S t G 1977). D o c h für beschränkt Steuerpflichtige ohne Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland (§ 4 Abs. 4 E S t G ) blieb es bei der im internationalen Vergleich relativ hohen Ausschüttungsbelastung von 3 6 % K ö r perschaftsteuer. Gleizeitig bot bei ihnen die Gesellschafter-Fremdfinanzierung den Vorteil, daß der von inländischen Kapitalgesellschaften auf Fremdkapital gezahlte (dort als Betriebsausgabe abzugsfähige) Zins keiner deutschen Steuer unterlag. Das nutzten zahlreiche, vor allem in den Niederlanden angesiedelte Investoren, die als nichtanrechnungsberechtigte Anteilseigner wohl 4 0 % des Nennkapitals aller inländischen Kapitalgesellschaften hielten. 31 D e r Ausfall für den deutschen Fiskus war enorm. Bund und Länder scheiterten zunächst mit Gesetzesvorhaben, dem Problem durch einen geänderten § 8 Abs. 3 K S t G oder einen neuen § 8a K S t G zu begegnen. 32 Daher behalfen sich die Finanzverwaltungen mit einem Erlaß des Bundesfinanzministers 3 3 : Bei Kapitalgesellschaften sei Gesellschafter-Fremdkapital als verdecktes Nennkapital zu beurteilen, wenn rechtlich oder wirtschaftlich die Zuführung in F o r m von Gesellschaftskapital zwingend gewesen wäre oder mißbräuchliche Vertragsgestaltung ( § 4 2 A O 1977) vorliege. Das sei regelmäßig der Fall, wenn Nichtanrechnungsberechtigte Fremdfinanzierung vornehmen, obwohl das Eigenkapital wesentlich unter der branchenüblichen Ausstattung liegt, jedenfalls aber dann, wenn das Eigenkapital 10 vom Hundert des Aktivvermögens nicht überschreitet. N a c h Ablehnung im Schrifttum und der Rechtsprechung der Finanzgerichte verwarf im Jahre 1992 auch der Bundesfinanzhof diesen Ansatz. In den Leitsätzen heißt es: „2. Eigenkapitalersetzende Darlehen sind in der Handelsbilanz grundsätzlich als Fremdkapital zu passivieren. Sie sind geeignet, eine Zinsverbindlichkeit gegenüber dem Gesellschafter entstehen zu lassen, die ebenfalls in der Handelsbilanz zu Lasten des G e winns zu passivieren ist. 3. Für den Ansatz eigenkapitalersetzender Darlehen und der dadurch ausgelösten Zinsverbindlichkeit in der Steuerbilanz gilt der Maßgeblichkeitsgrundsatz. 4. Eine steuerliche Gleichbehandlung von eigenkapitalersetzenden Darlehen mit Eigenkapital kann derzeit nicht erreicht werden, auch nicht mit Hilfe des § 42 A O 1977. Soweit das B M F - S c h r e i b e n vom 16. März 1987 ( . . . ) von einer anderen Rechtsauffassung ausgeht, fehlt ihm die Rechtsgrundlage." 3 4 "
Angaben nach Knobbe-Keuk, StuW 1982, 201 (m. Nachw.). Rechtstechnisch werteten alle Entwürfe bei Fremdfinanzierung die Vergütung der Anteilseigner als verdeckte Gewinnausschüttung; Siegel, StuW 1989, 340, 342 (m. Nachw.) und Fassnacht, Fremdfinanzierung von Kapitalgesellschaften durch deren Gesellschafter, Köln 1984. 33 Verwaltungsanweisung vom 16.3.1987 (Betr.: Vedecktes Nennkapital), BStBl. I 1987, 373f. 34 B F H Urteil vom 5.2.1992 - I R 127/90, B B 1992, 676 (mit Anm. W.-D. Hoffmann)-, dort ging es lehrbuchhaft um eine inländische GmbH, deren Gesellschafter alleinigen Wohnsitz in den Niederlanden hatten. 32
§ 6 Eigenkapital
im deutschen Bilanzrecht
und
Rechtsvergleichung
185
Dabei unterstrich der Bundesfinanzhof, daß keiner Bestimmung des (damals) geltenden Körperschaftsteuergesetzes 1984 entnommen werden könne, daß eine Kapitalgesellschaft über das gezeichnete Kapital hinaus mit einer bestimmten Eigenkapitalquote versehen sein müsse; unter Verweis auf zivilrechtliche Grenzen (§§ 30, 31, 32a und b G m b H G ) betonte er die Finanzierungsfreiheit der Gesellschafter. 35 Der Gesetzgeber reagierte angesichts „zunehmenden internationalen Wettbewerbs" und regelte für nach 1993 beginnende Wirtschaftsjahre die Gesellschafter-Fremdfinanzierung bei Kapitalgesellschaften in einem § 8a KStG. 3 6 Die verwickelte Neuregelung ruft zahlreiche Kritik hervor, auch nach Vorlage eines umfangreichen Einführungsschreibens des Bundesministeriums der Finanzen. 37 Allgemein regelt die Vorschrift, daß Vergütungen für Gesellschafter-Fremdkapital an einen wesentlich am Grund- oder Stammkapital beteiligten 38 , nichtanrechnungsberechtigten Anteilseigner unter näheren Vorgaben als verdeckte Gewinnausschüttung gelten. Das Gesetz differenziert, ob die Vergütung in einem Bruchteil des Kapitals bemessen ist (Festzins) oder nicht (flexible Vergütung) und normiert dazu verschiedene Sicherheitsmargen („safe harbors") zur Kapitalstruktur. Flexible Vergütungen sind besonders gewinn- und umsatzabhängige Vergütungen. Sie werden umqualifiziert, soweit zu einem Zeitpunkt im Wirtschaftsjahr das vom Anteilseigner gewährte Fremdkapital ( F K ) die Hälfte des „anteiligen Eigenkapitals" ( E K ) übersteigt (§ 8a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KStG; soweit also F K > [ E K : 2]). Festzins wird umqualifiziert, soweit zu einem Zeitpunkt im Wirtschaftsjahr das gewährte Fremdkapital das Dreifache des anteiligen Eigenkapitals übersteigt (soweit also F K > [ E K mal 3]), es sei denn, die Kapitalgesellschaft nimmt die Mittel für bankübliche Geschäfte auf oder hätte sie zu gleichen Bedingungen von dritter Seite bekommen können (§ 8a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KStG). 3 9 Das „anteilige Eigenkapital" des Anteilseigners (Anteilsquote) als maßgebliche Bezugsgröße ist der von ihm gehaltene Bruchteil am gezeichneten Kapi-
B F H , B B 1992, 676, 679. Art. 2 Nr. 3 Standortsicherungsgesetz vom 13.9.1993, BGBl. I 1993, 1569 = BStBl. I 1993, 774. Der zitierte Passus entstammt der Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drs. 12/ 4487, S. 23. 37 BMF-Schreiben vom 15.12.1994, BStBl. I 1995, 25 (= BStBl. I 1995, 176 und D B Beilage 1/95). Kritisch etwa Meilicke, BB 1994, 117ff.; Bareis, RIW 1994, 141 ff.; Hey, RIW 1995, 304 ff. 38 Wesentliche Beteiligung liegt vor bei über 2 5 % unmittelbaren oder mittelbaren (auch über eine Personengesellschaft gegebenen) Anteil am Nennkapital der Kapitalgesellschaft zu einem Zeitpunkt im Wirtschaftsjahr (§ 8a Abs. 4 KStG); vgl. zur zivilrechtlichen Lage der Unternehmensfinanzierung oben in § 5 D I. 39 Die beiden Sicherheitsmargen sind alternativ. Wird jedoch die Marge nach Nr. 1 nicht ausgeschöpft, kann die Restgröße (multipliziert mit dem Wertigkeitsfaktor 6) auf die Nr. 2 übertragen werden (§ 8a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [letzter HS] KStG; Beispiel bei Herzig, D B 1994, 110 (168), 171 f.). Vgl. die „ratio of debt to equity" bei der „limitation on deduction" für „interest to related persons" in I R C § 163(j); auch unten in § 8 C II 2. 35
36
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Teil II:
Grundlagen
der Finanzierung
in rechtsvergleichender
Sicht
tal der Gesellschaft (§ 8a Abs. 2 Satz 1 KstG). Dazu definiert der Satz 2 „Eigenkapital" als das gezeichnete Kapital abzüglich ausstehende Einlagen, Verlustvortrag und Jahresfehlbetrag (§ 266 Abs. 3 Abschnitt A, § 272 H G B ) in der Handelsbilanz zum Schluß des vorangegangenen Wirtschaftsjahrs sowie zuzüglich Kapitalrücklage, Gewinnrücklagen, Gewinnvortrag und Jahresüberschuß aus der bezeichneten Handelsbilanz und hälftig Sonderposten mit Rücklageanteil (§ 273 H G B ) . Im Einführungsschreiben faßt das Bundesministerium der Finanzen zum Gesellschafter-Fremdkapital „alle als Verbindlichkeit passivierungsfähigen Kapitalzuführungen in Geld, die nach steuerrechtlichen Grundsätzen nicht zum Eigenkapital gehören". 40 Dazu wird auch Genußrechtkapital gezählt, ausgenommen solches im Sinne von § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG. 4 1 Der Gesetzgeber qualifiziert mithin bestimmte, von einer Kapitalgesellschaft auf Gesellschafter-Fremdkapital geleistete Vergütungen um, nicht aber zugrundeliegendes Gesellschafter-Fremdkapital in Eigenkapital. Daher kann die Einordnung von Kapital und darauf gezahlter Vergütung auseinanderfallen: Soweit die Umqualifizierung greift, wird die Leistung auf (zivilrechtliches) Fremdkapital steuerlich wie eine Gewinnausschüttung auf Eigenkapital behandelt. Der Ansatz, das vom Gesellschafter zur Verfügung gestellte Fremdkapital als Verbindlichkeit zu belassen, wirkt auch für die Gliederung des für Ausschüttungen verwendbaren Eigenkapitals. 42 Festzuhalten ist, daß steuerlich im Ergebnis mit der Reformnorm wiederum die wirtschaftliche Betrachtungsweise gesetzlich greift. Die kapitalstrukturell mittels der Sicherheitsmargen fixierten Vorstellungen des Gesetzgebers zielen auf steuerliche Gleichbehandlung, 43 nicht auf betriebswirtschaftliche Stimmigkeit. Jedenfalls hat die Norm Anreizpotential, das Finanzierungsverhalten bei Kapitalgesellschaften zu beeinflussen.
3. Funktionale
Betrachtung
im
Handelsbilanzrecht
Der auf wirtschaftlicher Betrachtungsweise fußende funktionale Eigenkapitalbegriff („materieller Kapitalbegriff") nahm in der Betriebswirtschaftslehre Ausgang. Uber das gerade betrachtete Steuerrecht kam er auch in das BMF-Schreiben vom 15.12.1995, aaO., T z . 44. Ebenda; beachte aber zu § 8 Abs. 3 Satz 2 K S t G unten in § 11 B II. Weiter sind aufgelistet: fest und variabel verzinsliche Darlehen (incl. eigenkapitalersetzende Gesellschafterdarlehen nach § 32a G m b H G und B G H - R s p r . ) , partiarische Darlehen, typische stille Beteiligungen, Gewinnschuldverschreibungen; ebenso als Fremdkapital wird Kapital behandelt, das vergütungslos gestellt ist (auch z.B vereinbarungsgemäß wegen Verlust im maßgebenden Geschäftsjahr). 40 41
42 So ausdrücklich Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 12/ 4487, S. 37. 43 Dazu versagt die N o r m „Fällen überzogener Fremdfinanzierung" die steuerliche Anerkennung und sichert die Einmalbesteuerung der Gewinne inländischer Kapitalgesellschaften; Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 12/4487, S. 36.
§ 6 Eigenkapital
im deutschen
Bilanzrecht
und
Rechtsvergleichung
18 7
Handelsbilanzrecht und beeinflußt zugleich die haftungsrechtliche Diskussion bei Kapitalgesellschaften. 44 Wie wir sahen, dominieren unter diesem normativen Ansatz die tatsächlichen Verhältnisse der Kapitalausstattung gegenüber der rechtlichen Formwahl im Finanzierungsgefüge einer Gesellschaft. Im zivilrechtlichen Bereich stehen die unternehmenserhaltende und die haftungsrechtliche Funktion von Eigenkapital und damit entsprechende Beiträge der Gesellschafter im Mittelpunkt. Die Überlegungen werden im tradierten dualen System „Eigen-/Fremdkapital" geleitet von der Frage, welche Kriterien „Eigenkapital" auszeichnen. 45 Bei der Abgrenzung zum „Fremdkapital" sind gemeinhin Mittelherkunft, Dauerhaftigkeit der Überlassung (Kündigungsrechte!) und Haftungsbeitrag namentlich durch Nachrang im Insolvenzverfahren als maßgeblich für die Zuordnung im Einzelfall hervorgehoben. Dazu bereiten wir zunächst noch die Lage anhand von Genußrechtkapital auf, während auf breiterer rechtsvergleichender Grundlage später 46 Stellung genommen wird.
III.
Einordnungsfragen
beim
Genußrechtkapital
Genußrechte gehören zum Spektrum der hybriden Finanzierungsformen. Genußrechtkapital siedelt mithin im tradierten Ordnungsmuster praktisch zwischen (reinem) Eigenkapital und den Fremdmitteln ohne „Eigenkapitalfunktion". Ansatz und inhaltliche Ausgestaltung des Eigenkapitalbegriffes bestimmen, welcher Kategorie es grundsätzlich beizuordnen ist. Die Zuordnung schwankt seit langem im Steuer- wie im Handelsbilanzrecht. Im vorhin angesprochenen K V S t G 1934 etwa fingierte der Gesetzgeber füherer Übung entsprechend Genußrechte steuerlich „als Gesellschaftsrechte an Kapitalgesellschaften" 47 . In jüngerer Zeit sind Praxis und Teile des Schrifttums bemüht, angesichts der beschriebenen Bedeutung konventioneller Finanzierungsmuster Genußrechtkapital handelsrechtlich das Etikett „Eigenkapital" anzuheften. N a c h Steuerrecht soll es bei der Einordnung als „Fremdkapital" und dem Ansatz der Gewinnausschüttungen auf Genußrechtkapital als steuermindernde Betriebsausgabe bleiben. So könnten die „Eigenkapitalquoten" von Unternehmen im „magischen Fünfeck" 4 8 aufpoliert werden. Hervorzuheben ist die Stellungnahme vom Hauptfachausschuß des Instituts der Wirtschaftsprüfer in Deutschland ( H F A ) aus dem Jahr 1994 „Zur Behandlung von Genußrechten im Jahresabschluß von KapitalgesellschafBahnbrechend in der juristischen Literatur Lutter/Hommelhoff, Z G R 1979, 31 ff., 42. Mit Übersicht zur Problematik Karsten Schmidt, FS Goerdeler 1987, S. 487, 490ff. 46 Unten in § 11 B I und II. 47 Neben Aktien, Kuxe, Gewinnbeteiligung gewährenden Forderungen u.a. (§ 6 Abs. 1 KVStG 1934); dazu Kluckhohn, Kapitalverkehrsteuergesetz, S. 78 ff.; zur früheren Übung schon oben § 3 A II 1, B II. 48 Siehe oben sub § 1 A III 3. 44
45
188
Teil II: Grundlagen
der Finanzierung
in rechtsvergleichender
Sicht
ten"49, die auf einem den Mitgliedern vorgelegten früheren Entwurf gründet.50 Danach wird für die Bilanzierung bei Genußrechtsemittenten vorgeschlagen, das überlassene Genußrechtkapital grundsätzlich je nach Sachverhalt als Fremdkapital zu passivieren, unmittelbar in das Eigenkapital einzustellen oder erfolgswirksam zu vereinnahmen.51 Der Hauptfachausschuß betont die Gläubigerschutzfunktion des handelsrechtlichen Jahresabschlusses und stellt maßgeblich auf die Haftungsqualität des überlassenen Kapitals ab. Das Genußrechtkapital sei danach als bilanzielles Eigenkapital zu qualifizieren, wenn es kumulativ folgende Eigenschaften aufweise 52 : (1) Nachrangigkeit, (2) Erfolgsabhängigkeit der Vergütung bei Teilnahme am Verlust bis zur vollen Höhe und (3) Längerfristigkeit der Kapitalüberlassung; während des „längerfristigen" Zeitraums müsse die Rückzahlung des Genußrechtkapitals ausgeschlossen sein.53 Dieses letzte, vage Kriterium der Stellungnahme des Hauptfachausschusses ist das Ergebnis nachhaltiger Kritik an dem vorveröffentlichten Entwurf.54 Darin war statt dessen noch der „vertragliche Ausschluß eines Rückforderungsanspruches des Gläubigers vor Konkurs- bzw. Liquidationsfall" vorgesehen.55 Die Bedingung zielte darauf, die Geltendmachung des Rückzahlungsanspruchs durch den Genußrechtsinhaber auf den Fall zu beschränken, daß der Genußrechtsemittent kündigt oder in Liquidation bzw. Konkurs geht. Damit wäre nur „ewiges" Genußrechtkapital als bilanzielles Eigenkapital anerkannt worden. Ganz abgesehen von der Rechtsbeständigkeit einer solchen „ewigen" schuldrechtlichen Konstruktion erscheint sie für Anleger wenig attraktiv und damit kaum marktgängig. Mit dem deutlich milder formulierten Kriterium der „Längerfristigkeit" berücksichtigt die Stellungnahme diesen praktischen Aspekt, um den Weg für Genußrechtkapital in das bilanzielle Eigenkapital zu ebnen. Sie ist im Schrifttum sowohl begrüßt56 als auch abgelehnt worden. Manfred Grob kritisiert die aus der Stellungnahme des Instituts der Wirtschaftsprüfer folgende unterschiedliche Behandlung von Genußrechtkapital als Eigenkapital in der Handelsbilanz und als Fremdkapital in der Steuerbilanz; diese „Meistbegünstigung" sei den EmitStellungnahme H F A 1/1994, W P g 1994, 419ff. H F A vom 23.6.1993, Entwurf einer Verlautbarung „Zur Bilanzierung von Genußrechten", W P g 1993, 446 ff. 51 Stellungnahme H F A 1/1994, W P g 1994, S. 419 (Ziffer 2.1.); der Entwurf, aaO., S. 447 (Ziffer 2.1.) und S. 448 (Ziffer 2.1.3.), erwog auch noch die Bildung eines Sonderpostens z w i schen Eigenkapital und Rückstellungen. 52 Stellungnahme H F A 1/1994, aaO., S. 420. 53 Ebenda, unter lit. c). 5< Siehe zur Bilanzierung von Genußrechten Zwischenbericht über die Arbeit des I d W von Dörner, W P g 1993, 705 und aus dem Schrifttum Lutter, DB 1993,2441 ff.; Kallmeyer, G m b H R 1994, R 25; Schweitzer/Volpert, BB 1994, 821 ff.; Übersicht bei Winnefeld, Bilanz-Handbuch, D 1715ff. 55 Entwurf einer Verlautbarung, W P g 1993, 447 (Ziffer 2.1.1.a). 56 So etwa grundsätzlich Rüting/Kessler, BB 1994, 2103, 2112f. 49
50
§ 6 Eigenkapital
im deutschen
Bilanzrecht
und
Rechtsvergleichung
189
tenten von Genußrechtkapital wegen des Maßgeblichkeitsgrundsatzes verschlossen. 57 Einstweilen sei noch das Meinungsspektrum zur Bilanzierung von Genußrechtkapital abgerundet. Neben Berichtspflichten im Anhang und der - vor allem in der Vorkriegsliteratur und älteren Rechtsprechung geprägten - Ansicht, Genußrechtkapital überhaupt nicht zu passivieren 58 , werden im Grundsatz zwei Möglichkeiten vertreten: Passivierungswahlrecht 59 oder - inzwischen überwiegend - Passivierungspflicht. 60 Bei der Zuordnung im Bilanzschema ist nach überwiegender Meinung anhand allgemeiner Prinzipien der Bilanzierung auf die konkrete Gestaltung im Genußrechtsvertrag abzustellen.61 Nach unterschiedlichen Kriterien werden dann verschiedene Bilanzausweise von Genußrechtkapital angezeigt, wie der Ausweis: in einem besonderen Posten nach dem gezeichneten Kapital 62 , in den freien Rücklagen (Gewinnrücklagen) 63 , in einem Sonderposten des Eigenkapitals nach den Gewinnrücklagen unter der Bezeichnung „Genußscheinkapital" 64 , in einem ebenso bezeichneten gesonderten Posten zwischen Eigenkapital und Rückstellungen 65 oder auch in einem Fremdkapitalposten 66 . Wird für die Zuerkennung des Eigenkapitalcharakters eine bestimmte Restlaufzeit gefordert, kommt schließlich im Zeitablauf oder bei Kündigung eine Umbuchung von Genußrechtkapital zwischen Bilanzposten in Betracht. 67 57
Groh, BB 1995, 559f. Wünsch, FS Strasser 1983, S. 871, 883 (Passivierung „nur in Ausnahmefällen", u m Ausschüttung aktivierter Gegenwerte zu sperren); vgl. Hommelhoff, Eigenkapital der Kapitalgesellschaft, in: Leffson/Rückle! Großfeld, H d w b , S. 134,140 (wohl pauschal keine Passivierung). Typisch f ü r die Vorkriegsliteratur stellt Reischer, Vorzugsaktien und Genußscheine, S. 13, 35 f., auf die Entstehungsart ab. 59 So wohl etwa noch Lutter, in: Kölner Kommentar, § 221 Rn. 406; w. N a c h w . bei Emde, BB 1988, S. 1214 (dort Fn. 2). 60 Siehe n u r Brönner/Bareis, Die Bilanz nach Handels- und Steuerrecht, IV Rn. 427; Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, § 4 V.l.c., S. 104f.; Karollus, in: Geßler/ H e f e r m e h l / E c k a r d t / K r o p f f , § 221 Rn. 425; w. Nachw. bei Emde, aaO. " Siehe n u r Feddersen/Knauth, Eigenkapitalbildung d u r c h Genußscheine, S. 30 f.; H F A Stellungnahme 1/1994, W P g 1994, S. 419, 420 (vor lit. a); Schweitzer/Volpert, BB 1994, 821, 824; a.A. Thomas Fischer, D e r Genußschein, S. 245 ff. 62 So m. Nachw. etwa Knobbe-Keuk, aaO., § 4 V.l.c, S. 105 (nur bei Rückzahlung aus dem Liquidationserlös u n d Verlust im Konkurs). 63 So etwa m. N a c h w . Ernst, D e r Genußschein, S. 213; Schudt, D e r Genußschein, S. 71. " So etwa m. Nachw. Claussen/Korth, in: Kölner Kommentar, § 266 Rn. 140, 149 (Nachrang in K o n k u r s und Vergleich, Gewinnabhängigkeit der Bedienung, M i n i m u m an unternehmerischer M i t b e s t i m m u n g sowie E i n r ä u m u n g weitgehender Informationsrechte) und § 272 Rn. 39. 65 So etwa Knobbe-Keuk, aaO., § 4 V 3, S. 107f., llOf. (Ausweis vor Sonderposten mit Rücklageanteil, § 273 H G B ) ; Thomas Fischer, Der Genußschein, S. 246f. (Ausweis nach Sonderposten mit Rücklageanteil). 66 Siehe n u r Knobbe-Keuk, aaO., § 4 V 3 d, S. 1 lOf. (bei begrenzter Laufzeit oder einseitigem Kündigungsrecht); grundsätzlich nach § 253 Abs. 1 Satz 1 H G B f ü r den Rückzahlungsanspruch Groh, BB 1993, 1882, 1889. 67 Vgl. Stellungnahme H F A , 1/1994, W P g 1994, 419, 420 (lit. c). 58
190
Teil II:
Grundlagen
der Finanzierung
B. Unternehmensfinanzierung
in rechtsvergleichender
Sicht
und rechtsvergleichender
Ansatz
Die Schwelle ist erreicht, über die wir zur vergleichenden Betrachtung in den Rechtskreis der Vereinigten Staaten von Amerika eintreten. Vor diesem Schritt ist kurz innezuhalten. Wir stellen einleitend einige Gedanken voran: ausgehend vom Stand der bisherigen Überlegungen über Rechtsfragen der Unternehmensfinanzierung nach deutschem Recht (sub I) zu Grund und Grenzen der rechtsvergleichenden Arbeit sowie zum Gang der weiteren Untersuchung (II).
I. Haftung und
Liquidität
Wir haben ein Bild über die Bedeutung des Rechts, insbesondere das der Rechnungslegung für die Finanzierung von Unternehmen gewonnen. Die Haftung für Schulden des Unternehmens als Grundsatz unternehmerischer Verantwortlichkeit auch bei Kapitalgesellschaften und die anschließende Frage der tatsächlichen Haftungsbasis als Bezugspunkt der Kreditwürdigkeit des Unternehmens stehen im Zentrum. Der angetroffene wissenschaftliche Diskurs zeigte sich allerdings wesentlich auf das überkommene Denkschema der „gebundenen" und als „Eigenkapital" ausgewiesenen Mittel beschränkt. Geben wir erneut praktischer Erfahrung das Wort. Ein Bankmanager nennt als Hauptkennzahlen zur Beurteilung eines Unternehmens für „Kreditpraktiker" 68 : Rentabilität, Eigenkapital und Liquidität. Während wir die Rentabilität als auf ein einzelwirtschaftliches Optimum gerichtete Größe für unsere juristische Betrachtung ausblenden können 69 , ist das bilanz- und gesellschaftsrechtlich maßgebliche „Eigenkapital" bereits vorhin nach deutschem Recht in einem ersten Durchgang behandelt worden. Es bleibt der Aspekt Liquidität. Die Liquidität des Unternehmens, oben schon unter Insolvenzaspekten gestreift, ist abgesehen von insolvenzrechtlicher Spezialliteratur im deutschsprachigen juristischen Schrifttum eine weithin vernachlässigte Größe. In der behandelten Debatte um die Risikoverteilung bei der Finanzierung von Kapitalgesellschaften spielte sie keine nennenswerte Rolle. Dabei hat Liquidität gerade auch insoweit mehr Aufmerksamkeit neben der bislang allein dominierenden Kapitalbindung verdient. Das mindert nicht den Stellenwert der Bindung, namentlich traditionellen Eigenkapitals im Unternehmen als wesentliches Instrument des Gläubigerschutzes. Vielmehr geht es darum, die wichtige Komplementärfunktion von Liquidität in einem RechtsschutzsyRösler, in: Coenenberg, Bilanzanalyse nach neuem Recht, S. 35, 37. Freilich - um Mißverständnissen vorzubeugen - im Bewußtsein, daß die (oben § 1 A II 4 und IV angesprochenen) rechtlichen Rahmenbedingungen die Rentabilität einer Investition wie auch eines Unternehmens insgesamt nachhaltig beeinflussen können. 68
69
5 6 Eigenkapital
im deutschen Bilanzrecht
und
Rechtsvergleichung
191
stem zur Begrenzung unternehmerischer Risiken zu erkennen und auszubauen. Im US-amerikanischen Rechtskreis finden wir dazu beispielhafte A n sätze. D o r t hat der Gedanke, daß Liquidität ein erster D a m m zum Schutz von Gläubigern ist, schon vor Jahren auch im Rechtsgefüge F u ß gefaßt; wir werden das nachher sehen.
II.
Rechtsvergleichung
D e r Blick auf den gewöhnlich noch als „anglo-amerikanisch" bezeichneten Rechtskreis, aus dem der Bereich der Vereinigten Staaten längst eigenständig hervortritt, hat in Deutschland Tradition. Namentlich in Habilitationsschriften 70 ist es guter Brauch, die Rechtskultur jenseits des Atlantiks vergleichend zu untersuchen. Neben solchen für die Rechtsentwicklung in Deutschland nachhaltig wirkenden Monographien ist noch einmal an die rechtsvergleichenden Arbeiten der Deutschen Juristentage 1924 in Heidelberg und 1926 in Köln zu erinnern. Stellvertretend sei hier der in der Weimarer Republik maßgeblich an der Aktienrechtsreform beteiligte Jurist und Bankier Georg Solmssen angeführt, der unter der Naziherrschaft 1934 in die Schweiz emigrierte. In der rechtsvergleichenden Debatte der wirtschaftsrechtlichen Abteilung des Kölner Juristentages urteilte er zur Frage einer Annäherung an das „englisch-amerikanische R e c h t " , das deutsche Recht besitze mit dem (damaligen) Handelsgesetzbuch, soweit es sich um präzise Rechtsvorschriften handele, eine für unsere Bedürfnisse besser geeignete und durch Klarheit des Inhalts überlegene Kodifikation; das amerikanische Recht könne aber: „als eine außerordentlich beachtenswerte Erkenntnisquelle der Einflüsse dienen, welche das pulsierende Leben der Wirtschaft auf den Gang der Normgebung im Aktienrecht ausgeübt hat und weiterhin ausüben wird. D e r Ausblick auf das weite, wogende Meer der in steter Umbildung begriffenen Vorschriften und Einrichtungen des amerikanischen Rechts gibt eine unvergleichliche Möglichkeit zu erspähen, wohin die Strömungen des wirtschaftlichen Geschehens auch bei uns treiben, und zu prüfen, ob unsere rechtliche Ausrüstung noch ausreicht, um sie entsprechend den für Recht und Ordnung aufzustellenden Geboten zu lenken" 7 1 .
70 Etwa Mestmäcker, Verwaltung, Konzerngewalt und Rechte der Aktionäre, 1958; Wiethölter, Interessen und Organisation der Aktiengesellschaft im amerikanischen und deutschen Recht, 1961; Großfeld, Aktiengesellschaft, Unternehmenskonzentration und Kleinaktionär 1968; Flessner, Sanierung und Reorganisation, 1982; Assmann, Prospekthaftung, 1985. Zum vorliegenden Bereich inzwischen auch die kleinere Monographie von Herrmann, Quasi-Eigenkapital im Kapitalmarkt- und Unternehmensrecht, 1996; früher schon Kühler, Aktie, Unternehmensfinanzierung und Kapitalmarkt, 1989. 71 Verhandlungen des 34. D J T (Köln) 1926, Sitzungsprotokoll der 4. Abteilung für Wirtschafts- und Steuerrecht, 679. Zu Lebenslauf und Schrifttum von Solmssen in Schuhert/Hommelhoff, Die Aktienrechtsreform am Ende der Weimarer Republik, S. 955 f.
192
Teil II: Grundlagen
der Finanzierung
in rechtsvergleichender
Sicht
Die vergleichende Aussage über Vorzüge vormaligen deutschen Rechts kann dahingestellt bleiben. Den Aspekt „präzise Rechtsvorschriften" 7 2 und die Frage wirtschaftsrechtlicher Kodifikation w e r d e n w i r noch aufgreifen. 7 3 Das wörtliche Zitat Solmssens trifft den auch in unserer Zeit gültigen Kern, namentlich in unserem Bereich der Finanzierung. Zahlreiche h y b r i d e Finanzierungsformen entstammen dem U.S.-amerikanischen Rechtskreis. H e r v o r gehoben seien nur die in der Aktienrechtsreform 1937 in das deutsche A k t i engesetz a u f g e n o m m e n e n Wandelobligationen (convertible bonds), G e w i n n obligationen (income bonds) sowie die stimmrechtlose Vorzugsaktie (preferred shares; non voting stock).7'' In jüngerer Zeit suchen deutsche Konzerne zunehmend, sich den großen U.S.-amerikanischen Kapitalmarkt durch Ü b e r nahme dort anerkannter Bilanzierungsnormen zu erschließen. N a c h dem schon einführend genannten Beispiel der Daimler-Benz AG 7 5 bilanzierten für 1994 erstmals die Schering A G und die B a y e r A G im Konzern nach International Accounting Standards (IAS); weitere U n t e r n e h m e n wie die Deutsche Bank A G sind inzwischen gefolgt. Der Bundesminster der Justiz reagierte u n d legte Ende 1996 einen Referentenentwurf für die Einbeziehung internationaler Rechnungslegung in das deutsche Handelsbilanzrecht vor; i n z w i schen hat eine Gesetzesnovelle im Frühjahr 1998 die Konzernrechnungslegung internationalen Einflüssen geöffnet. 7 6 A n der Frankfurter Börse gilt bereits seit 1997, daß U n t e r n e h m e n für die Notierung am „Neuen M a r k t " die Zulassungsprospekte u n d Bilanzen gemäß internationalen Rechnungslegungsstandards (IAS oder „ U . S . - G A A P " ) erstellen und - im angelsächsischen R a u m übliche - Quartals- und Segmentberichte vorlegen müssen. Diese Vorgänge zeigen eine Dimension, die als solche mit der Ü b e r n a h m e „ausländischer" Regelungsmuster im Grunde z w a r historisch betrachtet nicht ungewöhnlich ist, angesichts der weltwirtschaftlichen E n t w i c k l u n g aber zunehmend A u f m e r k s a m k e i t beansprucht. Daran mangelt es noch erheblich. Wenden w i r uns bei dieser praktischen Lage zur Rechtsvergleichung als Disziplin, erhebt sich die Frage nach dem Arbeitsinhalt. Die Rechtsvergleichung analysiert, k u r z gefaßt, die Rechtsbehandlung bestimmter Lebensverhältnisse in einer Mehrzahl von Rechtsordnungen. Das ist einmal die traditionelle Suche nach der „besseren Lösung", die vorhin schon im Zitat von Solmssen anklang. Doch die Rechtsvergleichung geht längst darüber hinaus. N e b e n 72 In der rechtsvergleichenden Gesamtschau unter § 10 B; grundsätzlich bereits oben § 4 B II 1 und 2. 71 Zur Kodifikationsfrage unten suh § 12; ansonsten vorstehende Fn. 74 Dazu bereits oben § 3 C I 2 a; zu Ursprüngen und Einzelheiten im U.S.-amerikanischen Rechtskreis in § 8 A I, III 1. 75 Die nach U.S. „ G A A P " bilanzierte (dazu oben § 1 A IV); allgemein zum Bilanzrecht in den U S A unten § 9. 76 Dazu gehört - nach dem KonTraG von 1998 - auch die Verpflichtung börsennotierter Gesellschaften, den Konzernanhang um eine Kapitalflußrechnung und eine Segmentberichterstattung zu erweitern; insgesamt noch unter § 9 A II 3.
§ 6 Eigenkapital
im deutschen
Bilanzrecht
und
Rechtsvergleichung
193
die instrumentale und die einhergehende rechtskulturelle, letztlich auf eine nationale Rechte übergreifende - (Universal-)Ordnung zielende Aufgabe hat Richard Buxbaum eine dritte Funktion klargestellt: die Koordinierungsaufgabe. Darunter wird für das Wirtschaftsrecht (pointiert) gefaßt, privatwirtschaftliche multinationale Unternehmenstätigkeit im Spannungsfeld von Rechtsordnungen verschiedener Ebenen und Intensität (nationale, regionale [EU, NAFTA, APEC] und globale [WTO]) rechtsvergleichend zu koordinieren.77 Tatsächlich sind die Aufgaben miteinander verknüpft. Das zeigt die Unternehmensfinanzierung durch Kapitaltransfer auf internationalen Märkten, namentlich anhand der Aktiengesellschaft. Wesentlich sind dort die wettbewerblichen Verhältnisse, die heutzutage global allein schon durch neue Kommunikationstechnik eine früher unbekannte Intensität haben. Der einleitend78 bezeichnete „Wettbewerb der Rechtsordnungen" wirkt hier wie ein Hebel für die rechtsvergleichende Arbeit. Die instrumentale Lösungssuche als „ein unausgesetztes von einander Lernen und Entlehnen" 79 für die Verbesserung einer nationalen Rechtsordnung gerät zunehmend unter Zwang, zugleich die übergreifenden Aspekte regionaler und internationaler Ordnung einzubeziehen. Der Vergleich nationaler Aktienrechte umfaßt jetzt vielmehr Fragen ihrer kapitalmarktlichen Kompatibilität im größeren Rahmen und damit auch der Koordination verschiedener Rechtsordnungen, soweit dort abweichende Regelungsmuster bestehen. Die für internationale Kapitalmärkte notwendige Kompatibilität nationaler, regionaler und globaler Ordnungssysteme befördert wiederum die (universelle) Rechtsharmonisierung, ja Rechtsvereinheitlichung mittels Rechtsvergleichung. Praktisch wird dieses Zusammenspiel, das den ganzheitlichen Ansatz unserer Untersuchung unterstreicht, im Fortgang der Arbeit noch deutlicher. Dabei steht die Rechtsordnung der Vereinigten Staaten von Amerika im Blickpunkt. Denn die nationalen Rechtsordnungen in ihrer gewachsenen Struktur sind, wie die Europäische Union beispielhaft zeigt, das Fundament weiterer Entwicklung. Rechtsvergleichende Arbeit muß behutsam vorgehen. Der Rechtsvergleicher weiß - wie Max Rheinstein formuliert - um die gesellschaftliche Bedingtheit, „weiß, daß alle Rechtsordnungen, alle Rechtsinstitute, alle Rechtssätze in die Gesamtwertungen der Gesellschaft eingebettet sind" 80 . Aus dem Kulturkreis der Vereinigten Staaten gerade genannte Finanzierungsformen oder die angemerkten Rechtsregeln nach dem Liquiditätsgedanken sind zunächst Erscheinungen (in) einer anderen Rechtsordnung. Ihr gesellschaftlicher Kontext ist aufzuspüren. Diese Suche nach dem Wesen von Regeln und Näher Buxbaum, RabelsZ 60 (1996), 201, 205 f. und 211 ff. In § 1 A IV. 79 Franz Klein, Die neueren Entwicklungen in Verfassung und Recht der Aktiengesellschaft, S. 10. 80 Rheinstein, Die Rechtshonoratioren, S. 74, 84f. 77
78
194
Teil II: Grundlagen der Finanzierung in rechtsvergleichender Sicht
Regelkomplexen innerhalb des kulturellen Umfeldes einer Rechtsordnung ist, mit Bernhard Großfeld gesprochen, die rechtsvergleichende Schlüsselfrage nach dem Rechtsbedürfnis, das durch ein Rechtsinstitut befriedigt wird.81 Damit ist der weitere Untersuchungsweg vorbezeichnet.
Großfeld, RabelsZ 39 (1975), 5, 7.
§ 7 Grundlagen der Finanzierung von Kapitalgesellschaften in den Vereinigten Staaten von Amerika Unsere rechtsvergleichende Untersuchung ist nach allem nicht auf einzelne Rechtsinstitute beschränkbar. Zugleich bedarf es keiner umfassend soziologischen Feldforschung, zumal Rechtsinstitute in ihrem Kontext selbst wirksamer Indikator für den sozialen Untergrund und dessen Entwicklung sind. 1 Anschaulich sei dazu erinnert an die im Mittelalter mit der Schriftlichkeit aufkommenden Rechtsbücher. Sie wollten mit erzieherischer Attitüde das durch Gewohnheit geprägte, vormals mündlich überlieferte Recht größerer Lebensgemeinschaften wie in einem Spiegel vermitteln und erzählen dem Leser noch heute von jener Lebensordnung. 2 Auch in unserer Zeit geht es um die gültigen Lebensbezüge des Rechts. Das Verständnis dafür ist inzwischen bei schematisch geprägten Juristen weithin verschüttet. Allgemein unbekannt ist das Wirkungsgefüge, wenn - wie hier mit der Unternehmensfinanzierung in den Vereinigten Staaten von Amerika - eine fremde Rechtsordnung auftritt. D e r Verfasser näherte sich ihr durch erleben vor O r t . D e m Leser werden unterstützend zunächst wesentliche Aspekte jener Kultur beleuchtet. Schwerpunktgemäß steht im Recht der Kapitalgesellschaften (corporations) der aktienrechtliche Bereich im Blickfeld (dazu B), dessen Strukturen der ökonomische Diskurs unterlegt (C); einleitend betrachten wir das kulturelle Umfeld.
A. Die Vereinigten Staaten: Kulturelle Schlaglichter Das kulturelle Umfeld und namentlich die einführend „still wirkend" genannten Kräfte im Savignyscheri Sinne, sind nur unvollkommen (er)faßbar. Das gilt schon für die heimische Kultur, in der wir gebürtig erste Sozialisation erfahren. Es gilt um so mehr für jene Kulturen, wo uns diese Erfahrung fehlt. Das Verständnis für die Vereinigten Staaten als einer solchen „anderen" Kul-
1 Großfeld, RabelsZ 39 (1975), 5, 11 f., im Anschluß an Rabeis Forderung, das Recht als Kulturerscheinung zu sehen, die nicht unabhängig von ihren Ursachen und Wirkungen gedacht werden kann. Grundlegend zur kulturellen Verflechtung von Rechtstexten Großfeld, Kernfragen der Rechtsvergleichung. 1 Im Sachsenspiegel (zwischen 1220-1235) sagt Eike von Repgow in hochdeutscher Ubertragung (Hrsg. Schott, S. 377) seiner Vorrede: „Spiegel der Sachsen / sei dies Buch genannt, / denn Sachsenrecht wird darin erkannt, / wie in einem Spiegel die Frauen / ihr Antlitz beschauen."
196
Teil II: Grundlagen
der Finanzierung
in rechtsvergleichender
Sicht
tur erleichtern einige Schlaglichter. Ersten Eindruck gewährt ein Blick in den Spiegel literarischer Zeugnisse über die „Neue Welt".
I. Im literarischen
Spiegel
„Amerika, du hast es besser ...", so beginnt Goethe in den Zahmen Xenien seine Homage „Den Vereinigten Staaten" von 1827. Damals durchwehten zwar edle Gedanken die aufgeklärt europäische Geisteswelt, Europa selbst aber wird auch nach Napoleons Verbannung von Krisen geschüttelt. Was wunder, daß der selbst mehrfach vom Krieg berührte Dichter beeindruckt von geschichtlicher Erblast des alten Kontinents wehmütig auf Verheißungen jenseits des Atlantiks blickte. Werbewirksam verkürzte Bilderfluten nähren weiterhin den Mythos. Ist es doch die Idee der Freiheit, für das dieses Experiment „USA" sich selbst immer wieder als Synonym in Szene setzt und gesetzt wird. Das „Land der Freien", über dessen „Gleichheit der Chancen" {Alexis de Tocqueville) schon viele sinnierten, beschrieb der amerikanische Schriftsteller James Rüssel Lowell, „is that form of society, no matter what its political Classification, in which every man has a chance and knows that he has it." 3 Diese Sicht prägt auch die kapitalmarktliche Kultur und ihr Verständnis erschließt die Rechtsverhältnisse. Freilich wissen wir, Freiheit ist nirgends grenzenlos: Kräftige Schatten hat die neue Welt, deren Kinder - anders als noch Goethe hoffte - kein „gut Geschick vor Ritter-, Räuber- und Gespenstergeschichten" bewahrte. Verbleiben wir hier mit einem tiefsinnigen Bild, wohl aus dem Munde eines Betroffenen: Amerika ist aus vielen Strängen gewebt; ich würde sie wahrnehmen und es dabei belassen; unser Schicksal ist, selbst einer zu werden. 4
II. Zu Rechtssystem
und
Verfassungssymbolismus
In der Präambel der Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika bekundete das Volk 1787 sinngemäß die Absicht, seinen Bund zu vervollkommnen, Gerechtigkeit zu verwirklichen, die Ruhe im Innern zu sichern, für die Landesverteidigung zu sorgen, die allgemeine Wohlfahrt zu fördern und das Glück der Freiheit sich selbst und seinen Nachkommen zu bewahren. Das aus kolonialer Unterdrückung erwachsene Streben, gegenüber Großbritannien schon in der Unabhängigkeitserklärung 1776 artikuliert, prägte einen 3 O n democracy and other essays, Boston 1887, S. 14 (nach Blanke, Jahrbuch für A m e r i k a Studien, 1 (1956), S. 41, 48f.). 4 Sinngemäß übersetzt. Das Original soll vom 1994 verstorbenen A f r o - A m e r i k a n e r Ralph Ellison (aus: Invisible man, 1952) stammen; bei Lektüre der Neuausgabe ( N e w York 1995) fiel es mir allerdings nicht auf.
§ 7 Finanzierung
von Kapitalgesellschaften
in den USA
197
nach dem Gewaltenteilungsprinzip organisierten Föderalstaat. In diesem vertrauten Rahmen bietet amerikanisches Recht 5 dem kontinentaleuropäischen Juristen als wesentliche Besonderheit das während englischer Kolonialzeit eingeführte Fallrecht (case law). Das Fallrecht ist Richterrecht und traditionell gegliedert in gemeines Recht (common law) und Billigkeitsrecht (Equity) als zwei konkurrierende Gerichtszweige. Gegenüber dem bald in strengem Formalismus erstarrten gemeinen Recht beruht Billigkeitsrecht auf dem Gedanken der Einzelfallgerechtigkeit.6 Beide Normkomplexe verschmolzen im 19. Jahrhundert weitgehend und stehen seither regelmäßig unter einheitlicher Jurisdiktion. 7 Im Fallrecht ist der Richterspruch primäre Rechtsquelle, nicht ein legislativer Akt wie im kontinentaleuropäischen Gesetzesrecht (Statute law). Den Platz der „Buchstaben des Gesetzes" nehmen - anders gewichtet - die „Buchstaben des niedergelegten Urteils" ein, wobei teils erheblich kontrastierende Ansichten zum Präjudizienwesen bestehen. Nach der Präzedenzdoktrine („stare decisis") ist jedenfalls der tragende Entscheidungsgrund (ratio decidendi) maßgeblicher Urteile Präjudiz späterer Rechtsfindung. Aber grau ist bekanntlich alle Theorie. Die Rechtsprechungspraxis zeigt Wege, unliebsame Präjudizien zu meiden.8 Obergerichte können Präjudizwirkungen außer Kraft setzen (to overrule). Jedenfalls bleibt einem Gericht die Möglichkeit, ein bereits ergangenes, potentiell präjudizielles Urteil für den zu entscheidenden Fall für nicht einschlägig zu erklären (to distinguisb). Der Untersuchungsgang wird illustrieren, daß theoretische Unterschiede von case law und Statute law praktisch abschleifen. Der wirtschaftsrechtliche Bereich ist ohnehin stark von Gesetzesrecht geprägt. Insofern gilt nach dem Grundsatz der Gewaltenteilung auch im Fallrecht die Bindung des Richters an den Willen des Gesetzgebers. Die föderale Ordnung prägt Rechtsetzung für die private Wirtschaft in der Spannung zwischen Zentrum und „Peripherie" besonders. Mit den Gerichten der Bundesstaaten (State courts) und denen des Bundes (federal courts) bestehen zwei eigene Gerichtssysteme. Die Bundesgerichte - U.S. District Courts, darüber jeweils für mehrere Staaten ein U.S. Court of Appeals sowie Spezialgerichte (Tax Courts, Bankruptcy Courts) - sind auf bestimmte Materien (wie U.S. Verfassung, Urheberrecht, Konkursrecht) beschränkt. Streitigkeiten un5 Brillant Llewellyn, Präjudizienrecht und Rechtsprechung in Amerika, Leipzig 1933 (engl. Ubersetzung des zeitlosen Werkes [ohne Materialien] 1989 von Yale-Professor Paul Gewirtz: The case law system in Amerika). 6 Die Idee der Equity (von lat. aequitas) beschrieb Aristoteles als die Korrektur des (gemeinen) Rechts, wo es wegen seiner Allgemeingültigkeit Defizite aufweise; Corley/Black, Legal environment, S. 28. Grundzüge beider Systeme bei Llewellyn, Präjudizienrecht, S. 38ff.; zu Aufstieg und Verfall englischen Fallrechts Dawson, The oracles of the law, S. 1-99. 7 Mit grundsätzlichem Vorrang der equity („equity shall prevail"); näher Friedman, History of American Law, S. 26 f. 8 Vgl. Friedman, History of American Law, S. 21 f.; Llewellyn, Präjudizienrecht, S. 13 (dort, S. 24ff. und 72ff., zu Stellenwert und Anwendung eines Rechtssatzes).
198
Teil II: Grundlagen
der Finanzierung
in rechtsvergleichender
Sicht
terliegen überwiegend einzelstaatlicher Jurisdiktion. Die meisten Bundesstaaten haben allgemeine Prozeßgerichte erster Instanz ( g e n e r a l trial courts), Berufungsgerichte ( a p p e l a t e courts) und einen obersten Gerichtshof (state supreme court)? Den Bund überragt der U.S. Supreme Court (Washington D.C.). Als höchstes Gericht der Vereinigten Staaten (Artikel III U.S. Verfassung) schließt er das System der Bundesgerichte ab und kann im Wege der Annahmerevision (writ of certiorari) über Fälle aus federal und state court system entscheiden. Im Gesetzesrecht herrscht ähnliche, teils unübersichtliche Vielfalt. Die U.S. Verfassung enumeriert die Bundeskompetenzen (Artikel I § 8) und überläßt das Privatrecht grundsätzlich den (derzeit fünfzig) Einzelstaaten.10 Die Zuständigkeit des Kongresses für zwischenstaatliche Handelsregeln ( i n t e r s t a t e commerce; Artikel I § 8 Abs. 3 U.S. Verfassung [Commerce Clause]) kann konkurrierende Gemengelagen in Gesetzgebungsfragen begründen. Neben Rechtsprechung, Kongreß, einzelstaatlicher Legislative und dem auch legislativ tätigen U.S. Präsidenten sind die Verwaltungsagenturen (administrative agencies) vierte rechtsetzende Kraft; wir werden die Bundesbörsenaufsicht (SEC) behandeln. Die Bundeskomponente (federal government) gewann im 20. Jahrhundert Gewicht, bei weiterhin erheblichem Einfluß der einzelstaatlichen Ebenen (state und local government). Diese Tendenz beförderten nach einer Periode des Laissez-fair Aspekte wie soziale Probleme einer wachsenden Bevölkerung und Industrialisierung. Mit Präsident Franklin D. Roosevelt beginnt 1933 die Epoche des „New Deal", in der Bundeseinfluß erheblich steigt11 und die wesentlich auf unseren Untersuchungsbereich nachwirkt. Makroökonomisch einher geht die antizyklische Fiskaltheorie des Engländers John Maynard Keynes, die über die Vereinigten Staaten ihren Siegeszug in der westlichen Hemisphäre antrat und auch im bundesrepublikanischen Nachkriegsdeutschland die Basis der Wirtschaftspolitik begründete. Die historische Stabilität der Vereinigten Staaten als wirtschaftlich erfolgreiches Gemeinwesen mag angesichts der Rechtsstrukturen überraschen. Soziologisch tritt hinzu, daß wir das weltweit größte Einwanderungsland betrachten. Eine „multikulturelle", insofern als Ganzes eher identitätsarme Gesellschaft. Der Wappenspruch Epluribus unum (aus mehreren eins), auf Münzen und Eindollarnote („Greenback") zu lesen, vermittelt symbolisch eine Ahnung der widersprüchlich wirkenden Kräfte. Hier sind kulturelle, soziale und ökonomische Gegensätze wohl nur im besonderen Grundkonsens harmonisierbar: der idealistisch überhöhten und zugleich elastischen Verfassung. Bereits Tocqueville meinte vor rund 160 Jahren, die Amerikaner änderten häufig ihre Gesetze, doch die Verfassung bleibe unberührt. Tatsächlich beDie Bezeichnungen variieren in den einzelnen Bundesstaaten. Verfassung, 10. Amendment: „The powers not delegated to the United States by the Constitution, nor prohibited by it to the States, are reserved to the States respectively, or to the people." " Friedman, History of American Law, S. 656, spricht vom Bund als „the federal Caesar". 9
10
§ 7 Finanzierung
von Kapitalgesellschaften
in den USA
199
zeichnen den Weg vom kleinen Agrarstaat in politischer Randlage Ende des 18. Jahrhunderts zur dominierenden Weltmacht am Anfang des 21. Jahrhunderts kaum zwanzig 12 Änderungen oder Ergänzungen der Verfassung. Sie steht in ihrem Symbolismus 13 als „the world's best hope" ( T h o m a s Jefferson). Das nährt den Sendungsglauben, der weiterhin das prägende politische Programm der Vereinigten Staaten ist. Er spiegelt das Selbstverständnis eines Gemeinwesens, das nach dem Bürgerkrieg im eigenen Kernland - anders als durch Jahrhunderte die Völker Europas - nie die Realität furchtbarer Kriege erfuhr. Wir betrachten ein Gemeinwesen, als dessen wirkungskräftigstes Element der Rechtshistoriker Lawrence Friedman für das amerikanische Recht benennt: „current emotions, real economic interests, concrete political groups «14.
III. 1.
Business und
Risikogedanke
Lebenseinstellungen
In Amerika wie sonstwo sei ökonomisches Denken wesentlicher Bestandteil der Kultur, so beginnt Joseph Dorfman sinngemäß sein ausgreifendes Werk „The economic mind in american civilization". Dann meint er weiter15, sein Reichtum und Bedeutungsgrad seien nur dann ganz zu ermessen, wenn es in seiner natürlichen Heimat praktischer Anwendungen und intellektuellen Strebens behandelt werde. Es wachse durch beständiges Kreuzen mit anderen Arten des Lernens und Nachdenkens. - Die Vereinigten Staaten sind dafür ein schönes Feld. Vor allem wirkt hier angesichts der räumlichen Ausdehnung ein traditionell ausgeprägter Drang nach leistungsfähigem Kommunikationswesen. Zugleich verfügen sie als Einwanderungsland über den Nährboden, auf dem Kulturen dieser Welt in ihrer potenten Vielfalt aufeinandertreffen und Neues gebären. Das zeigt beispielhaft der Wirtschaftsbereich, wo Menschen im Spannungsfeld von Risiko und Chance ihren Weg suchen. „Business" steht im Sprachschatz für dieses Streben. Etymologisch geht sein Wortstamm auf altenglisch bisig zurück, was als busy heute mit geschäftig, fleißig übersetzt wird. Für das von altenglisch bisignis stammende business wird im späten 16. Jahrhundert anxiety (Unruhe, Besorgnis, Verlangen), distress (Qual, Erschöpfung), uneasiness (Unbehagen, Unsicherheit), später dann care (Sorge, Vorsicht, Pflicht), observance (Beobachtung, Regel), com12 Ohne die ersten zehn Zusatzartikel des 1791 in Kraft getretenen Grundrechtsteils (sog. Bill of Rights), der schon ursprünglich geplant war. 13 Dazu Vorländer, Amerikastudien 34 (1989), S. 69ff. 14 Friedmann, History of American Law, S. 19. 15 Band I (1946, Nachdruck New York 1966), S. IX; das fünfbändige Werk umspannt die Zeit bis 1933. Empfehlenswert auch: Chandler, The visible hand (für die Zeit ab 1790) und Cochran, American business in the twentieth century.
200
Teil II:
Grundlagen
der Finanzierung
in rechtsvergleichender
Sicht
motion (Aufsehen, Tumult) oder auch difficulty (Schwierigkeit, Mühe, Widerstand) gesetzt.16 Als Bezeichnung für Handelshaus, Unternehmen ist business erst im späten 19. Jahrhundert geläufig.17 Diese Bandbreite vermittelt näherungsweise den Bedeutungsgehalt. Business im Sinn amerikanischen Sprachgebrauchs kann dennoch deutsch nur vage umschrieben werden. In ihm schwingt mythisch der „American way of life", der auf den Pioniergeist der Vorväter „at the frontier" bezogen wird, die mutig den Westen des nordamerikanischen Kontinents erschlossen. Danach schufen Eisenbahnbarone wie Cornelius Vanderbilt, Industriemagnaten vom Schlage eines John D. Rockefeller oder Andrew Carnegie und Großbankiers wie John Pierpont Morgan im „Big Business" den Inbegriff vom amerikanischen Kapitalismus. Solche unternehmerischen Monolithen löste im zwanzigsten Jahrhundert die anonyme Managementstruktur ab, was weltweit das bekannte Phänomen der Trennung von Eigentum und Kontrolle in großen Aktiengesellschaften beförderte.18 Business steht für ein Gefühl, eine Lebenshaltung, war und ist „an American Institution" 19 , die auch in ihrem Heimatland schwer faßbar scheint. Business wird beschrieben als „commercial or mercantile activity customarily engaged in as a means of livelihood. (...) A pursuit or occupation that employs or requires energy, time or thought; trade, profession, calling. (...) Any occupation connected with the operations and details of trade or industry."20 U.S. Supreme Court Justice William R. Day formulierte 1911 in der berühmten Steuersache Flint v. Stone Tracy Co.21 knapp: „,Business' is a very comprehensive term and embraces everything about which a person can be employed". Entsprechend beachtlich ist, daß neben den schlagzeilenträchtigen Großaggregaten auch in den Vereinigten Staaten eine breite Schicht mittlerer und kleiner Unternehmen die Basis bilden. 2. Pensionsfonds
und
Kapitalanlage
Gleich welche Ebene betrachtet wird: überall wirkt die nach außen gekehrte Idee individueller Selbstverwirklichung, die auf dem vorhin beschriebenen kollektiven Glauben gründet an ein Land unbegrenzter Möglichkeiten 16 Oxford English Dictionary, Stichworte „business" und „busy", S. 695 (Ziff. 5, 6, 7); früheste bekannte Quelle danach aus 950 mit: anxiety, care, distress, uneasiness (Ziff. 5). 17 AaO., S. 696 (Ziff. 23/24). 18 Grundlegend Berle/Means, The modern corporation and private property, New York 1932. In historischer Sicht Chandler, The visible hand, besonders S. 377ff. und Cochran, American business, S. 204ff. " Cochran, aaO., S. 3-14. 20 Chief Judge Hall Hammond, in Zurich Insurance Co. v. Friedlander, 276 A.2d 658, 660 (Ct.App. Md. 1974), zitierend: Webster's Third New International Dictionary und Funk and Wagnall's New Standard Dictionary of the English Language. 21 220 U.S. 107, 171.
5 7 Finanzierung
von Kapitalgesellschaften
in den USA
201
und jedermans Chance, mit Geschick Reichtümer erwerben zu können. 22 Diese Haltung ist wesentlich für das Verständnis der (Rechts-)Verhältnisse auf den Kapitalmärkten der Vereinigten Staaten. Weiterhin ist auf der Risikoseite das Sozialsystem zu beachten. Das Netz sozialer Sicherheit besteht neben der in den letzten Jahrzehnten erheblich ausgebauten allgemeinen staatlichen Fürsorge (social security)23 aus den öffentlichen und der bedeutenderen Gruppe privater Pensionsfonds (pension funds). Diese gehen historisch auf den ersten förmlichen Pensionsplan {pension plan) von 1875 der American Express Company zurück 24 , nahmen nach dem Zweiten Weltkrieg regen Aufschwung und verdienen als bedeutende institutionelle Anleger auf den Kapitalmärkten unsere Aufmerksamkeit; hier zunächst zur Struktur. Die Grundidee eines Pensionsplanes ist die Alterssicherung der Arbeitnehmer. Private Pläne variieren in der Ausgestaltung, haben aber gemeinhin drei Charakteristika: maßgeblich vom Arbeitgeber initiiert (employer-sponsored), sind sie für die Beteiligten steuerbegünstigt (tax-favored) und Einrichtung sowie Teilnahme freiwillig (voluntary). 25 Grundsätzlich können Arbeitnehmer durch Teilverzicht auf Auszahlung des Gehalts (defined benefit plans) oder durch bestimmte Barzahlungen (defined contribution plans) in den Fonds Kapital einlegen und erhalten dafür im Plan fixierte Ansprüche auf Ruhestandsbezüge. Bei den Gehaltsteilverzichtsplänen sind diese - im Gegensatz zu den Bareinzahlungsplänen - der Höhe nach festgeschrieben. Der Unterschied bewirkt folgendes. Die Pensionsfonds arbeiten als Finanzintermediäre, die das akkumulierte Kapital hauptsächlich in Wertpapiere (equity und debt securities) investieren. 26 Der Arbeitgeber spart bei Gehaltsteilverzichtsplänen und erfolgreicher Fondspolitik entsprechende Beiträge zur Altersversorgung der Arbeitnehmer, muß andernfalls aber zur Sicherung der garantierten Bezüge Investitionsverluste ausgleichen. Bei den Bareinzahlungsplänen trägt der Arbeitnehmer das Investitionsrisiko. Je nach Gestaltung des Planes, der auch Beteiligung an Unternehmensgewinnen des Arbeitgebers bieten kann, variieren mithin Chancen und Risiken von Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Inzwischen gelten aber Grenzen. Nach dem Debakel 1963 bei Schließung des Studebaker Automobilwerkes in Indiana und gleichzeitiger Kündigung des Pensionsplanes, wo 6900 Arbeiter 85 bis 100% ihrer Pensionsansprüche mangels Masse verloren, erließ der Kongreß 1974 zum Schutz der Altersversorgung durch Pensionsfonds den Employee Retirement Income Security Act (ERISA). Dennoch gründet dieses System der Altersvorsorge, das 1991 immerhin 55% aller außerhalb der Landwirtschaft Beschäftigten umfaßte 27 , weiterhin 22
Siehe Cochran, American business, S. 7. N ä h e r Eichenhof er, Recht der sozialen Sicherheit in den USA, Baden-Baden 1990. 24 Langbein/Wolk, Pension and employee benefit law, S. 5; auch insgesamt zur komplexen, noch stark fließenden Materie. 25 Ebenda, S. 24 f. 26 A a O . , S. 736. 27 A a O . , S. 25. 23
202
Teil II: Grundlagen der Finanzierung in rechtsvergleichender
Sicht
auf privater, eigenverantwortlicher Initiative. Daraus entstand ein gesamtwirtschaftlicher Machtfaktor. Die Pensionsfonds verfügten Ende 1993 insgesamt über Vermögen von rund 4,6 Billionen Dollar und hielten (bezogen auf die Vereinigten Staaten für 1984) nach den vorliegenden Daten 22,8% des körperschaftlichen Eigenkapitals (corporate equity) und 49,9% der Fremdkapitaltitel (corporate bonds) aller Kapitalgesellschaften.28 Bei in den letzten Jahren weiter steigendem Vermögen repräsentieren die Pensionsfonds folglich einen wesentlichen Teil des „corporate America". 3.
Investitionsstrategien
Schließlich geht der Blick auf Verhaltensmuster der Akteure der Kapitalmärkte, die ja - wie eingangs beschrieben - von Risiken leben. Beispielhaft für die Vereinigten Staaten steht die weltweit größte Wertpapierbörse, die New York Stock Exchange. Auf ihrem Parkett treffen wie in einem Brennglas wohl ebensoviele „Philosophien" über Chance und Risiko aufeinander wie Akteure. Darunter sind auch waghalsige Glücksritter, die schnell ein Vermögen machen wollen und - gerade in der breiteren Öffentlichkeit - das Branchenimage prägen. Eine wohl allgemein wirkungsvolle Zäsur brachten der Börsencrash vom Oktober 1987 und zehn Jahre später der Kurssturz 1997 für die verstärkte Besinnung auf defensive, risikoscheue Investitionsstrategien mit Zeithorizont. Die Erfahrung zeigt, daß langfristigt angelegtes Kapital regelmäßig mehr einbringt als kurzfristiger, risikosuchender Handel. Angesichts des durchschnittlichen Gesamtjahresertrages aus Aktien (Preissteigerungen plus Dividenden) im zwanzigsten Jahrhundert von unter 10% ist der Erfolg absehbar bei Investitionen mit Erträgen, die im Schnitt auch nur knapp über dieser Marke liegen. Unter der Herrschaft von Zins und Zinseszinsen, die nach mathematischer Regel das angelegte Kapital und eine solche Ertragsrate auf der Zeitschiene vervielfachen, gilt daher eine Maxime: durch defensive Strategie vor allem höhere Verluste vermeiden.29 Solches gemeinhin als „konservativ" apostrophiertes Vorgehen ist freilich nicht jedermanns Sache. Und es gibt markante Erfolge anderer Strategien. Das zeigen namentlich die später noch ausgeführten Beispiele der „junk bonds"i0 und „leveraged byouts"31, die übrigens erheblich mit Kapital aus Pensionsfonds finanziert wurden.32 Die BeiA a O . , S. 736; von den $ 4,6 Billionen waren $ 3,2 Billionen Dollar in privaten Fonds. Simpson, ein erfolgreicher Investmentmanager des Autoversicherungsunternehmens Geico (Chevy Chase, Maryland) meint (nach Breuer/Rettberg, Kapitalanlage, S. 162, denen auch die Daten oben im Text entnommen sind): „Wenn man in jungen Jahren beginnt zu investieren und keine bedeutenden Einbußen hat, müßte man das Rennen gewinnen." 28 29
In § 8 A I I I 2. In § 8 B I V 1. 32 Dazu Kaufman/Englander, A III 2. 30 31
67 Business History Review 54-55 (1993) und unten § 8
§ 7 Finanzierung
von Kapitalgesellschaften
in den USA
203
spiele zeigen: Der Markt lebt von seiner Vielfalt. Sie spiegelt sich in der breiten und bunten, hier untersuchten Palette wertpapierrechtlicher Finanzierungsinstrumente mit verschiedensten Risikoprofilen.
B. Die Business Corporation I. Die spezifische
Form der
Publikumsgesellschaft
Vor uns steht die Gesellschaftsform business corporation. In der Variante der börsennotierten publicly held, corporation ist sie der großen deutschen Aktiengesellschaft vergleichbar und damit Fixpunkt unserer rechtsvergleichenden Untersuchung. Klären wir zunächst ihren Begriff. In den Vereinigten Staaten ist die business corporation Ober- und zugleich Inbegriff des privaten, körperschaftlich organisierten und auf Gewinn ausgerichteten Unternehmensträgers. Bei allerdings uneinheitlicher Begriffsbildung auch stock corporation oder kurz einfach corporation33 genannt, ist diese Form eine juristische Person, die Chief Justice John Marshall im Jahre 1819 in Dartmouth College v. Woodward anschaulich umschrieb als ein „artificial being, invisible, intangible and existing only in contemplation of law" 34 (legal entity doctrine). Die Form der business corporation beherrscht den gesellschaftsrechtlichen wie den wirtschaftswissenschaftlichen Diskurs in den Vereinigten Staaten und tritt in verschiedenen Spielarten auf. Hauptformen sind einerseits die closely held Corporation (kurz: close corporation) mit begrenztem Gesellschafterkreis und Übertragung von Gesellschaftsanteilen in der Regel nur unter besonderen Voraussetzungen 35 ; sie ist der Gesellschaft mit beschränkter Haftung vergleichbar und wird namentlich für Familienunternehmen gewählt. Daneben steht die börsennotierte publicly held corporation (kurz: public corporation), 33 Allgemein werden unter „corporation" Körperschaftsformen sämtlicher Prägung gefaßt wie öffentliche {public corporations) und wohltätige (nonprofit corporations) Gesellschaften, Genossenschaften (cooperative corporations) und spezielle Typen (wie railroad corporations); zu Klassifikation und Definitionen Ch. 27, Art. 2-A, §§ 65, 66 N e w York General Construction Law Provisions, enacted by L. 1909, annotated Okt. 1994. Deutsche Literatur z.B.: Trumpler, Die Aktiengesellschaft nach dem Gesellschafts-, Bilanz- und Steuerrecht der Vereinigten Staaten von Amerika, 1942; neuere allgemeine Ubersicht von Merkt, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, 1991. 34 17 U.S. 518, 636 (1819); streitig war die Autorität des Bundesstaates N e w Hampshire bei der durch charter der englischen Krone vom 13.12.1769 mit den „usual corporate privileges and powers" inkorporierten „The Trustees of Dartmouth College". Dagegen zur Grenze der „corporate power" Charles River Bridge v. Warren Bridge, 36 U.S. 420 (1837). 35 Personenzahl meist um 30; § 158(a) California Corporations C o d e setzt bei 35 die Grenze. Angebot und Verkauf der Gesellschaftsanteile dürfen nicht öffentlich erfolgen; regelmäßig wird Vorkaufsrecht für Mitgesellschafter oder Gesellschaft gefordert. Zur Abgrenzung ,C'- und ,S'-corporations im Steuerrecht unten in § 8 C II 1.
204
Teil II:
Grundlagen
der Finanzierung
in rechtsvergleichender
Sicht
deren Grundkapital bei der Börsenaufsicht (Securities and Exchange C o m mission) registriert und über grundsätzlich frei übertragbare Aktien öffentlich eingehoben ist. Diese Publikumsgesellschaft mit regelmäßig breit gestreuten Anteilen entspricht in Deutschland der typischen börsennotierten Aktiengesellschaft mit ebenfalls breit gestreuten Aktien. Publikumsgesellschaften sind in den Vereinigten Staaten mit einer Zahl 36 von rund 13 000 die wirtschaftlich mit Abstand bedeutendste Unternehmensform. Die publicly held Corporation ist gemeint, wenn nachfolgend unter geltendem Recht ohne weiteres die Begriffe „(Aktien-)Gesellschaft" (Corporation) oder „Publikumsgesellschaft" gesetzt sind.
II. Entwicklungsgeschichtliche
Aspekte
Der Begriff „Corporation" geht zurück auf das spätlateinische corporatio, nem (von corporare, bilden), tritt im Spätmittelenglischen zum Ausgang des 16. Jahrhunderts auf und steht für eine künstliche Existenz (artificial person) als Ergebnis körperschaftlicher Verbindung (incorporation). 37 Wie im römisch-rechtlichen Kreis ist in der englischen Tradition die Rechtspersönlichkeit der Corporation ein vom Souverän durch Hoheitsakt (charter) verliehenes Privileg. In seinen Genuß kamen ursprünglich nur wenige Einheiten für im Kern staatstragende Zwecke wie die Organisation von Finanzinstituten und dem kolonialen Uberseehandel. Die Idee eines permanenten Kapitalstocks mit Ausgabe von Aktien tritt bei der East India Company Anfang des 18. Jahrhunderts auf. Bald schon folgen Neugründungen durch Kaufleute, die in moderner Art Kapitalgesellschaften nutzen. 38 Das aus England mit dem common law durch die Kolonialzeit importierte Gedankengut ist der tiefere Grund, in dem die moderne amerikanische business corporation wurzelt. In den neu gegründeten Vereinigten Staaten von Amerika entstanden im ausgehenden 18. Jahrhundert corporations durch staatliche Konzession, ganz überwiegend für Banken, Versicherungsgesellschaften sowie Unternehmen zum Aufbau einer Infrastruktur (wie Wasserversorgung, Brückenbau). 3 9 Der Bundesstaat N e w York erließ im Jahre 1811 36 Angabe von S E C Chairman Arthur Levitt, Anhörung zum „Securities Investment Promotion Act of 1995", U.S. Senate Committee on Banking, Housing and Urban Affairs, Federal Document Clearing House vom 5.6.1996. Uber Emissionsvolumina unten in IV. 37 Oxford English Dictionary, S. 956 („corporation"). Zugeschrieben wird das Wort „corporation" Brook, der es in seinem „Abridgement" von 1586 gebraucht; Berle, Law of corporation finance, S. 6 (dort Fn. 3). 38 Näher Berle, Law of corporation finance, S. 11 ff.; vgl. oben § 5 A l l . Grundsätzlich Chandler, The invisible hand; Conard, Corporations in perspective; deutschsprachig etwa Wiethölter, Interessen und Organisation der Aktiengesellschaft. 39 Zwischen 1796 und 1800 sollen 181 Unternehmen charters erhalten haben; Friedman, History of American Law, S. 189. Speziell zu N e w York Seavoy, Origins of the American business corporation, S. 39ff.
5 7 Finanzierung
von Kapitalgesellschaften
in den USA
205
das erste allgemeine Gesetz in den Vereinigten Staaten für die Inkorporation von business companies zu bestimmten Fabrikationszwecken, markierte damit die Abkehr vom Konzessionssystem hin zum Normativsystem und sicherte diesen Weg - wie der Bundesstaat Iowa - im Jahre 1846 auch verfassungsrechtlich ab. 40 Das System setzte sich grundsätzlich durch und hatte Ende des 19. Jahrhundert weithin in den meisten Bundestaaten Fuß gefaßt. 41 Die föderale Ordnung führte freilich zu unterschiedlichen Ausprägungen. U n t e r den Bundesstaaten entbrannte im Bemühen um Finanzressourcen 4 2 ein scharfer Wettbewerb. Es gab bezogen auf die legalen Anforderungen der Inkorporation nach Justice Louis D. Brandeis in seinem legendären Dissens in Liggett v. Lee ein Rennen „not of diligence but of laxity" 4 3 . Neben N e w Jersey, West Virginia und anderen erlangte hier namentlich die - auf dem wegweisenden Ansatz N e w Jerseys von 1875 aufbauende 44 - Gesetzgebung Delawares „liberale" Berühmtheit. D e r kleine Bundesstaat avancierte innerhalb der amerikanischen Wirtschaft zu einem Fixpunkt gesellschaftsrechtlicher Entwicklung. Darüber ist einschließlich der im zwanzigsten Jahrhundert allgemein herrschenden Tendenz, Mißbrauchsmöglichkeiten der Rechtsform durch staatliche Regulierung einzudämmen, anderweitig schon berichtet. 45 Zwei Aspekte seien noch genannt. Sicher ist die traditionell betonte Vorreiterrolle Delawares schlicht geographisch begünstigt durch die Lage im Dunstkreis der Finanz- und Politikzentren Washington, Philadelphia, N e w York und Boston. Vor allem aber weist das oft mißverstandene Adjektiv „liberal" am Beispiel des Gesellschaftsrechts auf eine leicht vernachlässigte Komponente, die Aufschluß über eine der wirkenden Entwicklungskräfte gibt. Wird bedacht, daß etwa Ende des 19. Jahrhunderts - im Gegensatz zu Delaware - O h i o und Minnesota den Aktionären doppelte Haftung 4 6 abverlangten und Illinois den corporations Anteile an anderen Unternehmen untersagte, zeigt sich der angelegte Maßstab als entscheidend für die Einstufung als „liberal". Das gilt unverändert durch die Zeiten. Damit ist zugleich die auch als „laborartig" bezeichnete Prägung des amerikanischen Föderalismus ange40 Erstes Statut, nach dem corporations für jeden rechtmäßigen Zweck - allerdings auf zwanzig Jahre begrenzt - gegründet werden konnten in Connecticut 1837; insgesamt Larcom, Delaware corporation, S. 1-3; Seavoy, Origins of the American business corporation, S. 65 ff. Auch New York City war übrigens eine „chartered corporation"; Friedman, History of American Law, S. 188. 41 Larcom, aaO., S. 3. 42 Gebühren für die Inkorporation {filing fees) sowie corporate franchise tax, die ein Bundesstaat für die Berechtigung zur Ausübung der Geschäftstätigkeit auf seinem Territorium erhebt. 43 Louis K. Liggett Co. v. Lee, 288 U.S. 517, 541, 559 (1933); dort, 550ff., allgemein zur Entwicklung der corporation. 44 Siehe Buxhaum, in: Buxbaum/Hopt, Legal harmonization, S. 115f. 45 Großfeld, Aktiengesellschaft, S. 164-68; Hatzis-Schoch, R I W 1991, 539-543. 46 Zur double liability of shareholders etwa Anderson v. Abbott, 321 U.S. 349 (1944). Lacrom, Delaware corporation, S. 11 ff. (mit weiteren Beispielen).
206
Teil II: Grundlagen
der Finanzierung
in rechtsvergleichender
Sicht
sprachen, wo innerhalb des Gesamtgefüges ein Bundesstaat mit Rechtskonstruktionen im Wege des „trial and error" experimentieren kann. 47 Dieser wettbewerbliche Charakter des Rechts wird weiterhin bewußt gepflegt. Es ist im Hayeksehen Sinne „Wettbewerb als Entdeckungsverfahren" 4 8 , der das Gemeinwesen der Vereinigten Staaten fördert und nachhaltig die Kapitalmärkte ergreift; so etwa durch verschiedene Rechtskonzepte für Kapitalgesellschaften. 49 Zunächst aber zu den Rechtsgrundlagen im föderalen Gefüge.
III. 1.
Rechtsgrundlagen
Überblick
Bei der publicly beld Corporation - und ebenso bei der closely held Corporation - wirkt innerhalb der föderalen Ordnung der Vereinigten Staaten von Amerika das aufgezeigte System von Fallrecht (case law) und Gesetzesrecht (.Statute law). Danach existiert im Gegensatz zum deutschen, bundesweit geltenden Gesellschaftsrecht kein einheitliches \J .S.-Corporation law. Die K o m petenzen für Rechtsprechung und Gesetzgebung obliegen jedem der fünfzig Bundesstaaten im Rahmen seiner Jurisdiktion, so daß insgesamt verschiedene Rechtsgrundlagen in Betracht kommen. Die Rechtsstruktur der Corporation bestimmt sich nach dem einzelstaatlichen Recht ihrer Inkorporation. 5 0 Ist der Einzelfall so praktisch handhabbar, folgt daraus für grundsätzliche Fragen nur auf den ersten Blick eine verwirrende Gemengelage. Mehrere Aspekte ordnen für die Untersuchung das chaotisch anmutende Bild. Zunächst gibt es unterschiedlich erfolgreiche Bemühungen, bundeseinheitliche Standards im Bereich des Gesellschaftsrechts zu schaffen (dazu gleich 2). Weitere Klarheit schafft die Konzentration auf das Recht einzelner Bundesstaaten, hier auf Delaware, N e w York und Kalifornien (dazu 3). Die für uns wesentlichen kapitalmarktrechtlichen Regeln (securities laws) börsennotierter Gesellschaften sind einheitlich geltendes Bundesrecht (dazu in § 9); das gilt auch für das (in § 8 C ) behandelte Steuerrecht. Einschlägiges Fallrecht wird jeweils beachtet.
2. Revised Model Business Corporation
Act (1984)
Zur Vereinheitlichung des Rechts von Kapitalgesellschaften in den Vereinigten Staaten hat die Vereinigung der Rechtsanwälte (American Bar Associa47 Nach Brandeis in New State Ice Corp. v. Liehmann, 285 U.S. 262, 311 (1932) „one of the happy incidents of the federal system". 48 Dazu der Hinweis von Buxbaum, in: Buxbaum/Hopt, Legal harmonization, S. 13 f., unter dem Aspekt rationaler Machtteilung und Rechtsvereinheitlichung. 49 Dazu § 8 A l l . 50 Die Füll Faith and Credit Clause der U.S.-Verfassung (Art. IV Abschn. 1) gebietet, den Gründungsakt in allen anderen Bundesstaaten anzuerkennen.
5 7 Finanzierung
von Kapitalgesellschaften
in den USA
207
tion) 1950 den Model Business Corporation Act vorgelegt. Nach Struktur und Inhalt auf dem Illinois Business Corporation Act von 1933 gründend sowie mehrmals überarbeitet, war er in über dreißig Jahren Leitbild bei der Gesetzgebung für business corporations in rund 35 Bundesstaaten und übte auch darüber hinaus Einfluß aus. Im Jahre 1984 veröffentlichte die American Bar Association den Revised Model Business Corporation Act ( R M B C A ) . Die Regeln des Vorgängers sind seine Basis, neuere Bedürfnisse und Erkenntnisse werden aber berücksichtigt. Der Revised Model Business Corporation Act ist als praktischer Leitfaden für die Revision einzelstaatlicher Gesetze konzipiert, der gegenwärtige Ansichten zur geeigneten Anpassung der verschiedenen, auf die moderne business corporation projizierten kommerziellen und sozialen Interessen wiedergibt. 5 1 Er bietet ein umfassendes Konzept für die Rechtsstruktur der business corporation. Zweimal (1987 und 1988) geändert, übernahmen ihn inzwischen zahlreiche Bundesstaaten mehr oder weniger modifiziert in ihr Recht. 52 Andere Bundesstaaten verharren entweder (noch) bei der Vorgängerversion ( M B C A ) oder gehen zumindest teilweise eigene Wege. Nach dem Revised Model Business Corporation Act muß eine business Corporation mit der Absicht der Gewinnerzielung betrieben werden. Sie ist juristische Person mit körperschaftlicher Struktur und als solche, einmal wirksam gegründet, in ihrer Existenz unabhängig vom Bestand der Anteilseigner. Ihre Dauer kann zeitlich begrenzt und ihre Auflösung durch Beschluß der Gesellschafter oder eines Gerichts herbeigeführt werden. Die business Corporation tritt als eigenständige Rechtsperson im Rechtsverkehr mit ihrem Namen auf und kann unter diesem klagen und verklagt werden 33 . Für Gesellschaftsschulden haftet das Gesellschaftsvermögen, während Anteilseigner, welche die Einlage für ihre Anteile voll geleistet haben, persönlich weder der business corporation noch deren Gläubigern haften. 54 Soweit entspricht die Rechtsstruktur der Aktiengesellschaft. Entgegen deren dualistischer Leitungsordnung mit Vorstand und Aufsichtsrat hat die business corporation monistisch einen Verwaltungsrat ( b o a r d , of directors), dem die Geschäftsführung obliegt.
51 Näher die maßgeblich an der Entwicklung des R M B C A beteiligten Goldstein/Hamilton, 38 Business L a w y e r 1019 (1983). 52 Weitgehende Ü b e r n a h m e nach Model Business Corporation Act annotated, 3rd. ed., Vol. 1, Stand 1995 Supp., p. X L I [mit Einzelheiten zu Art, Inhalt und auch anderen Bundesstaaten], in: Arkansas (1987), Florida (1989), Georgia (1989), Indiana (1986), Iowa (1989), Kent u c k y (1988), Mississippi (1988), Montana (1991), N e w Hampshire (1992), N o r t h Carolina (1990), Oregon (1987), South Carolina (1988), Tennessee (1988), Utah (1992), Vermont (1993), Virginia (1985), Wisconsin (1990). 53 R M B C A § 3 . 0 2 . 54 R M B C A § 6 . 2 2 .
208
Teil II:
Grundlagen
3. Einzelstaatliches
der Finanzierung
Recht (Delaware,
in rechtsvergleichender
Kalifornien,
New
Sicht
York)
Die drei einzelstaatlichen Rechte der Bundesstaaten Delaware, Kalifornien und New York stehen nachfolgend, wo kein Bundesrecht greift, wegen ihrer Bedeutung im Gefüge der Vereinigten Staaten von Amerika im Blickpunkt. Für ihre Wahl aus dem Kanon der fünfzig Bundesstaaten sprechen gute Gründe. Die wegweisende Stellung von New York und Delaware zeigte gerade schon der historische Blick, bei Kalifornien werden wir sie noch sehen.55 Die aktuelle Bedeutung des kleinen Delaware ist leicht illustriert. Von rund 2600 im Jahre 1995 an der New York Stock Exchange notierten Aktiengesellschaften waren inkorporiert rund: 32% in Delaware, 3,1% in New York und 1,5% in Kalifornien. 56 Obwohl jüngere Untersuchungen indizieren, daß sich das Gesellschaftsrecht von Delaware insgesamt nicht signifikant vom Recht der meisten anderen Bundesstaaten unterscheidet, sind die delawaresche Gesetzgebung und Rechtsprechung gegenwärtig wohl die Hauptquellen des modernen Gesellschaftsrechts. Nach der Gesamtstruktur der Vereinigten Staaten ist New York im Osten das Wirtschafts- und Kulturzentrum, in dessen Mekka der internationalen Finanzwelt mit der New York Stock Exchange und der American Stock Exchange zwei herausragende Börsenplätze siedeln. Die Führungsrolle im Westen des Landes hat Kalifornien als bedeutendster Flächenstaat im Bund. Mit über 30 Millionen Einwohnern, den Schlüsselindustrien Medien (Los Angeles) sowie Kommunikations- und Biotechnik (Silicon Valley), wichtiger Landwirtschaft und der Pacific Stock Exchange (San Francisco) ist der „Golden State" das Tor zum pazifischen Becken, der größten Wachstumsregion der Welt. Bei beiden Bundesstaaten verleihen Wirtschaftskraft und darauf gründender politischer Einfluß den dort geltenden Rechtsstandards Gewicht innerhalb der Föderation. Wie New York im Osten, so gilt Kalifornien im Westen als „leading Jurisdiction". Dabei wird Eigenständigkeit gepflegt. In Kalifornien etwa lehnte die maßgebende State Bar Commission bei der großen Reform 1977 die „Delawarisierung" des Gesellschaftsrechts ab.57 Zugleich kennzeichnet und eint die Bundesstaaten Delaware, Kalifornien und New York eine weitgehende, beständige Reserviertheit gegenüber Bestrebungen um einheitlich föderale Regeln namentlich im Gesellschaftsrecht.
In § 8 A II 3. Eigene Berechnung nach Angaben aus N Y S E guide, Vol. 1, Stand: 1.5.1995, S. 715-800. '7 Marsh/Finkle in Marsh's California Corporation Law, Band 1, § 1.10 (S. 44); näher unten § 8 A II 3; zur kalifornischen Führungsrolle etwa bei der sog. Einheitsbesteuerung (unitary taxation) von Konzernen Luttermann, IStR 1994, 489 ff. und ders., R I W 1996, 935 ff. 55
56
§ 7 Finanzierung
IV. Eigenkapitalquoten,
von Kapitalgesellschaften
Besteuerung
und
in den USA
209
Wertpapierneuemissionen
Praktische Anschauung bieten einige Kennzahlen. Vorangestellt seien zwei Anmerkungen. Über bilanzierte Eigenkapitalquoten der Kapitalgesellschaften in den Vereinigten Staaten, die im Schnitt höher liegen als in Deutschland, wurde schon einleitend58 berichtet; die dort aufgezeigte Problematik solcher Vergleiche ist zu unterstreichen. Zur Besteuerungslage in beiden Ländern sei auf einen vorliegenden Belastungsvergleich verwiesen, der anhand einer Modellrechnung über 10 Perioden zu einer höheren Gesamtsteuerbelastung der Kapitalgesellschaft und ihrer Anteilseigner nach deutschem Steuerrecht kommt. 59 Die Ergebnisse solcher Rechnungen sind freilich stark einzelfallbezogen und nur bedingt verallgemeinerungsfähig. Insgesamt bleibt die Antwort auf die zentrale Frage, inwieweit die Steuersysteme tatsächlich die Finanzierung von Unternehmen mit als Fremdkapital eingestuften Formen gegenüber klassischem Eigenkapital begünstigen, empirischen Studien überlassen. Statistische Fakten liegen für den Umfang der Neuausgabe von Wertpapieren amerikanischer Gesellschaften vor. Nach Angaben des Zentralbanksystems der Vereinigten Staaten (Federal Reserve System), gegliedert in „Aktien" (stocks) und „Anleihen" (bonds), wurden an heimischen Börsen öffentlich neuemittiert60: Aktien (Stämme und Vorzüge) über $ 101 554 Millionen (1993) und $ 60 398 Millionen (1994) sowie Anleihen über $ 487 029 Millionen (1993) und $ 365 198 Millionen (1994); hinzu kommen beachtliche Volumina aus Privatplazierungen und Auslandsverkäufen. Der Markt für Unternehmensanleihen übertrifft mithin den für Aktien um ein Vielfaches im Volumen, was traditionell der Fall ist.61 Für unseren Bereich gibt eine weitere Zahl Aufschluß. Aus Investorsicht liegen langfristige Unternehmensanleihen (long-term corporate bonds) mit einem durchschnittlichen Jahresertrag von 5,7% selbst gegenüber (langfristigen) Staatsanleihen (government bonds) mit nur durchschnittlich 5,2% Jahresertrag vorne.62 Diese Daten zeigen bereits In § 1 A II 2 c. Smith, Besteuerung von Kapitalgesellschaften, S. 152 ff., 267. Modellunternehmen ist auf der Grundlage von Daten der Deutschen Bundesbank, des Statistischen Bundesamtes und der Industriekreditbank A G eine strukturell „für das deutsche verarbeitende Gewerbe repräsentative Kapitalgesellschaft", S. 152. Vgl. zur Steuerbelastung von „debt" und „equity" in den USA unten in § 8 C III. 60 Quelle: 82 Federal Reserve Bulletin (No. 5, May) 1996, A34. Zum Begriff „bonds" in § 8 All. 61 Angaben in Moody's Industrial Manual (hier aus: 1995, Vol. 1, a45, mit Tabelle für 19501993). Der Gesamtwert aller Wertpapierverkäufe auf den U.S.-amerikanischen Kapitalmärkten lag 1995 bei rund $ 900 Milliarden; Angabe von SEC Chairman Arthur Levitt, Anhörung zum „Securities Investment Promotion Act of 1995", U.S. Senate Committee on Banking, Housing and Urban Affairs, Federal Document Clearing House vom 5.6.1996. 62 Der höhere Ertrag spiegelt die von Investoren wegen des Ausfallrisikos bei Unternehmensanleihen geforderte Prämie; Quelle: Ibbotson Associates, Stocks, bonds, bills and Inflation, 1996 Yearbook (market results for 1926-1995), Chicago 1996, S. 30. 58 59
210
Teil II: Grundlagen
der Finanzierung
in rechtsvergleichender
Sicht
die Bedeutung der Finanzierung von Unternehmen mit schuldrechtlichen Wertpapierformen ( c o r p o r a t e debt securities), die wir untersuchen.
C.
Finanzierungstheorie
Dem Juristen ist ein klares Verständnis der ökonomischen Vorgänge und Bedingtheiten der mit der Aktiengesellschaft im Kapitalmarkt eingebetteten Lebensverhältnisse allgemein förderlich. Für die Behandlung einschlägiger Rechtsfragen - hier: der Unternehmensfinanzierung - ist es notwendig. Die zeitgenössische sogenannte „moderne" ökonomische Theorie bietet dazu wichtige Parameter. „Finanzierungstheorie" meint keinen methodischen Gegensatz zu empirischem Vorgehen, sondern - wie im weiteren Gang noch erhellt - eine beide Ansätze in Praxis und Schrifttum umfassende Behandlung. Anknüpfend an die einleitend63 benannten Aspekte rückt hier vertiefend die Finanzierungstheorie ins Zentrum. Nach den Grundstrukturen sowie systematischem Uberblick zu maßgeblichen Ansätzen und Modellen (sub II) werden behandelt: Bewertungsfragen (III), Gleichgewichtstheorie und Marktanalyse (IV), Wahrscheinlichkeitsrechnung und Wertlehre (V) sowie Spieltheorie (VI); vorangestellt seien einige Anmerkungen.
I. Internationaler Diskurs und Literaturauswahl Das in den Vereinigten Staaten veröffentlichte Schrifttum zur Unternehmensfinanzierung, in dessen Mittelpunkt traditionell die Kapitalgesellschaft (iCorporation) als Publikumsaktiengesellschaft steht, bietet zahllose Ideen und einen reichen Analysefundus. Es repräsentiert den Stand der ökonomischen Wissenschaft. Zahlreiche richtungsweisende Ansätze traten von dort über Praxis und wissenschaftlichen Diskurs ihren Weg in andere Regionen der Welt an, namentlich nach Europa. Sie wirken auch in Deutschland. Der internationale Austausch hat die ökonomische Theorie des Unternehmens und seine Finanzierung im zwanzigsten Jahrhundert geprägt. Das ist einer der handgreiflichen 64 Gründe für zunehmend angeglichene und damit vergleichbare Strukturen in den Aktienrechten der Welt. Die behandelten Finanzierungsaspekte treten bei Kapitalgesellschaften grundsätzlich in jedem marktwirtschaftlichen System auf. Die einschlägige Literatur ist Legion - selbst bei der hier angezeigten Beschränkung auf maßgebliche Ströme in der zeitgenössischen Diskussion. Vollständigkeit der Darstellung ist weder erzielbar noch sinnvoll. Für unsere Zwecke geht es um den kritischen Blick auf Kernaussagen der modernen Fi63 64
Besonders in § 1 A II 2; auch § 5 C II (Transaktionskostenansatz; Bilanzanalyse). Zum tiefer wurzelnden Aspekt einheitlicher Grundmuster oben sub § 2 B II.
5 7 Finanzierung
von Kapitalgesellschaften
in den USA
211
nanzierungstheorie zu Kapitalmarkt und Kapitalgesellschaft. Entsprechend ist die Literaturauswahl getroffen worden. Im Mittelpunkt stehen Hauptvertreter maßgeblicher Ansätze; weiteres Schrifttum wird ergänzend beigezogen, soweit das die Skizze notwendig kontrastiert. Weitergehend seien empfohlen65: Das wirtschaftswissenschaftliche Standardwerk „Principles of Corporate Finance" von Richard A. Brealey und Stewart C. Myers66; das faszinierende Einblicke in die Entstehungsgeschichte(n) der modernen Theorienwelt bietende Buch von Peter L. Bernstein „Capital ideas", sowie die Fallbücher von Brudney und Chirelstein67 und - immer noch anregend - von Robert W. Hamilton68, deren Autoren übrigens Rechtsprofessoren sind. Das ist der Sache nach nichts Ungewöhnliches. Es spiegelt die für amerikanische Universitäten typisch rege Diffusion, die nach deutschen Verhältnissen mangelt und namentlich Studierenden wesentliche Perspektiven verbaut.
II. Zeitgenössische 1. Der (Markt-)Wert
des Unternehmens
Finanzierungstheorie und seiner
Wertpapiere
Das Interesse der zeitgenössischen, auf praktische Anwendung gerichteten Finanzierungstheorie kreist zentrifugal um „Werte": den Wert des Unternehmens und den Wert von ihm emittierter Wertpapiere, also der Aktien ( e q u i t y securities) und Schuldurkunden ( d e b t securities). Der Wert als solcher ist im Gegensatz zu Quantitäten seiner Natur nach als Qualität eine Größe, zu der Logik und rationale Begründung nur begrenzt Zugang haben. Die sich immer wieder aufs neue stellende Frage, wo die Grenze verläuft, bleibt im Grunde eine offene. Wie in dieser Untersuchung schon einleitend ausgeführt, variieren die individuell geprägten Antworten jeweils in einer mehr oder minder diffusen Mixtur aus persönlichen und allgemeinen Verhältnissen. Der Kapitalmarkt ist die Institution, die auf Effektivität ausgerichtete Strukturen bietet, in denen diese Verhältnisse verhandelt werden und sich in Preisen niederschlagen. Der im einzelnen Geschäft vertraglich fixierte Preis repräsentiert den Marktwert, der einem Unternehmen als Ganzes oder einem seiner Wertpapiere in diesem Zeitpunkt beigemessen und aus dem auf dem Kapitalmarkt als „store of value" 69 zirkulierenden Finanzvermögen beglichen wird. Die Finanzierungstheorie versucht allgemein nichts anderes, als die dabei herr65 Ältere deutschsprachige Übersicht bei Dresel, Die amerikanische Finanzierungsliteratur - eine Inhaltsangabe und Kritik, Köln 1928. Für Einzelfragen Brealey/Edwards, A bibliography of finance, Cambridge ( M A ) 1991. 66 In 5. Auflage, New York et al. 1994. 67 Cases and materials on corporate finance, hier nach der 4. Auflage von Brudney/Bratton, New York 1993. 68 Corporation finance - cases and materials, St. Paul (Minn.) 1984. 69 Bernstein, Capital ideas, S. 8.
212
Teil II: Grundlagen
der Finanzierung
in rechtsvergleichender
Sicht
sehenden Verhältnisse in ihren Zusammenhängen zu erfassen. Das Ziel ist, den Akteuren des Kapitalmarkts in einer Welt von Unsicherheiten risikobegrenzende Entscheidungshilfen an die Hand zu geben, die geeignet sind, Handlungsergebnisse zu verbessern. 2. Bewertungselemente
(Uberblick)
Wesentliche Elemente der Unternehmensbewertung sind angesichts der allgemein mit „Risiko" umschriebenen Unsicherheit künftiger Entwicklung: die vom Investor aus einer Kapitalanlage erwarteten Erträge (expected returns) sowie die Marktverhältnisse, die in der Finanzierungstheorie regelmäßig per Definition als „effizient" behandelt werden; darauf ist später70 noch einzugehen. Bleiben wir zunächst bei den Ertragserwartungen und betrachten, bevor gleich einzelne Modellbetrachtungen zur Kapitalstruktur auftreten, den zugrunde liegenden technischen Bewertungsvorgang der Diskontierung. Diskontieren ist eine mathematische Methode, mit der Wertpapierwerte und der Wert eines Unternehmens im Sinne erwarteter Erträge (expected returns) berechenbar sind. Benötigt werden Höhe und Dauer der zu diskontierenden Ertragserwartung sowie die Diskontrate. Dazu das Beispiel71 eines im Mai 1997 begebenen fünfjährigen Schatzbriefes (U.S. Treasury bond) in Höhe von 100 mit 7% Verzinsung. Bei jährlicher Auszahlung von 7 (= 0,07 x 100) ist der Barmittelzufluß (cash flow) für den Inhaber in den Jahren 1998 bis 2001 jeweils 7 und im Mai 2002 einschließlich Rückzahlung des Kapitals 107; insgesamt ergibt das einen Barmittelzufluß von 135. Der 1995iger Marktwert des Schatzbriefes wird ermittelt, indem man die künftigen Barmittelströme mit dem auf dem Markt für gleichartige Papiere gezahlten Prozentsatz diskontiert. Angenommen, im Frühjahr 1997 wurden vergleichbare 7% Treasury bonds durchschnittlich mit einem Ertragsfaktor (rate of return) von 5% gehandelt; auf diesen alternativen Wert verzichtete der Investor mit dem Kauf des 7% Treasury bond, dessen Marktwert 72 mithin rund 128,6 beträgt. Das ist der Preis, den die Investoren im Mai 1997 grundsätzlich zu zahlen bereit sind. Die beigezogenen Treasury bonds veranschaulichen das Grundmuster der Wertberechnung mittels Diskontierung bei einer Variablen (hier: rate of return) nicht nur, der ermittelte Wert73 hat auch hohen Realitätsbezug. Treasury bonds sind wie Bundesschatzbriefe als festverzinsliche staatliche Anleihen Zur efficient market hypothesis unten in III 2. Vgl. näher: Brealey/Myers, Corporate finance (abgedruck bei Bmdney/Chirelstein, Corporate finance, S. 38 ff.). 11 Der Ertragsfaktor wird auch als the bond's yield to maturity oder internal rate of return (r) bezeichnet. Die Berechnung des Gegenwartswertes (G) durch Diskontieren der Barmittelströme (C) in unserem Beispiel über fünf Jahre (t) ist wie folgt: G = ——-— = 7 : 1,05 + ( + r ) t 7 : 1 , 0 5 + 7 : 1 , 0 5 + 7 : 1 , 0 5 + 1 0 7 : 1 , 0 5 = 128,57. 73 Bei dem freilich noch die Inflationsrate einzuberechnen wäre. 70 71
§ 7 Finanzierung
von Kapitalgesellschaften
in den USA
213
praktisch risikolos, die im Zeitablauf zu erzielenden Zinserträge für den Investor sicher kalkulierbar. Bei privaten Unternehmen ändert sich das Bild schlagartig. Dort ist manches fraglich. Selbst wenn ebenfalls eine festverzinsliche Schuldverschreibung (bond) betrachtet wird: Wonach ist der Ertragsfaktor zu bestimmen? Anhalt können etwa andere, branchengleiche Unternehmen mit ähnlichen Emissionen bieten. Aber inwieweit sind deren wirtschaftliche Lage und Daten nach Größe, Management, Verwertungsrechten (Patente, Lizenzen), Produktpalette, Absatzmärkten, Kooperationspartnern usw. auf der Zeitschiene künftiger Entwicklung tatsächlich vergleichbar? Schließlich bleibt bei privaten Unternehmen als Vertragspartner und ungesicherter Investition das Insolvenz- und Konkursausfallrisiko. Bezieht man Kündigungsrechte ein oder betrachtet Wertpapiere, die wie Aktien und die meisten der hier behandelten Hybridformen auf einen Unternehmensgewinn bezogene Ansprüche gewähren, vermehrt sich die Zahl der Variablen. Die Wertberechnung einzelner Papiere wird komplexer und regelmäßig auch „ungenauer". Die Schwierigkeiten bei der Wertberechnung eines Unternehmens (zumal bei einer Aktiengesellschaft mit regelmäßig mehreren Wertpapierkategorien!) liegen auf der Hand. Praktisch schmilzt also das tragende Eis rechnerischer Werte schnell unter den Füßen, und wer sich dennoch (oder gerade deshalb) bewegen - sprich: unternehmerisch investieren - will, wandelt grundsätzlich mit entsprechendem Risiko. Investoren und Kapital nachfragende Unternehmen beschreiten diesen Weg. Unternehmen beziehen regelmäßig schon im Rahmen der Finanzplanung (capital budgeting) Überlegungen zur Auswirkung bestimmter Finanzierungsformen auf den Wert des Unternehmens und seiner Wertpapiere ein und treffen danach die Auswahl. 3. Zur Kapitalstruktur:
Entwicklung
und
Überblick
Das Spektrum der in den technischen Bewertungsrahmen eingestellten Fragen zur Kapitalstruktur ist breit gefächert. Mit Blick auf die maßgebende Anbieterseite des Kapitalmarktes geht es regelmäßig um die Reaktionen der Investoren auf unternehmerische Finanzierungs-, Investitions- und Dividendenentscheidungen. Veränderungen in der Kapitalstruktur von Unternehmen stehen dabei - wie bereits gezeigt74 - im Zentrum. Die grundlegenden Ansätze zur business Corporation gehen in den Vereinigten Staaten bis in die sechziger und siebziger Jahre zurück. Namentlich die 1958 von Franco Modigliani und Mertön Miller vorgelegte, noch (unter III 1) näher beleuchtete Arbeit bereitete das Forschungsfeld, auf dem bald zahlreiche Untersuchungen folgten. In den achtziger Jahren einsetzend und dann mit den technischen Möglichkeiten im Computerzeitalter stark anschwellend überschwemmt seit Anfang der neunziger Jahre eine Flut von Veröffentlichungen das Fachpublikum mit Da74
Etwa oben § 1 A II 2 und § 5 C II.
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Teil II:
Grundlagen
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in reehtsvergleichender
Sicht
ten, Interpretationen und Theorien. Einher ging in weiten Teilen der dadurch sensibilisierten Wirtschaftspraxis die Umbildung der Kapitalstrukturen (financial restructuring) hin zu der verstärkten Fremdfinanzierung körperschaftlich organisierter Unternehmen, die wir betrachten. Ubersichten geben Anhaltspunkte in der Fülle der inzwischen vorliegenden theoretischen und empirischen Arbeiten, wobei freilich selbst die ordnenden Gesichtspunkte variieren. Milton Harris und Artur Raviv bilden etwa vier, die Kapitalstruktur prägende Kategorien. Es sind dies der Wunsch nach: verbessertem Informationsausgleich zwischen den Beteiligten (agency approacb), Übermittlung privater Informationen an den Kapitalmarkt oder Milderung widriger Auswahleffekte (Asymmetrie information approach), Beeinflussung der Produkt- oder Wettbewerbsnatur auf dem „produet/input market" sowie Einflußnahme auf den Ausgang von Wettbewerben um Unternehmenskontrolle.75 Wir destillieren76 folgende, juristisch besonders aufschlußreiche Hauptbezugspunkte, unter denen die Struktur des Unternehmenskapitals funktional betrachtet wird: (1) Ausnutzung von Steuervorteilen, (2) Interessenkonflikte und Agentenkosten, (3) Kosten aus Konkurs und Zahlungsschwierigkeiten, (4) Wettbewerbsfähigkeit, (5) Einflußnahme der Kapitalgeber auf das Management sowie (6) Unternehmensübernahme. Diese Aspekte, nachher noch in umfassendere Zusammenhänge gestellt, beanspruchen keine Rangfolge. Dennoch führen die Steuervorteile, die Unternehmen wie Anleger durch steueroptimales Verhalten erzielen, die Liste praktisch an. Kaum überraschend daher, daß Fragen der Kapitalstruktur vor allem im steuerrechtlichen Lichte betrachtet wurden und werden; Modigliani und - verstärkt - Miller treten auch hier hervor.77 In Theorie wie Praxis erscheint dieser Weg gerade nach der Welle fremdfinanzierter Unternehmenskäufe78 besonders effektiv. Steuerliche Wirkungen von Finanzentscheidungen (wie die Absetzbarkeit der Zinszahlungen auf Fremdkapital vom unternehmerischen Einkommen) sind kalkulierbar, bringen „bare Münze". Das hat für die Beteiligten einen hohen Stellenwert, gibt sie ihnen grundsätzlich doch eine Konstante im sonst überwiegend von Ungewißheit geprägten Prozeß der Entscheidungsfindung. Wir blicken folgend näher auf die (potentiellen) Interessenkonflikte bei der Finanzierung einer Aktiengesellschaft, die zentral im zivilrechtlichen Gefüge angesiedelt sind.
75 Harris/Raviv, 46 Journal of Finance 297, 299 (1991), mit Hinweisen auf weitere Übersichten (dort in Fn. 1) und zahlreichen Tabellen, die das Schrifttum anschaulich aufbereiten. 76 Angelehnt an die instruktive Arbeit von Masulis, The debt/equity choice. 77 M.w. Nachw.: Modigliani/Miller, 53 American Economic Review 433-443 (1963); Miller, 32 Journal of Finance 261-276 (1977); Masulis, aaO. 78 Dazu in § 8 A III 2 und IV 1 b (allgemein); steuerlich z.B. Bulow/Summers/Summers, in: Shoven/Waldfogel, Debt, taxes and corporate restructuring, S. 135ff. sowie in § 8 C II 2 und 3.
5 7 Finanzierung
4.
von Kapitalgesellschaften
in den USA
215
Interessenkonflikte
Interessenkonflikte können aus der Kapitalstruktur eines Unternehmens erwachsen. Betriebswirtschaftlich werden sie unter dem schon genannten Aspekt der Agentenkosten ( a g e n c y costs) gesehen. Zwei wesentliche Konfliktherde, die für den Wert des Unternehmens und seiner Wertpapiere zusammenhängen, stehen literarisch zentral. Das Spannungsverhältnis zwischen Anteilseignern (principals) und Management ( a g e n t s ) ist Juristen aus der klassischen Diskussion über die Kontrolle der Unternehmensleitung im Lichte der Trennungsthese von Eigentum und Kontrolle bekannt. Aber erst die ökonomische Betrachtung zeigt die Verknüpfungen solcher Lebensverhältnisse. Ronald Masulis79 streicht vier Konfliktpunkte heraus. Manager bevorzugten: (a) höhere Vergütungsniveaus und niedrigere Leistungsprofile, soweit sie nicht sämtliche Kosten dafür in Form geringerer Löhne oder Marktwerte der persönlich gehaltenen Unternehmensanteile tragen müßten; (b) weniger riskante Investitionen und einen geringeren Verschuldungsgrad, um angesichts ihrer laufenden wie künftigen Bezüge und ihrer relativ gering diversifizierten Portfolios die Konkurswahrscheinlichkeit des Unternehmens zu mindern; (c) Investitionen mit kürzeren Zeithorizonten gegenüber profitableren Langzeitprojekten und (d) die Wahrscheinlichkeit einer Kündigung zu minimieren, die mit Änderungen in der Unternehmenskontrolle steige. Bei solcher Sachlage sucht die Praxis verstärkt, die Interessen der Manager vertraglich durch (teilweise) leistungsorientierte Vergütungsklauseln in sogenannten managerial incentive contracts an denen der Aktionäre auszurichten. In den Vereinigten Staaten ist eine Teilentlohnung über Aktien des Unternehmens üblich. Sie verbindet den Manager als Aktionär dem Unternehmen(swert) in besonderer Weise und ist geeignet, Agentenkosten zu mindern; das erklärt die als (a) und (b) angesprochene Interessenlage im Management. Die Kehrseite ist80, daß der Einfluß des in der Kapitalgesellschaft ohnehin Schlüsselgewalt ausübenden Managements wächst, wenn es zugleich als Investor - namentlich über (stimmberechtigte) Aktien - fungiert. Ist die Struktur der Anteilseigner bedeutsam für den Unternehmenswert, steht die Frage nach Indikatoren im Raum. Während steigende Anteilsrechte des Managements von einem insgesamt niedrigen (höheren) Niveau aus wohl tendenziell positiv (negativ) auf das Anteilsvermögen ( s h a r e h o l d e r wealth) ausstrahlen, interessieren hier Angaben zur Beziehung zwischen Anteilseigentum des Managements und Gewinnprämien ( r e t u r n premia) schuldrechtlicher Investoren ( b o n d h o l d e r ) . Neuere Daten werden dahin resümiert, daß Anteilseigentum des Managements im Bereich zwischen 5 bis 25% die Gewinnprämien signifikant positiv beeinflußt, während darüberliegende An79 80
AaO., S. 48. Überblick bei Masulis,
The debt/equity choice, S. 48 ff.
216
Teil II: Grundlagen
der Finanzierung
in rechtsvergleichender
Sicht
teilsraten sich eher negativ auswirken. 81 Die „Fremdkapitalgeber" bilden die dritte, am Unternehmenswert orientierte Hauptgruppe. Neben dem Begriffspaar „Anteilseigner/Management" steht als zweites klassisches Spannungsverhältnis der Konflikt zwischen Aktionär ( s t o c k h o l d e r ) und Inhaber von Fremdkapitaltiteln (bondholder)}2 Der Rechtsrahmen indiziert ihn. Erhöht sich mit steigendem Anteil der Fremdkapitalfinanzierung eines Unternehmens das Risiko von Zahlungsschwierigkeiten und Konkurs, stehen Aktionäre und dritte Investoren auf unterschiedlichen Ebenen. Denn relativ zur grundsätzlich begrenzten Aktionärshaftung kann das Ausfallrisiko der Fremdkapitalgeber überproportional ansteigen. Untersuchungen belegen, daß diese Konstellation für Aktionäre Anreiz zu einer Finanzierungspolitik bietet, auf Kosten dritter Investoren Vorteile zu erlangen.83 Solches Verhalten, gepaart mit einem (relativ)84 steigenden Ausfallrisiko der Fremdkapitaltitel, mindert allerdings die Attraktivität des Unternehmens und damit seinen Marktwert, was wiederum höhere Kosten der Aufnahme neuen Fremd- und Eigenkapitals fördert.85 Fremdkapitalgeber werden verstärkt Risikozuschläge, besondere Überwachungs-, Prüfungs- oder Sicherungsrechte fordern. Auch daher erscheint geboten, für eine ausgewogen an den Interessen von Aktionären und dritten Investoren ausgerichtete Kapitalstrukturpolitik zu sorgen. Blicken wir dazu auf einige empirisch unterlegte kapitalstrukturtheoretische Überlegungen. 5.
Kapitalstrukturansätze
Aus juristischer Sicht interessieren verschiedene kapitalstrukturelle Szenarien. Beginnen wir mit der rechtlich besonders folgenschweren Insolvenz86 als ersten Bezugspunkt. Die genannten Forderungen von Kapitalgebern nach bestimmten, für den Kapitalnachfrager teureren Investitionsbedingungen können bei signifikantem Verschuldungsgrad eines Unternehmens und namentlich bei kumulierenden Krisenelementen (wie Umsatzeinbrüche durch Mode81 Strock Bagnani/ Milonas/Saunders/Travlos, 49 Journal of Finance 453, 475 p. (1994); grundlegend zur Eigentümerstruktur Jensen/Meckling, 3 Journal of Financial Economics 305 pp. (1976). 82 Betont sei, was im weiteren Gang noch deutlicher wird: Gerade im Bereich der Hybridformen verschwimmen praktisch die Interessengegensätze; daher sind „Aktionär" und „Fremdkapitalgeber" begriffstypisch vereinfachte Bezeichnungen. 83 Masulis, The debt/equity choice, S. 35ff. 84 Gegenüber den Aktionären; wenn auch nach Modigliani/Miller der Unternehmenswert unabhängig von der Kapitalstruktur sein mag (dazu in § 1 A II 2 b), dürfte das maßgebliche subjektive Urteil der Marktteilnehmer (Miller, 46 Journal of Finance 479, 488 [1991] spricht selbst angesichts negativer Erfahrung aus der „junk bond"-Zeit [dazu § 8 A III 2] von einer „anti-leverage hysteria") solche Bewertung befördern; vgl. Leland, 49 Journal of Finance 1213, 1248(1994). 85 Vgl. Fama/Miller, The theory of finance, S. 186. 86 Dazu schon oben in § 5 C III.
§ 7 Finanzierung
von Kapitalgesellschaften
in den USA
217
oder Technikwandel, Branchen- oder Gesamtwirtschaftsrezession) zu Zahlungsschwierigkeiten bis hin zum Konkurs führen. Für daraus (potentiell) entstehende Kosten sind die Ansichten im Schrifttum geteilt. Es wird vertreten, sie sollten als relativ unbedeutend nicht die Finanzierungspolitik des Unternehmens berühren.87 Dagegen wird gefordert, auch die erwarteten Kosten aus Zahlungsproblemen einzubeziehen, die etwa durch krisenbedingt notwendige Rückkäufe oder Neuverhandlungen von Schuldpositionen entstehen können. Harry De Angelo und Ronald Masulis88 präsentieren ein Modell, das für Unternehmen einen „optimalen" Verschuldungsgrad vorgibt, in dem der aus der Verschuldung durch Steuervorteile erwartete Grenzertrag gleich den erwarteten Grenzkosten eines Konkurses ist. Sie schlagen eine geringere Zahl von Schuldnern und eine Kreditaufnahme nur von Aktionären vor, um die aus der Neuordnung der Kapitalstruktur zur Abwendung einer Krise erwarteten Kosten generell zu verringern. Unternehmen, die (dennoch) erhebliche Kosten erwarten, werden nach Hayne Leland zur Senkung des Risikos der (ungesicherten) Schuldpositionen und folglich der Zinsraten einen deutlich geringeren „optimalen" Verschuldungsgrad wählen als Unternehmen mit für sie relativ niedrigen Kostenprognosen. 89 Eine insolvenzbedingte Reorganisation kann freilich auch unter der konkursrechtlichen Lockerung von Vertragspflichten des Unternehmens gegenüber Arbeitnehmern, Lieferanten und Kunden die Wertpositionen der Aktionäre und dritten Investoren steigern. Gerade Krisenzeiten illustrieren die Bedeutung der Kapitalstruktur für die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens. In einer neueren Studie zum Verhältnis von Finanzverfassung und unternehmerischer Leistung befinden Tim Opler und Sheridan Titman90, daß Unternehmen mit hohem Verschuldensgrad in Wirtschaftsflauten beträchtliche Marktanteile an die konservativer finanzierte Konkurrenz verlieren und auch geringere Betriebsgewinne (operating profits) als jene erzielen; das scheint besonders ausgeprägt bei signifikantem Forschungs- und Entwicklungsaufwand sowie innerhalb stärker konzentrierter Wirtschaftszweige. Sie schreiben die beobachteten Umsatzverluste weniger dem Verhalten von Kunden und Wettbewerbern zu, sondern - übereinstimmend mit anderen Studien - den durch Finanzierungsnot (financial distress) beförderten Änderungen in der Unternehmensstrategie hin zu effizienteren, kleineren Strukturen (downsizing). In der Kapitalstruktur ist das Dreiecksverhältnis zwischen Aktionären, dritten Investoren (bondholder) und Management noch heller auszuleuchten. Intensiviert zunehmende Verschuldung des Unternehmens grundsätzlich Ri87 So Miller, 32 Journal of Finance 261 pp. (1977); allgemeine Übersicht bei Masulis, The debt/equity choice, S. 3Iff. 88 8 Journal of Financial Economics 3-30 (1980); dazu Masulis, aaO., S. 32. 89 Leland, 49 Journal of Finance 1213, 1248 (1994). 49 Journal of Finance 1015, 1037 (1994), m.w. Nachw. zu ähnlichen Studien.
218
Teil II: Grundlagen
der Finanzierung
in rechtsvergleichender
Sicht
siko und Sicherungsinteresse von Kapitalgebern bei gleichzeitiger Stärkung ihrer Verhandlungsposition gegenüber dem Unternehmen, kann ein solcher Prozeß instrumentalisiert werden. Dazu sei aus verwandten Studien die von Harris und Raviv91 herausgestellt. Ihre Theorie zu Kapitalstruktur, Schuldrückzahlungsplänen und Neuverhandlungen nimmt die Abwägung zwischen einer Reorganisation und der Liquidation des Unternehmens als Fixpunkt. Die einleitende Analyse zur Kapitalstruktur als Informationsindikator spiegelt die allgemeine Sicht im Schrifttum: Die bloße Fähigkeit des Unternehmens, seinen Zahlungspflichten nachzukommen, liefere den Schuldnern Informationen, und das Management müsse bei Zahlungseinstellung zur Liquidationsabwendung die Kreditgeber entweder durch informelle Neuverhandlungen oder im formalen Konkursverfahren besänftigen. Obwohl kostenintensiv, verbreite dieses Verfahren bedeutende Informationen unter die Investoren; das könne Geschäftspolitik (einschließlich Liquidation) und Umbildung der Finanzstruktur nachhaltig beeinflussen. Auch um solche Entwicklung zu vermeiden, wird ein Unternehmen die Zahlungsreihen für Fremdkapital so anlegen, daß Liquidität möglichst gesichert ist.92 Harris und Raviv meinen weiter, Manager widerstrebten im Grunde einer Liquidation und verführen mit Detailinformationen, die eine solche nahelegen könnten, gegenüber Investoren zurückhaltend. Damit kontrastieren sie im statischen und dynamischen Rahmen die Möglichkeit dritter Investoren, im Spiegel der Vertragstreue des Unternehmens bei Zahlungspflichten mittels ihrer Gläubigerrechte entsprechende Informationen über Managementqualität sowie Unternehmenseffizienz aufzuschwemmen, um das Management überwachen, disziplinieren und eine folgende, fundierte Liquidationsentscheidung ausführen zu können.93 Den für die Informationsverschaffung „optimalen" Verschuldungsgrad des Unternehmens bestimmen die Autoren 94 statistisch aus Investorensicht durch Verrechnung eines entstehenden Nutzwertes mit der Wahrscheinlichkeit, andernfalls (teure) Nachforschungskosten aufwenden zu müssen. Im Kontext von Kapitalstruktur und Einflußnahme steht auch der schillernde Aspekt der Unternehmensübernahme (takeover). Sie wird durch Wechsel der Mehrheitsverhältnisse, regelmäßig infolge massiven, überwiegend fremdfinanzierten Aufkaufs von Anteilen eines Unternehmens, vollzogen. Aus Sicht des übernommenen Unternehmens kann dieser Akt - etwa wegen Synergieeffekten - erwünscht {friendly takeover) oder - oft weil das übernehmende Unternehmen ein Wettbewerber ist - unerwünscht (hostile takeover) sein. Zur Vorbeugung gegen unerwünschte Ubernahmen wie auch für kostenoptimale Abwicklung freundlicher Ubernahmen steht die Archi91 92 93 94
45 Journal of Finance 321 pp. (1990); dort (S. 321 f.) Übersicht zu weiterem Schrifttum. Dazu oben § 5 C II 1 und unten in § 8 B III 2 a (Beispiel Texaco). 45 Journal of Finance 322 p. (1990). Ebenda, 343.
§ 7 Finanzierung
von Kapitalgesellschaften
in den USA
219
tektur der Kapitalstruktur und folglich die gesamte unternehmerische Finanzplanung mit der rechtlichen Umsetzung im Zentrum, einschließlich Fragen des Schutzes von Minderheiten vor sogenanntem „Aushungern" (freezeout).95 Der in den neunziger Jahren blühende Bereich auch hybrider Finanzierungsformen bei Unternehmensübernahmen beschäftigt uns noch.96 Wenn sich auch manches dem vorstehenden Rundblick anfügen läßt, illustriert er doch die Vielfalt der bei Entscheidungen zur Kapitalstruktur wirkenden Einflüsse und die Bedeutung der Kapitalstruktur - als Spiegelbild der Investorstruktur - für den Unternehmenswert. Festzuhalten ist, daß die angeführten Modellansätze und ihre hier nicht näher nachzuprüfenden Aussagen jeweils Ausschnitte der betroffenen Lebensverhältnisse darstellen. Praktisch sind die behandelten Aspekte nur als wechselseitig aufeinander bezogene Komponenten des komplexen Puzzles der Unternehmensfinanzierung zu begreifen und angemessen zu handhaben. Der gemeinsame Nenner aller Betrachtung ist die Funktion der Kapitalstruktur als Informationsparameter und deren - wie schon erörtert97 - wesenseigen interpretationsfähigen und interpretationsbedürftigen Signalwirkung; hinter dem jeweils einzusetzenden Zähler bleibt angesichts asymmetrischer Informationslagen und individuell verschiedener Befindlichlichkeiten ein Fragezeichen.
III.
Marktwert,
Hypothesen
und
Bewertungsmodelle
1. Das „ L e v e r a g e " - M i ß v e r s t ä n d n i s Angesichts der Vielfalt der den Marktwert des Unternehmens und seiner Wertpapiere aktuell oder potentiell beeinflussenden Faktoren, steht die Frage im Raum, wie Finanztheorie und Praxis damit für die Kapitalstruktur umgehen. Blicken wir zunächst auf den Verschuldungshebel ( „ l e v e r a g e " ) und die schon einleitend erläuterten, grundlegenden Propositionen von Franco Modigliani und Mertön Miller aus dem Jahre 1958 zurück. Nach ihrer ersten, auch als Invarianztheorem bezeichneten These ist der Unternehmenswert unter der Annahme von Gleichgewicht auf einem vollkommenen Kapitalmarkt unabhängig von der Kapitalstruktur ( d e b t / e q u i t y ratio)?% Während dieses Theorem und der dazu vorgelegte Arbitragenachweis inzwischen allgemein anerkannt sind, bleibt sein praktisch-empirischer Wert skeptisch betrachtet. Das liegt wesentlich begründet im verbreiteten Mißverständnis über das An95
Umfangreiches Material bei Gilson/Black,
The law and finance of corporate acquisitions,
1995. In § 8 B und (einführend) § 8 A III 2. Oben sub § 5 C II und III; weiter etwa noch unten in § 9 (aus bilanzrechtlicher Sicht) sowie in § 11 (kapitalmarktrechtlich). 98 Modigliani/Miller, 48 American Economic Review 261-297 (1958); dazu schon in § 1 A II 2 b. %
97
220
Teil II:
Grundlagen
der Finanzierung
in rechtsvergleichender
Sicht
liegen von Modigliani und Miller, das nur im damaligen Zeitkontext verständlich ist und aus jüngeren Äußerungen beider Autoren erhellt. Im Kern ging es um die zentrale methodische Frage. Der traditionell operationale Ansatz bei der Finanzierung zielte auf die Maximierung von Gewinn. Modigliani und Miller lag daran, den Blick auf die Maximierung des Marktwertes der unternehmerischen Verbindlichkeiten (debt) plus Eigenkapital (equity) zu lenken. Der dazu gewählte spezielle Rekurs auf die Kapitalstruktur hatte einen bestimmten Anlaß. Der spätere Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften Franco Modigliani, der übrigens zu Beginn seiner akademischen Karriere zunächst als Jurist in Rom zum Doktor der Rechte promovierte, beschreibt ihn wie folgt: „The paper was meant to upset my colleagues in finance b y arguing that the core issue that received most attention in corporate finance, namely finding out what exactly is the o p t i m u m capital structure, was not really an issue. It didn't make any difference. T o be sure, it might make a difference if there were taxes."
Und genau darin lag der methodische Kniff. Er befreite die Kritik an der Wahl von Kapitalstruktur und Investitionspolitik aus dem traditionellen Korsett der Gewinnmaximierung. Die neue Botschaft zur Maximierung des Unternehmenswertes lautete: Wenn ein Faktor den Wert beeinflussen könnte, ist zur Klärung zunächst der Faktor (hier: Steuern) präzise zu fixieren, um dann seine (steuerlichen) Wirkungen zu benennen und die Wirkungsgr»w y) nicht auf das Präferenzver-
159 160 161 162 163
A a O . (3. A u f l . ) , S . 1-45. Vgl. ebenda, S. 11 f. A a O . , S. 8. A a O . , S. 41. Vgl. aaO., S. 37-39.
236
Teil II: Grundlagen
der Finanzierung
in rechtsvergleichender
Sicht
hältnis und damit die Rangordnung in einem erweiterten Kreis möglicher Garnituren (x, y sowie v,w,z,u ... etc.) übertragbar.164 Insofern ist wiederum das freie Spiel der Kräfte maßgebend. Auf dem Markt vertretene Individuen oder Gruppen können Allianzen bilden, soweit sie überzeugt sind, damit eigene Präferenzen durchzusetzen: Das ist etwa der Fall, wenn bei zwei Gruppen v gegenüber w dominiert; schätzen beide aber etwa die Rangfolge zwischen v und 2 völlig verschieden ein, kann insoweit zugleich jeweils die Durchsetzung der eigenen Präferenz mit einem dritten Koalitionär versucht werden.165 Damit steht - strukturell - das ökonomische Beziehungsgeflecht der realen Welt vor uns, bei dem grundsätzlich zahllose Varianten möglich sind. Dazu paßt nach von Neumann und Morgenstern nicht der Monoismus theoretischer Fixierung auf den Optimumgedanken. Dessen Funktion in einem statischen Gleichgewichtsmodell soll generell eine Garnitur von Annahmen mit geeigneten, näher bestimmten Eigenschaften übernehmen.166 Das Problem ist, den Gleichgewichtspunkt der Kräfte zu ermitteln. Um die ganze Wechselwirkung ökonomischer Interessen, Einfluß und Macht präzise darzustellen, bezweckt die mathematische Spieltheorie, gesellschaftliche Gesamtziele wie individuelle Aufteilungen in klarer, ausgewogener Form zu formulieren.167 Ihr Konzept spielstrategischer Planung eröffnet neue wahrscheinlichkeitstheoretische Überlegungen zur Risikobegrenzung ökonomischer Aktivitäten. Seit von Neumann und Morgenstern ist dieser Ansatz in zahlreichen, auch dynamischen Modellen zum Spielgleichgewicht erheblich ausgebaut worden. Die Entwicklung verläuft über herausragende Vertreter wie John C. Nash, John C. Harsanyi und Reinhard Selten, die 1994 für ihre Arbeiten gemeinsam den Nobelpreis erhielten, bis in die Gegenwart und erscheint weiterhin ebenso vital wie kontrovers diskutiert. Wie beachtlich spieltheoretische Überlegungen und die grundlegende Wahrscheinlichkeitstheorie juristisch sind, erhellt beispielhaft für das gesellschafts- und kapitalmarktrechtlich zentrale Bilanzrecht aus der Regelungsmaterie. Die Aufstellung des Jahresabschlusses gründet wesentlich auch auf Wahrscheinlichkeiten. Bei der bilanzrechtlichen Bewertung etwa sind ungewisse künftige Ereignisse für den Bilanzansatz zu quantifizieren (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB). Hier ist - anders als etwa bei realisierten Tatbeständen - ein mehr oder minder großer Bedarfsraum, Erwartungen über die ungewisse Entwicklung künftiger Ereignisse einzuschätzen. Zugrunde gelegt werden praktisch subjektive Wahrscheinlichkeiten. Insofern besteht keine „sichere" Hier kann etwa ein z sowohl x wie y dominieren, ein v das y, nicht aber x usw. "'5 Woraus als eine der schwierigsten Charakteristika für eine entsprechende Theorie „ jcyclical' dominations" wie y > x, z > y und x > z folgen können; aaO., S. 39. "'6 AaO., S. 39f.; danach wird als mathematische Lösung einer Theorie rationalen ökonomischen Verhaltens eine Garnitur S von Annahmen bezeichnet, für die gilt: Die Annahmen der Garnitur S sind präzise die Annahmen, die von keiner Annahme aus S dominiert werden. 167 AaO., S. 43. 164
5 7 Finanzierung
von Kapitalgesellschaften
in den USA
237
Information über die bilanzpflichtigen Sachverhalte. Folglich geht es für die Aufstellung, vor allem aber für die rechtliche Uberprüfung von Jahresabschlußdaten um die Objektivierbarkeit subjektiver Einschätzungen der Bilanzierenden. Ulrich Leffson stellt dazu weitsichtig fest: „Mit der Entwicklung logistischer Methoden wie der Spieltheorie dürfte es möglich sein, auf dem einen oder anderen Gebiet des Jahresabschlusses, das bisher nur einem subjektiven Urteil zugänglich war, objektivierte Werte zu errechnen." 168
168 Leffson, G r u n d s ä t z e ordnungsmäßiger B u c h f ü h r u n g , S. 477. Beachte aber auch grundsätzlich zur Wahrscheinlichkeitsrechnung R. von Mises, Wahrscheinlichkeit, Statistik und Wahrheit, S. 262 -265 (Leitsätze). Zu weiteren A n w e n d u n g e n in der J u r i s p r u d e n z etwa in § 7 C V; z u m Insolvenzrecht in § 5 C III, § 10 B I.
§ 8 Finanzierung mit Hybridformen (hybrid securities) und Eigenkapitalbegriff in den Vereinigten Staaten von Amerika „What's a debenture?", fragt Jemand im Kreis offenbar mißmutig erstaunter Finanzfachleute den Sitzungsleiter. Die schlichte Frage, eingefangen in der Frontispitzkarikatur einer Publikation der American Bar Foundation zum Corporate Debt Financing Project 1 , ist aus dem Leben gegriffen. Sie illustriert treffend den hier am Beispiel der Publikumsaktiengesellschaft {publicly held corporation) behandelten Bereich der Unternehmensfinanzierung mit bonds, debentures und notes. Die Szene fortgedacht, wird der versierte Adressat ebenso schlicht entgegnen: „That depends!". Die unscheinbare Frage öffnet ein gewaltiges Rechtsgebäude. In sinnvollen Gedankengängen abgeschritten, können wir nach der bisherigen Untersuchung darin einen rechtsvergleichend tragfähigen Einblick in die Finanzierung privater Publikumsgesellschaften im Rechtskreis der Vereinigten Staaten gewinnen. Uns interessieren dabei - analog zu Genußrechten in Deutschland - Rechtsfragen der Unternehmensfinanzierung mit Mischformen, den sogenannten hybrid securities. Um Wesentliches zu erfassen, werden sie im Kontext betrachtet: Nach Klärung der Grundlagen (unter A) stehen zentrale Rechtsfragen hybrider Finanzierungsverhältnisse (B) und schließlich Eigenkapitalbegriff und Steuerrecht (C) im Blickpunkt.
A. Fremdfinanzierung
(debt financing,) über Grundlagen
I. Entwicklungsgeschichtlicher
Hybridformen:
Ansatz
Wir nähern uns den Fragen der Fremdfinanzierung von Kapitalgesellschaften (corporate debt financing) entwicklungsgeschichtlich.2 Angesichts oft laxer Terminologie auch in diesem Bereich seien zur sprachlichen und damit rechtlichen Klarheit vorab die Begriffskerne der traditionellen Anleihetypen ' Dazu gleich sub B II 2 a; Cartoon-Nachweis: Commentaries. Das Buch bringt abschließend eine zweite Karikatur, in der besagter Fragesteller sich - nach über 850 Seiten - erneut meldet: „Just one more question ...", während die versammelte Runde fluchtartig den Raum verläßt. 2 Anknüpfend an frühere Ausführungen oben in § 7 B II.
§8
Hybridformen
und Eigenkapitalbegriff
in den
USA
239
{corporate debt securities) fixiert. Das Spektrum der später (unter B III) behandelten, nur noch bedingt überschaubaren Finanzinstrumente zeitgenössischer Variationsvielfalt ist darin bereits angelegt. Aus den Anfängen erhellen auch kompliziert erscheinende vertragsrechtliche Spielarten der Unternehmensfinanzierung heutiger Prägung.
1. Begriffe traditioneller Typen: bond, debenture und note Zur Kapitalbeschaffung ermächtigen die Gesellschaftsrechte der Bundesstaaten corporations in der Regel ausdrücklich, Formen von debt securities auszugeben. 3 Als wertpapierrechtliche Schuldformen sind sie bilanziell debtPositionen, die von den eigentümerrechtlichen equity-Vosiúorien (equity securities)4 getrennt stehen. Sie umfassen traditionell neben debentures und notes die bonds, mit denen wir beginnen. Etymologisch tritt der Begriff „bond" im mittelenglischen als phonetische Variation von „band" auf. E r bezeichnet das, mit dem oder durch das etwas gebunden ist: z.B. ein Körper zur Hemmung persönlicher Bewegungsfreiheit und - davon abgeleitet - im weiteren Sinne jeder Umstand, der geistige oder körperliche Freiheit beschränkt oder ausschließt; 5 nach dem Bild des Baues auch das Zusammenfügen von Teilen, um dem Ganzen Halt zu geben.' Bereits auf den rechtlichen, technischen Gebrauch deutend, umfaßt dann bond (band) allgemein Vereinbarungen, mit denen eine oder mehrere Personen eine Verpflichtung begründen. Davon zeugt selbst heute noch im deutschen Sprachraum das geläufige Wort vom Eheband. Dem im englischen Recht ursprünglich unbedingten Zahlungsversprechen des „simple bond" (simplex obligatio) oder auch „single bond", das William Shakespeare 1596 im Kaufmann von Venedig erwähnt, 7 folgen gerade auf dem unternehmerischen Feld der companies und corporations zahlreiche Spielarten. Ein Begriffskern wird ausgeprägt, wonach bond regelmäßig für eine dokumentierte, bedingte oder unbedingte vertragliche Verbindlichkeit zur Zahlung einer bestimmten Geldsumme steht. Im U.S.-amerikanischen Rechtsbereich der corporations ist der bond (auch: certificate of indebtedness) grundsätzlich mit einer Laufzeit von mindestens zehn Jahren ein langfristiges Wertpapier ( l o n g - t e r m debt security), das von der begebenden Gesellschaft grundpfandrechtlich oder durch 3 Cal. Gen. Corp. Law § 207(d): „bonds, debentures and other securities"; Del. Gen. Corp. Law § 122(13): „notes, bonds and other obligations"; N e w York Bus. Corp. Law § 102(a)(1): .„Bonds' includes secured and unsecured bonds, debentures, and notes."; vgl. § 3.02 Rev. Mod. Bus. Corp. Act. 4 Zur Gliederung des Kapitals gleich sub II 1; zum Begriff „securities" sub III. Zum Bilanzrecht näher in § 9. 5 Oxford English Dictionary (Stichwort: „bond"), S. 380, sub 5. sowie l.a. mit dem Beispiel aus dem Jahre 1340: „Alle his bondes [bandes] he brake in two". 6 AaO., S. 382 (Stichwort: bond), Ziff. l.a. 7 Shakespeare, nach Oxford English Dictionary, aaO., S. 381 (Ziff. 9.a.): „Goe with me to a Notarie, seale me there Your single bond".
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Teil II:
Grundlagen
der Finanzierung
in rechtsvergleichender
Sicht
Pfandrecht an Mobiliarvermögen gesichert ist8. In diesem Sinne wird der Begriff „bond" auch hier gesetzt. Der bond, der in der Regel neben dem zum Fälligkeitsdatum (maturity) zahlbaren Nennbetrag laufende Zinszahlungen verbrieft, ist meist Teil einer Serie gleichlautender, frei übertragbarer Papiere. Neben bonds stehen als weitere Art der debt securities die debentures. Der Begriff „debenture" entstammt der lateinischen Wurzel debere (müssen, schulden), die mit dem Wort „debentur" noch vor dem bond (oder: band) im englischen Recht die ursprüngliche Bezeichnung für ein formelles Schuldanerkenntnis lieferte. Die Ausgabe solcher Urkunden durch das königliche Haus oder Regierungsämter für Schulden des Königs aus Lieferungen oder Dienstleistungen ist schon für das 15. Jahrhundert belegt.9 Von dort nehmen debentures ihren Weg in den Handel, wo sie als Schuldurkunden privater Personen und Gesellschaften breite Verwendung finden.10 Ähnlich wie in den Vereinigten Staaten spielen sie im 19. Jahrhundert neben den bonds eine herausragende Rolle bei der Finanzierung englischer Eisenbahngesellschaften. Der wesentliche Unterschied zum bond ist im U.S.-amerikanischen Recht, daß debentures Beweis für eine ungesicherte Schuld einer Gesellschaft sind. Sonst gleichen sich die Strukturen beider Typen weithin. Der debenture ist ebenfalls ein langfristiges Schuldpapier, das als Teil einer nach Hauptbetrag und Zinsanspruch gleichlautenden Wertpapierserie zu einem bestimmten Datum fällig und frei übertragbar ist; entsprechende Parallelen zeigen die noch zu behandelnden Variationsmuster. Die Ähnlichkeit beider Typen verleitet Richter, Gesetzgeber und Schrifttum zur allenthalben begangenen Etikettenpfuscherei. In zumindest gedachter Abgrenzung zu eigentumsrechtlichen Wertpapieren {stock, sbares) steht für „debt securities" oft insgesamt sowohl „bonds" wie auch „debentures". Manchmal weist das Sprachmonster „debenture bond" - gegenüber dem gesicherten „mortgage bond" - immerhin auf die Natur der formal ungesicherten, allein durch die Bonität der begebenden Gesellschaft gedeckten Schuld hin. Der gesicherte oder ungesicherte Charakter einer Schuld ist aber zentral für die Bewertung einer Investition und verträgt aus Sicht aller Beteiligten keine Doppeldeutigkeiten. Wir setzen daher im Anschluß an verschiedene, wohl zunehmend Frucht tragende Bemühungen in den letzten drei Dekaden um einheitlichen Sprachgebrauch den Begriff „debenture" nur als Beweis für eine formal ungesicherte, langfristige Wertpapierschuld;11 namentlich, aber nicht nur älteres Fine v. Kleine, Inc. 10 NJ Super 295, 77 A.2d 295 (1950); Fletcher, § 2635. Topham/Buchanan-Dunlop, in Palmer's Company Precedents, part 3, S. If.; Oxford English Dictionary, Stichwort: „debenture", S. 311, etwa mit (Ziff. l.a.) dem Beispiel aus 1455: „Owyng to the seyd Fastolf for costys and chargys that he bare when he was Lieutenant (...), as yt shewith by a debentur made to the seyd Fastolf, with hym remaynyng." I= Oxford English Dictionary, aaO., S. 311 f., mit zahlreichen Beispielen sub. lit. c., d. und 3. " So etwa: Commissioner of Internal Revenue v. H.P. Hood & Sons, Inc., 141 F.2d 467 (lst Cir. 1944), zu einer Anordnung vom Tax Court; Broad v. Rockwell International Corp., 642 F.2d 929, 942 (5th Cir. 1981). Zu Formenvielfalt und Standardisierung unten in III und B II. 8
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5 8 Hybridformen
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in den
USA
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Material ist insofern mit besonderer Vorsicht zu genießen. Wesentlich für debentures wie bonds ist, daß sie mit einer Vertragsurkunde (indenture) als Art allgemeiner Geschäftsbedingungen begeben werden, deren Funktion (in B II) noch betrachtet wird. Der dritte traditionelle Typ der debt securities ist der note. Die etymologische Verwandtschaft mit dem lateinischen nota (aus: notus, o; festhalten, notieren) deutet auf den weiten Verwendungsbereich des Begriffes von der Musik bis hin zur Banknote, die dem note einer Corporation vergleichbar ist.12 Er ist grundsätzlich als Schuldschein das schriftliche, unbedingte Versprechen der Gesellschaft, zum bestimmten Termin eine Geldschuld zu begleichen und damit Beweis für das Bestehen einer Obligation. 13 Insoweit werden die verschiedenen Typen der debt securities auch allgemein als „promissory notes" bezeichnet,14 was aber schon wegen besonderer steuerlicher Behandlung 15 unangebracht ist. Das Problem ist freilich auch hier die ihrer Verwendung nach scheinbar beliebige Begriffswahl, denn mit „promissory note" werden tatsächlich verschiedenste Verträge bezeichnet, die auszulegen und entsprechend durchzuführen seien.16 Das wird uns bei der Definition von „(debt) securities" noch beschäftigen. Davon zunächst abgesehen, wird der note im Gegensatz zu bonds und debentures grundsätzlich beschrieben als in der Regel von dem Kredit gewährenden ursprünglichen Zahlungsempfänger (meist eine Bank) bis zum kurz- oder langfristig gesetzten Zahlungsziel gehaltenes, nicht übertragbares Papier;17 in dieser Form hat er für unsere Untersuchung keine Bedeutung. 2. Unternehmensfinanzierung
und die
Eisenbahnen
Das mit der Erfindung der Dampfmaschine einsetzende Industriezeitalter veränderte in den jungen Vereinigten Staaten von Amerika, ähnlich wie in Europa, über gesellschaftliche und wirtschaftliche Verhältnisse allmählich auch die Rechtslandschaft. Technischer Fortschritt beflügelt im Klima gewonnener 12 Oxford English Dictionary, Stichwort „note, sb. 2 ", S. 543ff. (mit zahlreichen Beispielen), siehe insbesondere S. 544, Ziffern 17 und 18. " McCullough Tool Co. v. C.I.R., 318 F.2d 790, 794, 795 (9th Cir. 1963); Edlund v. Bounds, 842 S.W.2d 719, 724 (Ct.App. Texas 1992); Spidell v. Jenkins, 727 P.2d 1285, 1287 (Ct.App. Idaho 1986). 14 So etwa Miller v. Greater Baton Rouge Port Commission, 74 So.2d 387, 391 (S.Ct. Louisiana 1954) und Marsh/Finkle, in: Marsh's California Corporation Law, 3rd Ed. (Supp. 1995), §6.15. 15 Abgrenzung von „promissory notes" gegen „debentures" oder „certificates of indebtedness" zur stamp tax in: Founders Inc. v. Keim, 140 F.Supp. 700, 701 (D.C.Minn. 1956). Don E. Williams Co. v. C.I.R., 97 S.Ct. 850, 859, 429 U.S. 569 (1977) wertet einen auf Aufforderung zahlbaren, voll gesicherten „promissory note" für Bundessteuern als bedingte Bargeldzahlung. 16 Derry Finance N. V. v. Christiana Companies, Inc., 616 F.Supp. 544, 546 (D.C.Del. 1985). 17 Fletcher, § 2635. Bei Ubertragbarkeit lautet die Bezeichnung gewöhnlich „negotiable note".
242
Teil II: Grundlagen
der Finanzierung
in rechtsvergleichender
Sicht
Unabhängigkeit zur Mitte des 19. Jahrhunderts zunehmend frischen Unternehmungsgeist. Bald auch (rechts)politisch begleitet, erblüht er in der zweiten Jahrhunderthälfte im „Big Business". 18 Die Entwicklung ist typisch. Jedes territorial ausgeprägte Machtgefüge gründet namentlich auf zwei leistungsfähigen Infrastrukturen: Kommunikation sowie Transport von Menschen und Gütern. Strategen haben das seit Jahrtausenden erkannt, und Kaiser und Könige bauten daher etwa auch im Anschluß an den römischen cursus publicus auf hoheitliche Postbeförderung. 19 In der Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika ragt, nachdem zuvor Mautstraßen und Kanäle das Bild bestimmten, der Bau der Eisenbahnen heraus, denen das Telegraphennetz folgt. Sie beeinflussen nachhaltig das Gesellschaftsrecht, prägen das Erscheinungsbild moderner Kapitalgesellschaften mit und führen in einschlägige Rechtsfragen der Finanzierung ein.20 Der Bau von Eisenbahnstrecken begann gegen 1830 in South Carolina, New Jersey und Maryland. Wesentliche Impulse für die Rechtsentwicklung gingen von Massachusetts aus, wo 1826 die Granit Railway Company als erste Eisenbahngesellschaft eine Konzession erhielt. Der Bundesstaat stieg dann in den vierziger und fünfziger Jahren zur führenden Jurisdiktion in Eisenbahnfragen auf, als unter Chief Justice Shaw eine Bahngesellschaft erstmals Partei eines Rechtsstreits war und wegweisende, für die Finanzwirtschaft der Bahnen zentrale Entscheidungen etwa zur Regelung allgemeiner Geschäftsbedingungen, zu Eisenbahnhypotheken und Haftungsfragen ergingen. 21 Den Weg dorthin ebnete freilich erst ein Urteil vom Supreme Court der Vereinigten Staaten von 1837, mit dem der Eisenbahnbau auch in Massachusetts seinen Aufschwung nahm. Es bestätigte eine dort 1828 ergangene Entscheidung, wonach die vom Gesetzgeber erteilte Mautbrückenkonzession einen späteren Gesetzgeber nicht an der Konzessionierung einer benachbarten, bald mautfreien und dann sämtlichen Profit absorbierenden Brücke hindere. Der dagegen von den älteren Konzessionären angehängte Streit hatte private Kapitalgeber - leicht nachvollziehbar - von Investitionen abgeschreckt und ist noch heute ein Lehrstück für das Zusammenspiel von Wirtschaft und Recht. Der U.S. Supreme Court brach eine Lanze für gesellschaftlichen Fortschritt durch freien Wettbewerb privater Investoren in Charles River Bridge v. Warren Bridge21. Er sah in der ursprünglichen Konzession, die grundsätzlich auch anderweitig zum Bau von Kanälen und Eisenbahnen begebenen entsprach, keine Vergabe eines exklusiven Privilegs (Monopol). Gerade der Vergleich zeigt den Gang technischen Fortschritts. Den Kanalbetreibern, die erst Dazu bereits oben sub § 7 B III 1. " Zum Postwesen Luttermann, Wirtschaftsführung und Rechnungslegung, S. 1. 20 Ausführlich die schönen Werke von Warren, A history of the American Bar, S. 475ff. (über die Anfänge bis etwa 1850) und Chandler, The visible hand, S. 79 ff. (ab 1850); vgl. zur Schiffahrt oben in § 5 A II. 21 Warren, aaO., S. 485 ff. 22 36 U.S. 420,423 (1837). 18
§8 Hybridformen
und Eigenkapitalbegriff
in den USA
243
selbst den älteren Mautstraßengesellschaften (turnpike corporations) die Kundschaft weg geschnappt hatten, gruben später die schnelleren Eisenbahnen wirtschaftlich das Wasser ab. Monopole hätten diese Entwicklung zumindest behindert. Der Vorgang spiegelt die grundsätzlich bestehende Unsicherheit über die Regelung der Rechtsfragen, die mit der wirtschaftlichen Entwicklung in den Kapitalgesellschaften als Organisationstyp großer Unternehmen einhergeht. Einige Bundesstaaten, darunter auch Massachussetts als Zentrum industrieller Aktiengesellschaften, fahren in den ersten Dekaden des Jahrhunderts eine restriktive Politik. Zum generellen Schutz der Gläubiger wird der körperschaftliche Charakter von Aktiengesellschaften gesetzlich oder gerichtlich dahin modifiziert, daß Aktionäre unter bestimmten Bedingungen für Verbindlichkeiten der Gesellschaft persönlich haften. Die Tendenz dort sei, so ein Kommentator sinngemäß, 23 die persönliche Verantwortlichkeit der A k tionäre zu steigern und den Aktiengesellschaften zunehmend den Charakter einer Personengesellschaft (partnersbip) mit einigen körperschaftlichen Merkmalen und Privilegien zu geben. Im Kern wirkte hier die Furcht vor monopolartiger, „anonymer" Macht im Staate durch U m w a n d l u n g individueller Vermögen in Unternehmenskapital der Aktiengesellschaften als „ewige" Vermögensträger. 24 Folge dieser Politik ist eine massive Kapitalabwanderung in Staaten mit strenge(re)m Trennungsprinzip, und bereits 1825 fordert der Gouverneur von Massachusetts vom Gesetzgeber eine Kurskorrektur, die mit einem investorenfreundlicheren Gesetz 1830 vollzogen wird. 2 5 Solche Schritte waren zum allgemeinen Nutzen notwendig. Die finanzielle Situation der Eisenbahngesellschaften ist gerade in den ersten Dekaden hoher Anfangsinvestitionen in Schienenbau und rollendes Material äußerst angespannt. Dem Aufbau stellt die Geographie der neuen Welt im Gegensatz zu den relativ kleinen, dicht besiedelten Flächen europäischer Nationen eine unausweichliche Bedingung: weiten Raum, der zu überwinden ist. Wie bei der schon in Europa betrachteten Entwicklung ist neben dort wie hier gewährter staatlicher Unterstützung 26 vor allem privates Kapital gefordert. Die Eisenbahnen sind in den Vereinigten Staaten von Amerika die erste private Unternehmung, die nicht mehr aus dem oft dünn besiedelten lokalen Baubereich heraus finanziert werden kann. Für den zeitgleichen Bau der zahlreichen Linien, darunter auch die großen Ost-West-Verbindungen, müssen überregional und international beträchtliche Kapitalien eingeworben werden. 2 7 23 Kent (zitiert bei Warren, aaO., S. 493), nach dem nur Rhode Island, N e w York, M a r y land und South Carolina diese Politik in vernünftigem Maß als Gläubigerschutz betrieben. 24 Warren, aaO., S. 495f. und 500 (dort Fn. 1). Grundlegend zu „unsterblichen" Vermögensträgern Großfeld, Aktiengesellschaft, S. 85 ff. 25 Warren, A history of the American Bar, S. 494 f. 26 Ebenda, S. 486 (dort Fn. 1); vgl. zu europäischen Verhältnissen oben in § 2 C I 1. 27 Chandler, aaO., S. 90f.; dort auch (S. 90-94) zu nachfolgenden Daten.
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Teil II: Grundlagen
der Finanzierung
in rechtsvergleichender
Sicht
Der entscheidende Schub kommt um Mitte des Jahrhunderts. Bis 1859 sind mehr als $ 1,1 Milliarden in Wertpapieren privater Eisenbahngesellschaften angelegt, davon rund $ 700 Millionen in den letzten zehn Jahren geworben. Politische Unruhen in Europa, die zur 1848er Revolution und zu Emmigrationsströmen nach Ubersee führen, begünstigen die Entwicklung. Europäischen Investoren kommen bei ihrer Suche nach neuem gewinnträchtigen Terrain die Eisenbahnprojekte in den Vereinigten Staaten von Amerika gerade gelegen. Und so fließt dorthin in der zweiten Jahrhunderthälfte im großen Stil vor allem englisches, niederländisches, deutsches, französisches und schweizerisches Kapital.28 In New York City, das als Finanzzentrum erblüht, entstehen die ersten amerikanischen Kapitalanlagegesellschaften ( i n v e s t m e n t banking firms), die als Agenten für europäische Großinvestoren handeln. Alfred D. Chandler resümiert: „As soon as the American capital market became centralized and institutionalized in N e w York City, all the present-day instruments of finance were perfected; so too were nearly all the techniques of modern securities marketing and speculation. Bonds became the primary instrument to finance railroad construction." 2 9
Die Finanzierung über bonds, zunächst besonders mit den hypothekarisch gesicherten mortgage bonds30, bietet beiden Seiten Vorteile. Den nordamerikanischen Initiatoren des Eisenbahnbaus bleibt als Aktionären die Kontrolle der Gesellschaften aus der Eigentümerposition heraus, und die überseeischen Investoren erlangen regelmäßige Einnahmen. Doch dabei bleibt es nicht. Investoren wollen an der aussichtsreichen Entwicklung, am Erfolg der fortwährend kapitalhungrigen Eisenbahnen teilhaben. Die Unternehmen reagieren und bald schon bietet der U.S.-amerikanische Kapitalmarkt ein buntes Spektrum entsprechender Wertpapiere an.31 Es reicht in seinen vielfältig gestalteten und im weiteren Gang näher behandelten Grundformen von Vorzugsaktien {preferred stocks), gewinnabhängigen income oder participating bonds bis hin zu den mit dem Tauschrecht in ein anderes Wertpapier ausgestatteten convertible securities, bei denen ihrer Bedeutung nach in den ersten Dekaden des zwanzigsten Jahrhunderts bald die convertible bonds hervorragen.32 Bis zur Jahrhundertwende bleiben insgesamt die mortgage bonds der Eisenbahnen und der Kanalbauunternehmen füh-
28 Angaben zu Beteiligungsverhältnissen bei Huppertz, Convertible Bonds als Aktienwandelobligationen und andere „Mischformen", S. 18f. (dort Fn. 13). 29 Chandler, aaO., S. 91 f. 30 Zur technischen Seite unten in B II 1. 31 Detailreiche Ubersicht beim Schmalenbach-Schüler Huppertz, Convertible Bonds, S. 12 ff. 32 Huppertz, aaO. und S. 23 ff. (zur starken Zunahme ihrer Verwendung seit 1900, mit Liste von Umwandlungsbedingungen auf S. 25-29). Weiter zu gewinnabhängigen Finanzierungsformen unten in B III 4 und 5.
§ 8 Hybridformen
und Eigenkapitalbegriff
in den
USA
245
rend, während allmählich auch andere Gesellschaften begonnen hatten, sich umfassend über die Ausgabe von debt securities zu finanzieren.33
II. Rechtskonzepte
zur
Kapitalstruktur
1. Equity und debt (securities,) In der U.S.-amerikanischen Rechtslandschaft der Gesellschaftsfinanzierung herrscht allgemein ein Dualismus, für den die Pole „equity" und „debt" stehen. Nach der dort ursprünglichen Rechtsbedeutung bezeichnet der Begriff „equity", der etymologisch auf lateinisch aequus (gleich) zurückgeht, zur Kapitalabgrenzung gesellschaftsrechtliche Positionen der Aktionäre (shareholders) gegenüber schuldrechtlichen Ansprüchen (t/e^i-Positionen) anderer Investoren. Bilanziell formuliert steht „equity" für das von Aktionären eingezahlte (Eigen-)Kapital der Gesellschaft {paid-in capital) plus die einbehaltenen Gewinne (retained earnings)2"*. Insofern werden bei der Bewertung von Aktienanteilen die Begriffe „equity" und „book value" (Nettobuchwert) auch im wesentlichen synonym gesetzt.35 Die Definition von „equity" umschreibt gleichzeitig den gegenpoligen Begriff „debt", der etymologisch die schon vorhin bei den debentures behandelte Basis hat. Debt umfaßt mithin nach der überkommenen Kapitalstruktur von Unternehmen negativ formuliert schlicht die Investitionen, die nicht equity sind. Das sind regelmäßig und vor allem die von Kreditgebern gewährten, rückzahlbaren Darlehn. Insgesamt kann theoretisch zum Vergleich equity für „Eigenkapital" und debt für „Fremdkapital" gesetzt werden. Im Grunde stehen wir vor dem im deutschen Recht bekannten Modell und folglich vor ähnlichen Abgrenzungsproblemen. Einzelheiten und rechtliche Behandlung von in den Vereinigten Staaten auftretenden hybriden Finanzierungsformen, die Charakteristika von equity und debt verknüpfen, werden entsprechend untersucht. Uns interessieren dabei die von Aktiengesellschaften als Wertpapiere (securities) ausgegebenen, regelmäßig frei börslich handelbaren Arten. 36 Sie werden ebenfalls dem dualistischen Konzept entsprechend grob eingeteilt in equity securities und debt securities. Allgemein verbriefen equity securities mithin ei33
Gardiner, Corporate bonds, S. 3, 5; weiter zur Entwicklung unten sub B II 1. Black's Law Dictionary, Stichwort „ e q u i t y " ; zum Bedeutungsursprung im U.S.-amerikanischen: Oxford English Dictionary, aaO., Stichwort „equity" (dort unter 5.C.). Zur Bedeutung im common law allgemein schon oben sub § 7 A II. 35 Levin v. Mississippi River Corp., 59 F.R.D. 353, 370 (S.D.N.Y. 1973). 36 Wertpapierrecht regelt der von fast allen Bundesstaaten mehr oder minder übernommene Uniform Commercial C o d e , der nach dem 1977 ergänzten § 8-102(1) zwischen „certificated security" und „uncertificated security" differenziert. Bei Wertpapieremissionen erfolgt inzwischen meist nur noch Erstellung einer Globalurkunde und Bucheintrag, keine physische Papierausgabe. 34
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Teil II:
Grundlagen
der Finanzierung
in rechtsvergleichender
Sicht
gentümerrechtliches Interesse an der begebenden Gesellschaft. Traditionell umfaßt das die Berechtigung auf Anteil am Liquidationserlös, der bei Abwicklung der corporation nach Ausgleich aller ¿e¿>í-Positionen verbleibt, 37 sowie die bei Unternehmensgewinnen mögliche Festsetzung einer Dividende. 38 Eine Garantie, für die Nutzung des investierten Kapitals bezahlt zu werden, wird ausnahmsweise gewährt. Die typische, mit den dazu genannten finanzrechtlichen Attributen sowie daneben mit Stimmrecht und weiteren, zugehörigen Kontrollrechten ausgestattete Form von equity securities bildet das in Anteile (shares) untergliederte common stock. In seinen Grundzügen durch Model Act und das Recht der Bundesstaaten (corporate State laws) geregelt, entspricht es dem Stammaktienkapital der deutschen Aktiengesellschaft. Daneben steht im Spektrum finanzieller Vermögenswerte (financial assets) einer corporation39 der Typ des preferred stock. Dafür sind an Investoren sogenannte preferred shares begeben, die den equity securities im weiteren Sinne zugerechnet werden, da sie dem Inhaber als Anteilseigner der Gesellschaft eine finanzrechtlich ähnliche Position geben. Die Stellung der Inhaber wird weithin vertraglich geregelt und beinhaltet in der Regel kein Stimmrecht. Die meist begrenzten Ansprüche auf Dividende sowie Liquidationserlös gehen jenen von common stock vor, sind aber den ¿e¿í-Positionen nachgeordnet. Das deutsche Gegenstück ist der Vorzugsaktionär. Seine Position tendiert zum hybriden Finanzierungsbereich, und einzelne Spielarten tragen praktisch bereits Merkmale, die gewöhnlich dem Spektralbereich von debt zugeordnet werden. Auf dieser equity gegenüberliegenden Seite des Spektrums stehen die debt securities, deren vertraglich weithin modifizierbare Grundformen bond, debenture und note wir schon behandelten. Zu ihnen sind im weiteren Sinne auch die gleich näher betrachteten, zur Unternehmensfinanzierung ausgegebenen Hybridformen zählbar. Freilich ist bereits hier festzuhalten, daß ein hybrid security seiner Mischung nach für bestimmte Rechtsaspekte wie Ansprüchen gegenüber Management und Unternehmen, Besteuerung, Konkurs oder Insolvenz unterschiedlich klassifiziert werden kann - also für einige als debt security und für andere als equity security. Zu klären bleibt der Begriff „security", der einen weiteren Bereich als die gewöhnliche deutsche Ubersetzung „Wertpapier" überspannt. Das zeigen die einander entsprechenden Definitionen in Section 2(1) des die Erstausgabe von securities regelnden Securities Acts von 1933 und in Section 3(a)(10) Securities 37 Cox V. Seilers, 26 Del.Ch. 350,28 A.2d 679, 682 (1942), ergänzt in 27 Del.Ch. 50, 29 A.2d 914 (1943), Rechtsmittel aus anderen Gründen in 27 Del.Ch. 307, 33 A.2d 548 (1943); Wouk v. Merin, 283 App.Div. 522, 128 N.Y.S.2d 727 (S.Ct.N.Y. 1954). 38 Meyers v. El Tejon Oil & Refining Co., 29 Cal.2d 184,174 P.2d 1 (S.Ct.Cal. 1946); Morris v. Standard Gas & Electric Co., 31 Del.Ch. 20, 63 A.2d 577 (1949); Randall v. Bailey, 228 N.Y. 280, 43 N.E.2d 43 (Ct.App. 1942). 39 Dazu insgesamt Chopper/Coffee/Gilson, Cases and materials on corporations, S. 207209.
§ 8 Hybridformen
und Eigenkapitalbegriff
in den USA
247
Exchange Act von 1934, der den Handel ausgegebener securities normiert. Auch neben diesen föderalen Gesetzen bestehende Wertpapierregeln von Bundesstaaten (sog. „blue sky laws") enthalten ähnliche Definitionen. Beispielhaft normiert Section 2(1) Securities Act gegenwärtig als „security": „(...) any note, stock, treasury stock, bond, debenture, evidence of indebtedness, certificate of interest or participation in any profit sharing agreement, collateral-trust certificate, preorganization certificate or subscription, transferable share, investment contract, voting-trust certificate, certificate of deposit for a security, fractional undivided interest in oil, gas or other mineral rights, any put, call, straddle, option, or privilege on any security, certificate of deposit, or group or index of securities (including any interest therein or based on the value thereof), or any put, call, straddle, option, or privilege entered into on a national securities exchange relating to foreign currency, or in general, any interest or instrument commonly known as a „security," or any certificate of interest or participation in, temporary or interim certificate for, receipt for, guarantee of, or warrant or right to subscribe to or purchase, any of the foregoing."
In der ohnehin weiten Definition fällt zunächst die Wendung „or in general, any interest or instrument commonly known as a,security,' " auf. Die erst 1934 durch den Securities Exchange Act eingefügte Generalklausel sollte nach vorliegendem Gesetzesmaterial klarstellen, daß die Publizitätsvorschriften nicht schlicht zu umgehen sind, indem kein beweiskräftiges, den Anspruch des Zeichners verbriefendes Dokument ( d o c u m e n t a r y evidence) ausgegeben wird. 40 Der ergänzte Wortlaut ist offensichtlich der Interpretation fähig und bedürftig. Auch andere, im zitierten Abschnitt gewählte Bezeichnungen treffen nicht nur klar bestimmte Finanzierungssachverhalte. Gerade die praktisch vorhandene Vielzahl von Varietäten im Bereich der Finanzierung schafft Grenzfälle. Die Vorschrift bescherte insgesamt kontroverse Ansichten, welcher Sachverhalt ein „security" begründet, und zahlreiche diese Frage einzelfallbezogen lösende Gerichtsentscheidungen. Für unsere Zwecke genügen Hinweise auf einige in der Rechtsprechung zu kapitalmarktlichen Wertpapierregeln (securities regulations)41 herrschende und namentlich vom U.S. Supreme Court vertretene Grundzüge. Gerichtlich wird der Begriff „security" allgemein im Sinne der Investorenschutz bezweckenden Gesetzgeber weit ausgelegt. Die Publizitätsvorschriften der föderalen Regelwerke und der Bundesstaaten für den Wertpapierhandel steuern Betrug und Manipulationen entgegen: Nur solide informierte Investoren können einschätzen, worauf sie sich (noch) einlassen. 42 Die Qualifi40 Conference Report on the Securities Exchange Act, seventy-third Congress, 2d session (1934), p. 39, zit. nach: McCormick, Understanding the Securities Act and the S.E.C., S. 41. 41 Neben den Genannten etwa: Investment Company Act und Investors Adviser Act (beide von 1940), Public Utility Holding Company Act (1935), Securities Investor Protection Act (1970; dazu in § 9 B I 2 d) sowie Trust Indenture Act (1939; dazu unten B II). Näher zum Ganzen Pierce/Rosen/Simon, Securities regulation in the United States in Rosen/Simon/Pollack, International securities regulation, United States, Booklet 1: Commentary, S. 25 ff. 42 Dazu näher unten in § 9 B I 2.
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Teil II:
Grundlagen
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in rechtsvergleichender
Sicht
kation eines Tatbestandes als „security" vermittelt - im weiteren Sinne des Begriffes - Sicherheit, die in einem weit interpretierten Schutzbereich genossen werden soll. Diese Intention bezeugt der 1990 vom U.S. Supreme Court für Schuldscheine {promissory notes) in Reves v. Ernst & Young verkündete „family resemblance"-Test, wo das Finanzierungsinstrument im Einzelfall angesichts der ökonomischen Verhältnisse geprüft wird anhand43: der Motivationslage „vernünftiger" (reasonable) Vertragsparteien und ebensolcher Erwartungen des investierenden Publikums, dem „plan of distribution" sowie der Frage, ob das Investitionsrisiko durch anderweitige Regulierung signifikant begrenzt ist. Ein promissory note ist danach grundsätzlich ein „security", bis der Aussteller belegt, daß der fragliche Sachverhalt markant verwandte Züge zu einem Typ von note aufweist, dem Gerichte schon die Qualität „security" abgesprochen haben.44 Schließlich genannt seien noch zwei Tatbestände. Einmal der in Section 2(1) Securities Act genannte Begriff „Investment contract", den Gerichte häufig als Auffangtatbestand für „ungewöhnliche" Finanzinstrumente (uncommon forms of securities) nutzen. Den Weg bahnte der U.S. Supreme Court in SEC v. W.J. Howey Co.45 schon 1946. Dort war mit dem Verkauf von Parzellen eines Zitrushains ein Servicevertrag gekoppelt, der die Initiatoren des Geschäfts zur Ernte verpflichtete. Das Gericht würdigte inhaltlich und befand, ungeachtet der gewählten Form sei ökonomisch nicht bloß Land, sondern die Gelegenheit zur Gewinnteilhabe an einem Geschäft mit Zitrusfrüchten geboten worden. Damit lag ein „investment contract" vor, für den die Wertpapierregeln gelten. Das oberste kalifornische Gericht entschied 1961, daß sogar ein im Bundesstaat geschütztes „security" vorliegt, wenn jemand unabhängig von einer Gegenleistung für seine Ziele Kapital in rechtmäßigen Spekulationen riskiert.46 Dieser „risk capital"-Test gilt weiterhin und wird sowohl von Bundesgerichten als auch den Gerichten anderer Bundesstaaten geteilt.47 Auf die für Hybridinstrumente wichtige Abgrenzung der „securities" vom Recht der Warentermingeschäfte wird noch (unter III 3) eingegangen. 2. Legal capital system und
Kritik
Zwei grundverschiedene Konzepte zur Kapitalstruktur prägen die Landschaft der Gesellschaftsrechte in den Vereinigten Staaten.48 Zunächst wird das überkommene Grundkonzept des legal capital system gesetzt. Das System ist 43
494 U.S. 56, 66-67. Pierce/Rosen/Simon, aaO., S. 26 (Ziffer 2.1.2, m.w. Nachw. d o r t in Fn. 80) u n d S. 28f. (Ziffer 2.3). 45 328 U.S. 293; dazu Pierce/Rosen/Simon, aaO., S. 27f. 46 Silver Hills Country Club v. Sohieski, 55 Cal.2d 811. 47 Pierce/Rosen/Simon, aaO., S. 28. 48 Eingehend Manning/Hanks, Legal capital, sowie Fletcher, § 5080 bis 5080.60. Zur Gesellschaftsrechtsstruktur in § 7 B III. 44
5 8 Hybridformen
und Eigenkapitalbegriff
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dem in Deutschland geltenden Recht verwandt. Es gründet ebenso zum Gläubigerschutz auf der Idee eines fest(gesetzt)en Kapitals ( s t a t e d capital) sowie einschränkenden Regeln zur Verteilung von Gesellschaftsvermögen an Aktionäre. Als Bilanzposten bezeichnet der „stated, capital account" das permanente (Eigen-)Kapital im Unternehmen. Er umfaßt grundsätzlich die Summe der mindestens zum satzungsmäßig festgelegten Nennwert (par value) begebenen Anteile (par value shares). Hinzu tritt ein vom Verwaltungsrat (board of directors) bestimmter Teil des Entgelts für ausgegebene nennwertlose Anteile (no-par value shares), die jeweils nur einen Bruchteil der insgesamt begebenen Serie repräsentieren. 49 Der „par value"-Gedanke zielt auf einen fairen Beitrag jedes Gesellschafters zur Unternehmensbasis, während aus dem Grundkapital (stated capital) keine Ausschüttungen an die Aktionäre erfolgen dürfen. Die Idee, für Kapitalgesellschaften eine permanente Kapitalbasis durch Ausgabe von Anteilsrechten ran par value zu schaffen, erscheint im common law unter König William III. bereits Anfang des 18. Jahrhunderts. 50 Neben dem „stated capital account" steht zentral der Oberbegriff „surplus" (Uberschuß, Gewinn) als Bilanzgröße, die allerdings nicht einheitlich gefaßt ist. Einzelne Jurisdiktionen gliedern den „surplus" in verschiedene, zur Identifizierung und Qualifikation der Gewinnquelle gesondert ausgewiesene Posten. Daraus sind Varianten des legal capital systems entstanden. 51 Stricken wir zunächst den Ausgangsfall fertig, der ungeachtet der Gewinnquelle allein die umfassende Bilanzgröße „surplus" kennt. Justice Louis D. Brandeis formulierte in einer steuerrechtlichen Sache52 umfassend: „The term ,surplus' as e m p l o y e d in corporate finance and accounting, designates an account on the books, representing the net assets of the corporation in excess of all liabilities, including its capital stock."
Dieser Grundsatz wirkt auch im „stated capital/surplus"-Konzept. Charakteristisches Beispiel dafür gibt das New York Business Corporation Law. Es gestattet Dividenden oder andere Ausschüttungen, soweit danach das Nettovermögen (net assets) der Gesellschaft mindestens noch gleich ihrem - näher definierten - stated capital ist.53 Nettovermögen ist die Differenz zwischen bilanziertem Vermögen (assets) und blianzierten Verbindlichkeiten (liabilities). Ergibt die Prüfung, daß eine Ausschüttung das bilanzierte Nettovermögen unter den in der Bilanz im „stated capital account" festgeschriebenen 49 50
Dazu etwa New York Bus. Corp. Law § 506(a) und Mod. Bus. Corp. Act (1969) § 2(j). Näher Berle, Law of corporation finance, S. 13, unter Anführung der East India Com-
pany. 51 Übersicht bei Manning!Hanks, Legal capital, S. 74-78 („surplus"Arten), S. 78-84 (stated capital statutes)-, dort, S. 82 ff., sind (neben den oben gleich behandelten Typen) hervorgehoben: stated capital/net prof its statutes (New Jersey) und stated capital/current net profits statutes (Delaware). 52 Edwards v. Douglass, 269 U.S. 204 (Ziffer 2.), 214 (1925), zu § 31(b) Revenue Act 1917. 55 N.Y. Bus Corp Law §§ 510(b), 102(a)(12).
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in rechtsvergleichender
Sicht
Betrag drückt und folglich die permanent gedachte Haftungsmasse der Gesellschaft angreift, ist der Werttransfer an die Anteilseigner unzulässig (balance sheet-stated, capital/surplus test oder kurz: bancruptcy test). Die Praxis zeigte dunkle Seiten dieses mit starren Bilanzkennzahlen arbeitenden Konzeptes, als in der Wirtschaftskrise zwischen den Weltkriegen unprofitables „Vermögen" amerikanischer Eisenbahnen Gläubigeransprüche nicht mehr befriedigte. 54 Verstärkt hinzu traten verschieden gelagerte Interessen bei mehreren, um Ausschüttungpotential konkurrierenden Aktionärsklassen (etwa senior und preferred shareholders) sowie die differenzierten Informationsbedürfnisse moderner Kapitalmärkte über die Entwicklung unternehmerischer Tätigkeit. Der Blick richtete sich auf Offenlegung der Gewinnquellen nach dynamischen Kriterien der Gewinn- und Verlustrechnung, insbesondere auf den Geschäftsgewinn ( e a r n e d surplus) als ausschüttungsfähige Ressource. 55 Es entstand ein Spektrum von stated capital/earned surplus statutes, ein neuer Typus, der mit einer Vielzahl gesondert bilanzierter surplus accounts arbeitet. Die beiden geläufigsten seien hier angeführt, zunächst der capital surplus oder paid in surplus account. Er umfaßt vor allem die Erlöse, die für neu begebene Nennwertaktien über den Nennwert hinaus erzielt oder die bei Ausgabe nennwertloser Titel nicht dem Grundkapitalposten (stated capital account) zugewiesen werden. Schließlich ist im Bilanzschema die Summe des Gewinnkontos ( r e t a i n e d earnings oder earned surplus account) ausgewiesen. Es gibt dem Typ seinen Namen, da dessen Spielarten gemeinhin Ausschüttungen an Anteilseigner unter der Grundbedingung, daß keine Insolvenz vorliegt, nur bis zur Höhe von verfügbarem Reingewinn gestatten. Beispiel für ein solches „stated capital/earned surplus"-Regelwerk gibt der Model Business Corporation Act in seiner Fassung von 1979, der zahlreichen Bundesstaaten als Vorbild diente. 56 Durch diese Aspekte werden unberührt von den in einzelnen Jurisdiktionen geltenden Besonderheiten die Fundamente unter dem legal capital system deutlich. Die Gesellschaft kann aus den bilanztechnisch ermittelten surplusKontingenten Dividende oder andere Ausschüttungen an ihre Gesellschafter verteilen sowie Anteile zurückkaufen, für die dann als treasury shares wiederum besondere Sperrvorschriften gelten. Ebenso wie dort57 soll die allgemein für Grundkapital bestehende Ausschüttungssperre im Sinne der trust fund theory eine bestimmte Haftungsmasse in der corporation binden. Grundlegend sprach Justice William Story 1824 in Wood v. Dummer vom 54
Manning/Hanks, Legal capital, S. 79. Neben den Gewinnströmen gewinnen inzwischen Kapitalströme (cash flows) Bedeutung; Manning/Hanks, ebenda. 56 A a O . 57 Zur Regulierung von „treasury shares" im Zusammenspiel mit dem Konzept von „stated capital" und „par value" Fletcher, § 5080.80. 55
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„capital stock" einer insolventen Bank, der als Faustpfand (pledge) oder Treugut (trust fund) für die Zahlung ihrer vertraglichen Verbindlichkeiten ( d e b t s contracted) zu betrachten sei.58 Das legal capital system ist mithin ein Konzept zur Bildung von Vertrauen in die Finanzkraft der Aktiengesellschaft. Die Existenz von Nennkapital, das freilich nicht gegenständlich fixiert ist, zielt traditionell auf den Schutz: der Gläubiger vor den Anteilseignern, der älteren Anteilsrechte gegenüber jüngeren Vorzugsanteilsrechten sowie der Anteilseigner insgesamt vor Mißmanagement sowie Schädigung ihrer Investition und dessen Ertragskraft. 59 Beherrschend ist dabei die Annahme, (potentielle) Gläubiger orientierten ihre Entscheidungen gegenüber einer durch begrenzte Haftung privilegierten Gesellschaft an den bilanziell ausgewiesenen Kennzahlen. Unabhängig davon bleibt eine Tatsache. Die im Widerstreit von Gläubigerschutz und unternehmerischer Flexibilität im legal capital system ausgebildeten Regulierungskonzepte der Rückzahlung eingelegten Kapitals an die Aktionäre können mehr oder minder leer laufen. Schwachstellen sind offenkundig. Etwa ein niedrig angesetzter, vom Gesellschaftsrecht des Bundesstaates gebilligter Nominalwert der Nennwertaktien. Der gesamte über dem Nominalbetrag liegende Erlös gilt dann als paid-in surplus, über den die Gesellschaft ohne die für Grundkapital gemeinhin geltenden Beschränkungen verfügen mag. Beachtlich ist auch die verstärkte Ausgabe nennwertloser Anteile, eine Uberbewertung von Sacheinlagen ( „ w a t e r e d " stock) oder ein Werttransfer, bei dem zur Zahlung von Dividende das Grundkapital vorschriftsmäßig herabgesetzt wird. Selbst wenn der capital surplus account erschöpft ist, kann Ausschüttungspotential etwa durch einen Neubewertungsgewinn ( r e v a l u a tion surplus) in Höhe des über dem Buchwert liegenden Marktwertes von Vermögen der Gesellschaft geschaffen werden. Die Bestimmung von Vermögenswerten erfolgt durch den board of directors, nicht zwingend nach allgemeinen Bilanzierungsgrundsätzen und wird durch die business judgment rule gestützt. 60 Diese Handhabung weist auf die früher herrschende Sicht. Während Gesetzgeber die Festsetzung von „stated capital" und „surplus account" im Gesamtkonzept kaum erfaßten, sie zumindest nicht ausdrücklich an die herrschenden Standards der Rechnungslegung knüpften, wurde wohl allgemein „reasonable manner' (angemessenes Vorgehen) von den Verantwortlichen erwartet. 61 58 Wood v. Dummer, 30 F.Cases 435, 436 (no. 17, 944) (C.C.D.Me. 1824); näher Manning! Hanks, Legal capital, S. 30ff.; Ballantine/Hills, 23 California Law Review 229, 231 pp. (1935). Zur Etymologie von „kapital/capital (stock)" in § 1 A II 1. 59 Ballantine/Hills, 23 California Law Review 229, 233 (1935) mit Verweis auf Urteil des kalifornischen Supreme Courts in Martin v. Zellerbach, das die „trust fund theory" gut veranschaulicht. 60 So Randall v. Bailey, 23 N.Y.S.2d 173 (Sup.Ct. 1940), a f f i r m e d , 288 N.Y. 280, 43 N.E.2d 43 (Ct. App. 1942); dazu gleich in Ziffer 3. Zur business judgment rule unten B IV 4. 61 So für das kalifornische General Corporation Law von 1931 Ballantine/Sterling, zit. nach Ackerman/Sterrett, 23 U C L A Law Review 1052, 1080 (1976).
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Teil II: Grundlagen
der Finanzierung
in rechtsvergleichender
Sicht
Angesichts der genannten Umgehungsmöglichkeiten und ihrer Wahrnehmung in der Wirtschaftspraxis trafen immer wieder entsprechend kritische Stimmen das legal capital system. Schon in den vierziger Jahren heißt es plakativ: „The ,trust fund' of yesterday is the sterile dollar sign of today." 62 Beispielhaft steht mit neuerem Datum Robert W. Hamilton, Berichterstatter für das Model Business Corporation Act Revision Project, der sinngemäß schreibt: Insgesamt böten die Konzepte „par value" und „stated capital" relativ wenig, um sie in der heutigen Zeit zu empfehlen. Bestenfalls seien sie historische Kuriositäten, die Kreditgebern kaum wahren Schutz gewährten und die versierte, auf maximale Flexibilität für ihre „corporate creations" zielende Anwälte verdreht hätten. Schlimmstenfalls seien sie verwirrend oder gar irreführend. 63 Derartige Kritik an dem weithin als „ineffizient" charakterisierten64 legal capital system wirkte nachhaltig. Die bahnbrechende Abkehr von dem in und durch (Juristen-)Generationen so fest verankerten Gedankenmuster wagte in der Praxis erstmals der kalifornische Gesetzgeber. 3. Der kalifornische
Weg
Das am 1. Januar 1977 im Bundesstaat Kalifornien in Kraft getretene General Corporation Law 65 verzichtet zur Regulierung von Ausschüttungen der Gesellschaft an ihre Anteilseigner auf das legal capital system. Mit ihm entfallen die beschriebenen Treuhand-Schutzmuster wie par value, stated capital, paid-in surplus und treasury shares. Ihre Stelle nehmen die Bilanzgröße retained earnings (einbehaltene Gewinne, Nettoerträge) sowie einige financial tests ein. Dabei differenziert das Gesetz in § 166. Es grenzt Aktiendividende {dividend in shares) von anderen unentgeltlichen Leistungen („distributions without consideration") einer Gesellschaft an die Anteilseigner ab. Diese Gliederung ist wesentlich. Für Aktiendividenden gelten nicht die für distributions - zu denen auch Dividenden anderer Art (cash dividends [Barausschüttungen], property dividends [Naturaldividenden]) sowie Teilliquidationen zählen - besonders in Kapitel 5 des Gesetzes normierten Tests. Bilanzrechtlich ist ein Punkt hervorzuheben. Abweichend vom alten kalifornischen Recht sind grundsätzlich die allgemein anerkannten Prinzipien der - soweit 62 Hills, M o d e l Corporation Act, 48 Harvard L a w Review 1334, 1343 (1935). Freilich wird oft auch die Tragweite der „trust fund doctrine" verkannt; dazu schon Hospes v. Northwestern Manufacturing & Car Co., 50 N.W. 1117, 1119-20 (S.Ct. Minn. 1892). 63 The law of corporations, S. 123 (2. ed.1987; S. 147, 4. ed. 1996). Zum R M B C A in § 7 A III 2 und gleich sub 3. 64 So e t w a Fletcher, § 5080, und im Tenor die eingehende Kritik von Manning/Hanks, Legal capital, S. 91-97 sowie Ackerman/Sterrett, 23 U C L A L a w Review 1052 (1976). 65 California Corporations Code, Title 1, Corporations, Div. 1 General C o r p . Law, added by Stats. 1975, c. 682, § 7. Dazu schon in § 7 B III 3 und näher z u m nachfolgenden Teil: Ackerman/Sterrett, 23 U C L A L a w R e v i e w 1052 pp. (1976). Zum kalifornischen U m f e l d Buxbaum, in: ders./Hopt, Legal harmonization, S. 122.
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und Etgenkapitalbegnff
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geboten: konsolidierten - Rechnungslegung („generally accepted accounting principles"; kurz: U.S. „ G A A P " ) zu beachten. Das gilt auch für die zunächst behandelten Finanztests, bei denen aber Ausnahmen und Modifikationen greifen. 66 Die Basisgrenze für unentgeltliche Leistungen markiert ein Liquiditätstest (§ 501, equity insolvency test). Danach sind solche Ausschüttungen untersagt, wenn oder durch die eine Gesellschaft unfähig ist oder wird, ihre Verbindlichkeiten bei Fälligkeit zu bedienen. Kernstück des kalifornischen Schutzkonzeptes sind zwei finanzwirtschaftliche Prüfungen (financial tests), nach denen anhand von Bilanzdaten folgendes gilt. Einmal gestattet das Gesetz nach § 500(a) unentgeltliche Leistungen in Höhe der thesaurierten Gewinne (retained earnings). Für die Fälle, daß solche nicht vorliegen oder soweit die geplante Ausschüttung deren Betrag übersteigt, gilt Absatz (b) der Vorschrift. Dort erklärt der Gesetzgeber weitergehend unentgeltliche Leistungen für zulässig, soweit danach: (1) das Vermögen der Gesellschaft (ohne goodwill, kapitalisierte Forschungs- und Entwicklungsausgaben, aktive Rechnungsabgrenzungsposten) mindestens 25% über den Verbindlichkeiten (ohne passive Rechnungsabgrenzungsposten) liegt und (2) das Umlaufvermögen (current assets) mindestens gleich den kurzfristigen Verbindlichkeiten (current liabilities) ist. 67 Die auch als „quantitative solvency test" bezeichnete Anforderung (1) gilt allgemein. Dagegen greift die auch als „liquidity test" bezeichnete Anforderung (2) nur bei jenen Gesellschaften, die ihr Vermögen wie die uns vor allem interessierenden Publikumsaktiengesellschaften nach U.S. „GAAP" in Anlage- und Umlaufpositionen gliedern. Aktiendividende kann unabhängig von diesen Tests wegen der genannten Ausklammerung aus dem Begriff „distribution" auch dann geleistet werden, wenn keine einbehaltenen Gewinne vorliegen oder die Verbindlichkeiten das Vermögen übersteigen. Mangels Verteilung von Sachwerten der Gesellschaft erschien in einem solchen Fall Kreditgeberschutz wohl nur in Form des Ausweises einer Unterbilanz auf dem Konto „retained earnings" geboten 68 , die aktuelle Kreditoren auf- und potentielle abschreckt. Insgesamt gründet das Konzept der Kapitalstruktur im California General Corporation Law 1977 mit seinen Ausschüttungsregeln auf der aktuellen Finanzverfassung einer Gesellschaft. Nach dem Report des vom kalifornischen 66 Grundsätzlich Cal. Gen. C o r p . L a w § 114 („financial statements and accounting items") sowie speziell bei „any distribution payable in property" § 500(2)(c); zu A b w e i c h u n g e n Akkerman/Sterrett, 23 U C L A L a w Review 1052, 1064-68 (1976). 67 Sind die Nettoerträge der zwei vorgehenden Geschäftsjahre vor Steuern auf Einkommen und vor Zinsaufwand im Durchschnitt niedriger als der Durchschnitt der Zinsaufwände für diese Jahre, m u ß das U m l a u f v e r m ö g e n wenigstens 2 5 % über den kurzfristigen Verbindlichkeiten liegen; § 501(b)(2) mit weiteren Einzelheiten. 68 So Ackerman/Sterrett, 23 U C L A L a w Review 1052, 1055 (dort in und zu Fn. 22), 1057 (1976).
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Teil II: Grundlagen
der Finanzierung
in rechtsvergleichender
Sicht
Gesetzgebers für die Reformarbeiten berufenen Parlamentsausschusses dient das dem Zwecke, Kreditgeber und Anteilseigner sinnvoll zu schützen und Dividenden und Anteilsrückkauf vernunftgemäß zu begrenzen.69 Die maßgeblich an der Reform beteiligten Harold Marsh und Roy Finkle70 vermerken als Leitgedanken des Reformrechts, einen gesetzlichen Rahmen zu schaffen, der über die für eine Transaktion gewählte Form hinaus an deren wesentlichen Inhalt anknüpft (Grundsatz: „substance over form"). In dem hier behandelten Bereich ist es der Versuch, daß bei balancierten Rechten und (Haft-) Pflichten zwischen Direktoren und Anteilseignern die Restriktionen für Ausschüttungen eher von den finanzwirtschaftlichen Verhältnissen der Gesellschaft als von manipulierbarer Rechnungslegung abhängen. Damit soll den Gläubigern körperschaftlich organisierter Unternehmen ein realistischer Mindestschutz gewährt werden. 71 Das kalifornische Konzept beansprucht weniger Originalität als scheinen mag. Tragende Bausteine waren längst bekannt und teilweise allgemein in Gebrauch. Die im equity insolvency test verkörperte Idee des Gläubigerschutzes reicht im common law weit zurück in jahrhundertealte königliche Statute und die cbancery jurisprudence der englischen courts of equity.72 Heute ist sie gemeinhin mit der Vorstellung vom lebenden Betrieb (sog. „going concern"Prämisse) verknüpft. In den Vereinigten Staaten wirkte auch im Bereich der Schutznormen für Gläubiger und einzelne Klassen von Anteilseignern die Zahl eigenständiger Jurisdiktionen. Im Dividendenrecht entstand ausgerichtet auf das legal capital system unter dem Regime von common law und Gesetzesrecht eine bunte, manchmal gar innerhalb eines Bundesstaates verwirrende Vielfalt von Regeln und Tests, die Ausschüttungen von Gesellschaften begrenzen.73 Alle Bundesstaaten verwenden heutzutage eine Form „equity insolvency test", und wohl abgesehen von Massachusetts tritt ergänzend eine Variante der vorhin angesprochenen bilanzgestützten Tests hinzu, die auf einen Verschuldungsgrad der Gesellschaft abstellen.74 69 Report of Assembly Select Committee, abgedruckt bei Marsh/Finkle, aaO. (Vol. 3), Appendix A-120 (zu § 500). 70 In Marsh/Finkle, Marsh's California Corporation Law (Vol. 1), § 1.10 (S. 44). Marsh ist Entwurfsverfasser des California General Corporation Law, Finkle beriet das Assembly Select Committee. 71 Marsh/Finkle, aaO. (Vol. 1), S. 44f., 45f., 47. Zur Haftung begünstigter Anteilseigner und der Direktoren für „improper distributions": Ackerman/Sterrett, 23 U C L A Law Review 1052, 1090 pp. (1976); beachte unten noch § 10 B IV 4. 72 Umfassende Serie von Weiner, Theory of anglo-american dividend law, zum englischen Recht: 28 Columbia Law Review 1046 (1928) sowie nächste Fn. und (mit Bonbright) 30 Columbia Law Review 330, 954 (1930). 73 Weiner, 29 Columbia Law Review 461, 462f. (1929), gliedert in vier Hauptgruppen, die: Dividenden untersagen (1) bei be- oder entstehender Insolvenz oder (2) wenn verbleibendes Nettovermögen unter bestimmten Betrag sinkt bzw. die Dividenden nur erlauben: (3) vom Gesamtreinertrag seit Gesellschaftserrichtung oder (4) vom laufenden Reinertrag. 74 Manning/Hanks, Legal capital, S. 64 f.
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und Eigenkapitalbegriff
in den USA
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Entsprechendes galt für das alte kalifornische legal capital system. Die mit dem überkommenen Konzept brechende Reform schöpft ebenfalls aus dieser Quelle. Der equity insolvency test nach § 501 California General Corporation Law 1977 ist § 1501 des abgelösten Rechts entnommen. Bei den Finanztests konnte die Reform auf wichtigen Vorarbeiten aufbauen. Nachhaltig erörterten Wissenschaftler in den Vereinigten Staaten bereits in der Krisenzeit um 1930 Alternativmodelle zum stated capital system der „trust fund theory". Zu diesem Kreis gehörte auch Henry W. Ballantine, der noch unter der Idee vom „legal capital" das seinerzeit im Ausgleich von Gläubiger- und Anteilseignerschutz fortschrittliche California Corporation Law 1931 maßgeblich verfaßte. Anstoß gab wohl die schon verbreitete Praxis namentlich institutioneller Kapitalgeber, abweichend vom gesetzlichen „legal capital"-Standard mit den Kapitalnachfragern vertraglich Dividendengrenzen nach dem aktuellen Verhältnis ( c u r r e n t ratio) von Vermögen zu Verbindlichkeiten der Gesellschaft zu vereinbaren. Die damals wissenschaftlich diskutierten Prüfkonzepte für Ausschüttungen einschließlich etwa der später in § 500(b)(1) California General Corporation Law umgesetzten Sicherheitsmarge von 1 : 1,25 ( c u r rent assets : current liabilities) gaben Vorbild für die 1977 gesetzlich in Kalifornien eingeführten financial tests.75 4. Revised
Model
Business
Corporation
Act als
Kontrapunkt
Nachdem Kalifornien mit seinem Reformkonzept 1977 vorangeschritten war, kam der weitere Durchbruch mit Ergänzungen zum Model Business Corporation Act im Jahre 1980 und schließlich mit dem Revised Model Business Corporation Act 1984 in seiner ergänzten Fassung von 1987.76 Danach ist Vertragsparteien gestattet, einen Nennwert (par value) für Anteile zu wählen. 77 Das kann für eine Gesellschaft geboten sein, die ihre Geschäftstätigkeit in einen Bundesstaat ausdehnt, der - etwa auch als Bemessungsgrundlage für Steuern - ein „par ?W«e"-Konzept hat. Schon die Reform 1980 verzichtete aber auf das die unternehmerische Finanzwirtschaft überwuchernd starre Arsenal der aus stated capital und par value gesprossenen Gesetzesvorgaben. Zentral gesetzt als Standard für Ausschüttungen jeder Art [„distributions" nach R M B C A § 1.40(6)] werden kombiniert der behandelte, klassische equity insolvency test und ein „balance sheet test" [ R M B C A § 6.40(c)]. 78 75 Ballantine/Hills, 23 California Law Review 229, 262 (1935), mit Verweis auf Cal. Civ. Code § 348b; N.C. Cons. Stats. Ann. (1919) § 1179; Ackerman/Sterrett, 23 U C L A Law Review 1052, 1053 (1976). Dazu noch unter § 10 B IV 4. 76 Dazu schon oben § 7 B III 3; Manning/Hanks, Legal capital, S. 176ff. (einschlägige Regeln abgedruckt); Manning nahm 1980, 1984 und 1987 im federführenden Committee on Corporate Laws der A B A an der Reform teil. 77 R M B C A § 2.02(b)(iv). 78 Dazu (interessant vergleichbar): Hamilton, Corporation finance, S. 114 (lit. E., 2. Abs.), 121 ff. (nach Entwurfsstand 1984) und Manning/Hanks, Legal capital, S. 182ff., S. 198ff. (nach Ergänzung 1987; Wortlaut und offizieller Kommentar abgedruckt).
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Teil II:
Grundlagen
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Er verbindet neben dem Liquiditätserfordernis zwei Komponenten: (1) Durch die Ausschüttung darf das Vermögen die Verbindlichkeiten nicht unterschreiten. (2) Zu den Verbindlichkeiten gehört der bei Liquidation fällige Gesamtbetrag der Rechte von Anteilseignern, die im Verhältnis zur aktuellen Ausschüttung vorgehen (sog. „adjusted net worth balance sheet test"). Dieser Standard zielt auf Gläubigerschutz und Ausgleich zwischen verschiedenen Aktionärsklassen. Dazu hat der Verwaltungsrat den Umständen „angemessene" (reasonable) Praktiken und Prinzipien der Rechnungslegung, die Bewertung zum Verkehrswert (fair valuation) oder eine andere den Umständen „angemessene" Bewertungsmethode anzuwenden [RMBCA § 6.40(d)], aber nicht zwingend die U.S. „GAAP". 7 9 Die auf Bewegungsspielraum der Gesellschaft zielende Regel des Model Act kontrastiert mit dem kalifornischen Recht, das bei gleicher Intention ja ausdrücklich auf die U.S. „GAAP" verweist. Das kann praktisch erheblich abweichende Bewertungen zeitigen. Choper, Coffee und Gilson illustrieren das anhand der Sachlage in dem schon zitierten, nach New Yorker Recht entschiedenen Fall Randall v. Bailey80. Die dort zur Schaffung von Ausschüttungspotential erfolgte Vermögensneubewertung wäre ebenso unter dem R M B C A von der business judgement rule gedeckt, nach den im kalifornischen Recht geltenden U.S. „GAAP" verstoße sie gegen den Grundsatz der Bewertung von Vermögen zu Anschaffungskosten. Während die Aussage nach U.S. „GAAP" zutrifft, ist das von Choper, Coffee und Gilson unter dem R M B C A vorgeschlagene Ergebnis fraglich. Aufschlußreich für unsere Untersuchung sind insoweit die zum R M B C A von 1987 veröffentlichten Motive 81 , die zunächst lauten: „The board of directors should in all circumstances be entitled to rely upon reasonably current financial statements prepared on the basis of generally accepted accounting principles in determing whether or not the balance sheet test of section 6.40(c)(2) has been met, unless the board is then aware that it would be unreasonable to rely on the financial statements because of newly discovered or subsequently arising facts or circumstances. But section 6.40 does not mandate the use of generally accepted accounting principles; it only requires the use of accounting principles that are reasonable."
Die Passage unterstreicht vor allem die - mit potentieller Haftung nach §§ 8.30, 8.33 R M B C A für ungemäße Ausschüttungen bewehrte - Verantwortlichkeit des Verwaltungsrates für zeitbezogen angemessene Entscheidungen nach aktueller Kenntnislage. Insofern geht das RMBCA-Konzept über die Statik der relativ schnell überholten Bilanzdaten hinaus, aber nur im Sinne eines Ausnahmetatbestandes („unless"). 79 Dazu official comment (gleich oben im Text zitiert) und American Bar Association, Model Business Corporation Act Annotated (3rd ed., Vol. I), S. X X X I . 80 Randall v. Bailey, 23 N.Y.S.2d 173 (Sup.Ct. 1940); dazu schon oben in 2. Choper/Coffee/ Gilson, Cases and materials on corporations, S. 230 f. 81 Zitiert nach Manning/Hanks, Legal capital, S. 203 f.; abgedruckt auch in: 42 The Business Lawyer 259 (1986).
§8 Hybridformen
und Eigenkapitalbegriff
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Dagegen werden die U.S. „ G A A P " auch hier als die Grundlage bezeichnet - als maßgeblicher Anhalt, auf dem Entscheidungen mangels abweichender, Modifikationen gebietender Fakten regelmäßig sicher gründen. Der K o m mentar zur Entwurfsfassung nannte die Erwartung, daß die U.S. „ G A A P " in den meisten Fällen die Basisregel geben werden. 82 Die Autoren des R M B C A 1987 sahen sich zur weiteren Formulierung mit Blick auf die Vielzahl kleinerer und geschlossener (closely-beld) Gesellschaften veranlaßt. Sie wichen - anders als die nach den Securities Acts registerpflichtigen, zur Rechnungslegung nach „ G A A P " verpflichteten Publikumsgesellschaften - von den U.S. „ G A A P " ab oder bilanzierten allein steuerrechtlich. 83 Dazu heißt es weiter 84 : „These facts of corporate life indicate that a statutory standard of reasonableness, rather than stipulating generally accepted accounting principles as the normativ standard, is appropriate in order to achieve a reasonable degree of flexibility and to accomodate the needs of the many different types of business corporations which might be subject to these provisions, including particular closely-held corporations. Accordingly, the Revised Model Corporation Act contemplates that generally accepted accounting principles are always „reasonable in the circumstances" and that other accounting principles may be perfectly acceptable, under a general standard of reasonableness, even if they do not involve the „fair value" or „current value" concepts that are also contemplated by section 6.40(d)."
D e r Model Act faßt mithin die Kapitalstrukturregeln bewußt allgemein. Dabei soll wohl neben den U.S. „ G A A P " mit dem „general standard of reasonableness" eine eigenständige Ressource anderer Prinzipien der Rechnungslegung („other accounting principles") eröffnet werden. Nach der F o r mulierung wirkt dieses Unterfangen schon im Ansatz vage. Anzumerken ist, daß U.S. „ G A A P " für rechtliche Zwecke selbst auf dem allgemeinen Rechtsstandard „ r e a s o n a b l e n e s s " gründen müssen und für aktuelle Entscheidungen jedenfalls bei Publikumsgesellschaften neben statischen auch dynamische Daten umfassend vorhalten. Hier geht es namentlich für die meist kleineren geschlossenen Gesellschaften eher darum, inwieweit Eigenart und Umstände Erleichterungen von strengen Regeln (sog. große U.S. „ G A A P " ) erlauben, die für Publikumsgesellschaften regelmäßig das Maß geben. Die Ansicht von Choper, Coffee und Gilson zum Fall Randall v. Bailey zeigt: D e r Verzicht auf die im legal capital system prägenden methodischen Grundmuster, der Model Act und California General Corporation Law als gedankliche Basis verbindet, zeugt gegenüber dem traditionellen Ansatz praktisch nicht zwingend abweichende Ergebnisse. Zugleich tritt die zentrale Bedeutung der Rechnungslegung als Rechtsgebiet für Gesellschaftsrecht und allgemeines Vertragsrecht im finanzwirtschaftlichen Rahmen körperschaftlich geführter Unternehmen hervor. 82 83 84
Bei Hamilton, Corporation finance, S. 125 und Manning/Hanks, Legal capital, S. 203. Offizieller Kommentar, bei Manning!Hanks, Legal capital, S. 203 f. AaO., S. 204.
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Teil II:
Grundlagen
der Finanzierung
in rechtsvergleichender
Sicht
In den Vereinigten Staaten folgt der Trend dem in Kalifornien geebneten Weg. Inzwischen haben sich über die Hälfte aller Bundesstaaten vom legal capital system abgewandt, wobei die Mehrzahl dieser Jurisdiktionen zumindest insoweit ihr Gesellschaftsrecht einer Version des R M B C A angeglichen hat.85 Zu den restlichen Bundesstaaten, die (noch) im überkommenen Muster verharren, gehören Delaware, Texas und New York. 86 Abschließend bleibt der Hinweis, daß dem Werttransfer zu Lasten der Gläubiger (debtholders) ergänzend zum hier behandelten, typischen Gesellschaftsrecht von Bundesstaaten noch anderweitig Grenzen gesetzt sind. Bestimmte mißbräuchliche Vermögensübertragung oder Verschuldung, für die eine Corporation keinen entsprechend angemessenen Gegenwert erhält, erfassen der Uniform Fraudulent Conveyance Act und dessen neuere Version, der Uniform Fraudulent Transfer Act. 87 Die meisten Bundesstaaten haben eine der Versionen übernommen. Allgemein gilt der föderale Bankruptcy Act, der zum Gläubigerschutz bei Insolvenz einer Gesellschaft greift.
III.
Hybridformen
(liybrid securities)
1. Begriff Innerhalb der Kapitalstruktur kommen wir zu den Formen hybrider Unternehmensfinanzierung. Der Begriff „Hybridformen" (hybrid securities) bezieht sich auf das tradierte zweigliedrige Rechtskonzept zur Kapitalstruktur. Das lateinische hybrid steht allgemein für Zwitterhaftes, im biologischen Sinne für das bei Kreuzung zweier genetisch verschiedener Elternformen entstandene Produkt. Deartige Mixtur schwingt auch bei der Bezeichnung „hybrid securities" im Bereich von Finanzierungsformen mit. Im Sinne juristischer Typenreinheit werden bei der Aktiengesellschaft idealiter die Kategorien „Aktionär" und „Kreditgeber" gesetzt. Während Aktionäre in ihrer Eigentümerfunktion als die Risikoträger ihres gemeinsam getragenen Unternehmens gelten, sind „Kreditgeber" als davon grundsätzlich isolierbare Gruppe außenstehender Dritter gedacht. Der aus dem deutschen Recht als Trennlinie bekannte Risikogedanke beherrscht auch die Rechtstradition in den Vereinigten Staaten: 85 Mit Stand 1995 (nach American Bar Association, Model Business Corporation Act Annotated, 3rd ed., Vol. 1, S. X I I ff.) haben für „distributions to shareholders" übernommen: Florida, Kentucky, Maryland, Mississippi, New Hampshire, Utah, Vermont und Wisconsin den R M B C A 1984 sowie Arkansas, Georgia, Indiana, Iowa, Michigan, Montana, Oregon, South Carolina, Tennessee, Virginia, Washington und Wyoming den R M B C A 1987; ähnlich wie R M B C A und California sehen Hawaii, Illinois, Minnesota, New Mexico, North Carolina und North Dakota für alle distributions einen einheitlichen Test vor. 86 Fletcher, § 5080.20. Verschiedentlich laufen Reformüberlegungen. Zur Frage eines föderalen Gesellschaftsrechts: Karmel 57 Brooklyn Law Review 55 (1991). 87 Dazu Choper/Coffee/Gilson, Cases and materials on corporations, S. 231 f.
5 8 Hybridformen
und Eigenkapitalbegriff
in den USA
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„The essential difference between a stockholder and a creditor is that the stockholder's intention is to embarke upon the corporate adventure, taking the risks of loss attendant upon it, so that he may enjoy the chances of profit. The creditor, on the other hand, does not intend to take such risks so far as they may be avoided, but merely to lend his capital to others who do intend to take them." 88
Das klingt gut. In der Praxis wirkt eine solche idealtypische, auf die beiden Pole möglicher Finanzierungsformen gemünzte Vorstellung leicht utopisch. Die Realität sieht anders aus und zeigt zwischen den beiden „reinen" Formen ein kontinuierliches Spektrum von Mischformen. Auf der Suche nach noch unbesetzten, für Unternehmen und Investoren attraktiven Nischen werden immer wieder neue Finanzierungsprodukte auf den Märkten präsentiert. Angeboten wird heutzutage zur individuellen Portfoliogestaltung nahezu jede mögliche Variation von Risiko und Ertragschance. 89 In diesem Wald vertraglicher Konstrukte, der zuweilen erstaunliche Sprößlinge deckt, wird das Etikett „hybrid" vielfältig verwandt. Im Grenzbereich von Wertpapierrecht (securities law) und dem Recht der Warentermingeschäfte (commodities law; dazu in 3) sowie etwa im Steuerrecht (unten C II) erscheint es sogar im technischen Sinne. Seine Scheidungskraft ist gemeinhin gering. Gerade im Rechtskreis der Vereinigten Staaten, wo Mischformen die Märkte dominieren. Doch gründen auch dort Rechtssystem und Argumentationsmuster der Rechtsanwender maßgeblich auf dem traditionellen, ideal gedachten und in den Rechtskategorien „Eigenkapital" (equity) und „Fremdkapital" (debt) gespiegelten Dualismus. In diesem Bezugsrahmen bietet die Bezeichnung „Hybridform" (hybrid security) eine wertvolle Orientierungshilfe; als solche wird sie hier gebraucht. 2. Formenvielfalt
und „ j u n k b o n d " - 7 r a u m a
Bevor wir den Dschungel zeitgenössischer Finanzierungstechniken betreten, sei hier (und gleich in 3 und 4) noch Rüstzeug zur Orientierung geboten. Unser Gang durch die Rechtslandschaft privater Unternehmensfinanzierung in den Vereinigten Staaten gab bereits Einblick in die Vielfalt der Finanzierungsformen. Wir sahen, daß im 19. Jahrhundert die Erschließung des Kontinents mit dem Bau der Eisenbahnen die Entwicklung beflügelte. Ein wesentlicher Aspekt für die neuere Kombinationsvielfalt namentlich mit Derivaten sind Schwankungen in Währungs- und Zinsraten sowie Warenpreisen, denen die inzwischen international ausgerichtete Wirtschaft zunehmend mit Siche88 United States v. Title Guarantee & Trust Co., 133 F.2d 990, 993 (6th Cir. 1943). Im Kern ebenso bereits etwa Warren v. King, 108 U.S. 389, 399 (S.Ct. 1883), wo es um „preferred stock" ging89 Zu diesem sog. „ s p a n n i n g " (mit der zweifelhaften Apodiktik, in dieser Situation arbeiteten Finanzmärkte am besten!): Chicago Mercantile Exchange v. SEC, 883 F.2d 537, 544 (7th Cir. 1989), cert, denied, 496 U.S. 936 (1990).
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rungsgeschäften begegnet.90 Insgesamt nährt im Wettbewerb um Investoren auf den Kapitalmärkten eine Quelle den Boden, auf dem überkommene Finanzierungsmuster nach zeitgemäßen Anforderungen weiter differenziert und neue Sprößlinge gesetzt werden konnten: Kreativität. Im föderalen Rechtssystem, dem selbst und gerade bei der Organisation und Finanzierung von Gesellschaften der Ideenwettbewerb wesenseigen ist, fand sie weiten Spielraum. Bald schon war auf leistungsfähigen Kapitalmärkten ein breites Finanzspektrum geschaffen91, das seither immer wieder ausgebaut wird. Risiko und Chance einzelner Marktteilnehmer im Gesamtsystem sind die zwei Seiten dieser schillernden Medaille. Vielfalt bietet Flexibilität, und unter dieser Devise trieb Kreativität in mancher Hinsicht Blüten auf den Kapitalmärkten der Vereinigten Staaten. Gerade in der Umbruchphase (sog. „restructuring") seit etwa Anfang 1980, die gleich noch auftritt. Bei der Finanzierung großer Unternehmen namentlich in Form von Publikumsgesellschaften scheint inzwischen nahezu alles möglich. Den Zustand beschreibt der New Yorker Anwalt David P. Hariton von Sullivan & Cromwell: „In exchange for capital, corporations can offer investors any set of rights which can be described by words, subject to any conceivable set of qualifications, and in consideration of any conceivable set of offsetting obligations." 9 2
Davon zeugen zahlreiche Variationen, die uns im Untersuchungsgang begegnen werden.93 Der Prozeß der Diversifikation von Finanzierungsformen stößt freilich auf natürliche Widerstände. Der Markt lebt nicht von Flexibilität allein. Er braucht für Uberschaubarkeit, Leichtigkeit und (inzwischen globale) Kompatibilität ebenso einheitliche Maße. Das fordert und fördert zunächst die Klassifikation auftretender Finanzierungsvarianten. Diese Gegenbewegung reduziert in der Regel im Zeitablauf die Variationsvielfalt auf einige anhaltend marktgängige Spielarten, während andere (zeitweise) zurücktreten und für Sonderfälle bleiben. Größer angelegte Versuche zur Vereinheitlichung gibt es auch in den Vereinigten Staaten.94 Beliebte Arten von Finanzierungsinstrumenten stechen schon durch Ausgabe- und Handelsvolumina deutlich hervor. Allgemein gilt, daß tatsächlich auch auf den ersten Blick exotisch unbestimmt erscheinende Finanzierungsinstrumente regelmäßig auf bekanntere) Grundmuster rückführbar sind. Dieser Anhalt bleibt selbst ange90 Zur Entwicklung um das Bretton Woods-Abkommen (Wechselkursstabilität und Goldstandard) Smithson/Chew, 294, 295-96. " Ubersicht etwa zum Stand um 1930 bei Jones, The law of bonds and bond securities, chapter 20 und passim; zur Klassifikation Dewing, Financial policy of corporations, chapter 9 (196 ff.). 92 Tax Notes Today vom 13.10.1994, 94 T N T 201-34 (dort unter I). 93 Besonders unter B III (beachte dort vor allem 5). Weiter - und schon im Titel die hybridartig aus „debt"- und „equity"-Merkmalen konstruierten Instrumente kennzeichnend - z.B. Chen/Kensinger, Innovations in dequity financing, 1991. 94 Anzuführen sind Bemühungen der American Bankers Association.
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sichts zeitweise chaotischer Entwicklungen, die im Spiel der Marktkräfte auf eigenartige Weise ablaufen. Näher sei dazu die schon genannte Umbruchszeit beleuchtet, die nachhaltig die Finanzierungskultur veränderte. Eine besondere Blüte bescherte die Phase der Umstrukturierung den sogenannten „junk bonds". Der mit „Ramschanleihe, minderwertige Obligationen" übersetzbare Begriff bezeichnete früher gemeinhin handelbare Schuldpapiere ehemals solider, inzwischen jedoch schwacher Gesellschaften mit hohem Ausfallrisiko {„fallen angels"). Mit diesem Image führten junk bonds traditionell ein trübes Dasein. Nur gelegentlich fiel Glanz auf diese Kategorie, etwa als in der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts bei der Finanzierung später berühmter Konzerne wie U.S. Steel Corporation und General Motors Corporation entsprechende Papiere auftraten.95 Anfang der neunziger Jahre änderte sich die Lage, als die auflaufende, über Kapitalanlagebanken fremdfinanzierte Welle von Unternehmensübernahmen ( t a k e o v e r s , leveraged buyoutsfb viele Milliarden Dollar in Schuldpapieren ( c o r p o r a t e debt) auf den Markt schwemmte. Bahn brachen zwielichtige Machenschaften der Firma Drexel Burnham Lambert und ihres Verkaufsstrategen Michael Milken, deren ausufernde Geschichte97 kurzgefaßt sei. Die Akteure bewegten institutionelle Anleger, darunter (Bau-)Sparkassen (.savings [and loan] banks/associations) und Gegenseitigkeitsversicherer ( m u tual funds), auch über unseriöse Konstrukte 98 im großen Stil in junk bonds zu investieren. Diese verhießen Anlegern als niedrig bewertete Papiere reiche Erträge ( l o w - r a t e , high-yield debt securities), trugen dafür freilich zugleich hohe Risiken. Das Marktvolumen solcher Papiere stieg auf über zweihundert Milliarden Dollar und umfaßte damit rund 25% des gesamten Marktes für corporate debt securities." Gegen Ende der neunziger Jahre lief das Faß über. Im Kreis der mittlerweile zahlreichen „junk bond"-Emittenten gerieten zunehmend Akteure ins Straucheln, stellten die Zinszahlungen ein und gingen in Konkurs. Zerstörte Arbeitsplätze, Investoren auf der Flucht aus junk bonds die Ereignisse kulminierten, und schließlich zerbrach das Imperium. Das riß im wohl größten Finanzskandal der Vereinigten Staaten zahlreiche Institutionen und folglich Spargroschen und Altersvorsorgen einer nach Tausenden zählenden Klientel mit in den Abgrund. Binnen weniger Jahre avancierte Milken so vom „junk bond king" auf Wall Street zum verurteilten Straftäter unter föderalem Wertpapierrecht, der nach (zunächst auf zehn, später herabgesetz95 Yago, Junk bonds, S. 15; dort werden sovereign notes, ausgegeben vom ersten U.S. Schatzminister Alexander Hamilton, als die vielleicht ersten junk securities in der Republik benannt. 96 Näher zu den Vorgängen unten B IV 1. 97 Das facettenreiche Stück U.S.-Wirtschaftsgeschichte dokumentiert der an der Aufdekkung des Skandals beteiligte Benjamin ]. Stein, A licence to steal - the untoldstory of Michael Milken and the conspiracy to bilk the nation, 1992, aufschlußreich. 98 Etwa selbstgestrickte „ g u a r a n t e e d " investment contracts; Stein, aaO., S. 90ff. 99 Daten für 1989 aus Investor's Digest Daily, nach Yago, Junk bonds, S. 199.
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ten) zwei Jahren Haftzeit bald wieder als „Berater" ehemaliger Großkunden in den Schlagzeilen stand.100 Der Markt erholte sich von dem Schock. Beteiligte erkannten die Möglichkeit, über Emissionsbanken debt securities kleinerer und weniger gesetzter Gesellschaften zu vertreiben: „A functioning, active market in below-investment-grade bonds is an extremely useful adjunct to American finance."101 Diese Schiene kann Kapital suchenden Marktneulingen unter seriösen Regeln102 den Eintritt erheblich erleichtern. Durch die Jahre ist ein Sekundärmarkt für den Handel bereits emittierter junk bonds entstanden, der auch neue Emissionen anreizt. Die inzwischen als alternatives Finanzforum etablierte Marktsparte für besonders spekulative, oder jedenfalls „spekulativ" eingestufte Papiere floriert. Weiterhin werden junk bonds zunehmend auch gebündelt und in Wertpapiere mit verschiedenen Risiken und Renditen umstrukturiert (sog. „colaterized bond obligations", CBOs). Das alles befördert die hier untersuchte Formenvielfalt. Der Einblick in die - gleich (in 4) erläuternd skizzierten, gerade schon gestreiften und auf den ersten Blick - eher technisch-abschreckend wirkenden Marktabläufe schafft Verständnis für den Wertpapierhandel insgesamt. 3. Abgrenzung zum Recht der (commodities law,)
Warentermingeschäfte
Voranzustellen ist die Abgrenzung der zweigliedrigen Jurisdiktion in den Vereinigten Staaten einmal für Wertpapiermärkte (securities markets) sowie für die daneben bestehenden Märkte für Warenterminkontrakte {futures contracts). Dieser international ungewöhnliche Dualismus wirft gerade bei den zunehmend hybriden Vertragsgestaltungen die Frage nach dem einschlägigen Rechtsrahmen und der zuständigen Bundesaufsichtsbehörde (administrative agency)'03 auf. Für die Wertpapiermärkte gelten die schon genannten, in der Zuständigkeit der Securities and Exchange Commission (SEC) liegenden Wertpapiervorschriften (securities laws). Dagegen herrscht an den Warenterminbörsen für Weizen, Baumwolle, Erdnüsse, Butter, Sojabohnen und andere Güter sowie darauf bezogene zukünftige Dienste, Rechte und Interessen das von der Commodity Futures Trading Commission (CFTC) verwaltete Recht der Warentermingeschäfte (commodities law). Dessen Kern ist der Commo100 Obwohl die S E C ihn zur Beilegung des einhergehenden Disziplinarverfahrens lebenslang aus der securities industry verbannt hatte; Jeffrey Taylor, S E C probe of Milken's consulting is focusing on records from M C I [Communications Corp.], The Wall Street Journal vom 12.7.1996, B 2 (unter „law"). 101 Stein, aaO., 180. Zum „investment grade" im „rating"-Prozeß sogleich unten in 4. 102 Nach Stein, aaO., stichwortartig etwa: volle, angemessene Publizität sowie Anbieterwettbewerb statt Quasimonopolpreise und hohe Gewinne für Emittenten und Agenten (wie im Fall Milken). 103 Dazu grundsätzlich unten § 9 B I 1.
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in den USA
263
dity Exchange Act104. Er begründet (in § 2) die ausschließliche Jurisdiktion der CFTC für „transactions involving contracts of sale of a contract for future delivery" unabhängig davon, wo diese gehandelt werden. Angesichts unterschiedlicher Gesetzeslagen und Regelungspraktiken von CFTC und SEC können je nach Zuordnung zu einem der Bereiche erhebliche Rechtsunterschiede für ein Hybridinstrument bestehen. Schon die zugrundeliegenden Ansätze kontrastieren deutlich. Während die CFTC davon ausgeht, daß nur ein im Handel mit der unterlegten Ware Vertrauter die für den eigenen Schutz notwendige Qualifikation besitzt, baut die SEC nach ihrer „institutionellen" Sicht grundsätzlich auf die Fähigkeit jedes Marktteilnehmers, ungeachtet von Erfahrungshorizont, Marktsegment und Finanzierungsinstrument seine Interessen selbst behaupten zu können;105 dieser zentrale Aspekt des Anlegerschutzes bleibt (zunächst unten in B IV) näher zu erörtern. Die entscheidende Abgrenzung erscheint im Grundsatz klar.106 Grob umrissen ist ein Warenterminkontrakt (futures contract) ein fungibles Versprechen auf Kauf oder Verkauf eines bestimmten Handelsartikels zu einem bestimmten künftigen Zeitpunkt. Auf der Basis von Spekulationen über die Preisentwicklung dient der Kontrakt als Deckungsgeschäft (sog. „hedging"). Die vorhin (unter II 1) behandelten Wertpapiere ( s e c u r i t i e s ) verkörpern im Wert letztlich ungewisse, regelmäßig gegen Kapitaltransfer begründete Ansprüche in ein Unternehmen. Bei Einbezug von ebenfalls zeitlich fixierten und vorbezahlten Optionen auf bestimmte Beteiligungen (financial interests) versagt diese Differenzierung. Mit der sprunghaften Entwicklung der Märkte für Derivate, deren Wert allgemein auf Größen wie Unternehmenserträge oder Zins-, Waren-, Wertpapier- oder Währungskurse bezogen ist, und der Kreation immer neuer Hybridinstrumente mit praktisch ähnlichen Komponenten107 stieg der Regelungsbedarf. Nachdem die SEC bereits in den achtziger Jahren die ausschließliche Jurisdiktion der CFTC für Terminkontrakte nachhaltig angezweifelt hatte, verständigten sich 1981 die Vorsitzenden beider Bundesagenturen auf eine Zuständigkeitsregelung (Sbad-Jobnson-Vere'mba.rung), die der U.S. Kongreß nahezu wörtlich im Jahre 1983 gesetzlich verankerte.108 Grundsätzlich unterliegen danach der Jurisdiktion der CFTC: Optionen auf jegliche Waren und 104 7 U.S.C. §§ 1-24, „ c o m m o d i t y " definiert in § 1(a)(3); in Kraft gesetzt als Grain Futures Trading Act vom 21.9.1922. Näher zur Praxis der CFTC Markham, Columbia Business Law Review 1 (1990). 105 Greene/Beller/Cohen/Hudson/Rosen, U.S. regulation of the international securities and derivatives markets, Vol. 1, § 1.08[1], at 1-14. Dazu noch unten in § 12 A III. 106 Aufschlußreich das Grundsatzurteil Chicago Mercantile Exchange v. SEC, 883 F.2d 537, 542-50 (7th Cir. 1989), cert, denied, 496 U.S. 936 (1990). 107 Definition von „hybrid instruments" gemäß CFTC Regulations Part 34 vom 22.1.1993; 58 FR 5580, 5586 und Abdruck bei Greene/Beller/Cohen/Hudson/Rosen, aaO., Vol. 2, B-24546, die auch (§ 13.05[5][a]) Beispiele geben. 108 Greene/Beller/Cohen/Hudson/Rosen, aaO., Vol. 2, § 13.04[3].
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Güter (commodities), Warenterminkontrakte {futures contracts) und Optionen auf solche (einschließlich etwa entsprechender Geschäfte mit Wertpapierindizes) sowie nicht an U.S. Wertpapierbörsen gehandelte Optionen auf ausländische Währungen. Die SEC regelt aus dem Grenzbereich dagegen gemeinhin: Optionen auf Wertpapiere und Wertpapierindizes, an U.S. Wertpapierbörsen notierte Optionen auf ausländische Währungen sowie Angebot und Verkauf der von Warenkartellen ausgegebenen Wertpapiere. Doch die Variationsvielfalt der Praxis wirft angesichts fortbestehend exklusiver Jurisdiktion der C F T C nach dem Commodity Exchange Act immer wieder Grenzfragen auf. Beispiel gibt der oben zitierte Fall Chicago Mercantile Exchange v. SEC. Dort hatten auch mehrere Wertpapierbörsen bei der SEC den Handel von Indexbeteiligungen (index participations) wie etwa die auf den „Standard & Poor's 500 index" 109 bezogenen „equity index participations" der American Stock Exchange beantragt und genehmigt bekommen. Die Chicagoer Warenbörse sah damit vermeintlich eigene Felle (sprich: Handelsvolumina) davonschwimmen. Sie bestritt die unterliegende Annahme, es handele sich um „securities" statt um „futures contracts" und klagte mit Erfolg die Zuständigkeit der C F T C ein. Das Gericht analysierte das streitige Instrument eingehend und - da Securities Exchange Act, Commodity Exchange Act und einschlägige Rechtsprechung des Supreme Court 110 keine zwingende Einordnung brachten - befand nach vergleichender Betrachtung 111 : es liege ein futures contract vor. Insofern wird die gesetzlich angelegte Machtposition der C F T C betont. Sie hat exklusive Jurisdiktion, wenn ein futures contract vorliegt. O b das der Fall ist, kann die C F T C unter einer Art Entscheidungsprärogative (vorbehaltlich gerichtlicher Prüfung) feststellen und so (zeitweise) Wettbewerb bei innovativen Finanzprodukten im Grenzbereich blokkieren. 112 Inzwischen liegt eine Regelung der C F T C vor, die unter einigen Voraussetzungen ein Hybridinstrument vom Commodity Exchange Act ausnimmt und damit in die Zuständigkeit der SEC verweist.113 Nachfolgend behandelte Hybridformen zählen grundsätzlich zur Kategorie der „securities". Festzuhalten ist die Prämisse, daß für die Zuordnung aber die Konstruktion im Einzelfall entscheidend bleibt.
109 Der fünfhundert amerikanische Aktienwerte vereint; zu Standard & Poor's und ratings sogleich in Ziffer 4. 110 Zur extensiven Auslegung von „securities" oben II 1. 111 Bezugsgröße war eine „wheat index participation", die eindeutig kein „security", nach der SEC-Position im Streitfall aber auch kein „futures contract" und damit eine „Ente ohne Teich" wäre; 883 F.2d 537, at 549. 112 AaO., at 548-9. 113 Hybrid Instrument Exemption nach § 34.3 C F T C Regulation von 1993, Greene/Beller/ Cohen/Hudson/Rosen, aaO., Vol. 2, B-246.
§8
4. Bewertung,
Hybridformen
Kreditrisiko
und Eigenkapitalbegriff
und
in den
USA
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Bewertungsagenturen
Beim Handel von Wertpapieren (securities) geht es um deren Marktwert und damit um die schon" 4 skizzierte Bewertung eines bestimmten Finanzierungsinstrumentes. Dessen Marktpreis ist der Zeitwert der Einnahmen (cash flow), die der Käufer und Kapitalgeber aus einer Investition erwartet. Der Zeitwert wird im Verhältnis zu den erwarteten Renditen aus vergleichbaren, auf dem Markt verfügbaren Investitionsalternativen berechnet. Bei der Bewertung wirkt das ganze bereits angesprochene Bündel von Risikofaktoren, aus dem hier ein Aspekt herausgestellt sei. Besonders bedeutsam ist das sogenannte Kreditrisiko (credit oder default risk), dem sich in den Vereinigten Staaten einflußreiche private Bewertungsagenturen (credit rating agencies) widmen wie Moody's Investors Service, die 1909 als erste mit der Bewertung (rating) von corporate debt securities begannen, Duff & Phelps oder Fitch Investors Service. Die Funktionsweise heutiger Kapitalmärkte, die Bewertung von Unternehmenstiteln sowie gewählte Rechtskonstruktionen sind ohne Einsicht in ihre Tätigkeit unverständlich. Die führenden Agenturen nehmen eine Schlüsselposition ein, die im Geflecht marktwirtschaftlicher Strukturen am Nerv der demokratischen Gesellschaftsordnung liegt. Das traditionell fokussierte Kreditrisiko bezeichnet die den Kapitalgeber treffende Unsicherheit, daß der Kapitalnehmer seine Zahlungspflichten aus einem bestimmten Schuldverhältnis nicht oder jedenfalls nicht zeitgerecht erfüllt. D e r Investor, der ein debt security kauft, trägt dieses Risiko mit Blick regelmäßig auf die turnusmäßigen Ansprüche (interest) und die Rückzahlung des Kapitals {principal). Im eigenen Interesse will er daher Finanzkraft und Zahlungsmoral des Ausstellers (Schuldners) vor der Kaufentscheidung möglichst genau einschätzen. Dabei geben die von den Agenturen gefertigten ratings Hilfestellung. Sie kennzeichnen die Kreditwürdigkeit eines Schuldners bezogen auf ein bestimmtes Wertpapier und damit dessen Qualität. Nehmen wir beispielhaft mit Standard & Poor's eine der führenden, seit 1941 einschlägig tätigen Agenturen, die Ende 1995 über 7400 corporate debt securities notierte." 5 Die standardisierte Qualitätshierarchie für debt securities mit festen Zahlungsansprüchen (fixed income securities) reicht von drei „ A " (,AAA' oder ,triple A') für Spitzenprodukte dieses Finanzierungsmarktes, bei denen die Zahlungskapazität sehr stark (extremely strong) eingestuft wird, bis hinunter zu einem mageren ,D', das für in Zahlungsverzug befindliche Schulden steht. Dazwischen liegen acht weitere Stufen (abfallend: ,AA', ,A', , B B B ' , , B B ' ... bis ,C'), von denen die ersten sechs (,AA' bis , C C C ' ) durch Plus (+) oder Minus ( - ) weiter modifizierbar sind, um ein security näher einzuschätzen. Die Einstufungen basieren auf verschiedenen Faktoren, nach Angabe der O b e n § 7 C II 1 und 2. Abgedruckt sind die Bewertungskategorien im monatlich publizierten „Standard & Poor's Bond Guide"; eingehend Belkaoui, Industrial bonds and the rating process (dort: S. 13f.). 114
115
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Sicht
Agentur „in varying degrees"116. Vertragsklauseln zeigen die Konkursposition der Schuld, und weitere, vom Aussteller publizierte oder anderweitig beschaffte Materialien geben Auskunft etwa über dessen Verschuldungsgrad oder Zahlungsmoral. So entsteht für jedes Wertpapier ein „Güte"-Mosaik, das periodisch überprüft und gegebenenfalls durch Höher- oder Abstufung (up-/down-grading) neu etikettiert wird. Die Konkurrenzagenturen verfahren ähnlich117 Im Jahre 1994 ging Standard & Poor's auf derselben Basis einen Schritt weiter. Neben dem Kreditrisiko führte die Agentur auch die allgemeinen Marktrisiken in seine Dokumentation für bestimmte Finanzierungsinstrumente ein.118 Derivative, hybride debt securities und andere Schuldpositionen können je nach Vertragsgestaltung besonders anfällig auf Umweltveränderungen reagieren und in ihrem Marktwert dramatisch sinken. Der Bewertung solcher Papiere, bei denen die Agentur erfahrungsgemäß entsprechend kräftige Schwankungen im Kurs oder bei den Gewinnerwartungen gewärtigt, wird nunmehr ein ,r' beigefügt, das diese Unbeständigkeit kennzeichnet. Genannt werden grundsätzlich betroffene Wertpapiertypen, darunter119: (1) structured notes120, deren Zinszahlungen an ein in seiner Laufzeit ungewisses Swapgeschäft geknüpft sind und einem Investor (erheblich) niedrigeren Gesamtertrag als erwartet bringen können; (2) Fremdtitel ( d e b t securities) oder Vorzugsaktien (preferred stock), die sich nach den Vertragsbedingungen automatisch in Stammaktien ( c o m m o n stock) wandeln, was für den Investor vor-, aber auch nachteilig sein kann; (3) Schuldpapiere von Gesellschaften oder staatlichen Stellen, deren Tilgung von schwankenden Indizes wie Währungsoder Aktienmarktkursen abhängt, sowie (4) Obligationen, deren Zinsraten an nichtzinsgebundene Indizes wie die Preisentwicklung eines Aktienkorbs geknüpft sind. Nicht betroffen sind Emissionen, wo ein allgemein genutzter Index wie der Leitzins für den Eurogeldmarkt ( L o n d o n interbank o f f e r e d rate, LIBOR) oder Vertragsklauseln vereinbart sind, die Investoren wie etwa das gewöhnliche Umwandlungsrecht nur begünstigen. Standard & Poor's sah sich zur besonderen Kennzeichnung der genannten Typen veranlaßt, um in diesem inzwischen über abgeklärte („sopbisticated") Anleger hinausragenden Marktsegment die Aufmerksamkeit verstärkt auf die wachsende Zahl der in heutigen Wertpapieren verkörperten Risiken zu lenken.121 Besorgnis über die gängige Interpretation und Verwendung der ratings Standard & Poor's, aaO. Vgl. etwa den monatlichen „Moody's Bond Record", der Daten von über 10 000 Publikumsgesellschaften vorhält. 118 Standard & Poor's, Special Report: ,r' added to volatile derivative/hybrid ratings, in: „S & P's Bond Guide", August 1994, S. 14ff. 119 AaO., S. 15 f. (dort etwa auch gelistet: leveraged inverse floaters). Die Ziffern sind hier im Text zur Übersichtlichkeit ohne Wertung beigefügt. 120 Beachte dazu noch unter B III 4. 121 Standard & Poor's, aaO., S. 14, 15. Zum Aspekt „sophisticated Investors" unten in § 12 116 117
AIII.
§ 8 Hybridformen und Eigenkapitalbegriff
in den USA
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auf dem Kapitalmarkt ist dabei ein Hauptmotiv. Leo C. O'Neill, Präsident der Standard & Poor's Ratings G r o u p , führt sinngemäß aus, der M a r k t habe auf das Kreditrisiko gemünzte B e w e r t u n g e n mit dem G e s a m t g e w i n n aus einer Investition gleichgesetzt, obwohl bei vielen Derivativen und hybriden Schuldf o r m e n die primär auf ratings gestützte Kalkulation erwarteter G e w i n n e irreführen könne. 1 2 2 D a m i t berührte er den kritischen K e r n der Agenturbewertungen, freilich ohne die ganze Sprengkraft darzulegen. N e h m e n wir zunächst die fragliche Interpretation der Bewertungen durch den M a r k t . T r o t z begrenzter Aussagekraft und o b w o h l die Agenturen ausdrücklich keine Kaufempfehlung abgeben und selbstredend jede Haftung ausschließen, starren die Marktteilnehmer auf ratings wie das K a n n i n c h e n auf die Schlange. In Vertragsbedingungen für Wertpapiere ( i n d e n t u r e s ) werden sie als Meßlatte festgeschrieben. 1 2 3 Ä n d e rungen in der Einstufung treffen den M a r k t w e r t eines Wertpapieres schlagartig und k ö n n e n bei betroffenen U n t e r n e h m e n und Investoren Verluste oder G e w i n n e in Milliardenhöhe bewirken. M i t ihrem Entscheid über K r e d i t w ü r digkeit durch H o c h - oder Abstufung ( u p - / d o w n g r a d i n g ) erscheinen die Agenturen wie römische Caesaren im Circus Maximus, die durch D a u m e n z e i g über Sein oder Nichtsein entscheiden. Selbst Regierungen souverän gedachter Staaten stehen hier mit ihren Staatsanleihen und manchmal mit h o c h r o t e n K ö p f e n v o r den Bewertungsschranken, etwa als M o o d y ' s vor einigen J a h r e n das krisengeschüttelte Italien und später auch Kanada im Bonitätsgrad herabsetzte. E n d e 1997 traf es im Zuge der Asienkrise mehrere asiatische Staaten, deren Anleihen plötzlich durch Agenturbewertung zu „ R a m s c h " mutierten - nachdem weltweit die Anleger bereits kräftig verloren hatten, was den Agenturen das Prädikat „Spätwarner" 1 2 4 einbrachte. E i n anderes Szenario gaben die gemeinhin zahlungskräftigen Vereinigten Staaten um die Jahreswende 1995/96 im Präsidentschaftswahlkampf. W ä h r e n d der republikanisch geführte K o n g r e ß im Streit mit dem demokratischen Präsidenten Bill Clinton über den Haushaltsausgleich („balancing the b u d g e t " ) Finanzmittel blockierte, mußten zeitweise B u n d e s b e hörden geschlossen werden und der Finanzminister Robert E. Rubin sprach von drohendem Zahlungsverzug bei Staatsschulden. Standard & Poor's warnte schon früh, die Vereinigten Staaten auf „credit watcb" zu setzen, was allgemein bei „ k l a m m e n " Privatunternehmen geschieht. D a n n übertlegte man bei M o o d y ' s öffentlich, bald zur R ü c k - oder Zinszahlung fällige $ 387 Milliarden in U . S . Treasury bonds im rating herabzustufen. 1 2 5 D e r K o n g r e ß beugte sich dem D r u c k v o n Wall Street und gab Mittel frei. Das in der Presse als cleverer Schachzug gewertete Vorgehen des Finanzministers überrascht kaum, 122
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A a O . , S. 14. Etwa für sog. „puts" (dazu unten B III 2 b); zu „indentures" unter B II. Leitartikel F.A.Z. vom 24.12.1997, N r . 299, S. 13. N e w York Times v o m 25.1.1996, A-16.
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wenn man weiß, daß Rubin vor dem öffentlichen Amt als Präsident von Goldman, Sachs Sc Company eine der weltweit führenden Kapitalanlagegesellschaften leitete. Die Beispiele sind Spiegelbilder der Macht, die den Agenturen aber nicht allein durch das Verhalten privater Marktteilnehmer oder einzelner Amtsträger, sondern grundsätzlich von staatlicher Seite zuwächst. Unter den vom U.S. Comptroller of the Currency ausgegebenen Regeln für Wertpapierinvestitionen gelten bei kommerziellen Banken die vier höchstqualifizierten Bewertungskategorien allgemein als geeignet für Bankkapitalanlagen (sog. „investment-grade" - Papiere).126 Die Investitionsregeln für staatliche Banken beziehen sich konkludent auf die privaten Bewertungssysteme. 127 Einzelne Bundesstaaten fixieren ähnlich angelehnte Vorgaben nicht nur für Banken, sondern etwa auch für die Kapitalanlage von Versicherungs- und Treuhandgesellschaften sowie generell für Treuhänder. Fraglich bleibt, wie die Agenturen tatsächlich ihre Bewertungen erzielen. Gerade die Erfahrungen der Asienkrise erschüttern die Brauchbarkeit als Prognosebasis. Im Kern ist es das schon betrachtete Spiel mit Wahrscheinlichkeiten. Angesichts solcher Verhältnisse, die wir später noch einmal aufgreifen, kommt stärkere Kontrolle der Agenturen in Betracht.
IV. Weiterer Untersuchungsgang Die Basis der weiteren Untersuchung ist gelegt. Im beschriebenen Rechtsrahmen rücken nachfolgend die Kernfragen des einzelnen hybriden Finanzierungsverhältnisses als Rechtsverhältnis ins Blickfeld (B). Nach Grundsätzen zum Vertragsrecht in den Vereinigten Staaten (unter I) werden der corporate trust indenture (II), die Vertragsgestaltung schuldrechtlicher Finanzierungsformen (III) sowie der Aspekt von Investorenschutz und Unternehmensleitung (IV) erörtert; anschließend bleiben Eigenkapitalbegriff und Steuerrecht zu klären (C).
B. Rechtsfragen
hybrider
Finanzierungsverhältnisse
Die corporate debt securities werden regelmäßig unter einem corporate trust indenture ausgegeben. Dieser zwischen dem Emittenten und einem Wertpapiertreuhänder ( i n d e n t u r e trustee) geschlossene Vertrag ist das rechtliche Kernstück in einem dreiseitigen Beziehungsgeflecht. Darin stehen der Emitl2