Undoing Irishness: Antirassistische Perspektiven in der Republik Irland [1. Aufl.] 9783839416822

Die sozioökonomischen Transformationen der letzten Jahrzehnte machen die Republik Irland zu einem der dramatischsten Räu

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German Pages 412 Year 2014

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Table of contents :
Inhalt
Einleitung
Warum Antirassismus?
Aufbau der Arbeit
THEORIE: RASSISMUS UND ANTIRASSISMUS
1. Kritik der Begriffe: „Rasse“ und Rassismus
Die Enttabuisierung des Rassismusbegriffs
Weiterentwicklung der Rassismustheorien
2. Antirassismus: Theoretisch
Der Retorsionseffekt des differenzialistischen Rassismus
Der bundesdeutsche Diskurs: Antirassismus als politischer Kampfbegriff
Antirassismus jenseits der Vulgarität
Neue Wege in der Antirassismusforschung
3. Antirassismus: Empirisch
There Ain’t No Black in the Union Jack
Antirassismus und Punk
Antirassismus oder Antifaschismus?
Cathie Lloyds komparativer Forschungsansatz: Antirassismus in Frankreich und Großbritannien
Antirassismus auf internationaler Ebene
Antirassismus im deutschsprachigen Raum
Zusammenfassung
4. Kontextualisierung: Rassismus und Antirassismus in der irischen Erfahrung
Von der racialisation zur „Weißwerdung“
Emigration als irische Tradition
Die Festschreibung des rassistischen Iren-Stereotyps in Großbritannien
White Negro: Die Konstruktion der irischen „Rasse“
Gaelic Revival: Die Konstruktion des irischen Nationalismus
Die Iren als Terrorverdächtige
Irische Migrationserfahrungen in Großbritannien: Diskriminierung und Politisierung
Die Iren im britischen race relations-System: Vom antiirischen Rassismus zu „cool to be Irish“
Solidarisierung
Selbstethnisierung
Cool to be Irish
Irland als Einwanderungsland: Von der Solidarisierung zur Diskriminierung?
Vom „Armenhaus Europas“ zum „Keltischen Tiger“: Versuche einer Neubestimmung von Irishness
Zusammenfassung
EMPIRIE: PERSPEKTIVEN ANTIRASSISTISCHER AKTEURE
5. Connor: Nationalismus und Antirassismus
Politisierung
Migrationserfahrung in Großbritannien: Zwischen antiirischem Rassismus und Solidaritätserfahrungen
Rückkehr zum „Keltischen Tiger“: Krise als Chance für politischen Wandel?
Sprachpolitik: Irisch als antiimperialistisches Mittel zur Freiheit?
Irishness als Klassenfrage
Irland als postkoloniale Gesellschaft und der Kampf gegen den Imperialismus: „guter Nationalismus“ versus „böser Nationalismus“
Organisierung
Antirassismus, Nationalismus, Republikanismus und Sinn Féin
Zusammenfassung
6. Ella: Feminismus und Antirassismus
Coming-out: politisch und sexuell
Die „wilden 60er-Jahre“: Beatmusik und Fleadh Cheoil
Der Kampf um (sexuelle) Freiheit und Gleichberechtigung: „splinters within the splinters“
community development
Überwindung des Mystizismus im irischen Feminismus – Irishness: ein postkoloniales Projekt?
Öffnung und Allianzfähigkeit des irischen Feminismus
Zur ideologischen Nähe von Feminismus und Antirassismus
Zusammenfassung
7. Kari: Die schwarze Perspektive des irischen Antirassismus
Die Kraft einer rassistischen Gleichung: schwarz = Asylbewerber
Der Kampf gegen rassistischen Kollektivismus: Selbstlegitimierung durch Leistungsfähigkeit
Angehörige ethnischer Minderheiten im Antirassismus: Zwischen „paranoia lane“ und Vorbildfunktion
Karis Irlandbild
Antirassistische Reaktionen auf staatliche Versäumnisse in der Integrationspolitik
Migrantische Akteure: Mediatoren der Solidarisierung
Traveller im irischen Antirassismus
colour discrimination versus political blackness
Zusammenfassung
8. Abbey: Antirassismus in Irland reloaded
Impressionen aus der irischen Linken: Zum Mobilisierungspotenzial des Antirassismus
Ideologische Selbstverortung zwischen Anarchismus, Antirassismus und Feminismus
Antifaschismus und Antirassismus: pushing the antiracist agenda on the ground
The Blueshirts: Referenzpunkt antifaschistischer Widerstand
Ireland must be anti-racist
„go to where the racial problem is“: AFAs Kampf gegen Rassismus in der Arbeiterklasse
Punk und Antifaschismus
Antirassismus reloaded: Öffnung des irischen Antirassismus
Zusammenfassung
9. Resümee und Ausblick
10. Literatur
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Undoing Irishness: Antirassistische Perspektiven in der Republik Irland [1. Aufl.]
 9783839416822

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Julia Verse Undoing Irishness

Postcolonial Studies | Band 11

Für Catherina

Julia Verse (Dr. phil.) lebt in Berlin und ist historisch arbeitende Kulturwissenschaftlerin. Ihre Interessensschwerpunkte sind soziale Inklusions- und Exklusionsprozesse, Rassismus, Nationalismus und Pop.

Julia Verse

Undoing Irishness Antirassistische Perspektiven in der Republik Irland

Die Publikation wurde gefördert durch die FAZIT-STIFTUNG sowie den Frauenförderfonds der Philosophischen Fakultät I der Humboldt-Universität zu Berlin. Die Publikation entstand als Promotionsschrift an der Humboldt-Universität zu Berlin. Gutachter: Prof. Dr. Wolfgang Kaschuba (Institut für Europäische Ethnologie, Humboldt-Universität zu Berlin), Prof. Dr. Nora Räthzel (Department of Sociology, Umeå University)

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2012 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Satz: Julia Verse Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-1682-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Einleitung | 9

Warum Antirassismus? | 17 Aufbau der Arbeit | 21 THEORIE: RASSISMUS UND ANTIRASSISMUS | 29 1. Kritik der Begriffe: „Rasse“ und Rassismus | 31

Die Enttabuisierung des Rassismusbegriffs | 35 Weiterentwicklung der Rassismustheorien | 40 2. Antirassismus: Theoretisch | 47

Der Retorsionseffekt des differenzialistischen Rassismus | 50 Der bundesdeutsche Diskurs: Antirassismus als politischer Kampfbegriff | 55 Antirassismus jenseits der Vulgarität | 57 Neue Wege in der Antirassismusforschung | 59 3. Antirassismus: Empirisch | 63

There Ain’t No Black in the Union Jack | 67 Antirassismus und Punk | 70 Antirassismus oder Antifaschismus? | 76 Cathie Lloyds komparativer Forschungsansatz: Antirassismus in Frankreich und Großbritannien | 77 Antirassismus auf internationaler Ebene | 88 Antirassismus im deutschsprachigen Raum | 91 Zusammenfassung | 100 4. Kontextualisierung: Rassismus und Antirassismus in der irischen Erfahrung | 105

Von der racialisation zur „Weißwerdung“ | 109 Emigration als irische Tradition | 114 Die Festschreibung des rassistischen Iren-Stereotyps in Großbritannien | 119 White Negro: Die Konstruktion der irischen „Rasse“ | 122 Gaelic Revival: Die Konstruktion des irischen Nationalismus | 126 Die Iren als Terrorverdächtige | 136 Irische Migrationserfahrungen in Großbritannien: Diskriminierung und Politisierung | 138

Die Iren im britischen race relations-System: Vom antiirischen Rassismus zu „cool to be Irish“ | 150 Solidarisierung | 152 Selbstethnisierung | 155 Cool to be Irish | 161 Irland als Einwanderungsland: Von der Solidarisierung zur Diskriminierung? | 163 Vom „Armenhaus Europas“ zum „Keltischen Tiger“: Versuche einer Neubestimmung von Irishness | 174 Zusammenfassung | 189 EMPIRIE: PERSPEKTIVEN ANTIRASSISTISCHER AKTEURE | 195 5. Connor: Nationalismus und Antirassismus | 197

Politisierung | 198 Migrationserfahrung in Großbritannien: Zwischen antiirischem Rassismus und Solidaritätserfahrungen | 203 Rückkehr zum „Keltischen Tiger“: Krise als Chance für politischen Wandel? | 207 Sprachpolitik: Irisch als antiimperialistisches Mittel zur Freiheit? | 209 Irishness als Klassenfrage | 213 Irland als postkoloniale Gesellschaft und der Kampf gegen den Imperialismus: „guter Nationalismus“ versus „böser Nationalismus“ | 215 Organisierung | 221 Antirassismus, Nationalismus, Republikanismus und Sinn Féin | 224 Zusammenfassung | 231 6. Ella: Feminismus und Antirassismus | 235

Coming-out: politisch und sexuell | 236 Die „wilden 60er-Jahre“: Beatmusik und Fleadh Cheoil | 242 Der Kampf um (sexuelle) Freiheit und Gleichberechtigung: „splinters within the splinters“ | 245 community development | 248 Überwindung des Mystizismus im irischen Feminismus – Irishness: ein postkoloniales Projekt? | 258 Öffnung und Allianzfähigkeit des irischen Feminismus | 268 Zur ideologischen Nähe von Feminismus und Antirassismus | 272 Zusammenfassung | 279

7. Kari: Die schwarze Perspektive des irischen Antirassismus | 283

Die Kraft einer rassistischen Gleichung: schwarz = Asylbewerber | 285 Der Kampf gegen rassistischen Kollektivismus: Selbstlegitimierung durch Leistungsfähigkeit | 290 Angehörige ethnischer Minderheiten im Antirassismus: Zwischen „paranoia lane“ und Vorbildfunktion | 292 Karis Irlandbild | 297 Antirassistische Reaktionen auf staatliche Versäumnisse in der Integrationspolitik | 302 Migrantische Akteure: Mediatoren der Solidarisierung | 307 Traveller im irischen Antirassismus | 312 colour discrimination versus political blackness | 318 Zusammenfassung | 327 8. Abbey: Antirassismus in Irland reloaded | 331

Impressionen aus der irischen Linken: Zum Mobilisierungspotenzial des Antirassismus | 335 Ideologische Selbstverortung zwischen Anarchismus, Antirassismus und Feminismus | 339 Antifaschismus und Antirassismus: pushing the antiracist agenda on the ground | 344 The Blueshirts: Referenzpunkt antifaschistischer Widerstand | 347 Ireland must be anti-racist | 352 „go to where the racial problem is“: AFAs Kampf gegen Rassismus in der Arbeiterklasse | 360 Punk und Antifaschismus | 364 Antirassismus reloaded: Öffnung des irischen Antirassismus | 367 Zusammenfassung | 373 9. Resümee und Ausblick | 377 10. Literatur | 385

Einleitung

„It must be wonderful to live in Ireland.“ Dieser sehnsuchtsvolle Satz stammt von der kleinen Derval Dove, einem Waisenmädchen aus Liverpool, das schließlich gemeinsam mit seinem großen Bruder Finn die Flucht vor dem grausamen Stiefvater antritt. Ihr Sehnsuchtsort ist Galway an der Westküste Irlands, wo ein neues glückliches Leben bei ihrer irischen Großmutter auf sie wartet. Ausgerechnet am 17. März, dem irischen Nationalfeiertag, kommen die beiden Ausreißer in Dublin an und werden in die traditionelle St. Patrick’s Day-Parade hineingezogen. In dem Familienfilm „The Flight of the Doves“ aus dem Jahr 1971 ist diese Parade ein bunter Zug der Völkerverständigung, in dem nicht nur die englischen Waisenkinder, sondern Afrikaner, Asiaten und ein Rabbi überaus gut gelaunt das Lied „You don’t have to be Irish to be Irish“ singen. In the middle of March there’s a glorious day / A day the whole world starts to smile and to say / I love my own country but on March seventeen / I belong to St. Patrick and the wearing of the green.

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Weiter im Text geht es mit einer Bedienungsanleitung zum Irischsein: „…you live a little more and you love a little more for that’s what it takes to make you Irish. You don’t have to be Irish to be Irish!“ Dieses Lied verspricht mit Tanzen, Lachen, Spielen und Singen jedem die Teilhabe am Irischsein. Fast vierzig Jahre später erscheint dieses Versprechen weiterhin märchenhaft. Tatsächlich wird die irische Realität beherrscht von einer spezifischen Konstruktion nationaler Identität, die nach strikten Ein- und Ausschlusskriterien funktioniert und auf dem Mythos kultureller Homogenität beruht. Irishness2 ist daher auch ein Schlüsselbegriff der vorliegenden Studie über Rassismus und Antirassismus in der

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Zur Tradition des St. Patrick’s Day gehört das Tragen einer grünen Schleife, the wearing of the green.

2

Irishness meint die spezifische Konstruktion irischer nationaler Identität.

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Republik Irland3, der darüber hinaus auf die ideologische Verknüpfung von Rassismus und Nationalismus verweist. Die meiner Arbeit zugrunde liegende These lautet, dass jeder Rassismus und jeder Antirassismus sich entsprechend seines kulturellen und politischen Kontextes auf charakteristische Art und Weise ausprägt. Von dieser Prämisse der kulturellen Codierung von Rassismus und Antirassismus ausgehend, werden historische und gegenwärtige Strukturen, die Rassismus und Antirassismus bedingen, identifiziert und ihre Funktionsweisen und Verlaufsformen offengelegt. Leitperspektive meiner Forschung ist die Frage, auf Basis welcher historisch-kulturellen Codierung Rassismus und Antirassismus in der irischen Gesellschaft wirksam werden und welche historischen und aktuellen Wissensbestände und Haltungen dabei auf- und abgerufen werden. Das Prisma meiner Forschung ist die antirassistische Szene Irlands, deren Untersuchung methodische Vielfalt erfordert. Um antirassistische Diskurse und Praxen im Gefüge der irischen Kultur verstehen zu können, bedarf es der historischen Perspektive als auch des ethnologischen Forschergeistes. Dabei geht es mir nicht um eine kleinteilige Untersuchung des Phänomens „irischer Antirassismus“. Vielmehr deute ich irische Kultur und Gesellschaft als Produkt der Geschichte, um Irland als politisches Subjekt erklärbar zu machen. Während eines sechsmonatigen Feldforschungsaufenthaltes im Sommer 2005 tauchte ich tief in die antirassistische Szene ein: Ich wurde Mitglied einer antirassistischen grass roots-Gruppe, nahm an wöchentlichen Gruppentreffen teil, verteilte Flyer in der Dubliner Innenstadt und besuchte diverse antirassistische Initiativen. Einen Höhepunkt meiner teilnehmenden Beobachtung bildete mein exponierter Einsatz auf einer antirassistischen Demonstration im Juni 2005, als ich gemeinsam mit einer anderen Aktivistin die Demospitze anführte und das Fronttransparent trug. Neben meinem Feldforschungstagebuch dienen als Quellen zum einen die wissenschaftliche Literatur, Medienberichte, graue Literatur aus der antirassistischen Szene sowie Interviews mit antirassistischen Szeneakteuren.4 Zudem ergab der Forschungsgegenstand Antirassismus, der, wie zu zeigen sein wird, sehr affin gegenüber populärer Kultur ist, eine Berücksich-

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Irland ist geografisch betrachtet eine Insel am äußersten Westrand Europas. Politisch ist die Insel geteilt in den souveränen Staat der Republik Irland im Süden und Nordirland, das zum Vereinigten Königreich von Großbritannien gehört. Ist in der vorliegenden Arbeit die Rede von „Irland“, so bezeichnet dies kontextabhängig entweder die gesamte Insel oder aber ausschließlich die Republik Irland.

4

Insgesamt führte ich 30 Interviews. Die Interviewpartner wurden mir entweder von irischen Freunden vermittelt oder ich lernte sie in der Antirassismusszene, bei Kundgebungen oder sonstigen themenbezogenen Veranstaltungen kennen. Sie wurden gezielt angesprochen, über mein Forschungsprojekt informiert und um Auskunft gebeten. Alle Namen wurden geändert.

E INLEITUNG

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tigung von Manifestationen des Pop in Form von Liedtexten, Filmen und sogenannter Unterhaltungsliteratur.5 Das Forschungsfeld Irland, kombiniert mit dem hochpolitisierten Forschungsfeld Rassismus/Antirassismus, provozierte in meinem nicht-irischen Umfeld Unverständnis und überraschte Reaktionen, die vielfältige Gründe haben. So beklagt auch der irische Journalist Fintan O’Toole: There is still enormous ignorance in England about Ireland. [...] The English think they know all there is to know about us, so they don’t ask. They still believe, to put it crudely, that we’re 6

a bunch of old rustics living in a society which is run by the Catholic Church.

Zweifelsohne gilt auch für das Irlandbild der Deutschen: Wenn überhaupt über Irland nachgedacht wird, dominieren Klischees und Kitsch die Vorstellungen über die Insel an der westlichen Peripherie des europäischen Kontinents. Dieses Zerrbild speist sich nach wie vor aus dem literarischen Wirken des Literaturnobelpreisträgers Heinrich Böll. Mit seinem „Irischen Tagebuch“ und dem Dokumentarfilm „Irland und seine Kinder“ zeichnete er Anfang der 1960er-Jahre ein Bild des Lebens auf der Grünen Insel, „wo die Aufklärung kein Publikum fand“, das von Armut und Isolation bestimmt war. Dort, wo England zu Ende ist, nehme „Europas soziale Ordnung andere Formen an“.7 Fast ein halbes Jahrhundert später sorgen ZDFProduktionen wie „Unsere Farm in Irland“, in denen deutsche Mimen durch eine beseelte Rosamunde-Pilcher-Küstenidylle stolpern und sich gegenseitig mit Erin O’Toole oder Lucius McNamara ansprechen, dafür, dass ein romantisierter Blick auf Irland zementiert bleibt. Der Wirtschaftsboom, der das „Armenhaus Europas“ zum „Keltischen Tiger“ mutieren ließ, sowie die Umkehrung des traditionellen irischen Migrationstrends haben von vielen in Deutschland unbemerkt stattgefunden. Vor 1989 war Irland auf der Landkarte der europäischen Sozialwissenschaften ein weißer Fleck. Nach 1989 richtete sich der Fokus auf die sogenannten postsozialistischen Staaten Ost- und Mitteleuropas. Damit wurde der Begriff „Transformationsprozess“ exklusiv für den vormals sowjetischen Hegemonialbereich in die wissenschaftliche Debatte einge-

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In der Tradition der Cultural Studies begreife ich Popkultur als ein Feld, in dem sich gesellschaftliche Konflikte und Umbrüche kulturell manifestieren. Widerständige Verhaltensweisen finden eine Schnittmenge in politischer Aktion und antiaffirmativer Subkultur, wie etwa Punk. Vgl. Clark, John u. a. (Hrsg.): Jugendkultur als Widerstand, Frankfurt a. M. 1979.

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O’Toole, Fintan: Irish Times, 03. März 1995.

7

Böll, Heinrich: Irisches Tagebuch, Köln 2002 (Originalausgabe 1961), S. 9.

12 | UNDOING I RISHNESS

führt.8 Es ist an der Zeit, diese Einseitigkeit zu überwinden. Längst überfällig erscheint die Entwicklung eines gesamteuropäischen Blicks, der das Baltikum mit dem Mittelmeer und dem Atlantik verbindet. Denn ökonomische und gesellschaftliche Verwerfungen sind nicht nur in Polen, Estland oder der Ukraine, sondern ebenso in Westeuropa und insbesondere in der Republik Irland zu beobachten. Die irische Autorin Carol Coulter gab bereits vor knapp zwanzig Jahren zu bedenken: Irish political institutions, political culture, language and habits have, I would argue, more in common with many Latin American and indeed Eastern European countries than with our 9

Western European neighbours.

Coulter hebt diese von ihr postulierten Gemeinsamkeiten Irlands mit Lateinamerika und osteuropäischen Gesellschaften ausdrücklich hervor, weil sie Irlands Status als postkoloniale Gesellschaft betonen möchte, die sowohl politisch als auch kulturell wesentlich mehr innovatives Potenzial als das übrige Westeuropa besäße. Die postkoloniale Lesart der irischen Gesellschaft erlebt seit einigen Jahren eine Konjunktur und mit ihr die Analysekategorien Kolonialismus, Imperialismus und Rassismus. Auch für meine Untersuchung des irischen Antirassismus als ein bestimmtes Phänomen des irischen Transformationsprozesses und als ein zunehmend an Bedeutung gewinnender Faktor der politischen Kultur Irlands spielt diese Interpretation gesellschaftlicher Probleme eine zentrale Rolle. Dabei zeigt sich die Unabdingbarkeit einer historischen Perspektive, um aktuelle Entwicklungen in der irischen Kultur und Gesellschaft verstehen zu können. Die Geschichte des kolonialen antiirischen Rassismus und rassistischer Ideologien in Irland verdeutlicht Irlands ambivalente Rolle als aktiver Juniorpartner des britischen Imperialismus einerseits sowie als dessen Kolonie andererseits. Das Erbe dieser historischen Situierung sowie die Transformativität der irischen Gegenwartsgesellschaft bilden die Folie, vor deren Hintergrund die neu entstandene irische Antirassismusszene untersucht wird. Insbesondere die transnationale Forschungsarbeit verlangt nach der Berücksichtigung konkreter historischer Kontexte, da sie nicht nur die Handlungsmöglichkeiten politischer Akteure, sondern auch ihre jeweiligen ideologischen Legitimierungsstrategien beeinflussen. Der transnationale Charakter

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Der Begriff „Transformationsprozess“ wurde auf die Beschreibung eines Systemwechsels verengt. Doch nicht nur in Ost- und Mitteleuropa, sondern auch in Westeuropa ging 1989 eine Ära zu Ende. Zwanzig Jahre später muss konstatiert werden, dass der Konsens „Nie wieder Faschismus!“ europaweit aufgekündigt worden ist. Postfaschistische Elemente und rassistischer Diskurs sind im heutigen Europa etablierte Größen.

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Coulter, Carol: Ireland. Between the First and the Third Worlds, Dublin 1990, S. 9 zitiert nach Rolston, Bill: Are the Irish Black?, in: Race & Class 41 (1999), Heft 1/2, S. 99.

E INLEITUNG

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meiner Forschung manifestiert sich nicht nur in meiner deutschen Forschungsperspektive auf die irische Antirassismusszene, sondern auch in deren Zusammensetzung aus Akteuren, die eine von Migration geprägte Biografie und transnationale Lebensweise haben. In engem Zusammenhang mit der Frage, welche Perspektive sich bei der Entschlüsselung irischer Geschichte, Gesellschaft und Politik als sachdienlich erweist, steht die Frage, ob Irland ein singulärer Fall im westlichen Gefüge oder doch vielmehr eingebettet in gesamteuropäische Strukturen und Entwicklungen ist. Die zeitgenössische Forschung leidet zuweilen an einer übermäßigen Betonung irischer Einzigartigkeit.10 Damit einher geht die Tendenz, internationale Einflüsse, insbesondere aus den USA und Kontinentaleuropa, zu unterschätzen, während die Überlagerung irischer Verhältnisse durch einen angeblich übermächtigen Einfluss der britischen Kultur überschätzt wird. Diese Unausgewogenheit innerhalb der Irish Studies11 wird von einigen Gelehrten auch auf einen irischen Hang zur Selbstbespiegelung, also „an Irish habit of navel-gazing“ zurückgeführt.12 Es scheint geradezu so, als ob Irland die leidenschaftliche Suche nach einem nationalen Selbstverständnis zuweilen in Form einer Selbsttäuschung bestritten hätte, die der irische Historiker John Joseph Lee als „capacity for self-deception on a heroic scale“ beschreibt.13 Allzu oft bilden Selbstbetrug und Selbstherrlichkeit eine unheilige Allianz, die im irischen Fall primär mit einem Verweis auf die Vergangenheit Irlands als britische Kolonie begründet wird. Der irische Politikwissenschaftler Tom Garvin erklärt, dass während Briten oder US-Amerikaner ohne Weiteres ihre gesellschaftlichen Werte und politische Weltanschauung für selbsterklärend und selbstverständlich hielten, Iren diese Selbstverständlichkeit gänzlich entbehrten. Der Zustand permanenter Selbsthinterfragung führe zu einer kulturellen Unsicherheit und

10 Diese kann je nach Belieben entweder mit Irlands Rang als „erste britische Kolonie“, dem irischen Staatskatholizismus, dem Ausbleiben der industriellen Revolution oder mit der Behauptung untermauert werden, der zivilisierende Einfluss des Römischen Reiches sei nicht bis auf „die Insel hinter Großbritannien“ vorgedrungen. 11 An diesem interdisziplinären Forschungsfeld beteiligen sich seit den frühen 1990er-Jahren längst nicht mehr nur irische, sondern ebenfalls britische, US-amerikanische und in jüngster Zeit vermehrt Wissenschaftler aus diversen europäischen Ländern, wofür die vorliegende Studie exemplarisch ist. 12 Garvin, Tom: 1922: The Birth of Irish Democracy, Dublin 1996, 1. 13 Lee, J. J.: Ireland 1912-1985. Politics and Society, Cambridge, New York 1989, S. 652. An selber Stelle betont der Autor: „Only a heroic capacity for self-deception invested the traditional self-image with such extraordinary appeal and stamina. Collective self-deception by a society over several generations is a singularly elusive historical topic to pursue. But it may be central to understanding the Irish mind and the Irish character in the past century.”

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somit zu einer Abwehrhaltung gegenüber fremder Kritik. Diese Abwehrhaltung sei jedoch notwendig, um überhaupt ein eigenständiges Kulturleben aufrechterhalten zu können. An Irish person, however, is continually, and sometimes uncomfortably, reminded of how local, idiosyncratic and perhaps philosophically questionable are his particular sets of inherited political assumptions. [...] Ireland and the Irish microcosm came under increased scrutiny, a scrutiny perhaps disproportionate to the real importance of the country itself. This attention, due to Ireland’s accidental presence at the heart of the Empire, aggravated Irish self-consciousness and self-importance. After all, all these important people were paying attention to us. A result was that few countries spend so much time and intellectual effort on self-definition as does Ireland. Endless and occasionally entertaining debates on what it means to be Irish go on in Ireland and among some sections of the diaspora in Britain and the United States.

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Im fortschreitenden Forschungsprozess geriet ich zwangsläufig in Situationen, in denen diese spezifisch irische (Un-)Selbstverständlichkeit politischer Positionen sowie Momente der kulturellen Selbsthinterfragung der Akteure zum Tragen kamen, die allerdings Momente innovativer identitärer Selbstverortung und individueller Standortbestimmung erst eröffnen. Dabei wähle ich in der Darstellung meiner Forschungsergebnisse eine Perspektive auf die irische Gesellschaft, die die Herausforderung annimmt, externe Einflüsse auf die Insel zu berücksichtigen und abzuwägen und gleichzeitig die irischen Eigenartigkeiten, also die „Hibernian peculiarities“15, aufmerksam wahrzunehmen. Fintan O’Tooles Worte über die Wirkmächtigkeit existierender Stereotype beherzigend, entschloss ich mich, die schematische Darstellung alles Irischen anderen zu überlassen und mich stattdessen mit vielen offenen Fragen ins Forschungsfeld zu begeben. Um welche Fragen es sich dabei handelt und wie sie von den Szeneakteuren beantwortet werden, erläutere ich vertiefend im Kapitel „Empirie: Perspektiven antirassistischer Akteure“. Anhand von zwei Situationen möchte ich die Tragweite unterschiedlicher Deutungen irischer Phänomene beleuchten. In der ersten geht es um den Nordirlandkonflikt, der in den 1960er-Jahren eskalierte und seither nicht nur die irische Politik dominiert, sondern auch weit über die Inselgrenzen hinaus politisch polarisiert. Der Begriff sectarianism kennzeichnet die konfessionelle, politische und ethnische Segregation der nordirischen Gesellschaft. Protestantische Loyalisten stehen katholischen Nationalisten gegenüber, die für eine Wiedervereinigung Irlands eintreten.

14 Garvin, Tom: The Politics of Denial and of Cultural Defence: The Referenda of 1983 and 1986 in Context, in: The Irish Review 3 (1988), Nr. 1, S. 1-2. 15 Lee: Ireland 1912-1985, S. 653.

E INLEITUNG

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Trotz des Karfreitagsabkommens von 1998, mit dem alle Parteien ihren Willen zur friedlichen Lösung festschrieben, kommt es immer wieder zu Gewaltausbrüchen, so etwa 2001 im Zuge des Holy Cross-Disputes, in dem sich katholische Schülerinnen der gleichnamigen Grundschule auf ihrem Schulweg durch ein loyalistisches Wohngebiet brutalen Nötigungen ausgesetzt sahen. Noch im Sommer 2007, als ich irische Freunde bei einer peace and reconciliation-Aktion begleitete, die Frieden und Versöhnung im nordirischen Derry fördern sollte, erlebte ich eine Stadt, deren Alltag nach wie vor geprägt ist von sectarian violence, no go areas und einer dumpfen Atmosphäre der Angst. Die Auswirkungen des sectarianism in Nordirland auf die antirassistische Politik in der Republik dürfen nicht ignoriert werden und zeigen, dass es generell ein aussichtsloses Unterfangen ist, sich politischen Themen des Südens unter Ausschluss der Nordirlandproblematik nähern zu wollen. Dabei wird die in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung seit einiger Zeit gestellte Frage: „Is sectarianism racism?“16 von den politischen Akteuren, insbesondere seine Wirkungsweise deutend, mit einem Ja beantwortet: „If you can’t use racism sectarianism is the next best thing.“ Nun interpretieren viele Beobachter den Nordirlandkonflikt lediglich als Querelen zwischen zwei verfeindeten, ihr kriminelles Potenzial auslebenden Stammesgruppen und als irische Exotik im befriedeten Westeuropa.17 Aus einer alternativen

16 Robbie McVeigh, neben der Soziologin Ronit Lentin eine der zentralen Figuren der irischen Rassismus- bzw. Antirassismusforschung, sieht signifikante Überschneidungen von Rassismus und sectarianism. McVeigh, Robbie: Is Sectarianism Racism? The Implications of Sectarian Division for Multi-ethnicity in Ireland, in: Lentin, Ronit (Hrsg.): The Expanding Nation: Towards a Multi-ethnic Ireland. Proceedings of a Conference Held at Trinity College Dublin, September 1998, Dublin 1999, S. 16-20. Auch an anderer Stelle konzentriert sich McVeigh auf die besondere Situation in Nordirland. S. Ders.: „There’s no Racism Because There’s no Black People Here“: Racism and Anti-racism in Northern Ireland, in: Hainsworth, Paul (Hrsg.): Divided Society. Ethnic Minorities and Racism in Northern Ireland, London 1998, S. 11-32; Ders.; Rolston, Bill: From Good Friday to Good Relations. Sectarianism, Racism and the Northern Ireland State, in: Race and Class 48 (2007) Nr. 4, S. 1-23. Als weiterer zentraler Protagonist der irischen Rassismusforschung ist außerdem Brian Fanning zu nennen. Fanning, Brian: Racism and Social Change in the Republic of Ireland, Manchester, New York 2002; Ders.: The Political Currency of Irish Racism. 19972002, in: Studies 91 (2002) Nr. 363, S. 319-327. 17 Der im deutschsprachigen Bereich herrschenden Ebbe wissenschaftlicher Beschäftigung mit dem Themenkomplex Nordirland begegnet der Politikwissenschaftler Johannes Kandel mit seiner umfassenden Studie: Der Nordirland-Konflikt. Von seinen historischen Wurzeln bis zur Gegenwart, Bonn 2005.

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Perspektive erscheint der nordirische Machtkampf jedoch als eine Hinterlassenschaft kolonialer Strukturen, insbesondere die Teilung Irlands und sectarianism. Sicherlich mag vieles am nordirischen Identitätskampf und den hier gesponnenen Geschichtsmythen überaus spezifisch erscheinen, doch nur unter Einbeziehung einer alternativen Sicht können Phänomene des transnationalen Austauschs und internationale Einflüsse wie etwa die schwarze Bürgerrechtsbewegung in den USA, auf die sich die katholische Bürgerrechtskampagne seit den 1960er-Jahren stark bezog, sichtbar und damit einer Analyse zugänglich gemacht werden. Gleiches gilt für das zweite Beispiel, das die Relevanz des jeweiligen Blickwinkels auf irische Entwicklungen unterstreicht. Für viele in Deutschland ist die Existenz eines kolonialen antiirischen Rassismus gänzlich unbekannt, da es allgemein schwer vorstellbar zu sein scheint, dass Iren als weiße Westeuropäer zur Zielscheibe von rassistischer Diskriminierung werden konnten. Dabei finden sich Spuren des antiirischen Rassismus, für den sozialdarwinistische und degenerationstheoretische Ideen typisch sind, selbst in der deutschen Alltagssprache: Der Begriff „Hooliganismus“ als Bezeichnung für eine gewalttätige Subkultur wurde um die vorletzte Jahrhundertwende in England kreiert und lässt sich etymologisch von dem irischen Familiennamen Houlihan herleiten.18 Bis dato wurde die Kulturgeschichte des irischen Antirassismus sowie die irische Solidarität und Identifikation mit dem Kampf der Schwarzen gegen rassistische Unterdrückung nicht in den Fokus wissenschaftlichen Interesses gerückt, obwohl hier noch viel über die Kategorie des Weißseins im Kontext von kultureller Identität und politischer Praxen herausgefunden werden kann. Eine einseitige Deutung der irischen Gesellschaft als postkolonial führt jedoch bisweilen zur Stilisierung der Iren zu MOPE (Most Oppressed People Ever) und verhindert eine Berücksichtigung des Umstandes, dass Iren nicht nur rassistisch diskriminiert wurden, sondern ebenfalls Rassismus exekutierten. Es ist dringend geboten, den irischen Fall, der die Unsinnigkeit vor Augen führt, Rassismus mit sogenannten phänotypischen „Rassenmerkmalen“ wie der Hautfarbe erklären zu wollen, intensiviert rassismustheoretischen Überlegungen zuzuführen. Dabei müssen die Widersprüchlichkeiten und Ambiguitäten der irischen Geschichte, Kultur und Politik stets ausgehalten und verhandelt werden.

18 Bei hooliganism handelt es sich um ein Wort, „derived from a notorious family of East End Irish roughs named Houlihan“. Curtis, L. Perry: Apes and Angels. The Irishman in Victorian Caricature, Washington; London 1997, S. 174.

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W ARUM ANTIRASSISMUS ? Kann sich Antirassismus als „rassistische Sexfantasie“ manifestieren?19 Und was bitte ist unter einem „antirassistischen Einkaufs-Happening“ zu verstehen?20 Wie kann jemand auf die Idee kommen, dass Antirassismus zu Gewalt und Rechtsextremismus führt?21 – Fest steht, dass schon der Begriff „Antirassismus“ Teil des Konflikts ist. Als politischer Kampfbegriff besitzt er ein gewisses Provokationspotenzial, das häufig zu einem regelrechten Antirassismus-Bashing führt. Auch wenn selbst mit Blick auf die internationale Forschung Antirassismus als Forschungsdesiderat zu bezeichnen ist, Vulgarität und Scheinheiligkeit werden ihm nur in deutschen Forschungszusammenhängen unterstellt. Anja Weiß hebt in ihrer Studie über antirassistische Gruppen hervor: Wer sich mit Antirassismus in Deutschland beschäftigt, wird schnell feststellen, dass zwischen antirassistischer Praxis und intellektueller Debatte stellenweise eine große Lücke klafft. Zum einen widmet sich die Fachliteratur überwiegend dem pädagogischen, aufklärerischen Antirassismus, während sich der politisch-solidarische Antirassismus der Flüchtlingsräte und Antidiskriminierungstelefone nach wie vor selbst darstellen muss. Zum anderen erscheint Antirassismus im intellektuellen Diskurs fast durchgängig als Gefahr oder zumindest als Problem.

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19 Dies konstatiert Moritz Ege in seiner Analyse zur Verknüpfung von Sexualität und Rassismus anhand von Artikeln über das Werk des Black-Panther-Aktivisten Eldridge Cleaver „Soul on Ice“, die Ende der 1960er-Jahre in der Zeitschrift konkret erschienen. Ege, Moritz: Schwarz werden. „Afroamerikanophilie“ in den 1960er und 1970er Jahren (Cultural Studies, Band 24), Bielefeld 2007, S. 89. 20 Hierbei handelt es sich um eine antirassistische Protestform, die sich gegen das Chipkartensystem, das Menschen, die dem Asylbewerberleistungsgesetz unterliegen, Bargeld vorenthält. Sie fand im Rahmen der Ausstellung „MOV!NG ON“ statt, zu der die Neue Gesellschaft für bildende Kunst (NGBK) 2005 lud, um künstlerische und politische Positionen zur europäischen Migrationspolitik vorzustellen. NGBK (Hrsg.): MOV!NG ON. Handlung an Grenzen – Strategien zum antirassistischen Handeln, Berlin 2005, S. 168-169. Im Katalog zur Ausstellung finden sich Beiträge, die sich u. a. mit dem Transgressionsbegriff bei Michel Foucault, der Forderung no nation, no border und der Lebensrealität von Flüchtlingen in Europa befassen. 21 Kowalsky, Wolfgang: Moralisierender Anti-Rassismus, in: Das Argument. Zeitschrift für Philosophie und Sozialwissenschaften 195 (1992), S. 695, 700. 22 Weiß, Anja: Rassismus wider Willen. Ein anderer Blick auf eine Struktur sozialer Ungleichheit, Wiesbaden 2001, S. 135. Eine Pionierarbeit, die kritische Reflexion und antirassistische Aktionsformen gleichermaßen berücksichtigt, leistet ein Sammelband, der aus

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Zudem wirft Weiß die überaus interessante Frage auf, warum ausgerechnet der als hochproblematisch dargestellte Antirassismus derartig vehemente Abwehrreaktionen hervorruft. Schließlich wird auch gegenüber anderen, wohlgelitteneren Protestbewegungen kritisiert, sie polarisierten und trügen zu einer Entdifferenzierung der Begriffe bei.23 Eine Antwort auf diese Frage muss in der nach wie vor existierenden Tabuisierung des Rassismusbegriffs gesucht werden. Diese wurde erst Anfang der 1990erJahre unter dem Eindruck zahlloser gewalttätiger rassistischer Übergriffe überwunden – ein Prozess, der von einer endlich in den öffentlichen Diskurs Eingang findenden bundesdeutschen Rassismusforschung maßgeblich befördert wurde. Derweil findet der Begriff „Rassismus“ als Schlagwort sehr wohl Beachtung in der öffentlichen Rhetorik24, die sich jedoch nicht mit einer nachhaltigen Analyse gesellschaftlich konstruierter Ungleichheit aufhält. So wird der Begriff „Rassismus“ als Beschreibung eines bestimmten, eingegrenzten Bereiches deutscher Wirklichkeit in Politik und Medien verwendet, doch sein Gebrauch in Bezug auf staatliche Praxis oder gesellschaftliche Strukturen provoziert nach wie vor Empörung und Ablehnung. Dies macht sich auch und besonders im Wissenschaftsbetrieb bemerkbar. Während wir eine Konjunktur des Rassismus in Europa sowohl in Form von rassistisch motivierten Straftaten25 als auch in aktuellen Gesellschaftsdebatten zu Globa-

dem Zusammenhängen der Anti-Lager-Bewegung entstand und dem „linksradikalen, autonomen Antirassismus, der in seiner Praxis auf eine Zusammenarbeit mit Flüchtlingen, MigrantInnen beziehungsweise so Identifizierten setzt“, gewidmet ist. interface (Hrsg.): WiderstandsBewegungen. Antirassismus zwischen Alltag und Aktion, Berlin, Hamburg 2005, S. 16. 23 Weiß: Rassismus wider Willen, S. 136. 24 So rief z. B. Bundespräsident Horst Köhler am 8. Mai 2008 anlässlich der Gründung des Staates Israel vor 60 Jahren zu einem verstärkten Engagement gegen Rassismus und Antisemitismus auf. http://www.dradio.de/nachrichten/200805080000/1 (26.10.2009) 25 So hält die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte in ihrem Jahresbericht 2008 einen weiterhin ansteigenden Trend rassistisch motivierter Straftaten in der EU fest, wonach die gemeldeten Fälle außer in der Bundesrepublik Deutschland auch in Irland zunehmen. European Union Agency for Fundamental Rights (Hrsg.): Annual Report 2008, S. 8. Die 2007 vollzogene Umbenennung der Behörde, die zuvor zehn Jahre lang unter dem Namen European Monitoring Centre on Racism and Xenophobia/Europäische Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit (EUMC) firmierte, wird offiziell mit einer Mandatserweiterung begründet, kann jedoch durchaus kritisch als eine Aufweichung ihres ursprünglichen Aufgabengebietes, nämlich der Kampf gegen Rassismus, betrachtet werden. Zudem bleibt fraglich, ob das Mandat nunmehr ausreicht, um wirksam gegen Missstände in den Mitgliedsstaaten vorgehen zu können.

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lisierung, Neoliberalismus, Genetik und Biowissenschaften erleben, die ein intensiviertes Forschungsinteresse an rassistischen Konstruktionen und antirassistischer Politik evident erscheinen lassen sollte, vermehren sich stattdessen die Bestrebungen, den Rassismusbegriff erneut aus der Diskussion zu extrahieren. Begriffe wie „Fremdenfeindlichkeit“, „Xenophobie“ oder jüngst „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“26 werden propagiert und eingefordert. So berichtet der Soziologe Alex Demirović aus seiner Forschungspraxis, dass er dezidiert dazu aufgefordert wurde, auf den Rassismusbegriff zu verzichten.27 In einer bereits in den Anfängen der bundesdeutschen Rassismusforschung angelegten fatalen Tradition, werden Forschungsgelder von diversen Institutionen nicht bewilligt, was mit der fehlenden Relevanz des Themas begründet wird. Nora Räthzel beschreibt die Ablehnung der Finanzierung für den Kongress „Migration und Rassismus in Europa“ durch eine Stiftung, „weil es in Deutschland keinen Rassismus mehr gäbe [sic]“.28 Auch Siegfried Jäger beklagt das Scheitern sämtlicher Versuche, Anfang der 1990er-Jahre für das Forschungsprojekt „Rassismus im Alltag“ Forschungsmittel zu erhalten. „Rassismus gebe es nicht, und was es nicht gebe, könne man nicht untersuchen – so lautete eine Standardantwort auf meine vielfachen Anträge.“29 Hinter dieser Abwehrreaktion steht die Intention, gesellschaftlich konstruierte Differenz zu naturalisieren und damit zu legitimieren. Die Annahme des Natürlichen durchdringt mehr oder minder explizit zahlreiche Studien, die sich mit der neuen Lust am Sortieren beschäftigen: Junge und Alte, Gesunde und Kranke, Fleißige und Faule, Dünne und Dicke, Reiche und Arme, bildungsnahe- und bildungsferne Schichten, Nichtraucher und Raucher. Diese Aufzählung hierarchisierender Ordnungsmodelle könnte beliebig fortgesetzt werden. Sie bestimmen unseren sozialen Alltag und lassen den Wunsch nachvollziehbar erscheinen, natürliche oder wahlweise kulturelle Gründe für den permanent performten Zuordnungszwang, dem zwangsläufig soziale In- und Exklusionsprozesse folgen, anzunehmen.

26 Heitmeyer, Wilhelm; Mansel, Jürgen: Gesellschaftliche Entwicklungen und Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit: Unübersichtliche Perspektiven, in: Heitmeyer, Wilhelm (Hrsg.): Deutsche Zustände, Folge 6, Frankfurt a. M. 2008, S. 13-35. 27 Ich danke Alex Demirović für die Erlaubnis, seine Erfahrung an dieser Stelle wiederzugeben. 28 Räthzel, Nora (Hrsg.): Theorien über Rassismus (Argument Sonderband 258), Hamburg 2000, S. 5. 29 Jäger, Siegfried: Brandsätze. Rassismus im Alltag, Duisburg 1996, S. 12. Dieser Vermeidungsstrategie in Form der herrschenden Förderpolitik fiel auch die Finanzierung der vorliegenden Studie durch ein Promotionsstipendium zum Opfer. Für ein Kurzzeit- bzw. Abschlussstipendium danke ich dem DAAD und der FAZIT-STIFTUNG.

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Die Ablehnung des Rassismusbegriffs sowie die wissenschaftliche Vernachlässigung – Ignoranz ist auch eine Form der Abwehr – des Themenkomplexes Rassismus/Antirassismus steht in einem auffälligen Kontrast zur Virulenz des gesellschaftlichen Problems Rassismus als auch zu dessen rhetorischer Begleitung durch den Mainstream, der zwar bereitwillig Lichterketten knüpft, letztlich aber Rassismus nie bei sich, sondern stets bei den anderen (Jugendliche, Rechtsextremisten, Ostdeutsche) verortet. Parallel zur Zurückdrängung des Rassismusbegriffs ist die Modernisierung von in der Wissenschaft angewandten „Rasse“-Konzepten zu registrieren, deren Wirkmächtigkeit wohl wesentlich weniger gebrochen war, als vielerorts gehofft bzw. je nach politischem Standpunkt befürchtet wurde.30 Der diskreditiert geglaubte Begriff „Rasse“ im Sinne einer biologischen Einteilbarkeit von Menschen ist nicht nur im Alltagsverständnis unserer Gesellschaft manifest31, sondern feiert insbesondere in den biowissenschaftlichen Disziplinen fröhliche Urstände.32 Zudem lassen die heute geführten Debatten um molekulargenetische Indikatoren „rassischer“ Differenzen den „Status von Rassen“ noch immer virulent erscheinen.33

30 Dieser Parallelprozess sollte nicht als konträr, sondern als kongenial verstanden werden. 31 Dass eine rassistische Alltagspraxis ebenfalls manifest ist, führt Günter Wallraff in der filmischen Dokumentation „Schwarz auf Weiß“ (D, 2009) eindrücklich vor. 32 Einen Überblick über die aktuelle Reetablierung des Konzepts „Rasse“ in den Lebenswissenschaften bietet: AG gegen Rassismus in den Lebenswissenschaften (Hrsg.): Gemachte Differenz. Kontinuitäten biologischer „Rasse“-Konzepte, Münster 2009. 33 Und dies, obwohl „Rasse“ über keinen wissenschaftlichen Erklärungsgehalt für die gesellschaftlichen Unterschiede zwischen unterschiedlichen Menschengruppen verfügt. So durfte der sich selbst als Bildungs- und Intelligenzforscher bezeichnende Heiner Rindermann am 4. Dezember 2007 im Deutschlandradio Kultur ein Interview geben, in dem er u. a. bekannt gab: „Es gibt auf jeden Fall genetische Unterschiede zwischen den Rassen, wenn man diesen Begriff wählt, also zwischen Weißen, zwischen Schwarzen und zwischen Asiaten als die drei Großgruppen.“ http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/thema/706040/ (18.12.2007) Dieses zudem journalistisch schlecht vorbereitete Interview, das unter dem schelmisch fragenden Beitragstitel „Dumme Buschmänner, kluge Asiaten?“ anmoderiert wurde, führte zu einer Intervention des Instituts für Ethnologie und Afrikastudien der Johannes GutenbergUniversität Mainz, das sich engagiert gegen die Verbreitung rassistischer Ideologie wandte und darauf verwies, dass gesellschaftliche Erscheinungen wie wirtschaftliche Produktivität oder Regierungsform „ausschließlich durch historische und sozioökonomische Faktoren bedingt sind“. Die Pressemitteilung des Instituts für Ethnologie und Afrikastudien und weiterführende Dokumente zur Sache finden sich auf: http://www.ifeas.uni-mainz.de/info/ PresseRindermann.html (22.10.2009) Ein weiteres Beispiel für den rassistischen Rollback

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Doch letztlich produziert die Deutung des Sozialen und Kulturellen als biologistisch-naturhaft und die Tatsache, dass wir in einer Kultur leben, die zweifelsohne als rassistisch zu charakterisieren ist, nicht nur kollektive und individuelle Selbstentlastung, die zuweilen einer Vermeidung der kritischen Reflexion der eigenen Machtposition im existierenden Gefüge gleichkommt, sondern eben auch widerständiges Verhalten und ein Forschungsinteresse an antirassistischen Diskursen und Praxen als Gegenkultur oder politischer Avantgarde.34

AUFBAU

DER

ARBEIT

Im Einzelnen ist die vorliegende Arbeit folgendermaßen aufgebaut: Da sich im Titel meiner Studie gleich zwei Ismen finden, muss das theoretische Instrumentarium mehr als touchiert werden, um dem hochpolitisierten Forschungsfeld gerecht zu werden. Eine breitere Reflexion der theoretischen Bezüge ist unerlässlich. Daher verdeutliche ich im ersten Kapitel, warum der Rassismusbegriff bis heute umstritten, aber dennoch mit der nötigen analytischen Schärfe versehen ist, um ihn zum Ausgangspunkt einer wissenschaftlichen Studie zu machen. Das Problem von Rassismustheorien ist, dass sie zwei Dinge gleichzeitig zu leisten haben. Zum einen müssen die ideologischen Gemeinsamkeiten verschiedener Rassismen definiert werden. Zum anderen muss diese Herangehensweise der Vielgestaltigkeit und Flexibilität des Rassismus Rechnung tragen. Darüber hinaus muss sie es ermöglichen, unterschiedliche Ausprägungen von Rassismus zu definieren, wie z. B. den Unter-

in der Wissenschaft liefert der Nobelpreisträger James Watson, der einst an der Entschlüsselung der DNA beteiligt war. 2007 prognostiziert er den Afrikanern eine düstere Zukunft, da sie bewiesenermaßen weniger intelligent seien als Weiße. Müller-Jung, Joachim: Schwarze Seele, schwarzes Genom, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.12.2007. 34 Niels Seibert untersucht die Vorgeschichte der aktuellen antirassistischen Bewegung, belegt die Bedeutung migrantischer Proteste für die 68er-Bewegung und erklärt die Bedeutung des Antirassismus für linke Politik damals und heute. Seibert, Niels: Vergessene Proteste. Internationalismus und Antirassismus 1964-1983, Münster 2008. Helena Flam und Catherine Lloyd räumen ein, dass antirassistische Aktivisten im heutigen Europa mit modifizierten Strategien vorgehen, doch dass die Ideale vorangegangener Generationen noch immer mit der gleichen Leidenschaft verfolgt werden: die Etablierung eines antirassistischen Common Sense, Solidarität, Repräsentativität und Gerechtigkeit für jene, die von Rassismus betroffen sind. Flam, Helena; Lloyd, Catherine (Hrsg.): Contextualizing Recent European Racist, Antiracist, and Migrant Mobilising, in: International Journal of Sociology 38 (2008) Nr. 2, S. 13, 3. Die Ausgabe enthält empirische Forschung aus Deutschland, Schweden, Italien und Großbritannien.

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schied zwischen nationalsozialistischer Ideologie und Formen rassistischer Diskriminierung in europäischen Einwanderungsländern. Die Theoriebildung muss noch einen weiteren Drahtseilakt bestehen. Zum einen muss die ideologische Verknüpfung des Rassismus mit Antifeminismus und Nationalismus wahrgenommen und analysiert werden. Zum anderen darf nicht eine Form der Konstruktion von Ungleichheit mit einer anderen einfach über einen Kamm geschert werden, da dann der Begriff „Rassismus“ für eine Analyse gesellschaftlicher Prozesse untauglich werden würde. Wie bereits erwähnt, ist der Begriff ideologisch aufgeladen und wird häufig in polemisch überspitzer Weise benutzt. Daher sollen in einem engen Rahmen die spezifischen Elemente des Rassismus benannt und auch Definitionsversuche angeboten werden. Das Schicksal, als politischer Kampfbegriff negativ konnotiert zu werden, teilt der Rassismusbegriff mit dem Antirassismusbegriff, den ich im zweiten Kapitel näher erläutere. Auch und gerade im Rahmen einer empirischen Studie ist es von besonderer Wichtigkeit zu belegen und zu erklären, dass beide als Mittel zum Erkenntnisgewinn brauchbar sind. Zur Annäherung an meinen Forschungsgegenstand habe ich also versucht, folgende grundlegende Fragen zu klären: Was ist Rassismus? Was wird unter Antirassismus verstanden? – Die Antworten auf diese Fragen bilden das theoretische Vorverständnis des Projektes und ergeben gleichzeitig einen Teil des thematischen Analyserasters, mit dem ich den irischen Antirassismus untersuche. Dabei widerspreche ich der weitverbreiteten Annahme, dass Antirassismus lediglich Opposition zum oder Reversion des Rassismus sei. Vielmehr konzeptualisiere ich mit dem Antirassismusbegriff eine umfassende politische Strategie. Grundsätzlich gilt, dass das Thema Antirassismus Recherche in einem Forschungsdesiderat erfordert. Zum einen gibt es relativ wenig publizierte Forschung zum internationalen Antirassismus, die sich zudem nicht besonders in der themenbezogenen Theoriebildung hervorgetan hat. Diese wird im dritten Kapitel vorgestellt. Zum anderen findet man im Speziellen für den irischen Antirassismus nur eine sehr schmale Basis wissenschaftlicher Literatur.35

35 Alana Lentin analysiert die Verbindung zwischen Antirassismus und der jeweiligen nationalen politischen Kultur und konzentriert sich auf antirassistischen Aktivismus, der in der konstanten Gefahr schwebe, depolitisiert zu werden. Dabei widmet sie ein Kapitel dem irischen Antirassismus. Lentin, Alana: Racism and Anti-Racism in Europe, London 2004, S. 149-163; Dies.: Anti-racism in Ireland, in: Connolly, Linda; Hourigan, Niamh (Hrsg.): Social Movements and Ireland, Manchester, New York 2006, S.190-209. McVeigh, Robbie: Is there an Irish Anti-Racism? Building an Anti-Racist Ireland, in: Lentin, Ronit; McVeigh, Robbie (Hrsg.): Racism and Anti-Racism in Ireland, Belfast 2002, S. 211-225. Eine historische Untersuchung der irischen Erfahrung mit Rassismus nimmt Steve Garner vor, die er in einen Zusammenhang mit den Grenzen und Herausforderungen antirassisti-

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Im vierten Kapitel erläutere ich die historische Genese von politischen Traditionen, die von Bedeutung für Rassismus und Antirassismus sind und auf den antirassistischen Diskurs und antirassistische Praxen im heutigen Irland wirken. Von zentraler Bedeutung ist hier die Erfindung Irlands als gälisch-katholische Nation und die racialisation von Irishness36, die ein exklusives Modell nationaler Identität entwarf, das sich als langlebig und folgenschwer erweist. Ich plädiere für einen vergleichenden Blick auf Rassismen und Antirassismen, der Aufschlüsse über die Besonderheiten der jeweiligen Gesellschaft erlaubt. Dafür muss eine Untersuchungsebene eingeführt werden, die allzu häufig vernachlässigt wird: die der politischen Kultur.37 Nur so gelingt es darzulegen, auf welche politischen Traditionen und nati-

scher Politik im heutigen Irland zu stellen vermag. Garner, Steve: Racism in the Irish Experience, London 2004. 36 Die racialisation von Irishness ist in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung in Irland ein Schlüsselthema. Robbie McVeigh betont mit seiner Einschätzung die Vergleichbarkeit unterschiedlicher Diskriminierungserfahrungen jenseits der Hautfarbe: „The use of the term racialization allows for some flexibility in the definition of situations which may or may not involve racism. This is important because debates around the capacity of different groups to experience racism are often very disruptive of anti-racist alliances. For example, in Britain and the USA many Black people have questions around the capacity of Irish people – as white Europeans – to experience racism. Likewise, many Irish people challenge the capacity of Travellers – as an indigenous, white, Irish group – to experience racism. Later we will see that both of these groups do experience racism. However, the notion of racialization allows us to begin to negotiate positively with other survivors of racism on these and other contested situations.“ (Hervorhebung im Original) McVeigh, Robbie: Racism and Anti-Racism in Ireland: The Racialization of Irishness (Centre for Research and Documentation), Belfast 1996, S. 8. Vgl. auch Ders: Nick, Nack, Paddywhack: Anti-Irish Racism and the Racialisation of Irishness, in: Lentin, Ronit; McVeigh, Robbie (Hrsg.): Racism and Anti-Racism in Ireland, Belfast 2002, S. 136-152; Dies.: Anti-racist Responses to the Racialisation of Irishness. Disavowed Multiculturalism and its Discontents, in: Dies; McVeigh (Hrsg.): Racism and Anti-Racism in Ireland, S. 226-238; Lentin, Ronit: Introduction. Racialising the Other, Racialising the ‘Us‘. Emerging Irish Identities as Processes of Racialisation, in: Dies. (Hrsg.): Emerging Irish Identities. Proceedings of a Seminar Held at Trinity College Dublin, November 1999, Dublin 2000, S. 4-16; Moriarty, Elaine: Telling Identity Stories: the Routinisation of Racialisation of Irishness, in: Sociological Research Online 10 (2005) Nr. 3 http://www.socresonline.org. uk/10/3/moriarty.html (02.11.2009) 37 Leiprecht, Rudolf: „Es ist doch näher dran…“ Ein vergleichender Blick auf Rassismen und Erklärungsmuster in den Niederlanden und in Deutschland und Hinweise auf Ansätze antirassistischer Praxis in pädagogischen Arbeitsfeldern, in: Jäger, Siegfried (Hrsg.): Aus der

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onalen Narrativen sich Antirassisten beziehen können, um ihren politischen Zielen Legitimität zu verschaffen. In einem hochpolitisierten Forschungsfeld wie der antirassistischen Szene ist es zudem notwendig, die zentralen Schlüsselbegriffe der Protagonisten, wie z. B. Rassismus oder Nationalismus, einordnen zu können. Erneut zeigt sich in diesem Zusammenhang die Herausforderung der transnationalen Forschungsarbeit, in der sich eine deutsche Wissenschaftlerin in einem irischen Forschungsfeld bewegt: Nationalismus ist ein Leitthema der Republik Irland, welches sowohl für Politik und Bevölkerung zentrale und polarisierende Bedeutung besitzt.38 Zwar kann eine bestimmte Form antinationalistischer Überzeugung als spezifisch deutsch gelten, was primär auf den deutschen Faschismus zurückzuführen ist und zweifelsohne eine Auflösung nationalistischer Identitätskonstruktionen im deutschen Antirassismus begünstigt.39 Allerdings pflegt Irland das andere Extrem: Es gilt als regelrecht unnormal, antinationalistisch eingestellt zu sein. Als am Ende eines wilden Karaokeabends im Sommer 2005 die gesamte Kneipe im Dubliner Arbeiterviertel Ballyfermot in plötzlicher Feierlichkeit geschlossen aufstand, um mit aufs Herz gelegter Hand die Nationalhymne zu singen, fühlte ich mich angesichts dieser nationalistischen Folklore ähnlich befremdet, wie beim morgendlichen Fahneneid meiner USamerikanischen Mitschüler, den ich als Sechzehnjährige während eines Austauschjahres täglich über mich ergehen lassen musste. Das in Irland besonders auffällig Unverkrampfte im Umgang mit dem Nationalen bildet eines von vielen Beispielen, das die Unvermeidbarkeit einer wachsamen Hinterfragung von Gesprächsverläufen und Interviewsituationen verdeutlicht. Es muss ein Bewusstsein dafür entwickelt werden, dass es nicht nur darum gehen kann, die Äußerungen der Befragten, denen ich Expertenstatus zuschreibe, zu analysieren. Vielmehr muss es auch darum gehen, den eigenen Lernprozess, die eigenen Gedanken und Reaktionen auf das Gesagte einer kritischen Reflexion zu unterziehen. So lässt sich an meiner Arbeit ablesen, dass im Feld der Rassismus- bzw. Antirassismusforschung wissenschaftliche Klärung von politischer Selbstreflexion nicht zu trennen sind. Ein gelungenes Interview zeichnet sich im Rahmen einer Studie, die über politische Szeneakteure forscht, da-

Werkstatt: Anti-rassistische Praxen. Konzepte, Erfahrungen, Forschung, Duisburg 1994, S. 164. 38 Es prägt auch die Sprache. So wird in Irland ein „Ausländer“, der Konstruktionscharakter des Worts ist auch in der Bundesrepublik augenfällig, nicht etwa als foreigner oder alien, sondern als non-national bezeichnet. 39 Vgl. Räthzel, Nora: Gegenbilder. Nationale Identitäten durch Konstruktion des Anderen, Opladen 1997, S. 14; Hess, Sabine; Lindner, Andreas: Antirassistische Identitäten in Bewegung (Perspektiven. Forschungsbeiträge zu Geschichtswissenschaft, Pädagogik, Philosophie, Psychologie, Psychotherapie und Soziologie, Band 7), Tübingen 1997, S. 76-77.

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durch aus, dass sich die Gesprächspartner auf Augenhöhe begegnen. Dies ist ein Anspruch, der zum ethnografischen Ideal gehört und insbesondere von meinen Interviewpartnern stets eingeforderte wurde. Die Situation in Irland in Bezug auf Rassismus und Antirassismus muss als eine von vielen unterschiedlichen historisch gewordenen Bedeutungsanordnungen reflektiert werden, durch welche es zu verschiedenen subjektiv begründeten Erscheinungsformen individueller Lebensäußerungen, seien sie rassistisch oder antirassistisch, kommt. Diese Reflexion ist notwendig, um den lebensweltlichen Kontext meiner Ansprechpartner zu berücksichtigen, aber natürlich auch gleichzeitig die Situation, aus der ich komme, mit ihrer spezifischen Bedeutungsanordnung sowie ihren Einfluss auf meinen Forschungsprozess anzuerkennen. Die vorliegende Untersuchung ist Teil einer (Anti-)Rassismusforschung, die theoriebezogene Studien konkreter politischer Situationen, Akteure und Kontexte liefert. Im Kapitel „Empirie: Perspektiven antirassistischer Akteure“ wird anhand von vier Porträtkapiteln das Interviewmaterial, in dem die Erfahrungswelten und Denkweisen der antirassistischen Akteure deutlich hervortreten, genauer analysiert. Bisher fanden in erster Linie rassistische Akteure und deren Ideologie, Organisationsformen, politisches Umfeld und Wirkung auf die Gesellschaft Berücksichtigung in der wissenschaftlichen Forschung. Dagegen wurde viel zu selten die Frage gestellt, warum sich jemand zu einer emanzipativ-solidarischen Haltung bekennt und für den Protest gegen Rassismus entscheidet.40 Dies stellt angesichts der Tatsache, dass es nicht nur um eine individuelle politische Selbstverortung geht, sondern eine Einflussnahme antirassistischer Akteure auf öffentliche Entscheidungsprozesse und das institutionell-administrative Handeln zu beobachten ist, ein Manko dar. Abgesehen davon ist ihr Einsatz für das Schicksal vieler konkret von Abschiebung bedrohter Migranten essenziell. So wird im Rahmen meiner Ausführungen eine bisher ausgeblendete Perspektive auf die Sichtweise von rassistisch Diskriminierten und jener Menschen, die aktiv in antirassistischen Bezügen tätig sind, eingenommen.41 Dabei ist zu bemerken,

40 So bemerkt Anja Weiß, dass es nicht immer wieder darum gehen darf, politisch oder sozial marginalen Akteuren Rassismus nachzuweisen, sondern dort nachzuhaken, wo sich Menschen antirassistisch engagieren. Weiß: Rassismus wider Willen, S. 353. Auch bei Mark Terkessidis findet sich ein Verweis darauf, dass es angesichts des gesellschaftlichen Phänomens Rassismus weniger dringlich ist, erklären zu können, warum jemand rassistisch ist, sondern darum, erklären zu können, warum jemand imstande dazu ist, rassistischen Vorurteilen zu widerstehen. Terkessidis, Mark: Psychologie des Rassismus, Opladen, Wiesbaden 1998, S. 68. 41 Vgl. Görg, Andreas; Pühretmayer, Hans: Antirassistische Initiativen in Österreich. Zur Diskussion ihrer Position und ihrer strategischen Potenziale, in: Berghold, Josef; Menasse,

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dass sich diese Sichtweisen zuweilen überschneiden und im irischen Fall diese Überschneidung Multidimensionalität annimmt: So verfügen zum einen die irischen Aktivisten über Erfahrungen mit antiirischem Rassismus. Zum anderen ist es mir gelungen, Akteure, die in der irischen Gegenwartsgesellschaft rassistisch diskriminiert werden, zu Wort kommen zu lassen.42 Im Zentrum meines Forschungsinteresses stehen die individuellen Erfahrungen und Mobilisierungsmomente antirassistischer Akteure und deren Auswirkungen auf ihre politische Selbstverortung und ihre politischen und alltagsweltlichen Praxen. Die vorgenommene Konzentration auf die Akteursebene gewährleistet einen Einblick in die biografische Dimension und die Selbstdeutungsprozesse der Akteure. Dabei kann es nicht um die gänzliche Erfassung des Phänomens Antirassismus gehen, sondern die von mir vorgenommene Auswahl führt zu Perspektivwechseln und -brüchen, die die Vielgestaltigkeit antirassistischer Positionen in Irland illustrieren. So entsteht ein Überblick über den irischen Antirassismus zwischen Alltag und Aktion, sein Selbstverständnis und seine Geschichte. Dabei werden auch die translokalen Netzwerke und diverse Praktiken des Organisierens und der Aushandlung innerhalb der antirassistischen Szene sowie Handlungsstrategien und Aktionsinstrumentarien beleuchtet. Die Untersuchung der irischen Antirassismusszene und deren Akteure erlaubt Rückschlüsse auf die Bedingungen und Möglichkeiten antirassistischer Politik in der irischen Gesellschaft. Darüber hinaus spiegeln sich im Diskussionsstand der antirassistischen Szene gleichsam traditionelle nationale Narrative und aktuelle gesellschaftliche Debatten. Antirassistische Identitäten entstehen in der Auseinandersetzung mit dem dominanten Konstrukt nationaler kultureller Identität. Die vorliegende Studie ist so auch ein Zeugnis des andauernden Prozesses der Konstruktion von Irishness, denn die von mir befragten antirassistischen Akteure entwerfen innovative Vorstellungen darüber, wie irische Identität mit neuer Bedeutung gefüllt und wie ein neues inklusives identitäres Modell von Irishness entworfen werden kann.

Elisabeth; Ottomeyer, Klaus (Hrsg.): Trennlinien. Imagination des Fremden und Konstruktion des Eigenen, Klagenfurt 2000, S. 238. 42 Wie überaus schwer es ist, dies im Rahmen eines Projekts über Antirassismus zu gewährleisten, betont die Autorengruppe interface. Sie plante die „soziale Verortung der Redaktion als ‚weiß-deutsch-akademisch’“ aufzubrechen, um zu erreichen, „der Verschiedenheit der Bewegung gerecht [zu] werden“. Doch dieser Versuch scheiterte daran, dass die „nichtdeutschen AktivistInnen“ allesamt absagten, da sie zu sehr mit dem eigenen ökonomischen Überleben beschäftigt gewesen seien. interface (Hrsg.): WiderstandsBewegungen, S. 18.

Theorie: Rassismus und Antirassismus

1. Kritik der Begriffe: „Rasse“ und Rassismus

Was ist heute das größere Tabu? – Die Existenz von „Rassen“1 zu behaupten oder von der Existenz von Rassismus2 zu sprechen? Bei einem meiner Rechercheausflüge ins Internet stieß ich auf einen Text, der behauptet, Irland habe ein höheres Pro-Kopf-Einkommen, als von seinem „Durchschnitts-IQ her zu erwarten wäre“.3 Nach einem Moment gelöster Heiterkeit stellte ich beim Weiterlesen wenig amüsiert fest, dass ich in der deutschen Erstausgabe eines Buches gelandet war, das zudem feststellt, dass weltweit „die Intelligenzniveaus die nationalen Unterschiede im Reichtum erklären“.4 Wortreich wird die „Tabuisierung des Begriffes ‚Rasse‘“5 angeprangert, doch zugleich gibt man sich

1

„Rasse“ wird in Anführungszeichen gesetzt, um den Konstruktionscharakter des Begriffs zu kennzeichnen. „Rasse“ existiert nicht, ist nur eine imaginierte Realität. Bei Begriffen oder Wortkombinationen, in denen „Rasse“ vorkommt, jedoch aus dem Kontext hervorgeht, dass nicht ich es in einer affirmativen Weise verwende, wird keine Kennzeichnung vorgenommen (z. B. nationalsozialistische Rassenpolitik).

2

Wobei der Begriff Rassismus als Schlagwort in jüngster Vergangenheit sehr wohl Eingang in die öffentliche Rhetorik gefunden hat. Dies ist jedoch nicht gleichbedeutend mit einer seriösen Analyse gesellschaftlich konstruierter Ungleichheit.

3

Rushton, J. Philippe: Rasse, Evolution und Verhalten. Eine Theorie der Entwicklungsgeschichte, Graz 2005, S. 22.

4

Ebd., S. 20.

5

Volkmar Weiss im Vorwort zu Rushton: Rasse, Evolution und Verhalten, S. 9. Der Leipziger Humangenetiker veröffentlicht Thesen zur Vererbung von Intelligenz und ihren gesellschaftlichen Folgen. Vgl. Weiss, Volkmar: Die IQ-Falle. Intelligenz, Sozialstruktur und Politik, Graz 2000. Heiner Rindermann bezieht sich in seiner Forschung stützend sowohl auf Rushton als auch auf Weiss. Vgl. http://groups.uni-paderborn.de/rindermann/ materialien/PublikationsPDFs/07EJP (22.10.2009)

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hoffnungsvoll, da „der eiserne Griff der politischen Korrektheit schwächer werden könnte“.6 In einer Welt, die Anfang des 21. Jahrhunderts zunehmend vom Biologismus geprägt ist, stellt ein solcher als IQ-Forschung schlecht getarnter Sozialdarwinismus nur auf den ersten Blick einen extremen Ausrutscher nach rechts dar. Wie sehr dieses Denken Teil des bundesdeutschen Alltags ist, bewies auch das Curriculum meines westfälischen Kleinstadtgymnasiums. Dort wurden im Biologiekurs die Lehren von Konrad Lorenz und Iräneus Eibl-Eibesfeldt als Stein der Weisen in Punkto Verhaltenslehre präsentiert. Beide gehören in den „Bauchladen pseudo-wissenschaftlicher ‚Seriosität‘“, aus dem sich die neue Rechte bedient, um sich einen frischeren, vermeintlich wissenschaftlichen (meint hier in der Regel biologistischen) Anstrich zu geben.7 Fremdenangst und gesellschaftliche Gruppenaggressivität werden hier als Resultate einer dem Menschen angeborenen Disposition erklärt, die genetisch vorprogrammiert und nicht erlernt sei. Wenn von rechter Seite beklagt wird, dass „im deutschen Sprachraum jede Veröffentlichung über ,Rasse‘ immer noch mit einer besonderen Hypothek belastet“8 sei – wobei die Natur dieser Hypothek selten genauer beschrieben wird –, bleibt festzustellen, dass Versuche, den Begriff „Rasse“ auf den Menschen zu übertragen, wissenschaftlich nicht haltbar sind.9 Nichts-

6

Rushton: Rasse, Evolution und Verhalten, S. 14.

7

Purtscheller, Wolfgang: Aufbruch der Völkischen. Das braune Netzwerk, Wien 1993, S. 121.

8

Volkmar Weiss im Vorwort zu Rushton: Rasse, Evolution und Verhalten, S. 11. Weiss erklärt außerdem die „Unterschiede zwischen den Großrassen“ für „augenscheinlich“ und mit dem „gesunden Menschenverstand“ nicht zu ignorieren.

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Die wissenschaftliche Unhaltbarkeit des Rassenbegriffs und -klassifikation wurde in mehreren Dokumenten der Vereinten Nationen unterstrichen und darüber hinaus ein klarer Auftrag an die wissenschaftliche Forschung formuliert. 1967 erklärte die UNESCO: „Racism falsely claims that there is a scientific basis for arranging groups hierarchically in terms of psychological and cultural characteristics that are immutable and innate. In this way it seeks to make existing differences appear inviolable as a means of permanently maintaining current relations between groups. […] Racism has historical roots. […] In order to undermine racism it is not sufficient that biologists should expose its fallacies. It is also necessary that psychologists and sociologists should demonstrate its causes. […] Racial prejudice and discrimination in the world today arise from historical and social phenomena and falsely claim the sanction of science. It is, therefore, the responsibility of all biological and social scientists, philosophers, and others working in related disciplines, to ensure that the results of their research are not misused by those who wish to propagate racial prejudice and encourage discrimination.“ UNESCO: Statement on Race and Racial Prejudice, 1967. http://unesdoc.unesco.org/images/0001/000158/015826eb.pdf (01.12.2009) 1996 werden

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destotrotz ist eine gewisse Trauer über das Schicksal des Rassebegriffs in der Bundesrepublik spürbar, wenn Werner Conze bedauert: „Der von seiner Grundbedeutung aus wissenschaftlich wertfrei verwendbare Begriff ist durch die Extremkonsequenz des ‚Rassenkampfes‘, den planmäßigen Genozid der vierziger Jahre, so stark herabgewürdigt worden, daß seine Verwendung belastet erscheint.“10 Die wissenschaftliche Widerlegung der Existenz von „Menschenrassen“ und die Erfahrung des nationalsozialistischen Rassismus führten in der Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer mehrere Jahrzehnte anhaltenden Tabuisierung des Rassismusbegriffs.11 Sie wurde nicht nur von Politik und Medien, sondern auch von der wissenschaftlichen Forschung praktiziert.12 Bis zum Beginn der 1990er-Jahre herrschte die Auffassung vor, Rassismus in der Bundesrepublik sei eine Sache der Vergangenheit, die mit dem Ende des deutschen Faschismus aus der Gesellschaft verschwunden sei.13 Dies hatte ohne Zweifel auch etwas damit zu tun, dass der Rassismusbegriff ausschließlich Taten und Überzeugungen bezeichnete, deren Grundlage das Konzept „Rasse“ war. Da eine ernsthafte Kritik des Rassismusbegriffs nicht stattfand, beschränkte sich die Forschung auf den Antisemitismus und Nationalsozialismus und verortete Rassismus darüber hinaus lediglich im Kolonialismus, der Diskriminierung von Schwarzen im Ausland (USA, Südafrika) oder – im eigenen Land – bei jugendlichen Rechtsextremisten. Diese Einschränkungen haben Entlastungsfunktionen. Zum einen gibt es zwar eine veritable Antisemitismusforschung, doch kaum Literatur zu Antislawismus oder Antiziganismus.14 Zum anderen sollte hier unterschwellig der Überzeugung

diese Feststellung auch und gerade angesichts molekulargenetischer Forschung erneut bekräftigt: „Es gibt keinen wissenschaftlichen Grund, den Begriff ‚Rasse‘ weiterhin zu verwenden.“ http://www.franz-boas.de/download/unesco.pdf (03.04.2009) 10 Conze, Werner: Artikel „Rasse“ in: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Band 5, Stuttgart 1984, S. 135-178. 11 Der Rassismusbegriff wurde ursprünglich von Rassentheorien abgeleitet. Eine Aufbrechung der begrifflichen Verbindung zwischen Rassismus und Rassendiskurs findet sich u. a. bei Miles, Robert: Rassismus. Einführung in die Geschichte und Theorie eines Begriffs, Hamburg 1991, S. 93-98. 12 Piper, Nicola: Racism, Nationalism and Citizenship. Ethnic minorities in Britain and Germany (Research in Ethnic Relations) Aldershot, Brookfield/Vermont 1998, S. 41. 13 Räthzel (Hrsg.): Theorien über Rassismus, S. 5. 14 Ferrari Zumbini, Massimo: Große Migration und Antislawismus. Negative Ostjudenbilder im Kaiserreich, in: Jahrbuch für Antisemitismusforschung, 3 (1994), S. 194-226; Wippermann, Wolfgang: „Wie die Zigeuner“. Antisemitismus und Antiziganismus im Vergleich, Berlin 1997; Luchterhand, Martin : Der Weg nach Birkenau. Entstehung und Verlauf der nationalsozialistischen Verfolgung der "Zigeuner", Lübeck 2000. Eine Analyse der histori-

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Ausdruck verliehen werden, dass Deutschland keine relevante Kolonialgeschichte habe und – da es im Gegensatz zu Frankreich oder Großbritannien keine substanzielle Einwanderung von Schwarzen aus ehemaligen Kolonien erfahren hatte – Rassismus in der bundesdeutschen Gesellschaft kein Thema sei.15 Rassismus lediglich bei angeblich orientierungslosen Randgruppen der Gesellschaft lokalisieren zu wollen, ist eine bis heute beliebte Taktik, um davon abzulenken, dass Rassismus bei Weitem kein randständiges Phänomen, sondern in Ökonomie, Politik, Medien und im Alltag, ergo im gesellschaftlichen Mainstream virulent ist. Es überrascht daher nicht, dass im öffentlichen Diskurs die Vermeidung des Begriffs „Rassismus“ augenfällig ist. Bevorzugt werden stattdessen Termini wie „Fremdenfeindlichkeit“, „Ausländerfeindlichkeit“ oder „Xenophobie“. Eine ausführliche Begründung für die Ablehnung des Rassismusbegriffs nimmt der prominente Politikwissenschaftler Hans-Gerd Jaschke vor, der den Begriff „Fremdenfeindlichkeit“ favorisiert. Er erinnert an jene den politischen Ausformungen historisch vorangehenden, anthropologisch begründbaren Ängste der Einheimischen vor den Fremden, die sich noch heute in der Vorsicht vor unbekannten Personen widerfinden [sic]. Von daher sind Skepsis, Reserviertheit, Voreingenommenheit, Vorsicht und Angst zunächst einmal natürliche, universell gültige Verhaltensmuster.

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Der Begriff „Fremdenfeindlichkeit“ soll also eine biologisch-anthropologische Begründung für ein soziales Verhalten liefern, das als genetisch bedingt angesehen wird. Dies erinnert unangenehm an den „Humanethologen“ Eibl-Eibesfeldt, der Rassismus für eine anthropologische Konstante hält, deren Existenz er mit seinen Erkenntnissen aus der Verhaltensforschung im Tierreich oder dem Fremdeln von

schen und theoretischen Hintergründe, die verdeutlicht, wie sehr Kontinuitäten den heutigen Antiziganismus prägen, findet man in: Winckel, Änneke: Antiziganismus. Rassismus gegen Roma und Sinti im vereinigten Deutschland, Münster 2002. 15 Zu Recht bewertet Birgit Rommelspacher den kolonialen Rassismus als „Angelpunkt für das Verständnis von Rassismus“, da seine Prägung die gesamte westliche Kultur durchdringt. Angehörige dieser Dominanzkultur tragen eine Mentalität der Überlegenheit, die sich in Gefühlen, Denken und Verhalten niederschlägt und somit „zentraler Bestandteil unserer Kultur und unseres Selbstverständisses“ ist. Rommelspacher, Birgit: Dominanzkultur. Texte zu Fremdheit und Macht, Berlin 1995, S. 40. 16 Jaschke, Hans-Gerd: Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit. Begriffe, Positionen, Praxisfelder, Opladen 1994, S. 64.

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Kleinkindern meint behaupten zu können.17 Fremdenfeindlichkeit ist somit ein ähnlich irreführender Begriff wie „Ausländerfeindlichkeit“, der eine besondere Bedeutung der Staatsangehörigkeit andeutet. Tatsächlich kann z. B. die deutsche oder irische Staatsangehörigkeit nicht jeden vor einem rassistischen Übergriff bewahren, wenn das antizipierte körperliche Erscheinungsbild im Auge des rassistischen Betrachters nicht vorhanden ist. Zudem ist die rassistische Diskriminierung von weißen US-Bürgern, Schweizern oder Schweden in Deutschland wie in Irland nur selten zu beobachten. Auch der in Wissenschaftskreisen häufig verwendete Begriff „Xenophobie“ ist untauglich für die Erforschung bestimmter sozialer Prozesse von Diskriminierung, Exklusion und Unterdrückung. Diese Untauglichkeit fand ich während meiner Teilnahme an der Konferenz Extremism and Xenophobia Among Youth Through Prism of Transnational Studies in St. Petersburg im März 2007 bestätigt. Die Referenten benutzten selten den Begriff „Rassismus“ und widmeten stattdessen ihre Untersuchungen dem grow of fear of strangers oder everyday xenophobia oder everyday aversion of others and strangers. Doch das Konzept Xenophobie geht von einem anthropogenen Verhaltensmuster aus und wertet aggressives Verhalten gegenüber als fremd definierten Gruppen als ahistorisch. Allzu oft wird suggeriert, Xenophobie sei eine natürliche, universelle und legitime Verhaltensweise. Deswegen werden Ausgrenzungsprozesse oder gesellschaftliche Aggressivität, die mit dem Xenophobiebegriff untersucht werden, häufig zu spontanen Reaktionen der Selbstverteidigung und Ausdruck der Abgeschlossenheit von Kulturen erklärt. Der Analysewert des Xenophiebegriffs zur Erklärung gesellschaftlicher Phänomene ist deswegen so eingeschränkt, weil er zum einen den biologischen Determinismus, der ihm zugrunde liegt, nicht reflektiert und zum anderen ökologische, ökonomische, politische, historische und soziale Faktoren ignoriert. Letztendlich läuft die Argumentation auf die Unterstellung hinaus, dass Fremdenangst und aggressive Reaktionen auf fremde Individuen „natürlich“ sind, was die Assimilierung oder Diskriminierung von Minderheiten innerhalb einer Gesellschaft legitimieren soll. Die Brisanz der auf der Konferenz in Russland favorisierten Terminologie trat besonders in einem Vortrag über Alltagsrassismus in Russland zutage, in dem von einem „normalen“ Maß an rassistischen Witzen oder Bemerkungen ausgegangen wurde. Da Xenophobie ein ahistorisches Konzept ist, konnte es zudem nicht ver-

17 Vgl. Butterwegge, Christoph: Migrant(inn)en und Massenmedien, in: Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert-Stiftung, Abt. Arbeits- und Sozialforschung (Hrsg.): Ethnisierung gesellschaftlicher Konflikte. Eine Tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung am 11.10.1995 in Erfurt (Gesprächskreis Arbeit und Soziales, Nr. 62), Bonn 1996, S. 56.

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wundern, dass die untersuchten gesellschaftlichen Probleme unter völliger Missachtung ihrer historischen Genese behandelt wurden.18 Den Begriffen – „Xenophobie“, „Ausländerfeindlichkeit“ und „Fremdenfeindlichkeit“ – ist die Annahme des Natürlichen gemein. Damit wird das untersuchte soziale Verhalten legitimiert und seine Normalität suggeriert; die Fremden werden zur Ursache des Problems deklariert. „Dieses Reaktionsmuster finden wir ebenso im Rassismus, wo die Minderheiten dafür verantwortlich gemacht werden, daß die Mehrheit Probleme hat. Sie seien es, die Angst machen. Es sei ‚das Fremde‘, das die Einheimischen zu überwältigen drohe. Allein der Hinweis auf diese Angst genügt, um Rassismus und Gewalttätigkeit zu rechtfertigen – als ob das Recht auf Angstfreiheit der einen über dem Recht auf körperliche Unversehrtheit der anderen Menschen stünde.“19 Zur apologetischen Funktion dieser Terminologie gesellt sich eine reduktionistische. Exklusion, Gewalt und Unterdrückung werden nicht als strukturelle Probleme in einem komplexen gesellschaftlichen und historischen Kontext betrachtet, sondern auf eine individuelle Ebene reduziert. Die Defizite dieser Begrifflichkeit erkennend, fragt man sich also, warum nur wird der Rassismusbegriff abgelehnt? Jaschkes Kritik basiert auf der Überzeugung, dass Rassismus ein „politischer Kampfbegriff“ ist, der aufgrund seiner begrifflichen und inhaltlichen Nähe zur nationalsozialistischen Rassenpolitik „historisch-moralisch überaus belastet“ sei.20 „Der Begriff ‚Rassismus‘ wird in den Debatten über Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit in der Bundesrepublik Deutschland wieder häufiger verwendet. Doch was und wer warum als ‚rassistisch‘ zu gelten hat, ist umstritten, ebenso der Erklärungswert eines Ansatzes, dessen Grundbegriff sich auszeichnet durch moralische Eindeutigkeit, Kampfrhetorik und besonders große Beliebigkeit.“21 Den wissenschaftlichen Diskurs über Rassismus, der sich Ende der 1980er-Jahre in der Bundesrepublik inspiriert vor allem von der britischen und französischen Debatte entwickelte, kritisiert Jaschke: „Der diesen Debatten zugrunde liegende Rassismusbegriff ist jedoch so weit gefaßt, daß seine Begrenzungen unscharf sind. Er ist wissenschaftlich unpräzise, weil nicht-rassistische Haltungen und Handlungen kaum noch ausgemacht werden können.“22

18 So sollte man doch z. B. der Frage nachgehen, warum in Russland ein antikaukasischer Rassismus virulent bleibt. Erst dies würde die Analyse gegenwärtiger gesellschaftlicher Probleme möglich machen. 19 Rommelspacher: Dominanzkultur, S. 178. 20 Jaschke: Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit, S. 69. 21 Ebd., S. 66. 22 Ebd., S. 68.

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Allein Begriffe wie „Fremdenfeindlichkeit“ zeichnen sich keineswegs durch wissenschaftliche Präzision aus.23 Da es aber weder erhellend noch elegant ist, einer Kritik in der Form zu begegnen, dass man dem Kritiker denselben Mangel unterstellt, soll im Folgenden die wissenschaftliche Diskussion um den Rassismusbegriff schlaglichtartig beleuchtet werden, um zu zeigen, dass von seiner analytischen Schärfe durchaus profitiert werden kann. Weil der Begriff „Rassismus“ im Sinne einer eigenständigen theoretischen Kategorie in Deutschland erst verhältnismäßig spät eingeführt wurde und sich explizit auf den Rassismusdiskurs in Großbritannien und Frankreich bezieht, soll eingangs ein Blick gen Westen geworfen werden.24 Aus Großbritannien werden in erster Linie die Schriften von Robert Miles und Stuart Hall rezipiert. Anders als in Deutschland hat sich der Begriff „Rasse“ im englischen Sprachraum sowohl in der Umgangs- und Offizialsprache (race relations, race politics, racial equality) als auch in der soziologischen Forschung erhalten.25 Wie Miles unterstreicht, ist das Wort „Rasse“ im Alltagsdiskurs der anglo-

23 Eine vertiefende Untersuchung der deutschen Sonderkonstruktionen Ausländerfeindlichkeit und Fremdenfeindlichkeit findet sich bei Terkessidis, Mark: Die Banalität des Rassismus. Vgl. auch: Kalpaka, Annita; Räthzel, Nora (Hrsg.): Die Schwierigkeit, nicht rassistisch zu sein, Leer 1990, S. 12, 15-17. Morgenstern, Christine: Rassismus. Konturen einer Ideologie, Hamburg 2002, S. 16-17. Der Erfolg des Begriffs Ausländerfeindlichkeit wird noch Anfang der 1990er Jahre von Kowalsky und Knight kritisiert, da hier „linke Betroffenheitsphraseologie“ als Analyseersatz vorgeschlagen werde. Allerdings geht es hier weniger um Begriffskritik als um die Verbreitung einer Lieblingsthese von Kowalsky: dem Selbsthass der Deutschen, der als „Triebfeder“ der „Ausländerfreunde/Inländerfeinde“ wirkt. Knight, Ute; Kowalsky, Wolfgang: Ausländerfreunde, Inländerfeinde, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 12 (1991), S. 1426 (Hervorhebung im Original). 24 Zur Einführung des Rassismusbegriffs in die moderne Forschung, z. B. durch Magnus Hirschfelds Werk „Racism“, das 1938 drei Jahre nach dessen Tod in englischer Übersetzung erschien, bis heute keine deutsche Ausgabe erfahren hat und als eine der ersten Publikationen das Wort Rassismus im Titel trägt, vgl. Geulen, Christian: Wahlverwandte. Rassendiskurs und Nationalismus im späten 19. Jahrhundert, Hamburg 2004, S. 42-47; Terkessidis: Banalität des Rassismus, S. 72-73. 25 Allerdings findet sich der Begriff „Rasse“ im Artikel 3 des Grundgesetzes, der fundamentale Gleichheitsgrundsatz des deutschen Verfassungsrechts. So fordert das Deutsche Institut für Menschenrechte 2008, dass der Terminus „Rasse“ aus Gesetzestexten, Verordnung oder Erlassen gestrichen wird. Augstein, Franziska: Die Rassenfrage. Muss das Grundgesetz korrigiert werden?, in: Süddeutsche Zeitung, 08.09.2008. Die Ursprünge der britischen

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phonen Welt „ein Schlüsselelement des sogenannten gesunden Menschenverstandes oder common sense“.26 Miles’ Ziel ist es, die Spezifik rassistischer Ideologien und Praxen zu präzisieren, um eine Inflationierung des Rassismusbegriffs zu vermeiden. Als einen Schlüsselbegriff bezeichnet er die racialisation (Rassenkonstruktion, „Rassifizierung“). Diese definiert er als „Prozeß der Beschreibung von Gruppengrenzen und der Verortung von Personen innerhalb dieser Grenzen durch den vorrangigen Bezug auf (möglicherweise) angeborene und/oder biologische (meist phänotypische) Merkmale. Es handelt sich von daher um einen ideologischen Prozeß.“27 Für Miles ist die Konstruktion von „Rasse“ ein dialektischer Prozess der Bedeutungskonstitution, denn wenn ein reales oder vorgestelltes biologisches Merkmal zum Bedeutungsträger gemacht wird, um den Anderen zu definieren, „unterwirft man das eigene Selbst notwendigerweise der Definition durch das gleiche Kriterium“.28 Diese racialisation ist für ihn eine Vorbedingung des Rassismus, wobei sich der Rassismus von der Rassenkonstruktion „durch seine explizit negativ wertende Komponente“ unterscheidet.29 Miles unterstreicht zudem die ideologische Verknüpfung des Rassismus mit Nationalismus und Sexismus, denn sie alle „basieren auf einem Prozeß der Bedeutungskonstitution und können zur Begründung von Aus- und Einschließungspraxen benutzt werden“.30 Im Zusammenhang mit Migra-

Rassismusforschung liegen in den USA. Hier wurden die ersten race relationsUntersuchungen durchgeführt, in denen „Rasse“ eher im Sinne einer soziologischen Kategorie verwendet wurde. Vgl. Berg, Sebastian: Antirassismus in der britischen Labour Party. Konzepte und Kontroversen in den achtziger Jahren (Bremer Beiträge zur Literatur- und Ideengeschichte, Bd. 32), Frankfurt a. M. 2000, S. 34. 26 Miles: Rassismus, S. 94. In Deutschland wird die Verwendung des Begriffs im anglophonen Raum gerne als Beweis für seine Harmlosigkeit herangezogen. Dabei wird übersehen, dass die unkritische Benutzung des Ausdrucks „Rasse“ im anglophonen Raum nicht nur von Miles negativ bewertet wird. Miles, Robert: Bedeutungskonstitution und der Begriff des Rassismus, in: Räthzel (Hrsg.): Theorien über Rassismus, S. 20. Ein ähnlicher Sprachgebrauch findet sich in der frankophilen Welt, z. B. wenn von der race basque geredet wird. Vgl. Guillaumin, Colette: Zur Bedeutung des Begriffs „Rasse“, in: Räthzel (Hrsg.): Theorien über Rassismus, S. 38. 27 Miles: Rassismus, S. 100. 28 Miles: Bedeutungskonstitution, S. 21. 29 Miles: Rassismus, S. 106. Dieser von Miles eingeführte Begriff der racialisation erlebt in der Forschung starke Resonanz (z. B. Kalpaka; Räthzel (Hrsg.): Die Schwierigkeit, nicht rassistisch zu sein, S. 14). Trotzdem bin ich wie Terkessidis davon überzeugt, dass die racialisation niemals neutral sein kann und durch sie bereits eine Wertung vorgenommen wird. Vgl. Terkessidis: Die Banalität des Rassismus, S. 82. 30 Miles: Bedeutungskonstitution, S. 29-30.

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tionsprozessen bilde sich ein „institutioneller Rassismus“ heraus, der in Einwanderungsgesetzen oder Abschiebungspraxen Niederschlag findet.31 Ein weiterer einflussreicher Rassismustheoretiker ist der marxistische Kulturtheoretiker Stuart Hall, der mit seinem diskursanalytisch32 orientierten Ansatz die jahrzehntelange Ausschließungspraxis gegenüber Migranten als historisch neuartigen kulturalistischen Rassismus untersucht.33 Er stellt fest, dass „Rasse“ nicht existiert, aber Rassismus in sozialen Praxen produziert werden kann.34 Großen Anklang in der theoretischen Auseinandersetzung fand Halls Feststellung dass „wo immer wir Rassismus vorfinden, entdecken wir, daß er historisch spezifisch ist, je nach der bestimmten Epoche, nach der bestimmten Kultur, nach der bestimmten Gesellschaftsform, in der er vorkommt. Diese jeweiligen spezifischen Unterschiede muß man analysieren. Wenn wir über konkrete gesellschaftliche Realität sprechen, sollten wir also nicht von Rassismus, sondern von Rassismen sprechen.“35 Hall beschäftigt sich wie Miles mit der ideologischen Verknüpfung von Rassismus und Nationalismus. In Großbritannien kämpfe eine bestimmte Auffassung von nationaler englischer Identität gegen alle, die nicht dazugehören. Für ihn ist dieses Geschehen rassistisch, da Geschichte, Kultur und „Rasse“ dazu benutzt wer-

31 Dieser Begriff bezieht sich ausschließlich auf Ausschließungspraxen, die entweder aus einem rassistischen Diskurs entstanden sind, ihn voraussetzen, aber nicht mehr ausdrücklich mit ihm legitimiert werden oder solche, die durch einen Diskurs gerechtfertigt werden, aus dem sämtliche ursprünglich enthaltenen offen rassistischen Inhalte eliminiert worden sind und nun andere Worte die ursprüngliche Bedeutung übernehmen. Miles: Bedeutungskonstitution, S. 27-29, Rassismus, S. 84-89. 32 Wobei Hall darauf Wert legt auszuführen, dass er nach Foucaults Diskursbegriff keinen Unterschied zwischen Praxis und Ideologie macht. Hall, Stuart: Rassismus als ideologischer Diskurs, in: Räthzel (Hrsg.): Theorien über Rassismus, S. 8. 33 Ob der kulturalistische Rassismus oder der „Rassismus ohne Rassen“ tatsächlich historisch neuartig ist, ist in der Forschung umstritten. So behauptet Etienne Balibar, dass bereits der moderne Antisemitismus ein kulturalistischer Rassismus ist, für den der pseudowissenschaftliche Rassenbegriff nie eine wesentliche Bedeutung hatte. Vgl. Balibar, Etienne: Gibt es einen „Neo-Rassismus“?, in: Ders.; Wallerstein, Immanuel: Rasse, Klasse, Nation, Berlin 1992, S. 31-32. 34 Hall: Rassismus als ideologischer Diskurs, S. 7. 35 Ebd., S. 11. Terkessidis befürchtet, dass dieser Appell rhetorisch bleibt, „wenn man nicht in der Lage ist, die Struktur des Gesamtphänomens mit den jeweiligen historischen oder lokalen Realisierungen zusammenzubringen.“ Banalität des Rassismus, S. 100. Ich meine, dass sich eine genauere Untersuchung des spezifischen historischen Kontextes lohnt, da sie immer die Chance birgt, den Charakter des Gesamtphänomens Rassismus genauer zu beschreiben.

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den, um ein System der Differenz zu konstruieren, das auf einer sehr engen und ausgrenzenden Definition dessen, wer dazugehört und wer nicht, basiert.36 Dieses System einer Spaltung der Welt in binäre Gegensätze ist nach Hall das fundamentale Charakteristikum des Rassismus. So besteht für ihn kein Unterschied zwischen rassistischen und sexistischen Praxen. „Auch im Sexismus findet man scheinbar natürliche Eigenschaften, die als Zeichensystem funktionieren, durch das ein Teil der Bevölkerung auf einen gesellschaftlich untergeordneten Platz verwiesen wird. Rassismus wie Sexismus sind Formen der Naturalisierung.“37 Besondere Aufmerksamkeit scheint mir Halls Betonung des binären Charakters der Konstruktion des Anderen zu verdienen, denn hier erscheint Rassismus als Verleugnung der Tatsache, „daß wir das, was wir sind, aufgrund innerer gegenseitiger Abhängigkeit von Anderen sind“38. Hier findet sich vielleicht auch eine Antwort auf die Frage, warum die Versuche, den Rassismusdiskurs rational zu analysieren, zuweilen scheitern. Denn diese Analyse verlangt jedem die Fähigkeit ab, es auszuhalten, dass die eigene Machtposition im gesellschaftlichen Herrschaftssystem als auch die eigene Identität sowie das Bedürfnis, als Subjekt wahrgenommen zu werden, kritisch hinterfragt werden. Der französische Philosoph Etienne Balibar untersucht ebenfalls den inneren Zusammenhang von Rassismus, Nationalismus und Sexismus, seine Rolle in den Strukturen globaler Arbeitsteilung sowie die kulturalistische Wende innerhalb rassistischer Diskurse.39 Balibar beschreibt den neuen Rassismus als einen Rassismus der Epoche der „Entkolonialisierung“: „Ideologisch gehört der gegenwärtige Rassismus, der sich bei uns um den Komplex der Immigration herum ausgebildet hat,

36 Hall: Rassismus als ideologischer Diskurs, S. 13. 37 Ebd., S. 8. Zu einer ähnlichen Einschätzung gelangt auch Birgit Rommelspacher, die Sexismus und Rassismus als Ideologien beschreibt, die beide darauf abzielen, „eine bestimmte Gruppe von Menschen zu diskriminieren, indem die Gruppe als eine homogene Einheit konstruiert und mit Hilfe z. B. eines biologischen Merkmals stigmatisiert wird – das eine Mal aufgrund der Geschlechtszugehörigkeit, das andere Mal aufgrund der Hautfarbe oder ethnischen Herkunft“. Rommelspacher, Birgit: Sexismus und Rassismus, in: Burgmer, Christoph (Hrsg.): Rassismus in der Diskussion, Berlin 1999, S. 111. Kalpaka/Räthzel: Im Netz der Herrschaft, S. 29. 38 Hall: Rassismus als ideologischer Diskurs, S. 15. 39 Verena Stolcke wirbt dafür, rechte Rhetorik, die Kultur statt „Rasse“ zum Ausschließungsgrund erhebt, nicht als Manifestation von kulturellem Rassismus, sondern als „kulturellen Fundamentalismus“ zu bezeichnen. Ihr Vorschlag wird vereinzelt rezipiert, hat sich jedoch nicht nachhaltig im wissenschaftlichen Diskurs etablieren können. Stolcke, Verena: Talking Culture. New Boundaries, New Rhetorics of Exclusion in Europa, in: Current Anthropology 36 (1995) Nr. 1, S. 1-24.

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in den Zusammenhang eines ‚Rassismus ohne Rassen‘, wie er sich außerhalb Frankreichs, vor allem in den angelsächsischen Ländern, schon recht weit entwickelt hat: eines Rassismus, dessen vorherrschendes Thema nicht mehr die biologische Vererbung, sondern die Unaufhebbarkeit der kulturellen Differenzen ist; eines Rassismus, der – jedenfalls auf den ersten Blick – nicht mehr die Überlegenheit bestimmter Gruppen oder Völker über andere postuliert, sondern sich darauf ‚beschränkt‘, die Schädlichkeit jeder Grenzverwischung und die Unvereinbarkeit der Lebensweisen und Traditionen zu behaupten. Diese Art von Rassismus ist zu Recht als ein differentialistischer Rassismus bezeichnet worden.“40 Zwar unterstreicht Balibar, dass der Zusammenhang von Rassismus und Nationalismus nicht mit den klassischen Kausalitätsschemata entschlüsselt werden kann, doch konstatiert er eine wechselseitige Determination. Diese manifestiere sich in der Art und Weise, wie in den Nationalismen des 19. und 20. Jahrhunderts die Herrschaft einer fiktiv geeinten Nationalität über eine hierarchisierte Vielfalt von zur Assimilation verurteilten ethnischen „Minderheiten“ und Kulturen widergespiegelt werde.41 Rassismus gehe fortwährend aus dem Nationalismus hervor und richte sich nicht nur nach außen, sondern auch nach innen.42 In Bezug auf Migrationsbewegungen und die Präsenz von immigrierten Arbeitern diagnostiziert Balibar in Europa eine „institutionelle Diskriminierung, die in den Beschäftigungsstrukturen liegt, in der systematischen Ausnutzung eines Mechanismus der differentiellen Reproduktion der Arbeitskraft durch den Kapitalismus“43. Anknüpfend an die Terminologie Immanuel Wallersteins lokalisiert Balibar hier „die strukturelle Basis für einen Prozeß der Ethnisierung der Hierarchien und Ungleichheiten innerhalb der globalen ‚Arbeitskraft’“.44 Wallerstein legt dar, dass die Behauptung einer universellen Gleichheit in modernen kapitalistischen Gesellschaften die Machtstrukturen und historischen Zusammenhänge leugnet. Tatsächlich zeige sich in der heutigen Leistungsgesellschaft die Flexibilität des Rassismus besonders deutlich. Das zeigt, dass auch Menschen, die vermeintlich einer gesellschaftlich hegemonialen Gruppe angehören, zum Objekt rassistischer Diskriminierung werden können: „Einige Gruppen sind in der hierarchischen Ordnung nicht auf einen bestimmten Rang fi-

40 Balibar: Gibt es einen „Neo-Rassismus“?, S. 28. Der Term „differentialistischer Rassismus“ verweist auf Pierre-André Taguieff und wird im zweiten Kapitel Gegenstand vertiefender Analyse sein. 41 Balibar, Etienne: Rassismus und Nationalismus, in: Balibar, Etienne; Wallerstein, Immanuel: Rasse, Klasse, Nation. Ambivalente Identitäten, Hamburg 1990, S. 64, 67. 42 Balibar: Rassismus und Nationalismus, S. 68. 43 Balibar, Etienne: „Es gibt keinen Staat in Europa“. Rassismus und Politik im heutigen Europa, in: Räthzel (Hrsg.): Theorien über Rassismus, S. 113. (Hervorhebung im Original) 44 Balibar: „Es gibt keinen Staat in Europa“, S. 113. (Hervorhebung im Original)

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xiert; einige Gruppen können verschwinden oder sich mit anderen zusammenschließen; andere wiederum brechen auseinander und es entstehen neue Formationen. Doch es gibt immer einige, die die ‚Nigger‘ sind. Wenn es keine Schwarzen gibt, oder zu wenige, die die Rolle übernehmen könnten, dann werden eben ‚weiße Nigger‘ erfunden.“45 Diesen flexiblen Rassismus beschreibt Wallerstein als „äußerst leistungsfähig“, da bereits Kinder in entsprechenden Sozialisationsinstanzen auf die Übernahme entsprechender Rollen vorbereitet werden. Allerdings rufe diese Sozialisation auch „widerständige Haltungen“ hervor, auf die an anderer Stelle genauer eingegangen werden wird.46 Balibar und Wallerstein legen dar, welche Funktionen Rassismus für die Reproduktion und Absicherung von Herrschaftsverhältnissen und deren Verankerung im ökonomischen und politischen System unserer Gegenwartsgesellschaften hat.

W EITERENTWICKLUNG

DER

R ASSISMUSTHEORIEN

Die genannten Autoren sind Teil einer europäischen Rassismusforschung, die sich durch die Untersuchung des Rassismus gegenüber Migranten und der Reproduktion rassistischer Ideologien in politischen Diskursen entwickelte. Der deutsche Beitrag bestand darin, anknüpfend an den englisch- und französischsprachigen Diskurs, den Begriff „Rassismus“ für die gesellschaftlichen Prozesse in der Bundesrepublik nutzbar zu machen. Das bedeutete, die Bezeichnung Rassismus, die – wie bereits erwähnt – zuvor exklusiv für Taten und Überzeugungen reserviert war, deren Grundlage das Konzept „Rasse“ war, erstmals auf aktuelle Phänomene in der bundesdeutschen Einwanderungsgesellschaft anzuwenden. Nora Räthzels und Annita Kalpakas wegweisende Untersuchung „Wirkungsweisen von Rassismus und Ethnozentrismus“ muss als Pionierarbeit für die deutsche Rassismusforschung bezeichnet werden.47 Unter Bezugnahme auf Miles und Hall erklären die Autorinnen Rassismus als einen gesellschaftlichen Konstruktionsprozess. Besonders bemerkenswert für den hiesigen Diskurs erscheint mir der längst überfällige und inzwischen vollzogene Perspektivwechsel, der in anderen europäischen Ländern bereits vor geraumer Zeit vorgenommen worden war: Statt

45 Wallerstein, Immanuel: Ideologische Spannungsverhältnisse im Kapitalismus: Universalismus vs. Sexismus und Rassismus, in: Balibar, Etienne; Wallerstein, Immanuel: Rasse, Klasse, Nation, Berlin 1992, S. 45. 46 Wallerstein: Ideologische Spannungsverhältnisse im Kapitalismus, S. 45, 46. 47 Das Buch, in dem dieser Text erscheint, trägt den Titel „Die Schwierigkeit, nicht rassistisch zu sein“ und enthält außerdem einen Beitrag des britischen Rassismusforschers Philip Cohen, auf den an späterer Stelle eingegangen wird.

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die Migranten als ursächliches Problem zu behandeln, werden jetzt die rassistischen Ausschließungspraxen der deutschen Gesellschaft offen gelegt.48 Das Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung folgt seit Beginn der 1990er-Jahre einem diskursanalytischen Ansatz zur Untersuchung des Rassismus. Von einem ähnlichen Rassismusbegriff wie Kalpaka und Räthzel ausgehend, nähert sich Siegfried Jäger alltagsrassistischen Diskursen und betont – unter Berufung auf das Konzept des niederländischen Linguisten und Rassismusforschers Teun A. van Dijk –, dass Rassismus in erster Linie kein individuelles, sondern ein gesellschaftliches Problem darstellt.49 Er bezweifelt, dass ein offen genetisch-biologistischer Rassismus – entgegen Halls Annahme – weitestgehend zugunsten eines kulturalistischen Rassismus aufgegeben wurde. Vielmehr hebt Jäger die biologistische Markierung von Migranten hervor, die nicht nur im Alltagsdiskurs, sondern auch bei rassistisch argumentierenden Medien nach wie vor eine Rolle spielt.50 Jägers Einwand kann durchaus von Bedeutung für die Untersuchung antirassistischer Praxen sein. Denn auch wenn die wissenschaftliche Legitimation derjenigen Argumentation, die den ideologischen Charakter biologisch begründeter Konzepte aufdeckt, meiner Meinung nach zweifellos gegeben ist, so ist doch der Umstand zu beklagen, dass sie sich auf den akademischen Diskurs beschränkt – und selbst hier bei Weitem keinen Konsens darstellt. Der Biologie wird jedoch generell im gesellschaftlichen, politischen und auch wissenschaftlichen Mainstream eine zunehmend größere Bedeutung beigemessen. Es wird also der Frage nachzugehen sein, inwiefern im Forschungsfeld die Bereitschaft anzutreffen ist, biologistische Argumente zu verwenden oder als legitim zu erachten. Die vielversprechenden Ansätze der deutschen Rassismusforschung von vor nunmehr fast zwei Jahrzehnten führten bislang keineswegs zu einer wirkungsvollen rassismustheoretischen Weiterentwicklung. Besonders kritisch ist die Entwertung des nationalen und ökonomischen Kontextes zu sehen, während nun ein diskurstheoretisch orientierter Blick auf den Rassismus vorherrscht.51 Der Forschung zum ins-

48 Kalpaka; Räthzel (Hrsg.): Die Schwierigkeit, nicht rassistisch zu sein, S. 18, 45 ff. 49 Jäger, Siegfried: BrandSätze. Rassismus im Alltag, Duisburg 1996, S. 18. 50 Siegfried Jäger verwirft eine Unterscheidung von genetischem und kulturellem Rassismus, „weil für die meisten Menschen in unserer Gesellschaft das Soziale ohnedies naturalisiert ist und insofern alles Soziale und Kulturelle biologistisch-natürlich gesehen wird (z.B. der Staat als organisch)“ (Hervorhebung im Original). Jäger: BrandSätze, S. 221. 51 Jüngere Beispiele für eine diskursanalytische Analyse sind: Reisigl, Marin; Wodak, Ruth: Discourse and Discrimination. Rhetorics of Racism and Antisemitism, London, New York 2001; Morgenstern, Christine: Rassismus. Konturen einer Ideologie, Hamburg 2002; Paul, Jobst: Das [Tier]-Konstrukt und die Geburt des Rassismus. Zur kulturellen Gegenwart eines vernichtenden Arguments (Edition Diss, Band 2), Münster 2004.

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titutionellen Rassismus wünscht man vor diesem Hintergrund eine Konjunktur. Mit diesem Begriff verschiebt sich laut Ute Osterkamp „die Suche nach rassistischen Dispositionen der Individuen auf die Frage nach gesellschaftlich organisierten bzw. institutionalisierten Diskriminierungen bestimmter Menschengruppen, so daß sich die einzelnen in Anpassung an die bestehenden Normen oder Anforderungen an diesen Diskriminierungen beteiligen, ohne sich unbedingt dessen bewußt zu sein oder dies zu beabsichtigen“.52 In dem 2002 herausgegebenen Sammelband „Leben unter Vorbehalt. Institutioneller Rassismus in Deutschland“ werden Asylrecht, Einwanderungspolitik und rassistische Ausgrenzungspraxen gegenüber Immigranten untersucht.53 Eine Vertiefung der Forschung zum institutionellen Rassismus ist auch deswegen wünschenswert, weil sie eine Öffnung der Debatte über die Einwanderungsthematik hinaus ermöglichen könnte. Von den jüngeren deutschsprachigen Erscheinungen54 möchte ich im Folgenden jene von Anja Weiß sowie Mark Terkessidis hervorheben, weil sie neuen Schwung in die Konzeptionalisierung des Rassismus bringen. Anja Weiß kreiert in „Rassismus wider Willen“ ein eigenständiges Modell des Rassismus. Sie untersucht die nicht-intentionale Reproduktion von Rassismus durch „antirassistisch engagierte MultiplikatorInnen“55 und entwickelt in enger Anlehnung an Pierre Bourdieu „eine Theorie des Rassismus als symbolisch reproduzierter Dimension sozialer Ungleich-

52 Osterkamp, Ute: Institutioneller Rassismus. Problematiken und Perspektiven, in: Dies.: Rassismus als Selbstentmächtigung, Hamburg 1996, S. 201. 53 Jäger, Margarete; Kauffmann, Heiko (Hrsg.): Leben unter Vorbehalt. Institutioneller Rassismus in Deutschland, Duisburg 2002. 54 Zu nennen sind auch: Priester, Karin: Rassismus. Eine Sozialgeschichte, Leipzig 2003; Hund, Wulf D.: Negative Vergesellschaftung. Dimensionen der Rassismusanalyse, Münster 2006; Ders.: Rassismus, Bielefeld 2007. Scherschel, Karin: Rassismus als flexible symbolische Ressource. Eine Studie über rassistische Argumentationsfiguren, Bielefeld 2006; Geulen, Christian: Geschichte des Rassismus, München 2007. Die europäische Kulturanthropologie beteiligt sich nun ebenfalls an der Erforschung des Rassismus. Peter Hervik führt u. a. Franz Boas’ kulturrelativistische Studien als Grund für ein bisheriges Ausbleiben dieses Forschungsbemühens an. Hervik, Peter: Anthropological Perspectives on the New Racism in Europe, in: Ethnos 69 (2004) Heft 2, S. 149. 55 So liest es sich im Titel der Promotionsschrift in Soziologie „Rassistische Effekte unter antirassistisch engagierten MultiplikatorInnen. Zur interaktiven Reproduktion einer symbolisch vermittelten Dimension sozialer Ungleichheit“, die später mit dem griffigeren Titel „Rassismus wider Willen. Ein anderer Blick auf eine Struktur sozialer Ungleichheit“ veröffentlich wurde.

1. K RITIK DER B EGRIFFE

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heit“.56 Für die vorliegende Arbeit ist die Herangehensweise von Weiß deswegen besonders bedeutsam, weil hier vom Antirassismus auf den Rassismus geschlossen wird. Auf diese Umkehr der Perspektive werde ich an anderer Stelle zurückkommen. Mark Terkessidis, wie Weiß Diplom-Psychologe, steuert bereits seit den 1990er-Jahren Überlegungen zur hiesigen Rassismusdiskussion bei, wobei er Rassismus als historisch gewachsenen gesellschaftlichen Wissensbestand – als „rassistisches Wissen“ – analysiert.57 Bereits in „Psychologie des Rassismus“ bietet Terkessidis in Anlehnung als auch Abgrenzung zu Miles eine eigenständige Rassismusdefinition an, die er 2004 in seiner unter dem Titel „Die Banalität des Rassismus“ erschienenen Promotionsschrift wieder aufgreift.58 Auf einer weit gefassten Definition des Rassismusbegriffs basierend, will er Rassismus nicht als Ideologie, sondern als Apparat begriffen wissen, zu dem drei Komponenten gehören: die Rassifizierung, die Ausgrenzungspraxis und die differenzierende Macht.59 Neben diesen neuen Anstößen für die Konzeptualisierung des Rassismus gestaltet sich der Einzug der Critical Whiteness Studies in deutschen Geistes- und Sozialwissenschaften besonders vielversprechend. Diese ursprünglich aus dem angloamerikanischen Raum stammende Forschungsrichtung untersucht die Macht und Dauerhaftigkeit eines strukturellen Rassismus, stellt das Konzept von Weißsein infrage und könnte der hiesigen Forschung weiterhin wichtige Impulse geben.60 Der

56 Weiß: Rassismus wider Willen, S. 53. Auch Scherschel orientiert sich stark am Theoriegebäude Bourdieus, wenn sie Rassismus als „flexible symbolische Ressource“ und als „habitualisierte Wahrnehmungsoption“ konzeptualisiert. Scherschel: Rassismus als flexible symbolische Ressource, S. 225. 57 Terkessidis: Psychologie des Rassismus, S. 11. Dieses rassistische Wissen sieht Terkessidis eng verknüpft mit einem institutionellen Komplex bestehend „aus der jeweiligen historischen Formation der Arbeitsteilung, (National)Staat und hegemonialer Kultur“, der soziale Ungleichheit reproduziert. Ebd., S. 12. 58 Diese Promotion erfolgte im Fach Pädagogik zum Thema „Das Wissen über Rassismus in der Zweiten Migrantengeneration“. 59 Terkessidis: Banalität des Rassismus, S. 98. 60 Eggers, Maureen Maisha; Kilomba, Grada; Piesche, Peggy; Arndt, Susan (Hrsg.): Mythen, Masken und Subjekte. Kritische Weißseinsforschung in Deutschland, Münster 2005; Bosch, Mineke; Hacker, Hanna (Hrsg.): Whiteness, in: L’Homme. Zeitschrift für feministische Geschichtswissenschaften 16 (2005) 2; Wollrad, Eske: Weißsein im Widerspruch. Feministische

Perspektiven

auf

Rassismus,

Kultur

und

Religion,

Königstein/

Taunus 2005; Tißberger, Martina; Dietze, Gabriele; Hrzán, Daniela; Husmann-Kastein, Jana (Hrsg.): Weiß – Weißsein – Whiteness. Kritische Studien zu Gender und Rassismus. Critical Studies on Gender and Racism, Frankfurt a. M. 2006.

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Normalisierungsprozess von Weißsein, in dem stets die nicht-weißen Anderen zum Objekt einer Rassenkonstruktion gemacht werden, wird nachvollzogen. So kann aufgezeigt werden, dass die Existenz von Nicht-Weißen mitnichten eine Vorbedingung von Rassismus ist, sondern dass vielmehr die Präsenz einer sich als weiß definierenden Bevölkerung Rassismus produziert. So wird eine als antirassistisch begriffene „Farbenblindheit“, die die Negierung von pseudo-natürlichen Unterschieden zur gangbaren Strategie erhebt, als „tatsächlich kontraproduktiv“ enttarnt.61 Der weiße Rassismusforschende muss den rassistischen Kollektivismus, der auf der Grundlage eines weißen gesellschaftlichen Konsens’ als verbindliche Praxis existiert, berücksichtigen und Weißsein als gesellschaftliche Dominanzposition kritisch reflektieren. Wie im vierten Kapitel ausgeführt wird, ist die rassistische Diskriminierung von Iren seit einigen Jahren in den Fokus rassismustheoretischer Überlegungen gelangt. Die irische Geschichte führt nicht nur die von Stuart Hall betonte historische Spezifität des Rassismus vor Augen, sondern unterstreicht die Unsinnigkeit, Rassismus mit sogenannten phänotypischen „Rassenmerkmalen“ – wie der Hautfarbe – erklären zu wollen. Die Untersuchung der irischen Erfahrung lässt Theodore W. Allen schlussfolgern: „Legt man bei der ‚rassistischen Unterdrückung‘ die Betonung auf das Substantiv und begreift es als das entscheidende Element, lassen sich die Widersprüche und der ungeheuerliche Unsinn vermeiden, die sich aus Versuchen ergeben, Genetik und Soziologie zusammenzubringen.“62 Für die Zukunft der Rassismusforschung bedeutsam erscheint mir außerdem die Auseinandersetzung mit dem auf Michel Foucault zurückzuführenden Begriff der „Biopolitik“, der bezeichnenderweise heute auch außerhalb des wissenschaftlichen Diskurses immer häufiger unkritische Verwendung findet.63 In dem Sammelband „Biopolitik und Rassismus“ finden sich Texte, die neue Formen und die Existenz

61 El-Tayeb, Fatima: Vorwort, in: Eggers, Maureen Maisha; Kilomba, Grada; Piesche, Peggy; Arndt, Susan (Hrsg.): Mythen, Masken und Subjekte. Kritische Weißseinsforschung in Deutschland, Münster 2005, S. 8. 62 Allen, Theodore W.: Die Erfindung der weißen Rasse. Rassistische Unterdrückung und soziale Kontrolle, Band 1, Berlin 1998, S. 26. 63 Im Zusammenhang mit der Sozialhygiene des Gesellschaftskörpers prägte Foucault einen Rassismusbegriff der „auch das aktuelle Begehren hinter der Präimplantations- und der pränatalen Diagnostik, geistig oder körperlich behinderte Kinder gar nicht erst zur Welt kommen zu lassen, in ein grelles Licht rückt: ‚Was ist der Rassismus letztendlich? Zunächst ein Mittel, um in diesen Bereich des Lebens, den die Macht in Beschlag genommen hat, eine Zäsur einzuführen: die Zäsur zwischen dem, was leben soll, und dem, was sterben muß.‘“ Stingelin, Martin: Einleitung: Biopolitik und Rassismus. Was leben soll und was sterben muß, in: Ders. (Hrsg.): Biopolitik und Rassismus, Frankfurt a. M. 2003, S. 18-19.

1. K RITIK DER B EGRIFFE

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von Rassismus in bisher unbekannter Gestalt konstatieren und analysieren.64 Wie wichtig die Auseinandersetzung mit diesen neuen Artikulationsformen für die Konzeption des Antirassismus ist, wird im zweiten Kapitel verdeutlicht. In der internationalen Rassismusforschung weisen jüngste Bemühungen auf die Entwicklung einer transnationalen Perspektive auf das globale Phänomen Rassismus hin. Nicht nur die bereits erwähnte Konferenz in St. Petersburg trug diesen Anspruch im Titel, auch die im Juli 2007 an der Universität Heidelberg veranstaltete Tagung Global Dimensions of Racism in the Modern World: Comparative and Transnational Perpectives schmückte sich mit ihm. Ähnlich wie in St. Petersburg stellten die Verwendung und Definition des Rassismusbegriffs in Heidelberg ein Problem dar: Many conference participants were skeptical as to whether one definition of race or racism could be found, since there were so many different exclusionary ideologies and practices in world history related to ideas of race. [...] Indeed, as was pointed out by several conference participants, many racialized practices were never named racist, yet they were based on racialized worldviews. [...] The discussion demonstrated that historians frequently lack an adequate vocabulary to describe various forms of group hatred.

65

Hier zeigt sich, dass eine weit gefasste Rassismusdefinition wie sie u. a. von Colette Guillaumin favorisiert wird, die neben der biologistischen Markierung einer bestimmten Gruppe die Bedeutung von sozialer, symbolischer und geistiger sowie imaginärer Markierung unterstreicht, sich nicht nachhaltig im Wissenschaftsdiskurs durchsetzen konnte.66 Stattdessen wird – zumindest in einigen wissenschaftlichen Zusammenhängen – immer noch darüber debattiert, ob der Rassismusbegriff ausschließlich auf Ideologien und Praxen angewandt werden soll, die von der Existenz biologischer Unterschiede zwischen hierarchisierten Menschengruppen ausgehen, oder ob er darüber hinaus exklusive Konzepte kultureller Differenz kennzeichnen soll.67 Rassismus ist vielgestaltig und flexibel. Rassismus hat nicht nur eine Ursache. Rassismus ist gleichermaßen eine ideologische Konstruktion wie eine soziale Reali-

64 Zur Bedeutung der Foucaultschen Schriften für die Rassismusdiskussion vgl. Magiros, Angelika: Foucaults Beitrag zur Rassismustheorie (Argument Sonderband, NF; AS 233), Hamburg 1995; Dies.: Kritik der Identität. „Bio-Macht“ und „Dialektik der Aufklärung“ – Werkzeuge gegen Fremdenabwehr und (Neo-) Rassismus (Edition DISS, Bd. 5), Münster 2004. 65 http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=1672 (01.12.2009) 66 Guillaumin, Colette: RASSE. Das Wort und die Vorstellung, in: Bielefeld, Uli (Hrsg.): Das Eigene und das Fremde. Neuer Rassismus in der Alten Welt?, Hamburg 1998, S. 167. 67 http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=1672 (01.12.2009)

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tät. Wenn ich mich im Rahmen meiner Forschung mit dem Gegenstand befasse, den ich Rassismus nenne, dann betrachte ich einerseits Rassismus als lediglich eine Spielart konstruierter Ungleichheit unter vielen. Andererseits ist Rassismus eine spezifische Form von Exklusion und Inklusion, deren historischer Spezifität ich besonderes Augenmerk schenke. Begriffe wie „Ausländerfeindlichkeit“ oder „Xenophobie“ sind nicht nur wissenschaftlich unpräzise, sondern auch insofern hochgradig ideologisch, da sie die historische Kontinuität von Rassismus negieren. Diese Geschichtsvergessenheit sorgt nicht nur in Europa für hausgemachte Ratlosigkeit und strategische Fehlentscheidungen im Umgang mit Rassismus und trägt darüber hinaus zu dessen Virulenz bei. In Deutschland muss demzufolge gegen das Kappen der Verbindungslinien zum Antisemitismus, zum Antislawismus sowie zum kolonialen Erbe gearbeitet werden, in Irland gegen das Kappen der Verbindungslinien zur Beteiligung am britischen Imperialismus, zu einem Antisemitismus katholischer Prägung und zum Anti-Traveller-Rassimus. Ich sehe die vorliegende Studie in der größer werdenden Gesellschaft jüngerer Publikationen, die das „Tabu des Wortgebrauchs“68 brechen und einen weit gefassten Rassismusbegriff verwenden. Dem liegt ein wissenschaftliches Verständnis zugrunde, welches Rassismus nicht nur als einen gesellschaftlichen Prozess begreift, der Fremde diskriminiert, sondern auch als Machtverhältnis, dem alle Menschen ausgesetzt sind und an dem alle Menschen mitwirken. Bei aller gerechtfertigter Kritik am Rassismusbegriff und allen noch offenen konzeptionellen Fragen habe ich ihn bewusst als Ausgangspunkt meiner Studie gewählt, da ich der Überzeugung bin, dass Rassismus für meine wissenschaftlichen Zwecke der richtige Begriff ist. Dies hat primär den Grund, dass einzig der Rassismusbegriff der historischen Dimension meines Untersuchungsgegenstandes gerecht wird. Auf die Ausgangsfrage zurückkommend, ob es heute das größere Tabu ist, von „Rassen“ oder von Rassismus zu sprechen, kann festgestellt werden, dass die Tatsache der Nichtexistenz menschlicher „Rassen“ für die Existenz von Rassismus völlig unerheblich ist. Der Begriff „Rasse“ genügt keinem wissenschaftlichen Anspruch. Der Begriff „Rassismus“ hingegen sollte gewinnbringend zur Erforschung von gesellschaftlichen Inklusions- und Exklusionsprozessen angewandt werden.

68 Bielefeld: Das Eigene und das Fremde, S. 19.

2. Antirassismus: Theoretisch

„Mama, ich will kein Fahrlehrer werden. Nie und nimmer. Das ist ein ganz schrecklicher Beruf, Mama.“ „Junge, lass das bloß nie Papa hören! Und wieso denn überhaupt? Was ist denn so schrecklich daran, anderen Menschen alles Nötige für den Straßenverkehr in Deutschland beizubringen? Denk doch nur an die ganzen Ausländer. Du magst doch Ausländer, Junge.“ „Mama, was hat das denn damit zu tun? Es geht doch nicht um Antirassismus, sondern darum, dass ich kein Fahrlehrer sein will. Dann wäre alles vorbei, da kommt nichts mehr.“ ROCKO SCHAMONI: STERNSTUNDEN DER BEDEUTUNGSLOSIGKEIT, 2007

Was ist Antirassismus? Muss man Ausländer mögen, um Antirassist zu sein? Ist Antirassismus vulgär? – Sobald man anfängt, Antworten auf diese Fragen in der Fachliteratur zu suchen, stellt man fest, dass Antirassismus einen üblen Leumund hat. Wird er überhaupt für würdig genug befunden, zum Gegenstand einer wissenschaftlichen Untersuchung gemacht zu werden, bemüht man düster klingende Formulierungen. Die Rede ist von der „Falle des Antirassismus“1, den „Fallstricken des Antirassismus“2 oder der „Krise des Antirassismus“3. Auf Französisch wird die

1

Reemtsma, Jan Philipp: Die Falle des Antirassismus, in: Bielefeld (Hrsg.): Das Eigene und das Fremde, S. 269-282.

2

Haug, Wolfgang Fritz: Zur Dialektik des Anti-Rassismus. Erkundungen auf einem Feld voller Fallstricke, in: Das Argument. Zeitschrift für Philosophie und Sozialwissenschaften 191 (1992), S. 27-52; Müller, Jost: Rassismus und die Fallstricke des gewöhnlichen Anti-

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„Misère de l’antiracisme“4 beklagt und auf Englisch „The end of antiracism“5 proklamiert. In einem Beitrag aus dem Jahr 1993 geht Wolfgang Kowalsky sogar so weit, Antirassismus als „philisterhafte Scheinheiligkeit, ähnlich dem Philosemitismus im Nachkriegsdeutschland“ zu denunzieren.6 Bevor ich jedoch auf die besondere Entwicklung der hiesigen Antirassismusdiskussion eingehe, möchte ich wie im ersten Abschnitt dieses Kapitels theoretische Ansätze aus Großbritannien und Frankreich vorstellen. Die bislang nur schmale Basis wissenschaftlicher Literatur zum Thema macht sowohl diesen Blick über den deutschen Tellerrand als auch auf Forschungsansätze aus unterschiedlichen Disziplinen wie z. B. der interkulturellen Pädagogik, der kritischen Psychologie oder den British Studies notwendig. Wie Sebastian Berg in seiner Studie über Antirassismus in der Labour Partei bemerkt, symbolisierte im Großbritannien der 1970er- und 1980er-Jahre die Verwendung des Antirassismusbegriffs eine kritische Distanz zu patronisierendem Verhalten und zu der einseitigen Einforderung von Anpassungsleistungen der Migranten.7 Ziel antirassistischer Bemühungen war es, nicht mehr die Migranten zum primären Objekt politischer Intervention zu machen, sondern die weiße britische Mehrheitsgesellschaft samt ihrer Institutionen und Ausschließungspraxen. Abgesehen von dieser generellen Ausrichtung blieb der Antirassismusbegriff jedoch vage, weil seine theoretische und konzeptionelle Untermauerung bruchstückhaft war. Ich

rassismus, in: Redaktion diskus (Hrsg.): Die freundliche Zivilgesellschaft. Rassismus und Nationalismus in Deutschland, Berlin 1992, S. 25-44. 3

Bielefeld, Ulrich: Selbstverständnis und Rassismus. Die Krise des Antirassismus als Krise seiner Theorie und Praxis, in: Baringhorst, Sigrid; Jansen, Mechthild M. (Hrsg.): Politik der Multikultur. Vergleichende Perspektiven zur Einwanderung und Integration, Baden-Baden 1994, S. 47-74; Taguieff, Pierre-André: Die ideologischen Metamorphosen des Rassismus und die Krise des Antirassismus, in: Bielefeld (Hrsg.): Das Eigene und das Fremde, S. 221310.

4

Gallissot, René: Misère de l’antiracisme. Racisme et identité nationale: le défi de l’immigration, Paris 1985.

5

Gilroy, Paul: The End of Antiracism, in: James, Donald; Rattansi, Ali (Hrsg.): ‘Race‘, Culture and Difference, London, Newbury Park/California, New Delhi 1992, S. 49-61.

6

Kowalsky, Wolfgang: Rechtsextremismus und Anti-Rechtsextremismus in der modernen Industriegesellschaft, in: Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament, B 2-3/93, 8. Januar 1993, S. 22.

7

Berg, Sebastian: Antirassismus in der britischen Labour Party. Konzepte und Kontroversen in den achtziger Jahren (Bremer Beiträge zur Literatur- und Ideengeschichte, Band 32), Frankfurt a. M. 2000. Berg positioniert seine Arbeit zwischen Rassismus- und Parteienforschung, Sozial- und Politikanalyse als British-Studies-Beitrag. S. 20.

2. A NTIRASSISMUS: THEORETISCH

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schließe mich Bergs Meinung an, dass die Rassismusforschung nur am Rande Überlegungen zum Antirassismus und seinen möglichen Strategien anstellte, was offenbar an ihrer Annahme lag, eine rigorose und theoretisch fundierte Konzeptualisierung ihrer Ergebnisse würde quasi automatisch politische (also antirassistische) Handlungsperspektiven eröffnen. Für Berg ist die politische Intention dieser Forschungsansätze kaum expliziert, und er bemängelt, dass „nur indirekte Aussagen über Strategien gegen Rassismus“ getroffen worden seien.8 Tatsächlich enthalten Schlüsseltexte der Rassismusforschung jedoch durchaus explizite Aussagen nicht nur über Strategien gegen Rassismus, sondern auch über Auftrag und Wesen des Antirassismus. Die Qualität und Stoßrichtung dieser Aussagen können besonders vor dem Hintergrund der deutschen Antirassismusdiskussion, auf die im nächsten Abschnitt eingegangen wird, gar nicht genug hervorgehoben werden. So bemerkt Hall: „Antirassismus stellt sich also nicht mit Notwendigkeit ein, sondern es gibt ihn immer nur, soweit er politisch hergestellt wird. Wenn man in einer Gesellschaft ohne antirassistische Politik lebt, ist man dazu verurteilt, in einer rassistischen Gesellschaft zu leben, und weder irgendein ehernes historisches Gesetz noch der letzte Flug der Eule der Minerva wird uns davor bewahren.“9 Miles formuliert als Konsequenz seiner Rassismusanalyse einen möglichen Auftrag des Antirassismus folgendermaßen: „Insofern der Rassismus ein aktiver Versuch ist, eine spezifische Verbindung ökonomischer und politischer Beziehungen zu verstehen, diese Beziehungen daher seine Ursache sind, sollten Strategien zur Bekämpfung von Rassismus sich weniger ausschließlich darauf konzentrieren, diejenigen, die rassistisch argumentieren, davon zu überzeugen, daß sie ‚Unrecht‘ haben, sondern mehr darauf, diese spezifischen Verhältnisse zu verändern.“10 Es kommt also nicht darauf an, Rassisten zu bekämpfen, sondern stattdessen diejenigen gesellschaftlichen Verhältnisse, die Rassismus reproduzieren, in den Fokus des Antirassismus zu rücken. Miles unterstreicht, dass eine wirksame antirassistische Strategie nicht auf die individuelle Ebene abzielen darf, sondern dass sie dem umfassenden komplexen sozialen Phänomen Rassismus und seiner institutionellen Ausprägung gerecht werden muss. So richtungweisend diese Statements auch sind, sie blieben unzureichend ausformuliert. Ein zentraler Vorwurf an den Antirassismus ist bist heute seine angebliche Angewiesenheit – begrifflich, ideologisch, taktisch – auf den Rassismus. Wer sich als Antirassist vorwiegend mit Rassismus befasse, der beschäftige sich „zwar ‚mit anderen Vorzeichen‘, aber letztlich doch nur mit dem Bild, das der Rassist von

8

Berg: Antirassismus in der britischen Labour Party, S. 30.

9

Hall: Rassismus als ideologischer Diskurs, S. 9.

10 Miles: Bedeutungskonstitution, S. 26.

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sich und der Geschichte entwirft“.11 Darüber hinaus wurde Antirassismus weniger als politische Interventionsstrategie, sondern vielmehr als moralisches Anliegen wahrgenommen. Tatsächlich lässt sich ein emanzipatorischer Antirassismus nicht auf eine Opposition gegen Rassismus reduzieren. Für viele Antirassisten stellt er eine komplexe politische Strategie dar, die die Existenz rassistischer Strukturen, in denen wir uns alle bewegen, anerkennt und deren Ziel es ist, mit einer progressiven und egalitären Haltung für eine gerechte Gesellschaft zu kämpfen. Antirassismus kann als Instrument zur Berichtigung falscher Konstruktionen des Anderen eingesetzt werden. Antirassismus ist nicht nur eine Konsequenz, die Antirassisten auf der Grundlage unterschiedlicher Lebenserfahrungen und der Abwägung politischer Alternativen ziehen, sondern ein handlungsfähiges politisches Projekt. Selbst in Großbritannien, wo die Antirassismusdiskussion bereits wesentlich früher als in der Bundesrepublik einsetzte, steht das mangelnde Forschungsinteresse am Antirassismus in der Kritik: „[T]his is an issue on which there is little research, either on historical trends or contemporary processes. It is largely as a result of the lack of research that much of the public discussion about anti-racism remains at the level of rhetoric and abstract generalisations. Without a detailed analysis of the role of anti-racism in contemporary societies, however, we shall not be able to understand the changing dynamics of racial ideologies and political mobilisations or the possibilities for defeating racist movements.“12

D ER R ETORSIONSEFFEKT DES DIFFERENZIALISTISCHEN R ASSISMUS Ein Blick auf die sozialwissenschaftliche Forschung seit Ende der 1980er-Jahre zeigt, dass in erster Linie der Frage nachgegangen wurde, was unter Antirassismus vor dem Hintergrund eines bestimmten politischen Umfeldes eigentlich zu verstehen sei und welche Strategien er entwickeln muss, um politisch wirksam zu werden. Der Terminus differenzialistischer Rassismus, der auf den Philosophen PierreAndré Taguieff zurückgeht, stellt für die britische wie die französische Forschung einen zentralen Ausgangspunkt dar. Statt angeblich isolierbare biologische Einheiten zu thematisieren, behauptet dieser Rassismus die Unabänderlichkeit kultureller Differenz. Diese neuartige Artikulation zieht folgenschwere politische Konsequenzen nach sich, die für den traditionellen Antirassismus, der humanistisch und kosmopolitisch ausgerichtet war, eine Erschütterung seiner Abwehrmechanismen be-

11 Reemtsma: Die Falle des Antirassismus, S. 281. 12 Solomos, John; Back, Les: Racism and Society, Basingstoke 1996, S. 103.

2. A NTIRASSISMUS: THEORETISCH

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deutete. Die Umstülpung seiner eigenen Argumentation, die gegen ihn selbst gewendet wird, bezeichnet Taguieff als „Retorsionseffekt“ des differenzialistischen Rassismus.13 Diesem liege ein anthropologischer Kulturalismus zugrunde, der sich ausschließlich an der Anerkennung der Unterschiedlichkeit und Gleichwertigkeit der Kulturen orientiert. Der differenzialistische Rassismus und Vertreter der neuen Rechten nehmen diese Argumentation wörtlich und pochen ihrerseits auf das Recht auf Differenz, das von ihnen allerdings als kollektiv-ethnische Differenz, die ihren Ausdruck in der Nation finde, gedacht wird. Im Überfremdungsdiskurs zahlreicher europäischer Länder findet dieser Glaube seinen Niederschlag, wenn Integration als ausländerfeindlich bezeichnet und der Schutz der eigenen wie der fremden kulturellen und nationalen Identität eingefordert wird. Die neue Rechte versucht auf diese Weise, ihren Rassismus als „authentischen Antirassismus, voller Respekt für alle Gruppenidentitäten“ in der politischen Bekämpfung des Antirassismus zu platzieren.14 So bewegt sie sich geschickt im Windschatten des sogenannten Neorassismus, der als differenzieller oder kulturalistischer Rassismus Konzepte einer genetischen Disposition der Angst vor dem Fremden, einer angeborenen Xenophobie und einer statisch gefassten kulturellen Differenz propagiert. Damit einher gehen biopolitische Aspirationen und Konzepte für die Felder Ausländer- und Bevölkerungspolitik, aber auch Gesundheits-, Familien- und Sozialpolitik. Sozialdarwinistische und degenerationstheoretische Ideen sollen das Fundament für eine Neugestaltung gesellschaftlicher Praxis bilden. Die neue Rechte hat sich in ihrem taktischen Vorgehen vordergründig von den alten Rassentheorien à la Gobineau ebenso verabschiedet wie von der nationalsozialistischen Rassenlehre. Ein „kommemorativer Antirassismus“, der vorwiegend gegen den Nazismus gerichtet ist, kann dieser Argumentation wenig entgegenhalten, zumal er ein ähnliches Vokabular verwendet und die eigene Verstrickung in die Modernisierung des Rassismus ignoriert. 15 Taguieff attestiert dem Antirassismus eine grundlegende konzeptionelle Schwäche, die in seinem Unvermögen begründet liege, auf die Veränderungen des Rassismus sowie seiner Artikulations- und Praxisformen angemessen zu reagieren. Mit seiner Behauptung „Jeder Rassismus hat seinen eigenen Antirassismus“16 spricht er Letzterem jede Fähigkeit ab, aus sich selbst heraus positive Ideen und Werte zu entwickeln – ein Vorwurf, den Taguieff an den „wissenschaftlichen Antirassismus“ wie an die antirassistischen Intellektuellen richtet. Weil dem heterophoben Rassismus ein heterophiler Antirassismus entgegengestellt werde und auf einen als hete-

13 Zitiert nach Balibar: Gibt es einen „Neo-Rassismus“, S. 29. 14 Taguieff: Metamorphosen, S. 251. 15 Taguieff: Metamorphosen, S. 252. 16 Taguieff, Pierre-André: Die Macht des Vorurteils. Der Rassismus und sein Double, Hamburg 2000, S. 46.

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rophil definierten Rassismus mit einem heterophoben Antirassismus, der den Universalismus betont, reagiert werde, gerate der Versuch einer wirkungsvollen antirassistischen Positionierung zu einem hoffnungslosen Unterfangen.17 Dieses münde in der paradoxen Forderung „Wertschätzung ohne Präferenz“.18 Ob die „Antinomie des Antirassismus“19 jedoch tatsächlich „unvermeidlich zum schlechten Gewissen des fatal unglücklichen Antirassisten“20 führt, ist – und das möchte ich hier schon verraten – eine Fehleinschätzung des Philosophen. Balibar versteht – Taguieffs Thesen aufgreifend – den differenzialistischen Rassismus als einen Meta-Rassismus, der von sich selbst behauptet, aus der bisherigen Frontstellung von Rassismus und Antirassismus seine Lehren gezogen zu haben und daher nun eine politisch eingriffsfähige Theorie der Ursachen von gesellschaftlicher Aggressivität anbieten könne. Nicht mehr die angebliche Zugehörigkeit zu einer „Rasse“, sondern das rassistische Verhalten wird so zu einem natürlichen Faktor erklärt, der angeblich existierende psychologische und soziologische Gesetze bedingt, nach denen gesellschaftliche Dynamik verlaufe. Balibar beobachtet, wie die neue Rechte, aber auch „vernünftige“ Menschen, dem Antirassismus vorwerfen, diese Gesetze zu ignorieren und damit nationalistische Ressentiments und Rassismus zu provozieren.21 Balibar fordert, dass ein praktischer Humanismus22 heute zuallererst ein effektiver Antirassismus sein muss, der sich als eine internationalistische Politik gegen eine nationalistische Politik der Staatsbürgerschaft wendet.23 Ausgehend von seiner bereits erläuterten Charakterisierung des heutigen Rassismus als einen „Anti-Immigranten-Rassismus“, verweist Balibar mit Nachdruck auf die Vielfalt der „nationalen“ Situationen, in denen sich die Verbindung von Migration und Rassismus ganz unterschiedlich ausprägt und in denen „der Ursprung der Migrationen und der Umgang damit, die Art der Diskriminierungen, das Niveau der sozialen Spannungen, der Umfang der politischen Folgeerscheinungen (insbesondere die Entwicklung von organisierten rassistischen und antirassistischen Bewegungen) keineswegs gleich sind“.24 Diese unterschiedlichen nationalen Ausprä-

17 Taguieff: Macht des Vorurteils, S. 47. 18 Ebd., S. 49. 19 Taguieff: Metamorphosen, S. 255. 20 Taguieff: Macht des Vorurteils, S. 49. 21 Balibar: Gibt es einen „Neo-Rassismus“?, S. 30, 31. 22 Zur Wichtigkeit der Reflexion über Humanismus für den Antirassismus vgl. Cohen, Philip: Wir hassen Menschen, oder: Antirassismus und Antihumanismus, in: Bielefeld, Uli (Hrsg.): Das Eigene und das Fremde. Neuer Rassismus in der Alten Welt?, Hamburg 1998, S. 311 ff. 23 Balibar: Rassismus und Nationalismus, S. 80, 81. 24 Balibar: „Es gibt keinen Staat in Europa“, S. 104.

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gungen beeinflussen sich wechselseitig, weshalb es für antirassistische Politik, die seiner Meinung nach nur „in Ansätzen“ existiert, erstes Gebot werden muss, sich auf europäischer Ebene zu organisieren. Nur so könnten die „antirassistischen Meinungsbewegungen“ wirklich politisch werden. Als Bedingung hierfür nennt Balibar deren Fähigkeit, eine gemeinsame Sprache sowie gemeinsame Ziele zu finden und Aktionen zukünftig zu koordinieren.25 Paul Gilroy, bis heute einer der einflussreichsten britischen Autoren in der Debatte um Antirassismus, steuert nicht nur seit über zwei Jahrzehnten konzeptionelle Überlegungen bei, sondern lieferte mit „There Ain’t No Black in the Union Jack“26 eine der ersten Studien, die sich mit antirassistischen Akteuren, ihren Diskursen und Praxisformen befasst. Gilroy entwickelt eine Ideologiekritik des Antirassismus, der seiner Meinung nach – ähnlich wie die neue Rechte – an dem Glauben an die absolute Natur der ethnischen Kategorien und der unüberwindbaren Kultur- und Erfahrungsunterschiede, die Merkmale unterschiedlicher „Rassen“ seien, festhält. Gilroy argumentiert, dass dieses ideologische Versagen des Antirassismus durch eine Kombination von reduktivem Kulturbegriff und einer kulturalistischen Vorstellung von „Rassen“ und ethnischer Identität verursacht worden sei. Wie die überwiegende Mehrzahl der Wissenschaftler, die sich mit der Entwicklung des Antirassismus in den vergangenen zwei Jahrzehnten beschäftigen, stellt er eine Aufweichung der ehemals klaren Polarisierung von Rassisten und Antirassisten fest.27 This has led to a position where politically opposed groups are united by their view of race exclusively in terms of culture and identity rather than politics and history. Culture and identity are part of the story of racial sensibility but they do not exhaust that story. At a theoretical level ‚race‘ needs to be viewed much more contingently, as a precarious discursive production. To note this does not, of course, imply that it is any less real or effective politically.

28

Wie Taguieff kritisiert Gilroy ein statisches Verständnis von Antirassismus und plädiert stattdessen für einen antirassistischen Kampf, der auf unterschiedliche Weise geführt werden sollte, denn es könne nicht die eine homogene Strategie gegen Rassismus geben, der selbst niemals homogen ist und sich ständig wandelt.29 Diese

25 Ebd., S. 119. 26 Gilroy, Paul: There Ain’t No Black in the Union Jack. The Cultural Politics of Race and Nation, Chicago 1991. Originalausgabe London 1987. 27 Dazu gehört auch Wieviorka, Michel: Is It So Difficult to Be an Anti-Racist?, in: Werbner, Pnina; Modood, Tariq (Hrsg.): Debating Cultural Hybridity: Multi-Cultural Identities and the Politics of Anti-Racism, London 1997, S. 139. 28 Gilroy: End of Antiracism, S. 50. 29 Ebd., S. 60-61.

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Forderung stellt er angesichts der von ihm attestierten Unfähigkeit des Antirassismus, auf neue Formen des „nationalistischen Rassismus“ angemessen zu reagieren, der es zunehmend vermeide, als solcher erkannt zu werden, indem er es schafft, „Rasse“ mit nationaler Souveränität, Patriotismus und Nationalismus gleichzusetzen. Hier zielt Rassismus darauf ab, ein Modell der Nation als einer geeinten kulturellen Gemeinschaft zu verbreiten. Analog zu Hall argumentiert Gilroy, dass so eine Metaphysik von Britishness30 mit rassistischen Zügen kreiert wird.31 Für besonders wichtig – auch und vor allem im Zuge einer Untersuchung antirassistischer Praxen und Diskurse – erachte ich Gilroys Hinweis auf den keineswegs rein reaktiven Charakter des Antirassismus. Er widerspricht der weitverbreiteten Annahme, dass Antirassismus lediglich Opposition zum oder Reversion des Rassismus sei.32 Er setzt dieser Annahme ein antirassistisches Konzept entgegen, welches Rassismus nicht als gesellschaftliches Randproblem betrachtet, sondern im gesellschaftlichen Mainstream verortet und als Kernbestandteil staatlicher Politik versteht. Das Ziel ist die Formierung einer radikaldemokratischen Zivilgesellschaft.33 Dies zöge eine der Globalisierung Rechnung tragende neue Konzeption mikropolitischer Betätigungsformen nach sich, die lokale Belange im Kontext internationaler Solidarität begreife.34 Hier deutet sich Gilroys Forderung nach einem transnationalen antirassistischen Projekt an. In einer jüngeren Publikation greift Gilroy seine These auf, der Antirassismus stecke in einer Krise seiner politischen Sprache, Bilder und kulturellen Symbole. Diese seien jedoch essenziell für sein Selbstbewusstsein und politisches Programm. Daraus ergibt sich für Gilroy die Forderung nach der fundamentalen Erneuerung der moralischen Vision des Antirassismus, die nur durch die Abgrenzung zu seinem überholten Vokabular eingeleitet werden kann, ohne jedoch jene politischen Hoffnungen aufzugeben, die von je her an ihn geknüpft wurden.35 Sowohl in der britischen wie auch in der französischen Forschung wird der Antirassismus einer scharfen Ideologiekritik unterzogen. In erster Linie werden seine konzeptionellen Schwächen und seine Unflexibilität bezüglich der Entwicklung effektiver Strategien, die auf die Spezifik konkreter rassistischer Ideologien und neuartiger rassistischer Artikulationsformen einwirken könnten, bemängelt. Bei aller Härte der Kritik wird ihm jedoch in diesen Forschungszusammenhängen weder seine Daseinsberechtigung noch seine Handlungsfähigkeit grundsätzlich aberkannt.

30 Britishness meint die spezifische Konstruktion britischer nationaler Identität. 31 Gilroy: End of Antiracism, S. 53, 54. 32 Gilroy: There Ain’t No Black, S. 114. 33 Gilroy: End of Antiracism, S. 51, 61. 34 Ebd., S. 61. 35 Gilroy: Between Camps, S. 6, 334.

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Anders stellte sich die Kritik am Antirassismus in der bundesdeutschen Auseinandersetzung dar, die zudem im Schatten des etablierten Wissenschaftsbetriebs stattfand. In den frühen 1990er-Jahren setzte eine Diskussion über die Unzulänglichkeiten des Antirassismus ein, die mit der ihr eigenen Vehemenz umso erstaunlicher vor dem Hintergrund der Tatsache erscheint, dass sich die Rassismusforschung in der Bundesrepublik eben erst zu etablieren begann.

D ER BUNDESDEUTSCHE D ISKURS : ANTIRASSISMUS ALS POLITISCHER K AMPFBEGRIFF Als ein Initiator dieser Diskussion kann Wolfgang Fritz Haug gelten, dessen Polemik „Zur Dialektik des Antirassismus“ 1992 erschien und in der er ein Bild eines Antirassisten zeichnet, der gesteuert ist von „gutem Willen“, versagendem „gesunden Menschenverstand“, „spontanem Moralimpuls“, „Betroffenheit“, „Bedürfnis nach gutem Gewissen“ oder gar „Mitleid“.36 Haug projiziert ein „Spiegelverhältnis zwischen Antirassist und Rassist“: „Der Antirassist konstruiert den Rassisten als einen, der Rasse konstruiert.“37 Hierin manifestiert sich die bereits erwähnte weitverbreitete Vorstellung vom Antirassismus als reine Antithese des und Gegenidentifikation zum Rassismus. Weiterhin lässt sich in Haugs Augen der Antirassist nur allzu schnell von seinem eigenen Mitleid in eine Falle locken, wenn sein Moralismus ihn zur „Über-Negation von Andersheit“38 und somit zur UniversalismusSabotage treibt, die der erwünschten Zivilgesellschaft den Boden entziehe und – hier bezieht sich Haug auf Taguieff – zu einem differenzialistischen Rassismus mit umgekehrten Vorzeichen führe.39 Nach Haug kann ein ebenso moralischer wie hilf-

36 Haug: Dialektik, S. 27, 28. 37 Ebd., S. 32. 38 Ebd., S. 31. (Hervorhebung im Original) 39 Haug: Dialektik, S. 30. „Verleugnung, Über-Negation von Andersheit, in Gestalt der Diskurstaktik ‚es gibt keine Rassen‘, kommt ungewollt der Dissimulation des Rassismus […] entgegen. Der freie Blick auf die Unterschiede, auch die angeborenen des Körpers, scheint unerlässlich, um der Scheinheiligkeit des offiziösen Rassismus Paroli zu bieten.“ Haug: Dialektik, S. 31. Schenkte man Haugs Mutmaßung Glauben, Antirassismus sei eine Manifestation von unreflektiertem Gutmenschentum, so erscheint seine pauschale Forderung nach mehr Analyse und Politik – ein Zuviel davon hat ja noch nie geschadet – legitim. Doch seine Forderung nach einem freien Blick auf die angeborenen Unterschiede des Körpers kann nur verärgern, denn was zu einem relevanten körperlichen Unterscheidungsmerkmal wird, etwa die Hautfarbe, hängt von der jeweiligen rassistischen Konstruktion der Andersheit ab.

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loser Antirassismus folgendermaßen charakterisiert werden: „Entlarvung ersetzt Analyse, symbolische Akte eine Politik der Vernetzung.“40 Zwar möchte man Haugs kluger Anregung, eine effiziente antirassistische Politik sollte den Sozialdarwinismus im globalen Hightech-Kapitalismus sowie die Verbindung von Biologismus und Herrschaft in das Zentrum ihrer Kritik stellen, gerne beistimmen. Doch leider hinterlässt die Lektüre seiner Nachsätze den Eindruck, dass er grundsätzlich in keiner Weise von der Handlungsfähigkeit eines wie auch immer gearteten Antirassismus überzeugt ist. Stattdessen untermauert er seine Kritik an einem systemkritischen „Anti-Rassismus des Bruchs“, der zwar als Stärke seine „Unbedingtheit der Solidarisierung“ besitze, aber nicht politikfähig sei, den „Kontakt zum Alltagsverstand der Bevölkerung“ abbreche, Rassismus provoziere41 und sich „durch globalanalytische Phrasen“ davon ablenken lasse, dass er „nur Symptome bekämpft“ und sich selbst und diese antagonistisch verstärkt.42 In Haugs Augen erscheint Antirassismus als moralistische Antipolitik und gefährlicher Irrweg. Ähnlich argumentiert Detlev Claussen, dessen Angriff auf die „antirassistische Ideologie“ noch krasser ausfällt. Er ist sich sicher, dass diese lediglich eine „sozialpsychologische Funktion“ erfüllt und die Ohnmacht der europäischen Linken, die die Hoffnung auf Gesellschaftsveränderung verloren hat, durch das Gefühl moralischer Überlegenheit kompensieren soll. So kommt Claussen zu dem vernichtenden Schluss: „Antirassismus kann man als Kümmerform von Gesellschaftskritik bezeichnen.“43 Für ihn ist Antirassismus lediglich eine „Moralisierungstechnik“, mit der antiaufklärerischen Funktion, die Welt als rassistisch zu interpretieren, statt Mittel zur Erkenntnis der Wirklichkeit anzubieten. „Angesprochen auf die intellektuel-

Haug begibt sich mit dieser Aussage in die Nähe derjenigen oben erwähnten Wissenschaftler, die die „augenscheinliche“ Existenz von menschlichen „Rassen“ behaupten. 40 Haug: Dialektik, S. 45. 41 Eine für die deutsche Antirassismusdiskussion typische Zuspitzung der nicht selten vertretenen Überzeugung, Antirassismus provoziere Rassismus, nimmt Kowalsky vor, wenn er befindet, dass im Antirassismus „die fundamentalistische Fraktion der Linken“ „die Deutschen“ bevormunden will, die „ad infinitum für Auschwitz büßen“ sollen. Der von Kowalsky pathologisierte Antirassismus führt in letzter Konsequenz zu „Wahlenthaltung, Rechtsextremismus und Gewalttätigkeit“. Kowalsky: Moralisierender Anti-Rassismus, S. 695, 700. 42 Haug, Wolfgang Fritz: Sechs vorläufige Nachsätze, in: Das Argument. Zeitschrift für Philosophie und Sozialwissenschaften 195 (1992), S. 761-762. 43 Claussen, Detlev: Was heißt Rassismus?, Darmstadt 1994, S. 15. (Hervorhebung im Original)

2. A NTIRASSISMUS: THEORETISCH

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len Schwächen der antirassistischen Ideologie antworten die Militanten, es käme auf die Praxis und nicht auf die Theorie an.“44 Bei all seiner Feindseligkeit gegenüber einer „antirassistischen Ideologie“ geht aus Claussens Aussagen nicht eindeutig hervor, wer diese seiner Meinung nach denn eigentlich vertritt.45 Man muss sich außerdem fragen, aus welchen Quellen er seine Kenntnis über Motivation und Gefühlslage von Antirassisten generiert und bei wem es sich um diese „Militanten“ handelt, die ihm antworteten. Dies ist allerdings eine Frage, die sich auch andere Kritiker des Antirassismus gefallen lassen müssen, die Diagnosen über Glück oder Unglück des Antirassisten stellen, ohne ihre Untersuchungsmethoden preiszugeben. Die Reaktionen auf Haugs Antirassismuskritik beinhalten zahlreiche interessante Aspekte der deutschen Antirassismusdiskussion der 1990er-Jahre.46 Sie verdeutlichen, dass die jeweilige Definition von Rassismus grundlegend ist für die entsprechende Analyse von antirassistischen Ansätzen. In Bezug auf Haugs Behauptung, der Antirassist konstruiere den Rassisten und doktere nur an Symptomen herum, kann festgestellt werden, dass diese nur von jemandem aufgestellt werden kann, der Rassismus auf die individuelle Ebene reduziert und nicht als strukturelles Problem in einem komplexen gesellschaftlichen Kontext betrachtet.

ANTIRASSISMUS

JENSEITS DER

V ULGARITÄT

Bevor ich im Folgenden auf die jüngere Antirassismusforschung eingehe, die beweist, dass der Antirassismusbegriff durchaus als Mittel zum Erkenntnisgewinn geeignet ist, möchte ich die eingangs gestellte Frage nach der vorgeblichen Vulgarität des Antirassismus beantworten. Der Umstand, dass dieser Vorwurf gleichermaßen von rechts wie von links artikuliert wird, führt noch einmal das Provokationspotenzial, aber auch den schillernden Charakter des Antirassismus vor Augen. Im Kern besteht dieser Vorwurf in der Behauptung, Antirassismus sei ein Vehikel moralisierender Gutmenschen zum

44 Claussen: Rassismus, S. 17. 45 Er nennt Stuart Hall, Robert Miles, Etienne Balibar sowie Pierre-André Taguieff, wobei unklar bleibt, warum er auf der Grundlage einer verkürzten Rezeption ihrer Thesen seine Verurteilung des Antirassismus vornimmt. 46 Diese erschienen in der Zeitschrift „Das Argument“ 195 (1992). An anderer Stelle gehe ich punktuell auf diese Reaktionen ein, von denen Haug selbst unbeeindruckt blieb und so seine Thesen zum Antirassismus unverändert 1999 erneut veröffentlichte. Haug, Wolfgang Fritz: Politisch richtig oder richtig politisch: linke Politik im transnationalen High-TechKapitalismus, Berlin, Hamburg 1999, S. 111-146.

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Zwecke persönlicher Befriedigung des schlechten Gewissens angesichts des eigenen politischen Versagens. Der Antirassist mache das rassistisch diskriminierte „Opfer“47 zum Objekt seines Helfersyndroms. Tatsächlich geht es jedoch nicht darum, „Ausländer“ zu mögen, sondern darum, „um gesellschaftlich-politische Verhältnisse zu kämpfen, unter denen sie auf unser Wohlwollen und unsere Sympathie nicht mehr angewiesen sind“.48 Für Klaus Holzkamp kann sich Antirassismus nur mit diesem Ziel als eine Form des Kampfes um „wirklich demokratische Verhältnisse“ erweisen.49 Sicherlich kann mit Balibar die Existenz gewisser „Vulgärformen“ des Antirassismus angenommen werden.50 Gilroy charakterisiert bestimmte Formen des Antirassismus als „trivial“. „The antiracism that I am criticizing trivializes the struggle against racism and isolates it from other political antagonisms – from the contradiction between capital and labour, from the battle between men and women. It suggests that racism can be eliminated on its own because it is readily extricable from everything else.“51 Gilroy spricht von politischen Hoffnungen und Idealen, die an den Antirassismus geknüpft wurden und die nicht alle aufgegeben werden sollten. Als diese Hoffnungen definiert Alastair Bonnett unter anderem einen Egalitarismus und ein Verständnis von sozialer Gerechtigkeit, die seiner Überzeugung nach in der

47 „Opfer“ wird in diesem Zusammenhang in Anführungszeichen gesetzt: Die Komplexität von Rassismus kann nicht auf ein Opfer-Täter-Modell reduziert werden. Antirassismus drückt sich nicht in einer Helfer-Opfer-Beziehung aus, in dem der Helfer auf das Opfer angewiesen ist oder das Opfer auf den Helfer. Antirassismus hat nicht die Viktimisierung rassistisch Diskriminierter zum Ziel, sondern die Bekämpfung rassistischer Strukturen. 48 Holzkamp, Klaus: Antirassistische Erziehung als Änderung rassistischer „Einstellungen“? – Funktionskritik und subjektwissenschaftliche Alternative, in: Jäger, Siegfried (Hrsg.): Aus der Werkstatt: Anti-rassistische Praxen. Konzepte, Erfahrungen, Forschung, Duisburg 1994, S. 28. Vgl. auch: Osterkamp, Ute: Alternativen zum hilflosen Antirassismus, in: Blätter für Deutsche und Internationale Politik, Heft 12 (1991), S. 1464. Die eingangs aufgeworfene Frage: Muss man Ausländer mögen, um Antirassist zu sein? erscheint angesichts der in der wissenschaftlichen Forschung nachzuvollziehenden Auseinandersetzung als weniger trivial als auf den ersten Blick zu vermuten wäre. Holzkamp kommt in diesem Zusammenhang zu dem ebenso simplen wie erhellenden Schluss: „Man kann schließlich niemanden dazu zwingen, einen anderen zu mögen.“ Holzkamp: Antirassistische Erziehung als Änderung rassistischer „Einstellungen“?, S. 27. 49 Holzkamp: Antirassistische Erziehung als Änderung rassistischer „Einstellungen“?, S. 28. Vielleicht würde sich auch Haug dieser Einschätzung anschließen, hätte er sich in seiner Untersuchung nicht auf Vulgärformen des Antirassismus beschränkt. 50 Balibar: Gibt es einen „Neo-Rassismus“?, S. 32. 51 Gilroy: End of Antiracism, S. 50.

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überwiegenden Anzahl antirassistischer Ausdrucksformen eine Rolle spielt.52 Gilroys differenzierende Herangehensweise, in der er unterschiedliche Ausprägungen von Antirassismus (strands in antiracism) thematisiert, zeugt von seiner nicht nur theoretischen Auseinandersetzung mit dem Phänomen Antirassismus, zu deren empirischer Überprüfung auch die vorliegende Arbeit einen Beitrag leistet. Ich gehe davon aus, dass ein Antirassismus, der auf der Grundlage von Gesellschaftsanalyse funktioniert und vom Konstruktionscharakter des Rassismus ausgeht, seine Aufgabe niemals ausschließlich darin sieht, seine Aktivitäten auf „den Rassisten“ oder auf die „Opfer“ rassistischer Diskriminierung zu beschränken. Ebenso wenig kann es eine erschöpfende Position sein, sich im Rahmen eines kommemorativen Antirassismus ausschließlich auf die Bekämpfung der Wiederkehr des Faschismus zu konzentrieren. Vielmehr ist Antirassismus eine politische Strategie, die die Existenz eines institutionellen Rassismus anerkennt und diejenigen gesellschaftlichen Bedingungen in das Zentrum seiner Bemühungen rückt, die Rassismus (re-)produzieren. Er kann als positives soziales und politisches Projekt gelten, das für eine egalitäre Gesellschaft kämpft. Die jüngere Forschung ist in der Lage, Erkenntnisse über antirassistische Ansätze zu gewinnen, eben weil sie den Antirassismusbegriff von seinem zuvor mit dem Rassismusbegriff geteilten Schicksal befreit, als politischer Kampfbegriff negativ konnotiert zu sein.53

N EUE W EGE

IN DER

ANTIRASSISMUSFORSCHUNG

Der Versuch einer Demontage des Antirassismusbegriffs ist gescheitert. Wie gewinnbringend er tatsächlich in der wissenschaftlichen Forschung eingesetzt werden kann, wird unter anderem auch von Anja Weiß bewiesen. Sie entwickelt in Anlehnung an Bourdieu eine Modellvorstellung des Rassismus als symbolische Dimension sozialer Ungleichheit, die Diskurse und Praxen unabhängig vom Willen der Akteure strukturiert, und gelangt zu einem Verständnis von Antirassismus als „symbolischen Kampf, in dem die doxische Selbstverständlichkeit rassistischer Klassifikationen in Frage gestellt wird“.54 Da Weiß in Umkehr der bisher vorherrschenden Perspektive vom Antirassismus auf den Rassismus schließt, gelingt es ihr aufzuzei-

52 Bonnett, Alastair: Anti-Racism, London, New York 2000, S. 7. 53 Vgl. Taguieff: Metamorphosen, S. 227; Bielefeld: Selbstverständnis und Rassismus, S. 51. In seiner Invektive gegen den Antirassismus sieht Wolfgang Kowalsky in ihm sogar eine linke „Umkehrung rechtsextremer Topoi“, zu der ein versteckter deutscher Selbsthass und die rituelle Beschwörung der Vorzüge einer multikulturellen Gesellschaft gehörten. Kowalsky: Moralisierender Anti-Rassismus, S. 698. 54 Weiß: Rassismus wider Willen, S. 68.

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gen, dass die Rassismusforschung die Selbstläuferqualität existierender rassistischer Klassifikationen selten anerkennt und häufig unterschätzt. Antirassismus stellt den Versuch der Bewusstmachung und Delegitimierung von rassistischen Strukturen dar, der mit dem Ziel der Durchsetzung alternativer Klassifikationssysteme verbunden wird. Weiß gelangt zu dem Schluss, dass im Antirassismus kognitive Erkenntnis und deren praktische Umsetzung Hand in Hand gehen.55 Der Erziehungswissenschaftler Mark Einig leistet mit seiner Untersuchung antirassistischer Erziehungsmodelle unter Berücksichtigung ihrer gesellschaftlichen Rahmenbedingungen einen überaus wichtigen Beitrag zur überfälligen Etablierung des Antirassismus als Wissenschaft.56 Einigs akribisches Werk zeichnet sich besonders durch seine historischen Exkurse, z. B. zur Bedeutung von Humanismus und Aufklärung für eine antirassistische Wissenschaft und Praxis aus. Einen besonders wichtigen Beitrag zur internationalen Antirassismusforschung leistet die Britin Cathie Lloyd mit ihren Studien zum französischen und britischen Antirassismus. Sie berücksichtigt stets die historische Genese eines Antirassismus, der sich je nach kulturellem und nationalem Kontext verschieden ausprägt und dessen Bedeutung für eine Entwicklung antirassistischer Politik auf europäischer Ebene auch von Balibar betont wird. Das bedeutet, dass Lloyd den unterschiedlichen antirassistischen Traditionen in Großbritannien und Frankreich nachspürt und ihren Einfluss auf die Entwicklung des jeweiligen antirassistischen Diskurses und der antirassistischen Strategieformen sichtbar macht. Auch zu der bereits erwähnten theoretischen Auseinandersetzung um Universalismus und Differentialismus/Partikularismus bezieht Lloyd Stellung: Sie geht auf unterschiedliche Vorstellungen von Identitätskonzepten und die Rolle der Aufklärung für universalistische Werte ein, die in Frankreichs politischer Kultur neben der Revolution von 1789 zu einer Legitimierung des Antirassismus herangezogen wird und ihn in einer breit geführten Debatte zu einem zentralen Thema macht.57 Auf diese Weise kann heute das Bemühen um eine Weiterentwicklung der Idee der Staatsbürgerschaft einen theoretischen und konzeptionellen Rahmen für antirassistische Strategien in Frankreich gewährleisten. In Großbritannien hingegen bedingte die Politik der race relations eine verbittert geführte Debatte, die in eine Aufteilung der Gesellschaft in ethnisch definier-

55 Ebd., S. 69. 56 Einig, Mark: Modelle antirassistischer Erziehung. Möglichkeiten und Grenzen mit Pädagogik ein gesellschaftliches Problem zu bekämpfen (Bausteine zur Mensching-Forschung, Band 10), Nordhausen 2005. 57 Lloyd, Cathie: Universalism and Difference: The Crisis of Anti-Racism in the UK and France, in: Rattansi, Ali; Westwood, Sallie (Hrsg.): Racism, Modernity, Identity on the Western Front, Cambridge 1994, S. 237.

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te Gruppen mündete.58 Dies zog eine lang anhaltende Spaltung der antirassistischen Bewegung in schwarzes und weißes politisches Engagement nach sich sowie eine im Vergleich zu Frankreich eng geführte Debatte über Minderheitenpolitik und die Implementierung von Antidiskriminierungsgesetzen.59 Eine Kernthese Lloyds ist, dass jede nationale Debatte um Antirassismus zwar ihren ganz bestimmten Charakter und ihre eigenen Widersprüchlichkeiten besitzt, sich jedoch gleichermaßen transnationale Themen und Probleme definieren lassen.60 Wie ich bereits andeutete, wurden die bisher überwiegend theoretischen Diskussionen und Analysen zum Antirassismus zu oft ohne die Berücksichtigung oder Durchführung empirischer Forschung geführt, was nicht nur zu einer Beschreibung antirassistischer Positionen durch rein abstrakte Argumentationsketten, sondern auch zu Verzerrungen oder gar Fehldarstellungen antirassistischer Akteure, ihrer Motivation und ihres Engagements führte. Während der Erforschung der antirassistischen Szene Irlands und der Befragung derjenigen Menschen, aus denen sie besteht, brannte mir eine Frage immer besonders unter den Nägeln: Was halten Antirassisten von der akademischen Auseinandersetzung um Rassismus und Antirassismus und der Tatsache, dass sie allzu oft als kopflose und fehlgeleitete Anhänger einer Antipolitik dargestellt und teilweise sogar kriminalisiert werden? – James erwies sich als ein über den akademischen Diskurs überaus gut informierter Aktivist, der gerne bereit ist, den Kritikern des Antirassismus einen gut gemeinten, wenn auch genervt vorgetragenen Vorschlag zu unterbreiten: But racism exists as an ideology. Races don’t exist. Racism very clearly exists – as an ideology. So, an antiracist I would say is someone who is intend on taking on the manifestations of that ideology. So, I don’t have a problem with antiracism as a term because I think it’s just indisputable that racism exists and needs to be fought. Perhaps who writes the books should stop writing the books and get back to doing antiracist work because it would be a lot more useful. I just think that’s a complete diversion. I think it’s just a wrong path to go down to be starting writing academic texts that say opposing racism which is a very, very ideology and has very, very clear manifestations in Irish and British society, to say that „Oh, dear, I have a problem with that terminology, therefore I’m gonna abstain from fighting real things and write books that undermine that fight.“ You know, I would have to seriously question the thinking of somebody who would choose to do that. Even if there is a rational kernel at the heart of what they are doing that they can’t actually see that that’s not where the fight is at. You know, you don’t change the world by redefining terminology. You redefine terminology by changing the world. Language changes when we change the world. You know, don’t wor-

58 Lloyd: Universalism and Difference, S. 230. 59 Ebd., S. 223, 226. 60 Ebd., S. 238.

62 | UNDOING I RISHNESS ry about changing language this side of the revolution. It’ll sort itself out as we make that bloody revolution.

Akademisch und in diesem Falle diplomatischer ausgedrückt könnte man mit Michel Wieviorka konstatieren, dass der Antirassismus jede konstruktive Kritik aushält, die zu seiner Verbesserung beiträgt. Doch jene, die ihn kritisieren, weil sie Puristen sind, verstecken meist mehr schlecht als recht ihren Widerwillen oder ihre Unfähigkeit, sich selber politisch zu engagieren.61 Die Beiträge von Wissenschaftlern wie Paul Gilroy und Cathie Lloyd zur Antirassismusforschung müssen deswegen besonders hervorgehoben werden, weil sie ihre konzeptionellen Überlegungen stets auf der Basis von empirischem Material anstellen. Beide sind sich der Defizite der Antirassismusforschung bewusst und nennen diese auch als Motivation für ihre empirische Forschung. Gilroy erinnert gleichzeitig an ein Schlüsselproblem der antirassistischen Bewegung in Großbritannien der 1970er- und 1980er-Jahre: „Political organization and struggle which have identified and promoted themselves as anti-racist are of more interest here not only because they have received virtually no attention from other writers, but because the commitment to a practical anti-racist politics necessarily generates an interesting commentary on and negotiation of actual relationships between black and white people.“62 Lloyds Kommentar zu diesem „blinden Fleck“63 innerhalb der sozialwissenschaftlichen Erforschung des Antirassismus als politischer und kultureller Praxis bringt es meines Erachtens am besten auf den Punkt: „The critical reader is struck by the failure of many analyses of antiracism to stop and examine what antiracists actually do and say.“64 Nachdem ich nun die wichtigsten Aspekte der theoretischen Auseinandersetzung um den Antirassismus in der britischen, französischen und deutschen Forschung vorgestellt habe, möchte ich im folgenden Kapitel auf die empirischen Studien zu antirassistischen Organisationsformen und Akteuren eingehen, um einen Überblick darüber zu geben, was Antirassisten tatsächlich tun und sagen.

61 Wieviorka, Michel: Is It So Difficult to Be an Anti-Racist?, S. 152. „The criticism of antiracism is healthy if it is conducted with the aim of enhancing the capacity for action of participants in the intellectual or practical struggle against racism. It must, however, be eliminated if it expresses a nihilism or radical scepticism which amounts to deserting the terrain and leaving it to the forces of evil alone.” 62 Gilroy: There Ain’t No Black, S. 115. 63 Hess; Lindner: Antirassistische Identitäten in Bewegung, S. 18. 64 Lloyd, Catherine: Discourses of Antiracism in France (Research in Ethnic Relations), Aldershot, Brookfield 1998, S. 232.

3. Antirassismus: Empirisch

Anti-racism has been reviled, dismissed and critiqued by so many people it can sometimes appear as if everybody is approaching it from a critical angle. [...] They have tended to construct stereotypes of anti-racism based on limited examples, stereotypes which they employ for strategic political purposes. Indeed, it can seem that the grandness of the critique is proportional to the narrowness of its grasp: anti-racism is crisply summarised and dispatched as ,extremist‘ or ,fractional‘ with little regard to its subtleties or variations. If these critics were somewhat more reflexive about the limitations of their interventions, if they were more willing to specify that they are addressing a particular variety of anti-racism at a particular time, and indicate which varieties they do support and why (after all, all these critics claim not to be racist), their pronouncements might, just might, be judged as contributions to anti-racist debate. As it is, they are a necessary component of anti-racism’s story largely because of their power to shape the way anti-racism is (mis)understood and (mis)represented. ALASTAIR BONNETT: ANTI-RACISM, 2000

Bis vor wenigen Jahren bedeutete die wissenschaftliche Untersuchung des Antirassismus Recherche in einem Forschungsdesiderat. Erst seit dem Ende der 1990erJahre mehren sich empirische Studien, die die herbe Kritik am Antirassismus, die im Rahmen theoretischer Überlegungen geäußert wurde, entkräften. Im Folgenden geht es um antirassistische Akteure sowie ihre Organisations- und Strategieformen.

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Dabei werde ich mehreren Fragen nachgehen: Warum entscheiden sich Menschen dazu, antirassistisch aktiv zu werden? Gibt es eine antirassistische Ideologie? Wie versuchen Antirassisten ihre politische Überzeugung in die Tat umzusetzen? Wie abhängig sind antirassistische Strategien von dem sie umgebenden politischen Klima? Welche antirassistischen Praxen erweisen sich als erfolgreich? Können Antirassisten einen wirksamen Gegendiskurs und ein eigenes Selbstverständnis hervorbringen? Schlüssel zum Verständnis des Antirassismus ist die Anerkennung seiner Diversität. Das bedeutet zum einen, die unterschiedlichen nationalen Antirassismen auf ihre Ähnlichkeiten und Unterschiede hin zu überprüfen. Zum anderen müssen die vielfältigen Strömungen und Aktionsebenen innerhalb einer jeweiligen nationalen antirassistischen Szene berücksichtigt werden. Deren Spektrum reicht von gut organisierten, teilweise bürokratisierten Organisationen mit Bündnispartnern in der Exekutive über eher protestorientierte Gruppen, die viele Merkmale einer sozialen Bewegung aufweisen, bis hin zu grass roots-Gruppen. Auch wenn ich bei der Untersuchung der antirassistischen Szene Irlands keine Eingrenzung der Forschungsfrage nach deren ideologischer Ausrichtung vornehme oder mich auf eine bestimmte politische Ebene – z. B. lokale oder nationale Politik – beschränke, so leistet meine Forschung doch einen Beitrag zu der Antirassismusforschung, die theoriebezogene Studien konkreter politischer Situationen, Akteure und Kontexte liefert.1 Hierzu gehört auch die 1987 veröffentlichte Feldstudie der Politikwissenschaftlerin Sigrid Baringhorst, die am Beispiel der englischen Stadt Bradford die Entwicklungen und Probleme kommunaler pluralistischer Interventionsstrategien im Umfeld eines politischen Multikulturalismus in Großbritannien

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In diesem Forschungsfeld finden sich teilweise ähnliche Herangehensweisen. Es werden politische Auseinandersetzungen in einem genau definierten Rahmen, meist einzelnen Städten, bestimmten Organisationen oder Organisationstypen, untersucht. Vgl.: Baringhorst, Sigrid: Fremde in der Stadt. Multikulturelle Minderheitenpolitik dargestellt am Beispiel der nordenglischen Stadt Bradford (Nomos Universitätsschriften: Politik, Band 22) Baden-Baden 1991; Ben-Tovim, Gideon; Gabriel, John; Law, Ian; Stredder, Kathleen: The Local Politics of Race, Basingstoke 1986; Ben-Tovim, Gideon; Gabriel, John; Law, Ian; Stredder, Kathleen: A Political Analysis of Local Struggles for Racial Equality, in: Braham, Peter; Rattansi, Ali; Skellington, Richard (Hrsg.): Racism and Antiracism. Inequalities, Opportunities and Policies, London; New Delhi 1992, S. 201-217; Das, Anjana; Reichmuth, Claudia: Antidiskriminierungspolitik in Birmingham und London, in: Baringhorst; Jansen (Hrsg.): Politik der Multikultur, S. 125; Solomos, John; Les Back: Race, Politics and Social Change, London 1995; Penketh, Laura: Anti-racist Policies and Practice: The Case of CCETSW’s Paper 30, in: Lavalette, Michael; Penketh, Laura; Jones, Chris (Hrsg.): Anti-Racism and Social Welfare, Aldershot; Singapore 1998, S. 27-52.

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analysiert. Hier sind nicht nur Baringhorsts Forschungsergebnisse zum Antirassismus von Interesse, sondern darüber hinaus der Umstand, dass hier eine Wissenschaftlerin Antirassismus in einem anderen als ihrem Herkunftsland untersucht. Da ich aus der Perspektive einer Deutschen über den irischen Antirassismus schreibe, schien mir ein Blick auf Baringhorsts Arbeitsweise unter Berücksichtung dieses interkulturellen Aspektes ratsam. Zuerst möchte ich jedoch kurz auf Baringhorsts Forschungsergebnisse zum Antirassismus eingehen. Baringhorst beschreibt die politische Radikalisierung der zweiten Einwanderergeneration in Großbritannien, die im Gegensatz zu ihren Eltern nicht von einem Rückkehrmythos beeinflusst ist oder sich für eine religiös-fundamentalistische Lebensweise entscheiden. Stattdessen reagieren sie politisch offensive auf ihre Diskriminierungserfahrungen. Die Konfrontation mit der National Front (NF)2, die in Bradford in der ersten Hälfte der 1970er-Jahre an Einfluss gewann, entfaltet in ihrer politischen Sozialisation eine prägende Wirkung, die viele eine antirassistische Haltung einnehmen lässt. Damals entstanden asiatische und schwarze Jugendgruppen, die für Chancengleichheit (equal opportunities) und gegen rassistische Diskriminierung kämpften. Baringhorst unterstreicht, dass über ideologische Grenzen hinweg für alle in England aufgewachsenen Antirassisten eine Gemeinsamkeit gilt: Die Migrations- und Diskriminierungserfahrung wird im Kontext westlicher Denktradition verarbeitet und die Hinwendung zum religiösen Fundamentalismus als Behinderung des antirassistischen Protestpotenzials bewertet. Ein weiterer Kritikpunkt an der Elterngeneration stellt deren mangelnder Stolz auf die eigene ethnische Herkunft dar.3 Auf die Bedeutung von Generationskonflikten innerhalb antirassistischer Bewegungen wird an gegebener Stelle einzugehen sein. Baringhorst betont zu Recht, dass sich Bradford für die Durchführung einer Feldforschung zu kommunaler Minderheitenpolitik besonders anbot, da es im Großbritannien der 1980er-Jahre als Pionierkommune auf diesem Gebiet galt und in

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Die National Front beschreibt sich selbst als „White nationalist organisation founded in 1967 in opposition to multi-racialism and immigration“. http://www.natfront.com/ (15.01.2008) Diese rechtsextreme Partei erlangte ihre größten Erfolge in den 1970er- und 1980er-Jahren, tritt jedoch bis heute durch Demonstrationen gegen Asylrecht, Einwanderung und Homosexualität in Erscheinung. Eines ihrer Lieblingsthemen bleibt Repatriierung: „Every time you are stuck in a 2 hour traffic jam, every time a relative of yours is made homeless, every time a job which you applied for is given to a foreigner instead, it must become more and more obvious, that ‚this Island Aint big enough for everyone‘. It should not be the indigenous population who are forced out. This was our Ancestral homeland.“ http://www.natfront.com/repatriation.htm (15.01.2008)

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Baringhorst: Fremde in der Stadt, S. 168.

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Bradford eine im nationalen Vergleich sehr hohe Zahl von Immigranten lebte.4 Für mich ist die Untersuchung der Verhältnisse in Bradford zusätzlich deswegen von Bedeutung, da ich zum einen während meiner Feldforschung feststellen konnte, dass Bradford ein häufig genanntes Sinnbild gescheiterter Integrationspolitik ist und zum anderen einer meiner Interviewpartner aus dieser Stadt kommt, in der die politische Konfrontation zwischen Rechten und Antirassisten nunmehr seit Jahrzehnten mit großer Vehemenz stattfindet. In den frühen 2000er-Jahren ist der politische Gegner der Antirassisten allerdings nicht mehr die National Front, sondern deren Nachfolgeorganisation, die British National Party (BNP). James begründet seinen Umzug von Bradford nach Dublin unter anderem mit einer politischen Niederlage im Kampf gegen die BNP. And the other thing that I guess was a significant factor was… we’d spent a number of years since the BNP had already emerged actively in Bradford really in 2001. So, 2001 to 2004 had been a long political slob of trying to peck them back – and they were gaining ground! They were gaining significant ground to the point where in those June 2004 elections – although we ran a very, very good campaign, and we pecked them back a great deal relative to what they could have achieved there – they got four councillors, so four Nazi councillors elected in Bradford, and I actually left on the morning when the votes were being counted.

Um auf den interkulturellen Aspekt von Baringhorsts Studie einzugehen, möchte ich auf die von der Autorin hergestellte Verknüpfung ihres Forschungsthemas – „Probleme kultureller Kontaktsituationen“ – mit ihrer eigenen „am durchschnittlichen Migrantenschicksal“ bemessen „privilegierten Gastarbeitersituation“5 verweisen. Sie betont die Bedeutung von persönlichen Anregungen „in puncto multikultureller Lebenspraxis“ für ihre Feldforschung.6 Doch die Reflexion ihrer spezifischen Forscherinnensituation und der Umstand, dass sie in deutscher Sprache ein Buch über englischsprachige Verhältnisse verfasst, schlagen sich leider nicht immer befriedigend in ihrer Wortwahl nieder. So übersetzt Baringhorst das englische Wort deportation mit „Deportation“.7 Deportation jedoch ist im Deutschen untrennbar mit der Shoa verbunden, während das englische deportation in den betreffenden Zusammenhängen – antirassistischer Kampf gegen institutionellen Rassismus in einem westeuropäischen Land nach dem Zweiten Weltkrieg – nur mit „Abschiebung“ korrekt übersetzt werden kann. Daher ist eine Eins-zu-eins-Übersetzung gänzlich unpassend. Auch ein Begriff wie „Rassenkrawalle“ muss permanent und

4

Ebd., S. 20, 279.

5

Baringhorst arbeitete als Lektorin an der Universität von Bradford.

6

Baringhorst: Fremde in der Stadt, S. 5.

7

Ebd., S. 172.

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nicht nur ab und zu in Anführungsstriche gesetzt werden.8 Dies gilt unvermindert und umso mehr selbst dann, wenn man damit konfrontiert wird, dass es in einem englischsprachigen Forschungsfeld als unproblematisch empfunden wird von race riots zu sprechen.

T HERE AIN ’ T N O B LACK IN

THE

U NION J ACK

Bevor ich auf die Studien von Cathie Lloyd eingehe und mich damit einer Autorin widme, die sich ebenfalls mit Antirassismus außerhalb ihres Herkunftslandes beschäftigt, möchte ich wie erwähnt Gilroys „There Ain’t No Black in the Union Jack“ vorstellen, das sich wie Baringhorsts Buch mit antirassistischer Politik in Großbritannien befasst. Gilroy entwickelt eine Kritik des Antirassismus, der in seinen Augen inzwischen viel zu stark in staatlichen Strukturen verankert ist. Als Alternative schlägt er ein antirassistisches Konzept vor, das mit einem systemkritischen Impetus die Formierung einer radikaldemokratischen Zivilgesellschaft anstrebt. „There Ain’t No Black in the Union Jack“ ist auch nach mehr als zwanzig Jahre nach seiner Veröffentlichung 1987 ein Grundlagentext für die empirische Antirassismusforschung, denn Gilroy verbindet hier gekonnt eine Analyse antirassistischer Diskurse und Praxisformen mit der Analyse des Verhältnisses von „Rasse“ zu Klasse und Nation.

8

Es sei denn, man klärt ab, dass der Konstruktionscharakter von „Rasse“ reflektiert ist, man aber aus Gründen des Lesekomforts auf eine durchgängige Kennzeichnung verzichtet. Sicherlich kann der Umgang problematischer Terminologie ein kontroverses Thema bleiben, doch eine einheitliche Regelung sollte jede Autorin bzw. jeder Autor eigenständig vornehmen. Warum Baringhorst scheinbar unwillkürlich über Rassenkrawalle oder „Rassen“krawalle schreibt, bleibt ein Rätsel. (S. z. B. S. 193 bzw. S. 360). Auch ein Wort wie „Rassenunruhen“ findet in ihrem Text ohne Kennzeichnung statt. Diese sprachlichen Unbedachtheiten stellen insofern eine Überraschung dar, als dass Baringhorst in ihrer Einleitung die herrschende Sprachpraxis kritisch hinterfragt. Sie plädiert dafür, der in Großbritannien gängigen Verwendung des race-Begriffs eine Absage zu erteilen und erklärt stattdessen den Begriff der „ethnischen Minderheit“ zu einer „akzeptablen ‚Notlösung’“. Baringhorst: Fremde in der Stadt, S. 33. Auch Brigitta Gerber lässt eine einheitliche Regelung vermissen: Scheinbar unwillkürlich werden Begriffe wie „Rasse“ oder „schwarz“ mal in Anführungszeichen gesetzt, mal werden sie ohne Kennzeichnung verwendet. Vgl. Gerber, Brigitta: Die antirassistische Bewegung in der Schweiz. Organisationen, Netzwerke und Aktionen (Sozialer Zusammenhalt und kultureller Pluralismus), Zürich 2003, S. 29 bzw. S. 47 und S. 37 bzw. S. 47.

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Darüber hinaus zeigt er sich als Experte für popkulturelle Phänomene, die er in seine Untersuchung der antirassistischen Bewegung einbezieht.9 Gilroy kontextualisiert den antirassistischen Kampf der 1970er- und 1980erJahre, mit dem Verweis auf die Krise Großbritanniens, die in den 1960er-Jahren einsetzte und maßgeblich durch den Verlust seiner Weltmachtstellung ausgelöst wurde. Als ausschlaggebender Faktor dieser umfassenden Krise, die sich sowohl auf politischer, ökonomischer wie gesellschaftlicher und kultureller Ebene abspielte, gilt das Erstarken einer außerparlamentarischen Opposition.10 Das Entstehen linker Gruppierungen im Umfeld der Hausbesetzerszene und Studentenbewegung leistete ein Übriges, um eine Verunsicherung der etablierten Politik und eine moralische Panik auszulösen. Vor allem der Nordirlandkonflikt, der von der IRA ins englische Mutterland getragen wurde entwickelte sich zu einem innenpolitischen Problem ersten Ranges. Damit einher ging der weitverbreitete Ruf nach einer härteren Gangart der Polizei. Die Immigration der Nachkriegsjahre, zuvor als Zeichen für Wirtschaftswachstum und politischen Pluralismus bewertet, wurde nun als Bedrohung von Arbeitsplätzen und des britischen way of life wahrgenommen. Gilroy untersucht politische Organisationen und Bewegungen, die sich selbst als antirassistisch definieren.11 Neben dem offiziellen Antirassismus der Labour Partei und staatlicher Institutionen wie dem Greater London Council (GLC) gilt sein Augenmerk den beiden einflussreichsten Organisationen der antirassistischen Mobilisierung jener Jahre: Rock Against Racism (RAR) und der Anti-Nazi League (ANL). Als Grund für diese Auswahl nennt er den substantiellen Beitrag zur kulturellen Dimension des politischen Kampfes, den diese Organisationen leisteten, wobei über die Grenzen formaler Politik hinausgehend ein popkultureller Diskurs ge-

9

Gilroys Quellengrundlage setzt sich aus Presseartikeln sowie Dokumentations- und Kampagnenmaterial (Flyer, Poster, Buttons etc.) antirassistischer Organisationen zusammen.

10 Die außerparlamentarische Opposition in Großbritannien ist nicht gleichzusetzen mit der deutschen APO. 11 Gilroy: There Ain’t No Black, S. 114. Wie bereits oben erwähnt, sieht Gilroy die antirassistische Bewegung als Ausdruck und Aushandlungsprozess des gesellschaftlichen Verhältnisses von schwarz und weiß. Den Aspekt der antirassistischen Selbstbezeichnung stellt Gilroy auch in Zusammenhang mit der schwarzen politischen Mobilisierung heraus, die er als unabhängiges politisches Phänomen („black liberation and anti-racism are two quite distinct orientations which get regularly confused in British racial politics“) erachtet und daher explizit aus seiner Untersuchung ausklammert, weil diese seiner Ansicht nach einer genaueren und tiefer gehenden Analyse bedarf als unter der weit gefassten Überschrift „Antirassismus“ gewährleistet werden könne. Vgl. Gilroy: There Ain’t No Black, S. 115117.

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führt wurde.12 Zudem vergleicht Gilroy unterschiedliche Phasen der antirassistischen Mobilisierung, um das Verhältnis zwischen „Rasse“ und Nation zu ergründen und Schwierigkeiten in der Entwicklung einer populären antirassistischen Politik zu beleuchten. Während die offizielle antirassistische Politik in den von Labour dominierten Kommunalverwaltungen ihren Ausdruck fand, war die antirassistische Mobilisierung der 1970er-Jahre direkt beeinflusst von linken Gruppierungen, insbesondere der Socialist Workers’ Party (SWP), welche die antirassistische Bewegung in Richtung eines neuen Klassenbewusstseins und einer neuen Solidarität mit dem Slogan „Black and White Unite and Fight“ führen wollte.13 Im Vorfeld dieser Mobilisierung hatte in den 1960er-Jahren die Campaign Against Racial Discrimination (CARD), die nach einem Besuch von Martin Luther King in London gegründet wurde und sich an der schwarzen Bürgerrechtsbewegung in den USA orientierte, eine Basis für antirassistischen Aktivismus geboten.14 In der ersten Hälfte der 1970er-Jahre fand dann eine vermehrte Gründung von eher informell und lokal organisierten antifaschistischen/antirassistischen Komitees statt. Diese erfolgte vor allem in Reaktion auf den Immigration Act von 1971, der sich vornehmlich gegen schwarze Immigranten richtete, die zunehmend gewalttätigen Übergriffe rechtsextremer Gruppierungen (z. B. durch den britischen Ku Klux Klan) ausgesetzt sahen. Außerdem kam es zu wiederholten Wahlerfolgen der National Front auf kommunaler Ebene. Die antirassistische Politik war zunächst geprägt von einer Vorstellung des „re-born cause of anti-fascism“15 und einer Beschwörung von Britain’s finest hour – der Bezeichnung für die britische Beteiligung an der Befreiung Europas vom Faschismus im Zweiten Weltkrieg. Gilroy kritisiert, dass hier die Vergangenheitsbezogenheit zur Tendenz führte, (Neo-)Faschismus und Rassismus als voneinander unabhängige Probleme zu begreifen und die immer noch wache Erinnerung an den siegreich geführten Krieg gegen Nazi-Deutschland zum einzigen Mobilisierungsmoment gegen den zeitgenössischen Rassismus zu machen.16 Diese Tendenz wurde jedoch im Zuge der sich kontinuierlich steigernden Gewalt auf antifaschistischen Demonstrationen aufgehoben. Hier waren auffällig häufig schwarze Aktivisten

12 Gilroy: There Ain’t No Black, S. 115. 13 Ebd., S. 115. 14 Ebd., S. 117. 15 Ebd., S. 118. 16 Ebd., S. 119. Gilroy gibt zu bedenken, dass offenbar erst ab dem Zeitpunkt die Aktivitäten der National Front als ernsthaftes Problem von Gewerkschaftsvertretern und weißen Antifaschisten anerkannt wurden, als sie mit ihren Wahlerfolgen zu einer Bedrohung der Demokratie wurde. Er ist der Auffassung, dass rassistische Gewalt gegen Schwarze vorerst keine Rolle in der Entwicklung einer antifaschistischen Politik spielte.

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Zielscheibe von Polizeigewalt, was zu einer Verlagerung des inhaltlichen Schwerpunktes vom Antifaschismus zum Antirassismus führte. Diese bemerkenswerte Veränderung der gesamten Zielrichtung einer politischen Szene und die Entstehung eines gemeinsamen Aktivierungspunktes für antirassistischen wie antifaschistischen Aktivismus manifestiert sich laut Gilroy jedoch nicht primär in der Formulierung einheitlicher politischer Ziele, sondern in der Entwicklung von kulturellen und kommunikativen Netzwerken zwischen schwarzen und weißen Aktivisten.17

ANTIRASSISMUS

UND

P UNK

Diese Netzwerke haben ihre Wurzeln in den Subkulturen der 1970er-Jahre. Die Gründung von Rock Against Racism 1976 geschah in Folge eines Aufrufs in einer Musikzeitschrift, sich gegen rassistisches bzw. faschistoides Gebaren einiger Rockstars, darunter Eric Clapton und David Bowie, einzusetzen.18 Es kam zu einer Weiterentwicklung traditioneller linker Organisationsformen. Man erkannte das progressive Potenzial von Rockmusik und machte es politisch nutzbar. Die Gründung von RAR fällt zeitlich mit der Entstehung von Punk zusammen, und beide beeinflussten sich laut Gilroy gegenseitig in ihrer weiteren Entwicklung „with punk supplying an oppositional language through which RAR anti-racism could speak a truly populist politics“.19 RARs Bedeutung tritt sicherlich nicht nur in seiner Fähigkeit zutage, unterschiedliche subkulturelle Stile20 in einer antirassistischen Koalition zusammenzubringen, sondern auch in seinem gegenwartsbezogenen Verständnis von Rassismus, das im Gegensatz zum bisherigen kommemorativen Antirassismus neuartige rassistische Artikulationsformen zu definieren imstande war und die Aktionen der Faschisten in einen direkten Zusammenhang mit denen staatlicher Institutionen wie der Polizei, den Gerichten und den Einwanderungsbehörden stellte. Ein weiterer Grund für den durchschlagenden Erfolg von RAR stellte der Umstand dar, dass es eine organisatorische Lücke ausfüllte, indem es z. B. mit seinem Fanzine Temporary Hoarding eine Plattform für antirassistische Strategiedebatten zur Ver-

17 Gilroy: There Ain’t No Black, S. 120. 18 Eric Clapton geriet im Sommer 1976 ins Zentrum einer Kontroverse als er sich während eines Konzertes gegen zunehmende Einwanderung und für den rechten Politiker Enoch Powell aussprach. Ebenfalls unter dem Einfluss von Drogen befand sich David Bowie als er Hitler zum „ersten Superstar“ erklärte und offen mit dem Faschismus sympathisierte. Im Gegensatz zu Clapton distanzierte sich Bowie später von seinen Äußerungen. Vgl. Gilroy: There Ain’t No Black, S. 120-121. 19 Gilroy: There Ain’t No Black, S. 121. 20 Punk, Reggae, (Two Tone) Ska, Soul, Rock, etc.

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fügung stellte. Der Sieg über den Rassismus sollte nicht nur im Namen eines gemeinsamen Klassenbewusstseins erreicht werden, sondern der Hass auf Rassismus und sein „organic counterpart“21, die Liebe zur Musik, sollten die antirassistische Bewegung zusammenhalten: „We want Rebel Music, Street music. Music that breaks down peoples’ fear of one another. Crisis music. Now music. Music that knows who the real enemy is. Rock against Racism. Love Music Hate Racism.“22 Ein wichtiger Bestandteil der Strategie von RAR bestand außerdem darin, die antirassistisch Aktivierten nicht nur als Konsumenten von Popkultur wahrzunehmen, sondern als Quelle für einen grundlegenden politischen Wandel.23 Es scheint mir in diesem Zusammenhang notwendig, darauf hinzuweisen, dass das Mobilisierungspotenzial von Popkultur nicht nur von linken politischen Kräften erkannt und genutzt wurde, sondern auch die National Front und andere rechte Kräfte versuchten, sich diese Quelle zu Eigen zu machen. Barnaby, einer meiner Interviewpartner, ein aus England stammender Antirassist, der seine Politisierung durch Punk in den 1970erJahren erfuhr, beschreibt eine „battle with young people’s ideas“. Aus seinen Äußerungen geht die unbedingte Notwendigkeit einer egalitären und antirassistischen Ideologisierung der unterschiedlichen Subkulturen hervor, um einer ideologischen Übernahme durch antidemokratische und rechte Kräfte entgegenzuwirken: I was a punk that followed punk rock groups and sought to make the punk movement left wing and antiracist. So I would have been a member of the Anti-Nazi League. Organising Rock Against Racism events and getting bands to play at those Rock Against Racism events. That would have been in the late 70s, early 80s. Probably mid-80s as well. And it was a real battle going on obviously, we all know Sid Vicious wore a Swastika, one or two of the punk rock groups with members who had Swastikas on, more as a show of rebellion I think than a real political movement. But at the time the National Front was very, very big in organising amongst the youth of Britain. They sought to train the skinhead movement and to some extent the punk movement as their storm troopers. So it was a real threat. And that’s why we sought to take control ideologically of the music movement and get bands to play and state their support for the Anti-Nazi League against racism. And that was to great success. We had huge events in Hyde Park where the Sham 69, Jimmy Percy sang, with The Clash. Most of the leading groups were at these concerts and at little local concerts in places around the country in Britain. Thousands of people turning up, we could leaflet those. Encourage them to go on demonstrations against Nazis. At the time the National Front was organising marches through areas of black people, the areas, the ghettos, Indian people, West-Indian lived, the majority of

21 Gilroy: There Ain’t No Black, S. 122. 22 Aus der Erstausgabe von Temporary Hoarding zitiert nach Gilroy: There Ain’t No Black, S. 121. 23 Gilroy: There Ain’t No Black, S. 122.

72 | UNDOING I RISHNESS people in those areas and they marched through those areas to intimidate those black people. And we would organise counter demonstrations to stop them, and mostly to great success. And we are talking about big numbers at that time. We are talking of hundreds of thousands of young people attending the Rock Against Racism-gigs in London. We are talking about ten thousands of people attending demonstrations with trade union banners. Many trade union banners, not just one or two. With trade union leaders, secretaries on these demonstrations against Nazis. So there were big numbers, and people took sides. And then the 80s with the skinhead movement, ska movement, that was another battle – again. It was an easy ideological battle to win because the ska movement, it’s obviously a black music. Nevertheless, a lot of skinheads would go towards Nazis. Again, the battle with young people’s ideas.

Weil Gilroy die antirassistische Bewegung als Aushandlungsprozess des gesellschaftlichen Verhältnisses von Schwarz und Weiß begreift, hebt er in seiner Untersuchung von Punk dessen Leistung hervor, die vormals codierte oder ignorierte Verbindung zwischen schwarzen und weißen Popstilen als unumstößliche Tatsache anzuerkennen und zu propagieren.24 Die Auseinandersetzung mit schwarzer Kultur, insbesondere der jamaikanischen, veränderte die Umgangweise zwischen Schwarzen und Weißen. „‚Race‘ had to be dealt with, acknowledged as primary determinant of social life and, in the same breath, overcome. If contact with black culture was to be maintained, then a disavowal of whiteness was called for, not by the blacks themselves but by punk culture’s own political momentum.“25 Nur so konnte Punk seine eigene kritische, bisweilen satirische Sichtweise auf die gesellschaftlichen Verhältnisse entwickeln, die Temporary Hoarding als „Labour Party Capitalist Britain“ bezeichnete, dessen primärer Charakterzug ein Rassismus war, der wiederum die Notwendigkeit zur Bekämpfung des gesamten autoritären Gesellschaftsgefüges symbolisierte. Nicht nur deswegen wurde Rassismus zum zentralen Thema von linksradikalen und revolutionären Bestrebungen, sondern auch, weil er einen Moment im Prozess des politischen Kampfes darstellte, der die Irrationalität, Brutalität, aber auch Verletzlichkeit des herrschenden kapitalistischen Systems unter Beweis stellte.26 Die Krise Großbritanniens und die allgemeine politische Stimmung jener Zeit hatte starke Auswirkungen auf Sprache und Symbolik der antirassistischen Bewegung. Die explosionsartige Verbreitung monarchistischer Memorabilien im Zuge des silbernen Thronjubiläums von Königin Elisabeth II. rückte die Symbole einer royalistischen und nationalistischen Definition von Britishness in den Vordergrund. Dieser royale Taumel in Kombination mit den Wahlerfolgen der National Front

24 Ebd., S. 122. 25 Ebd., S. 124. 26 Ebd., S. 129.

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ließ die ideologische Nähe von Rassismus und Nationalismus deutlich werden und leistete der Formierung eines Antirassismus, der beides gleichermaßen bekämpfen wollte, Vorschub. Zudem war die nationalistische Ornamentik eine Steilvorlage für Akte der Disassoziation: Die Attacke des Punk auf eine zentrale Ikone des britischen Nationalismus – das Konterfei der Queen versehen mit Sicherheitsnadeln auf dem Cover von „God Save The Queen“ von den Sex Pistols – ist bis heute eine weltbekannte symbolische Manifestation dieser antiaffirmativen Subkultur.27 Punk machte das Konzept von Whiteness lächerlich, attackierte das rassistisch begründete Herrschaftsverhältnis und die weiße Dominanzkultur und konterkarierte die Bestrebungen der Faschisten und Nationalisten/Royalisten, diese mit einer mythischen Bedeutsamkeit auszustatten. Allerdings produzierten einige Punklyrics, die sich direkt mit Rassismus befassten und versuchten, eine Verbindung zwischen den Erfahrungen kulturell und ökonomisch marginalisierter Weißer und rassistisch Diskriminierter herzustellen, eine äußerst problematische Mehrdeutigkeit. So kamen Songs wie „I Feel Like a Wog“28 von The Stranglers und „White Man in the Hammersmith Palais“29 von The Clash in das zweifelhafte Vergnügen, sich auch bei einem rechten Publikum großer Beliebtheit zu erfreuen.30

27 Ebd., S. 123. 28 Wog ist ein in Irland und Großbritannien weitverbreitetes rassistisches Schimpfwort. Maura definiert wog wie folgt: „Wogs is a very horribly term referring to a black person. I think it comes from golliwog. There was a black toy, a stuffed toy, a doll, years ago, a golliwog. A soft doll with a particular costume and it was kind of an African...It’s like nigger. It’s a really disgusting word.“ Die Bezeichnung wog leitet sich von golliwog ab, einer Figur aus einem britischen Kinderbuch, das Ende des 19. Jahrhunderts erschien. Sie wurde als Puppe mit schwarzem Gesicht, krausem Haar und dicken Lippen zu einem überaus beliebten Kinderspielzeug. Diese fragwürdige Popularität machte sich ein britischer Marmeladenfabrikant zunutze, gegen dessen Produkte der GLC Anfang der 1980er-Jahre zu einem Boykott aufrief. Ein Interviewpartner klärte mich über das Ausmaß der Heftigkeit der Beschimpfung wog im Englischen auf, wobei diese Heftigkeit auch dadurch zum Ausdruck kam, dass er mir die Erklärung zuflüsterte, weil er wog für nicht gesellschaftsfähig hielt. Zudem bot er eine weitere Erklärung des Begriffs an: „Wogs. (flüstert) Which is a bit like ‚nigger‘. Wog is equivalent to the word ,nigger‘ to describe Asian people. There was a lot of Asian people in Britain so they were the subject of more attacks. What I heard was that it came from „Western Oriental Gentleman“ but I think it’s really to do with golliwog, and it’s very similar to the word ,nigger‘ and it’s very derogatory, very, very derogatory. A very bad word. “ 29 Dieser Song beklagt die Kommerzialisierung von Punk (Ha you think it’s funny/Turning rebellion into money) und wirbt für einen Zusammenschluss von Schwarz und Weiß (White youth, black youth/Better find another solution/Why not phone up Robin Hood/And

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John Lydon, irischstämmiger Sänger der Sex Pistols31, äußerte sich regelmäßig zu den Themen „Rasse“, Nation und Britishness. Einem amerikanischen Journalisten gegenüber sagte er: „There’s no such thing as patriotism any more. I don’t care if it blows up… England never was free. It was always a load of bullshit. I’m surprised we [the Sex Pistols] aren’t in jail for treason… Punks and Niggers are almost the same thing… when I come to America I’m going straight to the ghetto… I’m not asking blacks to like us. That’s irrelevant. It’s just that we’re doing something they’d want to do if they had the chance.“32 Nichtsdestotrotz markieren Synergieeffekte, ausgelöst durch die Kombination von schwarzen und weißen Stilen, wichtige Momente in der Kulturgeschichte der antirassistischen Bewegung im Großbritannien jener Jahre. Zudem fiel der Aufstieg von Punk Ende der 1970er-Jahre mit den Notting Hill Carnival-Ausschreitungen33 zusammen, bei denen sich schwarze Jugendliche eine gewalttätige Schlacht mit der Polizei lieferten. Diese schwarze urbane Wehrhaftigkeit und der kulturelle Kontext dieses Aufstandes34 führten den Punks vor Augen, dass ein fundamentaler und ununterbrochener Zusammenhang zwischen kulturellem Ausdruck und politischer Aktion – zuweilen auch Militanz – existiert.35 Sie wollten der schwarzen Rebellion nacheifern, und die kreative Konsequenz dieser Sehnsucht fand ihren Niederschlag in dem Song „White Riot“ von The Clash, die eine enge Zusammenarbeit mit RAR pflegten und der Publikumsmagnet bei den großen RAR-Festivals im Jahr 1978 waren.

ask him for some wealth distribution). Der Niedergang Großbritanniens wird sardonisch damit umschrieben, dass Adolf Hitler eine Limousine geschickt bekäme, würde er auf Staatsbesuch kommen (All over people changing their votes/Along with their overcoats/If Adolf Hitler flew in today/They’d send a limousine anyway). 30 Gilroy: There Ain’t No Black, S. 124. 31 John Joseph Lydon – auch bekannt als Johnny Rotton – veröffentlichte 1994 seine Autobiographie mit dem Titel: Rotton: No Irish, No Blacks, No Dogs. 32 Zitiert nach Gilroy: There Ain’t No Black, S. 124-125. 33 Der Notting Hill Carnival ist eine seit Mitte der 1960er-Jahre jährlich stattfindende Straßenparade, die vorrangig von Mitgliedern der afro-karibischen Community organisiert wird und mit dem Karneval der Kulturen in Berlin vergleichbar ist. 34 Gilroy beschreibt in diesem Zusammenhang die planvolle über Jahrzehnte betriebene Kriminalisierung und rassistische Stigmatisierung schwarzer Einwanderer in Großbritannien. Vgl. Gilroy: There Ain’t No Black, S. 94-97. 35 Gilroy: There Ain’t No Black, S. 125.

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THE CLASH „White Riot“ (1977) White riot - I wanna riot / White riot - a riot of my own / White riot - I wanna riot / White riot - a riot of my own Black men gotta lot a problems / But they don’t mind throwing a brick / White people go to school / Where they teach you how to be thick All the power’s in the hands / Of people rich enough to buy it / While we walk the street / Too chicken to even try it Are you taking over / or are you taking orders? / Are you going backwards / Or are you going forwards?

Die in diesem Song zum Ausdruck kommende politische und ideologische Beziehung zwischen Schwarz und Weiß schlug sich in Rock Against Racisms Strategie nieder, landesweit Konzerte zu veranstalten, auf denen sowohl schwarze als auch weiße Bands und ihre jeweiligen Fans zusammenkamen. Durch die Adaption der emanzipatorischen und antiautoritären Haltung von Punk und seiner Ästhetik gelang es der antirassistischen Bewegung, politisch ohne langweilig zu sein.36 Dies ist meiner Meinung nach das zentrale Charakteristikum des Antirassismus jener Zeit, denn nur so gelang eine zahlenmäßig relevante politische Mobilisierung. Zudem konnte die große und äußerst heterogene Gruppe von Antirassisten durch neue Kommunikationsformen, die auch stark auf der visuellen Ebene mit Buttons, Stickern und bedruckten T-Shirts funktionierte, zusammengehalten werden. Das Tragen von Buttons als widerständige Geste wurde zu einer politischen Demonstration, die das Wiedererkennen in der Öffentlichkeit und das Gefühl von Zusammengehörigkeit möglich machte. Anteil am Erfolg der damaligen Mobilisierung hatte die Anerkennung der unterschiedlichen Artikulationsformen von Rassismus bzw. der Vielgestaltigkeit von Rassismuserfahrungen. Die unterschiedlichen Ansichten und Erfahrungen kamen in Form von Leserbriefen an Temporary Hoarding zum Ausdruck. Es gab auch Beiträge aus Nordirland, die die Erfahrung rassistisch diskriminierter Schwarzer mit denen von Katholiken in den sechs Counties verglichen. „The kids here really know the meaning of racism and boredom.“37

36 Ebd., S. 126. 37 Ebd., S. 130. In diesem Zusammenhang ist Gilroys Beschreibung eines RAR-Posters erwähnenswert, auf dem neben Trotzki, Lenin, Mao, The Clash und Bob Marley auch Angela Davis – eine Ikone der schwarzen Bürgerrechtsbewegung in den USA – und Bernadette

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ANTIRASSISMUS

ODER

ANTIFASCHISMUS ?

Die großen antirassistischen Musikfestivals Ende der 1970er-Jahre organisierte Rock Against Racism zusammen mit der Anti-Nazi League, die 1977 – ebenfalls unter Beteiligung von SWP-Mitgliedern – gegründet wurde und deren primäres Ziel die Bekämpfung der National Front war. Dieses Ziel war zwar eindeutiger, aber auch eingeschränkter als das umfassende politische Projekt, das RAR verfolgte und maßgeblich eine Konsequenz aus „punk’s anarchic and cynical analysis of parliamentarism“38 war. Die Strategie der ANL war insofern ein Schritt zurück in die Zeiten von vor RAR, da sie ausschließlich auf dem historischen Referenzpunkt von Britain’s finest hour aufbaute. Hierdurch sollte eine möglichst breite Basis von Befürwortern angesprochen werden, deren gemeinsamer Nenner die Bekämpfung der Nazis in Großbritannien darstellte und zwar unabhängig davon, welcher sonstigen politischen Orientierung – rechts, links, liberal – sie angehörten. Gilroy zeichnet nach, wie die ANL ganz gezielt einen Nationalismus heraufbeschwor: Sie versuchte, die britischen Nazis als falsche und unauthentische Patrioten, deren Britishness zu bezweifeln sei, darzustellen. Wahre patriotische Gesinnung finde ihren Ausdruck in einer Gegnerschaft zur National Front.39 Sukzessive kam es zu einer Zurückverlagerung des inhaltlichen Schwerpunkts vom Antirassismus zum Antifaschismus, die auch für ältere Menschen attraktiv sein konnte, deren Erinnerung an den Faschismus der 1930er- und 1940er-Jahre noch wach war und die sich möglicherweise weniger mit dem systemkritischen Ansatz der zu einer jüngeren Generation gehörenden RAR-Anhänger anfreunden konnten. Andererseits verlor die Bewegung weitestgehend ihre Attraktivität für Menschen mit Migrationshintergrund und wurde so wieder zu einer eher weißen Veranstaltung. Tatsächlich gelang es der ANL, weitere Wahlerfolge der National Front zu vereiteln, und ihre Volksfrontstrategie – die im Übrigen auch heute in der antirassistischen Szene Irlands vereinzelt anzutreffen ist – ließ unzählige Splittergruppen à la Lehrer gegen Nazis, Vegetarier gegen Nazis, Schulkinder gegen Nazis, etc. entstehen. Allerdings führte Letzteres zu einer Fraktionierung der heterogenen und sich letztlich als fragil erweisenden Einheit der Antirassisten, denen es zuvor gelungen

McAliskey – eine Ikone der katholischen Bürgerrechtsbewegung in Nordirland – abgebildet sind. 38 Gilroy: There Ain’t No Black, S. 131. 39 Gilroys äußerst negative Bewertung der ANL-Politik drückt sich u. a. in folgender Einschätzung aus: „The neo-fascists wore the uniforms of Nazism beneath their garb of outward respectability and it is hard to gauge what made them more abhorrent to the ANL, their Nazism or the way they were dragging British patriotism through the mud.“ Gilroy: There Ain’t No Black, S. 131.

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war, durch ein gemeinsames Selbstverständnis von kultureller Opposition gegen Nationalismus, faschistische Gewalt, rassistische Polizeigewalt und institutionellen Rassismus einen gemeinsamen politischen Nenner zu finden.40 Die ANL unterminierte das Konzept dieser kulturellen Selbstverortung, indem sie Rassismus als etwas propagierte, das ausschließlich mit den Aktivitäten der eingrenzbaren und politisch zu isolierenden Gruppe der britischen Faschisten zu identifizieren sei. Diese Einschränkung, die eine totale Ausblendung des britischen Kolonialismus, Imperialismus und rassistischer staatlicher Einwanderungspolitik in Kauf nahm, hatte eine Entlastungsfunktion: „[...] even the most racist Britons did not necessarily recognize themselves as Nazis or identify their ideas about alien culture, mugging or repatriation, as being derived from the teachings of Adolf Hitler or Mussolini.“41 Gilroy kommt zu dem Schluss, dass die enge Rassismusdefinition der ANL, ihre Instrumentalisierung von Nationalismus und Patriotismus sowie ihre Absage an die Vorstellung, dass Rassismus keinesfalls ein gesellschaftliches Randproblem, sondern gesellschaftlicher Mainstream und Kernbestandteil staatlicher Politik sei, im scharfen Gegensatz zum innovativen und komplexen politischen Bewusstsein vieler RAR-Anhänger stand. Die Strategie der ANL kann also insofern als kontraproduktiv beschrieben werden, da sie versuchte, den Teufel mit dem Belzebub auszutreiben und einem Wiedererstarken nationalistischer Ressentiments und einer exklusiven Vorstellung von Britishness Vorschub leistete.42 Anhand von Gilroys Untersuchung wird deutlich, dass die jeweilige Definition von Rassismus gleichermaßen grundlegend ist für die Analyse antirassistischer Ansätze wie für die Entwicklung antirassistischer Strategien. Die durch die ANL betriebene Reduzierung von Antirassismus auf Antifaschismus führte zu ihrem Niedergang und entpuppte sich als Ursprung schwerwiegender Probleme für die Zukunft des Antirassismus. Antirassismus hörte auf, Spaß zu machen.43

C ATHIE L LOYDS KOMPARATIVER F ORSCHUNGSANSATZ : ANTIRASSISMUS IN F RANKREICH UND G ROSSBRITANNIEN Wie überaus wichtig die historische und politische Kontextualisierung antirassistischer Bedingungen und Möglichkeiten ist, führen auch Cathie Lloyds Studien vor

40 Gilroy: There Ain’t No Black, S. 133. 41 Ebd., S. 134. 42 Ebd., S. 134. 43 In der Tradition von Rock Against Racism wurde 2002 die Kampagne Love Music Hate Racism gestartet, die versucht den revolutionären Geist von RAR wiederzubeleben, um die wiedererstarkende BNP zu bekämpfen.

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Augen. Nur so können die Entwicklungslinien antirassistischer Diskurse und antirassistischer Strategieformen nachgezeichnet werden. Zudem ist Lloyd mit ihrem komparativen Ansatz in der Lage aufzuzeigen, wie sich Antirassismus je nach kulturellem und nationalem Kontext unterschiedlich ausprägt. Überzeugend an ihrer empirischen Untersuchung der antirassistischen Bewegung Frankreichs und Großbritanniens ist ihre Entscheidung, auf eine simplifizierende historische Momentaufnahme zugunsten einer weit zurückreichenden historischen Einbettung zu verzichten und so eine Periodisierung der Bewegung im 20. Jahrhundert vorzunehmen und die damit in Verbindung stehenden Generationskonflikte innerhalb einer antirassistischen Bewegung aufzuzeigen. Lloyds Forschung lenkt den Blick auf die Evolution von gemeinsamen und einheitlichen Narrativen und ihre Bedeutung für die Entwicklung eines effektiven Antirassismus.44 Zuerst soll dargestellt werden, welche Punkte Lloyd bei der Untersuchung des Antirassismus als grundlegend erachtet. Der Nachzeichnung der Entwicklungslinien des Antirassismus in Frankreich folgt ein Vergleich des französischen mit dem britischen Antirassismus. Abschließend möchte ich auf Lloyds Forschungsergebnisse zu den transnationalen Kontexten antirassistischer Bestrebungen vor dem Hintergrund der europäischen Integration und Globalisierung eingehen. Lloyd geht davon aus, dass ein zentrales Merkmal von Antirassismus seine Diversität ist. Für die Forschung bedeutet dies, dass Antirassismus als äußerst vielfältiges Phänomen begriffen werden muss, welches simultan auf unterschiedlichen Ebenen stattfindet. Das Spektrum dieser unterschiedlichen Aktionsebenen umfasst grass roots-Gruppen, zivilgesellschaftliches Engagement, protestorientierte Gruppen, bürokratisierte Organisationen mit Bündnispartnern auf Seiten der staatlichen Antirassismuspolitik sowie die lokale, nationale und transnationale Ebene. „Antiracism is composed of overlapping discourses and practices, involving different organisations operating at various levels of society.“45 Dieser Forschungsansatz gewährleistet, dass die Verbindungen zwischen antirassistischen Bewegungen, antirassistischen Organisationen und staatlicher Antirassismuspolitik sowie antirassisti-

44 Vgl. Werbner, Pnina: Essentialising, Essentialism, Essentialising Silence. Ethnicity and Racism in Britain, in: Wicker, Hans-Rudolf (Hrsg.): Das Fremde in der Gesellschaft. Migration, Ethnizität und Staat, Zürich 1996, S. 326. „Effective anti-racist struggles depend on the evolution of common, unitary narratives and the suppression of cultural differences between victims of racism. The search thus continues for a powerful essentialising rhetoric which can mobilise a wide constituency of anti-racists positively […].“ (Hervorhebung im Original) 45 Lloyd, Catherine: Discourses of Antiracism in France (Research in Ethnic Relations), Aldershot, Brookfield 1998, S. 247.

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sche Bestrebungen von Gewerkschaftsseite Berücksichtigung finden.46 (Verweis von Lloyd auf Phizacklea/Miles: 1980) Um herauszufinden, wie eine zukünftige transnationale antirassistische Politik funktionieren könnte, müssen die unterschiedlichen antirassistischen Ansätze in Europa mit ihren länder- und kulturspezifischen Charakteristika untersucht werden.47 Lloyd stellt fest, dass die jeweilige politische Kultur entscheidend ist für die spezifische Ausprägung antirassistischer Bestrebungen. In Frankreich sind Aufklärung und Französische Revolution selbstverständliche historische Bezugspunkte. Das „Mitstricken“ an und das Zurückgreifen auf die große nationale Narrative republikanischer Ideen und Werte ist bis heute zentraler, wenn auch nicht gänzlich unproblematischer Bestandteil antirassistischer Bemühungen. „The appeal to republican ideas and their appropriation into antiracist mythology gave antiracism a legitimacy which helped to take it beyond a mere opposition to racism. At the same time the claim that France is fundamentally antiracist made it possible to ignore the reality of entrenched and institutional racism.“48 Die Dreyfus-Affäre markiert einen historischen Wendepunkt, der Antirassismus mit Kampagnen für die Einhaltung der Menschenrechte verband und zu einem gewissen Grade die politische Linke dazu bewegte, über die Grenzen reiner Klassenpolitik hinausgehend eine oppositionelle Haltung zum Antisemitismus einzunehmen. Diese wurde mit einem Eintreten für republikanische Werte wie Solidarität verknüpft. Zudem illustriert die Dreyfus-Affäre die Schwierigkeit antirassistischer Mobilisierung sowie die Spannungen zwischen antirassistischem Universalismus und der Notwendigkeit der Unterstützung einzelner rassistisch diskriminierter Gruppen.49 Lloyd fasst die Bedeutung der Dreyfus-Affäre für den französischen

46 Lloyd, Cathie: Anti-racism, Social Movements and Civil Society, in: Anthias, Floya, Lloyd, Cathie: Re-thinking Anti-racism: From Theory to Practice, London, New York 2002, S. 70. 47 Lloyd: Anti-racism, Social Movements and Civil Society, S. 63. 48 Lloyd: Discourses, S. 233. 49 Ebd., S. 65 ff. Der Fall Dreyfus, jene die französische Nation spaltende Jahrhundertaffäre um den aus dem Elsass stammenden jüdischen Hauptmann, der 1894 wegen Landesverrats verurteilt wurde, besitzt in Frankreich bis heute eine ungeheure Sprengkraft. Der Name Dreyfus avancierte zum Codewort für einen immer noch nicht ausgestandenen Kampf zwischen dem klerikal-katholischen, monarchistischen und zeitweise exzessiv antisemitischen Teil und dem laizistisch-republikanischen, sozialistischen Teil der französischen Nation. Man kann jedoch zweifellos erkennen, dass die Affäre Dreyfus nicht nur auf Frankreich, sondern auch auf Deutschland und die europäische Kultur und Politik eine ungebremste Nachwirkung entfaltet. Trotzdem reagierte zu meinem Erstaunen ein deutscher Geschichtsprofessor mit spontaner Unüberzeugtheit, als ich ihm als Thema für eine Prüfung „Die

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Antirassismus, der seither Teil eines hegemonialen Projektes für soziale Gerechtigkeit mit einer universalistischen Ausrichtung und zahlreichen potenziellen politischen Bündnispartnern sei, wie folgt zusammen: „The central paradox of the Affair for antiracists is that ambivalence was a necessary precondition for legitimacy.“50 Diese Erfahrungen mit Problemen bei der antirassistischen Mobilisierung im Rahmen der Dreyfus-Affäre fanden in den 1930-Jahren ihren Niederschlag während der Mobilisierung gegen den Faschismus: Zentrales Element der antifaschistischen Strategie war die Betonung der universellen Bedrohung durch das nationalsozialistische Deutschland, nicht die der spezifischen Gefahr für die jüdische Bevölkerung Frankreichs.51 Trotzdem bewertet Lloyd die damalige Entstehung einer antirassistischen und antifaschistischen Solidarität als eine Voraussetzung für die Entwicklung eines kollektiven Verantwortungsgefühls für diskriminierte Gruppen. Die Erfahrungen des Zweitens Weltkrieges und die Shoa wurden von vielen Antirassisten als Aufforderung verstanden, sich mit der Situation einzelner Gruppen zu befassen und zu solidarisieren. Diese Entwicklung wirkte sich nachhaltig auf die in den 1950erJahren entstehende Antikolonialismus-Bewegung aus.52 Sie verwies auf den Zusammenhang zwischen ökonomischer Ausbeutung in den Kolonien und rassistischer Diskriminierung, wobei beides als Manifestation des kapitalistischen Systems betrachtet wurde, und führte zu einer Verlagerung des inhaltlichen Schwerpunkts der antirassistischen Bewegung von einer Opposition zum Antisemitismus zum Kampf gegen den kolonialen Rassismus, dessen Existenz wiederum Auslöser für ein organisiertes Eintreten für die Rechte von Immigranten wurde.53 Die Entwicklung antirassistischer Strategien in Frankreich in der Nachkriegszeit, die sich nun auch auf den historischen Referenzpunkt Résistance bzw. „antifa-

Dreyfus-Affäre“ vorschlug. Mein Herz sank, als ich mit meiner Überzeugungsarbeit in Sachen Dreyfus nicht auf Anhieb Erfolg hatte: Meine Argumente, dass die Dreyfus-Affäre nicht nur als Katalysator für antirassistische Politik, sondern ebenso als Geburtsstunde der Intellektuellen gilt („J’accuse!“) verfehlten die gewünschte professorale Zustimmung. Erst als ich das Schlagwort „politischer Antisemitismus“ in die Runde warf, wurde mir stattgegeben, mich zu einem für den Verlauf der Europäischen Geschichte im 20. Jahrhundert nicht gänzlich unwichtigen Thema prüfen zu lassen, das zudem im engen Zusammenhang mit der Entstehung des Zionismus und der Gründung der Ligue française pour la défense des droits de l'Homme et du citoyen steht. 50 Lloyd: Discourses, S. 85. 51 Ebd., S. 239. 52 Ebd., S. 113. 53 Auch die Gewerkschaften konnten für dieses antirassistische Anliegen gewonnen werden, wobei es ihnen jedoch nach wie vor mehr um die Themen Klassenbewusstsein und soziale Ungleichheit als um Rassismus ging. Lloyd: Discourses, S. 234-235.

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schistischer Widerstand“ bezogen, war verbunden mit einem stetigen, zuweilen langsam verlaufenden Prozess der politischen Selbstverortung der antirassistischen Akteure. So fanden die nationalen Befreiungskämpfe in den Kolonien nicht auf Anhieb die Unterstützung der Antirassisten. Diese sich langsam auflösende Zurückhaltung hatte ihren Ursprung in der generellen Bewertung des Nationalismus durch die Linke, die in ihm lediglich ein politisches Durchgangsstadium sah.54 Der vormals paternalistisch geführte antirassistische Diskurs und die antirassistische Perspektive änderten sich im Laufe der 1960er- und 1970er-Jahre dahingehend, dass eine rein ökonomische Analyse durch die Einsicht abgelöst wurde, dass Immigranten nicht nur ökonomisch ausgebeutet werden, sondern dass Rassismus ein in der französischen Gesellschaft tief verwurzeltes soziokulturelles Phänomen darstellt, das Immigranten auch die politische und kulturelle Partizipation erschwert oder vorenthält.55 Es kam zu einem offenen Konflikt zwischen den traditionellen antifaschistisch-antirassistischen Organisationen und den für Gleichberechtigung kämpfenden Immigranten und ihren Kindern, die nicht länger viktimisiert werden wollten.56 Dieser Konflikt setzte sich in den 1980er-Jahren fort, als die „neue Generation“ – darunter junge Menschen mit Migrationshintergrund – ein Ende von rassistischer Gewalt und gesellschaftlicher Marginalisierung forderten. Zudem entstanden Spannungen zwischen den neuen antirassistischen Akteuren, die einen deutlich systemkritischeren Ansatz vertraten, und den traditionellen Antirassismusorganisationen Frankreichs, weil diese ihre Zusammenarbeit mit staatlichen Institutionen ausweiteten. Auf beiden Seiten wurde zuweilen durchaus emotional reagiert, wenn Angehörige der jungen antirassistischen Generation sich als „Immigranten“ abgestempelt sahen oder sich altgediente Vertreter des „klassischen“ Antirassismus auf die Füße getreten fühlten, wenn ihnen Paternalismus unterstellt wurde.57 Als nachhaltiger Beitrag dieser sozialen Bewegung kann die Initiierung der Debatte um nouvelle citoyenneté gelten. Dieser Entwurf einer aktiven Staatsbürgerschaft provozierte ein Nachdenken über die Verbindungen zwischen Bürgerrechten und Nationalität. Außerdem wurde die antirassistische Bewegung dazu gezwungen, eine Neuverhandlung des Verhältnisses von Partikularismus und Universalismus

54 Ebd., S. 119. Einige Antirassisten sehen jedoch einen Zusammenhang zwischen der Résistance und dem revolutionären „droit à l’insurrection“ und dem Recht auf nationale Selbstbestimmung. Ebd., S. 120. 55 Lloyd: Discourses, S. 119, 239. 56 Ebd., S. 238, 240. 57 Lloyd, Cathie: Antiracist Mobilization in France and Britain in the 1970s and 1980s, in: Joly, Danièle (Hrsg.): Scapegoats and Social Actors. The Exclusion and Integration of Minorities in Western and Eastern Europe, Basingstoke, New York 1998, S. 166-167.

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vorzunehmen.58 Da sich der Partikularismus als gedankliche Sackgasse erwies, dominiert heute in Frankreich ein antirassistisches Verständnis mit der Betonung universeller Rechte. Dies geschieht allerdings unter Berücksichtigung des pluralistischen Charakters der französischen Gesellschaft, dessen Anerkennung auch in der Idee der nouvelle citoyenneté ihren Ausdruck findet.59 Republikanische Werte bilden bis heute die wichtigste Argumentationsgrundlage für antirassistische Politik in Frankreich. Sie bilden einen gemeinsamen Bezugspunkt für alle antirassistischen Akteure, die so unabhängig von generationsspezifischen, kulturellen und politischen Differenzen einen transversalen Stil in der politischen Zusammenarbeit entwickeln konnten. Für Lloyd sind diese Allianzfähigkeit und das Konzept der Transversalität der Schlüssel für das Fortbestehen antirassistischer Politik in Frankreich. Obwohl die Transversalität zuweilen die interne Agendasetzung von antirassistischen Organisationen oder Gruppen erschweren, setzt sie ältere politische Allianzen mit der politischen Linken und den Gewerkschaften nicht aufs Spiel.60 In Anlehnung an Gramscis Hegemoniekonzept gelingt es Lloyd hervorzuheben, dass Antirassismus in Frankreich ein hegemoniales Projekt sei – und nicht nur eine organisierte Opposition zum Rassismus.61 Der Bezug auf die alten republikanischen Ideale ermöglicht dem französischen Antirassismus, seinem Anliegen Legitimität zu verschaffen und nicht nur als reine Oppositionsbewegung aufzutreten. Dies ist eine Grundvoraussetzung für den Erfolg des Antirassismus in Frankreich, dem es im Gegensatz zu anderen nationalen Antirassismen zuweilen gelingt, den Status einer intellektuellen und moralischen Instanz zu erlangen. Gemäß Lloyds Forschungsprämisse ist die jeweilige politische Kultur entscheidend für die spezifische Ausprägung antirassistischer Bestrebungen. Auch am Beispiel Frankreichs lässt sich nachvollziehen, dass Antirassismus stets ein Spiegel der politischen Kultur jenes Landes ist, in dem er stattfindet.

58 Lloyd: Discourses, S. 240-241. 59 Da nach dem republikanischen Gleichheitsverständnis ein Einwanderer als citoyen gilt, also als staatsbürgerliches Individuum, wird in Frankreich Minderheitenpolitik primär als Sozialpolitik konzipiert. Das französische Integrationsmodel resultiert dementsprechend aus einem politisch definierten Nationskonzept und nicht wie im deutschen Fall aus der Bindung des Individuums an eine völkisch definierte Nation. Für den französischen Kontext bedeutet dies – im Gegensatz zum britischen – eine „farbenblinde“ Integrationspolitik. Mit dem ius soli wird die staatbürgerliche Rechtsgleichheit der zweiten Einwanderergeneration auch juristisch garantiert. Vgl. Loch, Dietmar: Kommunale Minderheitenpolitik in Frankreich, in: Baringhorst; Jansen (Hrsg.): Politik der Multikultur, S. 155-156. 60 Ebd., S. 244. 61 Lloyd: Discourses, S. 4.

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Wie überaus sinnvoll die Reflexion der eigenen kulturellen Prägung und die bewusst vorgenommene Selbstverortung in der jeweiligen politischen Kultur und im jeweiligen wissenschaftlichen Diskurs sind, zeigt sich, wenn man Lloyds komparative Herangehensweise betrachtet. Sie unterstreicht, dass eine Untersuchung der unterschiedlichen Rahmenbedingungen und ihr Einfluss auf antirassistische Positionen die Möglichkeit eröffnet, Begriffe, Modelle, Diskurse und Praxen, die normalerweise als selbstverständlich erachtet werden, anders einschätzen zu können und so neue Einsichten zu gewinnen.62 So stellt Lloyd im Hinblick auf das britischfranzösische Verhältnis zunächst die Frage: „Was denken wir eigentlich voneinander?“63 Welche Stereotype gibt es, wenn Briten von Franzosen reden, und ist über die Anderen zu sprechen letztlich nicht immer ein Sprechen über sich selbst? Sie gibt zu bedenken, dass – soweit Frankreich in Großbritannien überhaupt ernst genommen werde, da sich die Berichterstattung größtenteils um Essen, Wein und Ferienhäuser drehe – es zumeist als rassistische Gesellschaft porträtiert wird, die über keine kohärente antirassistische Politik verfüge. Im Gegenzug werde in Frankreich davon ausgegangen, dass das britische Model der race relations nicht zur Integration, sondern zu einer Ethnisierung der britischen Gesellschaft mit starker Tendenz zur Segregation geführt habe.64 In letzter Konsequenz lassen sich die Unterschiede des britischen und französischen Antirassismus auf eine divergierende Bewertung von Universalismus und Partikularismus zurückführen. In Frankreich bestimmt eine starke universalistische Tradition den Diskurs, während er in Großbritannien von kultureller Diversität, Differenz und Identität bestimmt wird.65 Dies hat zur Folge, dass in Frankreich die Diskussion um Einwanderung, Rassismus und Integration eine breitere und stärker theoretische Dimension angenommen hat, die den Begriff der französischen Identität hinterfragt und in dem Bewusstsein geführt wird, dass es sich um Fragen handelt, die die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit betreffen.66 Aufgrund des Fehlens dieser universalistischen Tradition bietet der britische Kontext einer antirassistischen Politik keine vergleichbar starken Referenzpunkte wie in Frankreich. Dies zeigt sich unter anderem in der Strategie der Anti-Nazi League, die mangels eines weiter zurückreichenden historischen Bezugspunktes auf

62 Lloyd, Cathie: „Race Relations“ in Großbritannien und in Frankreich, in: Institut für Migrations- und Rassismusforschung e. V. (Hrsg.): Rassismus und Migration in Europa. Beiträge des Hamburger Kongresses „Migration und Rassismus in Europa“ (25.-29. September 1990) (Argument Sonderband; AS 201), Hamburg 1992, S. 469. 63 Lloyd: „Race Relations“, S. 470. 64 Ebd., S. 471. 65 Lloyd: Universalism and Difference, S. 223. 66 Ebd., S. 237; Lloyd: „Race Relations“, S. 477.

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den antifaschistischen Kampf in den 1930er- und 1940er-Jahren als Legitimationsgrundlage heranzog.67 Außerdem ging es in Großbritannien weniger um philosophische Fragen als um die Entwicklung einer effizienten Integrationspolitik. In gewisser Weise kann man sagen, dass die britische Diskussion insgesamt pragmatischer geführt wurde, wenn im Rahmen der race relations-Politik das Konzept der Chancengleichheit propagiert wurde, das sich auf ethnic monitoring stützte.68 Lloyd gibt zu bedenken, dass mit diesen politischen Maßnahmen zwar gewisse Erfolge in Großbritannien erzielt werden konnten, diese jedoch nur bedingt auf andere europäische Staaten übertragbar seien. In Frankreich sind antirassistische Organisationen zurückhaltend mit Strategien, die auf spezifische Probleme einzelner ethnischer Minderheiten abzielen, da sie die daraus resultierenden Spannungen mit anderen marginalisierten Teilen der französischen Bevölkerung befürchten.69 Während heute in Frankreich universelle Kategorien sowie das Bemühen um eine Weiterentwicklung der Idee der Staatsbürgerschaft einen theoretischen und konzeptionellen Rahmen für antirassistische Strategien gewährleisten, führten in Großbritannien die ethnische Klassifizierung und Terminologie zu einer Fragmentierung antirassistischer Kräfte auf Grundlage ihres ethnischen Hintergrundes sowie zu einer Selbstethnisierung einzelner Gruppen.70 Wie sich die unterschiedlichen nationalen Diskurse auf die Akteursebene auswirken, zeigte sich, als Anfang der 1990er-Jahre antirassistische Gruppen versuchten, ein antirassistisches Netzwerk in Europa aufzubauen. Briten und Franzosen stritten über die Rolle von Schwarzen innerhalb antirassistischer Strukturen: Für die britischen Aktivisten schien es generell schwer, sich eine Situation vorzustellen „in which (a) the dominant terminology is not a racialised one, and (b) the groups most subjected to racism and discrimination are hardly (physically) distinguishable from the indigenous population“.71 Ver-

67 Lloyd: Antiracist Mobilization, S. 156. 68 In den britischen Zensus von 1991 wurde die Kategorie „ethnische Herkunft“ aufgenommen. 69 Lloyd: „Race Relations“, S. 480. 70 Lloyd: Universalism and Difference, S. 226-227. 71 Neveu, Catherine: Is ‘Black‘ an Exportable Category to Mainland Europe? Race and Citizenship in a European Context, in: Rex, John; Drury, Beatrice (Hrsg.): Ethnic Mobilisation in a Multi-cultural Europe (Research in Ethnic Relation Series), Aldershot 1994, S. 99. Neveu nimmt des Weiteren folgende Einschätzung vor: „One could conclude from this that since the French and British situations are so different, there is hardly any hope of ethnic minority migrant and antiracist groups ever finding a common basis for networking at the European level. I would on the contrary argue that behind the diverging roads followed by the debates and mobilisations in France and Britain, the same wide issues are at stake,

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einzelt wurde sogar behauptet, dass jemand, der weiß ist, grundsätzlich kein Antirassist sein könne.72 Das in Großbritannien vorherrschende Schwarz-Weiß-Paradigma erweist sich zudem als wenig hilfreich, wenn es darum geht, unterschiedlichen Artikulationsformen von Rassismus bzw. der Vielgestaltigkeit der Erfahrung, rassistisch diskriminiert zu werden, Rechnung zu tragen. Während britische Aktivisten Identitätskonzepte basierend auf Phänotyp und ethnischer Herkunft in den Vordergrund stellen, ist man auf französischer Seite bestrebt, antirassistische Allianzen auf der Basis von Erfahrungswerten in Bezug auf die eigene politische, ökonomische und gesellschaftliche Position aufzubauen.73 Tariq Modood verweist auf die Komplexität und Heterogenität ethnischer Mobilisierung und greift das Konzept einer schwarzen Hegemonie an. Er beklagt, dass in politischen, akademischen und administrativen Zusammenhängen der Vorstellung nachgegeben wurde „that perhaps the important social fact about non-white people in Britain is their common participation in a political ‚blackness‘“.74 Modood betont, wie diese Vorstellung bestimmte Gruppen, vor allem Asiaten und Moslems, marginalisiert und plädiert für eine Entwertung der Kategorie Hautfarbe. Tatsächlich wurde zuweilen die Kategorie „schwarz“ für alle, die rassistisch diskriminiert werden, geöffnet.75 Anhand der Untersuchung der irischen Erfahrung in Großbritannien wird deutlich, dass innerhalb des antirassistischen Diskurses nicht nur die Teilhabe an political blackness ein hart umkämpftes Feld ist, sondern auch, dass die Betonung der Hautfarbe als Basis für antirassistische Mobilisierung fälschlicherweise rassistische Diskriminierung (racial discrimination) mit Diskriminierung aufgrund der Hautfarbe (colourdiscrimination) gleichsetzt.76

namely the redefinition/reactualisation of the criteria which could define legitimate access to and membership of the ‘national community’”. Ebd. S. 101-102. 72 Lloyd: Universalism and Difference, S. 230. 73 Lloyd, Cathie: Anti-racist Responses to European Integration, in: Koopmans, Ruud; Statham, Paul (Hrsg.): Challenging Immigration and Ethnic Relations Politics. Comparative European Perspectives, Oxford, New York 2000, S. 401. Vgl. auch Neveu: Is ‘Black‘ an Exportable Category to Mainland Europe?, S. 98. 74 Modood, Tariq: The End of a Hegemony: The Concept of ‘black‘ and British Asians, in: Rex, John; Drury, Beatrice (Hrsg.): Ethnic Mobilisation in a Multi-cultural Europe (Research in Ethnic Relation Series), Aldershot 1994, S. 87. 75 Es kam zu einem „further change in the meaning of the term black, as it came to mean ‚people affected by racism’“. Mama, Amina: Women and the British State. Race, Class and Gender. Analysis for the 1990s, in: Braham, Peter; Rattansi, Ali; Skellington, Richard (Hrsg.): Racism and Antiracism. Inequalities, Opportunities and Policies, London, New Delhi 1992, S. 80. 76 Modood: The End of a Hegemony, S. 90.

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Lloyd geht davon aus, dass die teilweise sehr theoretische und komplexe Herangehensweise in Frankreich den britischen Pragmatismus beeinflussen konnte.77 Im Gegenzug kann die französische Antirassismusbewegung der 1980er-Jahre als Echo auf die Mobilisierung in Großbritannien durch Rock Against Racism verstanden werden. Die Antirassismusorganisation SOS-Racisme organisierte große Konzerte und bediente sich der RAR-typischen Kommunikationsmittel wie Musik, Sticker und Buttons.78 Mitte der 1980er-Jahre wurde so die Devise „Touche pas à mon pote“ tausendfach auf Buttons reproduziert zum Schlagwort der antirassistischen Bewegung.79 Die Notting Hill Carnival-Krawalle avancierten zu einem wichtigen Bezugspunkt für den antirassistischen Kampf in Großbritannien – eine Tatsache, die bei den französischen Aktivisten bekannt war und bewundert wurde.80 Eine Gemeinsamkeit markiert die Entwicklung einer generellen Identifikation mit Antirassismus, die vor allem für junge Leuten zum Standard wurde. Sowohl in Großbritannien als auch in Frankreich wurde es in den 1980er-Jahren regelrecht hip, Antirassist zu sein.81 Es ging nicht mehr nur darum, utopischen Zielen oder lebensfernen politischen Idealen nachzuträumen. Eine weitere Parallele zwischen dem französischen und britischen Antirassismus stellt die Bezugnahme auf die USamerikanische Bürgerrechtsbewegung der 1960er-Jahre dar. Französische Antirassisten wurden auf die rassistische Diskriminierung in den Vereinigten Staaten durch die Behandlung schwarzer GIs aufmerksam, die seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges in Frankreich stationiert waren und einer strikten „Rassentrennung“ (colour bar) unterzogen wurden.82 Im Großbritannien der 1960er-Jahre bot die Campaign Against Racial Discrimination (CARD), die nach einem Besuch von Martin Luther King in London initiiert wurde und sich an der schwarzen Bürgerrechtsbewegung in den USA orientierte, eine Basis für antirassistischen Aktivismus.83 In beiden Län-

77 Lloyd: Universalism and Difference, S. 223-224. 78 Ebd., S. 228-229. 79 Lloyd: Antiracist Mobilization, S. 168. 80 Ebd., S. 157-158. Lloyd sieht in den britischen Krawallen von 1981 einen Vorläufer der gewalttätigen Ausschreitungen in den französischen Banlieues, die von rassistischen Gewaltverbrechen und Polizeiübergriffen erschüttert wurden. Lloyd: Antiracist Mobilization, S. 164. 81 Lloyd: Antiracist Mobilization, S. 162. 82 Lloyd: Antiracist Discourses, S. 137, 239. 83 Lloyd bewertet den Einfluss der US-amerikanischen Bewegung auf den britischen Antirassismus als schädlich, denn „the US experience can be seen to have distorted and undermined the British anti-racist movement, encouraging it to develop goals without fully relating them to specific British conditions“. Lloyd: Anti-racism, Social Movements And Civil Society, S. 64.

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dern stellte diese Bezugnahme den Versuch dar, sich mit dem eigenen politischen Anliegen in einem internationalen Kontext zu verorten und sich so zusätzliche Legitimität zu verschaffen.84 In beiden Ländern war Antirassismus von jeher ein Projekt der politischen Linken. Daher sieht Lloyd in der Krise der Linken, ihrer Fragmentierung, dem Verlust an Vertrauen in die Werte der Aufklärung und die Möglichkeit des sozialen Fortschritts schwerwiegende Gründe für die generelle Schwächung antirassistischer Strukturen in Europa. So sei es nicht verwunderlich, dass sich weder im französischen noch im britischen Kontext die Implikationen des Erstarkens der neuen Rechten wirklich bewusst gemacht wurden. Der Aufstieg von Organisationen wie der National Front in Großbritannien und des Front National in Frankreich stellten eine neue Herausforderung für die Entwicklung effektiver antirassistischer Strategien dar.85 Sowohl in Frankreich als auch in Großbritannien führte die Institutionalisierung des Antirassismus zu Spannungen und Spaltungen innerhalb der antirassistischen Bewegung. Britische wie französische Antirassismusorganisationen gerieten untereinander in einen Wettstreit um öffentliche Gelder, der wiederum eine Anpassung an staatliche Vorgaben zwingend machte.86 Dieser Anpassungsprozess führte zu einer Vereinnahmung durch staatliche Institutionen, die zu einer Verwässerung ursprünglicher Ziele antirassistischer Organisationen führte und die zudem in einigen Fällen zum Spielball parteipolitischer Interessen wurden.87 Während jedoch die Institutionalisierung in Großbritannien eher zu einer Schwächung der antirassistischen Bewegung führte, trug sie in Frankreich zu einer stärkeren Vernetzung antirassistischer Aktivitäten bei. Zudem sind die traditionellen antirassistischen Organisationen Frankreichs wie z. B. das MRAP (Mouvement contre le Racisme et pour l’Amitié entre les Peuples), die auf eine jahrzehntelange Geschichte zurückblicken können, in der Lage, Konjunktureinbrüche antirassistischer Mobilisierung aufzufangen. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sich Rassismus in unterschiedlichen Ländern ganz verschieden äußert. Die charakteristischen Unterschiede lassen sich auf die Geschichte und politischen Traditionen eines jeden Landes zurückführen. Die zur Bekämpfung von Rassismus entworfenen Institutionen und Strategien

84 Lloyd: Antiracist Discourses, S. 235. 85 Lloyd: Universalism and Difference, S. 234, 236. Die neue Rechte ist ideologisch ein äußerst heterogenes Gebilde. Es ist richtig, dass Verbindungen zwischen dem Front National und der neuen Rechten in Frankreich bestehen. Jedoch ist der Front National nicht in erster Linie als eine Organisation der neuen Rechten zu betrachten, sondern steht vielmehr in der Tradition rechtsextremer Organisationen wie der Action Française. 86 Lloyd: Universalism and Difference, S. 230. 87 Ebd., S. 231.

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werden stets in einem ganz speziellen Rahmen implementiert.88 Dabei spielt auch die spezifische Natur und das Tempo der Einwanderung in das jeweilige Land eine Rolle.89 Der Vergleich der antirassistischen Tradition und Politik in Frankreich mit der in Großbritannien zeigt, dass sich antirassistische Praxen nicht ohne Weiteres übertragen lassen.90 Gleichwohl können unterschiedliche Erfahrungen in unterschiedlichen nationalen Kontexten modifiziert und erfolgreich angewandt werden.91

ANTIRASSISMUS

AUF INTERNATIONALER

E BENE

Wie das oben aufgeführte Beispiel über die Auswirkungen unterschiedlicher nationaler Diskurse auf die Strategieebene zeigt, müssen bei der Entwicklung einer umfassenden antirassistischen Strategie auf internationaler Ebene die nationalen Charakteristika von Antirassismen berücksichtigt werden. Lloyd betont, dass die europäische Integration und die Globalisierung Antirassisten und ihre Organisationen vor neue Herausforderungen stellen, aber auch neue Möglichkeiten antirassistischer Arbeit eröffnen.92 Diese neuen Möglichkeiten sieht Lloyd in erster Linie in den modernen Kommunikationsmitteln wie dem Internet, die sie als Basis einer funktionierenden internationalen Zivilgesellschaft erachtet.93 Ausdruck dieser internationalen Zivilgesellschaft sind weltweit agierende Organisationen wie Amnesty International, die Informationen über Diskriminierungen veröffentlichen und Druck auf nationale Regierungen ausüben.94 Die politische Mobilisierung durch internationale NGOs wie Amnesty International wird auch dadurch begünstigt, dass Antirassisten zu der Überzeugung gelangt sind, dass es nicht ausreichend ist, sich nur im jeweiligen nationalen Kontext zu engagieren, sondern dass sie sich mit ihrem politischen Anliegen in einem transnationalen Kontext verorten müssen. Dabei hilfreich ist die

88 Lloyd: „Race Relations“, S. 470. 89 Ebd., S. 478. 90 Ebd., S. 472. 91 Ebd., S. 477. 92 Lloyd: Antiracism, Social Movements and Civil Society, S. 60. 93 Lloyd erwähnt einige gut organisierten Gruppen wie GISTI (Groupe d'Information et de Soutien des Immigrés), JCWI (Joint Council for the Welfare of Immigrants) und UNITED (for Intercultural Action. European Network against Nationalism, Racism, Fascism and in Support of Migrants and Refugees), die das Internet sehr effektiv zur Verbreitung von Information und Vermittlung rechtlicher Hilfe nutzen. Lloyd: Antiracism, Social Movements and Civil Society, S. 73. 94 Ebd., S. 61, 62.

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zuvor von mir beschriebene seit Jahrzehnten existierende antirassistische Praxis, sich durch Bezugnahme auf den internationalen Kontext (US-amerikanische Bürgerrechtsbewegung, Antikolonialismus, Antiimperialismus, Antiapartheid) zusätzliche Legitimität zu verschaffen. Im Gegenzug ist die Betonung einer Verflechtung internationaler politischer Aktion auch einer der Gründe dafür, warum das antirassistische Projekt sehr stark von der europäischen Integration und der Globalisierung betroffen ist. Für antirassistische Kampagnen wurde der Kampf gegen die Harmonisierung der Einwanderungsgesetze und das Erstarken der Rechten in Europa eine zentrale Aufgabe.95 Die europaweite Verschärfung des Asylrechts wurde von zahlreichen antirassistischen Organisationen zum Anlass genommen, sich für die Belange von Migranten ohne gültige Papiere und von Asylbewerbern einzusetzen, während andere gegen das generelle Anwachsen von Rassismus kämpfen, den sie als eine Begleiterscheinung des „neuen“ Europas betrachten, in dem besonders häufig Immigranten zu Sündenböcken für gesellschaftliche Missstände gemacht werden.96 Die Europäische Kommission ist bestrebt, antirassistische Strukturen auf europäischer Ebene zu fördern. So folgte dem Europäischen Jahr gegen Rassismus 1997 die Gründung des Europäischen Netzwerks gegen Rassismus (ENAR).97 Dieses arbeitete mit der 1993 gegründeten Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) im Vorfeld der Europäischen Konferenz gegen Rassismus zusammen, die im Jahr 2000 unter dem Motto All Different All Equal: from Principle to Practice in Straßburg stattfand. Diese diente wiederum als Vorbereitung auf die UN-Weltkonferenz gegen Rassismus im südafrikanischen Durban 2001.98 Zudem wurde 1997 das EUMC (European Monitoring Centre on Racism and Xenophobia/Europäische Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit) gegründet, welches jedoch 2007 in Europäische Agentur für Grundrechte (European Union Agency for Fundamental Rights, FRA) umbenannt wurde. Angesichts dieser offiziellen Politik finden sich die antirassistischen Aktivisten in einem Dilemma: Auf der einen Seite wollen sie nicht von ihren politischen Grundüberzeugungen abweichen oder sich offiziellen Vorgaben unterwerfen. Auf der anderen Seite befürchten sie, dass die europäische Bürokratie ausschließlich ihr genehme antirassistische Initiativen protegiert.99 Gut organisierten Antirassismusgruppen fällt

95 Ebd., S. 71. 96 Lloyd: Anti-racist Responses to European Integration, S. 390. 97 Das sich nicht unbescheiden auf seiner Internetseite als „The voice of an anti-racist movement in Europe“ bezeichnet. http://www.enar-eu.org (21.02.2008) 98 Diese Manifestationen von Antirassismus auf internationaler Ebene sind kritisch zu bewerten, weil sie stets als Plattform zur Durchsetzung nationaler Interessen dienen. 99 Lloyd: Antiracism, Social Movements and Civil Society, S. 73.

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es verhältnismäßig leicht, die neuen Kommunikationsformen und Förderprogramme der EU effektiv zu nutzen. Für protestorientierte Gruppen oder grass rootsInitiativen gestaltet sich der Zugang zu den europäischen Institutionen äußerst schwierig. Zudem trifft man auf internationaler Ebenen auf das gleiche Problem wie auf nationaler: Zwischen antirassistischen Akteuren und politischen Entscheidungsträgern herrscht ein schwieriges Verhältnis. Während politische Entscheidungsträger Antirassisten selten als ernstzunehmende oder gar seriöse Ansprechspartner betrachten, besteht innerhalb der antirassistischen Szene das Bedürfnis, sichere Distanz zur Obrigkeit zu wahren.100 Lloyd bewertet die offiziellen Bestrebungen im Zuge der europäischen Integration letztlich kritisch, wenn sie die unbedingte Notwendigkeit der Institutionalisierung des Antirassismus auf europäischer Ebene infrage stellt. Schließlich habe die informelle Zusammenarbeit schon zu gemeinsamen Kampagnen geführt.101 Ein informeller Ad-hoc-Organisationsstil scheint ihr für die transnationale Antirassismusarbeit am effektivsten und darüber hinaus richtungsweisend für die Entwicklung einer globalen Zivilgesellschaft. Das Potenzial des Antirassismus auf europäischer bzw. internationaler Ebene besteht laut Lloyd in seinem transversalen Stil der politischen Zusammenarbeit, der über die gemeinsamen Bezugspunkte antirassistischer Akteure entwickelt werden kann – unabhängig von kulturellen oder politischen Differenzen. Angesichts dieses Potenzials eines internationalen Antirassismus und angesichts der nationalen Unterschiede antirassistischer Diskurse und Praxen kommt sie zu dem Schluss: „If instead of focusing on the issues which divide them, anti-racists look at what they have in common, it may become clearer that some joint projects at European level may be possible. There are often as many difficult divisions between groups within countries as between countries. We know surprisingly little about these features of anti-racism in Europe, and this is an important theme for future research.“102

100 Lloyd: Anti-racist Responses to European Integration, S. 397. 101 Lloyd: Antiracism, Social Movements and Civil Society, S. 73. 102 Ebd., S. 77. Zu einer ähnlichen Einschätzung gelangen auch die österreichischen Antirassismusforscher Andreas Görg und Hans Pühretmeyer, wenn sie feststellen, dass „wissenschaftliche Reflexionen und Studien über die Wirksamkeit verschiedener antirassistischer Strategien, über die Faktoren, welche die Entwicklung antirassistischer Bündnisse in spezifischen nationalen und lokalen Kontexten begünstigen bzw. erschweren, über Formen der Mobilisierung breiter aktiver Unterstützung von antirassistischen Aktionen etc. nur selten in Angriff genommen“ wurden. Görg; Pühretmayer: Antirassistische Initiativen in Österreich, S. 238.

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Dieses Forschungsauftrages gewahr, möchte ich im abschließenden Teil dieses Kapitels die Forschungsergebnisse im deutschsprachigen Raum skizzieren, um anschließend auf den irischen Kontext einzugehen.

ANTIRASSISMUS

IM DEUTSCHSPRACHIGEN

R AUM

Einer der Gründe dafür, warum die (sozial-)wissenschaftliche Beschäftigung mit Antirassismus im bundesdeutschen Kontext generell eine Randexistenz pflegt, mag darin liegen, dass es hierzulande im Gegensatz zu Großbritannien und Frankreich keine lange antirassistische Tradition gibt. Angesichts der deutschen faschistischen Vergangenheit und des Rassismustabus in der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte bezeichnen Sabine Hess und Andreas Lindner den Antirassismus, der sich seit dem Beginn der 1980er-Jahre zu entwickeln begann, als neuen und progressiven, aber vor allem „nachholenden Diskurs“103, der als Reaktion auf den Anstieg rassistischer Gewalttaten, Rechtsextremismus, die gesellschaftlichen Transformationen, den zunehmenden Nationalismus nach der deutsch-deutschen Vereinigung und die staatliche Migrations- und Asylpolitik zu sehen ist.104 Dementsprechend organisiert sich Antirassismus vorrangig im Bereich der auf den Aufenthaltsstatus bezogenen Hierarchisierung der Bevölkerung und weniger im Kampf gegen rassistische Strukturen, da sich der rassistische Imperativ entlang der Themen Einwanderung sowie Nations- und Staatsangehörigkeit entfaltet. Wie Ingmar Pech richtigerweise hervorhebt, erklärt sich diese spezifische Ausprägung aus den verschiedenen nationalen Entstehungskontexten, denn im Gegensatz zu Deutschland sind antirassistische Ansätze in den USA oder Großbritannien seit Jahrzehnten in Bürgerrechtsbewegungen verankert.105 Die den Forschungsstand zum Antirassismus charakterisierende Lücke zwischen der theoretischen Auseinandersetzung einerseits und der empirischen Untersuchung antirassistischer Praxen und Konzepte anderseits klafft hierzulande besonders weit auseinander. Die Forschung zu Genese, Strategie und Wirksamkeit des Antirassismus steckt noch in den Anfängen. Erst im Laufe der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre rückten antirassistische Akteure im Rahmen der Forschung zu neuen sozialen Bewegungen vermehrt in den Fokus wis-

103 Hess; Lindner: Antirassistische Identitäten in Bewegung, S. 228. 104 Hess; Lindner: Antirassistische Identitäten in Bewegung, S. 12, 18. 105 Pech, Ingmar: „The Negro is not.“ – And so is the White! Zur Bedeutung von Whiteness in (antirassistischen) Praxen im bundesdeutschen Kontext, Freie wissenschaftliche Arbeit zur Erlangung des Grades einer Diplom-Soziologin, Berlin, Mai 2003, unveröffentlichtes Manuskript (im Archiv der Autorin), S. 125.

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senschaftlichen Interesses.106 Die wenigen existierenden deutschsprachigen empirischen Forschungsarbeiten möchte ich nun vorstellen.107 In ihrer Pionierstudie aus dem Jahr 1997 stellen Hess und Lindner die Frage nach individuellen Erfahrungen und Mobilisierungsmomenten antirassistischer Akteure in der Bundesrepublik Deutschland und deren Auswirkungen auf ihre politischen und alltagsweltlichen Praxen. Sie versuchen, die antirassistische „Bewegung als Erfahrungszusammenhang und Kontext von spezifischen Subjektbildungsprozessen, Praxen und Diskursen durch die Erzählung zu re-konstruieren“108.

106 Dazu gehört auch das internationale Forschungsprojekt „Mobilization on Ethnic Relations, Citizenship, and Immigration“ (MERCI). Diese Fünf-Länder-Vergleichsstudie (Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Niederlande, Schweiz) war eine Zusammenarbeit des Wissenschaftszentrums Berlin (WZB) und den Universitäten von Leeds, Genf und Amsterdam zu den Themen Migration, Staatbürgerschaft und Rechtsextremismus. Auf zwei Publikationen von MERCI nehme ich Bezug: Koopmans, Ruud; Statham, Paul (Hrsg.): Challenging Immigration and Ethnic Relations Politics. Comparative European Perspectives, Oxford, New York 2000; Koopmans, Ruud; Statham, Paul; Giugni, Marco; Passy, Florence: Contested Citizenship. Immigration and Cultural Diversity in Europe (Social Movements, Protest, and Contention, Band 25), Minneapolis, London 2005. In diesen Publikationen wird der gewachsenen Bedeutung von citizenship – der von Lloyd für den französischen Kontext definierten Schlüsselrolle der Fragen um Staatsbürgerschaft – Rechnung getragen. Das verstärkte Nachdenken über die Verbindungen zwischen Bürgerrechten und Nationalität geht einher mit einer Entwertung der Klassenproblematik und der Konjunktur von partikularistischen Identitätsdebatten. Der citizenship-Diskurs ist inzwischen zum zentralen inklusiv/emanzipatorischen Diskurs innerhalb der europäischen Linken geworden und spielt konsequenterweise heute eine zunehmend wichtigere Rolle innerhalb des antirassistischen Diskurses. Vgl. Yuval-Davis, Nira: Some reflections on the Questions of Citizenship and Anti-Racism, in: Anthias, Floya; Lloyd, Cathie (Hrsg.): Rethinking Anti-racism. From Theory to Practice, London, New York 2002. S. 44. 107 In einer Auswahl weiterer empirischer Studien zu Antirassismus in Europa sind zu nennen: Triesscheijn, Cyriel: Anti-Diskriminierungsarbeit in den Niederlanden auf lokaler Ebene am Beispiel von RADAR, in: Baringhorst; Jansen (Hrsg.): Politik der Multikultur, S. 125130; Serkei, Carmelita: Antirassistische Strategien in den Niederlanden, in: Institut für Migrations- und Rassismusforschung e. V. (Hrsg.): Rassismus und Migration in Europa, S. 483-494; Faux, Jean-Marie: Der Kampf gegen Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit in Belgien, in: Institut für Migrations- und Rassismusforschung e. V. (Hrsg.): Rassismus und Migration in Europa, S. 495-500; Jonson, Reinhold: Antirassistische Initiativen in Schweden, in: Institut für Migrations- und Rassismusforschung e. V. (Hrsg.): Rassismus und Migration in Europa, S. 501-505. 108 Hess; Lindner: Antirassistische Identitäten in Bewegung, S. 11.

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Die Schlüsselerlebnisse und Werdegänge der antirassistischen Akteure, die zu einer spezifischen antirassistischen Praxis führen, stehen bei Hess und Linder ebenso im Fokus wie die Begründung der eigenen politischen Orientierung.109 In ihrer qualitativen empirischen Studie nehmen sie eine Unterteilung der antirassistischen Bewegung in drei Strömungen vor: die bürgerlich-humanistische, die feministische und die autonom-linksradikale, wobei sie den Konstruktionscharakter dieser Unterteilung betonen, denn zwischen den Strömungen gibt es Überschneidungen.110 Sie gelangen zu dem Ergebnis, dass in den jeweiligen antirassistischen Strömungen unterschiedliche Selbstkonstruktionen und unterschiedliche politische Selbstverortungen anzutreffen sind. Obgleich die von Hess und Lindner als bürgerlich-humanistisch charakterisierten Antirassisten, die sich in ihrem Verständnis dessen, was für sie Antirassismus bedeutet, nicht klar vom Multikulturalismus oder anderen politischen Konzepten abgrenzen, eine kritische Distanz zu staatlicher Politik einnehmen, bleibt letztlich jedoch ein positiver Bezug zur nationalen Zugehörigkeit übrig. Die autonomen bzw. linksradikalen Antirassisten gehen in ihrer Kritik am herrschenden gesellschaftlichen System weiter und sind der Auffassung, dass die staatliche Politik für die Reproduktion nationalistischer und rassistischer Strukturen verantwortlich ist. Dementsprechend ist für sie eine Zusammenarbeit mit staatlichen Behörden ausgeschlossen111, und sie lehnen den Multikulturalismus als „Ethnisierung des Sozialen“ ab.112 Hess und Lindner kommen zu dem Ergebnis, dass es keine „typische Biografie des Antirassismus“ gibt.113 Antirassistische Identitäten charakterisieren sich nach Hess und Lindner dadurch, dass sie auf Grund der Mehrdimensionalität der Machtverhältnisse „offener, problematischer und instabiler“ werden.114 Letztlich gelangen sie jedoch zu dem hoffnungsvollen Resümee: „Insgesamt scheinen sich antirassistische Identifikationen in der Spannung von Positionierung und Differenz, von modern und spätmodern zu artikulieren – ein schwieriges, widersprüchliches und prozeßhaftes, doch nicht aussichtsloses Unterfangen.“115 Anja Weiß untersucht antirassistisch engagierte Gruppen aus der gebildeten Mittelschicht. Da diese mit einem überlegenen kulturellen Kapital ausgestattet sei,

109 Hess; Lindner: Antirassistische Identitäten in Bewegung, S. 11. 110 Ebd., S. 12. 111 Ebd., S. 229-230. 112 Hess/Linder beziehen sich hier auf Kaschuba, Wolfgang: Kulturalismus. Vom Verschwinden des Sozialen im gesellschaftlichen Diskurs, in: Zeitschrift für Volkskunde 91(1995) Heft 1, S. 27-46. Vgl. Hess; Linder: Antirassistische Identitäten in Bewegung, S. 77. 113 Ebd., S. 227. 114 Ebd., S. 243. 115 Ebd., S. 245.

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beschäftige sie sich vermehrt mit moralischen Fragen, weswegen Antirassismus als Zeichen von Bildung, Progressivität und internationaler (man könnte auch sagen: kosmopolitischer) Orientierung attraktiv wird. Für Weiß ist ein antirassistisches Engagement, das so entsteht, „ein Tiger ohne Zähne“.116 Weiß sieht für die Zukunft des Antirassismus nur dann gute Chancen, wenn Antirassismus über die Aktivierung von Protestpotenzial hinausgeht und Wege aufzeigt, die das langfristige Eigeninteresse breiter gesellschaftlicher Kreise ansprechen.117 Ingmar Pech versteht es in ihrer Studie zu weißen antirassistischen Praxen im bundesdeutschen Kontext, die Critical Whiteness Studies, die wie bereits erwähnt auch in der Rassismusforschung neue Impulse setzen konnten, für die Antirassismusforschung nutzbar zu machen. Ausgehend von der auch von Weiß konstatierten Ambiguität weißer antirassistischer Strategien, die darin besteht, dass sie innerhalb der bestehenden Strukturen funktionieren und diese gleichzeitig verändern wollen, untersucht Pech, wie ein eigener Bezug zu Whiteness wahrgenommen, signalisiert und kommuniziert wird.118 Dabei kommt Pech zu dem Ergebnis, dass die eigene weiße Dominanzposition von antirassistisch engagierten Personen gar nicht wahrgenommen wird oder nur in widersprüchlicher Weise in politischen Praxen gegen Rassismus Berücksichtigung findet.119 In vielen Rassismen werden die Anderen zeitweilig als schwarz konstruiert, so dass in der rassistischen Konstruktion das Selbst sich als ein weißes entwirft. Diese Selbstkonstruktion wird jedoch nicht bewusst wahrgenommen, obwohl Whiteness von fundamentaler Bedeutung für das deutsche Selbstverständnis ist.120 Pech skizziert Deutschland als einem „weißen“ Raum, in dem historische und zeitgenössische Konstruktionsprozesse diese Imagination erst hervorbringen und manifestieren. So gelingt es ihr aufzuzeigen, dass der Raum nur durch einen gekoppelten Abwehrprozess gedacht werden kann: zum einen durch das Fernhalten oder Vertreiben von Nicht-Weißen aus diesem Raum, zum anderen durch die Negation, Marginalisierung und Nachordnung von Nicht-Weißen innerhalb dieses Raumes.121 Ein Beispiel für die immer wieder vorgenommene Markierung von nicht-weiß als nicht-

116 Weiß: Rassismus wider Willen, S. 356-357. 117 Ebd., S. 358. 118 Pech: „The Negro is not.“ – And so is the White!, S. 123, 124. 119 Ebd., S. 149. 120 Dies gilt auch für andere westeuropäische Staaten und zu einem gewissen Grade auch für die USA. Vgl. Bonnett, Alastair: Constructions of Whiteness in European and American Anti-racism, in: Werbner, Pnina; Modood, Tariq (Hrsg.): Debating Cultural Hybridity: Multi-Cultural Identities and the Politics of Anti-Racism, London, New Jersey 1997, S. 173-192. 121 Pech: „The Negro is not.“ – And so is the White!, S. 150.

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deutsch begegnete mir im Frühjahr 2008 in Berlin Kreuzberg, als ich an einem großen Werbeposter der Diakonie vorbeilief, auf dem vor einem weißen Betreuer ein Schwarzer abgebildet war, neben dem der Schriftzug zu lesen stand: „Fremd. Und mitten im Leben. Integrationshilfe ist Diakonie.“ Pech ruft zu einer Demontage von Whiteness auf, die in antirassistische Zusammenhänge integriert werden soll.122 Für den antirassistischen Akteur – nicht nur in Deutschland, sondern auch in andern Ländern Westeuropas – muss dies bedeuten, die eigene Person in einer kritischen Auseinandersetzung mit konkreten geschichtlichen Prozessen in Verbindung zu bringen und sich als sozial und historisch situiert wahrzunehmen. Nur so können im Rahmen antirassistischer Praxen neue Handlungsfelder eröffnet werden. Nicht die Rechte von Flüchtlingen und Migranten müssen verteidigt, sondern die historische Definition von „Uns“ versus „Sie“ angegriffen werden.123 Die österreichischen Forscher Andreas Görg und Hans Pühretmeyer betrachten in ihrer 2000 erschienen Studie die Zivilgesellschaft als den Motor, der emanzipatorische – also auch antirassistische – Politik produziert.124 In dem Bestreben, den österreichischen Antirassismus zu kontextualisieren, stellen sie jedoch fest, dass die österreichische Zivilgesellschaft relativ schwach entwickelt ist, weil die Nichtexistenz einer revolutionären Tradition „aufmüpfiger politischer Kultur, in der ein subversives Gedächtnis, eine Erinnerung an die Herausforderbarkeit and Anfechtbar-

122 Ebd., S. 124. 123 Ebd., S. 153. Vgl. auch Kushnick, Louis: Racism and Anti-Racism in Western Europe, in: Bowser, Benjamin P. (Hrsg.): Racism and Anti-Racism in World Perspective (Sage Series on Race and Ethnic Relations, Band 13), London, New Delhi 1995, S. 196. Zur Erforschung des deutschen Antirassismus hat außerdem Manuela Bojadžijev unter der Berücksichtigung des Zusammenhangs zwischen Antirassismus und Klassenkampf sowie des migrantischen Widerstands beigetragen. Bojadžijev, Manuela: „Deutsche und ausländische Arbeiter: Ein Gegner – ein Kampf“? Antirassistische Kämpfe. Methodische Fragen, historische Entwicklungen, in: Demirović, Alex; Bojadžijev, Manuela (Hrsg.) Konjunkturen des Rassismus, Münster 2002, S. 268-289. Bojadžijev, Manuela: Antirassistischer Widerstand von MigrantInnen in der Bundesrepublik Deutschland, in: Bratić, Ljubomir (Hrsg.): Landschaften der Tat. Vermessung, Transformationen und Ambivalenzen des Antirassismus in Europa, Linz 2002, 13-31. 124 Wie Lloyd beziehen sich Görg und Pühretmeyer auf das Hegemoniekonzept von Gramsci, um gesellschaftliche Auseinandersetzungen zu beschreiben, in denen es einem geschlechtsspezifisch und ethnisch geprägten Bündnis von sozialen Klassen und Gruppen gelingt, die politische und ideologisch-kulturelle Vorherrschaft in der Gesamtgesellschaft zu übernehmen. Görg; Pühretmeyer: Antirassistische Initiativen in Österreich, S. 239.

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keit von Herrschaftsverhältnissen besteht“125 zu beklagen sei. Ihre Studie widmen sie antirassistischen Praxen in Wien Ende der 1990er-Jahre, als auf das Lichtermeer126 eine radikale Umkehrung der politischen Konjunktur für jene Initiativen folgte, die im Widerstand gegen die Verschärfung der österreichischen „Fremdengesetze“ seit Beginn der 1990er-Jahre gebildet wurden. Da es die Regierung verstand, das Lichtermeer für ihren moralisierenden Antirassismus zu vereinnahmen und Rassismus ausschließlich der rechtsextremen FPÖ zuzuordnen, verloren antirassistische Initiativen ihren Mobilisierungsmoment und erhielten darüber hinaus immer weniger staatliche Subventionen.127 Deswegen charakterisieren Görg und Pühretmeyer Antirassismus in Österreich wie folgt: „Symptomatisch für den zersplitterten Zustand des Ensembles antirassistischer Aktivitäten in Österreich ist der Umstand, dass es bis dato keine HandlungsträgerInnen gibt, die sich als legitime politische VetreterInnen eines übergreifenden gemeinsamen Interesses in der antirassistischen ‚Szene‘ etabliert hätten.“128 Innerhalb der antirassistischen Szene ist das Verhältnis der NGOs untereinander vor allem durch die Konkurrenz um beschränkte Subventionsmittel bestimmt.129 Auch in Österreich treffen die Forscher auf das typische Dilemma antirassistischer Gruppen: Lassen sie sich auf eine staatliche Finanzierung ein, müssen sie bestimmten staatlichen Vorgaben gerecht werden. Üben sie Kritik am System und den verantwortlichen Politikern, müssen sie um ihre ökonomische Grundlage fürchten.130 Görg und Pühretmeyer beziehen sich direkt auf die Studie von Hess und Lindner, die „ganz selbstverständlich nur weiße Deutsche“ in den Mittelpunkt ihrer Forschung stellen, anstatt auch Migranten als antirassistische Akteure in die Untersu-

125 Görg; Pühretmayer: Antirassistische Initiativen in Österreich, S. 240. Die Autoren sehen in der Gegenreformation, dem Metternichschen Polizei- und Spitzelstaat, dem Austrofaschismus und dem Nationalsozialismus Perioden einer Geschichte, in der kritische Diskurse und Politiken systematisch unterdrückt wurden. Ebd., S. 241. 126 Das Lichtermeer „gegen Fremdenhass und Ausländerhetze“ war eine Großdemonstration, organisiert durch die NGO SOS Mitmensch in Wien 1993 auf dem symbolisch bedeutsamen Heldenplatz (1939 hielt hier Hitler seine Rede zum „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich.), die als Erfolg gegen das sogenannte Anti-Ausländer-Volksbegehren „Österreich zuerst“ der FPÖ gewertet wurde und mit den zur gleichen Zeit in Deutschland stattfindenden Lichterketten gegen „Ausländerfeindlichkeit und Gewalt“ verglichen werden kann – auch was ihre mangelnde politische Wirkung betrifft. 127 Görg; Pühretmeyer: Antirassistische Initiativen in Österreich, S. 237. 128 Ebd., S. 249. 129 Ebd., S. 254. 130 Ebd., S. 247.

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chung mit einzubeziehen.131 Sie bemängeln paternalistische Tendenzen innerhalb der antirassistischen Szene, die dazu führen, dass es nicht als selbstverständlich gilt, „dass rassistisch Diskriminierte selbst die zentrale Sprechrolle einnehmen und ihre Interessen ohne StellvertreterInnen artikulieren“.132 Dabei unterstreichen sie, dass die Ausgangsbedingungen für politisches Engagement für rassistisch Diskriminierte und Nicht-Diskriminierte nicht dieselben sind. Für rassistisch Diskriminierte ist der Schritt, sich im politischen Raum zu exponieren, tendenziell mit existenziellen Fragen verbunden.133 Im Hinblick auf die europäische Integration artikulieren die Autoren ihre Hoffnungen für die Zukunft antirassistischer Politiken, die sie mit dem Aufbau einer europäischen Zivilgesellschaft und der Entwicklung einer transnationalen europäischen Staatsbürgerschaft verbinden. Wenn es dem europäischen Antirassismus gelingt, Migrantenorganisationen und rassistisch Diskriminierte aktiv am antirassistischen Projekt zu beteiligen, kann der Erfolg antirassistischer Strategien zu einem Gradmesser für die Demokratisierung der Verhältnisse im heutigen Europa werden.134 In einem zwei Jahre später erschienenen Aufsatz bewertet Görg die Situation des österreichischen Antirassismus wesentlich positiver. So hebt er den neu gewonnenen Konsens zwischen den antirassistischen Gruppen darüber hervor, dass das Lichtermeer ein strategisches Fiasko für die antirassistische Szene Österreichs war und dass scharf zwischen moralischem und politischem Antirassismus unterschieden werden müsse.135 Die symbolischen Gefechte um den moralischen Antirassismus bewertet er als hervorragendes Mittel, um im Mainstream politisches Terrain zu gewinnen.136 Deswegen müsse der vom moralischen Antirassismus bedrohte politische Antirassismus versuchen, sein Verständnis von Rassismus als Kernbestandteil staatlicher Politik und Teil des gesellschaftlichen Mainstreams stark zu machen. Neue antirassistische Strategien greifen nun eine vormals auch von Görg und Pühretmeyer beklagte Schwachstelle älterer antirassistischer Gruppen an, nämlich die

131 Eine ähnliche Einschränkung nimmt die Soziologin Becky Thompson in ihrer Untersuchung der „white antiracist culture“ in den USA vor. Thompson, Becky: A Promise and a Way of Life. White Antiracist Activism, Minneapolis 2001. 132 Görg; Pühretmeyer: Antirassistische Initiativen in Österreich, S. 254-255. 133 Ebd., S. 248. 134 Ebd., S. 255. 135 Görg, Andreas: Antirassismus. Konfliktlinien und Allianzbildung, in: Bratić, Ljubomir (Hrsg.): Landschaften der Tat. Vermessung, Transformationen und Ambivalenzen des Antirassismus in Europa, Linz 2002, S. 224. 136 Görg: Antirassismus, S. 226.

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mangelnde Involvierung von Migranten und rassistisch Diskriminierten.137 Diese Kritik an älteren Gruppen führte, wie am britischen und französischen Beispiel dargelegt, auch in Österreich zu teilweise emotional ausgetragenen Konflikten innerhalb der antirassistischen Szene, da sich Vertreter eines überkommenen Antirassismus dem Vorwurf von Paternalismus oder sogar Rassismus ausgesetzt sahen. Ende der 1990er-Jahre brach so ein Richtungsstreit innerhalb der antirassistischen Szene aus, bei dem es um nichts Geringeres als die Frage ging, wer sich überhaupt antirassistisch nennen darf.138 Auch wenn dieser Konflikt noch nicht in Gänze beigelegt ist, stellt die Allianzbildung zwischen den Gruppen des neu erstarkenden politischemanzipatorischen Antirassismus und der linken Szene eine günstige Weiterentwicklung dar. Diese Allianzbildung beruhe auf einer Kompatibilität zwischen linken und antirassistischen Gruppen, die nicht nur in der gemeinsamen Kritik an der staatlichen Abschiebungspolitik und Befürwortung der No Border- und No NationBewegung, sondern auch in den ähnlichen wenig bürokratisierten Organisationsformen und Arbeitsstrukturen wie z. B. offene, auf Aufnahme neuer Teilnehmer ausgerichtete Plena, flache Hierarchien und lockere Zusammenschlüsse mit Konsensprinzip begründet ist. Laut Görg ist Antirassismus in der österreichischen Linken zu einem zentralen Diskurs geworden.139 2003 erschien eine umfangreiche Studie zur antirassistischen Bewegung in der Schweiz. Verfasserin ist die Schweizer Ethnologin und Historikerin Brigitta Gerber, die zwei zentrale Fragen verfolgt: zum einen die nach der Motivation von antirassistischen Akteuren, zum anderen die nach den Strukturen und Entwicklungsprozessen der Bewegungsorganisationen. Auf eine befriedigende Klärung ihrer Schlüsselbegriffe verzichtet Gerber zugunsten einer theoretischen Einbettung in die Forschung zu den neuen sozialen Bewegungen.140 Dank einer historischen Kontextualisierung gelingt es ihr, einen Überblick über die Geschichte des Antirassismus in der

137 Ebd., S. 224-225. 138 Ebd., S. 225. 139 Ebd., S. 234. Auch Pühretmeyer kommt aufgrund der Entwicklungen seit 2000 zu einer weniger resignativen Einschätzung der Zukunft eines emanzipatorisch-politischen Antirassismus in Österreich. Er vermerkt eine verstärkte Zusammenarbeit antirassistischer Initiativen, die ein neues Selbstbewusstsein in Teilen der antirassistischen Szene, ein offensiveres Verhalten im Kampf um Ressourcen und bei der Durchsetzung inhaltlicher und organisatorischer Prinzipien hervorbringen. Pühretmayer, Hans: Antirassismus als emanzipatorisches Projekt und die Probleme antirassistischer Praktiken in Wien, in: Demirović, Alex; Bojadžijev, Manuela (Hrsg.) Konjunkturen des Rassismus, Münster 2002. 140 So bleibt der für ihre Studie zentrale Antirassismusbegriff laut Gerber eine „negative Umschreibung“, die „meist mangels aussagekräftiger Alternative benutzt“ wird. Gerber: Die antirassistische Bewegung in der Schweiz, S. 23.

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Schweiz zu liefern. Da die Schweiz im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Ländern keine Vergangenheit als Kolonialmacht hat und da sie im Gegensatz zu Frankreich oder Großbritannien bis zum Anfang der 1980er-Jahre keine substanzielle Einwanderung von Schwarzen erlebte, wurde „Rassismus jahrelang als etwas angeschaut, das nichts mit der Schweiz direkt zu tun hat“.141 Erst seit Beginn der 1990er-Jahre findet eine Sensibilisierung für Rassismus in der schweizerischen Gesellschaft statt, was jedoch nicht dazu führte, dass unterschiedliche Rassismuskonzepte von den von Gerber befragten antirassistischen Akteuren für die Benennung von sozialpolitischen Problemen verwendet werden. Die Strategie der NichtBenennung geht mit einer inhaltlichen Verlagerung auf die Menschenrechtsdiskussion einher, die kurzfristig für Erfolge antirassistischer Bemühungen sorgte, da der Begriff der Menschenrechte für ein breiteres Publikum wesentlich attraktiver ist als der Rassismusbegriff. Langfristig bewertet Gerber diese Entwicklung als problematisch, da damit einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung über Rassismus als gesellschaftliches Problem aus dem Weg gegangen wird. Das von Gerber erhobene Interviewmaterial bietet Einblicke in den antirassistischen Alltagsdiskurs Ende der 1990er-Jahre. Dabei kommt Gerber zu dem Ergebnis, dass sich das antirassistische Spektrum in der Schweiz aus einem äußerst heterogenen Akteursfeld mit vielfältigen individuellen Mobilisierungsmomenten zusammensetzt und dementsprechend auf keine gemeinsame oder geschlossene Ideologie zurückgreifen kann.142 Indem sie den schweizerischen Antirassismus in Relation zu anderen europäischen Ländern setzt, gelingt es Gerber aufzuzeigen, dass es in der Schweiz erst verhältnismäßig spät zu einer staatlich geförderten Institutionalisierung gekommen ist. Ob sich diese ähnlich wie in Frankreich günstig auf die Vernetzung antirassistischer Aktivitäten auswirkt, lässt sich laut Gerber aufgrund ihrer starken lokalen und regionalen Ausprägung nur bedingt feststellen.143 Gerber kann zudem Einflüsse aus europäischen Nachbarstaaten hinsichtlich der Übernahme von Erfahrungen im Bereich des Antirassismus nachzeichnen. So existiert vor allem in der Westschweiz eine große Aufmerksamkeit für die Situation in Frankreich, die sich auch auf die Akteursebene in der Deutschschweiz überträgt. Auch hinsichtlich des Aktionsinstrumentariums lassen sich diese Einflüsse nachvollziehen. Ursprünglich in Großbritannien entwickelte antirassistische Strategien wie Rock Against Racism mit den einhergehenden Kommunikationsformen finden ihren Weg über Frankreich bis in die Westschweiz und werden dann auch im gesamten schweizerischen Kontext umgesetzt. Als ein im europäischen Vergleich besonderes Charakteristikum des schweizerischen Antirassismus hebt Gerber dessen besonderes Interesse an Erfah-

141 Ebd., S. 478. 142 Ebd., S. 478, 479. 143 Ebd., S. 486.

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rungen antirassistischer Arbeit in europäischen Nachbarländern hervor, das mit der geringen Größe und zentralen Lage der Schweiz zusammenhänge. 144 Das folgende Kapitel ist der Kontextualisierung des irischen Antirassismus gewidmet. Dafür nehme ich eine historische Herleitung der entscheidenden Aspekte der gegenwärtigen politischen Kultur der Republik Irland vor.

Z USAMMENFASSUNG Rassismus. Im öffentlichen Diskurs der Bundesrepublik fand der Begriff „Rassismus“ bis vor einigen Jahren nur selten Verwendung. Die eingeschränkte Beschäftigung mit dem Rassismusbegriff hat eine Entlastungsfunktion. Unterschwellig wird der Überzeugung Ausdruck verliehen, dass Rassismus in der bundesdeutschen Gesellschaft kein Thema sei. Was vermieden wird, ist eine Analyse der historischen und theoretischen Hintergründe, die aufdecken kann, wie sehr rassistische Kontinuitäten unsere Gesellschaft prägen. Rassismus lediglich bei angeblich orientierungslosen Randgruppen der Gesellschaft dingfest machen zu wollen, ist eine beliebte Taktik, um davon abzulenken, dass Rassismus bei Weitem kein randständiges Phänomen, sondern im gesellschaftlichen Mainstream virulent ist. Es überrascht daher nicht, dass im öffentlichen Diskurs die Vermeidung des Begriffs „Rassismus“ augenfällig ist. Auch wenn er in jüngerer Zeit als Schlagwort Eingang in die öffentliche Rhetorik gefunden hat, ist dies keineswegs gleichbedeutend mit einer seriösen Analyse gesellschaftlich konstruierter Ungleichheit. So werden stattdessen Termini wie „Fremdenfeindlichkeit“ oder „Xenophobie“ bevorzugt verwendet. In einer Welt, die zunehmend vom Biologismus geprägt ist, werden Fremdenangst und gesellschaftliche Gruppenaggressivität als biodeterministische Größen, also als Resultate einer dem Menschen angeborenen Disposition erklärt, die genetisch vorprogrammiert und nicht erlernt sei. Die neue Rechte bedient sich dieser biologistischen Argumentation, um sich einen zeitgemäßen, vermeintlich wissenschaftlichen Anstrich zu geben. Der im bundesdeutschen Kontext besonders beliebte Begriff „Fremdenfeindlichkeit“ liefert eine biologisch-anthropologische Begründung für ein soziales Verhalten, das als genetisch bedingt angesehen wird. Auch der in Wissenschaftskreisen häufig verwendete Begriff „Xenophobie“ ist untauglich für die Erforschung bestimmter sozialer Prozesse von Diskriminierung, Exklusion und Unterdrückung. Das ahistorische Konzept, das sich mit dem Xenophobiebegriff verbindet, geht von einem anthropogenen Verhaltensmuster aus. Der Analysewert des Xenophiebegriffs zur Erklärung gesellschaftlicher Phänomene ist

144 Ebd., S. 487.

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deswegen so eingeschränkt, weil er zum einen den biologischen Determinismus, der ihm zugrunde liegt, nicht reflektiert und zum anderen ökologische, ökonomische, politische, historische, kulturelle und soziale Faktoren ignoriert. Letztendlich läuft die Argumentation auf die Unterstellung hinaus, dass Fremdenangst und aggressive Reaktionen auf fremde Individuen „natürlich“ sind, was die Assimilierung oder Diskriminierung von Minderheiten innerhalb einer Gesellschaft legitimieren soll. Den vorgestellten Begriffen – „Xenophobie“ und „Fremdenfeindlichkeit“ – ist die Annahme des Natürlichen gemein. Damit wird das untersuchte soziale Verhalten legitimiert und seine Normalität suggeriert. Außerdem werden die Fremden zur Ursache des Problems deklariert. Zur apologetischen Funktion dieser Terminologie gesellt sich eine reduktionistische. Exklusion, Gewalt und Unterdrückung werden nicht als strukturelle Probleme in einem komplexen gesellschaftlichen und historischen Kontext betrachtet, sondern auf eine individuelle Ebene reduziert. Grundlegend für die vorliegende Studie sind folgende Prämissen: Rassismus ist vielgestaltig und flexibel. Rassismus hat nicht nur eine Ursache. Rassismus ist gleichermaßen eine ideologische Konstruktion wie eine soziale Realität. Rassismusforschung muss die historische Genese gesellschaftlicher Probleme konsequent berücksichtigen. Wenn ich mich im Rahmen meiner Forschung mit dem Gegenstand befasse, den ich Rassismus nenne, dann betrachte ich einerseits Rassismus als lediglich eine Spielart gesellschaftlich konstruierter Ungleichheit unter vielen. Andererseits ist Rassismus eine spezifische Form von Exklusion und Inklusion, deren historischer Spezifität ich besonderes Augenmerk schenke. Für die Untersuchung des irischen Kontextes bedeutet dies die Berücksichtigung des Anti-TravellerRassismus. Ein Rassismusbegriff, der die ideologische Verschränkung von Rassismus, Sexismus und Nationalismus berücksichtigt, kann gewinnbringend zur Erforschung von gesellschaftlichen Inklusions- und Exklusionsprozessen angewandt werden. Der vorliegenden Studie liegt ein wissenschaftliches Verständnis zugrunde, welches Rassismus nicht nur als einen gesellschaftlichen Prozess begreift, der Fremde diskriminiert, sondern auch als Machtverhältnis, dem alle Menschen ausgesetzt sind und an dem alle Menschen mitwirken. Antirassismus. Antirassismus ist ein Forschungsdesiderat. Unbestreitbares Manko der existierenden antirassistischen Theorieentwicklung ist die äußerst dünne Untermauerung durch empirische Forschung. Trotzdem versteigt sich manch Theoretiker zu unfundierten Urteilen über die Verfasstheit antirassistischer Akteure, die aus Beschreibungen antirassistischer Positionen durch rein abstrakte Argumentationsketten resultieren. Die sozialwissenschaftliche Erforschung des Antirassismus als politischer und kultureller Praxis, die gegen die Fehldarstellung antirassistischer Akteure und ihrer Motivation wirken kann, steckt ebenfalls in den Kinderschuhen. Dabei ist beklagenswert, dass sie durch eine mangelnde Auseinandersetzung mit Begriffen und Konzepten und einer daraus resultierenden begrifflichen Unschärfe charakterisiert wird.

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Die an den Rändern des Wissenschaftsbetriebs geführte bundesdeutsche Diskussion erklärte Antirassismus für vulgär, scheinheilig und zuweilen sogar für tot. Auch im internationalen Forschungskontext blieb der Antirassismusbegriff lange vage, weil seine theoretische und konzeptionelle Untermauerung bruchstückhaft war. Dies lag auch daran, dass die Rassismusforschung nur selten Überlegungen zur antirassistischen Strategieentwicklung anstellte. Dennoch enthalten Schlüsseltexte der Rassismusforschung explizite Aussagen über Auftrag und Wesen des Antirassismus. Hier wird grundsätzlich davon ausgegangen, dass die Absenz antirassistischer Politik uns zwangläufig dazu verurteilt, in einer rassistischen Gesellschaft zu leben. Des Weiteren wird der Auftrag des Antirassismus formuliert, der sich nicht der Bekämpfung von Rassisten, sondern der Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse, die Rassismus produzieren, widmen soll. Paul Gilroy lieferte mit „There Ain’t No Black in the Union Jack“ eine der ersten Studien, die sich mit antirassistischen Akteuren, ihren Diskursen und Praxisformen befasst. Vor dem Hintergrund des britischen race relations-System argumentiert er, dass dieses ideologische Versagen des Antirassismus durch eine Kombination von reduktivem Kulturbegriff und einer kulturalistischen Vorstellung von „Rassen“ und ethnischer Identität verursacht worden sei. Er kritisiert ein statisches Verständnis von Antirassismus und plädiert stattdessen für einen antirassistischen Kampf, der auf unterschiedliche Weise geführt werden sollte, denn es könne nicht die eine homogene Strategie gegen Rassismus geben, der selbst niemals homogen ist und sich ständig wandelt. Für besonders wichtig erachte ich Gilroys Hinweis auf den keineswegs rein reaktiven Charakter des Antirassismus. Er widerspricht der weitverbreiteten Annahme, dass Antirassismus lediglich Opposition zum oder Reversion des Rassismus sei. Er setzt dieser Annahme ein antirassistisches Konzept entgegen, welches Rassismus nicht als gesellschaftliches Randproblem betrachtet, sondern im gesellschaftlichen Mainstream verortet und als Kernbestandteil staatlicher Politik versteht. Einen besonders wichtigen Beitrag zur internationalen Antirassismusforschung leistet Cathie Lloyd mit ihren Studien zum französischen und britischen Antirassismus. Sie berücksichtigt stets die historische Genese eines Antirassismus, der sich je nach kulturellem und nationalem Kontext verschieden ausprägt und dessen Bedeutung für eine Entwicklung antirassistischer Politik auf europäischer Ebene betont wird. Eine Kernthese Lloyds ist, dass jede nationale Debatte um Antirassismus zwar ihren ganz bestimmten Charakter und ihre eigenen Widersprüchlichkeiten besitzt, sich jedoch gleichermaßen transnationale Themen und Probleme definieren lassen. Ein emanzipatorischer Antirassismus lässt sich nicht auf eine Opposition gegen Rassismus reduzieren. Für viele Antirassisten stellt er eine komplexe politische Strategie dar, die die Existenz rassistischer Strukturen, in denen wir uns alle bewegen, anerkennt und deren Ziel es ist, mit einer progressiven und emanzipativen Hal-

3. A NTIRASSISMUS: E MPIRISCH

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tung für eine egalitäre Gesellschaft zu kämpfen. Ich gehe davon aus, dass ein Antirassismus, der auf der Grundlage von Gesellschaftsanalyse funktioniert und vom Konstruktionscharakter des Rassismus ausgeht, seine Aufgabe niemals ausschließlich darin sieht, seine Aktivitäten auf „den Rassisten“ oder auf die „Opfer“ rassistischer Diskriminierung zu beschränken. Ebenso wenig kann es eine erschöpfende Position sein, sich im Rahmen eines kommemorativen Antirassismus ausschließlich auf die Bekämpfung der Wiederkehr des Faschismus zu konzentrieren. Antirassismus kann als Instrument zur Berichtigung falscher Konstruktionen des Anderen eingesetzt werden. Antirassismus ist nicht nur eine Konsequenz, die Antirassisten auf der Grundlage unterschiedlicher Lebenserfahrungen und der Abwägung politischer Alternativen ziehen, sondern ein handlungsfähiges politisches Projekt. In diesem Sinne wird der Antirassismusbegriff in der vorliegenden Studie verwandt.

4. Kontextualisierung: Rassismus und Antirassismus in der irischen Erfahrung

Diese irischen Arbeiter, die für vier Pence (3 1/3 Silbergroschen) nach England herüberfahren – auf dem Verdeck der Dampfschiffe, wo sie oft so gedrängt stehen wie Vieh – nisten sich überall ein. Die schlechtesten Wohnungen sind übrigens gut genug für sie; ihre Kleider machen ihnen wenig Müh, solange sie nur noch mit einem Faden zusammenhalten, Schuhe kennen sie nicht; ihre Nahrung sind Kartoffeln und nur Kartoffeln – was sie drüber verdienen, vertrinken sie, was braucht ein solches Geschlecht viel Lohn? Die schlechtesten Viertel aller großen Städte sind von Irländern bewohnt; überall, wo ein Bezirk sich durch besondern Schmutz und besondern Verfall auszeichnet, kann man darauf rechnen, vorzugsweise diese keltischen Gesichter anzutreffen, die man auf den ersten Blick von den sächsischen Physiognomien der Eingebornen unterscheidet, und die singende, aspirierte irische Bro1

gue zu hören, die der echte Irländer nie verlernt. Zuweilen habe ich sogar irisch-keltisch in den dichtestbevölkerten Teilen von Manchester sprechen hören. DIE LAGE DER ARBEITENDEN KLASSE IN ENGLAND, FRIEDRICH ENGELS 1845

1

Brogue bezeichnet einen starken irisch gefärbten Dialekt.

106 | UNDOING I RISHNESS Dean: Do you not think…? Jimmy: What!? Dean: Well, like, maybe we are a little white for that kind of thing? Jimmy: Do you not get it, lads!? – The Irish are the blacks of Europe. And Dubliners are the blacks of Ireland. And the Northside Dubliners are the blacks of Dublin. So say it once, say it loud: I’m black and I’m proud. THE COMMITMENTS, 1991

So wie in jedem anderen Land prägt sich Antirassismus in Irland entsprechend seines kulturellen und nationalen Kontextes auf eine ganz spezifische Art und Weise aus. Eine wichtige Frage lautet daher, auf welche politische Traditionen sich Antirassisten beziehen können, um ihrem politischen Ziel Legitimität zu verschaffen. Wie ich im Kapitel „Neue Wege in der Antirassismusforschung“ aufzeige, bilden für den französischen Antirassismus die Epoche der Aufklärung und die Ideale der Französischen Revolution wichtige historische Referenzpunkte, während der britische Antirassismus auf Britain’s finest hour im antifaschistischen Kampf gegen Nazideutschland zurückgreifen kann. Um verstehen zu können, wie antirassistische Politik in Irland funktioniert, müssen die landes- und kulturspezifischen Charakteristika der verschiedenen antirassistischen Ansätze in Irland herausgearbeitet werden. Wird dieses Ziel verfolgt, ist es ratsam, der historischen Genese von politischen Traditionen, die von Bedeutung für Rassismus und Antirassismus sind, nachzuforschen und ihre Wirkung auf den antirassistischen Diskurs und antirassistische Praxen im heutigen Irland sichtbar zu machen. Welch besonderer Charakter, welche Widersprüchlichkeiten zeichnen den irischen Antirassismus aus, und was hat dies mit der irischen Geschichte und der politischen Kultur des Landes zu tun? In einem hochpolitisierten Forschungsfeld wie der antirassistischen Szene ist es notwendig, die zentralen Schlüsselbegriffe der Protagonisten – wie z. B. Rassismus oder Nationalismus – einordnen zu können. Ausgangspunkt der Untersuchung des irischen Antirassismus als ein bestimmtes Phänomen des irischen Transformationsprozesses der vergangenen fünfzehn Jahre und als ein zunehmend an Bedeutung gewinnender Faktor der politischen Kultur Irlands muss die Tatsache sein, dass Irland eine postkoloniale Gesellschaft ist. Als erste britische Kolonie (Beginn der englischen Landnahme 1171) kam Irland eine bis heute nachwirkende Sonderstellung zu: Einerseits wurden die Iren im Zuge des britischen Imperialismus Opfer eines kolonialen antiirischen Rassismus. Andererseits partizipierten irische Siedler, Kaufleute und Soldaten an der imperialen Politik gegenüber anderen Ländern. In diesem Spannungsfeld muss die bis heute proble-

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matische und von äußerster Ambivalenz geprägte Beziehung zwischen Irland und Großbritannien verortet werden. Es kann die bizarre Überblendung erklären, die Irland einerseits als aktiven Juniorpartner des britischen Imperialismus und andererseits als dessen Kolonie zeigt.2 Diese ambivalente Position der Iren im britischen Empire führte zu einer Überlagerung jener Strukturen, die von „Rasse“ und Rassismus beeinflusst werden, durch komplexe gesellschaftliche und historische Prozesse, die im Folgenden nachgezeichnet werden. Einige Forscher gehen davon aus, dass sich die Iren aufgrund ihrer als archaisch, gälisch, fatalistisch und katholisch beschriebenen Kultur grundlegend von anderen Europäern unterscheiden.3 Dies wird im Wesentlichen im Zusammenhang mit ihrem angeblich solidarischen und menschlicheren Verhalten gegenüber Sklaven und Ureinwohnern wie den Aborigines4 und mit der als besonders negativ beschriebenen Behandlung irischer Einwanderer in den USA im 19. Jahrhundert behauptet. Es existiert die Ansicht, dass das Leben irischer Auswanderer vor allem in der von antikatholischen Ressentiments durchdrungenen US-amerikanischen Gesellschaft aufgrund ihrer sogenannten gälisch-katholischen Behinderung grundsätzlich von wirtschaftlichem Misserfolg gekennzeichnet war, sie zusammengepfercht in Slums lebten und dafür prädestiniert waren, eine Existenz mit niedrigstem sozialen Status zu fristen.5 Es ist zu begrüßen, dass der These der Gaelic-Catholic disability inzwi-

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Bielenberg, Andy: Irish Emigration to the British Empire, 1700–1914, in: Ders. (Hrsg.): The Irish Diaspora, London 2000, S. 228, 229.

3

Hierzu zählt z. B. Miller, Kerby A.: Emigrants and Exiles. Ireland and the Irish Exodus to North America, New York 1985.

4 5

Vgl. Bielenberg: Irish Emigration to the British Empire, S. 227. Diese Argumentation verfügt offenbar über eine gewisse Attraktivität: Wird nicht bis heute auch in Deutschland wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass Irland durch und durch römisch-katholisch ist und war? Diese (Fehl-)Annahme ist nicht frei von politischer Brisanz, ignoriert sie doch die Existenz und Auswanderung protestantischer Iren. Hier handelt es sich insofern um ein explosives Thema, als dass die Nichtbeachtung protestantischer Iren sich nicht auf die nationalistische historische Forschung beschränkt, die irisch als ausschließlich keltisch-katholisch definiert. Sie wird auch bis zu der Behauptung weitergeführt, dass kein Protestant ein „echter“ Ire sein kann. Im irischen Nationalismus findet sie erhebliche Resonanz und wird bis in die Gegenwart von militanten Nationalisten dazu benutzt, gewalttätige Aktionen gegen Protestanten in Irland zu legitimieren. Vgl. Akenson, Donald Harman: Irish Migration to North America, 1800–1920, in: Bielenberg, Andy (Hrsg.): The Irish Diaspora, S. 114. Vgl. auch Kapitel „Gaelic Revival: Die Konstruktion des irischen Nationalismus“.

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schen auch in der Migrationsforschung immer stärker widersprochen wird.6 Nichtsdestotrotz belegt meine bisherige Forschung, dass Erlebnisse rassistischer Diskriminierung, Ausgrenzung und Demütigung unbestreitbar essenzieller Bestandteil der irischen Migrationserfahrung sind.7 Die rassistische Diskriminierung von Iren ist seit einiger Zeit in den Fokus der Rassismusforschung gelangt und wurde in den letzten Jahren zum Gegenstand rassismustheoretischer Überlegungen. Die Gründe für dieses geweckte wissenschaftliche Interesse liegen in der Beispielhaftigkeit des irischen Falles, der aufzeigt, dass man tatsächlich – wie Stuart Hall es fordert – berücksichtigen muss, dass Rassismus historisch spezifisch ist und dass er sich entsprechend der jeweiligen Kultur und der jeweiligen Gesellschaftsform unterschiedlich ausprägt. Überdies handelt es sich im irischen Fall um eine Geschichte von Rassismus Weiß gegen Weiß, die die Unsinnigkeit betont, Rassismus mit sogenannten phänotypischen „Rassenmerkmalen“ – wie etwa der Hautfarbe – erklären zu wollen.8 So folgerichtig und gewinnbringend die „Entdeckung“ des irischen Falls für die (Anti-)Rassismusforschung sicherlich ist, sie kommt sehr spät. Bereits in der deutschen Pionierstudie „Die Schwierigkeit, nicht rassistisch zu sein“ von Kalpaka und

6

Vgl. Akenson, Donald Harman: The Irish Diaspora: A Primer, Belfast 1996; Ders.: Irish Migration to North America, 1800–1920, in: Bielenberg, Andy (Hrsg.): The Irish Diaspora, London 2000, S. 111–138; Akenson, Donald Harman: Irish Migration to North America, 1800–1920, in: Bielenberg, Andy (Hrsg.): The Irish Diaspora, London 2000, S. 129; Bielenberg: Irish Emigration to the British Empire, S. 215.

7

Verse, Julia: Irische Remigration. Untersuchung einer Gesellschaft im Wandel, Berlin 2003. (Unveröffentlichte Magisterarbeit)

8

„Rassenmerkmale“ im sogenannten phänotypischen Sinne können rassistische Unterdrückung nicht erklären. Wie der irische Fall beispielhaft vorführt, werden „Rassenmerkmale“ nicht nur politisch eingesetzt, sondern sind selbst bereits Produkte eines Konstruktionsprozesses. Jenseits des irischen Falls gibt es hierfür zahlreiche andere Beispiele: Die amerikanischen Ureinwohner, die lange Zeit als verhältnismäßig hellhäutig gehandelt wurden, erfuhren erst in den Schriften europäischer Forscher des 18. Jahrhunderts die Klassifikation „Rothäute“. Vgl. Hund, Wulf D.: Negative Vergesellschaftung. Dimensionen der Rassismusanalyse, Münster 2006, S. 33. Auch die Chinesen waren nicht immer gelb. In der relativ umfangreichen europäischen Reiseliteratur des 17. Jahrhunderts werden sie als weiß beschrieben. Erst im 18. Jahrhundert durchliefen sie eine Entwicklung von blassgelb zur später farblich voll ausgeprägten „gelben Gefahr“. Vgl. Demel, Walter: Wie die Chinesen gelb wurden. Ein Beitrag zur Frühgeschichte der Rassentheorien, in: HZ 255 (1992), S. 625– 666. „Rassenkategorien“ sind keineswegs naturgegeben, sondern können gegebenenfalls betreten oder verlassen werden: Iren waren je nach historischem oder gesellschaftlichem Kontext schwarz oder weiß.

4. K ONTEXTUALISIERUNG

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Räthzel, die vor nunmehr rund zwanzig Jahren erstmalig erschien, wurde ein längerer Beitrag des britischen Wissenschaftlers Philip Cohen veröffentlicht, in der eine Parallelsetzung von Rassismus aufgrund der Hautfarbe mit antiirischem Rassismus vorgenommen wird. In der Tradition der Cultural Studies gelingt es Cohen, die Widersprüchlichkeit und Vielgestaltigkeit von Rassismus und somit zugleich Möglichkeiten antirassistischer Strategien aufzuzeigen. Er untersuchte die rassistische Diskriminierung von Iren, Schwarzen und Juden in Großbritannien, wobei der Allgemeinheitsgrad seiner Analyseergebnisse Rückschlüsse auf andere Kontexte zulässt. So legt Cohens Analyse nahe, dass eine genaue historische Verortung des Rassismus – in diesem Fall des britischen – einen Rahmen bilden kann, in dem unterschiedliche Erfahrungen von Diskriminierung aufeinander bezogen werden können, ohne sie auf den kleinsten gemeinsamen Nenner reduzieren zu müssen.9 Dabei betont er die verschiedenartigen historischen Entwicklungsmuster unterschiedlicher Diskriminierungsformen und fordert dazu auf, sie in einem „strukturellen Sinn als komplementär“ zu verstehen.10

V ON

DER RACIALISATION ZUR

„W EISSWERDUNG “

Der Jahrhunderte lange Prozess der racialisation der Iren in der europäischen Geschichte lässt sich bis ins Mittelalter zurückverfolgen. Bereits im 12. Jahrhundert beschrieb Gerald von Wales in seiner „Topographia Hibernica“ die Iren als barbarisches und moralisch verkommenes Volk.11 Seither hat sich die rassistische Stereotypisierung der Iren als eine historische Konstante festgeschrieben. Theodore W. Allen untersucht die Ursachen dieser rassistischen Tradition und ihren historischen Wandlungsprozess. Da er seinen Hauptakzent auf den sozialen Herrschaftsaspekt legt, gelingt es ihm aufzuzeigen, wie Rassismus als Mittel zur Sozialkontrolle erfolgreich eingesetzt werden kann. Dies zeichnet er anhand der Kolonisierung Irlands nach, die er als „klassisches Beispiel rassistischer Unterdrückung“12 und als

9

Cohen, Philip: Gefährliche Erbschaften: Studien zur Entstehung einer multirassistischen Kultur in Großbritannien, in: Kalpaka; Räthzel (Hrsg.): Die Schwierigkeit, nicht rassistisch zu sein, S. 143.

10 Cohen: Gefährliche Erbschaften, S. 93. 11 Geralds Werk, auf Lateinisch verfasst und durchaus mit fantastischen Zügen versehen, wurde im Elisabethanischen Zeitalter auf Englisch veröffentlicht. Seine Beschreibung der Iren wurde als vermeintliche historische Tatsache immer wieder von Historikern zitiert und sollte die Unterwerfung der Iren unter die englische Krone legitimieren. Vgl. Curtis, Liz: Nothing But the Same Old Story. The Roots of Anti-Irish Racism, Belfast 1998, S. 11. 12 Allen: Die Erfindung der weißen Rasse, S. 62.

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Spiegel der sozialen Genese des Rassismus und der white supremacy in den Vereinigten Staaten von Amerika – und damit auch des möglichen aber nicht notwendigen Zusammenhanges zwischen Rasse und Klasse – versteht. Allen schildert die 700-jährige Entwicklung in Irland, die letztlich zu einer Zerschlagung der traditionellen Struktur der irischen Gesellschaft führte, deren Mitgliedern in der Folge jeglicher Zugang zu denjenigen gesellschaftlichen Positionen verwehrt wurde, die von den Angehörigen der kolonisierenden Macht wie selbstverständlich eingenommen wurden.13 Dieser Vorgang beinhaltete soziale Prozesse wie die Deklassierung, Depravierung, Dekulturation und Entpersönlichung der katholischen Bevölkerung Irlands. Die fortschreitende Naturalisierung dieser sozialen Prozesse wurde zur Legitimationsgrundlage des Herrschaftsverhältnisses. Allens Kernaussage ist die Wirksamkeit rassistischer Unterdrückung unabhängig von phänotypischen Unterschieden, die er mit dem Fallbeispiel der irischen Geschichte untermauert.14 Zugleich hebt er die Parallelen zum System der rassistischen Unterdrückung der Schwarzen in den englischen Kolonien und später in den amerikanischen Südstaaten hervor: Die rassistisch dominante Gruppe, die vorgibt, auf einer zivilisatorischen Mission zu sein, akzeptiert weder die Sozialstrukturen oder die Religion noch die Sprache der rassistisch Unterdrückten, denen die Bürgerrechte entzogen und die von Bildung, Besitz und politischer Teilhabe ausgeschlossen werden. Allen untersucht nicht nur die diskriminierende Politik in Irland, sondern verfolgt den Weg der katholischen Iren bis in die USA, wo jene im Zuge ihrer Masseneinwanderung eine „große Verwandlung“ in „weiße Amerikaner“, in Befürworter der Sklaverei und in Gegner der gleichen Rechte für Afroamerikaner durchliefen.15 Gleichzeitig sahen sich die irischen Immigranten einer regelrechten Irishphobia16 ausgesetzt, wenn der englische Historiker Edward A. Freeman während eines Be-

13 Ebd., S. 120. 14 Im Umkehrschluss bedeutet dies die Funktionstüchtigkeit der Prinzipien Weiß und Whiteness, die nicht als Hautfarbe zu verstehen sind, sondern als sozio-politische Dominanzposition, die nicht per se vorhanden ist, sondern – wie das irische Beispiel zeigt – erst angeeignet werden muss. Vgl. Pech, Ingmar: Whiteness und Antirassismus, in: BUKO 28 (Hrsg.): Eine Dokumentation. Von innerer und äußerer Landnahme. Umkämpfte Räume: Arbeit, Kolonialismus, Biopolitik, 28. Bundeskongress vom 05. –08. Mai 2008 in Hamburg, S. 88. 15 Allen: Die Erfindung der weißen Rasse, S. 257. Für weitere Einblicke in diesen Verwandlungsprozess der Iren in Amerikaner bzw. Irisch-Amerikaner s. Lee, J. J.; Casey, Marion R. (Hrsg.): Making the Irish American. History and Heritage of the Irish in the United States, New York 2006. 16 Vgl. Hund, Wulf D.: Der Weißheit letzter Schluss. Neue Studien zur Rassismusforschung, in: Archiv für Sozialgeschichte 44 (2004), S. 599.

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suchs in Amerika 1881 feststellte, die Vereinigten Staaten „wären ein großartiges Land, wenn nur jeder Ire einen Neger töten und dafür dann gehängt würde“.17 Allen geht davon aus, dass unter allen Immigrantengruppen, die zur damaligen Zeit in den Vereinigten Staaten eintrafen, keine Gruppe so tief von einer Tradition und der Erfahrung, rassistisch diskriminiert zu werden, geprägt war, um sich mit den schwarzen Sklaven zu solidarisieren und sich „des Elends der Afro-Amerikaner anzunehmen, wie die Iren, die den geschichtlichen Kampf gegen rassistische Unterdrückung in ihrem Lande mitgetragen hatten. Wenn es eine Immigrantengruppe gab, die das schreiende Unrecht eines solchen Systems erlebt hatte, dann war es die der katholischen Iren.“18 Über diesen spezifischen Erfahrungswert der katholischen Iren hinausgehend, beschreibt Allen die Bemühungen seitens irischer Politiker, die Abschaffung der Sklaverei voranzutreiben. Auch Daniel O’Connell, genannt „The Liberator“, einer der bedeutendsten irischen Politiker der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und Verfechter der Emanzipation der Katholiken in Irland, schien ähnlich wie Allen davon ausgegangen zu sein, dass die Erfahrung des eigenen Diskriminiertwerdens die irischen Einwanderer in besonderer Weise dafür prädestinieren würde, sich im Kampf gegen die rassistische Ausbeutung schwarzer Sklaven in den USA einzusetzen.19 O’Connell erklärte: „[I]n meinem Herzen habe ich etwas Irisches, das mich mit all jenen sympathisieren läßt, die unter Unterdrückung leiden.“20 Und mit von der Bibel inspirierter Rhetorik verschrieb er sich der Solidarität mit den Unterdrückten: „Möge meine Rechte verdorren und meine Zunge an meinem Gaumen kleben, sollte ich, um Irland zu retten – selbst Irland –, auch nur eine Stunde lang den Neger vergessen!“21

17 Zitiert nach Allen: Die Erfindung der weißen Rasse, S. S. 28. 18 Allen: Die Erfindung der weißen Rasse, S. 271. 19 Der Hypothese, dass die Iren, kolonisierte und als minderwertig deklassierte Europäer, eine besondere Prädisposition zur Solidarisierung mit anderen kolonisierten und als minderwertig deklassierten Menschen besitzen, wird von einigen Wissenschaftlern nachgegangen. Vgl. auch Kiernan, Victor: The Lords of Human Kind. European Attitudes to Other Cultures in the Imperial Age, London 1995, S. 29 f. 20 Zitiert nach Allen: Die Erfindung der weißen Rasse, S. 273. 21 Zitiert nach Allen: Die Erfindung der weißen Rasse, S. 273. In den letzten zehn Jahren entstanden vermehrt wissenschaftliche Studien, die sich mit der Rolle O’Connells beschäftigen, der die amerikanischen Whigs dafür kritisierte, dass sie Irisch-Amerikaner wie „whitewashed negroes“ behandeln würden, obwohl die irischen Katholiken „had thrown off, for them, all traces of the colour of servitude“. Die Ambivalenz der irischen „inbetween“Erfahrung führte dazu, dass bis heute gleichzeitig eine Rhetorik der white supremacy und der Solidarität mit rassistisch Unterdrückten existiert, die je nach Kontext und Bedarf ein-

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Letztlich jedoch scheiterten die Versuche, die Irisch-Amerikaner für die Ziele der Abolitionisten zu gewinnen. In dieser Phase des US-amerikanischen Nationbuilding mussten sich die katholischen Iren des Vorwurfes erwehren, loyal gegenüber dem sogenannten Papismus und Rom zu sein, anstatt gegenüber dem protestantisch geprägten Staat. Allen beschreibt die „Weißwerdung“ der katholischen Irisch-Amerikaner, die sich zunehmend unter anderem durch die Gewährung voller Rechte auf Einbürgerung oder eigentumsunabhängigen Wahlrechts in ein rassistisches Privilegiensystem einbinden ließen.22 Allen will „the relativity of race“ zeigen „by describing how persons, actually the same individuals, or at least persons of the same ,gene pool‘, were first transformed from Irish haters of racial oppression into white-supremacists in America“.23 Dieser Prozess hebt die ambivalente Verbindung zwischen der racialisation, die die Iren erfahren, und der racialisation, die Iren ausüben, hervor.24 Den gedanklichen Faden bezüglich dieser Entwicklung nimmt Allens Wegbegleiter Noel Ignatiev in seiner Studie „How the Irish Became White“ auf, in der er hervorhebt, dass die bei ihrer Ankunft in den USA nicht ohne Weiteres von den Amerikanern angelsächsischer protestantischer Herkunft akzeptierten irischen Einwanderer nur durch die ihrerseits gegenüber Schwarzen vorgenommene rassistische Diskriminierung und Unterstützung der Sklaverei zur Teilhabe an Whiteness und damit an weißen

seitig betont wird. Vgl. Eagan, Catherine Mary: "I did imagine...we had ceased to be whitewashed negroes": The racial formation of Irish identity in nineteenth-century Ireland and America, Ph.D., Boston College, 2000. 22 Allen: Die Erfindung der weißen Rasse, S. 301–303. 23 Allen, Theodore W.: The Invention of the White Race. Volume One: Racial Oppression and Social Control, London, New York 1994, S. 23. (Hier wird auf das Vorwort der englischsprachigen Erstausgabe verwiesen, die in der deutschen Ausgabe nicht erscheint.) Hinter dem Titel des Buches „Die Erfindung der weißen Rasse“ steckt Allens These, dass weiße Superiorität in den sozialen Verhältnissen der USA nicht von Anbeginn der Besiedlung des neuen Kontinents existierte, sondern erst in einem langwierigen politischen Prozess konstruiert worden ist, um die Solidarität weißer Leibeigener und schwarzer Sklaven zu zerschlagen und besitzlose Nicht-Schwarze mittels eines Privilegiensystems auf die rassistische Gemeinschaft mit der besitzenden weißen Klasse einzuschwören, was sowohl fatale Folgen für die rassistisch beherrschten Nicht-Weißen als auch für die besitzlosen NichtSchwarzen haben sollte. 24 Die Existenz einer stark ausgeprägten antiirischen rassistischen Ideologie im 19. und 20. Jahrhundert negiert nicht den sozialen Aufstieg der Irisch-Amerikaner, verdeutlicht jedoch die Flexibilität von Rassismus. Vgl. Garner: Racism in the Irish Experience, S. 111.

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Privilegien in der US-amerikanischen Gesellschaft gelangen konnten.25 Ignatiev geht ebenfalls auf O’Connells Intervention gegen das rassistische System der Sklaverei ein, um zu verdeutlichen, dass sich die Irisch-Amerikaner von den Traditionen und Erfahrungswerten ihres Herkunftslandes distanzierten, um sich erfolgreich in ihrer neuen Umgebung durchsetzen zu können.26 Die eingangs erwähnte angeblich menschlichere oder solidarischere Verhaltensweise gegenüber Sklaven oder Ureinwohnern wird durch viele Gegenbeispiele kontrastiert: Sogar irische Befreiungskämpfer, die ihr Land auf der Flucht vor der britischen Obrigkeit verlassen mussten, wurden zu Sklavenhaltern und Soldaten, die sich wie andere weiße Europäer an der rassistischen Ausbeutung und Diskriminierung in der Neuen Welt beteiligten. „[...] there are countless examples in Irish history of Irish revolutionaries failing the antiracist litmus test.“27 Der Einfluss der irischen Diaspora ist von großer Bedeutung für die spezifische Ausprägung von Rassismus in Irland und trug entscheidend zur rassistischen Stereotypisierung von Schwarzen in Irland bei, die bis heute stark ausgeprägt ist. Ein Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit ist eine Parole in Boston, die 1972 während Spannungen zwischen irischen und schwarzen US-Amerikanern in Folge der Aufhebung der US-amerikanischen „Rassentrennung“ und als Reakti-

25 Neil Foley untersucht ebenfalls den Weißwerdungsprozess der Iren in den USA. Dabei betont er, dass der trash of whiteness oder white trash die Vorstellung eines statischen Konzeptes von Whiteness als Hautfarbe gebundene, normative Identität konterkariert. Auch Foley hebt hervor, dass die irischen Einwanderer es erst schafften, sich der Bezeichnung „’niggers‘ inside out“ zu entledigen, als sie sich aktiv zu den Werten der white supremacy bekannten. Irische Einwanderer führten die antichinesische Kampagne in Kalifornien und die rassistischen Ausschreitungen gegen Schwarze in New York während des Draft Riot 1863 an. Vgl. Foley, Neil: Foley, Neil: The White Scourge. Mexicans, Blacks, and Poor Whites in Texas Cotton Culture, Berkley, Los Angeles, London 1997, S. 8, 44. 26 Ignatiev, Noel: How the Irish Became White, London; New York 1995; Allen, Theodore W.: The Invention of the White Race. Volume Two: The Origin of Racial Oppression in Anglo-America, London, New York 1997. Bei allem wissenschaftlichen Mehrwert, den die erhellenden Studien von Allen und Ignatiev produzieren, sei daran erinnert, dass der Eindruck, es hätte nur irisch-katholische Einwanderer gegeben, trügt und die Existenz einer protestantisch-irischen Einwanderung in die USA negiert. Vgl. FN 5 in diesem Kapitel. Tatsächlich war vor der Großen Hungersnot (ca. 1845–1851) der protestantische Anteil der irischen Auswanderer sogar phasenweise größer als der katholische. Erst danach verkehrte sich das Verhältnis dauerhaft. Dies bedeutete jedoch nie ein Ende der protestantischen Auswanderung aus Irland. Vgl. Akenson: Irish Migration to North America, S. 117. 27 Rolston: Are the Irish Black?, S. 96.

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on auf den Bloody Sunday in Derry entstand: „Brits out of Ireland, niggers out of Boston.“28 Im von Großbritannien regierten Irland sah sich die irisch-katholische Bevölkerung einem Katalog von Repressionsmaßnahmen ausgesetzt, die in erster Linie Bildung und Besitz erschwerten. Die Träger der irischen Sprache und Kultur wurden marginalisiert. Die englische Irlandpolitik war so rassistisch wie das im Laufe der Zeit Modifizierungen unterzogene Bild der Iren in England – und das lange bevor im 19. Jahrhundert „Rasse“ als Schlüsselkategorie im Denksystem des pseudowissenschaftlichen Rassismus eine verhängnisvolle Bedeutung bekam. Somit lässt sich an der Geschichte des irischen Falles einerseits hervorragend nachvollziehen, wie eng verwoben Kolonialismus und Rassismus einerseits sind und wie andererseits die religiöse Begründung der Diskriminierung im Verlaufe des 19. Jahrhunderts durch eine biologische, von Darwin inspirierte überlagert oder ergänzt wurde.

E MIGRATION

ALS IRISCHE

T RADITION 29

Die Große Hungersnot – Irlands An Gorta Mhór/The Great Hunger – Mitte des 19. Jahrhunderts ist eine Zäsur in der irischen Geschichte. Für Irland bedeutete die große Hungersnot einen gleichsam kulturellen wie demografischen Schock.30 Bereits in den Jahren zwischen 1815 und 1845 waren anderthalb Millionen Iren aufgrund der schlechten Wirtschaftssituation und der weiter anwachsenden Bevölkerung ausgewandert.31 Die Emigration wurde zu einem integralen Bestandteil irischer Lebens-

28 McVeigh, Robbie: The Specificity of Irish Racism, in: Race and Class 33 (1992), Nr. 4, S. 37–38. 29 Der Traditionsbegriff wird von mir im Sinne des ideologiekritischen Konzeptes der „erfundenen Tradition“ nach Eric Hobsbawm und Terence Ranger verwendet. Es besagt, dass Traditionen in der jeweiligen Gegenwart konstruiert werden. Die Rückprojektionen führen zu historischer Fiktion und werden von symbolischen Praktiken begleitet, um bestimmte gesellschaftliche Normen und politische Ziele zu legitimieren. Erfundene Traditionen spielen eine wichtige Rolle für die Schaffung kollektiver Identitäten. Dies stellt nicht in Frage, dass Auswanderung eine bedeutsame Rolle in der irischen Geschichte spielt, sondern soll den Blick dafür öffnen, dass der Verlauf der irischen Geschichte es nahelegt, dass in Irland ebenso gut Immigration zu einer Tradition hätte erhoben werden können. Vgl. Hobsbawm, Eric; Ranger, Terence (Hrsg.): The Invention of Tradition, Cambridge 1996. 30 Andy Bielenberg spricht vom „cataclysmic impact of the famine“. Vgl. Bielenberg: Irish Emigration to the British Empire, S. 219. 31 Neben Großbritannien war vor allem Nordamerika das Ziel irischer Emigranten. Ein Drittel der gesamten transatlantischen Migrationsbewegung in dieser Periode bestand aus irischen

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weise.32 Doch erst die große Hungersnot ließ den Auswanderungsstrom auf ein nie zuvor da gewesenes Ausmaß anschwellen. In späteren Phasen ansteigender Auswanderungszahlen, wie etwa in der zweiten Hälfte der 1940er-Jahre und in den 1950er-Jahren, wurden die Erinnerungen an die Katastrophenjahre der Hungersnot wach. Das Ausmaß des „Nachkriegsexodus“33 war so groß, dass 1954 das Buch „The Vanishing Irish“ erschien, welches die Möglichkeit des Aussterbens der irischen „Rasse“ diskutierte und sich dabei auf die Große Hungersnot berief. The famine started the exodus more than a century ago. Is the racial memory of it still continuing it? Has it set up some unfathomed psychosis deep down in the Celtic psyche which fills the heart of the Gael with an insatiable restlessness, a cosmic wanderlust, a sort of demi-urge that goads him to the waiting ship and far distant shore?

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Im Zuge der 150-Jahr-Gedenkfeierlichkeiten Mitte der 1990er-Jahre zeigte sich, welch nationales Trauma die Große Hungersnot und die seither anhaltende Massenemigration im modernen Irland bedeutete. Die neben der nationalistischen Strömung in erster Linie im akademischen Diskurs vertretene sogenannte revisionistische Sichtweise bewertete die Große Hungersnot quasi als Naturkatastrophe, wobei die Verantwortung der britischen Regierung weitgehend ausgeblendet wird. Anhänger der nationalistischen Geschichtsschreibung unterstellen dem Revisionismus das Ziel, auf die Entkräftung der populären Beurteilung der Großen Hungersnot als planmäßiger Mord an der irischen Bevölkerung und Zerstörung der irischen kulturellen Identität, die eine tiefe psychologische Wunde hinterlassen hat, hinzuwirken.35 John Waters, prominenter Kolumnist der Irish Times, kommentierte die Aus-

Auswanderern. Vgl. Ó Gráda: Ireland Before and After the Famine, S. 15. Zur Irischen Auswanderung vor 1845 vgl. O’Day, Edward J.: The „Second Colonization of New England“ Revisited. Irish Immigration Before the Famine, in: Fanning, Charles (Hrsg.): New Perspectives on the Irish Diaspora, Carbondale; Edwardsville 2000. 32 Davis, Graham: The Irish in Britain, 1815–1939, in: Bielenberg, Andy (Hrsg.): The Irish Diaspora, London 2000, S. 21. Vgl. hierzu auch Mac Laughlin, Jim: Ireland: the Emigrant Nursery and the World Economy, Cork 1994. 33 Delaney, Enda: Demography, State and Society. Irish Migration to Britain, 1921–1971, Liverpool 2000, S. 160. 34 O’Brien, John A.: The Vanishing Irish, London 1954. Zitiert nach: Bovenkerk, Frank: On the Causes of Irish Emigration, in: Sociologia Ruralis. Zeitschrift der Europäischen Gesellschaft für ländliche Soziologie 13 (1973), Nr. 3/4, S. 263. 35 Die professionelle Geschichtsarbeit, die erst seit verhältnismäßig kurzer Zeit mit dem Anspruch auf politische und konfessionelle Unparteilichkeit arbeitet, war lange von der Konfrontation zweier ideologischer Strömungen geprägt: der nationalistischen (nationalism)

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einandersetzungen im Umfeld dieser Gedenkfeierlichkeiten als eine Chance zur Verbesserung der irischen Gesellschaft, die von Wissenschaftlern, Politikern, Künstlern, Intellektuellen, Psychologen und allen irischen Bürgern mit gesellschaftlichem Verantwortungsgefühl genutzt werden sollte: „[...] reclaim our history, not as a series of facts and details, but in a way so meaningful as to fill the gaping holes in our collective spirit.“36 Waters brachte außerdem seine Überzeugung zum Ausdruck, dass die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte es den Iren ermöglichen sollte, Solidarität mit den heutigen Opfern von Kolonialismus und Unterdrückung zu zeigen. Auch der wirtschaftliche Aufschwung der 1990er-Jahre leistete einen Beitrag zur Bekämpfung des nationalen Traumas Massenemigration und zu einem selbstbewussteren und distanzierteren Umgang mit der eigenen Geschichte. Dieser Prozess schlug sich auch in der ebenfalls in den 1990er-Jahren angestoßenen Diskussion über die irische Diaspora und einem inklusiveren Verständnis von Irishness nieder, wie ich im Kapitel „Vom ‚Armenhaus Europas‘ zum ‚Keltischen Tiger‘: Versuche einer Neubestimmung von Irishness“ erläutere. Die Geschichte der rassistischen Diskriminierung der Iren ist eng mit der Geschichte der irischen Emigration verbunden. Iren sind nicht nur in Irland als Kolonisierte durch die britischen Kolonisatoren rassistisch diskriminiert und ausgebeutet worden, sondern im Verlauf des 19. Jahrhunderts auch als Einwanderer in Großbritannien, wo sie als besonders degenerierte Gruppe der Arbeiterklasse konstruiert wurden. Diese Konstruktion konnte sich bis tief ins 20. Jahrhundert halten und wurde seit den 1980er-Jahren vermehrt hinterfragt. Erst der irische Wirtschaftsboom und Irlands Wandel zum „Keltischen Tiger“ konnte diese nachhaltig entkräften.

und der revisionistischen (revisionism). Ziel des Revisionismus, der den akademischen Diskurs seit den 1930er-Jahren dominierte, ist die Entwertung der populären Sichtweise auf die Große Hungersnot, ergo des irischen Nationalismus. Während diesem eine Emotionalisierung der Thematik und unlautere politische Motivation vorgeworfen werden, nehmen die Vertreter des Revisionismus für sich in Anspruch, wissenschaftlich objektiv zu arbeiten. Nur auf den ersten Blick handelt es sich um einen Streit von Denkschulen, also von intellektuellen bzw. akademischen Diskursen, doch in Irland durchzieht dieser Konflikt weite auch nicht-akademische Gesellschaftskreise. Die Gegner des Revisionismus werfen ihm vor, dass er die Basis der irischen Nation untergrabe, während die britische Verantwortung für die irische Katastrophe heruntergespielt werde. Darüber hinaus sei die dominierende Rolle des Revisionismus verantwortlich für die eingeschränkte Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte, da er jede gegenteilige Auffassung gleichsetze mit einer offenen Unterstützung des nationalen Befreiungskampfes. 36 John Waters in der Irish Times, 11. Oktober 1994, Zitiert nach Kinealy, Christine: The Great Irish Famine. Impact, Ideology and Rebellion (British History in Perspective), Basingstoke, New York 2002, S. 11.

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In Großbritannien galten die irischen Immigranten bereits vor den 1840erJahren als arm, faul, dreckig und verantwortlich für die Verbreitung von Epidemien.37 So wie in den USA waren religiöse Beweggründe von zentraler Bedeutung: „Religious bigotry was a further cause of hostility to the Catholic Irish in Britain and sectarian conflict between Protestants and Catholics appeared to reinforce the Irish reputation for disorderly behaviour.“38 Die durch die Hungersnot ausgelöste riesige Auswanderungsbewegung verstärkte die Ressentiments und führte zu hysterischen Reaktionen im Rahmen eines „wider phenomenon of an endemic anti-Irish racism in Britain“39. Irische Einwanderer wurden in der viktorianischen Gesellschaft für alle Übel, die die Mittel- und Oberklasse mit dem urbanen Slum in Verbindung brachte, zum Sündenbock gemacht.40 Außerdem wurde ihnen vorgeworfen, dass sie der englischen Arbeiterklasse die Arbeitsplätze streitig machten und somit deren Lebensstandard senken würden. Hierbei darf die Rolle des Staates in der Konstruktion von rassistischen Vorurteilen, die von Politikern geschürt wurden, nicht unterschätzt werden. Antiirische Statements gehörten zur politischen Tagesordnung: „Was it not found that where the Irish appeared wages were lowered, respectability disappeared, and slovenliness and filth prevailed?“41 Die Neuankömmlinge wurden als Doppelbelastung für den britischen Steuerzahler betrachtet, da ohnehin Gelder nach Irland flössen. Forderungen nach einer staatlichen Restriktion der irischen Einwanderung wurden laut, trafen jedoch stets auf Ablehnung.42 In Irland forderten Obdachlosigkeit und um sich greifende gesellschaftliche Zerrüttung, bedingt durch massenhaft durchgeführte Zwangsräumungen, Tausende Todesopfer.43 Der kulturelle Schock bestand vor allem darin, dass mit der durch die Hungerkatastrophe ausgelösten Massenauswanderung auch die irische Sprache weitestgehend aus Irland verschwand.

37 Ein weiteres Indiz dafür, dass die irischen Einwanderer als Bedrohung empfunden und Krankheitsfälle mit ihrer Ankunft in Verbindung gebracht wurden, ist die weitverbreitete Umbenennung von Typhus in „Irisches Fieber“. Vgl. Neal: The Famine Irish, S. 74–77. 38 Davis: The Irish in Britain, S. 28. 39 Ebd. 40 Vgl. Waters, Hazel: The Great Famine and the Rise of Anti-Irish Racism, in: Race & Class 37 (1995), Nr. 1, S. 106. Außerdem stellt sie fest: „The Great Famine and its reverberations traumatised Irish society for generations.” 41 So Lord Ashley im Bath Chronicle vom 27. Januar 1848, zitiert nach Davis: The Irish in Britain, S. 26. 42 Kinealy: The Great Irish Famine, S. 60. 43 Ebd., S. 44.

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Die Hungerkatastrophe ist in Irland ein bis heute kontrovers diskutiertes Reizthema – nicht nur in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Mit Bestimmtheit ist davon auszugehen, dass sie die Überlebenden politisch radikalisierte, da weiterhin Nahrungsmittel aus Irland exportiert wurden und die Reaktionen der britischen Regierung auf die katastrophale Situation in Irland auch aus heutiger Perspektive wenigstens als unangemessen bezeichnet werden müssen. Die Unterdrückung der Iren löste immer wieder Aufstandsbestrebungen aus. Unter der Bezeichnung Fenier (Fenians) sind verschiedene nationalistische Gruppierungen zusammenzufassen, die Irland von britischer Herrschaft befreien wollten. Es handelte sich um eine revolutionäre Bewegung, die nicht nur in Irland, sondern auch in Nordamerika und Großbritannien operierte. Für einen meiner Interviewpartner stellen die Fenier eine zu Unrecht nicht nur in der irischen Geschichtsschreibung viel zu gering beachtete politische Kraft und einen zu wenig zitierten Referenzpunkt dar: The Fenians nearly took over Ireland and Canada. It’s one of these historical things that just isn’t written about. About how the Irish nearly… the Fenians nearly took Canada. And it was really close, very close.

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Die Fenier waren bereit, für ihre politischen Ziele Gewalt anzuwenden und glaubten an den Erfolg einer bewaffneten Revolution. Aufgrund dieses militanten Fenianismus wurden die katholischen Iren aus britischer Sicht zum Prototyp des gewalttätigen Unruhestifters. Als solche tauchen sie deswegen immer wieder in den Darstellungen von Iren in England auf, so auch in der satirischen Zeitschrift Punch, die Martin Weimer untersucht hat. In den Karikaturen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts schlagen sich mehrere Faktoren nieder: zum einen die politische Entwicklung der Beziehung zwischen der englischen Krone und Irland sowie die irischen Unabhängigkeitsbestrebungen vor allem in Form des militanten Fenianismus, zum anderen die damals neuartige pseudowissenschaftliche Rassenlehre. Die Fenier werden im Punch wie folgt beschrieben: „[...] they belong to the tribe of scarcely

44 Connor bezieht sich hier auf den militärischen Einfall der Fenier nach Kanada, das damals noch eine britische Kolonie war, mit dem Ziel, die Briten dazu zu bewegen, Irland die Unabhängigkeit zu gewähren. Vgl. Maurer, Michael: Kleine Geschichte Irlands, Stuttgart 1998, S. 233. Der Einfluss des Fenianismus seit den Phoenix Park murders (Bezeichnung für einen republikanischen Anschlag im größten Park Dublins 1882) und dem Easter Rising (Osteraufstand von 1916) auf den irischen Nationalismus wird in jüngster Zeit als erheblich größer eingeschätzt als bisher angenommen. Vgl. Kelly, Matthew J.: The Fenian Ideal and Irish Nationalism, 1882–1926, (Irish Historical Monographs, Nummer 4), Woodbridge 2006.

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human beings, hardly to be called Irishmen, known as Irish Yahoos. These congeners of the Gorilla emigrate to the ends of the earth, carrying with, wherever they go, filth, squalor, ferocity, disorder, crime and hatred of England.“45

D IE F ESTSCHREIBUNG DES RASSISTISCHEN I REN -S TEREOTYPS IN G ROSSBRITANNIEN Im Zusammenhang mit Weimers Studie sei erwähnt, dass sich die Iren- bzw. Irlandbildforschung bisher vor allem auf die literarische Stereotypisierung des Stage Irishman bzw. Stage Irishness, eine Tradition des Theaters, die sich bis Shakespeare zurückverfolgen lässt, konzentrierte.46 Neben der Untersuchung des sogenannten Bühneniren wird die literarische Stereotypisierung von Iren vor allem in englischsprachigen Romanen erforscht.47 Dabei wird eindrücklich vorgeführt, dass die rassistische Diskriminierung der Iren sich nicht allein auf die Ebene von formaler Politik, Gesetzgebung und Verwaltung beschränkte, sondern dass über mehrere Jahrhunderte die rassistische Stereotypisierung der Iren auch auf der populärkulturellen Ebene äußerst weite Verbreitung erfuhr und sich im populären Diskurs fest-

45 Punch, 1863, zitiert nach Weimer, Martin: Das Bild der Iren und Irland im Punch 18411921. Strukturanalyse des hibernistischen Heterostereotyps der englischen satirischen Zeitschrift dargestellt an Hand von Karikaturen und Texten (Europäische Hochschulschriften, Reihe XIV: Angelsächsische Sprache und Literatur, Band 268), Frankfurt am Main, Berlin, Paris u. a. 1991, S. 602. Als literarische Vorlage diente Jonathan Swifts fantastischsatirischer Roman Gullivers Reisen, in denen er Yahoos als wilde, dreckige Kreaturen mit widerlichen Angewohnheiten beschreibt. 46 Vgl. z. B. Curtis: Nothing But the Same Old Story, S. 35; Weimer: Das Bild der Iren, S. 10–12; Viol, Claus-Ulrich: Eighteenth-Century (Sub)Versions of Stage Irishness. Prevalent Anti-Irish Stereotypes and Their Dramatic Functionalisation (Horizonte, Band 24), Trier 1998; O’Neill, Stephen: Staging Ireland. Representations in Shakespeare and Renaissance Drama, Dublin 2007. 47 Vgl. z. B. McCaw, Neil (Hrsg.): Writing Irishness in Nineteenth-Century British Culture, Aldershot u. a. 2004; Bolten, Michael: Imagining and Imaging Ireland. Konzeptionen Irlands bei den jungen anglo-irischen Dramatikern Martin McDonagh und Conor McPherson (Anglistik, Amerikanistik, Anglophonie, Band 1), Trier 2005. Für eine erste umfassende Untersuchung von Irenstereotypen in der britischen Presse des 19. Jahrhunderts vgl. de Nie, Michael Willem: The Eternal Paddy: Irish Identity and the British Press, 1798–1882 (History of Ireland and the Irish Diaspora), Madison 2004.

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setzte.48 Als Pionier der Iren- und Irlandbildforschung muss Lewis Perry Curtis gelten, der in seinen Studien auch die Ethnology of Irish Celts im Viktorianischen England behandelt.49 Es existierten zahlreiche Varianten der karikaturistischen Mittel zur Darstellung der Minderwertigkeit der Iren. Der Umstand, dass viele von ihnen auch in der Emigration an der Kartoffel als Grundnahrungsmittel festhielten, wirkte sich zusätzlich negativ auf ihr Bild in der britischen Gesellschaft aus. Umgangssprachlich wurden Iren als potato people oder potato face bezeichnet, wobei die Kartoffel eine Chiffre für Dummheit war. Trotz der Tragik der Großen Hungersnot und des qualvollen Todes Tausender Menschen, wird im Punch die Vorliebe der Iren für die Kartoffel satirisch aufgegriffen.50 In der Karikatur „The Real Potato Blight of Ireland“ wird O’Connell als faule Kartoffel dargestellt.51 Doch nicht nur Kartoffeln, sondern auch Schweine werden im Punch antromorphisiert. Das im Dreck wühlende, Abfall fressende Schwein wurde gleichsam zum Sinnbild der Niedrigkeit und Unsauberkeit sowie zum Sinnbild für die Rückständigkeit der Iren. Weimer kann nachweisen, dass die „Grenzen zwischen Iren und

48 Dementsprechend waren die Träger antiirischer Diskriminierung nicht nur in Amtsstuben, sondern auch auf der Straße aktiv: 1861 kommt es in York zu antiirischen Ausschreitungen, während derer die katholische Kapelle attackiert und den irischen Einwanderern Vertreibung angedroht wurde. Vgl. Finnegan, Frances: Poverty and Prejudice. A Study of Irish Immigrants in York 1840–1875, Cork 1982, S. 166. 49 Curtis, L. Perry: Anglo-Saxons and Celts: A Study of Anti-Irish Prejudice in Victorian England, Bridgeport, CT 1968; Ders.: Apes and Angels. The Irishman in Victorian Caricature, Washington; London 1997. 50 Die für Irland herausragende Bedeutung der Kartoffel, die im irischen Klima im Vergleich zu Getreide ertragreicher und leichter kultivierbar ist, stand in engem Zusammenhang mit dem von ihr begünstigten immensen Bevölkerungsanstieg seit der Mitte des 18. Jahrhunderts. Da dieser nicht von einem rasch fortschreitenden Industrialisierungsprozess aufgefangen wurde, mussten immer mehr Iren ihren Lebensunterhalt in Subsistenzwirtschaft erarbeiten. In keinem anderen Land Europas stellte die Kartoffel für Wirtschaft und Gesellschaft einen so wichtigen Faktor dar wie in Irland. Am Vorabend der Großen Hungersnot waren etwa drei Millionen Iren in der täglichen Ernährung fast vollständig von ihr abhängig. Diese Abhängigkeit von der Nationalspeise Kartoffel war die Ursache für die verheerende Auswirkung der Kartoffelfäule (potato blight), die mehrere aufeinander folgende Missernten verursachte. 51 Punch 1845, zitiert nach Weimer: Das Bild der Iren, S. 507, 508.

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Schwein verschwimmen“ – und zwar so sehr, dass nicht nur der Ire als Schwein, sondern umgekehrt auch das Schwein als Paddy bezeichnet wird.52 Die Iren werden einem Reigen rassistischer Diskriminierung in Form von Infantilisierung, Barbarisierung, Pathologisierung und Feminisierung ausgesetzt. Neben dem Schwein verwendet der Punch ein reichhaltiges Tier-Arsenal, das über parasitäre Schädlinge bis zu gefährlichen Bestien reicht. Vor dem Hintergrund von Darwins neuer Evolutionslehre erscheint jedoch nicht die Animalisierung als Schwein, Hund oder Esel, sondern die als Affe als besonders bösartig.53 Während zuvor die in unvorstellbarer Armut und Rückständigkeit lebenden Iren54 mit Affen verglichen wurden, karikierte der Punch nun grundsätzlich alle als minderwertig erachteten „Rassen“, besonders wenn sie im Konflikt mit der englischen Krone standen, mit äffischen Zügen.55 Auch auf der sprachlichen Ebene regte der Vergleich Affe/Ire die Satiriker zu Verballhornung irischer Namen an, wie die Beispiele Mr. G. O’Rilla oder Mr. O’Rangoutang zeigen. Die neue darwinistische Evolutionstheorie wurde kontrovers in der Öffentlichkeit diskutiert.56 Die Simianisierung der Iren in der englischen Karikatur seit den 50er- und 60er-Jahren des 19. Jahrhunderts spiegelt den damaligen Zeitgeist wider: Physiognomik und Phrenologie57waren überaus populäre pseudowissenschaftliche Disziplinen, die die aufkommende moderne Rassenlehre unterfütterten.

52 Weimer: Das Bild der Iren, S. 516. Paddy ist die Koseform für Patrick oder Pádraig, in England eine abwertende Bezeichnung für eine irische Person. 53 Diese Sonderform der Animalisierung wird in englischsprachigen Schriften als simianisation bezeichnet, was ins Deutschte mit Simianisierung übertragen werden kann. 54 Irland wies für damalige im Westen Europas herrschende Verhältnisse einen besonders niedrigen Lebensstandard auf. Vgl. Gráda, Cormac: Black ´47 and Beyond. The Great Irish Famine in History, Economy, and Memory, Princeton 1999, S. 24, Ó Gráda, Cormac: Ireland Before and After the Famine. Explorations in Economic History, 1800–1925, Manchester; New York 1988, S. 22–24. 55 Zur Simianisierung irischer Gesichtszüge im Rahmen von Punchs antiirischer Propaganda vgl. auch Browne, Janet: Darwin in Caricature. A Study in the Popularisation and Dissemination of Evolution, in: Proceedings of the American Philosophical Society 145 (2001), Nr. 4, S. 501. 56 Charles Darwins On the Origins of Species by Means of Natural Selection erschien erstmals 1859. 57 Als Physiognomik wird die seit der Antike bekannte Methode beschrieben, aus der körperlichen Erscheinung eines Menschen, besonders seinem Gesicht, auf seine charakterlichen Eigenschaften zu schließen. Als ebenfalls wissenschaftlich nicht haltbare Überzeugung spielte die mit ihr eng verwandte Phrenologie bei der Vermessung der Iren eine Rolle: Aus der Schädelform eines Menschen wurde auf bestimmte geistig-seelische Veranlagungen

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W HITE N EGRO : D IE K ONSTRUKTION

DER IRISCHEN

„R ASSE “

Nach und nach wurde nicht nur die scientific community jener Zeit, sondern auch der populäre Diskurs von den neuartigen Rassentheorien durchdrungen. Der sogenannte Gesichtswinkel wurde zum Indikator für Hirnvolumen und Intelligenz. Die Ergebnisse bedienten rassistische Erwartungen und entfalteten eine politische Wirkung, wenn der Punch die Iren mit breitem Mund, platter Nase und fliehender Stirn, also als „flat-faced and small-brained“ zeichnete.58 Nur wenige Jahre später verschmolzen Physiognomik und Rassenlehre auch auf der wissenschaftlichen Ebene. So identifizierte Daniel Mackintosh von der Anthropologischen Gesellschaft in London 1865 einen speziellen Gaelic type, den er folgendermaßen beschreibt: „Bulging forward of lower part of face – most extreme in upper jaw. Chin more or less retreating… [...] Retreating forehead. Large mouth and thick lips. Great distance between nose and mouth. Nose short, upturned, frequently concave, with yawning nostrils.“59 Dass diese Beschreibung nicht nur auf den „gälischen Typ“, sondern auch auf jeden Schimpansen zutrifft, sollte vor dem Hintergrund der Evolutionstheorie die besonders niedrige biologische und kulturelle Entwicklungsstufe der Iren bedeuten. Andere Anthropologen sprachen von der Existenz einer „IberoMongolian Mischrasse“60 in Irland oder verwandten bei ethnografischen Exkursionen nach Irland einen Index of Nigrescence (zur Vermessung von Augen-, Haarund Hautpigmentierung). Der Ethnologe John Beddoe behauptete, so beweisen zu können, dass die Iren „Africanoid“61 und verwandt mit „negroiden Völkern“ seien.62 Die Frage, der hier nachgegangen wurde, war also: Sind alle Weißen gleich

geschlossen. Die Rassenkunde und Eugenik des Nationalsozialismus berief sich auf diese biometrischen „Lehren“ des 19. Jahrhunderts. 58 Punch 1852, zitiert nach Weimer: Das Bild der Iren, S. 603. Theoretische Wegbereiter des modernen Rassismus wie der Anthropologe Robert Knox (The Races of Man, 1850) und Graf Gobineau (Essais sur l’inégalité des races humaines, 1853) hielten die „keltische Rasse“ für einen unterentwickelten und minderwertigen Teil der „weißen Rasse“. Vgl. Garner: Racism in the Irish Experience, S. 93. Knox verbindet seinen Antisemitismus mit einem nicht minder extrem ausgeprägten antikeltischen Rassismus (in der Forschungsliteratur ist der Begriff Keltophobie geläufig) und rät zu einer Entfernung aller Kelten aus Irland. 59 Zitiert nach Curtis: Apes and Angels, S. 18. 60 Weimer: Das Bild der Iren, S. 603. 61 Curtis: Apes and Angels, S. 20. 62 Garner: Racism in the Irish Experience, S. 125. Dieses angebliche Verwandtschaftsverhältnis hielt sich als vage Behauptung bereits seit den 1840er-Jahren. Die Iren haben allerdings die Möglichkeit, heller zu werden, insbesondere durch „zivilisierende“ Einflüsse. Garner

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weiß? Und die Unterstellung, die mit dieser Frage einherging, lautete: Die Iren sind weniger weiß als die Angelsachsen und deswegen auch eine minderwertige „Rasse“.63 Der anglikanische Theologe Charles Kingsley, der sich intensiv mit Darwins neuer Theorie über die Entstehung der Arten auseinandersetzte, schrieb über seinen Besuch in Irland im Jahr 1860: But I am haunted by the human chimpanzees I saw along that hundred miles of horrible country. I don’t believe they are our fault. I believe there are not only many of them than of old, but they are happier, better, more comfortably fed and lodged under our rule than they ever were. But to see white chimpanzees is dreadful; if they were black, one would not feel it so much, but their skins, except where tanned by exposure, are as white as ours.

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Während Darwins Theorie – insbesondere die von vielen Zeitgenossen als skandalös empfundene Vorstellung, vom Affen abzustammen – erbitterte Proteste auslöste, entdeckte der Punch im homo hibernicus das fehlende Bindeglied in der Entwicklungslinie zwischen Affe und Mensch: „A creature manifestly between the Gorilla and the Negro is to be met with in some of the lowest districts of London and Liverpool… it belongs in fact to a tribe of Irish savages: the lowest species of the Irish Yahoo.“65 Diese Entdeckung des Punch korrespondiert mit dem eingangs genannten Zitat von Engels, der die Iren im England des 19. Jahrhunderts als „ebenso schmutzig wie Schweine“, der Trunksucht verfallene und unzivilisierte Konkurrenz der englischen Arbeiter beschreibt. Karl Marx kam bei seinen Bemühungen um die Einheit der Proletarier zu dem ernüchternden Schluss: „Der gewöhnliche englische Arbeiter haßt den irischen Arbeiter… [und] fühlt sich ihm gegenüber als Glied der herrschenden Nation… Er verhält sich ungefähr zu ihm wie die poor whites zu den niggers.“66

verweist auf eine Karikatur, in der ein dunkelhäutiger Ire nach Amerika aufbricht, um später merklich aufgehellt – sprich zivilisiert – wieder nach Irland zurückzukehren. Vgl. Garner: Racism in the Irish Experience, S. 94, 96–97. 63 Bereits fast zwanzig Jahre zuvor in der ersten Ausgabe des Punch von 1841 kommt ein Vergleich von irischen Emigranten mit Schwarzen unter der Überschrift „Nigger Peculiarities“ auf, wo es heißt: „…’white trash‘ is commonly employed to express their supreme contempt for the ‘low Irish vulgar set’”. Weimer: Das Bild der Iren, S. 605. 64 Charles Kingsley zitiert nach Curtis: Anglo-Saxons and Celts, S. 84. 65 Punch 1862, zitiert nach Weimer: Das Bild der Iren, S. 604. 66 Marx, Karl: Brief an S. Meyer and A. Vogt vom 9. April 1870, in: MEW 32, S. 665 f., zitiert nach: Allen: Die Erfindung der weißen Rasse, S. 28.

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Die Entwürdigung und Entmenschlichung der irischen Einwanderer stand im engen Zusammenhang mit der damaligen urbanen Krise, die die staatlichen Autoritäten infrage stellte, die nur unzureichend auf die wachsenden Probleme wie den rapiden Bevölkerungszuwachs, Armut, Arbeitslosigkeit, Kriminalität und Epidemien vorbereitet waren.67 Die irischen Arbeiter in England wurden als eine soziale und politische Bedrohung konstruiert und galten als Paradebeispiel der urban savages. Nicht nur von Engels wurden sie als degeneriert und sogar physiognomisch unterscheidbar beschrieben.68 Besonders deutlich tritt hier hervor, dass die nach außen gerichtete racialisation im Zuge des Kolonialismus sich in einer nach innen gerichteten racialisation weiter fortsetzte. Diesem Prozess waren in erster Linie Migranten ausgesetzt, doch parallel entwickelte sich ein weiterer Prozess der racialisation bestimmter Gruppen der Arbeiterklasse, denen somatische Eigenschaften, die Rückschlüsse auf die Fähigkeit zur Moral zuließen, zugeschrieben und die als wild und barbarisch bezeichnet wurden. Die racialisation der Iren in Irland sowie der irischen Arbeitsmigranten stellt eine Kombination dieser Prozesse von racialisation dar.69 So wie zuvor die Kolonisierten als unzivilisierte „Rassen“ konstruiert worden waren, so wurden nun bestimmte Teile der Arbeiterklasse als unzivilisierte Barbaren stigmatisiert. Ein extremer Sozialdarwinismus konnte in diesem Klima fröhliche Urstände feiern, denn die mit der Rassenlehre assoziierten Ideen über die Existenz einer natürlichen Ordnung und eines biologischen Determinismus ließen die Zugehörigkeit eines Menschen zu einer Klasse als die gesellschaftliche Konsequenz eines natürlichen Ausleseprozesses erscheinen.

67 Davis, Graham: The Irish in Britain, 1815–1939, in: Bielenberg, Andy (Hrsg.): The Irish Diaspora, London 2000, S. 24–25. 68 Der Ausgewogenheit halber sei darauf verwiesen, dass Engels die gesellschaftlichen Verhältnisse für die von ihm beschriebene Trunksucht und Verrohung der Iren verantwortlich macht. Zudem kann Engels der irischen Präsenz in England etwas Positives abringen, denn sie führe zu einer Verschlimmerung der Lage der arbeitenden Klasse und damit zu einer Vertiefung der Kluft zwischen Arbeitern und Bourgeoisie. Dazu trage auch das leidenschaftliche, leicht erregbare „irische Wesen“ bei, dem Engels ein gewisses revolutionäres Potenzial zuspricht. 69 Patrick Brantlinger zeigt auf, wie im irischen Fall unterschiedliche rassistische Argumentationsmuster zusammenlaufen: Gleichzeitig funktioniert die rassistische Diskriminierung der Iren über die Kategorien „Rasse“ („stereotyping the Irish as a vanishing primitive race“, S. 109) , Klasse („discourse about exterminating the poor“, S. 98) und Geschlecht („feminization of Ireland“, S. 100). Brantlinger, Patrick: Dark Vanishings. Discourse on the Extinction of Primitive Races, 1800–1930, Ithaca; London 2003. Hinzuzufügen ist die Kategorie Religion.

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Anhand der Karikaturen im Punch ist die graduelle Veränderung der Irenbilder von der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis ins frühe 20. Jahrhundert nachvollziehbar. Werden sie vorerst als dumme, aber harmlose Bauern dargestellt, so finden sich – vor allem mit dem Erstarken eines militanten irischen Nationalismus nach der Großen Hungersnot – zunehmend immer drastischere Darstellungen von Iren als gefährliche, affenartige Monster, die Recht, Gesetz und Bürgerlichkeit bedrohen. Diese Karikaturen korrespondierten hervorragend mit der neuartigen Rassenlehre und der in England nicht nur unter Anthropologen sehr weitverbreiteten Überzeugung, dass Iren eine separate „keltische Rasse“ sind, deren Minderwertigkeit sich deutlich an ihren Gesichtszügen ablesen lässt.70 Der katholische Ire wird zum white Negro gemacht.71 Die bereits im Vorfeld verfestigten kulturellen Vorstellungen über Iren konnten reibungslos in die neu entstehende Rassenlehre integriert und fortgeschrieben werden. Die Darstellung der charakterlichen, kulturellen und politischen Unmündigkeit der Iren entsprach der Intention, die politische Autonomie Irlands um jeden Preis zu verhindern. Damit ist der Zusammenhang zwischen der Konstruktion von Rasse, Staat, Nation und Nationalismus und dem politischen hegemonialen Diskurs aufgezeigt. Ganz deutlich tritt die Verbindung zwischen der englischen Irlandpolitik mit der im 19. Jahrhundert aufkommenden Rassenideologie hervor. Darüber hinaus kann hier der Prozess nachvollzogen werden, wie in England der Ire als „ewiger Anderer“ – Kelte, Katholik, Bauer – konstruiert wird, was auf den durch Stuart Hall betonten binären Charakter von Rassismus verweist, mit dem die eigene Identität in Abgrenzung vom Anderen hergestellt wird. Die rassistische Stereotypisierung der Iren hatte Methode. Die Darstellung als Affen oder Monster sollte letztlich zu einer Entmenschlichung der irischen Bevölkerung führen, die aus herrschaftspolitischen Gründen bekämpft werden sollte. In Zeiten der politischen Unruhe dient die Dehumanisierung des politischen Gegners zum Abbau von Hemmungen und moralischen Bedenken im Kampf gegen ihn.

70 Wie beschrieben spielte vor allem in den USA die Unterteilung dessen, was noch heute in den USA als Caucasian race bezeichnet wird, eine große Rolle. John Pinkerton, ein Vordenker des germanischen Herrenmenschentums, hatte bereits Ende des 18. Jahrhunderts seine Ablehnung alles Keltischen kundgetan. Er führt die Minderwertigkeit der Kelten auf ihre Abstammung von den Skythen zurück, während seiner Meinung nach die höherwertigen europäischen „Rassen“ von den Goten abstammen. Josiah Nott, ein US-amerikanischer Vertreter der Rassenlehre, hielt wie sein britischer Kollege Beddoe die Kelten für „dunkelhäutig“. Vgl. Horsman, Reginald: Race and Manifest Destiny. The Origins of American Racial Anglo-Saxonism, Cambridge/ MA, London 1981, S. 31, 131. 71 Curtis: Apes and Angles, S. 1.

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Die rassistische Konstruktion des Iren als unzivilisiert und politisch unmündig begünstigte die Verschleierung der historischen Hintergründe und der sozialen Wirklichkeit. Die Negation der politischen und sozialen Tatsachen beförderte wiederum die Festschreibung der rassistischen Theorie der Celtic incapacity, nach der die Probleme irischer Politiker nicht mit ihrer mangelnden politischen Partizipation oder mangelnder politischer Erfahrung, sondern mit der grundsätzlichen irischen Unfähigkeit zur Vernunft erklärt wurden.72 Diese Wechselwirkung ist ein Zirkelschluss, der in letzter Konsequenz immer bedeuten sollte, dass den Bemühungen nach politischer und kultureller Selbstbestimmung Irlands auf keinen Fall nachgegeben werden darf.

G AELIC R EVIVAL : D IE K ONSTRUKTION

DES IRISCHEN

N ATIONALISMUS

An der Konstruktion der Iren wurde jedoch keineswegs nur von außen, sondern auch von innen gearbeitet. Zum einen wurden die Iren von britischer Seite zu einer „keltischen Rasse“ oder zum „gälischen Typ“ gemacht.73 Andererseits betrieben die Iren unter Zuhilfenahme der Idee einer katholisch-gälischen Nation die Erfindung ihrer selbst. Diese beiden Konstruktionsprozesse – die Zuschreibung von außen und die Selbstdefinition der Iren – weisen Analogien auf und verliefen nicht unabhängig voneinander. Im irischen Nationbuilding, welches große Ähnlichkeiten mit anderen europäischen nationalen Bewegungen des 19. Jahrhunderts aufweist, wurde ein exklusives Konzept nationaler Identität entworfen.74 Die Geschichte des Kampfes um politi-

72 Weimer: Das Bild der Iren, S. 456, 457. 73 Die in diesem Kapitel auftauchenden Begriffe „gälisch“, „irisch“, „keltisch“ müssen auf ihre Bedeutung und ihre Synonymität geprüft werden. Ich bevorzuge den Begriff „irisch“, wenn ich mich auf die irische Geschichte und Irland beziehe, da es mir den zu beschreibenden Gegenstand besser zu erklären scheint, als die Begriffe „gälisch“ bzw. „keltisch“, die beide einen sehr starken, rückwärtsgewandten Konstruktionscharakter haben. Tatsächlich ist für die Geschichte des irischen Nationalismus eine ideologische und terminologische Konfusion der Begriffe „gälisch“, „katholisch“, „christlich“ bzw. „irisch“ zu konstatieren. 74 Cornelius O’Leary hebt die Parallelen zum tschechischen Nationalismus in ÖsterreichUngarn hervor. O’Leary, Cornelius: Celtic Nationalism. An Inaugural Lecture Delivered Before the Queen’s University of Belfast on 11th May 1981 (New Lecture Series, Nr. 132), Belfast 1981, S. 10. Die Erfahrung der Iren im britischen Empire bietet auch für andere Wissenschaftler Anlass zum Vergleich mit der Situation der Tschechen im Habsburger

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sche und kulturelle Selbstbestimmung im 19. Jahrhundert ist wechselhaft, mündet jedoch letztlich in eine Allianz von katholischer Kirche, kulturell-sozialer Bewegung und irischem Nationalismus.75 Hier liegen die historischen Wurzeln eines nationalistischen Rassismus, der die Vorstellung der Nation als einer geeinten kulturellen Gemeinschaft propagiert. Auch im irischen Nationalismus manifestiert sich die von Balibar und Miles konstatierte wechselseitige Determination von Rassismus und Nationalismus sowie ihre ideologische Verknüpfung. Geschichte, Kultur und „Rasse“ werden dazu benutzt, ein System der Differenz zu konstruieren, welches auf einer ausgrenzenden Definition dessen, wer dazugehört und wer nicht, basiert. Rassismus geht aus Nationalismus hervor und richtet sich nicht nur nach außen, sondern auch nach innen. Hall und Gilroy folgend, kann man den Prozess nachzeichnen, in dem eine Metaphysik von Irishness mit rassistischen Zügen kreiert wird. Das heutige Verständnis von Irishness wurde maßgeblich im Gaelic Revival vorgeformt. Das Gaelic Revival ähnelt dem deutschen bürgerlichen Kulturnationalismus des frühen 19. Jahrhunderts.76 Das Gedankengut der deutschen Romantik greift den Idealen bürgerlicher Gelehrter in Irland vor, die sich nun – wenn auch zeitlich verzögert – seit den 1880er-Jahren auf die Suche nach archaischen Traditionen der Kultur in ihrer Geschichte machen. Überall in Europa, in Italien wie in Finnland, in Griechenland wie in Frankreich, scheuten begeisterte Schatzsucher keine Reise, um in ethnografischen oder protoethnografischen Beschreibungen Brauchtum, Märchen, Gesänge und Aberglaube für die Nachwelt zu entdecken und festzuhalten. In Irland geschah dies mit nachhaltiger Gründlichkeit, möglicherweise aufgrund der kolonialen Situation auch mit einer durch Leidensdruck verstärkten Leidenschaft. Denn bis heute erscheint die irische gälische Kultur reicher und stärker, ursprünglicher bzw. keltischer und andersartiger als z. B. ihr englisches Äquivalent.77

Reich. Dieser Vergleich deutet an, dass der postkoloniale Charakter der irischen Gesellschaft und die Erfahrung der Iren nicht ganz so singulär in der europäischen Geschichte sind, wie zuweilen angedeutet wird. Vgl. Kiernan, Victor: The Lords of Human Kind. European Attitudes to Other Cultures in the Imperial Age, London 1995, S. 29. 75 Für eine vertiefende Lektüre zur Geschichte des irischen Nationalismus s. Kee, Robert: The Green Flag. A History of Irish Nationalism, London 2000. 76 Zum bürgerlichen Kulturnationalismus in Deutschland vgl. Kaschuba, Wolfgang: Einführung in die Europäische Ethnologie, München 1999, S. 26 ff. 77 Nicht nur in England, sondern auch in Deutschland und Europa war die heidnische Zeit sicherlich ebenso faszinierend und fremdartig im Vergleich zu der christianisierten und industrialisierten Lebenswelt. Die Überbetonung des irischen Mystizismus verstärkte die irisch-englische Dichotomie, was sicherlich von einigen Anhängern des Gaelic Revival

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Auf das Gaelic Revival ist die bis heute funktionierende symbolische Verbindung von Irishness mit der irischen Westküste zurückzuführen, die nicht nur als wild und ungezähmt, sondern auch als für die irische Nation archetypische Landschaft konstruiert wurde, die seit jeher die Heimat der Kelten sei. Kein Zufall also, dass Irland noch heute auch und gerade in Deutschland viele zuerst an eine Kulisse aus grünen Feldern und Wiesen, sanften Hügeln, verwunschenen Burgen, wildromantischen Küstenlandschaften und unzähligen Schäfchen denken lässt, vor der – einen Esel hinter sich herziehend – rothaarige Kelten ihrem bäuerlichen Treiben nachgehen. So wie in Deutschland schlug in Irland die Stunde der Philologen und Sprachwissenschaftler, die überlieferten Sagen und Legenden nachspürten. Die Gebrüder Grimm hatten irische Brüder im Geiste, von denen die irische Sprache zum zentralen Medium erhoben wurde, um irische Identität und Geschichte vor dem sozialen Tod zu bewahren.78 Da die Wiederbelebung der irischen Sprache integraler Bestandteil der irischen nationalen Bewegung war, wurde 1893 die Gaelic League (Conradh na Gaeilge) gegründet, deren Hauptziel die Erhaltung des Irischen als einer gesprochenen Sprache war. Diese im Gaelic Revival federführende und nach wie vor überaus einflussreiche Organisation war im Jahr 2005 maßgeblich an der Durchsetzung der Anerkennung des Irischen als offizielle Sprache der Europäischen Union beteiligt.79 Die Beherrschung der irischen Sprache ist eine Vorbedingung für eine berufliche Karriere im öffentlichen Dienst Irlands. Viele Iren glaubten Ende des 19. Jahrhunderts mit der Förderung des Irischen, ihre nationale und kulturelle Identität gewinnen und festigen zu können. Diese Überzeugung wirkt bis heute in unterschiedlichster Weise nach.

gewollt, jedoch dem Abbau von Stereotypisierung abträglich war. Vgl. Cleeve, Brian: A View of the Irish, London 1983, S. 23. 78 Kaschuba findet für die deutschen Sprachwissenschaftler Grimm, für die der nationale Gedanke zum zentralen Erkenntnismotiv wird, folgende Beschreibung, die sich ohne Zweifel auf die irischen Verfechter des Gaelic Revival und ihrem Wunsch nach einer Neubestimmung irischer Identität, übertragen lässt: „Sie finden eine Tradition, die sie zugleich auch selbst ‚erfinden‘, die romantische und bürgerliche Sehnsüchte nach einem wahren und harten Kern deutscher Identität befriedigt.“ Kaschuba: Einführung in die Europäische Ethnologie, S. 35. 79 http://www.gaeilge.ie/foras/news/article.asp?toggle=yes&lang=en&id=136

(08.07.2008)

An der Geschichte der Gaelic League lässt sich vortrefflich die zunehmende Politisierung einer vorerst vordergründig unpolitischen Vereinigung nachvollziehen. Sie wurde zu einem Treffpunkt zahlreicher Nationalisten und somit zu einer Basis für entstehende nationalistische Zusammenschlüsse wie die Irish Volunteers (1913). Letztlich verschrieb sich die Gaelic League explizit dem nationalen Befreiungskampf.

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Das Irish Literary Revival, das zuweilen auch Celtic Revival genannt wird und maßgeblich von William Butler Yeats angeführt wurde, hatte die Rettung einer „unverfälschten“ irischen Kultur zum Ziel. Die Verbreitung spezifischer literarischer und kultureller Motive sollte das nationale Bewusstsein stärken. Auf der Suche nach der „authentischen“ irischen Kultur erschien es nicht ausreichend, nur bis zu der Zeit vor der britischen Eroberung zurückzureisen: Die Stunde des vorchristlichen Irlands – wie man es sich in der Rückschau vorstellte – hatte geschlagen. Nicht nur in Yeats Schriften wird das heidnische Irland mit seinen Sagen und Legenden beschworen. Die Dichter, Dramaturgen, Folkloristen und Historiker, die zu einer mythischen gälischen Vergangenheit zurückkehrten, betrachteten ihre Arbeit als eine Rückeroberung der eigenen Kultur, die durch mehrere Jahrhunderte britischer Herrschaft fast gänzlich ausgelöscht worden war.80 Doch da diese Wiederinbesitznahme und Erfindung irischer Identität größtenteils in einer Umkehrung von Fremdzuschreibungen bestand, spiegelte es auch den britischen Imperialismus und seine Epistemologie wider: Die Selbstbeschreibungen und die neu entworfenen positiven Irenbilder, die der rassistischen Stereotypisierung durch die britischen Eroberer entgegenwirken sollten, weisen Analogien zu eben jener Stereotypisierung auf und sind ebenso Produkt eines gesellschaftlichen Konstruktionsprozesses. Dieser wiederum kann durchaus auch als ein rassistischer Konstruktionsprozess bzw. eine an sich selbst vollzogene racialisation oder Selbstethnisierung bezeichnet werden – eine analoge Entwicklung werden die irischen Einwanderer circa hundert Jahre später in den 1980er-Jahren im britischen race relations-System durchlaufen. Die große Geschichte des europäischen Nationalismus wurde von den Iren mitgeschrieben.81 Auch in Irland galt: Ein politisches Projekt, welches Zukunft haben soll, benötigt eine große Narrative. So konstruierten bürgerliche Gelehrte eine Kontinuität irischer Geschichte und Kultur, die sich bis in graue Vorzeit irischer Mythen zurückverfolgen ließ.82 In Irland wurden die gleichen Mittel wie in anderen

80 Als vertiefende Lektüre zum Irish/Celtic/Literary Revival sowie zur Gaelic League s. FitzSimon, Betsey Taylor; Murphy, James H. (Hrsg.): The Irish Revival Reappraised, Dublin 2004. 81 Benedict Andersons konstruktivistischer Ansatz der Nation als imagined community lässt sich auch auf die irische anwenden: Sie ist eine vorgestellte, souveräne und – daher rührt ihr exklusiver Charakter – begrenzte Nation, an der folglich nicht jeder Mensch teilhaben kann. Anderson, Benedict Richard O’Gorman: Imagined Communities. Reflections on the Origin and Spread of Nationalism, London 1983. 82 Der Anthropologe Ernest Gellner hebt den Beitrag der Intellektuellen für die Erschaffung des Nationalismus, aus dem die Nation hervorgeht (in dieser Reihenfolge), hervor. Als Kitt soll eine gemeinsame nationale Kultur funktionieren, die die Gesellschaft homogenisiert,

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europäischen Nationalismen eingesetzt, denn wie jeder andere brauchte auch der irische Nationalismus Ursprungsmythen und baute Gemeinschaftsgefühle über die irische Sprache und über die Beschwörung eines nationalen „Urvolks“ – den Kelten – auf. So findet sich auch im irischen Nationalismus völkisches Denken, das als Grundlage für die irische nationale Identität herangezogen wird. Was für Deutschland das Germanentum, ist für Irland das Keltentum. Im Nationbuilding spielen Fantasie und Fiktion eine große Rolle. Das irische Beispiel ist insbesondere aufgrund der sonderbaren Symbiose aus Keltentum und Katholizismus obskur. Wohlwollend formuliert lässt sich festhalten, dass die katholisch-irische als „keltische“ Identität sehr frei konstruiert ist. Hier wurde das Kunststück vollführt, eine keltisch/heidnische, also prächristliche, und gleichsam katholische Identität zu kreieren. Der arische Mythos spielt hier wie dort bis heute für Anhänger rechtsextremer Ideologien eine große Rolle.83 In Irland wurde die Verkopplung von „Volk“ und „Nation“ zum Bestandteil einer Tradition revolutionären Widerstandes gegen die britische Herrschaft, doch zugleich funktioniert sie als Instrument der racialisation nach innen, das Bevölkerungsgruppen ein- bzw. ausschließt. Die weitverbreitete Selbst- und Fremdsicht der Iren als das „keltische Volk“ schlechthin, die sich in Irland nicht nur in einem extremen Hang zu keltischer Ornamentik äußert, ist eines der unter ästhetischen Gesichtspunkten bedauernswerten Resultate der Erfindung der „keltischen Rasse“. Vergessen wird gänzlich, dass der Begriff Kelten eine Kulturstufe (europäische Eisenzeit) kennzeichnet, nicht eine Sprachgruppe oder gar „Rasse“. „A [...] problem with the ,Celtic‘ theory is that it is nonsense. I remember reading somewhere that

nach innen festigt und nach außen abgrenzt. Gellners nationalistischer Imperativ besagt die Übereinstimmung von Kultur und Staat. Zu Gellners sozialanthropologischer Analyse des nationalistischen Zeitalters, in der das Fremde entweder nationalisiert oder bekämpft wird vgl. Gellner, Ernest: Nationalismus und Moderne, Hamburg 1995. 83 Dabei war das „arische Erbe“ der Iren bzw. Kelten auch Gegenstand von ideologischen Auseinandersetzungen. Zwar verortete Vacher de Lapogue die „Urheimat der Indogermanen“ in England und in Irland (Vgl. Fuchs, Brigitte: „Rasse“, „Volk“, Geschlecht. Anthropologische Diskurse in Österreich 1850–1960, Frankfurt am Main 2003, S. 228), doch manche Forscher hielten die Kelten für einen minderwertigen Teil der „weißen Rasse“. Garner stellt fest: „In cultural nationalism, the narrow racialised path to the Celtic particular ended up diverted to the thoroughfare of the Aryan universal.“ Garner: Racism in the Irish Experience, S. 153. Zu den mythischen Gründen des Nationalismus und Rassismus in Europa vgl. Poliakov, Léon: Der arische Mythos. Zu den Quellen von Rassismus und Nationalismus, Hamburg 1993.

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according to skull types found in graveyards there is as much ,Celtic‘ blood in Berkshire as there is in Wicklow.“84 Das Gaelic Revival am Ende des 19. Jahrhunderts war eine Bewegung, angestoßen von dem politischen Ansinnen, eine eigenständige irische Nationalkultur in klarer Abgrenzung zur britischen zu definieren.85 So wie die Negritude war auch das Gaelic Revival eine umfassende Bewegung, der ein über die Politik hinausweisendes grundlegendes antikolonial-revolutionäres Identitätskonzept zugrunde lag.86 In den 1970er- und frühen 1980er-Jahren nimmt die IRA expliziten Bezug auf den Prozess der Dekolonialisierung in Afrika und den afrikanischen Befreiungsnationalismus der 1960er-Jahre. Der Krieg der Stereotype ist besonders in postkolonialen Gesellschaften virulent. Die Negritude, wie auch Teile der schwarzen Bürgerrechtsbewegung in den USA, versuchten die Um- und Aufwertung jener ursprünglich negativen Attribute, die die Kolonisatoren Blackness aufzwangen. Dieser Prozess führte jedoch teilweise zu einer reinen Umkehrung von Fremdzuweisungen, die zur Vorstellung einer mo-

84 Cleeve: A View of the Irish, S. 12. (Brian Cleeve war ein populärer Schriftsteller irischenglischer Herkunft, der sich nicht nur in seinem Roman „Cry of Morning“ mit der irischen Geschichte und Kultur, sondern auch mit der Korruption in der irischen Politik beschäftigte.) Da aus der Keltenzeit keine Schriftzeugnisse überliefert sind und somit unbekannt ist, welche Sprache die Kelten sprachen, wird die alte Behauptung, dass Irisch eine keltische Sprache sei, heute häufig als Spekulation bezeichnet. Als ebenso fraglich gilt die Annahme, dass die heutigen Sprecher „keltischer“ Sprachen in Westeuropa, die (biologischen) Nachfahren der antiken Kelten sind. 85 O’Leary markiert die Geburt des irischen Nationalismus Ende des 18. Jahrhundert als die Society of United Irishmen um Theobald Wolfe Tone mit dem Ziel der Errichtung einer unabhängigen irischen Republik gegründet wurde. O’Leary: Celtic Nationalism, S. 9. Die United Irishmen entstanden unter dem Eindruck der Französischen Revolution und werden als gesellschaftliche Selbstorganisation von größter historischer Bedeutung bewertet, da sie die Konstitution einer irischen Nation aus der Überwindung der traditionellen Konfessionsgegensätze beabsichtigte. Die United Irishmen waren richtungsweisend für nachfolgende Aktionsbündnisse wie Young Ireland 1848 und die im Kapitel „Emigration als irische Tradition“ erwähnten Fenier, die sich ebenfalls nicht an eine bestimmte Konfession gebunden sahen. Maurer, Michael: Kleine Geschichte Irlands, Stuttgart 1998, S. 172, 232. 86 Wie umfassend das Gaelic Revival war, zeigte sich auch an der Gründung der Sportvereinigung Gaelic Athletic Association (Cumann Lúthchleas Gael) 1884, die bis heute für die Ausübung „gälischer“ Sportarten wirbt. Die Tücken der irischen Sprache bzw. Schrift treten auch bei einer traditionsreichen Organisation wie der Gaelic Athletic Association hervor, die auf ihrer offiziellen Internetseite zwei Schreibweisen ihres Namens auf Irisch anbietet. http://www.gaa.ie/page/the_birth_of_cumann_luthcleas_gael.html (08.07.2008)

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nolithischen und unveränderlichen (pan-)afrikanischen Identität führte. So kam es zu einer Fortschreibung des dichotomen Charakters des kolonialen Rassismus mit seinen essenzialistischen Gegensätzen. Jener fatale Prozess kann auch im Zuge des Gaelic Revival beobachtet werden. Die eigene irische Identität wird in Abgrenzung vom britischen Anderen hergestellt. Die von einigen Forschern attestierte „Anglophobie“ im Gaelic Revival kann als Spiegel der rassistischen Diffamierung der Iren verstanden werden.87 Der Versuch, dem britischen Imperialismus mit einem Akt kultureller Selbstbehauptung entgegenzutreten, mündete in der Behauptung des radikalen – und exklusiven – Andersseins der Iren. Das Gaelic Revival war eine bürgerliche Bewegung, anfänglich mitgetragen von zahlreichen Protestanten.88 Es ließ die soziale Frage ungestellt und somit unbeantwortet und berührte in seinem Idealismus nicht die Arbeiterklasse. Mit dem Ansinnen, das eigene Anderssein in Abgrenzung zu allem Britischen zu definieren, schnitt sich das intellektuelle Leben in Irland vom britischen ab und verlor so einen wichtigen Stimulus. Die Hinwendung zu einer imaginierten Vergangenheit führte zu einem kulturellen und intellektuellen Protektionismus, der das politische Leben Irlands dauerhaft veränderte. Was als vordergründig eher kulturelles Projekt begann, wandelte sich in ein dezidiert politisches. „The Gaelic revivalists became politicians, albeit often against their will and inclination. [...] Political nationalism and the Cultural Revival Movement became one and the same.“89 Es entwickelte sich ein kulturell und religiös fundierter Nationalismus, der die irischen Revolutionen bzw. den Kampf um nationale Unabhängigkeit 1916 wie 1921 nachhaltig prägte, und weit darüber hinaus den Irish Free State und dessen Nachfolger, die Republik Irland, formte und dominierte. Bis heute ist dieser Nationalismus Ausgangspunkt und Fundament der politischen Kultur der Republik Irland. Sprache, ethnische und konfessionelle Zugehörigkeit sind Kriterien für die Teilhabe an der irischen Nation sowie an Irishness.90

87 O’Leary: Celtic Nationalism, S. 9, 12, 13; Allerdings stellt sich die Frage, in welchem Ausmaß die Vertreter des Gaelic Revival tatsächlich „anglophob“ waren, oder ob ihnen die Anglophobie im Sinne einer generellen Ablehnung von englischer Sprache und Kultur sowie der Monarchie vielmehr von britischer Seite unterstellt wurde. Vgl. Weimer: Das Bild der Iren, S. 215 f. 88 Der überkonfessionelle und säkulare Kampf für die irische Unabhängigkeit wurde endgültig in der fortschreitenden Politisierung des Gaelic Revival und zugunsten eines katholischen Nationalismus aufgegeben. 89 Cleeve: A View of the Irish, S. 24. 90 Die für die irische politische Kultur typische enge Verbindung zwischen Nationalismus und Religion ist in ähnlich starker Ausprägung allenfalls in Polen anzutreffen.

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Im Rahmen der vorliegenden Studie kann weder die Vielschichtigkeit des irischen Nationalismus noch die Komplexität der politischen Kultur Irlands, ihre verzweigten Traditionslinien und ihre Eigenarten – die mir aus deutscher Perspektive zuweilen als Kuriositäten erscheinen – erschöpfend analysiert werden. Trotzdem muss erwähnt werden, insbesondere da es sich hier um einen häufig verwendeten Begriff im Gespräch mit irischen Antirassisten handelt, dass Republikanismus als politisches Konzept – neben Nationalismus – einen wichtigen ideologischen und intellektuellen Einfluss auf die irische Entwicklung nahm. Die heutige demokratische Staatsform der Republik Irland verweist auf amerikanische und französische – also nicht-englische – Einflüsse.91 Dabei sind die historischen Wurzeln republikanischer Ideale in Irland als obskur zu bezeichnen und bringen letztlich ein ideologisches Gebilde hervor, welches ich in seiner Widersprüchlichkeit als typisch irisches Produkt bezeichnen möchte: Es finden sich Spuren des antiklerikalen französischen Republikanismus sowie schottisch-presbyterianische – also zutiefst antikatholische – und selbst monarchistische Ideale. Die Ambivalenz drückt sich außerdem darin aus, dass die irische Spielart des Republikanismus eng mit dem irisch-katholischen Nationalismus verbunden ist, wobei letzterer auch in diesem Punkt seine Dominanz entfaltet: „Irish political terminology [...] is sometimes idiosyncratic: the term ‚republicanism‘, for example, has drifted from its classical significance and has come to mean a brand of revolutionary nationalism rather than a theory of government.“92 In Irland führte der Schulterschluss zwischen Nationalismus und katholischer Kirche dazu, dass die Gesellschaft fest im 19. Jahrhundert stecken blieb. „While Young England learned to drink cocktails and bob its hair, Young Ireland retired, or was dragged by its elders, behind the shamrock93 curtain, lovingly and carefully woven for us by the Nationalists and the clergy during the latter part of the 19th century.“94 Die reaktionäre Staatsideologie, die Verstaubtheit der von katholischer Kirche und autoritärer Politik kontrollierten irischen Gesellschaft sowie die Korruption in der irischen Politik kritisierte noch 1980 Bob Geldof – der fünf Jahre später zum Initiator von Live Aid werden sollte – in dem Boomtown Rats-Hit „Banana Republic“.

91 Garvin: The Birth of Irish Democracy, S. 10–11. Trotzdem sollte diese Einschätzung nicht darüber hinwegtäuschen, dass Verfassung und Staatsaufbau der Republik Irland eine starke Anlehnung an Großbritannien aufweisen. Vgl. Hartmann, Jürgen: Europa im Vergleich, Berlin 1991, S. 23. 92 Garvin: The Birth of Irish Democracy, S. 3. So erklärt sich auch die unter vielen irischen Republikanern der Jetztzeit bestehende Konfusion bezüglich der Begriffe Republikanismus und Demokratie, die in der politischen Tradition Irlands zuweilen verschmelzen. 93 Das dreiblättrige Kleeblatt (shamrock) ist ein inoffizielles Nationalsymbol Irlands. 94 Cleve: A View of the Irish, S. 25.

134 | UNDOING I RISHNESS BOOMTOWN RATS „Banana Republic“ (1980) Banana republic / Septic isle / Screaming in the suffering sea / It sound like crying / Every95

where I go / Everywhere I see / The black and blue uniforms / Police and priests. And I wonder do you wonder / While you’re sleeping with your whore / That sharing beds with history / Is like a-licking running sores / Forty shades of green yeah / Sixty shades of 96

red / Heroes going cheap these days / Price; a bullet in the head. [...] 97

The purple and the pinstripe

/ Mutely shake their heads / A silence shrieking volumes / A

violence worse than they condemn / Stab you in the back yeah / Laughin in your face / Glad to see the place again / It’s pity nothing’s changed

Die in diesem Titel zum Ausdruck gebrachte Desillusionierung mit den irischen Verhältnissen ist ein wiederkehrendes Moment im Gespräch mit vielen Iren und mit vielen antirassistischen Aktivisten in Irland.98 Hier geht es nicht nur darum, die autoritäre Gesellschaftsform zu beschreiben, sondern darüber hinaus, die schwierigen Rahmenbedingungen für widerständiges Verhalten oder politischen Aktivismus zu beklagen. In the 60s and 70s Ireland was a very, very stifled type of society. Very right wing, Catholic ideas about how the country should be run because the biggest kind of cultural influence was the Church. And also the controversy around Irish identity. Because really, Irish identity was only a new thing in fact. Because Ireland was actually a very diverse country before the civil war. So, the first thing that the New State did was set up national schools, taught the same curriculum throughout the country to try and homogenise the people so they’d all believe the same things. The whole cultural identity, Irish nationalism is very strong on Irish people, and so they wouldn’t have been this whole thing about critiquing the government – because we

95 Schwarze Soutanen trugen die Priester, die Uniform der Gardai, der irischen Polizei, ist blau. 96 „Forty Shades of Green“ ist der Titel eines Johnny Cash-Songs, der auf sehr sentimentale Weise die Schönheit der grünen Insel beschreibt. Mit sixty shades of red sind The Troubles in Nordirland gemeint. 97 Mit the purple und the pinstripe werden der Klerus und die herrschende Klasse umschrieben. 98 Die Legende besagt, dass die Boomtown Rats ihre zynische Abrechnung mit den Zuständen in Irland in einen relaxten Dub-Sound packten, nachdem ihnen ein Auftrittsverbot in Irland mit der Begründung, es könne zu Ausschreitungen im Publikum kommen, auferlegt worden war.

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were the Irish nation, and also people weren’t educated to critique or think critically about things. And the Irish, everyone wants to fit in, nobody wanted to go beyond the whole Irish Catholic idea of family life. And women were very restricted, like, up until the 70s women had to leave their job in the civil service if they got married. (Sheila)

Die historische Entwicklung des irischen Nationalismus liefert zahlreiche Ansätze einer Erklärung für die marginale Rolle, die emanzipative oder linke im Sinne von marxistisch-sozialistischen Ideologien in der Geschichte der politischen Kultur in Irland spielen. Nur in den Jahren vor dem Osteraufstand von 1916 öffnete sich ein sich als zu kurz erweisendes Zeitfenster, in dem ein marxistischer Sozialismus – wie er z. B. von den beiden Gewerkschaftsführern James Connolly und Jim Larkin vertreten wurde – die Möglichkeit von gesellschaftlicher Veränderung versprach. Das Schicksal der zwei genannten Protagonisten linker Agitation ist sinnbildlich für das Schicksal sozialistischer Politik in Irland: Connolly wurde nach dem gescheiterten Osteraufstand in Kilmainham Gaol99 hingerichtet, während Larkin für mehrere Jahre in die USA entschwand, wo er für seine kommunistische Agitation ins Gefängnis wanderte. „The faint ,threep-threep‘ of a Socialist dawn chorus was drowned by the nationalist uproar of ,The Soldier’s Song‘ [...].“100 Die Erfindung Irlands als gälisch-katholische Nation und die racialisation von Irishness, die ein exklusives Modell nationaler Identität entwarf, erweist sich als langlebig und folgenschwer. Hier wurde ein Blut- und Boden-Nationalismus etabliert und eine klare Bestimmung dessen vorgenommen, wer und was zur irischen Nation gehören darf und – im Kontext dieser Studie mindestens ebenso bedeutsam – wer nicht. Es entstand ein völkischer Mythos, dessen Ingredienzien gälische Herkunft und strenggläubiger Katholizismus waren. Die nationalistische Metanarrative existiert bis heute fort, und auch wenn seit Mitte der 1990er-Jahre das traditionelle Verständnis von irischer Identität in Irland diskutiert wird, so wird es bis heute mehrheitlich definiert als eine monokulturelle religiös-ethnische Konstruktion. Hieraus resultiert auch eine fixe Vorstellung darüber, wie „irisch aussehen“ definiert wird – nämlich weiß und europäisch. Eine Konsequenz dessen lässt sich in der Qualität der irischen Einwanderungskontrollen seit 1997 beobachten: Ganz gezielt wer-

99 Dieses ehemalige Gefängnis im Dubliner Stadtviertel Kilmainham ist heute eine historische Gedenkstätte für den nationalen Befreiungskampf Irlands. 100 Cleeve: A View of the Irish, S. 25. Dawn chorus ist der allmorgendliche Vogelgesang. „The Soldier’s Song“ ist die offizielle Nationalhymne der Republik Irland. „In valley green, on towering crag/Our fathers fought before us/And conquered ’neath the same old flag/That’s proudly floating o’er us./We’re children of a fighting race/That never yet has known disgrace/And as we march, the foe to face/We’ll chant a soldier’s song.“ http://www .taoiseach.gov.ie/index.asp?locID=194&docID=241 (02.03.2009)

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den vor allem schwarze und asiatisch aussehende Reisende kontrolliert.101 Die Idee der Existenz einer irischen „Rasse“ ist bis heute ein Referenzpunkt für die kollektive Identität Irlands.102 Der ideologische Prozess, der eine „Rasse“ hervorbringt, bringt immer Vorstellungen über die „Reinheit“ dieser „Rasse“ mit sich, die ganz besonders schützenswert sei. White Pride-Attitüden sind unter irischen Cyberfaschisten genauso weitverbreitet wie es bei Anhängern rechtsextremen Gedankenguts international üblich ist. Die racialisation von Irishness wurde in einem Prozess der Fremdzuweisung von außen und in einem Prozess der Selbstbeschreibung von innen betrieben. Wie im ersten Kapitel erläutert, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die zu einer „Rasse“ konstruierten, andere ebenfalls einer racialisation unterziehen. Doch die Konstruktion von Irishness ist ein andauernder Prozess. Die innovativen Vorstellungen darüber, wie die irische Identität mit neuer Bedeutung gefüllt und wie ein neues inklusives Modell von Irishness entworfen werden könnte – was bedeutend für antirassistische Strategieentwicklung ist – diskutiere ich im Kapitel „Vom ‚Armenhaus Europas‘ zum ‚Keltischen Tiger‘: Versuche einer Neubestimmung von Irishness“.

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Das Streben nach nationaler Selbstbestimmung führte zum Osteraufstand von 1916. Nach der Gründung des Irish Free State im Süden und der Teilung der Insel 1922 kam es zu einem Abflauen der rassistischen Diffamierungen. Doch dass in England auf die alte Tradition des antiirischen Rassismus bei passender Gelegenheit zurückgegriffen werden konnte, zeigte sich ein Jahrhundert später, als sich die britische Regierung beim Aufflammen des Nordirlandkonfliktes Ende der 1960er-Jahre so verhielt, als trage sie keinerlei Verantwortung für die politische Situation in Irland und als habe sie rein gar nichts mit den Auseinandersetzungen zwischen Katholiken und Protestanten zu tun. Die Aktionen der IRA wurden als Beweis dafür herangezogen, dass die unzivilisierten, irrationalen und streitsüchtigen Iren – einem alten Verhaltensmuster folgend – sich wieder einmal als unfähig zur friedlichen Konfliktlösung erweisen würden. Der Nordirlandkonflikt – The Troubles – hatte einen immensen Einfluss auf das Leben von irischen Migranten in Großbritannien. Einen War on Terror, wie wir ihn heute kennen, hatte seinen britischen Vorläufer in den 1970er-Jahren. So wie sich Menschen mit einem bestimmten Aussehen, die für Muslime oder Araber gehalten werden, in der Welt nach 9/11 eines grundsätzlichen

101 Vgl. Allen, Kieran: The Celtic Tiger. The Myth of Social Partnership in Ireland, Manchester, New York 2000, S. 174; Garner: Racism in the Irish Experience, S. 73. 102 Garner: Racism in the Irish Experience, S. 73, 152.

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Terrorverdachts erwehren müssen, so wurden in Großbritannien Iren vor allem in den 1970er- und 1980er-Jahren grundsätzlich als Terrorverdächtige porträtiert und behandelt. In Reaktion auf IRA-Bombenanschläge wurde 1974 das Prevention of Terrorism Act eingeführt, welches ermöglichte, dass Iren allein aufgrund ihrer Herkunft festgehalten und verhört werden konnten.103 Diese Zeit gilt als ein schwarzes Kapitel im Leben vieler Iren in Großbritannien, in der das Wort innocent until proven Irish die Runde machte. Dottie wurde von der Polizei verhaftet, weil sie dabei beobachtet worden war, wie sie auf dem Bahnsteig eine Plastiktüte in den Mülleimer geworfen hatte.104 I was arrested by the police on the day that I arrived in London. I was caught on camera in Chester station. I didn’t know that I’d been observed. But I did think people were a bit strange on the train from Chester to London. They were all kind of looking at me a bit funny. And when we arrived in London the police were waiting on the platform for me ‘cause they thought I’d left a bomb in Chester train station. So then they took me into a police station within Houston Station and they sat me down there.

Bei Pass- und Gepäckkontrollen wurden Iren Schikanen ausgesetzt, und auch im Alltag machte sich Misstrauen bemerkbar: A lot of working class English – really, as sweet as they are – will never trust the Irish. And that’s just historical. I was going out…I lived with a London lad for five years, and his grandparents were like…they couldn’t quite get their head around it for a while that I was Irish. And they were the best people in the world! I loved them to bits. But that was kind of…that was strange. Where I worked I did answer the phone and have someone say „Oh, you sound like a terrorist.“ as being the answer. I’ve been told that my accent was thick on many occasions rather than strong. Down the local pub, sure, there would have been anti-Irish feelings, and I would have been let know about it. (Joan)

Besonders in Zeiten, in denen die IRA Bombenanschläge verübte, bekamen Iren in Großbritannien ihre Herkunft zu spüren.

103 Vgl. Winston, Nessa: Between Two Places. A Case Study of the Irish-born People Living in London (The Irish National Committee of the European Cultural Foundation), Dublin 2000, S. 16. 104 Anti-Irishness in Zeiten von IRA-Bombendrohungen drückte sich dadurch aus, dass die Kombination aus Bahnsteig, Ire, Tasche zum Terror-Verdachtsmoment wurde. Vgl. Winston: Between Two Places, S. 49.

138 | UNDOING I RISHNESS By the time I was in London it was late 80s, early 90s, I was only there three years but the pressure in relation to the IRA bombing wasn’t as bad as it had been prior to that but it was still there. I remember there was a bombing in a train station and a colleague of mine when I was working at a particular organisation had a friend who was killed and I could feel...I could feel...something...she was...I could feel a resentment towards me from her. They weren’t very overt expressions of hatred but I was definitely very conscious of who I was. And there were other ones, more institutional ones like going through an airport and how you’re treated in relation to the bombing stuff and in terms of security and attitudes. (Maura)

Deutlich wird hier, dass ganz alte Bilder von Irland und den Iren reaktiviert werden konnten. Sowohl die Festschreibung der rassistischen Stereotypisierung als auch die Verschleierung der historischen Entwicklungen erwiesen sich weiterhin als äußerst effektiv. Die Wiederbelebung des Gorilla/Guerrilla-Motives in den 1970er- und 1980er-Jahren zeigte, dass kein weiter Schritt zwischen der Simianisierung von Feniern im 19. Jahrhundert und der Darstellung von affenähnlichen IRA-Terroristen lag. In beiden Fällen handelt es sich um eine Fortschreibung sozialdarwinistischer und degenerationstheoretischer Ideen.105 Für die moderne Rassismusanalyse ist die Geschichte des antiirischen Rassismus im 19. Jahrhundert deswegen so erhellend, weil sie die Notwendigkeit eines weiten Rassismusbegriffs vor Augen führt und auf den historischen Charakter von Rassismen verweist. Sie demonstriert eindrücklich den Konstruktionscharakter des Rassismus, der kulturelle Merkmale naturalisiert. Die Iren wurden aufgrund ihrer als kulturlos und unzivilisiert beschriebenen Lebensweise zu einer sogenannten minderwertigen „Rasse“ konstruiert. Kultur ist also nicht erst nach der wissenschaftlichen Entwertung des Rassebegriffs an dessen Stelle getreten, sondern war im Rassismus des 19. Jahrhunderts aufs Engste in einem Wechselverhältnis mit ihm verknüpft.

I RISCHE M IGRATIONSERFAHRUNGEN IN G ROSSBRITANNIEN : D ISKRIMINIERUNG UND P OLITISIERUNG Die Bilder und rassistischen Stereotype haben sich bis weit ins 20. Jahrhundert eingebrannt und wirken bis heute nach. Wie ich hervorgehoben habe, fand die racialisation von Irishness jedoch nicht nur während der Kolonisation Irlands, sondern ebenfalls im Zuge der irischen Massenemigration seit der Mitte des 19. Jahrhunderts statt. Für die vorliegende Studie über Rassismus und Antirassismus in der Re-

105 Curtis, L. Perry: Apes and Angels. The Irishman in Victorian Caricature, Washington; London 1997, S. 174, 175.

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publik Irland ist die Erfahrung irischer Auswanderer in Großbritannien in der zweiten Hälfte, insbesondere im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts, aus mehreren Gründen von großer Bedeutung. Dies liegt in erster Linie daran, dass viele Iren, die heute in der antirassistischen Szene Irlands aktiv sind, durch ihre Migrationserfahrung in Großbritannien geprägt sind. Tatsächlich bewahrheitete sich im fortschreitenden Forschungsprozess die Arbeitshypothese, dass viele Akteure der antirassistischen Szene Irlands erstmals während ihrer Migration mit virulentem Rassismus und antirassistischer Politik konfrontiert wurden. Zudem zählen zur irischen Migrationserfahrung in Großbritannien immer Erlebnisse von antiirischem Rassismus. Aufgrund der langsameren gesellschaftspolitischen Entwicklung und der alles dominierenden Machtstellung der katholischen Kirche hatten es emanzipative Ideen und alternative politische Konzepte in Irland von jeher schwer. Deswegen durchlebten viele Iren ihre Politisierung in der politischen Arena Großbritanniens und sammelten dort wichtige Erfahrungen und Fähigkeiten für ihr politisches Handeln. Die politische Szenerie Großbritanniens wurde in den 1980er-Jahren maßgeblich von der Rhetorik der cultural diversity (kulturelle Vielfalt) und der race relations-Politik mitbestimmt, in deren Rahmen die irische Community begann, rassistische Diskriminierung zu bekämpfen und sich für ihre eigenen Belange einzusetzen. Die Träger des Kultur- und Wissenstransfers zwischen Großbritannien und Irland sind jedoch nicht nur die ehemaligen irischen Auswanderer, die ihre politische Sozialisation in Großbritannien erlebten, und heute als Remigranten in Irland leben, sondern auch Briten, die nach Irland ausgewandert und in der irischen Antirassismusszene aktiv sind. Wie ich am Beispiel der Bevölkerung Irlands dargelegt habe, wurde der pseudowissenschaftliche Rassendiskurs flächendeckend und routinemäßig eingesetzt, um generell den britischen Kolonialismus und im Speziellen das Verhältnis zwischen Kolonisator und Kolonisiertem zu erklären und zu legitimieren: Die Kolonisierten wurden einer biologisch eingrenzbaren und minderwertigen „Rasse“ zugeordnet, deren Zukunft von ihrer durch die Kolonisatoren bemessenen Fähigkeit zur „Zivilisation“ unter der Vormundschaft durch die höherwertige weiße britische „Rasse“ abhing. Robert Miles geht davon aus, dass die im dritten Kapitel erörterte race relations-Politik historisch auf diese koloniale rassistische Politik zurückzuführen ist.106 Die racialisation der Kolonisierten wurde in der racialisation der Einwanderer weitergeführt, selbst dann, wenn es sich um britische Staatsangehörige handelte.107

106 Miles, Robert: Migration to Britain. The Significance of a Historical Approach, in: International Migration 29 (1991), Nr. 4, S. 527, 528. 107 Miles: Migration to Britain, S. 532.

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Die Einwanderung nach Großbritannien nach dem Zweiten Weltkrieg bestand – wie nur allzu oft auch von Migrationswissenschaftlern vernachlässigt wird – nicht nur aus Einwanderern vom indischen Subkontinent oder der Karibik. Tatsächlich stammen seit zwei Jahrhunderten die meisten Einwanderer in Großbritannien aus Irland.108 Da der Arbeitsplätzemangel in Irland bis in die 1990er-Jahre anhielt, entschieden sich vor allem junge Iren zur Auswanderung, auf die bereits Schulkinder im Unterricht vorbereitet wurden. Emigration war bis vor wenigen Jahren Bestandteil irischer Tradition. Ende der 1980er-Jahre wurde die jährliche Emigration Zehntausender als eines der drängendsten Probleme des Landes bewertet.109 Bis vor wenigen Jahren war jeder Ire von Emigration betroffen, sei es, dass ein Familienmitglied oder er selbst ins Ausland ging, um dort eine Arbeitsstelle und generell bessere Lebensbedingungen zu finden. Noch im Jahr 1996 ließ die irische Regierung verlauten, dass eines ihrer wichtigsten politischen Ziele die Reduzierung der Emigration durch die Förderung der irischen Wirtschaft und Schaffung von Arbeitsplätzen sei.110 Es besteht ein Zusammenhang zwischen der nationalen Narrative der Großen Hungersnot und der ihr nachfolgenden Massenemigration sowie der individuellen Ebene moderner Migrationserlebnisse. Auch auf die Verhaltensweisen in der Emigration hat das Bewusstsein, Teil einer Tradition zu sein, Auswirkungen. Viele irische Emigranten, die in den 1960er- bis 1990er-Jahren nach Großbritannien ausgewandert waren, erkennen in ihrer individuellen Migrationsgeschichte die Fort-

108 Während des 19. Jahrhunderts waren Iren britische Staatsangehörige und unterlagen somit keinen Einwanderungsbeschränkungen. Was wir heute als die Republik Irland kennen, erlangte 1922 politische Unabhängigkeit, verblieb jedoch vorerst im Commonwealth, mit dem Ergebnis, dass Iren weiterhin keinen Einwanderungsbeschränkungen unterlagen. Sogar nachdem die Republik Irland das Commonwealth 1949 verließ, gewährte ihr die britische Regierung einen einzigartigen juristischen Status, der vorrangig darin besteht, dass irische Staatsbürger – im Gegensatz zu anderen europäischen Staatsbürgern – keinerlei Einwanderungsbeschränkungen unterliegen. Dies ist Resultat der oben erwähnten, bis heute nachwirkenden Sonderstellung Irlands als erster britischer Kolonie, wie auch die Regelung, dass irische Staatsbürger, die sich in Großbritannien niederlassen, dort Wahlrecht genießen. Vgl. Miles: Migration to Britain, S. 531. 109 1988–89 erreichte die Emigration einen Höhepunkt: Über 70 000 Personen emigrierten aus Irland. Vgl. Courtney, Damien: A Quantification of Irish Migration with Particular Emphasis on the 1980s and 1990s, in: Bielenberg, Andy (Hrsg.): The Irish Diaspora, London 2000, S. 313. 110 Delaney, Enda: Placing Postwar Irish Migration to Britain in a Comparative European Perspective, 1945–1981, in: Bielenberg, Andy (Hrsg.): The Irish Diaspora, London 2000, S. 341–342.

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schreibung einer alten irischen Tradition und betten sie in einen politischen und historischen Kontext ein. Dies äußert sich in Feststellungen wie: „I did know that I was part of a pattern of emigration.“ I mean, I was just part of a pattern that had been established. Actually, before the famine but exasperated by the famine and became firmly entrenched as a tradition after the famine. And, yeah: I’m just part of – I was – part of the huge Irish Diaspora. And I was just part of that tradition. And you see, it became, as I said earlier, it became an accepted part of what happened in Ireland. People upped and left because there was nothing for them here. Whether it was through ambition people going away or necessity and most times it was through necessity. Particularly, in rural areas where the whole sort of land system where land is handed down to the eldest son and if you’ve got seven sons and five daughters there’s only one of them is going to inherit it from the father. So it was all designed to encourage people to emigrate and there was a tacit compliance by successive Irish governments to go along with this. So, yah: I was just part of an ongoing tradition. (John)

Von den betroffenen Menschen wurde die Emigration sowohl als Zwang als auch als Chance, vor allem jedoch als unumgänglich empfunden. Viele fühlten sich von ihrer Regierung vernachlässigt, die ihrer Meinung nach zu wenig gegen die hohen Emigrationsraten oder für die Unterstützung irischer Emigranten unternahm. Diese Betreuungsarbeit wurde Freiwilligenorganisationen oder kirchlichen Einrichtungen überlassen. Ausgewanderte irische Staatsbürger wurden von der Beteiligung an den Wahlen in ihrem Herkunftsland ausgeschlossen. Seitens der irischen Politik wurde der Emigrationserfahrung ein dominanter Einfluss auf die irische Psyche und das nationale Selbstverständnis eingeräumt. Trotzdem war für die politische Führung Irlands die bis vor Kurzem nicht abreißende Auswanderung etwas zwischen gewolltem Aderlass und schambesetzter Peinlichkeit: Einerseits emigrierten Tausende, auch gut ausgebildete junge Iren, um sich im Land der ehemaligen Eroberer niederzulassen.111 Andererseits war Emigration ein praktisches Mittel, um die Arbeitslosigkeit zu reduzieren und den Bestand der gesellschaftlichen Ordnung zu sichern.112 Alexis Fitzgerald, einflussreicher Anwalt und Rechtsberater führender irischer Politiker, hob die Vorzüge der Emigration so hervor:

111 Davis, Graham: The Irish in Britain, 1815–1939, in: Bielenberg, Andy (Hrsg.): The Irish Diaspora, London 2000, S. 33. 112 Vgl. Delaney, Enda: Placing Postwar Irish Migration to Britain in a Comparative European Perspective, S. 341–342.

142 | UNDOING I RISHNESS While there is danger of complacency I believe that there should be a more realistic appreciation of the advantages of emigration. High emigration, granted a population excess, releases social tensions which would otherwise explode and makes possible a stability of manners and customs which would otherwise be the subject of radical change.

113

Viele der von mir Befragten betrachteten die Massenauswanderung und die individuelle Migrationserfahrung unter dem Gesichtspunkt ihrer Auswirkungen auf die Entfaltungsmöglichkeiten von politischem Aktivismus oder das Entstehen von sozialen Bewegungen. In ihren Äußerungen wird deutlich, dass die Emigration nicht nur Bedeutung für den Einzelnen und seinen individuellen Lebensweg, sondern darüber hinaus eine starke Auswirkung auf die politische Kultur in Irland hatte. Das Abwandern junger und zunehmend auch gut ausgebildeter Iren trug zu einer Zementierung des politischen und gesellschaftlichen Status quo bei, der ein Nachdenken über politische Alternativen oder emanzipative Ideologien nicht zuließ. Because of the mass emigration of Ireland all our brightest and best people left. They went away! So we were left with the older people or people who wouldn’t get a job if they went to America. So, that’s why it was so static. There was censorship, you couldn’t get Playboy Magazine, like, the average books about marital sex were banned! Everything was just banned! You couldn’t get hold of anything. And the other thing was the economic decline: people leaving, poverty, people living on very low wages, and I think the mass emigration had a very negative effect on Ireland – on people’s psyche as well, loosing family members, loosing a whole family, like, you might have eight people in the family and two of them only remain and six of them are gone, and they are going to England or Australia or the States. So, that all had an affect as well on people’s psyche. All these forces together maintained a kind of cultural status quo for a long time. (Sheila)

Erst in den 1960er-Jahren, nach vierzig Jahren staatlicher Unabhängigkeit, sah sich die politische Führung gezwungen, die implizite Verbindung zwischen irischer Emigration und britischer Repression aufzuheben. Emigration ist in Irland von jeher ein Politikum. Die „Beseitigung des Auswanderungsproblems“ war ein wichtiges Element der irisch-nationalistischen Rhetorik in der Zeit vor der staatlichen Unabhängigkeit Irlands. Das Argument lautete, dass mit dem Ende der britischen Fremdherrschaft die Notwendigkeit zur Emigration verschwinden würde. Deswegen wurde die Umkehrung des traditionellen irischen Migrationstrends Ende der 1990erJahre durchaus als Erfolg gewertet, was sich jedoch nicht zwangsläufig in einer po-

113 Fitzgerald, Alexis: ‘Reservation No. 2‘ Reports of the Commission on Emigration and Other Problems, Dublin 1956, S. 222, zitiert nach: Lee: Ireland 1912–1985, S. 381.

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sitiven Behandlung der Immigration oder einer engagierten Integrationspolitik fortsetzte. Das Ende der Schuldzuweisungen an Großbritannien führte nicht zu einer Übernahme der politischen Verantwortung für das Auswanderungsproblem, sondern stattdessen zu der gewagten Unterstellung, dass viele Iren nicht aufgrund einer wirtschaftlichen Notlage auswanderten, sondern lediglich ihrem persönlichen Wohlergehen nachstrebten. Der staatlichen Strategie, Auswanderung als freiwillige Entscheidung darzustellen, wird selbst in der Rückschau von vielen ehemaligen irischen Emigranten bis heute ein starker Groll entgegengebracht. Emigration wurde zu einer Privatangelegenheit erklärt, was zur politischen Rechtfertigung der Verweigerung finanzieller Unterstützung für irische Migranten führte. Der irische Staat nahm sich selbst aus der Verantwortung. Hier wird deutlich, dass die politische Führung Irlands die Zuständigkeit für migrationspolitische Fragen tendenziell ablehnte. Dies kann als einer der Gründe genannt werden, warum auch heute in der veränderten Situation Themen wie die Betreuung von Remigranten und Immigranten sowie staatliche Integrationshilfe unter irischen Politikern äußerst unbeliebt sind und nur ungern auf die politische Agenda gesetzt werden. Dies wiederum erklärt, warum die Arbeit der antirassistischen Szene für die irische Gesellschaft so wichtig ist, denn sie nimmt sich eines Themas an, das von der offiziellen Politik ohne sichtbares Engagement angegangen wird. Viele irische Migranten wurden erst in Großbritannien politisiert. Dies liegt an der langsameren gesellschaftspolitischen Entwicklung in Irland, über die ich mir zwar stets im Klaren war, doch im Gespräch mit politischen Aktivisten lernte ich immer wieder neue Facetten dieser spezifischen irischen Entwicklung kennen. So erfuhr ich in meinen Gesprächen mit irischen Aktivisten von dem Bedauern darüber, dass es in Irland keine 68er-Bewegung gegeben habe.114 Stattdessen wurde 1966 des fünfzigsten Jubiläums des Osteraufstandes gedacht. Während in Europa und in den USA die junge Generation rebellierte, gab es in Irland ein erwachendes

114 Während sich die Geschichtsschreibung in Deutschland oder Frankreich seit Längerem mit der Wirkung der 1968er-Bewegung beschäftigt, gibt es in Irland kaum Untersuchungen zu diesem Thema. Das fehlende Forschungsinteresse steht sicherlich in engem Zusammenhang mit der weitverbreiteten Vorstellung, nach der sich in dieser Zeit nichts Signifikantes zugetragen habe, was zur Modernisierung und Säkularisierung der irischen Gesellschaft beigetragen habe. Diese Vorstellung entspricht nicht den Tatsachen. Die swinging sixties und der Einfluss internationaler Trends bewirkten selbst in der von der katholischen Kirche dominierten irischen Gesellschaft ein zartes Aufkeimen gegenkultureller und protestorientierter Artikulationsformen. Darauf werde ich im Kapitel 6 zur Bedeutung der irischen Frauenrechtsbewegung für die antirassistische Szene Irlands eingehen und sie in einen internationalen Kontext einbetten.

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Interesse an der eigenen Geschichte und Kultur und so etwas wie ein kleines Gaelic Revival, an das sich Connor wie folgt erinnert: When I was a kid there was big celebrations here in 1966 commemorating 50 years of the Easter Rising, and there was even a song at the time, a year or two later, the song that was on No. 1 in the Irish charts was „I’m off to Dublin in the green, I’m off to join the IRA.“ That was the No. 1 song that everybody was buying, or that most people were buying so there was a huge embracing of republicanism.

Bestimmte gesellschaftspolitische Entwicklungen, die in der Bundesrepublik und in der überwiegenden Mehrzahl der westeuropäischen Staaten stattfanden, gingen an Irland vorerst vorbei. Während anderenorts die Frauenbewegung, die AntiAtomkraftbewegung oder die Friedensbewegung Massen mobilisieren konnten, pilgerten im September 1979 eine Millionen Iren in den Phoenix Park in Dublin, um bei der Papstmesse zugegen zu sein. Jeder dritte Ire wollte Johannes Paul II. sehen, was zur größten Menschenansammlung in Irland seit Menschengedenken führte. Für den irischen Alltag bedeutete dies, dass ein substanzieller Teil der mobilisierbaren Bevölkerung eher schwer für emanzipative Ideen zu gewinnen war. Das Mobilisierungspotenzial war also eingeschränkt oder – wie einer meiner Interviewpartner bemerkte: „A lot of it went into the church.“ Zudem wird die hemmende Wirkung des Nationalismus für eine alternative Politikentwicklung betont. We had no 60s really in Ireland. We didn’t have the 60s. No, we didn’t have that in Ireland. We didn’t have the 60s like you had in Britain and the rest of Europe and in the States. So, you had no change really. You have this political system that’s based on issues around partition which now seems almost irrelevant at this point. And they were the political concerns of people within the country as well, and the same with the North. Cause both the North and the South people are actually very conservative in both parts of this island in fact. So, yes, all the political movements that were happening, social movements in the rest of Europe, didn’t really get a hold here. Now, they would always have been marginal type of movements whatever but they never got a hold in Ireland for that very reason. The country wasn’t set up for any alternative. (Sheila)

Der restriktiven katholischen Gesellschaft mit ihrer rigiden Sozialstruktur entronnen, stürzten sich viele irische Einwanderer in Großbritannien in die politischen Szenen der 1960er-, 1970er- und 1980er-Jahre. In einem Umfeld, in dem sie die Möglichkeit zu einem politischen Coming-out hatten – dies trifft auf Sozialisten ebenso zu wie auf Feministinnen und Antirassisten –, sammelten sie äußerst unterschiedliche Erfahrungen in Bezug auf ideologische Schulung, politische Organisationsstrukturen oder Solidaritätsbewegungen. Ihre Erfahrungen spielen heute eine wesentliche Rolle bei der politischen Mobilisierung im Rahmen antirassistischer

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Initiativen in Irland. Die trifft insbesondere auf radikale Feministinnen zu, die in der irischen Frauenrechtsbewegung der 1970er- und 1980er-Jahre aktiv waren, und heute mit ihrem politischen Know-how und ihren progressiven Ideen den irischen Antirassismus bereichern. I was into radical feminist politics at the time. There was a thing called the troops-outmovement for years during the 70s and 80s and there was… Bobby Sands must have died around about the early 80s as well. All that, the hunger strikers...There was a lot of activity politically then. Now, at that time – it was in the early 80s – I was living in a flat in London with a group of other women… And they would have supported..hm..not exactly the IRA but they would have supported the struggle in the North of Ireland. I wasn’t very interested in that. I was much more interested in women’s politics. But I was interested in very radical... We were in revolutionary kind of feminist stuff. We were going around porn shops and sticking super glue in their locks and things like that. So, we all lived in this house. (lacht) We had an interesting life for a few years! There was a lot of political activity but I wasn’t involved with the Irish stuff, I was involved with the feminist stuff. And I would have said that the IRA was fascist in terms of women. They were awful. Nationalist pigs! In terms of…they treated women very badly in my view at the time. And so I wouldn’t have been interested in any of that. I was more into the women stuff. But I would have said we were all equally radical. It was a time in London when there was a lot of political activities. Yah, I suppose from the mid-70s to the mid-80s. (Dottie)

Das Spektrum politischer Aktivitäten von irischen Einwanderern in Großbritannien war sehr breit. Einige der von mir befragten Antirassisten betätigten sich im gewerkschaftlichen Umfeld, in sozialistischen oder radikalfeministischen Zusammenhängen. Manchmal ging mit dem politischen Coming-out ein sexuelles einher. In der katholischen Kultur Irlands war ein Abweichen von der heterosexuellen Norm für Männer wie für Frauen nicht vorgesehen und war folglich mit erheblichen Risiken für Leib und Leben verbunden. Ella: So, I personally was going through I suppose a transformation inside myself in recognising my sexual identity and in coming out. That’s when I went to London. I came out in London. J. V.: Was there no way of coming out in Ireland? Ella: No!

Doch selbst in der Schwulen- und Lesbenszene Londons waren antiirische Ressentiments weitverbreitet. Ella: But then that was a time when there were bombs and the North of Ireland was very volatile. I was coming out and going to gay clubs. I only had to open my mouth and they heard

146 | UNDOING I RISHNESS my Irish accent, they either wouldn’t serve me or telling me they weren’t going to serve me „I’m not going to serve you Irish paddy.“ „Irish Paddy.“ Even though I was a woman. Or „Dirty Irish Paddy“. Or „Get out of here. Piss off.“ Send to the end of the queue, I was assaulted, I was spat on. A whole range of experiences that I had just from being Irish, just when I opened my mouth. So, I developed a kind of a Cockney accent (spricht im Cockney115

Akzent)

while I was there. (lacht) Some of the time when I felt very fearful. That was in

the mid 70s till late 70s. J. V.: And even in the gay scene in London...? Ella: Yeah, where I expected that feminist groups and lesbian or gay groups will be welcoming they weren’t. So, there’s minorities within minority groups where the prejudice still operates. That was a real eye opener. Very unpleasant experience. One of the reasons why I came back, why I wanted to come back to Dublin in the 80s.

Trotz erheblicher Anfeindungen konnten auch in diesem Umfeld wichtige Erfahrungen gesammelt werden, die in der beschriebenen Form im damaligen Irland nicht möglich gewesen wären. So arbeitete eine der Befragten über einen Zeitraum von mehreren Jahren für das erste Rape Crisis Centre Europas, welches Mitte der 1970er-Jahre in London gegründet wurde.116 Es ist nur eine von vielen Initiativen, in denen sich irische Migranten engagierten und so für die politische Arbeit äußerst wichtige Fertigkeiten, wie die Organisation einer Beratungsstelle, das Beantragen von Geldern und die Zusammenarbeit mit staatlichen Behörden, entwickeln konnten. Die Themen jener Jahre waren unter anderem der Nordirlandkonflikt, der Bergarbeiterstreik oder die Schwulen- und Lesben- bzw. Frauenbewegung. Ein weiteres prominentes Thema war die Bekämpfung des rassistischen Apartheidsystems in Südafrika. In der Anti-Apartheid-Bewegung engagierten sich auch einige der von mir befragten irischen Antirassisten. And then I was also involved... there was a picket outside the South African Embassy and I was involved in that. And the behaviour of the police towards, like, they were delighted with an opportunity to express their anger and hatred when they would have seen that we were Irish. Double-whammy! (lacht) It was a nuisance to them anyway to be involved in a picket outside an embassy. They wouldn’t have appreciated that. And then secondly, if you are from a background that was associated with terrorism, whatever else, drunken, disorderly – whatever you like! D’you know what I mean? - I was aware of it. I met lovely people in England

115 Ein englischer Akzent, der der Londoner Arbeiterklasse zugeschrieben wird. 116 Nur wenig später kam es zur Gründung eines Rape Crisis Centre in Dublin. Vgl. Connolly, Linda; O’Toole, Tina: Documenting Irish Feminisms. The Second Wave, Dublin 2005, S. 22.

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and my overall experience was very positive. But I definitely did experience racism and I know what it feels like. (Maura)

Eine andere der von mir befragten irischen Antirassistinnen mit Migrationserfahrung in Großbritannien berichtet davon, dass das rassistische Regime in Südafrika bereits ein wichtiger Diskussionspunkt vor ihrer Auswanderung nach England war. Hier findet sich ein bedeutsamer Hinweis auf die Existenz von Rassismus als Thema in Irland vor der Umkehr des traditionellen irischen Migrationstrends. Dieser Hinweis kratzt an der in Irland weitverbreiteten Vorstellung, Rassismus sei erst mit der Ankunft von nicht-irischen Immigranten aufgetaucht, womit Rassismus ursächlich auf Immigration zurückgeführt wird. Diese Vorstellung steht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem nicht nur in Irland existierenden Mythos einer vormals kulturellen und ethnischen Homogenität, die erst durch die Immigration von NichtIren gestört worden sei. Joan wird im London der späten 1980er-Jahre zu einem aktiven Mitglied der Anti-Apartheid-Bewegung. I remember in school having arguments. Amongst one group of friends we had to ban the issue of South Africa. And I was happy that way, and they were happy that way. (lacht) That’s why I really do say with conviction that racism is not a new issue in Ireland. Just because people didn’t have the capacity to act on their views before because people weren’t here that didn’t mean they didn’t hold those views. They certainly did. I went to London at 18 years of age – straight from school – and within six months I came in contact with the non-stop picket outside the South African embassy in Trafalgar Square. It was a non-stop picket, it was there for five years, 24 hours a day, 365 days a year. I joined in December ’88 and got very involved. I met a huge range of people. It gave me a great political education. It was during the height of Thatcherism. So, we were in the belly of the beast, and it was fan-tas-tic! We had such fun! It was great to have an enemy. A face of an enemy. Something to really fight against. And to be young in London then and in any way political – it was just heaven! And a lot of the people were young and active and coming from all over and it was really, really great. So, that was very much a reaction of my part to not wanting to talk about racism anymore but actually wanting to do something. And do something physically with my whole body rather than just talking bullshit all the time – in the pub or wherever. Various places I worked in London I came across incredible racist views. Just unbelievable! – Not unbelievable at all but very clearly racist. So, it was also an issue obviously not about South Africa – that was a type of racism that was engrained in society, in the legislator – but racism was alive and kicking in England, too, and in London. So, I was also being active about that. And again, being opened up to a whole new network and a whole new level of politicisation within the left in London. So, then I came home.

Joan ist nicht die einzige, die die Einschätzung äußert, dass erst mit der veränderten Situation im Wirtschaftsboom-Irland, mit der ansteigenden Immigration und dem

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wachsenden irischen Selbstvertrauen, es zu einem Ausleben rassistischer Tendenzen gekommen sei. Nach ihrer Ankunft in London stürzt sich Joan förmlich in die antirassistische Arbeit. Dazu gehört ihr Engagement im Dauerprotest vor der Südafrikanischen Botschaft im Trafalgar Square, der zeitweise durch die britische Polizei unterbunden wurde. Joan erlebte bei ihrer Verhaftung eine polizeiliche Sonderbehandlung. Dabei spielt die Ablehnung der irischen Sprache durch britische Amtspersonen eine Rolle – ein Erlebnis, von dem mir mehrere irische Aktivisten zu berichten wussten. Connor verpasste sogar seinen Flug, weil er sich trotz Aufforderung der Polizei weigerte, seinen irischen Namen ins Englische zu übersetzen. Joans Ziel auf der Polizeiwache war es, bei der Aufnahme der Personalien ihrem irischen Namen Akzeptanz zu verschaffen. But there certainly was anti-Irish racism in England. Certainly. And because the IRA were very active then. And they were very active in England. And they murdered lots of people. But obviously, it was a very narrow view to think all Irish were suspicious. – Even when I was arrested I was treated differently because I was Irish. When I was arrested on an antiapartheid demonstration in London. Back in – Jesus – 1990 I think or maybe in 1989 – I gave my name in Irish because my name in English is Joan Tracey, my name in Irish is Siobahn Ni Threasaigh. So that was me wanting to keep a clean name and a dirty name if I was convicted of…if I was arrested and did get a criminal record. – I wanted to have a clean and a dirty name for work purposes, purely. Just being Irish was enough to get different treatment in the police station. I was searched more than anyone else. I had to take off all my jewellery – nobody else had to! They certainly commented on my Irishness. It was something they made an issue of. So, there was about three or four police men hanging around. It was just great fun giving the Irish girl a hard time. So, I asked them if they accepted African names and they told me that they didn’t want any of that political shit in here. And then I asked them „Do you accept German names?“ And they just went silent because they couldn’t answer it because of course they accepted German names. Of course they accepted all different types of names. And my name in Irish is as legitimate as anything else. As has been proven by the Irish language being recently included as an official language of the EU. Which is good. Anyway. So, that was it, really. That was what happened with being Irish and being arrested. J. V.: Did those experiences that you gathered as an Irish person in Britain shape your political outlook on matters concerning racism and antiracism as well? Joan: Oh, yeah. But that was only further and formed. It was just an added experience really. It didn’t change my opinion. It was something that I already knew was there, and I just happened to experience it for real rather than it being just something in theory.

Die Politisierung in der politischen Arena Großbritanniens hat Auswirkungen sowohl auf die ideologische als auch die strategische Ausrichtung des antirassistischen Engagements.

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J. V.: What kind of ideological or political back up does your antiracism have? Joan: I think it’s an ideological position being an antiracist. I’m not a multiculturalist or an interculturalist. I probably am those as well but I’m certainly primarily an antiracist. I think being an antiracist means that you acknowledge racism within your society and your willingness to do something about it or fight it. I think it is about action. And that again would have come very much from what I would consider my political education in London.

Neben dem Engagement in der Anti-Apartheid-Bewegung stellte der Arbeitskampf der Bergleute für die in Großbritannien politisierten Antirassisten eine einschneidende und radikalisierende Erfahrung dar. Je nach Herkunft und Alter der Befragten spielten bereits die Bergarbeiterstreiks der 1970er-Jahre eine Rolle. My political ideas would obviously be very much against racism anyway. As I said I was political when I was 14, that was a trade unionist, not particularly left wing trade unionist, but a trade unionist, in ‘74 we had the miners’ strike. We had the miners’ strike in ‘72, I’d have been 12 then. So we were sitting in the dark, candle lights, it was a three day week, say, three or four days of the week we were sitting in the dark and you were either for the miners or against them. And my house was for the miners. And I was very much supportive of the miners. So at the age of 12 or 14 we had chosen sides. (Barnaby)

Noch größere Bedeutung auch für jüngere Befragte hat der Bergarbeiterstreik 1984/85, der nicht nur für das politische Leben in Großbritannien, sondern auch für den individuellen Politisierungsprozess einen Wendepunkt markiert. Die erbitterte Konfrontation zwischen der konservativen Regierung unter Margaret Thatcher und den Gewerkschaften endete für letztere mit einer Niederlage, deren Folgen bis ins heute nachwirken. I think the defining experience in my life was the miner strike, the 1984-85 miner strike. My dad had spent all his life in the mining industry, and it was the major confrontation of the Thatcher era. It was the culmination of a process that had been referred to as salami tactics in terms of the idea of progressively taking on weaker trade unions and defeating them in order to have a major big battle with the national union of mine workers who had affectively brought down the previous Tory government in 1974. It was, I think, for people who had no connection with the mining industry it was an incredibly polarised year. People across the country were either in support of the miners or in support of the government. (James)

Der Bergarbeiterstreik wurde nicht nur von vielen Engländern und Iren als Politisierungsmoment, sondern insbesondere von Iren in Großbritannien als Erfahrung von Solidarität erlebt. Befragt nach den Auswirkungen eines antiirischen Rassismus auf das eigene politische Bewusstsein, unterstreicht Connor die Besonderheit dieser Solidaritätserfahrung im Rahmen des Bergarbeiterstreiks.

150 | UNDOING I RISHNESS Yeah. I would have come across it but it’s only when I came… when I came across it in the left in Britain, this unconscious imperialistic attitude, that’s what would have affected me most because I would have expected to come across anti-Irish racism from ordinary people from time to time because the propaganda of the country they live in is so dominant and they make out the Irish to be stupid, it’s because I’ve been politically conscious so it wouldn’t bother me enormously. If it got out of hand it’d be a fight. Unfortunately, you know what I mean, because sometimes the fights start when you have a few drinks and you think that you’re quicker than you are. It was really amongst the political, the left that I got the biggest shock. When I was there I was involved in miner support groups and the miners were tremendous. There was no anti-Irish… I never came across any anti-Irish attitudes amongst the miners at all.

Viele heute in Irland aktive Antirassisten konnten in den unterschiedlichen politischen Betätigungsfeldern in Großbritannien wichtige Erfahrungen und Fähigkeiten in Bezug auf politische Arbeit sammeln, von denen heute die antirassistische Szene Irlands profitiert. Von zentraler Bedeutung für den antirassistischen Diskurs und die antirassistischen Praxen ist die Auseinandersetzung und Kooperation mit dem britischen race relations-System.

D IE I REN IM BRITISCHEN RACE RELATIONS -S YSTEM : V OM ANTIIRISCHEN R ASSISMUS ZU „ COOL TO BE I RISH “ Don Letts und John Lydon, zwei prominente Persönlichkeiten in Sachen Punk, Reggae und ihrer Synthese, philosophieren in den 1990er-Jahren über die ihrer Meinung nach existierende Geistesverwandtschaft oder common bond zwischen Iren und Jamaikanern. Letts stellt fest: „I think that’s why John and I get on so well. In the development of England’s history, there was a time when John’s mob – the Irish – and blacks and dogs were thrown together. There used to be signs in the hotels and places for rent that said…“ Zusammen skandieren sie: „No Irish, no blacks, no dogs.“117 Viele Iren mit Migrationserfahrung in Großbritannien haben mir von diesen Schildern und den unterschiedlichen Gefühlen, die damit verbunden sind, gemeinsam mit Schwarzen rassistisch diskriminiert zu werden, erzählt. Letts und Lydon sind Vertreter der ersten Migrantengeneration, geboren im London der 1950er-Jahre, der eine mit jamaikanischen, der andere mit irischen Eltern. Trotz unterschiedlicher Hautfarbe stellen beide eine Gleichbehandlung durch die rassisti-

117 Lydon, John (mit Keith und Kent Zimmerman): Rotton: No Irish, No Blacks, No Dogs, New York 1994, S. 276.

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sche weiße britische Mehrheitsgesellschaft fest und nehmen eine Parallelsetzung dieser Erfahrungen vor. Dass irische und karibische Migranten gemeinsame Sache machen, wenn es darum geht, im großen Stil migrantischen Sozialbetrug zu betreiben, behauptete 1994 die Daily Mail, eine große britische Tageszeitung. First into the field, needless to say were the Irish, who flock across the Irish sea in great numbers to exploit Britain’s welfare state, which they regard as a kind of patriotic duty. When Richard Crossman was Secretary of State for Social Security, he told me that it was skilled and voluble Irish mendicants, hanging around welfare offices, who had first corrupted and instructed the Caribbeans in the art of social security fraud.

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Dieser Auszug steht exemplarisch für die unzähligen Zeitungsartikel, mit denen die britische Presse maßgeblich die Stigmatisierung der Iren in der öffentlichen Wahrnehmung anheizte. Die historische Analyse zeigt, dass Theorien, die Rassismus lediglich mit einer Analyse der Kolonialgeschichte zu erklären versuchen oder einen Schwerpunkt auf die rassistische Diskriminierung aufgrund der Hautfarbe legen, zu kurz greifen und nur eine eingeschränkte Aussagekraft besitzen. Miles folgert: „It follows that it is not only ,black‘ people who are the object of racism. [...] skin colour has no meaning, no significance in itself: rather, it is something that is signified by human agents, and there are many other real and imagined physical and cultural characteristics of human beings that can be signified with equal effect, that can be the object of the process of racialisation.“119 So wie die Untersuchung der Kolonisation Irlands oder der „Weißwerdung“ der irischen Immigranten in den USA, so leistet die Analyse der irischen Erfahrung im britischen race relations-System in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einen Beitrag zur Dekonstruktion von Whiteness. Denn das irische Beispiel zeigt, dass es zwar Grundvoraussetzung, aber niemals genug war, weiß zu sein, um Teilhabe an Whiteness beanspruchen bzw. Teil von Britishness sein zu können.

118 Daily Mail, 23.04.1994, S. 24–25 zitiert nach Hickman, Mary J.: Religion, Class and Identity. The State, the Catholic Church and Education of the Irish in Britain (Research in Ethnic Relations Series), Aldershot 1995, S. 209. Hier klingt auch das Bild der Iren als enemy within an, der bei dem Versuch, den britischen Staat zu unterwandern, andere Bevölkerungsgruppen mit seinem subversiven Verhalten infiziert. 119 Miles: Migration to Britain, S. 539.

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S OLIDARISIERUNG Mein Forschungsthema erntet außerhalb Irlands nicht selten überraschte Reaktionen. Der Wirtschaftsboom und die Umkehrung des traditionellen irischen Migrationstrends haben von vielen in Deutschland unbemerkt stattgefunden. Dies liegt vorwiegend an der ungünstigen Entwicklung, dass Transformationsprozesse in erster Linie in den sogenannten postsozialistischen Ländern Osteuropas lokalisiert werden. Seit 1989 ist es jedoch nicht nur in Bulgarien, Estland oder der Ukraine zu drastischen Umwälzungsprozessen gekommen. Ökonomische und gesellschaftliche Verwerfungen sind ebenso in Westeuropa und insbesondere in der Republik Irland zu beobachten. Der allgemeine Fokus auf den Transformationsprozess in Osteuropa hat bedauerlicher Weise dazu geführt, dass der parallele Transformationsprozess in Irland nahezu unter Ausschluss der europäischen Öffentlichkeit vonstattengegangen ist. Auch die Existenz des antiirischen Rassismus war bis dato unbekannt. Obwohl es allgemein schwer vorstellbar zu sein scheint, dass Iren als weiße Westeuropäer zur Zielscheibe von rassistischer Diskriminierung werden können, zeigt die irische Geschichte das Gegenteil. Von den verschiedenen Migrantengruppen – schwarzen wie weißen – wurde die gemeinsame klassenübergreifende Erfahrung, in der britischen Mehrheitsgesellschaft rassistisch diskriminiert zu werden, reflektiert. Dies führte in der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre zu einem gemeinsamen politischen Aktivierungspunkt und zu einer Entwicklung von kulturellen und kommunikativen Netzwerken zwischen schwarzen und weißen Aktivisten. So konnte die Verzahnung von Alltags- bzw. Popkultur und politischem Engagement zur Gründung effektiver antirassistischer Initiativen, wie z. B. Rock Against Racism, führen. Im Zuge der antirassistischen Mobilisierung in Großbritannien Ende der 1970er-Jahre und Punk wurden das gesellschaftliche Verhältnis von Schwarz und Weiß neu ausgehandelt und schwarze und weiße Popstile zusammengeführt. Dies schlug sich in Coverversionen und Lyrics nieder. So coverte die nordirische Punkband Stiff Little Fingers den Hit der 2 Tone Ska-Band120 The Specials „Doesn’t Make It Alright“, der gegen rassistische Gewalt gewendet ist. Just because you’re a black boy / Just because you’re a white / It doesn’t mean you’ve got to hate him / Doesn’t mean you’ve got to fight

Die Lebensbedingungen der Iren und das Ausmaß der rassistischen Diskriminierung gegenüber irischen Migranten in Großbritannien standen in enger Verbindung

120 Das Markenzeichen des Plattenlabels 2 Tone, war ein schwarz-weißes Schachbrettmuster, das als Symbol seiner antirassistischen Haltung gedeutet werden kann. 2 Tone-Bands kombinierten schwarze und weiße Popstile, Ska und Reggae mit Punk und New Wave.

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mit dem Nordirlandkonflikt. Das Markenzeichen der Stiff Little Fingers, die aus Belfast stammten, waren Lyrics, die die Verwobenheit des Persönlichen mit dem Politischen zum Ausdruck brachten. Die Musik der Band spiegelt die Frustration über das Leben in einem gewaltgeprägten Alltag während der Troubles wider und dreht sich nicht selten um die Themen Antimilitarismus und Antirassismus.121 In dem Song „White Noise“122 werden die rassistischen Stereotypisierungen unterschiedlicher Migrantengruppen aufgegriffen, um jedoch letztlich die Ähnlichkeit ihres Wesens aufzuzeigen. Die Parallelsetzung der rassistischen Diskriminierung von Schwarzen und Weißen manifestiert sich vor allem in dem rassistischen Generalschimpfwort wog für jeden, der nicht weiß und britisch ist. In Ermangelung einer nicht-weißen Hautfarbe werden die Iren im Gleichklang mit der irischen Nationalfarbe als green wogs bezeichnet. STIFF LITTLE FINGERS „White Noise“ (1979) Rastus is a nigger. Thug mugger junkie / Black golly gob. Big horny monkey / Pimp pusher coon. Grinning piccaninnies / Send him home soon. Back to the trees Black wogs. Black wogs. Face don’t fit / Black wogs. Black wogs. Ain’t no Brit / Ahmed is a Paki. Curry coffee queer / Ten to a bed. Flocking over here / Tax-sponging canker. Smelly thieving kids / Ponce greasy wanker. Worse than the yids

121 Ende der 1970er-Jahre erforderte es nicht nur Kreativität, sondern auch Mut, um sich in dieser gewaltgeladenen Atmosphäre gegen Militarismus und für alternative Haltungen und Lebensweisen einzusetzen. Belfast war eine vom Bürgerkrieg und sectarian Gewalt geprägte Stadt, in der Loyalisten und Unionisten, paramilitärische Gruppen und die britische Armee kämpften. Damalige Kommentatoren bescheinigten den Stiff Little Fingers, dass sie viel zu sagen hätten und sich trauten, das auch laut zu tun. Noch heute, so konnte ich bei einem Aufenthalt in Derry im Sommer 2007 feststellen, ist es bei Weitem nicht selbstverständlich, in der Öffentlichkeit unbefangen zu agieren oder gar politische Inhalte zu besprechen. Hier herrscht nach wie vor eine bürgerkriegsähnliche Atmosphäre. Und selbst im wesentlich entspannteren Klima Dublins wurden ich und eine ebenfalls nicht-irische Freundin noch Ende der 1990er-Jahre, als wir uns bei einem Restaurantbesuch über politische Themen unterhielten, von unseren irischen Begleitern dazu aufgefordert, nicht so laut über Politik zu reden, denn man könne nie wissen, wer am Nachbartisch sitzt und mithört. 122 White noise (weißes Rauschen) wurde in den 1970er-Jahren im Nordirlandkonflikt als Foltermethode gegen internierte IRA-Kämpfer und andere verdächtige Personen eingesetzt. Vgl. Coogan, Tim Pat: The Troubles. Ireland’s Ordeal 1966–1996 and the Search for Peace, London 1996, S. 150.

154 | UNDOING I RISHNESS Brown wogs. Brown wogs. Your face don’t fit. / Brown wogs. Brown wogs. Ain’t no Brit. Stick together we’ll all be white me and you / The only colours we need are red, right and blue. Paddy is a moron. Spud thick Mick / Breeds like a rabbit. Thinks with his prick / Anything floors him if he can’ fight or drink it / Round them up in Ulster. Tow it out and sink it. Green wogs. Green wogs. Face don’t fit / Green wogs. Green wogs. Ain’t no Brit. If the victim ain’t a soldier why should we care? / Irish bodies don’t count. Life’s cheaper over there. Green wogs. Green wogs. Face don’t fit / Green wogs. Green wogs. Ain’t no Brit / Green 123

wogs. Green wogs. Get ’em boys / Green wogs. Green wogs. Turn up the white noise

Wie Gilroy hervorhebt, besteht die Leistung von Punk in der Offenlegung der vormals codierten oder ignorierten Verbindungen zwischen schwarzen und weißen Popstilen. In „White Noise“ kommt darüber hinaus die enge politische und ideologische Beziehung zwischen Schwarz und Weiß und die Einsicht in die Ähnlichkeit der Ausgrenzungserfahrung unabhängig von der Hautfarbe zum Ausdruck. Dies führt vor Augen, wie wenig hilfreich das in Großbritannien vorherrschende Schwarz-Weiß-Paradigma für die Erfassung von unterschiedlichen Artikulationsformen von Rassismus bzw. der Vielgestaltigkeit der Erfahrung, rassistisch diskriminiert zu werden, ist. Für die Stiff Little Fingers schlug sich diese Erkenntnis in ihrem Engagement für Rock Against Racism nieder. Für irische Migranten in Großbritannien führte sie zu dem Bestreben, ihre Interessen im britischen race relationsSystem durchzusetzen und zur (Neu-)Entdeckung ihrer Irish ethnicity.124

123 Barnaby erinnert sich ebenfalls an diese Beschimpfung: „I’m also aware that for many years Irish people were called green wogs in Britain.“ Noch bis in die jüngere Vergangenheit findet man Beispiele der Parallelsetzung. In der britischen Produktion „Bend It Like Beckham“ aus dem Jahr 2002 findet ein Dialog zwischen der britisch-asiatischen Protagonistin Jess und ihrem britisch-irischen Freund Joe statt, die ein romantisches Interesse aneinander entwickeln, welches dadurch begünstigt wird, dass beide eine Marginalisierung durch die britische Mehrheitsgesellschaft erleben: Jess: „She called me a Paki but I guess that’s something you wouldn’t understand!“ Joe: „Jess, I’m Irish. Of course I understand!” 124 „Britain’s largest ethnic minority became incorporated into the politics of race relations […].“ Davis: The Irish in Britain, S. 33.

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S ELBSTETHNISIERUNG Das race relations-Paradigma übernahm unkritisch den Mythos kultureller Homogenität. Dieser Mythos einer weißen Homogenität suggeriert, dass kulturelle Vielfalt und gesellschaftliche Pluralität Phänomene seien, welche erst mit der Ankunft der Zuwanderer aus dem New Commonwealth seit Ende der 1940er-Jahre in Großbritannien aufgetreten seien. Der Mythos einer vormals kulturellen Homogenität, die erst durch die Ankunft von „fremden“ Immigranten gestört wird, liegt im Nationswerdungsprozess vieler europäischer Staaten begründet, mit dem stets die Konstruktion einer häufig rassistisch definierten Vorstellung von nationaler Identität einherging. Die Nachwirkungen des Gaelic Revival sorgen dafür, dass dieser Mythos eine starke Wirkmächtigkeit entfaltet. Sowohl für irische Migranten im Ausland als auch für Iren in Irland, sowohl für die Zuschreibung von außen als auch für die Selbstbeschreibung der Iren galt und gilt: „[...] the Irish as an ethnic group has been a constructed phenomenon“.125 So ist stets zu bedenken, dass die erfolgreiche Selbstethnisierung im Sinne von Statuszuweisung durch den Gesetzgeber immer auch mit dem Preis einer Selbststereotypisierung bezahlt werden muss. Im Laufe der 1980er-Jahre bildet sich in Großbritannien ein multikulturelles Gesellschaftsmodell heraus, welches die Rhetorik der cultural diversity (kulturelle Vielfalt) bedient. Der Greater London Council (GLC) spielt eine zentrale Rolle bei der Entwicklung der multikulturellen bzw. race relations-Politik und staatlichen Unterstützung von Gemeindeaktivitäten, die sich um ethnische Herkunft und kulturelle Identität drehen. Die im Rahmen der race relations-Politik benutzte ethnische Klassifizierung und Terminologie führten zu einer Aufteilung bestimmter Gruppen auf der Grundlage ihres ethnischen Hintergrundes und darüber hinaus zu einer Selbstethnisierung einzelner Gruppen. Diese Praxen und Diskurse strukturieren die Formierung von Irishness in London seit den 1980er-Jahren. Am Anfang der Formierung stand das Ziel, the Invisibility of the Irish in Britain126 zu beenden. Die Unsichtbarkeit war durch das in Großbritannien vorherr-

125 Hickman: Religion, Class and Identity, S. 11. 126 Eine in englischsprachigen Publikationen gängige Umschreibung der spezifischen Situation irischer Migranten in Großbritannien. Vgl. z. B.: Greenslade, Liam: White Skin, White Masks. Psychological Distress among the Irish in Britain, in: O’Sullivan, Patrick (Hrsg.): The Irish in the New Communities (The Irish World Wide. History, Heritage, Identity, Band 2), London, New York 1992, S. 216; Gray, Breda: From Ethnicity to Diaspora. 1980s Emigration and „Multicultural London“, in: Bielenberg, Andy (Hrsg.): The Irish Diaspora, London 2000, S. 71 oder Hickman, Mary J.: Religion, Class and Identity. The State, the Catholic Church and Education of the Irish in Britain (Research in Ethnic Relations Series), Aldershot 1995, S. 248.

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schende Schwarz-Weiß-Paradigma entstanden, welches Rassismus mit Diskriminierung aufgrund der Hautfarbe gleichsetzt. So blieben die weißen Iren unsichtbar, solange sie nur nicht den Mund aufmachten. Mehrere meiner Interviewpartner beschreiben diesen Vorgang: „Irish people within London – nobody knew you’re Irish until you opened your mouth.“ Oder: „That was the thing about Britain: You were grand until you opened your mouth. Because you looked English. It’s only when you open your mouth you became Irish.“ Allerdings entscheiden sich viele Iren dazu, wie von Ella berichtet, ihren irischen Akzent abzulegen, um stattdessen z. B. mit einem Cockney-Akzent zu sprechen. Diese stillschweigende Taktik, sein Irischsein zu verstecken, trug ebenfalls zur Unsichtbarkeit der irischen Migranten bei. Zudem wurde den Iren auch nach Gründung der Republik Irland 1949 ein juristischer Sonderstatus durch den britischen Staat gewährt. Deswegen wurden sie im Gegensatz zu Einwanderern aus dem New Commonwealth offiziell nie als Einwanderungsgruppe durch die britische Politik registriert, die somit eine institutionalisierte Unsichtbarmachung irischer Migranten vornahm. Der GLC spielte eine wichtige Rolle bei der Sichtbarmachung der Iren als Community mit speziellen Problemen und Bedürfnissen. 1984 veröffentlichte er eine Studie, die die weitreichende antiirische Diskriminierung in Großbritannien dokumentiert.127 Sie empfiehlt die Bereitstellung von finanzieller und politischer Unterstützung für die irische Kultur und Identität in London. The overall picture of London’s Irish community in this report indicates a community poorly housed, and suffering from a disproportionately high incidence of mental illness in relation to its size. It is a community baited by the media, suffering attacks on its cultural and social identity and deterred from political mobilisation by the threat of imprisonment and exile under the Prevention of Terrorism Act. The root of these problems lies in racism against the Irish, a factor yet to be acknowledged as a major problem in British society.

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Die GLC-Studie gilt als die erste offizielle Anerkennung der Existenz von antiirischem Rassismus, der sich von nun an langsam als Thema politischer Diskurse durchsetzte.129 Dies ist gleichbedeutend mit der Entdeckung der Existenz eines Rassismus Weiß gegen Weiß, doch da Whiteness ein zunehmend wichtiges Konzept

127 GLC: Policy Report on the Irish Community, London 1984. 128 GLC: Policy Report on the Irish Community, London 1984, S. 11. Zitiert nach Gray, Breda: From Ethnicity to Diaspora. 1980s Emigration and „Multicultural London“, in: Bielenberg, Andy (Hrsg.): The Irish Diaspora, London 2000, S. 71–72. 129 Vgl. Gray, Breda: From Ethnicity to Diaspora. 1980s Emigration and „Multicultural London“, in: Bielenberg, Andy (Hrsg.): The Irish Diaspora, London 2000, S. 72.

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wurde, fanden sich viele irische Migranten in Bezug auf antirassistische Diskurse und Praxen in einer ambivalenten Position wieder. Denn bis dato war die Heterogenität der britischen Gesellschaft in Folge einer von Gilroy beschriebenen (vgl. Kapitel 3) nationalistisch und rassistisch definierten Britishness und der über Jahrhunderte zurückreichenden Präsenz irischer Arbeitsmigranten seitens der offiziellen race relations-Politik ignoriert worden.130 Nur so lässt sich die Widersprüchlichkeit der irischen Position erklären, gleichsam die größte und die unsichtbarste migrantische Gruppe zu sein. Diese Widersprüchlichkeit steht in einem engen Zusammenhang mit der eingangs beschriebenen von äußerster Ambivalenz geprägten Beziehung zwischen Irland und Großbritannien, die wiederum in einem engen Zusammenhang mit der historischen Gleichzeitigkeit steht, in der Irland aktiver Juniorpartner des britischen Imperialismus und dessen Kolonie war. So kann die besondere Situation der Iren in Großbritannien wie folgt beschrieben werden: „[...] the Irish have been both racialized and included, constructed as threatening and yet part of the British ,family‘, because they are white.“131 So wie es Baringhorst in ihrer im dritten Kapitel vorgestellten Studie für die zweite nicht-weiße Migrantengeneration in Bradford beschreibt, so setzt auch für die irischen Migranten erst im Laufe der 1980er-Jahre eine politische Radikalisierung ein, die ebenfalls mit der Kritik am zuvor mangelnden Stolz auf die eigene ethnische Herkunft einhergeht. Auch die irische Community reagiert politisch offensiv auf die Diskriminierungserfahrungen, was für die politische Sozialisation vieler irischer Migranten in Großbritannien eine prägende Erfahrung darstellt, die nicht selten in eine antirassistische Haltung mündet. Sie beginnen für equal opportunities und gegen rassistische Diskriminierung zu kämpfen und sich im Rahmen des race relations-Systems für ihre Belange einzusetzen.

130 Zu kurz bei der Untersuchung der irischen Community in Großbritannien kam ebenfalls die historische Konstruktion der britisch-irischen Dichotomie, zu der stets ein weitreichender aus dem britischen race relations-Diskurs ausgeblendeter Antikatholizismus gehört. „In the Britain of the 1960s and 1970s skin colour was not the only effective marker which formed the basis construction of ‘difference‘. Markers of differentiation and processes of segregation, based on religious distinctiveness and a separate national identity, were in place in the last quarter of the 20th century.“ Hickman, Mary J.: Religion, Class and Identity. The State, the Catholic Church and Education of the Irish in Britain (Research in Ethnic Relations Series), Aldershot 1995, S. 236–237. 131 Connolly, Clara; Hall, Catherine; Hickman, Mary et al.: The Irish Issue: The British Question, in: Feminist Review 50 (1995), S. 1.

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Rechtsextreme Gewalt, unter anderem ausgeübt von der BNP, richtet sich gegen Angehörige der irischen Community. Antiirischer Rassismus, der im Alltag stattfindet, ist so endemisch, dass er zuweilen als „normal“ klassifiziert wird. Doch auch die Verwaltung, die Polizei und insbesondere die Medien geraten wegen ihrer diskriminierenden Haltung zunehmend in die Kritik. Die Auswirkungen der Diskriminierungs- und Migrationserfahrung werden erstmalig kritisch und öffentlich reflektiert. Die in der irischen Community überdurchschnittlich häufig vorkommenden Fälle von psychischen Erkrankungen werden auf die Kolonisierung Irlands und auf das Fehlen einer kohärenten irischen Identität zurückgeführt. Liam Greenslade lehnt den Titel seiner Studie „White Skin, White Masks“132 an Frantz Fanons Buch „Black Skin, White Masks“133 an. Fanons Analyse geht über die politischen und ökonomischen Folgen von Kolonialismus hinaus und untersucht die verheerenden psychologischen Auswirkungen von Rassismus sowie den Minderwertigkeitskomplex kolonisierter Menschen. So nimmt Greenslade eine Parallelsetzung der psychischen Deformierung des schwarzen und des weißen kolonisierten Subjektes vor. John lebte fast dreißig Jahre in London und sieht eine direkte Verbindung zwischen der kollektiven confusion of identity for Irish people in Britain und ihrer (Un-)Fähigkeit, sich politisch zu organisieren und selbstbewusst für ihre Rechte einzutreten. Part of the problem of the Irish being accepted in Britain in particular is what was called white-skin-white-masks-phenomenon. Where with other ethnic minorities, they’re defined by their colour and sometimes people confuse ethnicity with colour. There is a difference. With the Irish to the British, to the English they had a very confused and sometimes contradictory view of the Irish. They were the same to the English when they wanted them to be the same as them but they were different when they wanted them to be different to them. And this led in many cases to a confusion of identity for Irish people in Britain.

John kämpfte aktiv für die Anerkennung der Iren als ethnische Minderheit und berichtet von seinen Erfahrungen, Seite an Seite mit schwarzen und asiatischen Interessengruppen für equal opportunities und migrantische Interessen einzutreten. Das pragmatische Konzept der equal opps im Rahmen der race relations-Politik stützte sich auf ethnic monitoring. Deswegen war eines der wichtigsten Ziele der irischen Aktivisten, den Iren die formale Anerkennung als ethnische Minderheit zu ver-

132 Greenslade, Liam: White Skin, White Masks. Psychological Distress among the Irish in Britain, in: O’Sullivan, Patrick (Hrsg.): The Irish in the New Communities (The Irish World Wide. History, Heritage, Identity, Band 2), London, New York 1992, S. 201–225. 133 Fanon, Frantz: Schwarze Haut, weiße Masken, Frankfurt a. M. 1980.

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schaffen, um damit die Grundvoraussetzung für finanzielle und politische Unterstützung zu erhalten. I got very involved in Irish community issues in London. And in black and minority ethnic issues. Working with black housing associations, Asian housing associations...Lobbying for the Irish to be included as a distinct ethnic category on the last census so that the Irish needs could be accounted for in the census because all resources, all resource allocations are based on the information which comes from the census, and the Irish were not included in the census as a distinct category, they didn’t get the resources. And as the Irish were not included as Irish their needs were not accounted for. I was part of a lobby group which lobbied central government through the commission for racial equality. And we had regular meetings with the commission for racial equality. Just banging on and on and on saying that the Irish needed to be included.

Die von John erwähnte Commission for Racial Equality (CRE) veröffentlichte 1997 die Studie „Discrimination and the Irish Community“134, die die Empfehlung des GLC-Berichts aus dem Jahr 1984 aufnimmt, die Iren als ethnische Minderheit offiziell anzuerkennen. Doch die CRE sieht nach wie vor das Problem der „interchangeability of the term ethnic minority with ,black‘“135. Außerdem erläutert sie das eng mit der formalen Anerkennung der Iren als ethnische Minderheit in Verbindung stehende Problem der Anerkennung der Existenz des antiirischen Rassismus, der sich nicht nur die britische Mehrheitsgesellschaft, sondern zuweilen auch andere migrantische Gruppen verwehren. Dies geschieht insbesondere dann, wenn eine Konkurrenzsituation um geringe staatliche Fördergelder auftritt, deren Entstehung Kritiker des race relations-Systems für eine bewusste staatliche Strategie halten.136 Die GLC-Studie untersucht zudem, wie innerhalb kommunaler Strukturen auf den Versuch reagiert wird, Sensibilität für die irische Problematik zu erzeugen und dabei mitunter auf heftige Ablehnung stößt: „The message from some of the black professionals that these interviewees have worked with is that there is no way that the Irish can compare their experience to that of a black person. Such a view in the opinion of these staff reinforces the notion of a hierarchy of racism and discrimina-

134 Commission for Racial Equality (Hrsg.): Discrimination and the Irish Community. A Report of Research Undertaken for the Commission for Racial Equality von Mary J. Hickman und Walter Brown, London 1997. 135 Ebd., S. 8. 136 Hickman, Mary J.: Religion, Class and Identity. The State, the Catholic Church and Education of the Irish in Britain (Research in Ethnic Relations Series), Aldershot 1995, S. 3–4.

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tion. This can exacerbate white/black divisions which are generated and legitimised by a myth of white homogeneity in the first place.“137 Das Zitat illustriert, wie sich der britische Diskurs, insbesondere die Gleichsetzung von rassistischer Diskriminierung mit Diskriminierung aufgrund der Hautfarbe, auf die Akteursebene auswirkt. Ein ähnlicher Vorgang spielte sich in der scientific community ab, in der sich Widerstand regte gegen die Untersuchung der irischen Erfahrung mit dem Paradigma Rassismus. Dieser Widerstand wird in erster Linie von Forschern getragen, die voraussetzen, dass die Vorbedingung für rassistische Diskriminierung eine biologistische Markierung – z. B. die Hautfarbe – ist, und deswegen ausschließlich Bevölkerungsgruppen zum Ziel von rassistischer Diskriminierung werden können, die diese Markierung tragen. Wie ich jedoch im ersten Kapitel darlege, kann mit einem derart eng gefassten Rassismusbegriff nicht gearbeitet werden, wenn den unterschiedlichsten Artikulationsformen von Rassismus Rechnung getragen werden soll. Zudem ignoriert diese Arbeitsweise den gesellschaftlichen Konstruktionscharakter von Rassismus.138 Wie Lloyd und Neveu in ihren Untersuchungen feststellen, fällt es vielen britischen Aktivisten schwer, sich eine Situation vorzustellen, in der eine von Rassismus betroffene Gruppe sich (äußerlich) nicht von der Mehrheitsbevölkerung unterscheidet. Anstatt solidarisch auf der Basis von Erfahrungswerten in Bezug auf die eigene politische, ökonomische und gesellschaftliche Position zu agieren, wird in der Praxis ein Identitätskonzept präferiert, welches auf Phänotyp und ethnischer Herkunft basiert.139 Trotzdem gelang es der irischen Community, ihren Status innerhalb der britischen Gesellschaft schrittweise zu verbessern.

137 CRE (Hrsg.): Discrimination, S. 101–102. 138 Hickman: Religion, Class and Identity, S. 52–53. Hickman referiert die Reaktionen auf die im Kapitel „Die Festschreibung des rassistischen Iren-Stereotyps in Großbritannien“ vorgestellte Forschung von Curtis. Mehrere Historiker bezweifelten, dass die von Curtis analysierte Darstellung Irlands und der Iren primär auf Rassismus zurückzuführen seien, sondern auf Anti-Katholizismus bzw. auf die britische Ablehnung des irischen Bemühens um nationale Souveränität. (Vgl. Gilley, Sheridan: English Attitudes to the Irish in England, 1780– 1900‘, in: Holmes, Colin (Hrsg.): Immigrants and Minorities in British Society, London 1978, S. 81–110) Hickman kann jedoch verdeutlichen, dass diese Faktoren in dem rassistischen Nationalismus britischer Couleur unterschiedliche Artikulationsformen eines antiirischen Rassismus sind. 139 In der Weigerung anderer migrantischer Interessengruppen, die Existenz des antiirischen Rassismus anzuerkennen, erkennt man darüber hinaus die Fragmentierung des antirassistischen Mobilisierungspotenzials, ausgelöst durch bei britischen Aktivisten weitverbreitete Identitätskonzepte, die auf Phänotyp und ethnischer Herkunft basieren.

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Die Unsichtbarkeit der Iren war teilweise selbst verschuldet. Insbesondere während vermehrter Terroraktivitäten der IRA, beim Passieren von Bahnhöfen, Flug- und Fährhäfen, bei Kontakt mit der Polizei oder britischen Amtspersonen oder bei Vorstellungsgesprächen versuchten viele irische Migranten, ihre Herkunft zu verbergen.140 Nach und nach verbesserte sich jedoch auch in Großbritannien der Status der irischen Community, was auch an einer neuen Generation irischer Migranten lag, die aufgrund ihrer höheren beruflichen Qualifikation seit Beginn der 1990er-Jahre mit einem größeren Selbstvertrauen in der britischen Gesellschaft auftraten. Das eigene Irischsein musste nicht mehr heruntergespielt werden. Declan beschreibt diese Veränderung wie folgt: When people went over to England initially, they went over to work in menial jobs, worked on the roads, worked in the construction industry, the low skilled jobs that nobody else was taking up. Pubs and accommodation regularly said „No blacks, no dogs, no Irish“, you know, in that form. And in the 80s things changed. People went over with a high education, people who weren’t just doing the construction, or working in road maintenance. They now were working in nursing, in teaching, in the financial industries, who have become professional. I think there was also a change in the legislation around racism, and that changed attitudes as well.

John erlebte von den 1970er-Jahren bis zu den frühen 2000er-Jahren die prozessuale Verbesserung der Lebensbedingungen irischer Migranten in Großbritannien. There were times when we were living in London, particularly during the 70s, when there was an IRA bombing campaign, there was Birmingham and Guilford and all of those bombings, when it was very difficult to be Irish. And unlike in America where your Irishness is

140 Die irische Emigration ist ein vielschichtiges Phänomen, welches sich einer Deutung durch Zuhilfenahme von Stereotypen entzieht. Wie ich im Kapitel „Von der racialisation zur ‚Weißwerdung‘“ aufzeige, gelang es den Iren in den USA im Zuge ihrer „Weißwerdung“, sich erfolgreich in das rassistische Privilegiensystem einbinden zu lassen und Teilhabe an Whiteness zu erreichen. Dies ist ein Grund für die überwiegend positive Migrationserfahrung irischer Emigranten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die statt nach Großbritannien in die USA auswanderten. „In England you try to keep a low profile, you hid your identity. Because of the inferiority complex and the hostile environment, you play down your Irishness. Here… your Irishness is very much a matter of social pride.“ Vgl. Corcoran, Mary P.: Irish Illegals. Transients Between Two Societies (Contributions in Ethnic Studies, Nr. 32) Westport/Connecticut, London 1993, S. 118.

162 | UNDOING I RISHNESS celebrated it was denigrated there. It was dangerous! It was positively dangerous to be Irish at times when we were living there. So, you tended not to draw attention to your Irishness. And as a community the Irish missed out on the allocation of resources because they were fearful of standing up and drawing attention to themselves as an Irish community because the consequences are that the police come along or there was an anti-Irish racism. Therefore, while other immigrant groups and other ethnic groups were able to make demands upon society and government for resources, for housing, for health, for education, the Irish tended not to. And it’s only lately that they have become organized and that’s what I was part of over the past few years over there. So sometimes it was difficult although time has gone on. And the consequences of the Celtic Tiger: It’s cool to be Irish. It didn’t use to be cool to be Irish.

Die Fragilität der irischen Identität in Großbritannien wurde nach und nach abgelöst durch ein größeres Selbstvertrauen, welches sich nicht nur auf die erfolgreiche Durchsetzung irischer Interessen im britischen race relations-System, sondern auch auf den einige Jahre später einsetzenden Wirtschaftsboom im Heimatland zurückführen lässt. Das Bild der Iren in Großbritannien erfuhr seit der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre eine starke Aufwertung durch Irlands Wandel vom „Armenhaus Europas“ zum „Keltischen Tiger“. Waren die Iren zuvor eine unsichtbare Gruppe ohne eigene Stimme, die in der ambivalenten Position gefangen war, weiß zu sein und trotzdem zum Ziel rassistischer Diskriminierung durch die weiße britische Mehrheitsgesellschaft zu werden, so begannen sie sich seit den 1970er-Jahren stärker politisch zu organisieren. Der Nordirlandkonflikt verstärkte in den Iren eine postkoloniale Vorstellung ihrer nationalen Identität. In Großbritannien sorgte er für eine Wiederbelebung und Verstärkung antiirischer Ressentiments. Aus einer Phase, in der die Bombenanschläge der IRA zu einer Veränderung des politischen Kontextes, zum Prevention of Terrorism Act und zum Erstarken des antiirischen Rassismus führten, trat die irische Community in den 1980er-Jahren mit dem Ziel hervor, ihre Interessen im race relationsSystem zu vertreten und sich in ihm einen Platz als formal anerkannte ethnische Minderheit zu erkämpfen. Die Erfolge bei der Anerkennung des antiirischen Rassismus und der Einforderung staatlicher Förderung für irische Belange sorgten für einen verbesserten Status der irischen Community in Großbritannien. Der Friedensprozess in Nordirland, das Abschwächen der terroristischen Aktivitäten und der ab Ende der 1990er-Jahre einsetzende rasante wirtschaftliche Aufschwung der Republik sorgten für eine zusätzliche Aufwertung von Irishness. Die Iren wurden cool, weil Irland zum „Keltischen Tiger“ wurde.

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I RLAND ALS E INWANDERUNGSLAND : V ON DER S OLIDARISIERUNG ZUR D ISKRIMINIERUNG ? Polish scum out. GRAFITTI, DUBLIN 2006

Das eingangs angeführte Zitat aus dem Film The Commitments bietet sich an und wird gerne benutzt, um eine Verbindung zwischen dem Kampf von Schwarzen gegen Rassismus und den Erfahrungen der Iren mit sectarianism, dem Kolonisiertwerden und dem rassistisch Diskriminiertwerden herzustellen.141 Bill Rolston z. B. fragt: Sind die Iren schwarz? Um dann zu antworten, dass sie es selbstredend nicht sind, doch jenseits der Hautfarbe sieht er durchaus Ähnlichkeiten zwischen dem Kampf der katholischen Nordiren und anderen antikolonialen Befreiungskämpfen. Rolston geht es um das im dritten Kapitel vorgestellte Konzept der political blackness und der möglichen Teilhabe der Iren an diesem Projekt bzw. der Frage nach der „‚blackness‘ of the Irish struggle“.142 Political blackness wirft Fragen auf nach der Komplexität politischer Mobilisierung, die auf der Basis von Erfahrungswerten in Bezug auf die eigene politische, ökonomische und gesellschaftliche Position funktionieren kann, und leistet Kritik an Identitätskonzepten basierend auf Phänotyp und ethnischer Herkunft. Es lohnt sich, einen Blick auf das Originalzitat aus der gleichnamigen Romanvorlage von Roddy Doyle, einem der inzwischen renommiertesten zeitgenössischen Schriftsteller Irlands, zu werfen. The Commitments spielt in den 1980er-Jahren im Arbeitermilieu Nord-Dublins, das geprägt ist von Arbeitslosigkeit und Armut. Jimmy, der als Bandmanager seine Musiker dazu animieren will, Soul zu spielen, lokalisiert die Unterdrücker nicht außerhalb, sondern innerhalb Irlands, wobei er trotzdem auf einen antiirischen Rassismus anspielt. “Your music should be abou’ where you’re from an’ the sort o’people yeh come from. Say it once, say it loud, I’m black an’ I’m proud.“ They looked at him. „James Brown. Did yis know ---- never mind. He sang tha’. ---- An’ he made a fuckin’ bomb.“ They were stunned by what came next. „The Irish are the niggers of Europe, lads.“

141 Vgl. u. a. Gibbons, Luke: The Global Cure? History, Therapy and the Celtic Tiger, in: Kirby, Peadar; Gibbons, Luke; Cronin, Michael (Hrsg.): Reinventing Ireland. Culture, Society and the Global Economy, London 2002, S. 92–94. 142 Rolston: Are the Irish Black?, S. 98.

164 | UNDOING I RISHNESS They nearly gasped: it was so true. „An’ Dubliners are the niggers of Ireland. The culchies

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have fuckin’ everythin’. An’ the

northside Dubliners are the niggers o’ Dublin. ---- Say it loud, I’m black an’ I’m proud.“

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Einerseits feiert Jimmy in dieser Szene seine Liebe für schwarze Musik und sein Kommentar zeugt von einer Identifikation mit und Bewunderung für schwarze Kultur. Andererseits bezeichnet er Schwarze als Nigger, ein rassistischer Ausdruck mit Schockpotenzial, wobei in diesem speziellen Fall das Schockmoment zusätzlich darin besteht, dass sich weiße Protagonisten selbst als Nigger bezeichnen. Aus heutiger Sicht muss Jimmys scheinbar naiver Gebrauch des N-Wortes noch einmal neu unter die Lupe genommen werden, denn im Irland der 1980er-Jahren basierte die Einstellung gegenüber Schwarzen überwiegend nicht aus einem alltäglichen Miteinander, sondern wurde hergeleitet aus einer zuweilen recht diffusen Sicht auf die weltweite Geschichte und Kultur von Unterdrückung und rassistischer Diskriminierung, von der man annahm, dass sie irgendetwas mit der irischen Erfahrung zu tun habe. Zumeist schwang hier die populäre Vorstellung mit, dass die Iren, kolonisiert und deklassiert, einen Hang dazu besäßen, sich mit anderen kolonisierten und deklassierten Menschen zu solidarisieren. Allerdings lässt sich Doyles Roman auch als Hinweis auf die Ablehnung der jüngeren Generation gegenüber der traditionellen Vorstellung davon, was Irishness zu bedeuten hat, lesen. Die im Zuge des Gaelic Revival Ende des 19. Jahrhunderts und der staatlichen Unabhängigkeit in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts geformte nationale irische Identität wird herausgefordert durch die in der irischen Populärkultur auftauchende Idee einer jenseits von ethnischer Zugehörigkeit neu zu definierenden irischen Identität, zu der die transnationale Solidarität mit rassistisch und ökonomisch marginalisierten Menschen gehört.145 „Being Irish [...] is synonymous with being Black because oppression is the only reality that makes the notion of identity meaningful and can account for what it means to be either Irish or Black.“146 Doyles minimalistischer Stil schneidet Irishness von jenen nationalen

143 Culchie ist ein meist abwertender Slang zur Betitelung von Iren, die nicht aus Dublin kommen. Diese wiederum haben ein abwertende Bezeichnung für Dubliner: Jackeen. 144 Doyle, Roddy: The Commitments, London 1991, S. 8–9. 145 Die irische Superband schlechthin, U2, äußert regelmäßig ihre Solidaritätsgefühle mit rassistisch Diskriminierten in Südafrika oder den USA. Der Song „Pride (In the Name of Love)“ ist ein Tribut an Martin Luther King, eine Schlüsselfigur der schwarzen Bürgerrechtsbewegung. 146 Piroux, Lorraine: „I’m black an’ I’m proud“. Re-inventing Irishness in Roddy Doyle’s The Commitments, http://findarticles.com/p/articles/mi_qa3709/is_199804/ai_n8804089 (21.06. 2008).

4. K ONTEXTUALISIERUNG

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Narrativen ab, die vormals dem irischen Nationalismus dienten. Das Irish Literary Revival, geboren während des Kampfes für staatliche Unabhängigkeit, verlangte, dass sich irische Literatur einer Definition von Irishness verschrieb, die sich aus einer mythischen gälischen Vergangenheit nährte. Dies erklärt auch die vorerst ablehnenden Reaktionen des literarischen Establishments auf Doyles literarisches Schaffen. Konsequent erscheint vor diesem Hintergrund zudem Doyles heutiges Engagement für Metro Éireann, der ersten und einzigen „multikulturellen“ Zeitung Irlands.147 Die Negation historisch überlieferter kultureller Wertvorstellungen, auf denen traditionelle Identitätskonzepte basieren, bedeutete ein Eintreten für ein Identitätskonzept jenseits ethnischer Zugehörigkeit und ein Plädoyer für eine Neubewertung von Identität als ständigen Prozess kultureller Selbstverortung. Doyles Verbindung von Irishness mit Blues und Soul fördert die Erinnerung an den rassistischen kolonialen Diskurs, welcher eine gemeinsame Abstammung der Iren und schwarzer USAmerikaner behauptete und beide mit ähnlichen Attributen wie Primitivität und politischer Unmündigkeit ausstattete. In dem Kapitel „White Negro: Die Konstruktion der irischen ‚Rasse’“ zeichne ich die Geschichte der rassistischen Stereotypisierung der Iren nach, die einen „gälischen Typ“ bzw. eine „keltische Rasse“ konstruiert, die im Wesentlichen als schwarz oder dunkelhäutig definiert und mit den selben rassistischen Attributen wie Schwarze versehen wurden. „[...] the theme of an Irish blackness perpetuated itself into a tradition of its own. [...] With The Commitments, Irish Blackness is stripped of its previous genealogical, anthropological, biological, and racial determination.“148 Lorraine Piroux hält Jimmys „Politik des Soul“ für eine Manifestation von Klassenbewusstsein sowie racial und sexueller Emanzipation. Für sie ist das NWort ein Indikator für radikales Anderssein, der Jimmys Argumentation Nachdruck verleihen soll.149 Irishness wird zwar ebenfalls mit Bezugnahme auf die eigene Vergangenheit konstruiert, doch gilt hier nicht das Gaelic Revival als historischer Referenzpunkt, der eine Fortschreibung spezifischer nationalistischer Traditionen verlangt. Stattdessen wird die mit anderen geteilte Erfahrung, Objekt eines kolonialen Rassismus zu sein, zum historischen Referenzpunkt erhoben. Die Selbstsicht, politisch unterdrückt zu werden, und die daraus entspringenden Solidaritätsgefühle, mit Gruppen oder Minderheiten, denen man das gleiche Schicksal attestiert, spielte nicht nur in der nordirischen Bürgerrechtsbewegung eine wichtige Rolle, sondern

147 Die gesammelten Beiträge erschienen 2007 in Buchform. Doyle, Roddy: The Deportees, London 2007. 148 Ebd. (Unterschiedliche Schreibweise von Blackness im Original.) 149 Ebd.

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stellt noch heute für viele antirassistische Aktivisten einen wichtigen Motor für ihr eigenes politisches Engagement dar. So wie viele, wenn auch bei Weitem nicht alle, der von mir befragten irischen Antirassisten halte ich eine Gleichsetzung der schwarzen mit der irischen Erfahrung für mindestens problematisch. Dies liegt nicht nur an dem augenscheinlichen Umstand, dass – im Gegensatz zu Menschen mit nicht-weißer Hautfarbe – Iren ihr Irischsein verstecken können, um „ihre Haut zu retten“. Was zwar nicht bedeuten soll, dass Schwarze vor weißer Assimilationspolitik sicher sein können, jedoch die Hautfarbe als sichtbares und überaus starkes Symbol des Unterschieds, eine Unsichtbarkeit (bzw. Unsichtbarkeitsmachung) erschwert.150 Doch sowohl die Hautfarbe als auch ihre (Un-) Sichtbarkeit sind gesellschaftliche Konstrukte und somit veränderbar. Allerdings muss die für viele befremdliche Selbstbezeichnung als schwarz und die irische Art der Solidarisierung mit Schwarzen als logische Konsequenz einer Jahrhunderte langen Fremdbezeichnung der Iren als schwarz, dunkelhäutig, primitiv und politisch unmündig verstanden werden. Ob die Beanspruchung einer schwarzen Identität die Gefahr einer „projektiven Identifikation mit den Unterdrückten bildet, mitsamt dem komplizierten Netz von Schuld- und Neidgefühlen“151 bedarf weiterführender Forschung. Heute, rund zwanzig Jahre nach der Veröffentlichung des Romans, ist das von Doyle beschriebene Dublin verschwunden. Seit den späten 1990er-Jahren gehören rassistische Beschimpfungen und Übergriffe auf Schwarze in den Dubliner Innenstadtbezirken zur Tagesordnung und rassistische Grafittis und Aufkleber mit der Forderung „Niggers out“ sind überall in der Stadt zu finden. Dementsprechend könnte Jimmys gut gelaunte Gleichsetzung von Iren und Schwarzen auch als Ausdruck einer gesellschaftlich vorhandenen und verfestigten Vorstellung über „Rasse“ gelesen werden. Entsprechend dieser Auffassung verurteilte ein Interviewpartner die Bezeichnung Nigger scharf, die er – egal, wer sie für wen benutze – für rassistisch hält. Bereits existierende rassistische Vorstellungen und Ressentiments trugen sicherlich zu jenem Rassismus bei, der in Irland manifest wurde, als Schwarze vermehrt in der irischen Gesellschaft sichtbar wurden. Denn die in Irland verfestigten Vorstellungen über Schwarze sind ähnlich ambivalent wie Irlands Rolle im britischen Imperialismus. Zum einen werden Schwarze als eine nach Gleichberechtigung strebende diskriminierte Gruppe wahrgenommen, mit der man sich solidarisiert und gegebenenfalls sogar identifiziert. Zum anderen trägt die irische Gesellschaft wie viele andere Länder Europas das schwere Erbe der aktiven Teilnahme

150 Vgl. Cohen, Philip: Gefährliche Erbschaften: Studien zur Entstehung einer multirassistischen Kultur in Großbritannien, in: Kalpaka; Räthzel (Hrsg.): Die Schwierigkeit, nicht rassistisch zu sein, S.85, 86. 151 Cohen: Gefährliche Erbschaften, S. 87.

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am imperialistischen Projekt des kolonialen Rassismus. Insbesondere die Missionstätigkeit der katholischen Kirche – wobei in Irland ein katholisch-missionarischer auch immer ein nationalistischer Auftrag war – sorgte für eine nicht minder verbreitete, von Paternalismus und Rassismus geprägte Haltung gegenüber Schwarzen, die bis heute Bestand hat. Zentrales Objekt irischer Missionstätigkeit sind die black babies, die sowohl vor dem Höllenfeuer als auch vor dem Verhungern gerettet werden müssen.152 Barnaby: So, Ireland I’ve come to and I feel that there’s a hell of a lot soft racism around that permeates throughout society, generally. J. V.: Soft racism? Barnaby: Soft racism. Well, what is that? (lacht) Ask to define that! Soft racism is...people who give money to help poor black people, poor black babies. That’s a form of soft racism. Patronism, patronising.

Die irische Missionstätigkeit in Afrika und Asien fußte als Teil eines rassistischen Kolonialismus auf der Vorstellung der Höherwertigkeit der weißen Eroberer und Heilsbringer. In der Behandlung von Schwarzen in der irischen Gegenwartsgesellschaft lassen sich noch Spuren dieses missionarischen Nationalismus und kolonialen Rassismus katholischer Prägung entdecken. Viele Iren räumen ein, dass die Begegnung mit wohlsituierten, erfolgreichen Schwarzen als Normalität erst erarbeitet werden musste. Eine alte Nonne, die Jahrzehnte on the missions in Afrika tätig war, erklärte mir, dass in Irland ein Sichtwechsel auf Schwarze dringend fällig sei: „Aw, Irish people just have to get used to black people. We just have to get accustomed to black people coming in and we have to get accustomed to black people not begging.“ Einige der von mir befragten Antirassisten bedauerten, dass irische Wohltätigkeits- und Entwicklungshilfeorganisationen immer noch mit einer paternalistischen Bildsprache Werbung betreiben.153

152 Tim Pat Coogan, der sich ebenfalls an die „‚black baby‘ box“ erinnert, weist darauf hin, dass in Irland aufgrund der Großen Hungersnot mit einer großzügigen Spendentätigkeit für Hungernde in Afrika stets zu rechnen ist. Coogan, Tim Pat: Wherever Green Is Worn. The Story of the Irish Diaspora, London 2000, S. 507–508. 153 Dies ist bei Weitem nicht ausschließlich für die irische Situation zu beklagen. Insbesondere kirchliche Hilfsorganisationen reproduzieren auch in Deutschland rassistische Stereotype. Vgl. das Beispiel der im Kapitel „Antirassismus im deutschsprachigen Raum“ beschriebenen Diakoniekampagne. Zudem stellte ich im Gespräch mit vielen christlich erzogenen Deutschen fest, dass nur wenige Jahre bevor ich eine christliche Sozialisation durchlief der sogenannte „Nickneger“ integraler Bestandteil kindlichen Kirchenerlebens gewesen ist.

168 | UNDOING I RISHNESS We used to have Trócaire which is big charity, it’s a church based charity. They used to have this annual thing where all the children in school would get a Trócaire box, a little box, and there would be a little black baby on it or a mother holding a black baby. And at every Easter you used to fill it up at home and bring it in and to give it to Trócaire. So, that promoted particularly people’s ideas: „Oh, black starving babies in Africa.“ And they’d have that idea when black people come here and they think: „Aw, the poor thing. He’s coming from a little hut.“ And there’s your man in a suit! So, people would have those kind of ideas. It was a charity kind of perspective. And that they’re helpless, and we are there to help them. (Sheila)

Viele der von mir befragten Iren sind der Überzeugung, dass für die Verbreitung einer international existierenden rassistischen Kultur und den damit verbundenen Bildern und Begriffen über Schwarze die nach Irland wirkende US-amerikanische und britische Populärkultur in Form von Filmen, vor allen Dingen HollywoodWestern, in denen Cowboys gegen „Indianer“ kämpfen, und TV-Serien, namentlich Roots154, eine zentrale Bedeutung gespielt haben und somit auch Einfluss auf die irische Kultur nahmen. Eine Interviewpartnerin bezog in ihre Betrachtungen die Rolle der US-amerikanischen und britischen Erfahrungen und die darüber erfolgte mediale Berichterstattung mit ein, die sie für nicht unerheblich bei der Bildung rassistischer Stereotype in Irland hielt. Deren Wirkmächtigkeit ist so stark, dass in Irland eine generelle Statuszuweisung an Nicht-Weiße erfolgt, die sie als Asylbewerber definiert.

Hierbei handelt es sich um eine rassistische Spardose, die heute in Onlineportalen für Devotionalien als „traditionelle Nickfigur“ zum Verkauf steht und nach wie vor als „Nickneger“ beworben wird. http://www.devotionalien.de/Krippen/Krippenzubehor/Nickneger27cm/ (27.05.2009) Die „Christen am Rhein“ bedauern: „Der sog. ‚Nickneger‘ ist eine in guter Absicht verwendete, bei Jung und Alt bis fast in die Gegenwart hinein bekannte und beliebte Form der Spendendose zu Gunsten der Mission in Übersee. Geziert wird sie von einem ‚Negerkind‘ – hier sitzend, an den abgesägten Stamm einer Palme angelehnt –, das sich bei jedem Einwerfen der Münzen durch Kopfnicken beim (weißen) Spender bedankt. Zunehmende Gleichberechtigung der Völker und die Achtung der Christen vor den Lebensformen und religiösen Traditionen andernorts haben diese belustigende Form der Werbung für die Mission seit den 1960er Jahren mehr und mehr zum Verschwinden gebracht; mit dem Nebeneffekt, dass solche Zeugnisse unserer europäisch-christlichen Kultur vielfach verloren gingen und heute nur noch in wenigen Pfarreien existieren.“ http://www.christen-amrhein.de/erzbistum/archiv/christenamrhein/geschichte/ p05_nickneger.html (27.05.2009) 154 Roots war eine in den späten 1970er-Jahren überaus erfolgreiche US-amerikanische TVProduktion, in der die Geschichte des aus Afrika als Sklave in die neue Welt verschleppten Kunta Kinte und seinen Nachfahren erzählt wird.

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Sheila: There is an article by Robby McVeigh called „The specificity of Irish racism“.

He

says that Irish people developed their racist attitudes towards – because they wouldn’t have much contact with black people really at all. The first time I saw a black person was when I went to the States when I was nine. „Oh, black people!“ And I saw them on the tele and I was like „Oh, wow!“ You wouldn’t see a black person on the street, and if you did they might be an international student or they might be a priest, you know, from the missions. So, Irish people wouldn’t have had any interaction with anyone who was black, and they would develop these quite unsophisticated ideas around race and ethnicity from the US and from the UK and from British television. And think „Oh, look what the blacks did to Britain! Look what they did to America.“ J. V.: What they did to America? Sheila: Yeah. That they caused ghettos. J. V.: That the blacks caused ghettos?! Sheila: Yeah. Look at the problems they caused! In New York. Look at the problems they cause in London. I mean, what they are obviously seeing is the ghetto, the famous US ghetto. They’ve seen ghettos in London, they’ve seen Bradford, and they think that this is what these people do. And they think „Oh, this is what happens. Black people they come into areas, and they colonise us, and then they bring down the social level of the area.“ And not understanding the whole processes that happen, that cause ghettoisation, market forces, urbanisation, they couldn’t find anywhere else to live, that they are on welfare payments, or they can’t find a job, it’s not their fault. They don’t understand why these areas really form, and they think it’s because they’re black people, and this is what black people do. So, that’s the kind of ideas that people had, and then when you had the numbers of asylum seekers increasing to Ireland, I mean, hilarious things were happening! So, when I worked in the Refugee Council a guy came in, he was British, and he was black British, he said „Yeah, yeah, I was told by the dole 156

office

in London that I could come here and I could go on the dole before I look for a job.“

Which is something that all EU citizens could do up until very recently. And he said: „They have given this card.“ And it says he was an asylum seeker. And it said Nationality: British. And I said: „Why are you applying for asylum?!“ And he said: „Well, they told I had to apply for asylum in order to get my payment.“ And I said: „Why!?“ He said: „I don’t know!“ And I said: „Do you realize that anyway in the EU we are not supposed to take applications from other EU countries. What did you say?!“ And he said: „I want to go on the dole.“ And I said: „You went to the department of justice and said you want to go on the dole?“ He said:

155 Robbie McVeigh ist einer der wichtigsten (Anti-)Rassismusforscher Irlands, der sich bereits seit geraumer Zeit der Erforschung des irischen Kontextes widmet. Sheila bezieht sich auf seinen Aufsatz „The Specificity of Irish Racism”. McVeigh bezieht sich in dieser Studie zwar auf die Situation in Nordirland, diese Einschätzung trifft man jedoch heute auch häufig in der Republik an. 156 Dole ist die umgangssprachliche Bezeichnung für Sozialamt bzw. Sozialleistung.

170 | UNDOING I RISHNESS „Yeah!“ So, what had happened was, what they were doing – and this happened to any black person that came in: „Oh, you are an asylum seeker!“ Like, a black British person, a black French person, they are making them apply for asylum! And they couldn’t seem to connect. They couldn’t seem to connect that an asylum seeker who is looking for protection under the UN convention, and they could not seem to distinguish between someone who is coming from Britain who is black and wants to go on the dole like any other white British person and who legally can, they couldn’t distinguish it! To them they are all asylum seekers! So, then people started seeing any black person that is coming into the country as asylum seekers because all the media representation was asylum seekers flooding into the country, the usual stuff about disease, they’re bringing TB in.

Diese Geschichte führt sehr deutlich vor Augen, dass die Staatsangehörigkeit, in diesem Fall die britische, nicht vor rassistischer Diskriminierung schützt, wenn das antizipierte körperliche Erscheinungsbild im Auge des rassistischen Betrachters nicht vorhanden ist. New York, London und Bradford, die nordenglische Stadt, die zum Sinnbild einer gescheiterten britischen Integrationspolitik geworden ist, werden von Sheila als Referenzen genannt, die rassistische Vorurteile in Irland nähren. Die Angst vor dem „schwarzen Ghetto“ als Symbol der Gefahr und des sozialen Niedergangs schlug sich auch im politischen Diskurs nieder, der den Anstieg der Asylbewerberzahlen seit Ende der 1990er-Jahre auf hysterische Art und Weise begleitete.157 Die Rolle der Medien, auf die an anderer Stelle einzugehen ist, darf dabei nicht unterschätzt werden, heizte doch die Berichterstattung die politische Atmosphäre maßgeblich an und förderte in der öffentlichen Wahrnehmung eine aggressive Haltung gegenüber fast allen Formen von Einwanderung. Einige Überschriften aus irischen Zeitungen werfen Schlaglichter auf diesen rassistischen Diskurs, der wiederum starken Einfluss auf den Rahmen und die Ausprägung des antirassistischen Diskurses hat: Floodgates Open as a New Army of Poor Floods the Country, Refugee Rip-Off Is Revealed, Refugee Rapist on the Rampage, Crackdown on 2000 Sponger Refugees oder Refugee Tried to Bite me to Death.158 Insbesondere

157 Laut Central Statistics Office Ireland (CSO) wurden 1995 424 Asylanträge gestellt. Vgl. CSO: Statistical Yearbook of Ireland 2002, S. 129. 2002 wurden mit 11 634 die bisher meisten Asylanträge registriert (von denen 893 bewilligt wurden). Zwei Jahre später war diese Zahl um mehr als die Hälfte geschrumpft: 2004 wurden noch 4766 Anträge gestellt. Vgl. CSO: Statistical Yearbook of Ireland 2005, S. 140. Irland nahm bei der Anzahl der gestellten Asylanträge auch im europäischen Vergleich keinen Spitzenplatz ein. 2007 beläuft sich der vorläufige Wert auf 3935 Asylanträge. Vgl. http://epp.eurostat.ec.europa.eu/tgm/ table.do?language=de (01.12.2009) 158 Devereux, Eoin; Breen, Michael: No Racists Here? Public Opinion, Immigrants and the Media, in: Collins, Neil; Cradden, Terry (Hrsg.): Political Issues in Ireland today. Third

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in der irischen Yellow Press wird eine kontinuierliche Kampagne gegen Ausländer geführt. Bei meiner Auswertung der Sunday World stieß ich auf journalistische Perlen wie Gypsies Have Sex in Maternity Hospital159, GOTCHA!160 Romanian Criminals Who Took Refuge in Ireland Are Jailed for Massive Rip-Off161, What a Load of ISTAN-BULL. Irish Brickies’162 Fury Over Turkish Building Invasion163 oder Four out of Every Five Refugees Are Bogus.164 Die in anderen westeuropäischen Ländern von der neuen Rechten und dem neuen Konservatismus ab den 1970er-Jahren initiierten Debatten über eine angebliche Überfremdung bzw. eine „durchrasste“ Gesellschaft wurden in kürzester Zeit in Irland aufgegriffen. Ähnlich wie in Margaret Thatchers berühmt berüchtigter swamping-Rede165 wurde umgehend von irischen Politikern die Gefahr propagiert, dass Irland von Asylbewerbern und anderen Einwanderern „überschwemmt“ werden würde, die Irland ausbluten und auf unlautere Weise vom Wirtschaftsboom, auf den die Iren so lange warten mussten, profitieren wollten. Auch in Irland brach die im Kapitel „There Ain’t No Black in the Union Jack“ beschriebene moral panic aus, die mehr schlecht als recht den irischen Wohlstandschauvinismus unkenntlich machen sollte. John O’Donoghue, Vorgänger von Michael McDowell im Amt des Ministers für Justiz, Gleichstellung und Rechtsreformen (Minister of Law, Equality and Law Reform), erklärte bereits 1999:

edition (Politics Today), Manchester, New York 2004, S. 186. Letztgenannte erschien am 06.02.2000 in der Sunday World. 159 Sunday World, 17.10.2004 160 Geschnappt! 161 Sunday World, 16.05.2004. 162 Maurer bzw. Bauarbeiter. 163 Sunday World, 5.12.03. 164 Sunday World, 23.01.2000. 165 Thatchers Rhetorik aus dem Wahlkampf 1978 gilt als Versuch, die Wählerschaft der rechtsextremen NF für die Tories zu gewinnen. Die Motivation von Politikern der großen irischen Parteien, eine identische Rhetorik zu wählen, muss andernorts gesucht werden, da in Irland keine als rechtsextremistisch definierte Partei im Parlament vertreten ist, deren Wählerschaft man zurück in die „Mitte“ holen müsste. ”Now, that is an awful lot (Einwanderer aus dem New Commonwealth und Pakistan, J. V.) and I think it means that people are really rather afraid that this country might be rather swamped by people with a different culture and, you know, the British character has done so much for democracy, for law and done so much throughout the world that if there is any fear that it might be swamped people are going to react and be rather hostile to those coming in.“ http://www.margaret thatcher.org/speeches/displaydocument.asp?docid=103485 (08.01.2009)

172 | UNDOING I RISHNESS In the early years of this decade and prior to that, our relatively high unemployment rates and low social welfare payments ensured that illegal immigrants invoking the asylum convention targeted the more prosperous countries – even small ones like Denmark and Finland. Let us 166

be clear about it. Our current economic boom is making us a target.

Hier wird nicht nur suggeriert, dass Asylbewerber illegale Immigranten sind, sondern sie werden darüber hinaus als Gefahr für den neuen irischen Wohlstand dargestellt. Tatsächlich sind gravierende Mängel im Umgang mit dem Anstieg der Einwanderungszahlen, die weder unvorhersehbar, noch politisch ungewollt waren, zu beklagen.167 Doch der mangelnde politische Wille zu einer engagierten Integrationspolitik ist zum Teil auf die Tradition zurückzuführen, nach der die politische Führung Irlands der Verantwortungsübernahme für migrationspolitische Fragen von jeher skeptisch gegenübersteht. Die rassistischen Reaktionen auf Einwanderer vor allem nicht-weißer Hautfarbe stehen im Zusammenhang mit der ideologischen Konstruktion, die Produkt des Gaelic Revival ist und Irland als eine homogene Nation katholischer, weißer Kelten entwirft. Wie Balibar betont, geht Rassismus fortwährend aus dem Nationalismus hervor und richtet sich nicht nur nach außen, sondern auch nach innen. Immer wieder hörte ich die Behauptung, dass es vor der Einwanderung Ende der 1990er-Jahre keinen Rassismus in Irland gegeben habe. So grenzte in einem Informationsgespräch, in dem ich mein Thema mit „Rassismus in Irland“ angab, der Bibliothekar in der Nationalbibliothek von Irland meinen Untersuchungszeitraum auf die Jahre nach 1997 ein mit der Begründung: „There was no racism before that time. There wasn’t much to be racist about.“ Diese Einschätzung illustriert, wie weit eine ideologische Konstruktion – nämlich, dass es vor der Ankunft einer substanziellen Zahl von Einwanderern in Irland kein Rassismusproblem gegeben habe – Eingang in das Alltagsverständnis gefunden hat. Erst mit der Ankunft von Einwanderern sei Rassismus aufgetaucht, die Einwanderer haben ihn mitgebracht und ihre Entfernung aus Irland würde auch den Rassismus beenden. Diese in den Medien und Politik verbreitete Vorstellung, dass Rassismus ein neues Phänomen in der irischen Gesellschaft sei, ist bereits eine Manifestation von Rassismus. Ihr entgegenzutreten und die rassistischen Traditionen und Ideologien in Irland aufzudecken, sind wichtige Bestandteile des antirassistischen Kampfes. Der Darstellung des Rassismus als neues Phänomen ist aus mehreren Gründen zu widersprechen: Zum einen existiert in Irland als europäischer Nation eine lange

166 Address to the Irish Business and Employers Confederation, 30. September 1999, zitiert nach: Fanning: Racism and Social Change, S. 25. 167 Der irische Staat warb weltweit dringend benötigte Arbeitskräfte für den irischen Wirtschaftsboom an.

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Geschichte rassistischer Ideologien. So existiert ein Antisemitismus katholischer Prägung, der sich 1904 im Pogrom von Limerick entlud.168 Traveller werden seit Generationen gesellschaftlich stigmatisiert und innerhalb rassistischer Diskurse als minderwertig klassifiziert.169 Fintan O’Toole fragte in der Irish Times: „Ireland was vociferous in condemning Apartheid in South Africa, but what more appropriate description is there for our treatment of travellers?“170 Zum anderen ist die irische Gesellschaft wesentlich weniger homogen gewesen, als meist im Rahmen nationalistischer Debatten vermutet oder behauptet wird. Trotzdem wird häufig ein ahistorisches Konzept von Xenophobie propagiert, nach dem die insulare Lage eine Unerfahrenheit mit dem Fremden bedingen würde. Fremdenfeindlichkeit (statt Rassismus) wird als eine quasi natürliche und damit auch legitime Reaktion eines „Inselvolks“ erklärt.171 Doch Irland war nicht immer die abgelegene, einsame Insel, unberührt von Außeneinflüssen, sondern vielmehr Teil einer maritimen Handelskultur. Schon immer hat es Einwanderungen nach Irland gegeben und zwar nicht nur solche, die wie die Einwanderung der Wikinger heute gefeierter Bestandteil des kollektiven Erinnerns im Rahmen von Ausstellungen im irischen Nationalmuseum sind und als ein integraler Bestandteil irischgälischer Kultur präsentiert werden.172 Wie ungemein politisch jedoch die irische Bewertung davon ist, wer von den Eroberern oder Einwanderern einen vitalen Beitrag zur heutigen irischen Kultur geleistet hat, wird daran deutlich, dass kein irischer Museumsdirektor oder Politiker öffentlich positive Folgen durch britische Einflüsse in Irland behaupten kann.

168 Keogh, Dermot: Jews in Twentieth-Century Ireland. Refugees, Anti-Semitism and the Holocaust, Cork 1998, S. 26–53. 169 MacLaughlin, Jim: Travellers and Ireland. Whose Country, Whose History?, Cork 1995; MacLaughlin, Jim: Nation-Building, Social Closure and Anti-Traveller Racism in Ireland, in: Sociology 33 (1999), Nr. 1, S. 129-151. Die Traveller sind eine irische Besonderheit. Es handelt sich um eine indigene nicht-sesshafte marginalisierte Bevölkerungsgruppe, die zwar zuweilen auch als Gypsies (Zigeuner) bezeichnet wird, jedoch nicht den Sinti oder Roma angehört. 170 Fintan O’Toole, Irish Times, 23.12.1994. 171 Fanning: Racism and Social Change, S. 18–19. 172 Während meines Praktikums am irischen Nationalmuseum 1998/1999 hatte ich die Gelegenheit, die Vorbereitung der Ausstellung Viking Ireland mitzuerleben, die heute als Dauerausstellung über das „Wikinger- Zeitalter“ aufklärt. Großer Beliebtheit erfreut sich der Viking Splash, ein Anbieter von Stadttouren, der interessierte Teilnehmer mit als Wikinger verkleideten Reiseführern auf Amphibienfahrzeugen aus dem Zweiten Weltkrieg durch Dublin brausen lässt.

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Auch im 20. Jahrhundert gab es durchaus, wenn auch zahlenmäßig kleinere Einwanderungsbewegungen. So erfährt die Existenz einer vietnamesischen Community bzw. einer gewachsenen vietnamesisch-irischen Identität in jüngster Zeit erste Anerkennung und wird in ihrer Bedeutung für den Einwanderungsdiskurs diskutiert.173 Regelmäßig traf ich in Irland Menschen, die über das verfügen, was gemeinhin als Migrationshintergrund bezeichnet wird, weil ein oder mehrere Elternbzw. Großelternteile nicht irisch sind. Ich habe schwarze Iren kennengelernt, und Phil Lynott, der irische Rockstar und Frontmann von Thin Lizzy, war ebenfalls nicht weiß. In meine Feldforschungszeit 2005 fiel die feierliche Enthüllung einer Phil Lynott-Statue mit E-Gitarre und Afro in der Dubliner Innenstadt. Ob sie dazu beitragen kann, das ideologische Konstrukt zu durchbrechen, dass Schwarze eine Neuerscheinung sind, an die sich „Iren erst gewöhnen müssen“, bleibt offen. Über allem steht die Gewissheit, dass Rassismus auch ohne die Existenz von „Rassen“ oder Anwesenheit von ethnischen Minderheiten existiert, denn es können immer wieder Bevölkerungsgruppen zu Außenseitern konstruiert werden. Dies zeigt auch der Antisemitismus in Irland, der ohne eine signifikante Präsenz von Juden auskommt. Oder, um mit Balibar und Wallerstein zu sprechen, die Flexibilität des Rassismus führt dazu, dass in der hierarchisierten Ordnung unserer Gesellschaft fast jeder zum Objekt rassistischer Diskriminierung werden kann.

V OM „ARMENHAUS E UROPAS “ ZUM „K ELTISCHEN T IGER “: V ERSUCHE EINER N EUBESTIMMUNG VON I RISHNESS Mit dem Wirtschaftsboom der 1990er-Jahre, in dem sich Irland vom „Armenhaus Europas“ zum „Keltischen Tiger“ wandelte, stellten sich nicht nur ökonomische Veränderungsprozesse ein. Durch Irlands Einbindung in die Europäische Union wurden sozioökonomische Prozesse in Gang gesetzt, die die Modernisierung der irischen Gesellschaft vorantrieben, sie aber gleichzeitig in ihren Grundfesten erschütterte. The Celtic Tiger obviously presents enormous challenges to Irish society. It is a phrase which captures an important moment in history, in which economic, social and cultural structures are undergoing profound transformation. This period of major transformation has naturally

173 Maguire, Mark: Differently Irish. A Cultural History Exploring 25 Years of VietnameseIrish Identity, Dublin 2004. 1979 nahm die Republik Irland im Rahmen eines Flüchtlingsprogramms vietnamesische „Boat People“ auf.

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and rightfully provoked much discussion of the impact of the change on values, culture and 174

psychological patterns.

Die tiefgreifenden Veränderungen in Irland sind nicht Folge eines automatisch und reibungslos ablaufenden Säkularisierungs- oder Liberalisierungsprozesses. Der plötzliche Wohlstand stellt eine auf den ersten Blick offensichtliche Manifestation des „neuen Irlands“ dar. Deswegen möchte ich die wirtschaftliche Dimension skizzieren, nicht zuletzt, da nicht nur die gesellschaftlichen, kulturellen und politischen, sondern auch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen von Bedeutung für die Möglichkeiten und Beschränkungen antirassistischer Politik sind.175 Das Irland meiner Kindheit war ein Land mit kaputten Straßen, abenteuerlichen Automobilen der prä-NCT-Ära176 und sanierungsbedürftigen Gebissen. Irland war ein Land, in dem meine rothaarige Freundin dazu gezwungen wurde, eine lilaorangene Schuluniform zu tragen. In Irland gab es Würstchen, Eier und Speck zum Frühstück und Ingwerplätzchen zum Tee. Die idyllische Stadt in den Wicklow Mountains, in denen die Freunde meiner Eltern, bei denen wir Urlaub machten, wohnen, war ein verschlafenes, kleines Nest, in dem nachmittags die Bürgersteige hochgeklappt wurden. Irland war ein Land von fleißigen Kirchgängern, in dem Badezimmerböden mit Teppich ausgelegt wurden. Dublin war eine überschaubare und ruhige Hauptstadt, die breite O’Connell Street lud zum Entlangschlendern ein, auf der beschaulichen Grafton Street bettelten Kinder mit Pappbechern und in Bewley’s Café bekam man Scones mit Butter und Marmelade. In irischen Supermärkten konnte man kein Olivenöl kaufen, das gab es nur in der Apotheke in kleinen Ampullen als Heilmittel gegen Ohrenschmerzen. Ohne jemals einer nostalgischen Vorstellung des „romantischen Irlands“ erlegen zu sein, war ich bei meinen Besuchen auf der Insel seit Ende der 1990er-Jahre immer wieder erstaunt über das Ausmaß der Veränderungen. Jeder hat ein Mobiltelefon, in der Dubliner Innenstadt drängen sich so viele Menschen, dass man, aus der Weite Berlins kommend, Anfälle von sozialem Dichtestress erleidet. Der Verkehr bricht mindestens zweimal am Tag zusammen, die Straßen sind verstopft mit SUVs177 und Autos, deren Nummernschilder verraten, wie neu sie sind. Aus der

174 Moane, Geraldine: Colonialism and the Celtic Tiger. Legacies of History and the Quest for Vision, in: Kirby, Peadar; Gibbons, Luke; Cronin, Michael (Hrsg.): Reinventing Ireland. Culture, Society and the Global Economy, London 2002, S. 109. 175 Die Bedeutung des ökonomischen Kontextes für Antirassismus unterstreicht auch Cathie Lloyd. Vgl. Lloyd: Discourses of Antiracism in France, S. 232. 176 Der National Car Test (NCT), die irische Variante des TÜV, wurde erst 2000 als Folge einer EU-Direktive eingeführt. 177 Sport Utility Vehicles (SUV).

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Grafton Street ist eine Shoppingmeile geworden, auf der sich Kaufwillige dicht an dicht aneinander vorbeischieben. Dank ALDI und LIDL hat sich die Olivenölversorgung drastisch verbessert, was den kulinarisch weltoffenen, der internationalen Küche gewogenen Iren erfreut. Aus dem Städtchen Gorey ist ein expandierender Vorort des 80 Kilometer weiter nördlich gelegenen Dublins geworden, in das jeden Morgen eine Welle von Pendlern aufbricht, die sich keinen Wohnraum in der Hauptstadt leisten können. Alle reden über die ins Astronomische steigenden Immobilienpreise, viele reden über den gesteigerten Wert von Äußerlichkeiten und einige reden über die zunehmende Bereitschaft, einen konsumorientierten Lebensstil mithilfe von abenteuerlichen Krediten zu finanzieren. Die Republik Irland, die allzu oft als „Dritte-Welt-Land“ bezeichnet wurde, ist innerhalb weniger Jahre zum neoliberalen Vorzeigeland der EU geworden. Dies bedeutet jedoch auch, dass die Republik Irland als „most globalised country on earth“178 mit neuen Herausforderungen wie stärkerer Einwanderung, einem deregulierten Arbeitsmarkt und einer zunehmenden Polarisierung der Gesellschaft umgehen muss. Dabei kann der gehobene Lebensstandard breiterer Bevölkerungsschichten nicht darüber hinwegtäuschen, dass der „Keltische Tiger“ zahlreiche Opfer fordert.179 Eines der bedeutsamsten Phänomene des irischen Transformationsprozesses ist die Umkehrung des traditionellen irischen Migrationstrends. Irland wurde vom „emigrant nursery“180 zu einem Land mit substanzieller Einwanderung. Die Tragweite dieses sichtbaren Aspekts des sozialen Wandels in Irland kann, wie ich in den Kapiteln „Emigration als irische Tradition“ und „Irland als Einwanderungsland: Von der Solidarisierung zur Diskriminierung“ ausführe, nur vor dem Hintergrund richtig bemessen werden, dass Emigration bis vor wenigen Jahren als „single biggest fact in the history of the Irish State“181 galt. Zum ersten Mal in ihrer Geschichte erlebt die Republik Irland einen substanziellen Anstieg von Immigration und sieht

178 O’Toole, Fintan: After the Ball, Dublin 2003, S. 4. 179 Neben Fintan O’Toole setzten sich zahlreiche Autoren kritisch mit der Verteilung des neu gewonnenen Wohlstands in der irischen Gesellschaft auseinander. Vgl. Kirby, Peadar: The Celtic Tiger in Distress: Growth with Inequality in Ireland, London 2002; Allen: The Celtic Tiger; Cronin, Michael: Speed Limits: Ireland, Globalisation and the War Against Time, in: Kirby, Peadar; Gibbons, Luke; Cronin, Michael (Hrsg.): Reinventing Ireland. Culture, Society and the Global Economy, London 2002, S. 54–66. Auf Platz 1 der irischen Bestsellerliste schaffte es allerdings „The Pope’s Children“, in dem Irlands neue Gesellschaft als „more equal than ever“ bezeichnet wird. McWilliams, David: The Pope’s Children. Ireland’s New Elite, Dublin 2006, S. 22. 180 MacLaughlin, Jim: Ireland. The Emigrant Nursery and the World Economy (Undercurrents), Cork 1994. 181 O’Toole, Fintan: The Lie of the Land. Irish Identities, London 1999, S. XIV.

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sich nun mit den Schwierigkeiten der Schaffung und Umsetzung einer Immigrations- und Integrationspolitik konfrontiert. Damit stellt Irland gewiss keine europäische Ausnahme dar, doch es gibt eine verhältnismäßig starke staatliche Tendenz, sich auf Selbsthilfe- und Freiwilligenorganisationen bei der Betreuung von Migranten zu verlassen. Die Einwanderung wurde von vielen als Symbol aufbrechender Isolation und Öffnung Irlands gegenüber der Welt mit echter Begeisterung begrüßt. Inzwischen macht sich jedoch eine gewisse Katerstimmung breit, und die Anwesenheit von Einwanderern wird mit einem gewissen Missfallen quittiert. Insbesondere für die Verlierer des Wirtschaftsbooms, wie Langzeitarbeitslose und Menschen in prekären Beschäftigungsverhältnissen, gelten sie als Konkurrenten im Kampf um knapper werdende Ressourcen. Hier geht es um die Verteidigung und Beanspruchung von urbanem Lebensraum, Sozialleistungen, Wohnraum, Arbeitsplätzen und medizinischer Versorgung. Garner unterstreicht, dass die Polarisierung der irischen Gesellschaft und die wachsenden Einkommensunterschiede mit einem „de facto denial of access to full and active citizenship“182 einhergehen. Die ökonomische Depravierung trägt dazu bei, dass die Ängste in Bezug auf Arbeitsplätze, Arbeitslosenhilfe, Wohngeld etc. in einen Zusammenhang mit dem rapiden sozialen Wandel gebracht werden, für den die neue Einwanderung Symbol geworden ist. Die Einwanderer werden zu „racialised Others“ oder „criminal Others“183 konstruiert, die mit allen negativen Begleiterscheinungen des sozialen Wandels identifiziert werden. Sie werden als Nutznießer beschränkter Ressourcen gebrandmarkt und kriminalisiert sowie als Konkurrenten im Kampf ums Überleben empfunden. Kaitlyn, die ich während meiner Forschung zur irischen Remigration 2002 kennenlernte, schilderte mir eindrücklich ihre angespannte Lebenssituation und ihren Unmut über die Anwesenheit von Immigranten in ihrer alten Heimat. Dabei gilt ihr Zorn nicht ausschließlich den Einwanderern, sondern auch den politischen Entscheidungsträgern. Everything is just really messed up. The hospitals, everything. It’s gone to the hell. I mean, it’s just like a lot of foreigners. There’s hardly any Irish in Dublin. When you look around, there isn’t. It’s hardly any. And they get more help than we do. [...]There’s nothing here. There’s nothing here. I had to come back. I come back and they wouldn’t put me back into the family home, the corporation. So, therefore, I had to get a landlord’s flat. And I paid 174 Euro a week. And I get 143. So, I got no help whatsoever with the rest. I had to borrow. But yet, everybody else that is coming into the country from a different country they get help for everything. I got help for nothing. They don’t help their own. They don’t. Definitely don’t help. So, I had to leave my flat and move into my mother’s. And they all have big flats. Peo-

182 Garner: Racism in the Irish Experience, S. 227. 183 Ebd., S. 227.

178 | UNDOING I RISHNESS ple that just come immigrating from other countries here. They’ve all got help for everything. Everything! And, no, I can’t get help for nothing! So, I live in a one room with my mother. You get no help at all. [...] If you want to get a flat from the corporation you have no chance. But how come that I have to be in a situation where I’m in a one room with my mum? Where you got immigrateds coming over and the corporation is housing them just like that. I’m in a one room with my mum! And that’s it. It’s harder for Irish people to get accommodated and help when they come back. Or not so much even when they come back from emigrating, from being abroad but people that always lived here. It’s getting harder for people to get financially helped. Where it’s easier for people that’s emigrating from other countries to get help. I mean, I come back from another country but I didn’t get help. And I’m Irish! So, that’s that. [...] It’s worse now than when I went away. It’s just so very hard now. It’s even harder now to get jobs. It’s harder now cause people who immigrate is working for less money than...You know the way they have…It’s the government saying the working pay should be no less than 7 Euro. But you are getting people who immigrate here and they are working for less. So, people is going to employ them rather than have to stick to the government standard of paying 7 Euro an hour, or whatever. I mean, there’s not many people that can live on what half of them is getting paid. They will work for nothing, basically, in order to keep a job. [...] It’s crap. It is! It’s crap. Cause everything has changed. Everything has changed. I mean, everything changes but the whole people thing and everything, it all just changed. It will never be the same as what it was when I went away. Where you’d have more...You had more of a community. There isn’t any community anywhere now. Like everybody is fighting... this... international person or immigrated person. And everyone is just fighting now. The bitchiness. That’s all it is now. It’s worse. [...] All the old buildings are being knocked down to make apartments. And everywhere you look now it’s apartments, apartments, apartments. One of the really oldest pubs like was pulled down so they could make apartments. And it’s just all apartments everywhere. And all immigrants living in them. It’s like everything has just changed completely. I suppose everywhere has to change but it just changed too quickly. Too much and too quickly. Just to make...just so they can...all the immigrants can be housed. [...] There’s a lot more tension now. And there is a lot of bitterness between the Irish and all the immigrants. Because it seems that all the immigrants are getting help. And they are getting more help than the Irish themselves are getting help. That’s where a lot of the bitterness is coming from. And they seem to be having all the jobs. And, well, you’ve got somebody that’s been like financially, like, rock bottom. Whereas they come over and open shops everywhere. That’s why people is really, really bitter. Very bitter. That’s why there’s so much friction. There’s hardly any Irish. It’s like: „Spot the Irish!“ [...] I wonder will they get fed up and go home.

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Deutlich geht aus Kaitlyns Erzählungen hervor, dass sie sich als Irin im eigenen Land missachtet und diskriminiert sieht. Ihr Hauptvorwurf besteht darin, dass nicht ihr staatliche Unterstützung gewährt werde, sondern ausländischen Immigranten.184 Als ich Kaitlyn danach fragte, ob denn in Irland kein Bewusstsein dafür herrschen würde, dass Hunderttausende von Iren auswanderten, um in anderen Ländern ein Auskommen und ein besseres Leben zu finden, und nun erstmalig eine größere Anzahl von Einwanderern mit dem identischen Anliegen in Irland ankommt, antwortete sie mir: K: Well, people don’t thinking like that. Do you know what I mean? It’s not that, it’s because they’re getting better helped. The Irish people are helped less than the immigrants when they come here. That’s what the row is about. It’s not nothing go to do with...mh...like: „Oh, what you’re letting them in for?“ Do you know what I mean? Like: „They should just be only Irish.“ But no! It’s because the Irish people are getting helped less than the immigrants that come into the country. Do you know what I mean? It’s like: You want everyone to be treated equally. [...] It’s because they’re helped and they’re helped more by the government than the Irish people. J. V.: You mean they get more money for housing....? K: Look at me! I’m Irish and I live in one room with my mother! They all have houses. Everywhere! That’s what...That’s why people are so pissed off. J. V.: And if this wouldn’t be the case, if the Irish government would treat everyone.... K: ...the same. Yeah. I suppose ‘cause we…I mean we’re not stopped going to other countries so why should they be stopped coming here? Do you know what I mean? But if everybody was treated the same there wouldn’t be a problem. We’re not treated the same in our own country as immigrants. We’re not. Definitely not. No. That’s why all this row and fighting is going on. J. V.: Hm. And I wonder – you know – everyone is talking about the Celtic Tiger. What do you think of the Celtic Tiger? K: Aw, it doesn’t...I never even asked what it was. I’ve not interest in it. I mean, everyone is going on about this Celtic Tiger or whatever. I never even said: „Well, what’s that?“ Bah. Never even said it. Because I’ve not interest. What happens happens and that´s it. There´s

184 Die Annahme, dass es Remigranten leichtfallen müsse, sich zu integrieren ist häufig anzutreffen. Ella bemerkt: „And, yes, because of the economic boom in the 90s we’ve had a lot of returned emigrants. So, because of the actual relationship in the sense that our relations, children, grandchildren or cousins, there’s a certain welcome for these people, and also white-skinned English speaking immigrants definitely get more of a welcome and integrate easier.“ Weißsein und die Beherrschung der englischen Sprache sind sicherlich von Vorteil, jedoch kein Garant für soziale Integration bei fehlender beruflicher Qualifikation und sozialer Marginalisierung.

180 | UNDOING I RISHNESS nothing you can do about it. They’re not gonna listen to you now they’re not gonna listen to you at all. J. V.: It’s not happening to you? K: No. J. V.: So, the Celtic Tiger didn’t do anything for you? K: No. You wake up.....I should never come back here. Never. Never. I think I should go back to England because there’s no point in staying here. There’s nothing here. It’s just...It’s not your own country anymore. It’s anybody’s country! It is tough! Every nationality is here. So, you can’t say: „Aw, this lovely Irish people you see.“ Black man with a Dublin accent!? That’s like... Do you know what I mean?! Or a Chinese with a Dublin accent!? It’s not your own country! I tell you, I can see war. Eventually. In this country. Between them. Definitely. J. V.: War between…? K: All the immigrants and the Irish. Eventually. If things keep happening the way they do there could definitely be a war. I can see it. I mean, it’s better for Northern Ireland and England. You wouldn’t see them emigrating to Northern Ireland. You wouldn’t have, would you! You wouldn’t see any of the immigrants emigrating to Northern Ireland. I wanna see how long they last. J. V.: And do you think that it’s due to the Celtic Tiger that the immigrants... K: Everything. Yeah. Because that president, she let them all in, didn’t she. J. V.: Who? K: What’s her name? That president! J. V.: Mary McAleese? K: No, not McAleese. Mary Robinson. There’s Mary Robinson, then there’s Mary McAleese...They let them into the country. That’s what’s sad: all them coming into the country.

Das Bild des Einwanderers als Konkurrent wurde von Politikern und Medien seit der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre entworfen und seither fortlaufend reproduziert. Dabei wurden zur Mitte des Jahrzehnts noch ganz andere Töne insbesondere von Politikern angeschlagen, die an die Geschichte der eigenen Diskriminierung und Emigration erinnerten. Obwohl 1995 Irland die zweithöchste Arbeitslosenrate der EU hatte, war vorerst die historische Erinnerung an die irische Emigration stark genug, um der geringen Zahl von Flüchtlingen wohlwollend zu begegnen. Während einer Debatte im Dáil Éireann über die Einführung des Refugee Act 1995 ließ derselbe Fianna Fáil-Politiker, der nur vier Jahre später den neuen irischen Wohlstand vor anbrandenden „illegalen Einwanderern“ schützen wollte, verlauten: While the remainder of Europe embraces a multi-cultural ethos without great difficulty and while some people might be uncomfortable with it, it must be said that Ireland has remained in the Middle Ages with regard to the granting of asylum and the declaration of refugee status to people exiled from their countries of origin out of fear of persecution or discrimination of one form or another. [...] The status of refugees is an issue which should strike a chord with

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every man, woman and child here who has any grasp of Irish history, our history books being littered with the names and deeds of those driven from our country out of fear of persecution. However, the downfall of history, all too often, is its relegation to the footnotes of modern times so that what appears to be a right of ourselves and our forebears is regarded as a luxury others scarcely deserve.

Seine Parlamentskollegin von den Progressive Democrats, Liz O’Donnell, stellte fest: It is particularly significant that we are putting these procedures in place this year when we commemorate the 150th anniversary of the Great Famine, which caused many generations of people to flee Ireland because of economic and political conditions. In the 50 years that followed the Great Famine, nearly 4 million men, women and children left our shores. Sadly this drain has continued ever since. Its effect is felt daily in the lives of Irish people. Generations of people are leaving our shores to make a better life, economically and politically, in new countries. For generations our people have sought refuge in other countries from political and economic conditions which to them were intolerable. It is a supreme irony that our country, by its laws, for many years denied people seeking asylum in Ireland that sanctuary and welcome which we have so vocally demanded for our own people.

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Diese Äußerungen lassen auf eine historisch-moralische Verpflichtung schließen, die aus der nationalen Erinnerung Irlands an Hungersnot, Verfolgung und Auswanderung entspringt. Die von O’Donnell angesprochenen 150-Jahr-Feierlichkeiten zur Erinnerung an die Große Hungersnot bewirkten eine kritische Auseinandersetzung mit dem postkolonialen irischen Selbstverständnis. Nun wurden Stimmen laut, die dazu aufforderten, dass Irland selbstbewusster und reflektierter mit der eigenen Geschichte umgehen solle. Fintan O’Toole, einer der bekanntesten irischen Journalisten, wies in der Irish Times auf diesen überfälligen Paradigmenwechsel hin. In recent years the notion of Ireland as a Third World country has had a certain degree of intellectual currency…but it is difficult to do this and even more difficult to wallow in postcolonial self-pity, when the ex-colony is wealthier than the old mother country.

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185 Beide Zitate aus: Dáil Éireann, Band 457, 19.10.1995. 186 Fintan O’Toole: In the Land of the Emerald Tiger, Irish Times, 28.12.1996, zitiert nach: Gibbons, Luke: The Global Cure? History, Therapy and the Celtic Tiger, in: Kirby, Peadar; Gibbons, Luke; Cronin, Michael (Hrsg.): Reinventing Ireland. Culture, Society and the Global Economy, London 2002, S. 90.

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Das postkoloniale Konzept nationaler Identität, das sich in Abgrenzung zu allem Britischen herausbildete, wurde von einer identitären Umorientierung abgelöst. Irland entdeckte endlich seine „Diaspora“ – ein Begriff, der seither den öffentlichen Diskurs prägt. Insbesondere die Präsidentin Mary Robinson (1990–1997) setzte sich für ein breiteres Verständnis von Irishness ein. In ihrer Amtszeit wurde ein Licht in das Fenster der Áras an Uachtaráin, der Präsidialresidenz, gestellt, welches als positives Symbol der Verbundenheit Irlands mit den irischen Emigranten und ihren Nachfahren weltweit wirken sollte. Das Wort Diaspora signalisierte die neue Bereitschaft, in Dialog mit den weltweiten irischen Communities zu treten, denen die irische Präsidentin Mary Robinson zahlreiche Besuche abstattete, um für ein weniger territoriales Verständnis von Irishness zu werben.187 Allerdings sei erwähnt, dass eine „Entdeckung“ und Wertschätzung der irischen Diaspora eine längst überfällige Politik darstellte, denn der Groll auf das eigene Land bzw. die eigene politische Führung ist bei irischen Auswanderern wie irischen Remigranten (s. o.) nicht selten anzutreffen.188 In einem Leserbrief in der Irish Times meldet sich der Sprecher einer irischen Emigrantenorganisation aus den USA zu Wort: Emigrants love their country and carry their goodwill for Ireland to every corner of the globe. This government has the opportunity to respond to that goodwill, and forge a real connection with them. It should do so now, before still another generation is lost to Ireland. It should extend them a real vote, rather than merely throwing them a Seanad sop

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in the hope they will 190

do as all good Irish emigrants are supposed to, which is to go quietly, and say nothing.

187 Das territoriale Konzept irischer Identität wird zuweilen als Erbe des Kolonialismus verstanden. Ella erklärt diesen Zusammenhang: „Again, it’s being post-colonial because there was such fight for the land, because our land was taken away from us. So land is very important here, and owning land and owning houses. And you’ve also had the dual citizenship thing to do with emigration because we had decades and generations of emigration. So wanting to hold on to the generation that’s gone to America, gone to Australia and so it seems to be much easier for people to get Irish citizenship based on your parents or your grandparents and so on.“ 188 Zur Unzufriedenheit, Angst und Verletzung von irischen Emigranten bzw. ehemaligen Emigranten und ihrer Haltung gegenüber der eigenen Regierung vgl. Verse: Remigration in Irland, 2003. 189 Seanad Éireann, Senat von Irland. Seanad sop meint hier so viel wie senatliche Beruhigungspille. 190 Andrew Doyle, Campaign Coordinator, Irish Emigrant Vote Campaign, New York, NY, USA. Irish Times, 9.02.1995. Irische Staatsbürger, die im Ausland leben, verlieren ihr Wahlrecht in Irland und dürfen nicht an Referenden teilnehmen. Dies ist Hauptkritikpunkt vieler irischer Auswanderer an der politischen Führung. Trotz der neuen Rhetorik der Wür-

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Einen wichtigen Meilenstein in diesem Prozess der Anerkennung der irischen Auswanderercommunitys weltweit und der Neubestimmung von Irishness bildet die Rede „Cherishing the Irish Diaspora“ der Präsidentin vom 2. Februar 1995. The more I know of these stories (von irischen Communitys weltweit, J. V.) the more it seems to me an added richness of our heritage that Irishness is not simply territorial. In fact, Irishness as a concept seems to me at its strongest when it reaches out to everyone on this island and shows itself capable of honouring and listening to those whose sense of identity, and whose cultural values, may be more British than Irish. It can be strengthened again if we turn with open minds and hearts to the array of people outside Ireland for whom this island is a place of origin. After all, emigration is not just a chronicle of sorrow and regret. It is also a powerful story of contribution and adaptation. In fact, I have become more convinced each year that this great narrative of dispossession and belonging, which so often had its origins in sorrow and leave-taking, has become, with a certain amount of historic irony, one of the treasures of our society. If that is so then our relation with the diaspora beyond our shores is one which can instruct our society in the values of diversity, tolerance and fair-mindedness. [...] We cannot have it both ways. We cannot want a complex present and still yearn for a simple past. I was very aware of that when I visited the refugee camps in Somalia and more recently in Tanzania and Zaire. The thousands of men, women and children who came to those camps were, as the Irish of the 1840s were, defenceless in the face of catastrophe. Knowing our own history, I saw the tragedy of their hunger as a human disaster. We, of all people, know it is vital that it be carefully analysed so that their children and their children's children be spared that ordeal. We realise that while a great part of our immediate concern for this situation, as Irish men and women who have a past which includes famine, must be at practical levels of help, another part of it must consist of a humanitarian perspective which 191

springs directly from our self-knowledge as a people.

Viele sind der Ansicht, dass Mary Robinson, eine als progressiv geltende, auf dem internationalen Parkett bekannte Rechtsanwältin, als erste Frau im vormals konservativen irischen Präsidialamt, dieses stark liberalisiert habe. Sie knüpfte politische und kulturelle Bündnisse mit anderen Ländern und Kulturen, verglich die Große

digung der Leistung von irischen Auswanderergenerationen für Irland haben im Ausland lebende Iren nach wie vor kein Wahlrecht in Irland. So fragt ein weiterer Leserbriefschreiber: „I am curious as to why the United States actively encourage its citizens abroad to vote, while Ireland automatically disfranchises emigrants. Could it be that emigrants are living reminders of Ireland’s continuing inability to provide for her own, and that those who remain would prefer not to face this unpleasant reality?“ Irish Times, 11.02.1995. 191 http://www.oireachtas.ie/viewdoc.asp?fn=/documents/addresses/2Feb1995.htm 2009)

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Hungersnot mit den Hungersnöten unserer Zeit und versuchte eine Brücke zwischen Entwicklungsländern und Industriestaaten zu bauen. Ihr neues Verständnis von Irishness schlug sich nicht nur in der Würdigung der irischen Diaspora nieder, sondern ebenso in ihrer Zuwendung zu den sogenannten „new Irish“ – also jenen Einwanderern, Flüchtlingen und Asylbewerbern, die nun in wachsender Zahl nach Irland kamen.192 Mary Robinsons Nachfolgerin im Amt der Präsidentin Mary McAleese setzte diese Politik einer Neubestimmung von Irishness fort. Anfang 2008 stellte sie fest: „Irland ist jetzt ein Einwanderungsland. Und wir sind binnen weniger Jahre zu einer wahrhaft multikulturellen Gesellschaft geworden.“193 Wie sieht nun aber das Leben in diesem „multikulturellen“ Irland aus? Auch wenn Verbesserungen der Integrationspolitik seit den frühen 1990er-Jahren festzustellen sind, sind die Reaktionen auf Einwanderer, sei es auf politischer oder gesellschaftlicher Ebene, von Ressentiments bestimmt, es sei denn, die betreffenden Einwanderer sind weiß und reich. Anderen Einwanderergruppen, vor allem denjenigen, die nicht-weiß sind, als economic migrant („Wirtschaftsflüchtling“) oder „unproduktiv“ gelten, schlägt sowohl auf behördlicher Ebene als auch im Alltag Rassismus entgegen. In einer Gesellschaft, in der Produktivität an Erwerbsarbeit gemessen wird, gilt dieser Vorwurf in erster Linie Asylbewerbern. Vor allem die unge-

192 Mac Éinrí, Piaras: Introduction, in: Bielenberg, Andy (Hrsg.): The Irish Diaspora, Dublin 2000, S. 4. Die neuen Herausforderungen im Zuge der Umkehr des traditionellen irischen Migrationstrends, mit denen nicht immer erfolgreich umgegangen wird, sind auch zum Gegenstand der wissenschaftlichen Forschung in Irland geworden. Die Vertreter der Irish Migration Studies, wie Mac Éinrí oder Breda Gray, haben sich zum Ziel gesetzt, das historische Verständnis für die Schwierigkeiten und Komplexität der irischen Migrationserfahrung zu fördern, um in der Gegenwart eine tolerante und menschliche Haltung gegenüber den sogenannten new Irish zu stärken. Dieses Anliegen wurde jedoch nicht von der irischen Wissenschaftspolitik unterstützt. 2004 wurde das Irish Centre for Migration Studies an der Universität Cork abgewickelt und besteht fortan nur noch virtuell. http://migration.ucc.ie/ (01.12.2009) Eine Interviewpartnerin, mit der ich mich darüber unterhielt, kommentierte die Schließung dieses wichtigen Forschungszentrum wie folgt: „Well, they closed down the centre for migration studies. Last year. Because the university wasn’t supportive of his kind of social science, research, small centres – and they wanted to get rid of them. It’s gone now! What’s happening is universities are being rationalised. And what they are doing is getting rid of all small migration centres, emerging schools…It’s a market ideology. Market ideology pervading the education system and university and Ireland… this right wing market ideology pervades everything. So, this is what the department of education is promoting. So, it’s gone! It’s gone. And it’s a very powerful statement of where they see migration studies in Ireland.” 193 Mary McAleese, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.02.2008.

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wollten Einwanderer werden im heutigen Irland mit denselben Übeln assoziiert wie die irischen Einwanderer in der Vergangenheit, z. B. mit Kriminalität, insbesondere Sozialbetrug, sowie die Einschleppung von Krankheiten und moralischem Verfall. Während des Wahlkampfes im Vorfeld der general election 1997 kippte das vormals wohlwollende politische Klima. In den Medien erschienen zunehmend Berichte über Einwanderer, die über das Internet Informationen über die Ausbeutbarkeit des irischen Sozialsystems verbreiteten und die berühmte irische Freigiebigkeit und Gastfreundschaft ausnutzten. Viele Politiker entdeckten, dass sich Flüchtlinge hervorragend als Sündenböcke eignen, deren vorgebliche Devianz von den Schattenseiten des „Keltischen Tigers“ ablenkt. Die Wohnraumknappheit oder die langen Wartezeiten in Krankenhäusern waren so nicht mehr auf politisches Versagen zurückzuführen, sondern auf die Einwanderer, die den Einheimischen die Ressourcen streitig machen. Wie die Lage im heutigen Irland zeigt, sind politische Debatten oder Auseinandersetzungen, die in Situationen stattfinden, in denen ein Staat potenzielle Einwanderergruppen als geeignet definiert oder über Einwanderungsbeschränkungen oder die Abschiebung bestimmter Einwanderergruppen debattiert, von besonderem Interesse für die Rassismusanalyse. All dies sind Situationen, in denen ein Staat Zugehörigkeitskriterien definiert und die Eigenschaften festschreibt, die Vorraussetzung sind, um Teilhabe an der imagined community der Nation zu erhalten.194 „[...] the process of racialisation is used to mark the boundary of the Nation, to define who We are by reference to a racialised Other which may have either an internal or an external origin.“195 Dieser Prozess ist in einem engen Zusammenhang mit der im dritten Kapitel beschriebenen gewachsenen Bedeutung von Staatsbürgerschaft zu sehen. Der citizenship-Diskurs spielt für den antirassistischen Diskurs eine zunehmend gewichtige Rolle, in dem es um die Überwindung einer nationalistischen Politik der Staatsbürgerschaft geht. Dies trat beispielhaft während des citizenship referendum (Staatsbürgerschaftsreferendum) in der Republik Irland im Juni 2004 hervor. Ein von den beiden großen Parteien Fianna Fáil und Fine Gael unterstützter Antrag auf Verfassungsänderung, der de facto eine Abschaffung des territorialen Staatsbürgerschaftsrechts bedeutete, mobilisierte antirassistische Kräfte in ganz Irland, doch letztlich stimmten mehr als drei Viertel der Bevölkerung dafür, dass in Irland geborene Kinder ausländischer Eltern künftig nicht mehr in jedem Fall die irische Staatsbürgerschaft zuerkannt bekommen. Der Ausgang des Referendums, das die Einführung einer ius sanguinis-Regelung nach sich zog, wird von der anti-

194 Miles: Migration to Britain, S. 532. 195 Ebd. S. 539.

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rassistischen Szene Irlands bis heute als herbe Niederlage empfunden.196 Barnaby hebt zwar die antirassistische Mobilisierung gegen das Referendum in Form von Informationsveranstaltungen und dem Verteilen von Flugblättern als engagierten Interventionsversuch hervor, doch muss auch er feststellen: I think the citizenship referendum was a key battle for the antiracist movement and the left in Ireland. And it’s a battle that unfortunately, we lost.

Maura drückt es noch drastischer aus: The referendum was just very crucial. It was just a very big defeat. That achieved a statement from Irish society. That’s what it did. In saying you don’t belong, you’re not welcome, you don’t have the right to be a citizen. That’s basic, isn’t it.

Auch wenn in den letzten Jahren Versuche einer Neubestimmung von Irishness beobachtet werden konnten, so bleibt sie doch weitgehend definiert als eine monokulturelle religiös-ethnische Konstruktion. Deswegen ist zu fragen, inwieweit der irische Antirassismus in der Lage ist, auf die von Gilroy beschriebenen Formen eines „nationalistischen Rassismus“ angemessen zu reagieren, der es schafft, „Rasse“ mit nationaler Souveränität, Patriotismus und Nationalismus gleichzusetzen. Gelingt es dem irischen Antirassismus, eine Metaphysik von Irishness mit rassistischen Zügen infrage zu stellen? Das Interessante am irischen Beispiel ist das Erstarken von Rassismus in einer Phase wirtschaftlichen Aufschwungs und anhaltender Prosperität. Gilroys Untersuchung berücksichtigt die Bedeutung des wirtschaftlichen Niedergangs für die politische Situation Großbritanniens und deren Auswirkung auf Rassismus und Antirassismus. Vor allem, wenn der Kampf um Ressourcen eine Rolle spielt, wird dessen Verschärfung auf eine wirtschaftliche Rezession zurückgeführt. Zuweilen wird auch die Tatsache rapiden sozialen Wandels als Auslöser für um sich greifende Verunsicherungsgefühle, die zu rassistischem Verhalten führen können, angeführt. Ein Blick auf die sozioökonomische Entwicklung in Irland legt jedoch nahe, dass die Polarisierung der irischen Gesellschaft wichtiger Dünger des rassistischen Nährbodens ist. Dabei ist stets zu bedenken, dass rassistische Haltungen keinesfalls nur bei den Verlierern des „Keltischen Tigers“, sondern ebenfalls bei seinen Profiteuren anzutreffen ist. Rassismus ist in Irland kein Unterschichtphänomen, sondern

196 Zum irischen Staatsbürgerschaftsreferendum als Ausdruck rassistischer Staatspolitik vgl. Lentin, Ronit: Ireland: Racial State and Crisis Racism, in: Ethnic and Racial Studies 30 (2007), Nr. 4, S. 610–627; Allen, Kieren: Citizenship and Racism: The Case against McDowell's Referendum. Policy Contribution, o. A. 2004.

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strukturell vorhanden und staatlich reproduziert. Rassismus manifestiert sich in Irland in gewalttätigen Übergriffen, Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt, in der medialen Berichterstattung, im politischen Diskurs, in Behörden und am Arbeitsplatz. Graffiti mit Swastiken oder rassistischen Schmähungen gehören heute zum Dubliner Stadtbild. Der Rassismus auf der Straße nimmt besonders aggressive Formen an. Schwarze Frauen erzählen, dass sie permanent heftigsten rassistischen Beschimpfungen ausgesetzt sind, egal ob sie alleine durch die Stadt gehen oder mit ihren Kindern einen Bus benutzen. Hier zeigt sich, wie eingeschränkt erfolgreich die Versuche waren, ein breiteres und inklusiveres Verständnis von Irishness durchzusetzen. Auch in den politischen Debatten spiegeln sich rassistische Ressentiments wider: Während meiner Feldforschung im Jahr 2005 bezeichnete in einer Parlamentsdebatte Conor Lenihan – Juniorminister im Amt für Auswärtige Angelegenheiten197 – türkische Arbeitnehmer als „Kebabs“.198 Der Minister für Justiz, Gleichstellung und Rechtsreformen Michael McDowell – bis 2007 im Amt – hob zu einem Befreiungsschlag gegen zu viel Political Correctness an und beklagte öffentlich, dass er sich an die UN-Flüchtlingskonventionen halten müsse, obwohl er es bevorzugen würde, Asylbewerber direkt am Flughafen wieder zurückzuschicken. Außerdem bezichtigte er Asylbewerber „cock and bull“-Geschichten – abstruse Lügenmärchen – zu erzählen, um sich Aufenthaltsrecht in Irland zu erschleichen.199 Es herrscht Frustration darüber, dass der neue Wohlstand nicht bis zu den unteren Schichten der Gesellschaft vorgedrungen ist und darüber, dass Bestechung und Korruption zum Alltagsgeschäft irischer Politiker zu gehören scheinen. Der extreme gesellschaftliche Wandel hat Fragen nach Werten und Normen des neuen Irlands aufgeworfen, die bisher nicht beantwortet wurden, was zu einem Zustand von sozialer Anomie führte. Die Enttäuschung über die nicht eingehaltenen Versprechen des „Keltischen Tigers“ führt zu erheblichen gesellschaftlichen Spannungen und

197 2007 wurde Conor Lenihan zum Integrationsminister ernannt. 198 http://www.rte.ie/news/2005/0518/lenihanc.html (08.01.2009) 199 “Michael McDowell said the patience of the Irish people would be very tested if they knew the ,cock and bull‘ stories being given by people looking for asylum. […] ,I would prefer to interview these people at the airport, but the UN insists that I go through due procedure,‘ said Mr McDowell. He continued: ‘As soon as we go through due process and the gardaí arrive, they lift the phone and call a lawyer who gets them a judicial review to get them taken off the plane. And as soon as they serve papers on me it is my duty to stop the flight.‘ The minister went on to say ,there’s a lot of political correctness that goes on here and it is manifestly bogus, far-fetched nonsense and it’s about time we said it‘.“ http://www.rte.ie/ news/2005/0518/asylum.html (08.01.2009)

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gewalttätigen Übergriffen auf diejenigen Menschen, die als Konkurrenten gelten.200 1998 riet die irische Polizei in Dublin Asylbewerbern davon ab, sich nachts auf öffentlichen Plätzen aufzuhalten.201 Die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte hält in ihrem Jahresbericht 2008 fest, dass in Irland ein Aufwärtstrend rassistisch motivierter Straftaten zu verzeichnen ist. Im Vergleich zum Jahr 2005 hat sich die Anzahl 2006 um 85% gesteigert. Für den Beobachtungszeitraum zwischen dem Jahr 2000 und dem Jahr 2006 wird ein durchschnittlicher Anstieg von 32% festgestellt, wobei in Irland die Dunkelziffer rassistisch motivierter Straftaten als besonders hoch anzusetzen ist.202 In der Republik Irland gibt es keine NPD. Das irische Parteiensystem ist bis heute stark vom Kampf um die Unabhängigkeit und die irische Staatsgründung in den 1920er-Jahren geprägt und lässt sich nicht mit dem deutschen Parteiensystem vergleichen, da die Kategorien „rechts“ und „links“ in Irland kaum Bedeutung haben. Die beiden großen Parteien, Fianna Fáil und Fine Gael, sind beide nationalistisch ausgerichtet. Fianna Fáil stellt die größte Fraktion und stellte in den letzten Jahren mit Bertie Ahern und seit Mai 2008, nachdem Bertie Ahern wegen einer Korruptionsaffäre zurücktreten musste, mit Brian Cowen den Ministerpräsidenten.203 Die irische Politik ist traditionell stark vom Nationalismus geprägt, der seit den späten 1980er-Jahren eine enge Allianz mit dem Neoliberalismus eingegangen ist. Andere Ideologien spielen nur eine untergeordnete Rolle, da traditionell politischen Persönlichkeiten eine größere Bedeutung zugemessen wird als deren ideologischer Ausrichtung. So beklagt der irische Journalist Keith Mallon im PolitMagazin Magill „the lack of ideology in our political culture“, um letztlich festzustellen: Interestingly enough, virtually the only form of ideology that’s proved to have any sort of staying power is nationalism. Being a product of our ,historical experience‘, nationalism is 204

ingrained in our political culture.

200 Vgl. Garner: Racism in the Irish Experience, S. 227. 201 Ebd., S. 272. 202 European Union Agency for Fundamental Rights (Hrsg.): Annual Report 2008, S. 33. 203 Der Unterschied zwischen den beiden großen Parteien Fianna Fáil und Fine Gael ist nur schwer zu definieren (was sicherlich kein irisches Spezifikum ist). Grob gesprochen lässt sich der Ursprung von Fianna Fáil auf eine Ablehnung des anglo-irischen Vertrages von 1921, der die Teilung der Insel vorsah, zurückführen, während Fina Gael den Vertrag befürwortete. 204 Keith Mallon in Magill. Ireland’s Political and Cultural Monthly, 18. Mai/14. Juni 2005.

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Der ideologischen Verwobenheit von Nationalismus und Rassismus gewahr, ist davon auszugehen, dass die antirassistische Arbeit in einer derart von Nationalismus geprägten politischen Kultur vor besondere Herausforderungen gestellt ist. Rassismus manifestiert sich auf unterschiedlichen Ebenen und ist auch Ausdruck des rapiden sozialen Wandels in der Republik Irland, der bereits existierende rassistische Vorstellungen und Überzeugungen in der irischen Gesellschaft an die Oberfläche katapultierte. Rassismus ist jedoch kein „natürliches“ Phänomen, welches unser Leben durchdringt, sondern eine gesellschaftliche Konstruktion. Rassismus existiert in unterschiedlichen nationalen und kulturellen Kontexten, weil es dafür jeweils spezifische Gründe gibt. Diese Gründe habe ich auf historischer und ideologischer Ebene analysiert, um zu zeigen, in welchem politischen und kulturellen Kontext Antirassismus in Irland versucht, gegen rassistische Herrschaftsverhältnisse, rassistische Gewalt und rassistische Ausgrenzung zu wirken. Im folgenden Kapitel werden diejenigen Menschen zu Wort kommen, ohne die es Antirassismus in Irland nicht geben würde. In Anlehnung an Halls Wort des sich nicht mit Notwendigkeit einstellenden Antirassismus lässt sich feststellen, dass diese Menschen Antirassismus politisch herstellen und einen essenziellen Beitrag für die Erkenntnis leisten, dass wir nicht dazu verurteilt sind, in einer rassistischen Gesellschaft zu leben.

Z USAMMENFASSUNG Wie der irische Rassismus prägt sich auch der irische Antirassismus entsprechend seines kulturellen und nationalen Kontextes spezifisch aus. Die Untersuchung der landes- und kulturspezifischen Charakteristika auf historischer wie ideologischer Ebene gewährt Aufschlüsse darüber, wie antirassistische Politik in Irland funktioniert. Dabei lässt sich feststellen, dass antirassistische Praxen und Diskurse in Irland gewisse Widersprüchlichkeiten aufweisen. Diese sind maßgeblich darauf zurückzuführen, dass Irland eine postkoloniale Gesellschaft ist. Im Zuge der imperialen Politik des Britischen Königreichs nahmen Iren eine äußerst ambivalente Position ein, die sie zum einen als aktiven Juniorpartner, zum anderen als Kolonisierte zeigte. Diese Ambivalenz führte zu einer Überlagerung jener Strukturen, die von „Rasse“ und Rassismus beeinflusst werden und die wiederum durch komplexe gesellschaftliche und historische Prozesse geformt wurden. Diese historische Ambivalenz der irischen Position prägte sich im 20. Jahrhundert in einer Solidarisierung mit bzw. Diskriminierung von bestimmten marginalisierten Gruppen aus. Sie ist zudem seit wenigen Jahren in den Fokus der internationalen Rassismusforschung gelangt. Von besonderem Interesse für die rassismustheoretische Auseinandersetzung ist die Beispielhaftigkeit des irischen Falles, der unterstreicht, dass Rassismus historisch spezifisch ist. Außerdem handelt es sich um eine Geschichte von Rassismus Weiß ge-

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gen Weiß, die den Widersinn betont, Rassismus mit sogenannten phänotypischen „Rassenmerkmalen“ erklären zu wollen. Wie der irische Fall beispielhaft vorführt, werden „Rassenmerkmale“ nicht nur politisch eingesetzt, sondern sind selbst bereits Produkte eines Konstruktionsprozesses. „Rassenkategorien“ sind keineswegs naturgegeben, sondern können gegebenenfalls betreten oder verlassen werden: Iren waren je nach historischem oder gesellschaftlichem Kontext schwarz oder weiß. Theodore W. Allen geht von der Prämisse aus, dass die Wirksamkeit rassistischer Unterdrückung unabhängig von phänotypischen Unterschieden gegeben ist. Die rassistische Stereotypisierung der Iren erklärt er als historische Konstante, die er von der Kolonisierung Irlands und der racialisation der Iren bis zu deren „Weißwerdung“ in der Neuen Welt nachzeichnet. Die katholischen Einwanderer aus Irland kämpften erfolgreich gegen eine Irishphobia an, um letztlich Teilhabe an Whiteness beanspruchen zu können. Allen geht davon aus, dass unter allen Immigrantengruppen, die zur damaligen Zeit in den Vereinigten Staaten eintrafen, keine Gruppe so prädestiniert dafür war, sich mit den schwarzen Sklaven zu solidarisieren, wie die Iren, die selbst die Erfahrung gemacht hatten, rassistisch diskriminiert zu werden. Die Annahme dieser Prädisposition erweist sich jedoch als falsch. Stattdessen zeigt Allen die Relativität von „Rassenzugehörigkeit“ auf, indem er den Transformationsprozess der Iren als Opfer und Gegner rassistischer Unterdrückung zu Teilhabern an weißer Superiorität nachzeichnet. Dieser Prozess hebt die historische Verbindung zwischen der racialisation, der die Iren unterlagen, und der racialisation, die Iren ausüben, hervor. Die rassistische Diskriminierung der Iren im Rahmen des britischen Imperialismus beschränkte sich nicht auf die Ebene von formaler Politik, Gesetzgebung und Verwaltung, sondern erfuhr auch auf kultureller Ebene weite Verbreitung und setzte sich schließlich im populären Diskurs fest. Ich zeichne den Prozess nach, in dem die verfestigten kulturellen Vorstellungen über Iren reibungslos in die Ende des 19. Jahrhunderts entstehende pseudowissenschaftliche Rassenlehre integriert und fortgeschrieben wurden. Die darwinistische Evolutionstheorie beförderte eine Entwicklung, in deren Verlauf führende Anthropologen die „irische Rasse“ konstruierten, die auf einer besonders niedrigen kulturellen Entwicklungsstufe stehe. Dieser rassistische Konstruktionsprozess ging so weit, dass die Iren als „afrikanoid“ bzw. „negroid“, also als White Negro identifiziert wurden. Die Iren wurden jedoch nicht nur als Kolonisierte in Irland als unzivilisierte „Rasse“ konstruiert, sondern auch in Großbritannien als besonders devianter Teil der Arbeiterklasse stigmatisiert. An diesem Vorgang wird deutlich, dass die im Zuge des britischen Imperialismus nach außen gerichtete racialisation sich in einer nach innen gerichteten racialisation fortsetze. Diese kombinierte racialisation beförderte einen Klassenkampf von oben in Form eines extremen Sozialdarwinismus, der die Zugehörigkeit eines Menschen zu einer Klasse als die gesellschaftliche Konsequenz eines natürlichen Ausleseprozesses erklärte.

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Das irische Nationbuilding, welches große Ähnlichkeiten mit anderen europäischen Nationalbewegungen des 19. Jahrhunderts aufweist, verdeutlicht weitere Verknüpfungen und Bedingtheiten unterschiedlicher rassistischer Konstruktionsprozesse. Die racialisation von Irishness wurde in einem Prozess der Fremdzuweisung von außen und in einem Prozess der Selbstbeschreibung von innen betrieben. Wie bei der „Weißwerdung“ der Irisch-Amerikaner zeigt sich, dass die zu einer „Rasse“ konstruierten, andere ebenfalls einer racialisation unterziehen. Während sie von britischer Seite als minderwertige „keltische Rasse“ deklassiert wurden, unternahmen die Iren unter Zuhilfenahme der Idee einer katholisch-gälischen Nation die Erfindung ihrer selbst. Diese beiden Konstruktionsprozesse – die Zuschreibung von außen und die Selbstdefinition der Iren – weisen Analogien auf und verliefen nicht unabhängig voneinander. Das heutige Verständnis von Irishness wurde maßgeblich im Gaelic Revival vorgeformt, das mit dem deutschen bürgerlichen Kulturnationalismus vergleichbar ist. Hier liegen die historischen Wurzeln eines nationalistischen Rassismus, der die Vorstellung der Nation als einer geeinten kulturellen Gemeinschaft propagiert. Auch im irischen Nationalismus manifestiert sich die von Balibar und Miles konstatierte wechselseitige Determination von Rassismus und Nationalismus sowie ihre ideologische Verknüpfung. Geschichte, Kultur und „Rasse“ werden dazu benutzt, ein System der Differenz zu konstruieren, welches auf einer ausgrenzenden Definition dessen, wer dazugehört und wer nicht, basiert. Dieses exklusive Konzept nationaler Identität formt und dominiert die irische Gesellschaft. Bis heute existiert die nationalistische Metanarrative fort und ist Ausgangspunkt und Fundament der politischen Kultur der Republik Irland. Sprache, ethnische und konfessionelle Zugehörigkeit sind Kriterien für die Teilhabe an der irischen Nation sowie an Irishness. Der ideologischen Verschränkung von Nationalismus und Rassismus gewahr, bleibt festzustellen, dass die antirassistische Arbeit in einer derart von Nationalismus geprägten politischen Kultur vor besondere Herausforderungen gestellt ist. Der in Irland vollzogene Schulterschluss zwischen katholischer Kirche und Nationalismus beförderte eine reaktionäre Staatsideologie. Irische Antirassisten bezeichnen die autoritäre Gesellschaftsform und das exklusive Modell von Irishness, das bis heute mehrheitlich als monokulturell religiös-ethnisch gedacht wird, als großes Hindernis für emanzipative und antirassistische Politik. Die irische Migrationserfahrung in Großbritannien beeinflusst maßgeblich den antirassistischen Diskurs in Irland. Viele Iren, die sich in der antirassistischen Szene bewegen, stehen unter dem anhaltenden Eindruck ihrer individuellen Migrationserfahrung. Die Arbeitshypothese, dass viele antirassistische Akteure entscheidende Momente ihrer Politisierung in der politischen Arena Großbritanniens erlebten, bewahrheitet sich im fortschreitenden Forschungsprozess. Der restriktiven irischen Gesellschaft entronnen, gelang es den Akteuren, alternative politische Konzepte kennenzulernen und für ihren heutigen Aktivismus zentrale Kompetenzen zu erwerben. Zudem

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gelingt es mir aufzuzeigen, dass sich die Festschreibung der rassistischen Stereotypisierung der Iren bis zum Ende des 20. Jahrhunderts als äußerst effektiv erwies. Das bedeutet in erster Linie, dass irische Migranten mit einem virulenten antiirischen Rassismus konfrontiert wurden, der sich stark auf das politische Bewusstsein auswirkte. Meine bisherige Forschung belegt, dass Erlebnisse rassistischer Diskriminierung, Ausgrenzung und Demütigung unbestreitbar essenzieller Bestandteil der irischen Migrationserfahrung sind. Die irische Erfahrung in Großbritannien spielte sich folglich im Spannungsfeld von Diskriminierung und Politisierung ab. Die Politisierung in der politischen Szenerie Großbritanniens, die in den 1980er-Jahren maßgeblich von der Rhetorik der race relations-Politik bestimmt war, hat Auswirkungen sowohl auf die ideologische als auch die strategische Ausrichtung des antirassistischen Engagements. Die Existenz des antiirischen Rassismus und die daraus resultierende Erfahrung, gemeinsam mit Schwarzen durch die weiße britische Mehrheitsgesellschaft rassistisch diskriminiert zu werden, führte zu einer Parallelsetzung der irischen mit der schwarzen Erfahrung. In diesem Zusammenhang kommt das Konzept der political blackness zum Tragen, das Kritik an auf Ethnizität basierenden Identitätskonzepten leistet und die Möglichkeit von politischer Mobilisierung auf Basis von Erfahrungswerten hinsichtlich der eigenen politischen und sozioökonomischen Positionierung aufzeigt. Die Analyse der irischen Erfahrung im britischen race relations-System leistet einen wichtigen Beitrag zur Dekonstruktion von Whiteness, denn das irische Beispiel verdeutlicht, dass es nicht genug ist, weiß zu sein, um Teilhabe am weißen Privilegiensystem beanspruchen zu können. Für irische Migranten in Großbritannien führte sie zu dem Bestreben, ihre Interessen im britischen race relations-System durchzusetzen und zur Entdeckung ihrer irischen Ethnizität. Da der allgemeine Fokus auf die Transformationsprozesse in den sogenannten postsozialistischen Ländern Osteuropas gerichtet ist, stellt die Forschung zu Irlands Einbindung in die Europäische Union, die gravierende sozioökonomische Prozesse in Gang setzte und die Modernisierung der irischen Gesellschaft vorantrieb, sie aber gleichzeitig in ihren Grundfesten erschütterte, eine überfällige Notwendigkeit dar. Einer der bedeutsamsten Faktoren des irischen Transformationsprozesses ist die Umkehrung des traditionellen Migrationstrends in der zweiten Hälfte der 1990erJahre: Zum ersten Mal wanderten mehr Menschen nach Irland ein als von dort auswanderten. Die ideologische Konstruktion, dass es vor dieser Umkehrung kein Rassismusproblem in Irland gegeben habe, wird von Medien und Politik verbreitet und hat Eingang in das irische Alltagsverständnis gefunden. Zu den zentralen Aspekten der antirassistischen Strategie in Irland gehören daher die Bekämpfung dieser Propaganda sowie die Aufdeckung genuin irischer rassistischer Traditionen. Irland galt bis vor wenigen Jahren als klassisches Auswanderungsland. Allerdings wurde Emigration seitens des politischen Establishments stets zu einer Privatangelegenheit erklärt. Mit dieser Positionierung entzog es sich jeglicher Verantwor-

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tung für migrations- und integrationspolitische Fragen. Hier liegt einer der historischen Gründe für die überaus große Bedeutung antirassistischer Arbeit, die sich einer gesellschaftlichen Aufgabe stellt, an deren Lösung sich die offizielle Politik nicht übermäßig interessiert zeigt. Die rassistischen Reaktionen auf Einwanderer vor allem nicht-weißer Hautfarbe stehen im Zusammenhang mit der ideologischen Konstruktion, die Produkt des Gaelic Revival ist und Irland als eine homogene Nation katholischer, weißer Kelten entwirft. Die in Irland verfestigten Vorstellungen über Schwarze sind ähnlich ambivalent wie Irlands Rolle im britischen Imperialismus. Zum einen werden Schwarze als eine nach Gleichberechtigung strebende diskriminierte Gruppe wahrgenommen, mit der man sich solidarisiert und gegebenenfalls sogar identifiziert. Die Selbstsicht, politisch unterdrückt zu werden, stellt noch heute für viele antirassistische Aktivisten einen wichtigen Motor für ihr eigenes politisches Engagement dar. Zum anderen trägt die irische Gesellschaft wie viele andere Länder Europas das schwere Erbe der aktiven Teilnahme am imperialistischen Projekt des kolonialen Rassismus. Das Bild des Einwanderers als Konkurrent wird von Politikern und Medien seit der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre fortlaufend reproduziert. In einer zunehmend polarisierten Gesellschaft werden die Migranten insbesondere für die Verlierer des „Keltischen Tigers“ zum Symbol für alle negativen Symptome des rapiden Transformationsprozesses. Die Geschichte des irischen Rassismus und Antirassismus, die geprägt ist von unterschiedlichsten und sich dennoch nicht unabhängig voneinander vollziehenden rassistischen Konstruktionsprozessen, schreibt sich in der racialisation der Migranten in der irischen Gegenwartsgesellschaft fort. Dabei hatte es Mitte der 1990er-Jahre noch Bestrebungen seitens der offiziellen Politik gegeben, die Erinnerung an die eigene Geschichte von Diskriminierung und Emigration mit einem Appell an die historisch-moralische Verpflichtung der Nation, sich solidarisch mit Flüchtlingen zu zeigen, zu verbinden. Zur gleichen Zeit fand erstmals eine kritische Auseinandersetzung mit dem postkolonialen Konzept nationaler Identität statt, die schließlich zu einer identitären Umorientierung führte. Die irische Präsidentin Mary Robinsons nahm eine zentrale Rolle bei dem Versuch einer Neubestimmung von Irishness ein, als sie die irische Diaspora zum Thema erhob und sich für ein breiteres Verständnis von Irishness einsetzte. Dieses umschloss auch die sogenannten „new Irish“ – die nunmehr in der irischen Gesellschaft lebenden Migranten. Inwieweit der identitäre Paradigmenwechsel dauerhaft vollzogen werden konnte, ist auch Gegenstand des folgenden Kapitels. Dabei wird zu erörtern sein, auf welche Art und Weise der irische Antirassismus auf den beschriebenen nationalistischen Rassismus reagiert. Die Konstruktion von Irishness ist ein andauernder Prozess. Die innovativen Vorstellungen darüber, wie ein inklusives Modell von Irishness implementiert werden kann, werden in ihrer zentralen Bedeutung für die antirassistische Strategieentwicklung untersucht.

Empirie: Perspektiven antirassistischer Akteure

5. Connor: Nationalismus und Antirassismus

Everybody will have a chance to speak Irish.

Wenn ich jemals in meinem Leben eine politische Gefangene gewesen wäre, hätte ich wohl ebenso vorsichtig gehandelt wie Connor. Sein Misstrauen forderte meine Hartnäckigkeit. Erst nach mehreren telefonischen Anläufen kommt es zu einem ersten Treffen mit meinem anvisierten Interviewpartner. Eine kleine Halbinsel am nördlichen Ende der Dubliner Bucht ist Connors Wohnort. An der Station Pearse in der Dubliner Innenstadt steige ich zu, der DART (Dublin Area Rapid Transit) rumpelt eine halbe Stunde Richtung Norden, kurz vor der Endstation habe ich kurzzeitig das Gefühl, der Zug fährt mitten ins Meer, weil die Trasse direkt am Strand entlang verläuft. Connor hat versprochen, mich am Bahnhof abzuholen. Obwohl wir uns noch nie zuvor begegnet sind, erkennen wir uns sofort. Wir steigen in sein Auto und fahren hinauf auf den kleinen Berg, an dessen sanft abfallendem Hang eine Siedlung des sozialen Wohnungsbaus aus den 1960er-Jahren steht, in der Connor ein kleines Reihenhaus bewohnt. Fünf Minuten später sitzen wir bei einer Tasse Tee in seinem Wohnzimmer. Überall liegt Spielzeug herum, auf der Wäscheleine im Garten wehen Kinderpullis. Es ist Mitte Mai. Connor hätte sich wohl kaum bereit erklärt, mich zu treffen, genauso wenig wie ich mich dazu bereit erklärt hätte, in sein Auto einzusteigen, wenn der Kontakt nicht über eine gemeinsame Bekannte zustande gekommen wäre. Wir beobachten uns gegenseitig: Connor ist Ende 40, ein gestandener Mann mit fehlendem Schneidezahn und sympathischer Ausstrahlung. Ich bin eine wildfremde Person, die sich für Connors antirassistische Überzeugungen interessiert. Wir verbringen einen gemeinsamen Nachmittag, den Connor dazu nutzt, mich und meine Beweggründe zu überprüfen. Dabei stellt er mir mindestens ebenso viele Fragen wie ich ihm. Wir reden über die deutsche „Wiedervereinigung“, den irischen Wirtschaftsboom, Connors Erfahrungen in Großbritannien und seine Reise nach Kuba. Mein Aufnahmegerät bleibt in der Tasche. Ein Mikro lässt sich Connor nicht sofort unter die Nase halten. Bevor er mir erlauben wird, ein Interview mit ihm zu führen und dieses auf-

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zuzeichnen, werden zweieinhalb Monate ins Land ziehen. Als ich an diesem Tag sein Haus verlasse, lächelt mir im Hausflur zum Abschied leise Jim Larkin1 zu. Zwar hatte ich den Test bestanden, Connor schien mich nicht für gänzlich unseriös zu halten, doch auf einen Interviewtermin ließ er sich nicht festlegen. In den folgenden Sommermonaten setzte ich meine Feldforschung fort und führte zahlreiche Interviews mit politischen Aktivisten. Ab und zu telefonierten Connor und ich, und er erkundigte sich nach den Stand meiner Forschung. Er wollte wissen, mit wem ich sprach und was andere Antirassisten zu sagen hatten. Außerdem unterhielt er sich mit unserer gemeinsamen Bekannten, über die ich ihm zudem den Aufsatz „White Skin, White Masks“ zukommen ließ, über den wir uns an jenem Mainachmittag unterhalten hatten. Dann endlich, Anfang August, erklärte sich Connor zu einem Interview bereit. Wir haben uns in der Library Bar im Central Hotel, meinem bevorzugten Ort für Interviews, verabredet. Zunächst werde auch ich mit Lektüre versorgt: Connor überreicht mir ein Searchlight Booklet mit dem Titel „Psychology, Racism and Fascism“.2 Mein Interviewpartner und ich haben einen Wissenstransfer etabliert.

P OLITISIERUNG Da ich unseren Vorgesprächen entnehmen konnte, dass Connor seine Politisierung nicht erst mit seiner Übersiedlung nach England, sondern bereits als Jugendlicher in Irland erlebte, frage ich ihn nach seinen ersten Erfahrungen mit Politik. I suppose really it would have started in the late 60s, when you see on the television, those pictures on the television of what was happening in the North of Ireland were very shocking down here, and the fact that people were actually been shot dead by British soldiers. So, when I was 16 I went up to Derry to see what was happening, and it was very interesting because I 3

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saw people like John Hume and Bernadette Devlin and Martin McGuinness way back in

1

Jim Larkin war ein in Liverpool geborener, später in Irland tätiger Gewerkschafter, der vor allem durch seine Rolle im Dublin Lockout (Arbeitskampf im Jahr 1913 in Dublin, der als Wendepunkt der Geschichte der irischen Arbeiterbewegung gilt) bis heute große Popularität besitzt.

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Billig, Michael: Psychology, Racism and Fascim (A Searchlight Pamphlet), Birmingham 1979.

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John Hume war seit den 1960er-Jahren eine zentrale Figur in der katholischen Bürgerrechtsbewegung und wurde für seine Bemühungen um den nordirischen Friedensprozess 1998 – gemeinsam mit David Trimble – mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.

5. C ONNOR: N ATIONALISMUS UND A NTIRASSISMUS

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those days, and some other very interesting people I met as well. But I could see that people who were trying to negotiate a way out of the difficulties and who would always compromise and over a period of time you realised that that doesn’t really work. You can only compromise from a position of strength, not from a position where you are the weaker person. But anyway, I suppose my experiences up there led me being locked up here because particularly 6

after internment when there was an awful lot of people shot dead... J. V.: Internment? Yes, that was in August 1971. I was up in Derry in July and in August I’d just come back down to Dublin. The British government brought in this policy where they could arrest people without any charge, and they could lock them up and keep them as long as they wished. They were arresting people who were trade union people and civil rights people, there was hardly any IRA people really arrested. But they were torturing them. They were taking them up in helicopters and throwing them out. Now, they were throwing them out when the helicopter was only maybe two or three feet off the ground but they were blindfolded, so they brought the helicopter up and then they brought it down, so they didn’t know how far up they were. So, it was brought to the European Court of Human Rights and they were found guilty. Because of politics they decided it wasn’t torture, that it was just inhumane treatment. But effec7

tively it was torture. With all these things in the background I felt the only way to fight it really was through military action. So, I was arrested down here just after Bloody Sunday.

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And I spent a bit of time as a political prisoner, and that was very interesting as well because I

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Bernadette Devlin McAliskey, Ikone der nordirischen Bürgerrechtsbewegung, ist eine radikale sozialistische Republikanerin, die 1969 als jüngste Abgeordnete ins britische Parlament gewählt wurde.

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Martin McGuinness ist ehemaliger IRA-Kämpfer und heute neben Gerry Adams einer der prominentesten Sinn Féin-Politiker.

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1971 wurde die Internierung (internment) von IRA-Mitgliedern vorgenommen. Das Ziel der britischen Regierung war die Eindämmung terroristischer Aktivitäten. Die Einführung der internment-Politik löste zahlreiche Ausschreitungen und Feuergefechte zwischen irischen Nationalisten und der britischen Armee aus. Vgl. Coogan, Tim Pat: The IRA, London 1995, S. 376.

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Die Regierung der Republik Irland reichte eine Beschwerde über die Vorfälle in Nordirland bei der Europäischen Menschenrechtskommission ein, die 1976 Großbritannien der Folter für schuldig erklärte. Doch 1978 wurde dem Gebrauch des Begriffs Folter durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte widersprochen, welcher feststellte, dass es zwar nicht zu Folter, jedoch zu Fällen von unmenschlicher und erniedrigender Behandlung gekommen sei. Vgl. Coogan: The Troubles, S. 153.

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Am 30. Januar 1972 feuerten britische Soldaten in Derry auf einen friedlichen Marsch der katholischen Bürgerrechtsbewegung, der sich auch gegen die internment-Politik wandte, und töteten 14 unbewaffnete Zivilisten.

200 | UNDOING I RISHNESS met some very good people and one or two people who would make me question more what I was doing rather than just going along with the flow. I know that while I was in jail the British exploded some bombs here and they killed some people, there were two bus conductors they killed on one occasion, and one bus worker on another occasion. This was in 1972. See, while I was in prison there was a big argument going on about bringing in more special powers for the Dublin government to combat republicanism.

Das lange Warten auf ein Interview mit einem ehemaligen IRA-Mann hat sich gelohnt: Bloody Sunday, der nordirische Bürgerkrieg, Folter und Knast. Connors Politisierung als Teenager in den späten 1960er- und frühen 1970er-Jahren weist einen drastischen Charakter auf und ist der beste Beweis dafür, dass man nicht unbedingt aus Irland auswandern musste, um einschneidende Erfahrungen mit Politik zu sammeln.9 Connor fährt fort, über die politische Situation in Irland in den 1970erJahren zu berichten, insbesondere über die Bombenanschläge in Dublin, die seiner Meinung nach zu Unrecht der IRA angelastet wurden, und das Verhalten der Regierung der Republik, die von Unionisten und Banken gesteuert sei und seit den 1920er-Jahren gegen Republikanismus und sozialen Wandel angekämpft habe. Dabei bewertet Connor auch die historische Rolle von Sinn Féin10 kritisch. There always has been since the 30s. I mean, what happened here when the war of independence was going on here, when the troops was called, there was Sinn Féin at the time – it’s a bit similar to now but not quite – but at the time in 1921 Sinn Féin would have been a very broad movement, and you would have had many people in Sinn Féin who wouldn’t have wished to have social change. All they wished to do was to take the jobs that the English had and to continue repressing the Irish themselves.

Nachdem ich lange davon ausgegangen war, dass die Republik Irland samt ihrer politischen Führung von jeher hinter den katholischen Republikanern in Nordirland steht, hatte ich in den vergangenen Jahren durch zahlreiche Gespräche und entsprechende Lektüre erfahren, dass meine Annahme einer eindeutigen Parteinahme in der komplizierten Geschichte Irlands einer vorauseilenden Simplifizierung gleichkam. Vor allem dem Republikanismus, der eine Vereinigung Irlands unter sozialistischen Vorzeichen anstrebt, schlägt nicht nur die Ablehnung der britischen Seite, sondern auch des politischen Establishments im Süden entgegen. Da Connors zent-

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Obwohl zahlreiche Akteure der antirassistischen Szene, wie in Kapitel „Irische Migrationserfahrungen in Großbritannien: Diskriminierung und Politisierung“ erläutert, sehr stark durch ihre Migrationserfahrung in Großbritannien politisiert wurden.

10 Sinn Féin ist die Partei des irischen Republikanismus und gilt als politischer Arm der IRA. Sie ist sowohl in Nordirland als auch in der Republik aktiv.

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rales Thema Klassenpolitik ist, treten die revolutionären Elemente des irischen Republikanismus besonders stark hervor, deren historische Niederlage im Zuge der Gründung des Free State 1922 laut Connors Geschichtsauffassung „with the help of British guns and unionist money, and the church and the rich people here, the solicitors, the middle class“ erreicht wurde. Connor lehnt die Regierung der Republik Irland genauso ab wie die britische, da sie in seinen Augen nicht nur den Kampf für ein vereinigtes Irland untergraben, sondern auch beide dem Kapitalismus dazu dienen, die Arbeiterklasse auszubeuten. Connor ist erst 16 Jahre alt, als er unter Anklage gestellt wird. Das lässt an Brendan Behans berühmte Geschichte des „Borstal Boy“ denken, der ebenfalls mit 16 Jahren wegen IRA-Aktivitäten hinter Gitter wandert.11 Im Zusammenhang mit seiner Verhaftung erwähnt Connor zum ersten Mal die Fenier, jene nationalen Befreiungskämpfer des 19. Jahrhunderts, die im Zuge einer bewaffneten Revolution Irland von britischer Herrschaft befreien wollten. They charged me under different acts. I was up in the special criminal court where there is no jury and they changed the charge on the morning...It was a total joke! But I was charged under the same laws that the British brought in against the Fenians in this country in 1886.

Die Fenier sind ein häufig wiederkehrender Referenzpunkt in Connors Schilderungen. Auch als er von seinem Arbeitsverbot in den ehemals halbstaatlichen Betrieben der noch lange nicht wirtschaftlich florierenden Republik berichtet, vergleicht er seine Erfahrungen mit dem militanten Fenianismus. Even though I was only 16 when I was arrested I was effectively barred. Perhaps it’s changed over the last few years but I couldn’t get a job doing anything. Most of the employment in this country because of the underdeveloped nature of the economy was state industries, like transport was all semi-state bodies and post office and telecommunication – everything was semi-state and I was barred from working in all these areas because of my conviction. I was barred from being a teacher, from doing anything practically, and it was even worse in the 20s. Huge amounts of people had to leave. J. V.: You were barred because of your political convictions?

11 In diesem autobiografischen Werk aus dem Jahr 1958 beschreibt Behan, einer der bedeutendsten Dramatiker Irlands, seine Inhaftierung in Großbritannien, nachdem er wegen Sprengstoffschmuggels für die IRA festgenommen wurde. Zeilen aus seiner Version der dritten Strophe der Internationalen finden sich auf der Plattenhülle des überaus erfolgreichen ersten Albums der Dexys Midnight Runners. „No saviour from on high deliver/No trust have we in prince or peer/But in our strong arm to deliver.“ Behan, Brendan: Borstal Boy, London 1990, S. 306-307.

202 | UNDOING I RISHNESS Yes. I was a felon. I’m a felon. J. V.: A mean guy? In Irish terminology a felon is more like...the Fenians would have been felons. It probably came originally from felony, committing a felony but in Ireland it has more political overtones. – Well, it’s like being a Fenian in a way. Somebody who was brought to court for fighting against the government. J. V.: Would you see yourself in the tradition of the Fenians? Oh, without a doubt. Yeah! Without a doubt. Without a doubt. The Fenians had links with Marx’s First International. It wasn’t just a nationalistic body. They were very strong. The fenians nearly took over Ireland and Canada. There was a big movement to take arms in Chester, and there was a lot of fenians heading to Chester in Britain. They were going to seize guns there, and then commandeer ships in Liverpool and Birkenhead and go over to Dublin. And it would have worked but the problem they always have is fucking informers. Somebody spilled the beans. J. V.: That’s why everybody is so secretive now!

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Yeah. Exactly! It is, yeah. There was a murder in the Phoenix Park in 1886 where the English secretary, a new ruler came over from England and himself and his buddy were murdered in the Phoenix Park. They were killed. I wouldn’t call it murder really. These were the people who have presided over massive...It wasn’t a famine here, it was a holocaust! They presided over that. The evections and everything. So to kill them I wouldn’t condemn it at all. But anyway, they were called, and there was people hung for killing them and they were hung on the word of this informer. And the informer then was actually shot on a boat just as it was landing in Cape Town in South Africa. He was shot there, it was brilliant! Brilliant! At least the informer was killed!

Dass Connor ein Vertreter der nationalistischen Geschichtsschreibung ist (vgl. Kapitel „Emigration als irische Tradition“), wundert mich weniger als seine Begeisterung über die Ermordung des Informanten. Da ich es ablehne, die Große Hungersnot als Holocaust zu bezeichnen, noch gewillt bin, die Untiefen des politischen Kampfes inklusive Mord an Verrätern auszuloten, frage ich Connor lieber nach seiner politischen Selbstverortung. Sieht er sich selbst tatsächlich in der Tradition der Fenier und führt er seine politischen Überzeugungen auf den Fenianismus zurück? Oh, without a doubt! Because they’re anti-imperialist. It’s an anti-imperialist socialist republican heritage.

12 Hier spiele ich auf die in Irland nicht selten anzutreffende Überzeugung an, dass es in Irland aufgrund der kolonialen Vergangenheit und des subversiven Kampfes gegen die britische Herrschaft noch heute einen Hang zur Geheimniskrämerei gibt.

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Da Connor nur wenige Wochen nach Bloody Sunday verhaftet und angeklagt worden war, profitierte er von der Stimmung in der Bevölkerung, die dazu beitrug, dass keine langen Haftstrafen gegen irische Republikaner in der Republik verhängt wurden. So kurz seine Haftzeit auch war, ich werde niemals herausfinden, für welche Vergehen er vor über 30 Jahren ins Gefängnis musste, doch es wird deutlich, dass die Zeit im Gefängnis politisch prägend war. Er traf Mithäftlinge, die ihn in langen Gesprächen dazu brachten, seine politischen Überzeugungen zu hinterfragen „rather than just going along with the flow“. Darunter war auch der damalige Anführer der IRA Seán MacStíofáin. Connor erinnert sich lachend daran, wie die IRA-Inhaftierten ihm in den Hungerstreik folgten. While I was there they locked up…they’d caught the head of the IRA at the time when I was in prison – Seán MacStíofáin. He was arrested and foolishly enough he went on hunger and thirst strike. He should have only gone on hunger strike but he went on hunger and thirst strike because hunger and thirst strike, you don’t last long at all. Anyway, in the prison we all went on strike with him but luckily he stopped after a while!

Connors Fähigkeit, mit Humor auf diese Zeit im Gefängnis zurückzublicken, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass, wenn man das In-den-Hungerstreik-treten als eine politische Strategie betrachtet, um bestimmte Forderungen durchzusetzen, Connor eine extreme, potenziell tödliche politische Strategie am eigenen Leib erfuhr. Hungerstreik als taktisches Mittel spielte im Nordirlandkonflikt eine ausschlaggebende und tragische Rolle: Der Preis für die errungene internationale Aufmerksamkeit und den Machtzuwachs von Sinn Féin war hoch, allein 1981 starben zehn inhaftierte Republikaner an den Folgen ihres Hungerstreiks. Prominentes Opfer war Bobby Sands, dessen Konterfei noch heute Che Guevara-like auf T-Shirts getragen wird, die im Shop der Parteizentrale von Sinn Féin in Dublin käuflich zu erwerben sind. Des Weiteren scheint es bemerkenswert, dass in einem Land, dessen Geschichte maßgeblich von einer der letzten großen Hungersnöte Europas geprägt ist, ausgerechnet die Politisierung des Hungers in Form der Protesttechnik Hungerstreik eine derartige Konjunktur erlebte.

M IGRATIONSERFAHRUNG IN G ROSSBRITANNIEN : Z WISCHEN ANTIIRISCHEM R ASSISMUS UND S OLIDARITÄTSERFAHRUNGEN Da Connor aufgrund des faktischen Berufsverbots kein ökonomisches Auskommen in Irland fand, entschied er sich Anfang der 1980er-Jahre dazu, nach Großbritannien zu gehen. Connor abstrahiert hier von seinem persönlichen Schicksal, indem er

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darauf verweist, dass die herrschende Massenarbeitslosigkeit und die aus ihr resultierende Massenauswanderung stets auch ein Mittel war, um links-emanzipative Alternativen zu verhindern und den politischen und gesellschaftlichen Status quo zu zementieren. Connor sieht einen Beweis seiner Einschätzung darin, dass irische Migranten von jeher eine große Rolle für die Gewerkschaften in Großbritannien gespielt hätten. You can see the proof of it is in Britain. When you look at the unions in Britain, a huge part of the unions was built up in the 20s, 30s and 40s by Irish people. Even up until the 60s and 70s the Irish were very strong in most of the unions, particularly the unions…like building workers and the trades like that. Even on the trains and things. They were very, very strong. So, there’s a huge amount that left the country in 1922 because they wouldn’t get work. The system here then was, you had the Catholic Church involved, and the state gave the church all the institutions, the orphanages and all this and paid the church to look after them. So, you had a right wing church reading down on the people on behalf of the state, half the people born in the country had to leave it because there was no work here.

In Großbritannien angekommen engagierte Connor sich im Umfeld der marxistischen Militant.13 Allerdings stieß er auch dort auf antiirische Ressentiments, die laut Connor das revolutionäre irische Potenzial in der britischen Arbeiterschaft verpuffen ließen. At the time when I was here I was hanging out with some Marxists here, people that I would have accepted as Marxists. And when I went over in Britain the biggest group there was a same group over there, they were the biggest Marxist group in Britain. They were called the Militant. By the mid-80s they controlled some cities in Britain, Liverpool was the most famous. They didn’t control the city council in terms of the number of councillors. They controlled it with their ideas because they had a minority of councillors but their ideas were accepted by the majority of labour councillors, so they controlled it in that way, and they had a tremendous impact on Liverpool, building new houses and the community centres and stuff like this. They had a tremendous presence amongst car workers and even on the boats and on the trains. It was a tremendous movement. But even within that movement I came across these strange fucking imperialist attitudes that Ireland somehow was a province of Britain. And even these so-called revolutionaries, many of them would have had that unconsciously in the

13 Die Militant oder Militant tendency war eine entristische Strömung, die versuchte, innerhalb der britischen Labour Partei revolutionär-sozialistische Ziele durchzusetzen und sich in der direkten Nachfolge Trotzkis Vierter Internationaler sah. In den 1970er- und 1980erJahren erlangten die Militant erhebliche politische Erfolge, doch Ende der 1980er-Jahre kam es zum Ausschluss ihrer Führungsriege aus der Labour Partei.

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back of their mind. It was extraordinary! And you had a huge amount of Irish people in Britain that…the Irish traditionally in Britain have always voted Labour – or the vast majority of them. There is a huge revolutionary potential amongst them that was just been completely bypassed. Completely! By the vast majority of the British left. It just had no understanding whatsoever. Absolutely none! Even with the fact that you had people in the engineering union, in the transport union, in the building workers, huge amounts of people, of the officials would have been Irish. Didn’t make any difference. Eight years I was there. Early 80s till 1990. Then I couldn’t take it anymore.

Connors Migrationserfahrungen in Großbritannien sind geprägt von der Erfahrung kultureller Differenz und dem allgegenwärtigen antiirischen Rassismus. Dessen Auswirkungen schlugen sich nicht nur auf Connors Rückkehrwunsch, sondern auch auf seinen Zahnstatus nieder. Bei einem Pubbesuch14 trieben rassistische Beschimpfungen Connor in eine Schlägerei, die den Verlust eines Schneidezahnes zur Folge hatte. Doch weniger der Alltagsrassismus entsetzte Connor, da er die Jahrhunderte zurückreichende Geschichte der rassistischen Stigmatisierung der Iren als Propaganda der herrschenden Klasse bewertet. Umso mehr regt ihn die „unconscious imperialistic attitude in the left in Britain“ auf. Einzig die Solidaritätserfahrungen mit englischen Arbeitern im Rahmen des Bergarbeiterstreiks Mitte der 1980er-Jahre hebt er als rühmliche Ausnahme hervor (vgl. Kapitel „Irische Migrationserfahrungen in Großbritannien: Diskriminierung und Politisierung“). Der Bergarbeiterstreik festigt Connors Haltung gegenüber der britischen Regierung und seine unvoreingenommene Haltung gegenüber „British people as such“. Connors Antipathien gelten nicht der britischen Bevölkerung, sondern dem politischen Establishment: „The Union Jack and all that it represents.“ It (der Bergarbeiterstreik, J. V.) showed me the extent that the British state was prepared to go to to attack its own people and that is always a help. Because I mean when you’re here and you’re being attacked by the British state and then you go over there and you see them attacking their own people it really helps you to understand what the state is. It was unbelievable! But that’s what happened. So, things like that do certainly help you to understand what the ruling class are really all about. And how they’re not national at all. They are just the ruling class.

Connor erzählt vom Generalverdacht des Terrorismus, unter den irische Migranten in Großbritannien gestellt wurden. Dies führte zu verschärften Kontrollen irischer Reisender. Dabei spielte die Ablehnung der irischen Sprache durch britische Be-

14 Dabei betont auch Connor, dass irischen Migranten bei der Wahl ihres Pubs durchaus Vorsicht walten ließen, „because you’d be persecuted. I mean there was certain Irish bars…because in some of the bars you would get a little bit of hassle”.

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hörden eine besondere Rolle. Connor verpasste sogar einmal seinen Flug, weil er sich entgegen der Aufforderung der Polizei weigerte, seinen Namen ins Englische zu übersetzen. Any time you were going into England or coming out of England, if you were Irish you were stopped. There was several occasions when I had hassle because the name was in Irish, there was one time they held until the plane went because I wouldn’t translate my name into English for them. Just petty harassment all the time. They kept me until the plane had gone. J. V.: They wanted you to spell your name in English? Yeah. I told them there was no English. François Mitterrand, what would they do with him? I said. It’s just a different language I told them. But they wouldn’t accept that but that’s because they wanted to harass you.

Die kulturelle Differenz, die Connor zwischen Irland und Großbritannien wahrnimmt, bezieht er auf jene Engländer, denen er eine „protestant work ethic – that the capitalists fucking try and propagate“ attestiert, jedoch nicht gegenüber anderen Migrantengruppen. Ähnlich wie John (vgl. Kapitel „Selbstethnisierung“) berichtet Connor über aktive politische Solidarisierung von weißen und schwarzen Aktivistengruppen in Großbritannien. Daher frage ich ihn, ob seine in Großbritannien gemachten Erfahrungen ihn für die zunehmende Immigration, die mit dem rasanten sozialen Wandel in Irland einhergeht, besser vorbereiteten als Iren ohne Migrationserfahrung. I’d say definitely. Definitely. Because you see the bad side of things, like when I went to London first the thing that amazed me was all the black guys driving cars being stopped at the side of the road by the coppers. I couldn’t believe it! You’d only go a little bit down the road and there’d be a car pulled in driven by a black bloke and a copper asking him for details. The racism was incredible! Luckily where I was there was a good mix. Where I lived the English were a minority nearly round Clapham area, there was a huge Greek Cypriot population, there was an Irish population and there was blacks, and there was a certain amount Asians there as well. But everybody got on really well. And in fact, there was a – what they call – an uprising 15

there at one stage, Brixton , when there was all the various things that the coppers did that

15 Brixton, ein Stadtteil im Süden Londons, wurde 1981 Schauplatz einer der größten gewalttätigen Ausschreitungen im Großbritannien des 20. Jahrhunderts, ausgelöst durch erhebliche soziale Spannungen und rassistisches Vorgehen der Polizei. Connor bezieht sich vermutlich auf den erneuten Ausbruch von Gewalt in Brixton im Jahr 1985, dem eine Woche später Ausschreitungen in Broadwater Farm folgten.

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got people… In Broadwater Farm

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there was – what they called – an uprising where there

was the first copper killed in England. And it was black, white and Asian all fighting together. It was really, really good.

R ÜCKKEHR ZUM „K ELTISCHEN T IGER “: K RISE ALS C HANCE FÜR POLITISCHEN W ANDEL ? Nach seiner Rückkehr wird Connor Zeuge des irischen „Wirtschaftwunders“, dessen Auswirkungen er als derart negativ einschätzt, dass sie positive Konsequenzen für die politische Mobilisierung haben könnten. Im „Keltischen Tiger“ sieht er nicht den Verbesserer der Lebensverhältnisse, sondern die Ursache für Konsumismus und Zeitdruck. The Celtic Tiger could have been done at any stage. It’s just entirely to do with bringing down taxes to bring foreign companies in. That was the start of it. And then what the banks did with pushing up the price of land, and giving people bigger mortgages, putting a lot of money in the middle class so they could go on this consumer frenzy that they went on. You have things like – out your way – I’m having seen it yet but that big Dundrum Shopping Cen17

tre.

It’s unbelievable! It’s sad – that they have to buy all this stuff to justify their existence

or to be somebody. They won’t be able to sustain it.

Connor sieht in der Unzufriedenheit vieler Menschen in Irland, die unter astronomischen Immobilienpreisen, hohen Lebenshaltungskosten, Konsumdruck, Hektik und einer Ökonomisierung aller Lebensbereiche leiden, das Mobilisierungsmoment für eine neue politische Bewegung. They’re so pissed off that they would support a movement. Because they have a choice: They can either support a movement that is going to change things or they can refuse to support it and continue to have a life at such a low level. And I’m convinced that most of them will support the change because it benefits them enormously. Hugely.

16 Broadwater Farm ist ein Wohnbezirk in Tottenham im nördlichen London, ähnlich wie Brixton geprägt von sozialen Spannungen und Kriminalität. Ein Polizist kam bei den Ausschreitungen ums Leben. 17 Nicht weit von meinem Wohnort im Süden Dublins wurde 2005 eine riesige Shopping Mall nach US-amerikanischen Vorbild eröffnet.

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Die Tatsache, dass Irland ein europäischer Kleinstaat ist, betrachtet Connor als weiteren positiven Faktor für politischen Aktivismus und die Mobilisierung breiter Bevölkerungsschichten. Ireland is a small country. It’s easier to do things here. Because when you start moving here, what the capitalists always do is, they divide up all the problems and they try not to get people to put them altogether. But when you can talk to people here, and it’s a small enough country to do it, slowly but surely, to go area by area, to talk to people and to tie together things like the housing, hospitals – because everybody in the country has been to a fucking hospital with some relative or friend and they’ve been sitting there for hours, and they’ve seen people on trolleys when these consultants have just got another massive pay increase, and they have all these private beds in the public hospitals.

Sowohl beim Rückblick auf die irische Geschichte als auch bei der Entwicklung politischer Perspektiven für die Zukunft weist Connor der irischen Sprache eine zentrale Rolle zu. Damit stellt er sich in eine lange Traditionslinie irischen Strebens nach politischer und kultureller Selbstbestimmung. Bereits das Gaelic Revival (vgl. Kapitel „Gaelic Revival: Die Konstruktion des irischen Nationalismus“) erhob Ende des 19. Jahrhunderts die irische Sprache zum bevorzugten Medium, einer Neubestimmung irischer Identität. Die Wiederbelebung des Irischen ist seit Generationen integraler Bestandteil der irischen nationalen Bewegung. Bereits in Connors Elternhaus wurde aus politischen Erwägungen die bewusste Entscheidung getroffen, Irisch zu sprechen.18 That was a conscious decision. My mother’s grandparents would have been native speakers. She was from Clare. But the native Irish in Clare more or less died out at the time of her grandparents because after what they call the famine – it’s hard to get away from that term but it’s so obscene to call it a famine when there was so much food growing in the country. And only people from a certain sector were dying of starvation. That had such a huge traumatic impact on the people that it nearly killed the Irish language because it was the Irish speakers in the main that died. Vast majority of people who died were Irish speakers. And it was a conscious attempt by the British government and the land lord class to wipe them out.

18 In Irland trifft man auch auf Fälle, in denen innerfamiliäre und politische Spannungen gänzlich an Trennschärfe verlieren, wenn sich ein Ehepartner für Englisch, der andere für Irisch entscheidet.

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S PRACHPOLITIK : I RISCH ALS ANTIIMPERIALISTISCHES M ITTEL ZUR F REIHEIT ? Nicht erst in den letzten Jahren des gestiegenen irischen Selbstbewusstseins haben sich viele Iren dazu entschlossen, die englische Version ihres Namens abzulegen und stattdessen die irische zu benutzen.19 Die Tatsache, dass er IrischMuttersprachler ist und so auch sein Name nicht erst nachträglich ins Irische übertragen wurde, ist für Connor ein wichtiger Baustein seiner Identität als Ire und als politischer Mensch, der sich dem Kampf gegen den britischen Imperialismus und für ein vereinigtes, sozialistisches Irland verschrieben hat. It gives you a totally different sense being in the country when you’re an Irish speaker because, I mean, if I meet other Irish speakers somewhere we have a bond straight away. It’s extraordinary. And for most Irish speakers it’s an anti-imperialist bond because the language was...the language movement was always tied up with the struggle for freedom. And that’s why the government here, when the Free State government took over in 1922, that’s why they consciously decided that though they would have to appear to teach Irish that they would not in actual fact give people any sort of love or liking for the language. They would teach it in such a way that most people would end up hating it.

Diese Feststellung kann man nur unterstreichen. Zahlreichen Kommentaren irischer Lehrer und Schüler konnte ich entnehmen, dass Irisch als Unterrichtsfach ungefähr so beliebt ist wie Latein in meiner Schulzeit, was sicherlich auch daran liegt, dass es ein Pflichtfach ist, das man belegen muss, um das Leaving Certificate20 zu erhalten. Allerdings bedeutet für viele Iren die Unkenntnis der irischen Sprache, die sie als ihre eigentliche erachten, einen schmerzhaften Verlust. Insbesondere Menschen aus „bildungsfernen Schichten“, die im Rahmen ihrer schlechten Schulbildung keine Möglichkeit hatten, Irisch zu lernen, leiden regelrecht unter dem Verlust des Irischen und dem Umstand, dass Englisch, die Sprache der Eroberer, die einzige Spra-

19 Einige meiner irischen Bekannten haben diese spezielle Form der Umbenennung vollzogen und benutzen nur noch die irische Version ihres Namens, insbesondere ältere Menschen leben mit zwei Versionen, einer englischen und einer irischen. Diese Irisierung oder Gälisierung des eigenen Namens findet fast nie ohne politische Intention statt. Sie zeigt darüber hinaus, wie die intimen Bereiche des eigenen Lebens – und was ist intimer als der eigene Name? – von Politik beeinflusst werden. Der von Connor erwähnte ehemalige Kopf der IRA Seán MacStíofáin hieß bei seiner Geburt John Stephenson. Seine Umbenennung sollte als Symbol für die Verschreibung seiner Person an den irischen nationalen Befreiungskampf wirken. 20 Irisches Äquivalent zum deutschen Abitur.

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che ist, die sie beherrschen (und die sie beherrscht). Sie empfinden dies als sprachliches Manko und Lücke in ihrer Identität, die von den britischen Eroberern verursacht wurde. Meine kritische Sicht auf die irische Sprache, deren Beherrschung Vorraussetzung für viele Beschäftigungsverhältnisse im öffentlichen Dienst ist, speist sich aus dem Eindruck, dass die Beherrschung des Irischen heute auch als Mittel zur gesellschaftlichen Exklusion funktioniert, da spezielle Sprachkenntnisse in erster Linie eine sozioökonomische Frage sind. Dieser Eindruck wird jedoch z. B. dann gebrochen, wenn man hautnah erlebt, dass erwachsene Menschen – nach dem Genuss des einen oder anderen Drinks – in Tränen ausbrechen, weil sie so sehr darunter leiden, dass sie kein Irisch können. Zu meiner Überraschung teilt Connor meine kritische Einschätzung der aktuellen Sprachpolitik der irischen Regierung, allerdings unter anderen Vorzeichen. Er zweifelt am tatsächlichen politischen Willen der Regierung, dass Irische allen zugänglich zu machen. I don’t accept that they have any sincere interest in the Irish language at all. They’ve been opposed to it. When Ireland joined the EC they wouldn’t put Irish forward as an official language. They only put English. They didn’t want to have anything to do with Irish. But there’s been a big campaign from Irish speakers for the government to do something over the last number of years to get Irish status within the EU. And so you have one government minister who is meant to favour the Irish but I don’t think he’s representative of government thinking at all. They’d much prefer that the Irish went away. Much prefer it went away!

Den Umstand, dass insbesondere Menschen mit schlechter Schulbildung keine Chance haben, Irisch zu lernen, hält Connor für einen absolut unhaltbaren Zustand. That will change as well!! Because they should give money to people to provide them with holidays in the West where they can learn Irish and they will be paid for doing so.

Einen bezahlten Sprachurlaub in den Gaeltacht Regionen im Westen Irlands, in denen sich irische Sprachinseln erhalten haben, hält Connor also für eine unerlässliche politische Maßnahme. Den Sprachunterricht in irischen Schulen, in denen erfolgreich europäische Fremdsprachen, aber nur mangelhaft Irisch unterrichtet werde, hält er für eine planmäßige Politik des politischen Establishments. Deutlich wird, dass Connor die zurzeit in Irland herrschende Sprachpolitik für elitär und exklusiv hält. Dabei nimmt er einen aussagekräftigen Vergleich mit Exklusionsprozessen in anderen gesellschaftsrelevanten Zusammenhängen, in diesem Fall der Socialist Workers Party (SWP) vor. Außerdem hebt er die Bedeutung der Gaelscoil Bewegung hervor, die sich für die Schulsprache Irisch einsetzt und auch außerhalb der Gaeltacht Regionen irischsprachigen Schulunterricht anbietet. Connor sieht in der Gaelscoil Bewegung eine Möglichkeit, im Rahmen einer egalitären und emanzipativen Bildungspolitik für weitergehende politische Ziele einzutreten. Dabei hebt er die Bedeutung der nordiri-

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schen Erfahrung und die Früchte des nordirischen Kampfes für die Situation in der Republik Irland und für ein kulturell geeintes Irland hervor. When they’re going to secondary school, they still do Irish and French, or Irish and German, but when they come out they can speak German or French but they can’t speak fucking Irish. And it’s not accidental! It couldn’t be accidental after 80 years. It can’t be accidental. There was a guy here, he was in the communist party, he was a great Irish speaker, and he gave a lecture that the communist party translated into English. He was talking about these people who are in a lot of these Irish language bodies, and they are a small little circle themselves – and they’re like the leadership of the SWP. They don’t want a lot of people coming in because as long hardly anybody comes in they’re grand! They get money from the government, they’ve got a good standard of living – so what’s wrong? They’re grand. But amongst the people in general there’s been a huge rise in the amount of gaelscoileanna and these are always set up by ordinary people. They are set up against the department of education; it didn’t want them at all. So, some of them would have been in shags, in sheds and stuff. And some of them still are in very, very bad accommodation. But that’s a desire for the ordinary people to reclaim the language. Where I live now there’s an English secondary school that they split in two thirds because there were so many people coming from these gaelscoileanna that wanted to continue their education through Irish that they had to split the secondary school. One third would be just English. That happened three years ago out in Kilbarrack. And it’s tremendous, and it can be encouraged even more! And it will be encouraged even more. The North will have a huge impact – what happened in North over the last 30 years down here. Because a lot of the prisoners learned Irish inside in prison and so when you go to Donegal, it’s the only part of Ireland where Irish is spoken in a very proud way in Donegal. In other parts they speak Irish but sometimes they’re even a little bit embarrassed about it because of all this colonial garbage and inferiority conditioning. But in Donegal it’s not, and it’s because of the Belfast and the Northern people. And the same is trickling through down here. And it is part of the whole fight back because there another…See, Connolly now, I’d say that I’d be a Connolly person as regards political…Connolly would have gone along with Marx but he developed a theory himself as well. Here’s another great little pamphlet, and because he was a working work man – it’s another great thing about him (lacht) – he only wrote small little books. So, it’s much easier to read and to discuss. And he has a great one called „The ReConquest of Ireland“ – and that’s what this is about: The reconquest of Ireland is starting! And it really is. It’s starting in this period that we’re in, and it means taking the whole lot back: We take back the language, we take back the land, we’ll take the banks, we’ll take everything!

Da Connor unzweifelhaft kein PR-Experte der Gaelic League ist und ich die extrem starke Betonung der Bedeutung der irischen Sprache dem irischen Nationalismus des vergangenen und vorvergangenen Jahrhunderts zugerechnet hätte, halte ich seinen Enthusiasmus, mit dem er der irischen Sprache ein revolutionäres Potenzial zu-

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schreibt, zu Beginn des 21. Jahrhunderts für anachronistisch. Dass ich mich (noch) nicht von Connors Begeisterung anstecken lasse, hat gewiss auch damit zu tun, dass ich den irischen Nationalismus aufgrund seiner exklusiven Konstruktion von Irishness, die rassistische Ressentiments begünstigt, als politisches Konzept alles andere als attraktiv finde. Wo finden in dieser politischen Vision die nicht-irischen Einwanderer der Gegenwart ihren Platz? Connor, ein Republikaner mit antirassistischem Selbstverständnis, sieht hier jedoch gar keinen Widerspruch. In seiner politischen Vision einer politischen Bewegung, die für ein geeinigtes und sozialistisches Irland kämpft, stehen Iren und nicht-irische Einwanderer Seite an Seite. They would of course be part of that movement because their children are learning that. When their children go to school they get a Dublin accent. It can be the same with the Irish. Like you said yourself most people in the Inner City don’t speak Irish because the schooling was appalling! But they’ll have a chance! Everybody will have a chance to speak Irish.

Für Connor ist der Kampf um die irische Sprache gleichbedeutend mit dem Kampf für Freiheit. Irisch soll Iren und Nicht-Iren mit einem antiimperialistischen Band verbinden. Ich gelange zu der Auffassung, dass die Argumentationslinien von Connor und mir gar nicht so unterschiedlich sind. Beide halten wir die herrschende Sprachpolitik für Elitismus. Während ich jedoch die Variante präferiere, das Irische den Gang alles Irdischen gehen zu lassen, und den Iren, denen ohnehin nachgesagt wird, ein schöneres Englisch als die Engländer zu sprechen, eine entspannte Umarmung einer ausgesprochen praktischen Weltsprache nahezulegen, tritt Connor im Rahmen einer postkolonialen Logik vehement für eine Verbreitung der irischen Sprache als emanzipativen Akt ein, der durch eine radikale Veränderung der herrschenden Bildungs- und Sprachpolitik möglich gemacht werden soll. It’s to do with a sense of identity. It would be a bilingual society. People would speak Irish and English. But if you neglect the Irish, forget the Irish and you would be turning your back on all the culture that goes with it and embracing the language of the invader – just accepting that they were right, that they had the better language.

Besonders bemerkenswert ist Connors inklusiver Ansatz einer Sprachpolitik, die Irisch als Medium der Befreiung nicht nur für Iren anbietet, sondern allen, die in Irland leben und somit Teil eines gesellschaftlichen Wandels werden können.

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I RISHNESS

ALS

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K LASSENFRAGE

Genauso wie Connor jede Diskriminierung von „British people as such“ ablehnt, so offen ist sein Verständnis von Irishness, zu der Einwanderer unbedingten Zugang haben sollen. Während unseres Gesprächs stellt sich heraus, dass wir beide viel über die Frage Was ist Irishness? nachgedacht haben. Für mich spielte dabei die Auseinandersetzung mit der einschlägigen Forschungsliteratur ebenso eine Rolle wie die Gespräche mit Menschen, deren Teilhabe an Irishness unbestreitbar ist. Deswegen befragte ich sie nach ihrem Verständnis von Irishness, wobei die Antworten stets sehr unterschiedlich ausfallen. Meine Lieblingsfrage in diesem Kontext, die vielfach verneint wird, lautet, ob auch ich als Berlinerin Teilhabe an Irishness erlangen kann. Connors Antwort fällt eindeutig aus. Oh, I think you can. Of course. Everybody can be…It’s not homogenous. There’s people on the South Side who would regard being Irish as going to the horse show that’s on at the moment in the RDS

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and going sailing and their life style…what they would consider Irish

would be...it’s been alien to me to a certain extent and to most working class people. But I mean, are they the less Irish for that? It’s a huge thing. It’s very hard to define. It depends. It breaks down more across class, really I think. And I think that in general that the working class would be more…they’d be more open to people, to saying that somebody would be Irish. Because for the others it doesn’t matter really anyway. The middle class when they go to England, they are the ones that would always talk about „Oh, we should forget about our differences.“ You know what I mean. And all this shite.

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Why focus on the famine and

whatever happened?! But that’s because they have money and they have wealth. The working class would be the dispossessed because we’d been screwed by the system, and the system that we’d been screwed by was primarily a colonial system that expropriated the people. You had the colonial system and then you had capitalism thrown on top of that as well, so you are 23

doubly screwed. And then you had your own traitors, your own shoneens coming into power and screwing you again. In fact, that bit you gave me, those papers about mental illness amongst the Irish…You gave some papers to Amelia to give me about…a chapter somebody has written „White skin, White masks“. That was fantastic. It was really brilliant. Very, very interesting. Thanks. And it’s applicable not just to cultural things in Britain but some of it I find relates very much to the problems that heroine users have in the Inner City. They are in a society that they can’t just exist in as such. They can’t express themselves properly, they

21 Die Royal Dublin Society (RDS) befindet sich in Ballsbridge, einem Stadtteil im schicken Dublin 4. 22 Variante des englischen Wortes shit. 23 Ein etwas altmodischer, abwertender Begriff, der Iren bezeichnet, die gegen den irischen Befreiungskampf sind und/oder die britische Kultur mehr wertschätzen, als die eigene.

214 | UNDOING I RISHNESS don’t have the work, they don’t have the education, they don’t have the place to live. They have fuck all really and that’s why most of them get into the heroine really. And it’s the same in Britain with the mental illness or the alcoholism. Huge amounts of Irish over there I used to come across, masses of them. And a lot of them are lonely old people now, living on their own. And that’s the consequence of this colonisation. But if you’re middle class you wouldn’t be on your own over there. So being Irish there is different class dimensions to it. And the rich people don’t even regard themselves as Irish anyway. Not the really rich.

Connors wichtigste ideologische Bezüge sind Antiimperialismus, Nationalismus und Marxismus, weswegen er stets eine ökonomistische Argumentationslinie verfolgt, die seine Rassismusanalyse und sein Identitätskonzept erklärt. Ihm schwebt eine politische Mobilisierung auf der Basis von Erfahrungswerten in Bezug auf die eigene politische, ökonomische und gesellschaftliche Position – oder, ein Begriff der Connors politischen Ansichten eher entspricht: Klassenzugehörigkeit – vor. Sein Identitätskonzept basiert weder auf Phänotyp noch auf ethnischer Herkunft. Die Herausforderung für mich im Gespräch mit einem Republikaner, der sich sehr stark in der Tradition des nationalen Befreiungskampfes, insbesondere des Fenianismus verortet, besteht vorwiegend darin, dass Connor trotzdem nicht an die traditionelle Vorstellung dessen, was Irishness bedeutet, anknüpft, sondern ein Modell von Irishness favorisiert, zu dem transnationale Solidarität mit ökonomisch marginalisierten Menschen gehört. Für Connor speist sich Irishness nicht aus einer mythischen gälischen Vergangenheit. Diese Gleichzeitigkeit aus traditionellem irischen Nationalismus und einem inklusiven Konzept von Irishness bringt mich dazu, Connor nach seiner Meinung zu dem Zitat aus den Commitments „The Irish are the niggers of Europe.“ zu fragen. Als ich ihm erzähle, dass viele der Meinung sind, dass es rassistisch ist, sich als weißer Westeuropäer als N. zu bezeichnen, fällt er mir ins Wort: But it’s reality. I mean you can pretend that it’s not there but blacks are treated differently in society, and Irish were treated differently in society as well. We were the blacks. We were the slaves. And it mightn’t be very p.c. to say it but some elements of political correctness are just middle class shite. Really, you know. Racism is about power. And it is more than skin colour. I always thought it was blacks that said we’re the blacks of Europe…In that context in „The commitments“ it wouldn’t be… I have huge problems with the „nigger“ word, I really do. That’s an insulting word. It can’t mean anything else. Whereas black is different. I mean I would accept entirely that if somebody is black that they can call themselves whatever they want because with them it’s kind of…mh…it’s like I could call another Irish person in London a „Paddy“. It wouldn’t be offensive as such. Whereas if an English person called me a „Paddy“ then it would have offensive overtones. I wouldn’t see that acquainting ourselves with the blacks is in any way racist at all. I mean blacks are discriminated against. – There’s programme on tonight. They do a thing on RTÉ to fill in their schedule: they just pick out

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little bits of programmes that were on maybe 20, 30 years ago. There’s one tonight. I think it’s 1963 or 64, and they have the riots in America. And I mean it’s only in the last 15, 20 years that some blacks in America have achieved any sort of movement in society.

Von Connors Rassismusanalyse, nach der Rassismus nicht auf Diskriminierung aufgrund der Hautfarbe zu reduzieren ist und die einer Herrschaftsanalyse gleichkommt, zum Verweis auf die US-amerikanische schwarze Bürgerrechtsbewegung ist es kein weiter Schritt. Denn für ihn zählt nicht der Phänotyp, sondern die Gemeinsamkeit der Unterdrückungserfahrung. Der Begriff N. sollte zwar für Weiße tabu sein, doch eine Betonung der gemeinsamen Erfahrung, Objekt eines kolonialen Rassismus geworden zu sein, und das Konzept von political blackness (vgl. Kapitel „Irland als Einwanderungsland: Von der Solidarisierung zur Diskriminierung?“) tritt deutlich aus seinen Aussagen hervor. Über die Iren sagt er: „We were the blacks. We were the slaves.“ Zudem konstatiert Connor: „We are the only colony in Europe.“ Die daraus resultierende Selbstsicht, unterdrückt zu werden, führt zur Solidarität mit anderen marginalisierten Bevölkerungsgruppen weltweit. Die Bürgerrechtsbewegung in den USA nahm nicht nur erheblichen Einfluss auf die nordirische Bürgerrechtsbewegung, sondern bildet noch heute für Antirassismus in Irland einen überaus wichtigen historischen Referenzpunkt. Auf einer antirassistischen Kundgebung im Sommer 2005 erlebte ich, wie ein weißer irischer Gewerkschaftsvertreter die anwesenden schwarzen Demonstranten, darunter viele Immigranten und Asylbewerber, als „Brüder und Schwestern“ ansprach – ein „Verbrüderungsakt“, der auf einer deutschen Antirassismusdemonstration schwer vorstellbar ist. Ich frage Connor nach dieser starken Identifikation mit der schwarzen Bürgerrechtsbewegung. Oh, yes. It was very closely linked. Even the songs were the same. The songs came from America. „We shall overcome.“ J. V.: That song was used by the civil rights movement in the North as well… Yes. And that’s why I’m confident that there will be great events in Europe after we move here in Ireland.

I RLAND

ALS POSTKOLONIALE G ESELLSCHAFT UND DER K AMPF GEGEN DEN I MPERIALISMUS : „ GUTER N ATIONALISMUS “ VERSUS „ BÖSER N ATIONALISMUS “ Die Solidarisierung mit dem Kampf der Schwarzen, der Verweis auf das Konzept der political blackness und Connors unerschütterlicher Optimismus sind eine Manifestation von Klassenbewusstsein und der Überwindung spezifischer exklusiver na-

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tionalistischer Traditionen. Connor verleiht seiner Argumentation Nachdruck mit einer systematischen Bezugnahme auf die irische Geschichte, ohne dabei auf eine egalitäre und emanzipative Strategie zu verzichten. Letztlich geht es hier auch immer um die Überwindung des Kapitalismus, die mit der Einigung Irlands aufs Engste verknüpft wird. Was jedoch hat für Connor Vorrang – das Nationale oder das Sozialistische? The socialist struggle. You see, in Ireland, the national struggle in a colony or in a form of colony is always different from a national struggle in an imperial country. So, whereas nationalism in Ireland would be totally different to nationalism in Britain or Germany or France or anywhere else because it’s a coming together of people against the enemy that has colonised them whereas in countries like Britain, France or Germany that’d be a coming together to lorded over the people that have been conquered. The nationalism, like the British, French or German nationalists would always be the right wing elements who would say „We’re such a great people. We’ve done this, that and the other.“ But nationalists in countries that are colonies are only brought together…the only reason that they would be called nationalists is because they would all be on the same piece of territory fighting against a common enemy. But it’s totally different. The nationalism of the oppressed is very different from the nationalism of the oppressor. Totally different. It’s an internationalism. I mean if you looked at the republican paper, you’d see articles in it all the time about struggles all around the world from Australia through the South America, through struggles in the States itself. J. V.: Sandinista… Yes, and the Palestinians. This is a thing about the republican movement. This is why I’m becoming so optimistic at the moment because the only group, the only movement in Ireland that has links with all these groups is the republican movement. The labour movement doesn’t. And you only have either the labour movement or the republican movement really in Ireland. And the labour movement only had links with the Stalinists, with Ceausescu or with Honecker or with people like that.

Die in der politischen Arena Irlands oft anzutreffende Idee des Befreiungsnationalismus, der in Connors politischem Weltbild sogar zu einer internationalistischen Bewegung wird, stellt gleichsam eines der größten ideologischen Probleme dar, auf die mich meine Forschung stoßen ließ. In der theoretischen Bestimmung von Rassismus (vgl. Kapitel 1) gehe ich ausführlich auf die ideologische Verknüpfung von Nationalismus mit Rassismus ein und zeige im vierten Kapitel, wie im irischen Nationalismus Geschichte, Kultur und „Rasse“ dazu dienten, ein System der Differenz zu etablieren, das auf einer exklusiven Definition dessen, wer zur Irishness dazugehört und wer nicht, basiert. Dies deckt sich mit der Erfahrung, dass Nationalismus niemals ein emanzipativ-egalitäres Konzept sein kann. Wie kann ich nun also auf die von Connor aufgemachte Unterscheidung zwischen einem „guten Nationalismus“ der Unterdrückten und einem „schlechten Nationalismus“ der imperialisti-

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schen Unterdrücker reagieren? – In meiner Feldforschungszeit habe ich die Erfahrung gemacht, dass sich über den Wert des Nationalismus als wegweisendes politisches Konzept im günstigen Fall trefflich streiten lässt. In ungünstigeren Fällen, insbesondere wenn die antiimperialistischen Traditionen betont werden, entschwindet die Gesprächsperspektive, insbesondere, wenn es um Israel und Palästina geht. Da der geschilderte Konflikt nur schwer und nicht auf die Schnelle aufzulösen ist, möchte ich vorläufig Balibars differenzierende Analyse anführen. Dieser hebt die Mehrdeutigkeit der Kategorie Nationalismus hervor, betont jedoch, anders als Connor, das antiegalitäre/antiemanzipative Potenzial jedes Nationalismus: Es ist durch nichts gerechtfertigt, den Nationalismus der Herrschenden und den Nationalismus der Beherrschten, den Nationalismus der Befreiung und den Nationalismus der Eroberung einfach gleichzusetzen. Aber dabei dürfen wir nicht übersehen, daß es ein Element gibt – und wäre es nur die Logik einer Situation, die strukturelle Einbindung in die Politikformen der heutigen Welt –, das dem Nationalismus der algerischen FLN und dem der französischen Kolonialarmee, dem Nationalismus des ANC und dem der Buren gemeinsam ist. Im äußersten Fall heißt das: diese formale Symmetrie hat uns wiederholt eine schmerzhafte Erfahrung gebracht: das Umschlagen der Befreiungsnationalismen in Beherrschungsnationalismen [...], das uns immer wieder vor die Frage gestellt hat, welches repressive Potential in jedem Natio24

nalismus steckt.

Das, was für Connor selbstverständlich erscheint, die Existenz eines „guten Nationalismus“ neben einem „schlechten Nationalismus“, bezeichnet Balibar als „Dilemma“, das im Begriff Nationalismus bereits selbst angelegt ist, der sich unaufhörlich teile. Trotzdem beinhalten Balibars Feststellungen eine Charakteristik von Nationalismen, die Connors Definition äußerst nahe kommt. Es gibt immer einen guten und einen schlechten Nationalismus: denjenigen, der seiner Tendenz nach einen Staat oder eine Gemeinschaft aufbaut und denjenigen, der seiner Tendenz nach zerstört und unterdrückt: denjenigen, der sich auf das Recht bezieht und denjenigen, der sich auf die Macht bezieht, denjenigen, der die anderen Nationalismen duldet, sie sogar rechtfertigt und in eine gleiche historische Perspektive einbezieht [...] und denjenigen, der aus einer rassistischen und imperialistischen Denkweise heraus radikal ausschließt.

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Connors Definition von Nationalismus wirkt sich auf seine Definition von Rassismus im gegenwärtigen Irland aus. Faktoren, die in dieser Rassismusanalyse eine Rolle spielen, sind der Kampf um Ressourcen, wie z. B. Wohnraum, und der Ein-

24 Balibar: Rasse, Klasse, Nation, S. 59. 25 Ebd., S. 61.

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fluss, den das Fernsehen und die Medien bei der Verbreitung rassistischer Stereotype nehmen. There is a racist problem in Ireland – without a doubt. But that’s because in any population you gonna get a certain percentage of right wing people who will, because of their own inadequacies, they’ll try and pick on somebody else, and the easiest person to pick on is somebody of a different colour. I mean, before there was people of a different colour here they would have picked on – in the city like – they would have picked on people coming from the country, call them culchies and all sorts of things. Now, they don’t have to. Now, they can pick on the people of a different colour. But you’ll always have a small percentage of them but with a campaign on housing for instance you’d cut across any development of racism that could possibly grow. [...] I would and I’d say it’s not even as bad as in most other societies because Ireland never had any colonies. And if you have a colony you have to show that the people whose land you are taking and whose resources you are taking that they need you. So they are not quite as good as you. Either they are a bit primitive or whatever but you are coming there with your civilisation and you are helping them. So, imperialism necessitates racism. And that’s what happened here, despite the tremendous level of culture that was here at first, the English…or the Normans were saying that the Irish were barbaric. But then down the centuries the English had to keep saying it that the Irish are stupid. They point out to the situation in the North and they say the North „It’s terrible. It’s the Catholics fighting the Protestants and the British are there trying to keep the peace.“ So, racism is more endemic in a colonial country than it is in a colonized country. The only thing we’ve taken here is TV…you have it coming from the TV, and you have it coming from the newspapers and the media. It’s not a deep down thing. There’d be more problems in Ireland with anti-Semitism than there would be with racism.

Connors antikapitalistische Kritik und sein formelhaften Einschätzungen wie „imperialism necessitates racism“ erinnern an die von einigen Marxisten vertretene These, dass alle gesellschaftlichen Probleme auf den „Hauptwiderspruch“ zwischen Arbeit und Kapital zurückgeführt werden können. Demnach erscheinen alle anderen gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnisse, wie Rassismus und Patriarchat, als „Nebenwidersprüche“, deren Überwindung durch die Beseitigung des Hauptantagonismus quasi sicher sei.26

26 Im Gegensatz zur Hauptwiderspruchsthese gehen der Triple-Oppression-Ansatz oder die Mehrfachunterdrückungs-hypothese von der Gleichzeitigkeit der Unterdrückung durch Klassismus, Rassismus und Sexismus aus. Da sich unterschiedliche Diskriminierungserfahrungen nicht nur in einer Person addieren, sondern zu einer bestimmten Diskriminierungserfahrung verschmelzen, setzt sich in den letzten Jahren zunehmend das Konzept der Intersektionalität in der Analyse von sozial konstruierter Ungleichheit, insbesondere in den

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Rassismus erscheint in Connors Ausführungen als ein Importgut, das einst die fremden Eroberer zur Unterdrückung der irischen Bevölkerung benutzten und das bis heute aus der imperialistischen Welt via Filme, TV und Internet nach Irland gelangt. Der Einfluss der britischen Medien und Populärkultur bei der Verfestigung rassistischer Bilder, sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese in Irland selbst ebenso verwurzelt sind, wie in den Ländern, die Connor als Rassismusexporteure dingfest macht. Eine unerwartete Wendung nimmt das Gespräch, als Connor beginnt über Antisemitismus zu sprechen, den er im Vergleich zu Rassismus für das größere Problem der irischen Gesellschaft hält. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Antisemitismus auch und insbesondere in der irischen Linken selten zum Thema gemacht wird, ist seine Stellungnahme bemerkenswert, in der er der katholischen Kirche die Schlüsselrolle für die Entstehung des irischen Antisemitismus zuweist. Well, it’s the church, the Catholic Church. I mean it’s the same in Germany, obviously. Hitler and his anti-Semitic view didn’t spring out of Arian soil. The Catholic Church always had a scene about Jews. [...] The Church was always anti-Semitic, and because the church got very strong in Ireland after the famine. Before the famine the church wasn’t strong at all but after the famine, when they got rid of the Irish speakers, the church became strong. And they brought their anti-Semitic views into society ranting out that the Jews have crucified Christ, and all this sort of shite, and that money lenders…you know…all that garbage.

Letztlich glaubt Connor jedoch nicht an eine tiefe Infiltrierung der Iren mit antisemitischem Gedankengut. I don’t think that anti-Semitism is really a problem here as such. I don’t think it’s a significant problem. I think that anti-Semitic attitudes have not been hammered enough here. The attitude that the Church spread has been left and it’s been hoped that people would outgrow that attitude but that’s not good enough. You have to take it on board and you have to hit it. Now, the reason that it hasn’t been such a big problem here is because…the same reason that racism wasn’t a problem here, it’s because there was hardly any Jews here. And the reason that there was hardly any Jews here is because it was a colony.

Connors Antisemitismusanalyse entspricht der bekannten Fehleinschätzung, dass es ohne Juden keinen Antisemitismus gebe, die vielleicht ähnlich häufig anzutreffen ist wie die auch in Irland weit verbreitete Behauptung, dass Ausländer Rassismus

Gender Studies, durch. Hier wird das Zusammenwirken unterschiedlicher Differenzkategorien wie Sexualität bzw. sexuelle Orientierung, Nationalität, Religion, Alter und Behinderung berücksichtigt.

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verursachen. Dass Connor die katholische Kirche für die Verbreitung antisemitischen Gedankenguts verantwortlich macht, verweist auf seine Vorstellung eines religiös motivierten Antisemitismus. Dieser spielt in einer Gesellschaft, die derart stark vom Katholizismus geprägt war, durchaus eine Rolle. So erinnert sich Ronit Lentin an eine Frage, die ihr 1970 eine RTÉ-Kollegin stellte: „One evening a young Irish woman, when she hears I am an Israeli Jew, asks me why I crucified her Lord.“27 Doch die Diskriminierung von Juden hat auch im katholischen Irland nicht nur etwas mit religiöser Intoleranz zu tun. Moderner Antisemitismus in Irland kann nicht nur als Ausdruck religiös motivierter, von der Kirche verbreiteter Judenfeindschaft interpretiert werden, sondern als Ausdruck eines nationalkatholischen Antisemitismus. Damit stellt Irland mitnichten eine europäische Ausnahme dar, sondern weist ein europaweites Grundmuster auf: Die Konstruktion des antisemitischen Bild des Judens dient der Selbstkonstruktion von Volk und Nation.28 Dabei (in)formierte sich der Antisemitismus bereits im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert über Ländergrenzen hinweg. So spiegelt sich der Antisemitismus der katholischen Presse in Frankreich während der Dreyfus-Affäre in katholisch-nationalistischen Zeitungen wie United Irishman wider.29 Antisemitismus ist ein integraler Bestandteil des irischen Nationalismus. Doch während Connor die Existenz von Rassismus und Antisemitismus in Irland anerkennt, schätzt er weder Rassismus noch Antisemitismus als wirklich tiefer gehende ideologische Durchdringung ein. Hier kommt Connors antiimperialistische und postkoloniale Logik zum Tragen, die die Iren ausschließlich als Opfer eines kolonialen antiirischen Rassismus erscheinen lässt, die sich heute mit anderen Opfern rassistischer Diskriminierung solidarisieren. Aus Connors Geschichtsbild ist die irische Erfahrung der aktiven Teilhabe am imperialistischen Projekt ausgeblendet. Obwohl – wie Connor anmerkt – Irland keine Kolonien hatte, heißt dies keineswegs – wie ich im vierten Kapitel darlege –, dass irische Siedler, Soldaten und Kaufleute an der imperialen Politik gegenüber anderen Ländern nicht partizipierten. Der gegenwärtig zu beobachtende Rassismus in Irland ist für Connor nicht Produkt eines endogenen Prozesses, sondern Erbe des Imperia-

27 Lentin, Ronit: ‚Who ever heard of an Irish Jew?‘ Racialising the intersection of ‚Irishness‘ and ‚Jewishness‘, in: Dies.; McVeigh, Robbie (Hrsg.): Racism and Anti-Racism in Ireland, Belfast 2002, S. 156. 28 Zur Verbindung von Nationalismus und Antisemitismus vgl. Holz, Klaus: Nationaler Antisemitismus. Wissenssoziologie einer Weltanschauung (Hamburger Edition), Hamburg 2001. Holz untersucht den nationalen Antisemitismus, der die Juden als Anti-Nation und Anti-Volk konstruiert. Hieraus speist sich auch die Vernichtungsdimension, denn in der rassistischen Weltsicht des nationalen Antisemitismus stellen die Juden das Prinzip der Nation und des Völkischen als ‚Todfeind aller Völker‘ infrage. 29 Fanning: Racism and Social Change, S. 43.

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lismus und Resultat der Beeinflussung durch eine imperialistisch-rassistische, fremde Kultur.

O RGANISIERUNG Entlang einer ökonomistischen Argumentationslinie und einer klassenpolitischen Analyse des Rassismus im heutigen Irland, den er als Symptom des Kapitalismus und eines Klassenkampfes von oben erachtet, setzt Connors antirassistische Strategie vor allem bei einem Eintreten für gerecht verteilte Ressourcen an. Auch nach seiner Remigration blieb Connor politisch aktiv: „I’d gone to a debate between Sinn Féin and the SWP in Trinity College as part of the Marxism week.“ Hier entschloss er sich, seine antirassistische Überzeugung in der Anti-Nazi League in antirassistische Aktion umzusetzen. Deswegen trat er Anfang des Jahrtausends der SWP bei, die – so Connor – die Gründung der Anti-Nazi League, die in Großbritannien großen Erfolg in der Bekämpfung von Rassismus hatte, in Irland versprach. Now, at the time they were having a conference, their yearly conference, so he gave me the list of resolutions and there was one there setting up the Anti-Nazi League or saying it should be put on a branch basis because of course it comes from the mother organisation in Britain. To have an Anti-Nazi League in Britain, it made sense because there was Nazis. There was hardly any Nazis here. There was only half a dozen nuts here that would call themselves Nazis but you would have more racists. So, it would have been better to have an antiracist thing. They had all this stuff printed in Britain anyway, so it was easier to bring it over. So, the resolution states that it’s to be put on a proper footing with branches and it specifically states that it’s not to be disbanded or not to be superseded by any other organisation. And the very next year they have a resolution against deportations. No mention of the Anti-Nazi League! It had been written out of their books. It’s something that they just take out of the wardrobe when it’s handy. There was this girl that was meant to be setting up the branches so I was constantly phoning her asking when this was going to be done because I’d gone on a march and I’d brought some people on it and they were keen to get involved in antiracist work. But obviously you can’t get involved unless you have some kind of structure and so you need branches but they wouldn’t set up branches because of the fact that if they did set them up they’d be a minority. If they set up the Anti-Nazi League branches to fight racism they would be a minority very quickly because there was a mood – this is about four or five years ago – there was a mood against racism at the time, a strong mood. There was a very good march and you would have had people joining these branches and campaigning against racism.

Connor ist heute noch aufgebracht über das gebrochene Versprechen der SWP. Er ist nicht der einzige meiner Interviewpartner, der eine äußerst negative Meinung

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über die SWP äußerte, die generell keinen guten Ruf in der antirassistischen Szene Irlands besitzt. Abgesehen von den üblichen politisch-persönlichen Animositäten herrscht eine kritische Sicht der politischen Strategie der SWP, auch und insbesondere in puncto Antirassismus, vor. Louis befand: „[...] it hops from issue to issue, and it forgets the previous issues [...]“.30 Connor beklagt zudem den exklusiven Charakter der SWP, durch den eine breitere politische Mobilisierung verhindert wird. They were committed at the conference to developing branches but because the leadership wants to stay in charge of everything, because they don’t really trust people. [...] What they did was they forgot completely…or they didn’t mention the Anti-Nazi League after a year! They didn’t mention it! They didn’t mention those three words in all their documentation for the conference. On the conference they said „The Anti-Nazi League has to be set on a proper foundation!“ I can show you the documents! You know, it’s like Stalin. It was completely written out of history. It was unbelievable. [...] It’s control. It’s all control. The leadership know what has to be done. And you can’t trust anybody to know what has to be done. (lacht) It’s an elitist concept they have. [...] The whole organisation is a shambles. It’s unbelievable. The Militant (s.o.) for all their faults, they were very organised and it was a very disciplined dedicated organisation. We would have had district committees with branches, with structure.

So wird aus Connors Hoffnung, antirassistische Arbeit im Rahmen der Anti-Nazi League zu verrichten, ein nur einjähriges Intermezzo in der SWP, die er im Streit verlässt. Was ich bemerkenswert finde, ist, dass in Irland offenbar auch gestandene Kämpfer gegen den britischen Imperialismus britische Organisationen wie die SWP oder die eng mit ihr assoziierte Anti-Nazi League ohne Argwohn in den irischen Kontext transferieren oder transferieren möchten. Erneut bricht sich die positive Haltung Connors gegenüber „British people as such“ Bahn, die mit seiner Arbeiterklassensolidarität einhergeht. Dabei bezieht er sich auch auf den Mann, der gerahmt

30 Viele der von mir interviewten Antirassisten sammelten in ihrer politischen Vergangenheit mehr oder minder intensive Erfahrungen mit der SWP, einige waren Mitglieder dieser Partei, doch niemand äußerte sich positiv über die Rolle der SWP in der irischen Linken oder über ihre antirassistische Strategie. Um ein Gegengewicht herzustellen, hätte ich wohl ein Interview mit einem SWP-Anhänger führen müssen, was jedoch die Dynamik meines Feldforschungsaufenthaltes nicht mit sich brachte, jedoch nicht beabsichtigt war und bedauert wird. Des Fehlens einer SWP-Position in meinem Interviewmaterial gewahr, möchte ich darauf hinweisen, dass ich die kritische Analyse des irischen Wirtschaftswunders „The Celtic Tiger. The Myth of Social Partnership in Ireland”, verfasst von Kieran Allen, einem führenden SWP-Politiker, Universitätsdozenten und Gewerkschafter, für meine Untersuchung herangezogen habe.

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in seinem Hausflur hängt und der auf der O’Connell Street im Herzen Dublins mit weit geöffneten Armen als Statue verewigt ist: You see, Larkin came from Liverpool. And Connolly came from Scotland. Larkin came over here. He’s an internationalist. He was in a prison in America. He was a founding member of the American communist party in 1917. I mean, Connolly had a great thing about the First World War when he was talking about organising against the war and saying that the capitalist of his own country is just as much an enemy as the worker of another country is a natural ally. So, there’s absolutely no problem. The nationalist element that’s perceived here in the republican movement isn’t nationalism as it’s understood in the English speaking world. J. V.: It’s something else? It is something else! Because the English speaking world is all fucking imperialistic. Nearly. You know what I mean. Whereas this isn’t!

Noch einmal wird deutlich, dass Connor Nationalismus als politisches Konzept nicht grundsätzlich ablehnt. Er begreift ihn nicht als Herrschaftsinstrument, es sei denn er tritt kombiniert mit (britischem) Imperialismus in Erscheinung. In Irland versteht Connor die Nation als Vehikel der Emanzipation. Was denkt Connor heute über die antirassistische Szene in Irland, fünf Jahre nach seinem gescheiterten Versuch, sich der antirassistischen Arbeit im Rahmen einer gut organisierten Antirassismusgruppe zu widmen, die starb, bevor sie das Licht der Welt erblickte? I think it’s very fractured. I don’t think there is one strong antiracist movement. I think there’s definitely need for antiracist work in Ireland. But see, an antiracist movement on its own, all it does is it responds to things. It doesn’t set any agenda. I mean, what agenda really can it set that it can say people should be more integrated into society. That is not class position!

Ein Antirassismus nach Connors Vorstellung ist einer, der sein zentrales Thema Klassenpolitik gleichsam in das Zentrum antirassistischer Bemühungen stellt. Antirassismus muss laut Connor die Systemfrage stellen, nur so habe er eine Chance, nicht zu einer rein reaktiven „Mittelklasseveranstaltung“ zu verkommen. And you see it would be full of middle class people…or not full but you’d get a huge amount of middle class people coming in who’d be there for very good, sincere, humane motives. It’s the same in the Labour party. Rich people would join it because they want to help the poor. And that’s the reason that these middle class people would join the antiracism. The things they have to challenge are the banks because the issues that…Racism doesn’t come about out of nothing. It doesn’t fall out of the sky like rain. It comes about because of certain conditions that have been developed by capitalism. And you have to challenge capitalism in order to defeat racism. And middle class people won’t…in general won’t challenge capitalism. And the

224 | UNDOING I RISHNESS housing is a crucial thing. How would the middle class address that? How would the antiracist movement address the fact that so many people in the Inner City live in appalling accommodation and then they see refugee families being moved by the government into apartments, deliberately, to foster racism. But what would the antiracist movement do about that? Would they say „Aw, no, you have to be fair.“? That doesn’t work. You have to campaign for houses for the people. I think.

Für Connor ist Rassismus primär ein Werkzeug der herrschenden Klasse, um die Arbeiterklasse und deren internationales revolutionäres Potenzial unter Kontrolle zu halten. Connor entwickelt jedoch eine antirassistische Strategie, die so nur in Irland gedacht werden kann: Alle sollen Irisch lernen, um sich am Kampf für eine egalitäre Gesellschaft beteiligen zu können. Am Ende des Interviews bin ich nicht nur von dieser für mich exotisch anmutenden, letztlich jedoch völlig konsequenten Haltung beeindruckt, sondern auch von Connors ansteckendem Optimismus bezüglich der Chancen für einen gesellschaftlichen Wandel in Irland. Then, we can do that! All we’ve got to do is have a majority that says yes. [...] Because you either put people before profit or you put profit before people. You can’t have them equal. One has to come first. And the majority I believe would go for people before profit or people before property. I think we’re laughing. I think we do. I mean, I’m an optimist. But there’s more opportunity in this country now than there ever has been for change in 70 years, 80 years. It’s really brilliant. Really brilliant.

Beschwingt von Connors revolutionären Visionen lohnt es sich, einen Blick auf die Positionen von anderen Befürwortern der nationalen Einigung Irlands und der Partei des irischen Republikanismus Sinn Féin zu werfen, um deren Positionen in ihrer Bedeutung für den Antirassismus in Irland zu untersuchen.

ANTIRASSISMUS , N ATIONALISMUS , R EPUBLIKANISMUS UND S INN F ÉIN Die Untersuchung unterschiedlicher antirassistischer Praxen und Diskurse, wie sie im zweiten und dritten Kapitel geschieht, zeigt, dass antirassistische Akteure unterschiedliche politische Selbstverortungen vornehmen. Insbesondere für den deutschen Kontext wird festgehalten, dass ein positiver Bezug zu Kultur, Ethnizität oder Nation nicht infrage kommt, sofern es sich hier um statische Identitätsangebote handelt, die zur Exklusion des Anderen dienen. Hier wird von einem engen Zusammenhang zwischen Nationalismus und Rassismus ausgegangen, der eine eindeutig antinationale Positionierung erfordert. Für die Selbstkonstruktion von Anti-

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rassisten kann dies auch das Bestreben nach einer Auflösung nationalistischer Identitätskonstruktionen bedeuten.31 In Irland bedeutet für viele Aktivisten der Bezug auf Nationalismus jedoch etwas anderes als z. B. in Deutschland oder Großbritannien. Welche Rolle spielt der irische Nationalismus bzw. Republikanismus in der gegenwärtigen irischen Politik und insbesondere in der antirassistischen Szene? Die durch Connor vorgenommene Unterscheidung des „guten Nationalismus“ der Unterdrückten und des „schlechten Nationalismus“ der imperialistischen Kolonisatoren ist in Irland auch unter Leuten, die sich weder als Republikaner noch als Sinner32 bezeichnen, weit verbreitet. Maura reflektiert über die Komplexität des Nationalismusbegriffs vor dem Hintergrund der irischen Geschichte, die sich stets auf die individuelle Familiengeschichte niederschlägt. I think words can mean many things in this society in terms of how we talk about them. At an academic level there could be particular understanding what they mean but for those of us who are just talking about those concepts they can mean many things. Fianna Fail is a republican party. Sinn Féin is a republican party. Nationalism – is it a positive identity thing, is it an exclusionary identity thing? I personally think it has potential to be inclusive but I’d be very cautious about nationalist movements. But definitely it would be rooted in our history of colonisation. And all of us, in our families there is the history of the civil war at the time of our grandparents. Civil war, the war of independence. In all of our families we have experience of emigration. In all of our families we have the history of, like, in my grandfather’s generation there was a war of independence and a civil war. So, that far back it was viewed as a positive thing. It’s complex.

Insbesondere im Vorfeld des Staatsbürgerschaftsreferendums im Juni 2004, das fast alle der von mir befragten Antirassisten als schwere Niederlage im antirassistischen Kampf betrachten, kam es zu einer Polarisierung der irischen Gesellschaft. Das seit 1922 existierende territoriale Staatsbürgerschaftsrecht, nachdem jedes in Irland geborene Kind einen Anspruch auf die irische Staatsbürgerschaft geltend machen kann, wurde abgeschafft. Die Regierungspartei Fianna Fáil mit ihrem Koalitionspartner den Progressive Democrats sowie die größte Oppositionspartei Fina Gael wollten mit dieser Maßnahme ein ihrer Meinung nach existierendes „Schlupfloch“ im irischen Staatsbürgerschaftsrecht schließen, welches angeblich von Ausländern missbraucht würde.33 Neben Labour und der Green Party tat sich vor allem Sinn Féin als Gegner dieser Verfassungsänderung hervor. Damit setzte Sinn Féin sein Ansehen insbesondere bei traditionell nationalistisch ausgerichteten Iren, die den

31 Vgl. Hess; Lindner: Antirassistische Identitäten in Bewegung, S. 76-77. 32 Umgangssprachlich für einen Anhänger von Sinn Féin. 33 https://www.irishtimes.com/focus/referendum2004/comment_080604a.html (11.01.2009)

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Pub auf der Prussia Street frequentieren, aufs Spiel. Mauras Erinnerung an die Zeit des Referendums spiegelt zudem eindrücklich die Verwirrung von Konzepten und Begriffen in Bezug auf Nationalismus/Republikanismus wider: I remember seeing graffiti on the road, Prussia Street, there was a piece of graffiti on a door next to a bar and it said „Kill all niggers, pakies, wags.“ And then it said something next to it that Sinn Féin had sold out in relation to that issue. Because Sinn Féin were promoting to vote in favour of that right. That they didn’t see how those two things weren’t together because, say, there would be notions of nationalism that are very „We are Irish. You are not.“ And that would be a nationalist point of view whereas this was a nationalist...you know...a political group that would have an nationalist republican idea that would have actually be promoting to vote in favour of that right. That would have been something evident on the street in relation to that.

Tatsächlich bemüht sich Sinn Féin mit dem Slogan „Building an Ireland of Equals“ um die Entwicklung einer wirksamen Antidiskriminierungspolitik – sowohl im Süden als auch im Norden der Insel.34 Dabei geht es nicht nur um Antirassismus, sondern auch um sexuelle und religiöse Gleichberechtigung. So hebt Gerry Adams in einem Interview mit einem schwulen Hochglanzmagazin die Nähe von Rassismus, sexueller Diskriminierung und sectarianism hervor.35 Dabei ist Connors und Sinn Féins Rassismusanalyse insofern deckungsgleich, als sein Ursprung im Kolonialismus und Imperialismus, keinesfalls jedoch im irischen Nationalismus, verortet wird. In einem offiziellen Sinn Féin-Dokument aus dem Jahr 2001 heißt es: Sinn Féin has a broad and inclusive vision of Ireland and Irishness in the 21st century. This vision is both national and international. We view racism as a product of colonialism and imperialism, as a violation of fundamental human rights. We abhor racism wherever it is fostered and practiced. Sinn Féin reaffirms its solidarity with those peoples and movements around the world who oppose racism and act to advance equality.

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Diese antirassistischen/republikanischen/internationalistischen Elemente in der Politik Sinn Féins sind auch für Angehörige der jüngeren Generation attraktiv. Hier wird der Kampf um nationale Einheit und die Rückgewinnung der sechs Counties

34 Eine eingehende Betrachtung der Rolle Sinn Féins findet sich in: Maillot, Agnès: New Sinn Féin. Irish Republicanism in the Twenty-first Century, London, New York 2005. 35 Gi Magazine, April 2002. 36 Cherishing All the Children of the Nation Equally. Towards an Anti-racist Ireland. Sinn Féin Policy Review March 2001 Vgl. http://www.sinnfein.ie/policies/document/118/2 (11.01.2009)

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im Norden mit einer EU- und globalisierungskritischen Haltung verbunden. Patrick, Ende Zwanzig, stellt sogar einen kategorischen Konnex zwischen dem nationalen Befreiungskampf und Antirassismus fest, weshalb er sowohl Mitglied bei Sinn Féin als auch bei Residents Against Racism ist. It wouldn’t be strange at all to find Sinn Féin members active within antiracism at all. We recognize that sectarianism is part of a racist agenda, and we fight sectarianism and we fight racism. We fight it within our own political party as well because we have certain members who would have those views, so we try weeding it out. [...] You can’t be an antiracist activist without actually fighting sectarianism as well. They are the one and the same thing. So, when Sinn Féin fight sectarianism they’re also fighting racism because, again, (lacht) you can’t fight one without the other. They are all the same, they all come from the same political system and they all came from the same economic system as well. So they are very much the same issue.

Selbst Patrick als Sinn Féin-Mitglied verweist darauf, dass nicht alle Mitglieder der Partei auf einer antirassistischen/inklusiven Linie sind. Es ist zu konstatieren, dass es äußerst unterschiedliche Konzepte von irischer nationaler Identität innerhalb der nationalistisch/republikanischen Strömung gibt. Für die Möglichkeiten antirassistischer Intervention ist dabei besonders bedeutsam, dass es neben einer exklusiven Konstruktion eine inklusive Vision der Verwirklichung der nationalen Einheit gibt, die zum Ziel eine sozialistische Republik hat. Dabei spielt die Klassenfrage für Patrick eine ebenso große Rolle wie für Connor. Ihnen geht es nicht um einen Antagonismus von ethnischen Gruppen, Iren und Briten, sondern um den zwischen Herrschenden und Beherrschten im kapitalistischen System. So verstehen sich beide als Gegner von Kapitalismus und Imperialismus, was sie nicht nur zum Gegner der britischen Repressionspolitik in Nordirland, sondern auch zum Gegner der eigenen politischen Führung in der Republik Irland werden lässt. Nationalism is obviously exclusionary to all other nationalities, where republicanism wouldn’t be. Republicans would certainly be out there trying to build an Ireland of equals. For everybody within the 32 counties of Ireland. Modern-day republicans within Sinn Féin would call for a 32 county socialist republic, where Irish nationalists by and large would tend to just focus on getting a 32 county state. The reality is that it doesn’t matter who is in charge of it be it Bertie Ahern or Tony Blair, unless you actually deal with the overarching structures of the country it’s gonna make absolutely no difference which one is in charge. So republicans talk about 32 counties socialist republic, national sovereignty and a complete restructuring of the political process and the political structures in Ireland. [...] You see, we view that the overarching problem in Irish society is that we still have the British armed forces occupying six counties, and we believe that you can’t have a free Ireland, free for everybody within that country, we believe until we actually deal with the situation of the

228 | UNDOING I RISHNESS British armed forces still being in Northern Ireland that we won’t have any progress towards a socialist republic. So we need to actually have full national sovereignty without competing between the two states.

Die irische Wiedervereinigung erscheint hier als Grundvoraussetzung für gesellschaftlichen Wandel und eine gerechte Gesellschaft – im Norden wie im Süden der Insel. Nicht nur in Irland gibt es die Metanarrative der geteilten Nation und die Vorstellung einer „Wiedervereinigung“ als nationale Mission, die auch die „deutsche Teilung“ und die diskursive Begleitung ihrer Aufhebung prägte. A 32 counties socialist republic where the people are actually in power and are able to take part in the political process on the island. A lot of the structures that you see in the 26 counties, you would see that the local authorities have actually no power, and was set up by progressive Irish governments. They don’t like to see a threat from local democracy. So they nullify it by taking away all the powers. And we’ve seen over the course of the last twenty years, especially, the amount of corruption that has become endemic within Irish political life, mainly because Charles Haughey, Liam Lawler...corruption is endemic in that political party and it still is. We only heard of that much later than when corruption actually took place and no doubt in 10 to 15 years we’ll be seeing the same sort of corruption issues arising again. And Marx said history repeats itself. First time is a tragedy, second time is a farce.

Trotz divergierender politischer Haltungen und kultureller und Generationsunterschiede stellt es kein Problem dar, sich über marxistisch-sozialistische Ideen zu verständigen. Dagegen befremdet der unbedingte Willen zur nationalen Wiedervereinigung. Da mir während meiner Feldforschung mehrmals äußerst herzlich zur deutschen „Wiedervereinigung“ gratuliert wurde, die vom Gratulanten als leuchtendes Beispiel nationaler Einigung bewertet wurde, wage ich mich beherzt mit einer Frage vor: J. V.: You don’t think that it is an anachronism in 2005 to combine the struggle for national unity with the struggle for a social revolution? Patrick: No. It’s quite simple. You see, it’s all about national sovereignty. Well, it certainly would seem like an anachronism to actually try link national struggle to social revolution, we don’t believe so because the Northern state is an artificial state. It was created for the benefit of one particular people and one particular ruling class. And there’s no ability within the Northern Ireland state that they have any form of social revolution or any form of truly democratic viability in it.

Die Sicht auf die irischen Verhältnisse führt auch zu der Einschätzung, dass es wichtig sei, antirassistische Aktivitäten grenzübergreifend zu organisieren und antirassistische Netzwerke zwischen Nordirland und der Republik auszubauen. Patrick

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kritisiert, dass antirassistische Initiativen, wie die neu gegründete Dachorganisation Integrating Ireland, ihr „landesweites“ Engagement auf die Republik beschränken. Look, racism doesn’t recognize borders and neither should we. We have to be fighting it on all levels. Sectarianism is a form of racism and if there’s people under sectarian attack on this Ireland we should be at the fore-front of fighting that sectarianism or racism. I think once we actually have a 32 county antiracist antisectarian focus where groups are fighting on a 32 county basis we’ll actually find ourselves in a much better position to fight any increase in far right activity or any increase in sectarian attacks.

Connor und der etwa 20 Jahre jüngere Patrick nehmen eine überaus ähnliche politische Selbstverortung vor. Als „socialist republican“ bzw. „Irish socialist“ beziehen sie zu vielen politischen Fragen eine identische Haltung, wobei Patrick selbst in seiner eigenen politischen Standortbestimmung den changierenden Charakter politischer Begriffe und Konzepte im irischen Kontext einfließen lässt. I’m an Irish socialist. All socialists are republicans but not all republicans are socialists. I joined Sinn Féin because of my particular ideology and antiracism is very strong part of that ideology as well.

Die Unterscheidung zwischen „gutem“ und „bösem Nationalismus“ hat offenbar auch bei jüngeren Republikanern nicht an Evidenz verloren. Wie Connor bewertet Patrick den irischen Nationalismus als emanzipativ und somit nicht vergleichbar mit dem anderer europäischer Länder. See nationalism in Ireland, people’s focus is on national sovereignty rather than this exclusionary ideology that tends to permeate in a lot of other European countries. Irish nationalism, perhaps it’s just semantics, you shouldn’t actually refer to Sinn Féin as a nationalist party because it’s a republican party. But semantics... and…you know...in politics...words take very different meanings. I mean, you can have the prime minister of your country get up and say he’s the last remaining socialist in the country it shows it’s just words. Nationalism in Ireland, it’s just the term of reference that has been used quite a long period of time as well, so when you try to describe Irish nationalism, realistically, you’re just falling into same word game that’s been going around for the last while...I wouldn’t view myself as a nationalist. I view myself as a socialist, a socialist republican. It’s just the term of reference that has been used for quite a while now and it wouldn’t actually subscribe to the same nationalist ideology that would be in other countries. I’ve argued against the use of nationalism before within Sinn Féin.

Connors und Patricks Gemeinsamkeiten beziehen sich vor allem auf die Geschichte des irischen Befreiungskampfes – hier werden die United Irishmen und die Fenier

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erwähnt – sowie auf eine stark ausgeprägte postkoloniale Logik, der die internationale Solidarität mit als antiimperialistisch definierten Gruppen und eine systemkritische antikapitalistische Haltung folgen. Auch ihre Rassismusanalyse ist sehr ähnlich. Beide präferieren ein Identitätskonzept, das weder auf Phänotyp noch auf ethnischer Herkunft basiert. Ihr zentraler Fokus liegt auf einer Klassenpolitik, weswegen für sie Rassismus und sectarianism, Symptome ein und desselben Problems sind: Klassenkampf von oben. Antirassismus ist für sie Bestandteil des Kampfes für eine sozialistische Gesellschaft. In der Bekämpfung des Rassismus, die beide als ein grenzübergreifendes Projekt betrachten, halten sie es für unverzichtbar, auf eine gerechte Verteilung des gesellschaftlichen Wohlstandes zu drängen und die zunehmende Depravierung der Verlierer des „Keltischen Tigers“ zu stoppen. So stehen beide bestimmten antirassistischen Bemühungen äußerst kritisch gegenüber, die sie als kontraproduktiv in ihrem Verständnis des antirassistischen Kampfes erachten. Patrick äußert sich mit Sarkasmus über diesen affirmativen Mittelklasse-Antirassismus. It’s a nice sort of fluffy thing of working in antiracism, having a job in antiracism, and ultimately doing nothing. – There are some good organisations that specifically do research on integration, interculturalism, things like that, and that’s important. And it’s always important to have this research. Ultimately, you need to be able to use that research which a lot of these groups aren’t. They do need to be exposed. They are antiracist pimps! Basically, they financially gain from racism in Ireland. And the idea that somebody could be paid an excess of 40.000 Euros a year when there are asylum seekers being dispersed around the country, forced into prostitution in certain areas because their level of poverty that’s been perpetuated against them. And here’s these people organising wine tastings ceremonies! It’s ridiculous. Absolutely ridiculous.

Doch so sehr sich Connors und Patricks Standpunkte auch ähneln, einige zentrale Fragen – wie die Bedeutung der irischen Sprache – beurteilen sie gänzlich gegensätzlich. Während Connor, der zudem Irisch-Muttersprachler ist, die irische Sprache eng mit seinem emanzipativen/egalitären/integrativen Projekt verbindet, sieht Patrick keine Notwendigkeit für die Beherrschung des Irischen in seiner Vorstellung einer emanzipativ-antirassistischen Strategie. Er äußert sich augenzwinkernd bis kritisch über die Bedeutung, die auch einige seiner Parteigenossen der irischen Sprache bei der Integration von Einwanderern zuschreiben. Unfortunately, I can’t speak Irish. I’d love to but I don’t see it as a necessary part of life within Ireland. Certainly, I have a very different view than a lot of Sinn Féin members. Certainly, you do find a lot of immigrants coming into the country do take up Irish, and a lot of people view that that’s where the Irish language could have its revival. Immigrants coming in and learning the language. I find that a form of cultural nationalism, and I don’t really like that. I

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like a mix of cultures. I don’t like the one culture trying to overarch over other cultures. When immigrants come into the country they shouldn’t have to subscribe to our culture. They should have the freedom to live by their own culture, and we should appreciate that and leave them be and try and get involved in their culture as well. The Irish language was killed off because of economic constraints during the Irish famine. Parents made sure that their children learned English because it was a language that they could actually get a job in, and because emigration dictated that if they didn’t speak English then they wouldn’t be able to integrate into life where they were going and that really killed off the Irish language. So it’s been a steady decline since the 19th century. To be honest with you, I have no idea how to deal with that particular area because I don’t actually have an interest in that area. I think if people had the freedom to choose and that the time frame and the facilities were set up, I think you’d find people like me who would actually want to go and learn Irish. I’d love to learn lots of languages – not just Irish. I speak English – badly – and that’s it.

Irischer Nationalismus und Republikanismus sind ein weites Feld, und selbst Iren, die sich einer Politik der Wiedervereinigung der Insel unter sozialistischen Vorzeichen verschrieben haben, stimmen in symbolisch aufgeladenen Fragen wie der Sprachpolitik nicht überein. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die irische Gesellschaft ideologisch derart stark von Nationalismus geprägt ist, dass Antirassisten es sich möglicherweise nicht leisten können und bestimmt nicht leisten wollen, sich von dieser politischen Tradition abzuschneiden. So kann eine personelle und ideologische Überschneidung zwischen dem antirassistischen Kampf und dem Kampf für eine nationale Einigung Irlands auch nicht verwundern. Es bleibt eine offene Frage, ob sich im weiten Feld der Befürworter des nationalen Befreiungskampfes das exklusiv/nationalistische oder das inklusiv/republikanische Element durchsetzen können wird.

Z USAMMENFASSUNG Connor ist überzeugter Republikaner mit antirassistischem Selbstverständnis. Für den ehemaligen IRA-Kämpfer und einstigen politischen Häftling steht der nationale Befreiungskampf im Zentrum seiner gesamten politischen Weltanschauung. Dabei spiegeln sich die prägenden Gewalt- und Unterdrückungserfahrungen im Rahmen der britischen Besatzungspolitik in Nordirland in seinen Aussagen wider. Da Connors zentrales Thema Klassenpolitik ist, treten die revolutionären Elemente des irischen Republikanismus besonders stark hervor, der eine Vereinigung Irlands unter sozialistischen Vorzeichen anstrebt. Dabei verortet er sich stark in der Tradition des militanten Kampfs gegen die britische Herrschaft, insbesondere des Fenianismus des 19. Jahrhunderts. Dessen antiimperialistisches Erbe war er auch

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bestrebt, während seiner Zeit in Großbritannien, in das er in den 1980er-Jahren zeitweilig auswanderte, anzutreten. Dabei spielt sich seine Migrationserfahrung in Großbritannien zwischen dem allgegenwärtigen antiirischem Rassismus, den er selbst in linken politischen Organisationen erlebte, und Solidaritätserfahrungen mit anderen durch die weiße britische Mehrheitsbevölkerung diskriminierten Migrantengruppen ab. Im Rahmen einer postkolonialen Logik weist Connor der irischen Sprache sowohl als antiimperialistischer Waffe im Rückblick auf die Geschichte des irischen Widerstandes als auch bei der Entwicklung antirassistischer Perspektiven eine zentrale Rolle zu. Damit stellt er sich in eine lange Traditionslinie irischen Strebens nach politischer und kultureller Selbstbestimmung, das die Wiederbelebung des Irischen zum integralen Bestandteil der nationalen Bewegung erhob. Besonders bemerkenswert ist Connors inklusiver Ansatz einer Sprachpolitik, die Irisch als Medium der Befreiung nicht nur für Iren anbietet, sondern allen, die in Irland leben und Teil eins gesellschaftlichen Wandels werden können. In seiner politischen Vision einer politischen Bewegung, die für ein geeinigtes und sozialistisches Irland kämpft, stehen Iren und nicht-irische Einwanderer Seite an Seite, verbunden durch das antiimperialistische Band der irischen Sprache. Dies deutet auf Connors inklusives Verständnis von Irishness hin, zu der auch Einwanderer Zugang erhalten. Da er Zugehörigkeit zu Irishness als Klassenfrage begreift, schwebt ihm antirassistische Mobilisierung auf der Basis von gemeinsamen Erfahrungswerten in Bezug auf die eigene politische, ökonomische und gesellschaftliche Position vor. Infolge seiner Rassismusanalyse, die Rassismus nicht auf Diskriminierung aufgrund der Hautfarbe reduziert, formuliert Connor ein Identitätskonzept, das nicht auf Phänotyp oder ethnischer Herkunft basiert. Das Konzept von political blackness deutet sich in Connors Betonung der gemeinsamen Erfahrung, Objekt eines kolonialen Rassismus geworden zu sein. Die daraus resultierende Selbstsicht, unterdrückt zu werden, führt zu Solidaritätsbekundungen mit anderen marginalisierten (schwarzen) Bevölkerungsgruppen. Connor verleiht seiner Argumentation Nachdruck mit einer systematischen Bezugnahme auf die irische Geschichte, ohne dabei auf eine egalitäre und emanzipative Strategie zu verzichten, womit er zu einer Überwindung spezifischer exklusiver nationalistischer Traditionen beiträgt. Hier zeichnet sich ein folgenschweres ideologisches Problem der politischen Kultur Irlands ab, in der Antirassismus vor besondere Herausforderungen gestellt wird: Nationalismus und Rassismus werden nicht in ihrer verhängnisvollen Verstrickung analysiert, sondern der irische Nationalismus wird als „guter Befreiungsnationalismus der Unterdrückten“ zu einem emanzipativ-egalitären Konzept erhoben. Antinationale Positionen in dieser antirassistischen Perspektive sucht man vergeblich. Hier kommt Connors antiimperialistische und postkoloniale Logik zum Tragen, die die Iren ausschließlich als Opfer eines kolonialen antiirischen Rassismus erscheinen lässt, die sich heute mit anderen Op-

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fern rassistischer Diskriminierung solidarisieren. Aus Connors Geschichtsbild ist die irische Erfahrung der aktiven Teilhabe am imperialistischen Projekt ausgeblendet. Obwohl – wie Connor anmerkt – Irland keine Kolonien hatte, heißt dies keineswegs, dass irische Siedler, Soldaten und Kaufleute an der imperialen Politik gegenüber anderen Ländern nicht partizipierten. Der gegenwärtig zu beobachtende Rassismus in Irland ist für Connor nicht Produkt eines endogenen Prozesses, sondern Erbe des Imperialismus und Resultat der Beeinflussung durch eine imperialistisch-rassistische, fremde Kultur. Diese Beurteilung findet sich auch in der Rhetorik der republikanischen Partei Sinn Féin wieder, die den Rassismus als ein Produkt von Kolonialismus und Imperialismus bezeichnen – keineswegs jedoch des irischen Nationalismus. Allerdings bleibt zu konstatieren, dass es innerhalb der nationalistisch/republikanischen Strömung unterschiedlichste Konzepte irischer nationaler Identität gibt, die entscheidend für die Möglichkeiten antirassistischer Intervention sind. Die politische Kultur Irlands ist ideologisch derart stark von Nationalismus geprägt, dass es selbst für Antirassisten, die in anderen nationalen Zusammenhängen verstärkt eine politische Selbstkonstruktion entwickeln, die eine Auflösung nationalistischer Identitätskonstruktionen bedeutet, undenkbar erscheint, sich von dieser politischen Traditionen abzuschneiden. Die Zukunft des irischen Antirassismus hängt davon ob, ob sich im politischen-kulturellen Bezug auf den nationalen Befreiungskampf das exklusiv/nationalistische oder das inklusiv/republikanische Element wird durchsetzen können.

6. Ella: Feminismus und Antirassismus

You can’t not work on racism if you are working for women’s rights. We are not saints! But we are in a unique position in Europe because we have experiences of both sides of being the oppressor and the oppressed.

An einem verregneten Tag steige ich in den Bus und verlasse das Stadtzentrum Dublins, um an einem „Offenen Forum für Frauen aus ethnischen Minderheiten“ in einem Außenstadtbezirk teilzunehmen. Geleitet wird dieses Forum von Ella1, von der ich nur weiß, dass sie Feministin ist und auf Gemeindeebene in einem Community Development Programme (CDP) antirassistische Arbeit leistet. Reichlich durchnässt betrete ich das Gemeindezentrum, wo mir heißer Tee und Plätzchen gereicht werden. In dem Veranstaltungsraum, in dem die Tische an die Wand gerückt sind, warten schließlich circa zwanzig Frauen auf den Beginn des Treffens. Meinen Feldforschungsaufenthalt charakterisiert, dass ich selten eine Ahnung davon habe, worauf ich mich eigentlich einlasse. Doch ich tröste mich zunehmend mit der Vorstellung, dass es anderen Feldforschenden vielleicht ähnlich ergeht. Als uns Ella dazu auffordert, sich eine Partnerin zu suchen, die fragt, woher man kommt und was man so macht, um sich dann im Tandem gegenseitig vorzustellen, lege ich resigniert meinen Notizblock zur Seite. Obwohl ich gruppendynamische Kennenlernspielchen normalerweise vermeide, ergebe ich mich meinem Stühlchenkreisschicksal und denke: Das ist wieder einmal mehr Teilnehmen als Beobachten.

1

Auch bei diesem Namen, wie bei allen anderen, handelt es sich um ein Pseudonym. Allerdings möchte ich darauf hinweisen, dass „Ella“ eine der zentralen Figuren des radikalen, lesbischen Feminismus ist und in Irland über einen entsprechenden Bekanntheitsgrad verfügt.

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Das „Offene Forum“ ist nicht nur eine Informationsveranstaltung, in der Einwanderinnen z. B. über den Zugang zur medizinischen Versorgung oder über Besonderheiten der irischen Kultur aufgeklärt werden, sondern auch ein Ort, an dem über Sorgen und Probleme, insbesondere über den täglichen Rassismus geredet und sich ausgetauscht werden kann. Die schwarzen Frauen erzählen, dass sie permanent rassistischen Beschimpfungen wie „nigger“ oder „black monkey“ ausgesetzt sind. Da Ella eine examinierte Psychodramatikerin2 ist, erlebe ich an diesem Nachmittag eine unerwartete Premiere: meinen ersten Auftritt im Image Theatre. Hierbei handelt es sich um eine Methode des „Theaters der Unterdrückten“ von Augusto Boal, der eine Form des therapeutischen Theaters entwickelte, das Kunst und Selbsterfahrung mit politischer Aktivierung verbindet. Das Image Theatre ist eine stumme Übung, in der die Teilnehmenden ihre Erfahrungen und Gefühle ausdrücken können, indem sie ihren und den Körper der anderen Mitspieler in eine bestimmte Szene formen. Dieses gefrorene Bild wird dann interaktiv in mehreren Phasen dynamisiert. Unser Thema sind die rassistischen Beschimpfungen während der Busfahrt, die zum täglichen Leben der schwarzen Frauen gehören. Unsere Szene findet also in einem Dubliner Bus statt und stellt den Moment des verbalen Übergriffs dar. Boals Philosophie bei dieser Form des Theaters ist, dass der Körper unsere erste und wichtigste Ausdrucksmöglichkeit ist und dass durch den Verzicht auf Sprache zugunsten der Körpersprache die herrschenden Blockaden und Filter umgangen werden können. Das Erleben der Unterdrückung soll nicht lange reflektiert, sondern impulsiv mit dem Körper ausgedrückt werden. Wir positionieren uns wortlos zueinander, verändern unsere Haltung und unsere Blickrichtung, bewegen uns gemeinsam durch den Raum. Ich hatte bis zu meiner persönlichen Premiere im Image Theatre noch nie etwas von Augusto Boal gehört, aber ich kann heute bestätigen: Es wirkt. – Noch zwei Tage später, als ich wieder zu dem Gemeindezentrum aufbreche, wo ich mich diesmal mit Ella für ein Interview verabredetet habe, stehe ich unter dem Eindruck meiner intensiven Erlebnisse im „Offenen Forum“. Doch bevor ich auf Ellas Arbeit im community development zu sprechen komme, möchte ich etwas über ihren politischen Werdegang erfahren.

C OMING - OUT :

POLITISCH UND SEXUELL

Ella hebt an, mir von ihren Erfahrungen als berufstätige junge Frau im Irland der frühen 1970er-Jahre zu erzählen. Damals sammelte sie erste politische Erfahrungen in der Gewerkschaftsarbeit. Sie beginnt zunächst ironisch, wird jedoch schnell sehr ernst.

2

Psychodrama ist eine Methode der Gruppentherapie.

6. E LLA: F EMINISMUS UND A NTIRASSISMUS

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3

So, I would have started my brilliant career in Aer Lingus working in computers, and that was my first awareness of discrimination against women in that as, you know, there were women who’d worked there for ten years and more, and there were no promotional prospects. There was no equal pay at the time. Now, I’m going back to 71, 72. We were all automatically members of the union, so as a trade union member I went to union meetings, and I found out that there were people on committees who were trying to change this, so I became a member of a branch committee, I got voted in. So, we had a strike in the airport. But a general strike, it wasn’t just in relation to women. It was pay-related in 1974. So, that really increased my consciousness of the possibilities for changing, and how difficult it was. We had to actually go on strike, and we were a relatively privileged group of workers. And also I feel I suffered discrimination afterwards in that I already had job and I didn’t get the promotion because I was on a branch committee, and the same thing happened to another guy who I was working with. So, that was a political education in the sense of the difficulties in trying to change things both for women and for workers. And I discovered prejudicial attitudes within the trade union itself. There was an attitude of „Aw, she’s only one of our typists.“ Computer workers at the time didn’t have great status. So, I had to fight against the prejudices and the attitudes of the men within the trade union who kept saying things like „Aw, won’t you be leaving and getting married and won’t you be having children.“ So, you are not a real worker! They were treating women as if we were only temporary workers. As if our real job was motherhood. So, we weren’t worth bothering about and we weren’t worth putting time or effort into. So, they kept postponing meetings. The programme that was there for change was just kept sidelined all the time. So, eventually, we went to arbitration and we got the right to get an upgrade, we were upgraded which gave us promotional prospects and so on. And then the whole area kind of changed; the area of women’s work and the work area changed. So, I personally was going through I suppose a transformation inside myself in recognising my sexual identity and in coming out. That’s when I went to London. I came out in London.

Ella verband ihren Einstieg ins Berufsleben mit einer zügigen Aufnahme gewerkschaftlicher Aktivitäten, die ihr gleichsam die Möglichkeiten und die Schwierigkeiten aufzeigten, sich für eine Veränderung der herrschenden Verhältnisse einzusetzen. Zudem traf sie in Gewerkschaftskreisen auf sexistische Vorurteile ihrer männlichen Kollegen. Doch es ging ihr nicht nur darum, ausschließlich für Arbeiterrechte zu streiten, sondern ebenso für Frauenrechte. Mitte der 1970er-Jahre bricht sie nach London auf. Dieser Ortswechsel macht ihr Coming-out als Lesbe erst möglich, denn im Irland dieser Zeit lebten homosexuelle Frauen in einer von Gewalt bedrohten Subkultur, die sich in den kulturellen Underground zurückgezogen hatte. Ein Abweichen von der heterosexuellen Norm war für Frauen wie für Männer gänzlich ausgeschlossen, da es mit gesellschaftlicher Stigmatisierung und gewaltsamen

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Aer Lingus ist die ehemals staatliche Fluggesellschaft Irlands.

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Übergriffen bestraft wurde.4 In England wurde Ella Mitglied von lesbischen Gruppen, doch da sie selbst in der Schwulen- und Lesbenszene Londons antiirischen Rassismus erlebte, der Minderheiten in einer Minderheitenbewegung kreierte, entschied sie sich zu Beginn der 1980er-Jahren zur Rückkehr nach Dublin. Bevor wir auf diese Zeit zu sprechen kommen, unternimmt Ella einen retrospektiven Exkurs über die Situation in den 1970er-Jahren. Dabei geht sie besonders auf das Irish Women’s Liberation Movement (IWLM) und die reaktionäre Sexualpolitik, insbesondere den Zugang zu Verhütungsmitteln ein, der in der Republik äußerst restriktiv geregelt wurde. We did have the IWLM, the Irish Women’s Liberation Movement, that started in 1970 as such and it was launched on „The Late Late Show“ which was this talk show, this weekly live 5

television show, and it was very influential. It was a great shaper of public opinion. Gay Byrne was the host. But in the 70s we didn’t have equal pay, we didn’t have divorce, we didn’t have legal contraception, we didn’t have condoms, married women later on could only get the pill on prescription, and you had to bring your marriage licence. It seems like something out of another century! Well, it is another century now! But, you know, the kind of social acceptance of young people or adults being able to be sexual beings – it wasn’t there. And the church had a huge influence and moral authority in the 70s. So, the women’s movement was trying to change those attitudes: both the economic side of things in terms of pay, and then the social side of things to do with our freedom as women and particularly our sexu-

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1982 wurde ein schwuler Mann von einer Gruppe Jugendlicher im Fairview Park totgeschlagen. Das Entsetzen wurde durch das Verhalten der Judikative geschürt. Der zuständige Richter billigte die Homophobie der Täter mit Bewährungsstrafen und ließ verlautbaren: ”This could never be regarded as murder”. Es folgten Demonstrationen, in denen feministische und schwule Gruppen solidarisch gegen das Urteil protestierten und die als bis dato größte öffentliche Manifestation des gewachsenen Selbstbewusstseins der schwullesbischen Community gelten. Vgl. E Connolly, Linda; O’Toole, Tina: Documenting Irish Feminisms. The Second Wave, Dublin 2005, S. 182.

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Die IWLM veröffentlichte zu Beginn des Jahres 1971 ein Manifest der Frauen mit dem Titel: „Chains or Change? The Civil Wrongs of Irish Women“, das sechs Forderungen zur Überwindung der Diskriminierung von Frauen aufzählte, unter anderem gleicher Lohn, die Aufhebung der sogenannten Marriage Bar (bei Eheschließung musste die Frau ihr Arbeitsverhältnis im öffentlichen Dienst aufgeben) und freier Zugang zu Verhütungsmitteln. Am 6. März 1971 stellte die IWLM ihr Programm in der RTÉ-Sendung „The Late Late Show“ (ein legendäres und bis heute überaus populäres Unterhaltungs- und Informationsformat) vor, das somit einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht wurde und erbitterte Kontroversen auslöste. Vgl. Hill, Myrtle: Women in Ireland. A Century of Change, Belfast 2003, S. 153, 154.

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al expression. So, CAP, the Contraception Action Programme, was very active and there were 6

meetings in the Mansion House and so on. Now, I wasn’t at these. I heard about these through the media. But it was a huge thing for a woman to stand up in the Mansion House and say describe herself as an unmarried mother. That was very radical. She was admitting she had sex outside marriage. She wasn’t totally ashamed. That she kept her child. You re7

member the Magdalene Laundry? The thing then was that if you became pregnant outside marriage you went into a home and you gave up your child for adoption, and you felt totally shameful and didn’t declare this in public. So, that was a big change. For anybody to say that you had any kind of other sexual practice – that was totally taboo! The assumption was there were no lesbians in Ireland to begin with. That this kind of tiny minority was some perverted sick criminal sinister kind of group. So, you didn’t dare open your mouth, and say, actually, I think I’m a bit different from the average.

In der katholischen Kultur Irlands war der Aufschrei angesichts der Forderungen nach Gleichberechtigung von Frauen und Männern, freiem Zugang zu Verhütungsmitteln und Rechten für unverheiratete Mütter groß. Zugeständnisse an die Appelle der Frauenrechtsbewegung galten als Vorschub für Devianz und Sittenverfall. Das Contraception Action Programme (CAP) verurteilte die Doppelmoral der Sexualpolitik und verteilte illegal kostenlose Verhütungsmittel.8 Es verstrich jedoch ein weiteres Jahrzehnt bis zur Lockerung der staatlichen Bestimmungen: Erst seit 1985 können Kondome in der Republik frei käuflich erworben werden. Trotzdem gelang

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Das Mansion House ist der Amtssitz des regierenden Bürgermeisters von Dublin, in dem im April 1971 die ersten Versammlungen des IWLM mit mehreren hundert Teilnehmerinnen stattfanden. Hier brachen Frauen nicht nur das Schweigen über außerehelichen Sex und uneheliche Kinder, sondern auch über männliche Gewalt und Unterdrückung. Vgl. Hill: Women in Ireland, S. 154, 155.

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Magdalene Laundries waren von Nonnen geleitete Strafanstalten für unverheiratete schwangere Frauen. Magdalene steht für Maria Magdalena, der Prostituierten, die zu einer Anhängerin Jesu Christi wird. Die Frauen wurden zu harter körperlicher Arbeit gezwungen, häufig in Wäschereien (Laundries). Aus feministischer Perspektive erklärt sich die Existenz derartiger Strafanstalten mit einer Kriminalisierung gesellschaftlich nicht legitimierter Formen weiblicher Sexualität. Dies sollte jedoch nicht den Blick darauf verstellen, dass auch Jungen und junge Männer in Institutionen der katholischen Kirche kaserniert und misshandelt wurden. Diese Geschichten sexueller, psychischer und körperlicher Gewalt werden in dem eindrücklichen Buch „Suffer the Little Children“ geschildert. Hier wird auf die staatlich geduldete, systematische Ausbeutung und Misshandlung von unterprivilegierten Kindern und Jugendlichen eingegangen. Raftery, Mary; O'Sullivan, Eoin: Suffer the Little Children. The Inside Story of Ireland's Industrial Schools, Dublin 1999.

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Hill: Women in Ireland, S. 156.

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es CAP und anderen feministischen Gruppen bereits in der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre die Diskriminierung von Frauen zu einem immer wichtigeren Thema in der öffentlichen Diskussion zu machen.9 Ausführlich erklärt mir Ella die gesetzlichen Grundlagen der Diskriminierung von Homosexuellen. Da die Existenz einer eigenständigen weiblichen Sexualität auch in Irland negiert wurde und die Meinung vorherrschte, dass es keine Lesben in Irland gäbe, betraf die strafrechtliche Verfolgung ausschließlich männliche Homosexuelle. Ella geht auf die Kampagne zur Gesetzesreform ein, die Senator David Norris 1978 startete, um die Kriminalisierung von Homosexuellen zu beenden.10 Den Erfolg dieser Kampagne – die Entkriminalisierung von Homosexualität erfolgte 1993 – sieht Ella in einem Zusammenhang mit dem generellen sozialen Wandel und der Europäisierung Irlands. Dabei weist sie der Frauenrechtsbewegung eine Katalysatorfunktion in diesem Öffnungsprozess zu: Ireland is a very different place now. We’ve had a lot of social change. I think the women’s movement certainly has had an impact, and we’ve had a lot of change because of being members of Europe. We’ve had the European directives and European legislation. That has changed the whole social fabrique! Attitudes are very different now.

Die öffentliche Meinung über Homosexualität und Frauenrechte sowie das Leben von Frauen in Irland erfuhren durch neuerliche Gesetzesänderungen zu Beginn der 1990er-Jahre einen positiven Wandel. So wurde z. B. der freie Zugang zu Informationen über die Möglichkeit eines Schwangerschaftsabbruchs ermöglicht und das right to travel festgeschrieben.11 Frauenrechte mussten jedoch hart erkämpft werden. Zwar betont die Literatur zur irischen Frauenrechtsbewegung übereinstimmend die überaus große Rolle des Beitritts der Republik Irland zur Europäischen Gemeinschaft 1973 für den Kampf um Gleichberechtigung und gegen Diskriminierung aufgrund von Geschlecht oder sexueller Orientierung. Doch die tiefgreifenden Veränderungen in Irland sind nicht Folge eines automatisch und reibungslos ablaufenden

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Ebd., S. 158.

10 Homosexualität erfuhr in Irland, im Norden wie im Süden, ein ähnliches Schicksal wie Rassismus: Sie wurde als ein gefährliches Importgut gebrandmarkt. Vgl. Hill: Women in Ireland, S. 147. 11 Das right to travel gewährleistet, dass Frauen zum Zwecke eines Schwangerschaftsabbruchs aus Irland ausreisen dürfen. Dieser Erlass steht in einem engen Zusammenhang mit dem heftige Kontroversen auslösenden sogenannten Fall X, in dem ein 14-jähriges irisches Vergewaltigungsopfer per Gerichtsbeschluss dazu gezwungen werden sollte, bis zur Geburt des Kindes in Irland zu verbleiben. Erst der Supreme Court revidierte dieses Urteil. Vgl. Connolly; O’Toole: Documenting Irish Feminisms, S. 73-74.

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Säkularisierungs- oder Liberalisierungsprozesses. Die Plötzlichkeit und das rasante Tempo des Veränderungsprozesses verursachten massive gesellschaftliche Widersprüche. Europäische Richtlinien wurden nur zögerlich vom irischen Staat befolgt und nicht als Konsequenz seiner EG-Mitgliedschaft bereitwillig in irisches Recht umgesetzt. Stattdessen mussten Feministinnen, Homosexuelle und andere Lobbygruppen die staatlichen Entscheidungsträger dazu drängen, die irischen Gesetze an die europäischen Vorgaben anzugleichen, wofür nicht selten der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte angerufen werden musste.12 Deutlich geht aus Ellas Erzählung hervor, dass sie die Entwicklungen der politischen und kulturellen Verhältnisse aus der Londoner Distanz genau verfolgte. Dieser Blick aus der Ferne ermöglichte ihr einen schärferen Blick auf die irischen Verhältnisse und öffnete ihren politischen Horizont. But to go back to the 70s: I only heard about both feminist and gay organisations in London through a publication called „Gay News“ at the time, and so I made contact with IGRM which was the Irish Gay Rights Movement when I came back here. And at that time there were 300 male members and 3 women. I was the third woman. And there was a group called „Irishwomen United“ which was a radical feminist group. Radical in the sense that they believed in street protest and the whole really socialist kind of programme of social change. And getting involved in both of those organisations again was a big leap in my own consciousness and education. And recognition that there actually were groups out there working for social change. But I didn’t know that before that! So, while I was like an ordinary average worker and just reading the newspapers and watching television and so on I wasn’t aware of any of these sub-cultures, but they did exist – but very secretively and without much access to the media. So, I had to go away. I had to emigrate to London and come back before I became aware of this. So, I suppose both ways, my experience as a worker and in the trade union affected my consciousness, my experiences in London of both prejudices towards being Irish and being gay would have again highlighted...just made me aware of discrimination, of prejudice in my own life and towards people that I knew, that I worked with. So that motivated me to work in this area.

Sehr eindringlich schildert Ella ihre unterschiedlichen Diskriminierungserfahrungen als berufstätige Frau, als Irin in England, als lesbische Irin in der schwul-lesbischen Szene Londons und als radikalfeministische Lesbe innerhalb der irischen Frauenrechtsbewegung. Diese Diskriminierungserfahrungen nennt sie als Gründe für ihre antirassistische Haltung und ihr politisches Engagement.

12 Connolly; O’Toole: Documenting Irish Feminisms, S. 91.

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D IE „ WILDEN 60 ER -J AHRE “: B EATMUSIK UND F LEADH C HEOIL Die speziellen Rahmenbedingungen für politischen Aktivismus in den 1960er- und 1970er-Jahren bedeuteten auch für Ellas Leben einschneidende Veränderungen. Wie in Kapitel „Irische Migrationserfahrungen in Großbritannien: Diskriminierung und Politisierung“ genauer erläutert, haben es emanzipative und alternative politische Ideen aufgrund der langsameren gesellschaftspolitischen Entwicklung und der alles dominierenden Machtstellung der katholischen Kirche in Irland schwer. Nicht selten wird die Meinung vertreten, dass es in Irland keine „wilden 60er-Jahre“ gegeben habe – zumindest nicht in der Form, wie sie sich z. B. in Deutschland oder in Frankreich in Bezug auf die 68er-Bewegung vorgestellt werden. Doch aus den Ausführungen meiner Interviewpartner geht hervor, dass die Swinging Sixties facettenreicher waren, auch in der restriktiven Atmosphäre Irlands, als Aussagen wie „We didn’t have the 60s.“ vermuten lassen. Der Einfluss internationaler Trends führte selbst in Irland zu einem Aufkeimen gegenkultureller und protestorientierter Artikulationsformen. Protestbewegungen in anderen Ländern wirkten sich auf die irische Gesellschaft aus.13 Insbesondere die US-amerikanische Bürgerrechtsbewegung und die Gay Rights- und Frauenrechtsbewegung nahmen Einfluss auf die irische Entwicklung. Allerdings wurde 1966 auch des fünfzigsten Jubiläums des Osteraufstandes gedacht. Während in Europa und in den USA die junge Generation gegen traditionelle Wertvorstellungen rebellierte, gab es in Irland ein erwachendes Interesse an der eigenen Geschichte und Kultur und so etwas wie ein kleines Gaelic Revival, an das, ähnlich wie Connor, auch Ella zurückdenkt. Doch was Connor als „huge embracing of republicanism“ erinnert, stellt sich in Ellas Betrachtung als komplexes Aufeinanderwirken sozioökonomischer, politischer und (pop-)kultureller Faktoren dar: There was an economic boom in the 60s so there was a big change where all of the Inner City housing, like where we were living, was suddenly condemned as unfit for human habitation, and we were all moved out to these housing estates around Dublin, around the suburbs. So that to me, the economic changes fuelled the cultural changes in that you had...and not just in Dublin, all around the cities you had this change from the old tenements...people moved out of those into to newer housing. And there was a huge big housing programme. The economic changes also meant people had more disposable income so you can buy music. And of course music, youth culture...The Beatles....The changes culturally that we were affected by. But it

13 Dabei wird es zukünftiger Forschung überlassen sein, die transnationale Dimension dieser Protestbewegungen und die Rezeption und Weiterentwicklung von Ideen, Protestpraxen und Organisationskultur in Irland genauer zu untersuchen.

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just took us a bit longer. And one of the ways was the hippy clothes and the...yeah...1966 was the 50th anniversary of our revolution in 1916 and to me part of what was going on there was like sparking this interest and awareness of our Irish culture and a reclaiming of our Irishness but a different sense of nationhood. And so the Irish language up to that was like...it was part of the old Gaelic Catholic conservative tradition and suddenly the youth culture was taking it on. You know: This is part of being Irish. So, speaking Irish, singing Irish songs, Irish ballads, you know, they revived what they called the Fleadh Cheoil which are these music festi14

vals. So, say to me, it was a combination of the economic growth, the revolution, the youth culture that was going on all over the world, but particularly like Liverpool and London. And there were lots of Irish in Liverpool and London, so very much affected by that. The changes in...The pill! The fact that the pill came to Ireland. Like, there was massive controversy in the churches and I think I talked already earlier on about that thing of 1966, this encyclical of Paul VI about contraception and so on, so the way it affected us here was the younger priests – and some not so young – it divided the church. There were those who felt: „Yes, the time has come for Catholic couples to be responsible and to limit their families.“ This was a morally sound thing to do. And those who felt: „No, no, no. You should only have sex for reproduction.“ So, there was a total division there and it meant that young married couples became totally disaffected and didn’t trust the church and didn’t pay anymore attention. You know: „You are a celibate priest. You don’t have any right to say how I’m going to run my sex life. I have a right to limit my family if I want to.“ So, that was like a start of – to me – Irish people growing up and not being this kind of childlike obedience to the church authorities. But before that there was huge respect for church authorities and church teaching and the pope and so on. So, that was the start of the move away, I think, from saying „No, we have a right to our own conscience and our own views, our own morality, or politics or culture and so on.“ So, in my life time I’ve seen major changes there. From being reared in a very strict… initially, very early in my life, strict Catholic, conservative, republican in the sense of „die for your country, die for your religion kind of stuff“ to huge freedom to the 60s. But you didn’t really see it until the 70s. It started in the 60s, and it couldn’t have started without the economic changes, without the economic boom. So, it’s a combination of economics, politics, cultural changes.

14 Unter dem Namen Fleadh Cheoil werden Musikfestivals bis heute von der Comhaltas Ceoltóirí Éireann veranstaltet, die sich selbst feurig als kulturelle Bewegung beschreibt: „Comhaltas Ceoltóirí Éireann is the largest group involved in the preservation and promotion of Irish traditional music. We’re a non-profit cultural movement with hundreds of local branches around the world, and as you can read in our history we’ve been working for the cause of Irish music since the middle of the last century (1951 to be precise). Our efforts continue with increasing zeal as the movement launches itself into the 21st century.“ Vgl. http://comhaltas.ie/about/ (13.02.2009)

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Nach den von materieller Not und Auswanderung geprägten 1950er-Jahren setzten in den 1960er-Jahren allmählich eine Verbesserung der wirtschaftlichen Situation und eine verstärkte sozialpolitische Staatstätigkeit ein. Dazu gehörte ein umfassendes Wohnungsbau- und Umsiedelungsprogramm, in dessen Folge die Slums aufgelöst und die alten Georgianischen Häuser, die in kleine Wohnparzellen unterteilt worden waren (tenements), geräumt wurden. Die gewachsenen finanziellen Möglichkeiten ließen eine Partizipation an internationalen Trends und kulturellen Aktivitäten zu, wobei die nach England ausgewanderten Iren als Protagonisten des Wandels auftraten. Das Zweite Vatikanische Konzil und seine Umsetzung durch die katholische Kirche Irlands sorgten bei Gläubigen, die auf eine modernere Kirche gehofft hatten, für große Enttäuschung. Das vormals kohärente, traditionelle irischkatholische Wertesystem bekam jedoch erste Risse. Insbesondere der Enzyklika Humanae Vitae wird eine große Bedeutung zugewiesen, wenn davon ausgegangen wird, sie habe den ersten organisierten Widerstand von Frauen provoziert, aus dem, wie bereits erwähnt, 1970 die Gründung des IWLM hervorging. 15 Der weitverbreiteten Vorstellung, nach der sich in dieser Zeit nichts Signifikantes zugetragen habe, was zur Modernisierung und Säkularisierung der irischen Gesellschaft beigetragen habe, muss widersprochen werden. Allerdings ist das im europäischen Vergleich geringere Tempo ein Charakteristikum des irischen Wandels. Weiterhin spezifisch an der irischen Entwicklung ist die eigenwillige Melange aus gesellschaftlicher Öffnung gegenüber internationalen Einflüssen und einer neuen Lust an Irishness. Während Hippy-Mode und Beatmusik ihren Eroberungszug in Irland antraten und die Rolling Stones und die Beatles die Inselbewohner aus ihrer Insularität rissen, erlebte irische Folkmusik im Zuge des fünfzigsten Jahrestages des Osteraufstandes von 1916 einen ungeheuren Popularitätsschub. Bemerkenswert an dieser parallelen Entwicklung erscheint laut Ella die Inbesitznahme irischer Identität durch die junge Generation unter veränderten Vorzeichen und mit einem „different sense of nationhood“. Irische Sprache und irische Musik wurden nicht mehr ausschließlich mit der gälisch-konservativen Tradition in Verbindung gebracht, sondern nun auch aktiv in die Jugendkultur inkorporiert. Für die 1960er-Jahre lassen sich durchaus internationale Einflüsse auf die irische Gesellschaft nachweisen. Es kam zu einer Infragestellung der staatlichen und kirchlichen Autoritäten, die sich in den 1970er-Jahren intensivierte und in den 1980er-Jahren, zu deren Beginn Ella nach Irland zurückkehrte, fortsetzte.

15 Kenny, Mary: Goodbye to Catholic Ireland, Dublin 2000, S. 237. Die Enzyklika Humanae Vitae, die Papst Paul VI. 1968 erließ, billigte die natürliche Empfängniskontrolle, verbot jedoch grundsätzlich jede Form der künstlichen Empfängnisverhütung.

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D ER K AMPF UM ( SEXUELLE ) F REIHEIT UND G LEICHBERECHTIGUNG : „ SPLINTERS WITHIN THE SPLINTERS “ Nach der Rückkehr nach Irland verstärkte Ella ihr politisches Engagement. Dabei verband sich die Hinwendung zu einem radikalen Feminismus mit einem breiteren Anliegen für gesellschaftlichen Wandel. Dies drückt sich auch in ihrer Mitgliedschaft bei Irishwomen United (IWU) aus, die sozialistisch ausgerichtet war und radikalere Ideen als das IWLM verfolgte. Aus IWU ging das CAP und die erste Women’s Right to Chose-Gruppe, die für die Möglichkeit eines legalen Schwangerschaftsabbruchs kämpfte, hervor.16 Ende der 1970er-Jahre verstärkten sich die Spannungen innerhalb der Frauenrechtsbewegung zunehmend. You had again splits and break-away groups of women who supported the rights of single parents or lone parents, who supported the North or didn’t support the North...Lesbian and gay rights was just taboo! It was not talked about. Not in the 70s. This is part of what motivated me to come out on television in the 1980. It was just...There were lots of lesbian women involved in organisations – as there are in every women’s group – but no recognition whatsoever. While we’d worked on contraception action programmes we worked for the rights of married women and we didn’t get anything...you know...no support coming back. Not till the 80s.

Die Ignoranz der irischen Mehrheitsgesellschaft, aber auch die Ignoranz innerhalb der Frauenrechtsbewegung gegenüber lesbischen Frauen veranlassten Ella 1980 zu einem extremen Schritt: Sie outete sich in der „Late Late Show“, derselben Sendung, die knapp zehn Jahre zuvor der irischen Frauenrechtsbewegung eine erste mediale Plattform geboten hatte. Dies kann als eine Anklage an die Frauenrechtsbewegung verstanden werden, die weibliche Homosexualität ignorierte, obwohl sich Lesben zuvor Seite an Seite mit ihren heterosexuellen Mitstreiterinnen für selbstbestimmte Familienplanung oder die Rechte verheirateter Frauen eingesetzt hatten. Darüber hinaus ist Ellas lesbisches Coming-out im staatlichen Fernsehen ein bis heute nachwirkender Akt, der einen festen Platz im kollektiven Erinnern der lesbischen Community hat und viele Frauen in ihrer eigenen sexuellen Identität ermutigte und bestärkte.17

16 Connolly, Linda: The Irish Women’s Movement. From Revolution to Devolution, Dublin 2003, S. 90. 17 Connolly; O’Toole: Documenting Irish Feminisms, S. 186. Vgl. auch O’Donnell, Katherine: Lesbian Lives and Studies in Ireland at the Fin de Siécle, in: McAuliffe, Mary;

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Neben den Spaltungen zwischen hetero- und homosexuellen Frauen innerhalb der Frauenrechtsbewegung sowie der Entsolidarisierung zwischen weiblichen und männlichen Homosexuellen im Kampf um sexuelle Selbstbestimmung18 sorgte auch die Frage der nationalen Souveränität bzw. der Nordirlandkonflikt für eine Spaltung der politischen Linken, die sich massiv auf die Frauenrechtsbewegung auswirkte. Within Ireland as well the left, the left wing political work, you can’t ignore the effect of Northern Ireland and the divisions that’s been there across the political spectrum between people who believe morally or politically in the right of people to use violence to achieve their aims, to work against domination and so on, and those who believe that’s totally against the good of the larger community, and people who are totally ignorant of the situation in the North and those who are very well informed. [...] Whether you support Sinn Féin, whether you support the IRA, whether you support, like, there was a big division within the women’s movement whether to support the Armagh women.

Zwar war die nordirische Frauenrechtsbewegung wesentlich stärker von internen Spannungen erschüttert, die primär aufgrund unterschiedlicher Gewichtung feministischer Ideologie oder unterschiedlichen Auffassungen der Klassenfrage ausgelöst worden waren. Auch konkrete Streitpunkte wie ein Ja oder Nein zur Unterstützung der „Armagh women“ führten zum Verlust eines gemeinsamen Mobilisierungsmoments.19 Doch der Fall der republikanischen Frauen, die im nordirischen Armagh inhaftiert waren und sich zu einem sogenannten dirty protest20 gezwungen

Tiernan, Sonja (Hrsg.): Tribades, Tommies and Transgressives (Histories of Sexualities, Band I), Newcastle 2008, S. 6; Ger Collins in L.Inc. Cork’s Lesbian Magazine, Ausgabe 6, November 2002, S. 1. http://www.linc.ie/magazine/Lincmag6.pdf (08.03.2009) 18 So verweigerte die National Gay Federation (NGF) der Women’s Right to Choose Campaign ihre formelle Unterstützung, was von vielen Frauen, die sich zuvor insbesondere für die Entkriminalisierung von männlicher Homosexualität eingesetzt hatten als Verrat am gemeinsamen Kampf bewertet wurde, was zu einem tiefen Riss innerhalb der schwullesbischen Bewegung führte. Vgl. Connolly; O’Toole: Documenting Irish Feminisms, S. 182, 184. 19 Vgl. Connolly; O’Toole: Documenting Irish Feminisms, S. 152. 20 Bei den dirty protests handelt es sich um eine Protestform, in der die Inhaftierten Hygiene boykottierten und Exkremente an die Zellenwände schmierten. Neben dem Frauengefängnis in Armagh fand die Protestform im Männergefängnis von Maze, in den sogenannten H Blocks Anwendung, um den Status als politische Gefangene und internationale Beachtung der Haftbedingungen für irische Republikaner in nordirischen Haftanstalten zu erreichen. Wenig später traten die ersten Inhaftieren in den Hungerstreik (vgl. Kapitel 5). Die extremen Maßnahmen, die im Nordirlandkonflikt von den gegnerischen Parteien ergriffen wur-

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sahen, verdeutlicht die generelle Unmöglichkeit der Ausblendung des Nordirlandkonfliktes und der nationalen Frage für die Frauenrechtsbewegung in der Republik. There’s been a huge history here, we’ve had major conflicts and major differences between people supporting or not supporting the rights of people in the North and whether we in the South should be more supportive. And you have splinters within the splinters. So both within the women’s movements and in the gay movement even there were political divisions right across the spectrum, so we have the same divisions there, in Ireland from very right wing to very left wing to middle of the road to being a-political. So, my background went from socialist to feminist to radical feminist to being called a cultural feminist which is, you know, seeing that the culture is a very strong influence on your identity and your social freedom.

21

Die schwarze Bürgerrechtsbewegung in den USA wirkte sich über den Einfluss auf die nordirische Bürgerrechtsbewegung hinausgehend auch auf die politische Situation im Süden der Insel aus. Dabei nimmt Ella eine Parallelsetzung der irischen und der schwarzen Freiheitsbewegung vor und hebt die Möglichkeit zur Identifikation mit den um ihre Rechte kämpfenden Schwarzen vor. Die Protestlieder der USamerikanischen Bürgerrechtsbewegung, vor allem ihre Hymne „We Shall Overcome“, konnten so auch in Irland ihre starke symbolische Wirkung entfalten. There’s a lot of parallels if you think of the Irish people as struggling as a nation for freedom and for liberation and for independence but traditionally, historically that was from England, from the colonial domination. So, there is a certain kind of continuity there. Some people who would still say „Well, the struggle has to go on. We only have the 26 county republic, we need a 32 county republic.“ So, I think that’s why you still get people voting for Sinn Féin or why you still have even the break-away paramilitaries and so on. There are people who will hold on to that vision of Ireland as a 32 county socialist republic and that kind of see that political agenda as incomplete and think they have a right to continue to take up arms to bring that about. I think those people have now been marginalised where they were more mainstream, certainly during the IRA campaign in the 50s right up to the Civil Rights movement and so on. The Civil rights movement was seen as part of that but just a peaceful part of that agenda. [...] I used to sing „We Shall Overcome“ as a teenager in the 70s. Martin Luther

den, haben tiefe Spuren im politischen Verständnis der Menschen hinterlassen, die die damalige Zeit bewusst miterlebt haben. Ella fasst zusammen: „Horrible stuff. But to me that shows the lengths that people will go to when they are desperate.” 21 Kultureller Feminismus hat sich aus dem radikalen Feminismus entwickelt und behauptet die essenzialistischen Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Dem kulturellen Feminismus geht es weniger um die Abschaffung der herrschenden Produktionsverhältnisse als um eine Aufwertung weiblich attributierter Eigenschaften.

248 | UNDOING I RISHNESS King... And it was..hm..so identifying with the black Civil Rights movement in the States where it was „we shall overcome the white oppressor“. We would sing it. All the folk songs in the late 60s and 70s here identified very strongly with that, and it was that sense of „we shall overcome the oppressor“ but in our case the oppressor being the English colonial power.

In diesem Zusammenhang unterstreicht Ella auch die Bedeutung der Anti-Apartheid-Bewegung, die sich in Irland unter anderem durch Demonstrationen gegen die irische Supermarktkette Dunnes Stores Gehör verschaffte, die weiterhin Waren aus dem rassistischen Südafrika importierte. Zum wiederholten Male verknüpft Ella die irische Identifikation und Solidarität mit den Unterdrückten dieser Welt mit ihrer eigenen Diskriminierungserfahrung als Frau aus der Arbeiterklasse, die weder der heterosexuellen noch der religiösen Norm entspricht. Dabei hebt sie in ihrer politischen Standortbestimmung das Bewusstsein ihrer privilegierten Position als gebildete Weiße hervor. Hier deutet sich die Gleichzeitigkeit von Identifikation mit den Opfern von rassistischer Unterdrückung und dem Wissen um die eigene Privilegiertheit an. There is a history there of identifying as the victim of oppression. So, from my perspective, yes, there’s a lot of connections between the Irish initially working class, being a woman, being a lesbian, not being Catholic or a believer in a conventional kind of sense; so, belonging to a lot of minorities as far as that goes. So, the privilege – and it is a huge privilege – is being educated and being white-skinned. My consciousness of that makes me want to change things, want to work for social change where there is more rights for minorities, where individual, every group has equal rights within Irish society and in global society. I don’t see that we need all these national borders. I mean they came about historically because of nation states, they came about because of colonial powers deciding, you know, which part we own. And I don’t think any of us has the right to own the land, the sea...

Nachdem ich nun von Ellas politischem Aktivismus erfahren habe und der Vielzahl an Gruppierungen, Strategien und Aktionen, von denen einige, wie das öffentliche Outing, als spektakulär zu bezeichnen sind, stellt sich die Frage, warum sie sich heute ausgerechnet auf Gemeindeebene im community development engagiert.

COMMUNITY DEVELOPMENT Ella erklärt mir, dass das „Offene Forum“ seit 2003 einmal im Monat stattfindet und sich primär an die Frauen richtet, die im Quartier leben und einen Migrationshintergrund haben, meist einen afrikanischen oder osteuropäischen. Ich möchte von Ella wissen, warum sie sich für die antirassistische Arbeit auf kommunaler Ebene

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engagiert und für wie wichtig sie community development für die Bekämpfung von gesellschaftlichen Problemen, insbesondere Rassismus, erachtet. I think it’s essential, and I think it has changed hugely in the sense that Ireland is a very different country now from what it was in the 1980s when there was a recession, it was very much on the margins of Europe, very poverty stricken and so on. The kind of average life style was much more dependent on social welfare, there were much more people on social welfare. So, there was a huge need for supports and local communities themselves organised on a voluntary basis. There’s been a massive voluntary effort over the last twenty years and more. So, successive governments have let us down, haven’t put enough resources or enough people or money in place. So, something like the Combat Poverty Agency has been a major instigator of change and in supporting the initiatives that were already there. And I suppose I would have a prejudice in the sense that I think the Labour Party governments – or the ones where they’ve had more influence – have been more influential, definitely. And you can see that documented in any of the books that you read about it. So, when we have Fianna Fáil coalitions there’s much less emphasis. That’s my sense of working in the area: That it’s more of a struggle. I always feel a relief when we have a Labour government or a Labour coalition. It’s a more prominent part of their policy.

Ella beschreibt den massiven Wandel des community development-Sektors, der stets eng mit dem Transformationsprozess der irischen Gesellschaft und dem jeweils herrschenden politischen Klima verbunden ist. In der irischen Gesellschaft spielt community development eine wichtige Rolle bei der Bekämpfung von sozialer Ausgrenzung. Seine jüngere Geschichte reicht zurück in die direct action-Bewegung der 1970er- und 1980er-Jahre, die sich primär mit den Auswirkungen von Massenarbeitslosigkeit und Armut befasste. Während dem community development vorerst keinesfalls staatliche Befürwortung entgegengebracht wurde, kommt es seit den frühen 1990er-Jahren zu einer stärkeren Anerkennung und Förderung von CDPs durch die öffentliche Hand, die zu einer Formalisierung und Professionalisierung des Sektors beitrug.22 Nora, eine Antirassistin, die seit Jahrzehnten im community development tätig ist, kommentiert die „Entdeckung“ des community development durch die offizielle Politik kritisch und spart nicht mit Zynismus.23

22 Combat Poverty Agency (Hrsg.): The Role of Community Development in Tackling Poverty in Ireland. A Literature Review for the Combat Poverty Agency, März 2006, Autor: Dr. Brian Motherway, S. I-II. 23 Community development-Organisationen erhalten staatliche Förderung in erster Linie vom Department of Community, Rural and Gaeltacht Affairs, einem 2002 neu gegründeten Ministerium, das sich vor allem um CDPs, den Erhalt der irischen Sprache und die bewohnten

250 | UNDOING I RISHNESS There were a number of reasons. Firstly, community development work, they saw it was a much cheaper option to put a community development project in an area than to respond at, say, in terms of social welfare, in terms of paying people not to take tranquillizers...

Zudem führt Nora die Entstehungs- und Wirkungsgeschichte des irischen community development, das sie als politische Bewegung bezeichnet, im Rahmen einer postkolonialen Logik auf eine gewisse DIY-Strategie, die typisch für Irland sei, zurück.24 We had them anyway. We had them before we had the funding. We have a cooperative movement in Ireland. We have a community development movement in Ireland, and we’ve had it since the beginning of the state. People helping and doing things for themselves and not waiting for them to be done. That has a bit to do with our colonial past as well. So we’ve always looked to ourselves for solutions. That would be the historic aspect. I can probably only speak with integrity about the women’s movement and community development. And for the last 25 years the women’s movement itself has been providing its own solutions, conducting its own research and bringing NGOs and other people along. Community development – this project was set up without funding – to respond to local needs. The local education group next door was set up without funding to respond to local need. But they became models for other groups to set up as well. And the state made a decision 15 years ago that it should fund them rather than resist them.

In Deutschland wird community development unter dem Begriff Quartiermanagement betrieben und bezeichnet Handlungsfelder wie soziale Kommunalpolitik oder den Aufbau von Organisationen im „Dritten Sektor“. Im Zentrum von community development stehen die Partizipation benachteiligter Gruppen und die Stärkung der Zivilgesellschaft bzw. Demokratisierung von Politik. Schlagwörter wie bottom upStrategie, think global, act local, aber auch reclaim the streets oder grassroots werden mit community development verbunden. Dabei ist es den Aktiven im community development äußerst wichtig zu betonen, dass sie eine andere Praxis als die traditionelle Sozialarbeit verfolgen und es ihnen primär um politische Aktivierung geht. Mehrere meiner Interviewpartner waren wie Ella und Nora bei CDPs beschäf-

Inseln der irischen Küste verantwortlich zeichnet. Derzeit existieren ca. 180 CDPs in der Republik. 24 Eine Do-it-yourself-Haltung in Bezug auf die eigene Lebensgestaltung im Verhältnis zu offizieller Verwaltung und Politik ist mir von vielen Iren beschrieben worden. Diese wird mit der postkolonialen Situation der irischen Gesellschaft erklärt, in der ein über Jahrhunderte gewachsenes Misstrauen gegenüber staatlicher Politik und offiziellen Würdenträgern fortbesteht.

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tigt, leisteten in diesem Rahmen antirassistische Arbeit und konnten darüber hinaus gleichzeitig ihren Unterhalt sicherstellen. Das Spektrum der Aktivitäten und die inhaltliche Ausrichtung von community development ist sehr breit, was einen Konsens über seine Aufgaben, Ausrichtung, Möglichkeiten und Grenzen erschwert. Daher möchte ich die Definition von Fred Powell und Martin Geoghegan anführen, die sich mit der Bedeutung von community development im irischen Kontext befassen: It is a discourse of social action informed by communitarian values that aims to promote social inclusion and democratic participation. ,People power’ or ,power to the people‘ are popular slogans associated with community development, emphasising its rootedness in concepts of empowerment. Equally, consciousness-raising, what the Brazilian community educator Paulo Freire called ,conscientisation‘, is a core construct, linking power to knowledge in the manner of the French structuralist philosopher, Michel Foucault. However, it is more Freirian than Foucauldian, because of its subscription to humanist values and its abiding belief in the possibility of societal transformation and human emancipation from poverty and oppression. [...] Marxist, feminist, environmentalist, anti-racist approaches to community development are rooted in emancipatory political traditions that subscribe to the fundamental transformation of the political and social order, based upon the principles of equality, solidarity, so25

cial justice and human rights.

Obwohl die staatliche Politik community development inzwischen als wichtiges Element der gesellschaftlichen Organisation anerkennt, äußert Ella Enttäuschung über die politische Führung, da der Finanzierung von CDPs keine Priorität in der staatlichen Haushaltsplanung eingeräumt werde. Sie betont, dass in der polarisierten Gesellschaft Irlands politische Basisarbeit besonders notwendig ist, da sich der irische Transformationsprozess mit rasantem Tempo vollzog und der ausgewiesenermaßen nicht nur zu umfassendem Wohlstand, sondern ebenso zu sozialen Verwerfungen führte. Was halten Community-Aktivisten von den staatlichen Antirassismuskampagnen wie dem National Action Plan Against Racism (NAPAR) und generell von der Haltung der irischen Regierung bei den Themen Immigration, Integration und (Anti-)Rassismus? Endless frustration I’d say. The present Fianna Fáil/Progressive Democrats coalition is very good at producing glossy brochures. It’s very good at producing political promises. But we’ve

25 Powell, Fred; Geoghegan, Martin: The Politics of Community Development. Reclaiming Civil Society or Reinventing Governance?, Dublin 2004, S. 18-19.

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had appalling kind of responses. Like the present Minister for Justice , in recent interviews he was saying things like he reluctantly had to agree to changing legislation. The attitude just seems to be about giving the minimum to any kind of minority group, especially ethnic mi27

nority groups. We’ve had Mary Harney doing away with a lot of the social employment or community employment schemes. So, things like that that really affect people’s lives who don’t live a privileged kind of life-style. [...] So, they have great PR! I have to congratulate them on that. Their image and their way of using the media! They are very skilful around that, and they have fantastic organisation getting people to vote for them, but their actual policies and what they deliver on the ground – for me, working in the area and other people that I work with – as I say, I‘d feel a lot of disappointment when this particular coalition is voted in again because they don’t deliver on their promises, and in fact they take away resources that already exist. So, we’re left with a huge population in Ireland, and I don’t mean in terms of immigration, but a population of people who are still underprivileged or under-resourced, living on low incomes, don’t have the resources. And then we have what we call the „new poor“, you know, the middle class people who have actual incomes but don’t have lots of disposable incomes, property that’s gone up through the roof, astronomical prizes for property. So, it’s a two-tier society. We get a much bigger gap between the two levels where the socalled Celtic Tiger is only relevant to a privileged few. A lot of people are not benefiting from this economic expansion. The people who have businesses, the people who already have property, who are builders, who have access to multi-national funds, who can build golf courses, etc., yeah, that’s great benefit to those but the areas that I work in which would be considered the marginalized areas, the ones that are designated for development, yes, there has been progress! You’d have to say that. There has been change but it’s not fast enough, and it’s not extensive, definitely not. And now we have a whole new population in terms of immigrant communities. Since 1995 there’s been a very big jump in the number of people coming into Ireland – both workers and families and asylum seekers, refugees and so on. And the needs are not met. They are just not met.

Für Ella stellt die immer größer werdende Schere zwischen Arm und Reich und die damit einhergehende gesellschaftliche Polarisierung ein zentrales Problem dar, das

26 Zwischen 2002 und 2007 war Michael McDowell Minister für Justiz, Gleichstellung und Rechtsreform. 27 Mary Harney ist eine ehemalige Fianna Fáil-Politikerin, die zur Mitbegründerin der liberalen Marktwirtschafts-Partei Progressive Democrats wurde. „The Progressive Democrats is a liberal Party which was formed in 1985 by Desmond O'Malley, Mary Harney and Michael McDowell to break the mould of Irish politics and give the Irish voters a new and real alternative to the Civil War parties then dominating Irish politics.“ http://www.progressive democrats.ie/about_us/ (17.02.2009) Wegen mangelnden Wahlerfolgs löste sich die Partei im Februar 2009 auf.

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von staatlicher Seite nur unzureichend beachtet wird. Sie betont, dass viele Iren nicht vom „Keltischen Tiger“ profitieren konnten und der neue Wohlstand in der Republik ungleich verteilt wird. Die irische Regierung hat es versäumt, in Zeiten wirtschaftlicher Prosperität und sinkender Staatsverschuldung in die öffentliche Infrastruktur zu investieren. Nicht nur die strukturelle Unterfinanzierung der kommunalen Aufgaben und der Arbeit der CDPs, die primär gegen soziale Ausgrenzung arbeiten, sondern auch die des Gesundheitswesens führt zu erheblichen gesellschaftlichen Missständen.28 Für Ella liegt es auf der Hand, dass in einer derartigen gesellschaftlichen Schieflage die zunehmende Immigration eine neue große Herausforderung darstellt. Dabei hält sie die Integration von Einwanderern in Zeiten rapiden sozialen Wandels für besonders schwierig, insbesondere bei Fehlen einer engagierten staatlichen Migrations- und Integrationspolitik. I do recognize that the changes that have happened in Ireland have happened very rapidly, and it’s always difficult for people to cope with change and to cope with rapid change. So, it will be necessary to have practical reasons...that legislation has to function in a way that makes it practically possible for people to come here, to get jobs, to get residency and so on. That you can’t just have an open door I recognize that. But I think we can do it much more effectively than we are doing it.

Antirassistische Arbeit besteht im community development vorrangig in der Unterstützung der Selbstorganisation ethnischer Minderheiten, denn häufig sind Einwanderer, vor allem Asylbewerber von sozialer Isolation betroffen, die nicht selten zu schwerer psychischer Belastung führt. Zudem sind viele Migrantinnen alleinerziehende Mütter, die Unterstützung in Erziehungsfragen suchen. Darüber hinaus wird konkrete Integrationshilfe, z. B. in Form von Englischkursen organisiert. Dabei legen Community-Arbeiter großen Wert darauf, dass eine reine Wohlfahrtspraxis überwunden wird zugunsten einer Hilfe zur Selbsthilfe und Ermunterung zur Solidarisierung mit anderen gesellschaftlich diskriminierten Gruppen. Mit dem Prinzip der collective action soll sozialer Wandel bewirkt werden. Tamara, die ebenfalls im community development-Bereich arbeitet, hebt hervor: In terms of how a practical community development approach works we don’t provide service. You know, the charity model where people provide certain services. They do a good job

28 DeBoer-Ashworth, Elizabeth: The ‘Celtic Tiger‘ in a Global Context, in: Collins, Neil; Cradden, Terry (Hrsg.): Political Issues in Ireland today. Third Edition (Politics Today), Manchester, New York 2004, S. 11. DeBoer-Ashworth betont: „However welcome the boom has been, the issue of social exclusion is a blot on Ireland’s economic success.”

254 | UNDOING I RISHNESS but these issues do not go any further. What we do, we bring these issues on much higher policy arenas. [...] We want to engage women in groups and we are encouraging the establishment of ethnic minority organisations.

Einzelne Personen können sich mithilfe der durch die CDPs zur Verfügung gestellten Infrastruktur (Räumlichkeiten, Computerplätze, professionelle Beratung, etc.) mit anderen vernetzen, gemeinsame Bedürfnisse definieren und entsprechende Maßnahmen organisieren. Tamara erzählt als Beispiel für gelungene community development-Arbeit die Geschichte einer Migrantin, die die Gründung einer Gruppe von Frauen mit Migrationshintergrund initiierte, die daraufhin offiziell mit dem örtlichen CDP assoziiert wurde und schließlich sogar Mitgliedsgruppe in der New Communities Partnership (NCP) wurde, einem landesweiten Netzwerk, das sich gegen Rassismus und Diskriminierung wendet.29 That’s a kind of practical example of how community development works. Basically, it’s working together to achieve social change. But the principles are collective action which means that I cannot do it on behalf of them or a single person does not really achieve anything. It’s equality. They can’t come together and say „We as a group want all Chinese out of this country.“ It’s about equality. And women, they understand how multiple discrimination can affect their lives.

Migrantinnen und Angehörige marginalisierter (ethnischer) Minderheiten werden als Teil der irischen Gesellschaft gesehen, die folglich an deren Veränderung mitwirken sollen. Auf Community-Ebene werden sie dabei unterstützt, sich in den Kampf gegen soziale Ungleichheit einzuschalten, ohne dass sie dabei auf ihre Zugehörigkeit zu einer Minderheit reduziert oder auf das Thema Rassismus festgelegt werden.30 Hier wird erneut deutlich, dass die Vielfältigkeit der weiblichen Unter-

29 “We are a national network of ethnic minority organisations that have come together to support our communities through a strategic alliance with other ethnic groups. Our aim is that ethnic minority organisations and community leaders work together to address the underlying causes of the difficulties that new communities in Ireland are facing: racism; discrimination; unemployment and obstacles to employment; poor housing and accommodation; access to public services.“ http://www.newcommunities.ie/content/about-us/ (17.02. 2009) 30 Kalpaka, Annita; Räthzel, Nora: Im Netz der Herrschaft. Frauen – Männergewalt – Rassismus, in: Feministische Studien, 9. Jahrgang, November 1991, Nr. 2, S. 38. Kalpaka und Räthzel betonen die Notwendigkeit der Selbstorganisation von Frauen aus ethnischen Minderheiten für eine wirkungsvolle antirassistische/antisexistische Frauenpolitik. Ebd. S. 37.

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drückungserfahrung als ein günstiger Ausgangsmoment für emanzipatives Verhalten und politische Aktivierung bewertet wird. Auf den extremen Transformationsprozess reagierte die offizielle Politik zu langsam und ohne erkennbaren politischen Willen. Alle der von mir interviewten Community-Arbeiter fragen sich angesichts dieses politischen Klimas, wer die neuen sozialen Herausforderungen erfolgreich meistern soll. Maura macht sich Sorgen über die zukünftige Finanzierung von Organisationen im voluntary- und community development-Sektor:31 I think the political climate is very bad at the moment. So, that doesn’t look well for the future. And I think generally, my feeling is that the sector overall is experiencing a decline in resourcing and that there isn’t a political will.

Der rapide soziale Wandel, die zunehmende Immigration und die dringend erforderliche antirassistische Strategieentwicklung stellen auch den community development-Sektor vor neue Herausforderungen. Dabei wird dem expliziten politischen Anliegen vieler CDPs, der politischen Aktivierung neuer Einwanderer-Communitys, seitens der offiziellen Förderpolitik nur zurückhaltend entsprochen. So beschreibt Maura den Teufelskreis der Unterfinanzierung migrantischer Initiativen: Geringe finanzielle Ressourcen erschweren den Zugang zu den existierenden offiziellen Förderstrukturen. I would think it would be extremely important that minority ethnic groups are able to act on their own behalves and able to achieve things and able to have a voice. And that is so hard because they are so poorly funded. And because they are so poorly funded they don’t have the capacity to get funding. And they don’t have the recognition to get funding. And it’s so important! Stronger organisations can run up the funding application and do things so easily and clearly they can be more effective because they have a stronger capacity, sometimes professionalism of work over and over years. Well, I think it’s just crucial that those minority ethnic led groups and organisations are supported to participate.

Kate bietet eine Erklärung für die verhaltene offizielle Finanzierungspolitik gegenüber der Selbstorganisation von Migranten an: There’s a reluctance on the part of the state to fund immigrant led groups because there’s that sort of „Oh my god, we don’t really know who we are dealing with here?!?“ Somebody at the

31 Der Begriff voluntary ist im irischen Kontext irreführend: Es handelt sich nicht um reine Freiwilligenorganisationen, in denen ausschließlich ehrenamtliche Arbeit geleistet wird. Häufig handelt es sich um Mischformen, in denen sowohl bezahlte als auch ehrenamtliche Mitarbeiter im Non-Profit-Bereich tätig sind.

256 | UNDOING I RISHNESS last meeting was making the point that there has to be a leap of faith on the part of the state, on the part of the government in how these new communities form, and it won’t necessarily follow a pattern...or it won’t necessarily follow the pattern of Irish community groups and that there has to be...and some of them mightn’t succeed – whatever of that word means – but they do need support and that there is an impression amongst them that they are not being discriminated against. And then, and this is really my area of interest, how groups are represented and things like that because who represents the African community?!? And as soon as you get into the idea of...state funding always has a homogenizing influence because you are forced to group around certain things.

Bemühen sich community development-Gruppen um staatliche Mittel, so müssen sie bestimmten staatlichen Fördervorgaben gerecht werden. Hier tritt das auch für antirassistische Gruppen typische Dilemma auf, denn wird eine vorgegebene politische Linie verlassen oder gar aktiv Kritik am herrschenden System geäußert, müssen sie um ihre ökonomische Grundlage fürchten. Doch Nora, seit Jahrzehnten als Aktivistin tätig, sieht in keinster Weise die Gefahr der Kompromittierung durch die Nutzung staatlicher Fördergelder. We have always been in that situation. Even when we were funded just to run programmes our job was to be critical of the state. I don’t feel in any way compromised. I feel I’m entitled to be funded. To actually look at what kind of a society I want to live in, what kind of a society the people in this area want. I’m entitled to that funding! And I’m equally entitled to challenge that practise on behalf of the state. I don’t feel a bit compromised. We’ve managed without funding, we’ll manage again. If that was the case, but I doubt that they would ever cut the funding.

Nora gelingt es das klassische Dilemma systemkritischer Organisationen, die auf staatliche Finanzierung zurückgreifen, aufzulösen, indem sie eine kritische Analyse der staatlichen Förderstrategie vornimmt und die Motivation der Obrigkeit zur Förderung von community development hinterfragt. Community development work is a very cheap option! And it lets the government off the hook: „We provided a community development project. Don’t complain about unemployment! Don’t complain about poverty! Don’t complain about access to school! That’s your community development!“ So, you can see it’s a very, very cheap option.

Anstatt die Ambivalenz gegenüber staatlichen Geldern als Hemmnis für die eigene politische Arbeit zu betrachten, ist es für Nora weitaus wichtiger, community development als funktionierende Organisationsform im Kampf für die Überwindung sozialer Ungleichheit und gegen rassistische Diskriminierung weiterzuentwickeln. Dabei weist sie auf eine weitere neue Herausforderung für die antirassistische Ar-

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beit auf kommunaler Ebene hin, die ebenfalls im Zusammenhang mit dem irischen Transformationsprozess steht: Die Integration von geschultem ausländischem Personal in den community development-Sektor Irlands. Wie gestaltet sich dieser Wissenstransfer, in dem Mitarbeiter aus anderen politischen Kontexten, die eine größere Erfahrung mit antirassistischer Strategieentwicklung bedingen, in irischen Zusammenhängen agieren? I’m hopeful that the group will get an understanding that racism is constructed. It’s a social construct and therefore we can work with it. But we have members of the group who come from Britain who have an understanding of what antiracism work is because they’ve had a longer experience. While they might understand antiracism work, they don’t understand community development work and possibilities. We have a lot of lines to cross yet and a lot of people to bring along.

Während also die Expertise britischer Kollegen in der Antirassismusarbeit anerkannt und die größere Erfahrung im Umgang mit der Thematik geschätzt wird, so wird gleichzeitig auf Verständigungsprobleme in anderen arbeitsrelevanten Bereichen verwiesen. Ein britischer Aktivist, der in einem CDP tätig war, erzählte z. B., dass er Probleme mit der irischen Herangehensweise hat. Dabei übte er vor allem Kritik an der Tendenz zur antirassistischen Selbstbespiegelung, in der mit speziellen antirassistischen Trainingsprogrammen gegen den „inneren Rassisten“ vorgegangen werden soll. Er hingegen hält es für wesentlich wichtiger, offensiv Position zu beziehen. I came from an activist position, wanting to do things, to oppose racism, and I was a little bit shocked about the amount of training they wanted to do. These are people who’d got MAs, Masters in Equality Studies and had been socialists or antiracists for decades. And I’m thinking why do we need to keep studying? So, I’ve had some difficulty with that. I think it’s a little bit like trying to purge yourself from racism. Racism is in all of us, therefore we must purge ourselves from it and we do that through training. It’s a bit like blood letting. You have to purge yourself from this racism. And that’s true, yeah! I mean, racism exists in society and therefore, you know, unless you’re really actively consciously opposing every single aspect some of it will seep in. But I always think it’s a question of choosing sides. You might go on a demonstration to defend a group that is under attack with a little bit of prejudice inside you, but if you are on demonstration and you’re bringing other people with you, you are going in the right direction.

Bei aller Kritik, die community development-Aktivisten an ihrem Arbeitsfeld und dem es umgebenden herrschenden politischen Klima äußern, so überwiegen doch die Stimmen, die community development für einen wichtigen Baustein antirassistischer Arbeit und im Kampf für nachhaltigen politischen Wandel erachten. Tamara

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setzt dabei auf die Langzeitperspektive, die Ungeduld und Unzufriedenheit über den Mangel schnell errungener politischer Erfolge schmälern kann, wenn immerhin ein Einstellungs- und Geisteswandel erreicht werden. Zudem verweist sie auf den stetigen Kampf der Traveller um Anerkennung ihrer Kultur durch die irische Mehrheitsgesellschaft, der inzwischen zu einer Verbesserung ihres Status geführt hat. You can’t say what works or what doesn’t work in this kind of setting because community developing process...it’s a very long process. You can see it with the Travellers like how...it took them 20 years to achieve what they’ve achieved now. And it’s still a long way to go. So, it is a philosophical question...And this is what I’m sometimes asking myself from my personal point of view. I’m thinking...mh...I suppose community development aims to change minds rather than solves the problem immediately. So it changes a whole mindset.

Maura ist daher auch nicht die einzige der von mir interviewten Antirassistinnen, die radikalen Feminismus mit dem Ziel eines radikalen gesellschaftlichen Wandels durch community development verbindet. I’m a feminist. I would see myself as a radical feminist and my understanding of radical feminism is that it’s to achieve radical social change. I would see that as a positive rather than some of the stereotypes associated with it. And I would identify with a lot of socialist thought, and I believe in the power of community development.

Ü BERWINDUNG DES M YSTIZISMUS IM IRISCHEN FEMINISMUS – I RISHNESS : EIN POSTKOLONIALES P ROJEKT ? Postkoloniales Denken spielt auch für den Kampf um sexuelle Gleichberechtigung und die irische Frauenrechtsbewegung sowie deren wissenschaftliche Untersuchung eine wichtige Rolle. Hier wird dem kolonialen Rassismus Rechnung getragen, der ein Herrschaftsverhältnis etablierte, dass die Eroberer als männlich-dominant und die Eroberten als weiblich-passiv klassifizierte. 32 Darüber hinaus wird davon aus-

32 Eine männlich-weiblich Kodierung übertrug sich auf den Rassismusdiskurs. Vgl. Rommelspacher: Sexismus und Rassismus, S. 116. Allerdings lässt auch der Nachweis identischer Konstruktionsprinzipien keine Ineinssetzung von Rassismus und Sexismus zu. Trotzdem wurde in der Diskussion zum kolonialen Rassismus zuweilen die Position vertreten, dass Frauen auf dieselbe Art und Weise wie kolonisierte Bevölkerungsgruppen bzw. ethnische Minderheiten diskriminiert werden. Dies gipfelte in der Behauptung: „Frauen sind die Neger aller Völker“. Tatsächlich ist jedoch die Position als Mann oder Frau von der gesellschaftlichen Hierarchie, die wiederum durch ökonomische und ethnische Privilegiensyste-

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gegangen, dass es mit der Gründung eines unabhängigen Staates und dem Bemühen um die Schaffung einer kohärenten nationalen Identität zu einer Abwehrhaltung gegenüber dem sexuell Fremden gekommen ist, sodass lesbische oder schwule Identitäten als Störfaktor in der Konstruktion einer homogenen Irishness wahrgenommen und dementsprechend bekämpft wurden.33 Nun gibt es unterschiedliche Möglichkeiten auf eine traditionelle Vorstellung nationaler Identität und ihre Wirkmächtigkeit zu reagieren: Es existiert die Variante, eine homosexuelle Geschichte des irischen nationalen Befreiungskampfes zu schreiben. Dies kann dann zu einem rückwirkenden Outing mehr oder weniger bekannter Persönlichkeiten führen, die für den irischen Nationalismus wirkten – möglicherweise um zu beweisen, dass Homosexuelle auch „gute Nationalisten“ sein können.34 Eine andere Variante besteht in dem Versuch, das herkömmliche, exklusive Verständnis von Irishness zu überwinden, das als Diskriminierungsbasis funk-

me geprägt ist, abhängig. Vgl. Rommelspacher, Birgit: Frauen und Rassismus – Im Widerspruch zwischen Diskriminierung und Dominanz, in: in: Institut für Sozialpädagogische Forschung Main e. V. (Hrsg.): Differenz und Differenzen: Zur Auseinandersetzung mit dem Eigenen und dem Fremden im Kontext von Macht und Rassismus bei Frauen, Bielefeld 1994, S. 101. Auch Cornelia Eichhorn wendet sich gegen eine übermäßige Analogisierung von Sexismus und Rassismus, betont jedoch gleichsam die Einbettung von Rassismus und Sexismus in Ideologie und alltägliche Praxis. Eichhorn, Cornelia: »Frauen sind die Neger aller Völker«. Überlegungen zu Feminismus, Sexismus und Rassismus, in: Redaktion diskus (Hrsg.): Die freundliche Zivilgesellschaft. Rassismus und Nationalismus in Deutschland, Berlin 1992, S. 101. Meine Untersuchung des irischen Feminismus zeigt, dass die Selbstgewissheit der eigenen Unterdrückung die Unterschiede zwischen Frauen keinesfalls nivelliert. 33 Zum Verhältnis von Sexualität/Gender und der Konstruktion irischer nationaler Identität vgl. Walshe, Éibhear (Hrsg.): Sex, Nation, and Dissent in Irish Writing, Cork 1997. 34 Auch in der Forschung zum irischen Feminismus schlägt sich der Konflikt der beiden ideologischen Strömungen nieder. Anhänger der nationalistischen Forschung betonen die Einzigartigkeit der irischen Erfahrung, nehmen eine übermäßige Fokussierung auf die nationale Identität vor und blenden die internationalen Einflüsse auf irische Verhältnisse aus. Hier besteht eine starke Tendenz, irische Kultur und Gesellschaft ausschließlich mit einer postkolonialen Lesart zu deuten. Für Anhänger einer nationalen Geschichtsarbeit sind irische Frauen vor allem dann erwähnenswert, wenn sie für den irischen Befreiungskampf in Erscheinung treten und den „Geist der Bewegung“ verkörpern. So finden sie auch in Connors Erinnerungen an die Zeit des internment einen Platz: „They interned all republicans. There was 12 000 republicans locked up within a year without any charges or anything, and funny enough they went for the women first. They locked up the republican women first because they realised they were a very strong part of the movement.”

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tioniert und den irischen Feminismus nachhaltig formte.35 Für den irischen Feminismus zog diese Überwindung traditioneller identitärer Konzepte ein Ende der Herauslösung des Geschlechterverhältnisses aus seinem Zusammenhang mit anderen Herrschaftsverhältnissen nach sich.36 In der feministischen Theorieentwicklung entfaltete sich eine Dominanz der postkolonialen Lesart, die (metaphorische) Parallelen zwischen dem irischen Feminismus und der Erfahrung von Frauen in „Dritte Welt“-Ländern und deren Befreiungsnationalismen zieht. Außerdem erscheint es vor dem Hintergrund, dass es trotz unterschiedlicher Hautfarbe zu einer aktiven Parallelsetzung der schwarzen und irischen Diskriminierungserfahrung kommt, besonders interessant, wie in Irland auf eine Analogisierung vom Kampf der Schwarzen und dem Kampf der Frauen reagiert wird.37 Paradoxerweise tendieren postkoloniale Theoretiker zu einer sehr engen Definition von „irischen Frauen“. Diese Tendenz führte zu einer Mystifizierung des irischen Feminismus.38 Irische Frauen sind demnach ausschließlich irisch, ka-

35 Die revisionistische Interpretation der irischen Gesellschaft geht davon aus, dass die irische Erfahrung nicht singulär oder besonders einzigartig im Vergleich zum europäischen Kontext ist. Besonders bedeutsam sind hier Forschungsansätze, die irischen Feminismus oder irische Identität nicht als hermetische Kategorien verstehen und darüber hinaus die transnationalen Verflechtungen hervorheben, ohne dabei auf eine Analyse der spezifisch irischen Entwicklungen zu verzichten. 36 Die Einsicht in die Existenz weiterer Herrschaftsverhältnisse, wie z. B. Nationalismus oder Klassismus, konnte die Eindimensionalität des weißen, bürgerlichen Feminismus sprengen, der durch seine Fokussierung auf das Geschlechterverhältnis in ähnliche fatale Mechanismen verfiel wie Vertreter der klassischen Haupt- und Nebenwiderspruchsthese, nach der eine Überwindung des Kapitalismus ein Ende anderer Herrschaftsverhältnisse nach sich zöge: Es kam zu einer Verschleierung anderer Machtverhältnisse und somit auch zu einer Verschleierung der eignen Verstricktheit in gesellschaftliche Hierarchisierung und Negation der eigenen Dominanz. Vgl. Rommelspacher: Frauen und Rassismus, S. 102; Dies.: Sexismus und Rassismus, S. 118. 37 Zum Einfluss der schwarzen Bürgerrechtsbewegung in den USA auf die Frauenrechtsbewegung vgl. Bourne, Jenny: Für einen anti-rassistischen Feminismus, in: Dies.; Sivanandam, A.; Fekete, Liz: From Resistance to Rebellion. Texte zur Rassismusdiskussion, Berlin 1992, S. 80. 38 Diese Mystifikation steht im Zusammenhang mit der auch in anderen Ländern zu beobachtenden Degeneration des Feminismus zu einer esoterischen Kategorie. Namen der einschlägigen feministischen Zeitschriften wie „Wicca“ oder „Banshee“ deuten diese Tendenz an.

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tholisch und weiß. Zudem wird irischer Feminismus infolge einer postkolonialen Logik als ein nationaler Feminismus begriffen.39 The suggestion that feminism can only be conceived in relation to nationalism or postcolonialism pervades Irish studies in different measure and form. For some, this view is taken even further. Howe controversionally suggests that a clear assumption exists that for feminists not to be pro-Republican is for them to be imperialist. Resistant individual subject positions in relation to either nationalism, or indeed imperialism, have not been appreciated in this model. Anomalous (anti-nationalist) women are either ignored in post-colonial definitions of the subaltern or frequently are ,coped with‘ by categorising their opposition only as it relates to nationalism – not as political subjects who have consciously and collectively transcended nationalism through feminism.

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Die Einschreibung des Nationalismus in die irische Geschichte und Kultur zeigt ihre homogenisierende Wirkung, die nach innen festigt und nach außen abgrenzt. Alternative Ideologien werden nicht nur marginalisiert, sondern ihre Vertreter mit dem politischen Feind assoziiert. Die Gleichung antinational = unnormal wird bis in die Gegenwart aufrechterhalten. Fehlende Begeisterung für den nationalen Befreiungskampf kann so eine Stigmatisierung als Imperialist(in) nach sich ziehen. Vor diesem Hintergrund muss Ellas Wunsch nach der Überwindung eines „narrow sense of nationhood“ und deren Verbindung mit sexueller Gleichberechtigung und einer funktionierenden Integrationspolitik als geradezu kühn gelten. Our sense of nationhood is very narrow and I think it really needs to expand. And I think it is beginning to. Things like the arts, like creative expression, like local community festivals where you have dance and music and art. Celebrate it. That’s one area where I can see there is integration and there is a welcome and a celebration, and people are saying „Yes. There is something to be gained here!“ And it’s not just lip service.

Die Beziehung zwischen feministischer Politik und nationalen Befreiungskämpfen wird nicht nur in Irland kontrovers diskutiert. Allerdings wird für den irischen Fall konstatiert, dass eine neutrale Beziehung zwischen Feminismus und Nationalismus unmöglich ist „and that nationalism is a key dynamic of difference in the women’s movement“.41 Ella geht äußerst differenziert vor, z. B., wenn sie das national-

39 Vgl. Connolly: The Irish Women’s Movement, S. 5. 40 Ebd., S. 31. Connolly bezieht sich hier auf Howe, Stephen: Ireland and Empire. Colonial Legacies in Irish History and Culture, Oxford 2000, S. 189. 41 Connolly; O’Toole: Documenting Irish Feminisms, S. 148. Floya Anthias und Nira YuvalDavis kritisieren die Konzeptionalisierung von Frauen in nationalistischen Ideologien und

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republikanische Erbe auf der familienhistorischen Ebene in ihre Überlegungen mit einbezieht. Dabei wird deutlich, dass historisch bedingt, für viele Iren eine unbedingte Verknüpfung zwischen individueller und nationaler Freiheit existiert, die durch die Involviertheit der eigenen Familie in den irischen Befreiungskampf bedingt ist. I come from a working class Dublin background, republican. But republican in the sense...that to me there’s hardly a family in Ireland that doesn’t have some republican connections in the sense from 1916 and so on. So, like me grand-uncles would have been involved. [...] I would see Irish nationalism as attractive to anybody who believes in the freedom, both individual freedom and like the First World War, the freedom of small nations. Any people who sees themselves as a nation or any people that’s been oppressed for hundreds of years like we have been by the British Empire. So, there’s still that sense of the small people fighting the big oppressor, and the struggle for freedom goes on. So, there’d be a lot of identification in our songs and rebel songs and so on with the struggle in South Africa, with the anti-slavery in America. Songs of freedom. Bob Marley songs of freedom, and people smoking their brains out. (lacht) So, there’s a consistency there, I think, the fact that we can identify both with countries in Africa, with people of other nationalities but who have all been under the joke of England traditionally. So, our language, our culture as been dominated and taken away and criminalized and trivialized and all that so reclaiming that there is a real positive sense about nationalism, a sense of reclaiming your Irishness in opposition to a sense of Britishness that is much more restrictive, like, stiff upper lip kind of image of the English if you like, the royalty...all that.

Repräsentationsformen. Sie untersuchen, das Zusammenspiel von Gender mit „Rasse“ und Rassismus, die Einfluss auf nationale Bewegungen nehmen. Vgl. Yuval-Davis, Nira; Racialized Boundaries. Race, Nation, Gender, Colour and Class and the Anti-Racist Struggle, London, New York 1995. Yuval-Davis entwickelt ihre Kritik an der Subsumierung von Frauen als einer als homogen konstruierten Gruppe unter die Nation, die als männliche Entität gedacht wird, weiter. Vgl. Yuval-Davis, Nira: Gender and Nation, London 1997. Zudem hebt sie die besondere Rolle, die Frauen in der Konstruktion nationaler Kollektive zugewiesen wird, hervor, die Frauen zu einem Symbol nationaler Werte oder nationaler Befreiungsbewegung erhebt. Hier zählt sie neben den symbolischen Frauenfiguren wie La Patrie, einer Frau, die die personifizierte Revolution gebiert, oder Mutter Russland auch Mother Ireland, die ihre Kinder nährt und schützt, auf. Yuval-Davis, Nira: Ethnicity, Gender Relations and Multiculturalism, in: Werbner, Pnina; Modood, Tariq (Hrsg.): Debating Cultural Hybridity: Multi-Cultural Identities and the Politics of Anti-Racism, London, New Jersey 1997, S. 196.

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Ähnlich wie Connor nimmt Ella eine Identifikation des irischen Kampfes für nationale Unabhängigkeit mit afrikanischen Befreiungsbewegungen im Dekolonisierungsprozess vor. Sie vergleicht die Unterdrückung der Iren im britischen Imperialismus mit der rassistischen Ausbeutung schwarzer Sklaven in den USA im 19. Jahrhundert und dem Kampf gegen das Apartheid-System Südafrikas. Dabei verweist sie auch auf eine gemeinsame Kultur des Protests, z. B. in Form von Freiheitsliedern. Nicht ungewöhnlich für die politische Arena Irlands, nimmt Ella einen Positivbezug zum „guten Nationalismus“ der Unterdrückten, die nach Freiheit streben, vor, den sie, ähnlich wie Connor, global als internationalistische Bewegung denkt. Zwar ist Ella von der Existenz eines Nationalismus mit emanzipativ/egalitärem Potenzial überzeugt, doch gleichzeitig hält sie eine Überwindung traditioneller, weißer, katholischer Irishness für notwendig, von der sie sich ganz entschieden distanziert. Ella lehnt ein traditionelles Verständnis von Irishness ab. Wie die junge Generation Irlands in den 1960er- und 1970er-Jahren rüttelt sie an den lieb gewonnenen Selbstbeschreibungen und positiven Irlandbildern wie der sprichwörtlichen „island of saints and scholars“, und reißt sie lächelnd ein, um Platz für ein neues Verständnis von Irishness zu schaffen. Selbst Irlands „Goldenes Zeitalter“ der Zivilisation42, in dem die Iren angeblich Europa vor der Barbarei bewahrten, verschont sie nicht und fordert stattdessen generell eine Entmystifizierung von Irishness. Zudem hebt sie den in Irland betriebenen permanenten Hinterfragungsprozess der eigenen Identität hervor, der laut Ella stets alternative Entwürfe von Irishness produziert und zulässt.43 Dabei geht sie auch auf den rapiden Wirtschaftsaufschwung in den 1990er-Jahren und seine Auswirkungen auf das irische Selbstverständnis ein. I don’t identify with the traditional Irish view of being Irish and Catholic, and being Irish and being republican. So, I think the majority of Irish people in the South would have identified with that, certainly up the 60s, 70s. And I think the youth of that time, and I would be part of that, have questioned all those values and moved beyond that. So, yes, it’s different now. But I think there’s been another change in the 90s with this huge economic boom, and all the dotcom millionaires we have and Ireland being the silicone valley of Europe and all this kind of stuff. So, there’s a lot of changes now that I would question again and that I wouldn’t want to be part of. Irishness is definitely changing its identity. And we would have also been taught

42 Irlands „Goldenes Zeitalter“ des geistigen Einflusses und künstlerischen Schaffens umfasst besonders das 8. und 9. Jahrhundert, in dem irische Mönche maßgeblich zur Stabilisierung der christlichen Kultur Europas beitrugen. Vgl. Mauerer, Michael: Kleine Geschichte Irlands, Stuttgart 1998, S. 11. 43 Eine Aussage wie „we will continue to redefine ourselves“ erinnert an die eingangs geschilderte Tendenz der Iren zur Selbstbespiegelung.

264 | UNDOING I RISHNESS that we were in...kind of...500 to 800 was our Golden Age and we were the island of saints and scholars and we sent our monks to Europe to educate Europe. We were educating the sons of the rich. We weren’t educating the whole of Europe. (lacht) So, there’s a lot of myths about Irishness. And I think that will continue. We will continue to redefine ourselves. So, why we have so many writers and why we have so many dramatists and so on is because that there’s that kind of complexity and because there is that questioning and that change going on. So, I would look forward to an even broader definition of Irishness. The more our immigrant population integrates, you know, we are going to have African and East European writers and artists and musicians, and you know, bring it on! We had New Ireland movement a couple years ago, a couple of hundred years ago, you know, an Irish nation separate from England but I think we need an Irish nation that is more integrated into Europe, into the human rights European...I’d much rather see rather than a united Ireland I’d like to see a united Europe. Because we were defined for so long in relation to England. Our definition was so much around we were English speaking and we were white but we were different from the English and while a colonial society...being post-colonial means you are trying to define yourself as separate from what they’ve tried to make you out to be. So, I think, now in Europe we have so much more scope! It should stop being small-minded, conservative, holding on to a small territory and defending. It should be much more open and broad-minded and questioning. So, we’ll see. We have a currency, we don’t yet have a constitution and I would be against the constitution as it is at the moment but I would love to see a European constitution.

Während Ella sich zuvor im Rahmen des postkolonialen Konzeptes nationaler Identität, das sich in Abgrenzung zu allem Britischen herausbildet, äußert und feststellt, dass es um „reclaiming your Irishness in opposition to a sense of Britishness“ geht, scheint sie nun die Limitiertheit von Irishness, wie sie in der postkolonialen Logik definiert wird, durchbrechen zu wollen. Jetzt drehen sich nicht mehr alle Bemühungen ausschließlich darum, „alles, nur nicht Britisch“ sein zu wollen oder die eigene Identität in einer Umkehrung von Fremdzuschreibungen zu erschaffen, sondern um ein selbstkritisches, breiteres und weniger territoriales Verständnis von Irishness. Die Fixiertheit auf Großbritannien hat sich zugunsten einer Orientierung nach Kontinentaleuropa und der EU aufgelöst. Die Grenzen des irischen Kulturnationalismus sollen gesprengt und neue kulturelle Einflüsse, die durch die Einwanderer nach Irland gelangen, zugelassen werden. Ella plädiert für eine stärkere Einbindung Irlands in die Europäische Union, mit der sie die Hoffnung auf eine Öffnung der irischen Gesellschaft und die Durchsetzung der Menschenrechte verbindet. Obwohl Ella zuvor den irischen Nationalismus und grundsätzlich den „Nationalismus der Unterdrückten“ zu einem durchaus attraktiven politischen Konzept erhebt, erklärt sie die Notwendigkeit für einen nationalen Befreiungskampf mit dem Ziel der Einigung Irlands in der heutigen Zeit für nicht mehr gegeben. Ein vereinigtes Europa hält sie für wesentlich wichtiger als ein vereinigtes Irland. Darüber hinaus deuten sich hier ihr Wunsch nach einer Überwindung des Nationalstaatenprin-

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zips und eine ambivalente Sicht auf die politische Bezugsgröße „irischer Befreiungskampf“ an. I think we have to move beyond that whole notion of nationhood ultimately. Going back to 1860s or 1840s or 50s or whatever...rise of nation states...It’s really about claiming a certain territory and a certain amount of resources and saying these are ours and then fighting everybody else for it. [...] So, it makes no sense to me to be fighting anymore for any little piece of territory. I come from a bloodline that fought and gave their lives for Ireland but I would much prefer to live in peace with an independent country in the North, a federal arrangement. All up to them to continue to stay part of the United Kingdom and Act of Union and all the rest if they have enough to live on and if they have their own human rights respected. I’m not prepared to fight for that and give my life for that anymore! I want to respect people’s right to have a political opinion around it but to me there’s just no necessity anymore. We need a different vision of ourselves and a different approach.

Der erneute Verweis auf ihre republikanische Familientradition und auf den Kampf ihrer Vorväter für die irische Sache, unterstreicht die Legitimität ihrer Entscheidung, selbst nicht mehr an diesem Kampf partizipieren zu wollen. Gleichzeitig begründet die eigene irische (Familien-)Geschichte eine Ethik der Rebellion, die Ella in einer alternativen Rückverortung in der Geschichte des irischen Befreiungskampfes formuliert. And I suppose I also feel privileged in that I‘ve come from a tradition, an Irish culture that made me into a fighter, that gave me an identity as a victim who was fighting and struggling for freedom, and, you know, part of a women’s movement. And even my religious upbringing I would see now as having given me something to fight against.

Hier erscheint die Geschichte der irischen Unterdrückung im britischen Empire als Ursprung für eine wehrhafte Kultur des Widerstandes. Diese verbindet Ella mit ihrem Einsatz für die irische Frauenrechtsbewegung und ihrem Aufbegehren gegen ihre streng katholische Erziehung. Ich frage Ella danach, ob das Wissen um die eigene Geschichte der Unterdrückung und Auswanderung als positiver Bezug in der antirassistischen Strategieentwicklung funktionieren kann – oder ob dieser historische Hintergrund nicht vielleicht eher eine Hypothek bei der Entwicklung integrativer oder solidarischer Konzepte ist. Damit spiele ich auf die zuweilen von der offiziellen Politik erklärte historisch-moralische Verpflichtung zu einem humanistischen Antirassismus an, die aus der nationalen Erinnerung Irlands an Verfolgung und Auswanderung entspringe. I think it’s both. I think Mary Robinson made which she called the Irish diaspora. The spread of our population to particularly the North America, Australia. She put the light in the win-

266 | UNDOING I RISHNESS dow in Áras an Uachtaráin. She had that symbol of keeping in touch with our emigrants. I don’t think there’s...what you would hope to have in the sense that because we have been...we have suffered...you know...We are a post-colonial society, and we had the coffin ships historically and we had situations in the 50s in England where there was signs saying „No blacks, no Irish, no dogs.“ Lots of examples of discrimination in America and so on. But I think we have tended to identify as the victim, and we haven’t looked at how we’ve also – because we are white skinned and English-speaking – been part of the dominant force within in America and Australia in particular. So, I did a master in equality studies just a couple of years ago, and that really alerted me to the fact that there is another kind of Irish diaspora. There’s the Irish people who were part of the armies and the navies and the colonisers. So, we are both colonised and colonisers. And I think in the last ten years since our increase in immigration we’re behaving much more like colonisers! Our patriots would turn in their grave if they saw the Irish society we have today! (lacht) And the discrimination that’s here, the prejudice, the lack of welcome, the lack of recognition, really, of minority rights. It goes totally against the letter and the spirit of our proclamation! Totally! J. V.: The proclamation? Ella: The Irish proclamation promising to cherish all the children of the nation equally.

Ella bezweifelt die Existenz einer bewussten und reflektierten Auseinandersetzung mit dem postkolonialen irischen Selbstverständnis auf einer breiten gesellschaftlichen Basis. Sie erinnert an die Zeit, in denen irische Einwanderer in Großbritannien virulentem antiirischen Rassismus ausgesetzt waren, und an die Diskriminierungserfahrungen von irischen Emigranten in Nordamerika. Zwar erkennt sie Mary Robinsons Versuch an, für ein inklusiveres Konzept von Irishness zu werben und verantwortungsbewusster mit der irischen Diaspora umzugehen, doch die eigene Unterdrückungserfahrung führt laut Ella keineswegs zwangsläufig zu einer Solidarisierung mit anderen Verfolgten oder Unterdrückten.44 Dabei ist ein positiver Bezug auf die in der irischen Verfassung verankerten Ideale ein weiterer Hinweis auf Ellas Bestreben, ein alternatives identitäres Verständnis zu entwickeln, welches sie sogar gegen diejenigen, die sich als Verteidiger von „wahrer“ Irishness inszenieren, ins Feld führt. In Ellas Aussagen deutet sich durchaus ein Verfassungspatriotismus an – ein Eindruck der sich auch aus ihrem inklusiven Verständnis von Irishness, das über eine ethnische Abstammungs- und Kulturgemeinschaft hinausgeht, genährt wird.45

44 In diesem Zusammenhang ist die fehlende Berücksichtigung der irischen Emigrantinnen und ihrer Erfahrung im nationalistischen (meint hier territorialen) irischen Feminismus zu erwähnen. Vgl. Connolly: The Irish Women’s Movement, S. 27. 45 Inwiefern das Konzept des Verfassungspatriotismus auf den irischen Kontext angewandt werden kann, muss vertiefend an anderer Stelle erörtert werden.

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Noch immer dreht sich unsere Unterhaltung um eine postkoloniale Interpretation der irischen Gesellschaft und darum, wie die postkoloniale Perspektive antirassistische Arbeit formt. Dabei kommt unser Gespräch zurück auf den Nachmittag im CDP und unsere Szene aus dem Image Theatre, die den von Rassismus geprägten Alltag, besonders den der schwarzen Frauen, aufgriff. Wir machen uns Gedanken über die historische Diskriminierungserfahrung der Iren und ob diese die irische Reaktion auf rassistische Beschimpfungen wie „black monkey“ prägt. Ella ist sich der Komplexität der irischen Erfahrung bewusst, die einerseits eine Identifikation mit den Unterdogs und andererseits eine zunehmende Identifikation mit kapitalistischen Idealen und dem American Way of Life bedeutet – also zwei Identifikationsangebote, die kaum miteinander zu vereinbaren sind. I think it probably does. I don’t think that people are aware that, like, the Punch magazine used these images of Irish, ape-like creatures, dirty and so on, considered to be a different species. A subspecies. And not to be trusted, infantilised, that whole colonial idea of you have to look after these people. You have to mind them. You can’t trust them to look after themselves. They are like children, they tell lies. All that kind of stuff. But I think there is a real identification here with America, with American values, with capitalist values. The idea of the individual who brings himself by their boot straps and becomes successful. So, we are this kind of complex combination of being victim of British colonialism but we are also part of American imperialism. (lacht) And I think there’s certainly a kind of a new culture and belief that we are now on the pig’s back. We’re now really successful. And a fear of going back to that kind of poverty stricken time. So, we distance ourselves from the people that we consider to be inferior or poverty stricken. I don’t know that it’s all conscious. I really don’t but I think there’s definitely an influence there. I think people today wanting to have new cars, new houses. That’s the American dream that everybody can be born poor and become the president. (lacht) So, there is not enough questioning. Somebody like Fintan O’Toole would be a 46

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journalist who would question, and Mary Holland , Nell McCafferty , and just challenging the myths of our Irishness and how successful we are and how great we are. (lacht) We are not! Far from it!

Die lächelnd überspitzte Behauptung einer irischen Teilhabe am amerikanischen Imperialismus muss für die traditionell antiimperialistische irische Linke eine er-

46 Mary Holland war Journalistin, die bereits Ende der 1960er-Jahre die von Diskriminierung und Armut geprägte Lage in Nordirland in die Öffentlichkeit trug. In der Republik drängte die streitbare Feministin auf eine Säkularisierung der Gesellschaft. 47 Nell McCafferty ist eine ebenfalls sehr bekannte Journalistin, die wie Holland über Nordirland berichtete, darüber hinaus offen zu ihrer Homosexualität stand und wegen ihrer Meinung zu sexualpolitischen Themen häufig zu einer Zielscheibe rechter Kritik wurde.

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hebliche Provokation darstellen. Die heute gegen schwarze Einwanderer gewandte Schmähung „black monkey“ lässt Ella an die rassistische Stigmatisierung der Iren in der satirischen Zeitschrift Punch denken, die sie als ein Beispiel für die Diskriminierung der irischen Bevölkerung im Zuge des kolonialen Rassismus nennt. Sie zählt die unterschiedlichen Formen der Herabwürdigung wie Infantilisierung oder Simianisierung auf, bezweifelt jedoch, dass die eigene Diskriminierungserfahrung zwangsläufig zur Solidarisierung mit anderen diskriminierten Gruppen führt – insbesondere in Zeiten des irischen Wirtschaftsaufschwungs und dem damit einhergehenden gewachsenen irischen Selbstvertrauen. Das irische „Wirtschaftswunder“ wird hier als eine Art Befreiungsschlag kenntlich, der zuweilen zu einem Ausbrechen aus der irischen „history of identifying as the victim of oppression“ führt. Doch der im Vergleich zu anderen europäischen Staaten spät errungene Wohlstand löst auch eine Angst vor der Rückkehr ins „Armenhaus Europas“ aus, die eine Distanzierung gegenüber armen und sozial deklassierten Menschen zusätzlich befördert. So ist in Irland eine Tendenz zu beobachten, in der sich Menschen, die selbst zum historischen Objekt sozialdarwinistischer Theorien wurden, dem Amerikanischen Traum verschreiben, in dem der pursuit of happiness sehr nah am survival of the fittest angelegt ist.

Ö FFNUNG UND ALLIANZFÄHIGKEIT DES IRISCHEN F EMINISMUS Ella plädiert für „challenging the myths of our Irishness“ und ein Ende der erzwungenen Homogenisierung der „irischen Frauen“ durch nationalistische Ideologie. Bereits seit den 1980er-Jahren praktiziert sie eine Zusammenarbeit mit TravellerOrganisationen wie Pavee Point. Sie stellt fest, dass der Beitrag der TravellerFrauen, die sich in den frühen 1980er-Jahren begannen zu organisieren, für die irische Frauenrechtsbewegung keineswegs berücksichtigt oder gar anerkannt wird. They’ve never been written up as having a role in the women’s movement but of course they have.

Die Diskriminierung der Traveller in der irischen Gesellschaft schlug sich auch in der irischen Frauenrechtsbewegung nieder. Dies legt die These nah, dass die postbzw. antikoloniale Philosophie des irischen Feminismus ihn nicht wirklich von anderen westlichen, weißen, bürgerlich dominierten Frauenrechtsbewegungen und deren Verstrickung in rassistische Praxen unterscheidet. So wurde die Möglichkeit der Diskriminierung aufgrund von rassistischer Stereotypisierung, ethnischer Herkunft oder Klassenzugehörigkeit für lange Zeit im offiziellen Diskurs des irischen

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Feminismus ignoriert. Eine irische Feministin und Angehörige der Traveller stellt die feministische Praxis infrage und gibt zu bedenken: Sometimes feminism does not acknowledge that women are capable of being racist. Also there is tremendous pressure from the women’s movement to ignore difference. It is easy to understand the struggle that women who have a different religion or sexual orientation have had within the Irish feminist movement. I am not suggesting their struggle is over but their voice and their experience is recorded in the history of Irish women’s liberation. Apart from one or two strong Traveller women, our Traveller history or voice is still on the outside perimeter of the Irish experience. The difficulty arises when feminists do not acknowledge that they participate in racist practice and policies on a daily basis.

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So wie Ella in den 1980er-Jahren für die Anerkennung lesbischer Frauen und ihres Beitrags für die irische Frauenrechtsbewegung demonstrierte, so ist es seit den 1990er-Jahren zu einem Ziel des progressiven Feminismus geworden, ein neues und inklusiveres theoretisches Verständnis vom sozialen Wandel in Irland zu entwickeln. In der Folge wurde in das feministische Reservat der westlich-weißen Mittelklassefrau eingedrungen und die Themen Klassenzugehörigkeit, ethnische Herkunft und Rassismus auf die Agenda gesetzt. Endlich begann die rassismustheoretische Diskussion, Eingang in die feministische Theorieentwicklung zu finden. Sehr eindrücklich kritisiert Maura die Leugnung von Differenz im irischen Feminismus, untergräbt seinen Anspruch auf Repräsentativität und betont die Intersektionalität unterschiedlicher Diskriminierungserfahrungen von Frauen in der irischen Gesellschaft.49 If we were to look at the Irish women’s movement, Irish feminism generally, historically in Irish society, it has always been a challenge and a criticism of the Irish feminist movement: who is the Irish feminist? Who are they? Does it represent all women in Irish society? As it can often be the case certain movements can be led by middle class white women, at that has been a challenge for the Irish women’s movement to address that, and there have been some very critical voices in that movement over a period of time. Which is good. And I think I

48 McDonagh, Rosaleen: Nomadism, Ethnicity and Disability: A Challenge for Irish Feminism, in f/m, 3 (1999), S. 31, zitiert nach: Connolly: The Irish Women’s Movement, S. 34. 49 In der deutschen Forschung findet ein weitergehendes Verständnis von Intersektionalität, in dem historische und kontextspezifische Machtstrukturen mit der Analyse von Interaktionen zwischen Individuen und Gruppen verbunden werden, erst seit wenigen Jahren Anwendung. Vgl. Knapp, Gudrun-Axeli: „Intersektionalität“ – ein neues Paradigma feministischer Theorie? Zur transatlantischen Reise von „Race, Class, Gender“, in: Feministische Studien. Zeitschrift für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung 23 (2005), S. 71.

270 | UNDOING I RISHNESS would view it as that there has been a lot of positive change in that regard in, say, the last decade for instance. There are issues in relation to class. Or issues in relation to women experiencing multiple or intersecting forms of marginalisation – or however you like to describe it. So, in the case of, very importantly, Traveller women in Irish society: Where are they? Where are their voices? Are they belonging to the Irish women’s movement or not? Women with disabilities. Where are they? Are they been spoken for...Is somebody speaking on their behalf or are they speaking on their own behalf? And is there a sense of collectivity among...is there a recognized women’s movement that people feel they are part of? Class as well.

Maura unterstreicht besonders die Diskriminierung von Travellern und die Diversität der irischen Frauenerfahrung. Progressive Stimmen in der irischen Frauenbewegung greifen den Mythos einer kulturellen und ethnischen Homogenität der irischen Gesellschaft an, der bis heute propagiert wird und suggerieren soll, dass gesellschaftliche Pluralität und kulturelle Diversität Phänomene sind, die erst mit der Ankunft von Einwanderern seit Ende der 1990er-Jahre Irland aufgezwungen worden wären und die den virulenten Rassismus erst verursacht hätten. Maura betont das Erbe der irischen Auswanderungstradition, die Aufrechterhaltung der Vorstellung ethnischer Homogenität in Irland trotz Existenz einer indigenen ethnischen Minderheit wie den Travellern sowie den Auftrag der Frauenbewegung, auf Inklusivität hinzuwirken. You can’t extract the issue of ethnicity anyway because Travellers have always been a part of Irish society. And there always has been – while Ireland would be viewed as relatively homogenous in terms of ethnicity – there would always have been people from other background as well, migrant people as well, but clearly our tradition is of emigration more than immigration, has been. I would say that the challenge would have been existed anyway within the women’s movement very clearly to work in a way that is inclusive of different women and that different women’s voices would be within it. So, that challenge existed anyway within the women’s movement and the women’s movement when you talk about it in Irish society can mean so many things.

Die Zerstörung der Konstruktion des irischen Feminismus als eine homogene Einheit reduziert die Wahrscheinlichkeit, dass er rassistisch instrumentalisiert wird. Während Ella auf die Zersplitterung der irischen Frauenrechtsbewegung, unter anderem durch unterschiedliche ideologische Überzeugungen, in der Vergangenheit hinweist, erinnert Maura an die Entstehung der irischen Frauenrechtsbewegung zu Beginn der 1970er-Jahre, an der maßgeblich politisierte und gebildete Frauen beteiligt waren. Zugleich lenkt sie den Blick auf die seither geleistete Öffnung der Kategorie „irische Frauen“ und die Anerkennung der Diversität innerhalb des irischen Feminismus sowie auf die Erfahrung von Solidarität und Allianzbildung jenseits unterschiedlicher ethnischer und religiöser Zugehörigkeit oder politischer Ausrichtung.

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And also that thing of any political grouping. The regular everyday woman who is not necessarily particularly politicised, or particularly formally educated. Does she have any association with such aspirations or activities? That kind of general thing... So in relation to the ques50

tion of learning, say for instance, when I started working for the National Women’s Council

in 1999 I had done studies that very much looked at those challenges, challenges in relation to diversity and inclusion within feminism. But when I started working for the Women’s Council, the history of how the National Women’s Council emerged was one where it would have originally been educated middle class women who would have been seen as the key people in it. But there would have been a great range of membership groups within it. Like, at the time I was there there were over 140 groups and organisations affiliated to the National Women’s Council, and that would range from religious, fairly conservative women’s organisations to single issue organisations, maybe to do with a particular health issue, breast cancer. Or then – over on the other end of the spectrum – there would be for instance the women’s education and resource centre in UCD – University College Dublin which would be a rather radical women’s agency. Or the likes of Women’s Aid or organisations that were fighting for specific women’s rights in relation to fertility and there were kinds of issues that would be very controversial in the Irish women’s sector.

Das Spektrum des irischen Feminismus ist inzwischen sehr breit und deckt unterschiedlichste Interessen, Bedürfnisse und politische Ansätze ab. Es wird abzuwarten sein, wie sich die begonnene soziale und politische Transformation des irischen Feminismus zukünftig entwickeln wird. Die Eigendynamik meines Forschungsaufenthaltes brachte es mit sich, dass ich, ohne dies geplant zu haben, ausschließlich mit irischen Feministinnen Gespräche führte, die ein nationalistisches Verständnis vom irischen Feminismus durchbrechen.51 Dabei wird deutlich, dass diese Frauen nicht der Gruppe der liberalen Frauenrechtlerinnen zuzurechnen sind, die die Gleichstellung von Frauen innerhalb der existierenden gesellschaftlichen Ordnung befürworten. Ganz im Gegenteil lehnen sie eine Investition in den Status quo ab und sind einem radikaleren, meist sozialistisch orientierten Feminismus zuzuordnen, der die Klassenfrage und sexuelle Freiheit auf seine Agenda setzt und dem es so gelingt, Solidarität mit neuen Gruppen zu etablieren, die zuvor aus der irischen Frauenrechtsbewegung ausgeschlossen blieben. Diesem Feminismus ist eine antirassistische Haltung inhärent. Die von mir befragten feministischen Antirassisten

50 Das National Women’s Council, 1973 unter dem Namen Council for the Status of Women gegründet, kämpft im Rahmen der Menschenrechte für progressiven und emanzipativen sozialen Wandel sowie die Gleichberechtigung der Geschlechter. http://www.nwci.ie/ (09.03.2009) 51 Tatsächlich gab es auch Organisationen wie Irishwomen United, deren Mitglied Ella war, die ihre Politik nicht nur innerhalb nationalistischer Parameter entwickelte.

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oder antirassistischen Feministinnen setzten ihre politische Arbeit in einem bewussten Engagement für marginalisierte Frauen, Einwandererinnen oder Angehörige ethnischer Minderheiten fort, um den Hierarchisierungen in der irischen Gesellschaft entgegenzuwirken.

Z UR IDEOLOGISCHEN N ÄHE VON F EMINISMUS UND ANTIRASSISMUS Diese antirassistische Fortschreibung des eigenen politischen Engagements im rasanten Transformationsprozess Irlands ist für die Befragten eine logische Konsequenz aus ihren in der irischen Frauenrechtsbewegung gesammelten Erfahrungen und ihren politischen Überzeugungen. Im Spannungsfeld von Feminismus, Nationalismus und Antirassismus sind es Feministinnen, die sich intensiv mit unterschiedlichen Entwürfen von Irishness und der Dominanz von postkolonialem Denken und nationalistischer Ideologie beschäftigen.52 Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass der irische Feminismus durchaus mit einem antirassistischen Potenzial ausgestattet ist, welches primär in seinem systemkritischen Ansatz begründet liegt. Zudem lenkt der Feminismus seine Aufmerksamkeit auf die Gesamtheit der sozialen Beziehungen innerhalb einer Gesellschaft und orientiert sich nicht nur an einer Politik des orthodoxen Klassenkampfes, die zuweilen andere Hierarchien verschleiert und bestimmte Elemente des Herrschaftssystems, wie Sexismus, Rassismus oder Nationalismus, ausblendet. Die Unzulänglichkeit einer rein ökonomistischen Argumentationslinie erkennend, fordern Feministinnen, dass Rassismus und Sexismus nicht nur im Hinblick auf ihre ökonomische Funktion gesehen werden dürfen. Daher entschieden sich viele Frauen seit den 1970er-Jahren dafür, ihre politischen Bemühungen auf die politische Basis, also die Communitys zu konzentrieren.53 Ella sieht in ihrer antirassistischen Haltung eine ideologische Notwendigkeit, die sie jedoch nur als einen Teil ihrer Motivation für die Community-Arbeit, auch im Rahmen des „Offenen Forums“, betrachtet. Sie hält es nicht für sinnvoll, isoliert gegen unterschiedliche Unterdrückungsformen vorzugehen. Wird davon ausgegangen, dass sich Rassismus und Sexismus (oder auch Nationalismus) nicht nur wechselseitig verstärken, sondern dass eine „dichotomische Denk- und Handlungsweise [...] den Widerstand gegen eine Herrschaftsstruktur

52 Die Reflexion der eigenen kulturellen Verankerung und der daraus erwachsenden Dominanzansprüche ist zentral für den antirassistischen Feminismus. Vgl. Rommelspacher: Sexismus und Rassismus, S. 124. 53 Bourne, Jenny: Für einen anti-rassistischen Feminismus, in: Dies.; Sivanandam, A.; Fekete, Liz: From Resistance to Rebellion. Texte zur Rassismusdiskussion, Berlin 1992, S. 83.

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gleichzeitig zur Reproduktion einer anderen“54 führt, erscheint diese Strategie nicht nur äußerst sinnvoll, sondern sogar alternativlos. I suppose I’m antiracist because I’m anti-prejudice and anti-discrimination. When we’re working for women’s rights or women’s equality we’re also working against poverty. We’re also working for political rights. We’re working for equal rights in the work place. And racism to me just...it follows on from that. It’s like: You can’t not work on racism if you are working for women’s rights. Because such a large population of the world who are workers, who are women, who are lesbians, who are other minority culture are going to be women. And because women are mothers because women end up all the time with the ones...the gender that’s minding children and earning less...than that’s even more true of women from minority cultures! Now, not to mention things like genital mutilation...you know...to me it’s just...It wouldn’t make sense to work in isolation on any one of these issues. They are connected all the time. And in fact, that’s part of the difficulty and why it makes it such a demanding job, even like at the moment I’m only doing that small piece of work related to one organisation...It’s not one ethnic minority but, you know, one group, one event, once a month. It’s not just about bringing the women together from minority cultures, it’s about looking at lone parents, it’s about looking at their rights within the family, their rights as workers...It expands!

Dieses Bewusstsein, dass bereits eine vordergründig „überschaubare“ und verhältnismäßig kleine antirassistische Initiative, wie z. B. das „Offene Forum“, im Grunde eine Abdeckung unterschiedlichster politischer Themen und verschiedenster konkreter Bedürfnisse erfordert, macht die Antidiskriminierungsarbeit in Ellas Augen zu einer großen Herausforderung. Grundsätzlich betrachtet Ella Antirassismus als nicht außerhalb des Feminismus stehend, sondern als in den Grundsätzen des Feminismus enthalten. Ihre antirassistische Praxis ist eng mit ihren feministischen Prinzipien verbunden. Der radikale Feminismus, aus dem Ella kommt und den sie in Irland maßgeblich mitgestaltet hat, begreift Diskriminierung als strukturelles Problem der patriarchalen Gesellschaft und strebt die Entwicklung nichthierarchischer, antiautoritärer Organisationsformen an. Auch wenn Antirassismus nur einer von vielen benennbaren Bereichen ihrer politischen Arbeit ist, so ist doch ihr gesamtes politisches Engagement von einer antirassistischen Haltung durchdrungen. All of my work has a political dimension to it. It’s all related to development or antiracism, antidiscrimination in some form. So, to me that’s part of being human. We are not individuals. We are in relationships all the time. We can’t not be relating. Whether that’s socially, sexually, personally, whatever. We live in community. That’s our nature as human beings.

54 Kalpaka; Räthzel: Im Netz der Herrschaft, S. 29.

274 | UNDOING I RISHNESS So, to live in community to me...I want to live in a community that treats people equally, and I can’t aspire to that without living it myself, that that’s personal moral values. So, that relates to my feminism, to my Irishness – the socialist kind of side of that, to my being pro-lesbian and gay rights. It’s across the board! And I’m sorry people who think that this Celtic Tiger economy is so successful and that it is great to have two houses and three cars and have holidays. To me that’s no life. I don’t value that. That’s not success. Success to me would be if we had an Irish society where everybody had enough to eat, enough clothes, had a place to live that wasn’t rat invested or whatever and where people had an education and were treated with respect. So, I want for however long I have to live to continue trying to create that here. So, that’s what motivates me!

Von den Inhalten und Strukturen der Frauenbewegung ausgehend, beschreibt Ella was Antirassismus in Irland nach ihrem Verständnis bedeuten soll. Ihr Antirassismus entspricht ihrem Verständnis von Feminismus, von Antidiskriminierung und auch ihrem spezifischen Verständnis von Irishness. Damit einher geht eine entschiedene Ablehnung der Mainstream-Definition von Erfolg, die durch den Wirtschaftsboom auf extreme Weise ins Ökonomistische verschoben wurde. Ella entwirft so nicht nur eine alternative Vorstellung von irischer Identität, sondern auch ein alternatives Wertesystem, in dem nicht in Konsumismus, sondern eine diskriminierungsfreie Gesellschaft mit fairer Ressourcenverteilung erstrebenswert erscheint. Maura verbindet ihre Aussagen über die Ähnlichkeit von rassistischen und sexistischen Unterdrückungsstrukturen und Machtverhältnissen mit einer Globalisierungskritik, die wiederum im engen Zusammenhang mit ihrer Rassismusanalyse steht, der zufolge Kapitalismus kein Indikator für Rassismus ist. All politics is power anyway, isn’t it. So I would see it as power and unequal power relations. So in the case of women and men, generally, that there are clearly unequal gender relations and structures that support unequal gender relations. And in relation to issues in relation to ethnicity and racism there are also structures in place that support inequality. And historically, so many things have contributed to both of them and they are like that as well anyway that there are unequal structures in place and maintained that support that. So, that’s kind of very simplistic. And for me personally I would see forces of globalisation, etc. as being very detrimental. So, yes, capitalism. But I don’t think it would be impossible for racism to exist in other social arrangements as well. The power relation, the set, the history of it and the whole structures and everything, I think it’s more complex than that as well. I wouldn’t see that it can only happen inside certain economic set-ups. Even though I’m not a fan of capitalism! (lacht)

Dem Zusammenspiel von Sexismus und Rassismus sind sich die von mir befragten Frauen gewahr. Feministische Theorieentwicklung griff die Idee der Intersektionalität unterschiedlicher Unterdrückungsformen auf und war somit in der Lage, eigen-

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ständige Organisationsformen und Analysen, die über die Aspekte der Klassenausbeutung hinauswiesen, zu entwickeln. Die Frauenrechtsbewegung der 1970er- und 1980er-Jahre war eine transnationale politische Bewegung. Internationale Einflüsse entfalteten ihre Wirkung auf den irischen Kontext und den irischen Feminismus, doch es kam nie zu einer Eins-zu-eins-Adaption von Theorie und Praxis der angloamerikanischen Frauenrechtsbewegung. Dabei zeigt sich, dass der irische Feminismus und sein Kampf für gesellschaftliche Veränderung selbst einen Wandlungsprozess durchlaufen haben, der nicht immer linear verlief. In den 1970er-Jahren war der Feminismus weit davon entfernt, ein antirassistischer Feminismus zu sein. Stattdessen versäumte er es vorerst aufgrund seiner unkritischen Analyse und der Überbetonung von nationaler Identität im Zuge einer postkolonialen Interpretation, eine eigene, in sich schlüssige antirassistische Praxis zu entwickeln. Es musste erst die gefährliche und letztlich nicht aufrechtzuerhaltende Konstruktion der „irischen Frauen“ als eine homogene Gruppe gesprengt werden, damit eine integrierte antirassistische Strategie entworfen werden konnte. Die Begrenztheit des irischen Feminismus wurde überwunden und somit auch die Begrenztheit seiner Möglichkeiten zur antirassistischen Strategieentwicklung. Auch wenn die Geschichte des irischen Feminismus eine Geschichte der kritischen Reflektion von Irishness ist, so bleibt doch festzuhalten, dass die traditionelle Konstruktion irischer nationaler Identität auch in dieser politischen Bewegung Spuren hinterlassen hat. Der lange Schatten der irischen Vergangenheit ist in der Familiengeschichte und der politischen Haltung Einzelner allgegenwärtig. Vor diesem Hintergrund wird die Radikalität der Aussagen von irischen Feministinnen deutlich, wenn sie die irische Frauenrechtsbewegung demystifizieren und ihre behauptete ethnische, religiöse und kulturelle Homogenität angreifen. Besonders bemerkenswert erscheint, dass eine klare Abgrenzung zum Nationalismus oder eine Relativierung seiner Bedeutung vorgenommen und darüber hinaus eine Teilhabe am imperialistischen Projekt Großbritanniens und der USA eingeräumt werden. Zudem befördert die ständige Hinterfragung von neuen Dominanzverhältnissen und die Kritik an der eigenen politischen Bewegung, z. B. ihre vormalige Beschränkung auf die Bedürfnisse weißer Mittelschichtsfrauen, einen Antirassismus, der wiederum zur Überwindung exklusiver Gesellschaftsmodelle beiträgt. Feminismus und Antirassismus können Nationalismus überwinden. Die in der Frauenrechtsbewegung gemachte Erfahrung der Möglichkeit politischer Mobilisierung und dem Erreichen zentraler politischer Ziele ist heute wichtig für den irischen Antirassismus. Im Feminismus wie im Antirassismus muss eine Spannung zwischen der Parallelität der Diskriminierungserfahrung und dem Scheitern der Solidarisierung einzelner marginalisierter Gruppen permanent ausgehalten und verhandelt werden. Obwohl die Zersplitterung der Frauenbewegung zuweilen zu verbitterten Kontroversen führte, konnten bedeutende Erfolge verbucht werden, die in erster Linie auf die gewachsene Allianzfähigkeit des irischen Feminismus

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zurückgeführt werden können. Trotz der zuweilen recht negativen Einschätzung des herrschenden politischen Klimas für die Entwicklung emanzipativer Politik, empfindet Maura diese Allianzfähigkeit verschiedenster Gruppen innerhalb der irischen Frauenrechtsbewegung als eine motivierende Erfahrung. Again, I must say, going back to the original question is there learning from the women’s movement – broadly – and feminism, I must say when I worked in the Women’s Council and there was a broad range of women’s groups involved in it – with very different political affiliations, overall I think there was a positive feeling, and women do want to take action and say something and not accept things being done to people. That’s my sense. I felt hopeful.

Die im irischen Feminismus seit Längerem geführte Debatte um die Diversität von Frauenerfahrungen und die damit verbundene Hinterfragung von Irishness sowie die Suche nach neuen identitären Konzepten könnte eine Vorreiterfunktion für die Kritik an einer exklusiven Konstruktion nationaler Identität haben, da sie grundlegend ist für den irischen Antirassismus.55 In diesen Debatten wurde auch ein Solidaritätsverständnis entwickelt, das die Emanzipation der Frau nicht national definiert und das ebenfalls zentral für die antirassistische Praxis in Irland ist.56 Wie alternative Politik- und Praxisformen gestaltet werden konnten, wurde in der politischen Bewegung des irischen Feminismus erprobt. Feministinnen traten in der Frauenrechtsbewegung als Agenten des politischen und sozialen Wandels auf, die große Erfolge bei der Aufhebung von gesellschaftlicher Ausgrenzung zu verbuchen hatten. So ist es nur folgerichtig, dass die Menschen, die in der Frauenrechts- und Gay

55 Auch in anderen Ländern fordern antirassistische Feministinnen „national narratives and local practices that promote racialized exclusion“ heraus. Winddance Twine, France; Blee, Kathleen M.: Feminist Aniracist Maps. Transnational Contours, in: Dies. (Hrsg.): Feminism and Antiracism. International Struggles for Justice, New York, London 2001, S. 3. 56 Staatliche Gleichstellungspolitik in Form von Anti-Diskriminierungsgesetzen oder staatliche Frauenpolitik in der Asylrechtsproblematik (Anerkennung sexistischer Verfolgung als Asylgrund) darf nicht zu einem staatlich fixierten Feminismus führen, der sich im Rahmen des Nationalen bewegt, und die Vorstellung einer ethnisch-sprachlichen Gemeinschaft transportiert. Vgl. Eichhorn: Überlegungen zu Feminismus, Sexismus und Rassismus, S. 104. Die Auswirkungen des Staatsrassismus im Britischen Kontext unter besonderer Berücksichtigung seiner Auswirkungen auf Frauen untersucht: Mama, Amina: Black Women and the British State, S. 79–101. Ebenfalls für den britischen Kontext betonen die Verschränkung von Rassismus, Klassismus und Sexismus in der staatlichen Frauenpolitik: Knowles, Caroline; Mercer, Sharmila: Feminism and Antiracism: An Exploration of the Political Possibilities, in: Donald, James, Rattansi, Ali (Hrsg.): ‘Race‘, Culture and Difference, London, Newbury Park/California, New Delhi 1992, S. 119 –121.

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Rights-Bewegung gegen Diskriminierung aufgrund von Geschlechtszugehörigkeit oder sexueller Orientierung kämpfen, sich in der aktuellen Situation Irlands auch im Kampf gegen rassistische Diskriminierung engagieren. Der kritische Umgang mit der Geschichte der eigenen politischen Bewegung geht einher mit einer kritischen Bewertung der irischen Geschichte. Zudem wird die ideologische Verknüpfung des Rassismus mit Sexismus oder Nationalismus wahrgenommen und analysiert. Nur die übermächtige Dominanz nationalistischer Ideologie kann erklären, wie der katholische Nationalismus als reaktionäre Staatsdoktrin, die in ihrem Wesen sexistisch und misogyn ist, selbst den irischen Feminismus nachhaltig formen konnte. Die Leistung der irischen Frauenrechtsbewegung besteht auch darin, dass sie in den 1970er- und 1980er-Jahren die Entstehung einer Diskussionskultur, in der gesellschaftsrelevante Themen kontrovers verhandelt werden, vorantrieb. In einem „de facto katholischen Staat“,57 in dem kein Raum für öffentliche politische Diskussion vorgesehen war, griffen sie den hegemonialen Konsens an, indem sie eine Anerkennung der Pluralität und Diversität der irischen Gesellschaft forderten. Meine Gespräche mit irischen Feministinnen zeigen, dass Feminismus als Ideologie und Bewegung zu einer intellektuellen Quelle für politische Emanzipation und Antrieb für den Kampf für eine egalitäre Gesellschaft wurde. Dabei konnte der Feminismus zumindest teilweise seinem Anspruch gerecht werden, auf neue Art und Weise „Politik zu machen“. Auch wenn es sich bei Sexismus und Rassismus um unterschiedliche Unterdrückungsverhältnisse handelt, die möglicherweise unterschiedliche Bekämpfungsstrategien erfordern, zeigt sich, dass antirassistische von feministischer Strategieentwicklung – und vice versa – nicht unbeeinflusst bleiben. So können antirassistische Strategien eine antisexistische Dimension oder feministische Strategien eine antirassistische Dimension beinhalten. Feminismus stellt sich nicht nur als ein theoretisches Paradigma, sondern als eine politische Praxis dar. Die ideologische und praktische Nähe bedingen sich gegenseitig: Das Personal des radikalen Feminismus der 1970er- und 1980er-Jahre ist heute im irischen Antirassismus aktiv. Ella blickt mit gemischten Gefühlen in die Zukunft der Antirassismusarbeit im community development, in Frauengruppen und in der gesamten irischen Antidiskriminierungsarbeit, obwohl sie die Kampferprobtheit marginalisierter Gruppen, den fortschreitenden Friedensprozess und die damit verbundenen Versuche einer Überwindung des sectarianism in Nordirland für günstige Faktoren hält.58

57 Lee: Ireland 1912 – 1985, S. 653. 58 Da der Nordirlandkonflikt in der Vergangenheit eine postkoloniale Vorstellung nationaler Identität verstärkte, müsste nun genauer untersucht werden, ob die Erfolge des Friedensprozesses alternative identitäre Konzepte begünstigt.

278 | UNDOING I RISHNESS I would hope that there is enough awareness within the community organisations, within women’s groups, among those of us who have had to fight for our human rights or our rights as women or lesbians or whatever...people living in poverty and so on, that enough of that has happened over the years and peace that’s going on there North and South to overcome sectarianism and that there is enough work happening around prejudice and racism. I hope there is! And that we won’t go down that road of being now much more economically powerful and privileged and then discriminating against people. But I’m not sure that’s gonna happen. We are not saints! But we are in a unique position in Europe because we have experiences of both sides of being the oppressor and the oppressed. And we do identify an awful lot with the underdog and with the disadvantaged and so on but in practise!! Look at our legislation! Look at the ghettos around the cities! In practise, you know, it doesn’t translate into action all the time. It does some of the time. And I fear for the next generation. I mean, the young people now in their twenties who are very privileged, who have lots of resources to travel and to have their holidays in Bali or Bangkok and so on. I fear for them in the sense that they are not encountering...they are not meeting with any kind of resistance. They have so much privilege and they have so many resources that they’re more likely to want to hold on to them than to share them. So I think we are moving further away from any kind of a socialist republic which was the ideal of the republicans who died for Ireland and the first state that was set up. And there’s been a consistent left wing support for a more socialist republic – but that’s faded! I mean, our new left, New Labour has absorbed the more left wing, the more radical groups. It’s not red anymore, it’s more pink.

Ella quittiert das farbliche Verblassen linksrevolutionärer Ideale mit einem lakonischen Lächeln. Zugleich wird deutlich, dass die Verortung der eigenen politischen Bewegung in einer internationalen antiimperialistischen Solidaritätsbewegung kein wirklich tragfähiges Konzept bilden kann. Dem nationalen Befreiungskampf, der eine Vereinigung Irlands unter sozialistischen Vorzeichen anstrebt, wird nur noch wenig wegweisendes Potenzial zugetraut. Dies liegt nicht nur an der historischen Gleichzeitigkeit von „being the oppressor and the oppressed“, die Ella als irische Spezifität hervorhebt und zugleich eine Einsicht in die eigne Dominanz und Verstricktheit in Machtverhältnisse signalisiert.59 Auch die Absorption revolutionärer Elemente des irischen Republikanismus durch New Labour60 und der neu gewonne-

59 Dies erinnert an die überaus große Bedeutung der Fähigkeit, es im Rahmen der Rassismusanalyse auszuhalten, die eigene Machtposition in einem Herrschaftssystem, die eigene Identität sowie Vorstellungen kultureller Homogenität kritisch zu hinterfragen. Indem Dominanz wahrgenommen und hinterfragt wird, wird zu ihrem Abbau beigetragen. 60 New Labour sagt sich von seiner klassisch sozialdemokratischen Tradition los und verschreibt sich einem liberalen, kapitalismusfreundlichen Kurs – eine seit den 1990er-Jahren für die europäische Sozialdemokratie typische Entwicklung.

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ne materielle Wohlstand finden Erwähnung. Hier weist Ella auf einen Generationskonflikt hin, der durch den extremen Transformationsprozess der Republik Irland ausgelöst wurde: Während die ältere Generation Armut und Entbehrung kennenlernte und für ein Ende sozialer Ausgrenzung focht, so ist der jüngeren Generation eine Beschränkung der individuellen Entfaltungsmöglichkeiten aufgrund der neu gewonnenen finanziellen Möglichkeiten gänzlich unbekannt. Während viele entweder ihr Irischsein, wie z. B. Connor, mit einer Identifikation und Solidarisierung mit den Unterdrückten dieser Welt verbinden oder sich, wie Ella, in einer ambivalenten Position wähnen, die rassistische Diskriminierungserfahrung trotz Weißsein markiert, so ist heute insbesondere für die jüngere Generation die Fragilität der irischen Identität aufgehoben und ersetzt durch ein größeres Selbstvertrauen und Aufwertung des eigenen Irischseins, das nicht zuletzt durch Irlands Wandel vom „Armenhaus Europas“ zum „Keltischen Tiger“ ausgelöst wurde. Umso mehr muss unterstrichen werden, dass durch den sozioökonomischen und kulturellen Wandel der vergangenen Jahre die große nationale Narrative von Kolonisation, Unterdrückung und Auswanderung im irischen Wohlstandschauvinismus nicht mehr trägt und im Rahmen einer egalitären Politik nicht sinnvoll aufrechterhalten werden kann, da sie als Referenz und Motivation für solidarisches Verhalten gegenüber Flüchtlingen, Asylbewerbern und MigrantenInnen nicht (mehr) funktioniert.

Z USAMMENFASSUNG Ella lebt ihr antirassistisches Engagement in erster Linie im community development, welches in Irland eine wichtige Rolle bei der Bekämpfung von sozialer Ausgrenzung spielt und von der direct action-Bewegung der 1970er- und 1980er-Jahre beeinflusst ist. Als Feministin speist sie ihren antirassistischen Aktivismus aus einer bewegten politischen Biografie. Dabei sind einige Stationen ihres Politisierungsprozesses von besonderer Bedeutung, weil sie die Vielfältigkeit sozialer Hierarchisierung verdeutlichen: als berufstätige Frau in der männerdominierten Gewerkschaftsarbeit, als Irin in der schwul-lesbischen Szene Londons und als radikalfeministische Lesbe innerhalb der irischen Frauenrechtsbewegung. Diese unterschiedlichen Diskriminierungserfahrungen nennt Ella als Gründe für ihre antirassistische Haltung und ihr politisches Engagement. Der Frauenrechtsbewegung schreibt sie eine Katalysatorfunktion im Europäisierungsprozess der irischen Gesellschaft zu und verbindet ihre Hinwendung zu einem radikalen Feminismus mit einem breiteren Anliegen für einen gesellschaftlichen Wandel. Die sich Ende der 1970er-Jahre verstärkenden Spannungen innerhalb der Frauenrechtsbewegung zwischen hetero- und homosexuellen Frauen wurden zusätzlich durch unterschiedliche Auffassungen zur nationalen Frage verschärft. Die Bezie-

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hung zwischen feministischer Politik und nationalen Befreiungskämpfen wird nicht nur in Irland kontrovers diskutiert. Allerdings wird für den irischen Fall konstatiert, dass eine neutrale Beziehung zwischen Feminismus und Nationalismus unmöglich ist. In der feministischen Theorieentwicklung entfaltete sich eine Dominanz der postkolonialen Lesart, die Parallelen zwischen dem irischen Feminismus und der Erfahrung von Frauen in „Dritte Welt“-Ländern und deren Befreiungsnationalismen zieht. Trotz unterschiedlicher Hautfarbe kommt es zu einer aktiven Parallelsetzung der schwarzen und irischen Diskriminierungserfahrung. Paradoxerweise tendieren postkoloniale Theoretiker zu einer sehr engen Definition von „irischen Frauen“ als katholisch und weiß. Die Vorstellung ethnischer Homogenität wird trotz der Existenz einer indigenen ethnischen Minderheit, den Travellern, aufrechterhalten. Zudem wird irischer Feminismus infolge einer postkolonialen Logik als ein nationaler Feminismus begriffen. Die Möglichkeit der Diskriminierung aufgrund von rassistischer Stereotypisierung oder Klassenzugehörigkeit wurde für lange Zeit im feministischen Diskurs und feministischer Praxis ignoriert. Typisch für die politische Arena Irlands, nimmt Ella einen Positivbezug zum „guten Nationalismus“ der Unterdrückten vor, den sie global als internationalistische Befreiungsbewegung denkt. Zwar ist Ella von der Existenz eines Nationalismus mit emanzipativ/egalitärem Potenzial überzeugt, gleichzeitig jedoch hält sie eine Überwindung traditioneller, weißer, katholischer Irishness für notwendig. Darüber hinaus deuten sich ihr Wunsch nach einer Überwindung des Nationalstaatenprinzips und eine ambivalente Sicht auf die politische Bezugsgröße „irischer Befreiungskampf“ an. Ella plädiert für „challenging the myths of our Irishness“ und ein Ende der erzwungenen Homogenisierung der „irischen Frauen“ durch nationalistische Ideologie. Progressive Stimmen in der irischen Frauenbewegung greifen den Mythos einer religiösen, kulturellen und ethnischen Homogenität der irischen Gesellschaft an, der bis heute propagiert wird und suggerieren soll, dass gesellschaftliche Pluralität und kulturelle Diversität Phänomene sind, die erst mit der Ankunft von Einwanderern seit Ende der 1990er-Jahre Irland aufgezwungen worden wären und die den virulenten Rassismus erst verursacht hätten. Ziel des progressiven Feminismus ist es, ein neues und inklusives theoretisches Verständnis vom sozialen Wandel in Irland zu entwickeln. In der Folge wurde in das feministische Reservat der westlich-weißen Mittelklassefrau eingedrungen und die Themen Klassenzugehörigkeit, sexuelle Freiheit und Rassismus auf die Agenda gesetzt. Im Spannungsfeld von Feminismus, Nationalismus und Antirassismus sind es Feministinnen, die sich intensiv mit unterschiedlichen Entwürfen von Irishness und der Dominanz von postkolonialem Denken und nationalistischer Ideologie beschäftigen. Sie kritisieren die Leugnung von Differenz im irischen Feminismus, untergraben seinen Anspruch auf Repräsentativität und betonen die Intersektionalität unterschiedlicher Diskriminierungserfahrungen. So gelingt es, Solidarität mit Gruppen

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zu etablieren, die zuvor aus der irischen Frauenrechtsbewegung ausgeschlossen blieben. Grundsätzlich betrachten viele Akteurinnen Antirassismus als nicht außerhalb des Feminismus stehend, sondern als in den Grundsätzen des Feminismus enthalten. So ist ihre antirassistische Praxis eng mit ihren feministischen Prinzipien verbunden. Die in der Frauenrechtsbewegung gemachte Erfahrung der Möglichkeit politischer Mobilisierung und dem Erreichen zentraler politischer Ziele ist heute wichtig für den irischen Antirassismus. Im Feminismus wie im Antirassismus muss eine Spannung zwischen der Parallelität der Diskriminierungserfahrung und dem Scheitern der Solidarisierung einzelner marginalisierter Gruppen permanent ausgehalten und verhandelt werden. Die im irischen Feminismus seit Längerem gefochtene Debatte um die Unterschiedlichkeit von Frauenerfahrungen und die damit verbundene Hinterfragung von Irishness führte zu einem alternativen identitären Verständnis, das über eine ethnische Abstammungs- und Kulturgemeinschaft hinausgeht. Hier wurde auch ein Solidaritätsverständnis entwickelt, das die Emanzipation der Frau nicht national (oder ethnisch) definiert, neue politische Allianzen ermöglicht und somit zentral für die antirassistische Praxis in Irland ist. Auch wenn es sich bei Sexismus und Rassismus um unterschiedliche Unterdrückungsverhältnisse handelt, so zeigt sich die gegenseitige Beeinflussung von antirassistischer und feministischer Strategieentwicklung. Demzufolge können antirassistische Strategien eine antisexistische Dimension oder feministische Strategien eine antirassistische Dimension beinhalten. Feminismus stellt sich nicht nur als ein theoretisches Paradigma, sondern als eine politische Praxis dar. Die ideologische und praktische Nähe bedingen sich gegenseitig: Das Personal des radikalen Feminismus der 1970er- und 1980er-Jahre ist heute im irischen Antirassismus aktiv.

7. Kari: Die schwarze Perspektive des irischen Antirassismus

Different people hate different people for different reasons.

Die Begegnungen mit den anderen Teilnehmerinnen in dem von Ella geleiteten „Offenen Forum“ hinterließen bei mir bleibenden Eindruck. Die gemeinsam mit unseren Körpern geformten Szenen in Augusto Boals Image Theatre hatten mich durchgeschüttelt und mit dem schmerzhaften Eindruck zurückgelassen, dass Frauen mit dunkler Hautfarbe einer permanenten rassistischen Diskriminierung im irischen Alltag ausgesetzt sind. Eine der Frauen fiel mir besonders auf, weil sie eine Ausstrahlung wie ein Tornado hatte: kraftvoll und zugleich Ehrfurcht gebietend. Nur eine Woche später würde ich feststellen, dass sie eine engagierte und zuweilen strenge Interviewpartnerin abgibt, die ihre emotionale Betroffenheit in scharfe Analysen zu verpacken weiß. Ein Manko der internationalen Forschung zu antirassistischer Mobilisierung ist die einseitige Fokussierung auf die weiße Mittelklasse. Ich erachte es als wissenschaftlich unabdingbar, Migranten bzw. Angehörige von Minderheiten als antirassistische Akteure in meine Untersuchung einzubeziehen. Wie bereits erwähnt, werden in der Forschung wie auch auf der Akteursebene zum einen paternalistische Tendenzen innerhalb antirassistischer Zusammenhänge beklagt, die dazu führen, dass rassistisch Diskriminierte keineswegs selbstverständlich eine zentrale Rolle einnehmen und ihre Ziele ohne die Hilfe von Stellvertretern artikulieren (vgl. Kapitel 3). Zum anderen werden – wie im vorangehenden Kapitel hervorgehoben – innerhalb der antirassistischen Szenen diejenigen Stimmen immer lauter, die eine Selbstorganisation und Selbstvertretung ethnischer Minderheiten fordern und unterstützen. Dabei wird allzu oft ignoriert, dass die Ausgangsbedingungen für politischen Aktivismus für rassistisch Diskriminierte und Nicht-Diskriminierte sehr verschieden sind. Denn für rassistisch Diskriminierte ist der Schritt, sich im politischen Raum zu exponieren, tendenziell mit existenziellen Fragen verbunden.

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Kari ist eine studierte Frau, die aus der Hauptstadt eines südostafrikanischen Staates1 kommt, in der sie vor ihrer Auswanderung nach Irland in einer gut dotierten Position für eine internationale Hilfsorganisation tätig war. Sie betont, dass sie aufgrund ihrer privilegierten ökonomischen Situation nur allzu gerne in Afrika geblieben wäre. Doch 2002 folgte sie ihrem Ehemann nach Dublin, der von einer irischen Agentur als Ingenieur angeworben worden war, da Irland Anfang der 2000erJahre unter erheblichem Arbeitskräftemangel litt. Bereits bei ihrer Ankunft am Dubliner Flughafen erlebte Kari ihren ersten Schock. Imagine coming to Ireland! You don’t know anything about Ireland except that they are good people. The agents that come to Africa actually tell you that people in Ireland are very welcoming, and people that you see who are Irish that come to your country they are lovely. Coming to Ireland, unfortunately, when I came over...“Unfortunately“ – I don’t know... when I came to Ireland, when my husband got a job I was also already pregnant, so by the time the fourth month came I was visibly pregnant – so coming to Ireland with my two children and I was pregnant you can imagine what people were saying to me. I was shocked when I came to the airport and people were saying „Oh, you black people, Nigerians!“

Kari persifliert mit schriller lauter Stimme die Reaktionen der Menschen auf ihre Person. Offensichtlich ängstigte die aufgeregten Iren die in den Medien beschworene Gefahr der in den irischen Rechtsraum eindringenden schwangeren afrikanischen Asylbewerberinnen, die angeblich einzig nach Irland kommen, um ihr Kind zu einem EU-Bürger zu machen, um dann als Eltern Bleiberecht und damit „unlauteren“ Zugang zu Sozialleistungen zu erhalten. Weder Kari noch ihr Ehemann wussten um die Existenz derartiger Vorurteile: And yet I had no clue this was happening. My husband was here for three months, he never even heard that. So we were wondering what was the story? Why were people frowning at us? We were wondering! Until we came here and we started making friends and they started telling us: It’s really racist here. And I was like „Okay...“ And then they started telling us that people were coming over to give birth and all that. And unfortunately, we didn’t have a car then. So, whenever we had to walk and I was heavily pregnant and the level of verbal abuse and just the abuse in general was just appalling. It was just so appalling I couldn’t believe it. I just wanted to get back home.

1

Aus Persönlichkeitsschutzgründen verzichte ich auf die Nennung des Herkunftslandes meiner Interviewpartnerin. Beziehe ich mich im Folgenden auf „Afrika“, soll dies nicht eine Nivellierung unterschiedlicher afrikanischer Gesellschaften indizieren.

7. K ARI : D IE SCHWARZE P ERSPEKTIVE

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D IE K RAFT EINER RASSISTISCHEN G LEICHUNG : SCHWARZ = ASYLBEWERBER Ich beginne zu ahnen, dass Kari sich nicht nur nach Afrika zurücksehnt, weil sie dort eine sehr gute berufliche Position mit entsprechendem Einkommen und sozialem Prestige innehatte, sondern auch, weil sie sich von den Menschen in Irland brutal abgestoßen fühlt. Nach diesem ersten gänzlich unerwartet unherzlichen Willkommen in dem Land, das sich selbst gerne als Land of a Thousand Welcomes vermarktet, setzten für Kari weitere Schwierigkeiten in ihrem neuen europäischen Leben ein. And first, I could not find a job, you see, because then when we came the law was spouses of migrant workers were not allowed to work. Full stop. So, you’d walked into agencies, so apart from people frowning at you because you are visibly a foreigner, because you are black anyway, and you start talking to them you cannot hear what they are saying because of the accent differences. It’s not that you cannot understand English but somebody assumes that you cannot understand English so they automatically have got a prejudice against you. I think it was very difficult. You know. Cars driving past you, people would just shout whatever they want... So, I would say it has been quite tough for us here. I’d say it has been quite tough. I couldn’t believe it. And that’s a thing that I actually want to highlight to you is that the service providers who are very rude to non-nationals when you come to think of it.

Ganz zielstrebig nutzt Kari das Interview, um Punkte, die ihr wichtig sind, in unser Gespräch einzubringen. So erzählt sie mir nicht nur von der krassen Ablehnung, die ihr auf den Straßen Dublins entgegenschlägt, sondern hebt darüber hinaus die rassistische Praxis irischer Behörden hervor. Den irischen Community-Organisationen hingegen bescheinigt sie einen generell freundlichen Umgang mit Migranten, doch ihre Einschätzung dieser Freundlichkeit als offenbar zuweilen vordergründig lässt mich aufhorchen. They don’t actually show their prejudice if they have. But go to the guards!! Call the guards when you have a problem! Go to the immigration and that’s when you see the level of abuse. Yes, I’m empowered. Yes, I can speak English. – But what about other people – and women – who cannot even speak English?

Kari ist ehrlich erschüttert über das Ausmaß des Rassismus irischer Behörden. Zusammen erinnern wir uns noch einmal an unser erstes Treffen im „Offenen Forum“ und die Berichte der anderen Frauen über ihren täglichen Kampf gegen Rassismus. Als ich die Szene erwähne, in der die rassistische Beschimpfung während einer

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Busfahrt durch Dublin nachgestellt wurde, wächst mir Kari aus ihrem Sessel entgegen und stöhnt. Black monkey. Go back home! Nigger. BMW. Like, when I’m walking with my husband. BMW. Go back to Nigeria! J. V.: BMW? Kari: BMW. Black men’s willy. It’s very obscene. J. V.: They would say that to your husband... Kari: To my husband in the presence of my children!! The abuse…Every day! There is no day that...if I were to walk out of here and go up there I can only not notice it if I don’t look at people. Rolling eyes. People frowning their faces. „Go home!“ They do that. Some people don’t want to have any trouble with the law but they cannot contain or they cannot hide their disgust with you so they just do something. At least they have to do something. People come and whisper „nigger“ in your ear. Or people just say things to you.

Angesichts der permanenten rassistischen Diskriminierung kann selbst die herzliche Offenheit der Community-Organisationen Karis Misstrauen nicht zerstreuen – ein nagendes Gefühl, das sie wiederholt kritisch im Gespräch reflektiert. Der Rassismus, der von vielen Migranten bei ihren Gängen zur Einwanderungsbehörde erlebt wird, war regelmäßiges Thema bei den Treffen von Residents Against Racism – ebenso die Klagen über rassistisches und schikanöses Verhalten irischer Polizisten.2 Bei der Vorbereitung meines Feldforschungsaufenthaltes fiel mir auf, dass die irische Polizei die Einführung der gesonderten Kategorie „rassistisch motivierte Straftat“ nur schleppend vornahm und dementsprechend keine Datenerhebung durchgeführt wurde, die Aufschluss über das Ausmaß solcher Verbrechen in Irland geben könnte. Politisches Handeln ist erheblich erschwert, wenn keine Basisdaten vorhanden sind. Diesem Versäumnis wird seit 2001 vom National Consultative Committee on Racism and Interculturalism (NCCRI) entgegengewirkt, das halbjährlich Berichte über rassistische Zwischenfälle veröffentlicht. Die Sprecherin des NCCRI beklagte mir gegenüber das Fehlen statistischer Daten und hob deren besondere Bedeutung für die antirassistische Strategieentwicklung des NCCRI hervor.

2

Da die existierende Lektüre zu antirassistischer Mobilisierung in Großbritannien und Frankreich stets die radikalisierende Bedeutung von rassistischen Übergriffen der Polizei hervorhebt, hielt ich während meines Feldforschungsaufenthaltes besonderes Augenmerk auf die irischen Gardaí für geboten. Während meiner Feldforschung erfuhr ich von dem relativ neu geöffneten Garda Racial and Intercultural Office, dass in der südlichen Innenstadt auf der Harcourt Street eröffnet wurde. Mein Interesse war geweckt und ich hätte gerne mit einem dort beschäftigten Polizeibeamten gesprochen, doch meine telefonischen Kontaktversuche scheiterten.

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Dabei betonte sie den sensiblen Charakter des Meldeprozesses rassistischer Übergriffe, da viele Anrufer ihre Anonymität gesichert wissen wollen und einer offiziellen Beschwerde bei der Polizei das vertrauliche Gespräch mit einem NCCRIMitarbeiter vorziehen. Ihrer Meinung nach ist Angst, insbesondere von Menschen mit unsicherem Aufenthaltsstatus, auch einer der Gründe dafür, warum bei der Polizei wesentlich weniger Meldungen eingehen als beim NCCRI. Auch Kari zieht es vor, keine Meldung bei der Polizei über die rassistischen Anfeindungen, die ihren Alltag bestimmen, zu machen. It’s very hard. It’s very hard. Because I don’t even want to go reporting anyone. But it’s very difficult to deal with – especially if you don’t deserve that. I’m young! If I am pregnant – so what!? I want to have children. – But also it’s down to a lack of knowledge. When you go to 3

Tallaght or Clondalkin it’s worse than when you are in Blackrock. There is clear racism, you can actually see that a lot but in economically advantaged areas it’s not as pronounced.

Kari hat beobachtet, dass in reicheren Gegenden Dublins der Rassismus weniger stark ausgeprägt ist als in ärmeren. Wie ich im vierten Kapitel darlege, wird das Bild des Einwanderers als Konkurrent von Politikern und Medien fortlaufend reproduziert. Kari beschreibt, wie insbesondere die Verlierer des Wirtschaftsbooms die Einwanderer als Konkurrenten im Kampf um ihre Existenz wahrnehmen. Die ökonomische Depravierung trägt dazu bei, dass die Ängste vor dem Verlust des Arbeitsplatzes oder der Kürzung von Sozialleistungen in einen engen Zusammenhang mit den Einwanderern gebracht werden, die zu Sündenböcken für die negativen Begleiterscheinungen des drastischen sozialen Wandels gemacht werden. Zudem kommt Kari auf das Gefühl des nagenden Misstrauens gegenüber Iren und generell allen Menschen heller Hautfarbe zurück, dass sie als allgemeines „Paranoia-Problem“ der schwarzen ethnischen Minderheiten in einer als feindlich wahrgenommenen, rassistisch agierenden weißen Mehrheitsgesellschaft postuliert. Because we ethnic minorities in general would be way down the social economic pack. So people who are generally disadvantaged see us as competitive. They see us as coming to take away what belongs to them. But you find people who are economically capable they wouldn’t even...they don’t care! Because we don’t affect them in any way because we’re not coming to take whatever – as it is perceived by lower social-economic groups. And sometimes I suppose we can be quite paranoid as well about the way people see us. Generally, Ireland is very racist. It’s very racist country. But some people when they get to know that you’re not what they

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Tallaght und Clondalkin sind zwei Dubliner Bezirke, die als soziale Brennpunkte gelten, während Blackrock ein reicher Vorort mit exklusiven Immobilienpreisen und einer der teuersten Privatkliniken Irlands ist.

288 | UNDOING I RISHNESS think you are or some people who have worked in developing countries or people who have worked with black people in general before are not necessarily racist. That’s actually the other thing. So, I don’t necessarily see every white person or Irish person and think: „Oh, they are racist.“ Until a point when somebody does something that I perceive to be racist. When somebody talks to me, when somebody asks me questions I don’t necessarily assume they are being racist by whatever they are saying. Some people from black communities actually think „Why are you asking me that question?!“ But probably somebody just wants to know. So also, while I have experienced racism on a very personal level but I don’t want to go down the paranoia lane as well. Some people are just like that. Some neighbours don’t talk to you but they don’t even talk to Irish people as well. So, I’m not paranoid about it. I can only be negatively affected by somebody who does something specifically to annoy me. And it’s very easy to see when somebody is trying to annoy you.

Einerseits spricht Kari in der ersten Person Plural als „we ethnic minorities“, andererseits bringt sie nicht zum ersten Mal im Gespräch auf subtile Art zum Ausdruck, dass sie für sich einen besonderen Status innerhalb der schwarzen Einwanderergemeinden beansprucht: nämlich tatsächlich nicht dem rassistischen Klischee zu entsprechen, demzufolge alle Menschen schwarzer Hautfarbe Asylbewerber und/oder Nigerianer sind.4 Kari verhandelt eine ungeheuerliche Spannung, wenn sie als rassistisch Diskriminierte trotzdem nicht automatisch jeden Weißen für einen Rassisten halten will. Sie bricht ihre eigenen Gefühle der Verletzung, versucht sie mit Vergleichen anderer Konflikterfahrungen zu relativieren und verweigert sich bewusst der Einbahnstraße „paranoia lane“. Ich frage mich mit einem leichten Unbehagen, ob Kari gezielt auf unsere Interviewsituation Bezug nimmt, wenn sie hervorhebt, dass eine Fragen stellende Weiße durchaus Gefahr läuft, als rassistisch wahrgenommen zu werden: Das bin ja schließlich ich. Und selbstredend bin ich froh, dass Kari für sich in Anspruch nimmt, trotz ihrer persönlichen äußerst negativen Erfahrungen mit Weißen, mir offen begegnen zu wollen und zu können. Da Kari sagt, dass sie sehr schnell merkt, wenn sich jemand ihr gegenüber bewusst feindselig und rassistisch verhält, versuche ich also, mich zu entspannen – auch wenn ich aufgrund meines Weißseins nicht unbedingt automatisch Sympathiepunkte gutgeschrieben bekom-

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Die spezifische racialisation von Irland seit Ende der 1990er-Jahre hat dazu geführt, dass somatischen Unterschieden, insbesondere der Hautfarbe, verstärkt Bedeutung beigemessen wird. Die sogenannte colour line hat sich verstärkt. Viele Iren mit dunkler Hautfarbe oder Schwarze, die bereits seit Jahrzehnten in Irland leben, berichten von einer erheblichen Zunahme rassistischer Diskriminierung seit dem Anstieg der Einwanderungszahlen und der damit einhergehenden Medienberichterstattung. Vgl. Garner: Racism in the Irish Experience, S. 155-156.

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me. Vielleicht sind wir beide darauf angewiesen, keine Negativinterpretation unseres Gegenübers vorzunehmen oder diese Negativinterpretation nicht persönlich zu nehmen. Auf jeden Fall will ich wirklich wissen, was Kari denkt, und deswegen gibt es keine andere Alternative, als mit ihr ins Gespräch zu kommen. Dabei muss ich damit rechnen, dass ich als weiße Interviewerin für Kari eine bestimmte Gruppe von Menschen repräsentiere – genauso wie sie umgekehrt für mich eine Repräsentantin einer bestimmten Gruppe im irischen Antirassismus ist: nämliche eine schwarze Szeneakteurin. Die Kategorie Hautfarbe entfaltet hier ihre verstörende Wirkmächtigkeit, indem sie zur alles dominierenden Kategorie wird. Sie weist uns Kollektiven zu, egal, ob wir uns ihnen zugehörig fühlen oder nicht, egal ob wir ihre Existenz für gut befinden oder nicht. Dabei herrscht auf mehreren Ebenen Konfusion: Welcher Gruppe ordnen wir uns gegenseitig zu und – noch schwieriger, da weniger ausgesprochen – was ist unsere Vorstellung darüber, zu welcher Gruppe die Eine die Andere zuordnet? Werde ich etwa für einen Gutmenschen gehalten – oder gar für eine weiße Rassistin? Geht Kari unterschwellig davon aus, dass in meinem Hinterkopf rassistische Klischees existieren? Die Konfusion manifestiert sich in konkreten Interviewsituationen. Da ich spüre, dass es Kari sehr wichtig ist, ihre berufliche Qualifikation und Bildung hervorzuheben, hebe ich dazu an, sie nach ihrer Meinung als Ehefrau eines für den irischen Arbeitsmarkt angeworbenen Ingenieurs und ihren Integrationsproblemen zu befragen. Doch das Gespräch nimmt eine gänzlich andere Wendung, deren Brisanz mir deutlich wird, als ich sehe wie extrem emotional meine Gesprächspartnerin reagiert. J. V.: And how do you view the situation in Ireland? Because I reckon you belong to a very specific group.... Kari: Black.

Auf ihr Schwarzsein wollte ich nicht hinaus. Vielmehr beabsichtigte ich, auf die bizarre Situation zu sprechen zu kommen, dass jemand aktiv von einem Staat angeworben wird, um dann heftig von dessen Gesellschaft ausgegrenzt zu werden. Doch Kari unterbricht mich und knallt die Kategorie auf den Tisch, die ihr europäisches Leben dominiert: schwarz. Hier wird eine durch viele Faktoren bestimmte Lebenssituation auf die Kategorie „Schwarz“ reduziert, die die ganze Komplexität der alltäglichen Lebenswelt meiner Interviewpartnerin negiert. Trotzdem bleibe ich bei dem, was ich ursprünglich fragen wollte und gehe auf die Bemühungen der irischen Regierung ein, ausländische Arbeitskräfte für den „Keltischen Tiger“ zu gewinnen, um letztlich einzusehen, dass Kari mit ihrer Themensetzung „schwarz“ unbedingt zu folgen ist.

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D ER K AMPF GEGEN RASSISTISCHEN K OLLEKTIVISMUS : S ELBSTLEGITIMIERUNG DURCH L EISTUNGSFÄHIGKEIT Nochmals beziehe ich mich auf die Erlebnisse im „Offenen Forum“, die unter dem Zeichen des drastischen Alltagserlebens der schwarzen Frauen standen. Kari steigt sofort ein. Ihre Stimme wird lauter und ihre Augen fangen an zu funkeln. That’s actually because...I’m quite...I’m very emotional about it. Because I suppose with other black people...we’re actually coming from different...When somebody has come here because they are an asylum seeker or they are a refugee when they face that kind of abuse I suppose they are ready for it and they are prepared for it. Because people actually say: „Asylum seekers go back home! Refugee go back home!“ So, if you are like that you can actually say: „Yes, I am but I can stay.“ But I can’t! I am not a refugee! I am not an asylum seeker! I don’t accept that cause I’m not! „Go back to Nigeria!“ I’m not from Nigeria! J. V.: They see a black face and think Nigeria? Kari: All the time! J. V.: I think there is a very specific prejudice against people from Nigeria.... Kari: Yes, there would be. Nigeria. Refugee. Asylum seeker.

Bei diesem Interview wird besonders deutlich, dass hier nicht nur zwei Individuen miteinander in Kontakt treten, sondern wir beide qua Hautfarbe bestimmte Gruppen repräsentieren. Kari kämpft auf eine spezifische Art und Weise gegen diese ungewollte Zuordnung an, die ungefragt an ihr vollzogen wird: Sie versucht aufzuzeigen, dass sie keineswegs dem rassistischen Klischee entspricht, also keine nigerianische Asylbewerberin ist, die nur darauf wartet, endlich das irische Sozialsystem „ausnutzen“ zu können, sondern eine hochqualifizierte, junge Arbeitskraft. Sie legt großen Wert auf ihre gute Ausbildung, ihre privilegierte berufliche Vergangenheit und hohe soziale Position in Afrika, auf die teuren zusätzlichen Ausbildungen, die sie seit ihrer Auswanderung absolvierte, weil sie nur so in Irland, trotz ihrer bereits vorhandenen beruflichen Expertise, einen Job finden konnte. Inzwischen arbeitet sie für eine Community-Organisation, die sich besonders um Gesundheitsfragen kümmert und dabei ganz gezielt auf die Bedürfnisse von Frauen mit Migrationshintergrund eingeht. Bei mir lösen die von Kari immer wieder vollzogenen verbalen Abgrenzungen zu den „anderen“ schwarzen Immigranten in Irland Irritationen aus. Kari betont, dass sie es nicht „verdient“, beschimpft zu werden. Doch haben es andere schwarze Einwanderer weniger „verdient“, frei von rassistischer Diskriminierung zu leben? – Tatsächlich stellt Kari die Vermutung an, dass „other black people“ – also schwarze Einwanderer, die dem rassistischen Klischee entsprechen – darauf gefasst sind, dementsprechend rassistisch ausgegrenzt zu werden: „When somebody has come

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here because they are an asylum seeker or they are a refugee when they face that kind of abuse I suppose they are ready for it and they are prepared for it.“ Ihr Ausruf „I’m not from Nigeria!“ ist der Anspruch auf eine Wahrnehmung ihrer Person jenseits des rassistischen Vorurteils schwarz = Asylbewerber. Denkt Kari wirklich, dass sie weniger Anlass dazu hat, es zu „akzeptieren“, diskriminiert zu werden als jemand, der tatsächlich aus Nigeria kommt, keine Ausbildung hat und in Irland Asyl beantragt? Die Gespräche mit irischen Feministinnen, die nun im irischen Antirassismus aktiv sind, führen eindringlich vor Augen, wie wichtig es für die Antidiskriminierungsarbeit ist, unterschiedliche Unterdrückungsformen auf dem Radar zu behalten. Doch Kari geht von einer Ungleichheit unter den schwarzen Immigranten aus, von der sie das Recht des besser ausgebildeten und des weniger dem rassistischen Klischee entsprechenden Immigranten ableitet, Aufnahme in die Mehrheitsgesellschaft zu erhalten. Damit setzt Kari die Produktion sozioökonomischer Ungleichheit fort, die sie jedoch in Bezug auf die Hautfarbe ausdrücklich ablehnt. Bei Rassismus handelt es sich ebenso wie bei Sozialdarwinismus um eine Ideologie der Ungleichheit. Festgestellte reale oder konstruierte Unterschiede werden zum Kriterium für die Zuweisung eines gesellschaftlichen Status an markierte Gruppen und ihnen zugeordneter Individuen. Karis Positionierung und ihr unbedingter Anspruch auf Besserbehandlung lösen in meinem Kopf einen Sturm von Fragen nach der Überschneidung unterschiedlicher Diskriminierungsformen, den Schwierigkeiten von Solidarisierung im Zeitalter der Profitmaximierung, der erzwungenen Selbstlegitimation von Einwanderern und der damit verbundenen Konstruktion unterschiedlicher Gruppen von Migranten aus. Ökonomische Unterschiede im Produktions- und Verteilungssystem unserer Gesellschaften, die eine bestimmte soziale Klasse positioniert und gegenüber anderen hierarchisiert, werden als Grund für eine Fortschreibung dieser Unterschiede herangezogen. Doch kann es sein, dass Kari, zu deren Alltag eine aggressive Form des rassistisch Diskriminiertwerdens gehört, die zudem paternalistische und restriktive Gesellschaftsstrukturen in afrikanischen Gesellschaften beklagt und als eine der Ursachen für die Integrationsprobleme afrikanischer Einwanderer definiert – kann es sein, dass diese Frau übersieht, dass gesellschaftliche Ungleichheit nicht nur aufgrund von ethnischer oder Geschlechtszugehörigkeit konstruiert wird, sondern eben auch aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Schicht? Am Ende des Gesprächs steht die entindividualisierende und entsubjektivierende Wirkung der rassistischen Markierung Hautfarbe und eine irische Gesellschaft, die Rassismus produziert, indem sie sich als weiß definiert. Kari scheint weniger ein strukturelles Verständnis von Rassismus zu haben, vielmehr fühlt sie sich als Ehefrau eines angeworbenen und zur irischen Wirtschaft beitragenden Ingenieurs zu Unrecht diskriminiert. Ihre übermäßige Betonung der Leistungsfähigkeit von Einwanderern führt zur Verwendung herrschaftsdiskursiver Argumentationstopoi.

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ANGEHÖRIGE ETHNISCHER M INDERHEITEN IM ANTIRASSISMUS : Z WISCHEN „ PARANOIA UND V ORBILDFUNKTION

LANE “

Obwohl die Organisation, für die Kari arbeitet, sich in erster Linie Fragen der Gesundheitsversorgung widmet, definiert sie Antirassismus als einen wichtigen Teilbereich ihrer Arbeit. Da meine Gesprächspartnerin sehr erfolgreich die rassistischen Hürden seit ihrer Ankunft in Irland überwunden und sich einen Platz in der Aufnahmegesellschaft erkämpft hat und darüber hinaus nun andere Einwanderer berät, drängt sich die Frage auf, welche Funktion sie als schwarze Frau mit Migrationshintergrund in der antirassistischen Arbeit erfüllt. Kari sieht ihre besondere Stärke in ihrem Bewusstsein für die Themen und Probleme, die Einwanderer in Irland beschäftigen. Als jemand, der selber von rassistischer Diskriminierung betroffen ist, erwähnt sie zum wiederholten Male die Paranoia derer, die bereits schlechte Erfahrungen in ihrer neuen Umwelt gemacht haben und die sie als Hemmnis eines günstig verlaufenden Integrationsprozesses und als Störfaktor in der politischen Zusammenarbeit mit Weißen beschreibt. I’m conscious of a lot ethnic minorities’ issues and problems that people are facing and I’m conscious of this paranoia that I was talking about as well. And I’m also conscious of that a lot of women from ethnic minorities have not really done as well as I have done. Women not necessarily have good literacy skills which I have. So in the sense of being a role model: I can be. I can be.

Kari schreibt sich selbst eine Vorbildfunktion zu, die sie aufgrund ihrer Erfahrungen als Einwanderin und deren kritischer Reflexion sowie ihrer erfolgreichen beruflichen Integration einnehmen kann. Dabei hebt sie jedoch stets den problematischen Erfahrungswert des rassistisch Diskriminiertwerdens hervor, den sie als ein zweischneidiges Schwert beschreibt: Einerseits weiß sie sehr wohl, wie es sich anfühlt, gesellschaftlich marginalisiert und rassistisch beschimpft zu werden, und dieser Erfahrungswert stellt einen Bonus dar, da sie verstehen kann, wie es sich anfühlt, ausgegrenzt zu sein. Andererseits ist derselbe Erfahrungswert eine Hypothek für die antirassistische Arbeit, da er das Risiko erhöht, nicht mehr unvoreingenommen auf die weiße Mehrheitsgesellschaft und ihre Repräsentanten reagieren zu können. I think as a black person I should...because I’m working here and I’m working with ethnic minorities and a lot of white folk would not be very comfortable with really campaigning for the rights of ethnic minorities for a lot of reasons really. Because I’m working here it’s easy for me because I know, I understand. People perceive somebody who is white campaigning for black people as somebody who is very good and also working for their benefits. But that

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person does not really understand how it feels to be discriminated against because they have never been in those shoes. So, I’m not actually saying somebody who’s white cannot do that but I’m actually saying whether it’s a white person or a black person. Because you’ve been there you know exactly how it feels so you are acting from a knowing position but at the same time there is such a risk of paranoia that I was talking about. I see that happening all the time. So, I think working here I should also be able to step back. Because I’m working here I’m a professional here, people who are coming in, as much as I’ve got my own issues of people who are racist to me but also I have to be objective and open-minded about actually highlighting the issues of paranoia and that other people, not everybody is racist, and I think it’s very important to also highlight that.

Kari spricht einer weißen Person nicht grundsätzlich ab, Antirassist sein zu können, doch ihrer Meinung nach macht es durchaus einen Unterschied, ob jemand aus einer „wissenden Position“ des rassistisch Diskriminierten oder einer weißen Position heraus agiert. Bemerkenswert finde ich Karis Ansicht über den Antirassismus der Weißen, die sich für Schwarze einsetzen. Der politische Einsatz im Dienste einer marginalisierten Gruppe wird hier zwar als ehrbarer Dienst am Anderen dargestellt, jedoch nicht als etwas wahrgenommen, was der genuinen Interessenslage weißer Aktivisten entspringen könnte. Kari sieht sich in der Rolle einer Mediatorin zwischen Schwarz und Weiß: Diese kann sie aufgrund ihres Anspruchs an die eigene Professionalität erfüllen, die wiederum die Leistung abverlangt, eine kritische Distanz zu ihrer individuellen Rassismuserfahrung einzunehmen. Dabei ist es ihr ein Anliegen zu vermitteln, dass nicht jeder Weiße ein Rassist ist. So wichtig diese Botschaft an die schwarze Community ist, so sehr zeichnet sich jedoch der Charakter von Karis Zielsetzung ab: „Not everybody is racist.“ heißt eben sehr wohl, von der Prämisse auszugehen, dass dieser weiße Jemand wahrscheinlicher rassistisch als antirassistisch eingestellt ist. Hier deutet sich eine Grundannahme an, die der weißen Mehrheitsgesellschaft ein geringes antirassistisches Potenzial attestiert. Kari unterstreicht nachdrücklich die überaus große Bedeutung der schwarzen Perspektive für die Antirassismusarbeit. Doch gleichzeitig nimmt sie eine äußerst kritische Haltung gegenüber der Artikulation anderer schwarzer Einwanderer in Irland ein. Unterschiedliche Strategien im Kampf um Gleichberechtigung und Anerkennung durch die irische Mehrheitsgesellschaft treten dabei in ihren Überlegungen hervor. Dabei bezieht sie sich vor allem auf eine nigerianische Frau, die ebenfalls Teilnehmerin des „Offenen Forums“ war und dort auffallend enthusiastisch über ihren Auftritt in einer irischen Radiosendung berichtete. She was visibly overwhelmed because she is talking on the radio in Ireland. There is the temptation to actually show other people that I’m not like them. But you loose sight of other factors that actually affect other ethnic minorities with whom you mingle everyday and who

294 | UNDOING I RISHNESS are also part of yourself. And if it’s actually coming from you as an ethnic minority coming out on the radio saying: „Go out there and work! Everybody go out there and work because you have to do something! You have to do something.“ You are actually sending a signal to the Irish community of whom some of them are actually quite racist about black people and if it’s something that is actually coming from a black person saying: „Go out there and work!“ the Irish person who doesn’t like black people, that person, whoever it is would actually say: „Yah!“ So, this person actually knows that other people actually don’t work. Is it okay highlighting those issues? [...] So, what I was just trying to say is: be very cautious about what you are saying. I felt it was not politically correct for me to say it but I strongly felt that the way she was saying...in Africa...because she is from Africa but she is from Nigeria, you see, and their culture in Nigeria is totally different from our culture in X or in South Africa or in Namibia for example. So for her to go on national radio to say in Africa we beat our children or in Africa we do this that’s very wrong. Because it’s very different in every society and in every culture.

Die Eindimensionalität des Begriffs „Afrika“, der die Existenz unterschiedlicher afrikanischer Gesellschaften und Kulturen unterschlägt, führt zur Gruppenkonstruktion „Afrikaner“, die wiederum mit dem phänotypischen Merkmal der dunklen Hautfarbe verbunden wird. Wie viele andere meiner Gesprächspartner erzählt Kari aufgebracht über eine ihrer Bekannten, die als schwarze Britin ständig, häufig auch in Baby-Sprache, danach gefragt wird, woher in Afrika sie denn komme. In ihrem Bestreben, mit ihren individuellen Qualitäten und Fähigkeiten anerkannt zu werden, wehrt sich Kari vehement gegen diese rassistische Gruppenkonstruktion des „Afrikaners“. So ist auch ihr Ärger über andere Schwarze zu verstehen, deren Verhalten sie für kontraproduktiv hält, jedoch in einer rassistischen Gesellschaft unweigerlich auch auf sie zurückfällt. Im Zusammenhang mit der schwarzen Erfahrung betont Kari die Notwendigkeit der Selbstreflexivität. Der nigerianischen Frau im „Offenen Forum“ unterstellt sie, „überwältigt“ von der Möglichkeit gewesen zu sein, im Radio sprechen zu dürfen und dass sie deswegen eine kritische Hinterfragung der Wirkung ihres Redebeitrages versäumt habe. Doch laut Kari hätte sie es gewahr sein müssen, dass andere ethnische Minderheiten, insbesondere andere Schwarze an ihrem Auftritt gemessen werden – weniger, weil innerhalb der Einwanderergemeinden ein besonderer Zusammenhalt besteht, sondern weil die Gesellschaft des Aufnahmelandes ein Kollektiv konstruiert, dem insbesondere Menschen dunkler Hautfarbe automatisch zugeordnet werden, die wiederum automatisch zum Repräsentanten ihres Kollektivs werden. Die angeblich schädliche Außenwirkung des Verhaltens der Nigerianerin verdeutlicht Kari mir typischerweise am Beispiel „Arbeit“. Die Leistungsfähigkeit und der gesellschaftliche Beitrag durch Erwerbstätigkeit, die eine Legitimation der Anwesenheit von Immigranten in der Aufnahmegesellschaft gewährleisten könnten, nehmen in ihrer Argumentation, die die Kontraproduktivität des nigerianischen Re-

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debeitrages unterstreichen soll, einen zentralen Platz ein. Zudem antizipiert Kari eine umkehrende Negativinterpretation der von einer schwarzen Frau gemachten Aussage „Go out there and work!“ durch die weiße Mehrheitsgesellschaft, von der sie befürchtet, dass sie Einwanderern Faulheit und Unproduktivität unterstellt. So sehr sich Kari über die Radiorednerin ärgert, sie fühlt sich dem Diktat der Political Correctness unterworfen, das sie im „Offenen Forum“ davon abhielt, öffentlich Kritik an dem von ihr als aggressiv und damit kontraproduktiv empfundenen Verhalten zu äußern. Die Gruppenkonstruktion des „Schwarzafrikaners“ (Asylbewerber, Sozialschmarotzer, Konkurrent) führt Kari zu der festen Überzeugung, dass Schwarze sich mit äußerster Vorsicht und Zurückhaltung im weißen Raum Irland bewegen sollten. Dabei denkt sie Irland als Entität, die sich nur langsam verändern und an die neue durch Einwanderung geprägte Situation gewöhnen wird. I strongly feel that. I strongly feel that. This is Ireland, that doesn’t change. If you go out there and say the media are always coming on to it because the Irish media is Irish and the people who you want to make an audience are Irish as well. So if you are going to be a foreigner and you start attacking people from within, and if you think you would influence people by that you are not going to win it. Because the media are doing their job. – My point is: If you are a foreigner you really have to keep it down if you want to influence. Even if you are not. You should say what you think in a very light way. Because if you say: „We are here to stay! We are here to stay! The media are doing this, the media are doing that!“ You don’t influence people by attacking that which they value a lot. Because it’s from the media that they get information about immigrants. So, at the same time you don’t want to risk a war with the media because you won’t win it. Because these are people who have been there for a long time. They know their system. And Irish people will listen to them more than to yourself. So much as you’ve got something against them you don’t want to attack them. I feel very strongly about that. I don’t think you can go on national radio and start talking about racism in a very...in a very...mh...in a very apprehensive and aggressive way. I feel very strongly about how people treat me but if I were to go on radio I would have to turn it down. Because the reaction to any attack would be to take another person on as well. So you can image how many of the audience you would be talking on when you are being aggressive on the radio. I don’t feel that this appropriate. So, this was what I was saying to that woman because I thought the language that she was using and the way she was coming on so strongly – if you want to influence people I don’t think it works. If you are the person that attacks the media I bet you won’t achieve any results.

Erneut betont Kari, dass die persönliche Erfahrung mit Rassismus, die damit verbundenen emotionalen Verletzungen und nicht zuletzt die Wut keinesfalls das kluge Taktieren in der politischen Arena des Aufnahmelandes gefährden dürfen. Dabei steht es laut Kari Fremden durchaus zu, gesellschaftliche Probleme anzusprechen. Doch dies darf niemals auf übermäßig selbstbewusste, fordernde oder gar aggressi-

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ve Weise geschehen, da Aggression Gegenaggression erzeuge. Diese Einschätzung sozialer Dynamik spiegelt sich auch in Karis persönlichen Umgang mit Alltagsrassismus wider, auf den sie nur in Ausnahmesituationen reagiert – und ansonsten geflissentlich ignoriert. Some people abuse you because they think you are not verbally competent. And you can see that. Some people are actually saying „Me no English“ or something like that people who don’t speak English say. In most cases I just ignore. Because...I just ignore. But there are times when you have to say something especially if it’s a guard or with I’m with my children but it depends also on the person, if they are drunk, if they are not drunk, if they are sober. It’s very situational actually. But there are times when I really have to say „No, you’re not going forward with this.“ But really rarely do I ever do that because I don’t even want to go there. I don’t want to go there at all.

Was ist eine angemessene und damit wirksame Taktik, insbesondere von Migranten und Angehörigen von ethnischen Minderheiten, die sich auf der Akteursebene exponieren? Wenn rassistisch Diskriminierte eine Sprechrolle einnehmen, steht ihnen dann eine aggressiv-fordernde Vorgehensweise zu oder müssen sie auf die Kultur und Gepflogenheiten der Aufnahmegesellschaft Rücksicht nehmen, um mit einer empathischen Strategie für ihre Gleichberechtigung zu kämpfen? Auch in Karis Augen erscheint es als schwieriges Unterfangen, eine angemessene Form des antirassistischen Protests zu finden. Dies trifft zum einen auf ihre individuelle Alltagspraxis zu, die sie davon abhängig macht, wie sich die konkrete Situation darstellt – etwa, wenn ihre Kinder Zeugen der rassistischen Diskriminierung ihrer Mutter werden. Zum anderen herrschen auf überindividueller Ebene unterschiedliche Vorstellungen über eine effektive Strategie von Migranten im Kampf um gesellschaftliche Gleichberechtigung. Allzu fordernde und selbstbewusste Töne sowie explizite Angriffe auf die irischen Medien, deren fatale Rolle bei der Verbreitung rassistischer Stereotype auch in den Einwanderer-Communitys scharf kritisiert wird, lehnt Kari ab. Sie ist sich der überaus großen Rolle der Medien für die Verbreitung von rassistischen Vorurteilen bewusst, doch schätzt sie die Macht der Medien als derart groß ein, dass sie eine Kriegserklärung an die Medien für politischen Selbstmord hält. Gesellschaftlich randständige Menschen, sprich rassistisch Diskriminierte und Migranten, sollten besonders darauf achten, dass sie bei der Ansprache der Eingeborenen mit dem nötigen Respekt und mit der Gabe der Beredsamkeit vorgehen.5

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Allerdings weitet Kari ihre Vorstellungen einer funktionierenden Taktik, die niemals aggressiv sein sollte, auch auf Aktivisten aus, die zur hegemonialen weißen Mehrheitsgesellschaft gehören.

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Zum wiederholten Male unterstreicht Kari die unbedingte Notwendigkeit zur Kontrolle der eigenen Emotionalität angesichts rassistischer Diskriminierung. Noch so viel angestaute Antipathie, noch so viele angestaute Gefühle der Verletzung und Wut können nach Karis Überzeugung keine Attacke auf die dominante gesellschaftliche Gruppe und ihre Medien legitimieren. Und erneut unterstreicht meine Interviewpartnerin ihre Fähigkeit zur Reflexion und Abstraktion ihrer individuellen Rassismuserfahrungen als Vorbedingung für eine ihrer Ansicht nach angemessene Strategie und gelungene Repräsentation der Einwanderer durch Sprecher mit migrantischem Hintergrund. Nochmals entsteht bei mir der Eindruck, dass mein Gegenüber eine sehr kritische Sicht auf die Artikulation anderer schwarzer Einwanderer hat und sich gegen die durch eine rassistische Umwelt konstruierte „Schicksalsgemeinschaft schwarz“ stemmt. Hier tritt ein Problem der innerhalb der antirassistischen Szene geforderten Selbstorganisation und Selbstvertretung ethnischer Minderheiten auf: Wer nimmt die Sprechrolle ein? Welche Ziele werden mit welcher Strategie verfolgt? Wer fühlt sich von wem adäquat repräsentiert? Wie funktioniert Repräsentativität im migrantischen Antirassismus? Welche Rolle spielen rassistische Kollektivfantasien der weißen Mehrheitsgesellschaft?

K ARIS I RLANDBILD Die Entwicklung einer wirksamen antirassistischen Strategie und die Abwägung unterschiedlicher Vorgehensweisen zwischen aggressiven Artikulationsformen und empathischer Sympathiewerbung steht in einem engen Zusammenhang damit, wie die weiße Aufnahmegesellschaft durch migrantische Szeneakteure wahrgenommen und eingeschätzt wird. Was erwarten sie von den politischen Entscheidungsträgern, was halten sie von weißen antirassistischen Aktivisten und wie wird die Situation für Migranten und damit migrantischen Aktivismus eingeschätzt? So wie viele im Antirassismus Aktive nimmt Kari Bezug auf das Staatsbürgerschaftsreferendum von 2004, welches sie jedoch in seiner Wirkung auf die Bedingungen und Möglichkeiten antirassistischer Politik als wesentlich weniger verheerend bewertet als die meisten anderen von mir Befragten. The referendum happened but the good thing is that the people who have got power, the executive power, the government to drive the issues forward really and the good thing is that the government realizes the importance of having immigrants in the country. Especially the migrant workers in general, even those among the refugees because there are refugees that would be doctors, there would be quite professional people as well. So the government realizes that, so because it realizes that it will come up – that’s actually where I see Ireland going – it will come up with a lot of policies that actually protect immigrants. Not because they really

298 | UNDOING I RISHNESS love immigrants but they see a benefit in keeping immigrants here because you find a lot of immigrants or migrant workers are moving to UK. where the system is a bit a relaxed, or Canada or even America where the systems are really relaxed. So, the Irish government is seeing that and there are a lot of laws that’s happening because they spend a lot of money getting people inside but then those people just take it as a stepping stone because Ireland is quite inhabitable for immigrants or migrant workers. J. V.: Inhabitable? Kari: Yes. In terms of the system and the general attitude in Ireland. UK is more cosmopolitan, Canada is more cosmopolitan, it’s more welcoming, it’s got a system in place, so people prefer to go there but fortunately, I think the Irish government is seeing that.

Kari beschreibt Irland als eine für Einwanderer „unbewohnbare“ Insel. Für sie bieten andere Länder wie Großbritannien oder Kanada größere Anreize für Immigranten, da dort nicht nur eine funktionierende Migrationspolitik implementiert ist, sondern auch ein kosmopolitisches Klima herrscht und auch Zuwanderer mit nichtweißer Hautfarbe mit einer freundlicheren Aufnahme als in Irland rechnen können. Da Kari dem Gesichtspunkt der ökonomischen Verwertbarkeit höchste Priorität zumisst, überrascht es mich nicht, dass sie bei ihrer Sicht auf die irischen Verhältnisse und die migrantischen Lebensbedingungen eine ökonomistische Argumentationslinie verfolgt. Looking at the referendum is not enough. It’s important to look at the general environment where people are coming in. Refugees are actually being given certain benefits. The government is not gaining anything out of that except giving people money. So, I think they are going to look at, okay, what can we do to get something back from the refugees? Let’s open up doors for them so that they can work. They know they can benefit from migrants so they are going to have policies in place that can keep migrants in. I think in going for the government it’s going to make efforts to actually tackle racism and put services in place that can actually protect migrants – immigrants in general! And I think policies and services are going to be put in place and a lot of funding will actually come out of that. But I think it is really going to take time. It is really going to take time because immigration is a new phenomenon in Ireland so it’s gonna take time because it has to do with attitudes and behaviours of people. It’s going to take long to change those attitudes. It’s gonna take long to change those behaviours. And knowledge in general will improve!

Gemäß Karis Interpretation wird der irische Staat aufgrund einer simplen KostenNutzen-Rechnung mehr Geld in Maßnahmen gegen Rassismus und in soziale Dienstleistungen für Immigranten investieren. Das Bestreben des Staates, die Migranten als Arbeitskräfte für die irische Wirtschaft nutzbar zu machen, werde zur Freisetzung finanzieller Mittel für Integrationsmaßnahmen führen. Doch nun, zum Ende des Interviews, weicht Kari zum ersten Mal von ihrer bisherigen Argumenta-

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tionslinie ab und hebt neben dem wirtschaftlichen Potenzial der Einwanderer auch die irischen Rahmenbedingungen hervor: Sie stellt fest, dass Immigration ein verhältnismäßig neues Phänomen für die irische Kultur und Politik darstellt und folglich langfristig ein Einstellungswandel der irischen Bevölkerung erst noch erzielt werden müsse. So erscheinen die gesellschaftlichen Probleme im Umfeld von Migration und Integration nicht mehr ausschließlich als arbeitsmarktrelevante Faktoren, sondern als Folge des rapiden Transformationsprozesses der irischen Gesellschaft. Die Themen Bildung und Informationsdistribution sowie ihre Bedeutung für eine inklusive Gesellschaft tauchen hier in Karis Überlegungen zum ersten Mal auf. Trotz der negativen Erfahrungen seit ihrer Ankunft, die sie mir zu Beginn unseres Gesprächs sehr eindringlich geschildert hat, entwirft Kari ausblickend eine grundsätzlich optimistische Zukunftsvision für die Lebensbedingungen von Migranten in Irland. Ihre persönliche Rassismuserfahrung hält Kari nicht davon ab, auf einen positiven Wandel irischer Einstellungen durch Information und Bildung zu hoffen. Zudem setzt sie langfristig auf die junge Generation: auf die Kinder von heute, die mit Kindern aus unterschiedlichen Kulturen aufwachsen und zur Schule gehen. Well, the reason why people are behaving this way is because of a lack of knowledge in general. Some people actually hate migrant workers because they think they are coming to take our jobs – but that’s a minority now. And some people just hate blacks in general. Some people just hate asylum seekers and refugees. Different people hate different people for different reasons. But the general issue is that people lack knowledge on why people are coming in into Ireland. And there’s a problem, some people who come to abuse the system. So the general perception is people are coming in to abuse the system. It’s very difficult for people to still abuse the system because the laws are changing. So with time when laws have changed, when it’s even harder to abuse the system, when people get to know that people who are here, at least they are here, they are working, they are independent. Because children are growing up, they are growing up with our children. So, I believe it’s going to change with time when they get to play with each other, when they get to integrate with other new communities. I strongly believe people will change.

Kari beansprucht für sich eine besondere Position als schwarze Einwanderin in Irland. Zum einen sei sie in der Lage, im Gegensatz zu anderen Schwarzen, ihre persönlichen Rassismuserfahrungen kritisch zu reflektieren, eine Distanz zu ihrer eigenen Emotionalität herstellen zu können, um sich so taktisch klug im weißen politischen Raum zu bewegen. Zum anderen konstruiert sie ihren besonderen Status innerhalb der schwarzen Einwanderergemeinde durch vehemente Abgrenzung zum rassistischen Klischee, demzufolge Menschen mit dunkler Hautfarbe „Sozialschmarotzer“ seien. Kari webt an der Konstruktion unterschiedlicher Gruppen von Migranten mit, die je nach ökonomischer Verwertbarkeit hierarchisiert werden. So darf

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es auch nicht überraschen, dass sie die zunehmend restriktive Gesetzgebung in Irland nicht als Form staatlichen Rassismus bewertet, sondern als Chance für Irland und damit gleichsam für alle „guten“ Migranten, unlautere „schlechte“ Einwanderer fernzuhalten, die somit auch nicht mehr den Ruf aller (schwarzen) Migranten ruinieren können. In Karis Einschätzungen erscheint Rassismus gegen Menschen mit dunkler Hautfarbe nicht als strukturelles Phänomen einer europäischen Gesellschaft, sondern als etwas, dass in erster Linie von erwerbslosen afrikanischen Asylbewerbern verursacht wird. Nochmals tauchen hier die „other black people“ auf, die Kari als gut ausgebildete, artikulierte und leistungsfähige Einwanderin als mindestens ebenso schwerwiegendes Problem erachtet wie die mangelnde politische Aufklärung der „irischen Urbevölkerung“. Diese beklagt Kari auch im Zusammenhang mit den Erfahrungen ihrer schulpflichtigen Kinder. Obwohl sie im Grunde große Hoffnungen mit der nachwachsenden Generation verbindet, stoßen ihre Kinder im schulischen Raum auf Rassismus und die damit verbundenen erheblichen Integrationsprobleme, die Kari auf pädagogische Minderbegabung und die Weitergabe rassistischer Vorurteile durch irische Eltern zurückführt: They would have problems like: „My mum told me not to play with you!“ They would have. But that’s up to us as a family as well, as parents to just empower them to deal with that. That’s actually what I’m saying that some people tell their children to beat them or to be aggressive. But that’s actually not my approach. I don’t think it works that way. Sometimes my daughter has to explain to the other person that „There’s no difference between me and you.“ It depends on what they are saying but I don’t believe they should hit back or fight back. Auch für Karis Familie gilt die Regel, dass rassistische Aggression keineswegs zwangsläufig mit Gegenaggression beantwortet werden sollte. Ich finde es bemerkenswert, dass Kari bei der Konfrontation ihrer Kinder mit Rassismus im Klassenzimmer ausgerechnet ihre elterliche Verantwortung anführt, ihre Kinder zu selbstbewussten Wesen zu erziehen, statt einzufordern, dass rassistisches Verhalten in der Schule von den verantwortlichen Lehrern unterbunden wird. J. V.: Do you think your children are growing up to be Irish as well? Because of the discrimination and all...they watch a lot of American channels so my children have got an American accent, they don’t even have Irish accent, and they don’t want to have Irish accent because they think: „They don’t like us.“ and all that stuff. But it changes. It changes.

In diesem Moment muss ich an Connors antirassistische Strategie des „Irisch für alle“ denken, der zufolge Iren und nicht-irische Einwanderer Seite an Seite, geeint

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durch das „antiimperialistische Band“ der irischen Sprache, für eine egalitäre Gesellschaft kämpfen sollen. Auch er verbindet mit der jungen Generation große Hoffnungen für einen zukünftigen sozialen Wandel. Doch während Connor vom Erlernen der irischen Sprache als emanzipativen Akt träumt, lehnen es Karis Kinder ab, mit einem irischen Akzent zu sprechen und orientieren sich in ihrer Aussprache am US-amerikanischen Englisch, weil sie sich von den Iren abgelehnt fühlen. Wenn Einwandererkinder noch nicht einmal Englisch mit einem irischen Akzent sprechen wollen, markiert dies einen Akt der Disassoziation, der die Erfolgsaussichten von Connors inklusivem Ansatz einer antirassistischen Sprachpolitik in Form von Irischkursen für Iren und Nicht-Iren eher trübe erscheinen lässt. Kari und ich sitzen derweil erschöpft vor unseren leeren Teetassen und beschließen, unser Gespräch dem Ende entgegenzuführen. Bei mir hat sich eine Irritation aufgrund Karis Analyse der gesellschaftlichen Spannungen in Irland und ihrer Lösungsvorstellung – restriktivere Einwanderungs- und Asylbestimmungen – festgesetzt. Da ich Kari gegenüber bereits meine Meinung kundgetan habe, dass ich diese Hierarchisierung unterschiedlicher Einwanderergruppen für politisch überaus gefährlich halte, taste ich mich nun noch einmal an ihre Argumentation heran: Was geschieht, wenn Irland keinen Verwendungszweck für ausländische Arbeitskräfte mehr hat? Risse dann nicht ihre Argumentationskette, nach der ein leistungsfähiger Einwanderer von Rassismus unbehelligt seinem Leben nachgehen können solle? Was geschieht mit der Distinktion zwischen nutzlosen und nützlichen Migranten, wenn die irische Wirtschaft keine Arbeitskräfte mehr benötigt? Because of the economic boom people have to work here and they need to maintain the level of people who are here. But I insist they are not here because they’re loved but they are here to serve a purpose. Even if you look at the language they use: migrant workers. They are here to work! And that’s it. So, for us, we are here to just work and that’s it. [...] So, I don’t know about other people who will be coming in but for the people who are here already, they are here to serve a purpose but when this purpose is finished I don’t know. I don’t know what the future will bring...

Karis Analyse der irischen Intentionen für die Aufnahme von migrant workers zeugt von einem gewissen Zynismus, der gewiss mit ihrer Migrationserfahrung in Irland zu erklären ist. Bereits am Sprachgebrauch der Aufnahmegesellschaft lasse sich festmachen, welchen Zweck die Gastarbeiter zu erfüllen haben: arbeiten – und sonst nichts. So seien auch keine weiteren Eingliederungsstrategien für Einwanderer und ihre Familien durch den irischen Staat entwickelt worden. Aus den Fehlern anderer europäischer Staaten, wie z. B. der Bundesrepublik, die sich als de facto Einwanderungsland ebenfalls lange dagegen sträubte, ein staatliches Selbstverständnis zu entwickeln, das Sorge für die Bedürfnisse einer von Einwanderung geprägten Gesellschaft trägt, konnte Irland offensichtlich wenig lernen. Dies erscheint

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vor dem historischen Hintergrund noch bedauerlicher, dass in Irland von einer nachholenden Entwicklung im europäischen Kontext die Rede sein muss, in der ein ökonomischer Strukturwandel mit einem Anstieg des Arbeitskräftebedarfs einherging. Da Kari von der Zweckgebundenheit ihrer Anwesenheit überzeugt ist, läuft die Frage, was mit ihr geschieht, wenn Irland keine Gastarbeiter mehr braucht, ins Leere.

ANTIRASSISTISCHE R EAKTIONEN AUF STAATLICHE V ERSÄUMNISSE IN DER I NTEGRATIONSPOLITIK Josef war der einzige der von mir befragten antirassistischen Akteure, der mich ansprach und aktiv als Gesprächspartnerin rekrutierte. Auf einem meiner Ausflüge ins Forschungsfeld begegneten wir uns auf dem Flur einer Nichtregierungsorganisation, die einen humanitär-interkulturellen Ansatz verfolgt und sich insbesondere um marginalisierte Einwanderergruppen wie Asylbewerber und Flüchtlinge kümmert, die der gewaltsamen Verfolgung in ihren Herkunftsländern entkommen konnten. In dem roten Backsteingebäude, in dem die Organisation residiert, herrschte ein reges Kommen und Gehen. An den Wänden hingen Informationsplakate über das Asylverfahren in Irland. Auf den Tischen und Regalen waren Informationsbroschüren über medizinische Leistungen für Flüchtlinge, Sprach- und Computerkurse ausgelegt. Josef fing mich auf dem Flur ab und schenkte mir ein freundliches Lächeln. Auf mein verhaltenes Zurückgrüßen folgten engagierte Fragen nach meiner Herkunft, dem Grund meines Vorortseins und meinem allgemeinen Tagesbefinden. Da ich nach einigen Wochen im Feld über Auszeiten von meiner forschungsbedingten Rolle der ewigen Fragerin inzwischen geradezu begeistert war, freute ich mich über Josefs Interesse und erzählte ihm von meinem Projekt. Umgehend erklärte sich Josef zu meinem nächsten Interviewpartner und legte einen Termin fest, zu dem ich erwartungsfroh erschien. Ähnlich wie bei dem Gespräch mit Kari, hatte ich sofort die untrügliche Vorahnung, dass ich nun nicht nur die Gelegenheit bekommen sollte, meine Fragen loszuwerden, sondern mein Interviewpartner unsere Begegnung sehr bewusst nutzen will, um mir ein paar ausgewählte Botschaften mit auf den Weg zu geben. Unser Treffen hat Josef in dem kleinen Besprechungszimmer der Organisation, für die er seit 2003 tätig ist, angesetzt. Er spricht mit starkem Akzent, hat eine elegante Ausdrucksweise und wählt seine Worte gezielt und mit Bedacht. Wie Kari arbeitet er für eine Organisation, die sich schwerpunktmäßig der medizinischen Betreuung und Aufklärung von Einwanderern widmet. Darüber hinaus bestehen eine Reihe weiterer Angebote: kostenlose Englischkurse, Computerkurse sowie ein Informationsservice über soziale und medizinische Leistungen, die im irischen Sys-

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tem von Einwanderern in Anspruch genommen werden können. Josef erklärt, dass sich alles um „access to services“ dreht: Anyone can come here and get information about anything. So you just come here and then we tell you for health issue, education issue, racism, if they have been discriminated. [...] People who are frustrated they come to us.

Migranten mit Informationsbedarf können sich jedoch nicht nur an die Einrichtung wenden, sondern Josef und seine Kollegen sind auch vor Ort in den sogenannten reception centres, Auffanglager für Neuankömmlinge ohne legalen Status, um dort über die rechtliche Lage von Flüchtlingen und das Asylverfahren zu informieren. Josef hält es für überaus wichtig, nicht nur Anlaufstelle für Migranten zu sein, sondern auch aktiv auf die Klientel zuzugehen. We think it’s also very important because part of their well-being to be in this country is also winning their cases, having refugee status, getting stability. So, we just explain to them what is asylum, what is a refugee, what’s the asylum process, how do you go about in interviews, how do you get your lawyer? How do you reapply for your hearing if you loose your case in the first interview? All legal matters. And one of us is a lawyer which means he will have a legal background. And we have someone with a medical background, a medical doctor. And we are also making a job for health providers, the government because sometimes I think the key component, the most big thing in the life for anybody, for every-day life to succeed is to have the right information, the accurate, the correct information. Once you don’t have such information there’s no way you can succeed. So what we do, we are filling in the gaps what is not provided by the government.

Josef beschreibt, wie wichtig es für jeden Menschen ist, Zugang zu den relevanten Informationen zu bekommen, um sich erfolgreich in der Gesellschaft behaupten zu können. Dies gilt besonders für Menschen mit unsicherem Status, bei denen korrekte Informationen und gute Beratung über Aufenthaltsrecht oder Abschiebung und damit über Leben und Tod entscheiden können. Darüber hinaus erläutert Josef, dass er mit seiner Aufklärungsarbeit einen wichtigen Beitrag dafür leistet, dass diejenigen Informationslücken, die durch staatliche Versäumnisse entstanden sind, gefüllt werden. Allerdings sind Josef und seine Kollegen ebenfalls bestrebt, irische Mitarbeiter bereits existierender Beratungs- und Serviceeinrichtungen mit „kultureller Kompetenz“ auszustatten, die z. B. im medizinischen Bereich von großer Bedeutung ist. Also we reach the mainstream organisations. We do have some talks, presentations with health providers and centres where we have so many immigrants attending the centre. We try to assess the quality of services provided in that centre asking to clients. But also we talk to

304 | UNDOING I RISHNESS health providers to find out the problems and difficulties there are. Obstacles we are encountering every day – how can we overcome them and trying to see what is required so they can be what we call cultural competent. So they can deal with all cultures. And we give information sessions and some kind of training to them. We talked to a group of social workers working in the mental area so to tell them how is mental health perceived by different communities, different cultures.

Wir unterhalten uns eine Weile über die Notwendigkeit, interkulturelle Kompetenz bei irischem Personal zu schulen und über die unzureichende staatliche Informationspolitik, die meine These untermauert, dass bei der politischen Führung Irlands von jeher eine große Zurückhaltung herrscht, wenn es darum geht, sich migrationsund integrationspolitischen Fragen zu stellen. So wurde die Emigration der irischen Bürger in den vergangenen Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts stets zu einer Privatangelegenheit erklärt, und dies diente wiederum der politischen Rechtfertigung der Verweigerung finanzieller Unterstützung für irische Migranten. Diese politische Praxis muss als einer der Gründe gelten, weswegen nach der Umkehrung des traditionellen irischen Migrationstrends die Betreuung von Remigranten und Immigranten sowie staatliche Programme zur Integrationsförderung nur äußerst selten auf die politische Agenda gesetzt werden. Weil sich der Staat selbst aus der Verantwortung nimmt, leistet antirassistische Arbeit einen unverzichtbaren Beitrag, da sie sich nicht nur eines Themas annimmt, das von der offiziellen Politik ohne sichtbares Engagement behandelt wird, sondern auch konkrete Leistungen, wie asylrechtliche Beratung oder medizinisch-psychologische Betreuung, meist kostenlos zur Verfügung stellt. Angesprochen auf dieses Versagen der irischen Regierung hält sich Josef vorerst bedeckt und will sich scheinbar nicht zu einem Statement hinreißen lassen. Doch als ich ihn noch einmal danach frage, ob er nicht Arbeit verrichte, die eigentlich in den Verantwortungsbereich des Staates fällt, entgegnet Josef diplomatisch. I won’t say anything about the government but I think it’s good because they accept it if they couldn’t do it but they are accepting someone else to do it. And I think it’s positive to welcome someone else to do it.

In Bezug auf die staatliche Integrationspolitik bemängeln Kari und Josef, dass nicht allen Einwanderern zügig eine Arbeitserlaubnis erteilt wird. Beide plädieren sehr stark dafür, dass auch Asylbewerbern das Recht auf Arbeit6 zugestanden wird. Im

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Der Generalversammlung der Vereinten Nationen wurden 1966 zwei große Menschenrechtspakte vorgelegt: Der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (Zivilpakt) und der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (So-

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Gegensatz zu Kari begründet Josef seine Überzeugung wesentlich stärker mit seiner eigenen Erfahrung als Neuankömmling in Irland. Er verbrachte zwei Monate in einem Asylbewerberheim, weswegen es ihm heute nicht nur um den Beweis der Leistungsfähigkeit, sondern um die psychische Verfasstheit und Würde des Migranten geht. Zudem flicht er nun doch Kritik am existierenden, teilweise Jahre in Anspruch nehmenden Asylverfahren und an den erheblichen Versäumnissen der staatlichen Integrationsangebote ein. Dabei beklagt Josef, dass offensichtlich Unklarheit darüber herrscht, wann ein Integrationsprozess überhaupt anfängt und dementsprechend begleitet werden muss. I think, talking about integration, the first thing is to define when integration starts. Does integration start the day they arrive in the country? Or does integration start the day you get your refugee status?

Nicht nur vor und während, sondern sogar nach der Bewilligung des Asylantrages sind die Betroffenen auf die Hilfe von Freiwilligen- und Nichtregierungsorganisationen angewiesen. I would welcome that they are given the right to work. Even if it was a temporary work permit for whoever is coming. Because I know it’s very hard. I was an asylum seeker living in a refugee accommodation for two months. And I know how hard it is when you get up, you get your breakfast, you go back to bed, come back at twelve to eat the lunch. It’s like they are telling you that you are useless, that there’s nothing that you can do. The only thing that you can do is beg and get something from us but yourself you can’t stand on your feet. And some people they are living in that stage for four years. So, once someone has been there for four years until they are given refugee status and then say: „Okay, you can now start to work. You can now stand on your own feet.“ But this person is already destroyed. That person will say: „I will sign on and get social money. I can’t work. I can’t wake up in the morning. What is working?“ He has been trained to be useless. The government should change it because the asylum process is very long. For two months it’s okay, I can understand they don’t want people to work, but for two years, three years: No! And I would say integration should be also priority for the government. Because once somebody is given refugee status there’s nobody, nobody to help you. There’s a refugee integration agency, I know they work, they have peo-

zialpakt). Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International rücken die sogenannten wsk-Rechte seit einigen Jahren verstärkt in den Fokus ihrer Aktivitäten. Das Recht auf Arbeit ist ein Menschenrecht, das freien Zugang zum Arbeitsmarkt, freie Berufswahl und faire Arbeitsbedingungen und Entlohnung gewährleisten soll. Vgl. Amnesty International (Hrsg.): Human Rights for Human Dignity. A Primer on Economic, Social and Cultural Rights, London 2005, S. 24-25.

306 | UNDOING I RISHNESS ple – but is it accessible? Can we say that everyone knows about it? From the community where I come from working with minority ethnic groups, refugees and asylum seekers if you ask them: „Where do you get integration? What is the refugee integration agency doing?“ – „I’m sorry. I don’t know what it is.“ So, people who get refugee status they are just left on their own. They don’t know where to go! And then they have to start over and over. Having a 7

doctor whoever, we tell him you have to go to FÁS to register and they will give a training for six months. Integration is also bringing back your own dignity. So you have done this before, can we build upon what you have? It’s not to start your life again and you go learn how to cook and be a chef while you are specialist in a certain field in medicine! – So integration should be looked at in some way promoting for those who have the right to stay in the country help them to use their skills. So, tell somebody to help them just soon after they have refugee status so they can just have choices. To be introduced in the system, to have a tutor, someone who tells you: you can do this, you can do that. But there’s no such body doing it. There’s no such organisations. Perhaps there are some voluntary organisations but they don’t have enough means or skills to do it. So there’s something lacking. So, everyone who’s given refugee status it’s like: „Bye-bye! We don’t deal with you!“

Josef findet recht drastische Worte, um die zerstörerische Wirkung des Asylprozesses auf das Individuum zu unterstreichen. So legt er dar, dass bei der Integration von Einwanderern nicht bloß arbeitsmarktpolitische Erwägungen zählen sollten, sondern auch die Würde des Menschen. Das von einem schwarzen Redner auf einer Antirassismusdemonstration ausgerufene „We want to contribute!“ erscheint nach diesen eindringlichen Schilderungen Josefs in einem gänzlich anderen Licht. Es geht eben auch darum, das Gefühl entwickeln zu können und zu dürfen, auf eigenen Beinen stehen zu können, nicht auf staatliche Sozialleistungen angewiesen sein zu müssen und sein Leben selbstbestimmt als gleichberechtigtes Mitglied der Gesellschaft gestalten zu können. Mit ihrer Forderung nach der Anerkennung von beruflichen Qualifikationen der Einwanderer, um unnötige Hürden im Integrationsprozess zu vermeiden, beziehen Kari und Josef eine identische Position. Josef ist ausgebildeter Arzt und kann seine medizinische Expertise in sein irisches Berufsleben einfließen lassen. Er berücksichtigt eher die Perspektive der Betroffenen, wohingegen Kari wesentlich stärker die Perspektive bzw. Erwartungshaltung der Aufnahmegesellschaft antizipiert.

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Das irische Äquivalent der Arbeitsagentur.

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M IGRANTISCHE AKTEURE : M EDIATOREN DER S OLIDARISIERUNG Josef und Kari unterstreichen beide die besondere Funktion, die Menschen, die selbst von Rassismus betroffen sind bzw. das Asylverfahren durchlaufen mussten, in der antirassistischen Szene erfüllen können. So betont Kari die Notwendigkeit einer kritischen Distanz zur individuellen Rassismuserfahrung, die es ihr ermögliche, als Mediatorin zwischen Schwarz und Weiß aufzutreten. Josef hingegen betrachtet es als absolut folgerichtig, dass er heute in der antirassistischen Flüchtlingsarbeit tätig ist, weil seine Erfahrungen als ehemaliger Asylbewerber ihn zu einem kompetenten Verhalten gegenüber Migranten befähigt, die nicht selten unter erheblichem psychischen Druck stehen. Zudem reagieren Einwanderer auf Josef aufgrund seiner Lebensgeschichte wesentlich vertrauensvoller und unvoreingenommener als auf Iren. We use what we call peer-led approach. What is a peer? A peer is somebody who lived the same situation, has the same experience as you as a client and who can now use his own experience and give advice and information. Peer-led education. When we go there we don’t say „I’m a doctor!“ It’s not a thing that we put in front. We put in front: „We have been in the same system. We went through the whole process. We lived in reception centre like you. Everything! And now we are here. We know everything about how these things work. This is what happened to me.“ So, we just calm people down. And then when we tell them we were in the same system it’s like „Oh, these people they can listen to us! They know how hard it is.“ But if you bring in an Irish they will never just trust. But they always want to tell us everything because they feel they trust us. They are calling us. They come to our office. Sometimes when they see us on the street they just say „Ah, guys, you know, that information you gave to us....“ So, it’s a peer aid. Learning from their experiences, too. I’m getting something every day. Learning from peoples’ experiences. Even though I have my own experience to give but I think they give me more than I give. And when I combine what they did from every individual I know all kind situations and scenarios now which can happen. And now whoever is coming to me when he is telling me his scenario I know what’s the solution!

Josef ist von den Vorzügen der peer-led education überzeugt. Dieses pädagogische Konzept der gegenseitigen Unterstützung und Hilfe findet in den letzten Jahren zunehmend Anwendung im interkulturellen Bereich. Die Peergroup kennzeichnet Menschen mit ähnlichen Erfahrungswerten, die als kompetente Partner im Integrationsprozess agieren können. Während Kari ein großes Bedürfnis hat, sich von den „other black people“ abzugrenzen und ihre Leistung der kritischen Reflexion des rassistisch Diskriminiertwerdens, die sie nicht allen schwarzen Einwanderern zuspricht, unterstreicht, verzichtet Josef auf verbale Abgrenzungsmanöver. Er will

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nicht als Respektsperson auftreten, die ihrer Klientel etwas voraus hat, sondern als verständnisvoller Ansprechspartner, der die Lebensrealität der Migranten versteht, da es seine eigene ist oder zumindest war. Im Gegensatz zu Karis Äußerungen über andere Einwanderer spricht aus Josefs Worten eine gleichberechtigte Herangehensweise, mit der er sich nicht von anderen Migranten distanziert, sondern sie als ebenbürtige Experten für den Integrationsprozess akzeptiert. Ihm geht es nicht darum, seine besonderen Fähigkeiten hervorzuheben, sondern sich in einen solidarischen Prozess zu begeben, in dem er unterstützend und beratend tätig wird und gleichzeitig durch die Erfahrungswerte anderer seinen Horizont erweitert und damit seine Beratungskompetenz erhöht. Erneut betont Josef die migrantische Perspektive auf irische Ereignisse, wenn er über die Möglichkeiten und Bedingungen antirassistischer Arbeit in Irland referiert. Während für Kari das Staatsbürgerschaftsreferendum lediglich die „anderen Einwanderer“ betrifft und von ihr in einem größeren Kontext einer restriktiveren, laut Kari verbesserten, Migrationspolitik der irischen Regierung gedacht wird, die letztlich zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen der sich bereits in Irland befindlichen Migranten führen werde, bewertet Josef das Referendum äußerst negativ. Dabei geht es ihm weniger um dessen Auswirkungen auf den irischen Antirassismus und seine Akteure, sondern vielmehr um den Schock für die betroffenen Immigranten. Das politische Klima und das Verhältnis zwischen Iren und Einwanderern seien seither schwer belastet. I think the citizenship referendum had a very big and negative impact on the asylum seekers’ thinking and the refugees’ thinking and the immigrants’ thinking because if they thought that Irish people were very welcoming, very friendly. They never thought that the referendum would turn out like this. In some areas it was more than 87% percent. And I would say the situation has changed so much since the early 2000s. There would be so many racial discrimination or attacks. The media was targeting asylum seekers who were coming to this country as spongers. They were spreading very wrong information: that they were getting money to buy cars, cheques from the health board, they would get everything on a plate, whatever. But we’re also trying to dispel such wrong information. To say that it’s not this way. Refugees are treated in the same way as the Irish. (schmunzelt) It’s even much more harder for asylum seekers because sometimes social workers who are dealing with them don’t understand everything. But the situation is not as bad. Yes, the referendum was approved: whoever is born here will no longer be a citizen or have a refugee status. But I don’t think it changed a lot on the life of people who are still living here. Because – maybe, yes, some people they think „Yeah, this people, we can get rid of them anytime we want.“ But the law is protecting refugees. Whoever has a strong case, can approve it, is to be given refugee status. Of course the numbers of asylum seekers claiming asylum now has dropped since that time. Mentally, on an individual level, yes, in this country maybe a big number of people are racist, maybe a big number of people really don’t like us being here.

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Josef betrachtet die Auswirkungen des Referendums im Zusammenhang mit der allgemeinen Stimmungsmache gegen Asylbewerber und Flüchtlinge, die vor allem von den irischen Medien vorangetrieben wird, die Einwanderer als Sozialschmarotzer und illegitime Nutznießer des irischen Sozialsystems darstellen. Die Mythen, die sich um die angebliche Versorgung von Migranten mit sozialen Sonderleistungen (kostenlose Mobilfunktelefone, Autos, Kinderwagen) ranken und von Politikern besonders auf lokaler Ebene instrumentalisiert werden, betrachten viele Antirassisten als besonders hartnäckige Hindernisse im Kampf gegen planmäßige Desinformation und rassistische Propaganda. Josef differenziert zwischen staatlicher und „mentaler“ Ebene. Obwohl er vielen Iren eine rassistische Haltung zuschreibt, setzt er auf die Rechtssicherheit für Asylbewerber, die durch die Bindung der Behörden an die herrschende Gesetzgebung gewährleistet sei. Weiterhin lehnt Josef die Vorstellung der Existenz unterschiedlicher „Menschenrassen“ ab. Für ihn ist Rassismus ein politisches Instrument zur Diskriminierung von Menschengruppen, denen ein besonderes Merkmal zugeordnet wird, welches Josef in letzter Konsequenz für beliebig hält. For me there’s only one race, the human race. Racism is political, it can’t be scientific. So, it’s a way of, a tool used to discriminate against other people. Using anything, could be nationality, could be colour… So, it’s very important sometimes to think about it as using differences to discriminate others. And sometimes people don’t have enough information or just because people they are afraid of newcomers. What will happen? They feel like they’ve been invaded. They would fear a lot of us to come. So, it’s ignorance to me. And it’s like political ignorance. And fear of people with differences.

Im Gegensatz zu Josef, der Rassismus als ideologische Konstruktion beschreibt, die wegen der Beliebigkeit der Ausgrenzungskriterien einen fluiden Charakter hat und jeglicher wissenschaftlicher Grundlage entbehrt, illustriert Karis Rassismusdefinition die Dichotomie ihres Denkens, in dem Schwarz und Weiß strikt separiert werden. Unbedingt zu bedenken ist, dass diese dichotome Wahrnehmung im Zusammenhang mit Karis überaus negativen alltagsweltlichen Erfahrungen im weißen Raum einer europäischen Gegenwartsgesellschaft vermutet werden muss. My understanding of race is you have black race and white race. There is nothing that can change that. But it’s also how you perceive me as a black person and how I perceive you as a white person. I just look at you and see a white person. Whatever I get from you is how I’m gonna take you. If I look at you and say because she’s white so she hates me that’s a misconception on my part. Or if people see a black person and just assume a black person cannot speak English or a black person is just not good enough for them. For me that’s racism.

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Für Kari stellt der Antagonismus von Schwarz und Weiß eine unumstößliche Tatsache dar. Sie ist die einzige der von mir befragten Personen, die eine Rassismusdefinition liefert, in der ich als ihr weißes Gegenüber einbezogen werde: „I just look at you and see a white person.“ Wieder gilt es, die entindividualisierende Wirkung der rassistischen Determinante Hautfarbe auszuhalten, wenn ich als Rassismusforscherin weiter im Gespräch mit jemandem bleiben will, der zutiefst davon entsetzt und gekränkt ist, wegen seiner dunklen Hautfarbe permanent von Hellhäutigen diskriminiert zu werden. Kari geht es darum aufzuzeigen, dass die Hautfarbe desjenigen Menschen, dem man gegenübertritt, zentrales Merkmal für seine Beurteilung ist – und das bekomme ich folglich während der Begegnung mit ihr zu spüren. Allerdings macht Kari stets einen Unterschied zwischen „rassistische Vorurteile haben“ einerseits und „rassistische Vorurteile ausleben“ andererseits, was sich an Kommentaren wie „They don’t actually show their prejudice if they have.“ oder: „For me that’s racism: having a negative idea about somebody and really acting on it.“ zeigt. Rassistisches Denken allein konstituiert für Kari nicht Rassismus. Erst wenn rassistisches Handeln hinzukommt, sieht sie den Tatbestand „Rassismus“ erfüllt. Das erinnert an Josefs Argumentation, nach der es nicht so wichtig ist, ob viele Iren „mentally“ rassistisch eingestellt sind, solange die Gesetzgebung funktioniert und sich die irischen Behörden an die eigenen Antidiskriminierungs- und Asylgesetze halten. Der Glaube an die Kraft von Gesetzen tritt auch in Josefs Nachdenken über die Motivation für sein politisches Engagement zutage. Den Menschenrechten misst er eine besondere Bedeutung zu. Für ihn sind sie ein wichtiger Referenzpunkt seiner politischen Selbstverortung. My most motivation comes from what I believe and what I stand for. I really stand for human rights. I just think everyone should be given his own right. Always when somebody is not given then basic to live as an individual I feel very bad. People should be given what they are entitled to but also they should be respected for who they are because we don’t chose to be black or to be whatever colour we have. So, they happen to be whoever they are so they should be treated in the same way as others. So, I believe in this. Also I believe in the harmony, in the dignity of the individual because people should not be changed to suit others. Sometimes we can’t change. We have different believes, different ways of living. My other motivation comes from my background because I suffered myself from a lack of information; maybe sometimes I was misinterpreted or discriminated. So I’m raising awareness and trying to correct what happened to me so that it doesn’t happen to others. I feel like I’m doing something very positive and that is what keeps me going. My motivation comes from like when we do things, when I give motivation to people they can change something in their life and this motivates me so much that I go again and do it again so that people can get more information, people can change. And again and again and again. So this is where my motivation lies and where it comes from.

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Neben der positiven Bezugnahme auf die Menschenrechte ist Josefs antirassistische Praxis, die sowohl politischen als auch alltagsweltlichen Charakter hat, maßgeblich geprägt von seinen individuellen Erfahrungen als Asylbewerber in Irland, die ein weiteres wichtiges Handlungsmovens darstellen. Die zwei Monate in einem irischen Asylbewerberheim sind das Schlüsselerlebnis, auf dessen Auswirkungen für sein Handeln in der Flüchtlingsarbeit und für seine Haltung gegenüber anderen Immigranten Josef wiederholt rekurriert. Zudem sind viele Immigranten in ihren Integrationsversuchen wesentlich eher geneigt, sich jemandem gegenüber zu öffnen, den sie für einen legitimen Vertreter migrantischer Interessen halten. Hier ist Josef also auch in der Lage, als Mediator zwischen unterschiedlichen Migrantengruppen bzw. Migranten und der irischen Gesellschaft zu wirken. Da Josef im Verlauf des Interviews sehr gezielt Themen setzte und mich auf bestimmte Probleme hinwies, frage ich ihn am Ende unseres Gespräches, ob er mir noch etwas, das er für besonders wichtig hält, abschließend sagen möchte. Mein Gegenüber muss nicht lange nachdenken, und hält aus dem Stehgreif ein leidenschaftliches Plädoyer für die migrantische Selbstorganisation und Vertretung. I think when it comes to integration it means also sometimes people should be given the right to work for themselves. Members of a community, they know their problem better than anyone else, more than any researcher, more than any skilled or highly skilled person, and it’s not good somebody can come and they tell you: „Oh, I think you should!“ It’s very tight. It’s you wearing the shoe! It’s very tight. Argh. And you know what kind of shoe you’re gonna buy next. You can add another small centimetre or millimetre and you know how to use it. So, I think people from communities should be used, should be enabled to work for their own communities. And the second thing that I would like to say, integration comes with also accepting people everywhere which means people should be encouraged, enabled to be everywhere: in army, in police, in hospitals, wherever. People should be represented everywhere. People should be enabled, encouraged and the government should encourage these things so that people can work everywhere. Of course integration is not only to be in a good relationship with your neighbour, it’s being able to know where to get your medical card, where to go to school, whatever. It’s also assistance so that they can be part of civil and political life of Irish society. They should be given this opportunity to be everywhere. So, in this way they can just contribute. We have skilled people, we know how to change things. Irish society in the future I think if we are working this way we can build a good society. So the government should support it, and to have the representatives of minority communities everywhere.

Josef und Kari benutzen beide die Schuh-Metapher, um das antirassistische Kapital ihres spezifischen Erfahrungswertes zu verdeutlichen. Feststellungen wie „It’s you wearing the shoe!“ oder „They have never been in those shoes.“ zeigen an, dass die Angehörigen der weißen Mehrheitsgesellschaft ihres Aufnahmelandes nicht wissen, wie es sich anfühlt, rassistisch diskriminiert zu werden. Die idiomatische Redewen-

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dung „being in someone else’s shoes“ wird ins Deutsche pikanterweise mit „in jemandes Haut stecken“ übersetzt. So drängt sich die Frage auf, wie wichtig es für die politische Arbeit ist, sich in jemandes Lage versetzen zu können. Empathiefähigkeit aufgrund ähnlicher Erfahrungshintergründe scheint hier ein Schlüssel zur gelungenen Einbindung und Aktivierung von Migranten durch Migranten zu werden. Weder problematisiert Josef den Erfahrungswert des rassistisch Diskriminiertwerdens noch betrachtet er ihn als ein zweischneidiges Schwert. Im Gegensatz zu Kari bewertet er ihn als einen Garant für die Entwicklung wirksamer Integrationsstrategien. Er plädiert stark dafür, dass den Erfahrungen und Forderungen migrantischer Akteure zukünftig wesentlich mehr Gewicht beigemessen werden sollte. Zwar ist sich auch Josef der Voreingenommenheit von Migranten gegenüber Vertretern der irischen Mehrheitsgesellschaft bewusst, er sieht in ihr jedoch keine Hypothek, sondern eine nachvollziehbare und verständliche Reaktion auf soziale Hierarchien. Josef geht in seiner Argumentation noch weiter: Für ihn sind die Immigranten die wahren Experten für ihre Lebenssituation und den Integrationsprozess. Keine Forscherin, die sich mit der Thematik befasst, keine noch so gut ausgebildete Person sollte sich als Expertin und Autorität gegenüber Menschen aufspielen, die sehr wohl in der Lage sind, ihre Bedürfnisse zu formulieren und für sie zu kämpfen. Gegen das Prinzip des erhobenen Zeigefingers sieht Josef seine Aufgabe darin zu zeigen, dass man auch als Immigrant in der irischen Gesellschaft „ankommen“ kann, dass es in Irland rechtliche Grundlagen und dementsprechende Möglichkeiten gibt, einen Start in ein neues Leben zu bewerkstelligen, und dass in einem solidarischen Miteinander migrantischer Erfolg erreicht werden kann, sodass auch die irische Aufnahmegesellschaft von den Fähigkeiten der Einwanderer profitieren kann. Die von Josef in ihre Schranken verwiesene Forscherin schaltet ihr Aufnahmegerät aus, bedankt sich und geht.

T RAVELLER

IM IRISCHEN

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Bei aller Vehemenz der rassistischen Diskriminierung von Menschen mit dunkler Hautfarbe darf keineswegs der Eindruck vermittelt werden, Rassismus existiere in Irland einzig und ausschließlich gegenüber Schwarzen. Dies würde der Behauptung Vorschub leisten, dass bei Entfernung aller nicht-weißen Personen von der Insel, Irland wieder automatisch eine rassismusfreie Zone werde. Doch wie bereits erwähnt, bedarf es für den Rassismus gegenüber schwarzen Menschen nicht deren Zugegensein, genauso wenig wie Antisemitismus die Anwesenheit von Juden benötigt. Zudem gehört die ideologische Konstruktion, dass es vor der Ankunft von Einwanderern in den 1990er-Jahren kein Rassismusproblem in Irland gegeben habe, zum Selbstverständnis vieler Iren. Dem entgegenzuwirken und die Tradition rassis-

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tischer Ideologien und Praxen in Irland aufzuzeigen, wurde zu einem integralen Bestandteil des antirassistischen Kampfes. Traditionelle Objekte des irischen Rassismus, der untrennbar mit der Geschichte des irisch-katholischen Nationalismus verknüpft ist, sind Juden, Protestanten und Traveller. Bei den Travellern handelt es sich um eine indigene nicht-sesshafte Bevölkerungsgruppe, die zwar gelegentlich auch als gypsies, also „Zigeuner“, bezeichnet wird, aber nicht mit den Roma oder Sinti verwechselt werden darf.8 In ihrer Selbstbeschreibung betonen Traveller ihre spezifische Kultur, die sie von der irischen Mehrheitsgesellschaft unterscheidet: Travellers are an indigenous minority, documented as being part of Irish society for centuries. Travellers have a long shared history and value system which make them a distinct group. 9

They have their own language, customs and traditions.

Traveller sind vielen sesshaft lebenden Iren bis heute überaus verhasst und werden seit Generationen massiv gesellschaftlich ausgegrenzt und innerhalb rassistischer Diskurse als minderwertige und parasitäre Bevölkerungsgruppe klassifiziert. Ähnlich wie bei schwarzen Immigranten, die kollektiv als „Asylanten“ abgestempelt werden, ist Sozialdarwinismus ein integraler Bestandteil des rassistischen AntiTraveller-Diskurses. Von Politikern und Medien werden sie als deviante und gefährliche Unterklasse gebranntmarkt, die es sich in der „Hängematte“ des irischen Sozialstaates auf Kosten der sesshaften Bevölkerung gemütlich macht.10 Als die Traveller in den frühen 1960er-Jahren erstmalig in das Blickfeld der staatlichen Sozialpolitik gerieten, bestand diese im Wesentlichen aus dem Versuch, sie zu assimilieren, das heißt zur Sesshaftigkeit zu zwingen. Diese Sozialkontrolle in Form einer Assimilierungspolitik ist Ausdruck der nationalistischen Homogenisierungsbestrebungen und Teil des staatlichen Rassismus, dem die Traveller seither ausgesetzt sind. Die Leugnung der Existenz des Anti-Traveller-Rassismus hat eine jahrzehntelange Tradition. Die überwiegende Mehrheit in Irland wollte sich der Traveller entledigen und diese Störenfriede kultureller Hegemonie „unter den nationalen Teppich“ kehren.11

8

Laut CSO leben derzeit knapp über 20 000 Traveller in der Republik Irland. Damit stellen sie 0,5 % der Gesamtbevölkerung. CSO: Statistical Yearbook of Ireland 2007, S. 10.

9

http://www.paveepoint.ie/pav_culture_a.html (11.05.2009)

10 Fanning: Racism and Social Change, S. 136. 11 So kann es nicht verwundern, dass zu den Gegnern der Assimilationsbestrebungen nicht nur zahlreiche Traveller gehören, sondern sich die Gemeinden, in denen Siedlungsprojekte gestartet werden, vehement gegen die Anwesenheit von Travellern wehren. Vgl. Fanning: Racism and Social Change, S. 144.

314 | UNDOING I RISHNESS When the Government established the Commission on Itinerancy in 1960, many people were vaguely of the opinion that its purpose was to find ways and means of getting rid of the nui12

sance of itinerancy, or at least of sweeping it under the national carpet.

Aufgrund der sich fortsetzenden massiven Ausgrenzung und Benachteiligung von Travellern begannen in den 1970er-Jahren Organisationen aus dem Communityund Freiwilligen-Sektor, die Versäumnisse der Politik anzuprangern und sich für die Bedürfnisse der Traveller-Community einzusetzen. Doch staatliche wie auch nicht-staatliche Reaktionen auf die Existenz einer mobilen Minderheit in Irland waren zu allen Zeiten charakterisiert durch Paternalismus.13 Erst zu Beginn der 1980er-Jahre schalteten sich die Traveller selbst in die politische Diskussion ein. Damals formierten sich Traveller-Gruppen, die versuchten, gegen die flächendeckende Diskriminierung ihrer Bevölkerungsgruppe vorzugehen. Sehr bald jedoch ging es dabei nicht mehr nur darum, Traveller-Interessen durchzusetzen, sondern für eine inklusivere irische Gesellschaft, das heißt für Solidarität, die Anerkennung kultureller Diversität und gegen Rassismus zu kämpfen.14 Deswegen stand für mich seit Beginn meines Forschungsprozesses fest, dass die Traveller und ihre Bedeutung für die antirassistische Szene nicht hoch genug eingeschätzt werden können. So arrangierte ich also ein Interview mit Pavee Point Travellers Centre, einer der aktivsten Traveller-Organisationen mit Sitz in Dublin, die für die staatliche Anerkennung der Traveller als ethnische Minderheit kämpft. Die Frage, ob den Travellern der offizielle Status einer ethnischen Minderheit eingeräumt werden soll, sorgt seit Jahren für heftige Kontroversen. Dabei geht es nicht nur um den Ethnizitäts-Status an sich, sondern auch um eine Hinterfragung der Legitimität dieser zentralen Forderung der Traveller. In diesem Zusammenhang wird das gewiss bedenkenswerte Argument vorgebracht, dass der Status als ethnische Minderheit keine Garantie für die zukünftige Berücksichtigung der Bedürfnisse der Traveller innerhalb der irischen Gesellschaft darstellt.15 Pavee Point nimmt ganz dezidiert auf diese Kritik Bezug und stellt klar, dass der Grund für die Forderung nach Anerken-

12 Fehily, Thomas: Preface, in: Bewley, Victor (Hrsg.): Travelling People, Dublin 1974, S. 6. 13 Fanning: Racism and Social Change, S. 141. Erst in den letzten Jahren gelang es einigen nicht-staatlichen Organisationen, ihre paternalistische Haltung zu überwinden und die staatlich geforderte Zwangssesshaftigkeit zu hinterfragen. 14 Pavee Point Travellers Centre (Hrsg.) : Pavee Point Strategic Plan 2001-2005, Dublin 2001, S. 9-10. „The Traveller movement has been integral to establishing Irish antiracism.“ Lentin: Racism and Anti-Racism in Europe, S. 151. 15 Vgl. The Equality Authority (Hrsg.): Traveller Ethnicity. An Equality Authority Report, Dublin 2006, S. 56. Hier wird vermerkt, dass die Traveller auf der rechtlichen Grundlage ihrer irischen Staatsbürgerschaft für Gleichberechtigung eintreten sollten.

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nung als ethnische Minderheit keineswegs der Wunsch nach einer hervorgehobenen Sonderstellung der Traveller ist, sondern das Bestreben, der staatlichen Diskriminierung ein Ende zu setzen und „adequate and culturally appropriate“ Angebote zu erwirken.16 In einem frühen Beitrag mit dem Titel „The Travelling People. Racialism in Ireland“ wird die soziale Exklusion der Traveller beklagt und sogar mit der rassistischen Haltung der Bostoner Iren in den 1970er-Jahren und dem Apartheid-Regime Südafrikas verglichen.17 Außerdem lässt sowohl die Erfahrung der Traveller als auch die sie bestimmende staatliche Traveller-Politik Rückschlüsse auf die Lebensbedingungen von Mitgliedern der neuen Einwanderergemeinden zu. Insbesondere die räumliche Verdrängung im Rahmen einer umfassenden rassistischen Diskriminierung der heutigen Asylbewerber, die in speziellen Heimen untergebracht werden, minimale Bargeldbeträge zugewiesen bekommen, keinen Anspruch auf Sprachkurse und berufliche Integrationsmaßnahmen haben, erinnert an die historische Erfahrung der Traveller: Interaktion mit der irischen Mehrheitsgesellschaft wird in diesem System so gut wie unmöglich gemacht. Auch hier zeigt sich das historische Desinteresse für die Belange der Traveller, das sich aktuell in einem äußerst schleppenden Engagement für marginalisierte Einwanderer und Asylbewerber fortsetzt.18 Pavee Point versucht seine politischen Ziele mit Verweis auf die Allgemeingültigkeit der Menschenrechte und mit Hilfe der Prinzipien des community develop-

16 Hier geht es vor allem um Chancengleichheit im Bildungsbereich, Zugang zur medizinischen Versorgung und staatlichem Wohnungsbau. Pavee Point Travellers Centre (Hrsg.): Irish Travellers Shadow Report. A Response to Ireland’s First and Second Report on the International Convention on the Elimination of All Forms of Racial Discrimination (CERD), Dublin 2005, S. 36. 17 In den 1970er-Jahren kam es zu heftigen Protesten von Irisch-Amerikanern gegen die Aufhebung der „Rassentrennung“. Vgl. Wren, Maev-Ann: The Travelling People. Racialism in Ireland, in: Hederman, Mark Patrick.; Kearney, Richard (Hrsg.) The Crane Bag Book of Irish Studies, 1977-1981, Dublin 1982, S. 756, zitiert nach: The Equality Authority (Hrsg.): Traveller Ethnicity. An Equality Authority Report, Dublin 2006, S. 15. In dem Bericht der Equality Authority findet sich auch eine detaillierte Darstellung der wissenschaftlichen Diskussion zur Frage, ob die Traveller eine ethnische Minderheit bilden, die bis auf wenige Ausnahmen durch die wissenschaftlichen Forschung bejaht wird. Ebd. S. 43-60. Auf semantischer Ebene schlug sich der Streit um diese Frage in einer Großschreibung von „Traveller“ durch die Befürworter einer Anerkennung von Traveller-Ethnizität nieder, während ihre Gegner mit einer Kleinschreibung desselben Wortes diesen Anspruch zu konterkarieren versuchten. Vgl. Fanning: Racism and Social Change, S. 158. 18 Fanning: Racism and Social Change, S. 172-173.

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ment, das sich gegen soziale Ausgrenzung wendet und eine emanzipative politische Vision verfolgt, durchzusetzen. Der von Josef favorisierte peer-led approach wird auch von Pavee Point als bevorzugte Methode erachtet.19 In Pavee Point arbeiten Traveller und Angehörige der irischen Mehrheitsbevölkerung Hand in Hand für ein Ende von rassistischer Diskriminierung und sozialer Ungleichheit. Aideen, die Sprecherin der Organisation, die selbst der Traveller-Community angehört, berichtet über die Anfänge von Pavee Point und den Bedingungen von Selbstorganisation von Travellern in Irland. Dabei kritisiert sie die staatliche Assimilierungspolitik sowie die paternalistische Haltung kirchlicher Wohlfahrtsorganisationen. You don’t come in and take over and problemise somebody’s identity. You let them blossom and you embrace their empowerment. And Pavee Point was set up by Travellers and settled people. No Traveller was in charge in the past. Also the difference with Pavee Point was we weren’t a service provider. We were looking at self-determination, personal development, life skills, gender roles. So, this was very different. It wasn’t a social work approach. It wasn’t giving Travellers money, food, clothing. It was about empowerment and that was how it started, and it was a very radical idea in Ireland at the time that people have rights but they also have autonomy and you don’t go in and take over.

Bis in die 1990er-Jahre war es für viele politische Entscheidungsträger völlig undenkbar, dass Traveller tatsächlich auch so etwas wie eine eigene Meinung entwickeln könnten, weswegen eine formale Konsultation von Travellern lange Zeit weder diskutiert noch praktiziert wurde.20 In Aideens Worten klingen ganz deutlich die Ideale des community development an, in dem sich die Traveller verstärkt engagierten21 und das Hilfe zur Selbsthilfe einer rein wohlfährtigen Praxis vorzieht. Die Persönlichkeitsstärkung des Individuums steht im Vordergrund, um es politisch zu aktivieren und somit gesellschaftlichen Wandel durch collective action möglich zu machen. Pavee Point sprengt mit seinem politischen Anspruch, wie er im Anti-Racist Code of Practice (antirassistischer Verhaltenskodex) der Organisation festgelegt wird, den Rahmen einer reinen Traveller-Interessenvertretung, da Pavee Point Rassismus in der irischen Gesellschaft auf individueller und institutioneller Ebene zu einem Schlüsselthema erhebt: As a Traveller organisation Pavee Point defines itself as Anti-Racist. [...] We challenge all forms of racism and act in solidarity with all Black and minority ethnic groups. [...] We seek

19 Pavee Point, Eastern Health Board (Hrsg.): Primary Health Care for Travellers Project (Faltblatt), Dublin, o. J. 20 Fanning : Racism and Social Change, S. 140. 21 Ebd. S. 142.

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to resource the majority population in a manner that contributes to the emergence of an intercultural and anti-racist society. [...] We recognise the importance of addressing the interface between racism and sexism.

22

Vor allem der letzte Punkt lässt mich aufhorchen. Schließlich hatten sich im Feld immer wieder meine Vermutungen bestätigt, dass die Verknüpfung von Rassismus und Sexismus auch zu Konsequenzen in den politischen Praxen der Szeneakteure führt. Pavee Point setzt die Existenz unterschiedlicher Diskriminierungsformen in seiner Schwerpunktsetzung um, zu der neben Bildungsarbeit und Armutsbekämpfung auch das Programm „Violence Against Women“ gehört, das sich mit der Mehrfachdiskriminierung von Frauen, die zur Traveller-Community gehören, befasst. Der Intersektionalität unterschiedlicher Unterdrückungsformen wird weiterhin Rechnung gezollt, wenn Pavee Point feststellt: Traveller women experience triple discrimination – discrimination as women, discrimination as Travellers and discrimination as Traveller women. [...] Like women from other minority ethnic groups, Traveller women experience an intersection of a number of oppressions and experience both racism and sexism.

23

Das Ziel der Arbeitgruppe „Violence Against Women“ ist es daher, ihrer Kultur gemäße (culturally appropriate) Angebote für Frauen der Traveller-Community zu entwickeln. Aideen ordnet die spezifischen Bedürfnisse von Traveller-Frauen in einen größeren Kontext der Problemsituation von Frauen, die zu ethnischen Minderheiten gehören, ein. Auffällig ist, dass Aideen als hellhäutige Angehörige der Traveller-Community nicht nur eine Abgrenzung zur sesshaften, sondern zur weißen sesshaften Mehrheitsbevölkerung vornimmt. Services were only for white settled people. So I suppose if you look at that context of ethnic minority women, whether they are Travellers, Roma, Gypsy, Asian, they have their own strategies of managing and responding to violence. [...] We need our own space to find a way of challenging our own ideas of gender roles in the community. But also need service providers to understand all women aren’t the same. Women have many different needs and often service provision really only stood up for one kind of women.

22 Pavee Point (Hrsg.): Anti-Racist Code of Practice, Dublin, ohne Datum. Für die interne Praxis von Pavee Point sieht der Codex vor, dass sämtliche Mitarbeiter – vom Praktikanten zum Vollzeitangestellten – über ein „understanding of the anti-racist commitments of the organisation“ verfügen. 23 http://www.paveepoint.ie/fs_women_a.html (12.05.2009)

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Das Ziel, (inter-)kulturelle Kompetenz zu fördern und darüber hinaus an die weiße irische Mehrheitsgesellschaft weiterzuvermitteln, wird so auch von Josef betont und schlägt sich außerdem im antirassistischen Verhaltenskodex von Pavee Point nieder: Die irische Mehrheitsbevölkerung soll mit Informationen und Konzepten versorgt werden, die zur Entstehung einer nicht-rassistischen Gesellschaft in Irland beitragen. Außerdem argumentiert Aideen analog zum progressiven irischen Feminismus, der eine Anerkennung der Diversität der irischen Frauenerfahrung fordert und den Mythos einer kulturellen und ethnischen Homogenität der irischen Gesellschaft infrage stellt. Die Zerstörung dieses Mythos erscheint als Schritt auf dem Weg zur Inklusivität der irischen Gesellschaft, wobei die Öffnung der irischen Gesellschaft eng mit einer Öffnung der Kategorie Irishness verbunden ist.

COLOUR DISCRIMINATION VERSUS POLITICAL BLACKNESS Doch wie geht es den Travellern seit Irland vom Auswanderungs- zum Einwanderungsland wurde? Wie haben sich andere Symptome des „Keltischen Tigers“ auf die Traveller und ihre Bemühungen um antirassistische Strategieentwicklung und eine inklusive irische Gesellschaft ausgewirkt? Aideen interveniert und setzt zu einem längerem Redebeitrag an, in dem sie eingangs unterstreicht, wie wichtig es ist, dass rassistische Traditionen der irischen Geschichte aufgedeckt und ihre Wirkung auf die gegenwärtige Situation offengelegt werden. Dies ist ein Seitenhieb auf die von Medien und Politik propagierte Darstellung, die suggeriert, dass kulturelle Diversität und gesellschaftliche Pluralität Phänomene sind, die erst mit der Umkehrung des traditionellen irischen Migrationstrends seit Ende der 1990er-Jahre in Irland Einzug hielten und die Ursache des seither grassierenden Rassismus seien. Während Aideen zuvor die Traveller in einem Atemzug mit anderen ethnischen Minderheiten in Irland genannt hat, stellt sie nun einen weltweiten Zusammenhang zwischen Travellern und anderen indigenen ethnischen Minderheiten her, wie z. B. den australischen Ureinwohnern, den Aborigines. There’s two or three things I’d like two say. Currently, at the moment in Ireland there is two different things going on. First of all we are told we live in a multicultural society, that this is only recent. Travellers have been here a long time, so have Jewish people, so have black Irish people, so it’s not a new phenomenon. However, racism in Ireland is very old. Very, very old. It’s not new. We would also suggest in a current antiracist debate Travellers are not welcome. We are not black enough. We are not ethnic enough. I suppose it’s about…if you look at the way Australia treated the Aborigines, if you look at New Zealand the way it treated the Maoris, it’s very similar that indigenous ethnic communities...We are...Most Irish people, the neighbours they don’t want to know. And that’s very sad. At a government level the government still refuses to acknowledge us as an ethnic minority group even though in European

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law and in England and in Northern Ireland under the eyes of the law Travellers are a minority ethnic group. So, I’m saying at the moment in the antiracist movement there is a backlash towards Travellers. Funding and new initiatives are for new communities, and we would welcome that. We would welcome that in solidarity. However, Travellers have been here a long time, and we have no rights. Secondly, Pavee Point and other Traveller groups have a body of experience and knowledge about antiracist work. Over 25 years. And that’s not respected. Does that make sense?

Aideens Frage bejahe ich: Insbesondere ihre Feststellung über die Expertise der Traveller für antirassistische Arbeit in Irland entspricht meiner oben erwähnten Motivation für die Einbeziehung der Traveller-Perspektive in die vorliegende Studie. Doch ihre Aussage „We are not black enough.“ lässt mich innerlich zusammenzucken. Denn die wöchentlichen Gruppentreffen von Residents Against Racism, in denen schwarze Gruppenmitglieder regelmäßig von ihren Erfahrungen mit rassistischem Behörden- und Polizeiverhalten berichteten, sowie das intensive Gespräch mit Kari hatten bei mir den Eindruck hinterlassen, dass schwarze Hautfarbe, mitnichten mit einem Vorteil verbunden ist. Wie kommt es also dazu, dass ein „Nichtschwarz-genug-sein“ von einer Angehörigen der Traveller-Community als Manko empfunden wird? Sollte hier ein Fall von Selbstzuschreibung zur political blackness vorliegen, der durch das phänotypische Erscheinungsbild „weiß“ torpediert wird? – Aideen diagnostiziert einen heftigen „Rückschlag“ („backlash“) für die Traveller, der durch die Fokussierung der offiziellen Förderpolitik auf die neuen Einwanderergemeinden manifest wird. Ihr Bedauern darüber, dass die Traveller aus der irischen Antirassismusdiskussion ausgeschlossen werden, bezieht sich so in erster Linie auf die staatliche Antirassismuspolitik. Aideen hat die unterschiedlichen Ebenen des Anti-Traveller-Rassismus fest im Blick, wenn sie den Alltagsrassismus, der gegenüber Travellern praktiziert wird, in einem Atemzug mit der staatlichen Traveller-Politik nennt. In der Antidiskriminierungsgesetzgebung der Republik Irland wird zwar die Zugehörigkeit zur TravellerCommunity („membership of the Traveller Community“) berücksichtigt, doch erscheinen die Traveller hier lediglich als ein spezialgelagerter Sonderfall, nicht aber als offiziell anerkannte ethnische Minderheit. Die Weigerung, der expliziten politischen Forderung der Traveller nachzukommen, als ethnische Minderheit anerkannt zu werden, muss in einem Zusammenhang mit der dominanten nationalistischen Ideologie betrachtet werden, die die irische Gesellschaft immer noch als monokulturelle, religiös-ethnische Gemeinschaft versteht.24

24 Als wichtigste Antidiskriminierungsgesetze, die in den letzten Jahren verabschiedet wurden, müssen das Equal Employment Act (1998), das Equal Status Act (2000) und das Equality Act (2004) genannt werden. Die Effizienz dieser Gesetzgebung wird allerdings von vie-

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Meine Frage, ob der wirtschaftliche Aufschwung sich auf die Arbeit von Pavee Point auswirkt, beantwortet Aideen mit einem klaren Ja. Dem Wirtschaftsboom des „Keltischen Tigers“ räumt sie keinerlei positive Wirkung auf die Situation der Traveller in Irland ein.25 Im Gegenteil stellt sie eine Polarisierung der irischen Gesellschaft und ein Auseinanderklaffen der Wohlstands-/Armutsschere fest, wobei sie erneut von einem „Rückschlag“ für die Traveller spricht. Ireland is very wealthy and that wealth isn’t shared. There is a backlash. It’s like: „You’ve had funding for 20 years, now we will give it to somebody else.“ On paper it’s very reasonable and very logical, but in reality people’s lives don’t stop after 20 years. Actually, I think we know of stories where Irish people would say: „I’d rather give a non-national a job rather than a Traveller.“ People would say: „I don’t want my children sitting beside a Traveller child in school but I don’t mind if they are Chinese.“

Aideen beklagt, dass die Traveller als indigene ethnische Minderheit in eine nachteilige Position geraten seien, seit Irland zu einem Einwanderungsland mit unterschiedlichen Einwanderer-Communitys geworden ist. Dies ist im Zusammenhang mit der von offizieller Seite weitverbreiteten Darstellung zu betrachten, dass den Travellern in der Vergangenheit in übertriebenem Maße staatliche Hilfe zugekommen sei, sie diese jedoch ausgenutzt hätten. Traveller werden als „undankbar“ dargestellt, wann immer sie Beschwerden einreichen oder an ihrer statt auf die prekären Lebensbedingungen der Traveller hingewiesen wird. Das Fortbestehen des „Traveller-Problems“ wird so nicht auf staatliche Versäumnisse, sondern auf eine zu große staatliche Generosität in der Vergangenheit zurückgeführt. Ziel dieser Argumentation ist es, die Kürzung staatlicher Förderung zu legitimieren, denn letztlich läuft sie auf die Unterstellung hinaus, dass ein gesellschaftliches Problem Bestand hat, eben weil von staatlicher Seite bereits zu viel dagegen unternommen worden sei.26 Schon zu Beginn des Interviews, als Aideen zum ersten Mal die kritische Finanzierungssituation erwähnte, hatte ich versucht, mit ihr über die heikle Frage der staatlichen Förderpolitik ins Gespräch zu kommen, die sie jedoch vorerst versuchte abzublocken bzw. als nicht wirklich zentral abzutun. Heikel ist diese Frage deshalb,

len der antirassistischen Akteure bezweifelt und in ihrer Auswirkung auf die Traveller und anderer Minderheiten als problematisch bezeichnet. Vgl. auch Garner: Racism in the Irish Experience, S. 146-7; Fanning: Racism and Social Change, S. 152-153, 169. 25 Viele Akteure schilderten ihre Beobachtung, dass traditionell marginalisierte Gesellschaftsgruppen vom wirtschaftlichen Aufschwung keineswegs profitieren konnten. S. auch: Fay, Ronnie: Editorial, in: Pavee Point Newsletter, 20 (2004), Dezember, S. 2. 26 Fanning: Racism and Social Change, S. 137.

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weil es um Geld geht und zugleich um ein Konkurrenzverhältnis unterschiedlicher Gruppen innerhalb der antirassistischen Szene.27 I don’t believe it’s about funding. I really don’t believe it’s about funding. I think that maybe it is a factor but I don’t believe the whole picture is about funding. I believe Travellers in Ireland have had a very negative experience around education, accommodation, health care, employment. And I believe because of those factors we as a community have lived very segregated, marginalised. I think Travellers are despised.

Da mir jedoch meine Beobachtungen im Feld gezeigt hatten, dass die Finanzierungsfrage für die überwiegende Mehrheit der Akteure von überaus großer Bedeutung ist, lasse ich nicht locker: Ist es nicht doch ein Problem innerhalb der antirassistischen Szene, dass unterschiedliche Organisationen in Konkurrenz um Fördermittel zueinander treten? Doch da unterbricht mich Aideen, um empört einzuwerfen: And they are all been headed by white Irish people. I find that extraordinary! And I wonder what that is about. J. V.: So you say that this is a problem of the antiracist scene? Aideen: Absolutely! I think Irish people have power and control.

Es folgt ein längeres Innehalten meiner Gesprächspartnerin, das ich aushalte und abwarte. Ich bin damit beschäftigt, darüber erstaunt zu sein, dass sie nun so weit geht, eine Abgrenzung zu den „Irish people“ vorzunehmen. Während sich ihr Abgrenzungsverhalten zuvor auf „white Irish people“ bezog und hier „weiß“ möglicherweise nicht nur Hautfarbe, sondern auch Sesshaftigkeit markiert, wird hier zumindest auf semantischer Ebene eine Demarkationslinie zu den Iren in ihrer Gesamtheit gezogen. Schließlich beruhigt sich die Situation und Aideen beschließt, weniger aufgebracht, aber mit merklichem Zorn weiterzusprechen. I don’t want to be disrespectful but in my work we would communicate with African women while I refuse to work with white Irish women who say they’re working with black women. I don’t like that. Black women know their own voice. In the way Traveller women know our own voice. I think the antiracist movement is very white lead and those white people are not all Travellers. What I’m saying is in Ireland there are so many groups for different communities, however, the people in charge are always white.

27 Dieses Konkurrenzverhältnis besteht nicht nur innerhalb der antirassistischen Szene, sondern auch zwischen den marginalisierten Teilen der Bevölkerung und ist Folge einer divide et impera-Politik des irischen Staates.

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Nun nimmt Aideen wieder eine Abgrenzung zur weißen irischen Mehrheitsbevölkerung vor. Wie Kari und Josef beschreibt sie Probleme in der politischen Zusammenarbeit mit Weißen. Während es für Kari darum geht, die Paranoia derer, die rassistisch diskriminiert werden, abzubauen und Josef sich als Mediator zwischen Iren und Einwanderern sieht, verweigert Aideen die Zusammenarbeit mit irischen Frauen, die zur weißen sesshaften Mehrheit gehören – zumindest mit denjenigen, denen sie eine paternalistische Attitüde zuschreibt. Als hellhäutige Angehörige der Traveller grenzt sie sich gegenüber Weißen ab und sieht eine solidarische Verbindung zwischen Travellern und Schwarzen, die sich auch auf der Ebene der praktischen politischen Arbeit niederschlägt. Diese projizierte Solidarität zwischen Schwarzen und Traveller-Frauen erinnert stark an das Konzept der political blackness, das eine gemeinsame und geteilte Diskriminierungserfahrung jenseits des phänotypischen Erscheinungsbildes „schwarz“ konstatiert. Aideen entdeckt Ähnlichkeiten zwischen den spezifischen Erfahrungswerten und der spezifischen gesellschaftlichen Position der Traveller einerseits und der schwarzer Frauen in Irland andererseits. Diese Parallelsetzung von schwarzer und weißer Erfahrung sowie die aktive Solidarisierung mit dem Kampf der Schwarzen um Freiheit und Gleichberechtigung ist, wie ich in den vorangehenden Kapiteln eingehend erläutere, in der irischen Geschichte keine Novität und wirkt, wie aus vielen Interviews mit Szeneakteuren hervorgeht, bis ins heutige politische Verständnis fort. So sehr sich jedoch viele Iren im Rahmen einer postkolonialen Logik eine Parallelsetzung der irischen mit der schwarzen Erfahrung und eine Identifizierung und Solidarisierung mit der schwarzen Freiheitsbewegung wünschen, so wenig begünstigt dies offensichtlich den Versuch der Traveller, Anerkennung von der weißen irischen Mehrheitsbevölkerung für ihre Aneignung des Prinzips der political blackness zu erhalten. Angesichts der Tatsache, dass es den Iren im britischen race relations-System der 1980er-Jahre gelang, erfolgreich für die offizielle Anerkennung der Iren als ethnische Minderheit zu kämpfen, erscheint es überaus bemerkenswert, dass in Irland selbst keine besonders große Begeisterung aufkommt, wenn die Traveller diesen Status für sich einfordern. Wie bereits erläutert, ist ein Teil der irischen Geschichte eine Geschichte von Rassismus Weiß gegen Weiß, die einer Reduktion von Rassismus auf Diskriminierung aufgrund phänotypischer „Rassenmerkmale“, wie etwa der Hautfarbe, widerspricht. Noch Ende der 1990er-Jahre wurde die Existenz eines antiirischen Rassismus in Großbritannien und eine Unterrepräsentation der irischen Community im britischen Antirassismus beklagt.28 Nichtsdestotrotz erscheint die Wirkmächtigkeit

28 Vgl. Commission on the Future of Multi-Ethnic Britain (Hrsg.): The Future of Multi-Ethnic Britain. The Parekh Report, London 2000.

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einer brachialen, nationalistisch und rassistisch definierten Irishness einer ebenso definierten Britishness in nichts nachzustehen. Das Bestreben der Traveller, als ethnische Minderheit offiziell anerkannt zu werden, existiert schon seit den 1980er-Jahren, wurde jedoch zunehmend von Traveller-Organisationen intensiviert. Aideens Aussage „We are not black enough. We are not ethnic enough.“ bringt mich auf den Gedanken, dass dieses verstärkte Bemühen um den Ethnizitätsstatus ebenfalls in engem Zusammenhang mit dem Anstieg der Einwanderungszahlen seit dem Ende der 1990er-Jahre steht. Zum einen scheint die antirassistische Expertise der Traveller in der aktuellen gesellschaftlichen Situation keinerlei Anerkennung, insbesondere im Rahmen der staatlichen Antirassismuspolitik zu finden. Zum anderen wird die zunehmende Immigration seitens der offiziellen Politik als Argument benutzt, um ihre Behauptung zu untermauern, dass die Traveller in der Vergangenheit ausreichend staatliche Hilfe erhalten hätten, doch nun andere Gruppen von der staatlichen Förderpolitik profitieren sollen. Aideen stimmt mir mit einem entschiedenen „Exactly!“ zu. Doch als ich danach frage, ob Irlands Wandel zum Einwanderungsland zu einer Konkurrenzsituation zwischen unterschiedlichen ethnischen Minderheiten, sprich den Travellern und den neuen Einwanderer-Communitys geführt hat, lehnt Aideen diese Vorstellung vehement ab und reagiert stattdessen mit einer Solidaritätserklärung. No, I don’t want to paint that picture. As a woman, as a Traveller woman I am in solidarity with my black sisters and I welcome them. The bottom line is: Ireland doesn’t recognize Irish Travellers and they are embarrassed, they are ashamed because we failed to assimilate with all of their policies and I think for Pavee Point as an organisation, we are still very radical, we are well-known but I’m not sure that what we have to say is been listened to in the way it was.

An die Solidaritätserklärungen weißer Iren gegenüber ihren „schwarzen Brüdern und Schwestern“ hatte ich mich bereits in anderen Kontexten gewöhnen müssen. Ganz im Einklang mit dem Konzept der political blackness nimmt Aideen eine Betonung der gemeinsamen Erfahrung, rassistisch von der irischen Mehrheitsgesellschaft diskriminiert zu werden, vor. Eine Betonung, die nahe legt, dass es neben der Diskriminierung aufgrund der Hautfarbe auch noch andere Herrschaftsverhältnisse gibt, die Solidarisierungsmomente zwischen schwarz und weiß produzieren. Die Eigenwahrnehmung, so wie Menschen dunkler Hautfarbe ausgegrenzt zu werden, ist im Zusammenhang mit Aideens Einschätzung der politischen Situation im gegenwärtigen Irland zu verstehen. We have a very right-wing government. Roma Gypsy, Nigerian and Traveller are the people most despised. I think it’s a global...that we are living in a very right-wing climate and we have a very right-wing government which has right-wing policies that affect Travellers in

324 | UNDOING I RISHNESS their every-day lives. I don’t want you think that we are in competition with other communities. That’s not how I want to see it. It may look that way but in reality they get spit at and ....The level of racism towards them is very high as well but the difference is that most of them had opportunities of education where we didn’t. Most of them are professionals making their jobs. There’s very little employment opportunities for Travellers.

Neben der Gleichsetzung der Traveller und der schwarzen Erfahrung als „meist gehasste“ Minderheit geht Aideen wie bereits zu Beginn unseres Gesprächs erneut auf die anderen „gypsies“ ein – die zum größten Teil aus Rumänien kommenden Roma. Sie stellt fest: „I suppose we would see Roma as similar to Travellers.“ Diese Ähnlichkeit führte dazu, dass Traveller damit begannen, sich mit den Roma zu solidarisieren, die im Zuge des allgemeinen Einwanderungsanstiegs in vermehrter Zahl seit Ende der 1990er-Jahre nach Irland kamen. Unter den Asylbewerbern gelten sie als besonders stark benachteiligte Gruppe, da sie nur verhältnismäßig geringe Qualifikationen und schlechte Englischkenntnisse besitzen. Dies wird wiederum mit ihrer historischen und systematischen Diskriminierung in ihren Herkunftsländern in Ostmitteleuropa, insbesondere Rumänien in Zusammenhang gebracht.29 Teil der antirassistischen Strategie von Pavee Point ist es also, sich gezielt mit einer der neuen Communitys zu solidarisieren und auch organisatorische Zusammenarbeit zu etablieren. So ist Pavee Point die Roma Support Group angegliedert.30 Als Schlüsselproblem wird das Fehlen verlässlicher Daten über die RomaCommunity erachtet und gefordert, die Kategorie „Ethnizität“ in den irischen Zensus aufzunehmen.31 Nach Angaben von Pavee Point und der Roma Support Group leben zwischen 2 500 und 3 000 Roma in Irland.32 Das Engagement der irischen Traveller für eine Zusammenarbeit mit nach Irland eingewanderten Roma ist jedoch nicht nur vor dem Hintergrund der veränderten Situation in Irland zu betrachten, sondern auch in einem Kontext, der über den irischen hinausweist. Bereits in den 1990er-Jahren wird über Bemühungen von irischen Travellern in Großbritannien berichtet, Allianzen mit der Roma-Community zu schließen. Dabei kämpften sie nicht nur gegen die Mehrfachdiskriminierung an, der sie als Iren und als Traveller

29 Roma Support Group and Pavee Point (Hrsg.): Roma in Ireland. An Initial Needs Analysis, Research Report in Association with NCCRI and FÁS Asylum Seekers Unit, März 2002, o. O., S. 24. 30 http://www.romasupport.ie/ (28.05.2009) und

http://www.paveepoint.ie/progs_roma.html

(28.05.2009) 31 Roma Support Group and Pavee Point (Hrsg.): Roma in Ireland, S. 25. 32 City of Dublin VEC (Hrsg.): Roma Educational Needs in Ireland. Context and Challenges, in association with Pavee Point Travellers Centre and the Roma Support Group, Dublin, Juni 2005, S. 28.

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ausgesetzt waren, sondern auch gegen die weitverbreitete Einschätzung, dass es sich bei ihnen keineswegs um „richtige Zigeuner“ („real gypsies“) handele.33 Aufgrund dieser Vorgeschichte lässt sich der politische Erfolg der irischen Traveller erahnen, der sich mit der Gründung des European Roma and Traveller Forum (ERTF) im Jahr 2004 verband, in dem gemeinsame Interessen von Travellern und Roma auf europäischer Ebene vertreten werden.34 Als gemeinsamer Nenner mit den Roma gilt den Travellern nicht nur die gemeinsame Marginalisierungserfahrung, sondern vor allem auch die als ähnlich wahrgenommene Kultur. Allerdings gewann ich in dem Gespräch mit dem Sprecher der Roma Support Group den Eindruck, dass weniger eine als ähnlich empfundene Kultur eine Rolle bei der Allianzbildung von Travellern und Roma spielt, sondern vielmehr die Tatsache, dass beide Gruppen von Rassismus betroffen sind.35

33 Im irischen Kontext findet die aktuelle Absage an die Klassifikation der Traveller als ethnische Minderheit einen historischen Vorläufer in der Behauptung, dass die Traveller nicht etwa mit den Roma vergleichbar sind, sondern lediglich eine „Subkultur der Armut“ darstellen. Vgl. The Equality Authority (Hrsg.): Traveller Ethnicity. An Equality Authority Report, Dublin 2006, S. 45-46. In Großbritannien erfuhren die irischen Traveller sogar Ausgrenzung durch das National Gypsy Council, das die irischen Traveller als „hooligan element“ bezeichnete. Dies ist als Ausfluss des antiirischen Rassismus in Großbritannien zu bewerten, wo es wenige „No Gypsy“-Schilder, aber viele „No Travellers“-Schilder gab. Hier wurden die irischen Traveller nicht nur von Angehörigen der britischen Mehrheitsgesellschaft, sondern von in Großbritannien lebenden Iren als auch von „echten Zigeunern“ diskriminiert. CRE (Hrsg.): Discrimination, S. 129. Andererseits werden die Traveller im britischen race relations-System seit 2000 als ethnische Minderheit anerkannt, worauf irische Traveller regelmäßig verweisen, um ihre Kritik and der Weigerung der irischen Regierung, den Travellern Ethnizitäts-Status zuzubilligen, zu untermauern. Vgl. Fanning: Racism and Social Change, S. 160; Pavee Point Travellers Centre (Hrsg.): Pavee Point Strategic Plan 2001-2005, Dublin 2001, S. 3. 34 Pavee. Pavee Point Quarterly Newsletter 2 (2005), Heft 1, Mai International Edition, S. 18; http://ertf.org/en/index.html (29.05.2009) 35 Pavee Point scheint diese beiden Faktoren gleichermaßen zu berücksichtigen. Zum einen wird auf die gemeinsame „nomadische“ Kultur hingewiesen, ebenfalls große Betonung findet jedoch darüber hinaus auch die gemeinsame Erfahrung, rassistisch diskriminiert zu werden. Auf seinem Titelblatt vom Mai 2009 ruft der Pavee Point Newsletter nicht nur „Mayday! Mayday! Racism Against Roma in the EU“. Ronnie Fay, der damalige Direktor von Pavee Point unterstreicht zudem, wie die Situation der Traveller in Irland die Geschichte der Roma in Europa, die geprägt ist von systematischer Marginalisierung, widerspiegelt. Fay, Ronnie: Editorial, in: Pavee Point Newsletter, 16 (2004), Mai, S. 2.

326 | UNDOING I RISHNESS They experience also Rassismus here. Like us. And maybe in a lot of cases they experience Rassismus more than us. They experience Rassismus more than us. Even today.

Die Traveller haben ein sehr schwieriges Standing in der irischen Gesellschaft, vor allem wegen ihrer spezifischen Rolle in der antirassistischen Szene. Erst zum Ende der 1990er-Jahre wurde von offizieller Seite auf die Bemühungen von Communityund Traveller-Organisationen in Ansätzen reagiert. Dabei kommt den Travellern eine zusätzliche Bedeutung für die Politisierung vieler der von mir befragten irischen Szeneakteure zu, die über die Schärfung ihres politischen Bewusstseins durch die Konfrontation mit der extremen Ausgrenzung, mit der Travellern in Irland begegnet wird, berichten. Doch wenn selbst der Sprecher der Roma Support Group mir gegenüber zu der Einschätzung gelangt, dass die Traveller in Irland noch stärker von Rassismus betroffen seien als rumänische „Zigeuner“, dann wirft dies ein weiteres Schlaglicht auf die bittere Erfahrung, die Angehörige der TravellerCommunity nicht nur in der Vergangenheit erlitten, sondern immer noch in der irischen Gegenwart erleben. Unter diesen Bedingungen überrascht es vielleicht auch nicht, dass – wie Aideen bedauert – verhältnismäßig wenige Angehörige der Traveller sich aktiv im irischen Antirassismus engagieren. Als seit am Ende der 1990er-Jahre eine verstärkte Diskussion über (Anti-)Rassismus, auch und insbesondere unter dem Eindruck der zunehmenden Einwanderungszahlen, in Irland einsetzte, kam es zu einer ein wenig bereitwilligeren Anerkennung der Existenz des Anti-Traveller-Rassismus in der irischen Gesellschaft und staatlich geförderte Antirassismusorganisationen wie das NCCRI warben für eine Anerkennung der Traveller-Ethnizität. Dennoch scheinen die sich bereits zu Beginn des Jahrtausends geäußerten Befürchtungen zu bestätigen, dass die Traveller innerhalb der öffentlichen Auseinandersetzung mit dem Phänomen Rassismus und seiner möglichen Bekämpfung zunehmend marginalisiert werden.36 Doch was ist Aideens eigentliche Motivation für ihr politisches Engagement? Warum erachtet sie es als sinnvoll, anders als die Mehrzahl der Traveller und anders als die meisten Menschen in Irland, sich aktiv für die Rechte von Travellern und eine offenere irische Gesellschaft einzusetzen? Because I am proud of who I am. I am proud of my community. I bear wittiness to the past to hundreds of generations of Travellers who were oppressed, humiliated, degraded. I believe our day will come when we will be equal citizens not just on paper. We will be equal when we go for jobs, when we are in the class-room. I think if you don’t have a vision you can’t be involved. And also I suppose, as a feminist working in the area of violence against women I really and truly believe we have a responsibility to a new generation, not to put them through

36 Fanning: Racism and Social Change, S. 172.

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the pain and the hurt that other generations went through and to have opportunities for younger Traveller women that we didn’t have.

Z USAMMENFASSUNG Die Antirassismusforschung muss die Fokussierung auf die weiße Mittelklasse zugunsten einer Berücksichtigung migrantischer Akteure überwinden. Auch auf Aktivistenebene wird immer vehementer die Selbstorganisation und -vertretung ethnischer Minderheiten gefordert. Stets muss beachtet werden, dass die Ausgangsbedingungen für politischen Aktivismus für rassistisch Diskriminierte und NichtDiskriminierte überaus unterschiedlich sind. Kari hebt besonders stark das „Paranoia-Problem“ der schwarzen ethnischen Minderheiten in einer als feindlich wahrgenommen, rassistischen weißen Mehrheitsgesellschaft hervor, das sie als Störfaktor im Zusammenleben und in der politischen Zusammenarbeit mit Weißen bezeichnet. Damit meint sie das quälende Misstrauen der rassistisch Diskriminierten, das gegenüber Iren und generell allen Menschen heller Hautfarbe gehegt wird. Kari bricht ihre eigenen Gefühle der Verletzung durch Rassismus, versucht sie mit Vergleichen anderer Konflikterfahrungen zu relativieren und verweigert sich bewusst der Einbahnstraße „paranoia lane“. Diesen Prozess der kontinuierlichen Selbstreflexion hält sie für unerlässlich, um sich wirksam politisch positionieren zu können oder gar eine Vorbildfunktion als Mediatorin zwischen Schwarz und Weiß innerhalb antirassistischer Bezüge einnehmen zu können. Zwar unterstreicht Kari die Bedeutung der schwarzen Perspektive für die Antirassismusarbeit, gleichzeitig wird jedoch deutlich, dass die Forderung nach Selbstvertretung ethnischer Minderheiten Fragen danach aufwirft, wie eine angemessene Form des antirassistischen Protests von Angehörigen ethnischer Minderheiten, die sich auf Akteursebene im politischen Raum exponieren, aussehen soll und wie Repräsentativität im migrantischen Antirassismus funktioniert. Dieses Repräsentativitätsproblem indiziert, dass unterschiedliche politische Ziele, die mit unterschiedlichen Strategien verfolgt werden, innerhalb der migrantischen Communitys verhandelt werden müssen. Des Weiteren verweist es auf die überaus große Macht rassistischer Kollektivfantasien der weißen Mehrheitsgesellschaft. Die rassistische Gruppenkonstruktion des „Schwarzafrikaners“ als Asylbewerber unterläuft den Anspruch als Mensch mit individuellen Fähigkeiten und Eigenschaften wahrgenommen zu werden. Kari begegnet dem rassistischen Kollektivismus mit ihrem Versuch der Selbstlegitimierung durch Leistungsfähigkeit und der Betonung, dass sie als hochqualifizierte Arbeitskraft nicht dem rassistischen Klischee entspricht. Auch in unserer Gesprächssituation entfaltet die Kategorie Hautfarbe ihre verstörende

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Wirkmächtigkeit, indem sie zur alles dominierenden Kategorie wird und die Gesprächspartnerinnen unweigerlich Kollektiven zuordnet. So führt das Interview mit Kari die entindividualisierende und entsubjektivierende Wirkung der rassistischen Markierung Hautfarbe schmerzhaft vor Augen und ist Resultat einer Gesellschaft, die Rassismus produziert, indem sie sich als weiß definiert. Generell lässt sich feststellen, dass insbesondere für Menschen mit unsicherem Status der Zugang zu den relevanten Informationen von grundlegender Bedeutung ist. Eine besonders wichtige antirassistische Reaktion auf staatliche Versäumnisse in der Integrationspolitik ist deswegen die Informationsdistribution und die Förderung interkultureller Kompetenz in Beratungseinrichtungen. Die Befragten heben hervor, dass es durchaus einen Unterschied macht, ob jemand aus einer „wissenden Position“ des rassistisch Diskriminierten oder einer weißen Position heraus agiert. Der migrantischen Perspektive wird ein besonderes antirassistisches Kapital zugesprochen, da Empathiefähigkeit aufgrund ähnlicher Erfahrungshintergründe auch für die politische Arbeit eine Rolle spielt. Dabei werden unterschiedliche Meinungen vertreten: Zum einen wird die individuelle Rassismuserfahrung als zweischneidiges Schwert oder gar Hypothek problematisiert, zum anderen wird sie als Bonus gehandelt, der eine einfühlende Begleitung von Migranten und damit ihren Integrationsprozess begünstigt. Traveller als traditionelles Objekt des irischen Rassismus werden seit Generationen massiv gesellschaftlich ausgegrenzt und innerhalb rassistischer Diskurse als minderwertige Bevölkerungsgruppe klassifiziert. Ähnlich wie bei schwarzen Immigranten, die kollektiv als „Asylanten“ abgestempelt werden, ist Sozialdarwinismus ein integraler Bestandteil des rassistischen Anti-Traveller-Diskurses. Die Erfahrung der Traveller als auch die sie bestimmende staatliche Traveller-Politik lassen Rückschlüsse auf die Lebensbedingungen von Mitgliedern der neuen Einwanderergemeinden zu. Insbesondere die räumliche Verdrängung im Rahmen einer umfassenden rassistischen Diskriminierung der heutigen Asylbewerber, erinnert an die historische Erfahrung der Traveller: Interaktion mit der irischen Mehrheitsgesellschaft wird in diesem System so gut wie unmöglich gemacht. Die Existenz der Traveller ist ein Stachel im Fleisch des Mythos einer kulturellen und ethnischen Homogenität der irischen Gesellschaft. Die Zerstörung dieses Mythos erscheint als Schritt auf dem Weg zur Inklusivität der irischen Gesellschaft, wobei die Öffnung der irischen Gesellschaft eng mit einer Öffnung der Kategorie Irishness verbunden ist. Die staatliche Weigerung, der expliziten politischen Forderung der Traveller nachzukommen, als ethnische Minderheit anerkannt zu werden, muss in einem Zusammenhang mit der dominanten nationalistischen Ideologie betrachtet werden, die die irische Gesellschaft immer noch als monokulturelle, religiös-ethnische Gemeinschaft versteht. Entgegen der offiziellen Annahme, dass die Traveller keineswegs als ernst zu nehmende Gruppe im politischen Prozess konsultiert werden müssen, formierten

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sich in den 1980er-Jahren Traveller-Organisationen, die sehr bald nicht nur für Traveller-Interessen, sondern für eine inklusive irische Gesellschaft, die Anerkennung kultureller Diversität und gegen Rassismus kämpften. Die Traveller können daher durchaus als Pioniere des irischen Antirassismus gelten. Dies hat jedoch keineswegs zur Folge, dass heute auf ihre antirassistische Expertise, insbesondere in der staatlichen Antirassismuspolitik, dankbar zurückgegriffen wird. Stattdessen wird seitens der Traveller beklagt, dass sie als indigene ethnische Minderheit in eine nachteilige Position geraten seien, seit Irland zu einem Einwanderungsland mit unterschiedlichen Einwanderer-Communitys geworden ist. Dies ist im Zusammenhang mit der von offizieller Seite weitverbreiteten Darstellung zu betrachten, dass den Travellern in der Vergangenheit in übertriebenem Maße staatliche Hilfe zugekommen sei, doch nun andere Gruppen von der staatlichen Förderpolitik profitieren sollen. Es wird beklagt, dass die Traveller nicht „schwarz genug“ seien, um in der offiziellen Antirassismusdebatte teilnehmen zu dürfen. Dieser durch staatliche Politik provozierten Konkurrenzsituation wird durch die projizierte Solidarität zwischen Schwarzen und Traveller-Frauen begegnet, die an das Konzept der political blackness angelehnt ist und eine gemeinsame Diskriminierungserfahrung jenseits des phänotypischen Erscheinungsbildes „schwarz“ konstatiert. So werden Ähnlichkeiten zwischen den spezifischen Erfahrungswerten und der spezifischen gesellschaftlichen Position der Traveller einerseits und der schwarzer Frauen in Irland andererseits entdeckt. Teil der antirassistischen Strategie von Travellern ist es also, sich gezielt mit den neuen Communitys zu solidarisieren und auch organisatorische Zusammenarbeit zu etablieren.

8. Abbey: Antirassismus in Irland reloaded

I think a person in power who is a racist is a bigger problem than the ordinary person on the street shouting abuse.

Irlands Wandel vom „Armenhaus Europas“ zum „Keltischen Tiger“ brachte einen sozioökonomischen und kulturellen Wandel mit sich, der sich auch auf die politische Kultur des irischen Antirassismus auswirkte. Aufgrund der historischen Entwicklung des irischen Nationalismus hatten es emanzipative oder linke im Sinne von sozialistischen Ideen von jeher schwer, die irische Gesellschaft nachhaltig zu beeinflussen. Die Erfindung Irlands als gälisch-katholische Nation und die racialisation von Irishness etablierte ein exklusives Modell nationaler Identität. Der Wirtschaftsboom, der die Republik Irland zum neoliberalen Vorzeigeland der EU machte, führte zu Rissen in der großen nationalen Narrative von Kolonisation, rassistischer Unterdrückung und Massenemigration und setzte neue Bedingungen und Möglichkeiten für das Ausleben emanzipativer Ideen. Angesichts von Wohlstandschauvinismus und rassistischer Politik speist eine bestimmte Trägerschicht des irischen Antirassismus sein ideologisches Rüstzeug nicht mehr primär aus der traditionellen Verortung in einer internationalen antiimperialistischen Solidaritätsbewegung. Dem nationalen Befreiungskampf wird wesentlich weniger egalitäres Potenzial zugetraut, stattdessen werden andere ideologische Selbstverortungen, wie Anarchismus, Feminismus und Antifaschismus, zum Ausgangspunkt für solidarisches und antirassistisches Handeln. Einige der von mir befragten Akteure, die zur Generation derer zählen, die Irland in den 1970er- bzw. 1980er-Jahren zeitweise verließen, um anderenorts ein wirtschaftliches Auskommen und ein freieres Leben zu finden, wiesen auf einen Generationskonflikt hin, den sie auf den extremen Transformationsprozess der irischen Gesellschaft zurückführen. Sie vermuten, dass für die Älteren die Migrationserfahrung zumeist auch Erlebnisse von antiirischem Rassismus mit sich brachte und dass den Jüngeren sowohl ein gewisses Maß an materieller Entbehrung als auch

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die beschriebene Fragilität der irischen Identität fremd sind. Die veränderte Situation in Irland hat außerdem dazu geführt, dass viele Nicht-Iren aus dem europäischen wie außereuropäischen Raum in Irland leben und demzufolge zuweilen als zentrale Akteure die antirassistische Szene bereichern. Abbey ist in einem Dubliner Arbeiterviertel groß geworden und zum Zeitpunkt unserer Begegnung Anfang zwanzig. Ich lernte sie bei Residents Against Racism kennen und war fasziniert von etwas, das ich als erfrischenden Kontrast wahrnahm: Über die Leidenschaftlichkeit ihrer politischen Überzeugungen und ihre Bereitschaft zur politischen Tat sprach sie stets mit einer sanften Stimme, die fast schon als zart zu bezeichnen war. Von ihr hörte man nie polternd vor sich her getragene Polit-Phrasen, sondern kleine, feine Statements zur gegenwärtigen politischen Situation. Bereits seit zwei Jahren ist sie Mitglied bei Residents Against Racism. Über diese Mitgliedschaft lernte sie andere politische Mitstreiter kennen, die Abbey letztlich auch zur Mitarbeit in einer anderen politischen Organisation führten, der anarchistischen Gruppe Workers Solidarity Movement (WSM). Die WSM existiert seit 1984, orientiert sich an einem libertären Sozialismus und lehnt demnach jede Hierarchie als Unterdrückung individueller und kollektiver Freiheit ab. Dabei hebt sie hervor, dass sie in Irland an keine „native anarchist tradition“ anknüpfen kann.1 Sie verortet sich jedoch, wie die Anhänger eines antiimperialistischen nationalen Befreiungskampfes, in einem internationalen Kontext: „As anarchists we see ourselves as part of a long tradition that has fought against all forms of authoritarianism and exploitation, a tradition that strongly influenced one of the most successful and far reaching revolution in this century – in Spain in 1936 – 1937.“2 Zudem vertritt die WSM einen systemkritischen Antirassismus, der auf der Überzeugung beruht, dass Rassismus ein Produkt des Kapitalismus ist und dazu dient, die Arbeiterklasse zu spalten und so ihr revolutionäres Potenzial zu zerstreuen. In einem Positionspapier der WSM heißt es: „As Anarchists we believe that people are not inherently racist just as people are not inherently sexist. Racism is a product of Capitalism which seeks to maintain the status-quo by dividing the working class and dissipate the changes of united class based struggle. Racism has risen as part and parcel capitalist society we live in and can only be completely eradicated by the destruction of the current society to be replaced by a classless pluralistic society.“3

1 2

http://www.wsm.ie/story/454 (09.07.2009) Red & Black Revolution. A Magazine of Libertarian Communism 8 (2004), S. 2. Zum Einfluss anarchistischer Ideen auf die Pioniere des irischen Sozialismus vgl. Lane, Fintan: The Origins of Modern Irish Socialism 1881-1896, Cork 1997.

3

http://www.wsm.ie/news_viewer/829 (09.07.2009) In diesem antirassistischen Positionspapier wird der Kampf gegen den Anti-Traveller-Rassismus, der als die extremste Form

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Abbey und ich treffen uns Anfang August im Teachers’ Club (Club Na Múinteoirí), einem großen Georgianischen Haus am Parnell Square, nur einige Hausnummern neben der Parteizentrale von Sinn Féin. Im Teachers’ Club gibt es neben zahlreichen Veranstaltungsräumen, in denen RAR seine wöchentlichen Gruppentreffen abhält, auch eine Bar im ersten Stock. Wir erhalten vom Barmann die Erlaubnis, uns mit unseren Getränken in den durch eine Flügeltür abgetrennten Saal zu setzen. Wir sitzen allein in dem lichtdurchfluteten Raum. Durch die deckenhohen alten Fenster dringt gedämpft der Straßenlärm, als Abbey anfängt über den Beginn ihres antirassistisches Engagements zu sprechen, der in engem Zusammenhang mit den jüngsten Entwicklungen in Irland steht. Two years ago I would have been getting to know about the asylum system. Now, with the new EU member states, other people are coming to Ireland. Obviously, it’s more multicultural but since the citizenship referendum I noticed that people are more openly racist. It was like a catalyst for people to say: „Yes, I can be racist towards another person.“ Where people used to sort of....you know, they are racist by their attitudes but they wouldn’t comment – but now it’s just openly. People seem to be more racist. I think the situation it’s actually getting worse. The government are scapegoating immigrants. Blaming women, blaming asylum seekers coming over here, like, cramping up hospitals, pregnancies, they are being blamed, certain issues that the government can’t fix are being blamed on immigrants.

Es wird deutlich, dass die jüngsten Entwicklungen eine Rolle für Abbeys antirassistische Aktivität spielen. Angesichts der staatlichen Politik und des zunehmenden Rassismus infolge des Staatsbürgerschaftsreferendums im Jahr 2004 entschied sich Abbey für ein Engagement bei Residents Against Racism. Da die überwiegende Mehrheit der jungen Iren nicht unbedingt dafür bekannt ist, für antirassistische Ziele mobilisierbar zu sein, frage ich nach dem Grund für Abbeys politischen Aktivismus. Maybe it was my mother. She couldn’t bear anyone being racist. She always taught us that everybody is equal and that we should treat other people with respect. It probably started from there.

Neben diesen familiären Einflüssen kommt es bei Abbey zu einem relativ frühen Kontakt mit politischen Organisationen. Lachend erzählt sie mir, wie sie mit 14 Jahren an einem Straßenstand der Jugendorganisation der Sozialistischen Partei

des Rassismus im gegenwärtigen Irland bezeichnet wird, als prioritär eingestuft. Des Weiteren befürwortet die WSM den Ethnizitätsstatus der Traveller-Community. S. http://www.wsm.ie/story/831 (09.97.2009)

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vorbeilief und kurzentschlossen Mitglied wurde. Ihre politische Lektüre führte sie jedoch auf andere ideologische Pfade, die schließlich auch nach einer organisatorischen Umorientierung verlangten. I left because I started to read about anarchism and my political views would suit more anarchism than socialism. So, I had an interest already in anarchism before I joined Residents Against Racism but I didn’t know where to meet anarchists or how to access the information. So, when I was in Residents Against Racism, Bruno, who is an anarchist, he introduced me to WSM.

Da ich ihren Entschluss, bereits mit 14 einer politischen Organisation beizutreten, durchaus bemerkenswert finde – andere Teenager treffen sich mit ihren Freunden oder gehen Tennis spielen – fahnde ich nach einem möglichen auslösenden Moment für Abbeys Schritt in die Welt der Politik. I don’t know if it was conscious or not. ... I’m trying to think what happened when I was 14…

Abbey lehnt sich in ihrem Sesselchen zurück, blickt aus dem Fenster und sinnt nach. I think something was going on. I think I read about the Iraq War, 1991 the Gulf War, and American policy. I was into history. I would have read about James Connolly and stuff like that, so I sort of came from there.

So wirkte zum einen der Zweite Golfkrieg auf Abbeys politische Aktivierung ein. Zum anderen spielt auch für eine Vertreterin der Generation der zwischen 20- und 30-Jährigen die Auseinandersetzung mit der irischen Geschichte eine Rolle im individuellen Politisierungsprozess. James Connolly ist also nicht nur für einen bekennenden Republikaner wie Connor, der sich in der Tradition des nationalen Befreiungskampfes verortet, sondern auch für irische Anarchisten eine zentrale politische Bezugsperson.4 Doch anders als etwa bei Connor und Patrick, die ihre politischen Überzeugungen und Ziele vor dem Hintergrund des irischen Befreiungskampfes klar formulieren, ist Abbeys Bezug auf den irischen Befreiungskampf nicht durchweg positiv, sondern hat einen gebrochenen Charakter, der kritische Einschätzun-

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In einer Veröffentlichung des WSM wird Connolly zu „the single most important figure in the history of the Irish left“ erhoben. Gleichzeitig wird problematisiert, dass nicht nur „all the Irish left parties”, sondern auch „the nationalists of Fianna Fail and Sinn Fein“ sein Erbe beanspruchen. Mac Giollamóir, Oisín: The Ideas of James Connolly, in: Red & Black Revolution. A Magazine of Libertarian Communism 8 (2004), S. 22.

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gen einschließt. Diese beziehen sich in erster Linie auf die extreme Polarisierung der politischen Arena Irlands, die vor allem auf den sectarianism in Nordirland zurückzuführen ist, der jedoch sehr stark auf die Situation in der Republik zurückwirkt. Sectarian. Definitely sectarian. It’s like the situation in Northern Ireland, you have nationalists and you have unionists, you can’t have mixed views on it. You have to be nationalist, you have to be unionist. You couldn’t be in-between.

So betrachtet sie eine Organisation, Abbey nennt Sinn Féin, die sich vorrangig in einer Tradition des nationalen Befreiungskampfes verortet, als ambivalent. Like, for instance Sinn Féin would be considered a left party but it’s polarized, it’s a very polarized party because a lot of Sinn Féiners would have right wing views. They would just be interested in 32-County-Ireland, a united Ireland. But to me, I don’t think that can happen. 52% of the population in Northern Ireland are Unionists, so you can’t force something on a people.

Die WSM verurteilt zwar jede Form von Imperialismus, doch im Gegensatz zu irischen Republikanern sehen sie „no form of nationalism as offering a definite solution to either the working class in Ireland or the working class across the globe“.5 Auch wenn die WSM dem Republikanismus irischer Prägung ein signifikantes linkes Potenzial zuspricht, so kritisieren sie die typisch republikanische Vorstellung, wie sie z. B. Connor und Patrick vertreten (vgl. Kapitel 5), dass der Kampf für die nationale Einigung Irlands mit dem Kampf für eine sozialistische Gesellschaft kombiniert werden soll, denn in einem von sectarianism geprägten Land spricht diese Strategie ausschließlich Katholiken an.

I MPRESSIONEN AUS DER IRISCHEN L INKEN : Z UM M OBILISIERUNGSPOTENZIAL DES ANTIRASSISMUS Auch die in der irischen Linken dominante und nicht hinterfragte Solidarisierung mit internationalen „antiimperialistischen Befreiungskämpfen“, wie etwa dem palästinensischen oder baskischen, betrachtet Abbey mit einem ungewöhnlich differenzierten Blick. Gemeinsam erinnern wir uns an eine überaus gut besuchte Demonstration, die am 4. Juni vor der Central Bank im Herzen der Dubliner Innenstadt stattgefunden hatte. Anlässlich des Aufeinandertreffens der irischen und der

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http://www.wsm.ie/story/804 (08.07.2009)

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israelischen Fußballnationalmannschaften hatte die Palestine Solidarity Coalition mit einem Plakat, auf dem unter dem Slogan „Support Palestine“ ein Fußballhosen tragender Soldat mit Maschinengewehr im Anschlag abgebildet war, dazu aufgefordert, „gegen die Besatzung durch Israel zu demonstrieren“. Aufgrund meiner Positionierung zum israelisch-palästinensischen Konflikt hatte ich äußerst unangenehme Erinnerungen an diese Demonstration, denn die in der deutschen Linken zumindest partiell existente kritische Reflexion des Umgangs mit dem Themenkomplex Israel, Antisemitismus und Nahostkonflikt entfällt in Irland vollständig. Ähnlich wie die britische Linke ist die irische Linke lagerübergreifend pro-palästinensisch, während die deutsche vor dem historischen Hintergrund der Shoa auch jüdisch-israelische Belange berücksichtigt und Positionen unbedingter Solidarität mit Israel zumindest kennt. Die unterschiedlichen Sichtweisen auf den Nahostkonflikt stehen in einem Zusammenhang mit historisch geprägten, kulturellen Mustern der Wahrnehmung und diskursiven Bearbeitung, die sich je nach nationalem Kontext stark unterscheiden. Zwischen den mehreren Hundert Demonstranten hatte ich einen riesigen Plakatreiter entdeckt, welcher auf einem Autoanhänger transportiert wurde. Neugierig las ich die in großen Lettern gedruckte Überschrift „Eviction, Demolition & Dispossession“. Darunter waren zwei Photos abgebildet, von denen eines schwarz-weiß und mit der Erläuterung „Ireland 1880s“ versehen war, während das andere eine Farbaufnahme aus „Palestine Today“ zeigte. Die alte Schwarz-Weiß-Fotografie hielt den Moment einer Zwangsräumung eines irischen Cottages fest; auf dem aktuellen Bild reißt ein Abrissbagger ein Wohnhaus ein. Verbunden wurden diese beiden Impressionen der Zerstörung durch den Satz „The Landlord’s Battering Ram Replaced by Israeli Caterpillar“. Zur Dekodierung dieses Schildes bedarf es der Kenntnis davon, dass the landlord’s battering ram (der Rammbock des Grundherrn) das Symbol der Tyrannei in Form von Zwangsräumungen irischer Pächter in Zeiten der britischen Herrschaft ist. Aufgrund der Spezifika der irischen Geschichte und ihrer postkolonialen Lesart wird so die israelische Besatzungspolitik mit der Unterdrückung der Iren durch die Briten parallel gesetzt. Neben einem Wimpel, in dem sich die Nationalflagge der irischen Republik mit der Palästinas kreuzt, lese ich mit Erstaunen weiter: „Free Palestine. End Israeli Occupation. Ireland Palestine Solidarity Campaign – working for Freedom, Justice, Peace and Human Rights in Palestine.“ Mein Erstaunen wandelte sich in Entsetzen als ich die ersten verstört wirkenden israelischen Fußballfans in der Nähe auftauchen sah – kurz bevor Bewegung in die Demonstrierenden kam und ein Protestzug samt Plakatreiter zur israelischen Botschaft aufbrach.6

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Die Analyse der linken Nahostdiskurse in Großbritannien und Deutschland unterstreicht die Einbindung der Akteure in den Diskurs ihres jeweiligen nationalen Kontexts, die die Grenzen eines linken Universalismus, aber auch die Exklusivität linker Solidarität definiert.

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Dass unbedingte Solidarität mit dem palästinensischen Befreiungskampf für die irische Linke lagerübergreifend als Mobilisierungsmotor funktioniert, ähnliches jedoch nicht für Antirassismus gilt, stellte sich zwei Wochen später anlässlich der Antirassismus-Demonstration auf der O’Connell Street heraus, die nur einen Bruchteil von Demonstrierenden anzog. Angesichts dieser dürftigen Bilanz bringt Abbey ihren Unmut über die Solidaritätsdemonstration für Palästina zum Ausdruck. Personally, I disagreed with the demonstration because I didn’t think there’s any point of getting Israeli footballers...you know what I mean...It didn’t cause much of a media stir in Ireland, and to be quite honest with you, I don’t think it achieved much. I think Irish people probably would relate more to Palestinians and the Bask people because obviously they are coming from a colonized society. As for antiracism it actually pisses me off that people don’t show up. When it comes to antiracism I don’t think that the Irish people actually are that interested – even within the left. They are anarchists or socialists, republicans, whatever, I don’t think they are actually interested, to be quite honest.

Diesen blinden Fleck im linken Bewusstsein führt Abbey auf die Bequemlichkeit vieler linker Akteure zurück, die sich zwar auf einer abstrakten Ebene mit gesellschaftlichen Fragen beschäftigen, sich jedoch nicht mit der durch Rassismus charakterisierten Realität von Asylbewerbern oder Menschen mit prekärem Aufenthaltsrecht konfrontieren wollen. They don’t want to know the people, the asylum seekers – as people or as friends. They just don’t want to know the problems. I think it makes it to real for them. I think they just want to see things in the abstract. It’s like organising for the recent G8 protest. So much time and effort was brought into that by all the different sort of left parties, and the recent deportation on the 5th of July – hardly anybody turned up for that, like to organise, to try and stop it. I think that’s actually a problem, people will say: „Well, listen, this needs to be done, that needs to be done.“ But they won’t actually do anything about it.

Neben diesem Unwillen zum direkten Kontakt mit von Rassismus Betroffenen nennt Abbey als weiteren Grund für das mangelnde Mobilisierungspotenzial von Antirassismus in der irischen Linken das Ohnmachtsgefühl, ohnehin nichts gegen die staatliche Politik ausrichten zu können. In ihren Augen ist Residents Against Racism einige der wenigen Antirassismusorganisationen, die sich erfolgreich gegen diese Attitüde der vorweggenommenen Niederlage stemmen. Dabei beklagt sie generell die geringe Anzahl der antirassistischen Akteure in Irland.

Vgl. Ullrich, Peter: Die Linke, Israel und Palästina. Nahostdiskurse in Großbritannien und Deutschland (Texte / Rosa-Luxemburg-Stiftung, Band 48), Berlin 2008.

338 | UNDOING I RISHNESS It’s actually quite hard work to do because realistically there’s very few antiracism activists active in Ireland. RAR is the only group that actually do what we do. Like people will say: „Let’s have a campaign against racist government policy that’s coming in!“ and thirty people will show up, the next meeting only five people will show up. I think they believe that they can’t win it so they’re not going to bother with the campaign. Sorry, that’s a pretty defeated attitude to have.

Abbey ist durchaus eine Freundin von militanteren Aktionsformen. Sie ist eine furchtlose Aktivistin, die sich bei Demonstrationen vor Staatskarossen wirft, um den Justizminister McDowell lautstark als Faschisten7 zu beschimpfen oder sich als vorgebliche Asylbewerberin ins Garda National Immigration Bureau (GNIB) einschleust, um die Lage für mögliche Aktionen in diesem Gebäude zu sondieren, in dem sich die Asylbewerber melden müssen, die einen Abschiebungsbescheid erhalten haben. I think more direct action needs to take place. Like, for instance, nothing can happen to us. We can be taken to court, you pay a fine. It’s not a lot. But if the asylum seeker does something like that they will be deported. I think that’s why we have to do that. As for...I’ll be up for anything, really, in direct action.

Vor dem GNIB, über das Abbey nur mit Abscheu in der Stimme spricht und das in der antirassistischen Szene als Symbol des irischen Staatsrassismus gehandelt wird, finden regelmäßig Demonstrationen von Residents Against Racism gegen die Abschiebepraxis der irischen Einwanderungsbehörde statt. Abbey betont, wie wichtig das Engagement irischer Aktivisten bzw. von Aktivisten mit sicherem Aufenthaltsstatus ist, da sich diese angstfreier im politischen Raum exponieren können. Für sie stellt der Moment der Solidarisierung eine zentrale Motivation für ihren Protest dar: I go there to support, for solidarity. Like, if I’m in the GNIB with somebody – I think if an Irish person is with somebody they have less chance of being treated....or beaten up or whatever. That can happen. It has happened. So, I think it’s better if an Irish person goes there.

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Der Minister für Justiz, Gleichstellung und Rechtsreformen Michael McDowell ist eine Reizfigur der antirassistischen Szene. So stellt Abbeys Einschätzung seiner Person – „This man is a complete fascist.“ – keine Mindermeinung in der irischen Linken dar. McDowells Äußerungen über „Lügenmärchen“ erzählende Asylanten und über seinen Wunsch, sich nicht an die UN-Flüchtlingskonventionen halten zu müssen sowie der Umstand, dass er als Minister für Gleichstellung öffentlich bekannte, nicht an diese zu glauben, schürten seinen Ruf als Rechtsaußen-Hardliner. So prangt auf einem Titelblatt der Zeitschrift, die die WSM veröffentlicht, eine Collage, die SS-Standarten aus McDowells Mund marschieren lässt. Workers Solidarity 83 (2004).

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I DEOLOGISCHE S ELBSTVERORTUNG ZWISCHEN ANARCHISMUS , ANTIRASSISMUS UND F EMINISMUS Abbey ist zwar mit ihren 21 Jahren eine der jüngsten Antirassistinnen, mit denen ich ins Gespräch kam, und ihre kritische Sicht auf die aktuelle Fortführung des „irischen Befreiungskampfes“, die sich ihrer Überzeugung nach negativ auf das politische Klima auswirkt, mag auch etwas mit ihrer Zugehörigkeit zur jüngeren Generation zu tun haben, für die zunehmend andere politische Bezugsgrößen als der irische Republikanismus eine Rolle spielen. Trotzdem verbindet sie ihre Kindheitserinnerungen mit der älteren Generation von Iren, die zu einem ganz überwiegenden Teil von Migration betroffen waren und deren Migrationserfahrung mit antiirischem Rassismus verbunden war. Denn auch Abbey und ihre Ende der 1980erJahre nach England ausgewanderte Familie wurden zum Opfer einer antiirischen Attacke. I did encounter anti-Irish racism. Me and my mother and my brother moved to England, it would have been in the late eighties. And around that particular time there would have been a lot of anti-Irish, anti-IRA sentiments going around. And I can remember actually, we went away for the night, and the house we were living in in England, my mother came back, everything was robbed from the house. „Irish slag, go home!“ spray painted, inside, outside. Just because we were Irish. There was also faeces all round the walls, so it was absolutely disgusting. She also had problems with health-centres, you know, getting a doctor, because we were Irish. In the local shop as well. But I have family there now who actually live in the same place and it’s completely different. They have no problems there now, so I think it was just...then...that the problem would arise.

Abbey beschreibt, wie die vermehrten Terroraktivitäten der IRA zu einer Verstärkung antiirischer Ressentiments in Großbritannien führten. Das Abklingen des Terrors im Zuge des fortschreitenden Friedensprozesses in Nordirland sowie der Ende der 1990er-Jahre einsetzende Wirtschaftsboom in der Republik Irland verbesserten die Lebensbedingungen für Iren in Großbritannien. Die Fragilität der irischen Identität wurde nach und nach abgelöst durch ein größeres Selbstbewusstsein der irischen Community. Daher vermutet Abbey, dass sie wahrscheinlich eine Vertreterin der letzten irischen Generation ist, die antiirischem Rassismus ausgesetzt war. Gleichwohl sieht sie einen Zusammenhang zwischen ihren Kindheitserfahrungen der Marginalisierung und ihrem heutigen politischen Engagement im Antirassismus. I remember when I went to school there (in England, J. V.), I was probably about five or six, and there was the Irish kids, there was the Jamaican kids, there was the Asian kids – and then there was the English kids. The Asian, the Irish and the Jamaican kids were together, and the

340 | UNDOING I RISHNESS English kids....There was segregation in the school! It was five and six-year-olds, it was just bloody crazy! But I think that had a lot to do with the principal because the principal was a racist in that school, because later on when we moved back to Ireland, my aunt had a fight with the principal because he was hitting my cousin: „Little Irish brat.“ Bang! So, I don’t know. It could stem from there. But I think as well, the area that I grew up in would be quite multicultural even before the Celtic Tiger, anything like that. There was a Vietnamese community there, so half of my class were Vietnamese in school. So, it could also be from there.

Abbey schildert das Solidarisierungsmoment zwischen Kindern verschiedener Migrantengruppen – schwarzen wie weißen –, die die gemeinsame klassenübergreifende Erfahrung machten, in der britischen Mehrheitsgesellschaft rassistisch diskriminiert zu werden. Neben der Erfahrung des rassistisch Diskriminiertwerdens in England nennt Abbey den „multikulturellen“ Stadtteil Dublins, in den sie später mit ihrer Familie zog, als Inspirationsquelle für ihren antirassistischen Aktivismus. Mehrmals erwähnt sie, dass sie mit vietnamesischen und anderen Freunden nicht-irischer Herkunft groß geworden ist. Die Existenz einer vietnamesisch-irischen Identität in Irland, die in jüngster Zeit erste Anerkennung findet, konterkariert die im Rahmen nationalistischer Debatten behauptete Homogenität der irischen Gesellschaft. Tatsächlich verfügen viele in Irland lebende Menschen über etwas, das gemeinhin als Migrationshintergrund bezeichnet wird, weil ein oder mehrere Eltern- bzw. Großelternteile nicht irisch sind. Dies trifft im Übrigen auch auf Abbey zu. Mit dem Verweis auf ihre Freunde nichtirischer Herkunft beschreibt sie eine Heterogenität der irischen Gesellschaft, die infolge einer nationalistisch und rassistisch definierten Irishness ignoriert wird. So argumentiert Abbey scharf gegen die durch die Medien und Politik verbreitete Vorstellung, Rassismus sei ein neues Phänomen im vormals monokulturell-sozialharmonischen Irland. That’s a lot of crap. The Irish were always racist. Even in England you hear an Irish person saying: „All these bleeding foreigners and immigrants coming over!“ I was like: „You stupid idiot, you don’t know what an immigrant is.“ If you are trying to explain to an Irish person in England that they are immigrants they won’t listen: „Ah, no, I’m Irish.“ „Yeah, but you’re an immigrant.“ (lacht) They just see themselves as white an Irish. So they’re not an immigrant. „Black people, Asian people, Chinese people – they are immigrants! – But white people aren’t.“ That’s the sort of attitude they would have. If you went to England and say if you are in my family, they wouldn’t consider you as an immigrant. They would say you are German. – The Irish have always been racist. It has always been there. To me Irish people are quite racist.

Die Ambivalenz irischer Existenzen in rassistisch strukturierten Gesellschaften tritt ein ums andere Mal deutlich hervor. Während Abbey noch vor wenigen Momenten

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den Solidarisierungsprozess zwischen irischen und anderen, auch schwarzen migrantischen Gruppen, schilderte, dem eine Parallelsetzung der Erfahrung, von der weißen hegemonialen Bevölkerungsgruppe diskriminiert zu werden voranging, beschreibt sie nun wie Iren in Großbritannien gezielt Teilhabe an Whiteness beanspruchen und so Anteil an gesellschaftlicher Dominanz nehmen können. Dies erinnert zweifelsohne an das historische Beispiel der „Weißwerdung“ irischer Immigranten in den USA und markiert die Sollbruchstelle der These, dass die Erfahrung der irischen Community im britischen race relations-System einen Beitrag zur Dekonstruktion von Whiteness leistet. Wie meine Studie am irischen Beispiel zeigt, ist es zuweilen kein weiter Weg von der Solidarisierung mit einer und der Diskriminierung einer anderen (schwarzen) Migrantengruppe. Die von den Medien und der Politik verbreitete Vorstellung, dass Rassismus ein neues Phänomen in der irischen Gesellschaft sei, ist bereits eine Manifestation von Rassismus. Ihr entgegenzutreten hält Abbey für einen wichtigen Bestandteil des antirassistischen Kampfes, der jedoch laut Abbey viele Frustrationsmomente beinhaltet. I get a bit disillusioned at times. You know, like: „God, why do we do it?“ Because sometimes it’s very frustrating if someone is deported that you know. It can be a down.

Doch ihre Einbindung in Residents Against Racism, die auch den direkten Kontakt mit von Abschiebung bedrohten Asylbewerbern bedeutet, bezeichnet sie als zentrale Motivation für ihr anhaltendes Engagement. Probably people I know keep me motivated. I think if you know the people it makes them more real. It could be that. ..... Yeah, I think it would be probably the people, say, that are involved in RAR. Or if you hear something’s going on: „Oh, yes, we have to do something about that!“

Dabei hält sie die unterschiedlichen ideologischen Hintergründe der RAR-Mitglieder für einen großen Pluspunkt der Organisation. Den Umstand, dass Anarchisten genauso wie Republikaner oder Sozialisten gemeinsam agieren, hebt sie als notwendige Allianzbildung hervor. I think it’s actually a benefit because if it was just anarchists, or if it was just socialists or republicans doing the campaign obviously people wouldn’t be involved. I’d say RAR is a political organisation as in what we want for asylum seekers but at the same time we are apolitical. There’s sort of no political ideology there. But I think the majority of people in RAR whether they are socialist, Sinn Féin, or anarchists or whatever would believe in an open borders policy.

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Nicht nur der Kampf gegen den staatlichen Rassismus, sondern auch ihre Erfahrungen innerhalb politischer Organisationen sind für Abbey zuweilen frustrierend. Dies liegt auch an ihrer persönlichen ideologischen Verortung im Anarchismus und Feminismus. So ist sie an einer RAR-Kampagne zur Anerkennung von weiblicher Genitalverstümmelung als Asylgrund beteiligt, die insbesondere die Diskriminierung weiblicher Asylbewerber durch den irischen Staat in den Fokus ihrer Bemühungen stellt und Frauenrechte als Menschenrechte einklagt. Doch während sie bei RAR ihren feministischen Überzeugungen folgen kann und dafür auch geeignete Strukturen vorfindet, ist sie sich im Klaren darüber, dass sie bei der Mitarbeit in anderen politischen Zusammenhängen nicht in Gänze offen zu ihren anarchistischen Idealen stehen kann. Dabei betont sie den systemkritischen Charakter ihres Antirassismus, der die herrschenden Verhältnisse infrage stellt. I think racism will always be there until capitalism ends. That would be my opinion. I think it’s probably actually hard as an anarchist involved in antiracism cause there are constrictions. How can I explain this? – In certain situations there’s going to be a hierarchal structure, and obviously as an anarchist I don’t believe in hierarchy. There are contradictions. So you sort of have to work with what is there. There’s certain people I wouldn’t actually say: „Yes, I’m an anarchist.“ because I know that would isolate me. So, yeah, it does pose problems.

Der Unvereinbarkeit ihrer anarchistischen Ideale mit der konkreten politischen Arbeit begegnet Abbey mit einer genauen Abwägung darüber, wo und wem gegenüber sie sich als Anarchistin offen zu erkennen gibt. Diese Selbsteinschränkung hält sie für notwendig, um in den derzeit existierenden politischen Strukturen, auch im NGO-Bereich, effektiv Einfluss nehmen zu können. Doch auch in der anarchistischen Organisation, dem Workers’ Solidarity Movement, in dem Abbey aktiv ist, erlebt sie Einschränkungen ideologischer Natur, die sie zuweilen verzweifeln lassen und ihre Motivation belasten. Dabei deutet sich an, dass sich die männliche Dominanz innerhalb der irischen Gesellschaft auch in linken Zusammenhängen fortschreibt. It’s very frustrating actually because I do get annoyed. I think there’s a bit of bureaucracy within the anarchist movement at the moment. It just seems to be the main people are making the decisions and stuff like that, and a lot of anarchist organizing is done online. – Sometimes I think: „God, why did I join the Workers’ Solidarity Movement?“ It’s very frustrating, and there’s only five women, and when I joined it was only two, and it’s like a bunch of guys, you know... Sometimes there isn’t room even for being a feminist. Do you know what I mean… Because I do actually consider myself an anarchist feminist. So, it’s like.... Argh...That’s frustrating.

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Die Unterrepräsentation von Frauen in politischen Zusammenhängen führt zwar bei Abbey durchaus zu Frustrationserlebnissen, doch ihr Lachen, wenn sie über diese Momente spricht, lässt darauf schließen, dass sie sich von ihnen nicht zur Resignation treiben lässt.8 Vielmehr formuliert sie ihre Vorstellung eines antirassistischen Kampfes gemäß den libertär sozialistischen Zielen der WSM und der Fokussierung von Residents Against Racism auf staatlichen Rassismus. Fight against state racism, institutionalized racism. I think a person in power who is a racist is a bigger problem than the ordinary person on the street shouting abuse. Some people say it’s a „soft“ racism on the street. Now, I don’t think that, either. If you talk to an Irish person, like, even members of my family that I can’t stand anymore, but anyway. It’s like they don’t know the difference between an immigrant, an asylum seeker and a refugee. They haven’t got a clue. They don’t know the asylum seekers are only getting 19 Euro per week to live on. They don’t know there is direct provision programme. They just don’t know. It’s complete ignorance, and that’s the government’s fault. And I think that a lot of racism would come from that – whether it’s the older or the younger generation.

Als antirassistische Akteurin reflektiert Abbey nicht nur die unterschiedlichen Ausprägungen von Rassismus, wobei sie letztlich eine antirassistische Strategie, die sich auf die Bekämpfung eines institutionellen Rassismus konzentriert, favorisiert. Doch auch rassistisches Verhalten im irischen Alltag, insbesondere im familiären Umfeld, bestärkt Abbeys Haltung. Dabei erlebt sie nicht nur die für politische Zusammenhänge bereits beschriebenen Zwänge der Selbstbeschränkung, sondern auch in ihrem alltäglichen Leben. Certain members of my family would make sly comments, just to wind me up, to make me shout at them. That’s the only thing that can really get me annoyed. I don’t use my temper very easily but with that I do. There’s certain people I wouldn’t say that I would be involved

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Zudem verschreibt sich die WSM in einer ihrer Grundsatzerklärungen der Gleichberechtigung von Frauen und zeigt Bewusstsein für die Verschränkung von Klassismus, Sexismus und Rassismus. S. http://www.wsm.ie/story/142 (13.07.2009) So gehört das WSM auch zu den Befürwortern eines „woman’s right to choose“, also eines Rechts auf Schwangerschaftsbeendigung. S. http://www.wsm.ie/story/839 (13.07.2009) Vor dem Hintergrund einer in der irischen Verfassung verankerten Gleichstellung des Rechts auf Leben des ungeborenen Kindes mit dem der schwangeren Frau, welche insbesondere im sogenannten Fall X zu erheblichen Kontroversen führte, sowie die Zugeständnisse der EU-Staats- und Regierungschefs an die Republik Irland, dass das irische Abtreibungsverbot durch den Reformvertrag von Lissabon unangetastet bleibt, wird die Brisanz dieser WSM-Forderung deutlich.

344 | UNDOING I RISHNESS with lefty organisation. Jobs. I reckon I got let go because of that as well. I think it was because the guy saw my photo in the picture. (lacht) And I knew he had negative attitudes, so I think he just got a reason to get rid of me.

Der Entschluss, Zurückhaltung zu üben, wenn es um ein offenes politisches Bekenntnis zu linken Idealen geht, reifte also auch aufgrund nachteiliger Konsequenzen, unter anderem den Verlust eines Arbeitsplatzes. Nichtsdestotrotz vertritt Abbey sehr konsequent ihre antirassistische Linie, wenn sie mir abschließend erst lachend und dann schnell wieder ernst werdend entgegenhält. People need to get up of their arses and start doing something about it. I think we’re becoming a Fascist state. It’s like big brother. George Orwell. 1984. I read the book and I see similarities, and it scares the shit out of me. – 90% of the population would be racist. I know more racist people than I know that are not racist.

Trotz Abbeys düsterer Zukunftsvorstellungen, in denen Irland zu einem faschistischen System mutiert, bleibt bei mir nach unserem Gespräch das Gefühl zurück, dass sie sich auch weiterhin hoch motiviert gegen Rassismus und gesellschaftlich konstruierte Ungleichheit einsetzen wird. Beide Gruppen, in denen sie Mitglied ist, die antirassistische Organisation Residents Against Racism und die anarchistische Vereinigung Workers’ Solidarity Movement, kooperieren mit der Anti-Fascist Action Ireland (AFA Ireland).9

ANTIFASCHISMUS

UND A NTIRASSISMUS : PUSHING THE ANTIRACIST AGENDA ON THE GROUND Die Anti-Fascist Action Ireland wurde 1992 als Schwesterorganisation der britischen Anti-Fascist Action gegründet.10 Letztere formierte sich 1985, um der sich reorganisierenden Nazi-Szene entgegenzutreten. Typisch für die Anti-Fascist Action ist eine duale Strategie, die sie von anderen antifaschistischen Organisationen unterscheidet: Sie bekämpft Faschisten sowohl ideologisch als auch physisch.11 Diese

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So rief die Anti-Fascist Action gemeinsam mit Residents Against Racism für die Dauer des Wahlkampfs im Vorfeld der General Election 2002 die Anti-Racism Campaign in Dublin South Central ins Leben. S. http://www.indymedia.ie/article/2907 (16.07.2009).

10 No Quarter. Ireland’s Anti-Fascist Magazine 1 (2002), S. 3. 11 Zuweilen ist auch von der „twin-track policy“ die Rede. Die Militanz der AFA wird häufig als Kritikpunkt auch innerhalb der Linken vorgebracht. Die AFA begegnet dieser Kritik, indem sie klar stellt: „Anti-Fascist Action is not a terrorist or military organisation, neither

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Militanz, getragen von Antifaschisten12, die „capable of physically confronting the fascists“13 sind, wird als unverzichtbar erachtet und basiert auf der Erkenntnis: „If fascism could have been bored to death or smothered by volumes and volumes of ideological argument it would have been dead years ago.“14 Von seinem körperlichen Erscheinungsbild dementsprechend beeindruckend war dann auch das erste Mitglied der AFA, das ich traf und das mir, auf meine explizite Bitte, Hilfe bei der Kontaktaufnahme zur AFA zu erhalten, von einem RARMitglied auf der Support Palestine-Demonstration vorgestellt wurde: Robert ist ein stämmiger Mann, groß, breitschultrig, mit kurz geschorenen Haaren, hochgekrempelten engen Jeans, Bomberjacke und schweren Stiefeln an den Füßen. In Berlin hätte ich ihn möglicherweise aufgrund der dort mehr oder minder funktionierenden Kleider-Codes auf den ersten Blick für jemanden gehalten, dem ich lieber aus dem Weg gegangen wäre, weil ich einen rechten Schläger vor mir wähnen würde. Dass Robert und ich von jemandem miteinander bekannt gemacht wurden, den er aus politischen Bezügen bereits kennt und als Verbündeten akzeptiert, war eine, jedoch bei Weitem nicht die einzige Voraussetzung, die ich erfüllen musste, um an ein Interview mit der Anti-Fascist Action Ireland zu gelangen. Meine weiteren Bemühungen führten mich zur Gay Pride Parade, die sich am 25. Juni 2005 als bunter, wenn auch überschaubarer Zug durch die Dubliner Innenstadt bewegte.15 Am Nordende der O’Connell Street wartete ich im Schatten der Parnell-Statue darauf, dass ich Robert im Menschenstrom ausfindig machen konnte, der mir zuvor angekündigt hatte, dass die AFA an der Gay Pride Parade teilnehmen würde.16 Endlich

are we just a group of thugs who simply enjoy a good row. […] both parts of our strategy are indeed political. Both are of equal importance, and the balance between them constantly and consistently maintained.“ Martell, Sid: Let’s get physical…, in: Fighting Talk 7 (1994), S. 4. (Hervorherbung im Original) 12 An anderer Stelle muss eine politologische Definition des Faschismusbegriffs erfolgen. Die Verwendung des Begriffs „Antifaschist“ folgt hier lediglich der Selbstdefinition der Mitglieder der Antifascist Action Ireland. 13 No Quarter. Ireland’s Anti-Fascist Magazine 1 (2002), S. 3. 14 Anti-Fascist Action (Hrsg.): Anti-Fascist Action. „Not in the business of complaining about fascism – active in stopping it“ (Faltblatt), o. J., o. O. 15 Die Gay Pride Parade anlässlich der Stonewall Riots in New York 1969 wird seit Anfang der 1980er-Jahre mit wachsendem Erfolg, in Dublin abgehalten. S. http://www.dublin pride.org (16.09.2009); 2009 fand die bis dato größte Parade statt, in der circa 12 000 Menschen für LGBT-Rechte demonstrierten. http://www.indymedia.ie/article/92917 (16.09. 2009) 16 Zum Selbstverständnis vieler linksradikaler Gruppierungen gehört das Eintreten gegen Homophobie und Transphobie. So findet sich in einem Positionspapier der WSM folgende

346 | UNDOING I RISHNESS

entdeckte ich ihn, den grimmig blickenden und mit seinem martialischen Outfit zwischen Regenbogenfahnen, lachenden Lesben und aufgehübschten Transen etwas deplatziert wirkenden Antifaschisten. Ich sprang an seine Seite, lief neben ihm her und eine Federboa ringelte sich um meinen Hals, als ich ihn erneut danach fragte, ob er nicht Zeit und Lust hätte, mir ein Interview zu geben. In diesem Moment zischte mir Robert etwas zu, das ich nicht sofort verstand. Schließlich begriff ich, dass er wollte, dass ich mein Gesicht von einem Fotografen wegdrehe, den Robert als politischen Gegner identifiziert hatte. Auf lichtbildliche Dokumente von sich oder seinen Mitstreitern legt er keinen gesteigerten Wert. Nach einer Viertelstunde scherte ich wieder aus der Parade aus. Mein Bestreben, die AFA für ein Interview zu gewinnen, war noch stärker geworden, nachdem der neben mir hergehende Robert behauptet hatte, dass die AFA und Residents Against Racism „the only true antiracist organisations in Ireland“ seien. Auch wenn ich ihm immer noch keine definitive Interviewzusage abringen konnte, immerhin hatte ich es geschafft, ihm einen Zettel mit meiner Adresse zuzustecken. Wenige Tage später erhielt ich einen DIN-A4-Umschlag mit Informationsmaterialen zur AFA in Irland und Großbritannien: Zeitungsausschnitte und die von mir angefragte erste Ausgabe von „No Quarter“, dem Magazin, das die Anti-Fascist Action Ireland herausbringt. In mehreren E-Mails an Robert appellierte ich an ihn, sich zu einem Gespräch bereit zu erklären, indem ich ihm letztlich offenbar glaubhaft vermittelte, dass es mir ein zentrales Anliegen ist, die Perspektive der AFA in meine Studie einbeziehen zu können. Im Gegensatz zu den RAR-Treffen, die für jeden Interessierten offen stehen, ist die Teilnahme an einem Treffen der AFA nur auf Einladung gestattet. Erst kurz vor Beendigung meines Feldforschungsaufenthaltes in der zweiten Augusthälfte 2005 wurde ich endlich zu einem AFA-Treffen im 1. Stock über einem Pub in der nördlichen Innenstadt eingeladen. Wir waren zu zehnt. Außer mir war nur noch eine weitere Frau anwesend. Im Anschluss kam es zum einzigen Gruppeninterview meiner Feldforschungszeit mit zwei Mitgliedern der AFA: Robert und Niall. Eingangs frage ich nach den Anfängen der Anti-Fascist Action in Irland. Robert ergreift als Erster das Wort.

Feststellung: „The WSM opposes all oppression of, and discrimination against lesbians, bisexual people, gay men and transgendered people (i.e., homophobia and transphobia). Homophobia and transphobia divide the working class against itself and also serve the ruling class as an instrument for enforcing rigid gender roles on people of all sexualities.“ S. http://www.wsm.ie/news_viewer/835 (16.07.2009)

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It was set up in 1992. Largely from people from Dublin who set it up. But many of them had been active in anti-Fascist action in England. I mean, there always was a physical force tradition, an anti-Fascist tradition here. It’s just that it was reignited – if you like.

Robert zufolge spielte also einerseits der Wissenstransfer aus Großbritannien eine Rolle, der, wie ich nachweise, auch für andere politische Gruppierungen festzustellen ist.17 Andererseits hebt er hervor, dass die Anti-Fascist Action an eine bereits existierende heimische Tradition des antifaschistischen Widerstandes anknüpft. Meiner Studie liegt die These zugrunde, dass Antirassismus stets ein Spiegel der nationalen politischen Kultur ist. Insbesondere eine mehr oder minder starke Verortung in der Geschichte des antifaschistischen Kampfes indiziert diese Verwobenheit der jeweiligen politischen Kultur und der von ihr spezifisch geprägten antirassistischen Politik. Wie wirkmächtig die Erinnerung an die Beteiligung am Kampf gegen den Faschismus für den antirassistischen Diskurs ist, zeigt die von Gilroy untersuchte Beschwörung von Britain’s finest hour18 und die von Lloyd beschriebene antifaschistische Strategie in Frankreich, die eine universelle Bedrohung durch das nationalsozialistische Deutschland betonte (vgl. Kapitel „Cathie Lloyds komparativer Forschungsansatz: Antirassismus in Frankreich und Großbritannien“). Funktioniert dieser historische Referenzpunkt in einem Land, das aufgrund seiner politischen Haltung während des Zweiten Weltkrieges nicht unbedingt für seine antifaschistische Vergangenheit bekannt ist?19

T HE B LUESHIRTS : R EFERENZPUNKT ANTIFASCHISTISCHER W IDERSTAND Für Robert und Niall spielen in erster Linie die sogenannten Blueshirts eine zentrale Rolle in ihrer antifaschistischen Selbstverortung. Robert beginnt mit einer kurzen historischen Einordnung der Blueshirts.

17 Dies wird unter anderem auch für den irischen Anarchismus behauptet. Wie in Kapitel „Irische Migrationserfahrungen in Großbritannien – Diskriminierung und Politisierung“ erläutert, tragen aus Großbritannien zurückkehrende irische Migranten zu einem Transfer von politischen Ideen bei. 18 Die Bezeichnung für die britische Beteiligung an der Befreiung Europas vom Faschismus im Zweiten Weltkrieg. 19 Irlands Haltung gegenüber dem Deutschen Reich und während des Zweiten Weltkrieges, der auf der Insel noch nicht einmal so bezeichnet wurde, sondern nebulös „the emergency“ genannt wurde, muss andernorts vertiefend erläutert werden. Offiziell blieb Irland ein neutraler Staat.

348 | UNDOING I RISHNESS Historically speaking, there was the Blueshirts here in the 30s. They pretty much followed the lead of Mussolini. Southern Ireland was heavily rural based, and they were pretty much antiIRA. They were anti-republican as well as anti-socialist and anti-communist. Because of the history that would have emerged at the time of the partition.

Umgehend fügt Niall ergänzend hinzu: Plus the influence of the Catholic Church back in that time also. Around the time the civil war broke out. So, the church and priests were very vocal and giving support to Fascism in Spain. This is around the time the last of the IRA were organising to send volunteers to fight for the republic in Spain. So, that was also very divisive.

Und Robert vervollständigt: And the Fascists historically would be supporters of the partition whereas the IRA would have been for a unified Ireland. The partition came at a time when Fascism was emerging all across Europe. The advocates of the partition, organisations that were very pro-partition would also have been highly reactionary also.

Wie groß die Bedeutung, die der historische Referenzpunkt „antifaschistischer Widerstand“ für die heutige AFA ist, wird auch bei der Lektüre von diversen AFAArtikeln über die Blueshirts deutlich, die als „most serious fascist organisation in Irish history“20 oder „Ireland’s home grown variant of Fascism“21 bezeichnet werden. Die Blueshirts gingen aus der 1932 gegründeten Army Comrades Association hervor, deren Mitglieder ab März 1933 begannen, ein blaues Hemd als Bestandteil ihrer Uniform zu tragen.22 Während im faschistischen Italien die Schwarzhemden und im Deutschen Reich Hitlers Braunhemden faschistische Ideologie in die Praxis umsetzten, wurde im Mai 1933 der von Mussolini eingeführte sogenannte römische Gruß, hierzulande als Hitlergruß bekannt, als offizielle Grußform der Blueshirts angenommen.23 Eoin O’Duffy, ein ehemaliger IRA-Kämpfer und zentrale Führerper-

20 The Blueshirts, in: No Quarter. Ireland’s Anti-Fascist Magazine 1 (2002), S. 4. 21 Anti-Fascist Action (Hrsg.): The Blueshirts (Faltblatt), Dublin o. J. 22 Zwar symbolisiert inzwischen in erster Linie grün die irische Nation, doch das sogenannte „St. Patricks blau“ ist ebenfalls eine irische Nationalfarbe. 23 Lee: Ireland 1912-1985, S. 179. Als vertiefende Studie zur Geschichte der irischen Blueshirts, die schließlich in der bis heute existierenden Partei Fine Gael aufgingen vgl. Manning, Maurice: The Blueshirts, Dublin 2006; Cronin, Michael: The Blueshirts and Irish Politics, Dublin 1997.

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sönlichkeit der Blueshirts, scheiterte mit seinem Vorhaben, Mussolinis „Marsch auf Rom“ als „Marsch auf Dublin“ zu kopieren. Während die offizielle Geschichtsschreibung das Scheitern dieser faschistischen Demonstration auf das beherzte Einschreiten des damaligen irischen Präsidenten Eamon de Valera zurückführt24, betont eine alternative Historiografie, dass die Blueshirts mitnichten von der offiziellen Regierungspolitik zurückgeschlagen wurden, sondern von einer militanten linken Opposition auf der Straße. So unterstreicht Michael O’Riordan, irischer Kommunist und Kämpfer aufseiten der Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg: The fascist threat was not demolished by the De Valera government. This was done by a powerful anti-blueshirt movement that developed in the streets and in the countryside. A fighting united front met them everywhere… This front drove them off the streets after many violent encounters.

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Die Blueshirts erstarkten in einer Zeit massiven sozialen Wandels, geprägt durch Arbeitslosigkeit und eine Krise der Agrarwirtschaft, und wurden von der katholischen Kirche, den damaligen Medien und der überaus machtvollen Gruppe der Großbauern mehr oder minder explizit unterstützt. Die Blueshirts waren die militante Variante eines für die zeitgenössische politische Auseinandersetzung im Irish Free State charakteristischen Antikommunismus, der von den konservativen Kräften der Gesellschaft, vor allem von der katholischen Kirche, propagiert wurde.26

24 Lee: Ireland 1912-1985, S. 179-180. 25 O’Riordan, Michael: Connolly Column: The story of the Irishmen who fought for the Spanish Republic 1936-1939, Barcelona 2005, zitiert nach: Anti-Fascist Action (Hrsg.): The Blueshirts (Faltblatt), Dublin o. J. 26 Die Rolle der Religion für die politische Kultur Irlands ist, wie bereits erläutert, nicht überzubewerten. Dies trifft auch auf die Haltung der katholischen Kirche in der Zeit des großen sozialen Umbruchs zu Beginn der 1930er-Jahre zu. J. J. Lee stuft die irischen Faschisten, die für ihn keine sind, als „not generally anti-semitic“ ein, doch ihren Antikommunismus führt er darauf zurück, dass sie den Kommunismus für atheistisch (nicht etwa jüdischbolschewistisch) hielten. Scheinbar völlig unbelastet von dem Wissen um klerikalfaschistische Tendenzen im Europa der 1930er-Jahre kann er resümieren: „The crusade against communism was more religious war than class war.“ Lee: Ireland 1912-1985, S. 181. Michael O’Riordan hingegen beschreibt, wie die Religion planmäßig von reaktionären Kraften gegen progressive Ideen instrumentalisiert wurde: „Religion was always used against anyone with left wing or communist ideas, they were regarded as a stereotype of the devil in all senses, physically, morally and intellectually.“ Anti-Fascist Action (Hrsg.): Mick O’Riordan Interview with Anti-Fascist Action, in: Supplement to Fighting Talk, 15 (1996).

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Mit beiden Aspekten, der Unterstützung durch den saturierten Teil der Landbevölkerung wie auch der dominanten Religionsgemeinschaft, bewegte sich Irland während der faschistischen Epoche durchaus im europäischen Mainstream. Progressive politische Organisationen sollten zerschlagen werden. Im Februar 2009 berichtet der Irish Independent über jüngst vom Department of Justice freigegebene Akten, die den Fall eines Mannes dokumentieren, der in den 1930er-Jahren erst von der Kanzel herab als Kommunist denunziert wurde, um dann von einem wütenden Mob geschlagen und geteert zu werden. In dem Artikel heißt es weiter: The Catholic Church was a firm opponent of communism, illustrated by a resolution from the Federation of the Catholic Young Men’s Society in Ireland which called for the suppression of left-wing beliefs and was subsequently sent to president Eamon de Valera. Considerable resources were employed by detectives in detailing meetings and those attending, including tracking Irish people who travelled to Spain to fight on the republican side in the civil war there between 1936 and 1939. [...] A group of communists were tackled by gardai when they brandished placards at the car of the German minister to Ireland, Wilhelm Von (sic) Kuhlmann, when he went to present his credentials to the President in 1934, a few months after Hitler had taken power. The three shouted ,Down with Hitler‘ as the minister passed through the centre of Dublin, before one of them was arrested by gardai. Another protester 27

had a placard with ,Away With Fascist (sic) Murderers‘ written on the front.

Die Propaganda der Blueshirts war rassistisch und antisemitisch, inklusive des typischen Stereotyps, demzufolge der Kommunismus eine „jüdische Erfindung“ sei. Darüber hinaus unterhielten die Blueshirts Kontakte mit anderen faschistischen Gruppen in Europa. Die Geschichte des irischen Faschismus zeigt – wie viele andere historische Prozesse in Irland – einerseits die starke Einbettung in allgemeine europäische Entwicklungen und andererseits das spezifisch Irische ihres Verlaufs. Wie von Niall und Robert hervorgehoben, stellt die partition im Anschluss an den irischen Unabhängigkeitskrieg, also die Teilung der Insel in den Irish Free State im Süden und das weiterhin im britischen Königreich verbleibende Territorium im Norden, einen wichtigen Faktor für die Bedingungen und Möglichkeiten politischer Mobilisierung in den 1920er- und 1930er-Jahren dar. Michael O’Riordan betont in einem Interview mit der AFA, dass die Blueshirts „completely in accord with fascist movements throughout Europe“ waren.28 In einem AFA-Text wird auf diese

27 Hickey, Shane: Mob Beat Communist Suspect at Priest’s Instigation, in: Irish Independent, 9. Februar 2009, S. 14. 28 Mick O’Riordan Interview with Anti-Fascist Action, in: Supplement to Fighting Talk, 15 (1996).

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irische Spezifik unter Berücksichtigung einer gesamteuropäischen Entwicklung eingegangen: Although the Blueshirts had, to a large degree, grown out of a specifically Irish situation they shared a lot of the features with fascist movements abroad. These included anti-Semitism, anti-communism, hatred of democracy, indoctrination of children in youth wings, the uniform of shirt (the blue came from the traditional colour of St. Patrick), the ideology of the corporate state, violent attacks on opponents and stupidity.

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Während in dieser alternativen Interpretation der Faschismus irischer Prägung in einen ideologischen Kontext gestellt wird, der über die Insel hinaus weist, vertritt die offizielle Geschichtsschreibung die Ansicht, dass es sich bei den Blueshirts keineswegs um eine faschistische Organisation handelte. In gezielter Disassoziation zur Geschichte des europäischen Faschismus wird herausgearbeitet, dass die Blueshirts nichts mit „real fascism“ bzw. dem „standard fascist model“ oder gar dem „continental fascism“ zu tun hatten, sondern sich lediglich des ästhetischen Stils, nicht jedoch der ideologischen Substanz der europäischen Faschisten bedienten. The Blueshirts are frequently described as fascists. They were not. Fascism was far too intellectually demanding for the bulk of the Blueshirts. Blueshirts were simply traditional conservatives, decked out in fashionable but ideologically ill-fitting continental garb.

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Der Einschätzung des Mainstreams der Geschichtswissenschaft, dass es sich bei den Blueshirts schlicht und ergreifend um herkömmliche Konservative gehandelt habe, die sich in ein zwar modisches, aber letztlich ideologisch schlecht sitzendes kontinentaleuropäisches und damit fremdes und genuin nicht-irisches Gewand gekleidet hätten, wird von einer alternativen Geschichtsinterpretation widersprochen. Wenn sie die Bagatellisierung der Blueshirts im dominanten Geschichtsbild anprangert und darüber hinaus die überaus große Bedeutung jener Phase der irischen Geschichte des 20. Jahrhunderts für heutige progressive politische Strömungen unterstreicht, versucht die AFA nichts weniger als eine geschichtspolitische Offensive. Clearly the rise and fall of this organisation should be of major interest to anti-fascists. However the last number of years have seen a major attempt by academics to whitewash the history of the Blueshirts. According to an RTE documentary last year they were simply country lads concerned about the threat to free speech from the IRA and Fianna Fail. The uniform, salutes and rallies were all about style not substance and anyway most Blueshirts surely couldn’t have understood much about fascist ideology. [...] Anyone who thinks that ,decent

29 Anti-Fascist Action (Hrsg.): The Blueshirts (Faltblatt), Dublin o. J. 30 Lee: Ireland 1912-1985, S. 181.

352 | UNDOING I RISHNESS Irish conservatives‘ would have had no truck with fascism should remember that it was ,decent German conservatives‘ that allowed Hitler into power. Similarly the patronising belief that ordinary Blueshirts were incapable of being proper fascists because they may not have grasped all the finer points of its ideology ignores the fact that the rank and file of European Fascism were unlikely to have read all the works of Hitler and Mussolini.

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Die Erarbeitung eines historischen Referenzpunktes im antifaschistischen Widerstand ist erklärter Bestandteil der politischen Strategie der AFA. Recording the history of militant anti-fascism is an important facet of the struggle against fascism today.

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Wenn sich die irischen Faschisten angeblich nicht wirklich in einer europäischen faschistischen Ideologie verorteten und nur „zufällige Gemeinsamkeiten“33 mit faschistischen Bewegungen in Europa aufwiesen, so nahmen die irischen Antifaschisten der 1930er-Jahre sehr wohl ganz dezidiert Bezug auf internationale Entwicklungen, wie die Aussagen des Zeitzeugen Michael O’Riordan oder auch die im Irish Independent geschilderte linke Protestaktion gegen den Gesandten Hitlers in Dublin im Jahr 1934 belegen.34

I RELAND

MUST BE ANTI - RACIST

Während „Tradition“ fast immer als Hindernis für progressiven Wandel gehandelt wird, zeigt die aktive Geschichtsarbeit der AFA, dass die Erarbeitung einer Traditi-

31 The Blueshirts, in: No Quarter. Ireland’s Anti-Fascist Magazine 1 (2002), S. 4. 32 Mick O’Riordan Interview with Anti-Fascist Action, in: Supplement to Fighting Talk, 15 (1996). 33 Vgl. Lee: Ireland 1912-1985, S. 182. 34 Erst in Ansätzen erschlossen sind die Kontinuitäten im Forschungsfeld des irischen Antikommunismus. Eine ideologiehistorische Untersuchung ist für die Frage der Relevanz des irischen Antikommunismus zentral, fand jedoch bislang kaum unter Berücksichtung europäischer ideologischer Strukturen statt. Fearghal McGarry widmet sich in seiner Forschung sowohl dem Zusammenhang zwischen Antikommunismus und Staatskatholizismus, der Beitrag irischer Antifaschisten im Spanischen Bürgerkrieg und dem faschistischen Republikaner und Anführer der Blueshirts Eoin O’Duffy. Damit leistet er einen überaus wichtigen Beitrag zur Analyse unterschiedlicher politischer Mentalitäten in der politischen Kultur Irlands. Vgl. McGarry, Fearghal: Irish Politics and the Spanish Civil War, Cork 1999; Eoin O’Duffy. A Self-Made Hero, Oxford 2005.

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on durchaus dynamische Prozesse in Gang setzen kann, nicht zuletzt, weil sie die Traditionspfleger in die Lage versetzt, ihr politisches Handeln zu legitimieren. Zu beobachten ist hier die Evolution einer gemeinsamen und einheitlichen Narrative, die zentrale Bedeutung für die Entwicklung antirassistischer Politik entfaltet. Die AFA leitet ihre Politik des militanten Widerstandes gegen Rechtsextremismus und ihre „no free speech for Fascists“-Maxime vom antifaschistischen Widerstand im Irland der 1930er-Jahre ab. Niall beschreibt ein weiteres Charakteristikum, das die heutigen Antifaschisten mit ihren historischen Vorläufern gemeinsam haben: Historically, anti-Fascism in Ireland going back to the 30s would have come from broadly left republican backgrounds but today’s anti-Fascists as I would see it come from a variety of political backgrounds. From anarchist, republican, socialist, various strands... We promote ourselves as a single issue group, let everybody just join up around anti-Fascism regardless of people’s ideological backgrounds. We all find common ground on anti-Fascism.

Bereits Michael O’Riordan beschreibt diese Einigung auf den gemeinsamen politischen Nenner „Antifaschismus“ für die Zeit, als Iren gegen Franco im Spanischen Bürgerkrieg kämpften. Beim Eintritt in die Internationalen Brigaden wurden sie dazu aufgefordert anzugeben, in welcher politischen Partei sie organisiert waren. We all wrote in ,Anti Fascist‘. We didn’t say we were Communists, we didn’t say we were IRA, or that we were Republicans or that we were Liberals [...]. Anti-Fascist – that was the general and all embracing term.

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Ungeachtet der ideologischen Ausrichtung des Einzelnen funktioniert der Fokus „Antifaschismus“, um erfolgreich gegen rechts zu mobilisieren. Robert fasst noch einmal zusammen: All members have agreed to the principal of „no free speech for Fascists“, providing political and sometimes physical opposition to them. That applies to all members whether they be anarchists, socialists, communists, whichever.

Angesichts des herrschenden politischen Klimas resümiert er: Because of the different backgrounds of the membership of AFA we see us more as..almost like gatekeepers. [...] Because we come from different backgrounds we would not be unified around one single political ideology while we are unified around opposition to Fascism. We

35 Mick O’Riordan Interview with Anti-Fascist Action, in: Supplement to Fighting Talk, 15 (1996).

354 | UNDOING I RISHNESS try to prevent Fascism from getting a foothold but we can’t say really what the alternative will be. So what we try to do is to provide the means for progressive elements to step forward and provide the political alternative. [...] So, it’s not AFA’s job to fill the gap. It’s the job of someone else. Of progressive pro-working class organisations to solve the problems of the working class because Fascism in its early stages attempts to misdirect the genuine problems of the working class, the white working class usually.

Sowohl Robert als auch Niall gehen auf das Bekenntnis zur Militanz ein und kritisieren die „liberale Linke“ dafür, dass sie sich grundsätzlich dazu bereit erkläre, mit Faschisten zu diskutieren. Robert rekurriert erneut auf die Geschichte des antifaschistischen Widerstands im Irland der 1930er-Jahre, um die Alternativlosigkeit der militanten Gegenwehr aufzuzeigen: Obviously, when Fascism grew up here it took the fight to the anti-Fascists. There really wasn’t an alternative to fighting Fascism here because Fascism is the party of attack. And obviously it was literally here.

Ob es in Irland in den 1930er-Jahren Faschismus gegeben hat oder nicht, bleibt, wie dargelegt, eine kontrovers diskutierte Frage. Da Abbey eine akute faschistische Bedrohung konstatierte, will ich von meinen beiden Gesprächspartnern wissen, ob es gegenwärtig eine konkrete faschistische Gefahr in Irland gibt. Schließlich existiert in Irland, im Gegensatz zu Frankreich oder Großbritannien, keine offiziell als rechtsextrem eingestufte Partei, die, wie etwa die NPD in der Bundesrepublik, in Landesparlamenten vertreten ist.36 Beide brechen in Lachen aus, was möglicherweise dem Umstand geschuldet ist, dass sie es auf die Wachsamkeit der AFA zurückführen, dass sich die irischen Rechtsextremisten zum größten Teil ein sicheres Betätigungsfeld fernab der Straße im Internet gesucht haben. Robert berichtet zufrieden:

36 Vor dem Hintergrund dieser spezifischen Situation formuliert die AFA ihren politischen Auftrag wie folgt: „AFA will not tolerate the appearance of a racist or neo nazi group in Irland. Our experience has shown that the only effective way to prevent the growth of fascism is to tackle it at source. With the absence of a fascist organisation in Ireland the activities of AFA are limited to creating a network of contacts, monitoring the activities of the small number of fascists here and the distribution of anti fascist literature.“ Anti-Fascist Action (Hrsg.): Anti-Fascist Action. „Not in the business of complaining about fascism – active in stopping it“ (Faltblatt), o. O., o. J.

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They can’t hold meetings. They can’t. They couldn’t say we are having an… call it Irish na37

tionalist meeting... Well, actually that would be confusing... But they couldn’t actually hold their meeting. They couldn’t publicise a meeting. All their meetings would have to be in secret. They can’t march anywhere. They can’t have banners.

Niall bestärkt nicht minder zufrieden: Fear. They realize that there’s opposition out there. And there is an element of fear out there because of successes we’ve had in the past. But I think it should be bore in mind that the violence aspect of it is often a tactic for anti-Fascists. You’re not gonna win the battle ultimately with violence but I guess it’s a fire brigade measure: putting out the fire. Not a long term solution but it will contain things at times.

Doch auch wenn die AFA für Dublin Erfolge im Kampf gegen rechts im öffentlichen Raum der Stadt verbuchen kann, so haben in den letzten Jahren rechtsextreme Gruppen weltweit äußerst effektive Netzwerke aufgebaut. Das Internet nimmt dabei eine zentrale Funktion ein.38 Die sogenannten Cyberfaschisten treffen sich in Internetforen wie Stormfront Ireland. White Nationalist Issues in Ireland oder Irish Nationalism zum Meinungsaustausch mit Gesinnungsgenossen. Unter dem Motto „White Pride World Wide“ werden die typischen rassistischen und völkischen Inhalte verbreitet. Antisemitische Hetze gegen namentlich erwähnte jüdische Personen gehören hier genauso zur Tagesordnung wie der Rat an jedes echte irische Mädchen, seine Ehre für die Reinheit der weißen Rasse einzusetzen. Doch nicht nur die „Klassiker“ des rechten Diskurses werden hier verhandelt. Auch die aktuellen Entwicklungen werden diskutiert. So erklären sich Forum-Mitglieder, die sich mit programmatischen Pseudonymen wie „Irelandueberalles“ oder „JoeMcGoebbels“ gegenseitig, warum Einwanderung schlecht für Irland, der europäische Integrationsprozess das Ende der hart erkämpften irischen Souveränität und die Bildung einer ethno-nationalistischen Bewegung zwingend erforderlich ist. Unter dem Thread Red Alert! Turning the spotlight on Communists, "Socialists", Zionists, West Brits and other anti-nationalists close to home finden sich auch Einträge, die sich mit der „left-wing terrorist organisation Irish Anti-Fascist Action“ und ihrer Zusammenar-

37 Diese Konfusion ist auf die Positivkonnotation des Nationalismus in der politischen Kultur Irlands zurückzuführen. 38 Vgl. Schröder, Burkhard: Rechtsextremismus im Internet, in: Archiv der Jugendkulturen (Hrsg.): Reaktionäre Rebellen. Rechtsextreme Musik in Deutschland, Berlin 2001, S. 157171.

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beit mit der Antirassismusorganisation Residents Against Racism befassen.39 Weiterhin wird folgender politischer Auftrag formuliert: We have to expose these people, so it is up to nationalists to continue to their research. If they have made it their mission to slander and attack decent nationalists in public, then it is up to us to give a public face to these people and their sick ideologies. [...] Don't let them sell your country to the Reds!

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Helden der „anständigen Nationalisten“ sind die in jüngster Zeit, begünstigt durch das Ende des Wirtschaftsbooms, immer offensiver agierenden Immigration Control Platform (ICP). Diese tat sich zuvor im Jahr 2001 mit einer landesweiten Aktion hervor, die irische Bürger dazu aufforderte, vorgedruckte Postkarten zu unterschreiben, die mit der Forderung an den Justizminister geschickt werden sollten, aus der Genfer Flüchtlingskonvention auszutreten.41 In ihrer Selbstdarstellung als NGO beschreibt sie ihre Ziele wie folgt: The aim of the organisation is to address the phenomenon of immigration to Ireland and to lobby Government for a tight immigration policy. The organisation aims at a very rigorous policy in relation to asylum-seekers, refugees, and a determined response to all illegal immigration. No one who holds views of racial superiority is welcome in the group.

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Dem Vorwurf, rassistisch zu sein, soll hier direkt der Wind aus den Segeln genommen werden. Zudem beklagt eine prominente Sprecherin der Organisation, Áine Ní Chonaill: 43

Racism is a word that is flung around to make people be silent.

Wenn die ICP jedoch nicht rassistisch ist, worin besteht dann ihre Motivation, die Stimme gegen Einwanderung in Irland sein zu wollen? Tatsächlich scheint einer Forderungen der ICP sehr wohl der Wunsch nach „ethnischer Reinheit“ zugrunde

39 http://irish-nationalism.net/forum/showthread.php?t=1753 (20.07.2009) 40 Ebd. 41 Diese Aktion sollte die Meinung der „schweigenden Mehrheit“ der Iren zum Ausdruck bringen. S. O’Connor, Brendan: A Vague Play on the Fears of the Silent Majority, in: Irish Independent, 07.01.2001. O’Connor bezeichnet die ICP als „right-wing“und „inhumane“. 42 http://www.immigrationcontrol.org/index.html (21.07.2009) In den letzten drei General Elections hat die ICP Kandidaten geschickt, die jedoch keine Parlamentsplätze erringen konnten. 43 O’Doherty, Caroline: No Room at This Inn, in: Irish Examiner, 05.01.2001.

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zu liegen, wenn „Europa den Europäern!“ gefordert wird. Ganz entschieden wendet sich die ICP gegen die Vorstellung, dass Irland als ehemaliges Auswanderungsland eine besondere historisch-moralische Verpflichtung gegenüber Flüchtlingen habe.44 Überdies wird eine nationalistische Linie verfolgt, wenn europäische Staaten zu mehr „Selbsterhaltungstrieb“ und Widerstand gegen die fremde „Invasion“ aufgefordert werden.45 Die ICP ähnelt in ihren Argumentationslinien sehr stark britischen AntiImmigrations-Organisationen, die ebenfalls bereits seit den 1960er-Jahren behaupten, dass „übermäßige Einwanderung“ schädlich sei und das Asylsystem von illegalen Immigranten ausgenutzt werde.46 (Gilroy FN über Anti-ImmigrationsOrganisationen in GB) Die AFA bezieht sich genau auf diese Ähnlichkeiten, um die Bekämpfung der ICP, die innerhalb der Linken kontrovers diskutiert wird, zu rechtfertigen. Die Erfahrungen, die in Großbritannien gemacht wurden, fließen so in die Strategie der irischen AFA ein.47 People always used to, especially sections from the liberal left, used to always use the argument that Áine Ní Chonaill and the Immigration Control Platform weren’t Fascist. But taken lessons from Britain, we saw that the Fascist groups in Britain had begun as immigration control organisations, they would then become racial preservation societies and then these would

44 http://www.immigrationcontrol.org/arguments.html#historical (21.07.2009) Hier heißt es weiter: „The EU, not just Ireland, has denied that it is an area of immigration.” 45 Haughey, Nuala: Nations Supposed to Be Selfish – Ní Chonaill, in: Irish Times, 05.01. 2001. 46 Eine der wichtigsten Forderungen vieler antirassistischer Akteure, das Recht auf Arbeit für Asylbewerber, lehnt die ICP strikt ab. Eine wahrscheinliche Integration der Migranten, die in Arbeitsprozesse und somit auch gesellschaftliche Zusammenhänge eingebunden werden, wird als Gefahr beschrieben. „If they have been working they will have become embedded in society and are likely to be strengthened in their resistance to subsequent legitimate efforts to deport them. They will also have established links with people whom they will recruit to aid them in that resistance.“ http://www.immigrationcontrol.org/arguments .html#righttowork (21.07.2009) 47 Dabei stellt die AFA klar, dass zwar nicht alle Aspekte der britischen Entwicklung auf Irland übertragbar sind, „but there are similarities, particularly in the scaremongering media headline of the past years.“ Weiterhin unterstreicht sie: „We are not portraying the Immigration Control Platform as the stormtroopers of a neo-nazi movement in Ireland, nor do we claim the Ni Chonaill has some master plan to build a mass racist movement. The ICP is, however, the first appearance here of the type of group which inevitably leads to more extremist right-wing political forces being able to promote their views.“ S. Immigration Control, in: No Quarter. Ireland’s Anti-Fascist Magazine 1 (2002), S. 7.

358 | UNDOING I RISHNESS all join up into a Fascist organisation. It was like why cut down the tree when you can destroy the roots, the seeds!? That was why we took a „no platform“ against ICP. It was a „no platform for Fascist potential“. And a lot of the left didn’t agree with us on that. It was like: „They are not Fascist so therefore we don’t interfere in their game.“ But we did it anyway. So, there’s a clear example of how AFA’s politics had to change, not sort of just targeting an organisation, we had to go into areas that were affected, that were becoming worse through large groups of immigrants being placed in depraved white communities. So, again, like in many ways, at the moment with Fascism, Fascists can’t really organise on the streets, so therefore we are on top of the situation at the moment but we are not on top of the racist situation. There’s still work to be done.

Mit der „no platform for Fascists“- bzw. „no free speech for Fascists“-Maxime ist die Überzeugung verbunden, auch gewaltsam gegen Faschisten vorgehen zu müssen.48 Michael O’Riordan beantwortet die Frage, ob damals wie heute Faschisten freie Meinungsäußerung gewährt werden sollte, mit einem klaren Nein. Obwohl er die faschistische Bewegung der 1930er-Jahre als klein bezeichnet und im Gegensatz zu Abbey keine akute Bedrohung der irischen Gesellschaft durch faschistische Kräfte feststellen kann, lobt er das Engagement der AFA für Flüchtlinge und hebt in Bezug auf den Faschismus hervor: But it’s poison, and you don’t need a lot of poison to do a lot of damage… But never underestimate the ability of Fascism to rise again, and to be encouraged to rise again.

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Darüber hinaus wird sowohl von der alten antifaschistischen Generation als auch von den derzeit Aktiven der Kampf gegen Faschismus mit dem Kampf gegen Rassismus verbunden und die Forderung abgeleitet: „Ireland must be anti-racist.“ Daher hat die AFA ihre „no platform for Fascists“-Maxime in eine „no platform for Fascist potential“-Maxime ausgedehnt, um vor dem britischen Erfahrungshorizont gegen die Immigration Control Platform in Irland vorzugehen. In Großbritannien erwuchsen aus Anti-Immigrations-Organisationen explizit rassistische Gruppen, die für die Reinheit der „überlegenen weißen Rasse“ kämpften. Vor diesem Hintergrund versucht die AFA seit Ende der 1990er-Jahre gemäß dem Motto „Wehret den

48 Auch das WSM fordert „No Platform for Fascists“ und zeigt sich bereit, gewaltsam gegen Versuche, faschistische Organisationen aufzubauen, vorzugehen. http://www.wsm.ie/news _viewer/841 (28.09.2009) 49 Michael O’Riordan im Interview mit Marcas Conchúbair. „Ireland must be anti-racist“, in: An Phoblacht/Republican News, 16.04.1998.

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Anfängen!“ Versammlungen der ICP landesweit zu unterbinden.50 Dabei wird zum einen der Verwobenheit von Rassismus und Faschismus, zum anderen die gesamteuropäische Erfahrung berücksichtigt. Any form of racism aids the growth of fascist ideas – the European experience proves this. Ireland is now experiencing the anti-refugee racism common in France, Germany, Austria and Italy.

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In diesem Zusammenhang bedauert Niall, genau wie Abbey, das geringe Mobilisierungspotenzial des Antirassismus in der irischen Linken. Well, I think, that’s part of the problem really for a lot of the left. Issues of racism can be very disposable if it’s not particularly in the news. They won’t see it as being beneficial to their parties, so they won’t come along, or do the build-up, try to make it successful or even participate if they don’t think that they’re gonna come away from it with more members or increased paper sales. For them it becomes like a transient issue to them. So they wouldn’t be as focussed on it as a single issue group would be because they’re always jumping from one issue to another – which reflects the popular mood, as I see it.

Robert geht auf das Problem ein, die richtige Form und das passende Umfeld für eine politische Demonstration zu finden. Dabei geht es nicht nur um die antirassistische Haltung, sondern vielmehr darum, wie sie auf angemessene Art und Weise in die Praxis umgesetzt werden kann. Dabei bestätigt er lachend meine Wahrnehmung, dass die AFA auf der Gay Pride Parade einen eher deplatzierten Eindruck machte. They show up when it looks popular. I think there is a sense in AFA that we would actually despise that sort of opportunism. We obviously would see ourselves as serious about antiracism and if somebody comes up with the idea of having an antiracist march through town and you say „Are you sure you gonna get a big crowd? Are you gonna make it look stupid?“ There is that danger as well. You might just look like a group of cranks walking through town. As us when we turned up to the gay pride march. (lacht) I’ve never seen so many men dressed as women. (lacht) No. I mean, you want to be at least user-friendly when you bring your message into certain areas. And if antiracism does appear to be this sort of, like, collection of students battering on drums and that doesn’t do us an awful lot good. It’s almost like it

50 So berichtet der Irish Independent am 05.01.2009 über eine Intervention der AFA gegen die ICP, die von der AFA-Sprecherin als „more open in its expression of extreme racist views“ bezeichnet wird. 51 Anti-Fascist Action (Hrsg.): Racist Attacks in Dublin (Flugblatt), o. O., o. J.

360 | UNDOING I RISHNESS compartmentalises antiracism into this sort of image in the same way as you might as well be Mormons: White shirts and badges, two guys with American accents.

Im weiteren Verlauf unseres Gesprächs gehen meine Interviewpartner auf das Problem der angemessenen Strategie ein, um das eigene politische Anliegen erfolgreich transportieren zu können.

„ GO TO WHERE THE RACIAL PROBLEM IS “: AFAS K AMPF GEGEN R ASSISMUS IN DER ARBEITERKLASSE Robert findet ein schönes Bild, um den „Mittelklasse-Antirassismus“ mit seiner durch die Unfähigkeit, andere Lebensumstände mitzudenken, eingeschränkten Reichweite zu kritisieren. Es fügt sich in die generelle Kritik der AFA an anderen antirassistischen Organisationen ein, die letztlich auch Aufschlüsse über den Antirassismusbegriff der AFA zulässt. In Ireland an entire ,pro multi-cultural‘ industry has developed around what a professional middle class elite define as ,anti-racism‘. Universities busy themselves setting up post graduate diplomas in multi-ethnic studies. [...] Groups exist which have no function other than providing platform speakers and facilitators out of state-funded offices. That is the same State which is implementing the racist policies mentioned above. The ,multi-cultural lobby‘ squeals loudly about the need for the government funds to implement ,anti-racism education programmes’ and also suggests the creating of a special government minister to deal with race related issues. More jobs for the boys and girls with their social work degrees and middle class angst about ,the underprivileged‘.

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Indem die AFA den Antirassismus der Mittelklasse in Anführungszeichen setzt, macht sie klar, dass ihr Antirassismus mit einer Gesellschaftsanalyse und dem Anspruch verknüpft ist, als Teil einer politischen Strategie gegen diejenigen gesellschaftlichen Zustände vorzugehen, die Rassismus produzieren. Die AFA will nicht wie missionierende Mormonen mit erhobenem Zeigefinger gegen Rassismus agieren und wie Fremde von außen in Communitys eindringen, sondern Menschen, die in ökonomisch bedrängten Verhältnissen leben, die Möglichkeiten der Solidarisierung aufzeigen. Neben der oben beschriebenen kurzfristigen Strategie, die mit direkten Aktionen auf die aktuellen Entwicklungen schnell reagiert, verfolgt die AFA auch die längerfristige Perspektive, die „working class communities“ zu erreichen.

52 Editorial, in: No Quarter. Ireland’s Anti-Fascist Magazine 1 (2002), S. 2.

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It’s been always AFA’s policy to go to where the racial problem is. It’s usually in the most deprived parts of Dublin.

Robert beschreibt, wie sich die AFA in ihrer Strategie dem Veränderungsprozess der irischen Gesellschaft anpassen musste. Während in den frühen 1990er-Jahren die Konfrontation mit rechtsextremen Skinheads im Mittelpunkt der Aktionen stand, änderte sich in der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre der Fokus. Dabei unterstellt die AFA der irischen Regierung mit der Unterbringung von Flüchtlingen in armen Stadtteilen Dublins, rechtsextremer Agitation Vorschub zu leisten.53 Theoretically a Fascist group should have been rejoicing. Happy days for them! Just the ideal template for Fascist growth! And so from the beginning AFA argued that we have to go into those areas and win the arguments before they arise. In many cases there were a lot of urban myths going around, and sometimes politicians would use some of these urban myths to get a better support in the area.

Robert geht ausführlich auf die allgemeine Stimmungsmache gegen Asylbewerber und Flüchtlinge ein. Er bezeichnet die Räuberpistolen um die angeblich fürstliche Versorgung von Migranten mit Sonderleistungen wie z. B. kostenlose Mobilfunktelefone als „urbane Mythen“, die bekämpft werden müssen, damit sie nicht vom politischen Mainstream instrumentalisiert werden können.54 Wie die überwiegende Mehrheit der irischen Antirassisten betrachtet auch die AFA den Kampf gegen rassistische Propaganda als zentrale Aufgabe. So geht sie in die Arbeiterbezirke, um Flugblätter zu verteilen. Dabei gehört in diesem Falle, wie auch in Frankreich oder Großbritannien, zu den traditionellen antirassistischen Argumenten, dass Rassismus

53 Verhältnismäßig früh erkannte die AFA die Notwendigkeit, dem Ende der 1990er-Jahre stärker werdenden Rassismus entgegenzutreten. Bereits im Sommer 1998 konstatierte sie: „Protests against racism addressed to anti-racists are a sterile strategy. The battle must be fought and won at local level. This means slow, patient work to dispel the racist lies about refugees and, crucially, the building of links between both the refugees and the local communities.“ Anti-Fascist Action (Hrsg.): Fighting Talk. Another Year, Another Carnival…, o. O. Sommer 1998. 54 Für die AFA tragen Medien und offizielle Politik die Hauptverantwortung für die Verbreitung rassistischer Stereotype: „The blame for the current rise in racism lies firmly with the majority of establishment politicians and the media. […] Politicians and the media have blamed crime, poverty and housing shortages on refugees. In reality the blame for these social problems lie with the political parties.“ Anti-Fascist Action (Hrsg.): Fighting Talk. What Happens when the Partying is Over? (Flugblatt), o. O. Sommer 1997.

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der Versuch sei, die „Arbeiterklasse“55 zu spalten und ihr revolutionäres Potenzial zu neutralisieren. One tactic that would be used by anti-Fascists over here, it has to be said as well that maybe 90% of the work we do is education: producing leaflets, going around areas, leafleting door to door, just trying to break down the myths that have been put there by the establishment already. Back from the mid-1990s we had all these stories coming out in the newspapers, and our goal was to get the truth out there and produce leaflets, go door to door trying to limit the damage that was being done. Because it’s hand in hand kind of: The newspapers were putting out the stories, but the establishment politicians would have been glad to go along with them or else maybe even giving those stories to the media.

Als Niall anfängt über die Rolle der Medien zu sprechen, fügt Robert eilig hinzu: The News of the World, they had a front cover that was „Scroungers flooding the country“. Normally, you see that in a Fascist paper. I think it was 96 that was front page.

Wieder ergreift Niall das Wort, um die Folgen dieser Medienpropaganda klarzustellen: The false stories have been so embedded now. All the stories have gone out there that they don’t feel the need to distinguish between immigrants, asylum seekers, refugees.

Als Robert erneut betont, wie wichtig es für ein erfolgreiches politisches Vorgehen ist, den Menschen auf Augenhöhe zu begegnen, diagnostiziert er zugleich ein weiteres Defizit linker politischer Praxis. In many cases the problem of a lot of the left is it comes from outside. And in many cases it has been a problem with the left to sort of socialise together. And it just becomes like a creek within society that’s too far away from the problems.

Diese Einschätzung, dass es wichtig ist, politische Basisarbeit zu betreiben, bringt mich darauf, meine Gesprächspartner danach zu fragen, ob sie in ihrem Bemühen, gezielt in den Arbeitervierteln gegen rassistische Ressentiments zu kämpfen, von dem in Irland sehr weit verbreiteten Prinzip des community development (vgl. Kapitel 6) beeinflusst werden. Nach einigen Momenten des Zögerns ergreift Niall das

55 Hier liegt ganz offensichtlich ein anachronistisches Verständnis gegenwärtiger europäischer Gesellschaften zugrunde, in dem sowohl in Großbritannien wie auch in Irland der Begriff der „working class“ respektive „Arbeiterklasse“ gänzlich ungebrochen tradiert wird.

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Wort, um die AFA von anderen linken Gruppen abzugrenzen, denen er die Tendenz zuspricht, sich eher als exklusive Clique, die starren ideologischen Vorgaben folgt, zu gebärden. For us I think because we do work in the community it gives us a better handle on the situation. We know what the feeling is on the ground. And we know how our influence because we would already been known in these communities. We know how to deal with the more extreme reactions you get from natives of the area.

Robert hingegen unterstreicht, dass das Vertrauen der Menschen in den Arbeitervierteln erarbeitet werden muss, um politisch wirksam werden zu können. Für ihn als Nicht-Iren stellt dies eine besondere Herausforderung dar, die er durch jahrelange Vertrauensarbeit versucht zu meistern. Once you’ve dug into an area, because you’re doing work on the ground you’re familiar also, you’re not an outsider and in many areas that can mean a huge amount. You know. It’s kind of difficult for me with a Welsh accent. But even I would have certain degree of familiarity now in my own area. And I think that people are more likely to listen to you if you’re actually active at community level. Though they’re okay if you say: „Aw, there’s no point in picking on them. Our real problems are a, b, and c.“ They are more likely to listen to that. Rather than if you run up with a placard, standing outside their doors shouting: „Refugees are welcome here!“ It’s a good slogan but it’s not a reality... It’s a slogan they often use: „Refugees are welcome here!“ You’ll often hear it down at the antiracist demonstrations. They’re actually saying that refugees are welcome in this country which is an aspiration not a fact.

Niall hat Roberts Ausführungen mit einem zustimmenden Kopfnicken begleitet. Nun hebt er hervor, dass die Strategie des Mittelklasse-Antirassismus nicht nur wirkungslos, sondern sogar kontraproduktiv ist. Exactly! But it was put forward more as a statement of fact than an aspiration. So, if you go into a working class area with a placard message saying: „Refugees are welcome here!“ It would seem as if you’re dictating. Imposing. And most of the antiracist left wouldn’t be known for their community work at all. In those areas they would be coming in as strangers. So, of course people would say: „Who are you anyway? And why are you telling us how we should react to refugees?“ So, it’s actually counterproductive. It’s damaging to progressive work.

Die AFA sieht keinerlei Widerspruch darin, ihren Kampf zwar vorrangig auf die Bekämpfung des Rechtsextremismus auszurichten, sich jedoch gleichzeitig um die Zurückdrängung von Rassismus, insbesondere in der „Arbeiterklasse“, zu bemühen. Die Bedenken, wie sie etwa Gilroy (vgl. Kapitel 3) bezüglich des britischen Antifa-

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schismus und seiner Tendenz, Rassismus nicht im Mainstream der Gesellschaft, sondern lediglich in der rechtsextremen Szene zu lokalisieren, äußert, scheinen hinsichtlich des irischen Antifaschismus nicht fundiert zu sein. Auch im direkten Vergleich zu Residents Against Racism geht Robert auf eine nach seinem Dafürhalten gelungene Arbeitsteilung innerhalb der irischen Linken ein. Dabei definiert er nochmals die politische Stoßrichtung der AFA. Well, I think with AFA...I mean as far as institutional racism is concerned, really I think a lot of institutional racism like for example deportations and that, and immigrants facing deportation, Residents Against Racism actually deals with that. So, we are very close to Residents Against Racism, we’ve done combined leaflets with them but it’s almost like we have different…: We fill different gaps in the antiracist agenda. Whereas Residents Against Racism would have the lawyers, would have the hotline for refugees to come for help and that we would have the sort of more political...we’d be the ones who sort of...okay...the physical side of it. Plus, we would have actually people on the ground in the Inner City trying to push an antiracist agenda on the ground. So, I think it works quite well with us and Residents Against Racism. I think a lot of it is divided up quite well. We fill different areas, and we co-operate. We’d be more on the ground. We’d be more sort of in the working class areas. We wouldn’t have much contact with solicitors.

Erneut bringt ein AFA-Mitglied seine Überzeugung zum Ausdruck, dass sich die AFA zwar einen bestimmten politischen Auftrag gesetzt hat, jedoch nicht alle anfallenden Aufgaben der politischen Linken erfüllen kann. Aussagen wie „It’s not AFA’s job to fill the gap“. oder in Bezug auf Residents Against Racism „We fill different gaps in the antiracist agenda“. verdeutlichen einen gelassenen Umgang mit der Begrenztheit der eigenen politischen Reichweite, die gleichzeitig die Intervention und das Engagement anderer progressiver Organisationen zulässt und fordert.

P UNK UND ANTIFASCHISMUS In der Anti-Fascist Action sind mehrere Menschen aktiv, die sich in der Dubliner Punkszene bewegen. Sowohl für Robert als auch für Niall war die Begegnung mit dem Punk ein entscheidendes Moment in ihrer individuellen politischen Sozialisation. Während für Niall zuerst der Punk und dann die Politik kam, erinnert sich Robert daran, wie er vor seinem ersten politisierenden Musikerlebnis als Schüler mit politischen Organisationen in Berührung kam, die ihn letztlich zum Antifaschismus führten. Anhand eines Buttons, den er an seiner Jacke trägt, hatte ich bereits erkannt, dass der Maoismus für Robert eine wichtige Rolle spielt.

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I was very young – before I got into punk in fact. I was still in high school when I joined the communist party, left them soon after and joined a Maoist group, and from there it brought me into the sort of like politics in the mainstream… Maoism has always promoted violence for political aims, and it was just a short jump into anti-Fascist politics. All the years that I was in London I was active in the anti-Fascist scene – if not on the meetings then certainly on marches and stuff like that. I’d actually joined Anti-Fascist Action in England, and came over here. I just linked up here.

Für Niall hingegen öffnete Punk eine Tür zu politischen Ideen. Über Albumcover und Textbeilagen drangen die politischen Botschaften zu ihm vor. Well, I guess, probably the punk would have come first for me and then the ideas would have come a little bit later. Probably, yeah, because reading lyric sheets... lyric sheets… album covers would have introduced me to ideas that I might not have heard about. Yes, I guess that would have introduced me to ideas that I wouldn’t have thought about before.

Während für den ansonsten recht martialisch wirkenden Robert in Bezug auf Punk eher ruhige Zeiten eingekehrt zu sein scheinen, die er mit einem leicht sarkastischen „I was a punk once. I still listen to music. I stopped getting angry.“ quittiert, ist Niall immer noch aktiver Punkszenegänger. Seine Initiation durch den Punk liegt zwar schon Jahre zurück, doch er ist immer noch stark durch seine Band und regelmäßige Konzertbesuche involviert. For me – when I first started getting into punk I would have been as much influenced by the ideas of punk as much as the music. And the type of punk that I would have been listening would have been coming from probably what’s broadly known as the anarcho punk scene or the peace punk scene.

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Bands in the early 80s like Crass, Conflict – bands like that who

would have been singing about all these ideas: antiracism and freedom. So, I would have picked up on those ideas from an early age. There seems to be a pretty big crossover. I think even more so on the continent, in Europe, there seem to be a lot more punks involved over there in anti-Fascist stuff.

Für viele AFA-Mitglieder ist ihre politische Haltung mit einem gewissen Lifestyle verbunden. Die von Niall genannten Punkbands Crass und Conflict ordnen sich selbst dem Anarcho-Punk zu, der Anarchismus nicht nur als politische Ideologie, sondern als umfassende Gegenkultur propagiert. In ihren Texten drücken sie eine linksradikale anarchistische Haltung aus, die gegen Rassismus und Faschismus mo-

56 Innerhalb der Anarcho-Punkszene kristallisierte sich der Peace Punk heraus, der durch Bands verkörpert wurde, die eine pazifistische Einstellung vertraten.

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bilisieren will. Wie der britische Antirassismus, der seit den späten 1970er-Jahren traditionelle linke Organisationsformen überwand und überaus erfolgreiche Formate wie Rock Against Racism entwickelte, erkennt heute die irische AFA das progressive Potenzial von Rockmusik und macht es für sich politisch nutzbar. So veranstaltet die AFA Benefizkonzerte in eigener Sache mit Punkbands, die mit Flyern beworben werden, die mit dem zu einem antirassistischen Markenzeichen gewordenem Slogan „Rock Against Racism“ werben. Dabei wird auch der Schlachtruf „No pasarán!“ (Sie werden nicht durchkommen!), der im Spanischen Bürgerkrieg zum Symbol des Widerstandsgeistes der Republikaner wurde, eingesetzt, der heute ebenso von Antifaschisten in der Bundesrepublik und in anderen europäischen Ländern verwendet wird.57 Allerdings zeigt sich, dass das Mobilisierungspotenzial von Popkultur nicht nur von der Linken erkannt und genutzt wird, sondern dass auch rechte Akteure versuchen, sich dieser Quelle zu bedienen. Robert und Niall berichten, dass zu Beginn der 1990er-Jahre erfolgreich gegen eine Gang von Blood and Honour-Skinheads58 vorgegangen worden ist, die die Punkszene unterwandern wollten. So heißt es in No Quarter unter der Überschrift „War Stories“: In Dublin in the 90s a 30 strong gang of Blood and Honour-skinheads tried to impose their nazi beliefs on the counter culture punk scene. A nazi presence began to emerge at punk and ska gigs and antiracist SHARP-skinheads

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were attacked. AFA, through it’s (sic) people in

the punk scene, began to fight back. There were a number of confrontations between the fascists and AFA, which the outnumbered AFA always won. The decisive event which drove the fascists back underground was when a pub hosting a nazi gig was attacked. It was clear that the nazis could no longer openly hold gigs or events or even display their hate symbols.

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57 http://www.geocities.com/irishafa/ (27.07.2009) 2002 spielte die Punkband The Angelic Upstarts für „several hundred anti-fascists“ in Dublin. 58 Hierbei handelt es sich um eine rassistische Variante der Skinheads. Blood and Honour, gegründet in den 1980er-Jahren vom Sänger der britischen Neonazi-Band Screwdriver, ist ein international agierendes White Power-Netzwerk (der deutsche Ableger wurde 2000 verboten), welches in dem eindrücklichen Dokumentarfilm „White Terror“ (2005) von Daniel Schweizer untersucht wird, der unter anderem auf die geschickte Nutzung moderner Kommunikationsmittel, wie dem Internet, durch eine neue Generation von Rassisten eingeht. 59 Die Abkürzung SHARP steht für Skinheads Against Racial Prejudice, der antirassistischen Variante der Skinheadkultur. 60 AFA Ireland. 10 years of Irish Anti-Fascism, in: No Quarter. Ireland’s Anti-Fascist Magazine 1 (2002), S. 3.

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Die AFA bietet nicht nur eine linke Alternative an, weil sie die Notwendigkeit erkennt, egalitäre und antirassistische Werte in die Subkultur zu tragen, sondern bekämpft damit die ideologische Übernahme der Subkultur durch antidemokratische und rechte Kräfte. Niall berichtet über die Kontakte der AFA mit der Dubliner Punkszene und das spezifische Engagement, für das die Punks bereit sind. An Polit-Treffen in engen Räumen sind sie laut Niall nicht sonderlich interessiert. Yes, we’ve had quite a lot of support from some of the punks in Dublin. A lot of them don’t like to come to meetings and sit in rooms...

Und Robert vervollständigt: ...but they’ll do the work.

Niall resümiert: They’ll do the work if there is a call out. If there’s an event they’ll be there.

Für spontane Aktionen und Ad-hoc-Zusammenarbeit stehen die Dubliner Punks zur Verfügung. In der Voodoo Lounge und anderen kleinen Clubs finden regelmäßig Konzerte statt, die von der Szene besucht werden. Mir fiel ein Flyer in die Hand, auf dem unter der Überschrift „Here Comes the Summer“ – in Anlehnung an den Hit der nordirischen Punkrockband The Undertones – „2 nights of Quality AntiRacist Street Punk“ versprochen werden. Neben der Aufforderung „Smash Fascism“ zerschmettert ein Stiefel ein Hakenkreuz. Eine Punkband aus Frankfurt am Main und eine Ska-Punkband aus England spielen zum Tanz auf.

ANTIRASSISMUS RELOADED : Ö FFNUNG DES IRISCHEN ANTIRASSISMUS Die Antifaschisten in Irland haben ein gegenwartsbezogenes Verständnis von Rassismus, das die rassistischen Aktionen von Faschisten in einen Zusammenhang mit staatlicher Politik stellt. Gleichwohl verorten sie sich in der Geschichte des irischen Widerstandes gegen Faschismus, wie er im Kampf gegen die Blueshirts oder dem irischen Engagement aufseiten der antifaschistischen Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg erinnert wird. Irische Antifaschisten stellen generationenübergreifend ihre antirassistische Politik in einen europäischen Kontext und betten sie damit in ideologische Strukturen ein, die nicht spezifisch irisch, sondern ge-

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samteuropäisch sind. Die Berührungspunkte zwischen Punk und Antifaschismus stellen eine weitere Option dar, sich in Zusammenhängen zu positionieren, die über den irischen Kontext hinausweisen. Nicht nur für Mitglieder der Anti-Fascist Action, sondern auch für andere von mir befragte antirassistische Akteure stellen die historischen Referenzpunkte Faschismus und Spanischer Bürgerkrieg eine feste Größe dar. Patrick und Declan erinnern ebenfalls an die Blueshirts und verbinden damit eine Kritik an der ideologischen Konstruktion einer homogenen irischen Gesellschaft, die niemals von Immigration betroffen gewesen sei, sowie eine Kritik am Einfluss der katholischen Kirche auf die politischen Verhältnisse. Declan, ein irischer Antirassist, in dessen politischer Selbstverortung Antifaschismus keine Rolle spielt, erklärt mit seiner Geschichtsinterpretation die Politik des irischen Staates gegenüber jüdischen Flüchtlingen während der nationalsozialistischen Herrschaft in Europa. Darüber hinaus schlägt er einen direkten Bogen zwischen dieser historischen Episode und dem heutigen identitären Selbstverständnis der Iren angesichts der neuen Einwanderung und der Existenz der Traveller. In the 1930s we would have had the Blueshirts which had a far right ideology and they pushed against anybody coming in who was not white Irish. Jews were not allowed to immigrate into Ireland because there was a fear that they would be a threat on Catholicism. That was one way that they put it. I still do not believe that we have addressed the issue of racism within this country. We have looked at racism as an influx of others onto ourselves. And one great example that I’ve used is define yourself. People will say they’re Irish. So, are children of African parents – they are Irish. And the other way I’ve said it you’ve called them itinerants, knackers if you are being derogatory, tinkers. And you’ve always said: „If they are Travellers then we’re settled.“ And I’ve always argued: „What is a settled person? How do you define a non-Traveller as being a settled person?“ It’s like if you’re not a Traveller than you’re a settled person therefore you have a definition that is different than being a Traveller. The language is changing to sound similar, the ideology hasn’t. We still see Travellers as different and not being part of Irish society.

Sehr eindrücklich verweisen Declans Einschätzungen auf den binären Charakter der Konstruktion des Anderen, in diesem Fall der Traveller. Dies erinnert stark an Stuart Halls Beschreibung des Rassismus als Verleugnung der Tatsache, dass wir uns selbst nur in Abhängigkeit von anderen kulturell herstellen können. Patrick, aktiver irischer Republikaner und Mitglied bei Residents Against Racism, stellt die von ihm diagnostizierte Entpolitisierung bzw. Politikverdrossenheit vieler Iren in einen direkten Zusammenhang mit der politischen Kultur Irlands, die, wie ich herleiten konnte, als autoritäre Gesellschaftsform kein idealer Nährboden für emanzipatorische Ideen oder widerständiges Verhalten ist. Dabei beklagt er, dass Rassismus von den gesellschaftlichen Peergroups instrumentalisiert wird.

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It’s very, very important you do things because it’s the right thing to do and not because it’s something that will get you votes. Playing the race card you are guaranteed to get votes out of it, but it’s not the right thing to do. It’s very important – as a socialist, as a republican – that you do things because it’s the right thing to do. There’s been quite a lot of politicians in Ireland in subsequent governments who are more than willing to sell their souls to anything or for anything just to maintain themselves in power or just to get a few more votes to get themselves elected. And it’s not the right thing to do. It shouldn’t be tolerated in Irish public life. – It’s not that the Irish people are apathetic. It’s just that they haven’t been empowered to take control over their own lives and over their own political situation. If you talk to people on the streets people are quite unhappy about the political process in Ireland. They just don’t seem to know how they can change it and that’s because they have been completely alienated from political life. And that’s where socialists need to be able to organise that.

Besonders vehement lehnt er das häufig vorgebrachte Argument ab, dass zwar unzweifelhaft eine Depolitisierung einer Mehrheit der Bevölkerung zu beobachten ist, dies jedoch auf die allgemeine Lebenszufriedenheit aufgrund des irischen Wirtschaftswunders zurückzuführen sei, die gleichsam eine Zufriedenheit mit der politischen Führung einschließen würde. Die Entfremdung vom politischen Prozess führt Patrick auf die Macht der katholischen Kirche zurück. Der historische Rekurs auf das Engagement der Blueshirts für Francos Truppen und die historische Rolle der katholischen Kirche führt ihn direkt zu einer Analyse der heutigen Einstellung vieler Iren gegenüber dem politische System, in dem sie leben. The Catholic Church was trying to create this moral monopoly where only they knew what was moral and if you’re against them then you’re immoral. It’s a strange concept really. (lacht) And look what happened with the Irish Catholic church – they were riddled with paedophiles. And again they were riddled with the most right wing individuals who had extremely strong links to Fascists. I mean there were Irish Blueshirts who went off to fight for Franco’s army during the Spanish Civil War and there are photos of priests Nazi-saluting them – or Fascist-saluting them. The Catholic Church has always had that strong influence but I think you find that people are just sick of politicians coming around knocking on their door every five years telling them that they’ll do this, getting into power and doing exactly the opposite. People are just sick of that.

Neben diesen irischen Stimmen innerhalb der antirassistischen Szene kommen solche hinzu, die eine Auseinandersetzung mit dem Faschismus und ihrem eigenen Linkssein vor dem Hintergrund eines anderen nationalen Kontexts entwickelt haben. Nicht nur auf ideologischer, auch auf personeller Ebene hat sich der irische Antirassismus geöffnet: Zahlreiche Nicht-Iren bereichern, wie aufgezeigt (vgl. Kapitel 7), seit geraumer Zeit den irischen Antirassismus, und bringen ihre Sicht der Dinge in den antirassistischen Diskurs ein, insbesondere ihre Erfahrung mit rechts-

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extremen Strukturen und deren Bekämpfung im Rahmen erfolgreicher antirassistischer Praxis. Diese Akteure aus der „westlichen Welt“ stammen zum Großteil aus Großbritannien oder aus dem europäischen Ausland und den USA. James, der jahrelang als politischer Aktivist im nordenglischen Bradford tätig war und sich unter anderem motiviert durch eine politische Niederlage im Kampf gegen die BNP entschloss, nach Irland zu ziehen, vergleicht die britische mit der irischen Situation, die ungleiche Rahmenbedingungen für politische Arbeit bedeuten. There is a strong continuity in what I was doing in Britain and what I’ve begun doing in Ireland politically in that in Britain there was a very, very strong logic in the focal point of antiracist activity there being an attempt to combat the British National Party as an expression of racism and Fascism there. Ireland doesn’t have any parallel to the British National Party. There is no organised political group that has emerged to try and gain… I mean, the very great danger that racism and Fascism pose is that they divide people. They hamper efforts to organise opposition to government policy and to put forward any kind of alternative progressive agenda because they point people, ordinary people, working class people to fighting amongst one another. That’s obviously the agenda of racists. There isn’t a substantial visible Fascist organisation in Ireland as with Britain to be such an immediate threat. But clearly if a situation is allowed to develop where racist attitudes and policies an evermore accepted part of the culture of Ireland then that becomes a great block to any kind of progressive change here. I’m saying, yes, there has to be the potential because there is a level of vicious racism that gets expression in racist attacks and racist abuse which could given circumstances and leadership coalesce into some kind of… I don’t think that would easily come about in Irish society but I also don’t think it’s impossible. It’s unlikely in the context of economic boom but I mean the whole history of Fascism is that it’s thrived in the context of being able to scapegoat people in a time of economic downturn. And, you know, blaming a section of the population for the general illness to divert anger away from being focused on the government. So, I think… I just think it’s absolutely central in a society where migration is such a new phenomenon or significant immigration is such a new phenomenon, obviously emigration is not a new phenomenon to this country at all. (lacht) But I think it’s vital that in a country which has changed so rapidly and is still looking to come to terms with that. The part and parcel of a socialist left activism is cute awareness of that and a very strong antiracism is part of a political practice… not to say, I mean, I don’t focus exclusively on working with RAR and would never want that to be the sum total of where I put my energies but I would in present day Ireland if I was to conduct… If I was trying to label my politics as socialist or left and progressive and I was involving myself in various issues to the exclusion of any real focus on antiracist work then I think I’d be missing something that is an absolutely vital component to where people, you know, what are the priorities in present day Ireland. So, yes, my

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activism spins off in various directions but I think absolutely it has to have a significant antiracist component as part of it.

Auch für James ist Rassismus ein Instrument der Herrschenden, welches das Entstehen einer regierungskritischen Opposition verhindern soll. Darüber hinaus verweist er auf den Zusammenhang zwischen rapiden gesellschaftlichen Umbrüchen, wie er in Irland zu beobachten ist, und Faschismus. Eine Bedrohung durch faschistische Politik sei während eines Wirtschaftsbooms geringer als während Krisenzeiten, in denen erfahrungsgemäß bestimmte Menschengruppen zu Sündenböcken für die gesellschaftlichen Missstände gemacht werden, um von der Verantwortung der Regierung abzulenken. Außerdem relativiert James die herrschende Einschätzung, dass Einwanderung ein gänzlich neues Phänomen für Irland sei, hebt jedoch gleichsam den generellen massiven Wandlungsprozess der irischen Gesellschaft hervor, der vielfältige soziale Probleme mit sich bringt. Die Linke stehe vor der Herausforderung, besonders große Wachsamkeit zu zeigen und Antirassismus zum zentralen Bestandteil ihrer politischen Praxis zu machen. Zwar dürfe keine Limitierung auf Antirassismus erfolgen, allerdings sei eine antirassistische Komponente linker Politik obligatorisch, die grundsätzlich auf eine Vielzahl unterschiedlicher Probleme reagieren müsse. Überdies erklärt mir James sein antirassistisches Engagement in Irland als eine konsequente Fortsetzung seines politischen Aktivismus in England. Dort war Antirassismus eine Antwort auf die rechtsextreme BNP, die wiederum als Ausdruck von Rassismus und Faschismus galt. Dabei gibt er zu Bedenken, dass es in Irland kein Äquivalent zur britischen BNP gibt und dass keine faschistische Organisation eine unmittelbare Bedrohung darstellt. Gleichwohl müsse der Entwicklung Einhalt geboten werden, dass Rassismus immer mehr zur Alltagskultur gehört und auch dafür verantwortlich ist, dass progressiver gesellschaftlicher Wandel vereitelt wird. Das Fehlen der Manifestation von Rechtsextremismus in Form einer Partei thematisiert auch Barnaby, ein weiterer Engländer, der heute in der irischen Antirassismusszene aktiv ist und sich in den 1970er- und 1980er-Jahren in der Anti-Nazi League und Rock Against Racism engagierte. There was Rock Against Racism. You could go from the Anti-Nazi league, talk about institutional racism in Britain, and the role the state and that capitalism played quite easily! To be an anti-Nazi...It was quite easy to pull people. Especially with Britain’s role fighting against Nazism in Second World War. It’s quite easy to get people, to get trade unions to be against the Nazis. And then to try to pull them further to the left against racism, against the government...

Er nimmt eine positive Bewertung der damaligen antirassistischen Bewegung in Großbritannien vor und berichtet, dass es aufgrund des historischen Referenzpunk-

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tes von Britain’s finest hour relativ einfach war, Menschen davon zu überzeugen, sich nicht nur gegen Faschismus, sondern darüber hinausgehend gegen Rassismus und gegen herrschende Regierungspolitik zu wenden.61 So erscheint es folgerichtig, dass er das Fehlen eines eindeutig identifizierbaren faschistischen Feindbildes in Irland bedauert und als Problem für die Mobilisierung bezeichnet. There aren’t any organised Nazis to any great...you know, they are not winning in the elections, no Nazi councillors in Ireland. I don’t think any Nazi stood for any election as far as I’m aware. So, there isn’t the chance to sort of pull people from – if you are against the Nazis you surely are against racism. Racism is a part of what Nazis...You know. Here you can’t make the links as easily. And I think, to be honest, it was quite easy to go from being antiNazi, antiracist to being a socialist. You know, there weren’t huge divides. If you are against racism and you want to oppose racism you need to oppose the state. What is going on in world capitalism? If you are against world starvation when the world is producing twice as much food as it needs to feed itself – why is that happening!? – then the arguments of socialism are fairly strong! – The starting point in Ireland, it’s a little bit more difficult: You haven’t got the Nazis to organise against.

Ob die Existenz einer rechtsextremen Organisation oder Partei tatsächlich dazu führt, dass eine dauerhafte systemkritische Politik von einer substanziellen Anzahl von Akteuren betrieben wird, darf angesichts anderer europäischer Erfahrungshorizonte sicherlich bezweifelt werden. Gleichwohl zeigt sich, dass nicht-irische Aktivisten ihre in anderen politischen Zusammenhängen gesammelten Erkenntnisse mit den irischen Verhältnissen vergleichen und mit ihren in die Szene hineingetragenen Sichtweisen und Erfahrungswerten dafür sorgen, dass Antirassismus in Irland keine ausschließlich irische Veranstaltung ist. Im Gespräch mit einer französischen Aktivistin, die in einer Traveller-Organisation arbeitet, tauschten wir uns über die unabhängig voneinander und gleichzeitig gemachte Wahrnehmung aus, dass zahlreiche Nicht-Iren die irische Antirassismusszene bevölkern. Sie bewertete diesen Input von außen als überaus positiv.

61 Wie in Kapitel 3 erläutert, bewertet der wissenschaftliche Analyst des britischen Antirassismus, Paul Gilroy, die damalige Lage gegenteilig. In Bezug auf die Anti-Nazi League und ihre Bedeutung für die antirassistische Bewegung konstatiert eine Verlagerung des inhaltlichen Schwerpunkts vom Antirassismus zum Antifaschismus, die eine Verwässerung des systemkritischen Ansatzes nach sich zog. Die übermäßige Beschwörung von Britain’s finest hour hätte letztlich zu einem Erstarken des Nationalismus und zu einer totalen Ausblendung des britischen Imperialismus und rassistischer Einwanderungspolitik geführt.

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Isn’t that good that you have a lot of people from outside working here because I know Linda is from Sweden and I am from France, when you come to an organisation and you work here that you don’t have the stereotypes that Irish people have. I mean, when I came here I didn’t know anything about Travellers. So I started working here and only then I heard what all the other people were telling about Travellers.

Generell weisen die Äußerungen der befragten Antirassisten darauf hin, dass ein Mobilisierungsdefizit innerhalb der irischen Linken in Bezug auf Antirassismus zu konstatieren ist. Im Rahmen ihrer politischen Tätigkeit beobachten sie, dass für große Teile der Linken Antirassismus maximal ein Modethema, jedoch nicht dringlicher Punkt auf der politischen Tagesordnung ist. Angesichts der umfassenden Herausforderungen, denen nach Ansicht meiner Interviewpartner unweigerlich mit dem Einstehen für emanzipative Politik begegnet werden müsse, haben sie Antirassismus zwar nicht als ausschließliches, aber als obligatorisches Politikfeld für sich entdeckt.

Z USAMMENFASSUNG Abbey bezeichnet sich selbst als eine anarchistische Feministin, die Antirassismus als ein zentrales Betätigungsfeld ihres politischen Aktivismus versteht. Mit Anfang zwanzig gehört sie zur jungen Generation irischer Antirassisten. Obschon sich generell Hinweise auf einen Generationskonflikt finden lassen, der auf den extremen Veränderungsprozess Irlands zurückzuführen und primär verantwortlich dafür ist, dass die jüngere Generation nicht mehr mit Erfahrungen materieller Not und einem damit verbundenen Auswanderungszwang konfrontiert wurde, handelt es sich bei Abbey, laut ihrer eigenen Einschätzung, um eine der Letzten, die im Zuge ihrer Migration nach Großbritannien Erfahrungen mit anti-irischem Rassismus machte. Sie sieht einen Zusammenhang zwischen ihren Kindheitserfahrungen der Marginalisierung und ihrem heutigen politischen Engagement. Dabei weist sie jedoch ausdrücklich darauf hin, dass auch der „multikulturelle“ Dubliner Stadtteil ihrer Kindheit, in dem sie mit Freunden nicht-irischer Herkunft groß wurde, Inspirationsquell ihres antirassistischen Aktivismus ist. In parallel verlaufenden Prozessen führte der „Keltische Tiger“ einerseits zu einem gestärkten nationalen Selbstwertgefühl, andererseits zu Brüchen in der großen nationalen Narrative von Kolonisation, rassistischer Unterdrückung und Massenemigration. Abbeys kritische Sicht auf die Fortführung des irischen Befreiungskampfes, dem sie nur noch bedingt ein egalitäres Potenzial zutraut, ist typisch für eine bestimmte Trägerschicht des Antirassismus, die angesichts von Wohlstandschauvinismus und rassistischer Politik ihr ideologisches Rüstzeug nicht mehr pri-

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mär aus der traditionellen Verortung im Befreiungsnationalismus bezieht. Andere ideologische Bezugsgrößen kommen ins Spiel: Anarchismus, Feminismus und Antifaschismus werden zum Ausgangspunkt für solidarisches und antirassistisches Handeln. Dabei wird der Wissenstransfer aus Großbritannien für anarchistische wie antifaschistische Organisationen betont, der auch ihre konkrete Strategieentwicklung beeinflusst. Abbeys Antirassismus enthält eine feministische Dimension, wenn sie sich in einer Residents Against Racism-Kampagne zur Anerkennung von weiblicher Genitalverstümmelung als Asylgrund beteiligt, die insbesondere die Diskriminierung weiblicher Asylbewerber in den Fokus ihrer Bemühungen stellt und Frauenrechte als Menschenrechte einklagt. Dabei betont sie den systemkritischen Charakter ihres Antirassismus, der die herrschenden Verhältnisse infrage stellt. Ihre Systemkritik manifestiert sich nicht nur in der Mitgliedschaft bei Residents Against Racism, sondern auch in der anarchistischen Vereinigung Workers’ Solidarity Movement, das Rassismus als Produkt des Kapitalismus betrachtet, das das revolutionäre Potenzial der Arbeiterklasse zerstreut. Eine vergleichbare Sicht der Dinge vertritt die AntiFascist Action Ireland, die im Rahmen einer dualen Strategie Faschisten sowohl ideologisch als auch physisch bekämpft. Diese Militanz legitimiert die Anti-Fascist Action mit der von ihr aktiv gepflegten Geschichte des irischen Antifaschismus. Die Erarbeitung eines historischen Referenzpunktes im antifaschistischen Widerstand gegen die Blueshirts in den 1930er-Jahren ist erklärter Bestandteil der politischen Strategie der AFA. Im Gegensatz zur offiziellen Geschichtsschreibung, die in gezielter Disassoziation zur Geschichte des europäischen Faschismus herausarbeitet, dass die Blueshirts nichts mit „echtem“ oder „kontinentalem“ Faschismus zu tun hatten, stellt sie die AFA in einen ideologischen Kontext, der über die Grenzen Irlands hinausweist. Gleichwohl kann ihr in keiner Weise vorgeworfen werden, sie beschränke sich im Rahmen eines kommemorativen Antirassismus ausschließlich auf die Bekämpfung der Wiederkehr des Faschismus. Vielmehr erfasst sie Antirassismus als politische Strategie, die die Existenz eines institutionellen Rassismus anerkennt und diejenigen gesellschaftlichen Bedingungen in das Zentrum ihrer Bemühungen rückt, die Rassismus produzieren. Die AFA sieht keinerlei Widerspruch darin, ihren Kampf zwar vorrangig auf die Bekämpfung des Rechtsextremismus auszurichten, sich jedoch gleichzeitig im Rahmen eines umfassenderen politischen Projektes um die Zurückdrängung von Rassismus, insbesondere in der Arbeiterklasse, zu bemühen. Für viele AFA-Mitglieder ist ihre politische Haltung auch mit einem bestimmten Lifestyle und der Pflege gegenkultureller Werte verbunden. In der AFA sind mehrere Menschen aktiv, die sich in der Punkszene bewegen, die auch ein entscheidendes Moment ihrer politischen Sozialisation war. So versucht sich die AFA im Rahmen alternativer Organisationsformen das Mobilisierungspotenzial von Popkultur nutzbar zu machen, weil sie die Notwendigkeit erkennt, egalitäre Werte zu för-

8. A BBEY : A NTIRASSISMUS IN I RLAND

RELOADED

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dern, um die ideologische Übernahme der Subkultur durch rechte Kräfte zu verhindern. Diese antirassistische Strategie versucht durch ein gemeinsames Selbstverständnis von kultureller Opposition gegen faschistische Gewalt und institutionellen Rassismus einen gemeinsamen politischen Nenner zu finden. Vor dem Hintergrund, dass Antirassismus nicht als lagerübergreifender Mobilisierungsmotor für die irische Linke funktioniert, setzen die Akteure auf Arbeitsteilung: Während Residents Against Racism vorrangig die Bekämpfung des institutionellen Rassismus fokussiert, verschreibt sich die AFA dem antirassistischen Kampf auf der Straße. Generell lässt sich eine ideologische und personelle Öffnung der antirassistischen Szene Irlands konstatieren. Zum einen verliert für irische Akteure eine rein postkoloniale Lesart der politischen Verhältnisse an Attraktivität, und sie betten ihre Politik in ideologische Strukturen, die als gesamteuropäisch zu bezeichnen sind. Zum anderen sorgt die Präsenz nicht-irischer Aktivisten für Sichtweisen und Handlungsvarianten, die in anderen nationalen Kontexten geprägt wurden.

9. Resümee und Ausblick

Während meiner Expedition in die antirassistische Szene Irlands traf ich nicht nur auf irische Aktivisten, sondern auch auf solche, die aus anderen Ländern zugezogen waren und sich nun in ihrem neuen Umfeld politisch engagierten. Am Ende eines dreistündigen Interviews über die speziellen Rahmenbedingungen antirassistischer Arbeit im heutigen Irland zog der aus den USA stammende Louis sein Fazit in Form einer Frage, die er prompt selbst beantwortete: „Is Irish politics complicated? – Yes, it is!“ In der vorliegenden Studie geht es nicht um eine kleinteilige Analyse des irischen Antirassismus, sondern um seine Einbettung in das komplizierte irische Gesamtgefüge, was eine Untersuchung historischer Prozesse und der aus ihnen hervorgegangenen politischen Kultur der Republik Irland bedeutet. Auch die von mir befragten antirassistischen Akteure sind sich der Bedeutung ihres politischen und kulturellen Handlungskontextes bewusst. Je nach eingenommenem Standpunkt bewerten sie die Möglichkeiten und Grenzen antirassistischer Politik in Irland zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Dabei offenbart sich eine Vielzahl unterschiedlichster Interpretationen und Analysen, aus denen Überzeugungen und Strategien abgeleitet werden. Das Akteursfeld des irischen Antirassismus ist somit ähnlich heterogen wie jenes in Frankreich, Großbritannien, Österreich oder Deutschland. Im Kampf um politisch-kulturelle Hegemonie erweist sich das kritische Brechen von bzw. das aktive „Mitstricken“ an traditionellen nationalen Narrativen als gangbarer Weg, um den eigenen progressiven Zielen Legitimität und Nachdruck in den aktuellen gesellschaftspolitischen Debatten zu verleihen. Die Geschichte des nationalen Befreiungskampfes bildet dabei einen zentralen historischen Referenzpunkt, der sich als überaus bedeutsam für das identitäre Konzept der Befragten erweist. Nach wie vor ist die nationalistische Metanarrative Fundament der politischen Kultur Irlands. Ein exklusives Modell von Irishness, das bis heute mehrheitlich als monokulturell religiös-ethnisch gedacht wird, widerspricht der Behauptung,

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die Idee der ethnisch homogenen Nation sei in Europa aus der Mode gekommen.1 Doch vor dem spezifischen Hintergrund der Dominanz nationalistischer Ideologie gelingt es antirassistischen Identitäten in Irland im Rahmen einer kritischen Auseinandersetzung mit dem postkolonialen Konzept nationaler Identität, dieses zu überwinden und innovative und inklusive Vorstellungen von Irishness zu entwickeln, die zum Bestandteil antirassistischer Strategien werden. Dabei kommt es zuweilen zu einer diskursiven Verschränkung zwischen Nationalismus und widerständigem Verhalten, wobei letzteres für den protestorientierten Antirassismus eine bedeutende Rolle spielt. So wird in Anknüpfung an die Tradition des Widerstandes, die in den Jahrhunderten des Kampfes gegen britische Herrschaft entstanden sei, ein kulturell bedingter Widerstandsgeist proklamiert. Zukünftige Forschung, die sich mit der Rolle der Zivilgesellschaft als Motor für emanzipatorische Politik beschäftigt, sollte sich mit der Frage befassen, wie die Existenz einer revolutionären Tradition subversives und widerständiges Verhalten befördert, das wiederum in der Lage ist, rassistische Herrschaftsverhältnisse herauszufordern.2 Doch auch die Form staatlicher Obrigkeit nach Erlangung der nationalen Souveränität und die Alldominanz der katholischen Kirche, die emanzipativ-libertäre Tendenzen stets im Keim zu ersticken suchte, werden von einigen Akteuren als Quelle für ihr rebellisches Verhalten genannt. Viele dieser irischen Befragten, die eine katholische Erziehung durchliefen und in einer restriktiven Gesellschaft aufwuchsen, verbanden ihre Migrationserfahrung, meist ausgelöst durch wirtschaftliche Not, mit dem Wunsch nach nachhaltiger Emanzipation. Dabei ist hervorzuheben, dass seit der Staatsgründung 1922 bis in die späten 1950er-Jahre staatliche Daseinsfürsorge kaum vorhanden war.3 In Folge dieser Tradition wurde im Auswanderungsland Irland bis in die 1980er-Jahre Emigration zur Privatangelegenheit erklärt.

1

In seiner Rezension des u. a. von Sabine Hess herausgegebenen Sammelbandes zur europäischen Integrationsdebatte (No integration?! Kulturwissenschaftliche Beiträge zur Integrationsdebatte in Europa, Bielefeld 2009) untermauert Paul Scheibelhofer diese Behauptung mit dem Argument, dass unterschiedlichste ideologische Lager die Anwesenheit von Migranten

inzwischen

anerkennen

würden.

http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/

rezensionen/2009-4-094 (17.11.2009) 2

Auch für einen Vergleich verschiedener politischer Kulturen in Europa besitzt diese Frage Relevanz: Welche historischen Entwicklungen und spezifischen Traditionen begünstigen in europäischen Gegenwartsgesellschaften kritische Diskurse und Praxen? Zukünftige Studien könnten somit unterschiedliche Antirassismen noch stärker kontextualisieren und in ihrer historischen Gewordenheit analysieren.

3

Delaney, Enda: Placing Postwar Irish Migration to Britain in a Comparative European Perspective, 1945–1981, in: Bielenberg, Andy (Hrsg.): The Irish Diaspora, London 2000, S. 343.

9. R ESÜMEE UND A USBLICK

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Auch mit Irlands Wandel zum Einwanderungsland bleibt eine Tendenz zu konstatieren, nach der die politische Führung die Zuständigkeit für migrations- und integrationspolitische Fragen ablehnt. Umso wichtiger erscheint das Engagement der antirassistischen Szene für die irische Gesellschaft, da sie sich Herausforderungen und Aufgaben stellt, die von der offiziellen Politik ohne sichtbares Engagement behandelt werden. Die irische Migrationserfahrung in Großbritannien, die sich zwischen Politisierung, Solidarisierung mit anderen Migrantengruppen und Diskriminierung durch die britische Mehrheitsbevölkerung abspielte, beeinflusst maßgeblich den antirassistischen Diskurs in Irland. Die Arbeitshypothese, dass irische Aktivisten entscheidende Momente ihrer Politisierung in der politischen Arena Großbritanniens, vor allem in den 1970er- und 1980er-Jahren, erlebten, bestätigte sich im fortschreitenden Arbeitsprozess. Dabei wird außerdem offenkundig, dass irische Migranten als transnationale Akteure zu Agenten des sozialen Wandels in Irland wurden. Dies ist ein aktuelleres Beispiel für die zahlreichen Transferprozesse, die die Geschichte politischer Bewegungen und die heute geführten Debatten über Rassismus und Antirassismus prägen. So beeinflusste z. B. die US-amerikanische Bürgerrechtsbewegung die Bürgerrechtsbewegung der Katholiken in Nordirland, die US-amerikanische Frauenrechtsbewegung beeinflusste das Irish Women’s Liberation Movement und die gay rights-Bewegung aus den USA den Kampf um sexuelle Gleichberechtigung in Irland. Auch am Beispiel der überaus kontrovers geführten Debatte um eine Reform des Abtreibungsrechts lässt sich eine US-amerikanische Einflussnahme feststellen, wobei sich hier vor allem US-Amerikaner mit irischen Wurzeln für die Geschicke ihrer „alten Heimat“ interessieren. Eine der antirassistischen Feministinnen, die ich interviewte, betonte diese spezielle irisch-amerikanische Verbindung. The anti-abortion campaign in 1983: that was fuelled by American right wing moral majority money that came in. I mean, you could see even the literature and the posters and everything: it was all American money. There’s a huge right-wing American movement which is antiabortion. So, they’ll support it anywhere and there’s loads of connections between Ireland and America. There’s an awful lot of Irish-Americans in the States who are very conservative and very racist...They’d certainly support a campaign and give money to it. Just like there’s been lots of money coming from Canada and North-America for Northern Ireland causes.

Angesichts der chronischen Unterfinanzierung antirassistischer Initiativen und immer knapper werdender staatlicher Gelder ist so also nicht nur die Frage nach ideologischer, sondern die nach monetärer Einflussnahme insbesondere aus den USA von zunehmender Brisanz. Zukünftige Forschung sollte sich daher mit der Finanzierung des NGO-Sektors bzw. der Antirassismus- und community developmentArbeit in Irland befassen und die Rolle privater Geldgeber aus dem Ausland, wie

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etwa die Chuck Feeneys mit seiner Stiftung Atlantic Philanthropies, deren Förderpolitik und politisches Interesse an irischen Angelegenheiten untersuchen. Die von mir befragten Akteure äußern sich jedoch nicht nur über die finanzielle Situation, sondern auch über popkulturelle Einflüsse aus den USA und Großbritannien, die rassistische Attitüden in Irland befördert haben. McVeigh betonte bereits zu Beginn der 1990er-Jahre: It would be wrong to dismiss all British culture that enters Ireland in one form or another as racist. When they do actually occur, positive images of Black people in Britain are important anti-racist influence in Ireland. There is a sense in which Irish lives have become ,multi4

cultural’ via the British media, no matter how seldom we meet black people in ,real life‘.

Meine Forschungsergebnisse zeigen, dass der Wissenstransfer aufgrund der irischen Migrationserfahrung in Großbritannien noch ganz andere Züge angenommen hat. Akteure der heutigen Antirassismusszene in Irland erweiterten den Radius ihrer politischen Handlungsmöglichkeiten durch ihre transnationale Lebensweise, die einen Wissenstransfer und die Entwicklung neuer politischer Strategien begünstigte. Dies führt häufig auch dazu, dass Antirassisten ihr politisches Projekt nicht national denken, sondern das Prinzip der internationalen Solidarität befürworten.5 Dieser Prozess und die internationale Zusammensetzung der irischen Antirassismusszene können auch als ein Hinweis darauf gelesen werden, dass die Berücksichtigung spezifischer historischer Entwicklung für die Dekodierung des irischen Rassismus und Antirassismus unerlässlich ist, dass es jedoch gleichsam angezeigt scheint, eine Forschungsperspektive anzuwenden, die die Grenzen nationalstaatlich gefasster Entitäten überwindet. Nur so kann die Transnationalisierung von Lebensweisen, Alltagspraktiken und politischem Aktivismus einer wissenschaftlichen Analyse zugeführt werden. Das Forschungsfeld „transnationaler Aktivismus“ könnte auch unter Einbeziehung einer historischen Herangehensweise weitere Aufschlüsse über komplexe Austausch- und Transferprozesse zwischen politischen Bewegungen bieten.6

4

McVeigh: Specificity of Irish Racism, S. 35.

5

Nora Räthzel verweist darauf, dass „fighting for social justice on a national level is bound to (re)produce social injustice between nationals and non-nationals. Or to put it more sharply, it seems as if the fight for social justice is based on racism”. Räthzel, Nora: Germans Into Foreigners: How Anti-nationalism Turns Into Racism, in: Anthias, Floya, Lloyd, Cathie (Hrsg.): Re-thinking Anti-racism. From Theory to Practice, London, New York 2002, S. 81.

6

Pionierstudien auf diesem Forschungsgebiet sind: Davies, Thomas Richard: The Possibilities of Transnational Activism. The Campaign for Disarmament between the Two World Wars, Leiden 2007; Lynch, Cecilia: Beyond Appeasement. Interpreting Interwar Peace Movements in World Politics, Ithaca/NY 1999.

9. R ESÜMEE UND A USBLICK

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Für das Politikfeld Antirassismus in der Republik Irland des frühen 21. Jahrhunderts bleibt festzustellen, dass es von einer Dialektik zwischen nationaler und transnationaler Ebene gekennzeichnet ist. Die Existenz des antiirischen Rassismus und die daraus resultierende Erfahrung, gemeinsam mit Schwarzen durch die weiße britische Mehrheitsgesellschaft rassistisch diskriminiert zu werden, führte zu einer Parallelsetzung der irischen mit der schwarzen Erfahrung. In diesem Zusammenhang kommt das Konzept der political blackness zum Tragen, das Kritik an auf Ethnizität basierenden Identitätskonzepten leistet und die Möglichkeit von politischer Mobilisierung und Solidarisierung auf Basis von Erfahrungswerten hinsichtlich der eigenen politischen und sozioökonomischen Positionierung aufzeigt. Darüber hinaus leistet die Analyse der irischen Erfahrung im britischen race relations-System einen wichtigen Beitrag zur Dekonstruktion von Whiteness, denn der irische Fall veranschaulicht, dass es nicht genug ist, weiß zu sein, um Teilhabe am weißen Privilegiensystem beanspruchen zu können. In der aktuellen Theorieentwicklung wird die „disaggregation of whiteness“ gefordert, die progressiven Weißen erlauben soll, Solidarität „across racial lines“ zu entwickeln und ihre Identität auf emanzipative Weise zu rekonzeptualisieren.7 Der irische Fall wird hier herangezogen, um den Mythos weißer Homogenität, der meist im Zuge eines nationalistischen Rassismus bemüht wird, zu zerstören. Anti-Irish racism in Britain has comprised both elements of racism: colonial and cultural; that is, the Irish have been constructed as inferior and as alien. Historical analysis of the complexity of anti-Irish racism challenges the presumption that there is something novel about the ,new racism‘.

8

Allerdings stellt nicht nur der Mythos weißer Homogenität, sondern auch der Mythos Irishness sowie die Selbstethnisierung der Iren im britischen race relationsSystem eine Herausforderung für die Dekonstruktion von ethnischen Zugehörigkeitsfaktoren dar. Die Verwendung des Begriffs „Rassismus“ für die historische Diskriminierung von Iren in Großbritannien und die Parallelsetzung oder gar Gleichsetzung eines gemeinsamen Kampfes gegen Diskriminierung von irischen Frauen und nichtweißen Frauen ist nicht ohne Fallstricke. Dies liegt zum einen daran, dass unter den „irischen Frauen“ in einem nationalen Verständnis ausschließlich weiße katholische

7

Steyn, Melissa E.: Whiteness Just Isn’t What It Used to Be. White Identity in a Changing South Africa, New York 2001, S. XXX.

8

Hickman, Mary J.; Walter, Bronwen: Deconstructing Whiteness. Irish Women in Britain, in: Feminist Review 50 (1995), S. 9.

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Frauen subsumiert werden. Die von Hickman/Walter vertretene Behauptung, irische Frauen seien in einer statischen britischen Konstruktion von Irishness unsichtbar, transportiert gleichsam die Vorstellung der „irischen Frau“ als weiße katholische Frau. Während „die Iren“ (gemeint sind weiße Katholiken) als unsichtbar gelten, wurden Minderheiten und Unterschiede in Bezug auf ethnische sowie Konfessionsund Klassenzugehörigkeit ignoriert. Die Leistung des irischen Feminismus für eine Hinterfragung von Irishness und für eine Herausforderung des Mythos ethnischer Homogenität ist besonders hervorzuheben. Die aktive Auseinandersetzung mit der Geschichte der eigenen politischen Bewegung beförderte eine Anerkennung der vormals existierenden Leugnung von Differenz in der irischen Frauenerfahrung und führte zu einer Betonung der Intersektionalität unterschiedlicher Diskriminierungserfahrungen. So konnten durch ein neues Solidaritätsverständnis, das die Emanzipation der Frau nicht national bzw. ethnisch definierte, neue politische Allianzen gebildet werden. Diese Allianzfähigkeit ist auch für den Antirassismus von zentraler Bedeutung, muss er doch auch permanent Spannungen zwischen der Parallelität der Diskriminierungserfahrung und dem Scheitern der Solidarisierung einzelner marginalisierter Gruppen aushalten und in konstruktive politische Praxis übersetzen. Zudem stellt sich heraus, dass antirassistische Strategien eine antisexistische Dimension und vice versa feministische Strategien eine antirassistische Dimension beinhalten müssen. Genau hier sollte zukünftige Forschung ansetzen und unterschiedliche aktivistische Ansätze, in denen sich feministische und antirassistische Forderungen verschränken, in das Zentrum des Forschungsinteresse stellen, um mögliche Alternativen in der politischen Mobilisierung aufzudecken.9 Zugezogene Aktivisten bewerten die Situation je nach Herkunftsland und dem meist damit in Zusammenhang stehenden Status, den sie in Irland zugewiesen bekommen, äußerst unterschiedlich. Louis erinnert sich an seine Ankunft in Irland im Jahr 2001: When I got here four years ago the first thing I noticed was just the racial division on the street. It was fascinating to me to see that! Just that, you know, here’s these people, they’re not allowed to work but they exist here, there’s like a different...it’s two levels of...You just walk down O’Connell Street you see Africans everywhere but they’re technically not allowed to work, they’re not part of the society, at the same time they exist here. That’s a racial division. And then at the same time here I am: this totally dodgy immigrant. „Aw, you’re an American! Great! Aw yeah, yeah, bla bla. I have a cousin near where you live.“ I think Ire-

9

Zu Möglichkeiten des antirassistischen Feminismus vgl. Erdem, Esra: In der Falle einer Politik des Ressentiments. Feminismus und die Integrationsdebatte, in: Hess, Sabine; Binder, Jana; Moser, Johannes (Hrsg.): No integration?! Kulturwissenschaftliche Beiträge zur Integrationsdebatte in Europa, Bielefeld 2009, S. 187-202.

9. R ESÜMEE UND A USBLICK

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land joined the EU because there was places you could go to legally without any issues. It was like „Oh, we join this club we get to leave to other countries. Oh, that’s a great deal!“ They never thought it would be a two way street. To me it was just the immediate hypocrisy of here’s these people in society but not treated as part of the society, and then here I am: this total outsider and I’m welcomed!!

Während Louis als weißer US-Amerikaner auf der Sonnenseite der Statuszuweisung landete, sahen sich schwarze Aktivisten wie Kari und Josef, zumal mit afrikanischem Hintergrund, mit massiver rassistischer Diskriminierung konfrontiert, was ihren antirassistischen Aktionsradius maßgeblich definiert. So prägt sich antirassistische Praxis, die sowohl eine politische und eine alltagsweltliche Dimension hat, je nach individuellen Erfahrungswerten aus. Die wachsende Rolle von Migranten im Antirassismus muss von der zukünftigen Forschung noch stärker berücksichtigt werden. Hier sollte insbesondere der Frage nachgegangen werden, unter welchen spezifischen Bedingungen migrantische Akteure politisch aktiv werden und wie migrantische Selbstorganisation Repräsentativität gewährleisten kann. Vor allem Interviewpartner, die zu ethnischen Minderheiten gehören, sind stark von der durch Politik und Medien verbreiteten Propaganda betroffen, die Menschen, die nicht zur weißen irischen Mehrheitsgesellschaft gehören, zum Sündenbock für alle gesellschaftlichen Probleme und die negativen Begleiterscheinungen des drastischen sozialen Wandels machen. Dies trifft nicht nur auf die neuen Einwanderergemeinden, sondern auch auf die irischen Traveller zu, denen es zwar gelungen ist, mit den nach Irland eingewanderten Roma eine antirassistische Allianz zu bilden, deren zunehmende Marginalisierung angesichts der fortschreitenden Polarisierung der irischen Gesellschaft und des Auseinanderklaffens der Wohlstands/Armutsschere jedoch zu befürchten ist. Die historisch angelegte spezifisch irische (Un-)Selbstverständlichkeit politischer Positionen und die in Irland besonders intensiv betriebene kulturelle Selbsthinterfragung der Akteure führen nicht nur zu innovativen identitären Selbstverortungen, sondern auch zu Momenten identitärer Verunsicherung, die der rapide Transformationsprozess der irischen Gesellschaft ausgelöst hat und die politischen Aktivismus nachhaltig erschwert. Nora, eine linke Aktivistin, die seit Jahrzehnten in der community development-Arbeit aktiv ist, beschreibt diese Verunsicherung, die sie mit Irlands Wandel zum „Keltischen Tiger“ in Verbindung bringt, besonders eindringlich. I think a lot of people are on the edge now of who they are. In the past when we had mass unemployment and mass poverty, particularly for CDPs, we knew who we were: we were the resisters. We were the people trying to change things. We were the people who were trying to bring about change and manage change. Then the speed of...hm...the speed of....hm...How am

384 | UNDOING I RISHNESS I going to say it? ... This whole Celtic Tiger thing, this last 15 years of social movement of monetary gain has meant huge losses to us. We have lost who we are. [...] We’re enjoying having money. We’re enjoying having wealth, and we haven’t yet examined the cost of that wealth. We are beginning to examine it in terms of what we’re loosing at the health care level, what we are loosing at the education level, what we are loosing at the community level. I know they still talk at a European level about Ireland still having community values. I’m not so sure that we have. I’m not so sure. I think in CDPs like this you can identify them but I think we are loosing our community values, and we are looking abroad now to winter homes, to summer homes. I think we are loosing. [...] I don’t know who I am anymore. I know who I am in terms of feminism. I know who I am in terms of being radical. I know those things but the ground isn’t as safe anymore. It’s never very safe for radicals but it’s not as known or as safe now as it was in the past.

Trotz der angespannten gesellschaftlichen Situation und der Heterogenität der Antirassismusszene lässt sich eine Strategie feststellen, die fast alle der von mir befragten antirassistischen Akteure befolgen: Sie bekämpfen den von Medien und Politik verbreiteten Mythos, der längst Eingang in das irische Alltagsverständnis gefunden hat, und der besagt, dass es vor der Umkehrung des traditionellen irischen Migrationstrends keinen Rassismus in der irischen Gesellschaft gegeben hätte. Damit stemmen sie sich auch gegen den Mythos einer religiösen, kulturellen und ethnischen Homogenität der irischen Nation, der suggerieren soll, dass gesellschaftliche Pluralität und kulturelle Diversität Phänomene sind, die Irland erst mit der Ankunft von Einwanderern Ende der 1990er-Jahre aufgezwungen worden wären und Ursache des Rassismus seien. Die politische Kultur Irlands ist ideologisch derart stark vom Nationalismus geprägt, dass es auch für Antirassisten eine aktive Disassoziation zur herrschenden Stimmung bedeutet, eine Auflösung nationalistischer Identitätskonstruktion zu proben. Die Zukunft des irischen Antirassismus hängt somit auch davon ab, ob sich im politisch-kulturellen Bezug auf den nationalen Befreiungskampf das exklusiv/ nationalistische oder das inklusiv/republikanische Element wird durchsetzen können. One of the major pitfalls for Irish anti-racist then is the danger of being sucked into nationalist quicksand. If ,republicanism‘ is to mean anything progressive on the island of Ireland, it needs refreshed content, an organic intelligentsia and a framework of participative civil society, to turn itself into a socially transformative movement that interrogates unequal power relations and makes that issue central not marginal to its project. This argument does not make 10

you a bad nationalist, rather a good republican.

10 Garner: Racism in the Irish Experience, S. 221.

10. Literatur

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V ERÖFFENTLICHUNGEN

AUS DEM

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408 | UNDOING I RISHNESS

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Postcolonial Studies Anette Dietrich Weiße Weiblichkeiten Konstruktionen von »Rasse« und Geschlecht im deutschen Kolonialismus 2007, 430 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-89942-807-0

Kien Nghi Ha Unrein und vermischt Postkoloniale Grenzgänge durch die Kulturgeschichte der Hybridität und der kolonialen »Rassenbastarde« 2010, 320 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1331-5

Wulf D. Hund (Hg.) Entfremdete Körper Rassismus als Leichenschändung 2009, 252 Seiten, kart., zahlr. Abb., 25,80 €, ISBN 978-3-8376-1151-9

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Postcolonial Studies Patricia Purtschert, Barbara Lüthi, Francesca Falk (Hg.) Postkoloniale Schweiz Formen und Folgen eines Kolonialismus ohne Kolonien Mai 2012, ca. 400 Seiten, kart., zahlr. Abb., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1799-3

Julia Reuter, Paula-Irene Villa (Hg.) Postkoloniale Soziologie Empirische Befunde, theoretische Anschlüsse, politische Intervention 2009, 338 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN 978-3-89942-906-0

Markus Schmitz Kulturkritik ohne Zentrum Edward W. Said und die Kontrapunkte kritischer Dekolonisation 2008, 434 Seiten, kart., 34,80 €, ISBN 978-3-89942-975-6

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Burkhard Schnepel, Gunnar Brands, Hanne Schönig (Hg.) Orient – Orientalistik – Orientalismus Geschichte und Aktualität einer Debatte Februar 2011, 312 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1293-6

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