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German Pages 481 Year 2008
Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 266
Unabdingbarkeit und vertraglicher Verzicht Ein Beitrag zu Reichweite und Grenzen der Vertragsfreiheit im Arbeitsrecht Von Uwe Simon
Duncker & Humblot · Berlin
UWE SIMON
Unabdingbarkeit und vertraglicher Verzicht
Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 266
Unabdingbarkeit und vertraglicher Verzicht Ein Beitrag zu Reichweite und Grenzen der Vertragsfreiheit im Arbeitsrecht
Von
Uwe Simon
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Leibniz Universität Hannover hat diese Arbeit im Jahre 2007 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
D 89 Alle Rechte vorbehalten # 2008 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0227 ISBN 978-3-428-12663-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2007 von der Juristischen Fakultät der Leibniz Universität Hannover als Dissertation angenommen. Literatur und Rechtsprechung wurden grundsätzlich bis zum Frühjahr 2006 berücksichtigt, Neuerscheinungen und aktuelle Entscheidungen wurden punktuell noch bis kurz vor der Drucklegung im Herbst 2007 eingearbeitet. Besonderer Dank gebührt Herrn Prof. Dr. Roland Schwarze, der die Anregung zu dieser Arbeit gab, sie wohlwollend betreute und mir während meiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an seinem Lehrstuhl den nötigen Freiraum zu ihrer Anfertigung gewährte. Herrn Prof. em. Dr. Dorndorf danke ich für die Erstellung des Zweitgutachtens. Für kritische inhaltliche Diskussionen danke ich meinem Lehrstuhlkollegen Herrn Rechtsanwalt Markus Janko, für die Korrektur des Manuskripts Frau Dipl. jur. Laura Scheibe und Frau Ass. jur. Melanie Holzapfel. Schließlich möchte ich besonders auch meiner Mutter und meinen Freunden danken, die mich bei der Anfertigung der Arbeit immer wieder moralisch unterstützt haben. Hannover, im November 2007
Uwe Simon
Inhaltsverzeichnis 1. Kapitel Problemstellung A. Thematische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Unabdingbarkeit als Charakteristikum des Arbeitsvertragsrechts . . . . . . II. Praktische Bedeutung arbeitsrechtlicher Verzichtsvereinbarungen . . . . . III. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Präzisierung und Abgrenzung des rechtlichen Verzichtsbegriffs – dogmatische Unterschiede und phänotypische Ähnlichkeiten . . . . . . . . . . I. Unabdingbarkeit und Abbedingung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verzicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ausschlussfristen (Verfallsfristen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Pactum de non petendo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Schlichte Nichtausübung eines Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. „Verzicht“ durch Parteivereinbarungen über tatsächliche Anspruchsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Tatsachenvergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Aufhebungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. Kapitel Unabdingbarkeit und Verzichtbarkeit in der Rechtsprechung A. Exemplarische Rechtsprechungsübersicht zu zentralen arbeitsrechtlichen Ansprüchen und Rechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Anspruch des Arbeitnehmers auf Entgeltfortzahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorausverzicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verzicht auf entstandene und fällige Ansprüche im bestehenden Arbeitsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verzicht nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses . . . . . . . . . . . a) Entstandene und fällige Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Künftige Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Anspruch auf Erholungsurlaub und Urlaubsabgeltung . . . . . . . . . . . . . . . . III. Anspruch auf Zeugniserteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gesetzliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorausverzicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis 3. Verzicht aus Anlass oder nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorausverzicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verzicht anlässlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses . . . . . . . 3. Verzicht auf den Abfindungsanspruch nach § 1a KSchG . . . . . . . . . . V. Befristungsschutz nach dem Teilzeit- und Befristungsgesetz . . . . . . . . . . 1. Gesetzliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Verzicht auf Befristungsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
B. Methodische Inkonsistenzen der Verzichtsrechtsprechung . . . . . . . . . . . . . I. Die Wortlautinterpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der mögliche Wortsinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Divergierende Wortsinndeutungen bei gleichem Bedeutungszusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gesetzessystematische Interpretationsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Mangelnde Konformität teleologischer Auslegungsmaßstäbe . . . . . . . . . . 1. Unverzichtbarkeit des Urlaubsabgeltungsanspruchs/Verzichtbarkeit des Entgeltfortzahlungsanspruchs nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unverzichtbarkeit der Entgeltfortzahlungsansprüche im laufenden Arbeitsverhältnis/Verzichtbarkeit des Kündigungsschutzes . . . . . . . . . 3. Uneingeschränkte Verzichtbarkeit des Befristungsschutzes/restriktive Handhabung bei anderen unabdingbaren Arbeitnehmerschutznormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verzichtsbefugnis bei endgültiger Beendigung des Arbeitsverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verzichtsbefugnis während des Arbeitsverhältnisses oder bei dessen beabsichtigter Fortsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Begrenzte Aussagekraft vergleichender Betrachtungen . . . . . . . . . . . . . . . C. Schutzrichtungen der Unabdingbarkeit aus der Perspektive der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Schutz zukünftiger Handlungsfähigkeit – Das Verbot des Vorausverzichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Schutz vor Übervorteilung des Arbeitnehmers – das Unterlegenheitsparadigma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unterlegenheit aufgrund einer wirklichen oder vermeintlichen Drucksituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unterlegenheit aufgrund eines intellektuellen oder informationellen Gefälles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Schutz von Gemeinwohlinteressen durch individualvertragliche Unabdingbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74
Inhaltsverzeichnis
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3. Kapitel Das Verhältnis von Unabdingbarkeit und Unverzichtbarkeit arbeitsvertragsrechtlicher Ansprüche A. Generelle Unverzichtbarkeit als Folge der Unabdingbarkeit? – Der monistische Ansatz Trieschmanns, Strassers u. a. . . . . . . . . . . . . . . . . I. Gesetzlich angeordnete Unverzichtbarkeit als dogmatischer Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Begründungslastverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Paternalistischer Arbeitnehmerschutz als absoluter Schutzgrund? . . . . . B. Die Bedeutung des Vorverständnisses vom Arbeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . I. Die These von der Eigenständigkeit des Arbeitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . II. Die rechtssystematische Einheit von Arbeitsrecht und Privatrechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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C. Vertragstheoretische Deutungs- und Rechtfertigungsmöglichkeiten des Verzichtsschutzes durch Unabdingbarkeit – eine Gedankenskizze für die weitere Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 I. Das prinzipielle Eigengewicht der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 II. Vertragstheoretische Rechtfertigungsansätze für eine Begrenzung der Vertragsfreiheit durch zwingendes Arbeitsvertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . 93 1. Störungen der rechtsgeschäftlichen Willensbildungsfreiheit . . . . . . . . 93 a) Schutz vor Rationalitätsdefiziten (Täuschung, Irrtum, Überrumpelung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 b) Der „unfreiwillige“ Vertrag – unterlegenheitsspezifische Erklärungsansätze einer extensiven Auslegung der Unabdingbarkeit . . 95 2. Die Illegitimität der Selbstentäußerung persönlicher Freiheit – Rechtfertigung paternalistischen Schutzes im Zivilrechtssystem . . . . 97 3. Die Fremdschädlichkeit rechtsgeschäftlicher Betätigung . . . . . . . . . . 101 III. Erste Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 D. Dogmatische Herleitung der Nichtigkeitsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ableitung aus der Unabdingbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zwingendes Recht als Verbotsgesetz i. S. des § 134 BGB . . . . . . . . . . . . III. Die Gesetzesumgehung als eigenständige Rechtsfigur . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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E. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110
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Inhaltsverzeichnis 4. Kapitel Die paternalistische Rechtfertigung der Einschränkung der Verzichtsbefugnis
A. Der paternalistische Kern des zwingenden Arbeitsrechts . . . . . . . . . . . . . . I. Der Arbeitnehmerbegriff als teleologischer Ansatzpunkt . . . . . . . . . . . . . . II. Die freiheitseinschränkende Wirkung der arbeitnehmerspezifischen „persönlichen Abhängigkeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die personale Komponente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die wirtschaftliche Komponente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Aspekt des Verlustes an Daseinsvorsorgefähigkeit . . . . . . . . . b) Marktspezifische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Einwände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Folgerungen für die Zulässigkeit des Verzichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zukunftsbezogenheit als zentrales Rechtfertigungselement . . . . . . . . . . . . II. Der Gedanke des Zukunftsschutzes in nicht-arbeitsrechtlichen Normen des BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Bedeutung der Fälligkeit als Basiswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Verbot des Vorausverzichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kompatibilität mit der Basiswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Fehlen eines erheblichen Zukunftsbezugs in der Abwicklungsphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) (Voraus-)Verzicht auf den gesetzlichen Urlaubsabgeltungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Vorausverzicht auf den Entgeltfortzahlungsanspruch . . . . . . . (1) Abgrenzung zu nicht paternalistischen Zweckannahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Sozialrechtliche Folgewirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) „Druck“ nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses (c) Schutz vor Preisgabe des Anspruchs aus Unwissenheit oder Unachtsamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Zweckannahmen im Grenzbereich zwischen Druckausübung, ordnungspolitischen Erwägungen und paternalistischem Schutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Verbleibende paternalistische Argumente . . . . . . . . . . . . . (a) Beeinträchtigung der zukünftigen finanziellen Situation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Präventiver Gesundheitsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Vorausverzicht auf den Abfindungsanspruch aus § 1a KSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Zeitliche Dimension der Abwicklungsphase . . . . . . . . . . . . . . . c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis
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2. Die Zulässigkeit des nachträglichen Verzichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 a) Denkbare Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 b) Insbesondere: Der nachträgliche Verzicht auf den Zeugnisanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 C. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156
5. Kapitel Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung weiterer Einschränkungen der Verzichtsbefugnis
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A. Der tarifrechtliche Ursprung arbeitsrechtsspezifischer Unabdingbarkeit – ein rechtshistorischer Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rechtsprechung und herrschende Meinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Tarifvertragsverordnung von 1918 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit (AOG) . . . . . . . . . . . . . . . . II. Wandlung des Verständnisses im Sinne Nipperdeys . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Der Schutz der materiellen Entscheidungsfreiheit des Arbeitnehmers als vertragstheoretischer Ansatzpunkt des Unterlegenheitsparadigmas
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C. Die tatsächlichen Grundlagen des Unterlegenheitsparadigmas . . . . . . . . . I. Schutzbedürfnis des Arbeitnehmers wegen wirtschaftlicher Unterlegenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die wirtschaftliche Unterlegenheit des Arbeitssuchenden . . . . . . . . . 2. Die wirtschaftliche Unterlegenheit des beschäftigten Arbeitnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die ökonomische Analyse als Methode der Verhaltensdeutung . . b) Prinzipielle Grenzen der ökonomischen Analyse . . . . . . . . . . . . . . c) Die ökonomische Analyse der Alternativoptionen des Arbeitnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Option Abwanderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die wirtschaftliche Unterlegenheit bei Wahl der Widerspruchs-Alternative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die unmittelbaren Widerspruchskosten des Arbeitnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Mittelbare Kosten des Arbeitnehmers durch zu erwartende Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Arbeitgeberkündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Missliebige Weisungen im Rahmen des Direktionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Benachteiligung des persönlichen Fortkommens . . . (3) Die resultierenden Kosten des Arbeitnehmers bei Wahl der Widerspruchs-Option . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis d) Relativierung der wirtschaftlichen Unterlegenheit durch Reziprozitätseffekte – die Bedeutung informeller Normdurchsetzung 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Intellektuell/informationelle Unterlegenheit als Schutzzweck arbeitsrechtlicher Unabdingbarkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Arbeitnehmer als typischerweise intellektuell unterlegene Arbeitsvertragspartei? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Arbeitnehmer als informationell unterlegene Partei? . . . . . . . . . . a) Informationsgefälle und informationelle Unterlegenheit . . . . . . . . b) Spezifisch arbeitsrechtliche Aspekte informationeller Imparität bei Ausgleichsquittungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) „Echte“ informationelle Unterlegenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Keine Verortung als Charakteristikum des Arbeitnehmers . . bb) Situative Anknüpfung der Verzichtsbefugnis? . . . . . . . . . . . . . 3. Restriktive Auslegung von Ausgleichsquittungen als Schutz vor informationeller Unterlegenheit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
D. Die rechtliche Relevanz wirtschaftlicher Unterlegenheit für die Verzichtsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Freiheitsgehalt der formellen Vertragsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die verfassungsrechtliche Problemperspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundrechtsdogmatische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Kontroverse um die Folgerungen aus Handelsvertreter- und Bürgschaftsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verfassungsrechtlicher Rahmen der Verzichtsfreiheit im Arbeitsvertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verfassungsrechtliches Gebot zur Beschränkung der Verzichtsfreiheit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verfassungsrechtliche Grenzen der Einschränkung der Verzichtsfreiheit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Freiheitsmaximierung als zivilrechtliche Auslegungsmaxime . . . . . . . . . . 1. Ausreichender Schutz der Entscheidungsfreiheit des Arbeitnehmers durch individualisierte Vertragsauflösungsrechte? . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Keine Ausuferung des arbeitsrechtlichen Unterlegenheitsparadigmas a) Das Erfordernis der Zurechenbarkeit der Willensbildungsstörung aa) Der Aspekt der Verschuldensverantwortlichkeit . . . . . . . . . . . bb) Der Aspekt der Gefährdungsverantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . b) Arbeitsvertragsrechtliche Unabdingbarkeit als spezialgesetzlicher Unterlegenheitsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
200 206 208 210 212 213 215 215 217 217 219 223 223 225 227 232 232 234 240 240 243 247 247 248 250 253 254 256 259 260 261
Inhaltsverzeichnis E. Grenzen der Legitimierbarkeit zwingenden Arbeitsvertragsrechts durch das Unterlegenheitsparadigma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Situationsspezifisch-typisierende Beurteilung der Unterlegenheit des Arbeitnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die zeitliche Wirkungsgrenze des Unterlegenheitsparadigmas . . . . . a) Grundsätzliche Einwände gegen eine zeitliche Grenze des Unterlegenheitsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Situation der „Dreiecksnötigung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Erschwernisse durch eine prozessuale Durchsetzung zweifelhafter Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Mögliche Behinderung des persönlichen Fortkommens bei einem neuen Arbeitgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Das Zurückhalten von Arbeitspapieren . . . . . . . . . . . . . . . (2) Negative Zeugnis- und Auskunftserteilung . . . . . . . . . . . (3) Fehlender wirtschaftlicher Anreiz zu nachwirkenden Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses als Basiswertung einer zeitlichen Grenze des unterlegenheitsspezifischen Verzichtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Problematik von Verzichtsklauseln in Gestalt von Ausgleichsquittung, Abwicklungs- oder Aufhebungsvertrag . . . . (1) Kündigung oder Beendigungsvereinbarung als vorgelagerte unterlegenheitsrelevante Zäsur . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Sonderfall der befristeten Arbeitsverhältnisse . . . . . . . . . (3) Aussonderung nicht unterlegenheitsspezifischer Schutzbedürfnisse anlässlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die beabsichtigte Fortsetzung als Sonderkonstellation eines nachgelagerten unterlegenheitsbezogenen Schutzbedarfs . . . (1) Unveränderter Fortbestand der bisherigen Drucksituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Gesteigerte Drucksituation bei rechtlich ungesicherter Fortsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Insbesondere: Der Verzicht auf Befristungskontrolle bei sog. Kettenbefristungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Einwände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Verzichtswirkung als bloßer Reflex einer einvernehmlichen Vertragsauflösung? . . . . . . . . . . (bb) Beschränkung der Befristungskontrolle durch konkludenten Verzicht als Gebot der Rechtssicherheit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13
262 263 264 267 267 268 269 270 271 272 273
274 275 275 277
278 280 281 282 283 285 289 289
294
14
Inhaltsverzeichnis (cc) Relativierung der Bedeutung des Verzichts durch die gesetzliche Präklusionsfrist? . . . . . . . (b) Fazit zur Befristungskontroll-Rechtsprechung . . . . . 2. Die ökonomischen Grenzen des Unterlegenheitsparadigmas . . . . . . . a) Wirtschaftliche Unabhängigkeit des Arbeitnehmers . . . . . . . . . . . . b) Günstigkeit der Verzichtsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die echte Freiwilligkeit des Verzichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtstechnische Operationalisierung des Unterlegenheitsschutzes durch Unabdingbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Ausgleich von Vertragsfreiheit und Unterlegenheitsschutz als Auslegungsleitlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die widerlegbare Unterlegenheitsvermutung als praktischer Lösungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der zeitlich-situativ zu differenzierende Ansatzpunkt der Unterlegenheitsvermutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die starke Unterlegenheitsvermutung im ungekündigten oder fortzuführenden Arbeitsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die schwache Unterlegenheitsvermutung als Schutz vor nachwirkenden Abhängigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
F. Wertungskompatibilität mit der gesetzlichen Anordnung genereller Unverzichtbarkeit kollektivrechtlicher Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verzicht auf tarifvertragliche Ansprüche oder Rechte, § 4 Abs. 4 Satz 1 TVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verzicht auf Ansprüche oder Rechte aus Betriebsvereinbarung, § 77 Abs. 4 Satz 2 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Übertragbarkeit der kollektivrechtlichen Konzeption des Zustimmungserfordernisses auf den gesetzliche Ansprüche betreffenden Verzicht? . . IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G. Rechtsvergleichende Betrachtung zum österreichischen und schweizerischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gesetzliche Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsprechung und Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gesetzliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Meinungsstand zu Grund und Grenzen des Verzichtsverbots nach Art. 341 OR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
295 297 298 298 302 307 308 309 310 312 314 314 315 317 317 319 323 326 329 330 330 330 331 333 333 334 335
H. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336
Inhaltsverzeichnis
15
6. Kapitel Einschränkung der arbeitsrechtlichen Verzichtsbefugnis wegen möglicher gemeinwohlschädlicher Folgewirkungen? A. Einschränkung der individualvertraglichen Verzichtsbefugnis aus ordnungspolitischen Gründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Gesundheitspolitische Wohlfahrtserwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Diskriminierungsschutz in der Teilzeitarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Sonderrolle der Teilzeitbeschäftigten in der Teleologie des Arbeitnehmerschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Diskriminierungsverbot des § 4 Abs. 1 Satz 1 TzBfG . . . . . . . . . . . . 3. Verbot geschlechtsspezifischer Diskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Beschäftigungspolitische Ordnungskonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Sozialrechtliche Implikationen – der arbeitsvertragliche Verzicht als unzulässiger „Vertrag zu Lasten Dritter“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Arbeitsaufgabe/Verzicht auf das Recht zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage und Arbeitslosengeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. (Teil-)Verzicht auf tarifliches Arbeitsentgelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Verzicht auf arbeitsrechtliche Entgeltansprüche mit Sozialleistungscharakter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schutz der Krankenkassen als weiterer Schutzzweck des § 12 EFZG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sozialrechtliche Sanktionierung der belastenden Verzichtsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zivilrechtliche Nichtigkeit nach Vorschriften des Sozialrechts . . aa) (Entsprechende) Anwendbarkeit des § 32 SGB I? . . . . . . . . . bb) (Entsprechende) Anwendbarkeit des § 46 Abs. 2 SGB I? . . cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sozialrechtlicher Leistungsausschluss als Verzichtsfolge . . . . . . . IV. Rückwirkungen sozialrechtlicher Leistungsausschlüsse auf das individuelle Verzichtsschutzbedürfnis des Arbeitnehmers? . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vermeidung unvorhergesehener Nachteile durch restriktive Anwendung sozialrechtlicher Leistungsausschlüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schutz vor unvorhergesehenen sozialrechtlichen Folgen durch Instrumente des Zivilrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
341
344 344 346 346 348 350 353 354 357 358 361 363 366 366 369 369 369 371 372 373 375 375 376 377
C. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378
16
Inhaltsverzeichnis 7. Kapitel Verzichtsschutz durch allgemeine Regeln des Zivilrechts – ein Überblick
A. Verzichtsschutz durch Verschärfung des Erklärungstatbestands . . . . . . . . I. Verzicht durch konkludentes Handeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verzicht durch allgemeine Erledigungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Konstitutiver oder deklaratorischer Charakter der allgemeinen Erledigungsklausel? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erklärungsbewusstsein als Wirksamkeitsvoraussetzung? . . . . . . . . . . . 3. Restriktive Auslegung des Umfangs des Generalverzichts? . . . . . . . . III. Weitergehende Aufklärungs- und Hinweispflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. AGB-rechtliche Einschränkungen der Zulässigkeit arbeitsrechtlicher Verzichtsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Normative Grundlagen der arbeitsrechtlichen und AGB-rechtlichen Vertragskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Eckpunkte der AGB-rechtlichen Kontrolle arbeitsrechtlicher Verzichtsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Eröffnung des Anwendungsbereichs der §§ 305 ff. BGB . . . . . . . . . . 2. AGB-rechtliche Transparenzanforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gebot der „äußeren Transparenz“, § 305c Abs. 1 BGB . . . . . . . . b) Unklarheitenregel, § 305c Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gebot der „inhaltlichen Transparenz“, § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB 3. AGB-rechtliche Angemessenheitskontrolle nach § 307 Abs. 1 BGB a) Treuwidrige Benachteiligung des Vertragspartners nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Berücksichtigung der Umstände des Vertragsschlusses nach § 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Grundsätzliche Unzulässigkeit eines Generalverzichts in formularmäßigen Aufhebungs- bzw. Abwicklungsverträgen? . . . . . . . . . . . . . . . III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
381 382 383 384 385 387 392 393 394 395 396 401 401 402 402 404 405 407 407 409 410 413
C. Nicht-unabdingbarkeitsspezifische Unwirksamkeit des arbeitsrechtlichen Individualverzichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Nichtigkeit wegen Verstoßes gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Nichtigkeit wegen Sittenwidrigkeit i. S. des § 138 BGB . . . . . . . . . . . . . . III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
414 415 416
D. Beseitigungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Anfechtung der Verzichtsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anfechtung wegen Irrtums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Beachtlicher Rechtsfolgenirrtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
417 417 417 417
413
Inhaltsverzeichnis b) Unbeachtlichkeit des Motivirrtums bzw. des Irrtums über die weiteren Rechtsfolgen des Verzichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Erklärungsirrtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Irrtum über verkehrswesentliche Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anfechtung wegen Täuschung oder Drohung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Widerrufsrecht nach den §§ 312, 355 BGB? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Schadensersatzrechtlicher Beseitigungsanspruch aus § 249 Abs. 1 BGB 1. Der unerwünschte Verzichtsvertrag als Schaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schuldhaftes Arbeitgeberverhalten als Anknüpfungspunkt . . . . . . . . . a) Gebot des fairen Verhandelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verletzung vorvertraglicher Informationspflichten . . . . . . . . . . . . . aa) Begrenzung der vorvertraglichen Haftungsbegründung auf speziell normierte Aufklärungs- und Hinweispflichten? . . . . bb) Allgemeine vorvertragliche Informationspflichten und ihre Begrenzung durch Zurechnungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Inanspruchnahme besonderen Vertrauens . . . . . . . . . . . . . (2) Pflicht zur Verständigung im Rahmen präsenten Wissens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Ausschluss des Verschuldens bei fehlender Erkennbarkeit des Informationsbedarfs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17
418 419 419 419 420 420 421 422 423 424 425 425 427 427 428 430 431 433
E. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434
8. Kapitel Zusammenfassung der wesentlichen Begründungslinien und Ergebnisse
437
A. Unabdingbarkeitsspezifische Einschränkungen der Verzichtsbefugnis – ein Problem der Gesetzesauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437 B. Die Dichotomie der individualschützend begründeten Einschränkungen der Verzichtsfreiheit durch arbeitsrechtliche Unabdingbarkeit . . . . . . . . 438 I. Freiheitsmaximierend-paternalistische Deutung arbeitsrechtlicher Unabdingbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439 II. Paritätstheoretische Deutungen der arbeitsrechtsspezifischen Unabdingbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 442 C. Ordnungspolitische Zweckannahmen unabdingbarkeitsspezifischer Grenzen der Verzichtsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446 D. Konkrete Folgerungen für die Verzichtsbefugnis hinsichtlich der exemplarisch untersuchten Ansprüche und Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447 I. Verzicht auf Entgeltfortzahlungsansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447
18
Inhaltsverzeichnis II. III. IV. V.
Verzicht Verzicht Verzicht Verzicht
auf auf auf auf
Erholungsurlaub und Urlaubsabgeltung . . . . . . . . . . . . . . . . . den Anspruch auf Zeugniserteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kündigungsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Befristungsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
449 450 451 451
E. Einbettung in Schutzinstrumentarien des allgemeinen Zivilrechts . . . . . . 454 F. Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 479
Abkürzungsverzeichnis a. A. a. a. O. Abs. AcP a. E. a. F. ABGB AGB AGBG Alg allg. Alt. AngG Anm. AOG AP APS Arb ArbG ArbGG ArbKrankhG AR-Blattei-SD ArbR ArbuR ArbVG ARS Art. AT AÜG
anderer Ansicht am angegebenen Ort Absatz Archiv für die civilistische Praxis am Ende alte Fassung Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (Österreich) Allgemeine Geschäftsbedingungen Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB-Gesetz) Arbeitslosengeld allgemein(e) Alternative Angestelltengesetz (Österreich) Anmerkung Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts (seit 1954, vorher: Arbeitsrechtliche Praxis) Ascheid/Preis/Schmidt (Kommentar) Sammlung arbeitsrechtlicher Entscheidungen (österreichische Zeitschrift) Arbeitsgericht Arbeitsgerichtsgesetz Gesetz zur Verbesserung der wirtschaftlichen Stellung der Arbeiter im Krankheitsfalle Arbeitsrecht-Blattei – Systematische Darstellungen Arbeitsrecht Arbeit und Recht, Zeitschrift für arbeitsrechtliche Praxis; s. auch AuR Arbeitsverfassungsgesetz (Österreich) Arbeitsrechtssammlung mit Entscheidungen des Reichsarbeitsgerichts, der Landesarbeitsgerichte und Arbeitsgerichte Artikel Allgemeiner Teil Gesetz zur Regelung der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung (Arbeitnehmerüberlassungsgesetz)
20 Aufl. AuR BAföG BAG BAGE BAT BB BBesG BBiG Bd. BDA Beil. BErzGG BeschFG BetrAVG BetrVG BfA BFH BFHE BGB BGBl. BGH BGHZ BKGG BR-Drucks. BRTV-Bau BSG BSGE Bsp. BT BT-Drucks. BUrlG BVerfG BVerfGE BVerwG cic. DB DDR ders. d.h.
Abkürzungsverzeichnis Auflage Arbeit und Recht, Zeitschrift Bundesgesetz über individuelle Förderung der Ausbildung (Bundesausbildungsförderungsgesetz) Bundesarbeitsgericht Sammlung der Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts Bundes-Angestelltentarifvertrag Betriebs-Berater, Zeitschrift Bundesbesoldungsgesetz Berufsbildungsgesetz Band Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände Beilage Bundeserziehungsgeldgesetz Gesetz über arbeitsrechtliche Vorschriften zur Beschäftigungsförderung (Beschäftigungsförderungsgesetz 1985) Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung Betriebsverfassungsgesetz Bundesversicherungsanstalt für Angestellte Bundesfinanzhof Sammlung der Entscheidungen des BFH Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bundeskindergeldgesetz Drucksache des Deutschen Bundesrates Bundesrahmentarifvertrag für Arbeiter des Baugewerbes Bundessozialgericht Sammlung der Entscheidungen des BSG Beispiel Bundestag Drucksache des Deutschen Bundestages Mindesturlaubsgesetz für Arbeitnehmer (Bundesurlaubsgesetz) Bundesverfassungsgericht Sammlung der Entscheidungen des BVerfG Bundesverwaltungsgericht culpa in contrahendo (Verschulden bei Vertragsschluss) Der Betrieb, Zeitschrift Deutsche Demokratische Republik derselbe das heißt
Abkürzungsverzeichnis Diss. DOK DRdA DZWir EEK
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Dissertation Die Ortkrankenkasse, Zeitschrift Das Recht der Arbeit, österreichische Zeitschrift Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Sabel, Entscheidungssammlung zur Entgeltfortzahlung an Arbeiter und Angestellte bei Krankheit, Kur und anderen Arbeitsverhinderungen EFZG, EntgeltFG Gesetz über die Zahlung des Arbeitsentgeltes an Sonn- und Feiertagen und im Krankheitsfall EG Europäische Gemeinschaften; Einführungsgesetz EGBGB Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch EGV Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Einf. Einführung Einl. Einleitung ErfK Erfurter Kommentar etc. et cetera EU Europäische Union EuGH Europäischer Gerichtshof EWG Europäische Wirtschaftsgemeinschaft EzA Entscheidungen zum Arbeitsrecht, hrsg. von Stahlhacke EzBAT Entscheidungssammlung zum BAT f., ff. folgend(e) FAZ Frankfurter Allgemeine Zeitung FG Finanzgericht Fn. Fußnote FS Festschrift gem. gemäß GewO Gewerbeordnung GG Grundgesetz ggf. gegebenenfalls GK-BetrVG Gemeinschaftskommentar zum Betriebsverfassungsgesetz GK-SGB Gemeinschaftskommentar zum Sozialgesetzbuch grds. grundsätzlich GS Habil. Habilitationsschrift HAG Heimarbeitsgesetz HGB Handelsgesetzbuch HK-KSchG Heidelberger Kommentar zum Kündigungsschutzgesetz h. M. herrschende Meinung Hrsg. Herausgeber insb. insbesondere IPR Internationales Privatrecht
22 IPRax i. d. R. i. S. d. i. V. m. Jb.J.ZivRWiss. JZ KG KR krit. KSchG KVRS LAG LAGE LFZG LG m. a. W. MDR m. E. MüKo MünchArbR MuSchG m. w. N. n. F. NJW NJW-RR Nr. nv. NZA NZA-RR o. g. OGH OLG OLGE OR RAG RAGE RdA RG RGZ
Abkürzungsverzeichnis Praxis des internationalen Privatrechts, Zeitschrift in der Regel im Sinne des/der in Verbindung (mit) Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler Juristenzeitung, Zeitschrift Kammergericht; Kommanditgesellschaft Gemeinschaftskommentar zum Kündigungsschutzgesetz kritisch Kündigungsschutzgesetz Die Krankenversicherung in Rechtsprechung und Schrifttum Landesarbeitsgericht Entscheidungen der Landesarbeitsgerichte, hrsg. von Stahlhacke Gesetz über die Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfalle (Lohnfortzahlungsgesetz) Landgericht mit anderen Worten Monatsschrift für Deutsches Recht meines Erachtens Münchener Kommentar zum bürgerlichen Gesetzbuch Münchener Handbuch für Arbeitsrecht Gesetz zum Schutz der erwerbstätigen Mutter (Mutterschutzgesetz) mit weiteren Nachweisen Neue Fassung, neue Folge Neue Juristische Wochenschrift, Zeitschrift NJW-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht Nummer nicht amtlich veröffentlicht Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht NZA-Rechtsprechungs-Report Arbeitsrecht oben genannt Oberster Gerichtshof Oberlandesgericht Rechtsprechung der Oberlandesgerichte Obligationenrecht (Schweiz), Kommentar zum schweizerischen Privatrecht – Obligationenrecht I Reichsarbeitsgericht Amtl. Sammlung der Entscheidungen des RAG Recht der Arbeit, Zeitschrift Reichsgericht Entscheidung des Reichsgerichts in Zivilsachen
Abkürzungsverzeichnis Rn. Rspr. RVO s. S. SAE SG SGB SJZ sog. StGB SZ TV TVG TVO TzBfG u. a. Urt. usw. u. U. VersR vgl. Vol. Vorbem. VVG WM ZAS z. B. ZfA zit. ZPO z. T.
Randnummer Rechtsprechung Reichsversicherungsordnung siehe Seite; Satz Sammlung arbeitsrechtlicher Entscheidungen, Zeitschrift Sozialgericht Sozialgesetzbuch Schweizerische Juristen-Zeitung sogenannt(e) Strafgesetzbuch Amtliche Sammlung der Entscheidungen des österreichischen Obersten Gerichtshofes in Zivilsachen Tarifvertrag Tarifvertragsgesetz Tarifvertragsverordnung Teilzeit- und Befristungsgesetz unter anderem; und andere Urteil und so weiter unter Umständen Versicherungsrecht, Juristische Zeitschrift vergleiche Volume Vorbemerkung Versicherungsvertragsgesetz Wertpapier-Mitteilungen, Zeitschrift Zeitschrift für Arbeits- und Sozialrecht, Österreich zum Beispiel Zeitschrift für Arbeitsrecht zitiert Zivilprozessordnung zum Teil
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1. Kapitel
Problemstellung A. Thematische Einordnung Der Begriff des Verzichts ist in der Diskussion der letzten Jahre um eine Neuorganisation des Arbeitsmarkts allgegenwärtig. Gerade das macht zur Vermeidung von Missverständnissen vorab eine genauere Festlegung des Themas erforderlich. Unter Arbeitnehmer-Verzicht wird im Sprachgebrauch der Tagespresse häufig das Abschmelzen gewachsener betrieblicher, tarifvertraglicher oder gesetzlicher Besitzstände von Arbeitnehmern verstanden. Angesichts wachsender weltwirtschaftlicher Verflechtungen und steigender Mobilität von Unternehmen geraten diese Besitzstände zunehmend unter Anpassungsdruck. Die steigende Zahl so genannter betrieblicher Bündnisse für Arbeit und gesetzgeberische Tendenzen zur weiteren Einschränkung des Anwendungsbereichs des als Einstellungshemmnis angesehenen Kündigungsschutzgesetzes sind allgemein bekannter Ausdruck dieses Anpassungsdrucks. So wichtig eine (wirtschafts-)wissenschaftlich vertiefte Auseinandersetzung mit diesem Themenkomplex und seinen funktionalen Grundannahmen ist, so wenig geeignet ist dafür eine juristische Dissertation. Eine volkswirtschaftlich vertiefte Analyse der gegenwärtigen Umbruchsituation des deutschen Arbeitsmarktes und daran anknüpfende rechtspolitische Handlungsempfehlungen für ein „marktgerechteres“ oder „flexibleres“ Arbeitsrecht können und sollen hier nicht gegeben werden. Im juristischen Sprachgebrauch dagegen versteht man unter einem Verzicht im Allgemeinen nicht verschlechternde Vertrags- oder Gesetzesänderungen, sondern das Aufgeben eines zumindest dem Grunde nach bestehenden Rechts oder Anspruchs durch dessen Inhaber1. Verzichtsschutz meint hier den Schutz des Rechts- oder Anspruchsinhabers vor unerwünschter Preisgabe durch sich selbst. Im Rahmen dieser Arbeit soll die Erörterung des Verzichtsschutzes schwerpunktmäßig fokussiert werden auf die Frage, ob, inwieweit und aus welchen Gründen die Unabdingbarkeit arbeitsrechtlicher Normen die Befugnis der Arbeitsvertragsparteien einschränkt, durch 1
Zur Präzisierung des Verzichtsbegriffs im juristischen Sprachgebrauch sogleich.
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1. Kap.: Problemstellung
einen individualvertraglichen Verzicht über Ansprüche oder Rechte des Arbeitnehmers aus diesen Normen zu disponieren. Soweit Arbeitnehmerschutz durch öffentlich-rechtliches Arbeitsschutzrecht organisiert wird, ergeben sich hier keine Zweifelsfragen: Wenn Arbeitgeber dem Staat gegenüber durch Gesetz zur Gewährleistung gewisser Mindestbedingungen des Arbeitsschutzes verpflichtet sind, so können diese Verpflichtungen nicht zum Gegenstand privatrechtlicher Dispositionen gemacht werden. Soweit aber dem Zivilrecht zuzuordnende zwingende Normen des Arbeitsrechts den Arbeitgeber lediglich gegenüber dem Arbeitnehmer als seinem Vertragspartner zu arbeitsrechtlichem Mindestschutz verpflichten, stellt sich das Problem, inwieweit den Arbeitsvertragsparteien damit zugleich die Befugnis zu einvernehmlichen Dispositionen über die gesetzlich garantierten Ansprüche oder Rechte des Arbeitnehmers entzogen ist. Angesprochen ist damit die Antinomie zwischen der sozialstaatlichen Gewährleistung von Sozialschutz durch zwingendes Arbeitsrecht und dem zivilrechtlichen Grundsatz der Vertragsfreiheit.
I. Unabdingbarkeit als Charakteristikum des Arbeitsvertragsrechts Während im allgemeinen Zivilrecht dispositives Vertragsrecht vorherrschend ist, ist dies im Arbeitsvertragsrecht die Ausnahme; das Arbeitsrecht ist geprägt durch zugunsten des Arbeitnehmers einseitig zwingende Normen. Der Spielraum der Vertragsfreiheit, verstanden als Gestaltungsfreiheit des Arbeitsvertrages, ist dadurch im Arbeitsvertragsrecht vergleichsweise stark eingeschränkt. Soweit zwingendes Arbeitsvertragsrecht eingreift, können die Parteien nicht rechtswirksam etwas anderes vereinbaren, selbst wenn es im beiderseitigen Interesse ist. Einseitig zwingendes Arbeitsvertragsrecht steht damit notwendig in einem Spannungsfeld zum für das Privatrecht grundlegenden Gedanken der Vertragsfreiheit zwischen freien und gleichen Individuen, die ihre vertraglichen Beziehungen in freier Selbstverantwortung regeln. Nicht zuletzt deshalb ist umstritten, ob und inwieweit Arbeitnehmer rechtswirksam auf Ansprüche oder Rechte aus zwingendem Arbeitsvertragsrecht verzichten können. Die vertretenen Positionen reichen hier von der generellen Gleichsetzung von Unabdingbarkeit und Unverzichtbarkeit bis zur generellen Verzichtsfreiheit der Arbeitsvertragsparteien hinsichtlich aller bereits entstandenen und fälligen Ansprüche oder Rechte des Arbeitnehmers. Vermittelnde Positionen berücksichtigen, ob der Verzicht während des laufenden Arbeitsverhältnisses oder erst nach dessen Beendigung vereinbart
A. Thematische Einordnung
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wurde. Auch die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist in dieser Frage uneinheitlich und differiert zudem hinsichtlich des jeweils geschützten Rechts oder Anspruchs. Übereinstimmung herrscht lediglich im teleologischen Ansatzpunkt: Wenn ein Verzicht der Arbeitsvertragsparteien auf unabdingbare Ansprüche wirksam sein soll, so muss dieses Ergebnis mit dem (jeweiligen) Zweck der Unabdingbarkeit kompatibel sein. Eine allgemein anerkannte Definition der Zwecksetzung arbeitsrechtsspezifischer Unabdingbarkeit oder auch nur eine systematische Anwendung von anspruchsübergreifend definierten Auslegungsmaßstäben ist jedoch bisher kaum erkennbar. Vertreten werden sowohl paternalistische als auch unterlegenheitsspezifische als auch ordnungspolitische Zwecksetzungen der Unabdingbarkeit der gesetzlichen Normen des Arbeitsvertragsrechts. In der Analyse der Zwecksetzungen und in der Entwicklung und Systematisierung geeigneter Auslegungsmaßstäbe zur Bestimmung der Reichweite des in der arbeitsrechtsspezifischen Unabdingbarkeit liegenden Eingriffs in die Verzichtsfreiheit besteht ein Hauptanliegen dieser Arbeit.
II. Praktische Bedeutung arbeitsrechtlicher Verzichtsvereinbarungen Verzichtsvereinbarungen werden in der arbeitsrechtlichen Praxis vor allem im Zusammenhang mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses getroffen. Dies geschieht häufig im Rahmen von Abwicklungsverträgen, so genannten Ausgleichsquittungen oder auch in arbeitsgerichtlichen Vergleichen. Die Parteien haben in dieser Situation häufig das Bedürfnis, einen „Schlussstrich“ zu ziehen, der die vielschichtigen Beziehungen des Arbeitsverhältnisses einheitlich und endgültig beenden soll. Dem Arbeitgeber ist diese Klarheit im Gegenzug oft eine Abfindung oder ein Entgegenkommen in anderer Form wert. Prinzipiell können Verzichtsvereinbarungen also den gütlichen, außergerichtlichen oder doch zumindest den unstreitigen Interessenausgleich in der Beendigungssituation erleichtern, auch wenn die Praxis zeigt, dass gerade Ausgleichsquittungen relativ häufig Gegenstand nachgelagerter rechtlicher Auseinandersetzungen sind2. Darüber hinaus kann auch im laufenden Arbeitsverhältnis ein Interesse des Arbeitnehmers an einer individualvertraglichen Regelung bestehen, weil sie seinen Bedürfnissen besser entspricht, obwohl sie formal als eine nachteilige Abweichung von unabdingbaren Normen des Arbeitsvertragsrechts 2
AR-Blattei-SD (Kramer/Marhold) Nr. 290 Ausgleichsquittung Rn. 3 ff.
28
1. Kap.: Problemstellung
anzusehen ist3. Denkbar ist dies beispielsweise bei Vereinbarungen zur Entgeltfortzahlung, wenn ein längerer Fortzahlungszeitraum zugunsten einer geringeren Höhe des fortzuzahlenden Entgelts vereinbart wird4; oder beim Anspruch auf Erholungsurlaub, wenn ein Mehr an Urlaub bei weniger Urlaubsentgelt den individuellen Präferenzen entspricht. Starre Regelungen durch zwingendes Recht können insoweit ein rechtliches Hindernis bei der Findung individuell interessengerechter Lösungen darstellen. In diesem Sinne kann auch eine extensivere Beurteilung der individualvertraglichen Verzichtbarkeit ein Beitrag zur Flexibilisierung des Arbeitsrechts sein. Andererseits sind Verzichtsvereinbarungen in mehrfacher Hinsicht verdächtig. Sie stehen zum einen unter dem Generalverdacht, die gesetzgeberischen Zielsetzungen der Unabdingbarkeit zu unterlaufen. Weiter stehen sie insbesondere hinsichtlich einseitiger Ausgleichsquittungen unter dem Verdacht der Übervorteilung des verzichtenden Arbeitnehmers. Häufig liegt nach Lage der Dinge die Vermutung nahe, dass sie nur deshalb zustande gekommen sind, weil der betroffene Arbeitnehmer ihre rechtlichen Konsequenzen aus Ungeschicklichkeit, Unwissenheit oder wegen Überrumpelung nicht richtig erkannt hat5. Soweit das Bundesarbeitsgericht einen Verzicht auf Ansprüche oder Rechte aus zwingendem Arbeitsvertragsrecht nicht grundsätzlich für unzulässig hält, stellt es deshalb erhöhte Anforderungen an die Eindeutigkeit und Verständlichkeit der entsprechenden Verzichtsvereinbarung.
III. Gang der Untersuchung Diese Arbeit beleuchtet die grundsätzliche Befugnis der Arbeitsvertragsparteien zu einem Verzicht auf unabdingbare Ansprüche – verstanden als das rechtliche Können – und als zweiten Schritt die allgemeinen zivilrechtlichen Instrumentarien, die die wirksame Vereinbarung eines Verzichts konditionieren. Der Schwerpunkt liegt bei der Frage der Befugnis der Arbeitsvertragsparteien zum Verzicht. Hier soll untersucht werden, ob und inwieweit die gesetzgeberische Anordnung der Unabdingbarkeit arbeitsvertragsrechtlicher Ansprüche die Deutung rechtfertigt, dass der Arbeitnehmer auch zu einem Verzicht auf diese Ansprüche nicht befugt ist. 3 Thüsing, Gedanken zur Vertragsautonomie im Arbeitsrecht, FS Wiedemann, S. 539, 540. 4 Vgl. die Optionsregelung der Übergangsvorschrift des § 71 Abs. 6 BAT. 5 Dieterich, Grundgesetz und Privatautonomie im Arbeitsrecht, RdA 1995, 129, 135.
B. Präzisierung und Abgrenzung des rechtlichen Verzichtsbegriffs
29
Dazu wird nach einer weiteren Präzisierung des Untersuchungsgegenstands zunächst die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu fünf zentralen Ansprüchen des Arbeitsvertragsrechts exemplarisch analysiert und vergleichend betrachtet. Grundlegende Erwägungen zur Verzichtsbefugnis sollen herausgearbeitet und systematisiert werden, um sie anschließend einer kritischen Würdigung im vertragstheoretischen und geschichtlichen Zusammenhang zu unterziehen. Ziel ist es, verallgemeinerbare Grundregeln zur Bestimmung der unabdingbarkeitsspezifischen Grenzen der Verzichtsbefugnis im Arbeitsrecht zu entwickeln. Im Anschluss daran soll ein Überblick gegeben werden, inwieweit im Bereich der an sich zulässigen Verzichtsvereinbarungen zusätzlich ein Schutz des Arbeitnehmers vor unbeabsichtigten Verzichtswirkungen geboten bzw. de lege lata aus dem Instrumentarium des allgemeinen Zivilrechts herzuleiten ist.
B. Präzisierung und Abgrenzung des rechtlichen Verzichtsbegriffs – dogmatische Unterschiede und phänotypische Ähnlichkeiten Der Begriff des Verzichts hat im allgemeinen wie im juristischen Sprachgebrauch mehrere Bedeutungsebenen, die für eine Präzisierung des hier verwendeten vertragsrechtlichen Verzichtsbegriffs unterschieden werden müssen. Zur Vermeidung von Missverständnissen sind deshalb vor einem tieferen Einstieg in die Materie zunächst Begrifflichkeiten zu klären.
I. Unabdingbarkeit und Abbedingung Für den Begriff der Abbedingung bzw. der Unabdingbarkeit konnte sich in der arbeitsrechtlichen Literatur bisher keine gefestigte Definition durchsetzen6. Zum Teil wird angeführt, „abbedingen“ bedeute seinem Wortlaut nach nur, dass die Entstehung des betreffenden Anspruchs ganz oder teilweise verhindert werde7. Andere formulieren, der „zwingende Charakter“ eines Rechtssatzes bedeute, dass „durch vertragliche Abmachung nicht die Entste6
Vgl. dazu bereits Nikisch, Arbeitsrecht II., § 79 IV. 1., S. 395 f. und Hueck/ Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts II. (6. Aufl.), S. 376 einerseits; den Letzteren in der Überschrift zu § 27, S. 374 andererseits. 7 In diesem Sinne Becker/Schaffner, Verzicht auf Lohnfortzahlung nach dem Lohnfortzahlungsgesetz?, AuR 1972, 237 ff.; ähnlich Nikisch, a. a. O.; Seelig, Unabdingbarkeit und Erlaßvertrag, Diss. Uni Breslau 1928, S. 12; Hueck, Tarifrecht,
30
1. Kap.: Problemstellung
hung und Durchführung eines Rechts gehindert werden kann“8 oder „Unabdingbarkeit bedeute seinem Wesen nach, dass der Inhaber eines Rechts nicht schon vor seiner Entstehung darauf verzichten kann“9. Wiederum andere begegnen dieser latenten Begriffsverwirrung mit der Einführung eigener Definitionen10. Ursprünglich entstammt die Diskussion um den Inhalt des spezifisch arbeitsrechtlichen Begriffs der Unabdingbarkeit dem Tarifrecht. Bereits unter der Geltung der Tarifvertragsverordnung (TVO) als Vorläufer des Tarifvertragsgesetzes (TVG) waren jedoch sowohl sein Inhalt als auch seine Wirkung umstritten11. Von dort hat der Begriff der Unabdingbarkeit inklusive der ihm anhaftenden Diskussion um seine Bedeutung Eingang in die neueren arbeitsrechtlichen Gesetze der Bundesrepublik gefunden12. Die dargestellten begrifflichen Unschärfen mögen zunächst marginal erscheinen. Gerade für eine trennscharfe Abgrenzung zum Verzicht ist es jedoch von entscheidender Bedeutung, ob man auch die Sicherung des rechtlichen Erhalts eines Anspruchs bereits begrifflich als Unterfall der Unabdingbarkeit ansieht, will man eine unnötige Begriffsverwirrung – insbesondere in Abgrenzung zum im Voraus erklärten Verzicht auf einen noch nicht entstandenen Anspruch – vermeiden. Zu Recht weist das LAG Düsseldorf in der bereits zitierten Entscheidung darauf hin, dass zwischen der so genannten Unabdingbarkeit und der Unverzichtbarkeit ein wichtiger begrifflicher Unterschied bestehe, weil auch unabdingbare Ansprüche verzichtbar S. 57 ff.; in diesem Sinne auch LAG Hamm 9.3.1971 – 3 Sa 50/71 – DB 1971, 1212, 1213. 8 So LAG Düsseldorf vom 22.9.1971 – 3 Sa 50/71 – BB 1972, 89, 90; vgl. so auch bereits RAG vom 19.11.1932 – RAG. 258/32 – ARS Bd. 17, 3, 6; Richardi, Ausschlussfristen bei unabdingbaren gesetzlichen Ansprüchen, insbesondere dem Urlaubsanspruch, RdA 1962, S. 62, 63. 9 So Lepke, Der Verzicht des Arbeitnehmers auf den Lohnfortzahlungsanspruch im Krankheitsfalle, BB 1971, 1509, 1511; vgl. auch BAG vom 28.10.1960 – 1 AZR 43/59 – BB 1960, 94; Schnorr, Anm. zu BAG vom 27.7.1967, SAE 1968, 179, 182. 10 Renaud hat ein differenziertes Begriffssystem entwickelt, indem er zwischen Unabdingbarkeit im engeren Sinne als Sicherung der Entstehung des Rechts, Unabdingbarkeit im weiteren Sinne als Sicherung des Bestandes des Rechts während der Dauer des Rechtsverhältnisses, aus dem der Anspruch fließt, und Unverzichtbarkeit als Sicherung des Rechts auch nach Beendigung des Rechtsverhältnisses, aus dem sich der Anspruch ergibt, unterscheidet; Renaud, Die Abgeltung von Urlaubsansprüchen nach dem Mindesturlaubsgesetz für Arbeitnehmer, Diss. Uni Heidelberg 1975, S. 90. 11 Ausführlich zum Verständnis des Verhältnisses von Unabdingbarkeit und Erlassvertrag unter Geltung der TVO Nipperdey, Beiträge zum Tarifrecht (1924), S. 18 ff.; Seelig, Unabdingbarkeit und Erlaßvertrag, Diss. Uni Breslau 1928, S. 12 ff. 12 Vgl. Lepke, BB 1971, 1509, 1511.
B. Präzisierung und Abgrenzung des rechtlichen Verzichtsbegriffs
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sein können13. Auch § 4 TVG differenziert begrifflich zwischen der in Abs. 1 geregelten unmittelbaren und zwingenden Wirkung der Tarifnormen, d.h. deren Unabdingbarkeit, und der in Abs. 4 geregelten Verzichtbarkeit von tariflichen Ansprüchen. Entsprechendes gilt für § 77 Abs. 4 Satz 1 und 2 BetrVG. Dagegen ist es eine Frage der Wirkung der Unabdingbarkeit, ob und gegebenenfalls wann auch die Verzichtbarkeit eines Anspruchs oder Rechts inhaltlich von der Unabdingbarkeit einer Anspruchsnorm erfasst wird14. Zumindest in dieser Abhandlung ist daher mit Nikisch und BeckerSchaffner15 unter dem Begriff „Abbedingung“ ausschließlich eine vertragliche Vereinbarung zu verstehen, die die rechtliche Entstehung eines Anspruchs oder Rechts selbst unterbindet. Entsprechendes gilt für den Begriff „Unabdingbarkeit“, der hier im engeren Sinne als Unzulässigkeit der vertraglichen Verhinderung der Anspruchsentstehung verstanden wird16. Begrifflich erfasst eine Abbedingung damit nur die Fälle unmittelbar, in denen die Anwendbarkeit einer gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Anspruchsnorm auf ein Rechtsverhältnis durch eine vertragliche Vereinbarung ausgeschlossen wird. Gleiches gilt, wenn eine für den Arbeitnehmer ungünstigere Rechtsfolge vereinbart wird. Dadurch ist jedoch noch nicht geklärt, welche Wirkungen die Unabdingbarkeit einer Norm regelmäßig für die Verzichtbarkeit der durch sie begründeten Ansprüche oder Rechte des Arbeitnehmers entfaltet. Wie zu zeigen sein wird, ist eine Bestimmung der Reichweite der Wirkung der Unabdingbarkeit nicht losgelöst von Schutzzweckerwägungen möglich17.
II. Verzicht Mit dem Begriff des Verzichts wird sowohl im öffentlichen Recht als auch im Privatrecht häufig das einseitige Aufgeben eines Rechts umschrieben, durch das das Recht selbst erlischt. Man denke im Prozessrecht z. B. an den prozessualen Klageverzicht des § 306 ZPO, aber auch an den privatrechtlichen Verzicht des Schuldners auf das Rücknahmerecht bei der Hinterlegung, § 376 Abs. 2 Nr. 1 BGB, den Einredeverzicht des Hauptschuldners, 13 LAG Düsseldorf, a. a. O.; so insb. auch Schnorr, Anm. zu BAG vom 27.7.1967, SAE 1968, 181, 182. 14 Vgl. zur terminologischen Einordnung auch Hofmann, Grenzen gesetzlicher Unabdingbarkeitsnormen im Arbeitsrecht, FS 25 Jahre BAG, S. 217 (219); Schnorr, Anm. zu BAG vom 27.7.1967, SAE 1968, 181, 182. 15 Becker/Schaffner, a. a. O. 16 Vgl. dazu auch Renaud, siehe oben Fn. 10. 17 So auch Lepke, a. a. O.
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1. Kap.: Problemstellung
§ 768 Abs. 2 BGB, oder des Bürgen, § 773 Abs. 1 Nr. 1 BGB, den Eigentumsverzicht nach § 928 Abs. 1 BGB und nach § 959 BGB sowie den Verzicht auf die Hypothek nach § 1168 BGB18. Dagegen erfordert ein Aufgeben schuldrechtlicher Ansprüche, das zum Erlöschen des Anspruchs führen soll, in der Systematik des Schuldrechts des BGB grundsätzlich das Instrument eines zweiseitigen Vertrages19. Dieses kann entweder in einem Erlassvertrag nach § 397 Abs. 1 BGB oder einem negativen Schuldanerkenntnis gemäß § 397 Abs. 2 BGB bestehen20. Während der Erlassvertrag dogmatisch als Verfügungsgeschäft zu klassifizieren ist21, handelt es sich beim negativen Schuldanerkenntnis primär um einen Feststellungsvertrag, dem jedoch ein bedingter Erlasswille innewohnt, falls die vermeintliche nicht der tatsächlichen Rechtslage entspricht22. Beide Vertragsarten können auch in einem Vergleich nach § 779 BGB enthalten sein bzw. ihren rechtlichen Verfügungsgrund finden23. Der Begriff des „Verzichts“ hat sich auch für diese zweiseitigen Verträge allgemein als Oberbegriff eingebürgert24. In diesem Sinne ist der Begriff des Verzichts auch hier als Oberbegriff für vertragliche Vereinbarungen zu verstehen, die rechtsgeschäftlich das unmittelbare Erlöschen eines Anspruchs oder Rechts bewirken. Nach wohl überwiegender Ansicht soll auch auf eine zukünftige Forderung verzichtet werden können, wie auch eine zukünftige Forderung abgetreten werden kann25. Begrifflich setzt der Verzicht jedoch das Bestehen 18
Vgl. MüKo - Schlüter BGB § 397 Rn. 19 zu weiteren Konstellationen, in denen ein einseitiger Verzicht möglich ist. 19 Staudinger - Rieble BGB § 397 Rn. 1; Larenz, Schuldrecht I, S. 267 ff.; RG vom 12.11.1909 – VII. 29/09 – RGZ 72, 169, 171; RG vom 23.6.1926 – V 487/25 – RGZ 114, 155, 158; für die Zulässigkeit eines einseitigen Forderungsverzichts neuerdings Kleinschmidt, Diss. Uni Regensburg 2002, S. 316 und passim. 20 Vgl. Fn. 12. 21 Staudinger - Rieble BGB § 397 Rn. 27. 22 Ebenda, Rn. 212 ff. 23 Statt vieler MüKo - Schlüter BGB § 397 Rn. 13 m. w. N. 24 In diesem Sinne bereits Walsmann, Der Verzicht (1912), S. 230 ff.; vgl. auch die Verwendung des Begriffs bei MüKo - Schlüter BGB § 397 insb. Rn. 1, Rn. 20. 25 MüKo - Schlüter BGB § 397 Rn. 7; BGH vom 28.11.1963 – II ZR 41/62 – BGHZ 40, 326, 330; BGH vom 25.5.1993 – VI ZR 272/92 – NJW-RR 1993, 1111 (1113); so auch Soergel - Zeiss § 397 Rn. 5; Esser/Schmidt, Schuldrecht AT Teilband 1, S. 332; vgl. zum österreichischen Recht auch Köck, Grenzen der Zulässigkeit des Verzichts auf schon entstandene Arbeitnehmeransprüche, ZAS 1986, 73, 76 m. w. N.; a. A. Palandt - Heinrichs § 397 Rn. 2; Staudinger - Rieble BGB § 397 Rn. 96; BGH vom 27.9.1956 – II ZR 68/55 – BB 1956, 1086; RG vom 27.5.1929 – VIII 168/29 – RGZ 124, 325, 326; RG vom 5.7.1935 – II 340/34 – RGZ 148, 257, 262.
B. Präzisierung und Abgrenzung des rechtlichen Verzichtsbegriffs
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der Forderung voraus26. Dieser antizipierte Verzicht, oder auch Vorausverzicht, lässt sich so deuten, dass er sozusagen nach einer logischen Sekunde den neu entstandenen Anspruch erfasst und zum Erlöschen bringt27. Hieraus ergibt sich auch der begriffliche Unterschied zwischen Vorausverzicht und Abbedingung: Während die Unabdingbarkeit begrifflich nur die Sicherung der Entstehung des Anspruchs (und nur diese) umfasst, berührt der Vorausverzicht nicht die Entstehung des Anspruchs selbst, sondern bewirkt „nur“ das unmittelbare Erlöschen der entstandenen Forderung. Dogmatisch ist danach der Vorausverzicht von der Abbedingung zu unterscheiden, auch wenn die phänotypische Ähnlichkeit unverkennbar ist: Der Verzichtende legt sich im Voraus durch eine (arbeits-)vertragliche Vereinbarung fest und bewirkt damit im Ergebnis, dass ihm der erst zukünftig entstehende Anspruch nicht zugute kommen kann. Wiederum ist mit dieser terminologischen Unterscheidung von Vorausverzicht und Unabdingbarkeit nichts darüber gesagt, ob ein Vorausverzicht zulässig sein kann, wenn oder soweit er Ansprüche und Rechte aus unabdingbaren Normen des Arbeitsvertragsrechts betrifft. Das wird noch ausführlich zu erörtern sein.
III. Ausschlussfristen (Verfallsfristen) Ähnlich wie beim Verzicht stellt sich auch bei Ausschlussfristen die Frage, ob und inwieweit die Unabdingbarkeit einer Norm die Vereinbarung bzw. Anwendung einer allgemeinen Ausschlussfrist hindern kann28. Unter Ausschlussfristen werden allgemein gesetzliche29, kollektiv- oder einzelvertraglich vereinbarte Fristen verstanden, nach deren Ablauf ein Recht erlischt, wenn es nicht zuvor geltend gemacht worden ist30. Nach wohl h. M. haben Ausschlussfristen rechtsvernichtenden Charakter31. 26
Palandt - Heinrichs § 397 Rn. 2; Larenz, Schuldrecht I, S. 267 ff.; RG vom 12.11.1909 – VII. 29/09 – RGZ 72, 169, 171; RG vom 23.6.1926 – V 487/25 – RGZ 114, 155, 158. Statt vieler MüKo - Schlüter BGB § 397 Rn. 7. 27 Staudinger - Rieble BGB § 397 Rn. 96 ff.; U. Hofmann, Verzicht und Vergleich im Arbeitsrecht, S. 78; a. A. Palandt - Heinrichs, a. a. O., der antizipierte Verzicht habe zur Folge, dass die Forderung gar nicht erst entstehe. 28 Langer, Rn. 233, S. 123; vgl. Terhorst, Der Schutz der Sozialleistungsträger vor selbstgeschaffenen Versorgungslücken durch einen Verzicht auf Unterhalt und Arbeitsentgelt, Diss. Uni Konstanz 1993, S. 9. 29 Z. B. § 626 Abs. 2 BGB. 30 Schaub, § 205 Rn. 1. 31 Vgl. BAG vom 5.4.1984 – 6 AZR 443/81 – AP BUrlG § 13 Nr. 16; BAG vom 25.7.1984 – nv., JURIS KARE 278330703; in sich widersprüchlich BAG vom
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1. Kap.: Problemstellung
Rechtstechnisch handelt es sich um Einwendungen, die von Amts wegen zu beachten sind32. Einzelvertraglich vereinbarte Ausschlussfristen sind deshalb in ihrer Wirkung mit einem Verzicht vergleichbar; man könnte sie gewissermaßen als antizipierten, aufschiebend bedingten Erlassvertrag ansehen33. Ausschlussfristen sind häufig in Tarifverträgen enthalten und entfalten insoweit normative Wirkung für die tarifgebundenen Arbeitsverhältnisse. In diesem Fall ist ihre Zulässigkeit im Hinblick auf unabdingbare gesetzliche Ansprüche kollektivrechtlich überlagert, was die unmittelbare Vergleichbarkeit mit einem individualvertraglichen Verzicht ausschließt. Aber auch durch einzelvertragliche Vereinbarung können Ausschlussfristen begründet werden34. Dennoch kann man wegen der fehlenden Unmittelbarkeit des Eintritts der rechtsvernichtenden Wirkung auch bei der einzelvertraglich vereinbarten Ausschlussfrist die für die unabdingbarkeitsspezifische Zulässigkeit einer einzelvertraglichen Verzichtsvereinbarung maßgeblichen Wertungen nicht eins zu eins übertragen. Auf den besonderen Konflikt zwischen einzelvertraglichen Ausschlussfristen und arbeitsvertragsrechtlicher Unabdingbarkeit kann im Rahmen dieser Abhandlung deshalb nur am Rande eingegangen werden.
IV. Pactum de non petendo Als pactum de non petendo wird üblicherweise die Vereinbarung des Gläubigers mit dem Schuldner bezeichnet, eine Forderung oder ein Recht nicht geltend zu machen. Vom Verzicht unterscheidet sich das pactum de non petendo dogmatisch dadurch, dass es die Schuld nicht zum Erlöschen bringt, sondern „nur“ die Durchsetzbarkeit des Anspruchs hindert, der 26.8.1960 – 1 AZR 425/38 – JZ 1961, 236, 237 und ebenso BAG vom 30.3.1962 – 2 AZR 101/61 – BAGE 13, 57 [unter II. 2. der Gründe] (einerseits: „Eine Ausschlussfrist berührt nicht das Recht selbst, sondern nur seine Geltendmachung“, andererseits: „. . . das zur Entstehung gelangende Recht soll jedoch nach Ablauf der Frist erlöschen.“); kritisch MünchArbR - Hanau § 75 Rn. 14, der die Ausschlussfristen wohl dogmatisch eher in der Nähe der Verjährungsfristen sieht; ausdrücklich offengelassen in LAG Köln vom 28.6.2002 – 11 Sa 1315/01 – JURIS KARE 600006784, Begr.: jedenfalls pactum de non petendo. 32 Anwalts-Handbuch-ArbR - Wieland Teil 4c Rn. 219; Schaub, a. a. O. 33 Langer, Gesetzliche und vereinbarte Ausschlussfristen im Arbeitsrecht, S. 123; Staudinger - Rieble BGB § 397 Rn. 23; vgl. Herschel, Anm. zu BAG vom 26.8.1960 – 1 AZR 425/38 – JZ 1961, 236, 237; zur grundsätzlichen Möglichkeit eines solchen bereits Walsmann, a. a. O., S. 233. 34 Vgl. MünchArbR - Hanau § 14 Rn. 15.
B. Präzisierung und Abgrenzung des rechtlichen Verzichtsbegriffs
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Schuldner wird zwar nicht befreit, kann der Geltendmachung der Forderung aber das pactum de non petendo als Einrede entgegenhalten35. Soweit das pactum de non petendo jedoch nicht befristet, sondern zeitlich unbeschränkt vereinbart wird, kommt es in seiner praktischen Auswirkung einem Verzicht gleich36. Unter Schutzzweckgesichtspunkten bietet es sich daher an, die Zulässigkeit des pactum de non petendo hinsichtlich unabdingbarer Ansprüche ähnlich zu beurteilen wie die des Verzichts.
V. Schlichte Nichtausübung eines Rechts Im allgemeinen Sprachgebrauch wird auch die bloße Nichtausübung eines Rechts oder das Nichtgeltendmachen einer Forderung als Verzicht bezeichnet. Dagegen ist im Rechtssinne zwischen der Nichtausübung eines bestehenden Rechts und der Aufgabe dieses Rechts selbst deutlich zu unterscheiden. Nur Letzteres wird als Verzicht im Rechtssinne bezeichnet und nur darum soll es in dieser Arbeit im Kern gehen. Verzichtsbefugnis meint in diesem Zusammenhang deshalb die Befugnis, sich der rechtlichen Möglichkeit, ein Recht oder eine Forderung geltend zu machen, zu begeben. Sie erfasst begrifflich die Disponibilität des entstandenen Rechts oder Anspruchs selbst. Wenn danach ein Anspruch als unverzichtbar bezeichnet wird, so bedeutet dies nur, dass der Anspruch selbst nicht durch vertragliche Vereinbarung erlöschen kann. Der Berechtigte ist selbstverständlich nicht gezwungen, die ihm zustehenden Rechte auszuüben oder Forderungen aus unverzichtbaren Ansprüchen zu realisieren. Die rechtliche Unverzichtbarkeit eines Anspruchs lässt die Möglichkeit eines tatsächlichen „Verzichts“ durch Nichtausübung stets unberührt. Umgekehrt ist dies nur eingeschränkt der Fall: Auch die tatsächliche Nichtausübung eines Rechts oder Anspruchs kann im Ergebnis den rechtlichen Fortfall des Anspruchs zur Folge haben. Dies ist insbesondere der Fall, wenn – wie bereits oben angesprochen – eine Ausschlussfrist gesetzlicher, tariflicher oder einzelvertraglicher Art eingreift und das Recht oder der Anspruch aufgrund dessen erlischt. Die Ähnlichkeit eines derartigen Rechtsverlustes zum Verzicht ist jedoch nur phänotypischer Art, denn dieser Rechtsverlust wird nicht unmittelbar durch eine Parteivereinbarung selbst, sondern durch das Eingreifen eines externen Erlöschensgrundes bewirkt. Überschneidungen ergeben sich insoweit nur bei einzelvertraglich vereinbarten Ausschlussfristen. 35 Vgl. Larenz, Schuldrecht I, S. 270; Esser/Schmidt, Schuldrecht AT Teilband 1, S. 333. 36 So auch Larenz, a. a. O.
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1. Kap.: Problemstellung
VI. „Verzicht“ durch Parteivereinbarungen über tatsächliche Anspruchsvoraussetzungen Unabdingbare gesetzliche Rechte oder Ansprüche können dadurch entfallen, dass die Arbeitsvertragsparteien Vereinbarungen über die tatsächlichen Voraussetzungen dieser Ansprüche treffen. Kennzeichnend für derartige Vereinbarungen ist, dass sie nicht in den Bestand des Rechts oder des Anspruchs selbst eingreifen, sondern der Rechtsverlust als Folge der durch Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien veränderten tatsächlichen Grundlagen eintritt. Unter dem Aspekt der Gesetzesumgehung ergeben sich vor allem dann Abgrenzungsprobleme, wenn derartige Vereinbarungen gerade deshalb getroffen werden, um im Ergebnis eine faktische Verzichtswirkung bezüglich rechtlich unverzichtbarer, unabdingbarer Ansprüche zu erreichen. Derartige Vereinbarungen können in sehr unterschiedlicher Gestalt vorkommen. Die Erscheinungsformen mit der größten praktischen Relevanz sind der so genannte Tatsachenvergleich und der Aufhebungsvertrag. 1. Tatsachenvergleich Unter einem Tatsachenvergleich wird der „Vergleich“ über die tatsächlichen Voraussetzungen eines unabdingbaren gesetzlichen Anspruchs bzw. eines Anspruchs aus Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung verstanden. Ein derartiger Feststellungsvertrag über streitige oder ungewisse tatsächliche Anspruchsvoraussetzungen soll nach ständiger Rechtsprechung37 und herrschender Meinung38 auch dann zulässig sein, wenn dadurch im Ergebnis der Fortfall von Ansprüchen und Rechten des Arbeitnehmers bewirkt wird, hinsichtlich derer ein Rechtsverzicht des Arbeitnehmers nicht zulässig wäre39. Dies gilt in besonderem Maße für die gemäß ausdrücklicher gesetzlicher Regelung einzelvertraglich unverzichtbaren Ansprüche des Arbeitnehmers aus Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung, aber auch für den nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts ebenfalls im Rechtssinne unverzichtbaren Urlaubsabgeltungsanspruch aus § 7 Abs. 4 BUrlG40. 37
BAG vom 5.11.1997 – 4 AZR 682/95 – AP TVG § 4 Nr. 17. Vgl. statt vieler Küttner/Eisemann, Personalbuch 2005, Verzicht Rn. 12 m. w. N. 39 So bereits Nipperdey, Anm. zu RAG vom 22.3.1939 – RAG. 191/38 – ARS Bd. 36, 115, 118. Kritisch zur Zulassung eines Tatsachenvergleichs Dorndorf, Anm. zu BAG vom 21.12.1972 – 5 AZR 319/72 – SAE 1974 116, 119; Herschel, Anm. zu BAG vom 21.7.1978 – 6 AZR 1/77 – AP BUrlG § 13 Unabdingbarkeit Nr. 5; ebenso für einen tarifliche Ansprüche betreffenden Tatsachenvergleich Zachert, Anm. zu BAG vom 5.11.1997 – 4 AZR 682/95 – AP TVG § 4 Nr. 17. 38
B. Präzisierung und Abgrenzung des rechtlichen Verzichtsbegriffs
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Neben den dogmatischen Bedenken gegen die Zulässigkeit eines Vergleichs über tatsächliche Umstände41 tritt im Arbeitsrecht insbesondere das Problem einer möglichen zweckwidrigen Umgehung der rechtlichen Unverzichtbarkeit eines Anspruchs oder Rechts zutage, wenn zwischen den Parteien tatsächlich keine Ungewissheiten über Anspruchsvoraussetzungen bestehen oder im Prozess nur pro forma streitig gestellt werden42. So gehört die etwas sperrige Klausel, dass sich die Parteien darüber einig seien, dass der gesetzliche Erholungsurlaub vollständig in natura gewährt und genommen worden sei, zum Standardrepertoire arbeitsrechtlicher Beendigungsvergleiche43. Phänomenologisch lässt sich das nur damit erklären, dass Urlaubsabgeltungsansprüche einem erledigenden Rechtsverzicht über Ansprüche des Arbeitnehmers nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts nicht zugänglich sein sollen44. 2. Aufhebungsvertrag Durch einen Aufhebungsvertrag können die Arbeitsvertragsparteien aufgrund privatautonomer Entscheidung das Arbeitsverhältnis zu jedem beliebigen Zeitpunkt beenden45. Das ist der wesentliche Inhalt des Aufhebungsvertrages46, unmittelbar darauf sind die Willenserklärungen der Vertragsparteien gerichtet. Die Aufhebungs- oder Beendigungsfreiheit ist als negative Vertragsfreiheit selbstständiger Bestandteil der arbeitsrechtlichen Privatautonomie. Sie garantiert die Befugnis zur Disposition über das Arbeitsverhältnis selbst47. Die Bestimmungen des allgemeinen oder auch des besonderen Kündigungsschutzes sind auf den Aufhebungsvertrag nicht anwendbar48, es bedarf insbesondere keines Grundes i. S. von § 1 Abs. 2 KSchG49. In seiner praktischen Auswirkung kommt der Abschluss eines Aufhebungsvertrages 40 Ständige Rechtsprechung seit BAG vom 31.7.1967 – 5 AZR 112/67 – NJW 1967, 2376 = AP BUrlG § 7 Abgeltung Nr. 2 (KT). 41 Dazu Zachert, Anm. zu BAG vom 5.11.1997 – 4 AZR 682/95 – AP TVG § 4 Nr. 17 m. w. N. 42 Dorndorf, a. a. O., S. 116, 119. 43 Büchting/Heussen/Michels, Beck’sches Rechtsanwalthandbuch, E. Rn. 228. 44 Ständige Rechtsprechung seit BAG vom 31.7.1967 – 5 AZR 112/67 – NJW 1967, 2376 = AP BUrlG § 7 Abgeltung Nr. 2 (KT). 45 Vgl. statt aller MünchArbR - Wank § 115 Rn. 1. 46 MünchArbR - Wank § 115 Rn. 17. 47 Ernst m. w. N. 48 BAG vom 7.5.1987 – 2 AZR 271/86 AP KSchG 1969 § 9 Nr. 19. 49 Allg. Ansicht, statt aller MünchArbR - Wank § 115 Rn. 13; BAG vom 7.5.1987 – 2 AZR 271/86 – AP KSchG 1969 § 9 Nr. 19.
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1. Kap.: Problemstellung
damit einem vertraglichen Verzicht auf Kündigungsschutz oder ggf. Befristungsschutz gleich50. Ein Verzicht im Rechtssinne kann in der auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerichteten Willenserklärung des Arbeitnehmers jedoch nicht gesehen werden. Der Verlust dieser Rechte ist vielmehr nur weitere und mittelbare Rechtsfolge des Vertrages51, nicht sein Gegenstand. Soweit in solchen Fällen, insbesondere bei Aufhebungsverträgen nach Ausspruch einer Kündigung, in Rechtsprechung und Literatur gelegentlich von einem „Verzicht“ auf Kündigungsschutz gesprochen wird, geht es nicht um einen Verzicht i. S. des § 397 BGB. Gemeint ist nach dem Sprachgebrauch der Arbeitsrechtspraxis hier ein „Verzicht“ im untechnischen Sinne52. Der Verlust des Kündigungsschutzes ist danach immer nur eine Reflexwirkung des Aufhebungsvertrages, eine mittelbare Folge der zum eigentlichen Vertragsgegenstand erhobenen Aufhebung des Arbeitsverhältnisses53. Mit der vertraglichen Aufhebung des Arbeitsverhältnisses entfallen damit im Zweifel „nur“ die Anwendungsvoraussetzungen für den gesetzlichen Beendigungsschutz durch Kündigungsschutz oder auch Befristungsschutz, nicht aber diese Rechte selbst. Obwohl im Abschluss eines Aufhebungsvertrages danach gerade kein Verzicht im Rechtssinne liegt, führt der mit dem jederzeit zulässigen Abschluss eines Aufhebungsvertrages einhergehende „faktische Verzicht“ auf gesetzlichen Beendigungsschutz u. U. zu Friktionen mit dem nur unter Einschränkungen zulässigen rechtlichen Verzicht auf den gesetzlichen Beendigungsschutz selbst. Insbesondere wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Abschluss des Aufhebungsvertrages nicht auf eine vom freien Willen des Arbeitnehmers getragene Entscheidung, sondern auf eine Einflussnahme des sich auf diese Weise die Molesten des gesetzlichen Beendigungsschutzes ersparenden Arbeitgebers zurückgeht, kann sich die Gestaltung als Auf50
Dem will das BSG nunmehr auch hinsichtlich der sozialrechtlichen Folgen eines Verzichts auf Kündigungsschutz in einem Abwicklungsvertrag Rechnung tragen, indem es diesem hinsichtlich der sperrzeitauslösenden Wirkung beim Arbeitslosengeld dem Aufhebungsvertrag gleichstellt, vgl. BSG vom 18.12.2003 – B 11 AL 35/03 R – AP Nr. 3 zu § 144 SGB III. 51 BAG vom 24.1.1985 – 2 AZR 317/84 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Einzelhandel Nr. 8; so auch Ernst, S. 50 und passim; ohne nähere Begründung wohl a. A. Oßwald, S. 42, 106. 52 BAG, ebenda, unter Verweis auf BAG vom 16.2.1983 – 7 AZR 134/81 – AP BGB § 123 Nr. 22; BAG vom 3.5.1979 AP KSchG1969 § 4 Nr. 6 [unter II. 2. b) der Gründe], sowie BAG vom 10.5.1984 – 2 AZR 112/83 [nicht veröffentlicht]; Herschel, Anm. zu BAG vom 6.4.1977 – 4 AZR 721/75 – AP KSchG 1969 § 4 Nr. 4; Bernert, Anm. zu BAG vom 29.6.1978 – 2 AZR 681/76 – AP KSchG 1969 § 4 Nr. 5. 53 Ernst, S. 106 m. w. N.
B. Präzisierung und Abgrenzung des rechtlichen Verzichtsbegriffs
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hebungsvertrag faktisch als Umgehung des unabdingbaren gesetzlichen Beendigungsschutzes darstellen54. Wegen des dogmatischen Unterschieds zum Rechtsverzicht soll auf den Aufhebungsvertrag in dieser Arbeit jedoch nur insoweit eingegangen werden, wie es zur Abgrenzung der Problembereiche erforderlich ist.
54 Problematisch sind in diesem Zusammenhang besonders Gestaltungen, die nicht auf eine alsbaldige Beendigung abzielen, vgl. hierzu insbesondere BAG vom 12.1.2000 – 7 AZR 48/99 – AP BGB § 620 Aufhebungsvertrag Nr. 16; LAG Sachsen-Anhalt vom 17.6.2003 – 8 Sa 614/02 – nv. JURIS KARE 600009528; und solche, die die Aufhebung unter eine Bedingung vorsehen, vgl. dazu BAG vom 19.12.1974 – 2 AZR 565/73 – AP BGB § 620 Bedingung Nr. 3; BAG vom 13.12.1984 – 2 AZR 294/83 – AP BGB § 620 Bedingung Nr. 8.
2. Kapitel
Unabdingbarkeit und Verzichtbarkeit in der Rechtsprechung Die Rechtsprechung hat zu den Auswirkungen der gesetzlichen Unabdingbarkeit auf die Befugnis des Anspruchs- oder Rechtsinhabers zu einem individualvertraglichen Verzicht bisher keine einheitlichen Richtlinien entwickelt. Gefestigte Grundsätze bestehen nur in Bezug auf einzelne Normen. Diese sollen im Folgenden anhand exemplarisch ausgewählter Normen untersucht und verglichen werden.
A. Exemplarische Rechtsprechungsübersicht zu zentralen arbeitsrechtlichen Ansprüchen und Rechten I. Anspruch des Arbeitnehmers auf Entgeltfortzahlung § 12 EFZG verbietet unter der amtlichen Überschrift „Unabdingbarkeit“ die Abweichung vom Entgeltfortzahlungsgesetz zuungunsten des Arbeitnehmers und der sonstigen nach diesem Gesetz berechtigten Personen1. Lediglich die Festlegung der Bemessungsgrundlage durch die Tarifparteien, § 4 Abs. 4 EFZG, ist vom Abweichungsverbot ausgenommen. Das Abweichungsverbot betrifft neben Regelungen der Tarif- und Betriebsparteien praktisch vor allem Vereinbarungen der Arbeitsvertragsparteien. Zu Letzteren gehören insbesondere der Erlassvertrag nach § 397 Abs. 1 BGB und das negative Schuldanerkenntnis nach § 397 Abs. 2 BGB, die hier unter dem Begriff Verzicht zusammengefasst werden und häufig Bestandteil eines gerichtlichen Beendigungsvergleichs oder einer Ausgleichsquittung sind2. Im Gegensatz zu Teilen des Schrifttums3 und der Instanzrechtsprechung4 interpretiert das Bundesarbeitsgericht das Abweichungsverbot, d.h. die Unabdingbarkeitsnorm des § 12 EFZG, jedoch nicht als absolutes Verzichts1
Wörtlich: § 12 Unabdingbarkeit. Abgesehen von § 4 Abs. 4 kann von den Vorschriften dieses Gesetzes nicht zuungunsten des Arbeitnehmers oder der nach § 10 berechtigten Personen abgewichen werden. 2 Vgl. ErfK - Dörner EFZG § 12 Rn. 9.
A. Rechtsprechungsübersicht zu zentralen Ansprüchen und Rechten
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verbot; es hat vielmehr ein differenziertes System zur Zulässigkeit eines Verzichts auf Entgeltfortzahlungsansprüche entwickelt5. 1. Vorausverzicht Der Verzicht auf künftige, d.h. noch nicht entstandene Ansprüche, ist – soweit ersichtlich – unbestritten und in der Rechtsprechung immer als gegen das Abweichungsverbot verstoßend und damit als nach § 134 BGB nichtig angesehen worden6. 2. Verzicht auf entstandene und fällige Ansprüche im bestehenden Arbeitsverhältnis Auch der Verzicht auf Entgeltfortzahlungsansprüche für zurückliegende Zeiträume im fortbestehenden Arbeitsverhältnis soll nach dem 5. Senat des Bundesarbeitsgerichts unzulässig sein7, weil ein derartiger Verzicht im Widerspruch zu § 9 LFZG (heute: § 12 EFZG) stehe. In einer Leitentscheidung hat das Bundesarbeitsgericht diese Interpretation der Reichweite der Unabdingbarkeitsnorm im Wesentlichen mit einem sich aus einer – allerdings nicht weiter konkretisierten – „Abhängigkeitssituation“ ergebenden Schutzbedürfnis des Arbeitnehmers begründet: „Ein vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses geschlossener Erlassvertrag müsste, auch wenn er am letzten Tag des Arbeitsverhältnisses und nach Arbeitsschluss zustande gekommen ist, jedenfalls an der Unabdingbarkeit der Lohnfortzahlungsansprüche gemäß § 9 LohnFG scheitern. (. . .) Nach tatsächlicher und rechtlicher Beendigung des Arbeitsverhältnisses besteht die Abhängigkeit des Arbeitnehmers 3 Gegen eine einschränkende Auslegung der Unabdingbarkeitsnorm des § 12 EFZG: Trieschmann, RdA 1976, 68–72; Wedde/Gerntke/Kunz/Platow EFZG § 12 Rn. 18 ff.; ErfK - Dörner EFZG § 12 Rn. 12. 4 LAG Hamm vom 10.4.1963 – 5 Sa 28/63 – BB 1963, 769 (noch zu § 6 Arbeiterkrankheitsgesetz); LAG Hamm vom 26.4.1972 – 5 Sa 109/72 – DB 1972, 1781; LAG Düsseldorf vom 26.10.1971 – 11 Sa 608/70 – DB 1972, 196; dagegen im Anschluss an Dörner neuerdings auch LAG Köln vom 28.6.2002 – 11 Sa 1315/01 – JURIS KARE 600006784. 5 Vgl. ErfK - Dörner, a. a. O.; Marienhagen/Künzl § 12 Rn. 10–12; Feichtinger, Entgeltfortzahlung bei Kündigung aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit und Verzicht, DB 1983, 1202 ff.; unzulässig verkürzend insoweit BAG vom 23.9.2003 – 1 AZR 576/02 – DB 2004, 658, 660, wenn es § 12 EFZG pauschal als gesetzliches Verzichtsverbot bezeichnet. 6 BAG vom 26.10.1971 – 1 AZR 40/71 – AP LohnFG § 6 Nr. 1; BAG vom 28.11.1979 – 5 AZR 955/77 – AP LohnFG § 6 Nr. 10; vgl. statt aller Schmitt, EFZG § 12 Rn. 19 m. w. N. aus dem Schrifttum. 7 BAG vom 28.11.1979 – 5 AZR 955/77 – AP LohnFG § 6 Nr. 10 [unter 2. b) der Gründe, 2. Absatz].
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2. Kap.: Unabdingbarkeit und Verzichtbarkeit in der Rechtsprechung
von seinem Arbeitgeber, der die Unabdingbarkeit entgegenwirken soll, nicht mehr. Am letzten Tag des Arbeitsverhältnisses steht der Arbeitnehmer dagegen noch in der Situation des abhängigen Arbeitnehmers. Er konnte noch keinen Abstand gewinnen, zumal er sich vielfach über die Rechtslage nicht im Klaren sein wird8.“
In Teilen des Schrifttums ist diese Entscheidung vor allem deshalb auf scharfe Ablehnung gestoßen, weil der sich aus dieser Auffassung ergebenden Differenzierung zwischen Entgeltansprüchen, bei denen ein nachträglicher Verzicht immer möglich ist, und den Entgeltfortzahlungsansprüchen nicht gefolgt werden könne9. 3. Verzicht nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses a) Entstandene und fällige Ansprüche Demgegenüber hält das Bundesarbeitsgericht den nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses erklärten Verzicht auf bereits entstandene und fällige Entgeltfortzahlungsansprüche nicht für unwirksam10. Die Reichweite der Unabdingbarkeit nach § 9 LFZG (entspricht § 12 EFZG) müsse, da der Gesetzestext keine Hilfe gebe, nach dem Sinn und Zweck ermittelt werden; der Senat vermöge nur den im Arbeitsrecht vielfach anzutreffenden Zweck erkennen, dass der infolge seiner abhängigen Stellung in seiner Entscheidungsfreiheit beschränkte Arbeitnehmer davor geschützt werden solle, unter einem wirklichen oder vermeintlichen Druck seine Arbeitnehmerrechte preiszugeben, die ihm Kraft Gesetz zustehen; dieser Schutz sei jedoch nur solange gerechtfertigt, wie die Abhängigkeit bestehe, nur so lange stelle sich der Erlassvertrag als Umgehung der Unabdingbarkeit und damit als unwirksam nach § 9 LFZG i. V. m. § 134 BGB dar11. 8
BAG vom 28.11.1979, ebenda. Staudinger - Rieble BGB § 397 Rn. 199; Schmitt, EFZG § 12 Rn. 19; kritisch auch Worzalla/Süllwald § 12 Rn. 9; Geyer/Knorr/Krasney EFZG § 12 Rn. 20; Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge - Hold EFZG § 12 Rn. 25; Staudinger - Oetker BGB § 616 Rn. 485; Vossen, Entgeltfortzahlung Rn. 613; Becker-Schaffner, AuR 1972, 237 f.; gegen eine Differenzierung (allerdings mit in sich widersprüchlichem Ergebnis) auch Treder, EFZG § 12 Rn. 9 einerseits, Rn. 14 andererseits; gegen die Vorgenannten jedoch mit Verweis auf die i. d. R. fehlende Freiwilligkeit des Verzichts Wedde/Gerntke/ Kunz/Platow EFZG § 12 Rn. 15; so auch Lepke, DB 1971, 1509 (1514), der jedoch differenzierend bei Heimarbeitern einen Verzicht auf Ansprüche aus § 8 LFZG (entspricht § 10 EFZG) während des Heimarbeitsverhältnisses nicht für zulässig hält. 10 BAG vom 11.6.1976 – 5 AZR 506/75 – AP LohnFG § 9 Nr. 2; BAG vom 20.8.1980 – 5 AZR 218/78 – AP LohnFG § 6 Nr. 11. 11 BAG vom 11.6.1976 [unter II. 3. der Gründe]; so auch LAG Düsseldorf – 22.9.1971 – 9 Sa 575/71 – BB 1972, 89–90; grundsätzlich gegen die Zulässigkeit des Verzichts auf Entgeltfortzahlungsansprüche Trieschmann, RdA 1976, 68–72; 9
A. Rechtsprechungsübersicht zu zentralen Ansprüchen und Rechten
43
b) Künftige Ansprüche Auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses können gemäß § 8 Abs. 1 EFZG noch aufrechterhaltene Entgeltfortzahlungsansprüche gegen den Arbeitgeber bestehen. Auch der Verzicht auf diese Ansprüche soll nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts unzulässig sein, soweit diese Ansprüche zum Zeitpunkt des Verzichts noch nicht fällig sind12.
II. Anspruch auf Erholungsurlaub und Urlaubsabgeltung Auch § 13 BUrlG trägt die amtliche Überschrift „Unabdingbarkeit“. Nach § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG kann von den Bestimmungen des Bundesurlaubsgesetzes nicht zuungunsten des Arbeitnehmers abgewichen werden. Ausnahmen bestehen nur hinsichtlich des § 7 Abs. 2 Satz 2 BUrlG und den durch § 13 BUrlG Abs. 1 Sätze 1 und 2 sowie Absätze 2 und 3 geregelten Möglichkeiten einer Abweichung durch Tarifvertrag. § 13 BUrlG enthält damit unter derselben amtlichen Überschrift „Unabdingbarkeit“ einen fast wortlautgleichen Normtext wie § 12 EFZG bzw. dessen Vorgängernorm § 9 LFZG. Dennoch misst das Bundesarbeitsgericht der Unabdingbarkeitsnorm des § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG in ständiger Rechtsprechung auch in Bezug auf die Verzichtbarkeit des gesetzlichen Urlaubsanspruchs uneingeschränkte Wirkung bei, ohne in vergleichbarer Weise wie beim Entgeltfortzahlungsgesetz zu differenzieren. Sowohl der Vorausverzicht13 als auch der nachträgliche Verzicht während des Arbeitsverhältnisses14 als auch der nach oder aus Anlass der Beendigung des Arbeitsverhältnisses erklärte Verzicht auf den Urlaubsabgeltungsanspruch15 ist nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts wegen Verstoßes gegen § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG nach § 134 Wedde/Gerntke/Kunz/Platow EFZG § 12 Rn. 18 ff.; ErfK - Dörner EFZG § 12 Rn. 12; dagegen im Anschluss an Dörner neuerdings auch LAG Köln vom 28.6.2002 – 11 Sa 1315/01 – JURIS KARE 600006784. 12 BAG vom 26.10.1971 – 1 AZR 40/71 – AP LohnFG § 6 Nr. 1 [unter 2. der Gründe]; vgl. auch BAG vom 20.8.1980 – 5 AZR 218/78 – AP LohnFG § 6 Nr. 11. 13 Vgl. LAG Düsseldorf vom 25.7.2002 – 11 Sa 392/02 – EzBAT § 71 BAT Nr. 6; LAG Berlin vom 17.2.1997 – 9 Sa 124/96 – NZA-RR 1997, 371, 372 [unter II. 2.]. 14 BAG vom 31.5.1990 – 8 AZR 132/89 – AP BUrlG § 13 Unabdingbarkeit Nr. 13 (Verzicht in einem außergerichtlichen Vergleich zur Abwicklung des gekündigten Arbeitsvertrags). 15 BAG vom 31.7.1967 – 5 AZR 112/67 – AP BUrlG § 7 Abgeltung Nr. 2 (Kurztext) = NJW 1967, 2376 (Volltext) (Verzicht in nach Beendigung geschlossenem Gesamtvergleich); BAG vom 9.6.1998 – 9 AZR 43/97 – AP BUrlG § 7 Nr. 23 und BAG vom 20.1.1998 – 9 AZR 812/96 – AP BUrlG § 13 Nr. 45 (Verzicht in
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2. Kap.: Unabdingbarkeit und Verzichtbarkeit in der Rechtsprechung
BGB nichtig. Dies soll selbst dann gelten, wenn der Verzicht Teil eines gerichtlichen Vergleichs ist16.
III. Anspruch auf Zeugniserteilung Der Anspruch auf Erteilung eines Arbeitszeugnisses ist eine aus dem Arbeitsverhältnis resultierende gesetzliche Nebenpflicht17 privatrechtlicher Natur18. Er steht anlässlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses allen Arbeitnehmern gegen ihren Arbeitgeber zu und wird auch zu diesem Zeitpunkt fällig19. Erfüllbar wird er jedoch erst, wenn der Arbeitnehmer von seinem Arbeitgeber die Erteilung eines Zeugnisses verlangt, es handelt sich nach wohl überwiegender Ansicht um einen verhaltenen Anspruch20. 1. Gesetzliche Grundlagen Durch das Dritte Gesetz zur Änderung der Gewerbeordnung und sonstiger gewerberechtlicher Vorschriften vom 24.8.2002, das zum 1.1.2003 in Kraft getreten ist, ist nunmehr § 109 GewO zur neuen und einheitlichen gesetzlichen Grundlage des Zeugnisanspruchs auch für nichtgewerbliche Arbeitnehmer geworden21. § 630 BGB gilt seitdem nicht mehr für Arbeitnehmer, sondern nur noch für Dienstnehmer. § 73 HGB ist ersatzlos entfallen. Vor dieser Gesetzesänderung hatten alle Arbeitnehmer nach § 630 BGB einen Anspruch auf Erteilung eines Zeugnisses in deutscher Sprache. Dieser Anspruch wurde für Handlungsgehilfen in § 73 HGB, für gewerbliche Arbeiter in den alten Bundesländern in § 113 GewO und für Auszubildende in § 8 BBiG wiederholt. Bereits vor der Vereinheitlichung der gesetzlichen Anspruchsgrundlage bestand daher ein inhaltlich weitgehend einheitliches Zeugnisrecht22. Obwohl dem Zeugnisrecht eine ausdrückliche Unabdingbarkeitsnorm fehlt, war und ist für alle genannten Rechtsgrundlagen allgemein Aufhebungsvertrag); a. A. ArbG Hamburg vom 18.12.1967 – 6 Ca 623/67 – BB1968, 424. 16 BAG vom 21.7.1978 – 6 AZR 1/77 – AP BUrlG § 13 Unabdingbarkeit Nr. 5; a. A. LAG Hamburg vom 4.11.1976 – 2 Sa 93/76 – BB 1977, 546; ArbG Hanau vom 1.3.1973 – 1 Ca 694/72 – NJW 1973, 2124 f. 17 ErfK - Müller-Glöge GewO § 109 Rn. 1. 18 Staudinger - Preis BGB § 630 Rn. 6. 19 ErfK - Müller-Glöge, a. a. O., Rn. 19. 20 Ebenda; a. A. MünchArbR - Wank § 128 Rn. 8. 21 Vgl. Palandt - Weidenkaff Anh. zu § 630 Rn. 1. 22 MünchArbR - Wank § 128 Rn. 2; Schaub 9. Auflage § 146 Rn. 1.
A. Rechtsprechungsübersicht zu zentralen Ansprüchen und Rechten
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anerkannt, dass der Zeugnisanspruch des Arbeitnehmers als arbeitsrechtlicher Fürsorgeanspruch unabdingbar und damit zwingend ist23. 2. Vorausverzicht Der im Voraus, d.h. vor Entstehung des Anspruchs, erklärte Verzicht auf ein Zeugnis ist von der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung in Übereinstimmung mit der allgemeinen Ansicht im Schrifttum seit jeher für unwirksam gehalten worden24. Lediglich in einer vereinzelt gebliebenen Entscheidung hat das Reichsarbeitsgericht – allerdings ohne nähere Begründung – auch den Vorausverzicht für rechtswirksam gehalten25. Eben wegen der fehlenden Begründung dieser Abweichung von der bereits damals herrschenden Lehre und Rechtsprechung ist dieses Urteil jedoch nicht geeignet, das ansonsten einheitliche Bild der Beurteilung des Vorausverzichts auf den Zeugnisanspruch zu trüben. 3. Verzicht aus Anlass oder nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses Über die Zulässigkeit eines nachträglichen Verzichts auf ein Zeugnis hat das Bundesarbeitsgericht – soweit ersichtlich – noch nicht entschieden. Vielmehr hat es die Frage der Dispositivität des bereits entstandenen Anspruchs in seiner bisher einzigen Entscheidung zu diesem Themenkreis ausdrücklich offen gelassen26. Das Reichsarbeitsgericht und auch einige Instanzgerichte haben die Wirksamkeit eines ausdrücklich erklärten, nachträglichen Verzichts jedoch grundsätzlich anerkannt27. Nunmehr hat auch das LAG Köln entschieden, dass aus Anlass der Beendigung des Arbeitsverhältnisses – bei hinreichender Klarheit auch in einer Ausgleichsquittung – auf Ansprüche auf ein Zeugnis verzichtet werden könne28. Im Schrifttum ist die Verzichtbarkeit des Zeugnisanspruchs stets umstritten gewesen. Während im älteren Schrifttum29 auch der nachträgliche Ver23
Statt aller: Staudinger - Preis BGB § 630 Rn. 7. BAG vom 16.9.1974 – 5 AZR 255/74 – AP BGB § 630 Nr. 9; ArbG Berlin vom 3.12.1968 – 2 CA 321/68 – DB 1969, 90, 91; RAG vom 18.2.1933 – RAG. 440/32 – ARS Bd. 17, 465, 467; KG Berlin vom 21.12.1910 – XII Zivilsenat – OLGE Bd. 22, 304–307; vgl. aus dem Schrifttum statt aller Staudinger - Preis BGB § 630 Rn. 7. 25 RAG vom 4.12.1929 – RAG. 243/1929 – ARS Bd. 8, 45 ff. 26 BAG 16.9.1974 – 5 AZR 255/74 – BAG AP BGB § 630 Nr. 9. 27 RAG vom 18.2.1933 – RAG. 440/32 – ARS Bd. 17, 465, 467; ArbG Berlin vom 3.12.1968 – 2 CA 321/68 – DB 1969, 90, 91; einschränkend auch KG Berlin vom 21.12.1910 – XII Zivilsenat – OLGE Bd. 22, 304–307. 28 LAG Köln vom 17.6.1994 – 4 Sa 185/94 – LAGE BGB § 630, 22. 24
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2. Kap.: Unabdingbarkeit und Verzichtbarkeit in der Rechtsprechung
zicht auf den Zeugnisanspruch unter Hinweis auf den Fürsorgezweck des Gesetzes wohl überwiegend als unzulässig angesehen wurde, wird er von der inzwischen wohl h. M. für möglich erachtet30. Daraus, dass das Gesetz dem Arbeitnehmer lediglich das Recht verliehen habe, ein Zeugnis zu fordern, sei zu folgern, dass der Arbeitnehmer rechtlich wie faktisch auf sein Zeugnis verzichten könne; ein tatsächlicher oder vermeintlicher Druck, zum Schutze des Arbeitsfriedens auf den Anspruch zu verzichten, bestehe nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses nicht mehr31.
IV. Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz 1. Vorausverzicht Nach allgemeiner Ansicht und ständiger Rechtsprechung kann ein Verzicht auf Kündigungsschutz im Voraus, d.h. vor Ausspruch der Kündigung, nicht wirksam vereinbart werden32. Begründet wird dies vor allem mit dem Verbot der Umgehung der als zwingend angesehenen Kündigungsschutznorm des § 1 KSchG33. 2. Verzicht anlässlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses Nach Ausspruch der Kündigung soll nach Rechtsprechung und herrschender Lehre ein Verzicht auf Kündigungsschutz dagegen grundsätzlich möglich sein,34 und zwar auch dann, wenn das Arbeitsverhältnis zu diesem 29 Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts I, § 51 I 9, S. 469; Nikisch, Arbeitsrecht I., S. 862; Kaskel/Dersch, S. 244; Schnorr v. Carolsfeld, S. 279; Monjau, Das Zeugnis im Arbeitsrecht, S. 20; Erman - Küchenhoff, 5. Auflage, § 630 Rn. 3; Staudinger - Nipperdey/Neumann, 11. Auflage, BGB § 630 Rn. 40; Landmann/Rohmer - Neumann, GewO Bd. 2. § 113 Rn. 2. 30 ErfK - Müller-Glöge GewO § 109 Rn. 104; MünchArbR - Wank, § 128 Rn. 39; Schaub 9. Aufl. § 146 Rn. 8; MüKo - Schwerdtner, 3. Auflage BGB § 630 Rn. 65; Staudinger - Preis BGB § 630 Rn. 7. 31 Staudinger - Preis, a. a. O. 32 BAG 19.12.1976 – 2 AZR 565/73 – AP BGB § 620 Bedingung Nr. 3 [unter B. II. 3. c) der Gründe]; vgl. auch BAG vom 12.10.1960 – GS 1/59 (3 AZR65/56) – AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 16; vgl. aus dem Schrifttum statt aller ErfK - Ascheid KSchG § 1 Rn. 15 m. w. N. 33 Ausführlich Neuhausen, Der im voraus erklärte Verzicht des Arbeitnehmers auf Kündigungsschutz, Diss. Uni Köln 1992, S. 11 ff.; siehe vorherige Fußnote. 34 BAG vom 12.1.1961 – 2 AZR 171/59 – AP BGB § 620 Nr. 10 [unter II. 2. der Gründe]; BAG vom 25.9.1969 – 2 AZR 524/68 – AP KSchG § 3 Nr. 36; BAG vom 29.6.1978 – 2 AZR 681/76 – AP KSchG 1969 § 4 Nr. 5; BAG vom 3.5.1979 – 2 AZR 679/77 – AP KSchG 1969 § 4 Nr. 6.
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Zeitpunkt noch nicht beendet ist, der Verzicht also während der Kündigungsfrist erklärt wird35. Die Zulässigkeit eines solchen Verzichts ergäbe sich bereits daraus, dass das Kündigungsschutzgesetz im Gegensatz zu anderen Gesetzen, die einen Verzicht auf bestimmte Rechte für unzulässig erklärten (vgl. § 4 Abs. 4 TVG, § 13 BUrlG, § 9 LohnFG, § 77 Abs. 4 BetrVG), keine Regelung getroffen hat, die dem Arbeitnehmer den Verzicht auf den Kündigungsschutz untersage36. Vereinzelt wird jedoch auch vertreten, dass das Recht auf gerichtlichen Kündigungsschutz auch nach Ausspruch der Kündigung innerhalb der Drei-Wochen-Frist des § 4 KSchG unverzichtbar sei37. Die Erklärung, auf den Kündigungsschutz zu verzichten, kann je nach Lage des Falles als Aufhebungsvertrag, Vergleich, Klageverzichtsvertrag (pactum de non petendo) oder Klagerücknahmeversprechen gedeutet werden38. Da es sich beim Kündigungsschutz um ein Recht und nicht um einen schuldrechtlichen Anspruch i. S. des § 194 Abs. 1 BGB handelt, ist zwar § 397 BGB insoweit nicht einschlägig39, dies hindert jedoch die Vergleichbarkeit mit dem Verzicht auf die o. g. unabdingbaren Ansprüche nicht40. Denn zum einen ist die Schutzrichtung der Vermeidung eines Rechtsverlustes für den Arbeitnehmer die gleiche, zum anderen ist auch der Verzicht auf Kündigungsschutz bzw. das Recht auf Erhebung einer Kündigungsschutzklage regelmäßig Bestandteil von Ausgleichquittungen. Allerdings soll die in einer Ausgleichsquittung enthaltene allgemeine Erledigungsklausel, „Ich erkläre hiermit, dass mir aus Anlass der Beendigung des Arbeitsverhältnisses keine Ansprüche mehr zustehen“, nicht geeignet sein, die vertragliche Verpflichtung des Arbeitnehmers zu begründen, auf das Recht zur Erhebung oder Durchführung einer Kündigungsschutzklage zu verzichten41. Denn anders als beim Zeugnisanspruch, dem Anspruch auf Zahlung einer Karenzentschädigung oder Gewährung von Ruhegeld handele es sich bei der Erhebung einer Kündigungsschutzklage nicht um ein Recht, 35
Vgl. LAG Köln vom 22.2.2000 – 13 (10) Sa 1388/99 – NZA-RR 2001, 85 ff. So wörtlich BAG vom 3.5.1979 – 2 AZR 679/77 – AP KSchG 1969 § 4 Nr. 6 [unter II. 2. a) der Gründe]. 37 MüKo - Schwerdtner (3. Aufl.) BGB, Anhang zu § 622 BGB Rn. 162; Herschel, Anm. zu BAG vom 6.4.1977 – 4 AZR 721/75 – AP KSchG 1969 § 4 Nr. 4 [unter II 3.); LAG Düsseldorf – 8 Sa 727/78 – EzA KSchG n. F. § 4 Nr. 14; inzwischen ausdrücklich aufgegeben durch LAG Düsseldorf – 9 (3) Sa 843/92 – LAGE KSchG § 4 Nr. 22. 38 BAG vom 3.5.1979, a. a. O.; BAG vom 6.4.1977 – 4 AZR 721/75 – AP KSchG 1969 § 4 Nr. 4. 39 Vgl. dazu Herschel, Anm. zu BAG vom 6.4.1977, ebenda. 40 Vgl. zum Verzicht auf tarifliche Rechte Löwisch/Rieble TVG § 4 Rn. 346 f. 41 BAG vom 3.5.1979, a. a. O.; anders noch BAG vom 25.9.1969, a. a. O. 36
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2. Kap.: Unabdingbarkeit und Verzichtbarkeit in der Rechtsprechung
das sich aus der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, sondern aus dem Gesetz selbst herleite42. 3. Verzicht auf den Abfindungsanspruch nach § 1a KSchG § 1a KSchG eröffnet Arbeitgebern für den Fall der betriebsbedingten Kündigung die gesetzliche Möglichkeit, Arbeitnehmer durch das in Aussicht stellen einer Abfindung nach § 1a Abs. 2 KSchG dazu zu bewegen, keine Kündigungsschutzklage zu erheben. Voraussetzung des Abfindungsanspruchs ist gemäß § 1a Abs. 1 Satz 2 KSchG, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer bereits im Kündigungsschreiben darauf hinweist, dass er für den Fall des Verstreichenlassens der Klagefrist eine Abfindung nach § 1a Abs. 2 KSchG, d.h. in Höhe der sog. Regelabfindung, beanspruchen kann. Fällig wird dieser Abfindungsanspruch nach § 1a Abs. 1 Satz 1 KSchG jedoch grundsätzlich erst nach Ablauf der Kündigungsfrist43. Die Rechtsnatur dieses Abfindungsanspruchs ist bisher noch nicht höchstrichterlich geklärt und im Schrifttum lebhaft umstritten44. Im Einzelnen kann im Rahmen dieser Arbeit darauf jedoch nicht näher eingegangen werden. Nach im Vordringen begriffener und wohl zutreffender Ansicht soll es sich um einen gesetzlichen Anspruch handeln, der der Höhe nach zugunsten des Arbeitnehmers zwingend ist45. Dem Arbeitgeber steht es allerdings weiterhin frei, im Rahmen eines sog. Abwicklungsvertrages nach einer Kündigung für einen Klageverzicht des Arbeitnehmers die Zahlung einer niedrigeren Abfindung zu vereinbaren46. Der Abwicklungsvertrag ist gegenüber der Abfindungsregelung des § 1a KSchG ein aliud47. Anders als sonst im zwingenden Arbeitsvertragsrecht handelt es sich also bei der Abfindungszahlung nach § 1a KSchG nicht um eine obligatorische Regelung, sondern um eine gesetzliche Option, die nur dann hinsichtlich der Ausgestaltung ihrer Mindestbedingungen zwingend ist, wenn der Ar42
BAG vom 3.5.1979, a. a. O. KR - Spilger, KSchG § 1a Rn. 86, 99. 44 Vgl. zum Meinungsstand statt vieler Raab, Der Abfindungsanspruch gemäß § 1a KSchG, RdA 2005, 1 ff. und Altenburg/Reufels/Leister, Der Vorausverzicht auf den Abfindungsanspruch aus § 1a KSchG, NZA 2006, 71 ff. 45 So insbesondere Raab, Der Abfindungsanspruch gemäß § 1a KSchG, RdA 2005, 1, 7 f.; Altenburg/Reufels/Leister, Der Vorausverzicht auf den Abfindungsanspruch aus § 1a KSchG, NZA 2006, 71, 72 f.; vgl. auch Grobys, Der gesetzliche Abfindungsanspruch in der betrieblichen Praxis, DB 2003, 2174 ff.; a. A. wohl ErfK - Ascheid, KSchG § 1a Rn. 4 m. w. N. aus dem Schrifttum. 46 Raab, Der Abfindungsanspruch gemäß § 1a KSchG, RdA 2005, 1, 8. 47 Raab, Der Abfindungsanspruch gemäß § 1a KSchG, RdA 2005, 4. 43
A. Rechtsprechungsübersicht zu zentralen Ansprüchen und Rechten
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beitgeber sie wählt48. Dies schränkt die unmittelbare Vergleichbarkeit der Unabdingbarkeit des § 1a KSchG mit den übrigen Unabdingbarkeitsanordnungen des Arbeitsvertragsrechts ein. Jedenfalls nach der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses soll nach wohl h. M. auch der aus § 1a KSchG abgeleitete Abfindungsanspruch einer Disposition durch Verzichtsvereinbarungen zugänglich sein49. Eine Besonderheit des Abfindungsanspruchs nach § 1a KSchG ist, dass der Eintritt der Anspruchsvoraussetzungen (mit Ablauf der Klagefrist) und die Anspruchsentstehung bzw. Anspruchsfälligkeit (mit Ablauf der Kündigungsfrist) regelmäßig zeitlich auseinander fallen. Problematisch ist deshalb, ob die nach § 1a Abs. 2 KSchG zwingende Anspruchshöhe einem Vorausverzicht in der Phase nach Ablauf der Klagefrist, aber vor rechtlicher Beendigung des Arbeitsverhältnisses entgegensteht50. Auf diese Frage soll die Auseinandersetzung mit dem Verzicht auf den Abfindungsanspruch aus § 1a KSchG im Folgenden fokussiert bleiben.
V. Befristungsschutz nach dem Teilzeit- und Befristungsgesetz 1. Gesetzliche Grundlagen Mit Wirkung zum 1.1.2001 hat der Gesetzgeber das Recht der befristeten Arbeitsverhältnisse unter Anknüpfung an das BeschFG vom 26.4.1985 und die durch die Rechtsprechung entwickelten Grundsätze im Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) neu geregelt. Die Grundlinien des Rechts der befristeten Arbeitsverhältnisse haben sich durch die Einführung des Teilzeit- und Befristungsgesetzes jedoch nicht geändert: Es bleibt dabei, dass die Befristung eines Arbeitsverhältnisses grundsätzlich nur aus sachlichem Grund zulässig ist, § 14 Abs. 1 TzBfG, und lediglich unter den einschränkenden Voraussetzungen des § 14 Abs. 2 Satz 1 und 2 TzBfG auch ohne sachlichen Grund ausnahmsweise rechtswirksam sein kann. Die Rechtsfolge einer unwirksamen Befristung ist nunmehr in § 16 Satz 1 1. Hs. TzBfG entsprechend der ständigen Rechtspre48 Vgl. KR - Spilger, KSchG § 1a Rn. 127; Raab, Der Abfindungsanspruch gemäß § 1a KSchG, RdA 2005, 1, 4; ähnlich auch Grobys, Der gesetzliche Abfindungsanspruch in der betrieblichen Praxis, DB 2003, 2174, 2177. 49 KR - Spilger, KSchG § 1a Rn. 107; Kittner/Däubler/Zwanziger, Kündigungsschutzrecht, KSchG § 1a Rn. 2; ebenso Altenburg/Reufels/Leister, Der Vorausverzicht auf den Abfindungsanspruch aus § 1a KSchG, NZA 2006, 71, 73. 50 Dagegen ausdrücklich Altenburg/Reufels/Leister, ebenda; wohl auch KR - Spilger, KSchG § 1a Rn. 107 (jedenfalls bei einem antizipierten Verzicht vor Ende der Klagefrist).
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2. Kap.: Unabdingbarkeit und Verzichtbarkeit in der Rechtsprechung
chung zur alten Rechtslage ausdrücklich dahingehend geregelt, dass das Arbeitsverhältnis als auf unbestimmte Zeit geschlossen gilt. Will ein Arbeitnehmer die Unwirksamkeit der Befristung gerichtlich geltend machen, so kann er nach § 17 Satz 1 TzBfG, der im Wortlaut dem § 1 Abs. 5 Satz 1 BeschFG in der Fassung vom 25.9.1996 entspricht, dies im Wege der Feststellungsklage innerhalb von drei Wochen nach dem vereinbarten Ende des befristeten Arbeitsvertrages tun. Nach § 17 Satz 2 TzBfG bzw. § 1 Abs. 5 Satz 2 BeschFG ist die materielle Präklusionsfrist des § 7 KSchG auf die sog. Entfristungsklage entsprechend anzuwenden, d.h. eine verspätete Klage bleibt zwar zulässig, ist jedoch als unbegründet abzuweisen, weil die Wirksamkeit der Befristung vom Gesetz fingiert wird51. Unter der amtlichen Überschrift „Abweichende Vereinbarungen“ bestimmt § 22 Abs. 1 TzBfG bezüglich aller vorgenannten Normen, dass von den Vorschriften dieses Gesetzes nicht zuungunsten des Arbeitnehmers abgewichen werden kann. Bereits § 1 BeschFG ist von der Rechtsprechung jedoch als Arbeitnehmerschutznorm mit einseitig zwingender Wirkung angesehen worden52, so dass auch die Einführung des § 22 Abs. 1 TzBfG insoweit keine materielle Änderung der Rechtslage bewirkt hat53. 2. Der Verzicht auf Befristungsschutz Ähnlich wie beim Kündigungsschutz stellt sich auch beim Befristungsschutz die Frage, ob das Recht des Arbeitnehmers zur gerichtlichen Überprüfung der Befristung durch Verzicht erlöschen kann. Für den Fall eines bereits bei Abschluss oder während der Laufzeit des Arbeitsvertrages ausdrücklich vereinbarten Verzichts hat das Bundesarbeitsgericht in einer aktuellen Entscheidung nunmehr entschieden, dass jedenfalls ein vor oder bei Abschluss eines befristeten Arbeitsvertrages vereinbarter Verzicht auf den in § 17 Satz 1 TzBfG vorgesehenen Befristungsschutz gegen § 22 Abs. 1 TzBfG verstößt und deswegen unwirksam ist54. Dies entspricht zumindest im Ergebnis der Rechtsprechung zum Kündigungsschutz und den anderen o. g. gesetzlichen Unabdingbarkeitsnormen. In der Phase zwischen dem vereinbarten Ende des Arbeitsverhältnisses und dem Ablauf der materiellen Präklusionsfrist des § 17 Abs. 1 TzBfG, bzw. der Vorgängernorm § 1 Abs. 5 BeschFG, soll das Recht auf Befris51
Vgl. BAG vom 22.3.2000 – 7 AZR 581/98 – AP BeschFG 1996 § 1 Nr. 1. BAG vom 27.9.2000 – 7 AZR 390/99 – NZA 2001, 556 m. w. N. 53 BAG vom 19.1.2005 – 7 AZR 115/04 – www.bundesarbeitsgericht.de (siehe dort insbesondere Rn. 31 ff.) = DB 2005, 1171 f. (nur Kurztext). 54 BAG, ebenda. 52
A. Rechtsprechungsübersicht zu zentralen Ansprüchen und Rechten
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tungsschutz grundsätzlich verzichtbar sein55. Das Bundesarbeitsgericht verweist insoweit auf seine Rechtsprechung zum Verzicht auf Kündigungsschutz56. Indifferent ist der zuständige 7. Senat des Bundesarbeitsgerichts in der Frage, wann ein solcher Verzicht vorliegt bzw. wie er wirksam erklärt wird. Seit 1985 vertritt er unter Aufgabe seiner vorigen Ansicht in ständiger Rechtsprechung, dass bei sog. Kettenbefristungen im Rahmen des arbeitsgerichtlichen Befristungsschutzes nur die Befristung des zeitlich letzten Vertrages überprüft werden könne, weil die Parteien mit dem Neuabschluss ihr Rechtsverhältnis auf eine neue Rechtsgrundlage gestellt hätten, wenn sie bei Abschluss des Folgevertrages nicht einen entsprechenden Vorbehalt vereinbart haben57. Auch eine unrichtige Beurteilung der Wirksamkeit der früheren Befristung beträfe, ebenso wie die möglicherweise fehlende Bereitschaft des Arbeitnehmers, auf einen tatsächlich bereits erworbenen Kündigungsschutz freiwillig verzichten zu wollen, nicht den objektiven Erklärungswert, sondern die weitere Frage, ob der Arbeitnehmer bei einer irrigen Vorstellung in einem rechtserheblichen Irrtum gehandelt habe und seine Erklärung deshalb nach § 119 BGB anfechten könne58. Auch ein Recht zur Irrtumsanfechtung hinsichtlich des neu abgeschlossenen befristeten Folgevertrages scheide jedoch aus, weil die Aufhebung des wegen Unwirksamkeit der Befristung auf unbestimmte Zeit bestehenden vorherigen Arbeitsverhältnisses nur eine vom rechtsgeschäftlichen Willen unabhängige rechtliche Nebenfolge und damit kein als Inhaltsirrtum i. S. des § 119 Abs. 1 1. Alt. BGB relevanter Rechtsfolgenirrtum sei59.
55 Vgl. BAG vom 31.5.2000 – 7 AZR 97/99 – JURIS KARE 600002424; a. A. Rolfs, TzBfG § 17 Rn. 6; offen gelassen in BAG vom 19.1.2005 – 7 AZR 115/04 – www.bundesarbeitsgericht.de (siehe dort insbesondere Rn. 31 ff.) = DB 2005, 1171 f. (nur Kurztext). 56 BAG, a. a. O. mit Verweis auf BAG vom 3.5.1979 – 2 AZR 679/77 – AP KSchG 1969 § 4 Nr. 6 [zu II. 2. b. der Gründe]. 57 Grundlegend BAG vom 8.5.1985 – 7 AZR 191/84 – AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 97 [unter II. der Gründe]; siehe auch BAG vom 5.6.2002 – 7 AZR 205/01 – AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 236; zuletzt BAG vom 4.6.2003 – 7 AZR 523/02 – NZA-RR 2003, 621, 623; für die Befristungskontrolle aller Verträge noch BAG vom 7.3.1980 – 7 AZR 177/78 – AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 54; BAG vom 19.8.1981 – 7 AZR 252/79 – AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 60 und BAG vom 30.9.1981 – 7 AZR 467/79 – AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 62, kritisch dazu Klevemann/Ziemann DB 1989, 2608–2615; aus rechtsvergleichender und rechtshistorischer Perspektive Mayer-Maly, Das Arbeitsrecht und die Zeit, ZfA 1990, 203, 208; vgl. aus der Kommentarliteratur statt vieler APS - Backhaus TzBfG § 17 Rn. 63 ff. und insb. Rn. 66 m. w. N. 58 BAG vom 8.5.1985, a. a. O.
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2. Kap.: Unabdingbarkeit und Verzichtbarkeit in der Rechtsprechung
In einer jüngeren Entscheidung scheint das Bundesarbeitsgericht tendenziell vom Gedanken der konkludenten Aufhebung des vorausgegangenen Arbeitsverhältnisses durch Neuabschluss abzurücken60. So hat es im schriftlichen Abschluss eines befristeten Arbeitsvertrages, der einen inhaltlich gleichen, wenige Tage zuvor mündlich erfolgten Vertragsabschluss wiederholte, keine Aufhebung des wegen Verstoßes gegen das Schriftformerfordernis des § 623 BGB a. F. (heute § 14 Abs. 4 TzBfG) bestehenden unbefristeten Arbeitsverhältnisses gesehen und der Entfristungsklage des Arbeitnehmers stattgegeben61. Zwar könne ein unbefristeter Arbeitsvertrag nachträglich befristet werden. Voraussetzung dafür sei aber, dass die Parteien übereinstimmende auf diese Rechtsfolge gerichtete Willenserklärungen abgeben62.
Nach derzeitigem Rechtsprechungsstand muss davon ausgegangen werden, dass der vorbehaltlose Abschluss eines befristeten Folgevertrages den Verlust des Befristungsschutz – gegebenenfalls auch des mittlerweile eingetretenen Kündigungsschutzes gemäß § 1 KSchG63 – bewirkt64, ohne dass es auf einen entsprechenden Verzichtswillen ankommen soll65. Nur scheinbar von dieser Linie abrückend hatte der 7. Senat entschieden, dass im vorbehaltlosen Abschluss des Folgevertrages nicht bereits ein vertraglicher Verzicht darauf liege, sich im Rahmen der Überprüfung des Folgevertrages auf die Unwirksamkeit des vorangegangenen Vertrags zu berufen. Solle gleichwohl vor Ablauf dieser Frist vertraglich auf die Geltendmachung der Unwirksamkeit der Befristung verzichtet werden, so müsse dies in der vertraglichen Vereinbarung unmissverständlich zum Ausdruck kommen; dies gelte umso mehr, weil der Gesetzgeber mit dem BeschFG 1996 die dreiwöchige Präklusionsfrist des § 1 Abs. 5 Satz 1 BeschFG eingeführt habe66. Diese gesteigerten Anforderungen an die Ausdrücklichkeit und Eindeutigkeit eines Verzichts hat das Bundesarbeitsgericht jedoch bisher auf die Fälle beschränkt, bei denen im Rahmen der Prüfung der Wirksamkeit der Folgebefristung wegen des Anschlussverbots des § 1 Abs. 3 Satz 1 BeschFG zu prüfen war, ob zwischen den Arbeitsvertragsparteien zuvor ein unbefristetes Arbeitsverhältnis bestanden hat. Nur dann hat es inzident auch die Wirksamkeit der vorangegangenen Befristung als 59 BAG vom 30.10.1987 – 7 AZR 115/87 – AP BGB § 119 Nr. 8 [unter II. 1. der Gründe]. 60 Vgl. BAG vom 1.12.2004 – 7 AZR 198/04 – NZA 2005, 575 ff. und auch BAG vom 10.3.2004 – 7 AZR 402/03 – DB 2004, 1434 ff. 61 BAG vom 10.3.2004 – 7 AZR 402/03 – DB 2004, 1434 ff. 62 BAG vom 1.12.2004 – 7 AZR 198/04 – NZA 2005, 575 ff. [unter B. 4. b) der Gründe]. 63 BAG vom 3.12.1997 – 7 AZR 651/96 – NZA 1998, 1000 (1001) [unter II. 3.]. 64 Vgl. BAG vom 5.6.2002 – 7 AZR 205/01 – AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 236; so auch noch unlängst BAG vom 20.4.2005 – 7 AZR 293/04 – NZA 2005, 933, 934. 65 Kritisch zu dieser Konstruktion eingehend Klevemann/Ziemann, DB 1989, 2608 ff. 66 BAG vom 31.5.2000 – 7 AZR 97/99 – JURIS KARE 600002424 [unter II. 2. der Gründe].
B. Methodische Inkonsistenzen der Verzichtsrechtsprechung
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Sachgrund-Befristung überprüft67. Mit Einführung des TzBfG dürfte diese Inzidentprüfung jedoch obsolet geworden sein, da § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG ein Anschlussverbot für die sachgrundlose Befristung auch dann vorsieht, wenn ein sachgrund-befristetes Arbeitsverhältnis voraus gegangen ist68. Eine grundsätzliche Aufgabe der Rechtsprechung, dass bei mehreren Befristungen nur die Wirksamkeit der letzten Befristung einer Befristungskontrolle zugänglich sein soll, kann in den Entscheidungen zum Anschlussverbot des § 1 Abs. 3 Satz 1 BeschFG nicht gesehen werden69.
In nachfolgenden Entscheidungen hat das Bundesarbeitsgericht weiterhin an der mit der zitierten Entscheidung von 1985 eingeschlagenen Linie festgehalten70.
B. Methodische Inkonsistenzen der Verzichtsrechtsprechung Der kurze Überblick zur Verzichtsrechtsprechung der Arbeitsgerichte zeigt vor allem eines: Die Unabdingbarkeit von Normen des Arbeitsvertragsrechts wird im Hinblick auf die Dispositivität daraus abgeleiteter Ansprüche oder Rechte als in hohem Maße auslegungsbedürftig angesehen, wobei die gefundenen Ergebnisse in erstaunlicher Weise divergieren. Im Folgenden soll untersucht werden, ob sich diese Divergenzen aus den Besonderheiten der untersuchten Normen erklären lassen oder Folgen inkonsistenter Rechtsanwendung sind.
I. Die Wortlautinterpretation 1. Der mögliche Wortsinn Soweit eine die Dispositionsbefugnis beschränkende positive Norm vorhanden ist, wird man mit der klassischen Methodenlehre deren Wortlaut zum Ausgangspunkt für weitere Überlegungen zur Reichweite dieser Beschränkung machen müssen71. 67 BAG, ebenda, [unter II. 3. c) der Gründe]; BAG vom 26.7.2000 – 7 AZR 43/99 – AP BeschFG 1985 § 1 Nr. 26; klarstellend so auch für eine bereits nach dem TzBfG zu beurteilende Folgebefristung LAG Niedersachsen vom 12.1.2004 – 5 Sa 1130/03 – JURIS KARE 600009672. 68 Vgl. statt vieler ErfK - Müller-Glöge TzBfG § 14 Rn. 125 f. 69 Unzutreffend insoweit Annuß/Thüsing - Maschmann TzBfG § 17 Rn. 4; missverständlich KR (6. Aufl.) – Lipke/Bader TzBfG § 14 Rn. 45. 70 Vgl. BAG vom 5.6.2002, a. a. O.; BAG vom 4.6.2003 – 7 AZR 523/02 – NZA-RR 2003, 621, 623; und zuletzt BAG vom 20.4.2005 – 7 AZR 293/04 – NZA 2005, 933; so klarstellend nunmehr auch APS - Backhaus TzBfG § 17 Rn. 65. 71 Vgl. Larenz, Methodenlehre, Kapitel 4, 2. a), S. 320 f.
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2. Kap.: Unabdingbarkeit und Verzichtbarkeit in der Rechtsprechung
Die Unabdingbarkeitsnormen der §§ 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG, 12 EFZG und 22 Abs. 1 TzBfG enthalten übereinstimmend die Wendung, dass von den Vorschriften des jeweiligen Gesetzes „nicht zuungunsten des Arbeitnehmers abgewichen“ werden könne. Der Gesetzgeber verwendet diese Formel in nahezu allen neueren arbeitsrechtlichen Gesetzen72. Eindeutig ist einem derartigen Wortlaut nach allgemeiner Ansicht zu entnehmen, dass Vereinbarungen, die die Entstehung der geschützten Ansprüche aus dem jeweiligen Gesetz verhindern wollen, unzulässig und damit nach § 134 BGB nichtig sein sollen. Dies entspricht dem Begriff der Unabdingbarkeit, wie er in dieser Arbeit verwendet wird73. Bei formaler Wortlautanalyse wären derartige Unabdingbarkeitsnormen deshalb eher einschränkend dahin zu interpretieren, dass der Verzicht bzw. der Erlassvertrag über einen Anspruch zumindest nicht unmittelbar erfasst wird, weil er keine Abweichung vom jeweiligen Gesetz selbst darstellt74. Die weitere Anspruchsverwirklichung wäre danach gleichsam als eine externe Wirkung des Gesetzes anzusehen und nicht ohne weiteres mit einer Abweichung vom Gesetz selbst gleichzusetzen. Zwingend ist diese einschränkend-formale Wortlautinterpretation jedoch nicht. Es erschiene zu eng, die Wortlautinterpretation auf einen buchstäblichen Sinn zu reduzieren, ohne zur Kenntnis zu nehmen, dass der seit Jahrzehnten praktizierte Gebrauch der Wendung des „nicht zuungunsten Abweichens“ ebenso wie der des Wortes „abbedingen“75 im allgemeinen wie im juristischen Sprachgebrauch kein einheitlicher ist. Damit ist die isolierte Betrachtung des Wortlauts der hier untersuchten Unabdingbarkeitsnormen für die Frage der Verzichtbarkeit der geschützten Rechte oder Ansprüche als unergiebig anzusehen76. Sowohl die Anordnung einer bloßen Unabdingbarkeit als auch die der Unverzichtbarkeit bewegen sich im Rahmen des möglichen Wortsinns der hier betrachteten Normen.
72
Vgl. beispielsweise § 22 Abs. 1 TzBfG. Vgl. zur Begriffsdefinition oben, 1. Kapitel: B. I. 74 Vgl. aus der Rspr. LAG Hamm, DB 1971, 1212, 1213 und BAG vom 11.6.1976 – 5 AZR 506/75 – AP LohnFG § 9 Nr. 2; vgl. aus dem Schrifttum Dorndorf, Anm. zu BAG vom 21.12.1972 – 5 AZR 319/72 – SAE 1974, 116, 118 einerseits; andererseits Trieschmann, der dem Wortlaut ohne nähere Begründung eine zwingende Anordnung der Normwirkung entnimmt, vgl. Trieschmann, RdA 1976, 68. 75 Vgl. dazu oben, 1. Kapitel: B. I. 76 Hofmann, Grenzen gesetzlicher Unabdingbarkeitsnormen im Arbeitsrecht, FS 25 Jahre BAG, S. 217, 229; Schnorr, Anm. zu BAG vom 27.7.1967 – 5 AZR 112/67 – RdA 1968 181, 182 (für § 13 Abs. 1, S. 3 BUrlG); BAG vom 11.6.1976 – 5 AZR 506/75 – AP LohnFG § 9 Nr. 2. 73
B. Methodische Inkonsistenzen der Verzichtsrechtsprechung
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2. Divergierende Wortsinndeutungen bei gleichem Bedeutungszusammenhang Auffällig bleibt, dass der sehr ähnliche Wortlaut der arbeitsrechtlichen Unabdingbarkeitsnormen nicht zu einer einheitlichen Auslegung der Reichweite der Unabdingbarkeit der durch sie geschützten Normen geführt hat. Damit soll aber die Einheitlichkeit des Wortlautes nicht überbewertet werden. Es ist keine Seltenheit, dass in unterschiedlichen Normen dem gleichen Wortlaut selbst dann ein anderer Bedeutungsgehalt beigemessen wird, wenn das Gesetz eine entsprechende Legaldefinition enthält. Man denke hier etwa an das Larenz’sche Beispiel vom unterschiedlichen Bedeutungsgehalt des in § 90 BGB legaldefinierten Begriffs „Sache“ in der kaufrechtlichen Sachmängelgewährleistung einerseits und in § 119 Abs. 2 BGB andererseits. Ähnliches gilt für den Begriff der „Genehmigung“, der in § 184 BGB als nachträgliche Zustimmung zu einem Rechtsgeschäft definiert wird und dessen abweichende Bedeutung in den §§ 1821 ff. BGB, wo auch die im Voraus erteilte Zustimmung des Vormundschaftsgerichts als Genehmigung bezeichnet wird77. Im Unterschied zu diesen Beispielen ist ein unterschiedlicher Bedeutungszusammenhang hier jedoch nicht ersichtlich: Bei allen genannten Normen handelt es sich um solche des Arbeitsrechts, die zumindest bei vordergründiger Betrachtung den gemeinsamen Zweck haben, den Arbeitnehmer vor einem durch Vertrag herbeigeführten Rechtsverlust gegenüber dem Arbeitgeber zu schützen. Anhaltspunkte für eine aus einem unterschiedlichen Bedeutungszusammenhang resultierende uneinheitliche Auslegung bei nahezu gleichem Wortlaut ergeben sich damit nicht. Dass der Gesetzgeber dem Wortlaut in den Unabdingbarkeitsnormen der jeweiligen Gesetze hinsichtlich der Zulässigkeit eines Verzichts eine unterschiedliche Bedeutung beimessen wollte oder etwa aus der historischen Entwicklung der Regelungsbereiche ein unterschiedlicher Bedeutungsgehalt herrühren könnte, ist ebenfalls nicht ersichtlich. Zumindest für die Reichweite der Unabdingbarkeit von Entgeltfortzahlung und Urlaubsanspruch findet sich in den Gesetzgebungsmaterialen sogar eine eher gegenteilige Andeutung: Im Gesetzesentwurf der CDU/CSU-Fraktion zum Bundesurlaubsgesetz78, dem die Formulierung des § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG entstammt79, wird zur Begründung der Regelung auf ihre Entsprechung in § 6 des bis zum 31.12.1969 gültigen Arbeiterkrankheitsgesetzes verwiesen. Diese Norm 77
Vgl. Larenz, Methodenlehre, Kapitel 4, 2. a), S. 321. BT-Drucks. IV/207, S. 7. 79 Vgl. den schriftlichen Bericht des Ausschusses für Arbeit (BT-Drucks. IV/785) zu den Fraktionsentwürfen von SPD (BT-Drucks. IV/142) und CDU/CSU (BTDrucks. IV/207) und die dortige Beschlussvorlage zum BUrlG. 78
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2. Kap.: Unabdingbarkeit und Verzichtbarkeit in der Rechtsprechung
wiederum bestimmte, dass die Vorschriften des Gesetzes nicht zuungunsten des Arbeitnehmers „abgedungen“ werden konnten. Die Reichweite der Unabdingbarkeitsanordnung des § 6 ArbKrankhG, war jedoch damals ebenfalls streitig und die Rechtsprechung dazu uneinheitlich80. Wenn gleichwohl die Reichweite der Unabdingbarkeit uneinheitlich ausgelegt wird, so kann sich diese uneinheitliche Auslegung zwar insbesondere aus objektiv-teleologischen Gründen als richtig erweisen, sie ist dann jedoch hinsichtlich der Rechtfertigung dieser Divergenzen begründungsbedürftig.
II. Gesetzessystematische Interpretationsansätze In der Literatur ist versucht worden, aus dem Wortlaut anderer arbeitsrechtlicher Unabdingbarkeitsnormen mit einer ausdrücklichen Regelung der nachträglichen Verzichtbarkeit, insbesondere aus § 619 BGB, § 62 Abs. 4 HGB und aus § 4 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 Satz 1 TVG, Rückschlüsse auf den Bedeutungsgehalt der hier untersuchten Wendung „. . . kann nicht zuungunsten des Arbeitnehmers abgewichen werden . . .“ zu ziehen81. Sowohl § 619 BGB als auch § 62 Abs. 4 HGB ordnen an, dass die dem Dienstherrn bzw. dem Prinzipal obliegenden Verpflichtungen aus den jeweils geschützten Normen nicht „im voraus durch Vertrag aufgehoben oder beschränkt werden“ können. Nach wohl einhelliger Ansicht beschränken diese Normen die Wirkung der Unabdingbarkeit auf den Schutz der Entstehung der Ansprüche und erfassen damit nicht die Zulässigkeit eines Verzichts auf bereits entstandene Ansprüche82. Daraus folgern Trieschmann und ihm folgend Heckelmann e contrario, dass der Wortlaut der Unabdingbarkeitsnormen für eine uneingeschränkte Unabdingbarkeitswirkung spreche, wenn eine derartige Beschränkung der Unabdingbarkeitswirkung sich nicht ausdrücklich aus dem Gesetz ergäbe83. Dieser Rückschluss wäre allerdings nur dann zulässig, wenn die Wahl der Formulierung nicht zufällig erfolgt ist, sondern erkennbar einer einheitlichen Systematik des Gesetzgebers folgt84. Wenn der Gesetzgeber anders als in den älteren Nor80 Vgl. die ausführlichen Rechtsprechungsnachweise bei Lepke, BB 1971, 1509, 1512. 81 Vgl. insb. Trieschmann, Zum Verzicht des Arbeitnehmers auf unabdingbare gesetzliche Ansprüche, RdA 1976, 68 ff. 82 Statt aller Palandt - Weidenkaff § 619 BGB Rn. 1; Baumbach/Hopt - Hopt § 62 Rn. 7. 83 Trieschmann, RdA 1976, 68, 69; Heckelmann, Anm. zu BAG vom 11.6.1976 – 5 AZR 506/75 – SAE 1977, 260. 84 Hofmann, FS 25 Jahre BAG, S. 217, 227.
B. Methodische Inkonsistenzen der Verzichtsrechtsprechung
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men § 619 BGB und § 62 HGB mit der Einführung der in den neueren Normen übereinstimmend verwendeten Formel des „nicht zuungunsten Abweichens“ auch die Verzichtbarkeit grundsätzlich hätte ausschließen wollen, so wäre diese Bedeutungserweiterung in der Gesetzesbegründung mit hoher Wahrscheinlichkeit thematisiert worden. Dann müsste sich in den Gesetzgebungsmaterialien ein entsprechender Hinweis finden85. Die Gesetzgebungsmaterialien sind jedoch hinsichtlich der Reichweite der Unabdingbarkeit aller hier untersuchten Unabdingbarkeitsnormen unergiebig86. Dies qualifiziert die Terminologie in jenen Vorschriften als zufällig; ein einheitliches, gewolltes System, welches als tragfähige Grundlage für eine (allein-)entscheidende systematische Interpretation taugen könnte, fehlt87. Dass der Gesetzgeber diese Wendung auch in neueren Normen wie § 22 Abs. 1 TzBfG und § 12 EFZG übernommen hat, ohne sich mit deren in Literatur und Rechtsprechung seit Jahrzehnten umstrittener Bedeutung in § 9 LFZG und § 13 BUrlG auseinander zu setzen, entwertet den gesetzessystematischen Auslegungsansatz zusätzlich. Weiter irritiert, dass eine systematische Orientierung an der gefestigten gerichtlichen Auslegungspraxis zur einzelvertraglichen Verzichtbarkeit der seit jeher allgemein als einseitig zwingend angesehenen Arbeitnehmerschutznormen des Zeugnisanspruches und des Kündigungsschutzes in diesem Zusammenhang kaum stattgefunden hat. Auch § 4 TVG wird – bezeichnenderweise sowohl von den Befürwortern als auch den Gegnern einer weiten Auslegung der Unabdingbarkeitswirkung – als Ansatzpunkt für eine vergleichende systematische Auslegung herangezogen. Die Vergleichbarkeit unabdingbarer gesetzlicher Normen mit der zwingenden Wirkung kollektivvertraglicher Normen erscheint jedoch bereits deshalb problematisch, weil die tarifrechtliche Unabdingbarkeit zugleich auch dem Schutz der Durchsetzungsfähigkeit der Tarifparteien dient, wie § 77 Abs. 4 Satz 2 BetrVG den zwingenden Geltungsanspruch der betrieblichen Normen vor einer Aushöhlung durch Individualabsprachen bewahren soll88. In der zwingenden Wirkung der kollektivvertraglichen Rechte findet auch der Gedanke des Vorrangs des Kollektivwillens vor dem Individual85
Ebenda. Vgl. zum Urlaubsrecht den schriftlichen Bericht des Ausschusses für Arbeit, BT-Drucks. IV /785, S. 4 und den Gesetzesentwurf der CDU/CSU-Fraktion, BTDrucks. IV/207, S. 7, dem die Formulierung des § 13 Abs. 1. Satz 3 BUrlG entstammt. Vgl. zum Entgeltfortzahlungsrecht Lepke, BB 1971, 1509 mit zahlreichen Nachweisen aus den amtlichen Begründungen zu § 9 LFZG und seiner Vorläufer; vgl. zum Befristungsrecht die Gesetzesbegründung zu § 22 TzBfG, BT-Drucks. 14/4374, S. 22. 87 So bereits Hofmann, a. a. O.; ähnlich Lepke, a. a. O., 1509, 1513. 88 Vgl. BAG 23.9.2003 – 1 AZR 576/02 – AP BetrVG § 113 Nr. 43. 86
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2. Kap.: Unabdingbarkeit und Verzichtbarkeit in der Rechtsprechung
willen und des Kollektivrechts vor dem Individualrecht Ausdruck89, der auf eine gesetzliche Regelung nicht unmittelbar zu übertragen ist90. Nach Ansicht Trieschmanns stellt § 4 Abs. 4 Satz 1 TVG, der für die Zulässigkeit eines Verzichts auf entstandene tarifliche Rechte dessen Billigung durch die Tarifvertragsparteien fordert, eine Ausnahme von der zuvor in § 4 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 TVG uneingeschränkt normierten Unabdingbarkeit i. S. einer Unverzichtbarkeit dar; die eingeschränkte Zulassung eines Verzichts in § 4 Abs. 4 Satz 1 TVG sei daher mit der eingeschränkten Unabdingbarkeitsanordnung der §§ 619 BGB und 62 Abs. 4 HGB vergleichbar. Diese Vorschriften würden deshalb im Übrigen grundsätzlich den ein Verzichtsverbot umfassenden, zeitlich unbeschränkten Unabdingbarkeitsbegriff (des Gesetzgebers) voraussetzen91. Andere92 folgern aus § 4 TVG gerade das Gegenteil: Wenn der Gesetzgeber vorschreibe, dass nicht zuungunsten des Arbeitnehmers von einer Regelung abgewichen werden dürfe, meine er nur den vorherigen vertraglichen Ausschluss, da es andernfalls nicht des ausdrücklichen Ausschlusses auch des Verzichts in § 4 Abs. 4 Satz 1 TVG bedurft hätte. Welcher der beiden Ansätze der richtige ist, lässt sich nicht mit logischem Vorrang für die eine oder andere Auffassung begründen; für die Problemlösung ist die Heranziehung des § 4 TVG hier insoweit unergiebig93. Gesetzessystematische Interpretationsansätze erscheinen damit insgesamt nicht geeignet, das Verhältnis von Unabdingbarkeit und Unverzichtbarkeit ausschließlich aus Wortlaut und Regelungssystematik heraus zu bestimmen.
III. Mangelnde Konformität teleologischer Auslegungsmaßstäbe Da eine gesetzgeberische Absicht zur Anordnung einer divergierenden Reichweite der Unabdingbarkeitswirkung der hier untersuchten Normen aus Wortlaut und Systematik nicht ersichtlich wird, ist mit der klassischen Methodenlehre nach dem jeweiligen teleologischen Sinn der Unabdingbarkeitsanordnung zu fragen. 89 So Maurer, Verzicht auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, DB 1972, 2481, 2482. 90 Vgl. zur teleologischen Deutung der gesetzlich angeordneten Unverzichtbarkeit kollektivvertraglicher Rechte auch die Ausführungen im 5. Kapitel: F. 91 Trieschmann, RdA 1976, 68, 70. 92 Müller, Anfechtung und Kondiktion der Ausgleichsquittung im Arbeitsrecht, BB 1976, 1466, 1468; Lepke, BB 1971, 1509, 1511; Maurer DB 1972, 2481, 2482. 93 Hofmann, a. a. O., S. 228.
B. Methodische Inkonsistenzen der Verzichtsrechtsprechung
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Dabei kommt unter den heranzuziehenden objektiv-teleologischen Auslegungskriterien dem Prinzip der Gleichbehandlung des Gleichartigen oder Gleichsinnigen unter dem Aspekt der Idee „der Gerechtigkeit des gleichen Maßes“ eine besondere Bedeutung zu94. Larenz bezeichnet es als eine Forderung an den Gesetzesanwender, dass er die Rechtssätze im Rahmen ihres möglichen Wortsinns und des Bedeutungszusammenhangs so auszulegen hat, dass Wertungswidersprüche nach Möglichkeit vermieden werden95. Weitergehend spricht Hagen sogar von einer „Auslegungsregel i. S. einer Vermutung für die Konformität der rechtlichen Wertungen für die dogmatische Lösung einander entsprechender Sachprobleme“96. Grundsätzlich erscheint es methodisch richtig und sinnvoll, die konkrete Reichweite der Unabdingbarkeit der jeweiligen Norm aufgrund der möglicherweise spezifischen Erfordernisse zur Erreichung ihres jeweiligen Schutzzwecks zu bestimmen97. Voraussetzung für die Gewinnung konsistenter Ergebnisse ist dann aber eine dezidierte Auseinandersetzung mit dem Charakter der jeweiligen Schutzzwecke unter Anwendung von anspruchsübergreifend gleichen Maßstäben98. Soweit danach der spezifische Schutzzweck in unterschiedlichen Gesetzen eine unterschiedliche Reichweite der Unabdingbarkeitswirkung erfordert, können sich auch unterschiedliche Ergebnisse für die Verzichtbarkeit ergeben; soweit die feststellbaren Schutzzwecke identisch sind, muss die Auslegung unter Anwendung der gleichen Methodik auch zum gleichen Ergebnis führen. Für eine davon losgelöste unterschiedliche Behandlung aus einer angeblichen „Natur der Sache“ – wie sie in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gelegentlich anklingt99 – verbleibt dann methodisch kein Raum. Nicht der pluralistische Auslegungsansatz, sondern die fehlende Konformität der Auslegungsmaßstäbe in ihrer praktischen Anwendung führt hier zu wertungswidersprüchlichen Ergebnissen und gibt Anlass zu grundsätzlicher methodischer Kritik. Es sind vor allem die Inkonsistenzen der jeweils gegebenen Begründungen, die bei vergleichender Betrachtung der Recht94 Vgl. Larenz, Methodenlehre, Kapitel 4, 2. d), S. 334; Bydlinski, Die Suche nach der Mitte als Daueraufgabe der Privatrechtswissenschaft, AcP 204 (2004), 309, 330. 95 Larenz, a. a. O. 96 Hagen, FS Karl Larenz (1973), S. 867, 868. 97 Maurer, DB 1972, 2481, 2482; vgl. auch Dorndorf, Anm. zu BAG vom 21.12.1972 – 5 AZR 319/72 – SAE 1974, 116, 118; im Grundsatz zustimmend auch Trieschmann, RdA 1976, 68, 70. 98 Vgl. Bydlinski, AcP 204 (2004), 309, 332. 99 Vgl. exemplarisch für die Verweigerung einer vergleichenden Betrachtung der Auslegungsmaßstäbe BAG vom 11.6.1976 – 5 AZR 506/75 – AP LohnFG § 9 Nr. 2 [unter II. 2. b) der Gründe].
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2. Kap.: Unabdingbarkeit und Verzichtbarkeit in der Rechtsprechung
sprechung befremden. Dies soll an den folgenden drei Konstellationen exemplarisch aufgezeigt werden. 1. Unverzichtbarkeit des Urlaubsabgeltungsanspruchs/ Verzichtbarkeit des Entgeltfortzahlungsanspruchs nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses Sowohl der Anspruch auf Entgeltfortzahlung als auch der Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub lassen sich als Ansprüche mit Sozialleistungscharakter, die eine Ausnahme vom Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn“ bilden, verstehen100. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses geht der Urlaubsanspruch in den Urlaubsabgeltungsanspruch und damit ebenfalls in einen Geldleistungsanspruch über. Eine grundsätzlich unterschiedliche Schutzwürdigkeit von Urlaubsabgeltungsansprüchen und entstandenen Entgeltfortzahlungsansprüchen ist nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses – jedenfalls prima facie – nicht erkennbar101. Damit erscheint es unter dem Aspekt der Gerechtigkeit des gleichen Maßes methodisch angezeigt, die nach Sinn und Zweck der Unabdingbarkeit dieser vergleichbaren Geldleistungsansprüche zu beantwortende Frage der nachträglichen Verzichtbarkeit auch unter Anwendung der gleichen Grundsätze zu beantworten102. Einer vergleichenden Betrachtung der aus Schutzzweckgesichtspunkten gebotenen Reichweite der Unabdingbarkeit hinsichtlich dieser Ansprüche hat sich das Bundesarbeitsgericht jedoch mit einem pauschalen Hinweis auf die Eigenart des Urlaubsabgeltungsanspruchs verschlossen103. Deswegen ergäben sich aus der Rechtslage im Urlaubsrecht keine Folgerungen für die Verzichtbarkeit fälliger Entgeltfortzahlungsansprüche104. Das vermag nicht zu überzeugen. Dass der originäre Urlaubsanspruch auf Gewährung bezahlter Freizeit derart „anderer Natur“ ist als der Entgeltfortzahlungsanspruch, dass es sich auf die Reichweite der Unabdingbarkeit auswirkt, erscheint noch denkbar105. Warum aber nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeits100 Vgl. vor allem Lepke, BB 1971, 1509, 1513; Marienhagen, Anm. zu BAG vom 26.10.1971 – 1 AZR 40/71 – AP LohnFG § 6 Nr. 1. 101 Trieschmann, RdA 1976, 68, 71; Marienhagen, Anm. zu BAG vom 26.10.1971 – 1 AZR 40/71 – AP LohnFG § 6 Nr. 1; Dorndorf, Anm. zu BAG vom 21.12.1972 – 5 AZR 319/72 – SAE 1974, 116, 118 zu II 1. 102 Vgl. insbesondere Heckelmann, Anm. zu BAG vom 11.6.1976 – 5 AZR 506/75 – SAE 1977, 260, 261. 103 BAG vom 11.6.1976 – 5 AZR 506/75 – AP LohnFG § 9 Nr. 2 [unter I. 2. a)]. 104 BAG, ebenda; ähnlich auch LAG Hamm vom 9.3.1971 – 3 Sa 50/71 – DB 1971, 1212, 1213; LAG Rheinland-Pfalz vom 17.12.1971 – 1 Sa 271/70 – BB 1971, 130 f.
B. Methodische Inkonsistenzen der Verzichtsrechtsprechung
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gerichts106 auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Urlaubsabgeltungsanspruch als reiner Geldleistungsanspruch im Gegensatz zum Geldleistungsanspruch auf Entgeltfortzahlung unverzichtbar sein soll, lässt sich nicht mehr nachvollziehbar mit „der zwingenden Notwendigkeit der Erholung für den arbeitenden Menschen“107 begründen108. Dass die Ersatzfunktion der Abgeltung nicht ihre Zweckbindung zu Erholungszwecken beeinträchtige109, ist nicht mehr als bloßes Postulat. Der Arbeitnehmer ist in der Verwendung der erhaltenen Urlaubsabgeltung ebenso frei, wie es ihm frei steht, seinen originären Urlaubsanspruch überhaupt geltend zu machen und entsprechend erholungsorientiert zu verwenden. Eine „Zweckbindung“ der Geldverwendung, wie sie z. B. bei öffentlich-rechtlichen Zuwendungen anzutreffen ist, ist dem Urlaubsrecht gerade fremd. Zur weiteren Begründung muss das Bundesarbeitsgericht daher auch den „verständig handelnden Arbeitnehmer“ bemühen, den der Gesetzgeber angeblich als Regelfall angenommen habe110. Dieser werde den Abgeltungsbetrag aus eigener Entscheidung so verwenden, dass der Urlaubszweck erreicht werde, indem er beispielsweise den Antritt eines neuen Arbeitsverhältnisses entsprechend hinausschiebe111. In den Gesetzgebungsmaterialien zum Bundesurlaubsgesetz finden derartige Erwägungen keine Stütze112. Dieses Bild vom „verständig handelnden Arbeitnehmer“, der den entgangenen Anspruch auf bezahlte Freizeit zur Erholung durch späteren Antritt einer Anschlussbeschäftigung kompensiert, mag vor dem Hintergrund des von Vollbeschäftigung gekennzeichneten Arbeitsmarkts der 60er Jahre noch nachvollziehbar gewesen sein. Heute wird es in gewisser Weise dadurch karikiert, dass der Gesetzgeber dem Arbeitnehmer mit Einführung des § 37b SGB III durch das sog. Hartz-I-Gesetz113 die frühzeitige Meldung als arbeitssuchend abverlangt und die Verletzung dieser Obliegenheit mit einer Minderung des Arbeitslosengeldes nach § 140 SGB III sanktioniert. Die Meldung als arbeitssuchend setzt jedoch die Bereitschaft, an den Vermitt105
Vgl. Staudinger - Rieble BGB § 397 Rn. 197 (Urlaubsanspruch) einerseits und Rn. 199 (Entgeltfortzahlungsanspruch) andererseits. 106 Vgl. die Darstellung der Rechtsprechung oben, 2. Kapitel: A. II. mit den dortigen Nachweisen. 107 BAG vom 31.7.1967 – 5 AZR 112/67 – NJW 1967, 2376 = AP BUrlG § 7 Abgeltung Nr. 2 (KT). 108 ArbG Hamburg vom 18.12.1967 – 6 Ca 623/67 – BB 1968, 424, 428; vgl. auch Staudinger - Rieble BGB § 397 Rn. 197. 109 BAG vom 31.7.1967, a. a. O. 110 Ebenda. 111 BAG vom 31.7.1967, a. a. O. 112 Vgl. oben, Fn. 86. 113 Erstes Gesetz über moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2002, BGBL. I. 4607.
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2. Kap.: Unabdingbarkeit und Verzichtbarkeit in der Rechtsprechung
lungsbemühungen des Arbeitsamtes mitzuwirken, und damit auch die Bereitschaft zur sofortigen Aufnahme einer Beschäftigung voraus114. Ein Anspruch auf Freizeit für die Zeit der abgegoltenen Urlaubstage ist nicht vorgesehen. In die gleiche Richtung zielt der durch das sog. Hartz-I-Gesetz ebenfalls neu gefasste § 2 SGB III mit den Absätzen 2 Nr. 3 und 5 Nr. 2. Nicht die Verwendung der Urlaubsabgeltung zu Erholungszwecken, sondern die aktive Mitwirkung von Arbeitgeber und Arbeitnehmer am möglichst nahtlosen Übergang in ein neues Beschäftigungsverhältnis entsprechen damit – zumindest dem aktuellen – gesetzgeberischem Leitbild115. Nachfolgende Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts haben sich für die Frage der Verzichtbarkeit des Urlaubsabgeltungsanspruchs auf bloße Verweise auf die grundlegende Entscheidung von 1967 oder ihrerseits ohne eigenständige Begründung nachfolgende Entscheidungen beschränkt116. Zur Erreichung konsistenter Ergebnisse wird man hier unter Anwendung der gleichen Schutzmaßstäbe hinsichtlich der Verzichtbarkeit des Urlaubsabgeltungsanspruchs und der des fälligen Entgeltfortzahlungsanspruchs nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses grundsätzlich zu einem einheitlichen Ergebnis kommen müssen. Welches Ergebnis das ist, lässt sich allerdings allein aus einer vergleichenden Betrachtung nicht folgern117. 2. Unverzichtbarkeit der Entgeltfortzahlungsansprüche im laufenden Arbeitsverhältnis/Verzichtbarkeit des Kündigungsschutzes Wertungswidersprüche werden auch deutlich, wenn man die Rechtsprechung zur Zulässigkeit eines Verzichts im noch nicht beendeten Arbeitsverhältnis vergleichend betrachtet. Besonders augenfällig wird dies beim Verzicht auf Entgeltfortzahlung einerseits und einem Verzicht auf Kündigungsschutz andererseits. Nach wohl einhelliger Meinung steht die zwingende Wirkung des gesetzlichen Kündigungsschutzes einem nachträglichen Verzicht des Arbeitnehmers darauf, gegen eine ausgesprochene Kündigung gerichtlich vorzugehen, nicht entgegen118. Ein Klageverzicht in einem Abwicklungsvertrag oder ei114
Kasseler Handbuch zum Arbeitsförderungsrecht - Voelzke § 12 Rn. 498. Vgl. dazu die Gesetzesbegründung zum Ersten Gesetz über moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, BT-Drucks. 15/25, S. 26 und 27. 116 So in BAG vom 21.7.1978 – 6 AZR 1/77 – AP BUrlG § 13 Unabdingbarkeit Nr. 5 [unter 3. der Gründe]; BAG vom 31.5.1990 – 8 AZR 132/89 – BUrlG Unabdingbarkeit Nr. 13 [unter II. 2. b) der Gründe]; BAG vom 20.1.1998 – 9 AZR 812/96 – AP BUrlG § 13 Nr. 45 [unter II. 1. der Gründe]. 117 So aber Heckelmann, Anm. zu BAG vom 11.6.1976 – 5 AZR 506/75 – SAE 1977, 260, 261. 118 Vgl. statt aller ErfK - Ascheid, KSchG § 7 Rn. 2. 115
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ner Ausgleichsquittung soll auch dann unproblematisch zulässig sein, wenn er noch während des fortbestehenden Arbeitsverhältnisses, d.h. in der Regel während der laufenden Kündigungsfrist, vereinbart wird119. Gelegentlich werden derartige Verzichtsvereinbarungen sogar auf dem Kündigungsschreiben selbst getroffen120. Enthält ein in dieser Phase abgeschlossener Abwicklungsvertrag jedoch zugleich einen Verzicht auf bereits entstandene Entgeltfortzahlungsansprüche, so soll nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts der Verzicht darauf nach § 9 LFZG (heute § 12 EFZG) i. V. m. § 134 BGB nichtig sein, weil der Arbeitnehmer auch am letzten Tag des Arbeitsverhältnisses noch in der Situation des abhängigen Arbeitnehmers stehe; er habe noch keinen Abstand gewinnen können, zumal er sich vielfach auch über die Rechtslage nicht im Klaren sei121. Wegen dieser a priori unterstellten „Abhängigkeit“ des Arbeitnehmers hält das Bundesarbeitsgericht beim Entgeltfortzahlungsanspruch den Arbeitnehmer bis zum Ablauf des letzten Tages des rechtlichen Bestands des Arbeitsverhältnisses für uneingeschränkt schutzbedürftig. Hinsichtlich der nach allgemeiner Ansicht ebenfalls bestehenden Unabdingbarkeit des Kündigungsschutzes wird eine derart enge Auslegung der Zulässigkeit eines Klageverzichts nicht einmal ernsthaft erwogen122. Das Bundesarbeitsgericht begnügt sich in diesem Zusammenhang mit der formelhaften Feststellung, die Zulässigkeit eines solchen Verzichts ergebe sich bereits daraus, dass das KSchG im Gegensatz zu anderen Gesetzen, die einen Verzicht auf bestimmte Rechte für unzulässig erklärten (vgl. § 4 Abs. 4 TVG, § 13 BUrlG, § 9 LFZG, § 77 Abs. 4 BetrVG), keine Regelung getroffen hat, die dem Arbeitnehmer den Verzicht auf den Kündigungsschutz untersage123. Dabei verkennt der 2. Senat, dass § 9 LFZG124 und § 13 119 BAG vom 18.11.1999 – 2 AZR 147/99 – AP TVG § 4 Nr. 18 (Bestätigung der Vorinstanz LAG Niedersachsen vom 26.1.1999 – 11 Sa 1572/98 – LAGE KSchG § 4 Verzicht Nr. 4 mit ausführlicher Begründung); LAG Hamm vom 9.10.2003 – 11 Sa 515/03 – JURIS KARE 600009079; LAG Köln vom 22.2.2000 – 13 (10) Sa 1388/99 – NZA-RR 2001, 85 ff.; BAG, Urteil vom 20.6.1985 – 2 AZR 427/84 – NZA 1986, 258; BAG vom 12.1.1961 – 2 AZR 171/59 – AP BGB § 620 Nr. 10 [unter II. 2. der Gründe]; BAG vom 25.9.1969 – 2 AZR 524/68 – AP KSchG § 3 Nr. 36; BAG vom 29.6.1978 – 2 AZR 681/76 – AP KSchG 1969 § 4 Nr. 5; BAG vom 3.5.1979 – 2 AZR 679/77 – AP KSchG 1969 § 4 Nr. 6. 120 Vgl. Nachweise in Fn. 124. 121 BAG vom 28.11.1979 – 5 AZR 955/77 – AP LohnFG § 6 Nr. 10 [unter 2. b) der Gründe, 2. Absatz]. 122 Vgl. statt aller Bader/Bram/Dörner/Wenzel - Wenzel KSchG § 4 Rn. 95 ff. und LAG Niedersachsen vom 26.1.1999 – 13 Sa 1572/98 – LAGE KSchG § 4 Verzicht Nr. 4. 123 BAG vom 3.5.1979 – 2 AZR 679/77 – AP KSchG 1969 § 4 Nr. 6; ähnlich neuerdings auch BAG vom 23.9.2003 – 1 AZR 576/02 – AP BetrVG 1972 § 113 Nr. 43 zur Verzichtbarkeit des Anspruchs auf Nachteilsausgleich aus § 113 BetrVG.
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2. Kap.: Unabdingbarkeit und Verzichtbarkeit in der Rechtsprechung
BUrlG die Frage der Verzichtbarkeit der geschützten Ansprüche im Gegensatz zu § 77 Abs. 4 BetrVG und § 4 Abs. 4 TVG ebenfalls gerade nicht regeln. Dies hat auch der 5. Senat hinsichtlich § 9 LFZG besonders hervorgehoben125, um die Notwendigkeit der Bestimmung der Reichweite der Unabdingbarkeit nach Sinn und Zweck deutlich zu machen. Das gleiche Bild ergibt sich, wenn man die Betrachtung auf den Verzicht auf Befristungsschutz ausweitet: Dort wird die Befugnis des Arbeitnehmers auf sein Recht auf Befristungsschutz nachträglich zu verzichten von der Rechtsprechung genauso anerkannt wie beim Kündigungsschutz126. Die Einführung der geschriebenen Unabdingbarkeitsnorm des § 22 Abs. 1 TzBfG hat daran nichts geändert. § 22 Abs. 1 TzBfG hat nicht zur Annahme der Unwirksamkeit eines Verzichts auf Befristungsschutz im bestehenden Arbeitsverhältnis geführt127. Damit erweist sich der vom Bundesarbeitsgericht aus dem Fehlen einer Unabdingbarkeitsnorm hinsichtlich des Kündigungsschutzes gezogene Umkehrschluss als unzulässig. Er mündet in einen Zirkelschluss und verschleiert nur die eigentlich zu beantwortende Frage, ob das unabdingbare Recht auf gerichtlichen Kündigungsschutz auch unverzichtbar ist. Die Interessenlage bzw. der Schutzgrund für die Annahme der Unverzichtbarkeit scheint auch hier grundsätzlich vergleichbar zu sein. Davon geht wohl auch das Bundesarbeitsgericht aus, wenn es auf die Unabdingbarkeitsnormen des § 9 LFZG und des § 13 BUrlG rekurriert. Diese Gleichartigkeit der Interessen wird auch nicht dadurch aufgehoben, dass das Klagerecht im Gegensatz zum Lohnanspruch kein Anspruch i. S. des § 194 BGB ist128. Da und wenn sich die Reichweite der Unabdingbarkeit des Anspruchs auf Entgeltfortzahlung nicht aus dem Wortlaut und der Gesetzessystematik der Unabdingbarkeitsnorm des § 12 EFZG (bzw. § 9 LFZG) entnehmen lässt, könnte die engere Auslegung der Zulässigkeit eines Verzichts auf Entgeltfortzahlungsansprüche ihre teleologische Legitimation nur in einem höheren Schutzbedürfnis finden. Warum aber der Schutz auch eines entstandenen und fälligen Entgeltfortzahlungsanspruchs im rechtlich noch nicht beendeten Arbeitsverhältnis schwerer wiegen soll als der vom Kündigungsschutz intendierte Schutz des Bestandes des Arbeitsverhältnisses, erscheint nicht nachvollziehbar129. 124
§ 9 LFZG entspricht inhaltlich dem heutigen § 12 EFZG. BAG vom 11.6.1976 – 5 AZR 506/75 – AP LohnFG § 9 Nr. 2. 126 Siehe bereits oben, 2. Kapitel: A. V. 2 und die dortigen Nachweise. 127 LAG Niedersachsen vom 12.1.2004 – 5 Sa 1130/03 – JURIS KARE 600009672. 128 LAG Rheinland-Pfalz/Mainz vom 17.12.1970 – 1 Sa 271/70 – BB 1971, 130. 129 Ebenda; Lepke BB 1971, 1509, 1512. 125
B. Methodische Inkonsistenzen der Verzichtsrechtsprechung
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Es ergibt sich ein ähnlicher Befund wie zuvor schon im 2. Kapitel unter B. III. 1. Auch hier erweist sich die Rechtsprechung zur Verzichtbarkeit unabdingbarer Ansprüche als inkonsistent, weil sie trotz vergleichbarer Interessenlage ohne einen gesetzlich verankerten Anhaltspunkt zu uneinheitlichen Ergebnissen kommt. 3. Uneingeschränkte Verzichtbarkeit des Befristungsschutzes/restriktive Handhabung bei anderen unabdingbaren Arbeitnehmerschutznormen Wertungswidersprüche zeigen sich auch, wenn man die Rechtsprechung zum Verzicht auf gerichtliche Befristungskontrolle nach § 17 Satz 1 TzBfG mit der restriktiven Haltung der Rechtsprechung bei den anderen hier untersuchten Arbeitnehmerschutznormen vergleicht. Gravierende Divergenzen ergeben sich sowohl bei der grundsätzlichen Verzichtbarkeit des Klagerechts als auch bei den Anforderungen zur wirksamen Ausübung130 des Verzichts. a) Verzichtsbefugnis bei endgültiger Beendigung des Arbeitsverhältnisses Soweit das befristete Arbeitsverhältnis mit Ablauf der Befristung tatsächlich beendet werden soll, bestehen wohl keine Bedenken dagegen, mit dem Bundesarbeitsgericht den Verzicht auf Befristungsschutz ebenso wie den Verzicht auf Kündigungsschutz grundsätzlich zuzulassen131. Jedenfalls wenn dieser Verzicht nach Ablauf der Befristung und tatsächlicher Beendigung des Arbeitsverhältnisses erklärt wird, besteht keine Veranlassung für eine abweichende Behandlung. b) Verzichtsbefugnis während des Arbeitsverhältnisses oder bei dessen beabsichtigter Fortsetzung Wenn aber der Verzicht auf Befristungsschutz im Zusammenhang mit dem Abschluss eines befristeten Folgevertrages – wie es in der Regel wohl der Fall sein wird – noch vor dem vereinbarten Ende des Arbeitsverhältnisses erklärt wird, werden im Vergleich mit der Rechtsprechung zur Verzichtbarkeit anderer vertragsrechtlicher Arbeitnehmerschutznormen Wertungswidersprüche erkennbar. 130
Dazu näher in Kapitel 7. BAG 26.7.2000 – 7 AZR 51/99 – AP BeschFG 1985 § 1 Nr. 26; BAG vom 31.5.2000 – 7 AZR 97/99 – JURIS KARE 600002424 mit Verweis auf BAG vom 3.5.1979 – 2 AZR 679/77 – AP KSchG 1969 § 4 Nr. 6, [II. 2. b) der Gründe]; Vossen, Die Entfristungsklage nach § 17 Satz 1 TzBfG, FS Schwerdtner, S. 693, 700. 131
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2. Kap.: Unabdingbarkeit und Verzichtbarkeit in der Rechtsprechung
Problematisch erscheint die Zulassung eines derartigen Verzichts deshalb, weil hier die für den Arbeitnehmer nachteilige Verzichtswirkung gerade unter dem Eindruck des bestehenden und mit Blick auf das angestrebte Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses eintritt. Darin unterscheidet sich diese Situation vom Verzicht auf Kündigungsschutz, bei dem der Verzicht normalerweise zur endgültigen Regelung der vertraglichen Beziehungen der Arbeitsvertragsparteien vereinbart wird. Zwar kann man im während des bestehenden Arbeitsverhältnisses vereinbarten Verzicht auf Befristungsschutz wohl nicht ohne weiteres einen unzulässigen Vorausverzicht sehen. Denn der Beendigungstatbestand der Befristung besteht bereits vor dem vereinbarten Ende der Befristung. Dem entsprechend ist – anders als bei der Kündigungsschutzklage – auch ein prozessuales Feststellungsinteresse zur gerichtlichen Geltendmachung der Unwirksamkeit der Befristung bereits vor vereinbartem Ablauf der Befristung gegeben132. Bei einem Verzicht während des laufenden befristeten Arbeitsverhältnisses wird daher nicht „vor Entstehung“ auf das Recht zur gerichtlichen Befristungskontrolle verzichtet. Wenn jedoch eine dem bestehenden Arbeitsverhältnis angeblich inhärente „Drucksituation“ bei anderen hier untersuchten Ansprüchen bereits für sich genommen zur Unverzichtbarkeit der unabdingbaren Ansprüche des Arbeitsvertragsrechts führen soll133, so ist nicht ersichtlich, warum eine solche Drucksituation beim Verzicht auf Befristungskontrolle offenbar nicht von Relevanz sein soll. Zum Schutzzweck der Unabdingbarkeit hat das Bundesarbeitsgericht in einer Entscheidung zum Verzicht auf Entgeltfortzahlungsansprüche allgemein ausgeführt, der Senat vermöge in der Unabdingbarkeit nur den im Arbeitsrecht vielfach anzutreffenden Zweck zu erkennen, dass der infolge seiner abhängigen Stellung in seiner Entscheidungsfreiheit beschränkte Arbeitnehmer davor geschützt werden solle, 132 Ständige Rechtsprechung z. B. BAG vom 1.12.1999 – 7 AZR 236/98 – AP HRG § 57b Nr. 21 [unter III. der Gründe]; BAG vom 15.8.2001 – 7 AZR 274/00 – www.bundesarbeitsgericht.de; LAG Düsseldorf vom 18.11.1999 – 11 Sa 1039/99 – NZA-RR 2000, 291, 292. 133 Vgl. zur Relevanz einer Drucksituation aufgrund des Fortbestandes des Arbeitsverhältnisses in der Verzichtsrechtsprechung die Rechtsprechungsübersicht oben, 2. Kapitel: A.; insbesondere BAG vom 28.11.1979 – 5 AZR 955/77 – AP LohnFG § 6 Nr. 10 [unter 2. b) der Gründe], 2. Absatz; BAG vom 11.6.1976 – 5 AZR 506/75 – AP LohnFG § 9 Nr. 2 [unter II. 3.]; so wohl auch bereits BAG vom 26.10.1971 – 1 AZ 40/71 – AP LohnFG § 6 Nr. 1 [unter 2. der Gründe]; ähnliche Erwägungen auch zum Urlaubsabgeltungsanspruch in BAG vom 27.7.1967 – 5 AZR 112/67 – RdA 1968, 179 ff., vgl. auch die dortige Anm. von Schnorr zur Unzulässigkeit eines Verzichts auf unabdingbare Ansprüche im österreichischen Arbeitsrecht; Dorndorf, Anm. zu BAG vom 21.12.1972 – 5 AZR 319/72 – SAE 1974, 115, 118.
B. Methodische Inkonsistenzen der Verzichtsrechtsprechung
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unter einem wirklichen oder auch nur vermeintlichen Druck seines Arbeitgebers Rechte preiszugeben, die ihm kraft Gesetzes zuständen134. Dagegen soll der für den Arbeitnehmer mit dem Verzicht auf Befristungskontrolle praktisch einhergehende sehr viel substanziellere Verlust eines auf unbestimmte Zeit bestehenden Arbeitsverhältnisses für die Verzichtsbefugnis anscheinend ohne Bedeutung sein. Mit anderen Worten: Während dem Arbeitnehmer bei Entgeltfortzahlungs- oder Urlaubsansprüchen das „Nein“ gegenüber einem vom Arbeitgeber angetragenen Verzicht wegen seiner „Abhängigkeit“ und der gesetzlichen Anordnung der Unabdingbarkeit dieser Ansprüche im bestehenden Arbeitsverhältnis nicht zumutbar sein soll, soll dies beim gleichfalls unabdingbaren Recht auf Befristungskontrolle keine Rolle spielen. Eine sachliche Rechtfertigung dafür ist nicht ersichtlich. Die Situation des Arbeitnehmers beim Abschluss eines befristeten Folgevertrages ist in der Regel wesentlich von der Hoffnung auf die erstrebte Festanstellung geprägt135. In der Hoffnung dieses Ziel letztlich doch noch zu erreichen werden Arbeitnehmer häufig geneigt sein, auch den „Umweg“ sich erneut in einer Folgebefristung bewähren zu müssen, in Kauf zu nehmen136. Wird einem Arbeitnehmer, der sich in einem aus rechtlich zweifelhaften Gründen befristeten Arbeitsverhältnis befindet, ein Verzicht auf die Befristungskontrolle des Altvertrages bei gleichzeitigem Angebot auf Abschluss eines neuen befristeten Arbeitsvertrages angetragen, so steht er vor der Entscheidung, entweder – gewissermaßen in Verfolgung der sprichwörtlichen „Taube auf dem Dach“ – das unbefristete Fortbestehen des aktuellen Arbeitsverhältnisses gerichtlich geltend zu machen oder sich (zunächst) unter Begebung seiner Rechte mit dem Angebotenen als „Spatz in der Hand“ zu begnügen. Verschärft wird die Ungleichbehandlung noch dadurch, dass es nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts für den zumindest faktischen Verzicht auf Befristungsschutz durch Abschluss eines befristeten Folgevertrages noch nicht einmal einer ausdrücklichen Vereinbarung zwischen den Parteien bedarf137. Zu dem in dieser Konstellation zu Lasten des Arbeitnehmers gehenden Prozessrisiko kommt die mit arbeitsgerichtlichen Auseinandersetzungen im laufenden Arbeitsverhältnis allgemein einhergehende Befürchtung, selbst bei einem Obsiegen mit der Entfristungsklage mit einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Kündigung oder zu134 BAG vom 11.6.1976 – 5 AZR 506/75 – SAE 1977, 257, 258 (sinnentstellend und daher wohl unzutreffend ist der Wortlaut dieser Passage in AP LohnFG § 9 Nr. 2 mit (. . .) „seine Arbeitgeberrechte Preiszugeben, die ihm Kraft Gesetz zustehen“, wiedergegeben). 135 Klevemann/Ziemann, DB 1989, 2608 ff. [unter III. 2.1.3.]. 136 In diesem Sinne auch Klevemann/Ziemann, a. a. O. 137 Vgl. dazu die Rechtsprechungsübersicht oben, 2. Kapitel: A. V. 2.
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2. Kap.: Unabdingbarkeit und Verzichtbarkeit in der Rechtsprechung
mindest mit nachteiligen Folgen für das berufliche Fortkommen bei diesem Arbeitgeber rechnen zu müssen. Jedenfalls wird man im Allgemeinen davon ausgehen können, dass sich der aus derartigen Befürchtungen resultierende tatsächliche oder doch zumindest vermeintliche Druck sehr viel konkreter auf die Fähigkeit des Arbeitnehmers zur angemessenen Verfolgung seiner rechtlichen Interessen auswirkt, wenn im Hinblick auf das Befristungsende mit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses in der Regel auch seine primäre wirtschaftliche Existenzgrundlage selbst unmittelbar in Frage steht. Die psychologische Hemmschwelle des Arbeitnehmers, dann angesichts der angebotenen, aber noch nicht vertraglich abgesicherten, befristeten Fortführung des Arbeitsverhältnisses in einen Rechtsstreit mit dem Arbeitgeber zu treten, dürfte damit deutlich höher sein, als diejenige, einen angetragenen Verzichtsvertrag auf Entgeltfortzahlungs- oder Urlaubsansprüche im laufenden Arbeitsverhältnis – bei in der Regel bestehendem Kündigungsschutz – abzulehnen. c) Zwischenergebnis Folgt man der Grundannahme des Bundesarbeitsgerichts zum Schutzzweck der Unabdingbarkeit aus seiner Entscheidung vom 11.6.1976, wonach wegen der wirtschaftlichen Abhängigkeit des Arbeitnehmers jedenfalls während des laufenden Arbeitsverhältnisses, ein Verzicht auf Entgeltfortzahlungsansprüche unzulässig sein soll, so erscheint es wertungswidersprüchlich, den vertraglichen Rechtsverzicht auf Befristungskontrolle anlässlich von Folgebefristungen im (fort-)bestehenden Arbeitsverhältnis zuzulassen. Hinsichtlich des Rechts auf Befristungskontrolle ist kein geringeres unterlegenheitsspezifisches Schutzbedürfnis als hinsichtlich des Verzichts auf den Entgeltfortzahlungsanspruch erkennbar.
IV. Begrenzte Aussagekraft vergleichender Betrachtungen Mit der Forderung nach einheitlichen Auslegungsmaßstäben sollen die prinzipbedingten Grenzen der Leistungsfähigkeit einer vergleichenden Betrachtung der untersuchten Ansprüche nicht verkannt werden. Grundvoraussetzung und zugleich größte Schwachstelle vergleichender Betrachtungen ist das Vorliegen einer strukturellen Vergleichbarkeit der zum Vergleich gestellten Konstellationen, will man nicht den sprichwörtlichen Vergleich zwischen Äpfeln und Birnen anstellen. Das Feststellen einer strukturellen Vergleichbarkeit hängt immer davon ab, wie feinmaschig man die Struktur der zu vergleichenden Konstellationen analysiert und welche Anforderungen man an den Grad der erforderlichen Übereinstimmungen stellt. Das Ergebnis einer vergleichenden Analyse wird also wesentlich determiniert vom an-
C. Schutzrichtungen der Unabdingbarkeit
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zulegenden Betrachtungsmaßstab138. Entsprechend sind ihre Ergebnisse stets auch mit dem Argument angreifbar, der zu Grunde gelegte Betrachtungsmaßstab sei unangemessen gewählt worden. Wird er zu grob gewählt, so lautet der Vorwurf, man versuche Ungleiches gleich zu behandeln, also Äpfel mit Birnen zu vergleichen. Wird er zu feingliedrig gewählt, so lautet er, man spalte einheitliche Lebensvorgänge unnatürlich auf, man verkenne, um im Bild zu bleiben, dass es sich bei Äpfeln wie Birnen letztlich um Obst handele. Zum anderen ist die Aussagekraft vergleichender Betrachtungen naturgemäß begrenzt durch die notwendige Relativität ihrer Ergebnisse. Sie ist beschränkt auf eine Überprüfung von Konformität und Konsistenz von Begründungsketten, ohne selbst Argumente für die eine oder andere Alternative liefern zu können. Allenfalls eine Aussage darüber, ob eine divergierende Behandlung vergleichbarer Konstellationen sachlich gerechtfertigt ist, kann so begründet werden, nicht aber eine Entscheidung zwischen zwei Alternativen. Damit haben vergleichende Betrachtungen eher den Charakter einer Kontrollüberlegung als den einer Begründung. Aus diesem Grund wäre es verfehlt, isoliert aus einer gefestigten Rechtsprechung, beispielsweise zur Unverzichtbarkeit des gesetzlichen Urlaubsabgeltungsanspruchs, aufgrund vergleichender Betrachtung folgern zu wollen, dass wegen ähnlich strukturierter Schutzbedürftigkeit beispielsweise auch der Entgeltfortzahlungsanspruch unverzichtbar sein müsse139. Eine solche Annahme ginge kritiklos von dem Vorverständnis aus, dass der Rechtsprechung zur Unverzichtbarkeit des Urlaubsabgeltungsanspruchs zu folgen wäre. Die Erkenntnis, dass zwei Konstellationen gleich zu behandeln sind, sagt aber noch nicht, wie sie zu behandeln sind. Gleichwohl bieten die durch vergleichende Betrachtung zutage tretenden Begründungsdivergenzen Anlass zu einer vertieften Auseinandersetzung mit den sich in ihnen widerspiegelnden unterschiedlichen Schutzgedanken und schärfen so das Problembewusstseín.
C. Schutzrichtungen der Unabdingbarkeit aus der Perspektive der Rechtsprechung Betrachtet man die Begründungsstränge zur Reichweite der Unabdingbarkeit in den untersuchten Entscheidungen, so differiert nicht nur die in ver138
Vgl. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 342 ff. So aber z. B. LAG Düsseldorf vom 26.10.1971 – 11 Sa 608/70 – DB 1972, 196; mit dieser Tendenz auch Trieschmann, RdA 1976, 68, 71; Heckelmann, Anm. zu BAG vom 11.6.1976 – 5 AZR 506/75 – SAE 1977, 260, 261. 139
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2. Kap.: Unabdingbarkeit und Verzichtbarkeit in der Rechtsprechung
gleichbaren Konstellationen im Einzelfall für erforderlich gehaltene Schutzintensität140. Auch hinsichtlich der grundsätzlichen Schutzrichtung, d.h. hinsichtlich der Frage, weshalb in der konkreten Konstellation ein Schutz durch zwingend wirkendes Recht erforderlich sein soll, werden grundsätzlich unterschiedliche Aspekte erwogen und in den Vordergrund gestellt. Das legt die Vermutung nahe, dass auch die Rechtsprechung nicht von einem allgemein tragenden Schutzzweck der Unabdingbarkeit ausgeht, der allein deren Reichweite hinsichtlich der Verzichtbarkeit bestimmt, sondern verschiedene Faktoren mit je nach Verzichtsgegenstand unterschiedlichem Gewicht als für die Auslegung maßgeblich erachtet. Mangels besonders definierter Verzichtsverbote spielt dabei für die Verzichtsbefugnis der Gedanke der Umgehung der Unabdingbarkeit durch Verzichtsvereinbarungen eine zentrale Rolle. Teleologischer Ausgangspunkt für die Beurteilung der Verzichtbarkeit unabdingbarer Ansprüche muss deshalb die Frage sein, ob und inwieweit der jeweilige Schutzzweck der Unabdingbarkeitsnorm der Dispositivität des dem Arbeitnehmer aus dem Gesetz erwachsenden Anspruchs oder Rechts durch Verzicht entgegensteht141. Die Analyse der hier schwerpunktmäßig untersuchten Entscheidungen und der einschlägigen Literatur dazu offenbart insoweit grundsätzlich verschiedene Begründungsansätze zur Schutzrichtung der Unabdingbarkeitswirkung. Grob lassen sich drei Hauptrichtungen von Schutzzweckerwägungen skizzieren, die nach einer grundsätzlichen Beleuchtung der Spezifika des Verhältnisses von Unabdingbarkeit und Unverzichtbarkeit im Arbeitsrecht im 3. Kapitel das weitere Untersuchungsprogramm vorgeben werden.
I. Schutz zukünftiger Handlungsfähigkeit – Das Verbot des Vorausverzichts Als ein wesentlicher Grund für die Einschränkung der Dispositionsfreiheit der Parteien durch zwingendes Recht wird in der Rechtsprechung offenbar der Gedanke des Schutzes vor einem im Hinblick auf unvorhersehbare zukünftige Entwicklungen unüberlegtem Gebrauch der Privatautonomie erwogen142. Nicht eine speziell arbeitsrechtliche Schutzbedürftigkeit, sondern der auch vielen zivilrechtlichen Vorschriften zu Grunde liegende allgemeine Rechtsgedanke143, dass sich niemand für die Zukunft seiner 140
Vgl. dazu Hofmann, FS 25 Jahre BAG, S. 217, 228. Vgl. Schwarze, Arbeitnehmerbegriff und Vertragstheorie, ZfA 2005, 81, 102. 142 Vgl. Küchenhoff, Anm. zu BAG vom 16.9.1974 – 5 AZR 255/74 – AP BGB § 630 BGB Nr. 9. 143 Vgl. z. B. § 137 BGB, § 624 BGB und unten im 4. Kapitel: B. II. 141
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rechtlichen Handlungsfähigkeit entäußern soll144, steht in diesem Begründungszusammenhang im Vordergrund145. Konsequenz für die Frage der Verzichtbarkeit ist, dass dann und insoweit auch nicht primär das Bestehen des Arbeitsverhältnisses entscheidend ist, sondern inwieweit der Schutz durch die Unabdingbarkeit zukunftsgerichtet ist. Exemplarisch lässt sich das Hervortreten derartiger Erwägungen an den Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts zur Unverzichtbarkeit des gemäß § 8 Abs. 1 EFZG auch noch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufrechterhaltenen Entgeltfortzahlungsanspruchs zeigen146. Im Allgemeinen endet der Zukunftsbezug der Unabdingbarkeit eines Rechts oder Anspruchs dann, wenn das Recht bzw. der Anspruch bereits entstanden und fällig ist. Ab diesem Zeitpunkt sind Inhalt und Umfang des Anspruchs, bzw. die für die Geltendmachung eines Rechts relevanten tatsächlichen und rechtlichen Umstände, definiert und dessen abschließende Bewertung durch den Arbeitnehmer in seiner konkreten Situation grundsätzlich möglich147. Dies weist dem Entstehungszeitpunkt bzw. der Fälligkeit eine zentrale Bedeutung für die Verzichtsbefugnis zu. Im Einzelnen soll darauf im 4. Kapitel vertieft eingegangen werden.
II. Schutz vor Übervorteilung des Arbeitnehmers – das Unterlegenheitsparadigma Ein weiterer Schwerpunkt der Begründungserwägungen zum Schutzzweck der Unabdingbarkeit liegt im Bereich eines für notwendig erachteten Schutzes des Arbeitnehmers vor Übervorteilung durch den Arbeitgeber. Der Arbeitnehmer wird paradigmatisch als strukturell unterlegene Partei des Arbeitsvertrages angesehen, die des ausgleichenden Schutzes durch zwingendes Gesetzesrecht bedürfe. Diese „Unterlegenheit“ wiederum lässt sich nach ihrer Ursache in zwei Unterarten untergliedern, die von der Rechtsprechung nicht einheitlich behandelt werden.
144
Vgl. Palandt - Heinrichs § 137 Rn. 1. Küchenhoff, a. a. O. 146 BAG vom 26.10.1971 – 1 AZR 40/71 – AP LohnFG § 6 Nr. 1 [unter 2. der Gründe]; vgl. auch BAG vom 20.8.1980 – 5 AZR 218/78 – AP LohnFG § 6 Nr. 11; kritisch zur Unverzichtbarkeit des noch nicht fälligen Entgeltfortzahlungsanspruchs nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses Enderlein, S. 488 f. 147 Vgl. dazu BAG vom 20.8.1980 – 5 AZR 218/78 – AP LohnFG § 6 Nr. 11 [unter III. 2. a)]. 145
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2. Kap.: Unabdingbarkeit und Verzichtbarkeit in der Rechtsprechung
1. Unterlegenheit aufgrund einer wirklichen oder vermeintlichen Drucksituation Exemplarisch ist hier die Erwägung des Bundesarbeitsgerichts148, der für die Bestimmung der Reichweite der Unabdingbarkeit entscheidende gesetzgeberische Zweck der Unabdingbarkeit bestehe darin, dass der infolge seiner abhängigen Stellung in seiner Entscheidungsfreiheit beschränkte Arbeitnehmer davor geschützt werden solle, unter einem wirklichen oder auch nur vermeintlichen Druck Rechte preiszugeben, die ihm kraft Gesetzes zustehen. Dieser Schutz sei jedoch nur solange gerechtfertigt, wie die aus dem Arbeitsverhältnis resultierende wirtschaftliche Abhängigkeit bestehe. Mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses entfällt in der Konsequenz dieses Ansatzes daher grundsätzlich auch der Schutzgrund für die Anordnung der Unabdingbarkeit. Kennzeichnend für diese Erwägungen ist weiter die Grundannahme, dass ein Arbeitnehmer dem für ihn nachteiligen Verzichtsvertrag auch „sehenden Auges“ zustimmen würde, bei ihm also typischerweise gerade kein Rationalitätsdefizit für die konkrete Handlungswahl ausschlaggebend ist149. Dieser Ansatz soll im 5. Kapitel vertieft erörtert werden. 2. Unterlegenheit aufgrund eines intellektuellen oder informationellen Gefälles Eine zweite Untergruppe des unterlegenheitsspezifischen Ansatzes bildet das Vorliegen von Umständen, die auf ein Informationsdefizit beim Arbeitnehmer bei Abschluss der Verzichtsvereinbarung schließen lassen. Hierher gehören die Fälle, in denen der Arbeitnehmer eine Verzichtsvereinbarung trifft, ohne sich über deren rechtliche Wirkung im Klaren zu sein oder er irrig davon ausgeht, dass ihm überhaupt keine Ansprüche mehr gegen den Arbeitgeber zustehen. Häufig geschieht dies dadurch, dass der Arbeitnehmer eine vom Arbeitgeber bei Beendigung vorgelegte Ausgleichsquittung mehr oder weniger unreflektiert, gelegentlich sogar ungelesen, unterschreibt150. In der Literatur ist zum Teil auch der Schutz des Arbeitnehmers vor den Nachteilen derartig unüberlegt oder unbemerkt zustande kommender Verzichtsvereinbarungen als Argument für eine weite Auslegung der Unabdingbarkeitswirkung angeführt worden151. Die Rechtsprechung ist solchen 148
BAG vom 11.6.1976 – 5 AZR 506/75 – AP LohnFG § 9 Nr. 2. Vgl. M. Wolf, Entscheidungsfreiheit, S. 18. 150 Vgl. Dieterich, Grundgesetz und Privatautonomie im Arbeitsrecht, RdA 1995, 129, 135. 151 Strasser, DRdA 1955, Heft 15, 13, 15 (zum österreichischen Recht); Heckelmann, Anm. zu BAG vom 11.6.1976 – 5 AZR 506/75 – SAE 1977, 260, 262. 149
C. Schutzrichtungen der Unabdingbarkeit
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Konstellationen bisher jedoch nicht auf der Ebene der Verzichtsbefugnis, sondern durch tendenziell einschränkende Auslegung der Verzichtsvereinbarungen in Ausgleichsquittungen152 sowie neuerdings durch restriktive Inhaltskontrolle153 einseitig belastender Verzichtsvereinbarungen begegnet. Die Unverzichtbarkeit des gesetzlichen Urlaubsabgeltungsanspruchs hat das Bundesarbeitsgericht darauf nicht gestützt154. Auch auf diese Fallgruppe wird im 5. Kapitel unter C. II. noch näher einzugehen sein.
III. Schutz von Gemeinwohlinteressen durch individualvertragliche Unabdingbarkeit Der Verzicht des Arbeitnehmers auf unabdingbare Ansprüche gegen den Arbeitgeber kann in einigen Konstellationen geeignet sein, einen gemeinwohlschädlichen Anspruch auf Sozialleistungen auszulösen. Dies ergibt sich im Bereich der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall daraus, dass der Anspruch des gesetzlich krankenversicherten Arbeitnehmers auf Krankengeld nach § 44 Abs. 1 SGB V zwar grundsätzlich unmittelbar mit Eintritt der Arbeitsunfähigkeit entsteht, jedoch für die Zeit, für die vom Arbeitgeber Entgeltfortzahlung geleistet wird, gemäß § 49 Abs. 1 SGB V ruht. Auch aus dem Bereich des Urlaubsrechts ergibt sich im Hinblick auf den Anspruch auf Arbeitslosengeld ein strukturell ähnliches Problem aus § 143 Abs. 2 und 3 SGB III, wenn man den Verzicht auf Urlaubsabgeltung zulässt. Eine Verzichtsvereinbarung könnte dann gleichsam die Wirkung eines „Vertrages zu Lasten Dritter“155, d.h. einer Vereinbarung zum Nachteil der durch die Sozialkassen repräsentierten Versichertengemeinschaft haben, weil durch den Verzicht das Ruhen des Sozialleistungsanspruchs unterlaufen 152
Vgl. insb. BAG vom 20.8.1980 – 5 AZR 759/78 – AP LohnFG § 9 Nr. 3; für den Schutz durch zeitlich uneingeschränkte Unverzichtbarkeit des Entgeltfortzahlungsanspruchs jedoch LAG Köln vom 28.6.2002 – 11 Sa 1315/01 – JURIS KARE 600006784 = LAGReport 2003, 165–167 [unter I. 2. (obiter dictum)]. 153 LAG Schleswig-Holstein vom 24.9.2003 – 3 Sa 6/03 – JURIS KARE 600009059; LAG Düsseldorf vom 13.4.2005 – 12 Sa 154/05 – http://www.lagduesseldorf.nrw.de; vgl. auch Preis, Sonderbeilage zu NZA Heft 16/2003, 19, 29. 154 Vgl. BAG vom 31.7.1967 – 5 AZR 112/67 – AP BUrlG § 7 Abgeltung Nr. 2 (KT) = NJW 1967, 2376; vgl. auch die im Vergleich zum Verzicht auf Entgeltfortzahlung außerordentlich geringen Anforderungen an die wirksame Ausübung eines Verzichts (Pauschalverzicht in Ausgleichsquittung ausreichend) auf einen die Dauer des gesetzlichen Urlaubs überschreitenden Urlaubsanspruch in BAG vom 9.6.1998 – 9 AZR 43/97 – AP BUrlG § 7 Nr. 23 [unter I. 3. a)]. 155 Vgl. zur zivilrechtlich nicht ganz korrekten Verwendung dieses prägnanten Begriffs in diesem Zusammenhang.
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2. Kap.: Unabdingbarkeit und Verzichtbarkeit in der Rechtsprechung
würde. Aufgrund dieser Wirkung ist zum Teil gefolgert worden, die arbeitsrechtliche Unabdingbarkeit diene auch dem Schutz der Sozialkassen vor willkürlich herbeigeführter Bedürftigkeit, auch ein nachträglicher Verzicht müsse daher unwirksam sein, soweit er anspruchsauslösende Wirkung habe156. Bei dieser Erwägung steht somit nicht eine unmittelbare Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers als Partei des Verzichtsvertrages im Vordergrund. Der Schutz durch arbeitsrechtliche Unabdingbarkeit soll hier primär einem für das konkrete Arbeitsverhältnis externen, ordnungspolitischen Ziel dienen. Auf ordnungspolitische und insbesondere sozialrechtliche Wechselwirkungen des arbeitsrechtlichen Verzichts und deren mögliche Implikationen für die Verzichtsbefugnis soll im 6. Kapitel vertieft eingegangen werden.
D. Zusammenfassung Soweit die – in ihrer Richtung unterschiedliche – Kritik der Literatur an der Rechtsprechung zur Verzichtbarkeit unabdingbarer gesetzlicher Ansprüche ihre Argumentation auf Wortlaut und Systematik der Unabdingbarkeitsnormen stützt, vermag sie nicht zu überzeugen. Derartige Ansätze erweisen sich ihrerseits als mit den klassischen Auslegungsmethoden nicht verifizierbar. Mangels eindeutigen Wortlautes und mangels einer erkennbaren Regelungssystematik sind die Unabdingbarkeitsnormen selbst für die Frage der Verzichtbarkeit von untergeordneter Bedeutung. Damit erscheint es weiter zulässig, den Verzicht auf nach allgemeiner Ansicht unabdingbare Ansprüche oder Rechte ohne ausdrückliche Anordnung der Unabdingbarkeit, wie etwa den Verzicht auf Zeugniserteilung oder Kündigungsschutz, in eine vergleichende Betrachtung mit einzubeziehen. Für die Bestimmung der Reichweite der Unabdingbarkeit im Einzelfall müssen die Antworten im Sinn und Zweck der Anordnung der Unabdingbarkeit der geschützten Norm gesucht werden. Nicht ein allgemeiner Schutzzweck der Unabdingbarkeit, sondern der mit der Unabdingbarkeit in einer bestimmten Norm konkret verfolgte Zweck müssen das Auslegungsergebnis prägen (pluralistischer Ansatz157). Konsistente Ergebnisse können so jedoch nur gefunden werden, wenn zur Ermittlung der jeweiligen Schutzbedürftigkeit vergleichbare Maßstäbe angelegt werden. Eine isolierte, 156
Vgl. insb. LAG Düsseldorf vom 26.10.1971 – 11 Sa 608/70 – DB 1972, 196; BAG vom 11.6.1976 – 5 AZR 506/75 – AP LohnFG § 9 Nr. 2 [unter II. 7. b)]; Kunze, DOK 1980, 77 – 82; Salje, NZA 1990, 299, 300; Eichenhofer, VSSR 1991, 185 ff. 157 Vgl. die entsprechende Begriffsbildung bei Hofmann, FS 25 Jahre BAG, S. 217 ff.
D. Zusammenfassung
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losgelöste Bestimmung der Schutzmaßstäbe führt leicht zu wertungswidersprüchlichen Ergebnissen. Die Möglichkeit differierender Ergebnisse ist einem pluralistischen Ansatz zwar grundsätzlich immanent, soweit sich solche Differenzen ergeben, sind diese jedoch begründungsbedürftig. Methodischer Ansatzpunkt der teleologischen Auslegung muss deshalb auch bei Verfolgung eines pluralistischen Ansatzes sein, von gemeinsamen Grunderwägungen zu Zweck und Zielen der Unabdingbarkeit arbeitsrechtlicher Normen auszugehen, um die Reproduzierbarkeit der Ergebnisse zu gewährleisten, d.h. ihnen den Anschein einer ausschließlich von Billigkeitserwägungen im Einzelfall gesteuerten Beliebigkeit zu nehmen. Diese allgemeinen Grunderwägungen können dann im Einzelfall durch sich aus der Anspruchs- oder Rechtsnatur ergebende Besonderheiten überlagert sein.
3. Kapitel
Das Verhältnis von Unabdingbarkeit und Unverzichtbarkeit arbeitsvertragsrechtlicher Ansprüche A. Generelle Unverzichtbarkeit als Folge der Unabdingbarkeit? – Der monistische Ansatz Trieschmanns, Strassers u. a. I. Gesetzlich angeordnete Unverzichtbarkeit als dogmatischer Ausgangspunkt Die generelle Gleichsetzung von Unabdingbarkeit und Unverzichtbarkeit wird von Teilen des Schrifttums nicht nur für tarifliche, sondern auch für unabdingbare gesetzliche Ansprüche propagiert1. Die zeitlich unbegrenzte Wirkung der Unabdingbarkeit auch über die Entstehung des Anspruchs und das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus soll nach dieser Auffassung der Regelfall der Unabdingbarkeit sein2. Wenn eine Rechtsnorm in diesem Sinne Unabdingbarkeitswirkung habe, so bestünde diese Wirkung grundsätzlich zeitlich unbegrenzt. Dies ergebe sich für tarifliche Ansprüche nach allgemeiner Ansicht aus § 4 Abs. 4 Satz 1 TVG. Sofern nicht die Norm selbst entsprechende Einschränkungen vorsehe – wie z. B. § 619 BGB und § 62 Abs. 4 HGB bestimmen, dass die in diesen Vorschriften bezogenen Arbeitgeberverpflichtungen nur im Voraus nicht vertraglich abgeändert werden können – sollen nach dieser Ansicht auch nachträgliche Verfügungen über entstandene Ansprüche aus unabdingbaren Normen generell nicht zulässig sein. 1 Trieschmann, Zum Verzicht des Arbeitnehmers auf unabdingbare gesetzliche Ansprüche, RdA 1976, 68, 69; Strasser, Der Verzicht auf unabdingbare arbeitsrechtliche Ansprüche, DRdA 1955 Heft 15, 13 ff.; Eypeltauer, Verzicht und Unabdingbarkeit im Arbeitsrecht, Heckelmann, Anm. zu BAG vom 11.6.1976 – 5 AZR 506/75 – SAE 1977, 260 ff.; Wedde/Gerntke/Kunz/Platow EFZG § 12 Rn. 18 ff.; ErfK - Dörner EFZG § 12 Rn. 12; LAG Berlin vom 9.6.1971 – 2 Sa 8/71, Sabel – EEK II/035; im Anschluss an Dörner neuerdings auch LAG Köln vom 28.6.2002 – 11 Sa 1315/01 – JURIS KARE 600006784. 2 Vgl. insb. Trieschmann, a. a. O.; Heckelmann, a. a. O.
A. Generelle Unverzichtbarkeit als Folge der Unabdingbarkeit?
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Derartigen Ansichten liegt eine monistische, systemorientierte Betrachtungsweise zu Grunde, die ihre Ergebnisse nicht primär am konkreten Schutzbedürfnis des Arbeitnehmers hinsichtlich eines bestimmten Anspruchs oder Rechts in einer bestimmten Situation orientiert, sondern in der Unabdingbarkeit einen generellen Ausschluss der Vertragsfreiheit hinsichtlich der Befugnis der Arbeitsvertragsparteien zum Abschluss eines Verzichtsvertrages verortet3. Bereits oben wurde gezeigt, dass die gesetzessystematischen Argumente, die für diese in erster Linie durch ihre Geschlossenheit bestechende Ansicht sprechen, keineswegs zwingend sind4. Entgegen Trieschmann u. a. lässt sich aus Wortlaut und Systematik der Unabdingbarkeitsnormen ohne ausdrückliche zeitliche Einschränkung gerade nicht gesichert ableiten, dass der Gesetzgeber damit auch die Befugnis der Parteien zum Erlassvertrag nach § 397 BGB ausschalten wollte. Nimmt man nur Wortlaut und gesetzessystematische Argumente ins Blickfeld, so besteht ein non liquet5.
II. Begründungslastverteilung Es ist deshalb weiter zu fragen, ob eine derart weite Auslegung der Unabdingbarkeitswirkung auch über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus allgemein und generell nach Sinn und Zweck der Unabdingbarkeit angezeigt ist. Entscheidende Bedeutung gewinnt dabei die Frage, auf welcher Seite man die Begründungslast für oder gegen eine generelle Folgerung der Unverzichtbarkeit aus der gesetzlich angeordneten Unabdingbarkeit sieht6. Trieschmann sieht die Begründungslast auf der Seite derjenigen, die die seiner Ansicht nach stets zeitlich unbeschränkt bestehende Unabdingbarkeitswirkung im Wege der teleologischen Reduktion einschränken wollen7. Das ist von seinem Ausgangspunkt aus betrachtet konsequent. Er kann es in seiner Argumentation deshalb etwa bei dem recht vagen Hinweis belassen, dass selbst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch „Zwänge“ denkbar seien, die den Arbeitnehmer geneigt machen könnten, Abbedingungsvereinbarungen einzugehen, beispielsweise, weil ein Familienmitglied noch Arbeitnehmer des früheren Arbeitgebers sei oder es demnächst werden solle8. Er kann zudem für die Unzulässigkeit des von ihm schwerpunkt3 4
Trieschmann, a. a. O., 68, 70. Vgl. oben, 2. Kapitel: B. II. und insb. Hofmann, FS 25 Jahre BAG, S. 217,
228. 5
Hofmann, ebenda. Allgemein zur Begründungslast im Zivilrecht Krebs, Die Begründungslast, AcP 195 (1995), 171 ff. 7 Trieschmann, RdA 1976, 68, 70; ebenso Heckelmann a. a. O.; Eypeltauer, S. 55. 6
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3. Kap.: Verhältnis von Unabdingbarkeit und Unverzichtbarkeit
mäßig betrachteten Verzichts auf Entgeltfortzahlungsansprüche den Vergleich mit dem nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts unzulässigen Verzicht auf Urlaubsabgeltungsansprüche ins Feld führen9. Auch der Charme der Einfachheit spricht für diese Auffassung: Es erübrigen sich differenzierte und feinsinnige Begründungen zu einzelnen Schutzanliegen der Unabdingbarkeitsanordnung, wie sie das Bundesarbeitsgericht zum Verzicht auf Entgeltfortzahlungsansprüche anstellt10. Verzichtsklauseln über unabdingbare gesetzliche Ansprüche und Rechte in Aufhebungs- oder Abwicklungsverträgen wären ausnahmslos unzulässig, was gegenüber der zersplitterten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts11 eine erhebliche Vereinfachung der Rechtslage und damit auch eine Erhöhung der Rechtssicherheit mit sich brächte. Diese Argumente mögen ausreichen, um die Ablehnung einer teleologischen Reduktion der von Trieschmann aus gesetzessystematischen Gründen für absolut unverzichtbar gehaltenen zwingenden Ansprüche zu begründen. Entsprechend belegt Trieschmann seine Ansicht auch nicht primär mit dem Ergebnis einer teleologischen Analyse; für ihn ist die Autorität einer von ihm erblickten gesetzgeberischen Grundentscheidung maßgeblich, die er aus Wortlaut und Systematik herzuleiten sucht12. Offen bleibt allerdings, wie Trieschmann die Grenzen der Unabdingbarkeitswirkung der zwingenden arbeitsrechtlichen Normen bestimmen will, denen eine ausdrückliche Anordnung der Unabdingbarkeit überhaupt fehlt. Anders stellt sich die Lage dar, wenn man das Regel-Ausnahme-Verhältnis anders herum betrachtet, den nachträglichen Verzicht also nicht bereits nach Wortlaut und Systematik als generell von der Unabdingbarkeit erfasst ansieht. Die Begründungslast liegt dann auf der Seite derjenigen, die die Wirkung der Unabdingbarkeit über die Abbedingung und das allgemein anerkannte Verbot des Vorausverzichts hinaus ausdehnen wollen. Aus dem allgemeinen Sinn und Zweck der Unabdingbarkeitsanordnung müssten sich dann teleologische Argumente herleiten lassen, die auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses generell und immer geeignet sind, aus der Unab8 Trieschmann, RdA 1976, 68, 69; vgl. auch Dorndorf, Anm. zu BAG vom 21.12.1972 – 5 AZR 319/72 – SAE 1974, 115, 117, der jedoch einen Ausschluss der Verzichtsbefugnis nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ablehnt. 9 Vgl. dazu im Einzelnen oben, 2. Kapitel: B. III. 1. 10 In diesem Sinne für den Entgeltfortzahlungsanspruch auch ErfK – Dörner EFZG § 12 Rn. 12; vgl. allgemein zu den divergierenden Schutzrichtungen der Unabdingbarkeit oben, 2. Kapitel: C. 11 Vgl. die Rechtsprechungsübersicht oben, 2. Kapitel: A. mit den dortigen Nachweisen. 12 Trieschmann, RdA 1976, 68, 70; ähnlich für den Entgeltfortzahlungsanspruch auch ErfK - Dörner EFZG § 12 Rn. 12.
A. Generelle Unverzichtbarkeit als Folge der Unabdingbarkeit?
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dingbarkeit auch das Verbot des nachträglichen Verzichtsvertrages zu begründen.
III. Paternalistischer Arbeitnehmerschutz als absoluter Schutzgrund? Einige Befürworter der generell zeitlich unbegrenzten Unabdingbarkeitswirkung stellen den Schutz des Arbeitnehmers „vor sich selbst“ sowie das soziale Schutzprinzip des Arbeitsrechts, das den Gesetzgeber zur Schaffung unabdingbarer Ansprüche veranlasst habe, in den Vordergrund13. Die Sicherung eines Mindestlebensstandards, die „Versorgungsfunktion des Arbeitnehmerschutzrechts“, seien grundlegende Gedanken der arbeitsrechtlichen Unabdingbarkeit, die selbst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch tragend seien, da es auch dann immer noch um die Sicherung des noch nicht erreichten Mindeststandards gehe14. Sinn und Zweck der arbeitsrechtlichen Unabdingbarkeit sollen es danach „aus Gründen des Sozialschutzes“ generell gebieten, den abhängigen Arbeitnehmer allgemein und umfassend zu seinem eigenen Wohl auch gegen seinen ausdrücklichen Willen vor den Risiken einer arbeitsrechtlichen Verzichtsvereinbarung zu schützen15. Rechtspolitisch motivierte Sozialschutzerwägungen und rechtstheoretische Analysen der Unabdingbarkeit werden dabei von den Vertretern des monistischen Ansatzes häufig bedenklich vermengt. Der gut gemeinte „Schutz des Arbeitnehmers“ wird so zum Selbstzweck der teleologischen Analyse der Unabdingbarkeit, der sich losgelöst vom Nachweis des Vorhandenseins einer Schutzbedürftigkeit auch gegen den erklärten Willen der Vertragsparteien durchsetzen soll. Wenn aber der Arbeitnehmer unabhängig vom Vorliegen einer seine freie Entscheidungsfähigkeit beeinträchtigenden Situation nicht berechtigt sein soll, durch einen Verzicht über den ihm zustehenden Anspruch zu disponieren, so ist die Legitimität dieser Einschränkung seiner Vertragsfreiheit problematisch. Überspitzt gesagt läuft eine derart weite Einschränkung der Vertragsfreiheit darauf hinaus, den Arbeitnehmer als geschäftsfähige Person, also als vernünftiges, frei wollendes Wesen, nicht anzuerkennen16. Der generalisierend verstandene Arbeitnehmerschutz durch 13 Heckelmann, SAE 1977, 257, 261; Schwarz, DRdA 1956, 120 f.; Strasser, DRdA 1955, Heft 15, 15; einschränkend auch Dorndorf, Anm. zu BAG vom 21.12.1972 – 5 AZR 319/72 – SAE 1974, 115, 118 für den Entgeltfortzahlungsanspruch. 14 So vor allem Eypeltauer, S. 54 f. (primär zum österreichischen Recht). 15 Vgl. insb. Eypeltauer, S. 52 und Schwarz, DRdA 1956, 120, der im Anschluss an Strasser die Versorgungsfunktion zwingenden Rechts zur Sicherung eines Mindestlebensstandards betont; vgl. Strasser, DRdA 1955, Heft 15, 13, 15, 17.
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3. Kap.: Verhältnis von Unabdingbarkeit und Unverzichtbarkeit
Unabdingbarkeit hat damit eine problematische, freiheitseinschränkende Komponente. Konstellationen des wohlmeinenden Eingriffs in die Entscheidungsfreiheit des zu Schützenden werden als sog. „Schutz vor sich selbst“ in der moralphilosophischen Literatur und neuerdings auch in der Rechtsdogmatik häufig unter dem Schlagwort des Paternalismus abgehandelt17. Der Begriff des Paternalismus leitet sich vom lateinischen Wort „Pater“ ab, entsprechend ist dieser Begriff durch das väterliche, fürsorgliche „Besserwissen“ charakterisiert18. Aus dieser Ableitung mag auch die negative Konnotation resultieren, die dem Begriff des Paternalismus zu Eigen ist. Er erinnert zum einen an feudale Strukturen19, zum anderen legt er die Vorstellung nahe, dass Personen zu Unrecht wie Kinder behandelt, gegängelt oder bevormundet werden20. Mit der Verwendung des Begriffs Paternalismus soll hier jedoch kein Unwerturteil präjudiziert werden. Mit Eidenmüller21 und auch Enderlein22 soll grundsätzlich wertneutral und allgemein eine bestimmte Handlung – sei es diejenige einer einzelnen Person, sei es der Erlass eines Gesetzes – als Paternalismus bezeichnet werden, wenn sie erstens zum Wohl der von ihr betroffenen Person oder Personen vorgenommen wird, und wenn sie zweitens auch dann vorgenommen werden würde, wenn der oder die Betroffenen ihr nicht zustimmen23. Paternalistischer Schutz ist nicht per se als unzulässig24 oder als den freiheitlichen Grundwerten des Grundgesetzes widersprechend einzuordnen25. 16 Bydlinski, Arbeitsrechtskodifikation und allgemeines Zivilrecht, S. 148, Fn. 274; vgl. auch Weitnauer, Der Schutz des Schwächeren im Zivilrecht, S. 23. 17 Schwarze, Arbeitnehmerbegriff und Vertragstheorie, ZfA 2005, 81, 83. 18 Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 359. 19 Vgl. Eidenmüller, S. 358. 20 Vgl. Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht, S. 8. 21 Eidenmüller, S. 359, mit zahlreichen weiteren Nachweisen aus dem internationalen Schrifttum. 22 Enderlein, S. 8, bietet eine etwas eingeschränkte Definition: „Als Paternalismus sollen begründungsbedürftige Beeinträchtigungen der Freiheit einer Person dazu bezeichnet werden, Handlungsalternativen wählen zu können, deren Wahl – jedenfalls nach Auffassung des Eingreifenden – dem Wohl der Person abträglich wäre oder dieses nicht maximierte, sofern diese Freiheitsbeeinträchtigung zumindest auch dem Zweck dient, die mögliche Selbstschädigung durch die Wahl der betreffenden Handlungsalternativen zu verhindern“. 23 Definition nach Eidenmüller, a. a. O. 24 Enderlein, S. 309 ff.; Schwarze, Arbeitnehmerbegriff und Vertragstheorie, ZfA 2005, 81, 90; Thüsing, Gedanken zur Vertragsautonomie im Arbeitsrecht, FS Wiedemann, S. 559, 567. 25 Zur Rechtsprechung des BVerfG zum sog. „Schutz vor sich selbst“ ausführlich Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 63 ff.
A. Generelle Unverzichtbarkeit als Folge der Unabdingbarkeit?
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Die mit ihm verbundene Autonomieeinschränkung macht ihn jedoch in aller Regel begründungsbedürftig26. Das Maß der Begründungsanforderungen kann dabei in vielfacher Hinsicht differieren. Es muss sich zum einen an der Schwere der Autonomiebeeinträchtigung orientieren. Zum anderen wird man dem Gesetzgeber, der paternalistischen Schutz ausdrücklich zum Gegenstand einer Norm macht, einen größeren Gestaltungsspielraum einräumen können27, als dies dem Gesetzesanwender bei der Auslegung zugebilligt werden kann28. Allein aus der Tatsache, dass der Gesetzgeber im Arbeitsrecht von der Anordnung der Unabdingbarkeit vielfach Gebrauch gemacht hat, kann nicht gefolgert werden, dass damit auch ein paternalistisch motivierter, genereller Ausschluss der Verzichtsbefugnis zureichend legitimiert ist. Insbesondere ist es unzulässig, diffuse Sozialschutzerwägungen mit der Legitimation paternalistischen Schutzes zu vermengen oder damit gleichzusetzen29. Das ergibt sich vor allem daraus, dass der unabdingbarkeitsspezifische Ausschluss der Verzichtsbefugnis im Arbeitsrecht auch nicht-paternalistisch gedeutet werden kann30. Nicht-paternalistisch ist er vor allem dann, wenn er als Kompensation einer objektiv vorhandenen, so genannten arbeitnehmertypischen „Unterlegenheit“ gerechtfertigt erscheint. Dieser Schutz dient dann – jedenfalls nicht ausschließlich – einem so genannten „Schutz vor sich selbst“ i. S. eines Schutzes vor unerkannt unvernünftigen Vertragsschlüssen. Ebenso wenig kann man ihn mit einer „sozialen Versorgungsfunktion“ gleichsetzen. Für die Unzulässigkeit des Verzichts aufgrund einer latenten Drucksituation des Arbeitnehmers während des laufenden Arbeitsverhältnisses hat Nipperdey bereits 1924 eine Vielzahl von Argumenten geliefert31, die im Wesentlichen auf dem Gedanken der wirtschaftlichen Unterlegenheit des Arbeitnehmers als Folge der das Arbeitsrecht konstituierenden Situation der persönlichen Abhängigkeit, d.h. dem Unterworfensein unter eine funktionelle Autorität, fußen32. Diese im Kern nicht-paternalistischen Argumente entfallen, wenn und soweit im Zuge der Beendigung des Arbeitsverhältnisses33 die Entscheidungen des Arbeitnehmers nicht mehr als 26
Enderlein, S. 10. Vgl. Enderlein, S. 129. 28 Vgl. Enderlein, S. 129 ff. 29 Bedenklich insoweit unlängst auch Altenburg/Reufels/Leister, Der Vorausverzicht auf den Abfindungsanspruch aus § 1a KSchG, NZA 2006, 71, 74, 76. 30 Vgl. Enderlein, S. 477 ff. 31 Nipperdey, Beiträge zum Tarifrecht, S. 18 ff. 32 Vgl. Migsch, FS Strasser, S. 255, 260. 33 Über den in diesem Zusammenhang relevanten Zeitpunkt Migsch, FS Strasser, S. 255, 260 m. w. N. und Schwarz, DRdA 1956, 120 einerseits; Hofmann, FS 25 Jahre BAG, S. 217, 239 andererseits; vgl. auch 5. Kapitel: E. I. 1. 27
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3. Kap.: Verhältnis von Unabdingbarkeit und Unverzichtbarkeit
durch die Spezifika der persönlichen Situation als abhängig Beschäftigter geprägt anzusehen sind34. Das pragmatische Argument der Rechtsvereinfachung – oder die Erwägung über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus fortbestehender „denkbarer Zwänge“ im Einzelfall – sind dagegen grundsätzlich nicht geeignet, die im Verzichtsverbot liegende generelle Einschränkung der zivilrechtlichen Vertragsfreiheit nicht-paternalistisch zu rechtfertigen35. Es bleibt also die Frage, welches Eigengewicht der Verzichtsfreiheit und damit der Vertragsfreiheit im Arbeitsrecht einzuräumen ist. Sieht man die Existenzberechtigung des Arbeitsvertragsrechts wesentlich in einer sozialen Versorgungsfunktion, so bleibt dem individuellen Willen der Arbeitsvertragsparteien über die Vertragsabschlussfreiheit hinaus kein wesentlicher inhaltlicher Gestaltungsraum. Der Schutz des Arbeitnehmers, verstanden als die umfassende Gewährleistung der Durchsetzbarkeit arbeitsrechtlicher Ansprüche zu seinem Wohl, müsste sich dann gegenüber dem erklärten Willen der Vertragsparteien durchsetzen. Im hier betrachteten Zusammenhang hieße das, dass die Reichweite der Unabdingbarkeit als sich grundsätzlich auch über das Ende des Arbeitsverhältnisses erstreckend ausgelegt werden müsste, um dem gesetzgeberischen Schutzanliegen zur umfassenden Geltung zu verhelfen. Mit dem allgemeinen zivilrechtlichen Denkmodell eines Vertrages unter gleichberechtigten Rechtssubjekten wäre ein derart verabsolutierter Sozialschutzgedanke, der sich generell und umfassend auch gegen den erklärten und tatsächlich frei gebildeten Willen der Partein durchsetzen soll, nicht zu vereinbaren36. Derart weitreichende Sozialschutzerwägungen würden insoweit eine Abkehr vom zivilrechtlichen Denkmodell zumindest für diesen Bereich des Arbeitsvertragsrechts erfordern. Ähnliches gilt für den so genannten „Schutz vor sich selbst“. Auch ein derart weitreichender paternalistischer Schutz wäre mit dem Grundprinzip der Vertragsfreiheit nicht kompatibel37.
34 Nipperdey, Beiträge zum Tarifrecht, S. 61 f.; vgl. auch Schwarze, Arbeitnehmerbegriff und Vertragstheorie, ZfA 2005, 81, 100. 35 Vgl. Hofmann, FS 25 Jahre BAG, S. 217, 234, 235; BAG vom 11.6.1976 – 5 AZR 506/75 – SAE 1977, 257, 259 (mit Anm. Heckelmann) = AP LohnFG § 9 Nr. 2; dies sieht wohl auch Trieschmann so, RdA 1976, 68, 70; vgl. auch Bydlinski, Arbeitsrechtskodifikation und allgemeines Zivilrecht, S. 150. 36 Vgl. Weitnauer, Der Schutz des Schwächeren im Zivilrecht, S. 15 ff., 23. 37 Vgl. dazu im Einzelnen die Ausführungen im 4. Kapitel.
B. Die Bedeutung des Vorverständnisses vom Arbeitsrecht
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B. Die Bedeutung des Vorverständnisses vom Arbeitsrecht Bei der Interpretation und Fortbildung arbeitsrechtlicher Normen und Rechtsinstitute stellt sich damit die weitere Frage, ob die Rechtsfindung primär auf allgemeine zivilrechtliche Grundsätze und Wertungsmaßstäbe zurückgreifen kann und deshalb eine möglichst weitgehende Harmonisierung mit den Regeln des allgemeinen Zivilrechts angestrebt werden soll, oder aber Lösungen nach eigenständigen, arbeitsrechtsspezifischen Maßstäben unter weitgehender Vernachlässigung des dogmatischen Rüstzeugs des Zivilrechts gefunden werden müssen38. Das Vorverständnis vom Arbeitsvertragsrecht als eigenständiges und möglichst umfassendes Schutzrecht des Arbeitnehmers einerseits39 oder Teil der Privatrechtsordnung mit nur kompensatorisch wirkenden Schutzelementen andererseits40 determiniert damit bereits den Ansatzpunkt teleologischer Gesetzesauslegung41. Die Einordnung des Arbeitsvertragsrechts als Teil des Zivilrechts oder als eigenständiges Rechtsgebiet mit eigenen Auslegungsmaßstäben gewinnt daher hier als Vorfrage zentrale Bedeutung für die Bestimmung der zu Grunde liegenden Wertungsmaßstäbe und Leitlinien42. Sieht man den Schutz des abhängig Beschäftigten vor Zumutungen des Arbeitgebers als Wesenskern und zentrale Leitlinie des Arbeitsrechts, so müsste die teleologische Auslegung unter dem Primat der Schutzmaximierung stehen. Die extensive Auslegung der Reichweite der Unabdingbarkeit unterliegt dann keinen grundsätzlichen Bedenken, weil sie – jedenfalls prima facie – geeignet ist, dieses Schutzanliegen optimal zu fördern. Nimmt man dagegen den Gedanken der Vertragsfreiheit und die Gewährleistung der Selbstbestimmung des Arbeitnehmers unter den realen Bedingungen des Arbeitsverhältnisses als Leitlinie, so wird die Maximierung der materiell verstandenen Entscheidungsfreiheit des Arbeitnehmers zum Primat der teleologischen Auslegung43; die reale Freiheit, nicht der Schutz des Ar38 Schlüter, Arbeitsrecht als Teil der Privatrechtsordnung, Rechtstheorie 2000, 395, 397. 39 Vgl. z. B. Schwarz, a. a. O. 40 Vgl. dazu Gast, „Herr und Knecht“ – Hegels Dialektik und die Dogmatik des Arbeitsrechts, FS Kissel, S. 249, 252 f. 41 Eingehend Gast, Das Arbeitsrecht als Vertragsrecht, S. 3 ff.; vgl. Hofmann, FS 25 Jahre BAG, S. 217, 233 und aus rechtshistorischer Perspektive dazu auch Rückert, „Frei“ und „sozial“: Arbeitsvertrags-Konzeptionen um 1900 zwischen Liberalismen und Sozialismen, ZfA 1992, 225 ff. 42 Vgl. Schlüter, Rechtstheorie 2000, 395, 397. 43 Vgl. Thüsing, Gedanken zur Vertragsautonomie im Arbeitsrecht, FS Wiedemann, S. 559, 562.
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3. Kap.: Verhältnis von Unabdingbarkeit und Unverzichtbarkeit
beitnehmers wird zur normativen Leitlinie44. Der Schutz durch arbeitsrechtliche Unabdingbarkeit ist dann nicht primär Selbstzweck, sondern eines von mehreren denkbaren Mitteln zum Schutz des Arbeitnehmers vor – materiell verstanden – „unfreiwilliger“ Preisgabe seiner Rechte oder Ansprüche. Ihre Grenze muss grundsätzlich dort liegen, wo die Beschränkung der formellen Entscheidungsfreiheit des Arbeitnehmers hinsichtlich der Eingehung eines Verzichtsvertrages nicht mehr in rechtlich relevanter Weise durch ein spezifisches Schutzbedürfnis gerechtfertigt ist45. Mit einer pointierten Formulierung von Richardi geht es damit letztlich um die Frage, ob man das Fundament des Arbeitsrechts im Schutz des zur abhängigen Arbeit Verpflichteten oder in der Gewährleistung der persönlichen Freiheit des Arbeitnehmers unter realen Bedingungen der abhängigen Arbeit sieht46. Die Einordnung des Arbeitsvertragsrechts als Teil des Zivilrechtssystems einerseits oder eigenständiges Rechtsgebiet andererseits und damit einhergehend die Bedeutung von Privatautonomie und Individualvertragsfreiheit im Arbeitsrecht ist in der Arbeitsrechtswissenschaft über Jahrzehnte heftig umstritten gewesen47. Vielfach wurde dem Arbeitsverhältnis – allerdings mit im Detail zahlreichen Schattierungen – ein personenrechtlicher Einschlag beigemessen und/oder ein gemeinschaftsrechtlicher Charakter in den Vordergrund gestellt, um besondere wechselseitige Treue- und Fürsorgepflichten im Arbeitsverhältnis zu begründen, hinter denen allgemeine schuldrechtliche Grundsätze zurückzutreten hätten48. Die spätere Rechtsprechung des Reichsarbeitsgerichts wie auch die frühe Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist von derartigen Tendenzen zur Abkehr von klassisch schuldrechtlichen Auslegungsgrundsätzen nicht unbeeinflusst geblieben49. Eine detaillierte Darstellung der Entwicklung der verschiedenen Arbeitsrechtstheorien mit ihren unterschiedlichen Schattierungen im jeweiligen rechtshistorischen Kontext würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen50, zumal sich alle Konzeptionen auf nur zwei prinzipielle normative Positionen 44
Vgl. Rückert, „Frei“ und „sozial“: Arbeitsvertrags-Konzeptionen um 1900 zwischen Liberalismen und Sozialismen, ZfA 1992, 225, 285 und passim. 45 Vgl. Thüsing, a. a. O. 46 Vgl. Richardi, Der Arbeitsvertrag im Zivilrechtssystem, ZfA 1988, 221, 237 f. 47 Vgl. die Darstellung der rechtshistorischen Entwicklung bei Annuß, Der Arbeitsvertrag als Grundlage des Arbeitsverhältnisses, ZfA 2004, 283 ff. 48 So die noch in den 60er Jahren wohl herrschende Meinung, vgl. statt vieler Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts I, § 22 II. 1., S. 128 f.; Nikisch Bd. 1 § 25 I 2, S. 247 ff. und die Übersicht über den Meinungsstand bis 1970 bei Schwerdtner, Fürsorgetheorie und Entgelttheorie im Recht der Arbeitsbedingungen, S. 16 f. 49 Vgl. insb. Annuß, ZfA 2004, 283, 300, 303; Schlüter, Arbeitsrecht als Teil der Privatrechtsordnung, Rechtstheorie, S. 395, 404 m. w. N. aus der Rechtsprechung des RAG.
B. Die Bedeutung des Vorverständnisses vom Arbeitsrecht
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reduzieren lassen: Man konstruiert entweder grundsätzlich pro libertate oder ohne grundsätzliche Rücksicht auf die Freiheit des Einzelnen51. Zudem ist die Bedeutung der emanzipatorischen Konzeptionen des Arbeitsvertragsrechts in der rechtswissenschaftlichen Diskussion seit den 70er Jahren deutlich geschwunden52. Insbesondere die Theorien, die das Arbeitsverhältnis unter weitgehender Abkehr von der Systematik des schuldrechtlichen Vertrages primär als personenrechtliches Gemeinschaftsverhältnis verstanden, können mittlerweile wohl als überwunden angesehen werden53. Der folgende arbeitsrechtshistorische Überblick beschränkt sich daher holzschnittartig auf das zur Verdeutlichung der Bedeutung des Vorverständnisses von Regel und Ausnahme bei der Auslegung der Reichweite der Unabdingbarkeit Notwendige.
I. Die These von der Eigenständigkeit des Arbeitsrechts Das Argument der Unzulänglichkeit des bürgerlichen Rechts, den sozialen Erfordernissen der Industriegesellschaft Rechnung zu tragen, bildete Anfang des 20. Jahrhunderts die zentrale Triebfeder für Forderungen nach einer Verselbstständigung des Arbeitsrechts unter Loslösung von der Privatrechtssystematik54. Das am 1. Januar 1900 in Kraft getretene Bürgerliche Gesetzbuch konnte in der damals vorherrschenden Lesart die vielfältigen Probleme des modernen Arbeitslebens nicht angemessen bewältigen, weil es vom Sozialmodell der vorindustriellen Gesellschaft geprägt war55. Dem mit der Verelendung des Industrieproletariats offenkundig gewordenen sozialen Schutzdefizit der Vorschriften des BGB wurde zunächst vor allem 50
Eine detaillierte Untersuchung unter rechtshistorischem Blickwinkel findet sich bei Rückert, „Frei“ und „sozial“: Arbeitsvertrags-Konzeptionen um 1900 zwischen Liberalismen und Sozialismen, ZfA 1992, 225 ff. 51 Rückert, ZfA 1992, 225, 281. 52 Annuß, a. a. O., S. 308; vgl. zur krit. Auseinandersetzung E. Wolf, S. 79 ff.; Ballerstedt, Probleme einer Dogmatik des Arbeitsrechts, RdA 1976, 5, 9 ff. und Schwerdtner, a. a. O. 53 Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, S. 14; Heinze, Rechtsprobleme des sog. echten Leiharbeitsverhältnisses, ZfA 1976, 183, 197; Wiese, Der personale Gehalt des Arbeitsverhältnisses, ZfA 1996, 439, 451 f.; instruktiv zur allmählichen Abkehr von dieser Lehre: Wiedemann, Das Arbeitsverhältnis als Austausch- und Gemeinschaftsverhältnis (1966), S. 35 ff.; vgl. auch Däubler, Die Auswirkung der Schuldrechtsmodernisierung auf das Arbeitsrecht, NZA 2001, 1329, 1330; anders noch ders., Individuum und Kollektiv im Arbeitsrecht, NZA 1988, 857, 863 f. und Gamillscheg, Zivilrechtliche Denkformen und die Entwicklung des Individualarbeitsrechts, AcP 176 (1976), 197 ff. 54 Schlüter, Rechtstheorie 2000, 395, 402. 55 Schlüter, a. a. O.
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3. Kap.: Verhältnis von Unabdingbarkeit und Unverzichtbarkeit
durch die Installierung eines Kollektivsystems (Tarifvertragsverordnung von 1919, Betriebsrätegesetz von 1920) sowie durch Arbeitsschutzvorschriften (Schwerbeschädigtengesetz von 1923, MuSchG von 1927) begegnet, während im Übrigen weiterhin das BGB als Ausgangspunkt für ein allgemein gültiges Arbeitsrecht betrachtet wurde56. Weitergehende emanzipatorische Tendenzen im sich als besonderes Rechtsgebiet formenden Arbeitsrecht gehen wesentlich auf Sinzheimer zurück. Wegen der Eigenart des Arbeitsrechts distanzierte er sich von den Grundwertungen des Zivilrechts und forderte unter Anknüpfung an Otto von Gierke eigene Rechtsgrundsätze für dieses Gebiet57; „das Arbeitsrecht sei vom Bürgerlichen Recht, dessen Geist ihm fremd sei, möglichst zu emanzipieren“58. Die Ablehnung einer Orientierung am bürgerlichen Recht wächst bei Sinzheimer mit der Herausstellung der Abhängigkeit als Grundproblem des Arbeitsrechts59. Das bürgerliche Recht gehe von der Freiheit des abstrakten Menschen aus und führe die Regelung der menschlichen Daseinsbeziehungen auf den menschlichen Willen zurück; dagegen gehe das Arbeitsrecht von der Abhängigkeit des konkreten, durch seine Klassenzugehörigkeit bestimmten Menschen aus, für den nicht nur eine abstrakte Lebensordnung gelten könne, sondern eine besondere Seinsordnung bestehen müsse, die ihre Rechtsfolgen nicht an den Willen, sondern an einen Zustand, in dem sich der Mensch befinde, anschließe60. Unter Berufung auf Potthoff führt er aus, der Arbeitsvertrag sei „ein eigener, personenrechtlich bestimmter, organisatorischer, wenn auch keineswegs nur organisatorischer, Vertrag“61. Sinzheimer sah im Arbeitsverhältnis nicht nur eine Schuldrechtsbeziehung, sondern auch ein Gemeinschaftsverhältnis, das besondere Fürsorgepflichten des Arbeitgebers begründe62. In der Folgezeit gingen Rechtsprechung und Teile der Rechtslehre davon aus, dass der Grundsatz der Privatautonomie wegen der persönlichen Ab56 Vgl. zum Verständnis der Rechtsnatur des Arbeitsvertrages als gegenseitigen, obligatorischen Vertrag im Kaiserreich insbesondere Lotmar, Der Arbeitsvertrag I., S. 34 ff.; Schlüter, a. a. O. 57 Vgl. Rückert, ZfA 1992, 225, 271 ff. m. w. N. 58 Sinzheimer, Über den Grundgedanken und die Möglichkeit eines einheitlichen Arbeitsrechts für Deutschland (1914), in: Sinzheimer, Arbeitsrecht und Rechtssoziologie, Bd. 1, S. 35, 49 f. 59 Richardi, Der Arbeitsvertrag im Zivilrechtssystem, ZfA 1988, 221, 233 m. w. N. aus den Schriften Sinzheimers. 60 Sinzheimer, Die Krisis des Arbeitsrechts (1933), in: Sinzheimer, Arbeitsrecht und Rechtssoziologie, Bd. 1, S. 135, 138. 61 Sinzheimer, Philipp Lotmar und die deutsche Arbeitsrechtswissenschaft (1922), in: Sinzheimer, Arbeitsrecht und Rechtssoziologie, Bd. 1, S. 408, 413. 62 Sinzheimer, Der korporative Arbeitsnormenvertrag (1907), S. 2 ff.
B. Die Bedeutung des Vorverständnisses vom Arbeitsrecht
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hängigkeit des Arbeitnehmers ungeeignet sei, die Ordnungsprobleme des Arbeitsverhältnisses interessengerecht zu erfassen und zu lösen63. Die Privatautonomie sei kein geeignetes Instrument, weil sie die Selbstständigkeit des Individuums voraussetze64. Die sich aus dieser Erkenntnis entwickelnde Lehre vom personenrechtlichen Gemeinschaftsverhältnis diente demnach dazu, Funktionsdefizite des bürgerlichen Rechts aufzuzeigen und dessen Strukturprinzipien wegen angeblicher Inkompatibilität aus dem Arbeitsrecht zu entfernen65. Weitergehend bestritt Potthoff 1922 sogar, dass das Arbeitsverhältnis überhaupt ein Schuldverhältnis i. S. des BGB sei66. Dem „Wesen des Arbeitsverhältnisses“ entnahm Potthoff den „fundamentalen Unterschied zwischen abhängiger und anderer Arbeit“; deshalb bezeichnete er es als „ein Unding, sie unter die gleichen Rechtsregeln zu stellen oder auch die für beide geltenden allgemeinen Rechtsregeln gleich auslegen zu wollen“. Daraus folge, „dass der Arbeitsvertrag nicht länger mehr als eine Unterart des Dienstvertrages des BGB gelten kann“67. Siebert löste sich in den dreißiger Jahren mit seiner Eingliederungstheorie vollständig vom Verständnis des Arbeitsverhältnisses als einer vertragsbegründeten Rechtsbeziehung68. Er erblickte im Arbeitsverhältnis einen personenrechtlichen Tatbestand eigener Art, dessen deutlichster Ausdruck sich in einem umfassenden Treueverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber finde69. Entsprechend resümiert Siebert, das Arbeitsverhältnis sei kein gegenseitiger Vertrag i. S. der §§ 320 ff BGB, sondern ein personenrechtliches Gliedschaftsverhältnis eigener Art; die Wirkungen dieses Arbeitsverhältnisses seien nicht auf dem freien Geschäftswillen der Parteien, sondern unmittelbar in der Ordnung des Gemeinschaftsverhältnisses gegründet70. Unabhängig von der rechtlichen Interpretation des Entstehungsgrundes führte das personenrechtliche Verständnis vom Arbeitsverhältnis zu weit in den privaten Bereich ausgreifender Verpflichtungen der Beteiligten. Vorrechtlich begründete, heteronome Vorstellungen und nicht mehr das privat63
Schlüter, Rechtstheorie 2000, 395, 403; Annuß, a. a. O., S. 300. Schlüter, ebenda. 65 Schlüter, a. a. O., S. 404. 66 Potthoff, Ist das Arbeitsverhältnis ein Schuldverhältnis?, ArbR 1922, Sp. 267 ff. (zitiert bei Richardi, ZfA 1988, 221, 236). 67 Potthoff, a. a. O. (zitiert bei Richardi, ZfA 1988, 221, 236). 68 Siebert, Das Arbeitsverhältnis in der Ordnung der nationalen Arbeit (1935), S. 15; vgl. Annuß, ZfA 2004, 283, 301; Rückert, ZfA 1992, 225, 277. 69 Siebert, a. a. O., S. 82 f.; vgl. auch Annuß, a. a. O. 70 Siebert, a. a. O., S. 118; vgl. auch Annuß, a. a. O. 64
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3. Kap.: Verhältnis von Unabdingbarkeit und Unverzichtbarkeit
autonome gegenseitige Versprechen bestimmten so den Inhalt der gegenseitigen Verpflichtungen71. Welchen konkreten Inhalt das als personenrechtliches Gemeinschaftsverhältnis verstandene Arbeitsverhältnis danach haben sollte, blieb jedoch weitgehend im Dunkeln; eine wirklich überzeugende besondere Dogmatik des personenrechtlichen Rechtsverhältnisses konnte nicht entwickelt werden72. Nicht die Suche nach systemkonformen Lösungen für das Problem der realen Imparität der Arbeitsvertragsparteien, sondern die in der persönlichen Abhängigkeit des Arbeitnehmers gesehene Ursache wurde damit zunächst zum Dreh- und Angelpunkt der Arbeitsrechtslehre; in ihr fand man den Nachweis, dass das Grundprinzip der Privatautonomie im Arbeitsverhältnis keine Anwendung finden könne73. Der berechtigte Einwand, dass das bürgerliche Recht die spezielle wirtschaftlich-soziale Abhängigkeit des arbeitenden Menschen ignorierte, wurde als Nachweis fehlender Funktionsfähigkeit der Privatautonomie zur Integration der Arbeiterschaft in die Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung gewertet und führte gerade nicht zu der Schlussfolgerung, dass das Arbeitsrecht die Funktionsvoraussetzung einer rechtsgeschäftlichen Ordnung des Arbeitslebens durch punktuelle Kompensation der Funktionsdefizite herzustellen habe74. In der Konsequenz dieses Verständnisses liegt, dass der erklärte Wille der Vertragsparteien für den Inhalt des Arbeitsverhältnisses keine letztentscheidende Rolle spielen kann. Für die teleologische Auslegung der zeitlichen Reichweite der Unabdingbarkeit bedeutet das, dass der im Verzichtsvertrag zwischen den Arbeitsvertragsparteien zum Ausdruck kommende Wille auch dann kein maßgebliches Gewicht besitzt, wenn keine Anzeichen für eine Beeinflussung durch Druck des Arbeitgebers als typischerweise stärkere Vertragspartei oder Rationalitätsdefizite auf Seiten des Arbeitnehmers ersichtlich sind. Die unbedingte Gleichsetzung von Unverzichtbarkeit und Unabdingbarkeit auf der Ebene der teleologischen Gesetzesauslegung ließe sich aus Arbeitnehmerschutzerwägungen ohne größere Schwierigkeiten durch die diffuse Herleitung entsprechender Fürsorgepflichten des Arbeitgebers begründen. Es könnte sogar grundsätzlich bezweifelt werden, ob im Zusammenhang mit einem Arbeitsverhältnis überhaupt Verzichtsverträge i. S. des § 397 BGB geschlossen werden können, da ja die Anwendbarkeit des BGB-Schuldrechts grundsätzlich zur Disposition gestellt wurde. M. E. steht zu vermuten, dass die Kontroverse um die Reichweite der Unabding71
Annuß, ZfA 2004, 283, 302. Ebenda, 303; so später auch Siebert, Einige Entwicklungslinien im neueren Individualarbeitsrecht, RdA 1958, 366, 367. 73 Richardi, a. a. O., S. 237. 74 Vgl. Richardi, ebenda. 72
B. Die Bedeutung des Vorverständnisses vom Arbeitsrecht
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barkeit in den 60er und 70er Jahren ihre eigentlichen Wurzeln unausgesprochen zum guten Teil im Streit um die dogmatische Einordnung der rechtlichen Natur des Arbeitsverhältnisses hatte75. Durch die in den Theorien vom personenrechtlichen Gemeinschaftsverhältnis zum Ausdruck kommende prinzipielle Geringschätzung der Privatautonomie wird der Inhalt des Arbeitsverhältnisses in hohem Maße anfällig gemacht für von außen kommende, ideologisch motivierte Einflussnahmen76. Nahezu jedes Ergebnis der Auslegung vertragsrechtlicher Normen wird so – in Abhängigkeit vom jeweiligen Zeitgeist und gesellschaftspolitischer wie konjunktureller Großwetterlage – „begründbar“77. Insbesondere die weithin unbestimmten Begriffe von Treue und Fürsorge können sowohl für die einseitige Herabsetzung von Arbeitgeberleistungen zum Wohl des Betriebs in wirtschaftlich schwierigen Zeiten als Rechtfertigung herhalten, als auch für die Auferlegung immer neuer sozialpolitisch motivierter Leistungsverpflichtungen des Arbeitgebers unter dem Stichwort der Fürsorgepflicht eine „Legitimation“ liefern78. Die Qualifikation des Arbeitsvertrages als ein personenrechtliches Gemeinschaftsverhältnis ist damit geeignet, Freiheitsrechte des Arbeitnehmers einzuschränken bzw. einen „dogmatischen“ Ansatzpunkt für die Rechtfertigung möglicher Freiheitsbeschränkungen in der Person des Arbeitnehmers zu schaffen79. Den für diese Lehren tragenden Begriffen von Treue und Fürsorge fehlt es an systemimmanenten Grenzen, die ideologisch motivierte Instrumentalisierungen einhegen könnten.
II. Die rechtssystematische Einheit von Arbeitsrecht und Privatrechtsordnung Zu Recht betont die heute wohl allgemeine Auffassung, dass das Arbeitsvertragsrecht gegenüber dem bürgerlichen Recht kein eigenes Rechtsgebiet mit eigenen Normen, eigenen Grundsätzen und eigenen Auslegungsregeln ist80. 75
Vgl. auch das allgemeine Resümee bei Rückert, ZfA 1992, 225, 294. Vgl. insb. Schwerdtner, S. 68 ff. 77 Vgl. auch Ramm, Rezension von Wiedemann, Das Arbeitsverhältnis als Austausch- und Gemeinschaftsverhältnis, JZ 1968, 479 f. 78 Vgl. bereits Neumann, Das Arbeitsrecht in der modernen Gesellschaft, RdA 1951, 1, 2; siehe auch die Beispiele bei Schwerdtner, S. 73 ff. 79 Schwerdtner, S. 72. 80 Annuß, ZfA 2004, 283, 309; Schlüter, Rechtstheorie 2000, 397, 408, 412; Reuter, FS Hilger/Stumpf, S. 573 ff.; Bydlinski, Arbeitsrechtskodifikation und allgemeines Zivilrecht, S. 74 ff.; Zöllner, AcP 176 (1976), 221 ff.; krit. insoweit von May76
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3. Kap.: Verhältnis von Unabdingbarkeit und Unverzichtbarkeit
Die spezifisch arbeitsrechtlichen Schutzbedürfnisse erfordern auch deshalb keine grundsätzliche Abkehr vom System der Privatrechtsordnung, weil sich das bürgerliche Recht dem im Arbeitsrecht seit jeher präsenten Problem des tatsächlichen Machtgefälles der Vertragsparteien erheblich geöffnet hat81. Nicht nur das Arbeitsrecht, sondern auch das Zivilrecht haben sich seit der Ursprungsfassung des BGB von 1900 erheblich weiterentwickelt82. Mit der Schuldrechtsreform vom 1.1.2002, die u. a. die Eingliederung des AGB-Gesetzes und des Verbraucherschutzrechts in das BGB zum Gegenstand hatte, ist das Bemühen des Zivilrechts um Anpassung an veränderte Realitäten auch in formaler Hinsicht deutlich geworden83. Auch das Problem der so genannten „Vertragsimparität“ ist als solches nicht arbeitsrechtsspezifisch, auch im klassischen Privatrecht treten Ungleichgewichtslagen auf, die den Gesetzgeber zu zahlreichen Eingriffen in die Privatautonomie – beispielsweise im Wohnraummietrecht – veranlasst haben84. Der ehemals tiefe „Graben zwischen bürgerlichem Recht und Arbeitsrecht“ hat sich durch die tendenzielle Abkehr von einem ausschließlich formalen Verständnis der Vertragfreiheit erheblich verringert85. Das ändert jedoch im Grundsatz nichts daran, dass die Privatautonomie nach wie vor das wesentliche Strukturelement unserer Rechtsordnung und damit auch das maßgebliche Leitprinzip für die rechtliche Ordnung der Arbeitswelt ist86. Aus der rechtssystematischen Einheit von Arbeitsrecht und Privatrechtsordnung ergibt sich für die Verteilung der Begründungslast bei der Auslegung arbeitsrechtlicher Vorschriften eine erste grundsätzliche Folgerung: Nicht die Geltung zivilrechtlicher Grundsätze, sondern – im Gegenteil – ihre Nichtgeltung muss begründet werden87.
dell, der auch für das Arbeitsvertragsrecht eher die Nähe zum Sozialrecht betont, FS Kissel, S. 761, 763. 81 Richardi, ZfA 1988, 221, 254; Hönn, Zu den „Besonderheiten“ des Arbeitsrechts, ZfA 2003, 325, 355; Schlüter, a. a. O. 395, 407; Larenz/Wolf BGB AT § 2 Rn. 37 ff.; vgl. auch Canaris, AcP 200 (2000), 273 ff. 82 Vgl. dazu Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, S. 5 ff.; Larenz/Wolf BGB AT § 2, S. 22 ff. 83 Vgl. Hönn, ZfA 2003, 325, 353, 355 m. w. N. 84 Eingehend Schlüter, a. a. O. 85 Hönn, a. a. O. 86 Schlüter, a. a. O. 395, 407 unter Berufung auf Flume, Rechtsgeschäft und Privatautonomie, Bd. 1, Karlsruhe 1960, S. 143; Larenz/Wolf BGB AT § 2 Rn. 76. 87 Richardi, a. a. O.
C. Deutungs- und Rechtfertigungsmöglichkeiten des Verzichtsschutzes
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C. Vertragstheoretische Deutungs- und Rechtfertigungsmöglichkeiten des Verzichtsschutzes durch Unabdingbarkeit – eine Gedankenskizze für die weitere Untersuchung I. Das prinzipielle Eigengewicht der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit Mit der rechtssystematischen Einordnung des Arbeitsvertragsrechts in das System der Privatrechtsordnung ist die grundsätzliche normative Orientierung an den freiheitlichen Prinzipien von Privatautonomie und Vertragsfreiheit verbunden. Dem autonom gebildeten, rechtsgeschäftlichen Willen der Arbeitsvertragsparteien muss danach bei der Auslegung der Reichweite zwingenden Rechts zentrales Gewicht zukommen. Ausgangspunkt der Auslegung ist damit die grundsätzlich umfassende Dispositionsbefugnis der Parteien. Auch wenn der Gesetzgeber durch die Schaffung zwingenden Rechts diese Dispositionsbefugnis eingeschränkt hat, bleibt es bei der normativen Präponderanz dieser Prinzipien. Im Rahmen der teleologischen Auslegung unabdingbarer Normen muss deshalb als Grundsatz in dubio pro libertate gelten88. Die gut gemeinte Intention, den Arbeitnehmer vor den Folgen eines – vielleicht auch nur in den Augen des jeweiligen Richters oder Gesetzgebers – unvernünftigen, aber frei gewollten Handelns zu schützen, kann daher für sich genommen keine hinreichende Rechtfertigung für eine Einschränkung der Vertragsfreiheit durch zwingendes Recht sein89. Der Privatautonomie als einem Ordnungsmodell, das auf den Gedanken der Freiheit und der Selbstverantwortung beruht, kommt ein Eigenwert auch da zu, wo sie zum – im Folgenden noch näher zu definierenden – Schutz einer Vertragspartei eingeschränkt ist90. Dies gilt im Grundsatz für die allgemeine Inhaltskontrolle arbeitsrechtlicher Vereinbarungen gleichermaßen wie für die Auslegung spezieller arbeitsrechtlicher Schutzgesetze. Die bloße Unangemessenheit bzw. Nachteiligkeit einer Vereinbarung allein liefert deshalb noch keinen zureichenden Grund für deren Korrektur; entscheidendes Gewicht
88 Vgl. Hofmann, FS 25 Jahre BAG, S. 217, 237 und aus rechtshistorischer Perspektive Rückert, „Frei“ und „sozial“: Arbeitsvertrags-Konzeptionen um 1900 zwischen Liberalismen und Sozialismen, ZfA 1992, 225, 281 ff. 89 Thüsing, Gedanken zur Vertragsautonomie im Arbeitsrecht, FS Wiedemann, S. 559, 568. 90 Enderlein, S. 83 ff. mit ausführlicher rechtstheoretischer Begründung; Fastrich, Vom Menschenbild des Arbeitsrechts, FS Kissel, S. 193, 207 f.
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3. Kap.: Verhältnis von Unabdingbarkeit und Unverzichtbarkeit
hat, ob die vertragliche Vereinbarung das Resultat eines tatsächlich freien und fehlerfrei gebildeten Willens beider Seiten ist91. Arbeitsrechtlicher Schutz durch zwingendes Vertragsrecht kann im System des Zivilrechts zum einen als Kompensation spezifisch arbeitsrechtlicher Freiheitseinschränkungen betrachtet werden92. Er kann als Hilfsmittel zur Verwirklichung und Gewährleistung individueller Freiheit verstanden werden und bildet deshalb keine prinzipielle Gegenposition zum Grundgedanken der Privatautonomie93. Das bedeutet für die extensive teleologische Auslegung des Schutzes durch arbeitsrechtliche Unabdingbarkeit, dass der damit verbundene Eingriff in die formelle Vertrags- bzw. Verzichtsfreiheit der Arbeitsvertragsparteien einer tragfähigen Rechtfertigung bedarf, die mit der freiheitlichen Grundwertung des Zivilrechts kompatibel sein muss. Denkbar ist dies insbesondere dann, wenn es aufgrund der spezifischen Situation als Arbeitnehmer Anhaltspunkte dafür gibt, dass der dem Verzicht zu Grunde liegende, formelle rechtsgeschäftliche Wille regelmäßig nicht dem materiellen, „wirklichen“ Willen entspricht. Die Orientierung am Ziel der Gewährleistung materieller Entscheidungsfreiheit des Arbeitnehmers wird mit der Verortung des Arbeitsrechts in der Zivilrechtssystematik zu einem – wenn auch nicht zum einzigen – zentralen Anknüpfungspunkt für die Auslegung der Reichweite der Unabdingbarkeit arbeitsrechtlicher Schutzvorschriften. Wann aber ist der rechtsgeschäftliche Wille in diesem Sinne „frei“ gebildet94, wann heteronom bestimmt? Und unter welchen Umständen muss oder darf die Rechtsordnung im Arbeitsrecht eine Divergenz zwischen dem mit dem Verzichtsvertrag zum Ausdruck gekommenen formalen Rechtsgeschäftswillen und dessen materieller Fremdbestimmung anerkennen? Verbleibt bei einem auf der tatsächlichen Entscheidungsfreiheit basierenden Schutzsystem ein Anwendungsbereich für paternalistisch motivierte Gesetzesauslegung, und wenn ja, welcher? Mit der grundsätzlichen Verortung des arbeitsrechtlichen Schutzes durch zwingendes Recht im der Vertragsfreiheit verpflichteten Privatrechtssystem sind diese Fragen nicht beantwortet. Es steht jedoch mit dem auf der individuellen Freiheit des Einzelnen aufbauenden Grundgedanken der Vertragstheorie ein normatives System zur Verfügung, das durch die ihm immanenten Schranken prinzipiell in der Lage ist, sowohl Ober- als auch Untergrenzen für den Schutz des Arbeitnehmers – oder allgemein der „schwächeren 91
Thüsing, a. a. O. Vgl. Schwarze, Arbeitnehmerbegriff und Vertragstheorie, ZfA 2005, 81, 82 ff. 93 Gast, FS Kissel, S. 249, 253. 94 Instruktiv zum Gedanken der Willensfreiheit Roth, Fühlen, Denken, Handeln – Wie das Gehirn unser Verhalten steuert, S. 494 ff. 92
C. Deutungs- und Rechtfertigungsmöglichkeiten des Verzichtsschutzes
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Seite“ des Vertrags – durch staatliche Eingriffe in die (formelle) Vertragsfreiheit systemkonform zu begründen95.
II. Vertragstheoretische Rechtfertigungsansätze für eine Begrenzung der Vertragsfreiheit durch zwingendes Arbeitsvertragsrecht Die Vertragstheorie – verstanden als Theorie über den rechtlichen Sinn der Vertragsautonomie – liefert allgemein drei denkbare Grenzen der Vertragsautonomie; die erste, wenn der Vertrag das Ergebnis eines gestörten oder nicht richtig gebildeten Willens ist, eine zweite, wenn ein unzulässiger Freiheitsverzicht vorliegt und eine dritte, wenn der Vertrag Interessen Dritter oder der Gemeinschaft beeinträchtigt96. Im Folgenden sollen zunächst die ersten beiden, in der Vertragsbeziehung selbst liegenden Grenzen skizziert werden, um anschließend im 6. Kapitel auch mögliche Grenzen durch Drittbeeinträchtigung, insbesondere durch sozialrechtliche Implikationen arbeitsrechtlicher Ansprüche, in den Blick zu nehmen. 1. Störungen der rechtsgeschäftlichen Willensbildungsfreiheit a) Schutz vor Rationalitätsdefiziten (Täuschung, Irrtum, Überrumpelung) Möglichen Störungen der Willensbildung begegnet das BGB im Allgemeinen nicht durch einen Eingriff in den Vertragsinhalt durch zwingendes Recht, sondern dadurch, dass es der davon betroffenen Seite des Vertrages Möglichkeiten zugesteht, sich wieder vom Vertrag zu lösen97. Dies kann durch Anfechtung nach den §§ 123 oder 119 BGB oder – mit den entsprechenden vertragstypischen oder situativen Voraussetzungen – nach den spezielleren Verbraucherschutzvorschriften geschehen. Flankierend und vorbeugend wird der Willensbildungsvorgang zudem durch Formvorschriften für besonders risikoreiche Geschäfte geschützt. Auch von der Rechtsprechung entwickelte besondere Anforderungen an die Eindeutigkeit und Deutlichkeit für auf besonders risikoreiche Geschäfte abzielende Willenserklärungen, wie z. B. den in einer Ausgleichsquittung enthaltenen Verzicht auf Kündi95 Näher zu diesem Ansatz und seiner verfassungsrechtlichen Untermauerung im 5. Kapitel: D. III.; vgl. Thüsing, Gedanken zur Vertragsautonomie im Arbeitsrecht, FS Wiedemann, S. 559, 567; Dieterich, Grundgesetz und Privatautonomie im Arbeitsrecht, RdA 1995, 129, 134. 96 So Schwarze, Arbeitnehmerbegriff und Vertragstheorie, ZfA 2005, 81, 84 f. 97 Vgl. dazu ausführlich Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 49 ff.
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3. Kap.: Verhältnis von Unabdingbarkeit und Unverzichtbarkeit
gungsschutz oder Entgeltfortzahlungsansprüche, lassen sich, ähnlich wie Formvorschriften, als präventiv wirkender Schutz vor Rationalitätsdefiziten deuten. Allerdings soll auch der unmittelbar zur Nichtigkeit des Vertrages führende § 138 BGB nach herrschender Meinung Fallgruppen der unzulässigen Einflussnahme auf die Willensbildung eines anderen und deren Ausnutzung erfassen können98. Besonderheiten und Bedeutung allgemeiner Schutzinstrumentarien des Zivilrechts für die Rechtswirksamkeit arbeitsrechtlicher Verzichtverträge sollen im 7. Kapitel dieser Arbeit überblicksmäßig beleuchtet werden. Der Schutz durch zwingendes Recht bewirkt dagegen in seinem Anwendungsbereich den vollständigen Ausschluss der vertraglichen Dispositionsbefugnis der Parteien. Faktisch bewirkt er damit zugleich den Schutz vor den Folgen unzulässiger Beeinträchtigung der Willensbetätigungsfreiheit, indem er dem fehlerhaft oder heteronom gebildeten Willen ebenso wie dem fehlerfrei gebildeten Willen die Anerkennung durch die Rechtsordnung versagt. Ohne primär darauf zu zielen umfasst Unabdingbarkeit damit auch den – eher unspezifischen – Schutz vor vertraglichen Vereinbarungen, die Folge fehlerhafter oder heteronom bestimmter Willensbildung sind. Entsprechend kann es im Ergebnis auf Störungen der Willensbildungsfreiheit der oben angesprochenen Art erst ankommen, wenn die Rechtsordnung vertragliche Dispositionen grundsätzlich zulässt und anerkennt. Der Schutz durch zwingendes Recht und der Schutz vor Rationalitätsdefiziten stehen damit nicht beziehungslos nebeneinander. Andererseits kann die situationsspezifische Gefahr einer Störung der Willensbildung durch Täuschung, Irrtum oder Überrumpelung grundsätzlich keine allgemein tragende Rechtfertigung für den präventiven Ausschluss der vertraglichen Dispositionsbefugnis liefern99. In einem solchen Fall würde die Vertragsfreiheit auch dann eingeschränkt werden, wenn in concreto kein Rationalitätsdefizit vorliegt100. Dies widerspräche der grundsätz98 Vgl. Palandt - Heinrichs § 138 Rn. 24; krit. zur Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB als Mittel der Vertragsabschlusskontrolle bei beeinträchtigter Entscheidungsfreiheit Lorenz, S. 251 ff. 99 Allerdings sind in der Verzichtsdiskussion im Arbeitsrecht derartige Ansätze erkennbar, vgl. etwa Dorndorf, Anm. zu BAG vom 21.12.1972 – 5 AZR 319/72 – SAE 1974, 115, 117, der die Zulässigkeit des Verzichts auf Lohnfortzahlung in einer Ausgleichsquittung auch deswegen in Zweifel zieht, weil fragwürdig sei, ob dem Arbeitnehmer im Regelfall überhaupt das Bewusstsein, eine rechtsgeschäftliche Erklärung abzugeben, unterstellt werden könne; ähnlich Heckelmann, Anm. zu BAG vom 11.6.1976 – 5 AZR 506/75 – SAE 1977, 260, 262, der auch Unkenntnis und Ungeschicklichkeit als Rechtfertigung für die extensive Auslegung des § 9 LohnFG genügen lässt. 100 Dies schließt jedoch generalisierende Lösungen im Interesse der Rechtssicherheit nicht per se aus, wenn eine typisierende Fallgruppenbildung erfolgen kann.
C. Deutungs- und Rechtfertigungsmöglichkeiten des Verzichtsschutzes
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lich freiheitlichen Grundwertung des Zivilrechts, die eine prinzipielle Anerkennung des fehlerfrei gebildeten Willens erfordert101. Zudem muss sich der geschlossene Vertrag selbst dann, wenn hinsichtlich der Entscheidung zum Vertragsschluss bei einer Partei ein Rationalitätsdefizit maßgeblich geworden ist – er also in seiner konkreten Gestalt „ungewollt“ war –, im Ergebnis nicht unbedingt auch als für diese Partei unerwünscht erweisen102. Auflösungsrechte, also die Möglichkeit einseitiger Abstandnahme von einem geschlossenen Vertrag, erweisen sich damit rechtsfolgenbezogen als das angemessene und damit grundsätzlich zu präferierende rechtstechnische Mittel zum Schutz der Freiheit der Willensentschließung103. b) Der „unfreiwillige“ Vertrag – unterlegenheitsspezifische Erklärungsansätze einer extensiven Auslegung der Unabdingbarkeit Privatautonomie und Vertragsfreiheit werden von der Rechtsordnung nicht um ihrer selbst willen gewährleistet, sie sind vor allem dazu bestimmt, der Selbstbestimmung der Person zu dienen104. „Hat einer der Vertragsteile ein so starkes Übergewicht, dass er den Vertragsinhalt faktisch allein bestimmen kann, bewirkt dies für den anderen Teil Fremdbestimmung“, lautet eine prägnante, wenn auch nicht ganz unproblematische Formulierung des BVerfG zum Problem faktischer Einschränkungen der Vertragsfreiheit105. Der formell auf den übereinstimmenden Willen der Parteien zurückgehende Vertrag erweist sich dann als für die „schwächere Seite“ im materiellen Sinne „unfreiwillig“; es ergibt sich eine Diskrepanz zwischen der rechtlichen Freiheit zum Abschluss und zur inhaltlichen Gestaltung des Vertrages einerseits und der tatsächlichen Freiheit der zu Grunde liegenden Entscheidung andererseits106. In solchen Fällen kann man den Vertragsschluss als das Ergebnis einer Störung der autonomen Willensbetätigung bei der schwächeren Seite des Vertrages auffassen, falls die Willensbildung als in einem unzulässigen Maße heteronom beeinflusst angesehen werden kann107. Ist eine solche Konstellation gegeben, kann die Beschränkung der formellen Vertragsfrei101
Vgl. Enderlein, S. 83 ff. Lorenz, S. 51; vgl. auch Larenz AT (7. Aufl.) § 23 I., S. 454. 103 Lorenz, S. 259 und passim; vgl. auch Flume, Rechtsgeschäft § 4 8., S. 59 ff. 104 Canaris, AcP 200 (2000), 273, 277; Flume, Rechtsgeschäft, § 1 5., S. 6 f. 105 So die Formulierung des BVerfG in der sog. Bürgschaftsentscheidung – 1 BvR 567, 1044/89 – BVerfGE 89, 214, 232; vgl. auch Canaris, AcP 200 (2000), 273, 296 ff.; Thüsing, a. a. O., S. 559, 564. 106 Canaris, AcP 200 (2000), 273, 277. 107 Vgl. Zöllner, Regelungsspielräume im Schuldvertragsrecht, AcP 196 (1996), 1, 32 f. 102
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3. Kap.: Verhältnis von Unabdingbarkeit und Unverzichtbarkeit
heit der Parteien durch zwingendes Recht gerade zur Entfaltung der materiell oder faktisch verstandenen Vertragsfreiheit des Arbeitnehmers als – zumindest prima facie – strukturell unterlegener Partei dienen, obwohl sie einen auf einer formal gültigen, rechtsgeschäftlichen Einigung beruhenden Vertrag unwirksam macht108. Soweit der Verzicht nicht im materiellen Sinne „freiwillig“ erfolgt, ist eine Einschränkung der Vertragsautonomie zum Schutz des Prinzips der Vertragsautonomie denkbar, auch gegen den (formellen) Willen dessen, der sie inne hat109. Der Schutz durch zwingendes Arbeitsvertragsrecht fußt in dieser Begründungsstrategie auf dem sog. Unterlegenheitsparadigma des Arbeitsrechts110. Schutz durch Unabdingbarkeit ist insoweit nicht als paternalistischer, tendenziell bevormundender Schutz des Arbeitnehmers „vor sich selbst“, sondern als Positionsverbesserung des Arbeitnehmers zum Ausgleich unterlegener tatsächlicher Verhandlungsmacht systemkonform begründbar; zwingendes Arbeitsrecht lässt also auch nicht-paternalistische Deutungen zu111. Andererseits muss die normative Orientierung am Ziel der Gewährleistung möglichst weit reichender persönlicher Entscheidungsfreiheit gerade zu einer möglichst weit reichenden Anerkennung des mit dem Vertragsschluss zum Ausdruck gekommenen Parteiwillens führen, wenn keine rechtlich relevanten Anhaltspunkte für die materielle „Unfreiwilligkeit“ des Vertragsschlusses erkennbar werden. Jedem Vertrag „wohnt ein Antagonismus inne“, er dient einerseits zur Verwirklichung von Selbstbestimmung, andererseits aber zugleich zu deren Beschränkung durch Selbstbindung112. Die Verbindlichkeit des auf einer völlig freien Entscheidung beruhenden Vertrages ergibt sich aus dem Prinzip der formalen Vertragsfreiheit selbst, weil rechtliche Geltung notwendigerweise auch Bindung impliziert113. Auch im Arbeitsvertragsrecht kommt der formellen Vertragsfreiheit ein Eigengewicht zu, das zu einer Anwendung der anti-paternalistischen Grundwertung auch auf arbeitsrechtliche Regelungen, die die Vertragsfreiheit durch zwingendes Recht beschränken, führt114. Hinzu kommen praktische Probleme, die aus der „strukturellen Unterlegenheit“ des Arbeitnehmers 108
Thüsing, a. a. O. Thüsing, a. a. O., S. 559, 567. 110 Grundlegend für den so verstandenen Schutz durch Unabdingbarkeit Nipperdey, Beiträge zum Tarifrecht (1924), S. 18 ff.; vgl. Schwarze, Arbeitnehmerbegriff und Vertragstheorie, ZfA 2005, 81, 84; 95 ff.; Hanau, FS 600 Jahre Uni Köln, S. 183, 201; krit. zum Unterlegenheitsparadigma Zöllner, AcP 176 (1976), 221, 230. 111 Vgl. Enderlein, S. 465 ff., insb. S. 469. 112 Canaris, AcP 200 (2000), 273, 279. 113 Canaris, ebenda. 114 Enderlein, S. 438. 109
C. Deutungs- und Rechtfertigungsmöglichkeiten des Verzichtsschutzes
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möglicherweise resultierende materielle „Unfreiwilligkeit“ eines Verzichtsvertrages zu operationalisieren. Mit gutem Grund berechtigt der sog. Motivirrtum, also der Irrtum im Beweggrund, im Rahmen von § 119 BGB grundsätzlich nicht zur Anfechtung des Vertrages115. Das beinhaltet die Grundwertung, dass jede Vertragspartei für ihre möglicherweise vielfältigen und für die andere Seite zumeist im Dunkeln liegenden Beweggründe selbst verantwortlich sein soll. Für die teleologische Ermittlung der Reichweite der Unabdingbarkeit hat dies zur Folge, dass die Begründungslast für die mit der Unverzichtbarkeit verbundene Einschränkung der (formellen) Vertragsfreiheit auf der Seite der eine extensive Auslegung befürwortenden Positionen liegt. Die Entfaltung der materiellen Vertragsfreiheit und die Beschränkung der formellen Vertragsfreiheit treffen sich hier von unterschiedlichen Seiten kommend116. Auf diesen Rechtfertigungsansatz für den Schutz durch zwingendes Recht, seine theoretische Untermauerung und die systemimmanenten Grenzen seiner Leistungsfähigkeit im Arbeitsrecht wird im Kapitel 5 näher einzugehen sein. 2. Die Illegitimität der Selbstentäußerung persönlicher Freiheit – Rechtfertigung paternalistischen Schutzes im Zivilrechtssystem Der nicht-paternalistische Gedanke des Schutzes vor überlegener Verhandlungsmacht des Arbeitgebers kann den Schutz durch zwingendes Arbeitsrecht nicht allein erklären117. Zwingendes Recht greift auch dort ein, wo der Arbeitnehmer aufgrund seiner Fähigkeiten und Kenntnisse über einen besonders hohen Marktwert auf dem Arbeitsmarkt verfügt oder aufgrund hohen eigenen Vermögens zu seinem Lebensunterhalt nicht auf eine Erwerbstätigkeit angewiesen ist118. Jedenfalls in solchen Konstellationen kann der Arbeitnehmer nicht per se als unterlegene Vertragspartei angesehen werden, deren mangelnde Vertragsdurchsetzungschance zur Notwendigkeit kompensatorischer Mechanismen der Positionsverbesserungen führt. Allein die Feststellung des Arbeitnehmerstatus ist nach geltendem Recht für die Anwendbarkeit unabdingbarer arbeitsrechtlicher Schutzvorschriften maßgeblich; der auf den Gedanken der persönlichen Abhängigkeit fußende 115
Vgl. nur Palandt - Heinrichs § 119 Rn. 29 m. w. N. Thüsing, a. a. O., S. 559, 567; ähnlich Dieterich, RdA 1995, 129, 134; Canaris, AcP 200 (2000), 273, 300. 117 Vgl. Enderlein, S. 345. 118 Dies ist jedenfalls für das klassische Vollzeitarbeitsverhältnis allgemeine Ansicht, vgl. statt aller Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht § 4 III, S. 40 ff., insb. S. 51; lediglich für Randbereiche werden vereinzelt mangels sozialer Schutzbedürftigkeit Einschränkungen für möglich gehalten, vgl. Lieb, Arbeitsrecht § 1 Rn. 17. 116
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3. Kap.: Verhältnis von Unabdingbarkeit und Unverzichtbarkeit
Arbeitnehmerbegriff steuert die Anwendbarkeit des Arbeitsrechts, nicht die Feststellung eines arbeitnehmertypischen Schutzbedürfnisses119; es ergibt sich insoweit eine „Kluft zwischen Telos und Tatbestand“120. Lässt man das mögliche Interesse außerhalb des Vertrages stehender Dritter, insbesondere das Interesse der in den Solidarsystemen der sozialen Sicherung verfassten Versichertengemeinschaft, als denkbare externe Rechtfertigung für den mit der Unabdingbarkeit verbundenen Eingriff in die Privatautonomie zunächst außer Betracht121, so verbleibt ein Kernbereich des Arbeitnehmerschutzes durch zwingendes Vertragsrecht, der offenbar nur paternalistisch gedeutet werden kann122. Die der herausgehobenen Bedeutung der Entscheidungsfreiheit im Privatrechtssystem entspringende anti-paternalistische Grundwertung führt nicht per se zur Unzulässigkeit paternalistischen Schutzes durch zwingendes Recht. Auch das allgemeine Zivilrecht kennt Schutzregelungen durch zwingendes Recht vielfältiger Art123, die sich nur paternalistisch verstehen lassen. Als plakatives Beispiel sei an dieser Stelle der paternalistische Schutz des Minderjährigenrechts124 oder der – demgegenüber schon eingeschränkte – des Betreuungsrechts125 genannt126. Damit soll „der Arbeitnehmer“ hier jedoch nicht in die Nähe dieser Personengruppen gerückt werden127. Zutreffend hat Reuter darauf hingewiesen, dass das Arbeitnehmerdasein heute nicht mehr als Klassenstatus, sondern als sehr heterogene, quer zu den sozialen Schichten verlaufende soziale Rolle zu verstehen ist128. Nicht das Menschenbild „des schwachen, leicht verführbaren und schnell in Verlegenheit geratenden Arbeitnehmers“129 kann als paternalistischen Schutzerwä119
Schwarze, Arbeitnehmerbegriff und Vertragstheorie, ZfA 2005, 81, 82. Ebenda, 86. 121 Vgl. dazu 122 Eingehend Schwarze, a. a. O., 88 ff. 123 Vgl. unten 4. Kapitel: B. II. 124 Dazu eingehend Enderlein, S. 189 ff. 125 Enderlein, S. 180 ff. 126 Für Konstellationen dieser Art formuliert Enderlein allgemein seine 3. Paternalismus-Leitlinie: „Soweit eine Person nicht fähig ist, die Schädlichkeit oder Nachteiligkeit ihr offenstehender Handlungsalternativen zu erkennen und sich aufgrund dieser Einsicht zu entscheiden, ist es nicht mehr im Sinne der 1. Leitlinie (S. 20) geboten, die betreffende Person selber entscheiden zu lassen, ob sie die nachteilige Alternative verwirklicht oder nicht“; Enderlein, S. 41. 127 So aber die etwas verkürzende Darstellung bei Dorndorf, Das Verhältnis von Tarifautonomie und individueller Freiheit als Problem dogmatischer Theorie, FS Kissel, S. 139, 143. 128 Reuter, Gibt es eine arbeitsrechtliche Methode?, FS Hilger/Stumpf, S. 573, 577 und passim. 129 Vgl. zur Bedeutung des Menschenbildes Fastrich, Vom Menschenbild des Arbeitsrechts, FS Kissel, S. 193 ff., insb. S. 204 mit krit. Würdigung der Entscheidun120
C. Deutungs- und Rechtfertigungsmöglichkeiten des Verzichtsschutzes
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gungen prinzipiell zu Grunde liegend betrachtet werden, obschon die in Teilbereichen des Arbeitsrechts erheblich geringeren rechtsgeschäftlichen Verhaltensanforderungen der Rechtsprechung gegenüber denen des allgemeinen Zivilrechts diesen Schluss nahe legen könnten130. Paternalistischer Schutz außerhalb von Personengruppen, deren rechtsgeschäftlichen Entscheidungen das bürgerliche Recht von vornherein ein geringeres Eigengewicht beimisst, finden sich im Privatrecht vor allem131 dort, wo rechtsgeschäftliche Entscheidungen ein besonderes Gewicht für die zukünftige Lebensgestaltung haben132. Man denke hier z. B. an § 1614 Abs. 1 BGB, der den Verzicht auf familienrechtlichen Unterhalt für die Zukunft verbietet133, an § 2302 BGB, der Verträge, die die Testierfreiheit des Erblassers einschränken, untersagt134 und insbesondere an § 311b Abs. 2 BGB. Paternalistische Eingriffe in die Vertragsfreiheit zum Schutz des Einzelnen vor einer übermäßigen Selbstbeeinträchtigung sind dem BGB also auch unabhängig vom Gedanken des Schutzes besonders schutzbedürftiger Personengruppen nicht fremd. Solche Eingriffe können ihre Rechtfertigung darin finden, dass der mit dem Schutz zukünftiger Wahlmöglichkeiten verbundene Freiheitsgewinn die mit dem Eingriff verbundene Freiheitseinschränkung erheblich überwiegt, der Eingriff sich also als insgesamt freiheitsmaximierend erweist135. Allgemein lässt sich mit Enderlein formulieren, der Entscheidende soll nicht eine Alternative wählen, durch deren Wahl seine Freiheitsräume in zukünftigen Lebensphasen voraussichtlich in erheblich höherem Maße beeinträchtigt werden, oder bei deren Wahl die Gefahr einer solchen Beeinträchtigung erheblich größer ist, als bei der Wahl einer anderen offenstehenden Alternative136. Arbeitnehmerschutz durch zwingendes Recht lässt sich in diesem Rechtfertigungsansatz im Kern als Begrenzung und Konditionierung eines rechtsethisch gen des BAG zur Zulässigkeit einer Anwesenheitsprämie, vgl. dazu BAG vom 19.5.1982 – 5 AZR 466/80 – AP BGB § 611 Anwesenheitsprämie Nr. 12 [unter II. 4. b) der Gründe] einerseits; BAG vom 15.2.1990 – 6 AZR 381/88 – AP BGB § 611 Anwesenheitsprämie Nr. 15 andererseits. 130 Vgl. insbesondere Fastrich, a. a. O. mit Beispielen aus der Rechtsprechung. 131 Vgl. andererseits aber auch die mit der Schuldrechtsreform neu ins BGB integrierte Verbraucherschutznorm des § 475 Abs. 1 BGB, der ein vergleichbar schwerwiegender Zukunftsbezug kaum beizumessen ist. 132 Vgl. auch Weitnauer, Der Schutz des Schwächeren im Zivilrecht, S. 35. 133 Allerdings wird in § 1614 Abs. 1 BGB weithin auch der Schutz der Sozialhilfeträger und sonstiger Dritter als Normzweck erblickt, vgl. MüKo - Born BGB § 1614 Rn. 1 und MüKo - Köhler (3. Aufl.) BGB § 1614 Rn. 1 m. w. N. 134 Vgl. MüKo - Musielak BGB § 2302 Rn. 1; Bamberger/Roth - Litzenburger § 2302 Rn. 1. 135 Enderlein, S. 232 ff. 136 Vgl. die 5. Paternalismus-Leitlinie bei Enderlein, S. 52.
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3. Kap.: Verhältnis von Unabdingbarkeit und Unverzichtbarkeit
problematischen Freiheitsverzichts, einer illegitimen Selbstentäußerung der eigenen Freiheit begreifen137 und überschreitet prinzipiell insoweit nicht den Rahmen der geltenden Vertragsrechtsdogmatik und des Verfassungsrechts138. Ob ein paternalistisch zu deutender Eingriff in die Vertragsfreiheit zur Gewährleistung künftiger Entscheidungsfreiheiten gerechtfertigt ist, lässt sich methodisch durch teleologische Auslegung unter Anwendung eines beweglichen Systems von Wertungselementen ermitteln139. Das Gewicht der verschiedenen Komponenten in diesem System kann im Einzelfall unterschiedliche Stärkegrade aufweisen. Enderlein formuliert komparativ: „Je gewichtiger die angesprochene Freiheit zur rechtlich unbeeinträchtigten Entscheidung über künftige Lebensphasen ist (2. Wertungselement), desto gewichtiger muss die Beeinträchtigung künftiger Möglichkeiten der Zweckverfolgung nach eigener Wahl sein (1. Wertungselement), soll der paternalistische Eingriff begründet sein.“ Als drittes Wertungselement führt Enderlein die Nachteile des Geschützten an, die als mittelbare Begleiterscheinung des paternalistischen Eingriffs entstehen, beispielsweise wenn der Gesetzgeber Genehmigungserfordernisse aufstellt oder im Interesse der Rechtssicherheit generalisierende Regelungen trifft, die in der konkreten Person des Geschützen nicht gerechtfertigt sind140. Das Gewicht des 2. Wertungselements, also das Gewicht des Bedürfnisses für paternalistischen Schutz, soll sich wiederum nach verschiedenen, von der Art des vom Eingriff betroffenen konkreten Gegenstands abhängigen Unterelementen bestimmen141. Genannt seien hier beispielhaft Situationen, denen eine besondere Gefahr rationalitätsdefizitärer Entscheidungen innewohnt, die Intensität des Eingriffs, die Verhinderung der Gefahr selbstschädigender Folgeentscheidungen (z. B. die Gefahr der Gesundheitsschädigung durch Weiterarbeit bei Vereinbarung einer Anwesenheitsprämie142) oder auch die zeitliche Lage des Erwerbsgrundes preisgegebener Mittel (z. B. bei Verfügung über Anwartschaften oder noch zu verdienendes Vermögen). Demgegenüber stehen wiederum 137
Rückert, ZfA 1992, 225, 283 f. Eingehend Schwarze, a. a. O., S. 90; vgl. auch Weitnauer, S. 35; a. A. wohl Dorndorf, FS Kissel, S. 139, 143. 139 Enderlein, S. 286 ff., insb. S. 304; grundsätzlich zum methodischen Ansatz des beweglichen Systems Bydlinski, AcP 204 (2004), 309, 329 ff. m. w. N. (dortige Fn. 43); ders., Bewegliches System und juristische Methodenlehre, in: Das bewegliche System im geltenden und künftigen Recht, S. 21, 36 ff.; Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, S. 74 ff.; grundlegend Wilburg, Entwicklung eines beweglichen Systems im bürgerlichen Recht (1950), insb. S. 17 ff. 140 Enderlein, S. 294. 141 Enderlein, S. 297 ff. 142 Vgl. derartige Erwägungen in BAG vom 19.5.1982 – 5 AZR 466/80 – AP BGB § 611 Anwesenheitsprämie Nr. 12 [unter II. 4. b) der Gründe]. 138
C. Deutungs- und Rechtfertigungsmöglichkeiten des Verzichtsschutzes
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auch entgegenwirkende Faktoren von je nach Eingriffsgegenstand unterschiedlichem Gewicht wie z. B. das Gewicht des Interesses des anderen Vertragsteils am Vertragsschluss. 3. Die Fremdschädlichkeit rechtsgeschäftlicher Betätigung Eine dritte zivilrechtliche Grenze allgemeiner Art für die rechtliche Anerkennung vertraglicher Vereinbarungen ergibt sich, wenn die rechtsgeschäftliche Betätigung der Vertragsparteien außenstehenden Dritten oder der Allgemeinheit zum Nachteil gereicht. Ein Vertrag zu Lasten Dritter ist mit dem Grundsatz der Privatautonomie unvereinbar und daher unzulässig143. Aus der durch die willentliche Steuerung der Privatrechtssubjekte geprägten Autonomieordnung ergibt sich eine prinzipielle Grenze für den rechtsgeschäftlichen Entscheidungsbereich der Privatrechtssubjekte, wenn und soweit ohne Einwilligung oder Genehmigung durch einen Vertrag in die rechtliche Interessensphäre Außenstehender eingegriffen wird144. Eine Drittbeeinträchtigung im weitesten Sinne kann sich dabei in verschiedensten Konstellationen und in unterschiedlichster Intensität und Unmittelbarkeit ergeben145. Nicht jede entfernt liegende Auswirkung auf Drittoder Gemeinwohlinteressen wird deshalb geeignet sein können, einem privatrechtlichen Vertrag die Rechtswirksamkeit zu versagen146. Für den hier interessierenden Bereich der zwingendes Recht betreffenden arbeitsrechtlichen Verzichtsvereinbarungen ergeben sich insbesondere aus der Verzahnung arbeitsrechtlicher und sozialrechtlicher Instrumente des Sozialschutzes Friktionen. Ob diese geeignet sind, Einschränkungen der Verzichtsbefugnis des Arbeitnehmers zivilrechtskonform zu begründen, wird im 6. Kapitel näher zu erörtern sein.
III. Erste Folgerungen Arbeitsrechtlicher Schutz durch (halb-)zwingendes Vertragsrecht lässt sich in der durch die Rechtsprechung geprägten derzeitigen Ausformung vertragstheoretisch nicht auf ein einziges Rechtsprinzip zurückführen. Sowohl aus dem Gedanken der kompensationsbedürftigen Unterlegenheit des Arbeitnehmers, dem Gedanken des paternalistischen Schutzes zukünftiger 143 So kurz und knapp Palandt - Grüneberg Einf. vor § 328 Rn. 10 m. w. N. aus der BGH-Rechtsprechung. 144 Martens, Rechtsgeschäft und Drittinteressen, AcP 177 (1977), 113, 139. 145 Einen breiten Überblick über praktisch relevante Fallkonstellationen bringt Martens, a. a. O., S. 124 ff. 146 Martens, a. a. O., S. 170 f.
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3. Kap.: Verhältnis von Unabdingbarkeit und Unverzichtbarkeit
Freiheiten des Individuums als auch aus dem Verbot fremdschädigender rechtsgeschäftlicher Betätigung lassen sich grundlegende vertragstheoretische Begründungslinien für den Arbeitnehmerschutz durch die Unabdingbarkeit gesetzlicher Ansprüche des Arbeitsvertragsrechts entnehmen. Die aus Rechtsprechung und Literatur hervorgehenden zentralen Schutzrichtungen der Unabdingbarkeit147 subjektiver arbeitsvertraglicher Rechte sind damit in ihrem Kernbereich prinzipiell zivilrechtlichen Deutungsmustern zugänglich. Zwar mögen überindividuelle ordnungs-, sozial- oder arbeitsmarktpolitische Erwägen in den Randbereichen des Arbeitsvertragsrechts für die Rechtfertigung zwingenden Rechts nicht vollständig bedeutungslos sein. Im Kernbereich eines sich als Teil der freiheitlichen Privatrechtsordnung verstehenden Arbeitsvertragsrechts können derartige Zwecke jedoch keine Legitimation für beliebige Eingriffe in die Individualvertragsfreiheit liefern. Der Schutz des Arbeitnehmers durch halbzwingende Ausgestaltung arbeitsvertragsrechtlicher Normen und die daraus folgenden Implikationen für die Verzichtbarkeit dieser Ansprüche und Rechte sind vertragstheoretisch zu deuten und damit normativ am Prinzip Freiheit auszurichten148. Es liegt nahe zu vermuten, dass die Bedeutung dieser theoretischen Begründungsansätze für die konkrete Ausformung des Schutzes des jeweiligen Anspruchs oder Rechts durch Unabdingbarkeit je nach der Natur des geschützten Anspruchs oder Rechts variieren kann. Für die Untersuchung der Reichweite „der Unabdingbarkeit“ kann deshalb nicht von einem monistischen, für alle Ansprüche notwendig gleichen Verständnis des Schutzgrundes und der daraus resultierenden Reichweite der Rechtfertigung für den Eingriff in die Vertragsfreiheit durch zwingendes Recht ausgegangen werden. Die konkrete Ausformung der Reichweite des Schutzes durch Unabdingbarkeit ergibt sich für den einzelnen Anspruch aus der Überlappung der aus den anspruchsbezogen getrennt zu ermittelnden, jeweils in Betracht kommenden Rechtfertigungsgründen. Die dabei anzuwendenden rechtstheoretischen Prinzipien und Methoden sind für alle Ansprüche des zwingenden Arbeitsvertragsrechts gleich; die daraus resultierenden Ergebnisse für die konkrete Ausformung der Reichweite der Unabdingbarkeit müssen es systembedingt nicht unbedingt sein. Enderlein berücksichtigt im Rahmen eines beweglichen Systems, dass die gleichen Wertungselemente in der Teleologie der verschiedenen Ansprüche ein unterschiedliches Gewicht haben können. Damit erscheint es auch plausibel, dass die teleologische Ermittlung der Reichweite der Unabdingbarkeit nicht zu normübergreifend gleichen Ergebnissen führen muss149. Zu den Kerngedanken des beweglichen Systems 147 148 149
Vgl. dazu oben, 2. Kapitel: C. Vgl. Rückert, ZfA 1992, 225, 285. Vgl. Bydlinski, Bewegliches System und juristische Methodenlehre, S. 21, 36 f.
D. Dogmatische Herleitung der Nichtigkeitsfolge
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gehört gerade die Pluralitätsthese, nach der bei jeder schwierigen rechtlichen Frage mehrere rechtliche Grundwertungen, Leitzwecke, „Elemente“ oder eben Prinzipien wirksam sind150. Eine ausschließlich monistische Betrachtungsweise verkennt demgegenüber die je nach dem Gegenstand des geschützten Rechts oder Anspruchs sehr unterschiedlichen Schutzerfordernisse und birgt die Gefahr ungerechtfertigter Eingriffe in die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit. Die freiheitsmaximierend-paternalistische Rechtfertigung zwingenden Rechts lässt daher nicht ein generell alles umfassendes Verständnis der Unabdingbarkeit arbeitsvertragsrechtlicher Gesetze als generelle Anordnung einer Unverzichtbarkeit zu. Als erste Folgerung bleibt damit festzuhalten, dass es keinen Monismus der Rechtfertigung zwingenden Arbeitsvertragsrechts gibt. Einem monistischen Verständnis arbeitsvertragsrechtlicher Unabdingbarkeit, das in der Anordnung der Unabdingbarkeit generell auch die Anordnung der Unverzichtbarkeit der geschützten Ansprüche und Rechte erblickt, kann deshalb ebenfalls nicht gefolgt werden. Zugleich erweist sich die Rechtfertigung paternalistischen Schutzes als tendenziell zukunftsbezogen; die extensive Auslegung der Unabdingbarkeitswirkung kann umso eher gerechtfertigt sein, je stärker ein Verzicht geeignet ist, zukünftige Rechtspositionen und Freiheiten nachhaltig zu beeinträchtigen. Weiter wird wegen der mit dem paternalistischen Schutzinstrument Unabdingbarkeit notwendig verbundenen Freiheitseinschränkung dessen ergänzende Auslegung in erhöhtem Maße begründungsbedürftig; es ergibt sich ein grundsätzlicher Vorrang für nicht- oder nur schwach-paternalistische, die Entscheidungsfreiheit des Individuums prinzipiell achtende Schutzinstrumente151. Beispielsweise kann es aufgrund dieser Wertung tunlich erscheinen, rationalitätserhöhende Maßnahmen, wie die vom Bundesarbeitsgericht geforderte Ausdrücklichkeit für Klageverzicht oder den Verzicht auf Entgeltfortzahlungsansprüche in Ausgleichsquittungen152, einer extensiven Auslegung der Unabdingbarkeitswirkung vorzuziehen.
D. Dogmatische Herleitung der Nichtigkeitsfolge Wenn das Ergebnis der teleologischen Auslegung dazu führt, dass wegen der Unabdingbarkeit auch der Verzicht unzulässig sein muss, stellt sich die Frage, woraus sich die Nichtigkeit des Verzichtsvertrages ergibt. In Recht150
Bydlinski, AcP 204 (2004), 309, 332. Vgl. ausführlich Enderlein, a. a. O., S. 295 ff. 152 Vgl. BAG vom 29.6.1978 – 2 AZR 681/76 – AP KSchG 1969 § 4 Nr. 5; BAG vom 26.6.1980 – 2 AZR 953/78 – JURIS KARE 467750237 (ständige Rechtsprechung). 151
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3. Kap.: Verhältnis von Unabdingbarkeit und Unverzichtbarkeit
sprechung und Literatur ist diese an sich grundlegende Frage der Verzichtsdiskussion bisher kaum kritisch erörtert worden. Häufig wird mehr oder weniger unreflektiert der Aspekt der Gesetzesumgehung bei der Herleitung der Unwirksamkeit des Verzichtsvertrages in den Vordergrund gestellt. Allgemein wird unter Umgehung die Vornahme eines anderen statt des vom Gesetz missbilligten Rechtsgeschäfts verstanden, mit dem der gleiche oder annähernd gleiche wirtschaftliche Erfolg erzielt wird, ohne dass die Tatbestandsmerkmale der umgangenen Vorschrift gegeben sind153. Dies trifft grundsätzlich auch für den Rechtsverzicht auf Ansprüche oder Rechte aus unabdingbaren Normen zu. Im Hinblick auf die hier interessierenden Grenzen der Unabdingbarkeitswirkung ist jedoch eine genauere Analyse der dogmatischen Herleitung der Nichtigkeitsfolge erforderlich.
I. Ableitung aus der Unabdingbarkeit Zum Teil wird die Unzulässigkeit des Verzichts und insbesondere des Vorausverzichts direkt aus der Unabdingbarkeit bzw. den Unabdingbarkeitsnormen hergeleitet. Für den Lohnfortzahlungsanspruch hat das Bundesarbeitsgericht entsprechend formuliert154: „Denn § 9 Lohnfortzahlungsgesetz schließt, woran kein Zweifel bestehen kann, zum Schutz des arbeitsunfähig erkrankten Arbeiters den Verzicht auf den noch nicht zur Entstehung gelangten Anspruch auf Lohnfortzahlung ausnahmslos aus“; diese Auffassung beruhe darauf, dass diese Ansprüche der Arbeiter in der Praxis des Arbeitslebens wirksam geschützt werden müssten155. Die Unzulässigkeit des Verzichts folgt danach unmittelbar aus einem Verstoß gegen die Unabdingbarkeitsanordnung, deren Reichweite durch teleologische Auslegung zu ermitteln ist156. Die so verstandene Wirkung der Unabdingbarkeit kommt einem partiellen Ausschluss der Geschäftsfähigkeit des Arbeitnehmers hinsichtlich des Abschlusses eines Verzichtsvertrages gleich. Die Rechtsfolge der Nichtigkeit des Erlassvertrages leitet sich dann direkt aus der Unabdingbarkeit selbst her, eine Anwendung des § 134 BGB erübrigt sich157. 153
Vgl. statt aller Soergel - Hefermehl § 134 Rn. 37. BAG vom 26.10.1971 – 1 AZR 40/71 – AP LohnFG § 6 Nr. 1 [unter 2. der Gründe]; ähnlich BAG vom 28.11.1979 – 5 AZR 955/77 – AP LohnFG § 6 Nr. 10 [unter 2. b) der Gründe]; ähnlich für den Urlaubsabgeltungsanspruch BAG vom 20.1.1998 – 9 AZR 812/96 – AP BUrlG § 13 Nr. 45 [unter II. 1. der Gründe]. 155 BAG vom 26.10.1971 – 1 AZR 40/71 – AP LohnFG § 6 Nr. 1 [unter 2. der Gründe]. 156 So auch schon KG Berlin vom 21.12.1910 – XII. ZS – OLGE 22, 304 f. 157 BAG vom 20.6.2000 – 9 AZR 405/99 – AP BUrlG § 7 Nr. 28; so auch Soergel - Hefermehl § 134 Rn. 3. 154
D. Dogmatische Herleitung der Nichtigkeitsfolge
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II. Zwingendes Recht als Verbotsgesetz i. S. des § 134 BGB Verbreitet werden in arbeitsrechtlichen Unabdingbarkeitsnormen bzw. im zwingenden Recht selbst – meist ohne nähere Begründung – Verbotsgesetze i. S. des § 134 BGB gesehen158. Der Verzicht wird dann als nach der jeweiligen Unabdingbarkeitsnorm i. V. m. § 134 BGB nichtig bezeichnet159. Grundsätzlich lässt sich zwischen Geschäften, die gegen zwingendes Recht verstoßen, und verbotswidrigen Geschäften unterscheiden160. Um zwingendes Recht handelt es sich, wenn bestimmt ist, dass gewisse Rechtsgeschäfte „nichtig“ oder „ohne Wirkung“ sind oder nicht vorgenommen werden „können“161. Derartige Bestimmungen missbilligen in vielen Fällen nicht das Rechtsgeschäft als solches, sondern beschränken allgemein die rechtsgeschäftliche Bindungswirkung; sie sind nichtig, jedoch nicht unbedingt auch i. S. des § 134 BGB verboten, wie sich beispielhaft an Formvorschriften wie etwa des § 311b Abs. 1 BGB hinsichtlich des Grundstückskaufvertrags zeigen lässt162. Eine echte Verbotsvorschrift i. S. des § 134 BGB liegt nur vor, wenn sie für bestimmte Fälle den Gebrauch der durch die Rechtsordnung grundsätzlich anerkannten rechtsgeschäftlichen Gestaltungsmacht untersagt163. Verstößt ein Rechtsgeschäft gegen zwingendes Recht, so ist es grundsätzlich ohne praktische Auswirkung, ob die zwingende Norm zugleich ein Verbotsgesetz i. S. des § 134 BGB darstellt. Die Rechtsfolge der Nichtigkeit folgt aus dem allgemeinen Grundsatz, dass die Rechtsordnung die Wirksamkeit von Rechtsgeschäften nur in den Grenzen zulässt, die sie der Gestaltungsfreiheit des Einzelnen durch ihre zwingenden Vorschriften setzt164. 158
ErfK - Dörner EFZG § 12 Rn. 12; Trieschmann, RdA 1976, 68, 71. Vgl. aus der Rechtsprechung: BGH vom 23.6.1989 – V ZR 289/87 – BGHZ 108, 147, 150; BGH vom 18.12.1958 – II ZR 351/56 – BGHZ 29, 120, 124 f.; BAG vom 31.7.1967 – 5 AZR 112/67 – NJW 1967, 2376 = AP BUrlG § 7 Abgeltung Nr. 2 (KT); BAG vom 11.6.1976 – 5 AZR 506/75 – AP LohnFG § 9 Nr. 2; ausdrücklich gegen eine Anwendung von § 134 BGB i. V. m. zwingendem Recht BAG vom 20.6.2000 – 9 AZR 405/99 – AP BUrlG § 7 Nr. 28; befürwortende Stimmen: Hofmann, FS 25 Jahre BAG, S. 217 und passim; MüKo - Mayer-Maly/Armbrüster BGB § 134 Rn. 80 f.; Neumann/Fenski § 13 Rn. 53; Kaiser/Dunkl/Hold/ Kleinsorge - Hold EFZG § 12 Rn. 17; Geyer/Knorr/Krasney EFZG § 12 Rn. 17. 160 Metzger, Nichtigkeit und Wirksamkeit von Geschäften der Schattenwirtschaft, S. 33; auch MüKo - Mayer-Maly/Armbrüster BGB § 134 Rn. 5. 161 Statt aller Soergel - Hefermehl § 134 Rn. 2. 162 Vgl. Benecke, Gesetzesumgehung im Zivilrecht, S. 94; vgl. (mit weiteren Beispielen) auch Mayer-Maly, Rangordnung von Normen innerhalb des Gesetzes, S. 123, 125; ders., Handelsrechtliche Verbotsgesetze, FS für Hefermehl, S. 103, 111. 163 Soergel - Hefermehl, a. a. O. 164 Soergel - Hefermehl, a. a. O. 159
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3. Kap.: Verhältnis von Unabdingbarkeit und Unverzichtbarkeit
Will man über § 134 BGB zur Nichtigkeit des Verzichts kommen, so wird dogmatisch in zweifacher Hinsicht eine teleologische Analyse des zwingenden Rechts bzw. der Unabdingbarkeitsnorm erforderlich165: Zunächst ist zu ermitteln, ob die zwingende Vorschrift als Verbotsgesetz i. S. des § 134 BGB anzusehen ist, die teleologische Auslegung der Unabdingbarkeitsanordnung also auch ein Verzichtsverbot rechtfertigt. Auf der zweiten Stufe ist zu ermitteln, ob aus diesem die Nichtigkeit des konkreten verbotswidrigen Rechtsgeschäfts folgt oder sich „ein anderes“ i. S. des § 134 BGB aus dem Gesetz ergibt166. § 134 BGB ordnet für gesetzliche Verbote eine Normsetzung durch das Zivilgericht, nicht aber eine bestimmte materiell-rechtliche Wirkung an167. § 134 BGB eröffnet damit ein fein abgestuftes Sanktionsinstrumentarium für den Zivilrichter168. Unabdingbarkeitsnormen sind dann hinsichtlich ihrer Wirkung auf die Verzichtsbefugnis nicht als Quasi-Einschränkung der Geschäftsfähigkeit, sondern als besondere Normen zur Inhaltskontrolle zu behandeln. Diese dogmatische Einordnung, der auch das Bundesarbeitsgericht weithin gefolgt ist, hat den Vorteil, dass auf beiden Stufen der Normanwendung differenzierte Reaktionsmöglichkeiten eröffnet werden. Auf der ersten Stufe ist zu bestimmen, ob die Unabdingbarkeit in einer typisierbaren Situation als Verbot eines Anspruchs- oder Rechtsverzichts auszulegen ist. Hier kann dann beispielsweise auch die Anwendung des rechtstechnischen Instruments der widerlegbaren Vermutung der Unzulässigkeit eines Verzichts, etwa wegen der in einer besonderen Situation bestehenden Gefahr einer Willenslenkung durch unzulässiges „unter Druck setzen“, eröffnet werden169. Weiter kann ein Verzichtsvertrag über unabdingbare Ansprüche oder Rechte, der grundsätzlich gegen Sinn und Zweck des zwingenden Rechts und damit gegen ein Verbotsgesetz i. S. des § 134 BGB verstößt, theoretisch gleichwohl wirksam bleiben. Die Verzichtsvereinbarung kann auch dann nicht mit der Nichtigkeitsfolge des § 134 BGB zu sanktionieren sein, wenn dies nach Sinn und Zweck der Unabdingbarkeitsanordnung im konkreten Fall ausnahmsweise nicht erforderlich erscheint170. Denkbar ist dies unter Umständen dann, wenn ein an sich verbotener Verzicht als synallagmatische 165
Mayer-Maly, FS für Hefermehl, S. 103. MüKo - Mayer-Maly/Armbrüster BGB § 134 Rn. 41 f.; BGH vom 23.10.1980 – IVa ZR 28/80 – BGHZ 78, 263, 265; BGH vom 17.1.1985 – III ZR 135/83 – BGHZ 93, 264, 267; Beater, Der Gesetzesbegriff von § 134 BGB, AcP 197 (1997), 507 ff. 167 Metzger, S. 44 ff. 168 Beater, a. a. O., Metzger, a. a. O. 169 Eingehend dazu unten, 5. Kapitel: E. II. 2. 170 Vgl. allgemein dazu Beater, Der Gesetzesbegriff von § 134 BGB, AcP 197 (1997), 507 ff. 166
D. Dogmatische Herleitung der Nichtigkeitsfolge
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Gegenleistung eines für den Arbeitnehmer objektiv günstigen Vertrages vereinbart wird. Folgendes Beispiel illustriert eine solche Situation171: Ein häufig erkrankender, aber dennoch vom Arbeitgeber geschätzter Arbeitnehmer vereinbart zur Abwendung einer nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gemäß § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigten Kündigung einen Verzicht auf künftige Entgeltfortzahlungsansprüche, die über sechs Wochen pro Jahr hinausgehen. Im Gegenzug verzichtet der Arbeitgeber auf das Recht zur krankheitsbedingten Kündigung. Gleichwohl kündigt der Arbeitgeber später krankheitsbedingt. Nach wohl einhelliger und richtiger Ansicht ist jedenfalls der Verzicht auf künftige Entgeltfortzahlungsansprüche nicht mit § 12 EFZG zu vereinbaren und deshalb verboten (erste Stufe). Gleichwohl könnte sich hier aus der Intention des Entgeltfortzahlungsgesetzes „ein anderes“ i. S. des § 134 BGB ergeben (zweite Stufe). Einem Richter, der über diese Vereinbarung zu entscheiden hätte, bliebe die Möglichkeit, die Nichtigkeitsfolge des § 134 BGB zu vermeiden.
Bereits de lege lata eröffnet der Lösungsweg über § 134 BGB für die Herleitung der Nichtigkeitsfolge ein erstaunlich differenziertes Reaktionsmodell. Aus diesem Grund erscheint die Herleitung der Rechtsfolge aus § 134 BGB vorzugswürdig.
III. Die Gesetzesumgehung als eigenständige Rechtsfigur Zum Teil wird der Grund für die Nichtigkeit des Verzichts in der Umgehung zwingenden Rechts gesehen. Über etwaige Sonderregeln hinaus soll ein allgemeines Umgehungsverbot als eigenständiges Rechtsinstitut anzuerkennen sein, dessen Nichtigkeitsfolge sich aus § 134 BGB ergebe172. Das Bedürfnis für ein eigenständiges Rechtsinstitut des Umgehungsgeschäfts ergebe sich daraus, dass Geschäfte betroffen seien, deren Gültigkeit unbedenklich wäre, wenn sie nicht als Umgehungsgeschäft abgeschlossen worden wären; erst diese atypische Funktion eines an sich zulässigen Geschäfts löse die Nichtigkeit aus173. Es gehe um die auf einem zusätzlichen Rechtsgedanken beruhende Absicherung eines Verbotsgesetzes gegen Umgehungsversuche und damit um Konstellationen, die durch Auslegung oder analoge Anwendung des Verbotsgesetzes in den Grenzen der rechtsstaatlichen Gesetzesanwendung nicht zu erfassen seien174. Einigkeit besteht jedoch inso171
Vgl. Thüsing, FS Wiedemann, S. 539, 540. MüKo - Mayer-Maly/Armbrüster BGB § 134 Rn. 16. 173 Ebenda, Rn. 14; so wohl auch Wollenschläger, Anm. zu BAG vom 19.12.1974 – 2 AZR 565/73 – AuR 1975, 220, 223. 174 Staudinger - Sack BGB § 134 Rn. 146; MüKo - Mayer-Maly/Armbrüster BGB § 134 Rn. 14. 172
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3. Kap.: Verhältnis von Unabdingbarkeit und Unverzichtbarkeit
weit, dass der extensiven Auslegung des zwingenden Rechts der Vorrang gebührt175. Das Bundesarbeitsgericht hat die Unzulässigkeit des „Verzichts“ wegen seines Charakters als Umgehungsgeschäft vor allem176 in den Fällen angenommen, in denen die tatsächlichen Anwendungsvoraussetzungen des Kündigungsschutzgesetzes durch Vereinbarung hintereinander geschalteter befristeter Arbeitsverträge177 (so genannte Kettenarbeitsverträge) oder durch den Abschluss bedingter Auflösungsverträge178 vermieden werden sollte179. Teichmann hat derartige Konstellationen treffend mit dem Begriff der Tatbestandsvermeidung beschrieben180. In den Fällen der Kettenbefristung und des bedingten Aufhebungsvertrages handelt es sich aber nicht um einen echten Rechtsverzicht auf Rechte des Arbeitnehmers aus dem Kündigungsschutzgesetz, sondern um die Manipulation tatsächlicher Anspruchsvoraussetzungen181. Nach wohl überwiegender Ansicht in der Literatur ist auch für derartige Fälle der Tatbestandsvermeidung kein eigenständiges Rechtsinstitut der Gesetzesumgehung erforderlich182. Eine befriedigende Lösung sei allein durch Auslegung und erforderlichenfalls durch Analogie zu den entsprechenden Verbotsgesetzen bzw. den Normen zwingenden Rechts möglich183. Ob eine Verbotsvorschrift oder eine zwingende Vorschrift unzulässig umgangen sei, sei allein eine Frage der Auslegung bzw. der Analogie zu der umgangenen Norm. Die Verbotsvorschrift sei nach ihrem Sinn und Zweck entweder anwendbar oder nicht, die Frage der Umgehung könne daher als selbstständiges Rechtsproblem nicht auftreten184. Ob dies auch für die von den gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen des Kündigungsschutzgesetzes relativ weit entfernten Konstruktionen der 175 Staudinger - Sack BGB § 134 Rn. 146; MüKo - Mayer-Maly/Armbrüster BGB § 134 Rn. 13. 176 Vgl. allerdings auch BAG vom 11.6.1976 – 5 AZR 506/75 – AP LohnFG § 9 Nr. 2. 177 BAG vom 12.10.1960 – GS 1/59 (3 AZR 65/56) – BAGE 10, 65, 70; BAG vom 26.4.1979 – 2 AZR 431/77 – AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 47; BAG vom 29.8.1979 – 4 AZR 863/77 – AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 50. 178 BAG vom 19.12.1974 – 2 AZR 565/73 – AuR 1975, 220 ff. 179 Vgl. auch Benecke, Gesetzesumgehung im Zivilrecht, S. 106 ff. 180 Teichmann, Die Gesetzesumgehung, S. 50. 181 Vgl. oben, 1. Kapitel: B. VI. mit näheren Erörterungen. 182 Sieker, Umgehungsgeschäfte, S. 9 m. w. N. 183 Teichmann, S. 55 m. w. N. 184 Soergel - Hefermehl § 134 Rn. 37; krit. auch Beater, Der Gesetzesbegriff von § 134 BGB, AcP 197 (1997), 507, 525.
D. Dogmatische Herleitung der Nichtigkeitsfolge
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Kettenarbeitsverhältnisse und der bedingten Auflösungsverträge uneingeschränkt gilt185, kann im Rahmen dieser Arbeit nicht vertieft erörtert werden186. Sieker hat allerdings zutreffend darauf hingewiesen, dass hier Überschneidungen zwischen dem Mechanismus der Inhaltskontrolle auf der einen und der Umgehungsversuchen entgegenwirkenden Anwendung zwingenden Gesetzesrechts auf der anderen Seite vorliegen, prinzipiell also auch eine alternative Lösung nach den Grundsätzen der Inhaltskontrolle denkbar wäre187. Folgt man diesem Gedanken, so hinterließe für die erörterten arbeitsrechtlichen Konstellationen der Kettenbefristung und der auflösenden Bedingung der Verzicht auf ein eigenständiges Rechtsinstitut des Umgehungsgeschäfts keine Lücke im Schutzsystem, wenn man hier eine analoge Anwendung zwingenden Rechts ablehnt. Jedenfalls für die Lösung der hier schwerpunktmäßig zu erörternden Probleme des Rechtsverzichts auf unabdingbare Ansprüche und Rechte ist ein Rückgriff auf ein selbstständiges Rechtsinstitut der Gesetzesumgehung nicht erforderlich. Insoweit erweist sich das Instrumentarium von Gesetzesauslegung und Gesetzesanalogie als ausreichend.
IV. Fazit Ob man die Nichtigkeit eines Verzichts auf unabdingbare Ansprüche oder Rechte unmittelbar aus einer ergänzenden Anwendung zwingenden Rechts herleitet oder die Rechtsfolge aus § 134 BGB entnimmt, hat nicht nur theoretische Bedeutung. Die Lösung über § 134 BGB eröffnet der Praxis differenziertere Reaktionsmöglichkeiten für das Problem der Verzichtsbefugnis, die sich als spezielle Form der Inhaltskontrolle begreifen lassen. Dieser Lösungsweg erscheint damit geeigneter, den Besonderheiten des Einzelfalls gerecht zu werden, als die quasi auf einen partiellen Ausschluss der Geschäftsfähigkeit hinauslaufende direkte Anwendung der Unabdingbarkeitsanordnung auf Verzichtsverträge. In jedem Fall ist eine teleologische Auslegung zur Ermittlung der Reichweite der Unabdingbarkeit erforderlich. Die Annahme eines selbstständigen Rechtsinstitutes des Umgehungsgeschäfts ist für die Herleitung der Nichtigkeit des Rechtsverzichts auf unabdingbare Ansprüche und Rechte nicht erforderlich. Die Mittel der teleologischen Auslegung der Unabdingbarkeitsanordnung erweisen sich insoweit als hinreichend. 185 Vgl. insb. BAG vom 19.12.1974 – 2 AZR 565/73 – AuR 1975, 220 ff.; BAG vom 29.8.1979 – 4 AZR 863/77 – AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 50 mit Anm. von Kraft. 186 Vgl. dazu Benecke, Umgehungsgeschäfte im Zivilrecht, S. 195 ff. 187 Sieker, Umgehungsgeschäfte, S. 24 ff.
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3. Kap.: Verhältnis von Unabdingbarkeit und Unverzichtbarkeit
E. Zusammenfassung Hinsichtlich der Frage, ob und wenn ja unter welchen Voraussetzungen die Befugnis der Arbeitsvertragsparteien zu einem Verzicht auf Ansprüche oder Rechte aus unabdingbaren gesetzlichen Normen eingeschränkt sein kann, bleibt die Auseinandersetzung mit Wortlaut und Normzweck der Unabdingbarkeitsnormen unergiebig. Aus der Unabdingbarkeit einer Norm lassen sich unmittelbar keine Folgerungen für die Verzichtbarkeit ableiten. Erforderlich ist eine norm- und situationsspezifische teleologische Analyse. Arbeitsrecht ist als Teil des Zivilrechtssystems zu verstehen. Die Theorien, die eine prinzipielle Abwendung vom BGB befürworteten, sind wegen der ihnen inhärenten Gefahr ideologisch motivierter Eingriffe in individuelle Freiheiten zu Recht heute als überwunden anzusehen. Aus der rechtssystematischen Einordnung des Arbeitsvertragsrechts in das Zivilrechtssystem ergibt sich ein prinzipieller Eigenwert der rechtsgeschäftlichen Selbstbestimmungsfreiheit. Eingriffe in die Vertragsautonomie bedürfen damit auch im Arbeitsrecht einer tragfähigen Rechtfertigung. Ein verabsolutierter paternalistischer Schutz des Arbeitnehmers ist in diesem System nicht zu rechtfertigen. Eine generelle, vom jeweils geschützten Recht oder Anspruch unabhängige Gleichsetzung von Unabdingbarkeit und Unverzichtbarkeit ist wegen der damit verbundenen Gefahr eines ungerechtfertigten Eingriffs in die rechtsgeschäftliche Selbstbestimmungsfreiheit im Wege der teleologischen Auslegung unzulässig und auch als ausdrückliche gesetzliche Regelung de lege ferenda nicht wünschenswert. Für arbeitsrechtlichen Schutz durch zwingendes Recht ergeben sich zwei grundsätzlich mögliche vertragstheoretische Rechtfertigungen, die zugleich Leitlinien für die Grenzen der extensiven teleologischen Auslegung der Unabdingbarkeitswirkung bestimmen: Arbeitsrechtlicher Schutz durch zwingendes Recht kann nicht-paternalistisch gerechtfertigt sein. Er fußt dann und insoweit auf dem Gedanken des Schutzes des Arbeitnehmers vor überlegener Vertragsmacht des Arbeitgebers. Oder er kann als Grenze eines Freiheitsverzichts paternalistisch gerechtfertigt sein, wenn und soweit er unter Abwägung gegenwärtiger mit künftigen Dispositionsfreiheiten insgesamt freiheitsmaximierend wirkt.
4. Kapitel
Die paternalistische Rechtfertigung der Einschränkung der Verzichtsbefugnis A. Der paternalistische Kern des zwingenden Arbeitsrechts Ein wesentlicher Grund für die Unabdingbarkeit zentraler arbeitsrechtlicher Schutzvorschriften kann – neben der wohl herrschenden Vorstellung von einer „Unterlegenheit“ des Arbeitnehmers – in der zwangsläufigen Einbuße privatautonomer Dispositionsfreiheiten durch die Verpflichtung zu abhängiger Arbeit gesehen werden1. Dieser mit der Eingehung des Arbeitsverhältnisses einhergehende „Freiheitsverlust“ bedarf wegen seiner besonderen Qualität – sowohl in wirtschaftlicher als auch in personaler Hinsicht – einer Konditionierung durch die gesetzliche Unabdingbarkeit zentraler Schutznormen des Arbeitsvertragsrechts. Und zwar auch dann, wenn der konkrete Arbeitnehmer sich bei Abschluss des Arbeitsvertrages – bzw. der separaten Vereinbarung eines Rechtsverzichts im Arbeitsverhältnis – nicht in einer Unterlegenheitssituation befand2. Das bedeutet, die Begrenzung der Vertragsfreiheit des Arbeitnehmers durch gesetzliche Unabdingbarkeit erfolgt unabhängig von dessen (freien) Willen zu dessen eigenem Wohl, indem er durch die Unabdingbarkeit an einer Selbstverpflichtung zu abhängiger Arbeit ohne jene zentralen, zwingenden Schutzregelungen gehindert wird3. Dem Schutz des Arbeitnehmers durch zwingendes Arbeitsvertragsrecht wohnt damit ein offenbar paternalistisch zu deutender Kern inne. 1 Vgl. Wiedemann, Das Arbeitsverhältnis als Austausch- und Gemeinschaftsverhältnis (1966), S. 13 ff.; Beuthien/Wehler, Stellung und Schutz der freien Mitarbeiter im Arbeitsrecht, RdA 1978, 2, 5; Lieb, Arbeitsrecht, § 1 Rn. 12 ff.; mit ähnlicher Tendenz auch Zöllner, Regelungsspielräume im Schuldvertragsrecht, AcP 196 (1996), 1, 34. 2 Schwarze, Arbeitnehmerbegriff und Vertragstheorie, ZfA 2005, 81, 89. 3 Schwarze, ebenda; Lepke, BB 1971, 1509; so sieht bereits Lotmar im Arbeitsrecht auch paternalistische Schutzgründe, wenn er ausführt, der Arbeitnehmer müsse vor Unvorsichtigkeit, Zaghaftigkeit und Hilflosigkeit geschützt werden, die ihn veranlassten, harte Vertragsbedingungen anzunehmen, Lotmar, Der Arbeitsvertrag I. (1902), S. 46; vgl. zu paternalistischen Argumenten in den grundlegenden Werken des modernen Arbeitsrechts von Lotmar und Sinzheimer auch Dorndorf, Markt und Moral in der Rechtfertigung des Arbeitsrechts bei Sinzheimer und Lotmar, in: Nutzinger (Hrsg.), S. 231 ff.
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4. Kap.: Die paternalistische Rechtfertigung
Insoweit unterscheidet sich diese vertragstheoretische Rechtfertigung zwingenden Arbeitsrechts nicht prinzipiell von der Rechtfertigung unabdingbarer Vorschriften des allgemeinen Zivilrechts4. Die auf dem Autonomiegedanken basierende Privatrechtsordnung ist der Gewährleistung zureichender individueller Autonomieräume verpflichtet. Sie muss deshalb zum einen die tatsächlichen Funktionsvoraussetzungen privatautonomer Entscheidungen sicherstellen. Aber auch dann, wenn zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses keine relevanten Vertragsdisparitäten sichtbar werden, bleibt die Rechtsordnung der Gewährleistung individueller Autonomie verpflichtet. Gerade weil die Privatrechtsordnung auf dem Gedanken der individuellen Freiheit autonomer und gleichberechtigter Rechtssubjekte basiert, muss sie dieses Fundament schützen. Die den Prinzipien von Privatautonomie und Vertragsfreiheit immanente Anerkennung rechtsgeschäftlicher Bindung muss deshalb zum anderen dort ihre Grenze finden, wo die individuelle Freiheit selbst in einem unzulässigen Maße durch rechtsgeschäftliche Bindung für die Zukunft beschränkt wird. Zwingendes Vertragsrecht erweist sich deshalb als tendenziell paternalistisch, soweit es Inhalt und Reichweite einer rechtsgeschäftlichen Bindung zum (zukünftigen) Wohle mindestens einer Vertragspartei unabhängig von deren – auch materiell – freien Willen konditioniert. Das „zulässige Maß“ an Freiheitsbeeinträchtigung durch Bindung an einen autonomen Vertrag lässt sich wegen der u. U. sehr unterschiedlichen Art der beeinträchtigten zukünftigen Freiheiten nicht monokausal bestimmen und auch hinsichtlich der Frage, wann in einer rechtsgeschäftlichen Bindung eine übermäßige Freiheitsbeschränkung liegt, die eine Konditionierung durch zwingendes Recht erfordert, kommt dem Gesetzgeber ein weiter Entscheidungsspielraum zu. Zur Rechtfertigung der Beschränkung der Vertragsfreiheit durch zwingendes Recht kommen sehr unterschiedliche Übermaßgründe in Betracht. Enderlein unterscheidet in einem beweglichen Rechtfertigungssystem5 hinsichtlich der Gewichtung der Freiheitseinschränkungen durch Rechtsgeschäft zwischen moralischen und nicht moralischen, quantitativen und qualitativen sowie zeitbezogenen und nicht zeitbezogenen Übermaßgründen6. Unter moralischen Übermaßgründen versteht er den Schutz von Individualinteressen in Gestalt zukünftiger Freiheiten, deren Beeinträchtigung durch moralische Erwägungen gegenüber „einfachen“ Beeinträchtigungen zukünftiger Freiheiten zusätzliches Gewicht erlangen7. Qualitative Übermaßgründe beziehen ihr besonderes Gewicht aus der Art der beeinträchtig4 5 6 7
Vgl. Staudinger - Rieble BGB § 397 Rn. 199, 201. Vgl. dazu bereits oben, 3. Kapitel: C. II. 2. und die Nachweise in Fn. 139. Enderlein, S. 306 f. Enderlein, ebenda.
A. Der paternalistische Kern des zwingenden Arbeitsrechts
113
ten Freiheiten bzw. Freiheitsmittel, wie z. B. Vorschriften zum Gesundheitsschutz. Quantitative Übermaßgründe knüpfen dagegen typischerweise an das Ausmaß der Freiheitsbeeinträchtigung an. Letztere lassen sich weiter in zeitbezogene Übermaßgründe, wie etwa eine überlange Vertragsbindung, und nicht-zeitbezogene Übermaßgründe, wie etwa den rechtsgeschäftlichen Ausschluss der Dispositionsmöglichkeiten über künftiges Vermögen, unterteilen lassen8. Greift der Gesetzgeber jedoch durch Schaffung zwingenden Rechts in die Vertragsfreiheit ein, so ist dieser Eingriff wegen der anti-paternalistischen Grundwertung des Zivilrechts legitimationsbedürftig9.
I. Der Arbeitnehmerbegriff als teleologischer Ansatzpunkt Folgt man der soeben allgemein skizzierten paternalistischen Rechtfertigung zwingenden Rechts, so müsste sich für die Rechtfertigung paternalistischen Schutzes im Arbeitsvertragsrecht bereits die Eingehung eines Arbeitsverhältnisses, das „Arbeitnehmer-werden“, als vor dem Hintergrund des Freiheitsideals der Privatrechtsordnung problematisch erweisen. Da das Eingreifen des arbeitsrechtlichen Schutzes im Kern10 davon abhängt, ob der Bedienstete als Arbeitnehmer anzusehen ist, muss das wesentliche Schutzanliegen in der Arbeitnehmereigenschaft selbst begründet sein. Es muss ein Sinnzusammenhang bestehen zwischen der Tatbestandsvoraussetzung „Arbeitnehmer“ und dem Eingreifen des arbeitsrechtlichen Schutzinstrumentariums des zwingenden Gesetzesrechts11. Was aber rechtfertigt die per se andere Beurteilung der Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers gegenüber derjenigen des u. U. wirtschaftlich von einem Auftraggeber abhängigen Selbstständigen, insbesondere des sog. Scheinselbstständigen? Der herrschende Arbeitnehmerbegriff knüpft nicht an die wirtschaftliche Abhängigkeit des Bediensteten an. Eine noch heute – zum Teil mit leichten Modifikationen – gebräuchliche allgemeine Definition, wonach Arbeitnehmer die aufgrund privatrechtlichen Vertrages im Dienste eines anderen zur Arbeit verpflichteten Personen sind, geht bereits auf Alfred Hueck zurück12. 8
Enderlein, ebenda. Enderlein, S. 56 ff., 295 ff. und passim. 10 Die Mischform der in der herrschenden Begriffsbildung zwar wirtschaftlich, aber nicht persönlich abhängigen, arbeitnehmerähnlichen Personen kann im Zusammenhang mit dem hier angestellten Versuch einer grundsätzlichen Beleuchtung der Arbeitnehmereigenschaft als Randerscheinung außer Betracht bleiben. 11 Wank, Arbeitnehmer und Selbständige, S. 23 ff.; ders., Telearbeit, NZA 1999, 225, 226 unter Bezug auf Savigny; insoweit grundsätzlich zustimmend auch Griebeling, NZA 1998, 1137, 1138; vgl. auch Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, § 4 III. 5. g), S. 51. 9
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4. Kap.: Die paternalistische Rechtfertigung
Der aus dem Definitionsmerkmal „im Dienste eines anderen“ abgeleitete, etwas schillernde Begriff der „persönlichen Abhängigkeit“ oder der „Unselbstständigkeit13“ ist nach herrschender Meinung wesentlich für die Arbeitnehmereigenschaft und als das entscheidende Merkmal für die Abgrenzung des vom Gesetzgeber für sozial schutzbedürftig gehaltenen Arbeitnehmers vom Selbstständigen im Einzelnen umstritten14. Diesem hauptsächlich um die Randbereiche des Arbeitnehmerbegriffs geführten Abgrenzungsstreit kann hier nicht im Einzelnen nachgegangen werden. Für die grundsätzliche Frage, worin der Sinnzusammenhang zwischen Arbeitnehmereigenschaft und Schutzbedürfnis besteht, hat er nur eine randständige Bedeutung. Es bleibt aber zu fragen, was bei dem klassischen, heutzutage schon beinahe archetypisch anmutenden, Arbeitnehmertypus – man stelle sich einen gut ausgebildeten, auskömmlich verdienenden, unbefristet vollzeitbeschäftigten, flächentarifunterworfenen Facharbeiter in der Metallindustrie vor – das vor dem Hintergrund des Freiheitsideals der Privatrechtsordnung spezifische Bedürfnis für paternalistischen arbeitsrechtlichen Schutz ausmacht15. Gedanklich auszuklammern sind hier zunächst die im Kontext Arbeitsrecht gewiss bedeutsamen, aber im Kern des Arbeitnehmerbegriffs gerade nicht erfassten, nicht-paternalistischen Erwägungen des Ausgleichs unterlegener Vertragsmacht bei Abschluss des Arbeitsvertrages. Auszuklammern sind ebenfalls die ihrerseits nicht-paternalistisch zu rechtfertigenden kollektivrechtlichen Schutzinstrumente. Entscheidend für die Rechtfertigung paternalistischen Schutzes durch zwingendes Gesetzesrecht können dann nur Erwägungen sein, die unabhängig vom aktuellen (freien) Willen des Betroffenen letztlich dem Schutz zukünftiger individueller Entscheidungsfreiheit verpflichtet sind16. Mit anderen Worten, es ist nach den spezifisch freiheits12
Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts I. (3.-5. Aufl. 1931), S. 36. So die Begriffswahl bei Zöllner/Loritz, a. a. O. 14 Ausführlich zur Begriffsbestimmung MünchArbR - Richardi § 24 Rn. 12 ff. m.w.N; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht § 4 III. 5., S. 45 ff.; vgl. zur aktuellen typologischen Methodik des BAG insb. Griebeling, NZA 1998, 1137 ff. m. w. N.; aus der neueren Rechtsprechung exemplarisch BAG vom 6.5.1998 – 5 AZR 347/97 – AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 94 (Familienhelfer). 15 Wegen der außerordentlichen sozialen, intellektuellen und ökonomischen Bandbreite des mit dem Arbeitnehmerbegriff angesprochenen Personenkreises, von der befristeten Teilzeit-Reinigungskraft im Haushalt bis zum Leiter der Rechtsabteilung eines Großunternehmens, ist offenkundig, dass hinsichtlich der arbeitnehmerspezifischen Schutzbedürftigkeit Typisierungen für eine sichere Rechtsanwendung unumgänglich sind. Es mag daher sein, dass in den Randbereichen des klassischen Arbeitnehmertypus der hier problematisierte Sinnbezug nur eingeschränkt nachvollzogen werden kann. Dies enthebt jedoch nicht vom Erfordernis des Nachweises eines solchen teleologischen Sinnzusammenhangs im Bereich des klassischen Arbeitnehmertypus; vgl. Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht § 4 III 5 g), S. 51. 16 Vgl. die Paternalismusdefinition bei Enderlein, S. 8. 13
A. Der paternalistische Kern des zwingenden Arbeitsrechts
115
einschränkenden Komponenten des Arbeitsverhältnisses zu suchen, die die Rechtfertigung für eine paternalistische Einschränkung der Vertragsfreiheit durch zwingendes Recht im Kern bilden17.
II. Die freiheitseinschränkende Wirkung der arbeitnehmerspezifischen „persönlichen Abhängigkeit“ 1. Die personale Komponente Naheliegend erscheint in diesem Zusammenhang das arbeitsrechtliche Direktionsrecht in den Blick zu nehmen. Das Recht des Arbeitgebers, Weisungen zu erteilen – und die Pflicht des Arbeitnehmers, diese Weisungen zu befolgen – wird von der ganz herrschenden Meinung als eine zentrale Funktion des Arbeitsverhältnisses betrachtet und per se als in der Natur oder dem Wesen des Arbeitsverhältnisses begründet angesehen18. Die Eingehung eines Arbeitsverhältnisses liefert danach die Legitimation dafür, dass ein Mensch die Weisungen eines anderen zu befolgen verpflichtet ist, d.h. gegenüber einem anderen für die Dauer des Arbeitsverhältnisses gehorsamspflichtig wird19. Es liegt auf der Hand, dass die Unterwerfung unter die Befehlsgewalt eines anderen an feudale Strukturen wie z. B. das Verhältnis von Herr und Knecht gemahnt, die dem freiheitlichen Menschenbild der Zivilrechtsordnung diametral entgegenstehen20. Bereits Sinzheimer erkannte in dieser freiheitsbeschränkenden Wirkung der abhängigen Arbeit, der „Wirtschaftsuntertänigkeit“, ein Grundproblem des Arbeitsrechts21: Für das Arbeitsrecht sei das Problem der menschlichen Freiheit gestellt; die Freiheit, um die es sich handele, sei nicht die abstrakte rechtliche Freiheit, auch nicht die politische Freiheit, sondern die Freiheit in den Betrieben unserer Zeit, die oft die Menschen schwerer und schärfer zusammenpresse, als alle früheren Wirtschaftseinheiten22. Das Recht des Arbeitnehmers zur Kündigung relativiert den Freiheitsverlust durch das Weisungsrecht des Arbeitgebers schon deshalb nicht, weil sich der Arbeitnehmer durch die Kündigung zwar vom Arbeitsverhältnis für die Zukunft 17 Schwarze, Arbeitnehmerbegriff und Vertragstheorie, ZfA 2005, 81, 88 ff.; vgl. auch Heinrich, Formale Gleichheit und materiale Gerechtigkeit, S. 520 f. 18 Vgl. nur MünchArbR - Blomeyer § 48 Rn. 31 ff.; MünchArbR - Richardi § 12 Rn. 50 ff. jeweils m. w. N. 19 Griebeling, RdA 1998, 208, 210; vgl. ausführlich dazu Birk, Die arbeitsrechtliche Leitungsmacht, S. 58 ff. 20 Schwarze, a. a. O., 92 f. 21 Sinzheimer, Grundzüge des Arbeitsrechts (1927), S. 10 ff.; ders., Das Wesen des Arbeitsrechts (1927), in: Arbeitsrecht und Rechtssoziologie Bd. 1, S. 108, 112 f. 22 Sinzheimer, ebenda.
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4. Kap.: Die paternalistische Rechtfertigung
„frei machen“ kann23, in der Regel jedoch nicht die Befolgung einzelner Weisungen verweigern darf24. Die Auswirkungen des in der Eingehung des Arbeitsverhältnisses liegenden Freiheitsverlustes sind deshalb auch nicht bereits durch eine mögliche Eigenkündigung reversibel25. Da und wenn die Rechtsordnung der individuellen Freiheit verpflichtet ist, muss sie die Freiheitsentäußerung durch Eingehung des Arbeitsverhältnisses begrenzen. Das zwingende Recht auf richterliche Kontrolle arbeitsrechtlicher Weisungen nach § 315 BGB bzw. § 106 GewO trägt dem Rechnung und lässt sich daher als ein Instrument paternalistischen Schutzes verstehen26. 2. Die wirtschaftliche Komponente Mit dem Recht auf Kontrolle des Direktionsrechts ist in erster Linie die personale Komponente der mit der Verpflichtung zu abhängiger Arbeit einhergehenden Freiheitseinschränkung angesprochen. Allein diese personale Komponente der Freiheitseinschränkung durch abhängige Arbeit kann jedoch nicht erklären, warum auch arbeitsrechtliche Vorschriften zur Daseinsvorsorge, wie z. B. die Vorschriften zum Kündigungsschutz, zum gesetzlichen Mindesturlaub oder zur Entgeltfortzahlung, zwingend sind27. Diese Vorschriften haben in erster Linie die Wirkung, die wirtschaftliche Lage bzw. das wirtschaftliche Dasein des Arbeitnehmers zu verbessern und zu sichern. Als entscheidende Motivation für die Schaffung dieser Vorschriften mögen zwar Sozialschutzerwägungen angesehen werden können28. Der Arbeitnehmer soll ohne Angst vor wirtschaftlichen Einbußen gesunden können, sich erholen können und hinsichtlich der wirtschaftlichen Basis, die das Arbeitsverhältnis bietet, durch eine Beschränkung der ordentlichen 23
Eine Ausnahme könnte man insoweit darin sehen, dass im Einzelfall auch der Inhalt einer konkreten Weisung den Arbeitnehmer zur außerordentlichen Kündigung berechtigen kann, vgl. Schwarze, a. a. O., 93, dort Fn. 56. 24 Zu den Grenzen des Direktionsrechts und damit korrespondierenden Weigerungsrechten des Arbeitnehmers ausführlich Wendeling-Schröder, Autonomie im Arbeitsrecht, S. 56 ff. 25 Dies verkennt Thüsing, wenn er paternalistischen Schutz im Arbeitsrecht wegen einer angeblichen Reversibilität des Freiheitsverlustes grundsätzlich ablehnt, vgl. Thüsing, Angemessenheit durch Konsens – Zu den Grenzen der Richtigkeitsgewähr arbeitsvertraglicher Vereinbarungen, RdA 2005, 257, 260. 26 Schwarze, Vorvertragliche Verständigungspflichten, S. 15. 27 Wank, Arbeitnehmer und Selbständige, S. 23 ff.; Lieb, Arbeitsrecht § 1 Rn. 13; ders., Beschäftigung auf Produktionsdauer, RdA 1977, 214; Beuthien/Wehler, Stellung und Schutz der freien Mitarbeiter im Arbeitsrecht, RdA 1978, 2, 4 ff.; vgl. auch Westermann, Sonderprivatrechtliche Sozialmodelle und das allgemeine Privatrecht AcP, 178 (1978), 150, 160. 28 Vgl. insbesondere Hanau, Freiheit und Gleichheit bei der Gestaltung des Arbeitsrechts, FS 600 Jahre Uni Köln, S. 183, 207.
A. Der paternalistische Kern des zwingenden Arbeitsrechts
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Kündigungsfreiheit des Arbeitgebers geschützt werden. Aber auch das Eingreifen dieser Schutzvorschriften ist nach h. M.29 unabhängig von einem konkreten wirtschaftlichen bzw. sozialen Schutzbedürfnis und an die entscheidend durch das Merkmal der persönlichen Abhängigkeit definierte Arbeitnehmereigenschaft gekoppelt. Auch diese Koppelung muss teleologisch deutbar sein, sie muss einem inneren Sinnzusammenhang folgen30. Es steht daher zu vermuten, dass dem durch das Merkmal der persönlichen Abhängigkeit bzw. der Unselbstständigkeit gekennzeichneten problematischen Freiheitsverlust durch Eingehung eines Arbeitsverhältnisses nicht nur eine personale Komponente, wie sie durch das Direktionsrecht repräsentiert wird, sondern auch eine wirtschaftliche Komponente innewohnt31. Das Eingreifen des arbeitsrechtlichen Schutzes hängt zwar nicht von einer wirtschaftlichen Abhängigkeit oder einer daraus resultierenden sozialen Schutzbedürftigkeit des konkreten Arbeitnehmers von seinem Arbeitsverhältnis ab, die Verpflichtung zu persönlich abhängiger Arbeit hat aber dennoch auch für seine wirtschaftliche Freiheit in Gestalt seiner zukünftigen wirtschaftlichen Dispositionsmöglichkeiten weitreichende Konsequenzen32. Wenn ein unselbstständig Beschäftigter seine Arbeitskraft einem fremden Wirtschaftsorganismus zur Verfügung stellt, reichen die Auswirkungen in die gesamte Lebensführung des Arbeitnehmers hinein; der abhängig Beschäftigte verliert durch seine Tätigkeit die Möglichkeit zu einem ganzheitlichen Wirtschaftsverhalten33. Kennzeichnend für den mit der Verpflichtung zu abhängiger Arbeit einhergehenden – untechnisch zu verstehenden – Verzicht auf freie wirtschaftliche Dispositionsmöglichkeiten sind vor allem zwei Aspekte: Zum einen die damit typischerweise einhergehende Unfähigkeit zu umfassender eigenwirtschaftlicher Daseinsvorsorge und zum anderen der Verzicht darauf, die eigenen Kenntnisse und Fähigkeiten nach eigener Disposition in marktökonomisch optimaler Weise zu entwickeln und zu verwerten. 29 Vgl. aber auch die Gegenauffassung von Hahn, Kündigungsschutz für nicht Schutzbedürftige?, DB 1988, 1015, 1016, der die Anwendbarkeit des KSchG vor dem Hintergrund einer „ungeschriebenen Präambel“ der wirtschaftlich-sozialen Schutzbedürftigkeit beurteilen möchte. 30 Vgl. Wank, Arbeitnehmer und Selbständige, S. 23 ff.; Ein solcher Sinnzusammenhang muss jedenfalls im klassischen Kernbereich des Arbeitnehmerbegriffs aufzufinden sein, mag in den Randbereichen auch ein solcher Zusammenhang aufgrund von im Interesse der Rechtssicherheit gebotenen Typisierungen weniger ausgeprägt sein, vgl. Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht § 4 III. 5 g), S. 51. 31 Lieb, Arbeitsrecht § 1 Rn. 13; vgl. Reichold, Arbeitsrecht, S. 18, Rn. 18. 32 Wiedemann, Das Arbeitsverhältnis als Austausch- und Gemeinschaftsverhältnis, S. 15 f.; kritisch dazu Rancke, Arbeitnehmerbegriff und sozioökonomischer Strukturwandel, AuR 1979, 9, 14. 33 Wiedemann, a. a. O.
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4. Kap.: Die paternalistische Rechtfertigung
a) Der Aspekt des Verlustes an Daseinsvorsorgefähigkeit Die Eingehung eines Arbeitsverhältnisses beinhaltet nicht nur die Verpflichtung zu fremdbestimmter Arbeit, sondern auch die in der Regel dauerhafte Verpflichtung zu fremdnütziger Arbeit, zu Arbeit also, die primär im Interesse des Arbeitgebers erfolgt34. Der Arbeitgeber kann durch die Beschäftigung von Arbeitnehmern seine wirtschaftlichen Dispositionsmöglichkeiten, also seinen unternehmerischen Gestaltungsspielraum, erheblich erweitern und gerade durch die marktmäßige Verwertung fremder Arbeitskraft wirtschaftliche Vorteile für sich ziehen. Gerade darin ist der unternehmerische Sinn in der Beschäftigung von Arbeitnehmern zu sehen, sie dient primär der Erweiterung unternehmerischen Markt- und Gewinnerzielungschancen. Dieser Zusammenhang wird nicht durch die häufig zu beobachtende Erscheinung empirisch widerlegt, dass Unternehmen auf wirtschaftliche Schwierigkeiten mit Personalabbau reagieren oder oftmals bereits die Ankündigung eines Personalabbaus zu steigenden Aktienkursen führt35. Derartige Erscheinungen deuten vielmehr darauf hin, dass der in der Vergangenheit aufgebaute Personalbestand eines Unternehmens nicht mehr den Erfordernissen der gegenwärtig verfolgten Unternehmensziele oder die Ausrichtung des Unternehmens nicht mehr den Markterfordernissen entspricht, also durch Veränderung der Rahmenbedingungen schlicht ein Personalüberhang entstanden ist, der betriebswirtschaftlich selbstverständlich suboptimal ist. Der Gedanke der Erweiterung unternehmerischer Marktund Gewinnerzielungschancen durch den Einsatz von Arbeitnehmern setzt dagegen voraus, dass ein Unternehmen in der Expansion die Chance zur Gewinnmaximierung sieht. Zwar muss keineswegs für jedes Unternehmen in jeder Branche Expansion zu einer höheren Gewinnerzielung führen. Wenn aber eine entsprechende Prognose durch das Unternehmen getroffen wird, so ist es regelmäßig der Einsatz von zusätzlichen Arbeitskräften, der diese zusätzliche Gewinnerzielung ermöglicht36. Dem Arbeitgeber fällt da34 So bereits Sinzheimer, Grundzüge des Arbeitsrechts (1927), S. 10; vgl. auch die philosophische Betrachtung bei Marx, Lohnarbeit und Kapital, exemplarisch, S. 14, 18: „Das Produkt seiner Tätigkeit ist . . . nicht der Zweck seiner Tätigkeit. Was er für sich selbst produziert, ist nicht die Seide, die er webt, nicht das Gold, das er aus dem Bergschacht zieht, nicht der Palast, den er baut. Was er für sich selbst produziert ist der Arbeitslohn, und Seide, Gold und Palast lösen sich für ihn auf in ein bestimmtes Quantum von Lebensmitteln, vielleicht in eine Baumwolljacke, in Kupfermünze und in eine Kellerwohnung“. 35 So aber wohl Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts, S. 549 f. 36 Dies verkennt Bydlinski, wenn er mit den genannten Einwänden grundsätzlich gegen die Berücksichtigung wirtschaftlicher Implikationen der Arbeitnehmereigenschaft als „ideologisch banalisierter Form“ der Marx’schen Mehrwerttheorie polemisiert, a. a. O. (vorige Fn.).
A. Der paternalistische Kern des zwingenden Arbeitsrechts
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mit der „Mehrwert“ der fremden Arbeitskraft zu, aus dem sonst der Arbeitnehmer seine Daseinsvorsorge hätte bestreiten können37. Der mit der Eingehung eines Arbeitsverhältnisses verbundene Verzicht38 für die Zukunft auf die Freiheit39, seine Arbeitskraft und die damit verbundenen eigenen unternehmerischen Chancen als selbstständiger Unternehmer am Markt zu verwerten, begründet damit im Kern die nur eingeschränkte ökonomische Fähigkeit des Arbeitnehmers zu umfassender eigener Daseinsvorsorge40. Dieser grundsätzliche ökonomische Zusammenhang rechtfertigt es, den in der Verpflichtung zu abhängiger Arbeit liegenden Freiheitsverzicht auch in ökonomischer Hinsicht zu konditionieren, weil gerade aus der persönlichen Abhängigkeit typischerweise eine erhebliche Einschränkung der wirtschaftlichen Möglichkeiten resultiert, für zukünftige persönliche Bedürfnisse elementarer Art, wie diejenigen auf Erholung und wirtschaftlich abgesicherter Genesung bei Krankheit, zureichende Eigenvorsorge zu betreiben41. Zugleich rechtfertigt dieser Freiheitsverzicht, dem Arbeitnehmer überhaupt im Wege des Eingriffs in die inhaltliche arbeitsrechtliche Vertragsfreiheit Lasten seiner Daseinsvorsorge abzunehmen42. Der ökonomische Zusammenhang und die daraus resultierende Verantwortungsbeziehung zwischen Fremdnützigkeit der abhängigen Arbeit und dem Verlust der Fähigkeit zu umfassender eigener Daseinsvorsorge beim Arbeitnehmer rechtfertigt es weiter auch, diese Lasten bzw. Kosten nicht als Gemeinschaftsaufgabe der Gesellschaft, sondern dem konkreten Arbeitgeber aufzuerlegen43. 37 Lieb, Arbeitsrecht, § 1 Rn. 12; vgl. zur grundsätzlichen Kritik an der sog. Marx’schen Mehrwerttheorie Fikentscher, Methoden des Rechts Bd. III., S. 504 ff. 38 In diesem Zusammenhang ist der Begriff des Verzichts natürlich nicht im Sinne eines Rechtsverzichts, sondern untechnisch zu verstehen. 39 Dass die Freiheit zu selbstständiger Berufsausübung aus faktischen Gründen für die Mehrheit der Arbeitnehmer stark eingeschränkt ist, steht dem nicht entgegen vgl. dazu unten, 4. Kapitel: A. II. 2. c). 40 Beuthien/Wehler, Stellung und Schutz der freien Mitarbeiter im Arbeitsrecht, RdA 1978, 2, 5; Lieb, Arbeitsrecht § 1 Rn. 12; ders., Beschäftigung und Produktionsdauer, RdA 1977, 210, 215; Wiedemann, a. a. O.; Westermann, Sonderprivatrechtliche Sozialmodelle, AcP 178 (1978), 150, 159, 160; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht § 4 III. 5 g), S. 51. 41 Vgl. Hofmann, FS 25 Jahre BAG, S. 217, 231, 233. 42 In welcher rechtlichen Ausgestaltung die Überwälzung der Sozialkosten erfolgt, ob in Form eines zwingenden zivilrechtlichen Anspruchs oder in Form eines öffentlich-rechtlich oder auch privatrechtlich ausgestalteten Pflichtversicherungssystems, ist insoweit der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers überlassen. Der Gedanke des problematischen Freiheitsverzichts kann nur qualitativ einen Eingriff in die Arbeitsvertragsfreiheit rechtfertigen, er lässt jedoch keine quantitativen Rückschlüsse auf das notwendige Maß an Kompensation zu; vgl. auch Lieb Arbeitsrecht § 1 Rn. 12 und die dortige Fn. 16. 43 Vgl. Bydlinski, Arbeitsrechtskodifikation und allgemeines Zivilrecht, S. 40 f.; vgl. zur Verantwortungsbeziehung des Arbeitgebers zum jeweiligen Zweck der ar-
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4. Kap.: Die paternalistische Rechtfertigung
Demgegenüber erscheint es als zu kurz gegriffen, die Belastung des Arbeitgebers mit der Daseinsvorsorge zuzurechnenden Kosten, beispielsweise für Entgeltfortzahlung oder Erholungsurlaub, ausschließlich als besondere Art des Arbeitsentgeltes zu betrachten44. Da die Höhe des Lohnes bzw. Gehaltes als eigentlicher „Preis“ der Arbeitsleistung in der Regel45 nicht staatlich reglementiert ist, kann ein am vertraglichen Synallagma orientiertes Modell die zwingende und im Kern sogar tariffeste Ausgestaltung der eher als Randleistungen zu betrachtenden Nebenansprüche wie vor allem Urlaub und Entgeltfortzahlung nicht erklären46. Betrachtete man beispielsweise den Anspruch auf Entgeltfortzahlung als bloßen Entgeltbestandteil, so müsste in einem ausschließlich am vertraglichen Synallagma orientierten Modell jedenfalls ein „Abkaufen“ dieses Anspruch durch die Vereinbarung eines entsprechend erhöhten Lohnes oder Gehalts zulässig sein, welches der Arbeitnehmer für eine den gesetzlichen Arbeitgeberleistungen entsprechende privatrechtliche Versicherung verwenden könnte47. Damit ist nicht gesagt, dass nicht auch ein solches Modell der Daseinsvorsorge für Arbeitnehmer rechtspolitisch denkbar wäre, es liegt nur ersichtlich nicht der vom Gesetzgeber gewählten Ausgestaltung als zwingendes Recht zu Grunde48. Zudem ist nicht ersichtlich, warum der Arbeitgeber in einem synallagmatischen Modell gleichsam freiwillig ohne erkennbares Interesse49 auch Daseinsvorsorge- oder Existenzschutzaufwendungen des Arbeitnehmers „abkaufen“ beitnehmerbegünstigenden Regelung als Voraussetzung für die Rechtfertigung einer entsprechenden Kostenbelastung die Entscheidungen des BVerfG zum Hessischen Sonderurlaubsgesetz für ehrenamtliche Mitarbeiter der Jugendarbeit, 1. Senat vom 11.2.1992 – 1 BvR 890/84 und 74/87 – BVerfGE 85, 226, 236 und deutlicher noch der 2. Senat vom 9.11.1999 – 2 BvL 5/95 – BVerfGE 101, 141, 149 f.; andererseits auch BVerfG vom 18.11.2003 – 1 BvR 302/96 – NZA 2004, 33, 37 (zur Verantwortungsbeziehung als Rechtfertigung der Verpflichtung des Arbeitgebers zur Zahlung des Zuschusses zum Mutterschaftsgeld nach § 14 Abs. 1 MuSchG). Grundsätzlich a. A. Reuter, Freiheitsethik und Privatrecht, DZWir 1993, 45, 47, der derartige Verantwortungsbeziehungen negiert und das arbeitsrechtliche Schutzbedürfnis des Arbeitnehmers vor Vernichtung seiner wirtschaftlichen Existenz mit dem Hinweis auf die Existenz des Sozialversicherungs- und Sozialhilferechts begegnet. 44 So vor allem Wiedemann, a. a. O., S. 16 f. 45 Den Sonderfall der allgemeinverbindlichen Tarifverträge mag man insoweit als Ausnahme betrachten, der hier nicht näher nachgegangen werden kann. 46 Schwarze, Arbeitnehmerbegriff und Vertragstheorie, ZfA 2005, 81, 95. 47 Dies erwägt vor allen Hanau, Freiheit und Gleichheit bei der Gestaltung des Arbeitsrechts, FS 600 Jahre Uni Köln, S. 183, 207; vgl. auch Wank, Arbeitnehmer und Selbständige, S. 119. 48 Vgl. Eger/Weise, Ökonomische Analyse des Arbeitsvertragsrechts, in: Ott/ Schäfer (Hrsg.), Ökonomische Analyse des Arbeitsrechts, S. 48, 52 ff. 49 Dies schließt nicht aus, dass es Konstellationen gibt, in denen der Arbeitgeber ein entsprechendes Interesse hat, beispielsweise wenn er ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot vereinbaren möchte; vgl. Wank, a. a. O., S. 118.
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sollte, wo doch für die meisten Arbeitnehmer die Berufsausübung in Selbstständigkeit keine real zur Verfügung stehende Alternative ist50. b) Marktspezifische Aspekte Charakteristisch für die Arbeitnehmereigenschaft ist, dass dem Arbeitnehmer für die Dauer der Beschäftigung die Möglichkeit zur eigenverantwortlichen Entwicklung und Verwertung seiner beruflichen Fähigkeiten genommen wird. Die Bedingungen seiner Existenz und insbesondere seiner zukünftigen Chancen auf dem Beschäftigungsmarkt setzen sich nicht aus einer Vielzahl eigener wirtschaftlicher Entscheidungen und Daten zusammen, sondern sie hängen unu actu von einer Gesamtheit von Arbeitsbedingungen ab51, die durch den Arbeitsvertrag selbst typischerweise nur rudimentär bestimmt werden. Der Verlust der eigenen Arbeitssouveränität52, der mit der Verpflichtung zu abhängiger Arbeit einhergeht, kann gerade bei Höherqualifizierten auch über das konkrete Arbeitsverhältnis hinaus massive Auswirkungen für die künftigen (wirtschaftlichen) Chancen auf dem Beschäftigungsmarkt haben. Das hängt vor allem damit zusammen, dass auch die Entwicklung von Kenntnissen und Fertigkeiten des Arbeitnehmers nach Eintritt in ein dauerhaftes Arbeitsverhältnis in erster Linie fremdnützig ist, sich also primär an den Bedürfnissen des Arbeitgebers orientiert, die nicht mit den Anforderungen des allgemeinen Beschäftigungsmarktes identisch sein müssen53. Der Arbeitnehmer bildet betriebsspezifisches – nicht notwendig auch den Erfordernissen des externen Arbeitsmarktes entsprechendes – Humankapital. Die durch die Eingehung des Arbeitsverhältnisses vermittelte, arbeitgeberspezifische Spezialisierung der Qualifikation des Arbeitnehmers kann deshalb geeignet sein, dessen zukünftigen Erwerbschancen auf dem Beschäftigungsmarkt nachhaltig zu verringern54, sie kann zu einer durch den Arbeitgeber mittels des Direktionsrechts herbeigeführten Dequalifizierung führen55. 50 Schwarze, Arbeitnehmerbegriff und Vertragstheorie, ZfA 2005, 81, 95; Wank, a. a. O., S. 118. 51 Vgl. Wiedemann, a. a. O. 52 Vgl. die Begriffsbildung bei Reichold, Arbeitsrecht, S. 17 Rn. 17. 53 In der ökonomischen Terminologie wird dieser Vorgang als die Bildung betriebsspezifischen Humankapitals bezeichnet, vgl. Eger/Nutzinger, Arbeitsmarkt zwischen Abwanderung und Widerspruch, in: Ökonomie und Gesellschaft, Jahrbuch 15 – Unternehmungsverhalten und Arbeitslosigkeit, S. 135, 137 f. 54 Diese Erwägung spielt auch bei der herausgehobenen Berücksichtigung des Kriteriums der Betriebszugehörigkeit bei der anlässlich einer betriebsbedingten Kündigung vorzunehmenden Sozialauswahl eine tragende Rolle. 55 Vgl. Weise, Alle Märkte sind gleich – zur Bedeutung und den Folgen unterschiedlicher Mobilität der Produktionsfaktoren, in: Nutzinger/Held (Hrsg.), Geteilte
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4. Kap.: Die paternalistische Rechtfertigung
Zur Verdeutlichung lässt sich das folgende Beispiel anführen: Ein IT-Spezialist tritt als Arbeitnehmer in die Dienste eines großen Rechenzentrums, wo er ausschließlich mit der Wartung und Weiterentwicklung von Software in einer zu diesem Zeitpunkt hochmodernen Großrechnerumgebung betraut wird. Infolge technischer Weiterentwicklungen werden derartige Großrechnersysteme über die Jahre zunehmend obsolet. Gleichwohl hält der Arbeitgeber an diesen Systemen noch lange fest. Durch seinen vom Arbeitgeber angeordneten langjährigen Einsatz in diesem Bereich erwirbt der Arbeitnehmer zwar besondere Spezialkenntnisse und Fertigkeiten, sog. betriebsspezifisches Humankapital, die jedoch auf dem allgemeinen Beschäftigungsmarkt nicht (mehr) gefragt sind56. Ein selbstständiger IT-Spezialist dagegen wäre gehalten und durch seine rechtliche Freiheit zu eigenverantwortlicher Disposition über seine (Arbeits-)Zeit in der Lage gewesen, seine Qualifikation kontinuierlich und in eigener Verantwortung den jeweiligen Marktchancen anzupassen. Im Gegensatz zum Arbeitnehmer werden seine zukünftigen Marktchancen nicht primär durch die betriebswirtschaftlichen Entscheidungen eines anderen determiniert; ihm stehen alle rechtlichen Möglichkeiten57 offen, durch freie, eigene Disposition über seine Kenntnisse und Fertigkeiten seine zukünftigen Marktchancen selbst zu gestalten.
Die Gefahr des mit der Verpflichtung zu fremdbestimmter Arbeit einhergehenden Verlustes oder einer dem gleichkommenden Nicht-Weiterentwicklung einer marktgängigen Qualifikation kann deshalb m. E. in besonderer Weise als Rechtfertigung für zwingenden arbeitsrechtlichen Bestandsschutz angesehen werden58. c) Einwände Zweifelsohne ist die wirtschaftliche Lage – und damit auch die Daseinsvorsorgefähigkeit – des durchschnittlichen Arbeitnehmers heute nicht vergleichbar mit derjenigen eines Industrieproletariers des ausgehenden 19. Jahrhunderts, welchen Marx bei seiner Theoriebildung vor Augen gehabt haben mag. Aber selbst beim hochqualifizierten und hochbesoldeten Arbeit und ganzer Mensch, S. 92, 105; ähnlich Plander, Arbeitsrecht: Instrument zur Verwirklichung von Grundrechten der Arbeitnehmer, FS Gnade, S. 79, 83. 56 Vgl. aus ökonomischer Perspektive auch Eger/Nutzinger, Arbeitsmarkt zwischen Abwanderung und Widerspruch, in: Ökonomie und Gesellschaft, Jahrbuch 15 – Unternehmungsverhalten und Arbeitslosigkeit, S. 135, 138 ff.; Seitel, Öffnungsklauseln in Tarifverträgen, S. 8 ff. 57 Und nur auf diese kann es in diesem Zusammenhang ankommen. Dass sich auch ein Selbstständiger durch langfristige Verträge an einen Auftraggeber binden kann und für die Zeit dieser Bindung faktisch keine anderen Dispositionen über seine Arbeitskraft treffen kann, steht dem nicht entgegen, weil das spezifische Risiko langfristiger Verträge insoweit als Teil des Unternehmerrisikos anzusehen ist; vgl. zu diesem Einwand Wank, Arbeitnehmer und Selbständige, S. 118 f. 58 Vgl. Eger/Weise, Ökonomische Analyse des Arbeitsvertragsrechts, in: Ott/ Schäfer (Hrsg.), Ökonomische Analyse des Arbeitsrechts, S. 48, 58.
A. Der paternalistische Kern des zwingenden Arbeitsrechts
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Arbeitnehmer, dem neben dem für den unmittelbaren Lebensunterhalt benötigten Einkommen noch die Möglichkeit zur Bildung eines erheblichen eigenen Vorsorgevermögens verbleibt, ändert sich am grundsätzlichen ökonomischen Zusammenhang nichts. Der Begriff der Daseinsvorsorge mag insoweit den Blick dafür verstellen, dass es heute in Deutschland glücklicherweise nicht mehr primär um den Schutz vor dem Verhungern geht, wenn die Abhängigkeit von Fremdvorsorge zum Erhalt des Lebensstandards angesprochen ist59. Gleichwohl existiert die dargestellte Funktion, nach der sich die wirtschaftlichen Dispositionsmöglichkeiten und Chancen des Beschäftigten gerade durch die arbeitnehmerspezifische persönliche Abhängigkeit des Beschäftigten vermindern, nach wie vor60. Der in der Eingehung eines durch das Merkmal der persönlichen Abhängigkeit gekennzeichneten Arbeitsverhältnisses liegende Freiheitsverzicht hat daher neben der personalen Komponente prinzipiell auch eine wirtschaftliche Komponente61. Dieser auch in wirtschaftlicher Hinsicht problematische Freiheitsverzicht ist daher prinzipiell geeignet, paternalistisch zu deutende Eingriffe in die Arbeitsvertragsfreiheit zu rechtfertigen, die der wirtschaftlichen Daseinsvorsorge und dem wirtschaftlichen Existenzschutz dienen62. Inwieweit diese wirtschaftliche Komponente des Freiheitsverzichts auch außerhalb des klassischen unbefristeten Vollzeitarbeitsverhältnisses, insbesondere bei Teilzeitarbeit in geringem Umfang oder kurzzeit-befristeten Arbeitsverhältnissen, hinreichend ausgeprägt ist, um arbeitsrechtliche Vorschriften zur Daseinsvorsorge paternalistisch zu rechtfertigen63, muss an dieser Stelle nicht eingehend untersucht werden64. Denkbar ist aber in jedem Fall, dass neben dem paternalistischen andere Rechtfertigungsmodelle die zwingende Wirkung dieser Vorschriften auch dann legitimieren65. In atypischen Arbeitsverhältnissen und damit in den Randbereichen des klassi59
Lieb, Arbeitsrecht § 1 Rn. 14. Beuthien/Wehler, RdA 1978, 2, 6. 61 Ablehnend MünchArbR - Richardi § 24 Rn. 36 ff. 62 Vgl. zur Sozialpflichtigkeit des Arbeitgebers auch BVerfG vom 18.11.2003 – 1 BvR 302/96 – [unter C. 2. b) cc) der Gründe], NZA 2004, 33, 36; kritisch im Hinblick auf Hochbesoldete Hanau, Freiheit und Gleichheit bei der Gestaltung des Arbeitsrechts, FS 600 Jahre Uni Köln, S. 183, 207. 63 Vgl. dazu Lieb, RdA 1977, 210, 215 ff.; Beuthien/Wehler, RdA 1978, 2, 7 ff.; MünchArbR - Richardi § 24 Rn. 37 und Rn. 76. 64 Näher dazu unten, 6. Kapitel: A. II. 1. 65 Vgl. Hofmann, Grenzen gesetzlicher Unabdingbarkeitsnormen im Arbeitsrecht, FS 25 Jahre BAG, S. 217, 231, 233 (zum Entgeltfortzahlungsanspruch) und als praktisches Beispiel die Entscheidung des BAG zum Verbot der Ausnahme geringfügig Beschäftigter von der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall nach dem alten § 1 Abs. 3 Nr. 2 LFZG wegen mittelbarer Frauendiskriminierung, BAG vom 9.10.1991 – 5 AZR 598/90 – AP LohnFG § 1 Nr. 95. 60
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4. Kap.: Die paternalistische Rechtfertigung
schen Arbeitnehmerbildes mögen zudem auch überindividuelle ordnungsund sozialpolitische Erwägungen zum Schutz des gesellschaftspolitisch erwünschten sozialversicherungspflichtigen Vollzeitarbeitsverhältnisses eine gewisse Rolle spielen können66. Eine Gleichstellung mit den arbeitnehmerähnlichen Personen, bei denen allein die aus der wirtschaftlichen Abhängigkeit resultierende soziale Schutzbedürftigkeit zur zwingenden Anwendung einzelner arbeitsrechtlicher Vorschriften führt, bewirkt die Berücksichtigung auch wirtschaftlicher Komponenten im Arbeitnehmerbegriff nicht67. Nicht die soziale Schutzbedürftigkeit als (typische) Folge, sondern der in der Eingehung des Arbeitsverhältnisses selbst liegende Verzicht auf die unternehmerische Freiheit ist der in der paternalistischen Rechtfertigung maßgebliche Ansatzpunkt für die zwingende Anordnung arbeitsrechtlichen Schutzes68. In der paternalistischen Rechtfertigung kommt es deshalb auf den wirtschaftlich-sozialen Status des konkreten Arbeitnehmers nicht entscheidend an. Allein der Gedanke der Prävention und Kompensation möglicherweise problematischer Freiheitsentäußerung durch die Eingehung eines Arbeitsverhältnisses ist insoweit maßgeblich. Es liegt auf der Hand, dass die berufliche Selbstständigkeit wohl für die Mehrheit der abhängig Beschäftigten mangels marktgängiger Qualifikation, mangels Kapital oder mangels ausreichender Marktchancen im erlernten Beruf keine für den Erwerb des Lebensunterhalts real zur Verfügung stehende Alternative ist69. Zudem mögen auch die als Kleinunternehmer unter den gegebenen Marktbedingungen erzielbaren Einkünfte – insbesondere im Bereich der Geringqualifizierten, man denke etwa an Kioskbesitzer oder formal selbstständige Auslieferungsfahrer von Paketdiensten – vielfach nicht oder zumindest nicht wesentlich über denen liegen, die abhängig Beschäftigte mit vergleichbarer Qualifikation erzielen. Der Selbstständigkeit mögen also im Einzelfall eine Vielzahl faktischer Hemmnisse und Hindernisse entgegenstehen, die den in der Eingehung des Arbeitsverhältnisses liegenden Freiheitsverzicht in wirtschaftlicher Hinsicht als rein formal, als ein bloß theoretisches Konstrukt erscheinen lassen70. Dies führt jedoch nicht dazu, dass die in der Eingehung des Arbeitsverhältnisses liegende Freiheitsentäußerung als unproblematisch anzusehen ist. Faktische Hindernisse, die der Wahl einer Alternative entgegenstehen, sind nicht geeignet, die Ent66
Näher dazu im 6. Kapitel. Lieb, Arbeitsrecht § 1 Rn. 14. 68 Schwarze, Arbeitnehmerbegriff und Vertragstheorie, ZfA 2005, 81, 92 und die dortige Fn. 52; Beuthien/Wehler, RdA 1979, 2, 6; kritisch Staudinger - Richardi BGB (12. Aufl.) Vorbem. zu §§ 611 ff. Rn. 167 ff. 69 Das sieht auch Schwarze, a. a. O., S. 93. 70 Schwarze, ebenda. 67
B. Folgerungen für die Zulässigkeit des Verzichts
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äußerung der Wahlmöglichkeit a priori zu legitimieren71. Kern des Paternalismusproblems ist die Usurpation fremder Entscheidungstätigkeit, das „nicht selber entscheiden lassen“72. Auch die Beeinträchtigung der Freiheit der Wahl von Alternativen, deren Wahl aus faktischen Gründen untunlich erscheint, ist damit legitimationsbedürftig73. Unzureichende reale Alternativen zur abhängigen Arbeit als wirtschaftlicher Existenzgrundlage relativieren deshalb den damit verbundenen Verlust an Dispositionsfreiheiten nicht. Paternalistischer Schutz bezieht seine Rechtfertigung gerade aus dem Schutz der Freiheit der offenen Möglichkeiten; er kann deshalb insbesondere legitim sein, soweit er freiheitsfördernde Effekte besitzt74. Nur ein auch die (nur) formelle Freiheit einschließender Freiheitsbegriff kann deshalb Anknüpfungspunkt einer Diskussion um die Legitimation paternalistischen Schutzes und deren Grenzen sein75. In diesem Sinne lässt sich die Schutzrichtung des paternalistischen Schutzes durch zwingendes Arbeitsrecht fokussieren auf den Schutz zukünftiger wirtschaftlicher Dispositionsfreiheiten.
B. Folgerungen für die Zulässigkeit des Verzichts In dem gezeigten Sinnzusammenhang zwischen Arbeitnehmerbegriff und dem Eingreifen zentraler arbeitsvertragsrechtlicher Schutzvorschriften zeigt sich der im Kern paternalistische Charakter des zwingenden Arbeitsvertragsrechts. Wenn aber arbeitsrechtlicher Schutz durch zwingendes Recht in seinem Kernbereich paternalistisch zu deuten ist, so kann ein Verzicht auf die so geschützten Rechte oder Ansprüche nur zulässig sein, wenn der paternalistische Charakter dieser Vorschriften der Anerkennung eines auf Eingehung eines Verzichtsvertrages gerichteten Willens nicht entgegensteht. Der Verzichtsvertrag muss mit den im Kern paternalistischen Wertungen des zwingenden Arbeitsrechts kompatibel sein76. Der auf Abschluss eines Arbeitsvertrages unter Abbedingung einer bestimmten arbeitsrechtlichen Schutzvorschrift gerichtete Wille kann von der Rechtsordnung nur dann anders als der Abschluss eines Verzichtsvertrages bewertet werden, wenn die Gründe, die für die Rechtfertigung paternalistischen Schutzes durch zwingendes Arbeitsrecht sprechen, für den Abschluss des Verzichtsvertrages nicht (mehr) relevant sind. 71 72 73 74 75 76
Schwarze, ebenda. Enderlein, S. 9. Vgl. Enderlein, ebenda; Eidenmüller, S. 366 f. Eidenmüller, S. 374 f. Vgl. Schwarze, a. a. O., S. 93; Enderlein, S. 21 und passim. Schwarze, a. a. O., S. 103.
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4. Kap.: Die paternalistische Rechtfertigung
Andererseits gilt auch für den Verzichtsvertrag die anti-paternalistische Grundwertung77, der Grundsatz in dubio pro libertate78. Es ist also zu untersuchen, ob die Wertungsmerkmale, die paternalistischen arbeitsrechtlichen Schutz durch zwingendes Vertragsrecht legitimieren, in gleicher Weise auch hinsichtlich des Verzichtsvertrages einen Eingriff in die Vertragsfreiheit rechtfertigen können. Der weitergehende paternalistische Eingriff in die Verzichtsfreiheit durch Ausschluss der Befugnis zum Verzicht kann daher nur dann gerechtfertigt sein, wenn auch dieser Eingriff im Sinne der fünften Enderlein’schen Paternalismus-Leitlinie79 als freiheitsmaximierend gedeutet werden kann80.
I. Zukunftsbezogenheit als zentrales Rechtfertigungselement Soweit die Einschränkung der Verzichtsbefugnis paternalistisch zu verstehen ist, bedarf sie ebenso wie die zwingende Anordnung arbeitsvertragsrechtlicher Vorschriften einer Rechtfertigung, die insoweit nur darin bestehen kann, dass auch für das Verzichtsverbot freiheitsfördernde81 bzw. freiheitsmaximierende Effekte festgestellt werden können. Ob dies der Fall ist, kann in concreto nur für jeden Anspruch einzeln festgestellt werden. Hierzu bietet sich das Denkmodell des beweglichen Rechtfertigungssystems nach dem bereits oben dargestellten Enderlein’schen Muster an82. Feststellen lässt sich aber auch ein gemeinsames, quasi statisches Grundelement der Rechtfertigung paternalistischen Schutzes durch Freiheitsmaximierung: Paternalistischer Schutz kann insoweit83 nur gerechtfertigt sein, wenn die Einschränkung der gegenwärtigen Freiheit gerade zum Schutz bzw. im Inte77
Enderlein, S. 479 ff. Hofmann, FS 25 Jahre BAG, S. 217, 237. 79 Nach Enderlein soll eine paternalistische Freiheitsbeeinträchtigung prima facie geboten sein, wenn sie folgendem Zweck dienlich ist: „Der Entscheidende soll nicht eine Alternative wählen, durch deren Wahl Freiheitsräume des Entscheidenden in zukünftigen Lebensphasen voraussichtlich in höherem Maße beeinträchtigt werden oder bei deren Wahl die Gefahr einer solchen Beeinträchtigung größer ist als bei der Wahl einer anderen offenstehenden Alternative. Voraussetzung dafür ist, dass die Freiheitsräume des Entscheidenden in gegenwärtigen und in zukünftigen Lebensphasen, in ihrer Gesamtheit betrachtet, durch diese paternalistische Freiheitsbeeinträchtigung maximiert werden.“, Enderlein, S. 52. 80 Enderlein, S. 479. 81 So die Terminologie bei Eidenmüller, S. 375. 82 Siehe dazu oben, 3. Kapitel: C. II. 2. 83 Unberührt bleiben auf Gründe fehlender Entscheidungskompetenz gestützte Rechtfertigungsansätze, wie sie z. B. im Minderjährigenrecht tragend sind. Im Arbeitsrecht spielen sie nach der hier vertreten Ansicht keine Rolle, siehe oben, 3. Kapitel: C. II. 2. 78
B. Folgerungen für die Zulässigkeit des Verzichts
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resse einer zukünftigen Freiheit erfolgt84. Anders gewendet: Ohne die Selbstbeeinträchtigung zukünftiger Freiheiten durch die konkrete Vertragswahl besteht von vornherein kein Anlass für freiheitsmaximierend-paternalistischen Schutz85. Die freiheitsmaximierend-paternalistische Rechtfertigung erweist sich damit als prinzipiell zukunftsbezogen. Für die hier primär interessierende Fragestellung, ob die Wirkung der Unabdingbarkeit einer Norm des Arbeitsvertragsrechts auch den Verzicht auf das entsprechende Recht oder den Anspruch erfasst, muss es daher zunächst darauf ankommen, ob auch der Verzichtsvertrag noch von erheblicher Relevanz für zukünftige Freiheiten des Arbeitnehmers ist. Ist er dies nicht, so ist ein Eingriff in die Verzichtsfreiheit auch nicht freiheitsmaximierend-paternalistisch legitimierbar86. Dieser Grundgedanke zu den Grenzen der Zulässigkeit paternalistischen Schutzes findet sich nicht nur in den nach § 619 BGB zwingenden, klassischen arbeitsrechtlichen Vorschriften des BGB. Auch das allgemeine Zivilrecht kennt ähnliche Verzichtsverbote87.
II. Der Gedanke des Zukunftsschutzes in nicht-arbeitsrechtlichen Normen des BGB Der Gedanke, dass im Hinblick auf die Ungewissheit der künftigen Verhältnisse das Individuum vor unbesonnenen eigenen Abmachungen bewahrt werden müsse, findet sich als tragender Gedanke auch außerhalb des Arbeitsrechts88. In derartigen Fällen ordnet das Gesetz zwar an, dass bestimmte Vereinbarungen „für die Zukunft“ oder „im voraus“ unzulässig sind, für die Vergangenheit, d.h. typischerweise nach Anspruchsentstehung, sollen abändernde Vereinbarungen oder Verfügungen dagegen im Allgemeinen zulässig sein89. Der zuweilen sehr unterschiedliche Kontext der jeweiligen Normen lässt den gemeinsam zu Grunde liegenden Rechtsgedanken des Schutzes zukünftiger Rechtspositionen jedoch oft erst auf den zweiten Blick erkennen. Umstritten ist insoweit der Schutzcharakter des § 137 BGB. Insbesondere Weitnauer verortet dort eine allgemeine freiheitliche Grundnorm des Zivil84 Vgl. Eidenmüller, S. 374 ff.; vgl. zum Gedanken des Zukunftsschutzes im Arbeitsrecht auch Brors, Die Abschaffung der Fürsorgepflicht, S. 98. 85 Enderlein, S. 293. 86 Ebenda. 87 Eine Übersicht gibt MüKo - Habersack BGB § 779 Rn. 5 ff. 88 Vgl. bereits Nipperdey, Beiträge zum Tarifrecht (1924), S. 48 f. 89 Staudinger - Rieble BGB § 397 Rn. 174 f.
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4. Kap.: Die paternalistische Rechtfertigung
rechts, wonach sich niemand durch rechtsgeschäftlichen Verzicht auf die Verfügungsbefugnis über seine Rechte in Abhängigkeit begeben darf90. Augenfällig ist in diesem Zusammenhang auch die Regelung des § 1614 Abs. 1 BGB, nach der ein Verzicht auf Verwandtenunterhalt „für die Zukunft“ verboten ist, Erlassverträge hinsichtlich bereits entstandener Unterhaltsansprüche jedoch nach allgemeiner Ansicht zulässig sein sollen91. Dass diese Regelung nach verbreiteter Ansicht gleichermaßen auch den Schutz der Sozialhilfeträger bezwecken soll, steht dem auch individualschützenden Charakter der Norm nicht entgegen92. Aus dem Erbrecht ist § 2302 BGB zu nennen, der im Interesse der Freiheit, seinen Nachlass durch Verfügung von Todes wegen zu regeln, schuldrechtliche Beschränkungen der Testierfreiheit verbietet93. Hinsichtlich der Rechte zur Aufhebung des Erbvertrages §§ 2290 bis 2292 BGB und des Rücktritts, §§ 2294, 2295 BGB, wirkt § 2302 BGB als Verzichtsverbot94. Dem Erblasser wird so buchstäblich bis zum letzten Atemzug ermöglicht, seinen Testierentschluss noch einmal zu überdenken. Zwar dürfte bei der durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz zur Umsetzung des Art. 7 Abs. 1 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie95 eingefügten Norm des § 475 Abs. 1 Satz 1 BGB, die „vor Mitteilung des Mangels“ beim Verbrauchsgüterkauf für den Verbraucher nachteilig abweichende vertragliche Vereinbarungen von den dort genannten Gewährleistungsvorschriften ausschließt, der Gedanke des Zukunftsschutzes nicht die zentrale Rolle spielen. Als praktischer Regelungszweck der Norm wie der zu Grunde liegenden Richtlinie tritt meines Erachtens hier eher der Schutz des Äquivalenzinteresses des Verbrauchers vor überlegener Verhandlungsmacht des i. d. R. geschäftserfahrenen Unternehmers in den Vordergrund. Hätte sich der Gesetz- bzw. der Richtliniengeber jedoch auf diesen Schutz beschränken wollen, so wäre es ausreichend gewesen, entsprechende Vereinbarungen allein in AGB für unzulässig zu erklären96. Da von der zwingenden Regelung aber nachträgliche Vereinbarungen, insbesondere Vergleiche nach 90 Weitnauer, Die unverzichtbare Handlungsfreiheit, FS für Fr. Weber, S. 429, 433 ff.; ähnlich auch Liebs, Die unbeschränkbare Verfügungsbefugnis, AcP 175 (1975), 1, 10, 25; kritisch dazu MüKo - Mayer-Maly/Armbrüster BGB § 137 Rn. 3. 91 Statt vieler MüKo - Borg BGB § 1614 Rn. 5. 92 So auch MüKo - Born BGB § 1614 Rn. 1; Erman - Hammermann BGB § 1614 Rn. 1; a. A. ohne nähere Begründung Staudinger - Engler BGB § 1614 Rn. 2. 93 MüKo - Musielak BGB § 2302 Rn. 1; Staudinger - Kanzleiter BGB § 2302 Rn. 3. 94 Bamberger/Roth - Litzenburger § 2302 Rn. 1; MüKo - Musielak BGB § 2302 Rn. 2. 95 Richtlinie 1999/44/EG vom 25.5.1999. 96 Vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drucksache 14/6040, S. 244.
B. Folgerungen für die Zulässigkeit des Verzichts
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Schadenseintritt, nicht erfasst werden97, spielt m. E. auch hier der Gedanke des Schutzes vor den unvorhergesehenen Auswirkungen eines leichtfertigen Gewährleistungsverzichts eine Rolle. Die rechtliche Wertung der Unveräußerlichkeit zukünftiger Handlungsfreiheit und damit der Grundgedanke des Freiheitsschutzes durch freiheitsmaximierend-paternalistische Einschränkungen der rechtsgeschäftlichen Verfügungsbefugnis durchzieht damit als Rechtsprinzip das gesamte Privatrecht.
III. Die Bedeutung der Fälligkeit als Basiswertung Aus dem Erfordernis eines erheblichen Zukunftsbezugs für die Rechtfertigung freiheitsmaximierend-paternalistischen Schutzes folgt die herausgehobene Bedeutung, die in Rechtsprechung und Schrifttum dem Zeitpunkt der Fälligkeit eines Rechts oder Anspruchs für dessen Verzichtbarkeit beigemessen wird98. Wie im Einzelnen zu zeigen sein wird, markiert der Zeitpunkt der Fälligkeit im Allgemeinen eine Grenzlinie für die freiheitsmaximierend-paternalistischen Rechtfertigung der zwingenden Anordnung arbeitsvertragsrechtlicher Schutznormen. An das Datum der Fälligkeit knüpft regelmäßig eine Wertung an, die man grob folgendermaßen umreißen kann: Solange ein aus freiheitsmaximierend-paternalistischen Gründen unabdingbarer Anspruch nicht fällig ist, kann er im Allgemeinen auch nicht verzichtbar sein, sobald er jedoch fällig wird, entfallen mangels Zukunftsgerichtetheit im Allgemeinen die Gründe, die die Einschränkung der Verzichtsfreiheit freiheitsmaximierend-paternalistisch rechtfertigen könnten99. Wegen der dem Privatrecht immanenten antipaternalistischen Grundwertung muss der fällige Anspruch bzw. das Recht dann auch als verzichtbar angesehen werden. In der paternalistischen Rechtfertigung gewinnt damit das formale Datum der Fälligkeit den Charakter einer tatbestandlich verfestigten Basiswertung im zu Grunde liegenden beweglichen System, die als Ausgangspunkt für die Abwägung bei ungewöhnlicheren Sachverhalten dienen kann100. Auch Konstellationen, die sich als Ausnahmen von dieser Basiswertung typisieren lassen, werden im Folgenden aufzuzeigen sein. 97
So bereits die Gesetzesbegründung, a. a. O. Vgl. dazu die Rechtsprechungsübersicht im 2. Kapitel: A. und die dortigen Nachweise aus dem Schrifttum sowie insbesondere Staudinger - Rieble BGB § 397 Rn. 182 ff., 197 und Geyer/Knorr/Krasney EFZG § 12 Rn. 17 ff. 99 Vgl. Staudinger - Rieble BGB § 397 Rn. 197, 201. 100 Vgl. Bydlinski, AcP 204 (2004), 309, 332; speziell zum Begriff der Basiswertung und ihrer Funktionsweise im Schadensrecht Schilcher, Theorie der sozialen Schadensverteilung (1977), 204, 214 ff. 98
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4. Kap.: Die paternalistische Rechtfertigung
1. Das Verbot des Vorausverzichts a) Kompatibilität mit der Basiswertung Beim Vorausverzicht oder auch antizipierten Verzicht wird der Verzicht vereinbart, bevor sein Gegenstand überhaupt entstanden ist. Rechtsfolge der Verzichtsvereinbarung ist nach der hier vertretenen Ansicht das Erlöschen des Rechts oder Anspruchs unmittelbar nach dessen Entstehung101. Bei streng formalistischer Auslegung des Wortlautes der zur Anordnung der Unabdingbarkeit in neueren Gesetzen verwendeten Formel „von den Vorschriften dieses Gesetzes kann nicht zuungunsten des Arbeitnehmers abgewichen werden“ hindert der Wortlaut der Unabdingbarkeitsnorm die Zulässigkeit des Vorausverzichts nicht, weil die Entstehung des Rechts oder Anspruchs nicht berührt wird und damit auch nicht „vom Gesetz abgewichen“ wird102. Eindeutiger und weiter ist insoweit der Wortlaut des § 619 BGB oder auch des § 62 Abs. 4 HGB „. . . können nicht im voraus durch Vertrag aufgehoben oder beschränkt werden . . .“, wonach auch die Unzulässigkeit des Vorausverzichts bereits begrifflich erfasst wird. Dass der Gesetzgeber mit der Verwendung der in neueren Gesetzen gebrauchten Formel „von den Vorschriften dieses Gesetzes kann nicht zuungunsten des Arbeitnehmers abgewichen werden“ nunmehr im Gegensatz zu den älteren Normen des § 619 BGB und des § 62 Abs. 4 HGB den Vorausverzicht zulassen wollte, kann indes nicht angenommen werden. Zum einen fehlt für eine entsprechende inhaltliche Änderungsabsicht in den Gesetzgebungsmaterialien jeder Anhaltspunkt103, zum anderen spricht auch der allgemeine gesellschaftspolitische Trend der vom Ausbau des Arbeitneh101 Vgl. zur Begriffsbildung oben, 1. Kapitel: B. II. und Staudinger - Rieble BGB § 397 Rn. 96. 102 Dies gilt jedenfalls dann, wenn man den Vorausverzicht nicht bereits als Verhinderung der Anspruchsentstehung selbst versteht, so aber z. B. Palandt - Grüneberg § 397 Rn. 2 m. w. N.; wie hier MüKo - Schlüter BGB § 397 Rn. 7; BGH vom 28.11.1963 – II ZR 41/62 – BGHZ 40, 326, 330; BGH vom 25.5.1993 – VI ZR 272/92 – NJW-RR 1993, 1111 (1113); so auch Soergel - Zeiss § 397 Rn. 5; Esser/ Schmidt, Schuldrecht AT Teilband 1, S. 332; vgl. die Parallele zum Abweichen vom Tarifvertrag durch Erlassvertrag unter Geltung der TVO bei Nipperdey, Beiträge zum Tarifrecht, S. 28 und S. 37. Eingehend dazu auch Köck, Grenzen der Zulässigkeit des Verzichts auf schon entstandene Arbeitnehmeransprüche, ZAS 1986, 73, 76 f. 103 Vgl. zum Urlaubsrecht den schriftlichen Bericht des Ausschusses für Arbeit, BT-Drucks. IV /785, S. 4 und den Gesetzesentwurf der CDU/CSU-Fraktion, BTDrucks. IV/207, S. 7, dem die Formulierung des § 13 Abs. 1. Satz 3 BUrlG entstammt; zum Entgeltfortzahlungsrecht Lepke, Der Verzicht des Arbeitnehmers auf den Lohnfortzahlungsanspruch im Krankheitsfalle, BB 1971, 1509 mit zahlreichen Nachweisen aus den amtlichen Begründungen zu § 9 LFZG und seiner Vorläufer;
B. Folgerungen für die Zulässigkeit des Verzichts
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merschutzes geprägten 60er und 70er Jahre gegen einen gesetzgeberischen Willen zur Einschränkung des zwingenden Rechts104. Trotz dieser begrifflichen Unschärfen besteht im Ergebnis Einigkeit darüber, dass eine derart formale Betrachtung der Unabdingbarkeit ihrem gesetzgeberischen Zweck nicht gerecht werden kann105. Es liegt auf der Hand, dass es unter Schutzzweckgesichtspunkten im Allgemeinen keine Rolle spielen darf, ob eine Vereinbarung im Voraus die Anspruchsentstehung verhindert oder im Voraus das Erlöschen des Anspruchs unmittelbar nach dessen Entstehung bewirkt. Die praktische Konsequenz ist bei beiden Konstruktionen die gleiche: Durch vorherige Vereinbarung entfällt die zukünftige praktische Verwertbarkeit des geschützten Anspruchs oder Rechts; durch beide Konstruktionen wird gleichermaßen im Voraus die zukünftige Verfügbarkeit ausgeschlossen. Diese phänotypische Ähnlichkeit von Vorausverzicht und Abbedingung verwischt daher häufig bereits die begriffliche Unterscheidung dieser dogmatisch unterschiedlichen Rechtsfiguren106, so dass auch die Begriffe „Abbedingen“ und „im Voraus verzichten“ häufig synonym gebraucht werden. Entsprechend ist auch der Vorausverzicht auf unabdingbare arbeitsrechtliche Ansprüche ohne ausdrücklich normierte Anordnung der Unverzichtbarkeit nach allgemeiner Ansicht unzulässig, weil er dem Zweck des zwingenden Rechts zuwiderläuft107. Das entspricht der oben dargestellten Basiswertung. Wegen der dargestellten phänotypischen Ähnlichkeit von Unabdingbarkeit und Vorausverzicht liegt auf der Hand, dass die im Kern freiheitsmaximierend-paternalistische Rechtfertigung der zwingenden Anordnung arbeitsrechtlicher Vorschriften in gleicher Weise auch ein Verbot des Vorausvervgl. zum Befristungsrecht die Gesetzesbegründung zu § 22 TzBfG, BT-Drucks. 14/4374, S. 22. 104 Vgl. zur Unverzichtbarkeit tariflicher Ansprüche im 5. Kapitel: A. 105 Vgl. den Rechtsprechungsüberblick im 2. Kapitel: A. mit den dortigen Nachweisen. 106 Vgl. dazu die Begriffsbestimmung im 1. Kapitel: B. II. mit den dortigen Nachweisen. 107 Zum Vorausverzicht auf den Zeugnisanspruch BAG vom 16.9.1974 – 5 AZR 255/74 – AP BGB § 630 Nr. 9; ArbG Berlin vom 3.12.1968 – 2 CA 321/68 – DB 1969, 90, 91; RAG vom 18.2.1933 – RAG. 440/32 – ARS Bd. 17, 465, 467; KG Berlin vom 21.12.1910 – XII Zivilsenat – OLGE Bd. 22, 304 – 307; vgl. aus dem Schrifttum statt aller Staudinger - Preis BGB § 630 Rn. 7; zum Vorausverzicht auf Kündigungsschutz BAG vom 19.12.1976 – 2 AZR 565/73 – AP BGB § 620 Bedingung Nr. 3 [unter B. II. 3.c) der Gründe]; vgl. auch BAG vom 12.10.1960 – GS 1/59 (3 AZR65/56) – AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 16; vgl. aus dem Schrifttum statt aller ErfK - Ascheid KSchG § 1 Rn. 15 m. w. N.; Waechter, Verzicht auf Kündigungsschutz, DB 1972, 628 und insb. Neuhausen, Der im voraus erklärte Verzicht des Arbeitnehmers auf Kündigungsschutz, Diss. Uni Köln 1992, S. 11 ff.
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4. Kap.: Die paternalistische Rechtfertigung
zichts rechtfertigen kann. Dies gilt jedenfalls für den Zeitpunkt des Abschlusses des Arbeitsvertrags, aber auch in dem in der Praxis eher unüblichen Fall, dass eine entsprechende Vereinbarung im laufenden, ungekündigten Arbeitsverhältnis getroffen wird. In diesen Situationen sind die dogmatischen Unterschiede von Vorausverzicht und Abbedingung praktisch bedeutungslos108. Insoweit können Unabdingbarkeit und Vorausverzicht auf arbeitsvertragsrechtliche Ansprüche gleichermaßen als Konditionierung des in der Eingehung des Arbeitsverhältnisses liegenden, problematischen Freiheitsverzichts angesehen werden. b) Fehlen eines erheblichen Zukunftsbezugs in der Abwicklungsphase Die Übertragbarkeit der Rechtfertigungsgründe in der Begründungsphase und während des laufenden Arbeitsverhältnisses darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die teleologische Rechtfertigung des Verzichtsverbots aus der Unabdingbarkeit prinzipiell selbstständig beurteilt werden muss. Die freiheitsmaximierend-paternalistischen Rechtfertigung eines Verzichtsverbots erfordert insoweit, dass auch dem Verzichtsverbot noch freiheitsfördernde Effekte hinsichtlich zukünftiger Freiheiten beizumessen sind, die den Eingriff in die gegenwärtige Verzichtsfreiheit erheblich überwiegen. Ob dies der Fall ist, kann dann zweifelhaft werden, wenn der Verzichtsvertrag in der Abwicklungsphase des bereits gekündigten Arbeitsverhältnisses geschlossen wird. Wenn die Beendigung des Arbeitsverhältnisses unmittelbar bevorsteht, relativiert sich die Bedeutung des in der Eingehung des Arbeitsverhältnisses liegenden Freiheitsverzichts des Arbeitnehmers. Die bei Begründung des Arbeitsverhältnisses nur abstrakt zu bestimmende Einschränkung zukünftiger Dispositionsmöglichkeiten konkretisiert sich auf eine überschaubare Restlaufzeit. Damit einhergehend werden häufig auch die als Konditionierung oder Kompensation für diesen spezifischen Freiheitsverzicht zu verstehenden arbeitsvertragsrechtlichen Ansprüche und Rechte aus diesem Arbeitsverhältnis für den einzelnen Arbeitnehmer überschaubar und in ihrer individuellen Bedeutung abschließend bewertbar. In dieser Situation kann sich die Zukunftsbezogenheit des Vorausverzichts soweit relativieren, dass fraglich erscheint, ob das formale Datum der Fälligkeit des geschützten Anspruchs noch als tragfähiger Anknüpfungspunkt für die Frage der Verzichtbarkeit angesehen werden kann. Die Bedeutung der konkret verbleibenden zukünftigen Freiheitseinschränkung kann so gering sein, dass aufgrund der anti-paternalistischen Grundwertung die Rechtfertigung des Eingriffs in die Vertragsfreiheit als nicht mehr hinreichend legitimiert erscheinen kann. Das Feststehen der zeitlich nahen Beendigung des Arbeitsverhältnisses kann 108
Staudinger - Rieble BGB § 397 Rn. 99.
B. Folgerungen für die Zulässigkeit des Verzichts
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sich insoweit nicht nur in einer auf der Annahme einer strukturellen Unterlegenheit des Arbeitnehmers aufbauenden Rechtfertigung auf die Verzichtbarkeit auswirken109, auch in der paternalistischen Rechtfertigung spielt sie eine Rolle, indem sie auch dem noch nicht fälligen Anspruch die für die Rechtfertigung des Verzichtsverbots zu fordernde Zukunftsgerichtetheit nimmt110. In derartigen Situationen kann damit – in Abhängigkeit von der Natur des jeweiligen Anspruchs – eine Abkehr von der Basiswertung der Unzulässigkeit eines Verzichts auf einen unabdingbaren Anspruch vor dessen Fälligkeit notwendig werden. Exemplarisch soll dies anhand der Vereinbarung von (Voraus-)Verzichten auf den gesetzlichen Urlaubsabgeltungsanspruch und den noch nicht fälligen Entgeltfortzahlungsanspruch in Ausgleichsquittungen näher beleuchtet werden. aa) (Voraus-)Verzicht auf den gesetzlichen Urlaubsabgeltungsanspruch Ein Verzicht auf den gesetzlichen Urlaubsabgeltungsanspruch soll nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und der wohl herrschenden Meinung im Schrifttum stets unzulässig sein111. Dies soll unabhängig davon gelten, ob die entsprechende Verzichtsvereinbarung anlässlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, d.h. typischerweise vor dessen rechtlicher Beendigung und damit auch vor Entstehung des Urlaubsabgeltungsanspruchs, oder erst nachträglich112, beispielsweise in einem den Kündigungsrechtsstreit beilegenden arbeitsgerichtlichen Vergleich, getroffen wird113. Die wesentlichen Argumente des Bundesarbeitsgerichts aus seiner diesbezüglichen Leitentscheidung aus dem Jahr 1967 sind bereits oben kritisch erörtert worden114; hier soll lediglich die Kompatibilität der Rechtsprechung mit der freiheitsmaximierend-paternalistischen Rechtfertigung überprüft werden115. Soweit nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auch der nach Fälligkeit des Urlaubsabgeltungsanspruchs vereinbarte Verzicht unzulässig sein soll, besteht schon ein Widerspruch mit der oben angesprochenen Ba109
Vgl. Hofmann, FS 25 Jahre BAG, S. 217, 239. Enderlein, 480 f., 488 f. 111 Vgl. zum Rechtsprechungsstand die Übersicht oben mit den dortigen Nachweisen, 2. Kapitel: A. II. 112 Differenzierend insoweit MünchArbR - Wank § 127 Rn. 13. 113 Vgl. zum Meinungsstand oben, 2. Kapitel: A. II. 114 Dazu 2. Kapitel: B. III. 1. 115 Zur Relevanz der nicht paternalistischen Rechtfertigung und deren Grenzen allgemein unten im 5. Kapitel: E. I. 110
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4. Kap.: Die paternalistische Rechtfertigung
siswertung, wonach die Fälligkeit eines Anspruchs im Allgemeinen auch zu dessen Verzichtbarkeit führt. Als Vorausverzicht stellt sich ein Verzicht auf den Urlaubsabgeltungsanspruch grundsätzlich immer dann dar, wenn der Verzicht noch vor der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses und damit vor Entstehung des Abgeltungsanspruchs vereinbart wird. Auch dann stellt sich jedoch die Frage, warum ein Arbeitnehmer nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts in einem nach Ausspruch der Kündigung, aber vor dem rechtlichen Ende des Arbeitsverhältnisses geschlossenen Abwicklungsvertrag nicht wirksam auf den Urlaubsabgeltungsanspruch verzichten können soll. Unter Zugrundelegung der freiheitsmaximierend-paternalistischen Rechtfertigung könnte eine derart extensive Auslegung der Unabdingbarkeitsnorm des § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG nur dann gerechtfertigt sein, wenn durch den Eingriff in die Verzichtsfreiheit höher zu bewertende zukünftige Freiheiten des Arbeitnehmers gesichert werden. Mit anderen Worten: Der Verzicht auf den Urlaubsabgeltungsanspruch müsste für den Arbeitnehmer zumindest erhebliche Gefahren für seine zukünftigen Handlungsoptionen bergen. Dies ist für den Verzicht auf den Abgeltungsbetrag jedoch nicht ersichtlich. Anders als möglicherweise bei einem Verzicht etwa auf Ansprüche aus einer betrieblichen Altersversorgung oder auf eine Karenzentschädigung bei einem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot kann weder die Höhe des Abgeltungsbetrages116 noch die nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts maßgebliche Zweckbestimmung der finanziellen Ermöglichung von Erholung den Schluss rechtfertigen, dass durch den Verzicht auf den Abgeltungsbetrag eine erhebliche Gefährdung zukünftiger wirtschaftlicher Dispositionsfähigkeiten eintreten könnte. Hinsichtlich der Höhe der Geldbeträge ist festzustellen, dass der Verzicht auf den in der Regel höheren Lohnanspruch – soweit er nicht tariflich geschützt ist – zulässig ist. Die Sicherung der monetären Existenzgrundlage des Arbeitnehmers kann insoweit nicht (mehr) als zureichend legitimierender paternalistischer Eingriffsgrund betrachtet werden117. Der Erholungszweck selbst dagegen wird durch den Verzicht auf den Abgeltungsbetrag nicht tangiert, der Arbeitnehmer nimmt sich durch den Abgeltungsverzicht nicht die künftige rechtliche Möglichkeit, sich nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu erholen, wenn er aktuell ein entsprechendes Erholungsbedürfnis verspürt. Zudem ist schon das Bestehen der vom Bundesarbeitsgericht postulierten Zweckbindung in Zweifel zu ziehen. Der Arbeit116
Vgl. zur Maßgeblichkeit der Werthaltigkeit des Verzichtsgegenstands für die Auslegung von Erledigungsklauseln Bauer/Diller, Allgemeine Erledigungsklausel und nachvertragliches Wettbewerbsverbot – eine unendliche Geschichte?, BB 2004, 1274. 117 Vgl. Renaud, Die Abgeltung von Urlaubsansprüchen nach dem Mindesturlaubsgesetz für Arbeitnehmer, Diss. Uni Heidelberg 1975, S. 89.
B. Folgerungen für die Zulässigkeit des Verzichts
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nehmer ist in der Verwendung des Abgeltungsbetrages frei. Da es an einer § 8 BUrlG118 entsprechenden Regelung fehlt, ist der Arbeitnehmer rechtlich nicht verpflichtet, den Abgeltungsbetrag zu Erholungszwecken zu verwenden119. Der Abgeltungsanspruch soll lediglich die finanzielle und damit rein faktische Möglichkeit zur nachträglichen Erholung absichern, die Entscheidung über die Mittelverwendung zu Erholungszwecken aber dem Arbeitnehmer überlassen120. Auch die Preisgabe der Mittel für die Erholung durch Verzicht kann deshalb mangels hinreichender Zukunftsgerichtetheit anlässlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses keinen paternalistischen Eingriffsgrund mehr liefern121. Das von der Rechtsprechung angenommene generelle Verbot des Verzichts auf den gesetzlichen Urlaubsabgeltungsanspruch ist danach in der Abwicklungsphase des Arbeitsverhältnisses, d.h. in der Regel nach Ausspruch einer Kündigung, auch dann nicht mehr freiheitsmaximierend-paternalistisch zu rechtfertigen, wenn der Verzicht sich formal als ein Vorausverzicht darstellt. Umso weniger ist er zu rechtfertigen, wenn der Verzichtsvertrag nachträglich geschlossen wird. bb) Vorausverzicht auf den Entgeltfortzahlungsanspruch Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts soll der Entgeltfortzahlungsanspruch zwar nicht wie der Urlaubsabgeltungsanspruch absolut unverzichtbar sein. Als unverzichtbar wird er jedoch auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses dann angesehen, wenn und soweit er zum Zeitpunkt der Verzichtsvereinbarung noch nicht fällig ist, wobei Fälligkeit in der Regel mit dem gewöhnlichen Lohn- bzw. Gehaltszahlungstermin eintritt122. Auch außerhalb des Sonderfalls des § 8 Abs. 1 EFZG ist deshalb denkbar, dass zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses bereits entstandene Entgeltfortzahlungsansprüche noch nicht fällig sind, falls nicht – wie aber wohl praktisch im Regelfall anzunehmen ist – zugleich eine entsprechende Schlussabrechnung erstellt wird123. 118 § 8 BUrlG untersagt die Aufnahme einer dem Urlaubszweck widersprechenden Erwerbstätigkeit währen des Erholungsurlaubs. 119 Allg. Ansicht, statt aller ErfK - Dörner BUrlG § 8 Rn 9. 120 Enderlein, S. 480. 121 Enderlein, ebenda; im Ergebnis ebenso bereits ArbG Hamburg vom 18.12.1967 – 6 Ca 623/67 – BB 1968, 424; vgl. aus dem Schrifttum auch Staudinger - Rieble BGB § 397 Rn. 197; Besuden, Der Urlaubsabgeltungsanspruch, Diss. Uni Konstanz 1997, S. 187; Renaud, S. 93 m. w. N. aus dem älteren Schrifttum; Schnorr, Anm. zu BAG vom 27.7.1967, SAE 1968, 181, 182; Boldt/Röhsler BUrlG § 1 Rn. 65 m. w. N. aus der älteren Rechtsprechung. 122 BAG vom 26.10.1971 – 1 AZR 40/71 – AP LohnFG § 6 Nr. 1.
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4. Kap.: Die paternalistische Rechtfertigung
Anders als beim zuvor erörterten Verzicht auf den Urlaubsabgeltungsanspruch entspricht die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts insoweit der erörterten Basiswertung der freiheitsmaximierend-paternalistischen Rechtfertigung. Ähnlich wie dort stellt sich aber auch hier die Frage, ob das Verbot des Vorausverzichts auch noch in der Abwicklungsphase des Arbeitsverhältnisses durch eine Beförderung zukünftiger Freiheiten des Arbeitnehmers paternalistisch gerechtfertigt werden kann. Demgegenüber wird in Teilen des Schrifttums die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts als zu restriktiv kritisiert und ein Verzichtsverbot wie bei der Rechtsprechung zum Urlaubsabgeltungsanspruch gefordert. Vorab ist deshalb zu prüfen, ob die dazu ins Feld geführten Zweckannahmen einer Unverzichtbarkeit auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses überhaupt einer paternalistischen Deutung zugänglich sind, um im zweiten Schritt die zureichende freiheitsmaximierend-paternalistische Rechtfertigung des Verbots des Vorausverzichts, wie es vom Bundesarbeitsgericht auch anlässlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses angenommen wird, zu überprüfen. (1) Abgrenzung zu nicht paternalistischen Zweckannahmen (a) Sozialrechtliche Folgewirkungen Im Schrifttum wird vereinzelt aus der drohenden Belastung der Krankenkassen durch den sozialrechtlichen Krankengeldanspruch die Unverzichtbarkeit des Entgeltfortzahlungsanspruchs auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses gefolgert124. Für die Untersuchung der arbeitsvertragstheoretischen Rechtfertigung des Verzichtsverbots durch Freiheitsmaximierung sind indes die sozialrechtlichen Folgewirkungen eines solchen Verzichts zur Vermeidung einer unzulässigen Vermengung möglicher Rechtfertigungsgründe gedanklich zunächst weitgehend auszuklammern125. Das Argument der möglichen Belastung der Allgemeinheit und insbesondere der Krankenkassen durch einen solchen Verzicht ist für die freiheitsmaximierend-paternalistische Rechtfertigung ohne Belang, weil insoweit nicht die unmittelbare Beförderung des zukünftigen Wohls des Arbeitnehmers durch den Eingriff in die Verzichtsfreiheit bezweckt wird. Derartige Zweckannahmen fußen auf 123 Vgl. zu derartigen Konstellationen BAG vom 20.8.1980 – 5 AZR 218/78 – AP LohnFG § 6 Nr. 11. 124 So MünchArbR - Boecken § 85 Rn. 77; Kunze, Anspruch auf Krankengeld bei Verzicht auf Lohnfortzahlung, DOK 1980, 80 f.; Bürck, § 32 SGB I in der Praxis, VSSR 1990, 287, 305; differenzierend Eichenhofer, Sozialrechtliche Grenzen der Privatautonomie, VSSR 1991, 185–204; zur sozialrechtlichen Argumentation hier näher im 6. Kapitel: A. IV. 125 Enderlein, S. 258 ff.
B. Folgerungen für die Zulässigkeit des Verzichts
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dem Gedanken des Schutzes außerhalb des Vertrages stehender Dritter und können schon deshalb grundsätzlich nicht als paternalistisch motiviert angesehen werden. Auf die Bedeutung der sozialrechtlichen Implikationen des Verzichts auf arbeitsrechtliche Ansprüche für die Verzichtsbefugnis wird allerdings unten im 6. Kapitel: A. IV. noch näher einzugehen sein. Aus der Unzulässigkeit der Vermengung der Rechtfertigungsgründe ergibt sich allerdings für die Prüfung der paternalistischen Rechtfertigung des Verzichtsverbots auch eine gegenläufige Konsequenz: Unzulässig wäre es gleichfalls, eine paternalistische Rechtfertigung des Verzichtsverbots mit dem Argument abzulehnen, der Verzicht habe für die Zukunft keine erheblich belastenden Wirkungen, weil der Arbeitnehmer während seiner Arbeitsunfähigkeit Krankengeld in Anspruch nehmen könne. Für die richtige Gewichtung der Verzichtsgefahren in der Abwägung ist deshalb davon auszugehen, dass der Verlust des Verzichtsgegenstandes nicht durch Leistungen der Sozialkassen bzw. Dritter (teil-)kompensiert wird. Es muss also davon ausgegangen werden, dass dem Arbeitnehmer kein Krankengeldanspruch nach den §§ 44 Abs. 1, 46 SGB V zusteht, soweit er auf den Entgeltfortzahlungsanspruch gegen den Arbeitgeber verzichtet hat und der Krankengeldanspruch deshalb (grundsätzlich) nicht gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 1 SGB V ruht126. (b) „Druck“ nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses In der Literatur wird die Unverzichtbarkeit des Entgeltfortzahlungsanspruchs auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum Teil deshalb propagiert, weil auch in diesem Stadium des Arbeitsverhältnisses dem Arbeitgeber noch Druckmittel zur Verfügung stehen können, die geeignet sind, den Arbeitnehmer zum Verzicht zu bewegen. Beispielsweise wird die Situation des ehemaligen Arbeitnehmers angesprochen, der deswegen weiter Zwängen unterliege, weil der Arbeitgeber seine Arbeitspapiere zurückhalte, negative Auswirkungen auf das noch auszustellende Arbeitszeugnis zu befürchten seien oder ein weiteres Familienmitglied beim selben Arbeitgeber beschäftigt sei127. Man mag diese Beispiele schon deshalb nicht für die Rechtfertigung einer generellen Unverzichtbarkeit nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses 126
Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung der Sozialgerichte seit BSG vom 16.12.1980 – 3 RK 27/79 – KVRS A-2420/1; BSG vom 16.12.1980 – 3 RK 40/79 – BSGE 51, 82–85; vgl. auch BSG 1. Senat 13.5.1992 – 1/3 RK 10/90 – NZA 1993, 142 ff. 127 Dorndorf, Anm. zu BAG vom 21.12.1972 – 5 AZR 319/72 – SAE 1974, 117, 118; Trieschmann, RdA 1976, 69.
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4. Kap.: Die paternalistische Rechtfertigung
geeignet halten, weil damit wohl eher Ausnahmekonstellationen angesprochen werden128. Gemeinsam ist den Erwägungen in allen genannten Beispielen aber, dass eine mehr oder weniger subtile, mögliche Druckausübung des Arbeitgebers auf die Entscheidungsfindung beim Arbeitnehmer für die Rechtfertigung des Verzichtsverbots als maßgeblich angesehen wird. Ob und inwieweit derartige Erwägungen überhaupt prinzipiell geeignet sind, ein Verzichtsverbot zu rechtfertigen, wird im 5. Kapitel: E. I. 1. näher zu erörtern sein. Im hier untersuchten Zusammenhang bleibt nur festzustellen, dass der Gedanke des Schutzes zukünftiger Dispositionsfreiheiten insoweit nicht maßgeblich ist. Die genannten Erwägungen sind daher nicht geeignet, ein Verzichtsverbot freiheitsmaximierend-paternalistisch zu rechtfertigen. (c) Schutz vor Preisgabe des Anspruchs aus Unwissenheit oder Unachtsamkeit Die Unverzichtbarkeit des Entgeltfortzahlungsanspruchs wird zum Teil auch deshalb gefordert, weil der Arbeitnehmer davor geschützt werden müsse, aus Unwissenheit, insbesondere in einer Ausgleichsquittung, auf Ansprüche zu verzichten. Wenn kein Druck des Arbeitgebers zur Ausübung eines Verzichts bestehe, so lasse sich ein derartiger Verzicht eines Arbeiters überhaupt nur mit seiner Unkenntnis oder Ungeschicklichkeit erklären; in diesem Fall behalte § 9 LohnFG unter dem Gesichtspunkt des Schutzes „vor sich selbst“ ebenfalls seinen Sinn129. Es ist zweifelhaft, ob ein Schutz vor unter Informationsdefiziten zustande gekommenen Entscheidungen noch ohne weiteres als paternalistisch eingeordnet werden kann130. Der Problemkern informationsdefizitärer Entscheidungen scheint weniger darin zu liegen, dass der geäußerte Wille des Individuums per se unvernünftig ist, sondern darin, dass die individuelle Willensbildung unerkannt von falschen Voraussetzungen ausgegangen ist. Die Frage der Einordnung des Schutzes vor Unkenntnis als paternalistisch kann in diesem Zusammenhang aber letztlich dahinstehen. Denn jedenfalls paternalistischer Schutz im Wege eines vollständigen Ausschlusses der Vertragsfreiheit in Gestalt der Verzichtsfreiheit kann wegen der anti-paternalisti128 So BAG vom 11.6.1976 – 5 AZR 506/75 – AP LohnFG § 9 Nr. 2 [unter II. 3.]; Hofmann, FS 25 Jahre BAG, S. 217, 233; Terhorst, Der Schutz der Sozialleistungsträger vor selbstgeschaffenen Versorgungslücken durch einen Verzicht auf Unterhalt und Arbeitsentgelt, Diss. Uni Konstanz 1993, S. 33. 129 So Heckelmann, Anm. zu BAG vom 11.6.1976 – 5 AZR 506/75 – SAE 1977, 257, 260. 130 Vgl. die Kategorisierung oben, 3. Kapitel: C. II. 1.; m. E. steht die Störung des Willensbildungsvorgangs hier im Vordergrund; vgl. auch Enderlein, S. 68 und S. 487.
B. Folgerungen für die Zulässigkeit des Verzichts
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schen Grundwertung des Zivilrechts durch diese Gefahr nicht freiheitsmaximierend-paternalistisch gerechtfertigt werden. Lediglich rationalitätserhöhende oder kompensatorische Maßnahmen – wie besondere Anforderungen an die Eindeutigkeit des Erklärungsinhalts, Zitiergebote hinsichtlich des Verzichtsumfangs oder auch ein Widerrufsrecht nach Vorbild des § 312 BGB – könnten so zu rechtfertigen sein, nicht jedoch der Ausschluss der Verzichtsbefugnis131. (d) Zweckannahmen im Grenzbereich zwischen Druckausübung, ordnungspolitischen Erwägungen und paternalistischem Schutz Außerhalb des Anwendungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes ist denkbar, dass der Arbeitgeber bereits die zu erwartende Arbeitsunfähigkeit von voraussichtlich längerer Dauer zum Anlass für eine Kündigung oder das Angebot eines Aufhebungsvertrags132 nimmt133. Dies könnte möglicherweise sogar in der Weise geschehen, dass dem Arbeitnehmer eine Wiedereinstellungszusage als Gegenleistung für einen Verzicht auf den nach § 8 Abs. 1 EFZG aufrechterhaltenen Entgeltfortzahlungsanspruch angeboten wird. Insbesondere im Arbeitsmarktsegment der Geringqualifizierten, in dem der Einarbeitungsaufwand einer Ersatzkraft typischerweise gering ist – man denke etwa an die Krankheitsvertretung für einen Lager- oder Bauhilfsarbeiter, der einen Beinbruch erlitten hat – böte sich in Form dieses „unmoralischen Angebots“ regelmäßig eine für den Arbeitgeber wirtschaftlich attraktive Möglichkeit der Umgehung des gesetzlich auferlegten Sozialschutzes durch Entgeltfortzahlung134. In Abhängigkeit von der jeweiligen Arbeitsmarktsituation dürfte es sich der Arbeitnehmer nach dem Motto „besser für die Genesungszeit keinen Lohn als mit hoher Wahrscheinlich131
Vgl. Enderlein, S. 481, 489. Das BAG hat die Vorgängernorm des § 6 LFZG bei Aufhebungsverträgen vielfach analog angewendet, weil nicht auf die formale Seite (Aufhebungsvertrag oder Kündigung), sondern mehr auf den Anlass, also den materiellen Auflösungsantrag abzustellen sei, vgl. BAG vom 28.11.1979 AP LohnFG § 6 Nr. 10; BAG vom 20.8.1980 AP LohnFG § 6 Nr. 11 sowie BAG vom 20.8.1980 AP LohnFG § 6 Nr. 15; ebenso die h. M. im Schrifttum: Staudinger - Oetker BGB § 616 Rn. 386; Schmitt, EFZG § 8 Rn. 17 bis 20 und Rn. 51; a. A. insoweit ErfK - Dörner EFZG § 8 Rn. 32. 133 Vgl. zu derartigen Konstellationen den Tatbestand von BAG 5. Senat, Urteil vom 17.4.2002 – 5 AZR 2/01 – AP EntgeltFG § 8 Nr. 1. 134 Vgl. zur freiheitssichernden Wirkung des Kündigungsschutzes durch Eindämmung des von der Kündigungsfreiheit des Arbeitgebers ausgehenden Nötigungspotenzials zu überobligationsmäßigem Verhalten Dorndorf, Eine Mindestmoral des Arbeitsrechts, Liber Amicorum Spiros Simitis, S. 69, 78 ff. 132
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4. Kap.: Die paternalistische Rechtfertigung
keit längere Zeit arbeitslos“ in vielen Fällen kaum leisten können, sich einem derartigen Ansinnen zu verweigern135. Zudem sind die für eine ordentliche Kündigung einzuhaltenden Kündigungsfristen in vielen Fällen nicht geeignet, eine Vorgehensweise zumindest in Form der einseitigen Beendigungsdrohung zu verhindern136. Man kann daher sagen, dass die Unabdingbarkeit des § 8 Abs. 1 EFZG außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes faktisch auch die Funktion eines mittelbaren, präventiv wirkenden, besonderen Beendigungsschutzes für den Fall der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit erfüllt137, indem sie einer Kündigung aus Anlass einer absehbar längeren, krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit ihre wirtschaftliche Attraktivität nimmt138. Aber können diese Erwägungen eine paternalistische Rechfertigung für die Unverzichtbarkeit des nach § 8 Abs. 1 EFZG aufrecht erhaltenen Entgeltfortzahlungsanspruchs liefern? Gewiss haben derartige Konstellationen zum gegenwärtigen Zeitpunkt Ausnahmecharakter. Ob es aber auch bei einer Ausnahmekonstellationen bliebe, wenn man anlässlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses den Vorausverzicht auf den aufrechterhaltenen Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 8 Abs. 1 EFZG entgegen der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts für zulässig hielte, erscheint in Zeiten anhaltend hoher Arbeitslosigkeit insbesondere im Arbeitsmarktsegment der Geringqualifizierten und der gleichzeitig festzustellenden rechtspolitischen Tendenz der Zurückdrängung des Kündigungsschutzes139 zweifelhaft. Schon heute ist im ange135
Vgl. zum Nötigungspotenzial drohender Arbeitslosigkeit Dorndorf, ebenda, S. 69, 79. 136 Dies gilt umso mehr, weil die gesetzlichen Kündigungsfristen des § 622 BGB gerade in Branchen, die vermehrt Geringqualifizierte beschäftigen, häufig tarifvertraglich abgekürzt sind; vgl. z. B. die kurze allgemeine Kündigungsfrist des allgemeinverbindlichen § 12 Nr. 1.1 BRTV-Bau von nur 6 Werktagen in den ersten sechs Monaten und 12 Werktagen in den ersten 3 Jahren des Arbeitsverhältnisses; vgl. auch BAG 5. Senat, Urteil vom 17.4.2002 – 5 AZR 2/01 – AP EntgeltFG § 8 Nr. 1, Kündigungsfrist dort 1 Tag nach TV Gebäudereiniger-Handwerk. 137 Vgl. zur Interdependenz von Beendigungsschutz und zwingenden gesetzlichen Schutznormen des Arbeitsvertragsrechts Dorndorf, Vertragsdurchsetzung als Funktion des Kündigungsschutzes, ZfA 1989, 345, 359 f. 138 Vgl. BAG vom 26.5.1999 – 5 AZR 476/98 – NZA 1999, 1273 ff.; Gaumann/ Schafft, Anspruch auf Entgeltfortzahlung bei Kündigung aus Anlass der Erkrankung innerhalb der Wartezeit des § 3 III EFZG?, NZA 2000, 812, 813; dazu auch schon Lotmar, Der Arbeitsvertrag II. (1908), S. 237, der für die zwingende Krankenfürsorgevorschrift des § 616 BGB konstatiert: „Solange nicht das Gesetz eine den § 616 BGB integrierende Vorschrift gibt – welche die Kündigung in der Zeit der Verhinderung ausschließt, oder des Einflusses auf die Zahlungspflicht entkleidet – muss auch der als zwingend anerkannte § 616 in vielen Fällen für den Dienstverpflichteten ein Messer bilden, dem zwar nicht die Klinge, aber das Heft fehlt.“ 139 So wurde mit der zum 1.1.2004 in Kraft getretenen Novelle des Kündigungsschutzgesetzes dessen Anwendungsbereich durch § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG grund-
B. Folgerungen für die Zulässigkeit des Verzichts
141
sprochenen Arbeitsmarktsegment der eine „Flucht aus dem Normalarbeitsverhältnis“ auslösende Kostendruck unverkennbar. Die dabei an den Tag gelegte rechtsgestalterische Kreativität – und zuweilen auch kriminelle Energie – ist groß140. Man denke hier etwa an insbesondere im Baugewerbe oder in der Fleischbranche anzutreffende Strukturen organisierter Schwarzarbeit oder illegaler Arbeitnehmerüberlassung. Wie in den vorgenannten Beispielen steht also auch hier ein gewisses Nötigungspotenzial des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer bei der Rechtfertigung des Verzichtsverbots im Vordergrund141. Der faktische Zwang, wegen der existenziellen Angewiesenheit auf den Arbeitsplatz unter Umständen auch sehenden Auges einen den Sozialschutzintentionen des Gesetzes widersprechenden Verzichtsvertrag abschließen zu müssen, nicht paternalistische Schutzerwägungen sind hier tragend142. Erhebliche Gefahren für zukünftige Freiheiten des Arbeitnehmers, wie sie nach der freiheitsmaximierend-paternalistischen Rechtfertigung erforderlich wären, lassen sich aus den Spezifika dieses Beispiels jedoch nicht unmittelbar entnehmen. Es ist nicht primär der Verzicht auf den Entgeltfortzahlungsanspruch, der in diesem Beispiel anstößig erscheint, sondern die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerade wegen des Entgeltfortzahlungsanspruchs. Mit diesem Beispiel ist zugleich ein in verschiedenen Bereichen der Arbeitnehmerschutzgesetzgebung anzutreffendes Schutz-Paradoxon angesprochen: Da Arbeitnehmerschutz durch arbeitsrechtlichen Sozialschutz für die Arbeitgeberseite in der Regel kostenträchtig ist, ist er geeignet, schwer kontrollierbare Vermeidungsstrategien zu provozieren, deren Auswirkungen das gesetzgeberische Schutzanliegen ins Gegenteil pervertieren können143. sätzlich auf Betriebe mit mehr als 10 Arbeitnehmern eingeschränkt; der 65. Deutsche Juristentag hat – nach einer von Unternehmensjuristen fragwürdiger Weise dominierten Abstimmung – unlängst sogar gefordert, der Kündigungsschutz solle in Unternehmen mit bis zu 20 Arbeitnehmern entfallen und die Wartezeit von 6 auf 36 Monate ausgedehnt werden; vgl. „Eklat beim Kündigungsschutz“, FAZ vom 24.9.2004. 140 Zu derartigen Phänomenen eingehend Böhm, Flucht aus dem Zeitvertrag in die Zeitarbeit – Fehlentwicklungen durch gesetzliche Fehlsteuerung, NZA 2004, 823 ff.; Henssler, Aufspaltung, Ausgliederung und Fremdvergabe, NZA 1994, 294–305. 141 Vgl. speziell zum Nötigungspotenzial arbeitgeberischer Kündigungsfreiheit Dorndorf, Eine Mindestmoral des Arbeitsrechts, Liber Amicorum Spiros Simitis, S. 69, 79 f. 142 Vgl. Enderlein, S. 466 f.; vgl. auch M. Wolf, Entscheidungsfreiheit, S. 18. 143 Als besonders problematisch erweisen sich hier Vorschriften, die für den Arbeitgeber kostenträchtigen Sozialschutz für besondere Arbeitnehmergruppen gewähren wie z. B. Mutterschutzvorschriften; vgl. dazu auch Reuter, Die ethischen Grund-
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4. Kap.: Die paternalistische Rechtfertigung
Dieses Beispiel zeigt, dass die Unverzichtbarkeit einer Norm Auswirkungen auf sehr unterschiedlichen Ebenen zeigen kann, die einer einheitlichen Deutung als paternalistisch einerseits oder unterlegenheitskompensierend andererseits kaum zugänglich sind. Wollte man die Unverzichtbarkeit des nach § 8 Abs. 1 EFZG aufrechterhaltenen Anspruchs aus den Spezifika dieses Beispiels auch freiheitsmaximierend-paternalistisch begründen, so müsste man primär an der im Kern paternalistischen Rechtfertigung des Beendigungsschutzes und damit bei dem Gedanken ansetzen, dass der in der Eingehung des Arbeitsverhältnisses liegende Freiheitsverzicht einer Konditionierung durch arbeitsrechtlichen Bestandsschutz in gesteigertem Maße dann bedarf, wenn der Arbeitnehmer wegen unverschuldeter Arbeitsunfähigkeit besonders schutzbedürftig erscheint. Im Zweifel dürften derart mittelbare Wirkungen aber wohl nicht ausreichend sein, den generellen Ausschluss der Verzichtsbefugnis freiheitsmaximierend-paternalistisch zu rechtfertigen144. Das angemessenere, weil präzisere Schutzinstrument dürfte hier sein, die Wirksamkeit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses am Maßstab der §§ 138, 242 BGB unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls und der gesetzgeberischen Wertung des § 8 Abs. 1 EFZG zu überprüfen145. (2) Verbleibende paternalistische Argumente (a) Beeinträchtigung der zukünftigen finanziellen Situation Selbst wenn man mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts146 davon ausgeht, dass der Arbeitnehmer im Falle eines Verzichts auf Entgeltfortzahlungsansprüche in der Regel kein Krankengeld beanspruchen kann, erscheint äußerst fraglich, ob auch in der Abwicklungsphase die zukünftilagen des Privatrechts, AcP 189 (1989), 199, 203 f. sowie die Entscheidung des BVerfG zur Verfassungswidrigkeit der Arbeitgeberfinanzierung des Zuschusses zum Mutterschaftsgeld nach § 14 Abs. 1 MuSchG ohne ein einstellungshemmende Belastungen ausgleichendes Umlageverfahren, BVerfG vom 18.11.2003 – 1 BvR 302/96 – NZA 2004, 33, 37. Entsprechendes gilt auch für besondere Ansprüche Schwerbehinderter nach dem SGB IX. Mit Ausbau dieser Schutzvorschriften hat es sich zudem als notwendig erwiesen, den Zugang der betroffenen Personengruppen zur Beschäftigung durch ein Verbot der auf die Ermittlung dieser besonderen Schutztatbestände zielenden Fragen im Bewerbungsgespräch zu flankieren; vgl. dazu die Entwicklung der Diskussion um die Frage nach einer bestehenden Schwangerschaft MünchArbR - Buchner § 41 Rn. 76 ff. und neuerdings auch um die Frage nach der Schwerbehinderteneigenschaft vgl. Messingschlager, „Sind Sie schwerbehindert?“ – Das Ende einer (un)beliebten Frage, NZA 2003, 301 ff. 144 Enderlein, S. 259 ff. und 488 f. 145 Enderlein, S. 488 f. 146 Vgl. BSG vom 16.12.1980 – 3 RK 40/79 – JURIS KSRE 019281012 und BSG vom 16.12.1980 – 3 RK 27/79 – JURIS KSRE 014991017.
B. Folgerungen für die Zulässigkeit des Verzichts
143
gen Beeinträchtigungen durch diesen Verzicht noch als so gravierend einzuschätzen sind, dass ein Eingriff in die Verzichtsfreiheit als freiheitsmaximierend gerechtfertigt werden kann. Solange man in diesem Zusammenhang nur die Höhe des Verzichtsbetrages in den Blick nimmt, kann hier nichts anderes gelten als beim oben erörterten Verzicht auf den Urlaubsabgeltungsanspruch. Auch hier dürften sich die in Rede stehenden Geldbeträge in der Regel deutlich unterhalb eines Monatsgehaltes bewegen; nur im Falle des über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus aufrechterhaltenen Entgeltfortzahlungsanspruchs nach § 8 Abs. 1 EFZG ist gemäß § 3 Abs. 1 EFZG eine maximale Anspruchshöhe in Höhe des Arbeitslohns für sechs Wochen denkbar. Damit erscheint allein die der Höhe nach überschaubare und zudem limitierte finanzielle Belastung durch den Verzicht nicht als erhebliche Beschränkung zukünftiger Dispositionsmöglichkeiten, die ein Verzichtsverbot rechtfertigen könnte. Zudem ist das Wertungselement der Rationalitätsgefährdung, insbesondere in Gestalt des leichtfertigen Vertrauens des Einzelnen darauf, dass ein bestimmter unwahrscheinlicher oder irregulärer Geschehensablauf schon nicht eintreten werde, hinsichtlich der wirtschaftlichen Folgen des Verzichts hier typischerweise nicht besonders ausgeprägt147. Lediglich in den Fällen des § 8 Abs. 1 EFZG, in denen vor Genesung des Arbeitnehmers anlässlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein Verzicht auf Entgeltfortzahlungsansprüche vereinbart wird, ist wegen des möglicherweise unsicheren weiteren Genesungsverlaufs die konkrete Anspruchshöhe und damit die Werthaltigkeit des Verzichts noch nicht mit Sicherheit vorhersehbar. Da aber auch in diesen Fällen die maximale Anspruchshöhe durch § 3 Abs. 1 EFZG limitiert ist, bietet in der Abwicklungsphase dieser monetäre Unsicherheitsfaktor allein keine zureichende freiheitsmaximierend-paternalistische Rechtfertigung für einen generellen Eingriff in die Verzichtsfreiheit148. (b) Präventiver Gesundheitsschutz Dem Entgeltfortzahlungsgesetz wird vielfach auch der Zweck beigemessen, den Arbeitnehmer davor zu schützen, seine zukünftige Gesundheit dadurch zu gefährden, dass er zur Vermeidung finanzieller Einbußen eine vorhandene Erkrankung nicht auskuriert, sondern weiterarbeitet149. Insbesondere in der Diskussion um die Zulässigkeit von Anwesenheitsprämien vor der Schaffung des § 4a EFZG hatten derartige Erwägungen erhebliche Be147
Enderlein, S. 489. Ebenda. 149 Vgl. BAG vom 19.5.1982 – 5 AZR 466/80 – AP BGB § 611 Anwesenheitsprämie Nr. 12. 148
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4. Kap.: Die paternalistische Rechtfertigung
deutung150. Es wurde argumentiert, solche Anreize solle es nach Sinn und Zweck des Lohnfortzahlungsgesetzes nicht geben dürfen; der Arbeiter solle nicht aus finanziellen Gründen leichtfertig mit seiner Gesundheit umgehen151. Der Schutz vor Selbstausbeutung mit möglicherweise dauerhaft nachteiligen gesundheitlichen Folgen für die Zukunft und damit der Schutz „vor sich selbst“ dient in diesem Zusammenhang als paternalistisch zu verstehendes Schutzargument152. Ihr Gewicht beziehen derartige Argumente in der Regel aus rechtsmoralischen Erwägungen, die einen eigenständigen Unwert darin sehen, des Geldes wegen gesundheitliche Beeinträchtigungen oder Gefahren in Kauf zu nehmen153. Nicht prinzipiell anders ist die Situation, wenn man den Vorausverzicht auf den nach § 8 Abs. 1 EFZG aufrechterhaltenen Entgeltfortzahlungsanspruch anlässlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses betrachtet. Auch hier könnte der Arbeitnehmer geneigt sein, bei der Suche und Aufnahme eines neuen Arbeitsverhältnisses die Rücksicht auf die eigene Gesundheit in gesteigertem Maße hintanzustellen, weil er sich infolge eines Vorausverzichts auf den aufrechterhaltenen Entgeltfortzahlungsanspruchs in gesteigertem Maße einem Erwerbsdruck ausgesetzt sieht. Rechtfertigt also diese mögliche mittelbare Gesundheitsgefährdung ein Verbot des Vorausverzichts auch noch in der Abwicklungsphase des Arbeitsverhältnisses? In derartigen Konstellationen ergeben sich paternalistische Argumente für den Eingriff in die Vertragsfreiheit nicht aus den unmittelbaren Nachteilen des Verzichts, hier auf den Zahlungsanspruch, sondern aus der mittelbaren Erhöhung der Gefahr, dass der Geschützte eine weitere selbstschädigende Entscheidung trifft. Er könnte z. B. geneigt sein unvernünftigerweise trotz Erkrankung zu arbeiten. Die für die Gewichtung des Eingriffs relevante Gefahr einer künftigen Schädigung entsteht also erst durch eine zweite, zeitlich spätere Entscheidung. Der Eingriff in die Vertragsfreiheit zu diesem Zweck beeinträchtigt die Freiheit des Geschützten zu eigenverantwortlichen Entscheidungen damit in mehrfacher Hinsicht, was die Eingriffsintensität und damit auch das für die Legitimität des Eingriffs erforderliche Gewicht der Rechtfertigungsgründe erhöht154. Festzustellen ist weiter, dass hier auch der Eintritt eines gesundheitlichen Nachteils durch die Entscheidung zur potenziell gesundheitsschädlichen 150 Vgl. BAG, ebenda, mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen; Fenn/Bepler, RdA 1973, 218, 226. 151 BAG, a. a. O. 152 Enderlein, S. 513 ff. 153 BAG, a. a. O.; Anm. Fenn zu BAG vom 13.10.1982 – 5 AZR 370/80 – EzA § 611 BGB Gratifikation, Prämie Nr. 72. 154 Vgl. zum Ganzen Enderlein, S. 299.
B. Folgerungen für die Zulässigkeit des Verzichts
145
Weiterarbeit keineswegs sicher ist. Dies ist für die Rechtfertigung freiheitsmaximierend-paternalistischen Schutzes allerdings auch nicht erforderlich. Es genügt grundsätzlich eine voraussichtliche Beeinträchtigung zukünftiger Präferenzen155. Der Sicherheit bzw. dem Grad der Wahrscheinlichkeit einer Beeinträchtigung möglicher künftiger Präferenzen kommt zwar der Charakter eines Gewichtungsfaktors, nicht aber derjenige einer Voraussetzung zu. Entsprechend gilt auch hier: Je unwahrscheinlicher der Eintritt nachteiliger Auswirkungen auf die Gesundheit ist, desto weniger kann der Aspekt des präventiven Gesundheitsschutzes einen Eingriff in die Vertragsfreiheit rechtfertigen156. Auszuscheiden sind danach zunächst die Fälle, in denen der Verzicht zwar vor Fälligkeit des Entgeltfortzahlungsanspruchs, aber nach Genesung bzw. Beendigung der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit erklärt wird157. In diesen Fällen kann der Verzicht keinen nachteiligen Einfluss auf den Genesungsverlauf mehr haben, obwohl er formal als Vorausverzicht zu qualifizieren ist. Das Argument einer möglichen Gesundheitsgefährdung kann deshalb nur zum Tragen kommen, wenn der Verzicht auf den Entgeltfortzahlungsanspruch vor Eintritt der Genesung vereinbart wird158. Dies ist theoretisch sowohl hinsichtlich des regulären als auch hinsichtlich des aufrechterhaltenen Entgeltfortzahlungsanspruchs nach § 8 Abs. 1 EFZG denkbar159. Nur hinsichtlich des Letzteren besteht jedoch die Gefahr der anderweitigen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit. Beim einfachen Entgeltfortzahlungsanspruch fehlt es wegen des fortbestehenden Arbeitsverhältnisses schon an der rechtlichen Möglichkeit der Aufnahme eines anderen (Vollzeit-)Arbeitsverhältnisses. Aber auch in den danach verbleibenden Fällen erscheint für den Regelfall eine Selbstgefährdung des künftigen Gesundheitszustands durch einen Vorausverzicht vernachlässigbar. Weiter auszuscheiden sind insoweit die Fälle, 155
Vgl. Enderlein, S. 52 ff. Vgl. Enderlein, S. 519. 157 Beispiel (Grundfall): Ein Arbeitnehmer erhält am 30.6. eine Kündigung zum 31.7. d. J.; regulärer Entgeltzahlungstermin ist der 15 des Monats für den jeweils vergangenen Monat. In der Zeit vom 20.6. bis zum 20.7. war der Arbeitnehmer wegen Erkrankung arbeitsunfähig, am 21.7. vereinbaren die Parteien einen Verzicht auf Entgeltfortzahlung. Hinsichtlich des Zeitraums vom 15.7. bis zum 20.7. liegt formal ein Vorausverzicht vor. 158 So auch Enderlein, a. a. O. 159 Beispiel 1: Wie oben, nur wird der Verzicht bereits am 16.7., also vor Genesung vereinbart. Beispiel 2: Ein Arbeitnehmer erhält aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit i. S. d. § 8 Abs. 1 EFZG am 20.6. eine Kündigung zum 15.7. Am 20.7. wird ein Verzicht auf den Entgeltfortzahlungsanspruch vereinbart, die Arbeitsunfähigkeit dauert insgesamt mehr als 6 Wochen an. 156
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4. Kap.: Die paternalistische Rechtfertigung
in denen die Erkrankung im Entgeltfortzahlungszeitraum zu einer absoluten Arbeitsunfähigkeit führt, dem Arbeitnehmer also die Erbringung jedweder am Markt verwertbarer Arbeitsleistung physisch unmöglich ist. Man denke hier etwa an den wegen eines Beinbruchs bettlägerigen Bauarbeiter. Auch hier mag wegen der finanziell nachteiligen Folgen des Verzichts jenseits des Entgeltfortzahlungszeitraums zwar eine graduelle Steigerung der Gefahr einer Selbstschädigung durch verfrühte Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit bestehen, diese im Einzelfall mögliche Fernwirkung steht jedoch kaum mehr in einem hinreichend konkreten Zusammenhang mit dem Entgeltverzicht. Problematisch bleiben damit praktisch nur die Fälle, in denen die Erkrankung nicht jede Arbeitsleistung im Entgeltfortzahlungszeitraum absolut ausschließt und der noch nicht vollständig genesene Arbeitnehmer durch den im voraus vereinbarten Verzicht auf den nach § 8 Abs. 1 EFZG aufrecht erhaltenen Anspruch geneigt sein könnte, ein „Verschleppen“ dieser Erkrankung aus ökonomischen Gründen zu verharmlosen. Nun mag hinsichtlich einer zukünftigen Gesundheitsbeeinträchtigung das sich aus dem psychologischen Phänomen des sog. wishful-thinking ergebende Gefährdungselement, dass der Einzelne irrational darauf vertrauen „möchte“, dass ein bestimmter unwahrscheinlicher oder irregulärer Geschehensverlauf schon nicht eintreten werde, deutlich ausgeprägter sein als bei den zuvor erörterten wirtschaftlichen Auswirkungen des Verzichts. Der Einzelne mag eher geneigt sein anzunehmen, dass aus seiner Bronchitis schon keine schwere Lungenentzündung werde, als das er die finanziellen Konsequenzen des Verzichts für den relativ überschaubaren Entgeltfortzahlungszeitraum von maximal sechs Wochen verkennt. Insoweit mögen Gründe der Rationalitätsgefährdung geeignet sein, das Gewicht des GesundheitsschutzArguments zu erhöhen. Es bestehen dennoch erhebliche Zweifel, ob diese grundsätzlich immer vorhandene Gefahr des leichtfertigen Umgangs mit der eigenen Gesundheit durch den Vorausverzicht auf den Zahlungsanspruch in der Abwicklungsphase nennenswert erhöht wird. Findet der gesundheitlich angeschlagene Arbeitnehmer im Anschluss an das vorherige Arbeitsverhältnis eine neue Arbeitsstelle, so wird er – soweit er das gesundheitlich für sich vertreten kann – in der Regel im wohl verstandenen Eigeninteresse geneigt sein, diese auch anzutreten, um nicht von Anfang an „einen schlechten Eindruck zu machen“. Und zwar auch dann, wenn er noch Entgeltfortzahlung vom alten Arbeitgeber beanspruchen könnte. Finanzielle Aspekte dürften bei der individuellen Entscheidungsfindung m. E. hier in der Regel in den Hintergrund treten. Abschließend wird man in der übergroßen Mehrheit der Fälle wohl sagen können, dass das Argument des präventiven Gesundheitsschutzes nicht einschlägig ist. Selbst wenn man dem Zweck des Gesundheitsschutzes ein besonderes rechtsmoralisches Gewicht beimisst und insoweit auch die Gefahr
B. Folgerungen für die Zulässigkeit des Verzichts
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einer Verharmlosung gesundheitlicher Risiken erschwerend berücksichtigt, erscheinen die verbleibenden Fälle, in denen eine gewisse Validität dieses Arguments nicht ausgeschlossen werden kann, nicht geeignet, ein generelles Verbot des Vorausverzichts auf den Entgeltfortzahlungsanspruch in der Abwicklungsphase des Arbeitsverhältnisses zu rechtfertigen. Einen generellen paternalistischen Eingriff in die Vertragsfreiheit, der in den allermeisten Fällen unbegründet ist, kann man auch nicht mehr mit einer im Interesse der Rechtssicherheit erforderlichen Typisierung rechtfertigen; er bleibt grundsätzlich unzulässig160. cc) Vorausverzicht auf den Abfindungsanspruch aus § 1a KSchG Wenig untersucht ist bisher die Frage, ob der nach wohl überwiegender Ansicht der Höhe nach zugunsten des Arbeitnehmers zwingende Abfindungsanspruch aus § 1a KSchG bereits vor Fälligkeit durch Verzichtsvertrag geschmälert oder beseitigt werden kann161. Vorab ist allerdings durch Auslegung zu ermitteln, ob der Arbeitgeber überhaupt den Weg des § 1a KSchG gehen wollte: Lässt sich der Hinweis auf eine niedrigere Abfindung als selbstständiges Angebot auf Abschluss eines Abwicklungsvertrages deuten, so würde – bei einer entsprechenden Annahmeerklärung des Arbeitnehmers – ein selbstständiger Abfindungsvertrag zu der geringeren Abfindungshöhe zustande kommen162.
Zweck der zugunsten des Arbeitnehmers zwingenden Abfindungshöhe des § 1a Abs. 2 KSchG soll ausweislich der Gesetzesbegründung sein, dass dem Arbeitnehmer die Sorge genommen werde solle, dass er keine angemessene Abfindung erhalte163; dem Arbeitnehmer solle die Prüfung der Angemessenheit der Abfindungshöhe nicht zugemutet werden164. Diese Begründung mag zweifelhaft erscheinen, denn keinesfalls immer kann die in § 1a Abs. 2 KSchG zu Grunde gelegte sog. Regelabfindung als dem Verlust des Arbeitsplatzes bzw. den Erfolgsaussichten einer Kündigungsschutzklage in der konkreten Situation als angemessen angesehen werden. Dennoch wird man jedenfalls einen (teilweisen) Vorausverzicht, der entweder bereits im Rahmen des Kündigungsschreibens angeboten oder aber noch vor Ablauf der Klagefrist separat vereinbart wird, ebenso wie das InAussicht-Stellen einer geringeren als in § 1a Abs. 2 KSchG vorgesehenen Abfindung als der gesetzgeberischen Wertung zuwiderlaufend ansehen 160
Vgl. Enderlein, S. 489, 520. Vgl. zur Anspruchsnatur und -entstehung oben, 2. Kapitel: A. IV. 3. 162 KR - Spilger, KSchG § 1a Rn. 60; vgl. zur Anspruchsnatur des Abfindungsanspruchs auch oben, 2. Kapitel: A. IV. 3. und die dortigen Nachweise. 163 Vgl. BT-Drucks. 15/1204, S. 9. 164 Raab, Der Abfindungsanspruch gemäß § 1a KSchG, RdA 2005, 1, 7. 161
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4. Kap.: Die paternalistische Rechtfertigung
müssen165. Wollte der Arbeitgeber also mit dem Hinweis in der Kündigungserklärung „das Verfahren“ nach § 1a KSchG einschlagen, so wäre eine antizipierte Verzichtsvereinbarung vor Ablauf der Klagefrist als gegen die Unabdingbarkeit des § 1a Abs. 2 KSchG verstoßend auszulegen und nach § 134 BGB nichtig, weil die gesetzlich zwingend vorgesehene Wahlmöglichkeit des Arbeitnehmers zwischen sog. Regelabfindung oder Kündigungsschutzklage abgeschnitten würde166. Der Arbeitgeber müsste die volle Abfindung nach § 1a Abs. 2 KSchG zahlen167. Weitergehend halten Altenburg/Reufels/Leister einen Vorausverzicht auf den Abfindungsanspruch auch noch nach Ablauf der Klagefrist für unzulässig168. Der Arbeitnehmer müsse insoweit „vor sich selbst“ geschützt werden, weil das sozial motivierte Schutzrecht insbesondere Arbeitnehmern nicht zutraue, zum begehrten Erlass auch „Nein“ zu sagen, weil sie der Übermacht ihres Vertragspartners ausgesetzt seien169. Mit diesem Normzweck nicht zu vereinbaren sei ein Verzicht, der während des zwar gekündigten, aber noch bestehenden Arbeitsverhältnisses erklärt wird und der sich auf einen zukünftigen, noch nicht entstandenen Anspruch bezieht170. Dies vermag zumindest in diesem Zusammenhang nicht zu überzeugen. Altenburg/Reufels/Leister vermengen den mit der Basiswertung der Fälligkeit verbundenen Gedanken des paternalistischen Schutzes „vor sich selbst“ unzulässig mit dem Gedanken des Unterlegenheitsschutzes. Hinsichtlich beider grundsätzlich in Betracht kommender Rechtfertigungsgründe bleiben sie jedoch letztlich eine schlüssige Begründung, warum ein Eingriff in die Verzichtsfreiheit der Parteien in dieser Phase noch gerechtfertigt sein soll, schuldig. In der hier zunächst interessierenden paternalistischen Rechtfertigung des unabdingbarkeitsspezifischen Verzichtsverbots wäre die Beförderung und Sicherung zukünftiger Handlungsfreiheiten das zentrale Anliegen. Zwar ist das Datum der Anspruchsentstehung, bzw. der Fälligkeit eines Anspruchs, das hier mit der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses zusammenfällt, insoweit von besonderer Bedeutung. Dies gilt jedoch nur, weil und soweit der erst künftig entstehende Anspruch in seiner konkreten Bedeutung in einer künftigen Lebenslage für den Gläubiger aus der ex-ante Perspektive nur eingeschränkt bewertbar ist. Der Schutz vor den Auswirkungen eines gegenwärtigen Verzicht auf künftige Dispositionsfrei165
KR - Spilger, KSchG § 1a Rn. 108. So wohl zutreffend KR - Spilger, KSchG § 1a Rn. 108. 167 So KR - Spilger, KSchG § 1a Rn. 60, 108; vgl. auch Raab, Der Abfindungsanspruch gemäß § 1a KSchG, RdA 2005, 1, 7. 168 Altenburg/Reufels/Leister, Der Vorausverzicht auf den Abfindungsanspruch aus § 1a KSchG, NZA 2006, 71, 75 f. 169 Ebenda. 170 Altenburg/Reufels/Leister, a. a. O. 166
B. Folgerungen für die Zulässigkeit des Verzichts
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heiten kann ein Verzichtsverbot aber nur solange rechtfertigen, wie diese möglichen künftigen Auswirkungen in ihrer Bedeutung für den Verzichtenden die gegenwärtige Freiheitseinschränkung durch das Verbot deutlich überwiegen171. Die noch nicht eingetretene Fälligkeit ist insoweit im Allgemeinen ein Indiz; sie liefert jedoch nicht die eigentliche, innere Rechtfertigung paternalistischen Schutzes. Im Fall des Abfindungsanspruchs aus § 1a KSchG steht der endgültige Umfang des Abfindungsanspruchs und der Verlust des Arbeitsplatzes als „Preis“ dafür aber spätestens mit Ablauf der Klagefrist abschließend fest. Kündigungsfristen sind im Allgemeinen auch nicht so unüberschaubar lang, dass allein das evtl. noch ungewisse Maß der künftigen Angewiesenheit auf den feststehenden Abfindungsbetrag als zureichende Beeinträchtigung künftiger Dispositionsfreiheiten angesehen werden könnte. Darin unterscheidet sich diese Situation etwa von einer Verzichtsvereinbarung über unverfallbare Anwartschaften auf eine Betriebsrente. Weiter kann ein Verzichtsvertrag über den Abfindungsanspruch nach Ablauf der Klagefrist auch und gerade im Interesse des Arbeitnehmers liegen. Man denke etwa an die Fälle, in denen Arbeitnehmer nach Ablauf der Klagefrist, aber vor Ende der Kündigungsfrist eine neue Arbeitsstelle antreten möchten. Es ist aus der Perspektive des freiheitsmaximierenden Paternalismus kein Grund ersichtlich, warum die Arbeitsvertragsparteien in einer derartigen Situation an einer Vereinbarung gehindert werden sollten, die die vorzeitige Beendigung des noch bestehenden Arbeitsverhältnisses172 oder die Freistellung von der Arbeitsleistung von einem (teilweisen) Verzicht auf die dem Grunde nach bereits entstandene Abfindung aus § 1a KSchG abhängig macht. Es gibt keinen sachlich anzuerkennenden Grund, Arbeitnehmer in einer solchen Situation gegen ihren Willen am Abfindungsanspruch aus § 1a KSchG festzuhalten. Dagegen kann auch nicht angeführt werden, dass die Arbeitsvertragsparteien statt des gesetzlich kodifizierten Wegs des § 1a KSchG auch einen einfachen Abwicklungsvertrag hätten abschließen können. Auch wenn sich der Arbeitnehmer während der laufenden Klagefrist mit guten Gründen, beispielsweise zur Vermeidung der sperrzeitauslösenden Wirkung eines einfachen Abwicklungsvertrages173, auf eine Abfindung nach § 1a KSchG eingelassen hat, können sich seine Entscheidungsgrundlagen, etwa durch ein 171
Vgl. Enderlein, S. 52 und 293; dazu auch schon oben, 4. Kapitel: B. I. Zudem ist hinsichtlich der vorzeitigen rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Aufhebungsvertrag noch ungeklärt, ob dies ohnehin zum Fortfall des Abfindungsanspruchs führt; vgl. KR - Spilger KSchG § 1a Rn. 121. 173 Vgl. dazu Lilienfeld/Spellbrink, Für eine sperrzeitrechtliche Neubewertung des Abwicklungsvertrages im Lichte des § 1a KSchG, RdA 2005, 88 ff. 172
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4. Kap.: Die paternalistische Rechtfertigung
unverhofftes Stellenangebot, nachträglich entscheidend ändern. Dies verkennen Altenburg/Reufels/Leister, wenn sie den Ausschluss der Verzichtsbefugnis bis zum Ablauf der Kündigungsfrist wegen der paternalistischen Schutzrichtung des § 1a KSchG gleichwohl für geboten halten174. Auch der Gedanke des Unterlegenheitsschutzes legitimiert nach Ausspruch der Kündigung, jedenfalls aber nach Ablauf der Klagefrist, den Ausschluss der Verzichtsbefugnis des Arbeitnehmers hinsichtlich des Abfindungsanspruchs aus § 1a KSchG in der Regel nicht mehr175. Nach Ablauf der Klagefrist des Arbeitnehmers kann der zwingende Abfindungsanspruch aus § 1a KSchG damit grundsätzlich auch Gegenstand einer wirksamen Verzichtsvereinbarung sein. dd) Zeitliche Dimension der Abwicklungsphase Nicht nur die Fälligkeit bzw. Ausübbarkeit der aus unabdingbaren Normen abgeleiteten Rechte oder Ansprüche, sondern auch die mit dem absehbar nahen Ende des Arbeitsverhältnisses in der Regel ebenfalls endende zukunftsschützende Wirkung bilden eine Grenze für die Rechtfertigung freiheitsmaximierend-paternalistischen Schutzes. Die Abkehr vom Datum der Fälligkeit als alleiniger und starrer Grenze für eine Rechtfertigung der Unverzichtbarkeit erfordert daher eine Konkretisierung des hier für maßgeblich erachteten, relativ unbestimmten Begriffs der Abwicklungsphase. Die Abwicklungsphase lässt sich dadurch charakterisieren, dass das Arbeitsverhältnis zwar formal noch nicht sein Ende gefunden hat, aber bereits Einigkeit über dessen unmittelbar bevorstehende Beendigung herrscht und es nunmehr nur noch gilt, begonnene Aufgaben zu einem Abschluss zu bringen und die beiderseitigen Beziehungen „verwaltungsmäßig“ abzuwickeln176. Bei einem auf unbestimmte Zeit bestehenden Arbeitsverhältnis wird deshalb zu fordern sein, dass der Beendigungstatbestand – sei es durch Kündigung oder durch Aufhebungsvertrag – bereits gesetzt ist. Aber auch dann wird weiter zu fordern sein, dass die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum Zeitpunkt der Verzichtsvereinbarung unmittelbar bevorsteht. Das kann zweifelhaft sein, wenn das Arbeitsverhältnis nach Ausspruch der Kündigung oder Vereinbarung des Auflösungsvertrages noch über u. U. sehr lange Kündigungs- oder Auslauffristen fortgesetzt wird. Ab welchem Zeitraum nicht mehr von einem „unmittelbaren Bevorstehen“ der Beendigung, 174
Altenburg/Reufels/Leister, a. a. O. Vgl. dazu allgemein und ausführlich unten, 5. Kapitel: E. I. 1. 176 Vgl. Hofmann, Grenzen gesetzlicher Unabdingbarkeitsnormen im Arbeitsrecht, FS 25 Jahre BAG, S. 217, 239. 175
B. Folgerungen für die Zulässigkeit des Verzichts
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also einer nur noch verwaltungsmäßigen Abwicklung, gesprochen werden kann, wird sich kaum losgelöst von den Umständen des Einzelfalls und dem Schutzzweck des durch Unabdingbarkeit geschützten Anspruchs feststellen lassen. Für Urlaubs- und Entgeltfortzahlungsansprüche mag die während der Probezeit geltende Kündigungsfrist des § 622 Abs. 3 BGB von zwei Wochen insoweit als tauglicher Anknüpfungspunkt für eine Obergrenze angesehen werden können. Entsprechend könnte sich bei befristeten Arbeitsverhältnissen der in § 15 Abs. 2 TzBfG für die Beendigung des zweckbefristeten Arbeitsvertrags genannte Zwei-Wochen-Zeitraum als Anhaltspunkt für eine zeitliche Obergrenze der Abwicklungsphase eignen. Für den eng mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses verknüpften Abfindungsanspruch aus § 1a KSchG erscheint eine normative Verkürzung der Abwicklungsphase auf einen kürzeren Zeitraum dagegen nicht erforderlich. c) Zwischenergebnis An den Beispielen Urlaubsabgeltungsanspruch und Entgeltfortzahlungsanspruch wurde gezeigt, dass die Basiswertung, nach der ein Vorausverzicht auf einen gesetzlich unabdingbaren Anspruch wegen des im Kern freiheitsmaximierend-paternalistischen Charakters der Unabdingbarkeit arbeitsrechtlicher Schutznormen grundsätzlich als unzulässig anzusehen ist. Insbesondere in der Abwicklungsphase des Arbeitsverhältnisses kann dieser Grundsatz jedoch durchbrochen sein. Die hier exemplarisch durchgeführten Erwägungen sind prinzipiell auf andere gesetzlich unabdingbare arbeitsrechtliche Ansprüche oder Rechte übertragbar. Dass Wertungselemente in verschiedenen Konstellationen unterschiedliches Gewicht haben und sich so auch gegen eine Basiswertung durchsetzen können, entspricht den Wesenmerkmalen des beweglichen Systems und stellt dessen Anwendbarkeit und Aussagekraft selbst nicht in Frage. Die oben durchgeführte Untersuchung der Verzichtbarkeit des Urlaubsabgeltungsanspruchs und des Entgeltfortzahlungsanspruchs ist nicht abschließend. Eine mögliche Legitimation von Verzichtsverboten aus anderen denkbaren Rechtfertigungsgründen wurde noch nicht ausgeschlossen. Festzustellen ist lediglich ein Zwischenergebnis: Soweit die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und die wohl h. M. in der Literatur einen Vorausverzicht hinsichtlich der untersuchten Ansprüche auch noch in der Abwicklungsphase des Arbeitsverhältnisses für unzulässig halten, findet sie im Rechtfertigungsgrund des freiheitsmaximierenden Paternalismus keine Stütze.
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4. Kap.: Die paternalistische Rechtfertigung
2. Die Zulässigkeit des nachträglichen Verzichts Oben wurde bereits angedeutet, dass das zentrale Kriterium der Zukunftsgerichtetheit auch auf der anderen Seite der angesprochenen Basiswertung der freiheitsmaximierend-paternalistischen Rechtfertigung maßgeblich ist. Danach ist die Unverzichtbarkeit unabdingbarer Ansprüche in der Regel dann nicht mehr als freiheitsmaximierend zu rechtfertigen, wenn bereits Fälligkeit eingetreten ist. Soweit ein Anspruch bereits fällig ist, ist dessen Reichweite und Bedeutung für den Berechtigten in aller Regel auch vorhersehbar: Der fällige Anspruch ist definiert, steht seinem Umfang nach fest und ist in der konkreten Lebenssituation des Berechtigten hinsichtlich seiner Bedeutung grundsätzlich auch abschließend bewertbar. Als argumentum ex contrario lässt sich deshalb aus der Unzulässigkeit des Vorausverzichts entnehmen, dass der nachträgliche Verzicht auf bereits entstandene und fällige Ansprüche wegen der anti-paternalistischen Grundwertung des Privatrechts grundsätzlich zulässig sein muss. Aus der Perspektive der freiheitsmaximierend-paternalistischen Rechtfertigung lässt sich also im Grundsatz folgern, dass unabdingbare Ansprüche nach Eintritt der Fälligkeit verfügbar und damit verzichtbar werden177, weil nach Fälligkeit des Anspruchs unter dem Gesichtspunkt der Vorhersehbarkeit der konkreten Anspruchsbedeutung ein spezifisch paternalistisches Schutzbedürfnis für ein Verzichtsverbot hinsichtlich des nunmehr dem Umfang nach definierten und überschaubaren Anspruchs nicht mehr besteht. a) Denkbare Ausnahmen Gleichwohl sind Konstellationen denkbar, in denen sich ein Verzicht auf einen fälligen Anspruch nicht sogleich, sondern erst in Zukunft praktisch auswirkt. Von der bereits oben dargestellten Basiswertung, dass bezüglich fälliger Ansprüche bzw. Rechte ein Verzichtsverbot i. d. R. nicht freiheitsmaximierend-paternalistisch gerechtfertigt werden kann, sind dann Ausnahmen denkbar. Auch die Unverzichtbarkeit bereits entstandener und fälliger Ansprüche kann u. U. ausnahmsweise noch als freiheitsmaximierendpaternalistisch anzusehen sein. Voraussetzung dafür ist, dass wegen des Charakters des Anspruchs auch der Verzicht auf den fälligen Anspruch noch die Gefahr erheblicher Beeinträchtigungen zukünftiger Freiheiten in sich trägt. Denkbar ist das insbesondere beim Verzicht auf den Zeugnisanspruch. 177 Vgl. auch Altenburg/Reufels/Leister, Der Vorausverzicht auf den Abfindungsanspruch aus § 1a KSchG, NZA 2006, 71, 73, 76.
B. Folgerungen für die Zulässigkeit des Verzichts
153
b) Insbesondere: Der nachträgliche Verzicht auf den Zeugnisanspruch Der Anspruch auf ein Arbeitszeugnis entsteht bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses und ist auch bereits in diesem Zeitpunkt fällig178. Ab diesem Zeitpunkt soll er nach wohl überwiegender Meinung in Rechtsprechung und Literatur auch verzichtbar sein179. Diese Auffassung erscheint trotz Übereinstimmung mit der oben erörterten Basiswertung freiheitsmaximierend-paternalistischen Schutzes gerade dann zweifelhaft, wenn man den dort grundlegenden Gedanken des Schutzes zukünftiger Freiheit ernst nimmt. Kern der paternalistischen Rechtfertigung arbeitsrechtlicher Unabdingbarkeit ist die Einhegung der Folgen des mit der Eingehung des Arbeitsverhältnisses notwendig einhergehenden, weit reichenden Verlustes der Fähigkeit zu Dispositionen über die eigene Arbeitskraft. Zu den Folgen dieses Freiheitsverlustes gehört, dass die faktische Verwertbarkeit der eigenen Arbeitskraft am Markt – anders als bei einem Selbstständigen – zumeist nicht von einer Vielzahl von Referenzen, sondern von der Beurteilung des ehemaligen Arbeitgebers in einem Arbeitszeugnis abhängig ist. Der in der Eingehung des Arbeitsverhältnisses liegende Freiheitsverlust wirkt also auf die zukünftigen Marktchancen des (ehemaligen) Arbeitnehmers bei der Verwertung seiner Arbeitskraft nach. Der Schutz der Fähigkeit des Arbeitnehmers zur freien Disposition über seine Arbeitskraft am (Arbeits-)Markt und damit der im Rahmen des freiheitsmaximierenden Paternalismus zentrale Schutz zukünftiger Freiheiten ist deshalb beim zwingenden Zeugnisanspruch besonders berührt. Der spezifische Zukunftsbezug des Zeugnisanspruchs ergibt sich also aus der Funktion des Arbeitszeugnisses als Empfehlung für den Arbeitnehmer bei der Suche einer neuen Arbeitsstelle180. Soweit man hier nur das Auffinden einer Arbeitsstelle im direkten Anschluss an das beendete und durch das Arbeitszeugnis zu beurteilende Arbeitsverhältnis in den Blick nimmt, mag zweifelhaft sein, ob insoweit von einer erheblichen Gefährdung künftiger Freiheiten gesprochen werden kann. Insoweit steht die gegenwärtige Bedeutung des Arbeitszeugnisses für die Stellensuche im Vordergrund. Darüber hinaus ist jedoch zu berücksichtigen, dass das Arbeitszeugnis nicht nur für das Auffinden einer unmittelbaren Anschlussbeschäftigung von Be178 ErfK - Müller-Glöge GewO § 109 Rn. 19; BAG vom 23.2.1983 – 5 AZR 515/80 – AP BAT § 70 Nr. 10. 179 Vgl. zum Rechtsprechungs- und Meinungsstand den Überblick oben, 2. Kapitel: A. III. 180 Vgl. Küchenhoff, Anm. zu BAG vom 16.9.1974 – 5 AZR 255/74 – AP BGB § 630 Nr. 9.
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4. Kap.: Die paternalistische Rechtfertigung
deutung ist, auch für den Erfolg weiterer Bewerbungen im späteren Berufsleben des Arbeitnehmers kann die Möglichkeit der Vorlage einer möglichst lückenlosen Kette möglichst guter Arbeitszeugnisse der entscheidende Faktor sein. Die Erteilung eines Arbeitszeugnisses hat deshalb nicht nur in der gegenwärtigen Lebenssituation des Arbeitnehmers Bedeutung, sie kann auch für dessen weitere berufliche Zukunft entscheidend sein181. Der Zeugnisanspruch weist damit auch noch nach seiner Fälligkeit die für die Rechtfertigung paternalistischen Schutzes als freiheitsmaximierend erforderliche Zukunftsgerichtetheit auf182. Von der heute wohl überwiegenden Meinung im Schrifttum wird dies verkannt, wenn die Verzichtbarkeit des Zeugnisanspruchs nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses schon deshalb bejaht wird, weil der Arbeitnehmer dann nicht mehr unter einem tatsächlichen oder vermeintlichen Druck stehe, im Interesse des Arbeitsfriedens auf gesetzliche Ansprüche zu verzichten183. Daran mag zutreffend sein, dass aus der Perspektive des Unterlegenheitsschutzes nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses in der Regel kein Grund mehr für einen Eingriff in die Vertragsfreiheit der Arbeitsvertragsparteien besteht184. Unterlegenheitsschutz ist aber jedenfalls nicht alleiniger Grund arbeitsrechtlicher Unabdingbarkeit185; ein entsprechender Monismus der Rechtfertigung ist nicht haltbar. Besonderes Gewicht in der für die paternalistische Rechtfertigung der Unverzichtbarkeit vorzunehmenden Abwägung gewinnt der Zukunftsbezug des Zeugnisanspruchs durch die Gefahr, hier übereilt eine unüberlegte Entscheidung zu treffen186. Ein übereilter Verzicht des Arbeitnehmers auf das Arbeitszeugnis mag zum einen daher rühren, dass sich die Arbeitsvertragsparteien im Streit getrennt haben und der Arbeitnehmer deshalb fürchtet, sein Zeugnis werde ohnehin nicht vorteilhaft ausfallen, zum anderen daher, dass der Arbeitnehmer zunächst davon ausgeht, kein Arbeitszeugnis zu benötigen, beispielsweise weil er bereits eine neue Stellung gefunden hat187. 181 Eingehend Staudinger - Preis BGB § 630 Rn. 2; vgl. auch AR-Blattei-SD (Kramer/Marhold) Nr. 290 Ausgleichsquittung Rn. 126. 182 Enderlein, S. 490. 183 Statt vieler Staudinger - Preis BGB § 630 Rn. 7; anders vielfach noch in der älteren Literatur vgl. dazu Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts I, § 51 I 9, S. 469; Nikisch, Arbeitsrecht I., S. 862; Kaskel/Dersch, S. 244; Schnorr v. Carolsfeld, S. 279; Monjau, Das Zeugnis im Arbeitsrecht, S. 20; Erman - Küchenhoff (5. Aufl.) BGB § 630 Rn. 3; Staudinger - Nipperdey/Neumann (11. Aufl.) BGB § 630 Rn. 40; Landmann/Rohmer - Neumann, GewO Bd. 2. § 113 Rn. 2. 184 Vgl. dazu im Einzelnen unten, 5. Kapitel: E. I. 1. 185 Vgl. Küchenhoff, Anm. zu BAG vom 16.9.1974 – 5 AZR 255/74 – AP BGB § 630 Nr. 9. 186 Enderlein, a. a. O.
B. Folgerungen für die Zulässigkeit des Verzichts
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Bereits in einer Entscheidung des Kammergerichts Berlin188 aus dem Jahr 1910 findet sich dazu die Erwägung, es bestehe die Gefahr einer unnötigen Interessengefährdung des Arbeitnehmers bei einem nachträglichen Verzicht „namentlich in solchen Fällen, wenn er (sc. der Dienstnehmer) zunächst nicht beabsichtigt, ein neues Dienstverhältnis einzugehen, später sich aber die Notwendigkeit dazu wieder einstellt“189. Wenn der Arbeitgeber bereits ein Zeugnis ausgestellt hat, können sich weitere Gefahren daraus ergeben, dass sich der Verzicht auf den Zeugnisanspruch zugleich als ein Verzicht auf den Anspruch auf Zeugnisberichtigung darstellt190. Der Arbeitnehmer läuft somit Gefahr, die sprachlichen Fallstricke der üblichen Zeugnissprache zunächst zu verkennen und deshalb ein unberechtigt nachteiliges Zeugnis dauerhaft hinnehmen zu müssen. Demgegenüber ist das Interesse der Arbeitsvertragsparteien an der Verzichtsfreiheit hier eher gering zu bewerten. Das ergibt sich auf Seiten des Arbeitnehmers daraus, dass es ihm frei steht, bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein Zeugnis zu fordern. Ein Verzichtsverbot führt also nicht dazu, dass dem Arbeitnehmer ein Zeugnis aufgedrängt würde191. Das Interesse des Arbeitgebers an einem solchen Verzicht besteht im Wesentlichen darin, nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses die Personalakte endgültig schließen zu können und sich die Molesten der Zeugnisausstellung zu ersparen. Ein unmittelbar wirtschaftliches Interesse des Arbeitgebers am Zeugnisverzicht besteht dagegen anders als bei einem Zahlungsanspruch des Arbeitnehmers nicht192. Das Interesse des Arbeitgebers an einer zeitnahen Abwicklung des Arbeitsverhältnisses wird zudem durch das Rechtsinstitut der Verwirkung ausreichend geschützt193. Weiter ist auch nicht ersichtlich, wie der durch den Zeugnisanspruch vermittelte Schutz der beruflichen Zukunft des Arbeitnehmers ohne einen Eingriff in die Verzichtsfreiheit gleichermaßen wirksam geschützt werden könnte. Das Kammergericht Berlin hatte versucht, den spezifischen Ge187
Küchenhoff, Anm. zu BAG vom 16.9.1974 – 5 AZR 255/74 – AP BGB § 630
Nr. 9. 188
KG Berlin vom 21.12.1910, OLGE 22, 304. Dazu Küchenhoff, Anm. zu BAG vom 16.9.1974 – 5 AZR 255/74 – AP BGB § 630 Nr. 9. 190 Zur Rechtsnatur des Berichtigungsanspruchs BAG vom 23.2.1983 – 5 AZR 515/80 – AP BAT § 70 Nr. 10 [unter II 2. der Gründe]; BAG vom 17.2.1988 – 5 AZR 638/86 – AP BGB § 630 Nr. 17 [unter I. 1. der Gründe] mit Anm. von van Venrooy; differenzierend Staudinger - Preis BGB § 630 Rn. 64 f. 191 Enderlein, a. a. O. 192 Küchenhoff, Anm. zu BAG vom 16.9.1974 – 5 AZR 255/74 – AP BGB § 630 Nr. 9. 193 Staudinger - Preis BGB § 630 Rn. 66 m. w. N. 189
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4. Kap.: Die paternalistische Rechtfertigung
fahren des Zeugnisverzichts nicht durch eine Einschränkung der Befugnis zu einem nachträglichen Verzicht, sondern durch eine Auslegung auch des ausdrücklichen Verzichts als gleichsam nur vorläufig zu begegnen194. Dies läuft darauf hinaus, eine Verzichtsvereinbarung aus der ex post Sicht des Arbeitnehmers auszulegen und vermag schon deshalb nicht zu überzeugen195. Rationalitätserhöhende Maßnahmen, denkbar wären z. B. besondere Anforderungen an die Ausdrücklichkeit und Eindeutigkeit der entsprechenden Verzichtsvereinbarung, Belehrungspflichten des Arbeitgebers oder auch ein Widerrufsrecht nach Vorbild des § 312 BGB, bieten in dieser Konstellationen keinen wirksamen Schutz. Denn hier wird der Arbeitnehmer bei Vereinbarung des Verzichts – und typischerweise auch noch eine gewisse Zeit danach – im Regelfall davon überzeugt sein, dass er kein Zeugnis benötige. Der Verzicht auf den Zeugnisanspruch dürfte nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses typischerweise sozusagen „sehenden Auges“ vereinbart werden, seine Nachteiligkeit wird dem Arbeitnehmer deshalb i. d. R. nicht innerhalb der kurzen zweiwöchigen Widerrufsfrist des § 355 Abs. 1 BGB bewusst werden. Hinsichtlich des Zeugnisanspruchs führt deshalb die Abwägung der für den freiheitsmaximierend-paternalistischen Schutz zu berücksichtigen Wertungselemente dazu, dass auch der Ausschluss des nachträglichen Verzichts durch die Unabdingbarkeit teleologisch gerechtfertigt erscheint196.
C. Zusammenfassung In der freiheitsmaximierend-paternalistischen Rechtfertigung zwingenden Rechts ist der Schutz zukünftiger Dispositionsfreiheiten der entscheidende Anknüpfungspunkt für die Legitimation einer Beschränkung der Vertragsfreiheit. Der Berechtigte soll sich nicht – möglicherweise voreilig – für die 194 Wörtlich heißt es, a. a. O.: „Denn für gewöhnlich wird eine solche Erklärung (sc. ein nachträglicher Verzicht) nur den Sinn haben, daß gegenwärtig ein Bedürfnis für ein Zeugnis nicht bestehe; gleichzeitig wird aber der Dienstpflichtige beabsichtigen, bei Änderung der Verhältnisse doch wieder auf sein Recht zurückzugehen. (. . .) Gänzlich zum Erlöschen gebracht wird der Anspruch nur in denjenigen seltenen Fällen werden, wo sich unzweideutig die Absicht des Dienstpflichtigen ergibt, für alle Zukunft sich seines Rechtes zu begeben“; ähnlich wie dort auch KR - Wolf (3. Aufl. 1989) Grunds. Rn. 547, der danach differenzieren will, ob das Zeugnis für den weiteren Berufsweg des Arbeitnehmers von Bedeutung ist. 195 Küchenhoff, Anm. zu BAG vom 16.9.1974 – 5 AZR 255/74 – AP BGB § 630 Nr. 9. 196 So auch Enderlein, a. a. O.; im Ergebnis auch Küchenhoff, a. a. O.; AR-Blattei-SD (Kramer/Marhold) Nr. 290 Ausgleichsquittung Rn. 126.
C. Zusammenfassung
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Zukunft in einem unzulässigen Maße seiner Handlungsfähigkeit begeben dürfen. Zentrales Anliegen der paternalistischen Rechtfertigung arbeitsrechtlicher Unabdingbarkeit ist der Schutz der Freiheit des Arbeitnehmers vor übermäßiger Entäußerung durch (arbeits-)vertragliche Selbstbindung. Damit ist die Beschränkung der arbeitsrechtlichen Vertragsfreiheit durch arbeitsvertragsrechtliche Schutzgesetze in ihrem Kernbereich teleologisch aus dem Arbeitnehmerbegriff ableitbar. Die Legitimation der Unabdingbarkeit arbeitsvertragsrechtlicher Schutzvorschriften lässt sich insoweit als Schutz durch Konditionierung der mit der Eingehung des Arbeitsverhältnisses prinzipiell verbundenen Entäußerung personaler wie wirtschaftlicher Handlungsfreiheiten auffassen. Wegen der phänotypischen Ähnlichkeit zur Abbedingung ist deshalb auch der Verzicht auf künftige, d.h. noch nicht entstandene unabdingbare Ansprüche in der Regel unzulässig. Dieser prinzipielle Grundgedanke lässt sich auch an nicht-arbeitsrechtlichen Vorschriften des BGB zeigen. Auch die Einschränkung der Vertragsfreiheit durch Verbot eines Verzichts hinsichtlich unabdingbarer gesetzlicher Ansprüche oder Rechte kann paternalistisch gerechtfertigt sein. Die Rechtfertigung dieser weiteren Einschränkung muss in einem beweglichen System von Wertungselementen geprüft werden. Zentrale Elemente der Abwägung sind hier die (mögliche) Beeinträchtigung zukünftiger Freiheiten, die Beeinträchtigung der gegenwärtigen Freiheiten durch den Eingriff und die Nachteile, die Begleiterscheinungen des Eingriffs sind197. Dabei gilt eine anti-paternalistische Grundwertung, d.h. jeder paternalistische Eingriff in die Vertragsfreiheit kann nur gerechtfertigt sein, wenn die für die Einschränkung sprechenden Gründe der Sicherung zukünftiger Freiheiten erheblich überwiegen. Danach lässt sich eine allgemeine Basiswertung freiheitsmaximierend-paternalistischen Schutzes aufstellen, wonach die Unverzichtbarkeit arbeitsvertragsrechtlicher Ansprüche nur solange gerechtfertigt ist, wie diese Ansprüche noch nicht entstanden und fällig sind. Dagegen können paternalistische Rechtfertigungsgründe einem Verzicht auf bereits entstandene und fällige Ansprüche grundsätzlich nicht entgegenstehen. Denn grundsätzlich kann ein Verzicht auf bereits entstandene Ansprüche oder Rechte die (künftige) Handlungsfreiheit einer Person nicht mehr beeinträchtigen. Der Verzicht auf Bestehendes wirkt im Allgemeinen nicht (mehr) freiheitseinschränkend. Zu der gleichen teleologischen Wertung gelangt man auch hinsichtlich der nach Richterrecht zwingenden gesetzlichen Anspruchsnormen des Arbeitsrechts, denen eine ausdrückliche Unabdingbarkeitsnorm fehlt198. 197
Vgl. Enderlein, S. 293 ff.
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4. Kap.: Die paternalistische Rechtfertigung
Von dieser Basiswertung sind in beide Richtungen Ausnahmen denkbar, die sich anspruchsspezifisch typisieren lassen. Insbesondere führt die unmittelbar bevorstehende Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu einer Konkretisierung der dem Arbeitsverhältnis abstrakt immanenten Einschränkung künftiger Dispositionsfreiheiten des Arbeitnehmers, deren dann verbleibendes Gewicht häufig nicht mehr ausreichen wird, ein Verzichtsverbot zu rechtfertigen. So lässt sich in der Abwicklungsphase des Arbeitsverhältnisses die Unverzichtbarkeit des Entgeltfortzahlungsanspruchs, des Urlaubsabgeltungsanspruchs oder auch des Abfindungsanspruchs aus § 1a KSchG nicht mehr freiheitsmaximierend-paternalistisch rechtfertigen, während der Zeugnisanspruch unabhängig vom Fortbestand des Arbeitsverhältnisses als unverzichtbar anzusehen ist. Der Gedanke der strukturellen Unterlegenheit des Arbeitnehmers spielt für die freiheitsmaximierend-paternalistische Rechtfertigung prinzipiell keine Rolle; darauf beruhende Erwägungen sind im oben beschriebenen Abwägungssystem gedanklich auszublenden. Neben der paternalistischen Rechtfertigung können jedoch prinzipiell auch andere Gründe die Unabdingbarkeit einer arbeitsrechtlichen Norm rechtfertigen. Insbesondere kann der Gedanke des Unterlegenheitsschutzes als weitere Legitimation arbeitsrechtlicher Unabdingbarkeit in Betracht kommen, die selbstständig zu prüfen ist199. Die Unverzichtbarkeit eines unabdingbaren Anspruchs muss nicht monokausal bestimmt sein. Sie kann sich kumulativ wie alternativ aus verschiedenen, separat zu betrachtenden Gründen rechtfertigen.
198 Vgl. dazu auch Altenburg/Reufels/Leister, Der Vorausverzicht auf den Abfindungsanspruch aus § 1a KSchG, NZA 2006, 71, 75. 199 Näher dazu sogleich in Kapitel 5.
5. Kapitel
Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung weiterer Einschränkungen der Verzichtsbefugnis Nach der hier vertretenen Ansicht ist die Unabdingbarkeit von Normen des Privatrechts in ihrem Kern paternalistisch zu deuten. Auf bereits entstandene subjektive Ansprüche oder Rechte aus zwingenden Normen kann deshalb grundsätzlich auch rechtswirksam verzichtet werden. Gleichwohl stellt sich die weitere Frage, ob und inwieweit aus den spezifischen Eigenheiten des Arbeitsverhältnisses als Dauerschuldverhältnis mit typischerweise „gestörter Parität“ der Parteien weitere Einschränkungen der Verzichtsbefugnis durch gesetzlich angeordnete Unabdingbarkeit gefolgert werden können. Der Gedanke einer strukturellen, wirtschaftlichen oder auch intellektuellen „Unterlegenheit“ des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber spielt für das Verständnis des deutschen Arbeitsrechts seit je her eine zentrale Rolle1. Seine Strukturen sind ohne die Vorstellung von einer unterlegenen Vertragsmacht des einzelnen Arbeitnehmers nicht erklärbar. Dies gilt im Grundsatz gleichermaßen für die rechtliche Anerkennung der Instrumentarien des Kollektivarbeitsrechts, wie auch für die im Individualarbeitsrecht vorherrschende halbzwingende Ausgestaltung des Arbeitsvertragsrechts2. Entsprechend orientiert sich das Verständnis des zwingenden Arbeitsrechts nach wohl herrschender Meinung primär an der Vorstellung einer paradigmatisch vorauszusetzenden „Unterlegenheit“ des Arbeitnehmers in wirtschaftlicher Hinsicht3. Ergänzend wird teilweise auch eine Unterlegenheit in intellektuell/informationeller Hinsicht angenommen4. Bei der teleologi1
Konzen, Die Tarifautonomie zwischen Akzeptanz und Kritik, NZA 1995, 913 ff. m. w. N. 2 Vgl. Konzen, a. a. O.; Schwarze, Arbeitnehmerbegriff und Vertragstheorie, ZfA 2005, 81, 97 und zur historischen Entwicklung vor allem Picker, Die Regelung der „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“, ZfA 1986, 199, 251 f.; aus der Rspr. insb. BAG vom 11.6.1976 – 5 AZR 506/75 – AP LohnFG § 9 Nr. 2. 3 Vgl. statt vieler Hanau, Freiheit und Gleichheit bei der Gestaltung des Arbeitsrechts, FS 600 Jahre Uni Köln, S. 183, 204. 4 Vgl. dazu im Einzelnen unten, 5. Kapitel: C. II.
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5. Kap.: Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung
schen Auslegung unabdingbarer arbeitsrechtlicher Normen im Hinblick auf die Reichweite der Verzichtsbefugnis können derartige Normzwecke deshalb nicht ignoriert werden5. Der nach der hier vertretenen Ansicht primär im Schutz vor unvorhersehbaren Auswirkungen einer Abbedingung/eines Vorausverzichts für zukünftige Dispositionsfreiheiten bestehende Schutzzweck des zwingenden Arbeitsvertragsrechts scheint zumindest teilweise flankiert und überlagert zu werden von einem Schutzbedürfnis vor unfreiwilligen oder aufgezwungenen Verzichtsvereinbarungen aufgrund eines vermeintlichen oder tatsächlichen „Drucks“6 des im Regelfall „wirtschaftlich überlegenen“ Arbeitgebers7. Mit anderen Worten: Es ist zu untersuchen, ob und inwieweit sich aus der für das Arbeitsverhältnis als typisch erachteten „Unterlegenheit des Arbeitnehmers“ eine Rechtfertigung der Einschränkung der Verzichtsfreiheit auch hinsichtlich nachträglicher Verzichtsvereinbarungen ergibt. Zentrale Frage der Untersuchung ist deshalb, ob und inwieweit die Nichtachtung auch des im Sinne der klassischen Willenserklärungslehre des BGB fehlerfrei gebildeten, auf einen Verzicht gerichteten, rechtsgeschäftlichen Willens des Arbeitnehmers durch die Rechtsordnung aus der gesetzlichen Unabdingbarkeit systemkonform gerechtfertigt werden kann. Da und wenn die Begünstigung des Arbeitnehmers um ihrer selbst willen in einer auf der Vorstellung gleichberechtigter Rechtsgenossen gründenden Systematik des Zivilrechts nicht Selbstzweck eines Verzichtsverbots sein kann, ist näher zu untersuchen, worin das spezifische Schutzbedürfnis des Arbeitnehmers zu sehen ist, warum ihm also das theoretisch stets mögliche „Nein“ zum Angebot eines Verzichtsvertrags unter Umständen nicht zumutbar sein kann8. Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts ist diese Frage in Zusammenhang mit der Reichweite der Wirkung der tariflichen Unabdingbarkeit diskutiert worden9. In den letzten Jahren spielte der im Arbeitsrecht seit jeher präsente Gedanke der aus der „existenziellen Abhängigkeit des Arbeitnehmers 5
Grundsätzlich gegen ein Verzichtsverbot bzgl. fälliger Ansprüche Staudinger Rieble BGB § 397 Rn. 199, 201; für den Entgeltfortzahlungsanspruch auch Geyer/ Knorr/Krasney EFZG § 12 Rn. 18, 20; Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge - Hold EFZG § 12 Rn. 25, 29. 6 Vgl. dazu die vorgenommene Abschichtung derartiger Erwägungen unter 4. Kapitel: B. III. 1. b) bb) (1). 7 Vgl. zur Annahme einer Dualität der Rechtfertigung arbeitsvertragsrechtlichen Schutzes Hofmann, FS 25 Jahre BAG, S. 217, 230 f.; Staudinger - Nipperdey/Mohnen BGB (11. Aufl. 1958), Vorbem. 292 vor § 611; Küchenhoff, Anm. zu BAG vom 16.9.1974 – 5 AZR 255/74 – AP BGB § 630 BGB Nr. 9; Schwarze, Arbeitnehmerbegriff und Vertragstheorie, ZfA 2005, 81, 102. 8 Vgl. dazu die rechtstheoretischen Ausführungen M. Wolf, Entscheidungsfreiheit, S. 111 ff.
A. Tarifrechtlicher Ursprung arbeitsrechtsspezifischer Unabdingbarkeit
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vom Arbeitsverhältnis“ abgeleiteten „strukturellen Unterlegenheit“ zudem auch im allgemeinen Zivilrecht in der Diskussion um die so genannte „Materialisierung des Vertragsrechts“ eine zentrale Rolle10. Im Folgenden soll näher beleuchtet werden, welche Aspekte der in der arbeitsrechtlichen Literatur häufig unreflektiert vorausgesetzten oder aber apodiktisch in Abrede gestellten „Unterlegenheit des Arbeitnehmers“11 innewohnen und welche Folgerungen für die Reichweite des unterlegenheitsspezifischen Schutzes durch Unabdingbarkeit speziell hinsichtlich der individualvertraglichen Verzichtbarkeit daraus gezogen werden können.
A. Der tarifrechtliche Ursprung arbeitsrechtsspezifischer Unabdingbarkeit – ein rechtshistorischer Überblick Ihre rechtshistorischen Wurzeln hat die Diskussion um die Reichweite der spezifisch arbeitsrechtlichen Unabdingbarkeit in der Auseinandersetzung um die Reichweite der zwingenden Wirkung tarifvertraglicher Normen. Während heute in § 4 Abs. 4 Satz 1 TVG die Genehmigungsbedürftigkeit eines individualvertraglichen Verzichtsvergleichs auf tarifliche Rechte ausdrücklich geregelt ist12, fehlte dem Vorläufer des Tarifvertragsgesetzes, der Tarifvertragsverordnung (TVO) von 1918, eine vergleichbare Regelung. § 1 TVO ordnete zwar die Unabdingbarkeit tarifvertraglicher Ansprüche an, enthielt jedoch keine Regelung zur individualvertraglichen Unverzichtbarkeit dieser Ansprüche. Die Normstruktur des § 1 TVO ähnelte damit derjenigen der neueren, gesetzliche Ansprüche betreffenden Unabdingbarkeitsnormen, wie z. B. des § 12 EFZG und des § 13 BUrlG, denen 9
Vgl. Nipperdey, Beiträge zum Tarifrecht (1924); Seelig, Unabdingbarkeit und Erlaßvertrag, Diss. Uni Breslau 1928 und zur teleologischen Rechtfertigung des Verzichtsverbots des § 4 Abs. 4 Satz 1 TVG ausführlich W. Thomas, Der Verzicht auf tarifliche Ansprüche im arbeitsgerichtlichen Verfahren unter besonderer Berücksichtigung des Vergleichsabschlusses (1961). 10 Vgl. zum Überblick dazu statt vieler Canaris, Wandlungen des Schuldvertragsrechts – Tendenzen zu seiner Materialisierung, AcP 200 (2000), 273 ff. 11 Genannt seien hier als Antipoden der Unterlegenheitsdiskussion einerseits Gamillscheg, Das deutsche Arbeitsrecht am Ende des Jahrhunderts, RdA 1998, 2, 7 f.; ders., 50 Jahre Arbeitsrecht im Spiegel einer FS, RdA 2005, 79, 81 und andererseits für die ablehnende Position Zöllner, Privatautonomie und Arbeitsverhältnis – Bemerkungen zu Parität und Richtigkeitsgewähr beim Arbeitsvertrag, AcP 176 (1976), 221, 230 ff. und ders. neuerlich auch in „Die Stellung des Bundesarbeitsgerichts im Gefüge der arbeitsrechtlichen Regelsetzer – rechtspolitisch betrachtet“, FS 50 Jahre BAG, S. 1395, 1402. 12 Vgl. zu den Vorentwürfen zum TVG in den westlichen Besatzungszonen W. Thomas, S. 5 ff.
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5. Kap.: Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung
im Gegensatz zu den älteren Normen der §§ 619 BGB, 62 Abs. 4 HGB, eine zeitliche Begrenzung der Reichweite der Unabdingbarkeitswirkung fehlt. Von erstaunlicher Parallelität sind sowohl die Argumentationslinien als auch die Lösungen, die in den zwanziger und dreißiger Jahren zur Reichweite der tariflichen Unabdingbarkeit13 vertreten wurden, zu denjenigen, die in den sechziger und siebziger Jahren die Diskussion um die Unabdingbarkeit von Ansprüchen und Rechten aus arbeitsrechtlichen Gesetzen prägten14.
I. Rechtsprechung und herrschende Meinung 1. Tarifvertragsverordnung von 1918 Unter Geltung der Tarifvertragsverordnung war außerordentlich umstritten, ob aus der Unabdingbarkeit tariflicher Rechte auch deren Unverzichtbarkeit folge15. Die damals herrschende Meinung unterschied streng zwischen der Sicherung der Entstehung tariflicher Ansprüche und der Sicherung der Durchführung derselben16. Sie ging von dem Standpunkt aus, dass § 1 TVO nichts darüber enthalte, was zu der Annahme berechtige, dass das Gesetz über die rechtliche Absicherung der Entstehung eines bestimmten Lohnanspruchs hinaus auch die tatsächliche Durchführung der Tarifbestimmungen bezwecke17. Weiterhin sei die Einschränkung, die die Vertragsfreiheit durch § 1 TVO erleide, schon eine Ausnahmevorschrift und dürfe daher nicht weiter ausgelegt werden, als sich aus der TVO unmittelbar ergäbe18. Die Wirkung der Unabdingbarkeit sollte sich infolgedessen nur soweit erstrecken, dass zwar Arbeitsverträge, die von der tariflichen Regelung abwichen, insoweit unwirksam waren, nicht aber sonstige Rechtsgeschäfte und Rechtshandlungen, die nachträglich Rechtsfolgen des Tarifvertrages ändern oder aufheben19. Allerdings sollte ein Vorausverzicht wohl von der Unabdingbarkeit des § 1 der Verordnung erfasst sein: Verzichte der Arbeitnehmer 13 Vgl. Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts II (1. und 2. Aufl. 1930), § 24, S. 228 ff. mit ausführlichen Nachweisen zum damaligen Diskussionsstand. 14 Vgl. exemplarisch Lepke, Der Verzicht des Arbeitnehmers auf den Lohnfortzahlungsanspruch im Krankheitsfalle, BB 1971, 1509 ff.; Trieschmann, RdA 1976, 68 ff. 15 Ausführlich Seelig, Unabdingbarkeit und Erlaßvertrag, Diss. Uni Breslau 1928, S. 12 ff. m. w. N. 16 Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrecht II/1., S. 616; Nikisch, Arbeitsrecht II., S. 456. 17 Vgl. Hueck/Nipperdey, ebenda, S. 230. 18 Ebenda, S. 231; Seelig, a. a. O., S. 12 ff. m. w. N.
A. Tarifrechtlicher Ursprung arbeitsrechtsspezifischer Unabdingbarkeit
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auf eines der Rechte, die er aus seinem Vertrag erworben habe, so sei dies seine Sache; das erworbene Recht sei Bestandteil seines Vermögens, über das nur er rechtswirksam verfügen könne. Nur solange dieses Recht noch nicht erworben ist, also zum Beispiel zukünftiger Lohn, soll eine Verfügung hierüber als dem Inhalt des Arbeitsvertrages und den Normen des Tarifvertrages widersprechend nicht möglich sein20. Auch wenn die Problematik des Vorausverzichts soweit ersichtlich damals nicht explizit diskutiert worden ist21, kann wohl davon ausgegangen werden, dass nach der damals herrschenden Meinung nicht nur tarifwidrige Arbeitsverträge, sondern auch gesondert vereinbarte Vorausverzichte auf künftige tarifliche Ansprüche nach § 1 TVO unwirksam gewesen wären22. Entsprechend erblickte das Reichsarbeitsgericht in der Unabdingbarkeit tariflicher Ansprüche keine Einschränkung der grundsätzlichen Befugnis der Arbeitsvertragsparteien zu einem nachträglichen Verzicht auf dieselben23. Allerdings stellte das Reichsarbeitsgericht zunehmend strengere Anforderungen an die Prüfung der wirksamen Verzichtsausübung, wenn der Arbeitnehmer unter wirtschaftlichem Druck stand, also in der Regel dann, wenn das Arbeitsverhältnis noch fortbestand24. Im Allgemeinen kam das Reichsarbeitsgericht danach für den Verzicht während des laufenden Arbeitsverhältnisses zu den gleichen Ergebnissen wie diejenigen, die wegen der Unabdingbarkeit die grundsätzliche Verzichtsbefugnis der Arbeitsvertragsparteien ablehnten25. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses entfiel „der wirtschaftliche Druck“ auf den Arbeitnehmer, von diesem Zeitpunkt an wurden gegen die Annahme einer wirksamen Verzichtserklärung, insbesondere durch Unterzeichnung einer Ausgleichsquittung, vom Reichsarbeitsgericht keine Bedenken mehr erhoben26.
19 Vgl. Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts II (1. und 2. Aufl. 1930), S. 231; Seelig, a. a. O. m. w. N. 20 Seelig, Unabdingbarkeit und Erlaßvertrag, Diss. Uni Breslau 1928, S. 35. 21 Eine Ursache dafür kann wohl auch in der restriktiven Haltung des Reichsgerichts zur Zulässigkeit des Vorausverzichts gesehen werden, vgl. RG vom 27.5.1929 – VIII 168/29 – RGZ 124, 325, 326; RG vom 5.7.1935 – II 340/34 – RGZ 148, 257, 262. 22 Vgl. Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts II (1. und 2. Aufl. 1930), S. 231; Seelig, a. a. O., S. 12, 35. 23 RAG vom 1.2.1928 – 47/27 – ARS Bd. 2, 12 ff.; RAG vom 13.7.1935 – RAG 16/35 – ARS Bd. 24, 93; 96; RAG vom 6.11.1935 – RAG. 181/35 – ARS Bd. 25, 135, 137. 24 Nikisch, Arbeitsrecht II., 457 m. w. N. 25 Nikisch, a. a. O. m. w. N. 26 Nikisch, a. a. O.; RAG vom 18.4.1931 – RAG 557/30 – ARS Bd. 11, 595 ff.; insoweit zustimmend auch Nipperdey, Beiträge zum Tarifrecht, S. 20.
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5. Kap.: Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung
2. Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit (AOG) Mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Ordnung der nationalen Arbeit (AOG) am 30.4.1933 änderte sich die Beurteilung der Verzichtsbefugnis. Die vom „Treuhänder der Arbeit“ erlassene Tarifordnung sollte dem Arbeitnehmer nicht nur einen Anspruch auf die tariflichen Leistungen sichern, sondern sie gebot dem Arbeitgeber, diese Leistungen auch wirklich zu gewähren27. Der Treuhänder hatte die Durchführung der Tarifordnung in den Betrieben zu überwachen, § 19 Abs. 1 Nr. 6 AOG, und Zuwiderhandlungen des Arbeitgebers waren strafbar gemäß § 22 AOG28. Ein vom Arbeitgeber abgeschlossener nachträglicher Erlassvertrag verstieß damit gegen eine gesetzesgleiche Rechtsvorschrift und war nach § 134 BGB nichtig29. Gleichwohl hielt die damals herrschende Meinung daran fest, dass ein Tariflohnverzicht nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses zulässig sei30.
II. Wandlung des Verständnisses im Sinne Nipperdeys Bereits 1924 wandte sich Nipperdey mit ausführlicher Begründung gegen die damals herrschende Meinung und hielt während des laufenden Arbeitsverhältnisses jede Verzichtsvereinbarung, die nach § 1 TVO unabdingbare Ansprüche betraf, für unzulässig31. § 1 TVO stelle einen Rechtssatz zur Verfügung, der alle rechtlichen Garantien geben wolle, dass die Ziele der Unabdingbarkeit auch tatsächlich in jedem einzelnen Fall erreicht würden; er schließe deshalb alle rechtlichen Mittel aus, durch die diese Ziele vereitelt werden sollen32. Die Unzulässigkeit des Verzichts ergebe sich auch daraus, dass § 1 TVO im Gegensatz zu § 619 BGB die Worte „im Voraus“ nicht enthalte und somit auch den nachträglichen Verzicht auf tarifvertragliche Ansprüche erfasse33. Nur rein formales Denken könne zu der Annahme führen, dass es der Wille des Gesetzes sei, rechtliche Abänderungen der Tarifnormen im Arbeitsvertrag zu verhindern, diese rechtliche Hinderung aber sogleich dadurch illusorisch zu machen, dass rechtliche Mittel zur Verfügung gestellt würden, diese Abän27
Nikisch Arbeitsrecht II., S. 458. Nikisch, a. a. O. 29 Nikisch, a. a. O.; Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrecht II./1., S. 616; RAG vom 13.7.1935 – 16/35 – ARS Bd. 24, 93 f.; RAG vom 17.5.1939 – RAG. 157/38 – ARS Bd. 36, 107, 113, 115. 30 Nikisch, a. a. O., S. 458 m. w. N.; RAG vom 18.3.1936 – RAG. 296/35 – ARS Bd. 26, 242 ff. 31 Nipperdey, Beiträge zum Tarifrecht, S. 23. 32 Nipperdey, a. a. O., S. 22 f. 33 Nipperdey, a. a. O., S. 44 f. 28
A. Tarifrechtlicher Ursprung arbeitsrechtsspezifischer Unabdingbarkeit
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derungen jeweils praktisch herbeizuführen34. Durch einen während der Dauer des Arbeitsverhältnisses geschlossenen Verzichtsvertrag würden die Ziele der Unabdingbarkeit praktisch vereitelt, indem tatsächlich untertarifmäßige Arbeitsbedingungen herbeigeführt würden, die unter dem tatsächlichen oder vom Arbeitnehmer für den Fall, dass er sich nicht mit der Änderung einverstanden erklärt, befürchteten Druck des Arbeitgebers zustande kommen35. Dieser tatsächliche oder befürchtete Druck bestehe namentlich in einer möglichen Kündigung durch den Arbeitgeber36. Der Verzichtsvertrag während der Dauer des Arbeitsverhältnisses sei in fraudem legis abgeschlossen, weil § 1 TVO die rechtliche Ermöglichung einer tarifwidrige Bezahlung schlechthin verhindern wolle, nicht bloß die Erreichung dieses Erfolges durch vorherige vertragliche Änderung des Arbeitsverhältnisses; dies gelte in erhöhtem Maße, weil es sich bei § 1 TVO um eine soziale Schutzvorschrift handele37. Lediglich in den Fällen, in denen die Initiative zu einem teilweisen Verzicht völlig und zweifelsfrei allein vom Arbeitnehmer ausgehe, stehe das Unabdingbarkeitsprinzip nicht entgegen; dieser Fall liege jedoch derart außerhalb des Normalen, dass der Arbeitgeber nach den Grundsätzen des prima facie Beweises beweisbelastet sei38. Begrenzt werde die Wirkung der Unabdingbarkeit jedoch durch die Dauer des Arbeitsverhältnisses, wobei formal – auch bei einem Arbeitnehmer der sich in gekündigter Stellung befinde – der Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses entscheidend sei39. Nipperdeys Verständnis der Unabdingbarkeit gewann in der Geltungszeit der Tarifvertragsverordnung zunehmend an Gefolgschaft40 und wurde 1949 Grundlage der gesetzlichen Konzeption der Unabdingbarkeit im Tarifvertragsgesetz41. Allerdings ging das Tarifvertragsgesetz insoweit über das Nipperdey’sche Verständnis der Unabdingbarkeit hinaus, wie es – von der Ausnahme des § 4 Abs. 4 Satz 1 TVG abgesehen – Unabdingbarkeit und 34
Nipperdey, a. a. O., S. 23. Nipperdey, a. a. O., S. 23. 36 Nipperdey, a. a. O., S. 23. 37 Nipperdey, a. a. O., S. 24. 38 Nipperdey, a. a. O., S. 27. 39 Nipperdey, a. a. O., S. 62 mit dortiger Fn. 107a. 40 Nähere Angaben aus dem Schrifttum bei Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts II. (1. und 2. Aufl. 1930), S. 229 Fn. 2; vgl. auch RAG vom 13.7.1935 – 16/35 – ARS Bd. 24, 93 ff. 41 Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrecht II./1., S. 616; vgl. zur Entstehungsgeschichte auch Wiedemann/Stumpf TVG (5. Aufl.) § 4 Rn. 322 f. Einen rechtshistorischen Überblick bringt W. Thomas, Der Verzicht auf tarifliche Ansprüche im arbeitsgerichtlichen Verfahren unter besonderer Berücksichtigung des Vergleichsabschlusses, S. 5 f. 35
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5. Kap.: Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung
Unverzichtbarkeit in der Wirkung gleichsetzt und auch den Verzicht nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses für unzulässig erklärt42.
III. Fazit In bemerkenswerter Weise hat Nipperdey bereits 1924 im Kontext der tarifrechtlichen Unabdingbarkeit eine Vielzahl der Argumente aufgeworfen, die in den sechziger und siebziger Jahren die Diskussion um die Reichweite der Unabdingbarkeit in neuen arbeitsvertragsrechtlichen Gesetzen maßgeblich prägten. Im Fokus der tarifrechtlichen Diskussion der zwanziger und dreißiger Jahre stand naturgemäß in erster Linie das Problem des Verzichts auf echte tarifliche Lohnansprüche, weniger der Verzicht auf arbeitsvertragsrechtliche Nebenansprüche mit Sozialleistungscharakter. Insofern mag es im Vergleich zu den hier untersuchten gesetzlichen Ansprüchen zwar signifikante Unterschiede in der Anspruchsnatur geben, gleichwohl erscheinen die argumentativen Grundlinien zur Reichweite des Schutzbedürfnisses auch hinsichtlich der zwingenden gesetzlichen Schutznormen des Arbeitsvertragsrechts übertragbar. Im Folgenden wird darauf zurückzukommen sein.
B. Der Schutz der materiellen Entscheidungsfreiheit des Arbeitnehmers als vertragstheoretischer Ansatzpunkt des Unterlegenheitsparadigmas Ausgangspunkt einer vertragstheoretischen Annäherung an das Unterlegenheitsparadigma muss der Gedanke der grundsätzlich umfassend zu gewährleistenden Privatautonomie zwischen freien und gleichen Parteien sein. Wenn die Parteien beispielsweise über einen bereits entstandenen arbeitsrechtlichen Anspruch durch Erlass verfügen wollen, so ist dies nach § 397 BGB durch einen gegenseitigen Vertrag grundsätzlich möglich. Der Arbeitnehmer ist nach der freiheitlichen Konzeption des Vertragsrechts rechtlich darin frei, dem Ansinnen des Arbeitgebers auf Abschluss eines Verzichtsvertrages näher zu treten oder auch nicht. Es liegt danach zunächst in der Selbstverantwortung des Vertragspartners, zu einem ungünstigen Vertragsangebot schlicht „Nein“ zu sagen43. Im Ausschluss der Befugnis der Arbeitsvertragsparteien zu rechtsverbindlichen Verzichtsvereinbarungen über 42 Allg. Ansicht, vgl. nur Wiedemann/Wank TVG § 4 Rn. 668; Schaub § 204 Rn. 64. 43 Vergleichend zu den unterschiedlichen Anforderungen an die Selbstverantwortungsfähigkeit des Individuums in der Rechtsprechung des BAG und im allg. Zivilrecht Fastrich, Vom Menschenbild des Arbeitsrechts, FS Kissel, S. 193 ff.; vgl.
B. Der Schutz der materiellen Entscheidungsfreiheit des Arbeitnehmers
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unabdingbare vertragsrechtliche Ansprüche oder Rechte liegt damit per se eine noch weitergehende, zusätzliche Beschränkung der Privatautonomie als in der bloßen Anordnung einer ausschließlich freiheitsmaximierend-paternalistisch zu deutenden Unabdingbarkeit44. Es fragt sich deshalb, ob die tatsächliche Entscheidungsfreiheit des Arbeitnehmers bei Begründung wie auch im laufenden Arbeitsverhältnis im Allgemeinen als durch faktische Zwänge soweit relativiert anzusehen ist, dass die Rechtsordnung auch die Verzichtsfreiheit hinsichtlich entstandener Ansprüche und Rechte um der tatsächlich oder materiell verstandenen rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit willen konditionieren muss. Die unterlegenheitsspezifische Deutung der Unabdingbarkeit könnte danach – ganz ähnlich wie Nipperdey für die Unabdingbarkeit tariflicher Normen nach der Tarifvertragsverordnung dargelegt hat – im Wesentlichen deshalb gerechtfertigt sein, weil der Arbeitgeber aufgrund seiner „strukturellen Überlegenheit“ regelmäßig die Möglichkeit hat, durch Ausnutzung einer mehr oder minder subtilen „Drucksituation“ den einzelnen Arbeitnehmer zum Abschluss nachteiliger Verzichtsverträge zu bewegen. Konsequenz einer solchen vermuteten Drucksituation wäre, der vertraglichen Zustimmung des Arbeitnehmers deshalb die Anerkennung durch die Rechtsordnung zu versagen, weil davon ausgegangen werden muss, dass der zu Grundeliegende rechtsgeschäftliche Wille regelmäßig nicht wirklich autonom gebildet ist und damit als aufgezwungen und gleichsam „unfreiwillig“ gelten muss. Rechtsprechung und Literatur haben in diesem Schutzaspekt zwar zumeist den zentralen gesetzgeberischen Zweck der Unabdingbarkeit gesetzlicher Normen des Arbeitsvertragsrechts gesehen, zugleich aber meist nur recht unspezifisch von einem „wirklichen“ oder auch „vermeintlichen Druck“ der Arbeitgeberseite gesprochen, vor dem der infolge seiner abhängigen Stellung in seiner Entscheidungsfreiheit beschränkte Arbeitnehmer geschützt werden müsse45. Rechtstheoretischer Ansatzpunkt ist damit nicht die Korrektur des Inhalts der vertraglichen Verzichtsvereinbarung um eines „gerechteren“ Inhalts willen. Es geht nicht um eine – wie auch immer geartete – „Materialisierung“ der Vertragsgerechtigkeit, sondern um eine Berücksichtigung nicht nur der rechtlichen, sondern auch der tatsächlichen Entscheidungsfreiheit der Vertragsparteien der Verzichtsvereinbarung als einer Grundvoraussetzung für auch H. Hübner, Rechtsgeschäftslehre und Verbraucherschutz, FS B. Börner, S. 717, 720 ff. 44 U. Hofmann, Verzicht und Vergleich im Arbeitsrecht, S. 80 f. 45 Vgl. exemplarisch BAG vom 11.6.1976 – 5 AZR 506/75 – AP LohnFG § 9 Nr. 2; Hofmann, FS 25 Jahre BAG, S. 217, 232 f.; ErfK - Dörner EFZG § 12 Rn. 12; Marienhagen/Künzl § 12 Rn. 12.
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5. Kap.: Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung
die Überzeugungskraft der Maxime volenti non fit iniuria46. Damit unterscheidet sich dieser Rechtfertigungsansatz grundlegend von paternalistischen Erwägungen, die zum Wohle des Geschützten in den vertraglichen Einigungsmechanismus eingreifen wollen, um ein bestimmtes Ergebnis einer rechtsgeschäftlichen Interaktion zu zementieren bzw. zu verhindern. Hier dagegen steht unabhängig vom Inhalt der vertraglichen Vereinbarung der Schutz der durch äußere Umstände unbeeinträchtigten rechtsgeschäftlichen Willensbildung im Mittelpunkt des Interesses47. Zur entscheidenden Frage wird damit, welche Beeinträchtigungen der Entscheidungsfreiheit so relevant sind, dass sie Einfluss auf die Validität des Vertragsschlusses haben48; wann bzw. weshalb also die einer Verzichtvereinbarung zu Grunde liegende Willensbildung als in unzulässigem Maße durch externe Umstände des Vertragsschlusses determiniert angesehen werden kann. Damit stellt sich ein schwieriges Abgrenzungsproblem: Wohl jeder menschliche Wille kann als mehr oder minder extern motiviert oder determiniert angesehen werden49. Entsprechendes gilt für den darauf basierenden Vertragsschluss. Die Abgabe von rechtsgeschäftlichen Willenserklärungen ist in der Realität des täglichen Lebens regelmäßig eben nicht Selbstzweck, sondern Mittel zur Befriedigung eines typischerweise externen Bedürfnisses. Entsprechend kann es im Regelfall auch nicht Aufgabe des Rechts sein, vor dem Verfehlen des wirtschaftlichen Vertragsziels bzw. vor Frustration der dem Vertragsschluss zu Grunde liegenden Motivation zu schützen. So schützen die Anfechtungsregeln der §§ 119, 120 BGB den Erklärenden zwar vor einer fehlerhaften Willensbildung und -betätigung, sie lassen jedoch die Motivation der Willenserklärung außer Betracht; der sog. Motivirrtum ist im Rahmen des § 119 BGB grundsätzlich unbeachtlich50. Der 46 Vgl. Canaris, Wandlungen des Schuldvertragsrechts – Tendenzen zu seiner Materialisierung, AcP 200 (2000), 273, 286, 296 ff. m. w. N.; Zöllner, Regelungsspielräume im Schuldvertragsrecht, AcP 196 (1996), 1, 28 (beide die sog. Bürgschaftsentscheidung des BVerfG vom 19.10.1993 – 1 BvR 567, 1044/89 – BVerfGE 89, 214 ff. in Bezug nehmend) und insbesondere M. Wolf, Entscheidungsfreiheit, S. 111 f., 118 f. 47 Vgl. M. Wolf, a. a. O., S. 111 f. 48 Zöllner, ebenda. 49 In der neueren neurobiologischen Forschung mehren sich die Zweifel an der grundsätzlichen Fähigkeit des Menschen zu tatsächlich freien Entscheidungen. Einen lesenswerten Einblick dazu liefern das Spiegel-Streitgespräch zwischen dem Neurobiologen Gerhard Roth und dem Moraltheologen Eberhard Schockendorf „Das Hirn trickst das Ich aus“, DER SPIEGEL Nr. 52 vom 20.12.2004, S. 116 ff. sowie das Spiegel-Gespräch mit dem Hirnforscher Wolf Singer, „Unser Wille kann nicht frei sein“, SPIEGEL special 4/2003 vom 1.11.2003; ausführlich dazu die Monographie von Roth, Fühlen, Denken, Handeln: Wie das Gehirn unser Verhalten steuert, insb. S. 494 ff. 50 Vgl. statt aller nur Palandt - Heinrichs § 119 Rn. 29.
B. Der Schutz der materiellen Entscheidungsfreiheit des Arbeitnehmers
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Schutz vor Fremdbestimmung, verstanden als Schutz der Autonomie der eigenen Willensbildung, ist nach der klassischen vertragsrechtlichen Konzeption des BGB beschränkt auf den durch die §§ 123 Abs. 1 2. Alt. und 138 Abs. 2 BGB vermittelten Schutz. Wenn ohne weitere Anhaltspunkte bereits eine allgemeine, als dem Arbeitsverhältnis inhärent angesehene „Drucksituation“ ausreichen soll, um beispielsweise die Unverzichtbarkeit auch des fälligen Entgeltfortzahlungsanspruchs jedenfalls während des laufenden Arbeitsverhältnisses zu begründen51, so ist die damit vom Bundesarbeitsgericht gesetzte Eingriffsschwelle ersichtlich deutlich niedriger, als nach den §§ 123 Abs. 1 Alt. 2 oder 138 Abs. 2 BGB erforderlich wäre. Mit Berücksichtigung eines „Drucks“ oder einer „Autorität“ des Arbeitgebers im laufenden Arbeitsverhältnis52, bzw. einer daraus resultierenden Einschränkung der materiellen Entscheidungsfreiheit des Arbeitnehmers, ist daher zugleich die Notwendigkeit verbunden, aus der Vielzahl möglicher Motivationen einer Person für einen Vertragsschluss den Kreis derjenigen zu bestimmen, die die rechtliche Erheblichkeit einer sonst fehlerfreien rechtsgeschäftlichen Willensbildung und -erklärung entfallen oder zumindest konditionierungsbedürftig erscheinen lassen. Im Grunde würde damit eine Analyse des inneren Willensbildungsvorgangs der Vertragsparteien erforderlich53. Konkreter: Im Streitfall müsste der Arbeitsrichter versuchen, die innere Motivation des Arbeitnehmers für den Abschluss eines Verzichtsvertrages zu ergründen, um dann zu entscheiden, ob diese Motivation in unzulässiger Weise vom Arbeitgeber oder sonstigen Umständen determiniert wurde. Er müsste versuchen zu klären, ob die Zustimmung zu einer Verzichtsvereinbarung „aus freien Stücken“ oder wegen eines verspürten oder auch nur antizipierten „Drucks“ erfolgte, ohne dass es dazu auf irgendwelche feststellbaren konkreten Drohungen des Arbeitgebers oder dergleichen ankäme. Es bedarf keiner näheren Erörterung, dass die Leistungsgrenzen der richterlichen Rechtsfindungsmöglichkeiten damit überschritten sind. Da eine innere Motivation des sich gedrängt oder verpflichtet Fühlens für einen externen Beobachter nicht unmittelbar zu Tage tritt, liegt auf der Hand, dass solche Feststellungen prinzipiell nur mittels allgemeiner Erfahrungssätze aus objektiv feststellbaren, äußeren Umständen abgeleitet werden können. Generalisierende und typisierende Betrachtungsweisen werden schon aus Gründen der Rechtssicherheit hier praktisch nicht vermeidbar sein. 51 Vgl. insbesondere BAG vom 28.11.1979 – 5 AZR 955/77 – AP LohnFG § 6 Nr. 10 [unter 2.b) der Gründe], 2. Absatz und den Überblick oben, 2. Kapitel: A. I. 2. mit den dortigen Nachweisen. 52 Vgl. zu diesen Begrifflichkeiten BAG, ebenda. 53 Vgl. zum neurobiologischen Verständnis der menschlichen Willensbildung auch oben, Fn. 49.
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5. Kap.: Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung
Die wirtschaftliche Nachteiligkeit eines Verzichtsvertrages für den Arbeitnehmer entfaltet insoweit eine stark suggestive Wirkung für die Annahme, er sei für ihn auch im oben genannten Sinne „unfreiwillig“ zustande gekommen. So gewichtig jedoch eine offensichtliche wirtschaftliche Nachteiligkeit als Indiz auch sein mag, eine ausreichende Indikation für eine dem Arbeitsverhältnis stets inhärente Störung der Vertragsfreiheit kann sie nicht liefern. Um die hier interessierenden „Störfälle“ der Vertragsfreiheit und damit die Erforderlichkeit einer Verrechtlichung von Pflichten bzw. der Reichweite einer zwingenden Ausgestaltung gesetzlich gewährter Ansprüche und Rechte identifizieren zu können, wird man weiter die außerrechtlichen Funktionsbedingungen des Verzichtsvertrages im laufenden Arbeitsverhältnis in den Blick nehmen müssen54. Da und wenn der Gesetzgeber unabdingbare gesetzliche Mindestansprüche und Rechte des Arbeitnehmers im Arbeitsvertragsrechts normiert, so kann von dem gesetzgeberischen Ziel ausgegangen werden, dass sie dem Arbeitnehmer auch in der Rechtspraxis tatsächlich zugute kommen sollen. Die typisierende Annahme der Unverzichtbarkeit unabdingbarer Ansprüche und Rechte im und wegen des laufenden Arbeitsverhältnisses kann daraus in der vertragstheoretischen Systematik des Privatrechts nur gerechtfertigt werden, wenn sie in der Regel als praktische Voraussetzung dafür angesehen werden kann, dass die im Gesetz vorgesehenen Ansprüche und Rechte nicht durch im materiellen Sinne „unfreiwillige“ Verzichtsvereinbarungen begeben werden. In einer vertragstheoretischen Annäherung an das arbeitsrechtliche Unterlegenheitsparadigma muss es damit um die Untersuchung des praktischen Bedürfnisses für einen Schutz vor dem Abschluss eines unerwünschten Verzichtsvertrages im laufenden Arbeitsverhältnis und damit um das Bedürfnis für einen Schutz der (negativen) materiellen Vertragsfreiheit des Arbeitnehmers gehen55. Die ökonomische Analyse der arbeitsrechtlichen Austauschbeziehung kann hier helfen, Deutungsmuster für die typischerweise gegebenen Macht- und Marktverhältnisse zu entwickeln.
54
Vgl. dazu Brors, Zur rechtsökonomischen Analyse der Nebenpflichten des Arbeitgebers, in: Ott/Schäfer (Hrsg.), Ökonomische Analyse des Arbeitsrechts, S. 215, 226 f. Instruktiv dazu auch Weise, Alle Märkte sind gleich – zur Bedeutung und den Folgen unterschiedlicher Mobilität der Produktionsfaktoren, in: Nutzinger/Held (Hrsg.), Geteilte Arbeit und ganzer Mensch, S. 92, 94 ff. 55 Vgl. dazu Brors, Zur rechtsökonomischen Analyse der Nebenpflichten des Arbeitgebers, in: Ott/Schäfer (Hrsg.), Ökonomische Analyse des Arbeitsrechts, S. 215, 226.
C. Die tatsächlichen Grundlagen des Unterlegenheitsparadigmas
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C. Die tatsächlichen Grundlagen des Unterlegenheitsparadigmas Zur Vermeidung von Missverständnissen bedarf es vor einem tieferen Einstieg in die Analyse der Denkmuster von der „Unterlegenheit“ des Arbeitnehmers einer begrifflichen Klarstellung. Wie im Einzelnen noch zu zeigen sein wird, können die sich um den Begriff der Unterlegenheit rankenden allgemein gebräuchlichen Wendungen nicht im Wortsinn verstanden werden. Sie haben einen eher metaphorischen Charakter und kennzeichnen allgemein formuliert Situationen, in denen das Konsensprinzip des Vertragsschlusses nicht geeignet ist, eine hinreichende Richtigkeitschance des Vertrags zu gewährleisten56. Die Ursachen dafür können vielfältigster Art sein. Ganz ähnliches gilt für die im allgemeinen Zivilrecht gebräuchlichen Begriffe der Ungleichgewichtigkeit oder der gestörten Vertragsparität. Auch hier handelt es sich um Metaphern, die derartige Situation trotz ihrer Vielgestaltigkeit zusammenfassend kennzeichnen, sie jedoch gerade nicht mit analytischem Anspruch beschreiben57. Offensichtlich wird dies, wenn das Bundesverfassungsgericht in diesem Zusammenhang wörtlich vom „Übergewicht“ eines der Vertragsteile spricht58. Ein bloßes „Gefälle“ zwischen den Vertragspartnern in wirtschaftlicher, intellektueller oder informationeller Hinsicht allein wird in aller Regel auch im Arbeitsrecht nicht ausreichen, um im Rechtssinne von Unterlegenheit sprechen zu können59 und ist im Folgenden auch nicht gemeint. Weil das Begriffsmuster der Unterlegenheit des Arbeitnehmers aber bereits seit der Entstehung des modernen Arbeitsrechts prägend für die arbeitsrechtswissenschaftliche Diskussion ist, soll es zur Vermeidung neuerlicher Begriffsverwirrung bei seiner Verwendung im Rahmen dieser Arbeit bleiben. Das aus dem arbeitsrechtlichen Unterlegenheitsparadigma entwickelte Rechtfertigungsmodell der extensiven Ausdehnung der Unabdingbarkeitswirkung als Schutz vor Übervorteilung des schwächeren Vertragspartners sieht sich auf tatsächlicher Ebene vor allem zwei grundsätzlichen Einwänden ausgesetzt: Zum einen wird bestritten, dass der Arbeitnehmer überhaupt 56
Vgl. statt vieler Rittner, Über das Verhältnis von Vertrag und Wettbewerb, AcP188 (1988), 101, 131. 57 Vgl. Fastrich, Inhaltskontrolle im Arbeitsrecht, RdA 1997, 65, 71; ähnlich zuvor schon Rittner, a. a. O. 58 BVerfG vom 7.2.1990 – 1 BvR 26/84 – BVerfGE 81, 242, 255; BVerfG vom 19.10.1993 – 1 BvR 567, 1044/89 – BVerfGE 89, 214, 231 f. 59 Zöllner, Regelungsspielräume im Schuldvertragsrecht, AcP 196 (1996), 1, 28; Thüsing, Angemessenheit durch Konsens – zu den Grenzen der Richtigkeitsgewähr arbeitsvertraglicher Vereinbarungen, RdA 2005, 257, 260.
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5. Kap.: Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung
als wirtschaftlich-strukturell unterlegene Partei des Arbeitsvertrages angesehen werden könne60. Zum anderen wird gegen die extensive Auslegung der Unabdingbarkeitswirkung angeführt, der Schutz der Freiheit der Willensbildung des Arbeitnehmers vor einer entsprechenden Bestimmung durch den Arbeitgeber sei durch die Anfechtungsregeln des BGB prinzipiell ausreichend gewährleistet61. Im Folgenden soll zunächst in Erwiderung auf diese Thesen näher analysiert werden, woraus sich Gründe und Grenzen für die Annahme einer strukturellen Unterlegenheit des Arbeitnehmers ergeben und welche dieser Gründe insbesondere hinsichtlich des Verzichts auf bereits fällige unabdingbare Ansprüche zum Tragen kommen können62. Grundsätzlich zu unterscheiden sind dabei wirtschaftliche und intellektuelle/informationelle Aspekte, die in unterschiedlicher Weise zur Begründung des Paradigmas von der strukturellen Unterlegenheit des Arbeitnehmers herangezogen werden.
I. Schutzbedürfnis des Arbeitnehmers wegen wirtschaftlicher Unterlegenheit Kern des arbeitsrechtlichen Unterlegenheitsparadigmas ist die Vorstellung von der „wirtschaftlichen Unterlegenheit“ des Arbeitnehmers. Sie wird von der wohl herrschender Meinung als primäre Motivation und Legitimation für die Schaffung sowohl der kollektivvertraglichen Regelungsinstrumente als auch der zwingenden gesetzlichen Regelungen des Arbeitsvertragsrechts betrachtet63. Die beim Arbeitnehmer als typisch angesehene existenzielle 60 Mit dieser Tendenz Thüsing, a. a. O.; grundlegend wohl Zöllner, AcP 176 (1976), 221 ff.; ders., Regelungsspielräume im Schuldvertragsrecht, AcP 196 (1996), 1, 18 ff.; allerdings erkennt auch Zöllner allgemein an, dass als relevante Einschränkung der Entscheidungsfreiheit auch der Druck angesehen werden könne, dem ein Vertragsschließender durch einen Verzicht auf Vertragsleistungen bestimmter Art ausgesetzt wird, „wenn dadurch seine wirtschaftliche oder persönliche Existenz entscheidend berührt wird“. 61 Staudinger - Rieble BGB § 397 Rn. 199. 62 Von besonderem Interesse ist die Fallgruppe der nachträglichen Verzichte auf bereits fällige Ansprüche oder Rechte deshalb, weil diese vom dem freiheitsmaximierend-paternalistischen Rechtfertigungsmodell grundsätzlich nicht erfasst werden; vgl. dazu die Ausführungen im 4. Kapitel: B. III. 2. 63 Vgl. statt vieler Konzen, Die Tarifautonomie zwischen Akzeptanz und Kritik, NZA 1995, 913 ff. m. w. N.; Hanau, Freiheit und Gleichheit bei der Gestaltung des Arbeitsrechts, FS 600 Jahre Uni Köln, S. 183, 199, 201; kritisch dazu vor allem Zöllner, Privatautonomie und Arbeitsverhältnis, AcP 176 (1976), 221 ff. und Reuter, Das Verhältnis von Individualautonomie, Betriebsautonomie und Tarifautonomie, RdA 1991, 193 ff. und unlängst auch Gutsche, Die Parität der Vertragsparteien auf dem Arbeitsmarkt, Diss. Uni Regensburg 2003, S. 40 ff.
C. Die tatsächlichen Grundlagen des Unterlegenheitsparadigmas
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Abhängigkeit von der gleichsam täglichen Verwertung der eigenen Arbeitskraft durch nichtselbstständige Arbeit zur Erwirtschaftung von Lebensunterhalt und Existenzgrundlage bildet ihr Fundament64. Dabei sind verschiedene Aspekte der wirtschaftlichen Unterlegenheit in der Phase der Eingehung und während des laufenden Arbeitsverhältnisses zu unterscheiden65. Während in der Begründungphase des Arbeitsverhältnisses typischerweise Arbeitnehmer um Arbeitsplätze oder auch Arbeitgeber um besonders qualifizierte Arbeitnehmer konkurrieren, ist der Ansatzpunkt der Betrachtung nach der Begründung die Organisation des Arbeitsverhältnisses bei einem bestimmten Arbeitgeber, also auf einen bestimmten Betrieb oder ein bestimmtes Unternehmen bezogen66. Damit wird für die Analyse der vielfach pauschal vorausgesetzten wirtschaftlichen Unterlegenheit des Arbeitnehmers eine Unterscheidung des externen, kompetitiven Arbeitsmarkts vom so genannten internen Arbeitsmarkt67 erforderlich. Auf dem externen Arbeitsmarkt stehen die Mechanismen des so genannten Konkurrenzparadoxons im Mittelpunkt. Im bestehenden Arbeitsverhältnis wird eine wirtschaftliche Unterlegenheit im Wesentlichen aus einem Sanktionspotenzial des Arbeitgebers durch die vergleichsweise höheren Alternativkosten68 des Arbeitnehmers beim Arbeitsplatzwechsel – flankiert durch die durch das Direktionsrecht des Arbeitgebers gegebene Befugnis zur Bestimmung von für den Arbeitnehmer missliebigen einseitigen Vertragskonkretisierungen – gefolgert69. 1. Die wirtschaftliche Unterlegenheit des Arbeitssuchenden Bei Begründung des Arbeitsverhältnisses soll wirtschaftliche Unterlegenheit – grob gezeichnet – dazu führen, dass der Arbeitssuchende gezwungen ist, auch ungünstige Arbeitsbedingungen zu akzeptieren, weil er es sich mangels hinreichender ökonomischer Reserven nicht leisten kann, den angebotenen Vertrag abzulehnen, um auf ein besseres Angebot zu warten. 64
Schwarze, Arbeitnehmerbegriff und Vertragstheorie, ZfA 2005, 81, 85 m. w. N. Vgl. bereits M. Wolf, Entscheidungsfreiheit, S. 13. 66 Brors, Die Abschaffung der Fürsorgepflicht, S. 105 ff. 67 Vgl. zu diesem aus der arbeitsrechtlichen Literatur der USA („internal labor market“) übernommen Begriff Brors, mit zahlreichen Nachweisen aus dem amerikanischen Schrifttum, ebenda. 68 Allgemein werden unter Alternativkosten (oder auch Opportunitätskosten) entgangene Erträge oder Nutzen im Vergleich mit einer besseren Handlungsalternative verstanden, so Gabler Wirtschaftslexikon, S. 2319. Hier sind die durch den Wechsel des Arbeitsplatzes bzw. die Neubesetzung eines Arbeitsplatzes jeweils entstehenden Kosten gemeint. 69 Vgl. Brors, a. a. O.; mit diesem Ansatz auch Plander, Arbeitsrecht: Instrument zur Verwirklichung von Grundrechten der Arbeitnehmer, FS Gnade, S. 79, 81. 65
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5. Kap.: Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung
Zudem führe die in der Regel vorliegende existenzielle Abhängigkeit von der gleichsam täglichen Verwertung der Arbeitskraft durch abhängige Arbeit zu einer ökonomisch paradoxen Reaktion der Arbeitssuchenden auf ein vorhandenes Überangebot an Arbeitskräften und daraus resultierenden fallenden Marktpreisen für die „Ware Arbeitskraft“: Der Arbeitssuchende könne auf einen Preisverfall nicht mit einer Verknappung des Angebots reagieren. Sinke sein erzielbares Einkommen aufgrund allgemein fallender Löhne unterhalb das Maß des zur Aufrechterhaltung des Lebensunterhalts – oder besser des Lebensstandards – Notwendigen, so sei er gezwungen, sein Angebot auszuweiten, d.h. noch mehr bzw. noch länger zu arbeiten, was wiederum den Preisverfall infolge Überangebots auf dem Arbeitsmarkt beschleunige70. Die auf Gütermärkten übliche Reaktion der Angebotsverknappung als Antwort auf einen Preisverfall funktioniere auf dem Arbeitsmarkt nicht, hier herrsche ein Konkurrenzparadoxon71. Folge dieses Mechanismus sei – so grob gezeichnet die im Kern auf Karl Marx zurückgehende These – das unweigerliche Einsetzen eines Verelendungskreislaufs72, wenn diese Wechselbeziehung nicht durch kollektive Gegenmachtsbildung oder staatliche Intervention durchbrochen werde73. In der Tat dürften Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts deutlich sichtbare Tendenzen der Verelendung des Industrieproletariats erst die nötige politische und gesellschaftliche Schubkraft entwickelt haben, die für das Entstehen kollektivvertraglicher Systeme im Arbeitsrecht und die beginnende Sozialschutzgesetzgebung nötig war74. 70
Eingehend dazu Dorndorf, FS Gnade, S. 39, 41 ff. Konzen, Die Tarifautonomie zwischen Akzeptanz und Kritik, NZA 1995, 913 ff. m. w. N.; Eger/Nutzinger, Arbeitsmarkt zwischen Abwanderung und Widerspruch, in: Ökonomie und Gesellschaft, Jahrbuch 15 – Unternehmungsverhalten und Arbeitslosigkeit, S. 135, 146 unter Berufung auf die Habilitation von Stützel, Paradoxa der Geld- und Konkurrenzwirtschaft (1953), S. 375 ff.; vgl. auch Dorndorf, a. a. O. 72 Ablehnend Reuter, RdA 1991, 193 ff. 73 Mechanismen des Konkurrenzparadoxons lassen sich in jüngster Zeit auch verstärkt auf der Ebene nationaler Lohnpolitik in einer globalisierten Wirtschaft beobachten: Als Folge globalisierter Kapital- und Gütermärkte und großer Beweglichkeit des Kapitals bei gleichzeitig schwindendem Produktivitätsvorsprung ist in den letzten Jahren das Lohnniveau in Deutschland und anderen westlich geprägten Industriestaaten massiv unter Druck geraten. Als Reaktion darauf scheint sich in der tariflichen Lohnpolitik – neben dem finanziell eher unbedeutenden Verzicht auf Zusatzleistungen wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld trotz anhaltend hoher Arbeitslosigkeit in nahezu allen Branchen eher eine Tendenz zur Ausweitung der tariflichen Wochenarbeitszeiten als zu direkten (Stunden-)Lohnsenkungen durchzusetzen. Die verfasste Arbeitnehmerschaft ist offenbar eher bereit, zur Lebensstandardsicherung für effektiv geringere Stundenlöhne mehr zu arbeiten, d.h. das vorhandene Überangebot an Arbeitskraft zu vergrößern, als absolut sinkende Löhne und Gehälter zu akzeptieren. 71
C. Die tatsächlichen Grundlagen des Unterlegenheitsparadigmas
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Zöllner hat unter Hinweis auf die in den Jahren 1873 bis 1913 auch ohne das Instrument des Tarifvertrags erreichten Lohnsteigerungen bestritten, dass es eine eingeschränkte Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer aufgrund wirtschaftlicher Unterlegenheit überhaupt gebe75. Dieser Einwand vermag jedoch schon deshalb nicht zu überzeugen, weil die in dieser Zeit erzielten Lohnsteigerungen weit hinter den Steigerungsraten des Wirtschaftswachstums und der Lebenshaltungskosten zurückblieben und zudem Tendenzen der kollektiven Gegenmachtsbildung auch schon vor Abschluss der ersten Tarifverträge zu Zugeständnissen der Arbeitgeberseite führten76. Reuter bestreitet das Vorliegen der Grundvoraussetzung der existenziellen Abhängigkeit des Arbeitnehmers unter den heutigen Bedingungen des Sozialstaates bundesrepublikanischer Prägung77. Durch den heute vorhandenen sozialrechtlichen Existenzschutz (insb. Arbeitslosengeld und Sozialhilfe) sei die Grundvoraussetzung der Verelendungsthese, die existenziellen Abhängigkeit des Arbeitnehmers, nicht mehr gegeben78. Auch dem kann so nicht gefolgt werden. Reuter blendet aus, dass Existenzsicherung in der Wohlstandsgesellschaft der Bundesrepublik als Sicherung der Teilhabe am sozialen Leben aufgefasst werden muss79. Der Bezug von gegenüber dem vorherigen Arbeitsentgelt deutlich geringerem Arbeitslosengeld mag – soweit überhaupt ein Anspruch auf Arbeitslosengeld besteht – echte finanzielle Notsituationen verhindern, ein dem Arbeitsplatz entsprechendes Sozialprestige kann er jedoch nicht vermitteln80. Das Subsidiaritätsprinzip der Sozialhilfe bzw. des durch das sog. Hartz-IV-Gesetz81 74
Ausführlich Picker, ZfA 1986, 199, 251 ff. Zöllner, AcP 176 (1976), 221, 231; relativierend allerdings derselbe in AcP 196 (1996), 1, 20. 76 Kritisch zu Zöllner auch Schwarze, Arbeitnehmerbegriff und Vertragstheorie, ZfA 2005, 81, 97 f.; Picker, a. a. O., S. 251, dort Fn. 132. 77 Reuter, Die ethischen Grundlagen des Privatrechts, AcP 189 (1989), 199, 209; kritisch auch Bengelsdorf, Der arbeitsrechtliche Aufhebungsvertrag, ZfA 1995, 229, 263 f. und Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, S. 286 f. 78 Reuter, Das Verhältnis von Individualautonomie, Betriebsautonomie und Tarifautonomie, RdA 1991, 193 ff.; kritisch dazu Konzen, Die Tarifautonomie zwischen Akzeptanz und Kritik, NZA 1995, 913 ff. m. w. N. 79 Vgl. BAG vom 27.2.1985 – GS 1/84 – BAGE 48, 122, 138 ff.; BAG vom 10.11.1955 – 2 AZR 591/54 – BAGE 2, 221, 224 f. (beide zum Beschäftigungsanspruch); vgl. auch Thüsing, Arbeitsrecht zwischen Markt und Arbeitnehmerschutz, NJW 2004, 2576. 80 Vgl. Dorndorf, Eine Mindestmoral des Arbeitsrechts, Liber Amoricum Spiros Simitis, S. 69, 79 f. 81 Das „Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ vom 29.12.2003, BGBl I Nr. 66 v. 29.12.2003, S. 2954, regelt die mit Wirkung zum 1.1.2005 vollzogene Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zum 75
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5. Kap.: Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung
neu eingeführten Arbeitslosengeldes II lässt zudem keine Besitzstandswahrung des Leistungsempfängers zu; er ist – oberhalb gewisser Freibeträge – dazu gezwungen, im Zuge einer langfristigen und nachhaltigen individuellen Lebensplanung angespartes Vermögen kurzfristig für seinen unmittelbaren Lebenunterhalt aufzuzehren. Man mag das sozial- und ordnungspolitisch für richtig halten und begrüßen. Es ist jedoch nicht zu verkennen, dass der Verlust oder das Nichtauffinden eines geeigneten Arbeitsplatzes auch unter den Bedingungen des heutigen Sozialstaates dramatische Folgen für die persönliche Lebensplanung hat82. Die Sicherung des erreichten Besitzstandes und der durch einen adäquaten Arbeitsplatz vermittelten sozialen Geltung ist in diesem Sinne noch hinreichend „existenziell“, um die Verhandlungsmacht des Arbeitnehmers entscheidend zu schwächen83. Die durch eine gegenwärtig weithin zu beobachtende Tendenz zu unbezahlten „Praktika“ und Einstiegsgehältern an der Sittenwidrigkeitsgrenze84 gekennzeichnete aktuelle Arbeitsmarktsituation für Hochschulabsolventen einiger Fächer mag dies im Arbeitsmarktsegment der Hochqualifizierten illustrieren85; die aktuelle Diskussion um die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns86 als Schutz vor ruinöser Konkurrenz durch infolge der Liberalisierung des EU-Binnenmarktes und der EU-Dienstleistungsfreiheit vermehrt auf den deutschen Arbeitsmarkt drängende Arbeitskräfte aus Osteuropa87 zeigt die Aktualität der sog. Verelendungsthese für das untere Segment des Arbeitsmarkts. Die Wirkungskräfte der Mechanismen des Konkurrenzparadoxons lassen sich damit jenseits des Kampfes um die physische Existenz auch unter heutigen Arbeitsmarktbedingungen aufzeigen88. Arbeitslosengeld II auf einem i. d. R. unterhalb der bisherigen Arbeitslosenhilfe liegenden Niveau. 82 Lesenswert dazu auch die Glosse von Däubler, Wie wär’s mit einem kleinen Straßenraub?, NJW 2005, 402 f. 83 Schwarze, a. a. O., 99. 84 Vgl. ArbG Bad Hersfeld vom 4.11.1998 – 2 Ca 255/98 – NZA-RR 1999, 629. 85 Vgl. SPIEGEL ONLINE – 7. Oktober 2003, 13:12, Die Praktikumsmühle – Suchen Profi, bieten Zeugnis, http://www.spiegel.de/unispiegel/jobundberuf/ 0,1518,267214,00.html und SPIEGEL ONLINE – 21. Juli 2004, 12:59, Akademische Billigarbeiter – Jung, diplomiert zum SchnäppchenPreis, http://www.spiegel. de/unispiegel/jobundberuf/0,1518,309642,00.html, jeweils m. w. N. 86 Vgl. auch die Nachweise im 6. Kapitel, dort Fn. 4. 87 Vgl. Der Spiegel, Ausgabe 8/2005 vom 21.2.2005, „Hier geht die Angst um“ – Osteuropäer verdrängen massenhaft deutsche Arbeitnehmer. 88 So auch Konzen, Die Tarifautonomie zwischen Akzeptanz und Kritik, NZA 1995, 913, 918 m. w. N.; Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, S. 186, 188; Dorndorf, Mehr Individualvertragsfreiheit im Arbeitsrecht?, FS Gnade, S. 39, 42; Kleinhenz, Perspektiven der Tarifautonomie aus volkswirtschaftlicher Sicht, in: Beltz Rübelmann u. a. (Hrsg.), Zukunft der Tarifautonomie, S. 29, 31 f.; differenzierend Seitel, Öffnungsklauseln in Tarifverträgen, S. 9 ff.
C. Die tatsächlichen Grundlagen des Unterlegenheitsparadigmas
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Die primäre Bedeutung der so begründeten wirtschaftlichen Unterlegenheit des Arbeitnehmers liegt in der Legitimation kollektivrechtlicher Instrumente zur Durchsetzung eines adäquaten Arbeitslohns und sonstiger – auch gesetzlicher – Mindestarbeitsbedingungen, die ein einzelner Arbeitnehmer typischerweise im Verhandlungswege gegenüber seinem Arbeitgeber am Markt nicht durchsetzen könnte89. Die Unabdingbarkeit dieser Normen dürfte damit angesichts der zumeist unzureichenden Durchsetzungsfähigkeit des einzelnen Arbeitnehmers faktisch zugleich Wirkungsvoraussetzung für ihre Funktion als Garantie sozialer Mindeststandards sein90. Der immer noch relativ hohe Verbreitungsgrad übertariflicher/übergesetzlicher Arbeitsbedingungen in Individualarbeitsverträgen steht dem nicht entgegen. In der Regel sind solche Arbeitsbedingungen nicht das Ergebnis individueller Verhandlungsmacht des Arbeitnehmers, sondern als freiwillige Angebote der Arbeitgeberseite von dieser für tunlich erachtet worden, um einerseits qualifizierte Arbeitnehmer zu werben und zu halten, andererseits die Kosten durch Fluktuation und Arbeitszurückhaltung unzufriedener Arbeitnehmer zu vermindern. Insbesondere die Möglichkeit der Arbeitszurückhaltung wirkt insoweit bis zu einem gewissen Grad als Mittel der informellen Normdurchsetzung durch die Arbeitnehmerseite, das dazu führen kann, dass Arbeitgeber ihr wirtschaftliches Durchsetzungspotenzial beim Aushandeln verschlechternder Arbeitsbedingungen nicht voll ausschöpfen können. Die Zahlung von sog. Effizienzlöhnen91 und das Phänomen der sog. Lohnrigiditäten92 lassen sich in dieser Weise deuten93. Die Bedeutung derartiger 89 Dieser grundsätzliche Befund wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass bei einer Engpasssituation auf dem Arbeitsmarkt insb. mobile und hochqualifizierte Arbeitnehmer in einer sehr komfortablen Verhandlungssituation sein können; dazu Dorndorf, a. a. O., S. 44 f. 90 Zu einer ganz ähnlichen Einschätzung kommt das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung auch aus grundrechtlicher Perspektive: „Zwingende Regelungen des Arbeitsrechts schaffen erst den Rahmen, in dem die mehrheitlich abhängig Beschäftigten ihre Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1 GG unter angemessenen Bedingungen verwirklichen können. Sie rechtfertigen sich daraus, dass der Individualarbeitsvertrag vielfach ein unzureichendes Instrument zur Begründung eines sozial angemessenen Arbeitsverhältnisses ist.“ So zuletzt BVerfG vom 29.12.2004 – 1 BvR 2582/03, 1 BvR 2283/03, 1 BvR 2504/03 – NZA 2005, 153, 154 m. w. N.; ähnlich bereits BVerfG vom 27.2.1973 – 2 BvL 27/69 – BVerfGE 34, 307, 316. 91 Effizienzlohntheorien basieren auf dem unterstellten Kausalzusammenhang einer positiven Korrelation von Arbeitsproduktivität und Reallohn. „Effizienzlohn“ ist der vom lohnsetzenden Unternehmer zur Erhöhung der Arbeitsproduktivität freiwillig gezahlte (höhere) Lohn, der über dem sog. markträumenden Lohn liegt. Vgl. dazu Gabler, Wirtschaftslexikon, Arbeitsmarkttheorien, S. 186. 92 Als Lohnrigidität wird das Ausbleiben oder nur geringfügige Auftreten von (direkten) Lohnsenkungen als Reaktion auf veränderte Arbeitsmarktbedingungen bezeichnet. Ursachen dafür sollen jenseits rechtlicher Regelungen ebenfalls darin zu
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5. Kap.: Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung
Phänomene ist jedoch sowohl von der Arbeitsmarktsituation im jeweiligen Arbeitsmarktsegment als auch von der Art der auszuübenden Tätigkeit abhängig. Die Existenz informeller Mechanismen der Normdurchsetzung in Teilen des Arbeitsmarktes macht staatlichen Mindestschutz für Nebenleistungsansprüche und Normdurchsetzungsrechte durch zwingendes Arbeitsvertragsrecht deshalb im Allgemeinen nicht obsolet94. Nach wie vor kann davon ausgegangen werden, dass die Mehrheit der Arbeitnehmer bei Abschluss des Arbeitsvertrages nicht die Vertragsdurchsetzungsmacht hätte, einer vertraglichen Abbedingung der hier untersuchten gesetzlicher Ansprüche und Rechte im Individualarbeitsvertrag wirksam entgegenzutreten95. Es steht damit zu vermuten, dass ohne die Unabdingbarkeit der gesetzlichen Normen des Arbeitsvertragsrechts Arbeitgeber in der Mehrzahl der Fälle in der Lage wären, die gesetzliche Konzeption der Risiko- und Soziallastenverteilung im Arbeitsverhältnis mit der gleichen Selbstverständlichkeit zu ihren Gunsten abzuändern, wie in der heutigen Rechtswirklichkeit üblicherweise Wohnungsmietern in Mietverträgen die sog. Schönheitsreparaturen aufgebürdet werden oder privaten Bürgen durch institutionelle Gläubiger die in § 771 BGB vorgesehene Einrede der Vorausklage abgeschnitten wird. Ein moralisches Unwerturteil gegenüber der Arbeitgeberseite kann dem nicht entnommen werden. Im Gegenteil: Wer als Unternehmer im Rahmen des rechtlich zulässigen Gestaltungsspielraums eine objektiv vorteilhafte Verhandlungsposition nutzt, handelt weder sittenwidrig noch begeht er eine rechtsmoralisch verwerfliche „Nötigung“; er handelt vielmehr so, wie es eine auf Markt und Wettbewerb setzende Gesellschaft von ihm erwartet96. Gesetzlicher Unabdingbarkeit kommt insoweit auch die Funktion zu, besonders schutzbedürftige soziale Nebenleistungen des Arbeitgebers und Vertragsdurchsetzungsrechte des Arbeitnehmers, wie das Recht zur Kündigungsschutz- oder Entfristungsklage, aus der Verhandlungsmasse des Arbeitsvertrages zu nehmen97. Soweit auch der konkrete Arbeitnehmer nicht die nötige Vertragsdurchsetzungsmacht hat, einer vertraglichen Abbedinsehen sein, dass Lohnsenkungen als unfair empfunden würden, was die Arbeitsmoral zerstören und zu Leistungszurückhaltung führen könne, Falk, a. a. O.; so auch Agell, On the Benefits from Rigid Labour Markets: Norms, Market Failures and Social Insurance, Economic Journal, Vol. 109 (1999), S. F143 ff. 93 Vgl. insb. Akerlof, Labor Contracts as Partial Gift Exchange, in: Akerlof/Yellen (Hrsg.), Efficiency wage models of the labor market, S. 66 ff. 94 Eingehender zu diesem Fragenkomplex unten unter 5. Kapitel: C. I. 2. d). 95 So im Ergebnis auch Schwarze, Arbeitnehmerbegriff und Vertragstheorie, ZfA 2005, 81, 100. 96 Dorndorf, Das Verhältnis von Tarifautonomie und individueller Freiheit als Problem dogmatischer Theorie, FS Kissel, S. 139, 156.
C. Die tatsächlichen Grundlagen des Unterlegenheitsparadigmas
179
gung bzw. einem Vorausverzicht auf gesetzliche Arbeitnehmerrechte bei Abschluss des Arbeitsvertrages entgegenzutreten, findet neben den oben erörterten freiheitsmaximierend-paternalistischen Schutzzweck auch der Gedanke einer nicht-paternalistischen Positionsverbesserung als Rechtfertigung einer Einschränkung der Vertragsfreiheit in den tatsächlichen Verhältnissen des Arbeitsmarkts seine Stütze98. Die so begründete „wirtschaftliche Unterlegenheit“ infolge wirtschaftlicher Abhängigkeit mag – in Abhängigkeit von den jeweiligen Arbeitsmarktchancen – im Ergebnis wohl bei der Mehrzahl der Arbeitssuchenden zu konstatieren sein. Sie ist damit zwar wohl typischerweise, nicht jedoch prinzipiell mit der Arbeitnehmereigenschaft als Aufgreiftatbestand verknüpft. Entsprechend kann sie, anders als der zuvor erörterte freiheitsmaximierendpaternalistische Ansatz, auch keine generalisierbare theoretische Rechtfertigung der Einschränkung der Verzichtsbefugnis liefern. Insbesondere erscheint es auch im Rahmen einer im Interesse der Rechtssicherheit sicher notwendigen Typisierung problematisch, den Anteil derjenigen Arbeitssuchenden zu marginalisieren, die aufgrund eigenen Vermögens, besonderer Marktchancen, durch spezielle Qualifikationen oder schlicht aufgrund der Tatsache, dass sie sich aus einer gesicherten, ungekündigten oder ordentlich unkündbaren Stellung heraus bewerben, ein erhebliches Verhandlungsgewicht auch hinsichtlich der arbeitsvertraglichen Nebenbedingungen haben. Für die Verzichtsbefugnis sind die soeben erörterten Aspekte nur hinsichtlich des Vorausverzichts bei Abschluss eines Arbeitsvertrages bzw. eines Änderungsvertrages mit verschlechternden Bedingungen99 von unmittelbarem Belang. Nur in der Abschlusssituation des Arbeitsvertrages kann die durch die Mechanismen der existenziellen Abhängigkeit und des Konkurrenzparadoxons geminderte Vertragsdurchsetzungsmacht unmittelbar eine Rolle spielen. Bei Abschluss des Arbeitsvertrages wird die so begründbare Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers durch zwingendes Recht jedoch zumeist100 überlagert von der paternalistischen Rechtfertigung zwingenden Arbeitsvertragsrechts, die im Wesentlichen durch den Schutz zukünftiger Freiheiten begründet ist. Mangels eigenständiger Bedeutung erübrigt sich daher an dieser Stelle eine nähere Auseinandersetzung mit dem Konkur97 Vgl. insbesondere Lepke, Der Verzicht des Arbeitnehmers auf den Lohnfortzahlungsanspruch im Krankheitsfalle, BB 1971, 1509, 1511. 98 Enderlein, S. 465 ff. 99 Zur dogmatischen Abgrenzung ausführlich Köck, Grenzen der Zulässigkeit des Verzichts auf schon entstandene Arbeitnehmeransprüche, ZAS 1986, 73, 76 f. 100 Ausnahmen können sich insbesondere bei Teilzeitarbeitsverhältnissen mit einem geringen zeitlichen Umfang ergeben, vgl. dazu unten 6. Kapitel: A. II. 1.
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5. Kap.: Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung
renzparadoxon als Deutungsmodell der „wirtschaftlichen Unterlegenheit“ des Arbeitssuchenden101. Die Bedeutung der „wirtschaftlichen Unterlegenheit“ ist jedoch nicht auf die Situation bei Begründung des Arbeitsverhältnisses begrenzt. Die durch die spezifischen Marktmechanismen des Arbeitsmarktes induzierte Relativierung der Vertragsdurchsetzungschancen des Arbeitnehmers bei der Eingehung eines Arbeitsverhältnisses entfaltet weiter auch mittelbare Wirkungen, indem sie den möglichen Verlust bzw. den mit Unsicherheiten behafteten Wechsel des gegenwärtigen Arbeitsplatzes zu einem wirksamen Faktor für die Beförderung der Konzilianz des Arbeitnehmers im laufenden Arbeitsverhältnis werden lässt102. Im Einzelnen wird noch zu zeigen sein, dass die im gesellschaftlich-sozialen Sinne existenzielle Abhängigkeit des „typischen“ Arbeitssuchenden von der Begründung eines Arbeitsverhältnisses auch hinsichtlich des Verzichts auf entstandene und fällige gesetzliche Ansprüche und Rechte aus einem laufenden Arbeitsverhältnis fortwirkt. Die Alternativen des konkreten Arbeitnehmers auf dem Arbeitsmarkt werden so maßgeblich für das Gewicht des „Nötigungsmittels“103 Arbeitgeberkündigung. 2. Die wirtschaftliche Unterlegenheit des beschäftigten Arbeitnehmers Tritt im laufenden Arbeitsverhältnis ein Arbeitgeber mit dem Angebot einer verschlechternden Vertragsänderung oder Verzichtsvereinbarung an seinen Arbeitnehmer heran, so kann dieser das für ihn nachteilige Vertragsangebot entweder widerspruchslos akzeptieren, er kann es ablehnen, oder er kann es zum Anlass für einen Arbeitsplatzwechsel nehmen104. 101 Zu eigenständiger Bedeutung gelangen auf „wirtschaftliche Unterlegenheit“ gründende Rechtfertigungsansätze erst dort, wo der freiheitsmaximierend-paternalistische Ansatz i. d. R. keine Rechtfertigung für eine Einschränkung der Verzichtsbefugnis mehr liefern kann, insb. beim Verzicht auf fällige Ansprüche im laufenden Arbeitsverhältnis – dazu sogleich – oder in atypischen Arbeitsverhältnissen, in denen die Legitimität des freiheitsmaximierend-paternalistischen Modells zweifelhaft sein kann, dazu näher im 6. Kapitel: A. II. 1. 102 Eingehend dazu Dorndorf, Vertragsdurchsetzung als Funktion des Kündigungsschutzes, ZfA 1989, 345, 355 f. 103 Vgl. die – selbstverständlich nicht strafrechtlich zu verstehende – Verwendung dieses Begriffs bei Dorndorf, ebenda. 104 Vgl. Weise, Alle Märkte sind gleich – zur Bedeutung und den Folgen unterschiedlicher Mobilität der Produktionsfaktoren, in: Nutzinger/Held (Hrsg.), Geteilte Arbeit und ganzer Mensch, S. 92, 98; vgl. Eger/Nutzinger, Arbeitsmarkt zwischen Abwanderung und Widerspruch, in: Ökonomie und Gesellschaft, Jahrbuch 15 – Unternehmungsverhalten und Arbeitslosigkeit, S. 135, 137 f.; mit diesem Ansatz auch Dorndorf, Eine Mindestmoral des Arbeitsrechts, Liber Amicorum Spiros Simitis, 69, 77 ff.
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Jede dieser Optionen ist mit spezifischen Nachteilen für den Arbeitnehmer verbunden, deren konkrete Bewertung durch den Arbeitnehmer zudem hinsichtlich der beiden letztgenannten Optionen erheblichen Unsicherheiten unterliegt. Die wirtschaftlichen Konsequenzen der ersten Option, der Zustimmung zu einem Verzicht auf einen fälligen Anspruch oder ein bereits ausübbares Recht, liegt dagegen auf der Hand: Der Arbeitnehmer verliert durch den Verzicht beispielsweise einen entstandenen und fälligen Entgeltfortzahlungsanspruch i. H. v. 500 EUR oder bei einem Klageverzicht die rechtliche Möglichkeit, die Rechtsfolgen einer ausgesprochenen Kündigung oder vereinbarten Befristung gerichtlich abzuwenden105. Da und wenn nach zivilrechtlichen Maßstäben eine (potentielle) Selbstschädigung – jenseits der Grenzen der Rechtfertigung paternalistischen Schutzes – grundsätzlich keinen zureichenden Anlass für einen Schutz durch zwingendes Recht liefern kann, bedarf es einer näheren Analyse, weshalb es Arbeitsvertragsrecht dennoch zwingenden Rechts bedarf. Die wirtschaftliche Nachteiligkeit des Verzichtsvertrags allein kann dabei als Rechtfertigung für einen Eingriff in die Vertragsfreiheit nicht in Betracht kommen. Denn das Prinzip Freiheit korrespondiert zwingend mit dem Gedanken der Eigenverantwortlichkeit. Vertragsfreiheit muss deshalb systemimmanent auch die Möglichkeit verbindlicher, aber unvorteilhafter Verträge einschließen106. a) Die ökonomische Analyse als Methode der Verhaltensdeutung Das Bundesarbeitsgericht hat einen tragenden Grund für die Unverzichtbarkeit unabdingbarer Ansprüche oder Rechte des Arbeitnehmers während des laufenden Arbeitsverhältnisses in einem „wirtschaftlichen Druck“ gesehen, unter dem der Arbeitnehmer in dieser Situation stehe107. Es liegt daher nahe, die ökonomischen Konsequenzen der dem Arbeitnehmer in dieser Situation offen stehenden Handlungsalternativen näher zu analysieren. Aus dem Gedanken der „wirtschaftlichen Unterlegenheit“ des Arbeitnehmers könnte insoweit eine Rechtfertigung für den Schutz durch Eingriff in die Vertragsfreiheit ableitbar sein, wie sich die Wahl anderer Handlungsalterna105 Ob aus dem Verzicht bereits die Unzulässigkeit oder erst die Unbegründetheit der Klage folgt, kann hier dahinstehen; ebenso BAG vom 19.1.2005 – 7 AZR 115/04 – www.bundesarbeitsgericht.de (siehe dort insbesondere Rn. 31 ff.) = DB 2005, 1171 f. (nur Kurztext). 106 Vgl. zur Freiheit zur Freigebigkeit insb. M. Wolf, Entscheidungsfreiheit, S. 120. 107 Vgl. insbesondere BAG vom 28.11.1979 – 5 AZR 955/77 – AP LohnFG § 6 Nr. 10 [unter 2.b) der Gründe], 2. Absatz; BAG vom 11.6.1976 – 5 AZR 506/75 – AP LohnFG § 9 Nr. 2.
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5. Kap.: Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung
tiven als der Zustimmung zum Verzichtsvertrag für den Arbeitnehmer regelmäßig als wirtschaftlich (noch) nachteiliger erweist108. Die auf den Abschluss einer einseitig nachteiligen Verzichtsvereinbarung gerichtete Willenserklärung des Arbeitnehmers könnte dann gleichsam als „unfreiwillig“, weil durch äußere Umstände vorgezeichnet, zu betrachten sein. Der rechtlichen Gestaltungskraft der Willenserklärung könnte deshalb mangels hinreichender Verwurzelung im „eigentlichen“ oder „materiellen“ Parteiwillen ihre Legitimation abgesprochen werden109. Die Methoden der ökonomischen Analyse erscheinen insoweit geeignet, Hinweise darauf zu liefern, ob die Nachteiligkeit einer vertraglichen Vereinbarung lediglich das von der Rechtsordnung grundsätzlich zu akzeptierende Ergebnis eines im juristisch-materiellen Sinne freien Willens der Parteien ist oder aber die einseitige Nachteiligkeit bereits durch typischerweise gegebene Markt- und Machtstrukturen determiniert ist110. Die dazu in der Ökonomie in zahlreichen Varianten verwendeten Modelle können in diesem Rahmen ebenso wie die grundsätzliche Diskussion um Geltungsanspruch und Bedeutung der ökonomischen Analyse für das Zivilrecht im Allgemeinen und das Arbeitsrecht im Besonderen nicht im Einzelnen dargestellt werden. Die dazu bisher erschienene Literatur ist nahezu unübersehbar111. Entsprechend geht es hier auch nicht um die Diskussion des gesetzlichen Arbeitsvertragsrechts unter dem Postulat – wie auch immer im Einzelnen zu definierenden – ökonomischer Effizienz. Rechtspolitische Gestaltungsempfehlungen hinsichtlich des „ob“ oder des Umfangs einzelner Ansprüche oder Rechte des gesetzlichen Arbeitsvertragsrechts und deren zwingender oder dispositiver Ausgestaltung sollen und können hier nicht gegeben werden. Hier wird auf Methoden der ökonomischen Analyse nur insoweit zurückgegriffen, wie sie geeignet erscheinen, im laufenden Arbeitsverhältnis auffindbare Markt- und Machtstrukturen zu erhellen und die daraus typischerweise abzuleitenden Handlungsmuster der Arbeitsvertragsparteien im Hinblick auf Verzichtsvereinbarungen im laufenden Arbeitsverhältnis zu deuten. Mit anderen Worten: Es soll lediglich untersucht werden, ob und gegebenenfalls warum das schlichte „Nein“ zu einer Verzichtsvereinbarung 108
Zöllner folgert aus diesem Ansatz die sachliche Unangemessenheit der „Redeweise von der Fremdbestimmung“; gegen eine derart indeterministische Sichtweise der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit mit überzeugenden Argumenten bereits M. Wolf, a. a. O., S. 112 f. 109 Canaris, Wandlungen des Schuldvertragsrechts – Tendenzen zu einer „Materialisierung“, AcP 200 (2000), 273, 286 f. 110 Vgl. Brors, Die Abschaffung der Fürsorgepflicht, S. 105 ff., 91; zur Verwendung des ökonomischen Verhaltensmodells im Rahmen der teleologischen Gesetzesauslegung vgl. Janson, Ökonomische Theorie im Recht, S. 144 ff. 111 Einen Überblick bieten die o. g. Dissertation von Janson und die Habilitationsschrift von Brors.
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dem Arbeitnehmer nicht zuzumuten sein soll. Insbesondere das sich aus der Transaktionskostenökonomik ergebende Modell des sog. „internen Arbeitsmarkts“ erscheint dafür grundsätzlich geeignet112. b) Prinzipielle Grenzen der ökonomischen Analyse Die Anwendung ökonomischer Erklärungsmodelle für die Rechtsfindung erfordert eine Offenlegung der ihnen zu Grunde liegenden Prämissen und der damit verbundenen prinzipiellen Grenzen ihrer Aussagekraft113. An erster Stelle zu nennen ist hier die bereits dem Ansatz der ökonomischen Analyse immanente Fokussierung der Betrachtung auf Zusammenhänge von wirtschaftlicher Relevanz. Die sozialethische Dimension des Arbeitsverhältnisses, die sich daraus ergibt, dass das Arbeitsverhältnis für viele Menschen auch zu einer Art Lebensmittelpunkt wird, an dem sie Erfahrungen sammeln und Beziehungen aufbauen und in dem sie ihre persönliche Identität finden, ist einer ökonomischen Betrachtung nicht zugänglich114. Allein dieses Manko macht die ökonomische Analyse aber solange nicht zu einem für das Arbeitsverhältnis untauglichen Instrument115, wie sie nicht eine Reduzierung der rechtlichen Erwägungen auf ausschließlich ökonomische Belange hervorruft. Grundannahme der geläufigen ökonomischen Erklärungsmodelle tatsächlichen menschlichen Verhaltens ist, dass Menschen bzw. Vertragsparteien zumindest versuchen, rational ihre Ziele zu verfolgen, um ihren eigenen Nutzen zu maximieren116. Unter Rationalität versteht die ökonomische Theorie des Rechts dabei zunächst nur, dass sich das Individuum systematisch nach seinen selbst gewählten, nicht notwendig rein materiell-monetären Präferenzen verhält, sich also an den eigenen Bedürfnissen und den erwarteten Handlungsfolgen orientiert117. Die Annahme rational nutzenmaxi112
Ausführlich Brors, Die Abschaffung der Fürsorgepflicht, S. 105 ff., 117. Brors, Die Abschaffung der Fürsorgepflicht, S. 105 ff., 117; vgl. auch Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 58 ff.; ausführlich Kirchgässner, Homo Oeconomicus, S. 201 ff. 114 So auch Kübler, Investitionsanreize bei kurzfristigen Verträgen: Karrieresorgen und firmenspezifisches Humankapital, in: Schäfer/Ott (Hrsg.), Ökonomische Analyse des Arbeitsrechts, S. 244, 269 f. 115 So aber offenbar Fezer, Aspekte einer Rechtskritik an der economic analysis of law und am property rights approach, JZ 1986, 817, 820. 116 Schäfer/Ott, Lehrbuch, S. 58 ff.; Brors, Zur rechtsökonomischen Analyse der Nebenpflichten des Arbeitgebers, in: Ott/Schäfer (Hrsg.), Ökonomische Analyse des Arbeitsrechts, S. 215, 227. 117 Führ, Grundlagen juristischer Institutionenanalyse, S. 31 ff.; Kirchgässner, Homo Oeconomicus, S. 13; Janson, S. 38 ff. 113
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5. Kap.: Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung
mierenden individuellen Handelns kann – trotz der insoweit in der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur bekannten und beschriebenen Verhaltensanomalien118 – als elementar für das in zahlreichen Variationen verwendete Modell des sog. homo oeconomicus angesehen werden119. Aus dem Rationalitätsparadigma ergibt sich jedoch bereits eine prinzipielle Grenze für die Validität ökonomischer Folgerungen für das Vertragsrecht. Das rechtliche Modell der Vertragsfreiheit basiert auf dem Gedanken der Willensfreiheit. Es erkennt den fehlerfrei gebildeten Willen des Individuums um seiner selbst willen an und ist nicht etwa beschränkt auf die Anerkennung des unter den vom Individuum gesetzten Prämissen zur Zweckverfolgung rational vernünftigen Rechtsgeschäfts. Ökonomische Analyse vermag daher zumindest die Existenz von echt-altruistischen Geschäften, solchen also, denen nicht das innere Kalkül einer möglicherweise auch außerrechtlichen Reziprozität innewohnt, nicht zu erklären. Bezogen auf den hier untersuchten Fragenkomplex heißt das, dass die ökonomische Analyse an ihre Grenzen stößt, wenn es dem tatsächlichen und in jeder Hinsicht frei gebildeten Willen des Arbeitnehmers entspricht, dem Arbeitgeber ohne Erwartung einer rechtlichen oder auch nur außerrechtlichen, informellen Gegenleistung in Form des Verzichtsvertrages etwas zuzuwenden120. Dieser nach dem rechtlichen Wertungssystem der Willensfreiheit problemlos mögliche und zulässige Fall kann vom ökonomischen Modell des homo oeconomicus prinzipiell nicht erfasst werden, weil er der Grundannahme der individuell rationalen Nutzenmaximierung zuwiderläuft121. Für die Modellierung der im Arbeitsverhältnis gegebenen Entscheidungssituation des Arbeitnehmers wird man den Fall des echt-altruistischen Verhaltens aber wohl vernachlässigen können. Es erscheint jedenfalls als allgemeine Annahme lebensfremd, dass Arbeitnehmer dem Arbeitgeber den Verzichtsgegenstand uneigennützig zuwenden wollen122. Wie jedes Modell vereinfacht auch das des homo oeconomicus durch die ihm inhärenten Grundannahmen das komplexe Bild realen menschlichen Verhaltens; es weist wie die vielzitierte bildhafte Parallele der topografischen Landkarte einerseits Darstellungsfehler durch Vergröberung auf, die 118 Einen Überblick über empirisch nachweisbare Abweichungen vom ökonomischen Verhaltensmodell des homo oeconomicus geben Schäfer/Ott, Lehrbuch, S. 65 ff.; ausführlich auch Kirchgässner, Homo Oeconomicus, S. 201 ff. 119 Behrens, Die Bedeutung der ökonomischen Analyse des Rechts für das Arbeitsrecht, ZfA 1989, 209, 212 f. 120 Vgl. Köck, Grenzen der Zulässigkeit des Verzichts auf schon entstandene Arbeitnehmeransprüche, ZAS 1986, 73, 80. 121 Vgl. Fezer, Aspekte einer Rechtskritik an der economic analysis of law und am property rights approach, JZ 1986, 817, 820. 122 So auch Köck, a. a. O.; vgl. auch ErfK - Dörner EFZG § 12 Rn. 12.
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zu einem etwas eindimensionalen Bild menschlichen Verhaltens führen, andererseits aber Voraussetzung für die praktische Nutzbarkeit als Orientierungshilfe sind. Unproblematisch ist eine solche Vergröberung, solange sie nicht die grundsätzliche Eignung des Modells als Prognoseinstrument für menschliches Verhalten unterminiert123. Der homo oeconomicus bleibt auch dann ein nützliches Modell, wenn sich Individuen in der Regel rational und nutzenmaximierend verhalten, auch wenn sie dies im Einzelfall nicht tun124. Berücksichtigt man zudem, dass es für die Feststellung eines typisierten rechtlichen Schutzbedürfnisses nicht auf die Deutung des atypischen Verhaltens einzelner Akteure, sondern auf dasjenige von Aggregaten ankommen muss, so wird deutlich, dass das auf dem homo oeconomicus basierende ökonomische Verhaltensmodell trotz seiner systembedingten Grenzen ein nicht allzu realitätsfernes Bild der Entscheidungssituation des typischen Arbeitnehmers im bestehenden Arbeitsverhältnis vermitteln kann125. Gleichwohl relativieren neuere empirisch-experimentelle Untersuchungen der Wirtschaftsforschung die aus dem Modell des homo oeconomicus für das Arbeitsverhältnis abzuleitenden Prognosen teilweise. Insbesondere Reziprozitätseffekte scheinen in Arbeitsverhältnissen eine signifikante Rolle zu spielen126; sie stellen – um im Bild der topographischen Landkarte zu bleiben – die für die Bestimmung der Nordrichtung jeweils zu berücksichtigende Nadelabweichung dar. Auf derartige Effekte und ihre Bedeutung für die Entscheidungssituation der Parteien im laufenden Arbeitsverhältnis soll unten unter d) näher eingegangen werden. Festzuhalten bleibt zunächst, dass das Modell des homo oeconomicus trotz seiner Grenzen geeignet erscheint, die etwas diffuse Vorstellung vom Arbeitnehmer, der unter einem „Druck“ des Arbeitgebers stehe, etwas zu präzisieren. Es bildet eine grundsätzlich geeignete Basis für die Analyse tatsächlicher Markt- und Machtverhältnisse, die das Umfeld einer rechtsgeschäftlichen Entscheidung zu einem (Verzichts-)Vertrag im und über Bedingungen des Arbeitsverhältnisses bilden127. 123
Eidenmüller, S. 40. So ist auch das auf Herbert A. Simon zurückgehende Konzept einer eingeschränkten Rationalität (bounded rationality) prinzipiell mit dem Modell des homo oeconomicus vereinbar, vgl. Kirchgässner, Homo Oeconomicus, S. 31; Eidenmüller, S. 40 und zum Konzept der bounded rationality insbesondere Simon, Rationality and Administrative Decision Making, Models of Man, S. 196 ff. 125 Vgl. Brors in: Ott/Schäfer (Hrsg.), Ökonomische Analyse des Arbeitsrechts, S. 215, 228. 126 Vgl. auch Kübler, Investitionsanreize bei kurzfristigen Verträgen: Karrieresorgen und firmenspezifisches Humankapital, in: Schäfer/Ott (Hrsg.), Ökonomische Analyse des Arbeitsrechts, S. 244, 267. 127 Kirchgässner, Homo Oeconomicus, S. 20. 124
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c) Die ökonomische Analyse der Alternativoptionen des Arbeitnehmers aa) Die Option Abwanderung Tritt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer im laufenden Arbeitsverhältnis mit dem Angebot auf Abschluss einer Verzichtsvereinbarung gegenüber, so besteht zumindest die theoretische Möglichkeit, dass der Arbeitnehmer das darin liegende Ansinnen auf Verschlechterung der Arbeitsbedingungen zum Anlass dafür nimmt, das Arbeitsverhältnis zu beenden und einen neuen Arbeitsplatz zu attraktiveren ökonomischen Rahmenbedingungen zu suchen oder doch zumindest damit zu drohen128. Nun schmälert ein punktueller Verzicht auf bereits entstandene Ansprüche zwar nicht unmittelbar die dem Arbeitnehmer zukünftig aus dem Arbeitsverhältnis zustehenden Leistungen, seine Relevanz für die Gestaltung des künftigen Arbeitsverhältnisses ist damit von vornherein relativiert. Es ist jedoch denkbar, und je nach Lage der Dinge aus der Perspektive des Arbeitnehmers auch zu befürchten, dass ein Arbeitgeber beispielsweise zur Vermeidung von Entgeltfortzahlungskosten regelmäßig nach Entstehung des Anspruchs an seine Arbeitnehmer herantritt, um sie zu einem Verzicht zu bewegen, die nachträgliche Verzichtsvereinbarung also zur Methode wird. Zudem mag aus der Arbeitnehmerperspektive allein das Ansinnen einer solchen Verzichtsvereinbarung u. U. als Demütigung und Nichtachtung der Person und ihrer Leistung aufgefasst werden. Zumindest in derartigen Fällen erscheint es nicht fernliegend, dass Arbeitnehmer auf solche Praktiken mit Abwanderung zu einem anderen Arbeitgeber zu reagieren suchen. Der Wechsel des Arbeitsplatzes bzw. die Neubesetzung eines vorhandenen Arbeitsplatzes verursacht jedoch sowohl für den Arbeitnehmer als auch für den Arbeitgeber erhebliche Transaktionskosten129. Für den Arbeitgeber sind dies in erster Linie Anwerbungs-, Auswahl- und Einarbeitungskosten130. Für den Arbeitgeber ist es deshalb allenfalls solange ökonomisch sinnvoll, von seinen Arbeitnehmern einen Verzicht auf Arbeitgeberleistungen zu verlangen, wie er davon ausgehen kann, dass die Gesamtheit der durch die Verzichte eingesparten Kosten die durch eine zu erwartende Abwanderung entstehenden Kosten nicht überwiegen. 128
Vgl. Dorndorf, a. a. O. Vgl. Eger/Nutzinger, Arbeitsmarkt zwischen Abwanderung und Widerspruch, in: Ökonomie und Gesellschaft, Jahrbuch 15 – Unternehmungsverhalten und Arbeitslosigkeit, S. 135, 137 f. 130 Eingehend Brandes, Ökonomische Analyse des arbeitsrechtlichen Begriffs der Unselbständigkeit, dargelegt an den Besonderheiten der Heimarbeit, ZfA 1986, 449, 457 m. w. N. 129
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Aber auch für den Arbeitnehmer ist die Option Abwanderung im ökonomischen Sinn mit erheblichen Kosten verbunden. Zu nennen sind hier exemplarisch Suchkosten für das Finden einer neuen Beschäftigung, der Verlust an innerbetrieblichen Aufstiegsmöglichkeiten, die Entwertung betriebsspezifischer Kenntnisse und Fertigkeiten (sog. betriebsspezifischen Humankapitals), der Verlust an informellen Beziehungen zu befreundeten Arbeitskollegen, weiter u. U. Umzugskosten, Verlust nachbarschaftlicher Beziehungen, Kosten des Aufbaus neuer sozialer Kontakte etc131. Vor allem aber stehen die Risikokosten, keinen Arbeitsplatz zu finden, der sich dauerhaft als besser oder gleichwertig erweist, einer Abwanderung entgegen132. Die wirtschaftliche Unterlegenheit des Arbeitnehmers soll nun daraus resultieren, dass die bei einem Wechsel des Arbeitsplatzes anfallenden Transaktionskosten des Arbeitnehmers typischerweise deutlich höher sind, als die dadurch dem Arbeitgeber entstehenden Kosten133. Knapp zusammengefasst ergibt sich eine komparativ zu verstehende Relation: Je höher die Alternativkosten eines Beschäftigten, seinen Arbeitsplatz zu wechseln, und je niedriger die Alternativkosten des Arbeitgebers, den frei gewordenen Arbeitsplatz neu zu besetzen sind, desto größer ist das Ausmaß der Weisungsunterworfenheit134 bzw. der Spielraum für „Zumutungen“ des Arbeitgebers im Vertragswege135. Die Differenz der Abwanderungskosten kennzeichnet in diesem Sinn das Maß der Abhängigkeit des Arbeitnehmers in seinem derzeitigen Arbeitsverhältnis136. Bezogen auf den Fall, dass der Arbeitgeber von seinen Arbeitnehmern im laufenden Arbeitsverhältnis die Zustimmung zu einer Verzichtsvereinbarung 131
Vgl. Brandes, ebenda; ebenso Weise, Alle Märkte sind gleich – zur Bedeutung und den Folgen unterschiedlicher Mobilität der Produktionsfaktoren, in: Nutzinger/ Held (Hrsg.), Geteilte Arbeit und ganzer Mensch, S. 92, 103. 132 Vgl. die vorherige Fn. 133 Brandes, a. a. O.; Weise, ebenda, S. 100; Brors, Die Abschaffung der Fürsorgepflicht, S. 116; Kittner, Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu „Wiederherstellung gestörter Vertragsparität“ im Lichte der ökonomischen Analyse des Rechts und von Deregulierungspostulaten, FS Dieterich, S. 279, 288. 134 Vgl. Brandes, ZfA 1986, 449, 457 m. w. N.; vgl. auch Eger/Nutzinger, Arbeitsmarkt zwischen Abwanderung und Widerspruch, in: Ökonomie und Gesellschaft, Jahrbuch 15 – Unternehmungsverhalten und Arbeitslosigkeit, S. 135, 137 f. 135 Ähnlich bereits Arrow, The Limits of Organization, S. 64: „Of course the scope of this authority will usually be limited by the terms of the contract, and, more fundamentally, it is limited by the freedom with which an employee can leave the job. But since there is normally some cost to exercise this freedom, the scope of this authority is not trivial“; siehe auch Weise, Alle Märkte sind gleich – zur Bedeutung und den Folgen unterschiedlicher Mobilität der Produktionsfaktoren, in: Nutzinger/Held (Hrsg.), Geteilte Arbeit und ganzer Mensch, S. 92, 103. 136 Dorndorf, Mehr Individualvertragsfreiheit im Arbeitsrecht?, FS Gnade, S. 39, 44; instruktiv Weise, ebenda, S. 94 ff.
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hinsichtlich sozialschützend-motivierter gesetzlicher Ansprüche des Arbeitsvertragsrechts verlangt, bedeutet dies, dass der Arbeitgeber wohl im Regelfall davon ausgehen kann, dass aufgrund der im Vergleich zum Akzeptieren der Verzichtsvereinbarung relativ höheren Kosten die Option Abwanderung für den Arbeitnehmer keine ökonomisch sinnvolle Alternative ist, womit es auch einer entsprechenden Abwanderungsdrohung des Arbeitnehmers in der Regel an Glaubhaftigkeit fehlen dürfte. Der Arbeitgeber wird also in der Regel darauf vertrauen können, dass die durch derartige Verzichtsvereinbarungen eingesparten Kosten nicht durch höhere Kosten für Neurekrutierungen überkompensiert werden. Danach scheint der Schluss zulässig, dass die Option der Arbeitnehmer zur Abwanderung bei nur eng verstandener Unabdingbarkeit allein nicht geeignet ist, gesetzlichen Sozialschutznormen des Arbeitsvertragsrechts im laufenden Arbeitsverhältnis zu rechtlicher Realität zu verhelfen. Die ökonomische Reaktionsmöglichkeit der Abwanderung allein bietet in der Realität der meisten Arbeitsverhältnisse kein hinreichend wirksames Marktregulativ gegenüber einer faktisch einseitigen Durchsetzung von für den Arbeitnehmer nachteiligen Verzichtsvereinbarungen über Nebenleistungen im laufenden Arbeitsverhältnis. Je höher die Alternativkosten eines Beschäftigten für den Wechsel seines Arbeitsplatzes und je niedriger die Alternativkosten des Arbeitgebers für die Wiederbesetzung des Arbeitsplatzes sind, in desto stärkerem Maße wird ceteris paribus die Vertragsbeziehung zwischen dem Beschäftigtem und dem Arbeitgeber durch eine Machtbeziehung verdrängt137, die die Willensbildung des Arbeitnehmers hinsichtlich der Zustimmung zu einer nachteiligen Verzichtsvereinbarung determinieren wird. Es soll nicht verkannt werden, dass der hier nur grob skizzierte ökonomische Erklärungsansatz der Transaktionskostendifferenz erheblichen Einwänden ausgesetzt ist. Offensichtlich ist zunächst, dass die behauptete Transaktionskostendifferenz in hohem Maße von der Situation auf dem jeweiligen Segment des Arbeitsmarktes abhängig ist. Die oben exemplarisch skizzierten Abwanderungskosten des gesuchten Arbeitnehmers mit Spezialkenntnissen und mehreren Alternativangeboten am Ort werden regelmäßig eher geringer sein als die gegenüberstehenden Rekrutierungskosten des Arbeitgebers138. Ein weiterer Einwand ergibt sich daraus, dass die aus der Veränderung des sozialen Umfelds des Arbeitnehmers resultierenden Kosten kaum allgemeingültig quantifizierbar sind. Es hängt in hohem Maße von den persönlichen Präferenzen und auch von der Persönlichkeitsstruktur des Arbeitnehmers ab, in welchem Maße er einen aus dem Arbeitsplatzwechsel 137
Weise, Alle Märkte sind gleich – zur Bedeutung und den Folgen unterschiedlicher Mobilität der Produktionsfaktoren, in: Nutzinger/Held (Hrsg.), Geteilte Arbeit und ganzer Mensch, S. 92, 103 f. 138 Dies sieht auch Weise, ebenda.
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resultierenden Wechsel des sozialen Umfelds als Belastung und damit als ökonomisch zu gewichtende Kosten empfindet, die einer Gegenüberstellung mit den Arbeitgeberkosten zugänglich sind. Zudem wird nicht hinreichend berücksichtigt, dass gleichsam als Vorstufe zur Abwanderung beim Arbeitnehmer ein häufig mit dem Begriff der „inneren Kündigung“ umschriebener Motivationsverlust als Reaktion auf als Zumutung empfundene Weisungen oder verschlechternde vertragliche Vereinbarungen erfolgen wird139. Die danach zu erwartende Zurückhaltung beim Arbeitseinsatz, der „Dienst nach Vorschrift“, wäre demnach als potenzielle Folge einer Verzichtsvereinbarung auf der Kostenseite des Arbeitgebers in Ansatz zu bringen140, wobei auch hier die Probleme der Quantifizierung evident sind. Auf die Bedeutung derartiger informeller Reaktion im fortbestehenden Arbeitsverhältnis wird unten unter d) noch näher einzugehen sein. Für den weitaus größten Teil der Arbeitsverhältnisse scheint die Alternativkostensthese jedoch trotz dieser Schwachpunkte im Grundsatz plausibel zu sein141. Allein die Tatsache, dass sich Einzelfallkonstellationen finden, in denen die aktuellen Arbeitsmarktchancen des betroffenen Arbeitnehmers u. U. sogar gegenteilige Ergebnisse hervorbringen, widerlegt die These nicht142. Damit lässt sich festhalten, dass eine rechtliche Reglementierung der Befugnis zu einem nachträglichen Verzicht auf sozialschutzmotivierte arbeitsvertragsrechtliche Ansprüche oder Rechte des Arbeitnehmers nicht schon deshalb obsolet sind, weil der Wettbewerb um Arbeitskräfte derartige Abreden praktisch unterbindet oder doch zumindest im Allgemeinen bedeutungslos werden lässt. Das Marktregulativ der Abwanderung ist im Regelfall nicht geeignet, unfreiwillig-nachteilige Verzichte auf sozialschutzmotivierte Normen des Arbeitsvertragsrechts zu unterbinden143. bb) Die wirtschaftliche Unterlegenheit bei Wahl der Widerspruchs-Alternative Näher liegend als auf das Ansinnen eines Verzichtsvertrags mit Abwanderung zu einem anderen Arbeitgeber zu reagieren, erscheint es aus der Perspektive des Arbeitnehmers, dem entsprechenden Vertragsangebot selbst 139
Vgl. dazu auch Seitel, Öffnungsklauseln in Tarifverträgen, S. 17 ff. Weise, Alle Märkte sind gleich – zur Bedeutung und den Folgen unterschiedlicher Mobilität der Produktionsfaktoren, in: Nutzinger/Held (Hrsg.), Geteilte Arbeit und ganzer Mensch, S. 92, 108 f. 141 Brors, Die Abschaffung der Fürsorgepflicht, S. 116; Dorndorf, FS Gnade, S. 39 45; Kittner, FS Dieterich, S. 278, 288; Weise, ebenda. 142 Dorndorf, ebenda. 143 Dorndorf spricht insoweit von einem Marktversagen nicht im funktionalen, sondern im moralischen Sinn, vgl. Dorndorf, a. a. O. 140
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eine Absage zu erteilen, also schlicht „Nein“ zu sagen. Auch hier muss Ausgangspunkt der Untersuchung sein, dass der Arbeitnehmer in seiner Entscheidung, einer Verzichtsvereinbarung näher zu treten oder nicht, rechtlich frei ist. (1) Die unmittelbaren Widerspruchskosten des Arbeitnehmers Bei der Analyse der ökonomischen Auswirkungen der Option Ablehnung muss auf der Arbeitnehmerseite berücksichtigt werden, dass auch diese mit Kosten verbunden ist. Zu denken ist zunächst an die Kosten, die daraus resultieren können, dass der Arbeitnehmer seinen Widerspruch organisieren muss144. Hier kommen Kosten für die Einholung von Rechtsrat bei Betriebsrat, Gewerkschaft oder möglicherweise auch bei einem Rechtsanwalt in Betracht. Wenn der Arbeitnehmer Anlass zur Befürchtung hat, der Arbeitgeber werde auch ohne einen Verzichtsvertrag nicht zahlen, ist weiter zu berücksichtigen, dass er den Erhalt seiner Ansprüche oder Rechte gerichtlich durchsetzen müsste. Der Grundsatz der außergerichtlichen Kostentrennung des § 12a ArbGG vermindert insoweit zwar das prozessuale Kostenrisiko. Kehrseite ist jedoch, dass selbst im Obsiegensfall die gerichtliche Durchsetzung rechtlich eindeutiger Ansprüche für den dazu auf anwaltliche Beratung angewiesenen Arbeitnehmer kostenträchtig wird. Zusammenfassend lassen sich derartige Kosten als Streitkosten bezeichnen. (2) Mittelbare Kosten des Arbeitnehmers durch zu erwartende Sanktionen In zweiter, im hier untersuchten Zusammenhang aber wohl bedeutsamerer Linie sind die Kosten in Ansatz zu bringen, die dem Arbeitnehmer aus zu erwartenden Nachteilen oder Sanktionen des Arbeitgebers wegen eines unkooperativen Verhaltens erwachsen könnten145. Es handelt sich hier also nicht um Kosten, die unmittelbar aus der offenen Ablehnung eines vom Arbeitgeber initiierten oder erwarteten Verzichtsvertrages entstehen, sondern um solche Kosten, die erst mittelbar aus einem nachfolgenden Verhalten des Arbeitgebers resultieren. Ob das Verhalten des Arbeitgebers überhaupt eine für den Arbeitnehmer negative Reaktion auf einen offenen Widerspruch zeigen wird, ist als unsicher zu betrachten. Unter gewissen Umständen mag es für den Arbeitgeber bereits ökonomisch sinnvoll sein können, mit Blick auf das künftige Verhalten der übrigen Belegschaft in vergleichbaren Situationen den offenen Widerspruch des einzel144 145
Brandes, a. a. O. Brandes, ZfA 1986, 449, 458 m. w. N.
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nen Arbeitnehmers zu sanktionieren. Wehrt sich beispielsweise ein Arbeitnehmer gegen den ihm angetragenen Verzicht auf entstandene Entgeltfortzahlungsansprüche, so erscheint es nicht fernliegend, dass Arbeitgeber zur Vermeidung eines ähnlichen Verhaltens der übrigen Arbeitnehmer geneigt sein könnten, „ein Exempel zu statuieren“, um die künftige Verzichtsbereitschaft der Belegschaft zu erhöhen146. Generalpräventive Momente mögen insoweit aus der Perspektive des Arbeitgebers u. U. ein sanktionierendes Verhalten ökonomisch nahe legen können147. Neuere empirisch-experimentelle Untersuchungen der Wirtschaftsforschung deuten zudem darauf hin, dass eine Sanktionsneigung der Parteien in relationalen Vertragsbeziehungen mehrheitlich auch dann gegeben ist, wenn eine Sanktionierung ökonomisch nicht vorteilhaft ist148. Trotz ihrer Ungewissheit ist deshalb eine mögliche nachteilige Reaktion des Arbeitgebers auf die Ablehnung einer Verzichtsvereinbarung keine unrealistische Annahme149. Die zu erwartenden Sanktionen machen insoweit wesentlich das bereits oben angesprochene Druckoder auch Nötigungspotenzial150 des Arbeitgebers aus151. Der Begriff der Nötigung darf hier allerdings nicht im technisch-strafrechtlichen Sinne verstanden werden. Ferner sollen dem Arbeitgeber auch keine rechtsfeindlichen Motive unterstellt werden. Auf die Unlauterkeit oder Rechtswidrigkeit des 146 Ein Indiz für die grundsätzliche Tendenz von Arbeitgebern zu Sanktionen aus generalpräventiven Motiven kann in der im Einzelhandel üblichen Praxis gesehen werden, auch auf den situativ menschlich nachvollziehbaren Verzehr von unbezahlten Lebensmitteln geringen Wertes am Arbeitsplatz ohne vorherige Abmahnung mit einer außerordentlichen Kündigung zu reagieren. Es erscheint jedenfalls schwer vorstellbar, dass die zweifellos gegebene Verfehlung des Arbeitnehmers in derartig gelagerten Bagatellfällen in jedem Fall geeignet ist, das für eine gedeihliche Zusammenarbeit erforderliche Vertrauen unwiederbringlich zu zerstören. Vgl. MüKo Schwerdtner (3. Aufl.) BGB § 626 Rn. 43 und Rn. 127 f. sowie den sog. „Bienenstichfall“ BAG vom 17.5.1984 – 2 AZR 3/83 – AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 14 m. w. N. und zur Illustration auch Hamann/Giese, Schwarzbuch Lidl, S. 49 ff. Zu denken ist hier auch an die immer wieder in der Tagespresse berichteten Fälle, in denen Arbeitgeber Betriebsratsgründungen offenbar bereits im Vorfeld durch Beendigung der Arbeitsverhältnisse mit den initiativ gewordenen Arbeitnehmern zu verhindern suchen, vgl. z. B. Hannoversche Allgemeine Zeitung vom 15.6.2005, S. 15: „Kostet Betriebsratsplan den Job? – ver.di: Textilfirma Zara will mit Kündigungen Arbeitnehmervertretungen verhindern“. 147 Vgl. auch LAG Hamm – 13 Sa 223/79 – zitiert bei MüKo - Schwerdtner (3. Aufl.) BGB § 626 Rn. 127. 148 Vgl. dazu eingehend die Ausführungen unten unter ee) mit den dortigen Nachweisen. 149 Lesenswert dazu auch Hümmerich, Beendigung von Arbeitsverhältnissen angestellter Anwälte, AnwBl 2005, S. 77 ff. mit Beispielen aus der Praxis. 150 Vgl. zur Begriffsverwendung im obigen Zusammenhang vor allem Dorndorf, Eine Mindestmoral des Arbeitsrechts, Liber Amicorum Spiros Simitis, S. 69, 78 ff. 151 Besonders deutlich auch bei Dorndorf, Anm. zu BAG vom 21.12.1972 – 5 AZR 319/72 – SAE 1974, 116, 118.
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Verhaltens des Arbeitgebers kommt es im hier zu erörternden Zusammenhang aber auch nicht an; hier geht es um das Bestehen einer faktischen Nötigungsoder Drucksituation an sich152. Maßgeblich ist insoweit kein normativer, sondern ein objektivierter Begriff der Nötigung153.
Es mag weiter sein, dass derartige Sanktionen häufig als unzulässige Maßregelung i. S. des § 612a BGB und damit als rechtswidrig zu werten sein dürften154. Auf die rechtliche Bewertung der potentiellen Sanktionen kann es in diesem Zusammenhang allerdings nicht primär ankommen; entscheidend für die ökonomische Verhaltensdeutung ist zunächst einmal das rein faktische Potenzial der arbeitgeberischen „Drohkulisse“. Ob der konkrete Arbeitnehmer hinsichtlich der Wahl der Option Widerspruch durch wirtschaftliche Unterlegenheit beschränkt ist, hängt wesentlich davon ab, welche Sanktionsmöglichkeiten dem Arbeitgeber faktisch zur Verfügung stehen und wie die dadurch dem Arbeitnehmer entstehenden Kosten zu bewerten sind155. Im Folgenden soll ein kurzer Überblick über die wichtigsten Sanktionsinstrumente gegeben und das daraus resultierende Druckpotenzial kurz dargestellt werden. (a) Arbeitgeberkündigung Die Befürchtung einer möglichen Arbeitgeberkündigung dürfte im Regelfall das schwerwiegendste legale Druckmittel sein, dem sich Arbeitnehmer ausgesetzt fühlen können. Die grundsätzlich gegebene Kündigungsfreiheit des Arbeitgebers stellt in diesem (untechnischen) Sinne ein Nötigungspotenzial dar, dessen bloße Existenz geeignet ist, den Arbeitnehmer zu überobligationsmäßigem Wohlverhalten zu nötigen156. In ökonomischer Hinsicht sind hier zunächst die bereits oben näher erläuterten Kosten des Arbeits152 Dorndorf, Vertragsdurchsetzung als Funktion des Kündigungsschutzes, ZfA 1989, 345, 359 f. 153 Dorndorf, ebenda. 154 Vgl. dazu statt vieler die umfangreichen Rechtsprechungsnachweise bei ErfK Preis BGB § 612a Rn. 13. 155 Lepke differenziert in seiner Untersuchung zur Verzichtbarkeit des Lohnfortzahlungsanspruchs hier zwischen der Schutzbedürftigkeit der Heimarbeiter und der Arbeitnehmer. Er sieht im Aspekt des Anreizes zu überobligationsmäßigem Wohlverhalten zwar den tragenden Grund für die Unverzichtbarkeit des Anspruchs der Heimarbeiter auf Zuschlag zum Arbeitsentgelt nach § 8 LFZG (heute § 10 Abs. 1 EFZG) während des Beschäftigungsverhältnisses, weil diese geneigt sein könnten, sich durch den Verzicht auf den Zuschlag das Wohlwollen des Vertragspartners hinsichtlich der Zuteilung neuer Arbeitsaufträge zu erkaufen, hält jedoch Arbeitnehmer im laufenden Arbeitsverhältnis nicht aus entsprechenden Gründen für schutzbedürftig; vgl. Lepke, Der Verzicht des Arbeitnehmers auf den Lohnfortzahlungsanspruch im Krankheitsfalle, BB 1971, 1509, 1514.
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platzwechsels zu nennen, die das Gewicht des Nötigungspotenzials der Arbeitgeberkündigung wesentlich ausmachen. Geht man über die recht eingeschränkte Sichtweise des idealtypischen ökonomischen Modells hinaus und nimmt zusätzlich die Realitäten des Arbeitsmarktes und damit die derzeit herrschende Arbeitslosigkeit in nahezu allen Segmenten des Arbeitsmarktes in den Blick, so erhöht sich das Gewicht des durch eine Arbeitgeberkündigung vermittelten Nötigungspotenzials weiter157. Länger andauernde Arbeitslosigkeit und deren ökonomische Folgen sind die schwersten Nachteile, die der Arbeitnehmer heute von einer Kündigung durch den Arbeitgeber befürchten muss158. Je weniger also das Humankapital des betroffenen Arbeitnehmers einen Austausch der Person hindert und je größer ein allgemeines Überangebot an Arbeitskräften ist, desto mehr hat ein Arbeitnehmer Grund zur Befürchtung, der Arbeitgeber werde als unkooperativ deutbares Verhalten wie die Ablehnung eines abändernden (Verzichts-)Vertrages zum Anlass für eine mögliche Kündigung nehmen. In diesem Sinne befördern das Kündigungsschutzgesetz oder auch tarifliche Regelungen zur Einschränkung des arbeitgeberseitigen Kündigungsrechts die tatsächliche Freiheit der Arbeitnehmer159. Erst dadurch wird die legitime Ausübung der Option Widerspruch für den wohl überwiegenden Teil der Arbeitnehmer, der nicht aufgrund besonderen Humankapitals für den Arbeitgeber nur unter besonders hohem Kostenaufwand ersetzbar ist, zu einer praktisch nutzbaren Alternative160. Gleichwohl können aus der Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes oder sonstiger rechtlicher Kündigungsbeschränkungen keine unmittelbaren Rückschlüsse auf das Fehlen einer arbeitnehmerspezifischen wirtschaftlichen oder strukturellen Unterlegenheit gezogen werden, die eine Konditionierung der Verzichtsfreiheit hinsichtlich fälliger unabdingbarer Ansprüche im laufenden Arbeitsverhältnis rechtfertigen könnte. Dies ergibt sich zum einen daraus, dass auch in ungeschützten Arbeitsverhältnissen der 156 Dorndorf, Eine Mindestmoral des Arbeitsrechts, Liber Amicorum Spiros Simitis, S. 69, 78; ders., Vertragsdurchsetzung als Funktion des Kündigungsschutzes, ZfA 1989, 345, 359 f. 157 Dorndorf, Liber Amicorum Spiros Simitis, S. 79 und ders., ZfA, 1989, 345, 356 f. 158 Dorndorf, Liber Amicorum Spiros Simitis, S. 79; instruktiv zu den dauerhaften Risiken von Arbeitslosigkeit Sesselmeier, Erwerbsarbeit und Bürgersouveränität – Die Voraussetzungen des Wirtschaftens in einer Geldwirtschaft, in: Nutzinger/ Held (Hrsg.), Geteilte Arbeit ganzer Mensch – Perspektiven der Arbeitsgesellschaft, S. 142, 145 ff. 159 Dorndorf, ebenda. 160 Dazu bereits Lotmar, Der Arbeitsvertrag II. (1908), S. 237 (vgl. hier auch Fn. 138).
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faktische Spielraum für Zumutungen des Arbeitgebers, sein „Nötigungspotenzial“, durch das besondere Humankapital des Arbeitnehmers stark eingeschränkt sein kann; rechtlicher Kündigungsschutz für einige Arbeitnehmer also – zumindest aktuell – gar nicht notwendig wäre, weil er für das Unternehmen quasi unentbehrlich ist161. Zum anderen kann das Kündigungsschutzgesetz nicht verhindern, dass unbequeme Arbeitnehmer faktisch aus dem Arbeitsverhältnis gedrückt werden können, indem entweder ein nach geltendem Kündigungsrecht „passender“, anderer Kündigungsgrund gesucht wird162 oder Arbeitnehmer durch Androhung einer Kündigung zu einem Aufhebungsvertrag gedrängt werden163. Noch naheliegender ist es aus der Perspektive des Arbeitgebers, die bisher gezeigte Bereitschaft zu überobligationsmäßigem Entgegenkommen zum heimlichen Auswahlkriterium bei notwendig werdenden betriebsbedingten Kündigungen zu machen164. Das faktische Nötigungspotenzial der arbeitgeberseitigen Kündigung, bzw. der Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf Initiative des Arbeitgebers, korreliert daher nicht zwingend mit dem Maß an rechtlichem Beendigungsschutz im Arbeitsverhältnis; es hängt weit mehr von den Alternativchancen des jeweiligen Arbeitnehmers auf dem Arbeitsmarkt ab. Zulässig erscheint aber, eine entsprechende Tendenz anzunehmen, wonach das Nötigungspotenzial zu überobligationsmäßigem Wohlverhalten durch die Möglichkeit arbeitgeberseitig veranlasster Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei Arbeitsverhältnissen unter gesetzlichem oder tariflichem Bestandsschutz geringer ist. Ein gewisser Schutz des Fortbestandes des Arbeitsverhältnisses ist insoweit nicht nur Selbstzweck, sondern auch Mittel der Gewährleistung der tatsächlichen Durchführung der gesetzlich vorgesehenen Nebenansprüche und Rechte des Arbeitsvertragsrechts165. Man mag also davon ausgehen können, dass vorhandener Kündigungsschutz den realen Spielraum für Widerspruch des Arbeitnehmers gegenüber einer nachteiligen Verzichtsvereinbarung typischerweise erheblich erhöht. Gegenwärtig erkennbare politische Tendenzen zur weiteren Zurückdrängung des gesetzlichen Anwendungsbereichs des allgemeinen Kündigungsschutzes dürften in diesem Zusammenhang nicht ohne Wirkung bleiben166. 161
Vgl. Dorndorf, a. a. O. Dazu auch Diller, „Gesuchte“ Kündigungsgründe, NZA 2006, 569 ff. 163 Vgl. zu entsprechenden Praktiken Hamann/Giese, Schwarzbuch Lidl, S. 49 ff. 164 Dorndorf, ZfA 1989, 345, 360. 165 In diesem Sinne Dorndorf, ZfA 1989, 345, 360. 166 Vgl. zu den mittelbaren ökonomischen Wirkungen des Kündigungsschutzes auf das Arbeitsverhältnis Eger/Weise, Ökonomische Analyse des Arbeitsvertragsrechts. Ein Vergleich zwischen Deutschland und den USA, in: Ott/Schäfer (Hrsg.), Ökonomische Analyse des Arbeitsrechts, S. 48, 72 ff. 162
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Bestehender Kündigungsschutz allein lässt jedoch wie gezeigt das Nötigungspotenzial des Arbeitgebers, das den Arbeitnehmer im laufenden Arbeitsverhältnis dazu veranlassen könnte, sehenden Auges auch einseitig nachteilige Verzichtsvereinbarungen zu akzeptieren, nicht vollständig entfallen. Dies ergibt sich zum einen aus den oben gezeigten Grenzen der Wirkungskraft des Kündigungsschutzes, zum anderen daraus, dass sich das Nötigungspotenzial des Arbeitgebers bei weitem nicht in der Veranlassung der Beendigung des Arbeitsverhältnisses erschöpft. Es ist deshalb unzulässig zu folgern, dass bereits wegen der Existenz von Kündigungsschutz im jeweiligen Arbeitsverhältnis eine rechtliche Regulierung der Verzichtsbefugnis im laufenden Arbeitsverhältnis obsolet werde. (b) Missliebige Weisungen im Rahmen des Direktionsrechts Der Arbeitsvertrag kann schon aufgrund der durch Zeitablauf erforderlich werdenden Anpassungen die konkret geschuldete Arbeitsleistung nicht bis ins Einzelne regeln167. Er ist in hohem Maße ausfüllungsbedürftig durch einseitige Weisungen des Arbeitgebers, das so genannte Direktionsrecht168. Diese einseitige Konkretisierungsbefugnis unterscheidet den Arbeitsvertrag entscheidend von anderen im BGB vertypten Verträgen. Die einseitige Leistungsbestimmung kraft Direktionsrecht eröffnet dem Arbeitgeber ein breites Spektrum an Mitteln, über die Festlegung der Arbeitsbedingungen unmittelbar auf den persönlichen Arbeitsalltag einzuwirken169. Zu denken ist etwa an Umsetzungen innerhalb des Betriebes, an die Zuweisung missliebiger Arbeitsaufgaben, die Isolation von befreundeten Kollegen durch Zuweisung anderer Aufgaben oder Arbeitszeiten etc. Kurzum: Der Arbeitgeber hat durch das Direktionsrecht die Möglichkeit zu einem sanktionierenden Einwirken auf die für die Arbeitszufriedenheit maßgeblichen Umstände des Ar167 In der ökonomischen Literatur wird daher häufig vom Arbeitsvertrag als relationalem Vertrag (relational contract) gesprochen. Relationale Beziehungen oder Verträge sind nach einer Definition Sesselmeiers „allgemeine Konstrukte, die explizit Lücken aufweisen, um die Anforderungen langfristiger, durch idiosynkratische, d.h. beziehungsspezifische, und deshalb sensible Leistungsbeziehungen gekennzeichneter Austauschverhältnisse genügen zu können“, Sesselmeier, Erwerbsarbeit und Bürgersouveränität – Die Voraussetzungen des Wirtschaftens in einer Geldwirtschaft, in: Nutzinger/Held (Hrsg.), Geteilte Arbeit ganzer Mensch – Perspektiven der Arbeitsgesellschaft, S. 142, 152; vgl. zur relational contracts theory auch den Überblick bei Brors, Die Abschaffung der Fürsorgepflicht, S. 99 ff. 168 Instruktiv Behrens, Die Bedeutung der ökonomischen Analyse des Rechts für das Arbeitsrecht, ZfA 1989, 209, 226, 228 f. 169 Weise, Alle Märkte sind gleich – zur Bedeutung und den Folgen unterschiedlicher Mobilität der Produktionsfaktoren, in: Nutzinger/Held (Hrsg.), Geteilte Arbeit und ganzer Mensch, S. 92, 105.
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beitnehmers und damit auch die Möglichkeit zur Schikane des unkooperativen oder aus anderen Gründen missliebigen Arbeitnehmers170. Die Auswirkungen der durch die rechtmäßige Ausübung des Direktionsrechts vermittelten Sanktionen liegen damit für den Arbeitnehmer in erster Linie im Bereich der persönlichen Arbeitszufriedenheit, verursachen ihm also insofern nur schwer fassbare, „weiche Kosten“. Sie können jedoch auch zur Vorbereitung einer betriebsbedingten Arbeitgeberkündigung, etwa durch Versetzung des Arbeitnehmers in einen demnächst stillzulegenden Betrieb, dienen. Das Nötigungspotenzial des Direktionsrechts hängt damit stark von der Art der geschuldeten Tätigkeit ab. Es wird bei eher einfach strukturierten, ohnehin schon vertraglich relativ weit vorgegebenen Tätigkeiten und Arbeitsabläufen tendenziell geringer sein als bei komplexeren Arbeitsstrukturen und Aufgabenfeldern, in denen die konkret ausgeübte Tätigkeit einen höheren Einfluss auf die Qualifizierung des Arbeitnehmers durch „training on job“ und damit für seine künftigen Arbeitsmarktschancen hat171. Wiederum erscheint eine verallgemeinerbare Bewertung und Gewichtung der durch Instrumente des Direktionsrechts vermittelbaren und damit u. U. bei unkooperativem Verhalten zu befürchtenden Sanktionen des Arbeitgebers kaum möglich. Wegen der in unserer Gesellschaft stark ausgeprägten Selbst- wie Fremddefinition der Persönlichkeit und ihrer sozialen Geltung durch die Art der verrichteten Erwerbstätigkeit172 ist das Gewicht des Sanktionspotenzials des Direktionsrechts aber nicht zu unterschätzen. Auch das Bundesarbeitsgericht hat in seiner Rechtsprechung zur Kontrolle des Direktionsrechts am Maßstab des § 315 BGB bzw. des § 106 GewO den Aspekt des durch die Tätigkeit vermittelten sozialen Geltungsanspruchs unabhängig von der erzielten Vergütung stets betont173. Auch wenn danach eine degradierende oder demütigende Ausübung des Direktionsrechts grundsätzlich unzulässig und der gerichtlichen Kontrolle zugänglich ist, verbleibt ein erheblicher Spielraum für aus persönlichen Gründen missliebige, aber kontrollfeste arbeitgeberische Weisungen und mithin ein in der Regel erhebliches kontrollfreies Sanktionspotenzial des Direktionsrechts174.
170 Vgl. dazu Hümmerich, Beendigung von Arbeitsverhältnissen angestellter Anwälte, AnwBl 2005, S. 77. 171 Vgl. dazu bereits oben, 4. Kapitel: A. II. 2. b). 172 Vgl. dazu etwa Sesselmeier, Erwerbsarbeit und Bürgersouveränität – Die Voraussetzungen des Wirtschaftens in einer Geldwirtschaft, in: Nutzinger/Held (Hrsg.), Geteilte Arbeit ganzer Mensch – Perspektiven der Arbeitsgesellschaft, S. 142, 144, der in der Erwerbsarbeit den zentralen Identifikationsgegenstand der bürgerlichen Gesellschaft sieht; weiterführend auch Beck, Risikogesellschaft, S. 220 ff. 173 Vgl. exemplarisch nur BAG vom 24.4.1996 – 4 AZR 976/94 – AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 49.
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(c) Benachteiligung des persönlichen Fortkommens Eine Neigung des Arbeitnehmers zu überobligationsmäßigem Wohlverhalten mag auch der Befürchtung entspringen, ein Beharren auf ihm zustehende gesetzliche Ansprüche oder Rechte gegen den Arbeitgeber werde für sein berufliches Fortkommen nicht förderlich sein. Grundsätzlich unterscheiden lassen sich hier zwei Varianten: In der ersten Variante steht der Arbeitnehmer am Anfang seiner beruflichen Laufbahn und hofft auf eine innerbetriebliche Karriere beim aktuellen Arbeitgeber. In der zweiten Variante fürchtet der Arbeitnehmer, der Arbeitgeber werde bei einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein unvorteilhaftes Zeugnis erteilen, andere negative Einschätzungen an potentielle neue Arbeitgeber weitergeben oder ihm aufgrund informeller Kontakte mögliche Empfehlungen unterlassen175. Hinsichtlich der Gewichtung des aus einer möglichen Minderung des Wohlwollens für den Arbeitnehmer erwachsenden ökonomischen Nachteils sind im Wesentlichen zwei Faktoren von Bedeutung: Zum einen die Wahrscheinlichkeit des Eintritts der befürchteten Arbeitgeberreaktion, zum anderen deren Maßgeblichkeit für das berufliche Fortkommen des Arbeitnehmers. Hinsichtlich beider Faktoren dürfte eine konkrete Gewichtung derartiger Sanktionserwartungen kaum einheitlich möglich sein. So mag die Sanktionswahrscheinlichkeit in größeren Organisationseinheiten, insbesondere in öffentlichen Verwaltungen, in denen derjenige, der derartige Arbeitgeberfunktionen ausübt, typischerweise kein unmittelbares wirtschaftliches Eigeninteresse an der Verzichtsvereinbarung hat, tendenziell geringer sein als in Kleinbetrieben. Zwingend ist diese Annahme bei Vorliegen einer entsprechenden Unternehmenskultur und -politik jedoch nicht176. Bezüglich des potenziellen Gewichts derartiger Sanktionen werden am Anfang der beruflichen Laufbahn stehende Arbeitnehmer tendenziell stärker betroffen sein als ältere, die in ihrem beruflichen Status gefestigt und am Ende der Karriereleiter angekommen sind. Auch hier sind jedoch Ausnahmen und Anomalien möglich. Zu denken ist hier insbesondere daran, dass die beim aktuellen Arbeitgeber ausgeübte Tätigkeit nicht dem mittelfristig angestrebten Berufsfeld entsprechen muss und das Wohlwollen des Arbeitgebers deswegen keine Relevanz für die künftigen beruflichen Chancen des 174 Instruktiv dazu Hümmerich, Beendigung von Arbeitsverhältnissen angestellter Anwälte, AnwBl 2005, 77 ff. 175 Vgl. dazu Dorndorf, Anm. zu BAG vom 21.12.1972 – 5 AZR 319/72 – SAE 116, 117. 176 Vgl. zur Illustration der nach Darstellung der Gewerkschaft ver.di existierenden Praxis einer systematischen Ausnutzung der „Bereitschaft“ der Belegschaften zu „freiwilligen“, unbezahlten Vor- und Nacharbeiten in Großunternehmen des Einzelhandels, Hamann/Giese, Schwarzbuch Lidl, S. 31.
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5. Kap.: Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung
Arbeitnehmers hat. So wird dem Jurastudenten, der in den Semesterferien einmalig auf dem Bau arbeitet, ein unvorteilhaftes Arbeitszeugnis durch den Bauunternehmer regelmäßig gleichgültig sein. Nach dem oben Gesagten dürfte somit zwar nicht für jeden, wohl aber für die Mehrheit der Arbeitnehmer die Befürchtung, durch Widerspruch zu einer Verzichtsvereinbarung das berufliche Fortkommen nachteilig zu beeinflussen, zu einem nicht zu unterschätzenden Grad verhaltensleitend sein. Das ökonomische Nachteilspotenzial jedenfalls ist typischerweise sehr groß und zudem häufig kaum abzusehen. Man denke etwa an die (fiktive) Konstellation, dass der Arbeitnehmer eine Beförderungsstelle (Gehaltszulage 1000 EUR pro Monat) nicht bekommt, weil er sich wegen eines ihm angetragenen Verzichts auf Entgeltfortzahlung für zwei Arbeitstage (Wert: 200 EUR) mit dem Arbeitgeber überwirft oder infolge der Zeugnisgestaltung das Auffinden eines alternativen Arbeitsplatzes nachhaltig gefährdet wird. (3) Die resultierenden Kosten des Arbeitnehmers bei Wahl der Widerspruchs-Option Die Nachteile der Option „Widerspruch“ kumulieren danach neben den unmittelbaren Streitkosten vor allem in der diffusen oder auch durch eine entsprechende Drohung erhärteten Befürchtung des Arbeitnehmers, der Arbeitgeber werde aus seiner Perspektive unkooperatives Verhalten auf die eine oder andere Weise sanktionieren. Die durch die erwarteten Sanktionen zu befürchtenden Nachteile sind damit auf Arbeitnehmerseite im ökonomischen Sinne als Kosten der Option „Widerspruch“ in Ansatz zu bringen. Ob dem Arbeitgeber überhaupt ein Spielraum für Weisungen mit sanktionierendem Charakter zukommt, ist durch die Alternativkosten des Arbeitnehmers, die durch eine Abwanderung entstünden, vorgegeben177. Wiederum lässt sich komparativ formulieren: Je höher die Widerspruchskosten, d.h. die Kosten für die Organisation des Widerspruchs sowie die Kosten durch die erwarteten Sanktionen des Arbeitgebers sind, desto stärker ist ceteris paribus die Autoritätsbeziehung im jeweiligen Arbeitsverhältnis178. Eben diese Autoritätsbeziehung ist es, die Zweifel daran aufkommen lässt, ob und unter welchen außerrechtlichen Funktionsbedingungen ein echtes Aushandeln von Verzichtsvereinbarungen im laufenden Arbeitsverhältnis 177 Dazu im Einzelnen oben. Anschaulich insoweit auch das Beispiel von der Abhängigkeit des fraktalen Sinologen bei Weise, Alle Märkte sind gleich – zur Bedeutung und den Folgen unterschiedlicher Mobilität der Produktionsfaktoren, in: Nutzinger/Held (Hrsg.), Geteilte Arbeit und ganzer Mensch, S. 92, 95. 178 Ähnlich Brandes, a. a. O.
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überhaupt möglich ist179; sie relativiert den Wert einer Fokussierung auf die rechtsgeschäftliche Einigung als tragfähigen Anknüpfungspunkt der Untersuchung180. Jedenfalls offenbart der Blick auf die wirtschaftlichen Machtstrukturen und die Zwänge auf dem internen Arbeitsmarkt, dass das Schutzbedürfnis des Arbeitnehmers insoweit gerade nicht mit demjenigen eines AGB-Adressaten vergleichbar ist181. In der Regel ist es nicht die Komplexität der an den Arbeitnehmer herangetragenen Vereinbarung, die dessen Schutzbedürfnis ausmacht182, sondern die außerrechtlich in den typischerweise gegebenen Machtstrukturen begründete Nötigungssituation, „sehendes Auges“ auch einseitig-nachteilige Vereinbarungen akzeptieren zu müssen. Gerade diese arbeitsrechtsspezifische Situation kann einen Schutz durch zwingendes Recht erfordern. Insoweit geht die Annahme fehl, dass die „ausgehandelte“ Einzelvereinbarung stets Vorrang vor zwingendem Recht haben müsse183. Von einer wirtschaftlichen Unterlegenheit des Arbeitnehmers kann im Zusammenhang mit Verzichtsvereinbarungen dann gesprochen werden, wenn die Kosten eines Widerspruchs des Arbeitnehmers die Kosten der intendierten Verzichtsvereinbarung regelmäßig überschreiten, also der Widerspruch für den Arbeitnehmer regelmäßig nachteiliger als Zustimmung zu einer Verzichtsvereinbarung wäre. Ist eine solche Konstellation gegeben, so könnte – vorausgesetzt der Arbeitnehmer verhielte sich entsprechend dem Modell des homo oeconomicus nutzenmaximierend184 – der Arbeitgeber regelmäßig davon ausgehen, sein Interesse an einer Verzichtsvereinbarung faktisch einseitig durchsetzen zu können. Weiter wäre davon auszugehen, dass ein ökonomisch handelnder Arbeitgeber dies auch tun würde, solange die für ihn zu erwartenden Kosten einer Verzichtsvereinbarung, bestehend 179
Ausführlich Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, S. 186 ff. Die aus den jeweiligen Machtstrukturen resultierende Verhandlungsschwäche betrifft dabei im Grundsatz abdingbare wie unabdingbare Ansprüche gleichermaßen, vgl. dazu Köck, Grenzen der Zulässigkeit des Verzichts auf schon entstandene Arbeitnehmeransprüche, ZAS 1986, 73, 77 ff. 180 Brors, Die Abschaffung der Fürsorgepflicht, S. 93 ff., 98. 181 Fastrich, a. a. O., S. 186 m. w. N.; ebenso Schwarze, Arbeitnehmerbegriff und Vertragstheorie, ZfA 2005, 81, 96; so aber wohl insbesondere Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, S. 223 ff., 287 ff. und passim. 182 Zur intellektuellen/informationellen Unterlegenheit des Arbeitnehmers als Begründungsansatz siehe sogleich näher. 183 So auch Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, S. 186 ff.; im Ergebnis ebenso Zöllner, Regelungsspielräume im Schuldvertragsrecht, AcP 196 (1996), 1, 34. Vgl. zur Gegenansicht auch Hanau, Freiheit und Gleichheit bei der Gestaltung des Arbeitsrechts, FS 600 Jahre Uni Köln, S. 183, 207; Thüsing, FS Wiedemann, S. 559, 568; Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, S. 286, 289. 184 Zur Kritik an dieser Modellannahme sogleich näher unter d).
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aus den Kosten einer möglichen Abwanderung oder der Demotivation von Arbeitnehmern, geringer sind als die durch Verzichtsvereinbarung(en) im Unternehmen in Summe eingesparten Kosten185. Die wirtschaftliche Unterlegenheit des Arbeitnehmers bei der Wahl der Option „Widerspruch“ korreliert daher mit seiner Unterlegenheit bei der Wahl der Alternative „Abwanderung“. Je weniger der Arbeitgeber eine Abwanderung des Arbeitnehmers zu erwarten hat, desto weniger muss er auch damit rechnen, dass Verzichtsvereinbarungen über Nebenansprüche auf offenen und ernsthaften Widerspruch stoßen werden. Danach kann mit einiger Sicherheit wohl für die Mehrzahl der Arbeitsverhältnisse davon ausgegangen werden, dass die Verweigerung eines vom Arbeitgeber angetragenen Verzichts auf einen bereits fälligen gesetzlichen Nebenleistungsanspruch des Arbeitsvertragsrechts für den Arbeitnehmer mit größeren ökonomischen Risiken behaftet ist als die Preisgabe des gesetzlich vorgesehenen Anspruchs. Nach Maßgabe des ökonomisch-rationalen Verhaltens- und Entscheidungsmodells des homo oeconomicus wird die wohl große Mehrheit der Arbeitnehmer unter den gegebenen Voraussetzungen regelmäßig von einem offenen Widerspruch absehen und eine Verzichtsvereinbarung im laufenden Arbeitsverhältnis – mehr oder minder zähneknirschend – akzeptieren. d) Relativierung der wirtschaftlichen Unterlegenheit durch Reziprozitätseffekte – die Bedeutung informeller Normdurchsetzung In neueren Untersuchungen der empirischen Wirtschaftsforschung findet das Verhaltens- und Entscheidungsmodell des homo oeconomicus nicht mehr uneingeschränkte Bestätigung. Spieltheoretisch-empirische Untersuchungen scheinen darauf hinzudeuten, dass sich Menschen insbesondere in auf längerfristige Kooperation angelegten Beziehungen weniger am Maßstab der unmittelbaren Maximierung des individuellen Nutzens als am Maßstab der Reziprozität orientieren. Sie scheinen mehrheitlich dazu zu neigen, als fair empfundenes Verhalten „zu belohnen“ und als unfair empfundenes Verhalten auch dann „zu bestrafen“, wenn dies für sie mit relativ höheren Kosten verbunden ist186. Vereinfacht lässt sich der Befund der vorgenommenen experimentellen Untersuchungen so formulieren: In auf längerfristige Kooperation angelegten Beziehungen war für die Mehrheit der Experimentalteilnehmer nicht die Maxime „jedem das seine, mir das meiste“, son185
Vgl. dazu ausführlicher soeben unter aa) und Weise, Alle Märkte sind gleich – zur Bedeutung und den Folgen unterschiedlicher Mobilität der Produktionsfaktoren, in: Nutzinger/Held (Hrsg.), Geteilte Arbeit und ganzer Mensch, S. 92, 109. 186 Falk, Homo Oeconomicus Versus Homo Reciprocans, S. 1.
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dern eher „wie du mir, so ich dir“ handlungsleitend. Im Unterschied zu den bereits oben erwähnten Verhaltensanomalien im Modell des homo oeconomicus, die im Wesentlichen auf ein empirisch beobachtbares Versagen der Individuen bei der rational-richtigen Entscheidungsfindung zurück gehen187, ist hier schon die Zielorientierung an der individuellen Nutzenmaximierung fraglich188. Es scheint, dass die aus dem Modell des homo oeconomicus zu erwartenden Verhaltensweisen in entsprechenden Situationen teilweise von denjenigen überlagert werden, die aus dem Modell eines homo reciprocans189 folgen. Aus der Annahme eines homo reciprocans folgt demnach, dass Gesellschaften und soziale Beziehungen über informelle Mechanismen zur Durchsetzung von Normen und Regeln verfügen, die mit den Annahmen des homo oeconomicus (allein) nicht erklärbar sind190. In vertraglichen Beziehungen verbleibt informellen Durchsetzungsmechanismen vor allem dann ein relevanter Spielraum, wenn die wechselseitig geschuldeten Leistungen vertraglich nicht vollständig definiert sind. Dies ist im Arbeitsverhältnis grundsätzlich nicht nur hinsichtlich der konkret geschuldeten Tätigkeiten, sondern auch hinsichtlich der vom Arbeitnehmer geschuldeten Arbeitsintensität oder Arbeitsqualität der Fall191. Die Unvollständigkeit des Arbeitsvertrages verursacht insofern ein Motivationsproblem, da Arbeitnehmer in der Regel über einen erheblichen kontrollfreien Spielraum hinsichtlich der Arbeitsintensität verfügen192. Aus diesem Grund wird in der wirtschaftswissenschaftlichen Diskussion das Arbeitsverhältnis als ein prominentes Anwendungsgebiet für auf dem Gedanken der Reziprozität basierender ökonomischer Theorien der Verhaltensdeutung gesehen193. Insbesondere für die 187 Vgl. dazu die Darstellung der bekanntesten Anomalien bei Schäfer/Ott, Lehrbuch, S. 65 ff. 188 Vgl. dazu auch Kirchgässner, Homo Oeconomicus, S. 217. 189 Vgl. zur Begriffsbildung Falk, a. a. O. 190 Vgl. Akerlof, Labor Contracts as Partial Gift Exchange, in: Akerlof/Yellen (Hrsg.), Efficiency wage models of the labor market, S. 66 ff.; Falk, Homo Oeconomicus Versus Homo Reciprocans, S. 11, 22. 191 Kündigungsfreiheit kann wegen der bestehenden Rechtsunsicherheiten und Beweisschwierigkeiten hinsichtlich der geschuldeten Arbeitsintensität als ein legitimes Interesse des Arbeitgebers betrachtet werden, vgl. dazu insbesondere Dorndorf, Vertragsdurchsetzung als Funktion des Kündigungsschutzes, ZfA 1989, 345, 352 ff. m. w. N. Vgl. auch die Ergebnisse entsprechender spieltheoretischer Experimente bei Brown/Falk/Fehr, Relational Contracts and the Nature of Market Interactions, Econometrica, Vol 72 (2004), S. 747, 775. 192 Falk, S. 21; Seitel, Öffnungsklauseln in Tarifverträgen, S. 18 f. 193 Vgl. insbesondere Akerlof, Labor Contracts as Partial Gift Exchange, in: Akerlof/Yellen (Hrsg.), Efficiency wage models of the labor market, S. 66 ff.; Falk, a. a. O., beide mit zahlreichen weiteren Nachweisen aus der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur.
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Erklärung von sog. Effizienzlöhnen194 und Lohnrigiditäten195 sind sie herangezogen worden. Nach dem hier verfolgten Ansatz hängt das Bedürfnis für eine rechtliche Regulierung der Verzichtsbefugnis durch einen entsprechenden Eingriff in die Vertragsfreiheit im laufenden Arbeitsverhältnis maßgeblich davon ab, ob dies zur Realisierung der vom Gesetz vorgesehenen Ansprüche und Rechte erforderlich erscheint. Es fragt sich also, welche Validität die experimentellen Ergebnisse für eine modellhafte Erklärung der Entscheidungssituation des Arbeitnehmers hinsichtlich einer Verzichtsvereinbarung in realen Arbeitsverhältnissen haben und welche Schlüsse daraus gegebenenfalls für die oben nach dem traditionellen Modell des homo oeconomicus begründete Annahme einer wirtschaftlichen Unterlegenheit gezogen werden können. Es liegt auf der Hand, dass derartige Folgerungen aus experimentellen Untersuchungen für reale Arbeitsverhältnisse prinzipiell nur einen tendenziellen Charakter haben können. Erschwerend kommt hinzu, dass Reziprozitätserwägungen sowohl auf Seiten des Arbeitgebers als auch auf Seiten des Arbeitnehmers handlungsleitend sein können. Die daraus ableitbaren Tendenzen werden deshalb gegenläufig sein. So könnten die Beobachtungen zu Effizienzlöhnen und Lohnrigiditäten einerseits erwarten lassen, dass Arbeitgeber zur Vermeidung einer überproportionalen Leistungszurückhaltung bzw. Verminderung der Arbeitsintensität weit weniger dazu neigen werden, von ihren Arbeitnehmern Verzichte auf arbeitsvertragliche Nebenleistungen wie Entgeltfortzahlung oder Urlaub zu verlangen, als dies durch die in der Regel gegebene Existenz einer Alternativkostendifferenz nahe gelegt wird196. Inwiefern ein Arbeitgeber mit Leistungszurückhaltung als Reaktion der Arbeitnehmer zu rechnen hätte, 194 Nach dem Effizienzlohnargument können Arbeitgeber durch die Bezahlung „fairer“ Löhne die Arbeitnehmer dazu veranlassen, eine „faire“ Arbeitsleistung zu erbringen, wobei „fair“ eine Arbeitsleistung meint, die über die gerichtlich durchsetzbare Arbeitsleistung hinausgeht, dazu Falk, a. a. O. Für eine solche Fairnessbeziehung sprechen sowohl experimentelle Untersuchungen, vgl. Fehr/Kirchsteiger/Riedl, Does Fairness prevent Market Clearing? An Experimental Investigation, Quarterly Journal of Economics, 108, 437, 439 ff., als auch Befragungsstudien mit personalverantwortlichen Managern, vgl. dazu die Nachweise bei Falk, a. a. O. 195 Als Lohnrigidität wird das Ausbleiben oder nur geringfügige Auftreten von (direkten) Lohnsenkungen als Reaktion auf veränderte Arbeitsmarktbedingungen bezeichnet. Ursachen dafür sollen jenseits rechtlicher Regelungen ebenfalls darin zu sehen sein, dass Lohnsenkungen als unfair empfunden würden, was die Arbeitsmoral zerstören und zu Leistungszurückhaltung führen könne, Falk, a. a. O.; so auch Agell, On the Benefits from Rigid Labour Markets: Norms, Market Failures and Social Insurance, Economic Journal, Vol. 109 (1999), S. F143 ff.
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dürfte dabei wesentlich davon abhängen, ob und in welchem Maße die Initiative des Arbeitgebers zu einer Verzichtsvereinbarung von den betroffenen Arbeitnehmern als unfaires Verhalten empfunden wird197. Dabei wird die Bewertung als fair oder unfair wesentlich von der Wahrnehmung der Intention des Arbeitgebers für seine Initiative abhängen198. So dürfte zu erwarten sein, dass eine Belegschaft Einbußen als weniger „unfair“ empfinden wird, wenn ihr ihre Notwendigkeit zum Erhalt des Betriebes plausibel ist, als wenn den Einbußen einzig das Ziel einer Gewinnsteigerung des Unternehmens und seiner Inhaber unterstellt wird. Weiter dürfte andererseits zu erwarten sein, dass bei einer für die Arbeitnehmer glaubhaft gegebenen Notwendigkeit zur Reduzierung der Arbeitskosten ein Verzicht auf Nebenansprüche mit Sozialleistungscharakter insgesamt als weniger „unfair“ empfunden würde, als eine allgemeine Lohnsenkung mit dem für den Arbeitgeber in Summe gleichen Resultat. Denn zum einen wären von einem Verzicht auf Nebenansprüche, anders als bei einer allgemeinen Lohnsenkung, nicht alle Arbeitnehmer unmittelbar, sondern stets nur einzelne punktuell betroffen, d.h. eine insgesamt spürbare Reduzierung der Arbeitsintensität als reziproke Sanktion würde entsprechende Solidarisierungseffekte unter den Arbeitnehmern voraussetzen199. Zum anderen könnte ein auf die Initiative des Arbeitgebers zurück gehender Verzicht auf Ansprüche mit Sozialleistungscharakter von der übrigen Belegschaft auch deswegen als relativ weniger „unfair“ wahrgenommen werden, weil dem Zahlungsanspruch in diesen Fällen keine unmittelbare Gegenleistung des Arbeitnehmers gegenübersteht200. Die psychologischen Barrieren, über derartige Ansprüche durch Verzicht disponieren zu wollen, werden deshalb m. E. auf beiden Seiten des Arbeitsvertrages deutlich niedriger zu bewerten sein, weil beispielsweise dem Krankenlohn keine unmittelbare Gegenleistung des Arbeitnehmers gegenübersteht201. Anders als bei einer 196 Vgl. dazu das auf betriebliche Mindestleistungsanforderungen fußende CashPosters-Beispiel bei Akerlof, Labor Contracts as Partial Gift Exchange, in: Akerlof/ Yellen (Hrsg.), Efficiency wage models of the labor market, S. 66 ff. 197 Vgl. insbesondere Akerlof/Yellen, The fair wage-effort hypothesis and unemployment, Quarterly Journal of Economics Vol. 105 (1990), S. 255, 256. 198 Spieltheoretische Experimente bestätigen die Vermutung, dass neben dem Ergebnis auch die Intention einer Handlung des Kooperationspartners entscheidend für das Auslösen einer reziproken Reaktion ist, vgl. dazu Falk/Fehr/Fischbacher, Testing Theories of Fairness – Intentions Matter, S. 16. 199 Dass die Annahme entsprechender Solidarisierungseffekte nicht grundsätzlich unrealistisch ist, zeigt das Cash-Posters-Beispiel von Akerlof (1982), a. a. O., S. 66, 74. 200 Vgl. auch Falk, Homo Oeconomicus Versus Homo Reciprocans, S. 21. 201 Vgl. Hofmann, Grenzen gesetzlicher Unabdingbarkeitsnormen im Arbeitsrecht, FS 25 Jahre BAG, S. 217, 232; Trieschmann, RdA 1976, 68, 70.
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Forderung nach Lohnverzicht haftet einem Verzichtsansinnen deshalb nicht unmittelbar der demütigende und demotivierende Ruch der Nichtachtung oder Geringschätzung geleisteter Arbeit an. Arbeitgeber werden daher zur Vermeidung einer überproportionalen Leistungszurückhaltung der Belegschaft eher geneigt sein, Arbeitnehmer zum Verzicht auf arbeitsrechtliche Ansprüche mit Sozialleistungscharakter als zum Verzicht auf regulären Arbeitslohn zu bewegen. Arbeitsvertragliche Ansprüche mit Sozialleistungscharakter bedürfen daher auch in höherem Maße als echte Lohnansprüche einer Verrechtlichung202. Dies gilt umso mehr, wenn man jenseits der ökonomisch-psychologischen Argumente anerkennt, dass die rein kapitalisierte Betrachtung dieser Ansprüche, man denke etwa an den Urlaubs- oder Entgeltfortzahlungsanspruch im Krankheitsfall, deren sozialethische Bedeutung nur fragmentarisch abbilden kann. Reduziert man beispielsweise einen Verzicht auf entstandene Entgeltfortzahlungsansprüche auf seinen bloßen Entgeltcharakter, so bildet man nur unzureichend ab, dass es eine sozialpolitische Entscheidung des Gesetzgebers war, zum einen den Arbeitnehmer von den ökonomischen Folgen seiner Krankheit zu entlasten und zum anderen den einzelnen Arbeitgeber – und nicht etwa eine Versichertengemeinschaft – mit diesen Kosten zu belasten203. Die Relevanz von möglichen informellen Sanktionen der Arbeitnehmer hängt des Weiteren stark von der Art der ausgeübten Tätigkeit und damit vom Maß der Unvollständigkeit des Arbeitsvertrages ab. Sie dürfte bei höheren Tätigkeiten, die einer detaillierten Kontrolle von Arbeitsintensität und Qualität durch den Arbeitgeber nicht ohne weiteres zugänglich sind und daher ein hohes Maß an Eigenmotivation und Eigeninitiative der Arbeitnehmer erfordern, vergleichsweise hoch, bei leicht zu kontrollierenden, einfach strukturierten Tätigkeiten, insbesondere im Akkordlohnbereich, vergleichsweise niedrig sein. Arbeitgeber dürften daher wegen der geringeren Relevanz informeller Sanktionen durch Leistungszurückhaltung tendenziell eher bei geringqualifizierten als bei höherqualifizierten Arbeitnehmern zu als „unfair“ empfundenen Maßnahmen geneigt sein. In der Gruppe der Geringqualifizierten dürfte deshalb davon auszugehen sein, dass die durch die relativ geringeren Alternativkosten des Arbeitgebers bei Abwanderung ver202 Eingehend Hofmann, a. a. O., S. 230 m. w. N. Vgl. auch BAG vom 28.11.1979 – 5 AZR 955/77 – AP LohnFG § 6 Nr. 10; grundsätzlich gegen eine Differenzierung zwischen echtem Arbeitslohn und nach dem EFZG aufrecht erhaltenem Arbeitsentgelt Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge – Hold EFZG § 12 Rn. 25; ähnlich auch Geyer/Knorr/Krasney EFZG § 12 Rn. 18 und Lepke, Der Verzicht des Arbeitnehmers auf den Lohnfortzahlungsanspruch im Krankheitsfalle, BB 1971, 1509, 1513 f. 203 Anders noch im Vor-Vorgänger des Entgeltfortzahlungsgesetzes, dem für Arbeiter geltenden Arbeiterkrankheitsgesetz vom 26.6.1957, BGBl. I., S. 649 ff., dort § 1.
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mittelten Nachteile mit dem typischerweise geringeren Potenzial informeller Sanktionen kumulieren, während bei Höherqualifizierten die Befürchtung einer überproportionalen Leistungszurückhaltung den faktischen Spielraum des Arbeitgebers zu Verzichtsinitiativen stark einschränken kann, eine rechtliche Einschränkung der Verzichtsbefugnis also tendenziell weniger erforderlich erscheint. Das Maß der Abhängigkeit des Arbeitnehmers ist demnach nicht nur durch die Alternativkostendifferenz bei seiner Abwanderung, sondern daneben auch durch sein Potenzial zu informellen Reaktionen auf „unfaires“ Arbeitgeberverhalten determiniert. Wiederum gegenläufige Tendenzen könnten m. E. aber aus der Berücksichtigung des Gedankens der Reziprozität hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit von negativen Reaktionen des Arbeitgebers ableitbar sein. Bereits oben wurde erörtert, dass die zu erwartende Reaktion des Arbeitgebers und die daraus dem Arbeitnehmer entstehenden Kosten geeignet sein können, den Arbeitnehmer zur Zustimmung zu einem gegenüber der gesetzlichen Konzeption nachteiligen Verzichtsvertrag zu bewegen. Die Ergebnisse der experimentellen Laboruntersuchungen zu reziprokem Verhalten legen den Schluss nahe, dass die Mehrheit der Arbeitgeber bei als unkooperativ bzw. „unfair“ empfundenen Verhalten von Arbeitnehmern „schon aus Prinzip“ auch dann zu Sanktionsmaßnahmen greifen würde, wenn die dadurch entstehenden Kosten höher sind als die durch Akzeptanz der Entscheidung des Arbeitnehmers verursachten Kosten. Die Wahrscheinlichkeit, dass Arbeitnehmer bei Ablehnung einer auf die Initiative des Arbeitgebers zurück gehenden Verzichtsvereinbarung mit Sanktionen rechnen müssen, wäre damit gegenüber der nach dem Modell des homo oeconomicus zu erwartenden Sanktionsneigung tendenziell erhöht, weil er nach dem Modell des homo reciprocans grundsätzlich auch zu für ihn kostenträchtigen Sanktionen bereit wäre204. Insgesamt sind die aus dem Gedanken der Reziprozität ableitbaren Folgerungen für die aus der Transaktionskostenökonomik hergeleitete wirtschaftliche Unterlegenheit des Arbeitnehmers im laufenden Arbeitsverhältnis als bisher wenig gesichert zu betrachten. Die Bestimmung eines konkreten Maßes der wirtschaftlichen Unterlegenheit, die aus der skizzierten Wechselbeziehung resultieren mag, ist auf diese Weise nicht möglich. Zulässig erscheint aber die Annahme folgender Tendenzen: Der faktische Spielraum des Arbeitgebers für die Initiative zu Arbeitnehmerverzichten scheint einerseits tendenziell kleiner zu sein, als nach dem Modell des homo oeconomicus zu vermuten wäre. Andererseits dürfte aber auch die Sanktionsbereitschaft von Arbeitgebern gegenüber als widerborstig wahrgenommenen Arbeitnehmern höher sein, als nach der Grundannahme einer rein eigennützigen Nutzenmaximierung zu erwarten wäre. 204
Vgl. Falk, Homo Oeconomicus Versus Homo Reciprocans, S. 22.
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5. Kap.: Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung
3. Zwischenergebnis Hinter dem Schlagwort von der wirtschaftlichen Unterlegenheit des Arbeitnehmers verbergen sich ihrer Struktur nach deutlich zu unterscheidende Erwägungen. Für die Frage, ob hinsichtlich des Verzichts auf unabdingbare gesetzliche Ansprüche und Rechte des Arbeitsvertragsrechts aus den unter diesem Begriff zusammengefassten Aspekten ein Schutzbedürfnis des Arbeitnehmers vor materiell „unfreiwilligen“ Verzichtsvereinbarungen gefolgert werden kann, muss deshalb grundsätzlich die Situation bei Eingehung des Arbeitsvertrags von der Situation des Arbeitnehmers im laufenden Arbeitsverhältnis unterschieden werden. Für die Mehrzahl der Bewerber um einen Arbeitsplatz ist der Erwerb des Lebensunterhalts durch fortlaufende nichtselbstständige Arbeit auch in einem das physische Überleben absichernden Sozialstaat im gesellschaftlichsozialen Sinne von existenzieller Wichtigkeit. Für Arbeitssuchende entsteht hinsichtlich der Aufnahme einer Beschäftigung in der Regel ein erheblicher wirtschaftlicher Druck zeitlich vermittelter Art, der ein Ausschlagen ungünstiger Arbeitsangebote erschwert und damit ihre Durchsetzungschancen hinsichtlich der Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses erheblich einschränkt. Es kann deshalb in der Mehrzahl der Fälle davon ausgegangen werden, dass hinsichtlich der gesetzlich geschützten Mindestarbeitsbedingungen die Unabdingbarkeit bzw. das Verbot eines Vorausverzichts praktische Wirkungsvoraussetzung der gesetzlichen Regelungen ist. Unabdingbarkeit kann insoweit als nicht-paternalistische Positionsverbesserung in der Abschlusssituation des Arbeitsvertrages verstanden werden205. Der für die Mehrzahl der Arbeitssuchenden plausibel erscheinende Befund einer wirtschaftlichen Unterlegenheit im dargestellten Sinne rechtfertigt jedoch nicht die paradigmatische Tabuisierung der Zusammenhänge als stets gültige Gesetzmäßigkeit. Für einen nicht unbedeutenden Teil der Arbeitssuchenden kann das Unterlegenheitsparadigma aus vielfältigsten Gründen den Realitäten des Einzelfalls widersprechen206. Nach Abschluss des Arbeitsvertrages ist die für die Feststellung einer Unterlegenheit erforderliche Analyse der wirkenden Macht- und Marktstrukturen auf das konkrete Arbeitsverhältnis fokussiert. Raum für die Annahme einer wirtschaftlichen Unterlegenheit bleibt insoweit in dem durch die Differenz der Alternativkosten von Arbeitnehmer und Arbeitgeber bei 205
Enderlein, S. 251 ff. und S. 465 ff. Praktische Bedeutung werden diese Ausnahmefälle jedoch kaum erlangen, da Unabdingbarkeit bzw. ein Verbot des Vorausverzichts in der Abschlusssituation nach der hier vertretenen Ansicht wohl stets unter dem Aspekt des freiheitsmaximierenden Paternalismus zu rechtfertigen sein wird. 206
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einem Arbeitsplatzwechsel vorgegebenen Rahmen. Grundsätzlich kann deshalb das Maß, um das die beim Arbeitnehmer durch einen Arbeitsplatzwechsel entstehenden Kosten die dadurch dem Arbeitgeber entstehenden Kosten überwiegen, als Maß der Abhängigkeit im aktuellen Arbeitsverhältnis betrachtet werden207. Im praktischen Regelfall des „typischen Arbeitnehmers“ kann diesbezüglich von einer erheblichen Differenz zum Nachteil des Arbeitnehmers ausgegangen werden, wobei auch dieser Schluss keineswegs für alle Arbeitsverhältnisse zwingend ist. Die konkreten Gründe wirtschaftlicher Abhängigkeit und ihr Gewicht im jeweiligen Arbeitsverhältnis werden zum einen durch die Art der geschuldeten Tätigkeit und der beteiligten Parteien determiniert, differieren darüber hinaus aber auch infolge individuell höchst unterschiedlicher Kostenparameter in vielfältiger Weise. Soweit in diesem Sinne eine wirtschaftliche Abhängigkeit des Arbeitnehmers vom konkreten Arbeitsverhältnis besteht, pflanzt sich diese Abhängigkeit oder Unterlegenheit auch in Vereinbarungen fort, die Arbeitnehmer und Arbeitgeber im laufenden Arbeitsverhältnis treffen. Von entscheidender Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, dass aufgrund des i. d. R. vom Arbeitnehmer erhofften Fortbestands des Arbeitsverhältnisses dem Arbeitgeber ein Sanktions- oder Nötigungspotenzial zuwächst. Die Gefährdung des Interesses des Arbeitnehmers an Erhalt und gedeihlicher Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses durch eine mögliche Sanktion des Arbeitgebers sind für den Arbeitnehmer als Kosten in Ansatz zu bringen, wenn eine solche Sanktion als Reaktion auf die Ablehnung einer Vereinbarung zu erwarten ist. Spieltheoretisch-empirische Untersuchungen legen den Schluss nahe, dass einerseits die Wahrscheinlichkeit derartiger Sanktionen als Reaktion auf als unkooperativ empfundenes Arbeitnehmerverhalten erheblich ist, andererseits aber das Interesse des Arbeitgebers an verschlechternden Vereinbarungen von vornherein durch die Möglichkeit von informellen Sanktionen der Arbeitnehmer durch Leistungszurückhaltung gedämpft sein dürfte. Wiederum erscheint der Schluss, der Arbeitgeber sei aufgrund der im Arbeitsverhältnis gegebenen internen Markt- und Machtstruktur stets die wirtschaftlich überlegene Partei, zwar wohl für die Mehrzahl der Arbeitsverhältnisse plausibel. Er ist jedoch aufgrund der Vielzahl der zu berücksichtigenden Parameter keineswegs als eine für alle Arbeitsverhältnisse geltende Gesetzmäßigkeit anzusehen. Insgesamt bleibt somit zweierlei festzustellen: Die Existenz einer Unterlegenheit des Arbeitssuchenden bzw. des Arbeitnehmers infolge wirtschaftlich begründeter Markt- und Machtgegebenheiten kann weder pauschal ge207
Vgl. dazu grundlegend Arrow, The Limits of Organization, S. 64.
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5. Kap.: Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung
leugnet noch kategorisch vorausgesetzt werden. Weiter erscheint aufgrund der Vielzahl der zum Teil subtilen Einflussfaktoren auch der Versuch einer objektiven Bestimmung der Unterlegenheit im Einzelfall als im Interesse der Rechtssicherheit untunlich. Rechtliche Folgerungen werden ihre Anknüpfung deshalb in geeigneten Typisierungen finden müssen.
II. Intellektuell/informationelle Unterlegenheit als Schutzzweck arbeitsrechtlicher Unabdingbarkeit? Der Gedanke der Rechtfertigung des Eingriffs in die Vertragsfreiheit durch zwingendes Recht wegen Ungleichgewichtslagen struktureller Art ist in der arbeitsrechtswissenschaftlichen Diskussion nicht auf wirtschaftliche Abhängigkeiten beschränkt geblieben. Im rechtswissenschaftlichen Schrifttum ist vereinzelt auch versucht worden, die extensive Auslegung der Unabdingbarkeit mit intellektueller oder informationeller Unterlegenheit des Arbeitnehmers zu rechtfertigen208. Im Fokus der Diskussion standen in der Aufsatzliteratur insoweit Verzichtsvereinbarungen, die anlässlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses in so genannten Ausgleichsquittungen oder Abwicklungsverträgen enthalten waren, die der typische Arbeitnehmer in ihrem rechtlichen Gehalt angeblich nicht überblicke209. Die Rechtsprechung ist dem – soweit ersichtlich – allerdings bisher nicht näher getreten210. Sowohl informationelle als auch intellektuelle „Gefälle“ zwischen Vertragspartnern können prinzipiell geeignet sein, die Fähigkeit der schwächeren Partei zu autonomen Entscheidungen in korrekturbedürftiger Weise zu beeinträchtigen211. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass dieses Gefälle dazu 208 Insb. Heckelmann, Anm. zu BAG vom 11.6.1976 – 5 AZR 506/75 – SAE 1977, 257, 262; Dorndorf, Anm. zu BAG vom 21.12.1972 – 5 AZR 319/72 – SAE 1974, 114, 117; ebenso ohne nähere Begründung auch Hanau, Freiheit und Gleichheit bei der Gestaltung des Arbeitsrechts, FS 600 Jahre Uni Köln, S. 183, 199. 209 So Dorndorf, SAE 1974, 114, 117. 210 Allerdings sieht das BAG die Begründung von Informationspflichten des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer vereinzelt in einer intellektuell/informationellen Unterlegenheit des Arbeitnehmers, besonders deutlich insoweit BAG vom 17.10.2000 – 3 AZR 605/99 – AP BGB § 611 Fürsorgepflicht Nr. 116 [unter II. 2. b) cc) (3)]: „Die als Reinemachefrau tätige Kl. war aufgrund ihrer Vorbildung und ihres Kenntnisstandes offenkundig nicht in der Lage, die mit dem Aufhebungsvertrag verbundenen Versorgungsrisiken zu erkennen und zu bewerten. (. . .) Sie (sc.: die Arbeitgeberin) musste aber wenigstens das Problembewusstsein der Klägerin wecken und sie so beraten, dass sie sich bei der Zusatzversorgungskasse sachgerecht erkundigen und Missverständnisse vermeiden kann.“ Das BAG berücksichtigt im Übrigen die Unabdingbarkeit faktisch in Form eines „Bestimmtheitsgebots“ bei der Auslegung der Verzichtsvereinbarung, siehe dazu näher unten unter 5. Kapitel: C. II. 3. 211 M. Wolf, Entscheidungsfreiheit, S. 101 ff.; ausführlich Fleischer, Informationsasymmetrien im Vertragsrecht, S. 1 ff.
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führt, dass die unterlegene Partei typischerweise Gefahr läuft, sich für eine vertragliche Bindung zu entscheiden, die sie bei vollständiger Kenntnis und Durchdringung aller entscheidungsrelevanten Umstände zumindest so nicht akzeptiert hätte212. Tragend ist dieser Gedanke für die Legitimation der Kontrolle allgemeiner Geschäftsbedingungen und für den Schutz vor Übervorteilung im Verbraucherrecht Dennoch ergibt sich ein grundsätzlicher Unterschied zu den Beschränkungen der Entscheidungsfreiheit aufgrund arbeitsrechtsspezifischer wirtschaftlicher Unterlegenheit: Zwar spiegelt auch in den Fällen einer intellektuellen/informationellen Unterlegenheit eine Vereinbarung im Ergebnis nicht das von der „schwächeren“ Partei wirklich Gewollte wieder und ist in diesem Sinne „unfreiwillig“. Kern des Problems ist hier jedoch nicht das Aufzwingen einer bestimmten Entscheidung, sondern die strukturell bedingt erhöhte Gefahr unrichtiger Entscheidungen zum eigenen Nachteil213. Nicht der Schutz der negativen Vertragsabschlussfreiheit bezüglich offensichtlich verschlechternder Verzichtsvereinbarungen, sondern der Schutz vor unerkannten Nachteilen einer solchen Vereinbarung steht bei der intellektuellen/ informationellen Unterlegenheit im Fokus der Betrachtung214. Obschon im Grundsatz kein Zweifel daran bestehen kann, dass der Arbeitnehmer in dieser Hinsicht nicht weniger schutzbedürftig sind als der Adressaten von AGB oder Verbraucher beim Abschluss von Verbrauchergeschäften215, so erscheint doch fraglich, ob Gesichtspunkte einer strukturell bedingten intellektuellen oder informationellen Unterlegenheit von Arbeitnehmern für die Auslegung der Reichweite der Unabdingbarkeit spezifisch arbeitsrechtlicher Normen herangezogen werden können216. Erforderlich wäre insoweit, dass auch diese Aspekte der Unterlegenheit – wie oben für jene einer wirtschaftlichen Unterlegenheit gezeigt – strukturell in den Spezifika des Arbeitsverhältnisses angelegt sind, Arbeitnehmer also typischerweise als intellektuell bzw. informationell unterlegen217 angesehen werden können218.
212 Vgl. dazu Thüsing, Gedanken zur Vertragsautonomie im Arbeitsrecht, FS Wiedemann, S. 559, 568 ff. 213 Insoweit kann man darüber streiten, ob die Verortung derartiger Störungen des Vertragsmechanismus beim Gedanken der auf Unterlegenheit beruhenden Einschränkung der materiellen Entscheidungsfreiheit zutreffend ist; vgl. dazu Thüsing, FS Wiedemann, S. 559, 569 ff.; krit. insoweit auch Schwarze, a. a. O., 96. 214 Vgl. M. Wolf, Entscheidungsfreiheit, S. 18. 215 Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, S. 237. 216 Vgl. Hanau, Freiheit und Gleichheit bei der Gestaltung des Arbeitsrechts, FS 600 Jahre Uni Köln, S. 183, 199; ablehnend insoweit Schwarze, a. a. O., 96.
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5. Kap.: Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung
1. Der Arbeitnehmer als typischerweise intellektuell unterlegene Arbeitsvertragspartei? Besonders prägnant formulierte Heckelmann im Zusammenhang mit dem Verzicht auf entstandene Lohnfortzahlungsansprüche nach § 9 LFZG, dass sich eine wirtschaftliche nachteilige Verzichtsvereinbarung des Arbeiternehmers ohne wirtschaftlichen Druck des Arbeitgebers überhaupt nur mit seiner Unkenntnis oder Ungeschicklichkeit erklären lasse219. Unter dem Gesichtspunkt des Schutzes eines Arbeitnehmers „vor sich selbst“, wie er bei § 4 TVG allgemein entwickelt worden sei, behalte die Unabdingbarkeit auch des fälligen Anspruchs ebenfalls ihren Sinn220. Versteht man die Formulierung Heckelmanns wörtlich, so läuft sie darauf hinaus, „dem Arbeitnehmer“ aufgrund einer angeblich seiner Spezies typischen, geistigen oder intellektuellen Unbeweglichkeit die grundsätzliche Fähigkeit zu Vereinbarungen über die Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses abzusprechen, „den Arbeitnehmer“ also aufgrund intellektueller Defizite für zumindest partiell weniger geschäftsfähig i. S. der §§ 104, 105 BGB zu halten als Nicht-Arbeitnehmer221. Ein derart despektierliches Menschenbild vom typischen Arbeitnehmer kann nicht unwidersprochen bleiben222. Es gibt keinen sachlich tragfähigen Grund, zwischen den intellektuellen Fähigkeiten von Arbeitnehmern und sonstigen Rechtspersönlichkeiten des BGB zu unterscheiden223. Der von Heckelmann vorgenommene Schluss 217 Eingehend zu diesen Begrifflichkeiten und ihrer rechtstheoretischen Verortung als Problem der Willensbildung Schwarze, Vorvertragliche Verständigungspflichten, S. 122 ff. 218 Vgl. dazu Gamillscheg, Grundrechte im Arbeitsrecht, AcP 164 (1964), 310, 412; F. Becker, Zur Inhaltskontrolle von Allgemeinen Arbeitsbedingungen, NJW 1973, 1913, 1914; M. Wolf, Inhaltskontrolle von Arbeitsverträgen, RdA 1988, 270, 272; Säcker, Gruppenautonomie, S. 88. 219 Heckelmann, Anm. zu BAG vom 11.6.1976 – 5 AZR 506/75 – SAE 1977, 257, 262; vgl. auch Renz, Die Saldoklausel und das Verzichtsproblem im schweizerischen Arbeitsrecht, S. 79, 85. 220 Heckelmann, ebenda; ähnlich auch Dorndorf, Anm. zu BAG vom 21.12.1972 – 5 AZR 319/72 – SAE 1974, S. 115, 117 f. 221 Mit diesem Ansatz zunächst auch Schwarze, Anm. zu LAG Hamburg vom 22.1.1992 – 2 Sa 16/92 – LAGE § 611 Aufhebungsvertrag Nr. 9, S. 33 ff.; von Schwarze nunmehr aufgegeben in Vorvertragliche Verständigungspflichten, S. 189, Fn. 352. 222 Dazu bereits oben, 3. Kapitel: C. II. 2.; vgl. dazu insb. Fastrich, Vom Menschenbild des Arbeitsrechts, FS Kissel, S. 193 ff.; Reuter, Gibt es eine arbeitsrechtliche Methode?, FS Hilger/Stumpf, S. 573, 577. 223 Vgl. insbesondere Fastrich, Vom Menschenbild des Arbeitsrechts, FS Kissel, S. 193 ff.; ders., Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, S. 83 (zur angeblichen intellektuellen Unterlegenheit gegenüber einem AGB-Verwender).
C. Die tatsächlichen Grundlagen des Unterlegenheitsparadigmas
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von der Nachteiligkeit einer Verzichtsvereinbarung hin zu deren Korrekturbedürftigkeit kennzeichnet sein Argument als im Kern paternalistisch224. Vom Gedanken der Kompensationsbedürftigkeit überlegener wirtschaftlicher Vertragsmacht unterscheidet es sich dadurch, dass es nicht an eine bewusste Inkaufnahme eines nachteiligen Ergebnisses infolge eingeschränkter materieller Entscheidungsfreiheit anknüpft, sondern den Arbeitnehmer vor ihm nicht bewussten Nachteilen schützen will. Insoweit zeigen sich hier gewisse Parallelen zu den Intentionen des verbraucherrechtlichen Überrumpelungsschutzes. Da und wenn man aber dem Arbeitnehmer – wie dem Verbraucher – nicht per se mangelnde intellektuelle Leistungsfähigkeit unterstellen kann, ist der paternalistische Schutzgedanke mit der ausschließlichen Anknüpfung an eine Personengruppe wie der der Arbeitnehmer unzutreffend verortet. Insbesondere kann er dann keine Rechtfertigung für den im Ausschluss der Verzichtsbefugnis liegenden partiellen Eingriff in die Geschäftsfähigkeit liefern. Eine partielle rechtssystematische Gleichbehandlung von Arbeitnehmern mit Minderjährigen oder Geisteskranken verbietet sich schon deshalb, weil er mit der Arbeitnehmereigenschaft ein grundsätzlich negatives Urteil über die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfähigkeit verbände. Mit dem Anspruch auf „Achtung und Würde seiner Person, der dem Arbeitnehmer als mündigem Menschen zukommt“, ist dies nicht vereinbar225. Soweit nicht die auf dem Gedanken des Schutzes zukünftiger Freiheiten aufbauende Rechtfertigung des freiheitsmaximierenden Paternalismus einen Ausschluss der Verzichtsbefugnis rechtfertigen kann, tragen im Rahmen der teleologischen Gesetzesauslegung paternalistische Erwägungen einen so schwerwiegenden Eingriff in die Vertragsfreiheit nicht226. Denkbar wäre insoweit allenfalls eine paternalistische Rechtfertigung rationalitätserhöhender Maßnahmen227 wie z. B. Formvorschriften, Zitiergebote oder Widerrufs224 Vgl. zur Abgrenzung paternalistischer und nicht-paternalistischer Regelungszwecke Enderlein, S. 467 ff. 225 So die etwas pathetische Formulierung des BAG vom 6.11.1958 – 2 AZR 354/55 – BAGE 7, 4, 16 f.; siehe auch unten 3. 226 Da dem deutschen Arbeitsrecht ein gesetzliche Ansprüche und Rechte betreffendes Verzichtsverbots fremd ist, bedarf es an dieser Stelle keiner Erörterung, ob der Gesetzgeber zum typisierenden Schutz vor den Auswirkungen einer intellektuellen Unterlegenheit „des Arbeitnehmers“ zu einem ausdrücklichen Verzichtsverbot – ggf. auch über die rechtliche und tatsächliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses hinaus – befugt wäre. Im schweizerischen Recht wird das unabdingbare arbeitsrechtliche Ansprüche betreffende Verzichtsverbot des Art. 341 Abs. 1 OR zum Teil mit derartigen Erwägungen teleologisch gerechtfertigt; vgl. dazu Renz, Die Saldoklausel und das Verzichtsproblem im schweizerischen Arbeitsrecht, S. 79, 85. 227 Vgl. Enderlein, S. 488 ff.
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5. Kap.: Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung
rechte, nicht aber der generelle Ausschluss der Verfügungsbefugnis durch ein Verzichtsverbot. 2. Der Arbeitnehmer als informationell unterlegene Partei? Besteht kein Anhaltspunkt für eine per se verminderte „arbeitsvertragsrechtliche Geschäftsfähigkeit“ von Arbeitnehmern, so scheint die Problematik von Ausgleichsquittungen zu einem wesentlichen Teil in einer situativ bedingten informationellen Unterlegenheit des Arbeitnehmers beim Abschluss derartiger Vereinbarungen zu bestehen228. Dorndorf führt dazu aus, die in der Situation typischerweise mangelnde Information des Arbeitnehmers über seine rechtlichen Möglichkeiten sei es, die begründete Zweifel wecke, ob die Vertragsfreiheit ihre Funktion erfülle229. Der Arbeitnehmer habe in der Situation, in der ihm eine Ausgleichsquittung vorgelegt werde, keine genügenden Informationsmöglichkeiten über deren rechtliche Folgen230. Wolle sich der Arbeitnehmer in dieser Situation rechtlich beraten lassen, so müsse er damit rechnen, dass der Arbeitgeber seine Arbeitspapiere, die er oft alsbald für eine neue Arbeitsstelle benötige, vorläufig nicht aushändige; er befinde sich deshalb in einer Drucksituation231. Hinzu komme, dass die schönfärberische Bezeichnung „Ausgleichsquittung“ geeignet sein könne, den Arbeitnehmer über ihren Verzichtscharakter zu täuschen; angesichts dieser üblichen Formulierung sei es schon fraglich, ob der Arbeitnehmer überhaupt auf den Gedanken komme, er schließe einen Vertrag ab232. Von Arbeitgeberseite würden überdies häufig formularmäßig vorbereitete Ausgleichsquittungen verwendet, der Arbeitgeber habe daher anders als der Arbeitnehmer regelmäßig Zeit und Gelegenheit, sich diesbezüglich juristisch beraten zu lassen233. Dorndorfs Argumentation enthält zwei Ebenen, die für eine kritische Würdigung auseinander gehalten werden müssen: Die einer durch eine Verzögerung der Abwicklung hervorgerufenen Drucksituation und die einer auf informationelle Unterlegenheit zurückzuführenden Übervorteilung durch Abschluss eines unbewusst nachteiligen Vertrages. 228
Dorndorf, Anm. zu BAG vom 21.12.1972 – 5 AZR 319/72 – SAE 1974, 115,
117 f. 229 230 231 232 233
Dorndorf, Dorndorf, Dorndorf, Dorndorf, Dorndorf,
ebenda. ebenda. ebenda. ebenda. ebenda.
C. Die tatsächlichen Grundlagen des Unterlegenheitsparadigmas
213
a) Informationsgefälle und informationelle Unterlegenheit Der oft schlagwortartig verwendete Begriff der „informationellen Unterlegenheit“ bedarf vorab einer Klarstellung: Ein Informationsgefälle zwischen den Parteien über rechtlichen Gehalt und Konsequenzen eines Vertrages ist für sich genommen kein geeigneter Anknüpfungspunkt für eine Rechtfertigung von Eingriffen in die Vertragsfreiheit234. Dies entspricht dem Grundgedanken einer dem Selbstbestimmungsprinzip immanenten Selbstverantwortung235, die grundsätzlich eben auch die Verpflichtung beinhaltet, die für die wohlverstandene Wahrung der eigenen Interessen objektiv erforderlichen Anstrengungen zum Einholen von Informationen zu unternehmen236. Unter Beachtung dieser Grundwertung kann ein Schutz der informationsbedürftigen Partei vor informationeller Imparität und ihren Folgen erst dann gerechtfertigt werden, wenn die Wahrnehmung der ihr obliegenden Pflicht zur Einholung der für notwendig erachteten Informationen über Gehalt und Konsequenzen des Vertragsschlusses unter den tatsächlichen und wirtschaftlichen Gegebenheiten auf unüberwindliche – oder doch zumindest unzumutbare Schwierigkeiten – stößt. Erst dann erscheint ein Informationsgefälle kompensationsbedürftig bzw. ein kompensatorischer Eingriff in die Vertragsfreiheit legitimierbar. Abgrenzungskriterien können insoweit sein, ob der eigene Informationsbedarf überhaupt erkannt wurde bzw. bei zumutbarer Sorgfalt erkennbar war, oder ob das Einholen von Informationen aus besonderen Gründen unzumutbar war. Beiden Konstellationen haftet für sich genommen nichts spezifisch Arbeitsrechtliches an. Sie kommen in gleicher Weise im allgemeinen Zivilrecht beispielsweise bei der Verwendung allgemeiner Geschäftsbedingungen oder bei den Haustürgeschäften des Verbraucherrechts vor. Eine gewisse Aufweichung des Grundsatzes der informationellen Selbstverantwortung scheint auf den ersten Blick hinsichtlich der rechtlichen Kontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen vorzuliegen237. Aber auch dort ist bei näherer Betrachtung nicht das bloße Informationsgefälle zwischen AGB-Verwender und Adressat als eigentlicher Schutzgrund anzusehen. Erst das Hinzutreten weiterer Umstände erklärt den AGB-spezifischen Schutzbedarf238. Niemand, auch nicht der AGB-geschulte Jurist, ist faktisch234 Ausführlich Schwarze, Vorvertragliche Verständigungspflichten, S. 140 ff.; missverständlich Thüsing, FS Wiedemann, S. 559, 572. 235 Vgl. eingehend Flume, Rechtsgeschäft, § 8 (4), S. 61 f.; H. Hübner, Rechtsgeschäftslehre und Verbraucherschutz, FS B. Börner, S. 717, 720 ff. 236 Schwarze, Vorvertragliche Verständigungspflichten, S. 21. 237 Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, S. 83 ff.
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5. Kap.: Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung
organisatorisch in der Lage, vor jedem Vertragsabschluss zu prüfen, ob239 und mit welchem Inhalt von der anderen Seite Allgemeine Geschäftsbedingungen in den Vertrag einbezogen wurden, um gegebenenfalls vom Vertragsschluss abzusehen240. Hinzu kommen ökonomische Gründe: Die Anforderungen an die Selbstverantwortung wären überspannt, wollte man dem Rechtsverkehr bei alltäglichen Geschäften von geringer wirtschaftlicher Bedeutung wie beispielsweise dem gelegentlichen Besuch eines innerstädtischen Parkhauses zumuten, Haftungsbedingungen unterschiedlicher Anbieter auf ihre Akzeptabilität zu überprüfen241. Der kursorische Seitenblick auf Schutzgründe des AGB-Rechts verdeutlicht insoweit, dass auch dort nicht allein das Vorliegen eines Informationsgefälles zwischen den Vertragsparteien die Rechtfertigung für den Eingriff in die Vertragsfreiheit durch AGBKontrolle liefert, erst das Hinzutreten weiterer Umstände macht den Schutzbedarf gegenüber dem AGB-Verwender aus. Zutreffender ist daher, erst dann von informationeller Unterlegenheit zu sprechen, wenn weitergehend auch eine Unfähigkeit zur Einschätzung des eigenen Informationsbedarfs vorliegt242. Eine derartige Unfähigkeit kann zum einen aus einer grundsätzlich mangelnden intellektuellen Leistungsfähigkeit ableitbar sein243, zum anderen mögen situative Momente wie Überrumpelung dazu führen können, dass Menschen typischerweise nicht in der Lage sind, ein vorhandenes Informationsdefizit zu erkennen und ihr Verhalten daran auszurichten, d.h. sich zu informieren244. Nur der zweite Aspekt der Dorndorf’schen Argumentation, wonach es zweifelhaft sein soll, ob dem Arbeitnehmer bei Abschluss einer Ausgleichsquittung überhaupt das Bewusstsein unterstellt werden könne, dass seine Erklärung rechtsgeschäftlichen Charakter habe, kann deshalb m. E. zutreffend mit dem Begriff der informationellen Unterlegenheit gekennzeichnet werden.
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Eingehend Enderlein, S. 251 ff. Schon die Diskrepanz zwischen der Einbeziehungsregelung des § 305 Abs. 2 Nr. 1 BGB („deutlicher Aushang“) und der Realität erschließt sich demjenigen unschwer, der bei einem vorweihnachtlichen Einkaufsbummel durch die Kaufhäuser einer Großstadt versucht, deren AGB vor Vertragsabschluss zu Gesicht zu bekommen. Noch seltener dürfte realistischerweise eine Kenntnis der nach § 305a BGB einbezogenen ABG zu erwarten sein. 240 So auch Schwarze, Arbeitnehmerbegriff und Vertragstheorie, ZfA 2005, 81, 96. 241 Vgl. das Beispiel bei Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, S. 84. 242 So Schwarze, Vorvertragliche Verständigungspflichten, S. 159. 243 BAG vom 17.10.2000 – 3 AZR 605/99 – AP BGB § 611 Fürsorgepflicht Nr. 116 [unter II. 2. b) cc) (3) der Gründe]. 244 Thüsing, FS Wiedemann, S. 559, 572. 239
C. Die tatsächlichen Grundlagen des Unterlegenheitsparadigmas
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b) Spezifisch arbeitsrechtliche Aspekte informationeller Imparität bei Ausgleichsquittungen Auf der ersten Argumentationsebene Dorndorfs erkennt der Arbeitnehmer zwar, dass er rechtlichen Informations- oder Beratungsbedarf hat, er stellt sein erkanntes Informationsdefizit jedoch zur Vermeidung von Verzögerungen und daraus möglicherweise resultierenden Nachteilen hintan; er „weiß, dass er nichts weiß“, geht die vertragliche Bindung und das mit ihr verbundene Risiko selbst jedoch sehenden Auges ein. Es mag insoweit zwar ein erhebliches Informationsgefälle hinsichtlich der rechtlichen Konsequenzen des in Aussicht genommenen Vertrages zwischen den Parteien geben, für sich genommen ist dies jedoch noch nicht geeignet, einen Schutzbedarf der „schwächeren“ oder eben einfach nur nachlässigen Seite zu begründen245. Ihren arbeitsrechtlichen und nach Ansicht von Dorndorf ein Schutzbedürfnis auslösenden Aspekt gewinnt diese Konstellation erst durch die Berücksichtigung einer möglichen wirtschaftlichen Drucksituation durch Verzögerung der Abwicklung oder Behinderung des beruflichen Fortkommens bei der Aufnahme eines neuen Arbeitsverhältnisses246. Diese Annahmen fußen letztlich wiederum auf der ökonomisch-psychologisch begründeten These des arbeitsrechtlichen Unterlegenheitsparadigmas, der Arbeitnehmer befinde sich regelmäßig in einer Nötigungssituation, weil er befürchten müsse, der Arbeitgeber werde unkooperatives Verhalten seinerseits zum Anlass für Sanktionen nehmen247. Auf die rechtliche Relevanz derartiger Annahmen wird unten248 näher einzugehen sein; mit einer intellektuellen und/ oder informationellen Unterlegenheit des Arbeitnehmers hat dieser Argumentationsstrang jedoch nichts zu tun. c) „Echte“ informationelle Unterlegenheit Zu erörtern bleibt der zweite Aspekt der Argumentation Dorndorfs, die Gefahr einer situationsbedingten Übervorteilung des Arbeitnehmers infolge echter informationeller Unterlegenheit hinsichtlich des rechtlichen Gehalts der abgegebenen Erklärungen. Dass eine solche Gefahr nicht untypisch ist, erscheint für die bereits oben dargestellte Situation der Ausgleichsquittung ohne weiteres plausibel. Insbesondere werden Ausgleichsquittungen für gewöhnlich nicht im Einzelnen 245
Schwarze, Vorvertragliche Verständigungspflichten, S. 85 ff., 140 ff. Dorndorf, Anm. zu BAG vom 21.12.1972 – 5 AZR 319/72 – SAE 1974, S. 115, 118. 247 Dazu ausführlich oben, 5. Kapitel: C. I. 2. c) bb) (2). 248 Dazu unten, 5. Kapitel: E. I. 1. 246
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5. Kap.: Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung
zwischen den Parteien ausgehandelt, es scheint vielmehr eine gewisse Neigung zu erledigenden Gesamterklärungen zu bestehen, die alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis betreffen sollen. Das mag aus einer aus der Beendigungssituation erklärbaren „Schlussstrichmentalität“ auf beiden Seiten herrühren249. Die Nachteile einer generellen Erledigungsklausel treffen jedoch zumeist den Arbeitnehmer, da in dieser Situation typischerweise eher die Gefahr besteht, dass noch offene unübersichtliche Nebenansprüche des Arbeitnehmers aus dem Blick der Parteien geraten. Bedenklich erscheint die Aufbürdung des Risikos unbedachter und unerwünschter Nachteile einer Ausgleichsquittung auf den Arbeitnehmer auch deshalb, weil er zumeist vor Vorlage der in der Regel vom Arbeitgeber vorbereiteten Vereinbarung weder Anlass noch Gelegenheit hat, sich über deren nicht nur für den juristischen Laien unübersichtliche Rechtsfolgen zu informieren250. Dies gilt umso mehr, wenn man zusätzlich in den Blick nimmt, dass die potenziellen Auswirkungen einer Ausgleichsquittung für den Arbeitnehmer nicht auf den Verlust arbeitsrechtlicher Ansprüche beschränkt sind251. Die sozialrechtlichen Folgewirkungen einer Ausgleichsquittung können den Arbeitnehmer noch weit härter treffen252. So soll nach neuerer Rechtsprechung des Bundessozialgerichts der in einem Abwicklungsvertrag enthaltene Verzicht auf Erhebung einer Kündigungsschutzklage regelmäßig eine zwölfwöchige Sperrzeit nach § 144 Abs. 1 SGB III für den Bezug von Arbeitslosengeld auslösen253. Fraglich bleibt jedoch, ob der Schutz vor derartigen Gefahren vom Schutzbereich der Anordnung der Unabdingbarkeit umfasst ist, ob die Unabdingbarkeit arbeitsvertragsrechtlicher Rechte also auch den Schutz vor Übervorteilung infolge informationeller Defizite bezwecken soll. Sehr zwei249 Vgl. auch Renz, Die Saldoklausel und das Verzichtsproblem im schweizerischen Arbeitsrecht, S. 85. 250 Dorndorf, Anm. zu BAG vom 21.12.1972 – 5 AZR 319/72 – SAE 1974, 115, 117 f.; vgl. auch Herschel, Anm. zu BAG vom 6.7.1972 – 5 AZR 100/72 – AP TVG 1969 § 8 Nr. 1 [unter IV). 251 Das BAG beurteilt Hinweispflichten des Arbeitgebers hinsichtlich sozialrechtlicher Folgewirkungen im Grundsatz sehr restriktiv; vgl. BAG vom 10.3.1988 – 8 AZR 420/85 – NZA 1988, 837 ff. m. w. N.; es hat jedoch in einer neueren Entscheidung die Aufklärungspflichten des Arbeitgebers hinsichtlich der Auswirkungen eines Aufhebungsvertrages auf einen Versorgungsanspruch aus einer Zusatzversorgungskasse des öffentlichen Dienstes erheblich erweitert und der klagenden Arbeitnehmerin einen entsprechenden Schadensersatzanspruch zugebilligt, BAG vom 17.10.2000 – 3 AZR 605/99 – AP BGB § 611 Fürsorgepflicht Nr. 116 mit krit. Anm. von Rolfs. 252 Im Einzelnen zur Verzahnung arbeitsrechtlicher und sozialrechtlicher Folgen von Verzichtsvereinbarungen unten, 6. Kapitel: B. 253 BSG vom 18.12.2003 – B 11 AL 35/03 R – NZA 2004, 661.
C. Die tatsächlichen Grundlagen des Unterlegenheitsparadigmas
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felhaft ist insbesondere, ob daraus weiter auch eine extensive Auslegung der Unabdingbarkeitswirkung gerechtfertigt werden kann, die zum Ausschluss der Verzichtsbefugnis in Ausgleichsquittungen führt254. aa) Keine Verortung als Charakteristikum des Arbeitnehmers Will man den Ausschluss der Verzichtsbefugnis des Arbeitnehmers in Ausgleichsquittungen teleologisch aus einer typischerweise vorhandenen informationellen Unterlegenheit folgern, so sind dazu grundsätzlich zwei Begründungswege denkbar. Der erste entspricht dem der Unterstellung einer intellektuellen Unterlegenheit „des Arbeitnehmers“; es müsste davon ausgegangen werden, das Arbeitnehmer typischerweise intellektuell nicht in der Lage seien, eigene Informationsdefizite bei der Gestaltung bzw. Abwicklung des Arbeitsverhältnisses zu erkennen. Die Unzulässigkeit derartig generalisierender Annahmen ist bereits dargestellt worden255. bb) Situative Anknüpfung der Verzichtsbefugnis? Der zweite Begründungsweg würde eine situative Anknüpfung erfordern, die das Eintreten der Unabdingbarkeitswirkung etwa von einer situationsspezifischen Überrumpelungsgefahr wie beim Haustürgeschäft oder der Vorlage vorformulierter Allgemeiner Geschäftsbedingungen abhängig macht. Auf der tatsächlichen Ebene spricht hinsichtlich der typischen Situation bei Anschluss eines Abwicklungsvertrages manches für eine dem Verbraucheroder AGB-Recht tatsächlich vergleichbare, situationsbedingte informationelle Unterlegenheit256. 254 Dorndorf selbst bleibt in dieser Frage vage, er empfiehlt einerseits, das BAG möge auf „einwandfreiere Formulierungen“ von Ausgleichsquittungen drängen und zumindest bei vorformulierten Ausgleichsquittungen keine Gesamterklärungen zulassen. Andererseits stützt er sein Petitum für eine Unzulässigkeit des Verzichts auf entstandene Lohnfortzahlungsansprüche auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausschließlich auf die oben erörterte, angebliche Drucksituation des Arbeitnehmers in der Abwicklungsphase, die solange bestehen soll, wie noch andere Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis in Frage stehen, vgl. Anm. zu BAG vom 21.12.1972 – 5 AZR 319/72 – SAE 1974, 115, 118. 255 Dies schließt nicht prinzipiell aus, dass der Arbeitgeber bei einem erkannten oder aus den konkreten Umständen erkennbaren Informationsdefizit eines Arbeitnehmers heraus im Rahmen seiner allg. Fürsorgepflicht zur Erteilung von Auskünften verpflichtet sein kann; zu weitgehend insoweit aber wohl BAG vom 17.10.2000 – 3 AZR 605/99 – AP BGB § 611 Fürsorgepflicht Nr. 116 [unter II. 2 b) cc) und c) der Gründe] mit krit. Anm. von Rolfs. 256 Hümmerich, Alea iacta est – Aufhebungsvertrag kein Haustürgeschäft, NZA 2004, 809, 811.
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5. Kap.: Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung
Gleichwohl ist auch dieses Schutzbedürfnis bei den Normen des zwingenden Arbeitsvertragsrechts unzutreffend verortet. Die vorhandenen Unabdingbarkeitsnormen geben für eine derart situative Anknüpfung nichts her257. Anders als bei der wirtschaftlichen Unterlegenheit sind für die informationelle Unterlegenheit keine Mechanismen erkennbar, die in den Spezifika des Arbeitsverhältnisses begründet sind. Charakteristika der Arbeitnehmereigenschaft entfallen deshalb als Ansatzpunkt für eine Berücksichtigung der informationellen Unterlegenheit im Rahmen der teleologischen Auslegung. Es fehlt insoweit an einem teleologischen Sinnzusammenhang zwischen den auf die Arbeitnehmereigenschaft abstellenden Normen des Arbeitsvertragsrechts und einem nur aus der Vertragsschlusssituation bei Abschluss einer Ausgleichsvereinbarung begründbaren Überrumpelungsschutz258. Paternalistisch motivierte Schutzerwägungen, die die Gefahr von nachteiligen Entscheidungen aufgrund situativ bedingter Unkenntnis selbst als Schutzgrund nehmen, können in diesem Zusammenhang ebenfalls keine extensive Auslegung der Unabdingbarkeitswirkung rechtfertigen259. Wegen der im Zivilrecht geltenden anti-paternalistischen Grundwertung käme ein Ausschluss der Verzichtsbefugnis nur dann als verhältnismäßig in Betracht, wenn er dem Kriterium der Freiheitsmaximierung gerecht würde. Wie erörtert, wird dies mangels hinreichenden Zukunftsbezugs bei Verzichtsvereinbarungen anlässlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses in der Regel260 nicht der Fall sein. Eine situationsspezifische Gefahr kann insoweit keinen generellen Ausschluss der Verzichtsbefugnis rechtfertigen, allenfalls schwach-paternalistische Maßnahmen eines begrenzten rationalitätserhöhenden Schutzes wie Formvorschriften oder Widerrufsrechte erscheinen insoweit denkbar261. Die fehlende teleologische Verortbarkeit in den Spezifika von Arbeitsverhältnissen kennzeichnet den Schutz vor situativ bedingter informationeller Unterlegenheit als Aufgabe des allgemeinen Zivilrechts262. Das schließt nicht prinzipiell aus, dass sich daneben auch aus dem Gedanken der arbeits257 Damit ist jedoch noch nichts darüber gesagt, ob einem Schutzbedarf des Arbeitnehmers durch andere Schutzinstrumente wie z. B. einer Überprüfung der Ausgleichsquittung am Maßstab des § 307 BGB oder einem Widerrufsrecht nach § 312 BGB Rechnung getragen werden kann. Vgl. dazu unten, 7. Kapitel. 258 Vgl. Wank, Arbeitnehmer und Selbständige, S. 50 ff. 259 Vgl. zu paternalistischen Begründungstendenzen Heckelmann, Anm. zu BAG vom 11.6.1976 – 5 AZR 506/75 – SAE 1977, 257, 262 und die Ausführungen oben, 5. Kapitel: C. II. 2. a). 260 Vgl. zu den Ausnahmen oben, 4. Kapitel: B. III. 2. a). 261 Enderlein, S. 489; vgl. auch S. 68 ff. und S. 241 ff. 262 Vgl. auch Thüsing, FS Wiedemann, S. 559, 572.
C. Die tatsächlichen Grundlagen des Unterlegenheitsparadigmas
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rechtlichen Fürsorgepflicht besondere Hinweis- und Aufklärungspflichten herleiten lassen mögen, soweit aus besonderen Umständen ein erhöhtes Informationsbedürfnis des Arbeitnehmers resultiert263. An dieser Stelle kann dem jedoch nicht im Einzelnen nachgegangen werden. Für die hier interessierende Frage, ob eine informationelle Unterlegenheit des Arbeitnehmers hinsichtlich des Gehalts und der Konsequenzen von Verzichtsvereinbarungen eine extensive Auslegung des zwingenden Arbeitsvertragsrechts rechtfertigen kann, ist der Befund eindeutig: Der Schutz vor informationeller Unterlegenheit ist nicht Zweck und Aufgabe des zwingenden Arbeitsvertragsrechts264. Entsprechend kann die extensive Auslegung der Unabdingbarkeitswirkung nicht mit einer als typisch postulierten informationellen Unterlegenheit des Arbeitnehmers gerechtfertigt werden. Insoweit scheint zumindest im Ergebnis weitgehend Einigkeit zu bestehen. Soweit eine generelle Unverzichtbarkeit unabdingbarer Ansprüche in der Literatur propagiert wird, wird dies zumeist im Kern nicht mit dem Gedanken des Schutzes vor informationeller Unterlegenheit begründet. Paternalistische Erwägungen265, der Schutz auch vor nachwirkendem wirtschaftlichen Druck266 oder gesetzessystematische Argumente werden hier als letztlich tragend erachtet267. 3. Restriktive Auslegung von Ausgleichsquittungen als Schutz vor informationeller Unterlegenheit? Zwar hat es auch das Bundesarbeitsgericht bisher stets abgelehnt, aus den Gefahren einer unzulänglichen Information des Arbeitnehmers das Bedürfnis zu einer extensiven Auslegung der Unabdingbarkeitswirkung zu folgern268. Selbst weit weniger einschneidende Forderungen nach allgemeinen Aufklärungs- und Hinweispflichten des Arbeitgebers hat es unter Betonung des Prinzips der informationellen Selbstverantwortung zurückgewiesen,269 263 BAG vom 18.9.1984 – 3 AZR 118/82 – AP BetrAVG § 1 Zusatzversorgungskassen Nr. 6; BAG vom 13.11.1984 – 3 AZR 255/84 – BetrAVG § 1 Zusatzversorgungskassen Nr. 5; zu weitgehend BAG vom 17.10.2000 – 3 AZR 605/99 – AP BGB § 611 Fürsorgepflicht Nr. 116 mit krit. Anm. von Rolfs. 264 Schwarze, Arbeitnehmerbegriff und Vertragstheorie, ZfA 2005, 81, 96. 265 Vgl. insb. Heckelmann, a. a. O. 266 Vgl. Dorndorf, Anm. zu BAG vom 21.12.1972 – 5 AZR 319/72 – SAE 1974, 115, 118. 267 Trieschmann, Zum Verzicht des Arbeitnehmers auf unabdingbare gesetzliche Ansprüche, RdA 1976, 68 ff. 268 Vgl. Schwarze, a. a. O., S. 96. 269 BAG, 10.3.1988 – 8 AZR 420/85 – NZA 1988, 837 ff.; anders allerdings zu Aufklärungspflichten hinsichtlich der Auswirkungen eines Aufhebungsvertrages auf
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5. Kap.: Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung
und im Grundsatz unwiderrufen sind seine wortgewaltigen Ausführungen dazu aus dem Jahre 1958270. „In der Mitte des 20. Jahrhunderts muss einem in einer modernen, hoch entwickelten Industriegesellschaft lebenden Arbeitnehmer zugemutet werden, sich die Rechtskenntnisse zu verschaffen, die er im Arbeitsleben für die Wahrnehmung seiner sozialen Sicherheit braucht. Ihm stehen hierfür sachkundige Instanzen und Organisationen, wie z. B. die Arbeitnehmervertretung in den einzelnen Betrieben und die Gewerkschaften, zur Verfügung. Eine Betrachtung, die es gestatten würde, sich in derartigen Fällen auf Rechtsunkenntnis zu berufen, ist sachfremd und unangebracht; eine solche Betrachtung würde dem Mitbestimmungsrecht, das die Rechtsordnung den Arbeitnehmern im Arbeitsleben einräumt, ebenso wenig vereinbar sein, wie mit der Achtung und Würde auf die der Arbeitnehmer als mündiger Mensch Anspruch erheben kann“.
Gleichwohl ignoriert das Bundesarbeitsgericht die Gefahr unbeabsichtigter Verzichtswirkungen speziell hinsichtlich unabdingbarer Ansprüche nicht. Es stellt bei Ausgleichsquittungen hinsichtlich unabdingbarer Ansprüche oder Rechte zum Teil271 strengere Anforderungen an die Feststellung eines rechtsgeschäftlichen Verzichtswillens als bei sonstigen Ansprüchen und wendet insoweit eine Art „Besonderen Bestimmtheitsgrundsatz“ an272. Allerdings ist es auch in soweit nicht immer konsequent. So fordert das Bundesarbeitsgericht in ständiger Rechtsprechung zwar für den als grundsätzlich zulässig angesehenen Verzicht auf fällige Entgeltfortzahlungsansprüche oder auf Kündigungsschutz in einer Ausgleichsquittung, dass ein solcher Verzicht aus Gründen der Rechtsklarheit in der Ausgleichsquittung unmittelbar zum Ausdruck kommen müsse; andernfalls könne der Ausgleichsquittung kein Verzichtswille entnommen werden273. Anders jedoch eine Zusatzversorgung BAG vom 17.10.2000 – 3 AZR 605/99 – AP BGB § 611 Fürsorgepflicht Nr. 116 [unter II. 2. b) cc) der Gründe]; vereinzelt geblieben LAG Hamburg vom 20.8.1992 – 2 Sa 16/92 – LAGE BGB § 611 Aufhebungsvertrag Nr. 9 und ArbG Wetzlar vom 7.8.1991 – 1 Ca 48/90 – DB 1991, 976 und ArbG Wetzlar vom 29.8.1995 – 1 Ca 273/95 – DB 1995, 2376 (Anfechtbarkeit des Aufhebungsvertrags nach § 123 BGB bei fehlendem Hinweis des Arbeitgebers auf Sperrzeit beim Arbeitslosengeld). 270 BAG vom 6.11.1958 – 2 AZR 354/55 – BAGE 7, 4, 16 f. Ähnlich auch BAG vom 26.7.1972 – 4 AZR 365/71 – AP MTB II § 4 Nr. 1; BAG vom 16.12.1959 – 4 AZR 392/57 – AP ZPO § 256 Nr. 25; BAG vom 6.7.1972 – 5 AZR 100/72 – AP TVG 1969 § 8 Nr. 1 [unter 3.] (mit krit. Anm. von Herschel); BAG vom 21.12.1972 – 5 AZR 319/72 – SAE 1974, S. 115 (zur Ausgleichsquittung mit Gesamterklärung); Schwarze, Vorvertragliche Verständigungspflichten, S. 150 Fn. 50. 271 Anders z. B. beim Verzicht auf Urlaubsansprüche, der grundsätzlich auch durch eine allgemeine Erledigungsklausel erfasst werden soll; vgl. BAG vom 20.1.1998 – 9 AZR 812/96 – AP BUrlG § 13 Nr. 45. 272 So Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, S. 237; vgl. auch Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht § 26 I 3, S. 321; einen Überblick liefert Bauer, Arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge, IV., Rn. 389 ff. (S. 375 ff.).
C. Die tatsächlichen Grundlagen des Unterlegenheitsparadigmas
221
beim Verzicht auf Urlaubsabgeltungsansprüche, den das Bundesarbeitsgericht in ständiger Rechtsprechung für unzulässig hält, soweit er sich auf die Mindesturlaubsansprüche nach dem BUrlG bezieht. Dort hält es die in einem Aufhebungsvertrag enthaltene, allgemein formulierte Erledigungsklausel für hinreichend deutlich, um auch Abgeltungsansprüche hinsichtlich einzelvertraglich vereinbarter Urlaubsansprüche, die den gesetzlichen Urlaubsanspruch übersteigen, grundsätzlich zu erfassen274. Es besteht also offenbar eine Art Dialektik zwischen den Schutzinstrumenten „Bestimmtheitsgebot“ und „unabdingbarkeitsspezifische Unverzichtbarkeit“, die in der Praxis tendenziell die Auswirkung zeigt, an die Eindeutigkeit einer Verzichtsvereinbarung über grundsätzlich für unverzichtbar gehaltene unabdingbare Ansprüche geringere Anforderungen zu stellen als an eine solche über Ansprüche, die für grundsätzlich verzichtbar gehalten werden. Mit der vom Bundesarbeitsgericht mit Vehemenz vertretenen Position zur informationellen Selbstverantwortung des Arbeitnehmers ist dies schlechterdings unvereinbar. Ist man der Ansicht, dass von einem Arbeitnehmer wie von jedem Bürger grundsätzlich die Rechtskenntnis, bzw. die Kompetenz zu rechtzeitiger Einholung von Rechtsrat, verlangt werden kann, so bleibt kein Raum für eine einschränkende Auslegung des rechtsgeschäftlichen Verzichtswillens hinsichtlich einzelner Ansprüche. Wenn es in einer Ausgleichsquittung mit einer gebräuchlichen Formel ausdrücklich heißt, dass „alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung, gleich aus welchem Rechtsgrund“ erledigt sein sollen275, so ist diese Erklärung jedenfalls hinsichtlich ihres Umfangs276 eindeutig und damit einer einschränkenden Auslegung hinsichtlich einzelner Ansprüche nicht zugänglich. Das gilt zumindest für alle echten Ansprüche i. S. des § 194 Abs. 1 BGB277. Ein 273 BAG vom 20.8.1980 – 5 AZR 759/78 – AP LohnFG § 9 Nr. 3; BAG vom 29.6.1978 – 2 AZR 681/76 – AP KSchG 1969 § 4 Nr. 5 (zu II 2 der Gründe]; ähnlich auch für den Zeugnisanspruch BAG vom 16.9.1974 – 5 AZR/74 – AP BGB § 613 Nr. 9, ebenso LAGE Köln vom 17.6.1994 – 4 Sa 185/94 – LAGE BGB § 630 Nr. 22; anders noch (zum Lohnfortzahlungsanspruch) BAG vom 21.12.1972 – 5 AZR 319/72 – SAE 1974, S. 115 f. (mit Anm. Dorndorf); zustimmend auch Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, S. 495. 274 BAG vom 9.6.1998 – 9 AZR 43/97 AP BUrlG § 7 Nr. 23 [unter I 3. a) der Gründe]. 275 Vgl. zu entsprechenden Formulierungen Bauer, Arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge, IV., Rn. 378, 380 (S. 371 f.). 276 Zweifelhaft kann jedoch der rechtsvernichtende Charakter der so formulierten Klausel sein, vgl. dazu unten, 7. Kapitel: A. II. 1. 277 Zweifel bleiben insoweit, ob auch der Verzicht auf Erhebung der Kündigungsschutzklage als erfasst angesehen werden kann. Insoweit erscheint es nach dem allgemeinen Grundsatz, dass Verzichtserklärungen restriktiv auszulegen sind, richtig, einen Klageverzicht als von einer derartigen Klausel nicht erfasst anzusehen; weitergehend Preis, der einen Hinweis des Arbeitgebers als Wirksamkeitsvoraussetzung
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5. Kap.: Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung
besonderes Zitiergebot hinsichtlich des Verzichts auf einzelne unabdingbare Ansprüche wäre nur konsistent begründbar, wenn man in der Anordnung der Unabdingbarkeit letztlich doch auch eine den Schutz vor informationeller Unterlegenheit betreffende Komponente sähe. Andernfalls könnte die Unabdingbarkeit eines gesetzlichen Anspruchs des Arbeitsvertragsrechts keinen Anlass für Differenzierungen bei der Auslegung der Reichweite einer grundsätzlich zulässigen Verzichtsvereinbarung geben. Ein derartiger Präventivschutz vor informationeller Unterlegenheit durch die Hintertür kann aus der Anordnung der Unabdingbarkeit nicht systemkonform begründet werden Eine andere Frage ist demgegenüber, inwieweit die Rechtsnatur des Verzichts selbst grundsätzlich und allgemein eine restriktive Auslegung erfordert278. Da der Gläubiger durch einen Verzichtsvertrag eine Forderung oder ein Recht einbüßt, sind nach ganz herrschender und wohl richtiger Ansicht strengste Anforderungen an die Feststellung des Verzichtswillens, genauer des äußeren Erklärungstatbestandes des Verzichts, zu stellen. Weil ein Gläubiger grundsätzlich keinen Anlass hat, seine Rechte im Verzichtswege preiszugeben, darf ihm ein Verzichtswille niemals unterstellt werden, was insbesondere dazu führt, dass ein Verzicht durch konkludentes Handeln bei verbleibenden Restzweifeln am tatsächlichen Vorhandensein eines Verzichtswillens stets unwirksam sein dürfte279. Mit dem spezifischen Schutz durch zwingendes Arbeitsvertragsrecht hat diese allgemeine Auslegungsregel jedoch nichts zu tun. Sie gilt gleichermaßen für alle zivilrechtlichen Ansprüche und Rechte eines Gläubigers unabhängig von der Art des Rechtsgrundes und ist primär durch Verkehrsschutzerwägungen und nicht durch den Gedanken eines paternalistischen Schutzes vor sich selbst oder des Schutzes vor überlegener Vertragsmacht des Vertragspartners legitimiert. Da diese Frage jedoch nicht die grundsätzliche Befugnis des Arbeitnehmers zu einem Verzicht auf unabdingbare Ansprüche betrifft, kann dieses Problem an dieser Stelle letztlich nur angerissen, nicht aber weiter diskutiert werden280.
für einen Kündigungsschutzverzicht fordert, Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, S. 497; ablehnend gegenüber einer Hinweispflicht BAG vom 20.6.1985 – 2 AZR 427/84 – AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 33; BAG vom 3.5.1979 – 2 AZR 679/77 – AP Nr. 6 zu § 4 KSchG1969; BAG vom 20.8.1980 – 5 AZR 759/78 – AP Nr. 3 zu § 9 LohnFG [unter II 2e der Gründe]. 278 Vgl. dazu unten, 7. Kapitel A. 279 Allgemeine Ansicht, vgl. statt aller Staudinger – Rieble BGB § 397 Rn. 101, 104. 280 Einen Überblick über nicht unabdingbarkeitsspezifische Schutzinstrumente gibt das 7. Kapitel dieser Arbeit.
C. Die tatsächlichen Grundlagen des Unterlegenheitsparadigmas
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4. Zwischenergebnis Für die Auslegung der Reichweite der Unabdingbarkeit gesetzlicher Normen des Arbeitsvertragsrechts sind Aspekte einer intellektuellen oder informationellen Unterlegenheit des Arbeitnehmers nicht von Relevanz. Insbesondere kann die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfähigkeit eines Menschen nicht kraft seiner Arbeitnehmereigenschaft geringer als diejenige von Nicht-Arbeitnehmern geachtet werden. Ein Schutz durch zwingendes Arbeitsrecht kann deshalb nicht mit einer per se unterstellten intellektuellen Unterlegenheit dieser Personengruppe gerechtfertigt werden. Soweit informationelle Unterlegenheit in nicht-arbeitsrechtlichen Normen wie dem AGB-Recht oder dem Verbraucherrecht als Schutzgrund angesehen werden kann, erfolgt dies in Anknüpfung an Spezifika der jeweils typischen Vertragsschlusssituationen. Teleologischer Anknüpfungspunkt des zwingenden Arbeitsvertragsrechts ist jedoch allein die Arbeitnehmereigenschaft. Da und wenn aber die Arbeitnehmereigenschaft nicht den Schluss auf eine intellektuelle/informationelle Unterlegenheit des Arbeitnehmers an sich zulässt, können diese Aspekte auch im Arbeitsrecht allenfalls situativ berücksichtigt werden. Den zwingenden Normen des Arbeitsvertragsrechts fehlt insoweit jedoch ein situativer Anknüpfungspunkt; allein die Arbeitnehmereigenschaft steuert ihre Anwendung. Der Schutz vor im Einzelfall möglicher intellektueller/informationeller Unterlegenheit kann eine extensive Auslegung spezifisch arbeitsrechtlicher Unabdingbarkeit deshalb nicht rechtfertigen.
III. Fazit Der Befund einer strukturell verankerten Benachteiligung der ökonomischen Vertragsmacht der Arbeitnehmerseite bei Eingehung und Durchführung des Arbeitsverhältnisses kann nicht pauschal geleugnet werden. Die rechtliche Einigung der Arbeitsvertragsparteien ist sowohl bei Abschluss des Arbeitsvertrages als auch hinsichtlich abändernder oder rechtsvernichtender Vereinbarungen determiniert durch ein Geflecht komplexer Machtstrukturen wirtschaftlicher wie psychologischer Art, die in ihrer konkreten Ausgestaltung im Ergebnis in der Regel dazu führen, dass der Arbeitnehmer an der wirksamen Durchsetzung seiner rechtlichen Interessen zumindest behindert ist. Dies gilt im Grundsatz gleichermaßen für den Verzicht des Arbeitnehmers auf unabdingbare wie auch auf abdingbare Ansprüche und Rechte281. 281 Vgl. zur im deutschen Arbeitsrecht bisher kaum Frage, unter welchen Umständen der Verzicht auf abdingbare Ansprüche wegen wirtschaftlicher Unterlegen-
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5. Kap.: Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung
Fasst man das Resultat der sich aus der Gesamtheit dieser Machtbeziehungen ergebenden Beschränkungen der faktischen rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit des Arbeitnehmers unter dem Begriff der „wirtschaftlichen Unterlegenheit“ zusammen, so lässt sich zwar feststellen, dass der Arbeitnehmer infolge der strukturellen Gegebenheiten wohl typischerweise als wirtschaftlich unterlegene Partei des Arbeitsverhältnisses angesehen werden kann. Andererseits zeigt aber gerade die genauere Analyse der strukturellen Abhängigkeiten im Arbeitsverhältnis, dass insoweit keine starren Gesetzmäßigkeiten aufgestellt werden können. Diese Erkenntnis ist trivial für den Fall des vermögenden Arbeitnehmers, der dauerhaft nicht auf den Erwerb seines Lebensunterhalts durch abhängige Arbeit angewiesen ist und sich deshalb bei Vertragsschluss auch nicht auf ausbeuterische Arbeitsbedingungen einlassen wird. Hinsichtlich der hier primär interessierenden Frage der Zulässigkeit von Verzichtsvereinbarungen im laufenden Arbeitsverhältnis offenbart die Analyse der Machtstrukturen im bestehenden Arbeitsverhältnis jedoch ein weit höheres Maß an wechselseitigen Abhängigkeiten der Arbeitsvertragsparteien. Zwar wird man auch hier in der Regel das existenzielle Interesse des Arbeitnehmers an dem Erhalt und der gedeihlichen Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses und ein entsprechendes Einwirkungspotenzial des Arbeitgebers darauf als die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit dominierend ansehen können. Auch mag dies in der Regel ausreichen können, um Arbeitnehmer infolge tatsächlichen oder vermeintlichen wirtschaftlichen Drucks außerstande zu sehen, ein verschlechterndes Vertragsangebot bzw. einen Verzichtsvertrag gegenüber dem Arbeitnehmer offen abzulehnen. Es darf jedoch nicht verkannt werden, dass sowohl die Gefahr der Abwanderung besonders qualifizierter Arbeitnehmer mit entsprechenden Arbeitsplatzalternativen als auch die Möglichkeit von Arbeitnehmern zu informellen Sanktionen in Form von Arbeitszurückhaltung die strukturelle Überlegenheit des Arbeitgebers stark abmildern können. Das seit den späten zwanziger Jahren das Arbeitsvertragsrecht prägende Denkmuster von einer stets bestehenden wirtschaftlichen Unterlegenheit des Arbeitnehmers auch im bestehenden Arbeitsverhältnis kann sich deshalb im konkreten Arbeitsverhältnis durch eine Vielzahl von Parametern personellmarktspezifischer wie organisationspsychologischer Art als unzutreffend erweisen. Als für die Reichweite des durch gesetzliche Unabdingbarkeit vermittelten Verzichtsschutzes bedeutungslos konnten Aspekte einer intellektuellen oder informationellen Unterlegenheit des Arbeitnehmers ausgeschieden werheit des Arbeitnehmers konditionierungsbedürftig sein kann Köck, Grenzen der Zulässigkeit des Verzichts auf schon entstandene Arbeitnehmeransprüche, ZAS 1986, 73, 77 ff. (zum österreichischen Recht).
D. Relevanz wirtschaftlicher Unterlegenheit für die Verzichtsbefugnis
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den. Zwar mag insbesondere bei Ausgleichsquittungen in Aufhebungs- oder Abwicklungsverträgen eine Gefahr von unerwünschten oder unbedachten Verzichtswirkungen bestehen. Auch wird häufig ein erhebliches Informationsgefälle zwischen den Arbeitsvertragsparteien hinsichtlich des rechtlichen Gehalts und der Konsequenzen derartiger Vereinbarungen bestehen. Ein genereller Ausschluss der Vertragsfreiheit in Gestalt der Verzichtsfreiheit durch arbeitsrechtsspezifische Unabdingbarkeit kann so jedoch nicht legitimiert werden.
D. Die rechtliche Relevanz wirtschaftlicher Unterlegenheit für die Verzichtsbefugnis Die nähere Untersuchung hat gezeigt, dass die „wirtschaftliche Unterlegenheit“ des Arbeitnehmers kein stets gegebenes, unumstößliches Faktum, sondern allenfalls ein typischerweise gegebenes Charakteristikum des Arbeitsverhältnisses ist. Da und wenn wirtschaftliche Unterlegenheit aber nach wohl herrschender Meinung Hauptgrund für die Legitimation zwingenden Arbeitsvertragsrechts sein soll, ist weiter zu fragen, ob und wie dies bei der teleologischen Auslegung zwingenden Arbeitsvertragsrechts hinsichtlich der Verzichtbarkeit entstandener Rechte oder Ansprüche angemessen berücksichtigt werden kann. Ein wesentlicher Teilbereich des Unterlegenheitsparadigmas kann für die weitere Untersuchung mangels praktischer Relevanz im Normalarbeitsverhältnis282 für die Ergebnisfindung zunächst ausgeklammert werden: Da ein Vorausverzicht auf unabdingbare arbeitsvertragsrechtliche Ansprüche ohnehin in der Regel aus den bereits oben erörterten freiheitsmaximierend-paternalistischen Gründen nicht in Betracht kommen wird, fokussiert sich die Betrachtung hier auf die Frage, welche eigenständige Bedeutung das Paradigma der wirtschaftlichen Unterlegenheit für die rechtliche Bewertung eines nachträglichen Verzichts im laufenden Arbeitsverhältnis hat. Die wirtschaftliche Unterlegenheit des Arbeitssuchenden in der Arbeitsvertragsschlusssituation als eine zusätzlich denkbare Legitimation der zwingenden Wirkung arbeitsvertragsrechtlicher Normen soll damit nicht in Abrede gestellt werden, sie spielt aber für die hier primär interessierende Frage der unterlegenheitsspezifischen Rechtfertigung auch eines nachträglichen Verzichtsverbotes keine eigenständige Rolle283. 282
Zur Bedeutung der wirtschaftlichen Unterlegenheit des Arbeitssuchenden in Teilzeitarbeitsverhältnissen geringen Umfangs siehe unten, 6. Kapitel: A. II. 1. 283 Vgl. auch Renz, Die Saldoquittung und das Verzichtsverbot im schweizerischen Arbeitsrecht, S. 82.
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5. Kap.: Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung
Häufig ist zu beobachten, dass aus der paradigmatischen Vorstellung einer strukturell-wirtschaftlichen Unterlegenheit des Arbeitnehmers eine gewisse Neigung zu absoluten Folgerungen entspringt, die den Blick für eine am realen Schutzbedürfnis von Arbeitnehmer orientierte teleologische Auslegung des Arbeitsvertragsrechts verstellt. Dies mag an der interessenpolitischen Aufladung des Themas liegen, die das ihre zu einer gewissen Verflachung und Radikalisierung auch der rechtswissenschaftlichen Diskussion beiträgt284. Differenzierte Betrachtungen finden in dieser Gemengelage nur schwer Beachtung285. Andererseits scheinen sich hinter öffentlichen Forderungen nach einer so genannten „Flexibilisierung“ des Arbeitsrechts allzu häufig eher interessenpolitisch motivierte Ziele einer Zurückdrängung des als Bremse des konjunkturellen Wachstums wahrgenommenen Arbeitsrechts zu verbergen286 als auf differenzierte Analysen zurückgehende Vorschläge individuell oder betriebsspezifisch adäquater Regelungen287. Entsprechend heftig fallen die öffentlichen Reaktionen der Gewerkschaftsseite aus, wodurch im Kontext einer zunehmend gewerkschaftskritischen Öffentlichkeit wiederum leicht der Eindruck einer ideologisch motivierten und zementierten Besitzstandswahrung durch Arbeitnehmervertretungen entsteht. Das weitere Untersuchungsprogramm ist damit skizziert. Zunächst ist zu klären, ob und inwieweit der vorliegende Befund einer typischerweise, aber eben nicht stets, gegebenen wirtschaftlichen Unterlegenheit des Arbeitnehmers grundsätzlich geeignet ist, Eingriffe in die Verzichtsfreiheit rechtsdogmatisch zu rechtfertigen, um im Anschluss daran die Grenzen dieses Rechtfertigungsansatzes in einem der individuellen Selbstbestimmungs- bzw. Entscheidungsfreiheit verpflichteten Privatrechtssystem aufzuzeigen.
284 Der Eklat um die Abstimmung des 65. Deutschen Juristentages 2004 zur Ausgestaltung des Kündigungsschutzgesetzes mag dies illustrieren, vgl. dazu „Eklat beim Kündigungsschutz“, FAZ vom 24.9.2004. 285 Vgl. dazu bereits Hanau, Freiheit und Gleichheit bei der Gestaltung des Arbeitsrechts, FS 600 Jahre Uni Köln, S. 183, 194 ff.; vgl. insbesondere zur ökonomischen Analyse des Kündigungsschutzes auch Kübler, Investitionsanreize bei kurzfristigen Verträgen: Karrieresorgen und firmenspezifisches Humankapital, in: Ott/ Schäfer (Hrsg.), Ökonomische Analyse des Arbeitsrechts, S. 244 ff. 286 Dazu in kritischer Auseinandersetzung bereits Hanau, Freiheit und Gleichheit bei der Gestaltung des Arbeitsrechts, FS 600 Jahre Uni Köln, S. 183, 194 ff. 287 So kontrastiert die allfällige Forderung nach einer Zurückdrängung des Kündigungsschutzes, die u. a. in der Anhebung der Schwellenwerte des § 23 I KSchG bereits Niederschlag gefunden hat, auffällig mit den Ergebnissen der REGAM-Studie zu diesem Thema.
D. Relevanz wirtschaftlicher Unterlegenheit für die Verzichtsbefugnis
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I. Der Freiheitsgehalt der formellen Vertragsfreiheit Die Einordnung der rechtlichen Relevanz der wirtschaftlichen Unterlegenheit erfordert eine Rückbesinnung auf den vertragstheoretischen Ausgangspunkt der Untersuchung, das Prinzip der Privatautonomie und die Vertragsfreiheit als eine ihrer Ausprägungen288. Es bedarf deshalb einer Klärung des Verhältnisses von rechtlich-formaler zu faktisch-materialer Vertragsfreiheit289. Materielle Vertragsfreiheit, verstanden als die tatsächliche Fähigkeit zu autonomen rechtsgeschäftlichen Entscheidungen, kann hinsichtlich einer bestimmten vertraglichen Entscheidung nur dann bestehen, wenn insoweit auch die kompetentielle Vertragsfreiheit im rechtlich-formalen Sinne besteht290. Das Bestehen kompetentieller, rechtlich-formeller Vertragsfreiheit ist daher Grundvoraussetzung für die rechtliche Relevanz tatsächlicher Umstände eines Vertragsschlusses291. Geht man dagegen davon aus, der Gesetzgeber habe beispielsweise mit der Schaffung unabdingbaren Arbeitsvertragsrechts stets auch die Kompetenz der Arbeitsvertragsparteien zu jeglichen Dispositionen über diese Ansprüche und Rechte des Arbeitnehmers durch Vertrag rechtswirksam ausgeschlossen, so ist die Frage nach der rechtlichen Relevanz faktischer Vertragsschlussumstände von vornherein obsolet, es fehlt dann bereits an der grundsätzlichen rechtlichen Befugnis zu solchen Entscheidungen292. Formelle Vertragsfreiheit hat insofern einen materialen Gehalt, weil sie den Vertragsschließenden reale Handlungsfreiheit entsprechend ihrem Willen auch dann einräumt, wenn die faktischen Handlungsräume möglicherweise rechtlich unangemessen sind293. Jeder staatliche Eingriff in Privatautonomie und Vertragsfreiheit durch Gesetz beinhaltet deshalb die grundsätzliche Gefahr einer Degradierung des Bürgers zum Objekt staatlicher Fremdbestimmung294. Entsprechend ist jede pauschale Beschränkung der Verzichtsfreiheit zunächst einmal auch eine Beschränkung der Selbstbestimmungsfreiheit der Parteien, die bestimmendes Element der Privatautonomie wie auch der Vertragsfreiheit ist295. Privatautonomie kann deshalb als ein elementares Mittel für die selbstbestimmte, freie Entfaltung der Persönlichkeit begriffen wer288
Vgl. M. Wolf, Entscheidungsfreiheit, S. 19. Vgl. Canaris, Wandlungen des Schuldvertragsrechts – Tendenzen zu seiner Materialisierung, AcP 200 (2000), 273, 286. 290 Enderlein, S. 80 f. 291 Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, S. 298 ff. 292 Enderlein, a. a. O.; Hönn, a. a. O. 293 Hönn, a. a. O., S. 298. 294 Statt vieler Canaris, JZ 1987, 993, 994 f. 295 Allgemeine Ansicht, vgl. statt vieler M. Wolf, ebenda. 289
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5. Kap.: Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung
den296. Und Letzteres wiederum darf als ein Wert an sich angesehen werden, der keiner weiteren Rechtfertigung bedarf297. Für das Arbeitsrecht wird der prinzipielle Freiheitsgehalt formeller Vertragsfreiheit nicht zuletzt auch aus der rechtshistorischen Perspektive – der Entwicklung „von der Hörigkeit zum Arbeitsvertrag“298 – deutlich299. Arbeitnehmer und Arbeitgeber stehen sich bei Abschluss einer Verzichtsvereinbarung als formal gleiche Partner mit gleichen Rechten gegenüber. In der dem Einzelnen formal zugewiesenen Entscheidungsfreiheit ist deshalb neben dem (formalen) Freiheitsaspekt das Prinzip der formalen Gleichheit bestimmend300, welches wiederum anerkanntermaßen als ein „Kern der Gerechtigkeit“ angesehen werden kann301. In den gemeinsamen Grundwerten von (formaler) Freiheit und Gleichheit können nicht zuletzt deshalb auch die zentralen Berührungspunkte der Prinzipien von Privatautonomie und Demokratie gesehen werden302. Auf der Skepsis gegenüber der Existenz des objektiv Richtigen beruht maßgeblich die rechtspolitische Überzeugungskraft sowohl des demokratischen Prinzips als auch des Prinzips der Vertragsfreiheit303. Die dem Einzelnen übertragene Aufgabe, seine Interessen zu wahren und nach seiner subjektiven Wertung zu verfahren, wird nach dem individualistisch-freiheitlichen Verständnis unserer Rechtsordnung grundsätzlich dann am besten erfüllt, wenn die in Geltung gesetzten Rechtsfolgen seinem Willen entsprechen und seine Willensbildung störungsfrei erfolgt ist304. Formelle Vertragsfreiheit und Privatautonomie sind deshalb als Freiheitsgrundsätze im Rahmen der Rechtsordnung zu verstehen305, deren Einschränkung zwar nicht stets unmöglich, aber stets rechtfertigungsbedürftig ist. 296
Vgl. auch M. Wolf, Entscheidungsfreiheit, S. 20 ff. M. Wolf, Entscheidungsfreiheit, S. 20. 298 So der deutschsprachige Titel der rechtshistorischen und rechtsphilosophischen Untersuchung von Olea (1981), siehe auch das dortige Vorwort von Gamillscheg, S. 5. 299 Vgl. auch Rückert, „Frei“ und „sozial“: Arbeitsvertrags-Konzeptionen um 1900 zwischen Liberalismen und Sozialismen, ZfA 1992, 225 ff. 300 Rittner, Über den Vorrang des Privatrechts, FS Müller-Freienfels (1986), S. 509, 513; Canaris, Verstöße gegen das verfassungsrechtliche Übermaßverbot im Recht der Geschäftsfähigkeit und im Schadensersatzrecht, JZ 1987, 993, 994. 301 Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen, S. 40 unter Berufung auf die insoweit prägende Formulierung Radbruchs, Vorschule, S. 24. 302 Vgl. Canaris, JZ 1987, 993, 994 f. m. w. N.; Rittner, Über das Verhältnis von Vertrag und Wettbewerb, AcP 188 (1988), 101, 131 und BVerfG vom 27.2.1973 – 2 BvL 27/69 – BVerfGE 34, 307, 317. 303 Singer, a. a. O., m. w. N. 304 Singer, ebenda; vgl. auch M. Wolf, Entscheidungsfreiheit, S. 19. 305 Insoweit wohl allgemeine Meinung, vgl. Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 27 m. w. N.; vgl. auch BVerfG vom 19.10.1993 – 1 BvR 567, 297
D. Relevanz wirtschaftlicher Unterlegenheit für die Verzichtsbefugnis
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So einhellig die grundsätzliche Wertschätzung der Vertragsfreiheit jedenfalls im Zivilrecht ist306, so umstritten ist die hier interessierende Frage, wann eine Störung der Willensbildung – bzw. die typischerweise vorhandene Gefahr einer solchen – einen Eingriff in die formelle Vertragsfreiheit rechtfertigen kann. Damit ist eine der wohl ewigen Grundfragen des Vertragsrechts angesprochen und entsprechend umfangreich ist das dazu erschienene Schrifttum307 und die nicht selten von Missverständnissen befeuerte Diskussion, die durch die sog. Bürgschaftsentscheidung308 des Bundesverfassungsgerichts neu an Fahrt gewonnen hat309. Einseitig zwingendes Recht zum „Schutz des Schwächeren“310 konfligiert zum einen notwendigerweise mit dem im Gerechtigkeitsgedanken verankerten Prinzip der formalen Gleichheit der Vertragsparteien. Nicht so eindeutig fällt der Befund aus, wenn man das Grundelement der Freiheit in Betracht nimmt. Reduziert man die Betrachtung auch hier auf die nur formale Seite, so ist die durch zwingendes Recht hervorgerufene Konfliktlage evident: Die Parteien sollen insoweit an einer freien und (formal) einvernehmlichen vertraglichen Disposition gehindert werden, indem die Rechtsordnung diesen Vereinbarungen die Anerkennung und damit die Möglichkeit ihrer gerichtlichen Durchsetzung versagt. Versteht man Selbstbestimmungsfreiheit jedoch umfassender, nämlich als die tatsächliche Freiheit, unter mehreren Optionen ohne Angst vor Sanktionen frei wählen zu können, so wird deutlich, dass eine auf die (formale) Vertragsfreiheit beschränkte Betrachtung dann und insoweit nicht mehr durch den Wert der Selbstbestimmungsfreiheit legitimiert wird, wie die mit dem Vertrag zum Ausdruck gekommene Einigung der Parteien einer Seite faktisch oktroyiert worden ist; für die schwächere Seite also im materiellen Sinne Fremdbestimmung ist311. Da und wenn Vertragsfreiheit Ausdruck der Selbstbestimmungsfreiheit ist, muss sie sich auch aus der Perspektive der faktisch „schwächeren“ Seite als solche darstellen312. 1044/89 – BVerfGE 89, 214, 232; BVerfG vom 27.2.1973 – 2 BvL 27/69 – BVerfGE 34, 307, 317. 306 Zu der in der Geschichte der Arbeitrechtswissenschaft zeitweise vollzogenen Abkehr vom Primat der Vertragsfreiheit vgl. oben, 3. Kapitel: B. I. 307 Aus dem Bereich der neueren Habilitationsschriften sind hier exemplarisch die Arbeiten von Lorenz, Singer, Heinrich, Enderlein und Fastrich zu nennen. 308 BVerfG vom 19.10.1993 – 1 BvR 567, 1044/89 – BVerfGE 89, 214 ff. 309 Einen Überblick über die Diskussion der Bürgschaftsentscheidung in der Aufsatzliteratur liefert Rittner, Die gestörte Vertragsparität und das Bundesverfassungsgericht, NJW 1994, 3330 ff. 310 So der gleichnamige Titel der Schrift von Weitnauer (1975). 311 Vgl. statt vieler Flume, Rechtsgeschäft, § 1 7., S. 10. 312 Grundsätzlich gegen die Berücksichtigung von Aspekten eingeschränkter materieller Selbstbestimmungsfreiheit Heinrich, Formale Gleichheit und materiale Gerechtigkeit, S. 515 ff.
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5. Kap.: Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung
(Vertrags-)Freiheit muss jedenfalls im Sinne der Abschlussfreiheit immer auch die reale Freiheit der anderen Seite beinhalten313, einen Vertrag zu akzeptieren oder abzulehnen. Insoweit geht es gerade bei einer Verzichtsvereinbarung bezüglich gesetzlicher Arbeitnehmeransprüche um mehr als die Einschränkung der Durchsetzung inhaltlicher Gestaltungsmöglichkeiten durch faktische Umstände; es geht im Extremfall darum, den Erhalt gesetzlich vorgesehener Ansprüche und Rechte gegenüber dem faktisch einseitigen Zugriff des Arbeitgebers überhaupt abzusichern und damit faktisch um den Schutz der negativen Vertragsabschlussfreiheit des Arbeitnehmers314. Die Rechtsordnung zieht also nur die Konsequenz aus dem für die Anerkennung der Selbstbestimmung der Privatpersonen konstitutiven Konsensprinzip, wenn sie die Selbstbestimmungsfreiheit der einen Partei im Interesse der materiellen Selbstbestimmungsfreiheit der anderen begrenzt315. Der Primat der (formellen) Vertragsfreiheit wird deshalb durch einseitig zwingendes Arbeitsvertragsrecht nicht angetastet316, wenn und soweit die Beschränkung durch zwingende Schutzvorschriften auf gravierende Störfälle und besonders sensible, missbrauchsanfällige Vertragssituationen beschränkt bleibt317. Unzureichende faktisch-reale Wahlmöglichkeiten einer Vertragspartei können insoweit geeignet sein, Eingriffe in die rechtlich-for313 Die Anlehnung an den durch die Bürgerrechtsbewegung der in Auflösung begriffenen DDR zu Berühmtheit gelangten Satzes, wonach Freiheit immer auch die Freiheit des Andersdenkenden sei, verdeutlicht einmal mehr die Berührungspunkte der Prinzipien von Vertragsfreiheit und Demokratie. Die in der DDR verehrte Kommunistin Rosa Luxemburg kritisierte mit diesem Ausspruch nach der russischen Oktoberrevolution die Tendenz der Bolschewiki zur – vor allem auch innerparteilichen – Diktatur: „Freiheit nur für die Anhänger der Regierung, nur für Mitglieder einer Partei – mögen sie noch so zahlreich sein – ist keine Freiheit. Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden. Nicht wegen des Fanatismus der ‚Gerechtigkeit‘, sondern weil all das Belebende, Heilsame und Reinigende der politischen Freiheit an diesem Wesen hängt und seine Wirkung versagt, wenn die ‚Freiheit‘ zum Privilegium wird“, Rosa Luxemburg, Zur russischen Revolution, GW 4, S. 332, 359. 314 Diesen Aspekt verkennt Heinrich, wenn er sich zur Untermauerung der These, Vertragsfreiheit heiße nicht tatsächliche, ständige Wahlfreiheit für jedermann, auf die vermeintlich vergleichbare Situation im Recht der allg. Geschäftsbedingungen bezieht; a. a. O., S. 516. 315 So Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen, S. 44; Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 27, beide m. w. N.; vgl. insbesondere auch Flume, Rechtsgeschäft, § 1 6.a), S. 8: „Der Vertrag ist ‚richtig‘, weil und soweit er von der beiderseitigen Selbstbestimmung der Parteien getragen ist. Nur in Hinsicht auf die Art des Zusammenkommens des Vertrages, dass nämlich die vertragliche Regelung in der Selbstbestimmung der Vertragspartner geschieht, kann man von der Regelung des Vertrages sagen, dass sie ‚richtig‘ ist.“ Siehe zu diesem Gedanken auch oben, 5. Kapitel: B. 316 Enderlein, S. 94. 317 Vgl. Singer, a. a. O.
D. Relevanz wirtschaftlicher Unterlegenheit für die Verzichtsbefugnis
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male Vertragsfreiheit zum Schutz der Privatautonomie zivilrechtskonform zu begründen318, sie entheben diese Eingriffe jedoch nicht ihrer Begründungsbedürftigkeit319. Der formellen Vertragsfreiheit kommt auch dann ein Eigengewicht zu, wenn faktische Hindernisse die Wahlmöglichkeiten einer Seite einschränken320. So erkennt die Rechtsordnung grundsätzlich auch Willenserklärungen als wirksam an, die unter dem Eindruck einer widerrechtlichen Drohung i. S. des § 123 Abs. 1 BGB abgegeben werden; selbst unter dem Eindruck einer widerrechtlichen Drohung soll der unterlegenen Partei also die Wahlfreiheit verbleiben, sich dieser Drohung – kluger- oder unklugerweise – nicht zu beugen321. Prima facie erscheint es insofern inkonsistent, die vergleichsweise geringere Einwirkungsintensität der Mechanismen wirtschaftlicher Unterlegenheit auf die Selbstbestimmungsfreiheit des Arbeitnehmers per se schwerer zu gewichten als eine widerrechtliche Drohung322. Hinzu kommt, dass gerade in den Fällen einer wirtschaftlichen Übermacht einer Vertragspartei wenigstens die Möglichkeit besteht, dass die übermächtige Partei der anderen ihren Willen nicht aufzwingt. Dies mag zwar mehr oder weniger (un)wahrscheinlich sein, ist jedoch – gerade in persönlichen Nähebereichen wie dem Arbeitsverhältnis – nicht naturgesetzlich ausgeschlossen323. Das Beispiel Thüsings zum wechselseitigen Verzicht auf Entgeltfortzahlungsansprüche einerseits und krankheitsbedingter Kündigung andererseits mag das illustrieren324. Letztlich ist jeder Eingriff in die rechtlich-formale Vertragsfreiheit der Parteien auch ein Eingriff in die formelle Vertragsfreiheit der Partei, um deren Schutz willen er erfolgt. Die Gefahren einer zusätzlichen Entmündigung der Unterlegenen und Machtunterworfenen325 vom Staat als dritter Seite 318
M. Wolf, Entscheidungsfreiheit, S. 69 ff.; Hönn, Kompensation gestörter Vertragsparität, S. 299 f.; Singer, a. a. O.; Canaris, Wandlungen des Schuldvertragsrechts – Tendenzen zu seiner Materialisierung, AcP 200 (2000), 273, 286, 296; vgl. aus arbeitsrechtshistorischer Perspektive auch Rückert, „Frei“ und „sozial“: Arbeitsvertrags-Konzeptionen um 1900 zwischen Liberalismen und Sozialismen, ZfA 1992, 225, 285. 319 Enderlein, S. 94. 320 Enderlein, ebenda; zumindest missverständlich bei M. Wolf, Entscheidungsfreiheit, S. 69 ff. 321 Vgl. auch Enderlein, ebenda. 322 Näher zu diesem Aspekt 5. Kapitel: D. III. 1. 323 Enderlein, a. a. O. 324 Thüsing, Gedanken zur Vertragsautonomie im Arbeitsrecht, FS Wiedemann, S. 539, 540. 325 Vgl. dazu auch Hönn, Verständnis und Interpretation des Vertragsrechts im Lichte eines beweglichen Systems, in: Bydlinski u. a. (Hrsg.), Das bewegliche System, S. 87, 91.
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zeigen sich gerade in atypischen Konstellationen wie derjenigen von Thüsings Beispiel326. Selbst wenn die materielle Vertragsfreiheit der unterlegenen Partei eingeschränkt ist, ist ihre rechtlich-formelle Vertragsfreiheit als kompetentielle Freiheit deshalb nicht bedeutungslos327.
II. Die verfassungsrechtliche Problemperspektive Mit der Verortung von Vertragsfreiheit und Privatautonomie als Ausprägung der Selbstbestimmungsfreiheit wird die grundrechtliche Dimension des Problems offenbar328, die im Anschluss an zwei einschlägige Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts seit Anfang der neunziger Jahre auch im Zivilrecht heftig diskutiert wird. Die Flut des dazu erschienenen grundrechtsdogmatischen Schrifttums ist inzwischen derart unübersehbar329, dass es im Rahmen dieser Arbeit mit einer skizzenhaften, auf die Verzichtsproblematik fokussierten Einordnung des Problems sein Bewenden haben muss. 1. Grundrechtsdogmatische Einordnung Vertragsfreiheit ist verfassungsrechtlich über Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet330. Auch im Arbeitsrecht ist daher jede staatliche Einschränkung der 326
Vgl. Enderlein, a. a. O. Eingehend Höfling, Vertragsfreiheit, S. 40, 44. 328 Dazu eingehend Höfling, Vertragsfreiheit, S. 44 ff. 329 Zu nennen sind hier ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Canaris, Verfassungsund europarechtliche Aspekte der Vertragsfreiheit in der Privatrechtsgesellschaft, FS Lerche, S. 873–891; Dieterich, Grundgesetz und Privatautonomie im Arbeitsrecht, RdA 1995, 129–136; Fastrich, Inhaltskontrolle im Arbeitsrecht, RdA 1997, 65–80; Gressierer, Die Leistungsfähigkeit der Grundrechte im Arbeitsrecht – Ein Beitrag zur Privatautonomie im Arbeitsrecht, Diss. Uni Kassel 1999; Höfling, Vertragsfreiheit (1991); Leisner, Grundrechte und Privatrecht (1960); Nipperdey, Grundrechte und Privatrecht (1961); Oetker, Die Ausprägung der Grundrechte des Arbeitnehmers in der Arbeitsrechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland, RdA 2004, 8–19; Papier, Der verfassungsrechtliche Rahmen für Privatautonomie im Arbeitsrecht, RdA 1989, 137–144; Plander, Arbeitsrecht: Instrument zur Verwirklichung von Grundrechten der Arbeitnehmer, FS Gnade (1992); Rittner, Die gestörte Vertragsparität und das Bundesverfassungsgericht, NJW 1994, 3330–3331; Söllner, Der verfassungsrechtliche Rahmen für Privatautonomie im Arbeitsrecht, RdA 1989, 144–150; Söllner, Verfassungsrechtliche Aspekte des Arbeitsvertragsrechts, FS Stahlhacke, S. 519–527; Wiedemann, Anm. zu BVerfG, Beschluss v. 19.10.1993, JZ 1994, 411–413; Zöllner, Regelungsspielräume im Schuldvertragsrecht – Bemerkungen zur Grundrechtsanwendung im Privatrecht und zu den sogenannten Ungleichgewichtslagen, AcP 196 (1996), 1–36. Als Einstieg kann insoweit auf die konzise Darstellung Dieterichs im Erfurter Kommentar verwiesen werden. 330 ErfK - Dieterich GG Art. 2 Rn. 2 mit zahlreichen Nachweisen; abweichend sieht Papier die Gewährleistung der arbeitsvertragsrechtlichen Privatautonomie in 327
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Vertragsfreiheit – sei es durch zwingendes Arbeitsvertragsrecht, sei es durch dessen extensive Auslegung durch die Arbeitsgerichte als Teil staatlicher Gewalt – am Maßstab der verfassungsrechtlich garantierten allgemeinen Handlungsfreiheit zu messen und damit rechtfertigungsbedürftig331. Dies entspricht der klassischen Abwehrfunktion der Grundrechte gegenüber staatlichen Einmischungen in die Belange Privater332. Zwischen Privaten und damit in der Regel auch im Verhältnis Arbeitnehmer/Arbeitgeber können Grundrechte keine unmittelbaren Rechtswirkungen entfalten333. Als überwunden kann insoweit die Lehre von der unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte334 und die entsprechende langjährige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gelten335, die auch dem privaten Arbeitgeber unmittelbare Grundrechtsbindungen gegenüber dem Arbeitnehmer auferlegen wollte336. Anerkannt ist jedoch, dass sich der Auftrag der Grundrechte an die adressierten staatlichen Organe nicht in einem Gebot zur Nichteinmischung erschöpft337. Auch eine Verpflichtung zum aktiven Tätigwerden staatlicher Organe zum Schutz grundrechtlich geschützter Rechtspositionen der Bürger als Grundrechtsträger kann sich als verfassungsrechtlich geboten erweisen338. Grundrechte haben insoweit neben ihrer Abwehrfunktion auch eine Schutzfunktion, indem sie den Staat zu Schutzmaßnahmen vor dem Grundrechtsträger drohenden Gefahren auch und gerade dann verpflichten, wenn diese Gefahren von Privaten ausgehen339. Bezogen auf die mit vertraglichen Bindungen unter Privaten einhergehenden Gefahren heißt das, dass für den Art. 12 Abs. 1 GG verortet; Der verfassungsrechtliche Rahmen für Privatautonomie im Arbeitsrecht, RdA 1989, 137, 139. 331 ErfK - Dieterich GG Art. 2 Rn. 11 ff. und 27 ff. 332 ErfK - Dieterich GG Art. 2 Rn. 11 ff. 333 ErfK - Dieterich GG Einl. Rn. 16 ff. 334 Grundlegend Nipperdey, Grundrechte und Privatrecht (1961), vgl. aus jüngerer Zeit auch noch Gamillscheg, Die Grundrechte im Arbeitsrecht (1989), S. 25 ff. und 75 ff. 335 Vgl. dazu grundlegend BAG vom 10.11.1955 – 2 AZR 591/54 – BAGE 2, 221, 224 f.; aufgegeben in BAG vom 27.2.1985 – GS 1/84 – BAGE 122, 138 (beide zum Beschäftigungsanspruch). 336 ErfK - Dieterich GG Einl. Rn. 19. 337 ErfK - Dieterich GG Einl. Rn. 18. 338 ErfK - Dieterich GG Art. 2 Rn. 27 f.; BVerfG vom 7.2.1990 – 1 BvR 26/84 – BVerfGE 81, 242, 260 ff. 339 ErfK - Dieterich GG Einl. Rn. 18; vgl. aus der Rechtsprechung des BAG zuletzt BAG vom 19.1.2005 – 7 AZR 115/04 – www.bundesarbeitsgericht.de (siehe dort insbesondere Rn. 31 ff.) = DB 2005, 1171 f. (nur Kurztext); grundsätzlich gegen diesen Ansatz Zöllner, Regelungsspielräume im Schuldvertragsrecht, AcP 196 (1996), 1, 14 und passim.
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Staat gleichzeitig und nebeneinander sowohl ein Gebot als auch ein Verbot der Einmischung bzw. Nichteinmischung bestehen kann340. Der Staat (Legislative und Judikative) hat die widerstreitenden Positionen nach herrschendem Verständnis nach dem Prinzip der praktischen Konkordanz unter Beachtung von Übermaß- und Untermaßverboten einem angemessenen Ausgleich zuzuführen341, wobei ihm jedoch hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung ein grundsätzlich weiter Einschätzungsspielraum zukommt342. So soll der Gesetzgeber aus seinem grundrechtlichen Schutzauftrag grundsätzlich verpflichtet sein, Vorschriften zum Arbeitnehmerschutz zu erlassen, weil und obwohl er verpflichtet ist, die Vertragsfreiheit Privater zu garantieren343. Konkrete Anforderungen an Art und Reichweite dieses Schutzes lassen sich aus der Verfassung jedoch nicht unmittelbar ableiten. Allgemein anerkannt ist weiter, dass sich der umschriebene grundrechtliche Gestaltungsauftrag zwar primär, aber nicht ausschließlich an den Gesetzgeber richtet344. Den staatlichen Organen der Rechtspflege und damit auch den Arbeitsgerichten fließt aus dem grundrechtlichen Gestaltungsauftrag zwar keine eigene Eingriffskompetenz, wohl aber die Verpflichtung zur verfassungskonformen Anwendung und Auslegung der zivilrechtlichen Generalklauseln der §§ 138, 242 und 315 BGB wie des sonstigen einfachen Rechts im Rahmen des richterlichen Ermessensspielraums zu345. 2. Die Kontroverse um die Folgerungen aus Handelsvertreter- und Bürgschaftsentscheidung Obwohl die oben skizzierte verfassungsrechtliche Ausgangslage wohl schon seit Jahrzehnten als gesichertes Gemeingut der Grundrechtsdogmatik angesehen werden kann346, löste die sog. Bürgschaftsentscheidung347 Mitte der neunziger Jahre – wie etwas schwächer einige Jahre zuvor auch schon die sog. Handelsvertreterentscheidung348 – eine ungeahnte Welle der Empö340 Vgl. Höfling, Vertragsfreiheit, S. 53 m. w. N.; grundsätzlich gegen eine Anwendung der Schutzpflichtenlehre im vertraglichen Bereich Isensee/Kirchhof - Isensee V., § 11, Rn. 131. 341 Vgl. Canaris, Grundrechte und Privatrecht, AcP184 (1984), 201, 225 ff. 342 Vgl. ErfK - Dieterich GG Art 2 Rn. 28; BVerfG vom 19.10.1993 – 1 BvR 567, 1044/89 – BVerfGE 89, 214, 232; BVerfG vom 7.2.1990 – 1 BvR 26/84 – BVerfGE 81, 242, 254 ff. 343 Vgl. ErfK - Dieterich GG Art 2 Rn. 28. 344 ErfK - Dieterich GG Art. 2 Rn. 27 ff.; Höfling, Vertragsfreiheit, S. 54 f. 345 ErfK - Dieterich GG Einl. Rn. 43 und Art. 2 Rn. 30 ff.; Höfling, ebenda. 346 Vgl. statt vieler Stern, Staatsrecht III/1, S. 1572 ff. m. w. N. 347 BVerfG vom 19.10.1993 – 1 BvR 567, 1044/89 – BVerfGE 89, 214 ff. 348 BVerfG vom 7.2.1990 – 1 BvR 26/84 – BVerfGE 81, 242 ff.
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rung in Teilen des zivilrechtlichen Schrifttums aus349. Insbesondere der zweite (Teil-)Satz des Leitsatzes der Bürgschaftsentscheidung350 wurde als neue Generalklausel zur richterlichen Inhaltskontrolle im Sinne einer Kontrolle der „Richtigkeit“ des Vertrages und gleichbedeutend damit als Angriff auf die zivilrechtliche Vertragsfreiheit (fehl-)interpretiert351. Die Begründung der Entscheidung lässt derartige Schlüsse indes nicht zu352. So hat das Bundesverfassungsgericht sowohl in der Handelsvertreter- als auch in der Bürgschaftsentscheidungen ausdrücklich den Wert von Vertragsfreiheit und Privatautonomie als Strukturelement einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung hervorgehoben, der gerade darin seinen Ausdruck finde, dass die Vertragsparteien selbst bestimmen, wie ihre gegenläufigen Interessen angemessen auszugleichen sind353. Gerade weil das Bundesverfassungsgericht Privatautonomie als auf dem Prinzip der Selbstbestimmung beruhend ansieht, sieht es Schranken der Privatautonomie durch zwingendes Recht als unentbehrlich an, wenn und soweit die Bedingungen freier Selbstbestimmung tatsächlich nicht gegeben sind354. In beiden Entscheidungen benutzt das Bundesverfassungsgericht insoweit die gleiche, metaphorische zu verstehende Formulierung: „Hat einer der Vertragsteile ein so starkes Übergewicht, dass er die vertragliche Regelung faktisch einseitig durchsetzen kann, bewirkt dies für den anderen Vertragsteil Fremdbestimmung“355. 349 Polemisierend sah besonders Adomeit durch die Bürgschaftsentscheidung eine neue Generalklausel begründet, die dem gesamten Zivilrecht einen neuen Charakter aufzwinge, vom Reich der Privatautonomie wegführe in das Reich der Kontrolle, vgl. Adomeit, Die gestörte Vertragsparität – ein Trugbild, NJW 1994, 2467 ff.; differenzierter Zöllner, Regelungsspielräume im Schuldvertragsrecht, AcP 196 (1996), 1 ff. und umfassend auch Diederichsen, Das Bundesverfassungsgericht als oberstes Zivligericht, AcP 198 (1998), 171 ff.; vgl. auch die Entgegnung auf Adomeit von Rittner, NJW 1994, 3330 f.; kritisch zu Adomeit auch Dieterich, Grundgesetz und Privatautonomie im Arbeitsrecht, RdA 1995, 129, 133 (Fn. 28). 350 Im Wortlaut heißt es im Leitsatz: „Die Zivilgerichte müssen – insbesondere bei der Konkretisierung und Anwendung von Generalklauseln wie § 138 und § 242 BGB – die grundrechtliche Gewährleistung der Privatautonomie in Art. 2 Abs. 1 GG beachten. Daraus ergibt sich die Pflicht zur Inhaltskontrolle von Verträgen, die einen der beiden Vertragspartner ungewöhnlich stark belasten und das Ergebnis strukturell ungleicher Verhandlungsstärke sind.“ 351 Vgl. Adomeit, NJW 2467, 2468. 352 Vgl. dazu statt vieler die prägnante Entgegnung zu Adomeit von Rittner, a. a. O. 353 BVerfG vom 7.2.1990 – 1 BvR 26/84 – BVerfGE 81, 242, 254; BVerfG vom 19.10.1993 – 1 BvR 567, 1044/89 – BVerfGE 89, 214, 232. 354 Ebenda. 355 BVerfG vom 7.2.1990 – 1 BvR 26/84 – BVerfGE 81, 242, 255; BVerfG vom 19.10.1993 – 1 BvR 567, 1044/89 – BVerfGE 89, 214, 231 f.
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Die Kernaussage beider Entscheidungen kann deshalb m. E. in der Feststellung gesehen werden, dass es im Vertragsrecht Situationen gibt, in denen ein ausschließlich formelles Verständnis der Vertragsfreiheit nicht mit dem materiellen Freiheitsverständnis des Grundgesetzes in Einklang steht. Das grundgesetzliche Freiheitsverständnis soll die Zivilrechtsordnung also – unter von dieser im Einzelnen zu bestimmenden Umständen – auch jenseits der formellen Feststellung eines wirksamen Vertragsschlusses und seines Inhalts zur Achtung und Berücksichtung der materiell verstandenen Freiheit der Vertragsschließenden verpflichten356. Zugleich stellt das Bundesverfassungsgericht fest, dass das geltende Vertragsrecht dies ermöglicht und damit den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt357. Für die Zivilgerichte resultiert daraus die Pflicht, darauf zu achten, dass Verträge nicht als Mittel faktischer Fremdbestimmung dienen358, d.h. als faktisch einseitiges Herrschaftsinstrument und Machtmittel eingesetzt werden. Ein Verstoß gegen die grundrechtliche Gewährleistung der Privatautonomie soll deshalb dann in Betracht kommen, wenn das Problem „gestörter Vertragsparität“359 gar nicht gesehen oder seine Lösung mit untauglichen Mitteln versucht wird360. Anders gewendet: Es kann eine Verkennung der grundrechtlich gewährleisteten Privatautonomie darin liegen, dass sich ein Zivilgericht der Frage verschließt, „ob und inwieweit beide Vertragspartner über den Abschluss und den Inhalt des Vertrages tatsächlich frei entscheiden konnten“361. Als hoch problematisch erweist sich jedoch auch auf der verfassungsrechtlichen Ebene eine rechtlich operationable Bestimmung der grundrechtlich gewährten Mindestbedingungen tatsächlich freier Selbstbestimmung. Schon aus Gründen der Rechtssicherheit darf ein Vertrag nicht bei jeder „Störung des Verhandlungsgewichts“ nachträglich in Frage gestellt oder korrigiert werden362. Aus verfassungsrechtlicher Sicht kann es nur darum gehen, ob der grundrechtlich gebotene Mindestschutz der Selbstbestimmungsfreiheit gewahrt ist. Anerkannt ist insoweit die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers hinsichtlich entsprechender Gefährdungslagen und 356
BVerfG vom 19.10.1993 – 1 BvR 567, 1044/89 – BVerfGE 89, 214, 231 f. BVerfG, ebenda, S. 232 f. 358 BVerfG, ebenda, S. 234. 359 Zur Kritik an den vom BVerfG verwendeten Begrifflichkeiten vgl. unten Fn. 367. 360 BVerfG, a. a. O. 361 BVerfG vom 19.10.1993 – 1 BvR 567, 1044/89 – BVerfGE 89, 214, 231; vgl. auch BVerfG vom 7.2.1990 – 1 BvR 26/84 – BVerfGE 81, 242, 254 f., 260; vgl. zur grundsätzlichen Kritik an diesem Begründungmuster statt vieler Isensee, Vertragsfreiheit im Griff der Grundrechte, FS B. Großfeld, 485 ff. 362 BVerfG vom 19.10.1993 – 1 BvR 567, 1044/89 – BVerfGE 89, 214, 232. 357
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ein weiter Gestaltungsspielraum hinsichtlich Art und Intensität der gegebenenfalls darauf für erforderlich erachteten Reaktionen363. In der Handelsvertreterentscheidung hat das Bundesverfassungsgericht insoweit auf die Gesetzesbegründung364 zu der streitgegenständlichen Norm rekurriert365. Es konnte deshalb die Konsequenz ziehen, dass nicht nur die einfachgesetzliche Norm des § 90a Abs. 2 Satz 2 HGB a. F. wegen Verstoßes gegen Art. 12 Abs. 1 GG verfassungswidrig war. Weitergehend hat es den Gesetzgeber auch für verpflichtet gehalten, vertragliche Gestaltungen entsprechenden Inhalts zu unterbinden, da und wenn der Gesetzgeber Handelsvertreter ausweislich der Gesetzesbegründung ob ihrer in der Mehrzahl der Fälle gegebenen wirtschaftlichen Abhängigkeit vom Prinzipal wegen der Gefahr aufgezwungener benachteiligender vertraglicher Abreden für tatsächlich schutzbedürftig hält366. Mangels entsprechender Anhaltspunkte für eine entsprechende Wertentscheidung des Gesetzgebers hinsichtlich des bürgenden Angehörigen hat das Bundesverfassungsgericht in der Bürgschaftsentscheidung versucht, Indizien zu formulieren, um zur Abgrenzung von der Vielzahl denkbarer Fälle eines mehr oder weniger gestörten „Verhandlungsgleichgewichts“367, bzw. einer mehr oder weniger eingeschränkten materiell-tatsächlichen Selbstbestimmungsfreiheit, bei einem Vertragsschluss solche von grundrechtlicher Erheblichkeit zu kennzeichnen. Es bemüht zur weiteren Einschränkung 363
Zuletzt BVerfG vom 29.12.2004 – 1 BvR 2582/03/03, 1 BvR 2283/03, 1 BvR 2504/03 – NZA 2005, 153, 155 mit zahlreichen weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung des BVerfG; BVerfG vom 7.2.1990 – 1 BvR 26/84 – BVerfGE 81, 242, 255. 364 Das BVerfG rekurriert auf die Einschätzung des Gesetzgebers in der Begründung des Gesetzes zur Änderung des Handelsgesetzbuches (Recht der Handelsvertreter) vom 6. August 1953, BGBl. I, S. 771 in der BT-Drucks. 1/3856, S. 10 f. und S. 37 f. 365 Kritisch dazu Zöllner, Regelungsspielräume im Schuldvertragsrecht, AcP 196 (1996), 1, 10. 366 BVerfG vom 7.2.1990 – 1 BvR 26/84 – BVerfGE 81, 242, 260; kritisch zu diesem weiteren Schluss Zöllner, Regelungsspielräume im Schuldvertragsrecht, AcP 196 (1996), 1, 13. 367 Mit überzeugenden Argumenten hat Zöllner „die Redeweise von der Ungleichgewichtigkeit der Vertragspartner (Disparität, Imparität, gestörte Vertragsparität usw.)“ als bequeme, aber letztlich ungeeignete Argumentationsfigur für die Begründung von Einschränkungen der Vertragsfreiheit entlarvt, Zöllner, AcP 196 (1996), 1, 15 ff., 35. Demgegenüber sieht Zöllner zutreffend die entscheidende Voraussetzung für die Validität von Verträgen in einem hinreichenden Maß von Entscheidungsfreiheit der Partner, womit zur entscheidenden Frage wird, „welche Beeinträchtigungen der Entscheidungsfreiheit so relevant sind, dass sie Einfluss auf die Validität von vertraglichen Regelungen haben“, so Zöllner, a. a. O., S. 28. In der Sache ist damit für die notwendige Abgrenzung allerdings wenig gewonnen.
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dazu Attribute wie „typisierbar“ und „strukturell“368. Man mag darüber streiten, ob das gelungen ist369. Jedenfalls durfte und wollte das Bundesverfassungsgericht mit dem Leitsatz der Bürgschaftsentscheidung keinen verallgemeinerbaren, subsumtionsfähigen Zivilrechtstatbestand entwickeln370; seine Ausführungen bewegen sich auf der (grund-)rechtstheoretischen Ebene und bedürfen der Umsetzung in die zivilrechtliche Dogmatik371. Unzulässig ist also der Schluss, das Bundesverfassungsgericht habe dem Rechtsanwender mit diesen Kriterien mehr oder weniger subsumtionsfähige Tatbestandsmerkmale für die Beurteilung einer Fremdbestimmung an die Hand gegeben372. Ebenso unzulässig wäre aber auch der Schluss, ein aufgezwungener Vertrag, insbesondere ein aufgezwungener, einseitig benachteiligender Verzichtsvertrag, sei stets aus grundrechtlicher Sicht unproblematisch, solange er nicht „ungewöhnlich belastend“ im Sinne einer wirtschaftlichen Existenzgefährdung ist373. So mag das Kriterium der offensichtlichen wirtschaftlichen Überforderung durch einen altruistisch-einseitigen Vertrag im Bereich des Bürgschaftsrechts, insbesondere bei den Angehörigenbürgschaften, ein notwendiges und taugliches Indiz für die Abgrenzung einer grundrechtlich problematischen Fremdbestimmung bei Eingehung der Bürgschaft von der bloßen wirtschaftlichen Nachteiligkeit sein, die eine (unentgeltliche) Bürgschaft für den Bürgen per definitionem mit sich bringt374. Grundsätzlich kann es für den grundrechtlichen Schutz der Selbstbestimmungsfreiheit gegenüber ei368 Der Kernsatz der Bürgschaftsentscheidung lautet insoweit: „Handelt es sich jedoch um eine typisierbare Fallgestaltung, die eine strukturelle Unterlegenheit des einen Vertragsteils erkennen lässt, und sind die Folgen des Vertrages für den unterlegenen Vertragsteil ungewöhnlich belastend, so muss die Zivilrechtsordnung darauf reagieren und Korrekturen ermöglichen.“ BVerfG vom 19.10.1993 – 1 BvR 567, 1044/89 – BVerfGE 89, 214, 232 (Hervorhebungen vom Verfasser). 369 Zur Diskussion dieser von einigen Autoren quasi als Tatbestandsmerkmale angesehenen Formulierungen vgl. statt vieler Schwarze, Vorvertragliche Verständigungspflichten, S. 137 ff. m.w.N und Fastrich, Inhaltskontrolle im Arbeitsrecht, RdA 1997, 65, 71, der den Begriff der „strukturellen Unterlegenheit“ wohl zutreffend als eher metaphorisch für „das Versagen der Ordnungsfunktion der Privatautonomie in einem abgrenzbaren Bereich“ ansieht; ähnlich zuvor schon Rittner, Über das Verhältnis von Vertrag und Wettbewerb, AcP 188 (1988), 101, 131. 370 Dieterich, RdA 1995, 129, 133. 371 Fastrich, RdA 1997, 65, 67. 372 In diesem Sinne aber insb. Grün, Die Generalklauseln als Schutzinstrumente der Privatautonomie am Beispiel der Kreditmithaftung von vermögenslosen nahen Angehörigen, WM 1994, 713, 721. 373 Vgl. dazu Schwarze, Vorvertragliche Verständigungspflichten, S. 139 f.; ähnlich Fastrich, RdA 1997, 65, 71 und auch unten unter III. 2. 374 Vgl. dazu auch Fastrich, Inhaltskontrolle im Arbeitsrecht, RdA 1997, 65, 70.
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nem aufgezwungenen Vertrag jedoch nicht von Relevanz sein, ob ein solcher Vertrag auch wirtschaftlich existenzgefährdend ist oder nicht; der entscheidende Gesichtspunkt ist und bleibt der Schutz der Selbstbestimmungsfreiheit375. Eine Schwäche der Bürgschaftsentscheidung, und damit ein wesentlicher Anlass für den großen Widerhall, den sie im zivilrechtlichen Schrifttum gefunden hat, dürfte damit in der Unklarheit liegen, welche Teile der Begründung Anspruch auf Allgemeingültigkeit erheben und welche primär aus der Perspektive des Anlassfalls gewürdigt werden müssen376. Wohl zutreffend sieht Fastrich die über den Anlassfall hinausgehende Bedeutung der Bürgschaftsentscheidung wesentlich darin, dass das Bundesverfassungsgericht für die von ihm so bezeichneten Fälle der „strukturellen“ Unterlegenheit – und nur für diese – eine weitergehende, unterhalb der Eingriffsschwelle des § 138 BGB ansetzende Inhaltskontrolle gefordert habe377. Das Attribut „strukturell“ bildet in diesem Verständnis einen Gegenbegriff zu „lediglich individuell“ oder eben rein kasuell und bezeichnet nach Fastrich das „Versagen der Ordnungsfunktion der Privatautonomie in einem abgrenzbaren Bereich“378. Diese Interpretation der Verwendung des Attributs „strukturell“ ist nicht unangreifbar, solange man die Bürgschaftsentscheidung isoliert vor dem Hintergrund ihres Anlassfalls betrachtet379. Sie fügt sich jedoch nahtlos in die Argumentationslinie des Bundesverfassungsgerichts in der Handelsvertreterentscheidung, die in der – nach der insoweit bemühten „Ansicht des Gesetzgebers“ typischerweise gegebenen – wirtschaftlichen Unterlegenheit des Handelsvertreters einen tragfähigen Anlass für eine intensivierte Inhaltskontrolle sah380, und findet sich im Ansatz auch in zahlreichen anderen verfassungsgerichtlichen Entscheidungen mit arbeitsrechtlichem Kontext381.
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Eingehend Schwarze, a. a. O. In diesem Sinne auch Fastrich, RdA 1997, 65, 66. 377 Fastrich, RdA 1997, 65, 71. 378 Fastrich, ebenda. 379 Dazu Schwarze, a. a. O., S. 138 Fn. 82, der die Verwendung des Attributs „strukturell“ durch das BVerfG in der Bürgschaftsentscheidung im Sinne einer „evidenten“ Störung des Verhandlungsgleichgewichts im Einzelfall interpretiert. 380 BVerfG vom 7.2.1990 – 1 BvR 26/84 – BVerfGE 81, 242, 254 f., 260 f. 381 Zuletzt BVerfG vom 29.12.2004 – 1 BvR 2582/03/03, 1 BvR 2283/03, 1 BvR 2504/03 – NZA 2005, 153, 155; vgl. auch BVerfG vom 26.6.1991 – 1 BvR 779/85 – BVerfGE 84, 212, 229 f. und BVerfG vom 4.7.1995 – 1 BvF 2/86 und 1,2,3,4,/87 und 1 BvR 1421/86 – BVerfGE 92, 365, 395 ff. (beide zur Verhandlungsparität der Tarifparteien); BVerfG vom 27.2.1973 – 2 BvL 27/69 – BVerfGE 34, 307, 316 f. (Heimarbeitsausschüsse). 376
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3. Verfassungsrechtlicher Rahmen der Verzichtsfreiheit im Arbeitsvertragsrecht a) Verfassungsrechtliches Gebot zur Beschränkung der Verzichtsfreiheit? Das Bundesverfassungsgericht hatte bisher zwar mehrfach über die Verfassungsmäßigkeit vorhandener zwingender arbeitsvertragsrechtlicher Vorschriften zu entscheiden, jedoch zumindest nicht ausdrücklich über ein grundrechtlich gebotenes Mindestmaß der Reichweite der zwingenden Wirkung einer Norm des Arbeitsvertragsrechts. Es hat insoweit stets den auf dem Gebiet der Arbeitsmarkt-, Sozial- und Wirtschaftsordnung besonders weitgehenden Einschätzungs- und Prognosevorrang des Gesetzgebers betont382. Expressis verbis heißt es in der Handelsvertreterentscheidung, der Verfassung lasse sich nicht unmittelbar entnehmen, wann „Ungleichgewichtslagen“383 so schwer wiegen, dass die Vertragsfreiheit durch zwingendes Gesetzesrecht begrenzt oder ergänzt werden müsse384. Deutlich unmittelbarer greift das Bundesarbeitsgericht zur Begründung zwingenden Arbeitsrechts auf verfassungsrechtliche Erwägungen zurück385: „Aus der Schutzpflichtfunktion des Grundrechts ergibt sich (jedoch) die Verpflichtung der staatlichen Grundrechtsadressaten, einzelne Grundrechtsträger vor einer unverhältnismäßigen Beschränkung ihrer Grundrechte durch privatautonome Regelungen zu bewahren. Deshalb ist im Bereich des arbeitsvertraglichen Bestandsschutzes ein staatlicher Mindestschutz unverzichtbar. Bei der Beendigung von Arbeitsverhältnissen aufgrund einseitiger Gestaltungserklärung des Arbeitgebers hat der Gesetzgeber dieser Schutzpflicht durch die zwingenden Kündigungsschutzvorschriften Rechnung getragen. Bei der Befristung von Arbeitsverträgen schützen seit dem 1. Januar 2001 die Bestimmungen des TzBfG vor einer unangemessenen Beeinträchtigung des Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 GG. Für die Zeit davor übernahmen den Schutz die von der Rechtsprechung zur arbeitsgerichtlichen Befristungskontrolle entwickelten Grundsätze. Deren Aufgabe ist es, den Arbeitnehmer vor einem grundlosen, den staatlichen Kündigungsschutz umgehenden Verlust des Arbeitsplatzes zu schützen und einen angemessenen Ausgleich der kollidierenden Grundrechtspositionen der Arbeitsvertragsparteien zu finden. Durch den Verzicht auf eine Befristungskontrolle würde dem Arbeitnehmer jeglicher Bestandsschutz entzogen. Dies wäre mit der Schutzpflichtfunktion des Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 GG nicht vereinbar.“
Ganz so apodiktisch, wie der oben zitierte Satz aus der Handelsvertreterentscheidung vermuten lassen könnte, hat sich aber auch das Bundesverfas382 So zuletzt BVerfG vom 29.12.2004 – 1 BvR 2582/03, 1 BvR 2283/03, 1 BvR 2504/03 – NZA 2005, 153, 154 m.w. Rechtsprechungsnachweisen. 383 Zur Begriffskritik vgl. Fn. 367. 384 BVerfG vom 7.2.1990 – 1 BvR 26/84 – BVerfGE 81, 242, 254 f., 255. 385 BAG vom 19.1.2005 – 7 AZR 115/04 – www.bundesarbeitsgericht.de (siehe dort insbesondere Rn. 31 ff.) = DB 2005, 1171 f. (nur Kurztext).
D. Relevanz wirtschaftlicher Unterlegenheit für die Verzichtsbefugnis
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sungsgericht gerade dort nicht unmittelbarer verfassungsrechtlicher Folgerungen für die Ausgestaltung und Auslegung des Zivilrechts enthalten. Über den Umweg der in den Begründungserwägungen niedergelegten Einschätzungen der Sachlage durch den Gesetzgeber kommt es zu einem aus einer typisierenden Unterlegenheitsannahme resultierenden grundrechtlichen Handlungsgebot des Staates zur Unterbindung der vertraglichen Vereinbarung eines entschädigungslosen nachvertraglichen Wettbewerbsverbots386. Zwar adressiert es insoweit primär den Gesetzgeber, es ist jedoch der Ansicht, auch der Richter müsse diese Einschätzung bei der Auslegung und Anwendung der gesetzlichen Vorschriften beachten387. Das Bundesverfassungsgericht entnimmt also der typisierenden Annahme der wirtschaftlichen Unterlegenheit von Handelsvertretern, die der Gesetzgeber in der Begründung zum Handelsvertretergesetz von 1953 getroffen habe, eine aus Art. 12 Abs. 1 GG herzuleitende, auslegungsleitende Wirkung des Grundrechts bei der Anwendung des § 90a HGB durch den Richter388. Dieselbe Tendenz findet sich – bei allem Streit über deren Würdigung im Einzelnen – in der über den Anlassfall weit hinausgehenden Begründung der Bürgschaftsentscheidung. Man wird deshalb in Fortschreibung des Gedankens der Handelsvertreterentscheidung annehmen dürfen, dass das Bundesverfassungsgericht auch aus Art. 2 Abs. 1 GG eine Kontrollbedürftigkeit von Vertragsverhältnissen herleiten würde, in denen nach allgemeiner Einschätzung des Gesetzgebers (nur) bei typisierender Betrachtung eine wirtschaftliche Ungleichgewichtslage besteht389. Bezogen auf die Problematik des nachträglichen Verzichts des Arbeitnehmers auf arbeitsvertragsrechtliche Ansprüche oder Rechte lässt sich m. E. daraus der Schluss ziehen, dass eine zivilrechtliche Würdigung von Verzichtsvereinbarungen, die auf den Aspekt einer wegen wirtschaftlicher Abhängigkeit eingeschränkten negativen Entscheidungsfreiheit prinzipiell keine Rücksicht nimmt, dem verfassungsrechtlichen Untermaßverbot390 nicht gerecht wird. So scheint das Bundesverfassungsgericht den Arbeitnehmer zum einen gleichsam als Prototyp für den Gedanken der typisierbaren Unterlegenheit einer Vertragsseite anzusehen391. Zum anderen zieht sich 386 Kritisch zum Ansatz des BVerfG insb. Isensee/Kirchhof - Isensee Bd. V § 111 Rn. 130 f. 387 BVerfG vom 7.2.1990 – 1 BvR 26/84 – BVerfGE 81, 242, 254 f., 255. 388 BVerfG vom 7.2.1990 – 1 BvR 26/84 – BVerfGE 81, 242, 254 f., 260; kritisch dazu Zöllner, AcP 196 (1996), 1, 10. 389 So (mit kritischer Absicht) Zöllner, ebenda; im Ergebnis ähnlich Fastrich, RdA 1997, 65, 72; Dieterich, RdA 1995, 129, 134. 390 Zur Begriffsbildung Dieterich, ebenda. 391 Vgl. zuletzt BVerfG vom 29.12.2004 – 1 BvR 2582/03, 1 BvR 2283/03, 1 BvR 2504/03 – NZA 2005, 153, 154 m. w. N.
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5. Kap.: Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung
diese Vorstellung auch wie ein roter Faden durch die historische Entwicklung des modernen Arbeitsrechts, nicht zuletzt auch des zwingenden Arbeitsvertragsrechts. Die insoweit vertretenen Radikalpositionen392, die die Reichweite der Unabdingbarkeit arbeitsvertraglicher Ansprüche und Rechte prinzipiell und ausschließlich durch die Fälligkeit dieser Ansprüche begrenzt sehen, dürften sich vor diesem Hintergrund als verfassungsrechtlich problematisch erweisen. Konkretere Folgerungen für die verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen an die Reichweite der Unabdingbarkeitswirkung werden sich aus den vom Bundesverfassungsgericht insoweit aufgestellten Mindestanforderungen jedoch nicht unmittelbar ableiten lassen. Es bleibt in einem weiten Rahmen der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers überlassen, ob und inwieweit er zwingendes Arbeitsvertragsrecht für notwendig erachtet. Schon deshalb wird man jene Vorschriften des Arbeitsvertragsrechts nicht ohne weiteres für verfassungswidrig halten dürfen, die eine Begrenzung der Unabdingbarkeitswirkung auf noch nicht entstandene oder fällige Ansprüche oder Rechte ausdrücklich vorsehen und damit einer extensiven teleologischen Auslegung durch den Richter nicht zugänglich sind. Hier bleibt aus richterlicher Perspektive für die Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Mindestanforderungen nur der Weg über die zivilrechtlichen Generalklauseln. Und der muss schon im Interesse der Rechtssicherheit auf Situationen beschränkt bleiben, in denen im Einzelfall eine erhebliche Einschränkung der materiellen rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit aus den konkreten Umständen des Vertragsschlusses und den ruinösen wirtschaftlichen Auswirkungen der Verzichtsvereinbarung evident wird. Das wird bei arbeitsrechtlichen Verzichtsvereinbarungen über gesetzliche Nebenleistungsansprüche oder entstandene Rechte des Arbeitnehmers nur in seltenen Ausnahmen der Fall sein393. Führt der Gesetzgeber jedoch zwingende arbeitsvertragsrechtliche Vorschriften ein, ohne die zwingende Wirkung zeitlich zu begrenzen, so muss angesichts der historischen Entwicklung des Arbeitsrechts davon ausgegangen werden, dass er dies zumindest auch vor dem Hintergrund einer typisierbaren Unterlegenheitsannahme getan hat. Nach der dargestellten Argumentation des Bundesverfassungsgerichts in der Handelsvertreterentscheidung wird man deshalb in diesen Fällen davon ausgehen dürfen, dass der Richter bei der gebotenen Abwägung der widerstreitenden Interessen im Hinblick auf mögliche Einschränkungen der materiellen Entscheidungsfrei392 Staudinger - Rieble BGB § 397 Rn. 197, 199, 201 und Geyer/Knorr/Krasney EFZG § 12 Rn. 17 ff. 393 Dazu näher im 5. Kapitel: D. III. 2.
D. Relevanz wirtschaftlicher Unterlegenheit für die Verzichtsbefugnis
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heit des Arbeitnehmers unter erleichterten Voraussetzungen die Schutzgebotsfunktion der Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 2 GG entscheidungsleitend werden lassen darf. Wie und in welchem Maße dies zu geschehen hat, bleibt dabei eine primär arbeitsrechtliche Frage. Insbesondere ist das Reaktionsinstrumentarium insoweit nicht auf die Anwendung der zivilrechtlichen Generalklauseln beschränkt394. Die Auslegung der Unabdingbarkeitsnormen des Arbeitsvertragsrechts ist als Reaktion auf typische Fallgestaltungen dabei m. E. sachangemessener als ein Rückgriff auf zivilrechtliche Generalklauseln. Die Bedeutung der verfassungsrechtlichen Perspektive der arbeitsvertragsrechtlichen Verzichtsproblematik liegt damit zunächst nur in einer zusätzlichen Legitimation der Berücksichtigung von Aspekten eingeschränkter materieller Entscheidungsfreiheit infolge wirtschaftlicher Unterlegenheit. Sie eröffnet damit in der Sache keinen weiteren Spielraum für die Korrektur vertraglicher Vereinbarungen der Arbeitsvertragsparteien als die Arbeitsgerichte ohnehin schon seit Jahrzehnten für sich beanspruchen. Das Bundesverfassungsgericht stellt lediglich klar, dass ein Mindestmaß an Berücksichtigung der tatsächlichen Umstände des Vertragsschlusses insbesondere in Konstellationen, die üblicherweise mit den Schlagwörtern Ungleichgewichtslage, Imparität, Unterlegenheit etc. umschrieben werden, aus verfassungsrechtlicher Sicht – genauer zum Schutz der grundrechtlich gewährleisteten Selbstbestimmungsfreiheit – geboten ist395. Es erteilt damit einer ausschließlich indeterministischen Sichtweise der rechtsgeschäftlichen Willensfreiheit eine Absage, ohne jedoch dem Zivilrecht ein konkretes Handlungsprogramm mitzugeben396. b) Verfassungsrechtliche Grenzen der Einschränkung der Verzichtsfreiheit? Die erörterten Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen sind mit der Betonung der verfassungsrechtlichen Legitimation des Gedankens der materiellen Vertragsfreiheit nur einseitig beleuchtet. In rechtspolitischer Hinsicht bedeutsamer ist m. E. gleichsam die Kehrseite der auf das Prinzip der praktischen Konkordanz gestützten Begründungserwägungen des Bundesverfassungsgerichts in diesen Entscheidungen: Die klare Betonung der Freiheit 394 Vgl. Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, S. 343; Höfling, Vertragsfreiheit, S. 54 f. 395 Vgl. Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, S. 197 ff., 338 ff.; kritisch Isensee, Vertragsfreiheit im Griff der Grundrechte, FS B. Großfeld, S. 485, 513. 396 Vgl. statt vieler Dieterich, RdA 1995, 129, 134.
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5. Kap.: Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung
beider Vertragsparteien als zentraler Maxime beim Ausgleich der widerstreitenden Interessen397. Gerade dadurch tritt auch der abwehrrechtliche Schutz der Privatautonomie durch Art. 2 Abs. 1 GG wieder stärker ins Blickfeld398. Die Vertragsfreiheit des Arbeitgebers dürfte in der Abwägung tendenziell ein höheres Gewicht erlangen, wenn man sie primär der materiell verstandenen Vertragsfreiheit des Arbeitnehmers gegenüberstellt und nicht ausschließlich an diffusen sozialstaatlichen Schutzerwägungen aus Art. 20 GG misst399. Ein pauschales Abstellen auf die umfassende Schutzbedürftigkeit, die die Lage „des Arbeitnehmers“ von Beginn der Vertragsverhandlungen über die Abhängigkeit in der Betriebsorganisation bis zur Beendigung und Nachwirkung der Rechtsbeziehungen stets kennzeichne, würde insoweit auf der Ebene der teleologischen Gesetzesauslegung nicht mehr ausreichen, um ohne weiteres weitreichende Eingriffe in die Vertragsfreiheit des Arbeitgebers aus Sozialschutzgründen zu rechtfertigen400. Soweit es um die Sicherung der Privatautonomie geht, müssen Art und Ausmaß von Störungen der Vertragsparität genau ermittelt werden; auf sie bezogen sind die erforderlichen Korrekturen zu bestimmen401. Bezogen auf das Arbeitsvertragsrecht scheint insoweit der Schluss zulässig, dass das Bundesverfassungsgericht in seinen Begründungserwägungen zur Bürgschafts- und Handelsvertreterentscheidung das Gewicht auch der formellen Vertragsfreiheit in der erforderlichen Abwägung aller grundrechtlich geschützten Belange im Vergleich zu früheren Entscheidungen eher erhöht als gemindert hat402. Das schließt nicht aus, dass zwingendes Arbeitsvertragsrecht in eng abgrenzbaren Bereichen vom Gesetzgeber bewusst als überindividuelles, mittelbares Steuerungsinstrument der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik, insbesondere für Zwecke der Beschäftigungsförderung, eingesetzt werden kann403. Aus der neueren Gesetzgebung weist beispielsweise der Anspruch auf Teilzeitarbeit nach § 8 TzBfG404 über den Individualschutz hinaus397 Wohl zu Recht sieht Dieterich eine wesentliche Konsequenz der erörterten Entscheidungen in einer weiteren Integration von Arbeitsrecht und Zivilrecht, vgl. Dieterich, RdA 1995, 129, 135. 398 Vgl. dazu auch Ruffert, a. a. O., S. 352 ff. 399 Für Letzteres jedoch Isensee/Kirchhof - Isensee V. § 111, Rn. 132 f.; ausführlicher ders. in Vertragsfreiheit im Griff der Grundrechte, FS B. Großfeld, S. 485 ff., 512. 400 Dieterich, a. a. O. 129, 135. 401 So Dieterich, a. a. O. 129, 135. 402 Ähnlich Thüsing, Gedanken zur Vertragsautonomie im Arbeitsrecht, FS Wiedemann, S. 559, 585. 403 Vgl. dazu auch BVerfG vom 29.12.2004 – 1 BvR 2582/03, 1 BvR 2283/03, 1 BvR 2504/03 – NZA 2005, 153, 154.
D. Relevanz wirtschaftlicher Unterlegenheit für die Verzichtsbefugnis
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gehende gesetzgeberische Zwecksetzungen der Beschäftigungsförderung auf405. Das gesetzgebungspolitische Ziel der Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit hat sowohl aufgrund des Sozialstaatsprinzips gemäß Art. 20 Abs. 1 GG als auch unter dem Aspekt der Verwirklichung der Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG der zuvor Arbeitslosen Verfassungsrang406. Zudem ist die von der Beschäftigungsquote abhängige finanzielle Stabilität des Systems der sozialen Sicherung als wichtiger Gemeinwohlbelang von hoher Bedeutung407. Weiter kann zwingendes Arbeitsvertragsrecht auch die Teilfunktion haben, sozialpolitisch unerwünschte Vermeidungsstrategien in Randbereichen des Arbeitsmarktes zu verhindern. Insbesondere das Diskriminierungsverbot des § 4 TzBfG oder die Gewährleistung gleicher Arbeitsbedingungen für Leiharbeitnehmer nach § 9 Nr. 2 AÜG weisen in diese Richtung. So könnte die Zulässigkeit schlechterer Arbeitsbedingungen für Teilzeitbeschäftigte wegen des damit für Arbeitgeber verbundenen Kostenvorteils in einigen Segmenten des Arbeitsmarktes zu einer Erosion bestehender Vollzeitarbeitsplätze führen408 oder der Einsatz von Leiharbeitnehmern von Entleihern als kalter Weg zur Vermeidung tariflicher Bindungen missbraucht werden. Aber auch die zwingende Ausdehnung des gesetzlichen Mindesturlaubsanspruchs auf nur in sehr geringem Rahmen oder stundenweise tätige Arbeitnehmer dürfte an die Grenzen des ausschließlich aus der Perspektive des Individualschutzes Rechtfertigbaren stoßen. Beschäftigungsförderung bzw. die mittelbare Absicherung bestehender Normalarbeitsverhältnisse vor unterbietender Konkurrenz durch atypische Beschäftigungsmodelle mögen insoweit eigenständige Legitimationen für sozialstaatlich motivierte Interventionen am Arbeitsmarkt ergeben können, sie dienen jedoch zumindest insoweit nicht primär dem Schutz des einzelnen Arbeitnehmers409. Für die hier im Mittelpunkt des Interesses stehende verfassungsrechtliche Betrachtung von Unabdingbarkeit und Verzicht im Kernbereich des Arbeitsvertragsrechts haben derartige Aspekte jedoch nur randständige Bedeutung. Da und wenn die verfassungsrechtliche Legitimation der Einschränkung der Vertragsfreiheit durch zwingendes Arbeitsvertragsrecht in ihrem Kernbereich primär auf der Individualebene der Vertragspar404 Vgl. dazu Thüsing, Teilzeit- und Befristungsgesetz – Oder: Von der Schwierigkeit eines Kompromisses zwischen Beschäftigungsförderung und Arbeitnehmerschutz, ZfA 2004, 67, 69 ff. 405 Vgl. die Gesetzesbegründung zum Teilzeit- und Befristungsgesetz, BTDrucks. 14/4374, S. 11, 16 f. 406 BVerfG vom 3.4.2001 – 1 BvL. 32/97 – BVerfGE 103, 293, 307 m. w. N. 407 BVerfG, ebenda. 408 Näher dazu im 6. Kapitel: A. II. 409 Näher zur Abgrenzung des Individualschutzes vom Schutz der Sozialversicherungssysteme im 6. Kapitel: B.
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5. Kap.: Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung
teien zu suchen ist, so ist damit zugleich die Gewährleistung umfassender Freiheit der Vertragsparteien als eine tragende Auslegungsmaxime gekennzeichnet410. Auch hier ist der Gestaltungsspielraum des Staates jedoch außerordentlich weit. Das ergibt sich vor allem dadurch, dass im Arbeitsvertragsrecht sozialstaatlich motivierter Schutz immer auch Individualschutz ist. Eine trennscharfe Abgrenzung der jeweils tragenden Schutzerwägungen ist in den relativ groben Kategorien des Verfassungsrechts kaum möglich. Die abwehrrechtliche Funktion der grundrechtlichen Gewährleistung der Arbeitsvertragsfreiheit durch Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG ist durch diese Vermengung der Schutzerwägungen des Arbeitsvertragsrechts entscheidend geschwächt. Geradezu exemplarisch für eine Vermengung von individualschutzorientierten und ordnungspolitischen Begründungssträngen sind die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in seiner jüngsten Entscheidung zu Arbeitsbedingungen für Leiharbeitnehmer411: Aus der Gewährleistung der Vertragsfreiheit des Arbeitgebers resultierende verfassungsrechtliche Grenzen des Gestaltungsspielraums des Staates für die Schaffung zwingenden Arbeitsrechts sind in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bisher kaum praktisch hervorgetreten412. Ausgesprochen vage sind die insoweit verwendeten Formulierungen413. Insbesondere wird man auf Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht annehmen können, dass eine gesetzliche Regelung, die die Unabdingbarkeit der hier schwerpunktmäßig untersuchten 410 Anderer Ansicht Isensee, der in der Handelsvertreterentscheidung offenbar ausschließlich Schutzvorkehrungen des Sozialstaates angesprochen sieht, Isensee/ Kirchhof - Isensee V. § 111, Rn. 131; differenzierend Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, S. 197 ff., 338 ff. 411 BVerfG vom 29.12.2004 – 1 BvR 2582/03, 1 BvR 2283/03, 1 BvR 2504/03 – NZA 2005, 153, 154: „Sozialstaatlich motivierte, zum Schutz der abhängig Beschäftigten eines Wirtschaftszweiges vernünftige und zweckmäßig typisierende Regelungen zulässiger Formen unselbstständiger Arbeit muss der Einzelne als Grenzen seiner unternehmerischen Tätigkeit grundsätzlich als zumutbar hinnehmen. Zwingende Regelungen des Arbeitsrechts schaffen erst den Rahmen, in dem die mehrheitlich abhängig Beschäftigten ihre Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1 GG unter angemessenen Bedingungen verwirklichen können. Sie rechtfertigen sich daraus, dass der Individualarbeitsvertrag vielfach ein unzureichendes Instrument zur Begründung eines sozial angemessenen Arbeitsverhältnisses darstellt.“ 412 Anders gelagert waren insoweit die Entscheidungen des BVerfG zum Hessischen Sonderurlaubsgesetz für ehrenamtliche Mitarbeiter der Jugendarbeit. Dort ging es im Kern nicht um den Sozialschutz von Arbeitnehmern, sondern um die als verfassungswidrig erkannte Inpflichtnahme der Arbeitgeber für die Finanzierung einer von der Arbeitsbeziehung losgelösten, gesamtgesellschaftlichen Aufgabe; vgl. dazu BVerfG vom 11.2.1992 – 1 BvR 890/84 und 74/87 – BVerfGE 85, 226, 236 und deutlicher noch BVerfG vom 9.11.1999 – 2 BvL 5/95 – BVerfGE 101, 141, 149 f. 413 Vgl. BVerfG vom 29.12.2004 (Fn. 411).
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Normen des Arbeitsvertragsrechts mit deren absoluter Unverzichtbarkeit gleichsetzt, nicht verfassungskonform wäre. Auch für den Kontrollmaßstab des Übermaßverbotes gilt insoweit, dass im Spannungsfeld zwischen Staat und gleichgeordneten Grundrechtsträgern dem Gesetzgeber nicht die Optimierung im Sinne eines von vornherein feststehenden Ergebnisses verfassungsrechtlich vorgegeben ist414. Gleichwohl ist die Achtung der Freiheit der jeweils anderen Vertragspartei prinzipiell in beiden Richtungen relevant für die verfassungsrechtlichen Grenzen des staatlichen Gestaltungsspielraums. 4. Zwischenergebnis Aus der verfassungsrechtlichen Perspektive lassen sich keine konkreten Folgerungen für eine gebotene Ausgestaltung bzw. Auslegung der Verzichtsfreiheit im zwingenden Arbeitsvertragsrecht ableiten; lediglich ein weiter Rahmen möglicher Gestaltungen wird so abgesteckt415. Die Freiheit der Vertragsparteien ist vom Bundesverfassungsgericht in Handelsvertreter- und Bürgschaftsentscheidung zum zentralen Angelpunkt der Begründungserwägungen gemacht worden, wobei das Gericht klar gestellt hat, dass ein ausschließlich formelles, indeterministisches Verständnis der Vertragsfreiheit nicht mit dem grundgesetzlichen Freiheitsbegriff im Einklang steht. Für die Auslegung zwingenden Arbeitsvertragsrechts sind daraus m. E. im Wesentlichen zwei Tendenzen ableitbar: Zum einen dürften Positionen, die den Aspekt möglicher „Unterlegenheit“ im bestehenden Arbeitsverhältnis beim Verzicht im Arbeitsvertragsrecht prinzipiell ignorieren, dem grundrechtlich gebotenen Mindestschutz der Privatautonomie nicht genügen. Zum anderen muss die Betonung des Gewichts der Privatautonomie beider Parteien auch gegenüber der freiheitseinschränkenden Wirkung von ordnungspolitischen Sozialschutzerwägungen sensibilisieren416.
III. Freiheitsmaximierung als zivilrechtliche Auslegungsmaxime Dem Zivilrecht kommt die Aufgabe zu, den grundlegenden Gedanken der bürgerlichen Privatautonomie bzw. den daraus abzuleitenden Primat der (formellen) Vertragsfreiheit und nicht zuletzt auch den verfassungsrecht414 Vgl. Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, S. 343. 415 Bedenklich insoweit BAG vom 19.1.2005 – 7 AZR 115/04 – www. bundesarbeitsgericht.de (siehe dort insbesondere Rn. 31 ff.) = DB 2005, 1171 f. (nur Kurztext). 416 Vgl. dazu auch die kritische Analyse bei Isensee, Vertragsfreiheit im Griff der Grundrechte, FS B. Großfeld, S. 485, 489.
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5. Kap.: Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung
lich gebotenen Mindestschutz der tatsächlichen Entscheidungsfreiheit des Arbeitnehmers durch geeignete zivilrechtliche Instrumentarien zum Ausgleich zu bringen. Da bezogen auf die hier interessierende Verzichtsproblematik der unbedingte Ausschluss jeglicher Dispositionsbefugnis durch eine extensive teleologische Auslegung der Unabdingbarkeitswirkung in seinem Anwendungsbereich den schärfsten denkbaren Eingriff in die vertragliche Gestaltungsfreiheit der Parteien darstellt, ist das rechtliche Bedürfnis für diesen begründungstechnischen Weg grundsätzlich kritisch zu hinterfragen. Es ist zu untersuchen, ob es für den gebotenen unterlegenheitsspezifischen Mindestschutz der autonomen Willensbetätigung des Arbeitnehmers einer extensiven Auslegung der Unabdingbarkeit bedarf oder ob dieser Mindestschutz bereits de lege lata durch andere zivilrechtliche Instrumente hinreichend gewährleistet ist. 1. Ausreichender Schutz der Entscheidungsfreiheit des Arbeitnehmers durch individualisierte Vertragsauflösungsrechte? Die Wirkungsmechanismen des Unterlegenheitsparadigmas im laufenden Arbeitsverhältnis weisen gewisse Parallelen zur Willensbeeinflussung durch widerrechtliche Drohung i. S. des § 123 BGB auf. Man kann das Sanktionspotenzial des Arbeitgeberverhaltens gewissermaßen als unausgesprochene, nicht notwendig widerrechtliche Drohung auffassen. De lege lata wird die Anfechtung einer Verzichtsvereinbarung nach § 123 BGB nur in den Ausnahmefällen eines anlassbezogenen Drohungsverhaltens in Betracht kommen417. Praktisch wird der insoweit beweisbelastete Arbeitnehmer zudem in der Regel erhebliche Schwierigkeiten haben, die Verwerflichkeit der Zweck-Mittel-Relation und einen entsprechenden Erpressungswillen im konkreten Fall darzulegen. Die mögliche wirtschaftliche Zwangslage allein, also die bloße Befürchtung möglicher Sanktionen für den Fall der Nichteinwilligung, ohne dass der Arbeitgeber dafür in irgendeiner Weise Anlass gegeben hätte, genügt dafür nach geltendem Recht nicht418. Da und wenn aber die Einwirkungsintensität auf die Bildung des Verzichtswillens beim Arbeitnehmer regelmäßig geringer ist als bei einer wi417 Praktische Bedeutung haben im bisherigen Recht insoweit die Fälle der Anfechtung eines „freiwilligen“ Aufhebungsvertrages wegen einer Drohung des Arbeitgebers mit einer für das berufliche Fortkommen u. U. nachteiligen außerordentlichen Kündigung erlangt. Vgl. dazu BAG vom 30.1.1986 – 2 AZR 196/85 – NZA 1987, 91 ff. und BAG vom 20.11.1969 – 2 AZR 51/69 – AP BGB § 123 Nr. 16; zuletzt BAG vom 5.12.2002 – 2 AZR 478/01 – AP BGB § 123 Nr. 63. 418 So auch Köck, Grenzen der Zulässigkeit des Verzichts auf schon entstandene Arbeitnehmeransprüche, ZAS 1986, 73, 79 (zum österreichischen Recht, § 870 ABGB); vgl. statt vieler auch MüKo - Kramer BGB § 123 Rn. 45.
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derrechtlichen Drohung i. S. d. § 123 Abs. 1 BGB, so könnte auf den ersten Blick nahe liegen, dem Problem der Unterlegenheit mit erweiterten Anfechtungs- oder Widerrufsrechten des Arbeitnehmers zu begegnen419. Auflösungsrechte greifen insofern weniger stark in die Vertragsfreiheit der Parteien ein, weil sie die Autonomie der geschützten Partei prinzipiell achten, indem sie den Eintritt der Nichtigkeitsfolge von der Entscheidung, ob eine Anfechtung oder ein Widerruf erfolgen soll, abhängig machen. Zumindest hinsichtlich der Privatautonomie der geschützten Partei ergibt sich damit nicht die jedem staatlichen Eingriff in die Vertragsfreiheit inhärente Gefahr einer Bevormundung durch aufgedrängten Schutz. So vorzugswürdig Auflösungsrechte hinsichtlich des Freiheitsaspekts allgemein auch sein mögen, so untauglich erweisen sie sich als Schutzinstrument in der hier primär interessierenden Situation der Verzichtsvereinbarung im fortbestehenden Arbeitsverhältnis. Das liegt in erster Linie daran, dass die das Schutzbedürfnis auslösende Nötigungssituation im fortbestehenden Arbeitsverhältnis zeitlich in der Regel erheblich über das Datum des Vertragsschlusses hinaus fortdauert. Die Analyse der wechselseitigen Abhängigkeiten zeigt gerade, dass die Sorge des Arbeitnehmers um den gedeihlichen Fortbestand des für ihn typischerweise in wirtschaftlich-sozialer Hinsicht existenziell wichtigen Arbeitsverhältnisses seine materiell-faktische Freiheit, ungünstige oder verschlechternde Vertragsangebote abzulehnen, gleichsam dauerhaft einschränkt. Jedenfalls solange das Arbeitsverhältnis besteht420, wird sich deshalb ein Arbeitnehmer, der sich sehenden Auges zu einem ihm ungünstigen Verzichtsvertragsschluss bestimmt sieht, in der Regel auch nicht zur Geltendmachung eines Auflösungsrechts entschließen können421. Untunlich erscheine es auch, dem Arbeitnehmer entsprechend dem Rechtsgedanken des § 124 Abs. 2 Satz 1 2. Alt. BGB stets eine über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinausreichende Anfechtungs- oder Widerrufsfrist zuzubilligen. Denn das würde mit dem im Arbeitsrecht stets präsenten Gedanken der möglichst zeitnahen Klärung streitiger Fragen konfligieren, der gerade in der weiten Verbreitung von gesetzlichen, tarifvertraglichen oder auch einzelvertraglichen Ausschlussfristen seinen Ausdruck 419 Dies erwägt MüKo - Kramer BGB § 123 Rn. 57; kritisch zur Verallgemeinerung der Anfechtungslösung des § 123 BGB Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 348 ff., 360; ablehnend BAG vom 30.9.1993 – 7 AZR 268/93, NJW 1994, 1021, 1022. 420 Näher zum insoweit relevanten Beendigungsbegriff unten, 5. Kapitel: E. I. 1. 421 Vgl. auch Köck, Grenzen der Zulässigkeit des Verzichts auf schon entstandene Arbeitnehmeransprüche, ZAS 1986, 73, 80 (zum österreichischen Recht, § 879 Abs. 2 Nr. 4 ABGB); Bydlinski, Arbeitsrechtskodifikation und allgemeines Zivilrecht, S. 149 f.
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findet. In besonderem Maße gilt dies für die vom Gesetzgeber im Interesse der Rechtsklarheit eingeführten Präklusionsfristen der §§ 4 KSchG und 17 TzBfG, jeweils i. V. m. § 7 KSchG, die die Wirksamkeit der Beendigung schon drei Wochen nach Ausspruch der Kündigung bzw. dem vereinbarten Ende der Befristung fingieren. Hinsichtlich der Ansprüche auf Entgeltfortzahlung oder Erholungsurlaub ist es zudem der an der Situation des erkrankten oder erholungsbedürftigen Arbeitnehmers orientierte Sozialschutzcharakter, der gegen einen notwendig rein ökonomisierten, an das Ende des Arbeitsverhältnisses verlagerten Schutz durch Auflösung der entsprechenden Verzichtsvereinbarung spricht. Ein Anspruch auf Nachzahlung des Krankenlohnes oder Abgeltung des Urlaubsverzichts nach Ende des Arbeitsverhältnisses bildet die sozialethischen Intentionen dieser auf aktuelle Lebenssituationen des Arbeitnehmers bezogenen Ansprüche nicht zureichend ab. Erweiterte Anfechtungs- oder Widerrufsrechte hinsichtlich Verzichtsvereinbarungen mögen damit in Teilbereichen – insbesondere bei zur oder anlässlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses geschlossenen Aufhebungs- oder Abwicklungsvereinbarungen und den darin enthaltenen Arbeitnehmerverzichten – ein geeignetes Mittel zum systemkonformen Schutz vor übereilten Verzichtsvereinbarungen sein. Das Kernproblem des Paradigmas von der Unterlegenheit des Arbeitnehmers422, das in einer relationalen Vertragsbeziehung von existenzieller Wichtigkeit erkanntermaßen faktisch keine andere akzeptable Wahl als die der Zustimmung zu einer unerwünschten Verzichtsvereinbarung zu haben, lässt sich so jedoch nicht fassen. Für das Problem des Verzichts unter dem latenten Druck des außerrechtlichen Beziehungsgeflechts des Arbeitsverhältnisses ist jedenfalls für die vom Gesetzgeber wegen ihr sozialschützenden Bedeutung mit zwingender Wirkung ausgestatteten Normen eine zumindest auch präventiv ansetzende Lösung erforderlich. 2. Keine Ausuferung des arbeitsrechtlichen Unterlegenheitsparadigmas Die Wirkungsweise der Mechanismen des arbeitsrechtlichen Unterlegenheitsparadigmas ist nicht prinzipiell auf gesetzlich unabdingbare Ansprüche und Rechte beschränkt. Seine Mechanismen wirken im Grundsatz gleichermaßen auch hinsichtlich wohlerworbener arbeitsvertraglicher, kollektivrechtlicher oder dispositiver gesetzlicher Ansprüche und Rechte des Arbeitnehmers423. Kann das Unterlegenheitsparadigma deshalb im Rahmen der zivilrechtlichen Generalklausel des § 138 BGB generell als Rechtfertigung 422
So z. B. MüKo - Schwerdtner BGB (3. Aufl.) vor § 620 Rn. 23. Vgl. dazu Bydlinski, Arbeitsrechtskodifikation und allgemeines Zivilrecht, S. 149 f. 423
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für einen allgemeinen Ausschluss der Verzichtsbefugnis des Arbeitnehmers auch hinsichtlich dispositiver Ansprüche herangezogen werden? Zwar gibt es vereinzelt Stimmen, die einen erweiterten Verzichtsschutz auch hinsichtlich dispositiver Ansprüche des Arbeitnehmers propagieren424. In dieser uneingeschränkten Weite wird eine unterlegenheitsspezifische Beschränkung der Verzichtsbefugnis aber wohl zu Recht von niemandem erwogen425. Anerkannt ist allerdings, dass im Einzelfall ein Verstoß gegen die guten Sitten i. S. des § 138 BGB vorliegen kann, wenn ein Arbeitgeber sein „wirtschaftliches Übergewicht“ zu seinem Vorteil gegenüber dem Arbeitnehmer ausnutzt426. So soll auch nach der Bürgschaftsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts eine allgemeine, d.h. gerade auch außerhalb der durch zwingendes Vertragsrecht konditionierten Bereiche des Privatrechts angesiedelte Berücksichtigung „strukturell ungleicher Verhandlungsstärke“ über die zivilrechtlichen Generalklauseln angezeigt sein. Schwerwiegende Bedenken sprechen jedoch sowohl gegen allgemeine nachträgliche Auflösungsrechte des Arbeitnehmers als auch gegen eine generelle, regelmäßig aus § 138 BGB abzuleitende Nichtigkeitsfolge der Verzichtsvereinbarung als Reaktion auf die aus dem Unterlegenheitsparadigma folgende Schutzbedürftigkeit. Dies wird unmittelbar deutlich, wenn man sich die praktische Konsequenz einer Ausweitung der Anwendung des Unterlegenheitsparadigmas verdeutlicht: Wollte man aus dem arbeitsrechtlichen Unterlegenheitsparadigma generell folgern, dass jede Verzichtsvereinbarung auch über an sich dispositive arbeitsvertragsrechtliche Ansprüche oder Rechte bzw. jede verschlechternde Abänderung des Arbeitsvertrages unwirksam oder jedenfalls ohne weitere Voraussetzungen durch den Arbeitnehmer auflösbar wäre, so liefe das praktisch auf eine umfassende Zementierung des im Arbeitsvertrag Vereinbarten hinaus. Nahezu jede verschlechternde Änderung wäre in ihrem rechtlichen Bestand zumindest zweifelhaft. Der Grund für die Verbindlichkeit von Versprechen liegt jedoch gerade in der Anerkennung der Freiheit des Menschen, über seine Handlungen selbst 424 Köck, Grenzen der Zulässigkeit des Verzichts auf schon entstandene Arbeitnehmeransprüche, ZAS 1986, 73, 79 und Bydlinski, a. a. O., S. 149 f. (beide zum österreichischen Recht, § 879 Abs. 2 Nr. 4 ABGB). 425 Vgl. Staudinger - Rieble BGB § 397 Rn. 197. Eine Sonderstellung nimmt insoweit die gesetzliche Anordnung der Unverzichtbarkeit kollektivrechtlicher Ansprüche durch § 4 Abs. 1 TVG und § 77 Abs. 4 Satz 2 BetrVG, siehe dazu unten, 5. Kapitel: F. 426 So Soergel - Hefermehl § 138 Rn. 15. Weitergehend wird erwogen, allgemein bereits bei Unentgeltlichkeit des Verzicht im laufenden Arbeitsverhältnis das Vorliegen des Wuchertatbestandes widerleglich zu vermuten; so Köck, a. a. O., 73, 79 und Bydlinski, a. a. O., S. 149 f. (beide zum österreichischen Recht, § 879 Abs. 2 Nr. 4 ABGB).
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5. Kap.: Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung
zu bestimmen427. Folge einer umfassenden und grundsätzlichen Nichtanerkennung jeglicher verschlechternder Vereinbarungen nach Begründung des Arbeitsverhältnisses wäre hier also gewissermaßen die Paradoxie einer (Selbst-)Entmündigung der Arbeitsvertragsparteien hinsichtlich weiterer Vereinbarungen durch Eingehung des Arbeitsvertrages. Das zur Begründung zwingenden Arbeitsvertragsrechts herangezogene arbeitsrechtliche Unterlegenheitsparadigma kann damit nicht ohne weiteres unter dem Aspekt der Berücksichtigung strukturell bedingter Beschränkungen der materiellen Entscheidungsfreiheit zu einem allgemeingültigen Instrument der Einschränkung der Verzichtfreiheit des Arbeitnehmers werden. Es ist weiter zu fragen, worin sich das arbeitsrechtliche Unterlegenheitsparadigma zur Begründung zwingenden Arbeitsvertragsrechts von dem im Rahmen der zivilrechtlichen Generalklauseln anzusiedelnden Mindestschutz der materiellen Entscheidungsfreiheit durch Berücksichtigung „strukturell überlegener Verhandlungsmacht“ rechtstheoretisch unterscheidet. Charakteristisch für das arbeitsrechtliche Unterlegenheitsparadigma ist, dass sich eine Einschränkung der Entscheidungsfreiheit des Arbeitnehmers nicht erst dann ergibt, wenn der Arbeitgeber für den Fall der Ablehnung einer Verzichtsvereinbarung durch den Arbeitnehmer diesem Nachteile in Aussicht stellt. Bereits der so genannte „vermeintliche Druck“, also das bloße Potenzial des Arbeitgebers zu informellen Sanktionen von großer Nachteiligkeit, wird – wie gezeigt – typischerweise ausreichend sein, den Arbeitnehmer gleichsam in vorauseilendem Gehorsam zu überobligationsmäßigem Wohlverhalten zu veranlassen. Der Fall eines konkreten drohungsähnlichen Verhaltens des Arbeitgebers dürfte demgegenüber nur eine untergeordnete praktische Rolle spielen428. Die aus dem Unterlegenheitsparadigma folgende Schutzbedürftigkeit ist damit prinzipiell unabhängig von einem zu missbilligenden individuellen Verhalten des Arbeitgebers, es kommt weder auf das drohungsähnliche In-Aussicht-Stellen von Nachteilen an, noch ist in subjektiver Hinsicht erforderlich, dass der Arbeitgeber im Bewusstsein handelt, eine besondere Zwangslage auszunutzen429.
427 So H. Hübner, Rechtsgeschäftslehre und Verbraucherschutz, FS B. Börner, S. 717, 720 f., mit eingehender Herleitung aus dem rechtsphilosophischen Schrifttum. 428 Zu denken ist hier auf individualvertraglicher Ebene in erster Linie an die Fälle der Arbeitnehmerbürgschaften oder des Lohnverzichts zur Rettung eines finanziell angeschlagenen Betriebes. 429 Das wäre allerdings wohl Voraussetzung für eine Nichtigkeit der Verzichtsvereinbarung nach § 138 BGB.
D. Relevanz wirtschaftlicher Unterlegenheit für die Verzichtsbefugnis
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a) Das Erfordernis der Zurechenbarkeit der Willensbildungsstörung Das Vorliegen einer solchen subjektiven Komponente ist jedoch nach der Konzeption des BGB grundsätzlich Voraussetzung dafür, der einen Seite die Verantwortung für das Scheitern des Vertrages infolge einer exogenen Willensbildungsstörung der anderen Seite zuzurechnen und ihr die dadurch entstehenden Kosten ohne eine vertrauensschützende Regelung nach Art des § 122 BGB kompensationslos aufzubürden430. Das zeigen sowohl § 123 BGB als eigentlicher sedes materiae431 als auch § 138 BGB432. Zwar ist damit nicht prinzipiell ausgeschlossen, in abgrenzbaren Rechtsgebieten wie dem des Individualarbeitsrechts auf exogene Störungen der Willensbildung auch unterhalb der Schwelle des § 123 BGB mit Vertragsauflösungsrechten zu reagieren oder unterhalb der klassischen Eingriffsschwelle des § 138 Abs. 2 BGB die Nichtigkeit einer nachteiligen Vereinbarung zu konstatieren433. In beiden Fällen wird man jedoch auf das Erfordernis einer auf den Vertragspartner bezogenen Zurechenbarkeit der exogenen Willensbildungsstörung nicht verzichten können, wenn man den Arbeitnehmer allgemein vor den Rechtsfolgen „unfreiwilliger“ Vereinbarungen mit dem Arbeitgeber schützen will434. Dass die typischerweise greifenden Mechanismen des Unterlegenheitsparadigmas die Verhandlungsposition des Arbeitgebers im laufenden Arbeitsverhältnis objektiv gestärkt haben – der Arbeitnehmer also in 430 Vgl. Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 361 f.; und aus der Rechtsprechung BGH vom 5.1.1995 – IX ZR 85/94 – NJW 1995, 592 ff. [unter II. 1. der Gründe] m. w. N. 431 Vgl. Lorenz, ebenda. 432 H.M., grundsätzlich kritisch zum Erfordernis des subjektiven Tatbestands der Sittenwidrigkeit als allgemeine Voraussetzung für eine Nichtigkeit nach § 138 I BGB jedoch Staudinger - Sack § 138 Rn. 61 ff. m. w. N. 433 Lorenz propagiert hier in Anlehnung an die Lehre vom „undue influence“ des englischen Rechts eine Lösung der drohungsähnlichen Fälle des Ausnutzens einer psychologischen Zwangslage über das Rechtsinstitut der c.i.c. Er betrachtet den Vertragsschluss in diesen Fällen unmittelbar als Schaden und kommt so über den Grundsatz der Naturalrestitution gemäß § 249 BGB zu einem Auflösungsrecht; vgl. Lorenz, S. 481 ff. Er schränkt diesen Ansatz jedoch sogleich ein, indem er auch bei den drohungsähnlichen Fällen im Rahmen der c.i.c. eine Rechts- bzw. Pflichtwidrigkeit verlangt. Was als Drohung nicht rechtswidrig, weil sozialadäquat ist, könne auch bei drohungsähnlichen, aber minderschweren Einwirkungen auf die Entscheidungsfreiheit, bzw. bei der Ausnutzung einer Situation beeinträchtigter Entscheidungsfreiheit, nicht im Rahmen der c.i.c. als pflichtwidrig beurteilt werden; so Lorenz, S. 502. Zudem fordert er eine subjektive Zurechenbarkeit der Zwangslage und kommt letztlich auch in seinem c.i.c. – Ansatz zu dem Ergebnis, dass es bei der § 138 BGB zu entnehmenden Aussage bleibe, dass nur die Ausbeutung, nicht aber die bloße Nutzung einer Notlage zur Vertragsnichtigkeit führe; so Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 509. 434 Vgl. Lorenz, S. 362 f.
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5. Kap.: Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung
seiner materiellen Entscheidungsfreiheit objektiv nachvollziehbar eingeschränkt war – wird daher für sich genommen nicht ausreichen können, um einer für den Arbeitnehmer nachteiligen vertraglichen Vereinbarung nach den Vorschriften des allgemeinen Zivilrechts generell ihren Geltungsanspruch zu versagen. Erst wenn das Nutzen einer objektiv vorteilhaften Verhandlungsposition zu einem subjektiv zurechenbaren Ausnutzen der faktisch beengten Entscheidungsfreiheit der anderen Seite wird, entfällt nach der Konzeption der allgemeinen Regeln des BGB die rechtliche Anerkennung bzw. Durchsetzbarkeit der vertraglichen Vereinbarung435. Der Schutz der materiellen Entscheidungsfreiheit ist damit zwar auch im allgemeinen Zivilrecht ein tragender Grund für die rechtliche Konditionierung von „unfreiwilligen“ Vertragsschlüssen, das allein ist dort für sich genommen jedoch noch keine hinreichende Eingriffsvoraussetzung436. aa) Der Aspekt der Verschuldensverantwortlichkeit Eine Grenzziehung zwischen dem in einem kompetitiven Wirtschaftssystem grundsätzlich zulässigen Nutzen einer objektiv vorteilhaften Verhandlungsposition und dem subjektiv verwerflichen Ausbeuten der Schwäche der anderen Seite wird im Einzelfall praktisch kaum ohne Rückgriff auf die materielle Belastung der schwächeren Seite möglich sein437. Ein bloßes 435
Vgl. Lorenz, S. 509; BGH vom 5.1.1995 – IX ZR 85/94 – NJW 1995, 592 ff. [unter II. 1. der Gründe] m. w. N. 436 Vgl. Gernhuber, Ruinöse Bürgschaften als Folge familiärer Verbundenheit, JZ 1995, 1084, 1091 ff.; vgl. auch BAG vom 30.9.1993 – 2 AZR 268/93 – AP BGB § 123 Nr. 37. 437 Vgl. dazu die Entscheidungen zur Sittenwidrigkeit von Arbeitnehmerbürgschaften; zuletzt BGH vom 14.10.2003 – XI ZR 121/02 – NJW 2004, 161, 162: „Diese Angst, die sich der mit den dortigen Arbeitsmarktverhältnissen (sc. denjenigen in den neuen Bundesländern) vertrauten Kl. (sc. einer Sparkasse) als Grund für die ersichtlich unüberlegte Übernahme der für ihn ruinösen Bürgschaft durch den Bekl. (sc. Arbeitnehmer) aufdrängte, hat den Bekl. daran gehindert, das Risiko der ruinösen, ohne jeden Ausgleich übernommenen Bürgschaft realistisch abzuschätzen, sich zu vergegenwärtigen, dass die Verpflichtung aus der Bürgschaft nicht mit der Auflösung des Arbeitsverhältnisses mit der Hauptschuldnerin endet, und eine vernünftige Entscheidung zu treffen. Das hat die dem Bekl. strukturell weit überlegene Kl. ausgenutzt, um das mit der Ausreichung des Geschäftskredits über 200000 DM verbundene Risiko (auch) dem Bekl. sowie zwei anderen Arbeitnehmern der nahezu illiquiden Hauptschuldnerin aufzubürden, obwohl sich die Fragwürdigkeit der Arbeitnehmerbürgschaften für sie aufdrängen musste. Sie hat damit versucht, von der aufgezeigten Zwangslage des Bekl. und seiner Angst um den Verlust des Arbeitsplatzes zu profitieren“; ähnlich insoweit auch KG vom 25.4.1997 – 7 U 7496/96 – MDR 1998, 234, 235; zu weit geht das KG, a. a. O. jedoch, wenn es in unzulässiger
D. Relevanz wirtschaftlicher Unterlegenheit für die Verzichtsbefugnis
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Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung bietet jedenfalls bei Verträgen, die prinzipiell nur einseitig begünstigend sind, keinen tauglichen Anknüpfungspunkt438. Eben dieses praktische Abgrenzungsproblem dürfte es auch gewesen sein, das das Bundesverfassungsgericht in der Bürgschaftsentscheidung zu dem in seiner Begründungslinie systemfremd und wie ein Fremdkörper wirkenden Erfordernis „ungewöhnlich belastender Folgen“ geführt hat439. Es wäre offenkundig zu weitgehend, weil im Allgemeinen interessenwidrig gewesen, Bürgschaften unter Familienangehörigen wegen der ihnen aufgrund der persönlichen Nähebeziehung typischerweise inhärenten Gefahr eingeschränkter Rationalität bei der Entscheidungsfindung generell für sittenwidrig zu halten440. Strukturell ganz ähnliche Abgrenzungsprobleme ergeben sich, wenn Arbeitnehmer sich auf Veranlassung ihres Arbeitgebers zum Erhalt des Arbeitsplatzes gegenüber Kreditgebern für ihr Unternehmen verbürgen. Hier wird man in der Regel zwar nicht von einer persönlichen Nähebeziehung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber als Ursache für eine Entscheidungseinengung ausgehen können, an deren Stelle treten jedoch die Mechanismen des arbeitsrechtlichen Unterlegenheitsparadigmas441. Nach der Rechtsprechung der Zivilgerichte soll hier einerseits zwar eine widerlegliche tatsächliche Vermutung dafür bestehen, dass Arbeitnehmer in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit nur aus Angst um den Verlust des Arbeitsplatzes ohne sonstigen wirtschaftlichen Vorteil eine Bürgschaft für ihren Arbeitgeber eingehen; zum Verdikt der Sittenwidrigkeit einer solchen Bürgschaft kommt die Rechtsprechung aber auch hier erst dann, wenn die Zusammenfassung von Inhalt, Beweggrund und Zweck des Vertrages ihm nach seinem Gesamtcharakter das Gepräge der Sittenwidrigkeit gibt442. Entsprechendes wird man für eine Verzichtsvereinbarung hinsichtlich dispositiver Rechte des Arbeitnehmers im laufenden Arbeitsverhältnis annehmen müssen. Losgelöst von anderen denkbaren Auflösungs- oder Nichtigkeitsgründen wird man hinsichtlich eines solchen Verzichts nach den allSimplifizierung der Rechtsprechung zu Ehegattenbürgschaften hilfsweise auch ohne der Bank anzulastende Umstände zur Sittenwidrigkeit der Arbeitnehmerbürgschaft kommen will. Vgl. zu den Besonderheiten der Beurteilung der Sittenwidrigkeit von Bürgschaften vermögensloser Ehegatten BGH 5.1.1995 – IX ZR 85/94 – NJW 1995, 592 ff. [insb. unter II. 1. der Gründe]. 438 Vgl. BGH Urteil vom 7.6.1988 – IX ZR 245/86 – NJW 1988, 2599, 2602. 439 BVerfG vom 19.10.1993 – 1 BvR 567, 1044/89 – BVerfGE 89, 214, 232. 440 Vgl. auch Gernhuber, Ruinöse Bürgschaften als Folge familiärer Verbundenheit, JZ 1995, 1086, 1094. 441 BGH vom 14.10.2003 – XI ZR 121/02 – NJW 2004, 161, 162. 442 BGH, ebenda; zu den Anforderungen an die sog. Umstandssittenwidrigkeit vgl. auch Palandt - Heinrichs § 138 Rn. 8 m. w. N.
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5. Kap.: Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung
gemeinen Regeln des BGB praktisch erst dann zu einer Nichtigkeit kommen können, wenn neben die aus dem Unterlegenheitsparadigma typischerweise folgende Bedrängnis der Entscheidungsfreiheit des Arbeitnehmers eine wirtschaftliche Benachteiligung von wucherischem Charakter tritt. Die bloße Unentgeltlichkeit eines u. U. wirtschaftlich unbedeutenden Arbeitnehmerverzichts, wie etwa der Verzicht auf die Vergütung von einigen wenigen Überstunden, wird dazu im Allgemeinen nicht ausreichen können443. Erst in den Fällen einer offensichtlichen Benachteiligung von einigem wirtschaftlichen Gewicht444 wird man dem Arbeitgeber als Begünstigtem das für eine Zurechnung in subjektiver Hinsicht erforderliche Bewusstsein des Ausnutzens einer Schwächeposition unterstellen können445. Insofern verschwimmen hier notwendig die dogmatischen Grenzen von Abschluss- und Inhaltskontrolle vertraglicher Vereinbarungen446. Der Verzicht des Arbeitnehmers auf arbeitsrechtliche Nebenansprüche wird das für die Annahme einer verwerflichen Gesinnung des Arbeitgebers erforderliche ökonomische Gewicht aber wohl in der Regel nicht erreichen447. bb) Der Aspekt der Gefährdungsverantwortlichkeit Neben dem Verschuldensprinzip kann auch der Gedanke der Gefährdungsverantwortlichkeit als Zurechnungsfaktor in Betracht kommen448. Wenn beispielsweise der Arbeitgeber zuvor eine Überrumpelungssituation nach Art des § 312 BGB449 geschaffen hat, so mag dies nach dem Gefähr443 So aber in Weiterführung des Gedankens von Bydlinski, Arbeitsrechtskodifikation und allgemeines Zivilrecht, S. 149 f.; wohl auch Köck, Grenzen der Zulässigkeit des Verzichts auf schon entstandene Arbeitnehmeransprüche, ZAS 1986, 73, 79 f. (beide zum österreichischen Recht, § 879 Abs. 2 Nr. 4 ABGB); tendenziell wie hier Thüsing, Angemessenheit durch Konsens – Zu den Grenzen der Richtigkeitsgewähr arbeitsvertraglicher Vereinbarungen, RdA 2005, 257, 262. 444 Dass insoweit ruinöse, schlechthin die wirtschaftliche Existenz gefährdende Ausmaße erreicht werden müssen, wird man indes bei einseitig begünstigenden Vereinbarungen im Zusammenhang mit einem i. d. R. eben nicht durch altruistische Motive geprägten Arbeitsverhältnis wohl nicht verlangen können, offen geblieben in BGH vom 14.10.2003 – XI ZR 121/02 – NJW 2004, 161, 162 (Arbeitnehmerbürgschaft). 445 Vgl. dazu BAG vom 11.9.1984 – 3 AZR 184/82 – NJW 1985, 2661 ff. (Schuldanerkenntnis im Rahmen eines außergerichtlichen Vergleichs über die Höhe unterschlagener Gelder). 446 Vgl. Staudinger - Sack § 138 Rn. 6 f. und BGH vom 5.1.1995 – IX ZR 85/94 – NJW 1995, 592 ff. m. w. N. einerseits; aber auch BAG vom 27.11.2003 – 2 AZR 135/03 – AP BGB § 312 Nr. 1 [unter B. IV. 2. der Gründe] andererseits. 447 Vgl. BAG vom 9.6.1998 – 9 AZR 43/97 – AP BUrlG § 7 Nr. 23 [unter I. 3. a) der Gründe]. 448 Lorenz, a. a. O., S. 517.
D. Relevanz wirtschaftlicher Unterlegenheit für die Verzichtsbefugnis
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dungsgedanken als Zurechnungsgrund ausreichen, um typisierend ein Widerrufsrecht zu rechtfertigen450 bzw. die Sittenwidrigkeit der Vereinbarung nahe zu legen451 oder in der Durchsetzung einer solchen Vereinbarung eine unzulässige Rechtsausübung i. S.d. § 242 BGB zu sehen452. Seinen Bezugspunkt hat ein solches Vertragslösungsrecht in der Verantwortlichkeit des Arbeitgebers für eine nach typisierenden Erwägungen als psychisch einengend zu charakterisierenden konkreten Vertragsschlusssituation453 und eben nicht im auf wirtschaftliche Abhängigkeit gründenden arbeitsrechtlichen Unterlegenheitsparadigma454. Deswegen erschiene es wiederum zu weitgehend, das Arbeitnehmersein als solches als Anknüpfungspunkt für ein allgemeines Auflösungsrecht zu sehen455. Das liefe auf die zweifellos unzulässige Folgerung hinaus, den Arbeitgeber bereits deswegen als für die eingeschränkte Entscheidungsfreiheit des Arbeitnehmers verantwortlich anzusehen, weil er als Arbeitgeber den Arbeitnehmer beschäftigt. Insoweit kann es hinsichtlich arbeitsrechtlicher Vereinbarungen als Fehltypisierung des Gesetzgebers angesehen werden, dass die wortlautgetreue Anwendung der §§ 13 und 312 BGB dazu führt, dass praktisch jede Vereinbarung über das Arbeitsverhältnis allein deshalb als durch den Arbeitnehmer widerrufbar anzusehen wäre, weil solche Vereinbarungen typischerweise „am Arbeitsplatz“ i. S. d. Norm getroffen werden456.
449 Zur Diskussion um die Anwendbarkeit des § 312 BGB n. F. auf arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge und die insoweit ausgetauschten Argument vgl. statt vieler Hümmerich, Alea iacta est – Aufhebungsvertrag kein Haustürgeschäft, NZA 2004, 809 ff. 450 Vgl. Lorenz, a. a. O., S. 363; kritisch H. Hübner, Rechtsgeschäftslehre und Verbraucherschutz, FS B. Börner, S. 717, 725. Zur begrenzten Leistungsfähigkeit von Auflösungsrechten im fortdauernden Arbeitsverhältnis bereits oben. 451 Zwanziger, Arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge und Vertragsfreiheit, DB 1994, 982 ff.; vgl. auch BGH Urteil vom 7.6.1988 – IX ZR 245/86 – NJW 1988, 2599, 2602. 452 Vgl. LAG Hamburg vom 3.7.1991 – 5 Sa 20/91 – NZA 1992, 309 ff. 453 Vgl. Lorenz, a. a. O. 454 Vgl. BAG vom 14.2.1996 – 2 AZR 234/95 – NZA 1996, 811, 812 (zur Widerrufbarkeit von Aufhebungsverträgen bei fehlender Bedenkzeit wegen „struktureller Unterlegenheit“ i. S.d. Bürgschaftsentscheidung des BVerfG); so auch Singer, Arbeitsvertragsgestaltung nach der Reform des BGB, RdA 2003, 194, 196. 455 Vgl. auch Lorenz, S. 363. Vgl. zur Diskussion um die Anwendbarkeit des § 312 BGB im Arbeitsrecht statt vieler Hümmerich, Alea iacta est – Aufhebungsvertrag kein Haustürgeschäft, NZA 2004, 809 ff. und aus der jüngeren Rechtsprechung BAG vom 27.11.2003 – 2 AZR 135/03 – AP BGB § 312 Nr. 1 und BAG vom 27.11.2003 – 2 AZR 177/03 – AP BGB § 312 Nr. 2, beide mit zahlreichen Nachweisen aus der Aufsatzliteratur. 456 Vgl. BAG vom 27.11.2003 – 2 AZR 135/03 – AP BGB § 312 Nr. 1 [unter B. II. 3. b) cc) (3) der Gründe].
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5. Kap.: Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung
Genauso wenig überzeugt jedoch der Lösungsansatz des Bundesarbeitsgerichts457, der auf eine generelle Unanwendbarkeit des § 312 BGB im Arbeitsverhältnis hinausläuft und damit dem Arbeitnehmer entgegen dem Wortlaut des Gesetzes stets einen situationsspezifischen Überrumpelungsschutz durch § 312 BGB versagt458. Die in den Entscheidungen hierfür als wesentlich vorgebrachten Argumente überzeugen nicht: Das systematische Argument, aus der Einfügung des § 312 BGB in den Untertitel „Besondere Vertriebsformen“ ergäbe sich die Unanwendbarkeit der Norm im Arbeitsrecht459, muss als eher schwach bezeichnet werden, weil die Vorgängervorschrift des Haustürwiderrufsgesetzes in ständiger Rechtsprechung auch auf Verträge angewendet worden ist, die nicht zum Vertrieb von Waren oder Dienstleistungen zu rechnen sind. Weiterhin sind für eine diesbezügliche Restriktionsabsicht des Gesetzgebers keine Anhaltspunkte ersichtlich460. Schließlich überzeugt auch das teleologisch-situative Argument des Bundesarbeitsgerichts nicht. Es erscheint fernliegend, dass Arbeitnehmer jederzeit damit zu rechnen haben, am Arbeitsplatz vom Arbeitgeber spontan mit Vereinbarungen einschneidender Art über das für sie i. d. R. existentiell wichtige Arbeitsverhältnis konfrontiert zu werden und daher dadurch prinzipiell nicht überrumpelt werden könnten461. Im Allgemeinen haben Arbeitnehmer im täglichen Arbeitsleben zu derlei Argwohn keinen Anlass. Ein gangbarer Weg wäre m. E. deshalb ein Lösungsansatz, der § 312 BGB auch im Arbeitsrecht für anwendbar erachtet, die situationsspezifische Gefährdungs-Typisierung „am Arbeitsplatz“ jedoch teleologisch reduziert. Dem Arbeitgeber sollte hier die Möglichkeit eingeräumt werden, die gesetzlich vermutete Überrumpelungssituation im Streitfall durch den Vortrag entgegenstehender Tatsachen, etwa dem Vorangehen ausführlicher Gespräche mit ausreichender Bedenkzeit für den Arbeitnehmer, zu entkräften.
Hinsichtlich der Mindestanforderungen an eine typisierend-situative Anknüpfung von Auflösungsrechten kann im Arbeitsvertragsrecht insoweit nichts anderes gelten als im allgemeinen Zivilrecht462. Auch hier wird man ein Auflösungsrecht des Arbeitnehmers aus allgemeinen Normen dann (aber auch nur dann) systemkonform begründen können, wenn die Situation bei Abschluss der fraglichen (Verzichts-)Vereinbarung bei typisierender Betrachtung eine Überrumpelung des Arbeitnehmers befürchten lässt und das 457
Siehe Fn. 455. Kritisch auch Hümmerich, Alea iacta est – Aufhebungsvertrag kein Haustürgeschäft, NZA 2004, 809 ff.; vgl. weiter Thüsing, Angemessenheit durch Konsens – Zu den Grenzen der Richtigkeitsgewähr arbeitsvertraglicher Vereinbarungen, RdA 2005, 257, 266. 459 BAG vom 27.11.2003 – 2 AZR 135/03 – AP BGB § 312 Nr. 1 [unter B. II. 3. b) aa) der Gründe]. 460 So auch Hümmerich, NZA 2004, 809, 813. 461 BAG vom 27.11.2003 – 2 AZR 135/03 – AP BGB § 312 Nr. 1 [unter B. II. 3. b) cc) (3) der Gründe]; kritisch dazu Hümmerich, a. a. O., 814 f. und zuvor schon Singer, Arbeitsvertragsgestaltung nach der Reform des BGB, RdA 2003, 194, 197. 462 Singer, ebenda. 458
D. Relevanz wirtschaftlicher Unterlegenheit für die Verzichtsbefugnis
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Schaffen oder Ausnutzen einer solchen Situation dem Arbeitgeber bzw. dem bevorteilten Gläubiger zugerechnet werden kann463. Abgesehen von den bereits oben erörterten, eher praktischen Problemen von Vertragsauflösungsrechten im laufenden Arbeitsverhältnis führt also auch die in der Regel fehlende Zurechenbarkeit der aus den Mechanismen des arbeitsrechtlichen Unterlegenheitsparadigmas zu folgernde Beengung der Entscheidungsfreiheit zu dem Schluss, dass eine allgemeine Unverzichtbarkeit auch dispositiver arbeitsvertragsrechtlicher Ansprüche nicht zivilrechtskonform aus dem arbeitsrechtlichen Unterlegenheitsparadigma abgeleitet werden kann. b) Arbeitsvertragsrechtliche Unabdingbarkeit als spezialgesetzlicher Unterlegenheitsschutz Da und soweit zwingendes Arbeitsvertragsrecht (auch) durch das Unterlegenheitsparadigma gerechtfertigt wird, kann man es als eine spezielle, anspruchsspezifische Typisierung des allgemeinen Gedankens des Schutzes vor faktischen Einschränkungen der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit durch wirtschaftlich-soziale Umstände verstehen464. Dieser Schutzgedanke unterscheidet sich inhaltlich nicht prinzipiell von demjenigen, der unter den weiteren Voraussetzungen der sog. wucherähnlichen Rechtsgeschäfte465 auch vom Anwendungsbereich des § 138 BGB unter dem Aspekt der sog. Umstandssittenwidrigkeit erfasst wird466. Die insoweit gewählte methodisch-typisierende Anknüpfung des Schutzes ist jedoch eine andere; sie liegt in einem über die Phase der Begründung des Arbeitsverhältnisses hinaus wirkenden, speziell auf den jeweiligen unabdingbaren Anspruch beschränkten Schutz des Arbeitnehmers vor den speziellen Mechanismen der typischerweise gegebenen wirtschaftlichen Disparitäten der Arbeitsvertragsparteien. Der gegenüber nicht-arbeitsrechtlichen Beziehungen erhöhte Schutz der materiellen Entscheidungsfreiheit ist sachlich durch die erhöhte Abhängigkeit des Arbeitnehmers von nur einem Vertragspartner über einen typischerweise längeren Zeitraum gerechtfertigt. Zwar mögen auch Selbstständige, insbesondere Kleingewerbetreibende, regelmäßig existenziell auf die Verwertung ihrer Arbeitskraft angewiesen sein, sie tun das jedoch typischer463
Vgl. Lorenz, S. 362, 517. Enderlein bezeichnet dies als nicht-paternalistische Positionsverbesserung, S. 465 ff. 465 Vgl. Palandt - Heinrichs § 138 Rn. 34. 466 Vgl. dazu insb. Soergel - Hefermehl § 138 Rn. 153, der den praktischen Anwendungsbereich des § 138 BGB gerade durch die spezielleren Normen des zwingenden Arbeitsvertragsrechts zurückgedrängt sieht. 464
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5. Kap.: Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung
weise durch den Abschluss einer Vielzahl von Werk- oder Dienstverträgen mit unterschiedlichen Auftraggebern, was der Bedeutung des einzelnen Vertrages und dem daraus resultierenden Einfluss des jeweiligen Vertragspartners im Allgemeinen ein weitaus geringeres Gewicht zuweist467. Da Gesetzgeber und ständige höchstrichterliche Rechtsprechung die Unabdingbarkeit von Ansprüchen des Arbeitsvertragsrechts zentral mit dem Schutz vor arbeitnehmerspezifischer Unterlegenheit begründen, muss die zeitliche Reichweite des Schutzes durch Unabdingbarkeit mit dem bei typisierender Betrachtung anzunehmenden Fortdauern der arbeitnehmerspezifischen Unterlegenheitssituation korrelieren. Man kann die Normen des zwingenden Arbeitsvertragsrechts insoweit als besonderen Unterlegenheitsschutz auffassen, der sich zum einen einer Verallgemeinerung auf andere, dispositive Ansprüche und Rechte aus dem Arbeitsverhältnis entzieht, zum anderen aber unabhängig ist von einer subjektiven Komponente auf Seiten des Arbeitgebers, also gerade kein sozial inadäquates Ausbeuten der schwächeren Verhandlungsposition des Arbeitnehmers erfordert468. Daraus ergibt sich auch der entscheidende praktische Unterschied gegenüber den durch § 138 BGB erfassten wucherähnlichen Tatbeständen. Allein der aus dem arbeitsrechtlichen Unterlegenheitsparadigma abgeleitete Schutz der Entscheidungsfreiheit des Arbeitnehmers ist hier relevanter Anknüpfungspunkt469. Ein systemfremder Rückgriff auf die wirtschaftliche Belastung des Arbeitnehmers durch den Verzicht ist wegen der Unerheblichkeit einer verwerflichen Gesinnung des begünstigten Arbeitgebers hier prinzipiell nicht angezeigt. Denn unter dem Aspekt des Schutzes der negativen rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit – verstanden als Schutz der negativen Vertragsabschlussfreiheit – gegenüber aufgezwungenen Vertragsschlüssen ist das Maß einer inhaltlichen Nachteiligkeit grundsätzlich bedeutungslos. Und wegen der Begrenzung des aus der arbeitsrechtlichen Unabdingbarkeit folgenden Schutzes der negativen Vertragsabschlussfreiheit auf die jeweils geschützten Ansprüche oder Rechte ist ein Rückgriff auf inhaltliche Aspekte hier auch nicht aus praktischen Gründen zur Vermeidung von Ausuferungen geboten. 3. Zwischenergebnis Arbeitsvertragsrechtliche Unabdingbarkeitsnormen haben – soweit sie der Natur des geschützten Anspruchs nach zumindest auch dem Schutz vor ar467
Vgl. auch Schwarze, Arbeitnehmerbegriff und Vertragstheorie, ZfA 2005, 99. Vgl. zur prinzipiellen Unabhängigkeit der Entscheidungsfreiheit als Schutzgut von subjektiven Zurechenbarkeit Gernhuber, Ruinöse Bürgschaften als Folge familiärer Verbundenheit, JZ 1995, 1086, 1092. 469 Vgl. Gernhuber, ebenda. 468
D. Relevanz wirtschaftlicher Unterlegenheit für die Verzichtsbefugnis
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beitsrechtlicher Unterlegenheit dienen – eine speziell arbeitsrechtlich motivierte, kompensatorische Aufgabe470. Sie können nicht generelle Probleme des allgemeinen Zivilrechts lösen471 und sind damit in ihrem speziellen, kompensatorisch zu verstehenden Schutzanliegen auch nicht analogiefähig. Mit der systematischen Einordnung des nachträglichen Verzichtsschutzes durch arbeitsvertragsrechtliche Unabdingbarkeit als spezielle Ausprägung des Schutzes vor Unterlegenheit ist zugleich die Gefahr weitreichender Freiheitseinschränkungen durch eine ausufernden Anwendung des Unterlegenheitsparadigmas auch hinsichtlich grundsätzlich dispositiver Ansprüche des Arbeitnehmers relativiert. Jenseits des auf eklatante Missbrauchsfälle beschränkten Schutzes durch die Normen des allgemeinen Zivilrechts kommt ein weitergehender typisierender Schutz der Entscheidungsfreiheit nach dem arbeitsrechtlichen Unterlegenheitsparadigma nur hinsichtlich der (halb-)zwingend ausgestalteten gesetzlichen Mindestnormen des Arbeitsvertragsrechts in Betracht. In diesem Anwendungsbereich bieten sie jedoch ein höheres Maß an Schutz vor Beeinträchtigungen der individuellen Entscheidungsfreiheit, als im Interesse von Rechtssicherheit und Verkehrsschutz von allgemeinen zivilrechtlichen Normen wie §§ 123 BGB, 138 BGB oder auch § 242 BGB gewährt werden kann.
IV. Fazit Die rechtliche Relevanz einer auf wirtschaftliche Unterlegenheit zurückzuführenden Einschränkung der Entscheidungsfreiheit ist vertragstheoretisch in der Anerkennung des übereinstimmenden rechtsgeschäftlichen Willens der Vertragsparteien als Geltungsgrund des Vertrages begründet. Eine nicht mehr hinreichende Ableitbarkeit des Vertragsschlusses vom autonomen Entschluss beider Parteien kann allgemein als eines der wichtigsten Kriterien für die Korrektur bzw. Nichtanerkennung privatautonomer Absprachen durch die Zivilrechtsordnung angesehen werden472. Das muss im besonderen Maße dann gelten, wenn die Veränderung der gesetzlich vorgesehenen 470 So auch Hofmann, Grenzen gesetzlicher Unabdingbarkeitsnormen im Arbeitsrecht, FS 25 Jahre BAG, S. 217, 233; vgl. auch BAG vom 11.6.1976 – 5 AZR 506/75 – AP LohnFG § 9 Nr. 2. Gegen eine Spezialität des arbeitsrechtlichen Unterlegenheitsschutzes durch Unabdingbarkeitsnormen offenbar Köck, Grenzen der Zulässigkeit des Verzichts auf schon entstandene Arbeitnehmeransprüche, ZAS 1986, 73, 85 (zum österreichischen Recht); grundsätzlich ablehnend Staudinger - Rieble BGB § 397 Rn. 199 a. E. 471 Hofmann, ebenda. 472 Vgl. dazu auch Kähler, Private Disposition jenseits der Herrschaft des Gesetzes – zur Abdingbarkeit gesetzlicher Normen, Jb.J.ZivRWiss. 2002, S. 181, 200.
262
5. Kap.: Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung
Vertragsmodalitäten gerade zum Inhalt des Vertrages erhoben wird, wie dies bei Abbedingung von zwingenden Regelungen bzw. dem Verzicht auf daraus abgeleitete Ansprüche oder Rechte der Fall ist473. Die Zivilrechtsordnung muss deshalb in Situationen, die regelmäßig die Gefahr bergen, dass die Zustimmung zu einem Vertragsschluss durch wirtschaftliche Abhängigkeit einer Seite soweit determiniert ist, dass ein theoretisch möglicher Verzicht auf den Vertragsschluss faktisch nicht mehr zumutbar ist, konditionierend eingreifen, um eine Pervertierung der Vertragsfreiheit um ihrer selbst willen zu verhindern. Im Sinne eines Mindestschutzes der Privatautonomie der „schwächeren Seite“ ist dies auch verfassungsrechtlich geboten. Die sich aus der typischerweise vorhandenen existenziellen Abhängigkeit von einem angemessenen Arbeitsverhältnis im Regelfall ergebende wirtschaftliche Unterlegenheit des Arbeitnehmers dürfte in der Mehrzahl der Fälle geeignet sein, eine Zurückweisung nachteiliger Verzichtsvereinbarungen über gesetzliche Nebenbedingungen unzumutbar zu machen. Denn mit der Ablehnung geht bei lebensnaher Betrachtung eine Gefährdung der gedeihlichen Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses und damit der wirtschaftlich-sozialen Existenz einher. Ein pauschales Urteil über die legitimierende Wirkung des Unterlegenheitsparadigmas ist damit jedoch nicht verbunden. Der Gedanke der Freiheitsmaximierung gestattet und erfordert ein differenzierteres Reaktionsmodell als das einer absoluten Unverzichtbarkeit als Folge der (auch) unterlegenheitsspezifischen Anordnung arbeitsrechtlicher Unabdingbarkeit. Der Unterlegenheitsschutz durch unabdingbares gesetzliches Arbeitsvertragsrecht ist in diesem Modell als normspezifische Ausprägung des Schutzes der Entscheidungsfreiheit des Arbeitnehmers zu verstehen und entzieht sich insoweit einer Verallgemeinerung sowohl auf andere Ansprüche oder Rechte des Arbeitnehmers, als auch auf nicht-arbeitsrechtliche Vertragsbeziehungen.
E. Grenzen der Legitimierbarkeit zwingenden Arbeitsvertragsrechts durch das Unterlegenheitsparadigma Mit der anspruchsspezifischen Eingrenzung des Anwendungsbereichs des Unterlegenheitsparadigmas ist noch nichts darüber gesagt, welche Reichweite die durch Unterlegenheitsschutz begründete Komponente des Arbeitnehmerschutzes durch unabdingbare gesetzliche Ansprüche in diesem Anwendungsbereich haben muss bzw. haben darf. Die Gefahr einer übermäßigen Freiheitseinschränkung infolge sog. wirtschaftlicher Unterlegenheit 473
Ebenda, S. 201.
E. Grenzen der Legitimierbarkeit zwingenden Arbeitsvertragsrechts
263
steht hier prinzipiell derjenigen einer übermäßigen Freiheitseinschränkung durch gut gemeinten, aber im Einzelfall interessenwidrigen Unterlegenheitsschutz gegenüber. Da und wenn also grundsätzlich anzuerkennen ist, dass eine wirtschaftliche Unterlegenheit des Arbeitnehmers zu einer Einschränkung seiner realen rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit führt, die jedenfalls im Rahmen des auch zum Zwecke des Unterlegenheitsschutzes zwingenden Arbeitsvertragsrechts im Allgemeinen konditionierungsbedürftig ist, so ist weiter nach den inneren Grenzen der Überzeugungskraft dieses Legitimationsansatzes für Eingriffe in die formelle Vertragsfreiheit zu fragen. Die Komplexität der unter dem Begriff der wirtschaftlichen Unterlegenheit im bestehenden Arbeitsverhältnis zusammengefassten außerrechtlichen Bedingungen eines rechtsgeschäftlichen Verzichts verdeutlicht dabei, dass eine Feststellung wirtschaftlicher Unterlegenheit im Einzelfall mangels hinreichender Operabilität der sie tragenden Erwägungen keinen gangbaren Weg darstellt. Es ist ein Gebot der Rechtssicherheit, dass die Parteien bei Abschluss einer Verzichtsvereinbarung mit hinreichender Sicherheit in die Lage gesetzt werden müssen, die Rechtswirksamkeit der getroffenen Vereinbarung abzuschätzen. Danach muss man einerseits anerkennen, dass wirtschaftliche Unterlegenheit grundsätzlich geeignet sein kann, eine extensive teleologische Auslegung der zwingenden Wirkung gesetzlicher Normen des Arbeitsvertragsrechts zu rechtfertigen474. Anderseits ist jedoch zu berücksichtigen, dass das Paradigma der wirtschaftlichen Unterlegenheit des Arbeitnehmers keine unumstößliche Gesetzmäßigkeit ist, die stets und zeitlich unbeschränkt eine tragfähige Legitimation für eine unterlegenheitsspezifische Einschränkung der Verzichtsbefugnis liefern kann. Es stellt sich damit die weitere Aufgabe, geeignete Fallgruppen zur Präzisierung der unterlegenheitsspezifischen Rechtfertigung der Unabdingbarkeitswirkung zu finden.
I. Situationsspezifisch-typisierende Beurteilung der Unterlegenheit des Arbeitnehmers Grundgedanke des Paradigmas von der wirtschaftlichen Unterlegenheit des Arbeitnehmers im bestehenden Arbeitsverhältnis ist, dass der Arbeitnehmer aus naheliegender und nachvollziehbarer Furcht vor möglichen künftigen Sanktionen des Arbeitgebers in seiner (negativen) Entscheidungsfreiheit beengt ist. Diese Befürchtung oder dieser Druck muss nicht beson474
201.
Grundsätzlich ablehnend offenbar Staudinger - Rieble BGB § 397 Rn. 193 ff.,
264
5. Kap.: Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung
ders konkret oder durch ein drohungsähnliches Verhalten des Arbeitgebers erhärtet sein. Man wird jedoch als Mindestvoraussetzung verlangen müssen, dass das Vorliegen eines solchen Drucks in der konkreten Situation nach allgemeiner Lebenserfahrung nachvollziehbar und damit glaubhaft erscheint. Auch für die dem arbeitsrechtlichen Unterlegenheitsparadigma grundsätzlich inhärente Berücksichtigung des so genannten „vermeintlichen Drucks“, dem sich Arbeitnehmer auch dann ausgesetzt fühlen können, wenn der Arbeitgeber tatsächlich ein sanktionierendes Verhalten überhaupt nicht in Betracht zieht, muss grundsätzlich dort eine allgemeine Grenze finden, wo auch aus der objektiven Perspektive eines „verständigen Arbeitnehmers“ in der jeweiligen Situation eine Sanktionsbefürchtung fernliegend erscheint. Der tatsächliche Wirkungsbereich der Mechanismen der im Rahmen des Arbeitsvertragsrechts primär relevanten wirtschaftlichen Unterlegenheit hat deshalb allgemein beschreibbare äußere Grenzen, außerhalb derer das Unterlegenheitsparadigma grundsätzlich keine Legitimation für einen Eingriff in die Verzichtsfreiheit mehr liefern kann. Jenseits der hohen Diversität, von der die Wirkungsweise dieser Mechanismen im Einzelfall gekennzeichnet ist, lässt sich also allgemeiner deren mögliches Aktionsfeld abstecken. Aus dem Paradigma der wirtschaftlichen Unterlegenheit ergeben sich im Wesentlichen zwei systemimmanente Grenzen für seine Legitimationswirkung: Die erste und wohl prägnanteste Grenze ist zeitlicher Natur. Sie ergibt sich aus der dem Nötigungsgedanken immanenten Notwendigkeit der Existenz eines möglichen zukünftigen Nötigungserfolges. Eine zweite, deutlich schwieriger festzulegende Grenze ist wirtschaftlicher Natur. Sie setzt am Gedanken der existenziellen Abhängigkeit selbst und damit an der tatsächlichen Grundvoraussetzung für die Legitimation einer unterlegenheitskompensierenden Positionsverbesserung durch zwingendes Arbeitsvertragsrecht an. 1. Die zeitliche Wirkungsgrenze des Unterlegenheitsparadigmas Soweit Rechtsprechung und Literatur die Unabdingbarkeitswirkung und ihr Fortdauern mit dem Unterlegenheitsparadigma begründen, besteht jedenfalls nach wohl weit überwiegender Ansicht475 Einigkeit, dass die spezifisch arbeitsrechtliche Unterlegenheit des Arbeitnehmers jedenfalls nicht zeitlich unbegrenzt über das Ende der Arbeitsbeziehung hinaus fortbesteht476. Da das Unterlegenheitsparadigma auf den auch informellen Ei475
Zu den insoweit vertretenen kritischen Auffassungen im Einzelnen sogleich. Grundlegend Nipperdey, Beiträge zum Tarifrecht (1924), S. 61 f.; vgl. zum aktuellen Rechtsprechungs- und Meinungsstand im Einzelnen auch die Übersicht 476
E. Grenzen der Legitimierbarkeit zwingenden Arbeitsvertragsrechts
265
genheiten der wechselseitigen Beziehungen der Arbeitsvertragsparteien basiert, muss das Ende der Legitimationskraft des Unterlegenheitsparadigmas prinzipiell mit dem Ende dieser wechselseitigen Beziehungen korrelieren477. Der Arbeitgeber büßt im Allgemeinen gleichsam seinen für das Arbeitsverhältnis charakteristischen „längeren Hebel“ bei Vertragsverhandlungen ein, wenn er wegen der endgültigen Beendigung zukünftig nicht mehr zu wirksamen informellen Einflussnahmen auf den Arbeitnehmer in der Lage sein wird. Zwar ist der typische Arbeitnehmer auch dann in der Regel noch existenziell darauf angewiesen, seine Arbeitskraft zur Sicherung seines Lebensunterhalts bzw. seines Lebensstandards durch abhängige Arbeit zu verwerten. Die berufliche Selbstständigkeit wird nur in wenigen Fällen eine real nutzbare bzw. ökonomisch sinnvolle Alternative dazu sein478. Gleichwohl endet die für das laufende Arbeitsverhältnis charakteristische wirtschaftliche Unterlegenheit gegenüber dem bisherigen Arbeitgeber, wenn klar ist, dass eine Sicherung des Lebensunterhalts durch ein Arbeitsverhältnis bei diesem konkreten Arbeitgeber künftig nicht mehr möglich sein wird. Denn das arbeitsrechtliche Unterlegenheitsparadigma kann einen Eingriff in die Vertragsfreiheit nur dann und nur solange rechtfertigen, wie die existenzielle Abhängigkeit von einem Arbeitsverhältnis kausal für die Gefahr materiell unfreiwilliger Vertragsschlüsse mit einem (potenziellen) Arbeitgeber ist. Diese prinzipielle Verknüpfung folgt letztlich aus dem rollenspezifischen Verständnis der „Unterlegenheit“ des Arbeitnehmers; die Annahme einer stets und unbefristet über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus andauernden Unterlegenheit würde dagegen die Vorstellung einer klassenspezifischen Unterlegenheit voraussetzen479. Steht also fest, dass die Sicherung des Lebensunterhalts künftig nicht (mehr) vom konkret in Aussicht genommenen oder bisherigen Arbeitgeber abhängen wird, so entfällt damit prinzipiell auch die Basis des Unterlegenheitsparadigmas. Ein rechtlich anzuerkennender, rational nachvollziehbarer Anlass des Arbeitnehmers für ein überobligationsmäßiges Wohlverhalten gegenüber dem Arbeitgeber besteht dann nicht mehr; die einer Vertragsbeziehung innewohnende Erwartung eines auch außerhalb der konkreten Vereinbarung liegenoben, 2. Kapitel: A. und die dortigen Nachweise. Die Unverzichtbarkeit des gesetzlichen Urlaubsanspruchs hat das BAG nicht tragend mit dem arbeitsrechtlichen Unterlegenheitsparadigma begründet, vgl. dazu BAG vom 27.7.1967 – 5 ZR 112/67 – SAE 1968, 179 ff. (=AP BUrlG § 7 Abgeltung Nr. 2 (KT)) mit Anm. von Schnorr. 477 Vgl. dazu Reuter, Gibt es eine arbeitsrechtliche Methode?, FS Hilger/Stumpf, S. 573, 577; Beck, Risikogesellschaft, S. 130 ff. 478 Vgl. dazu auch oben, 4. Kapitel: A. II. 2. c). 479 Vgl. dazu Reuter, Gibt es eine arbeitsrechtliche Methode?, FS Hilger/Stumpf, S. 573, 577; und auch Beck, Risikogesellschaft, S. 130 ff.
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5. Kap.: Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung
den gegenseitigen Entgegenkommens verliert ihre Bedeutung. Die aus der Unterschiedlichkeit des informellen Sanktionspotenzials resultierende Schwächung der Verhandlungsposition des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber wird praktisch eingeebnet480, weil die Vertragspartner ab diesem Zeitpunkt wissen, dass sie im Regelfall „nichts mehr von einander zu erwarten haben“481. Deshalb unterscheidet sich die Vertragsschlusssituation hinsichtlich einer solchen Verzichtsvereinbarung – so das wohl tragende Argument der herrschenden Meinung – im Allgemeinen in ökonomischpsychologischer Hinsicht ab diesem Zeitpunkt nicht mehr wesentlich von derjenigen eines gewöhnlichen, nur punktuellen Austauschvertrages wie etwa eines Kaufvertrages482. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass zum Zeitpunkt der Verzichtsvereinbarung die Wiederbegründung des Arbeitsverhältnisses zwischen den Arbeitsvertragsparteien nicht mehr zur Debatte steht. Stellt der Arbeitgeber dagegen die (vom Arbeitnehmer erwünschte) Wiederbegründung in Aussicht oder besteht u. U. sogar ein (tariflicher) Anspruch auf Wiedereinstellung, so endet auch die für das Arbeitsverhältnis charakteristische Machtbeziehung nicht483. In derartigen Ausnahmefällen besteht in der Regel auch die aus dem Unterlegenheitsparadigma zu folgernde Beengung der Entscheidungsfreiheit des Arbeitnehmers fort484.
Der genaue Verlauf dieser zeitlichen Wirkungsgrenze ist in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht einheitlich gezogen worden; sie soll beim Verzicht auf Kündigungsschutz beim Zugang des Kündigungsschreibens, beim Entgeltfortzahlungs- und Zeugnisanspruch beim Datum der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses liegen485. Im Schrifttum werden weitere Varianten propagiert, u. a. diejenige, nach der eine Verzichtbarkeit unabdingbarer Ansprüche erst dann eintreten solle, wenn andere Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis nicht mehr in Frage stehen486. 480 Vgl. zur unterlegenheitsspezifischen teleologischen Rechtfertigung des nachwirkenden Verzichtsverbots des schweizerischen Art. 341 OR jedoch U. Hofmann, Verzicht und Vergleich im Arbeitsrecht, S. 83 f. 481 Vgl. Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, S. 498. 482 Vgl. Falk, Homo Oeconomicus Versus Homo Reciprocans, S. 20 f. 483 Vgl. etwa den Wiedereinstellungsanspruch nach Kündigung wegen schlechter Witterung gemäß § 46 Nr. 3 des (allgemeinverbindlichen) Rahmentarifvertrags für gewerbliche Arbeitnehmer im Maler- und Lackiererhandwerk sowie dazu BAG vom 1.12.2004 – 7 AZR 37704 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Maler Nr. 12. 484 Vgl. dazu im Einzelnen unten, 5. Kapitel: E. I. 1. b) bb). 485 Vgl. zum Rechtsprechungs- und Meinungsstand im Einzelnen die Übersicht oben, 2. Kapitel: A. und die dortigen Nachweise. 486 Dorndorf, Anm. zu BAG vom 21.12.1972 – 5 AZR 319/72 – SAE 1974, 116, 118.
E. Grenzen der Legitimierbarkeit zwingenden Arbeitsvertragsrechts
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Im Folgenden sollen zunächst die gegen eine enge Relation von Beendigung des Arbeitsverhältnisses und Unterlegenheit erhobenen Einwände kritisch gewürdigt werden, um im Anschluss daran die daraus für die Verzichtbarkeit zu ziehenden Folgerungen näher zu beleuchten. a) Grundsätzliche Einwände gegen eine zeitliche Grenze des Unterlegenheitsschutzes Vereinzelt ist von den Befürwortern einer uneingeschränkten Unabdingbarkeitswirkung eingewandt worden, auch nach „Beendigung“ des Arbeitsverhältnisses seien noch unterlegenheitsspezifische „Zwänge“ denkbar, die den Arbeitnehmer geneigt machen könnten, Verzichtsvereinbarungen einzugehen487; deshalb behalte die Unabdingbarkeitswirkung auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ihren teleologischen Sinn488. aa) Die Situation der „Dreiecksnötigung“ Hierher gehören zum einen die wohl eher seltenen Fälle, die sich mit dem aus dem Strafrecht bekannten Begriff der Dreiecksnötigung umschreiben lassen489. Zu denken ist hier etwa an Konstellationen, in denen eine latente Nötigungssituation beim ausscheidenden Arbeitnehmer fortbestehe, weil beispielsweise ein Familienmitglied noch Arbeitnehmer des früheren Arbeitgebers ist oder es demnächst werden soll490. Soweit derart nachwirkende „Zwänge“ aus ausgesprochenen Ausnahmekonstellationen wie in dem genannten Beispiel Trieschmanns hergeleitet werden, vermag dieser Einwand schon deshalb nicht zu überzeugen, weil eine generalisierende Regelung, die in der weit überwiegenden Mehrzahl der Fälle die Vertragsfreiheit ungerechtfertigt einschränkt, schwerlich als teleologisch geboten bezeichnet werden kann. Das derartige „Zwänge“ im Einzelfall denkbar sind, mag ausreichen, um im eine am Einzelfall orientierte Konditionierung solcher Vereinbarungen nahe zu legen, eine teleologische Rechtfertigung für einen generellen Ausschluss der Verzichtsbefugnis durch zwingendes Recht liefern sie nicht491. 487
So vor allem Trieschmann, Zum Verzicht des Arbeitnehmers auf unabdingbare gesetzliche Ansprüche, RdA 1976, 68, 69; in diesem Sinne wohl auch Dorndorf, Anm. zu BAG vom 21.12.1972 – 5 AZR 319/72 – SAE 1974, 116, 118 und ErfK Dörner EFZG § 12 Rn. 12. 488 Heckelmann, Anm. zu BAG vom 11.6.1976 – 5 AZR 506/75 – SAE 1977, 260, 262. 489 Vgl. zum Begriff der strafrechtlichen Dreiecksnötigung Schönke/Schröder StGB § 240 Rn. 11 m. w. N. 490 So das Beispiel von Trieschmann, a. a. O.
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5. Kap.: Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung
bb) Erschwernisse durch eine prozessuale Durchsetzung zweifelhafter Ansprüche Weitergehend sieht Heckelmann für den Lohn- bzw. Entgeltfortzahlungsanspruch gerade bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses einen typischen Fall einer „krankheitsbedingten Drucksituation“, da der typische Arbeitnehmer infolge finanziellen Drucks geneigt sein könne, auf noch ausstehende, rechtlich unzweifelhafte Ansprüche auf Entgeltfortzahlung zu verzichten, um zur Vermeidung eines Rechtsstreits die reibungslose Auszahlung anderer, möglicherweise zweifelhafter Ansprüche, zu erkaufen492. Auch dieser Einwand hält einer näheren Analyse nicht stand. So ist schon auf der tatsächlichen Ebene nicht ersichtlich, wie im Falle eines sich rechtswidrig oder unredlich verhaltenden Arbeitgebers durch die Unverzichtbarkeit der Entgeltfortzahlungsansprüche ein Rechtsstreit und das damit verbundene Kostenrisiko vermieden werden könnte493. Es verbleibt insoweit nur das Argument, dass die akute Angewiesenheit des Arbeitnehmers auf den noch offenen Entgeltfortzahlungsbetrag zu einem gewissen Zeitdruck führt, der ihn zu einem „faulen Vergleich“ nötigen kann494. Es mag auch sein, dass der (ehemalige) Arbeitgeber typischerweise über den „längeren Atem“ verfügt, wenn es am Ende eines Arbeitsverhältnisses darum geht, einen Rechtsstreit wegen einer streitigen Entgeltforderung durchzustehen und der Arbeitnehmer aufgrund fehlender finanzieller Reserven schon aus diesem Grunde eher verzichtsbereit sein wird495. Ein solcher durch Zeitablauf und Prozesskostenrisiko vermittelter Druck hat jedoch nichts mit einem spezifisch arbeitsrechtlichen Schutzbedürfnis im Sinne des Unterlegenheitsparadigmas zu tun, er findet sich auch im allgemeinen Zivilrecht überall dort, wo ein wirtschaftliches Gefälle zwischen den Parteien die wirtschaftlich schwächere Seite faktisch zu einem der Rechtslage und den prozessualen Erfolgsaussichten unangemessenen Nachgeben nötigt. Arbeitsvertragsrechtliche Unabdingbarkeitsnormen sind jedoch weder dazu bestimmt noch in der Lage, generelle Probleme der faktischen prozessualen Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche zu lösen496; entsprechend ist auch in dieser Hin491 In diesem Sinne in Entgegnung auf Trieschmann auch BAG vom 11.6.1976 – 5 AZR 506/75 – AP LohnFG § 9 Nr. 2 [unter II. 3. der Gründe]; ebenso Hofmann, FS 25 Jahre BAG, S. 217, 233 f. 492 Vgl. Heckelmann, a. a. O.; ähnliche Erwägungen auch bei Dorndorf a. a. O., S. 116, 118. 493 Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht, S. 485. 494 Vgl. zu derartigen Erwägungen auch Dorndorf, Anm. zu BAG vom 21.12.1972 – 5 AZR 319/72 – SAE 1974, 116, 117 und die Auseinandersetzung mit diesem Einwand oben, 5. Kapitel: C. II. 2. b). 495 Hofmann, FS 25 Jahre BAG, S. 217, 233.
E. Grenzen der Legitimierbarkeit zwingenden Arbeitsvertragsrechts
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sicht ausufernden Tendenzen des arbeitsrechtlichen Unterlegenheitsschutzes entgegenzutreten497. Sie dienen in ihrer Teilfunktion des Unterlegenheitsschutzes nur einem kompensatorisch zu verstehenden, spezifisch arbeitsvertragsrechtlichen Schutz. Folglich muss ihr Anwendungs- und Wirkungsbereich prinzipiell auf die typisch arbeitsvertragsrechtlichen Gebiete beschränkt bleiben498. cc) Mögliche Behinderung des persönlichen Fortkommens bei einem neuen Arbeitgeber Eine extensive Auslegung ist vereinzelt auch deshalb erwogen worden, weil dem ehemaligen Arbeitgeber durch ein mögliches Zurückhalten der Arbeitspapiere, durch die in der Regel nach tatsächlicher Beendigung des Arbeitsverhältnisses erfolgende Ausstellung des Arbeitszeugnisses sowie durch die mögliche mündliche und informelle Weitergabe unvorteilhafter Informationen über den Arbeitnehmer499 ein informelles Sanktionspotenzial verbleibe. Die „Drucksituation“ des Arbeitnehmers sei also mit der rechtlichen oder tatsächlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch nicht vollständig beendet500. Zwar sei der Arbeitnehmer hinsichtlich dieser Ansprüche rechtlich geschützt, durch deren nicht ordnungsgemäße Erfüllung sei er jedoch u. U. erheblich in seinem beruflichen Fortkommen behindert501. Auch die Vertreter des Gedankens einer derart nachwirkenden Unterlegenheit räumen ein, dass dadurch zwar noch keine Abhängigkeit in dem Sinn begründet werde, wie sie im noch bestehenden Arbeitsverhältnis herrsche; auch die verbleibende Abhängigkeit könne aber die Entscheidungen 496
So bereits Hofmann, FS 25 Jahre BAG, S. 217, 233. Vgl. zu materiellrechtlich begründeten Ausuferungstendenzen bereits ausführlich oben, 5. Kapitel: D. III. 2. 498 Hofmann, a. a. O. 499 Es ist streitig, ob der ehemalige Arbeitgeber ohne das ausdrückliche Einverständnis des Arbeitnehmers überhaupt zur Erteilung von Auskünften berechtigt ist, bejahend BAG vom 25.10.1957 – 1 AZR 434/55 – AP Nr. 1 zu § 630 BGB; Schleßmann, S. 114; a. A. MüKo - Schwerdtner (3. Aufl.) BGB § 630 Rn. 67 und nunmehr auch Schaub/Linck § 147 Rn. 3 (a. A. noch die Vorauflage); vgl. zu den rechtlichen Grundlagen und Grenzen der Auskunftserteilung allgemein MünchArbR - Wank § 128 Rn. 55 ff. und Schulz, Zur Auskunftserteilung unter Arbeitgebern über Arbeitnehmer, NZA 1990, 717 ff. jeweils mit weiteren Nachweisen aus der Literatur und der durchweg älteren Rechtsprechung dazu. 500 So insbesondere Dorndorf, Anm. zu BAG vom 21.12.1972 – 5 AZR 319/72 – SAE 1974, 116, 117, 118; siehe auch bereits oben, 5. Kapitel: C. I. 2. c) bb) (2) (c) und 4. Kapitel: B. III. 1. b) bb) (1) (b). 501 Dorndorf, a. a. O., S. 117. 497
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5. Kap.: Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung
des Arbeitnehmers in einer den Intentionen der Rechtsordnung nicht entsprechenden Weise beeinflussen502. Jedenfalls für den Lohnfortzahlungsbzw. Entgeltfortzahlungsanspruch zieht Dorndorf aus diesem Rest an Sanktionspotenzial die Konsequenz, dass ein Verzicht solange als unzulässig anzusehen sei, wie noch andere Ansprüche aus dem beendeten Arbeitsverhältnis in Frage stehen503. (1) Das Zurückhalten von Arbeitspapieren Hinsichtlich des widerrechtlichen Zurückhaltens von Arbeitspapieren erscheint bereits auf der tatsächlichen Ebene zweifelhaft, ob dies geeignet ist, die von Dorndorf beschriebene Drucksituation zum Abschluss einer Verzichtsvereinbarung in einer Ausgleichsquittung auszulösen504. Regelmäßig dürfte die Aufnahme eines neuen Arbeitsverhältnisses bei einem neuen Arbeitgeber nicht daran scheitern, dass ein Arbeitnehmer diese Dokumente nicht sofort vorlegen kann. Da dem Arbeitgeber ohnehin kein Zurückbehaltungsrecht an den Arbeitspapieren zusteht505, werden Arbeitnehmer sich jedenfalls dann auch zeitlich zur Beanspruchung rechtlicher Beratung durchaus in der Lage sehen, um die alsbaldige Herausgabe der Arbeitspapiere – nebst eventueller Schadensersatzansprüche wegen der Verspätung506 – gerichtlich durchzusetzen, nötigenfalls im Wege der einstweiligen Anordnung. Die psychologischen Barrieren von Arbeitnehmern, in der Abwicklungsphase gerichtlich gegen den Arbeitgeber vorzugehen, dürften jedenfalls regelmäßig relativ gering sein, da das verbleibende Potenzial des Arbeitgebers zu informellen Sanktionen im Vergleich zum laufenden Arbeitsverhältnis stark reduziert ist. So dürften sich die vom Arbeitnehmer zu erwartenden Nachteile hier im Wesentlichen regelmäßig auf die Befürchtung reduzieren, eine streitige Auseinandersetzung könne nachteilige Folgen für das berufliche Fortkommen bei anderen Arbeitgebern, etwa durch ein negatives Arbeitszeugnis oder die informelle Weitergabe von negativen Informationen durch den bisherigen Arbeitgeber, haben. Das Gewicht dieser Befürchtung wird in dieser Konstellation jedoch schon dadurch relativiert, dass ein Arbeitszeugnis nach Aufnahme eines neuen Arbeitsverhältnisses aktuell nicht benötigt wird. 502 503 504 505 506
Ebenda. Dorndorf, a. a. O., S. 118. Kritisch zu Dorndorfs Argumentation auch Enderlein, S. 486. Vgl. statt vieler MünchArbR - Buchner § 47 Rn. 49 m. w. N. Vgl. MünchArbR - Buchner, a. a. O.
E. Grenzen der Legitimierbarkeit zwingenden Arbeitsvertragsrechts
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(2) Negative Zeugnis- und Auskunftserteilung Es verbleibt die Frage, wie die rechtliche Relevanz des verbliebenen „Nötigungspotenzials“ des Arbeitgebers durch unvorteilhafte Arbeitszeugnisse oder informelle Weitergabe nachteiliger Informationen über den ehemaligen Arbeitnehmer aus der Perspektive des arbeitsrechtlichen Unterlegenheitsparadigmas zu bewerten ist. Das Gewicht eines (un)vorteilhaften Arbeitszeugnisses oder entsprechender informeller Informationen für das berufliche Fortkommen ist einer allgemeinen Bewertung kaum zugänglich. Es variiert extrem nach Beruf, Branche und Renommee des ehemaligen Arbeitgebers507. Im Extremfall, insbesondere in hochspezialisierten und entsprechend kleinen Arbeitsmarktsegmenten, mögen nachteilige Informationen des ehemaligen Arbeitgebers aber durchaus das berufliche Aus für einen Arbeitnehmer bedeuten können. Hinzu kommt, dass die Effektivität der gerichtlichen Rechtsschutzmöglichkeiten des Arbeitnehmers in diesem Bereich doch eher begrenzt ist. Hinsichtlich der informellen Weitergabe nachteiliger Informationen wird der Arbeitnehmer regelmäßig schon auf kaum zu überwindende Beweisschwierigkeiten stoßen508. Aber auch hinsichtlich des Zeugnisberichtigungsanspruchs stoßen die Rechtsschutzmöglichkeiten wegen des dem Arbeitgeber zukommenden Beurteilungsspielraums und der Beweislastverteilung im Zeugnisrechtsstreit faktisch an ihre Grenzen509. Zwar mag der Arbeitnehmer auf dem Rechtsweg die Korrektur eines unberechtigt nachteiligen Zeugnisses erreichen können, er erhält dadurch in der Regel jedoch kein besonders förderliches Arbeitszeugnis, wie er es ohne einen vorausgegangen Konflikt möglicherweise zu erwarten gehabt hätte, sondern wird vor Gericht i. d. R. allenfalls die Erteilung eines „unschädlichen“, d.h. durchschnittlichen Zeugnisses durchsetzen können510. Gleichwohl ist das aus Zeugnis- und Auskunftserteilung über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus verbleibende Sanktionspotenzial des ehemaligen Arbeitgebers nicht geeignet, eine allgemeine Einschränkung der Verzichtsfreiheit hinsichtlich gesetzlich unabdingbarer Ansprüche aus dem Unterlegenheitsparadigma zu legitimieren. Wesentlich für die damit notwendig verbundene geringere Gewichtung dieser nachwirkenden Sanktionspotenziale ist, dass es sich letztlich nur um punktuelle Nachteile handelt, die im Allgemeinen nicht mit dem Gewicht des Interesses des Arbeitnehmers an 507
Näher dazu bereits oben, 5. Kapitel: C. I. 2. c) bb) (2) (c). So auch MüKo - Schwerdtner (3. Aufl.) BGB § 630 Rn. 67. 509 Vgl. ErfK - Müller-Glöge GewO § 109 Rn. 156. 510 Vgl. LAG Frankfurt vom 6.9.1991 – 13 Sa 250/91 – LAGE BGB § 630 Nr. 14. 508
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5. Kap.: Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung
der gedeihlichen Fortsetzung des aus einer Vielzahl wechselseitiger Beziehungen bestehenden Arbeitsverhältnisses verglichen werden können511. Die Reziprozitätserwartung, die den Arbeitnehmer auch anlässlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch zur Eingehung einer nachteiligen Verzichtsvereinbarung geneigt machen könnte, gründet damit nicht mehr auf einer Vielzahl möglicher informeller Sanktionen im laufenden Arbeitsverhältnis. Sie ist dann auf die Erwartung einer förderlichen Zeugnis- und ggf. Auskunftserteilung reduziert. Zumindest die Zeugniserteilung ist jedoch prinzipiell auch einer mehr oder minder effektiven gerichtlichen Kontrolle zugänglich. Die nachwirkenden Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis sind damit nicht mehr in dem Maße undefiniert, wie es für relationale Verträge während der Zeit ihres Bestehens typisch ist. Mag die Effektivität der Rechtsschutzmöglichkeiten des Arbeitnehmers gegen eine ungerechtfertigt nachteilige Zeugnis- oder Auskunftserteilung im Einzelfall auch unbefriedigend sein, so erschiene es doch unverhältnismäßig, daraus die umfassende und allgemeine Einschränkung der Verzichtsfreiheit hinsichtlich der übrigen unabdingbaren Ansprüche des gesetzlichen Arbeitsvertragsrechts unterlegenheitsspezifisch rechtfertigen zu wollen. (3) Fehlender wirtschaftlicher Anreiz zu nachwirkenden Sanktionen Hinzu kommt, dass ein über die Werthaltigkeit der konkreten Verzichtsvereinbarung hinausgehendes wirtschaftliches Interesse des Arbeitgebers an einer Behinderung des beruflichen Fortkommens auch unter Berücksichtigung mittelbarer, d.h. generalpräventiver Aspekte nicht erkennbar ist. Es kann kaum angenommen werden, dass Einzelheiten der Abwicklung eines einzelnen Arbeitsverhältnisses im Betrieb derart die Runde machen, dass der Arbeitgeber allgemein mit einer spürbaren Steigerung der Konzilianz der übrigen Belegschaft in vergleichbaren Situationen rechnen kann. Wollte man Arbeitgebern gleichwohl eine generelle Neigung zu das berufliche Fortkommen erschwerenden Maßnahmen als Form einer informellen Sanktion auf die Verweigerung einer Abwicklungsvereinbarung unterstellen, so liefe das auf den Generalverdacht hinaus, Arbeitgeber würden aus rational nicht nachvollziehbaren Gründen und rechtsfeindlichen Motiven zu einem an den Kategorien von Rache und Missgunst orientierten Verhalten neigen. Selbst wenn es Einzelfälle von bestimmten Arbeitgebern geben mag, denen derartige Verhaltensweisen nachgesagt werden, zeigt die Überspitzung die Unzulässigkeit derartig generalisierender Annahmen, ohne dass es einer weiteren Erörterung bedarf. 511
Dies erkennt im Grundsatz wohl auch Dorndorf an, vgl. SAE 1974, 116, 117.
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Ein bloß vermeintlicher Druck des Arbeitgebers kann deshalb nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr als Legitimation für eine allgemeine Einschränkung der Verzichtsfreiheit anerkannt werden. Droht der ehemalige Arbeitgeber im Einzelfall jedoch zumindest konkludent mit einer Behinderung des beruflichen Fortkommens, beispielweise durch das Setzen auf eine sog. „schwarze Liste“, um den Arbeitnehmer zur Vereinbarung eines Verzichts unter Druck zu setzen, so kann die Rechtsordnung die Geltung dieser Vereinbarung nicht unkonditioniert lassen. In diesen Fällen wird dem Arbeitnehmer aber regelmäßig durch die Anfechtbarkeit der Verzichtsvereinbarung nach § 123 BGB und gegebenenfalls ergänzende Schadensersatzansprüche hinreichend geholfen sein. dd) Zwischenergebnis Einer näheren Prüfung halten die Einwände, die gegen eine grundsätzlich mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses korrelierende Beendigung des unterlegenheitsspezifischen Schutzes durch zwingendes gesetzliches Arbeitsvertragsrecht erhobenen werden, nicht stand512. Mit der in Rechtsprechung und Schrifttum wohl herrschenden Ansicht ist davon auszugehen, dass eine aus dem arbeitsrechtlichen Unterlegenheitsparadigma herzuleitende, rechtlich anzuerkennende latente „Drucksituation“ in der Regel dann endet, wenn der Arbeitgeber anlässlich der Beendigung der wechselseitigen Beziehungen aus dem Arbeitsverhältnis seinen informellen Einfluss auf die Lebensgestaltung des Arbeitnehmers verliert. Da und wenn auf Seiten des Arbeitnehmers in der Beendigungsphase im Allgemeinen kein rational nachvollziehbarer und damit von der Rechtsordnung anzuerkennender Anlass mehr für besondere, für Arbeitsverhältnisse typische Rücksichtnahmen gegenüber dem Arbeitgeber besteht, kann auch nicht mehr typisierend von einer Einengung der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit des Arbeitnehmers aufgrund wirtschaftlicher Unterlegenheit ausgegangen werden513. Die Unzumutbarkeit des schlichten „Nein“ zu einem als ungünstig erkannten Verzichtsangebot des Arbeitgebers kann dann nicht mehr aus dem Paradigma einer wirtschaftlichen Unterlegenheit des Arbeitnehmers hergeleitet werden514. 512
So im Ergebnis auch Enderlein, 487 f. So auch BAG vom 11.6.1976 – 5 AZR 506/75 – AP LohnFG § 9 Nr. 2; BAG vom 20.8.1980 – 5 AZR 218/78 – AP LohnFG § 6 Nr. 11. Vgl. auch die Übersicht zum Rechtsprechungs- und Meinungsstand oben, 2. Kapitel: A. I. 3 mit den dortigen Nachweisen. 514 Besonders deutlich hat das Bundesarbeitsgericht in einer Entscheidung über die Rechtswirksamkeit von Aufhebungsverträgen auf die Bedeutung des Endes des Arbeitsverhältnisses für die tatsächlichen Grundlagen einer „strukturellen Unterle513
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5. Kap.: Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung
Das schließt nicht aus, dass es in Einzelfällen auch in der Beendigungsphase noch eines unterlegenheitsspezifischen Schutzes bedürfen mag. Diese Einzelfälle können jedoch keine tragende Rechtfertigung für generalisierende Unterlegenheitsannahmen in dieser Phase liefern. b) Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses als Basiswertung einer zeitlichen Grenze des unterlegenheitsspezifischen Verzichtsschutzes Im Ansatz richtig hat das Bundesarbeitsgericht der Beendigung des Arbeitsverhältnisses entscheidende Bedeutung für die Reichweite des Unterlegenheitsschutzes im Individualarbeitsrecht und damit auch für Verzichtbarkeit unabdingbarer gesetzlicher Ansprüche des Arbeitsvertragsrechts beigemessen515. Ähnlich wie das Datum der Fälligkeit eines Rechts oder Anspruchs den Aspekt des Zukunftsschutzes als Rechtfertigung zwingenden Rechts in der Regel entfallen lässt, kann die Beendigung des Arbeitsverhältnisses als eine markante Grenze für eine Rechtfertigung durch den Schutz der materiellen Entscheidungsfreiheit des Arbeitnehmers nach dem Paradigma von der wirtschaftlichen Unterlegenheit angesehen werden516. Aber auch hier wird man das Datum der formal-rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht als starres und allgemeingültiges Datum des Eintritts der Verzichtbarkeit ansehen können517. Denn das würde vor allem deshalb zu formalistischen und wenig praxisgerechten Ergebnissen führen, weil der Kerngedanke des Unterlegenheitsparadigmas auf der faktischen Benachteiligung des Arbeitnehmers aufgrund der tatsächlichen Macht- und Marktstrukturen im Arbeitsverhältnis fußt. So überzeugt es nicht, wenn das Bundesarbeitsgericht die Verzichtbarkeit eines fälligen Entgeltfortzahlungsanspruchs offenbar davon abhängig machen will, ob dieser Verzicht noch am Ende des letzten genheit“ des Arbeitnehmers hingewiesen, siehe dazu BAG vom 14.2.1996 – 2 AZR 234/95 – NZA 1996, 811, 812: „Dem Arbeitnehmer, der dem Ansinnen des Arbeitgebers ggf. nur ein schlichtes ‚Nein‘ entgegenzusetzen braucht, kann nicht die zur Durchsetzung seiner berechtigten Interessen erforderliche Verhandlungsmacht abgesprochen werden, vielmehr hat er die Möglichkeit, sowohl das ‚Ob‘ als auch das ‚Wie‘ und ‚Wann‘ der Vertragsbeendigung von seinem vollen Konsens abhängig zu machen. Es fehlt somit schon an der strukturell ungleichen Verhandlungsstärke als Voraussetzung der vom BVerfG geforderten Inhaltskontrolle“. Vgl. auch Ernst, Aufhebungsverträge zur Beendigung von Arbeitsverhältnissen, S. 2, 133; Bengelsdorf, Der arbeitsrechtliche Aufhebungsvertrag, ZfA 1995, 229, 252 ff. 515 So auch Hofmann, FS 25 Jahre BAG, S. 217, 241. 516 Enderlein, S. 474; Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, S. 498. 517 Vgl. auch Enderlein, S. 475, dort Fn. 111.
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Arbeitstages des gekündigten Arbeitsverhältnisses oder erst am Folgetag vereinbart wird518. Aus teleologischer, am Zweck der Unterlegenheitskompensation orientierter Sicht muss das tatsächliche Ende der Unterlegenheitssituation letztlich maßgeblich sein und das fällt bei typisierender Betrachtung nicht unbedingt mit dem Datum der rechtlichen und/oder tatsächlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses zusammen519. Die teleologische Ableitung der Reichweite der zwingenden Wirkung aus dem Unterlegenheitsparadigma erfordert eine an der jeweiligen „Unterlegenheitssituation“ orientierte, typisierende Betrachtung. Entsprechend erscheint auch hier die Anwendung eines beweglichen Systems angezeigt, in dem der Fortfall des unterlegenheitsspezifischen Schutzes durch zwingendes Arbeitsvertragsrecht mit der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses lediglich eine Basiswertung darstellt. aa) Die Problematik von Verzichtsklauseln in Gestalt von Ausgleichsquittung, Abwicklungs- oder Aufhebungsvertrag (1) Kündigung oder Beendigungsvereinbarung als vorgelagerte unterlegenheitsrelevante Zäsur Da und wenn das wirtschaftlich-soziale Interesse des Arbeitnehmers an einer gedeihlichen Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses wesentlich für die aus dem Unterlegenheitsparadigma zu folgernde Beengung seiner Entscheidungsfreiheit ist, so muss es in zeitlicher Hinsicht entscheidend darauf ankommen, ob und inwieweit dieses Interesse zum Zeitpunkt der Vereinbarung des Verzichts bei rationaler Betrachtung noch als Motivation für einen „unfreiwilligen“ Verzicht in Betracht zu ziehen ist. Bereits nach Ausspruch einer Kündigung, wenn also der Wille mindestens einer Partei zur zeitlich nahen und endgültigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses feststeht und der anderen Seite bekannt ist, dürfte auf Seiten des Arbeitnehmers regelmäßig keine Neigung mehr zu überobligationsmäßiger Rücksichtnahme bestehen. In der Regel wird er sich dann nicht mehr zu einem besonderen Entgegenkommen genötigt sehen. Zutreffend hält deshalb die nahezu einhellige Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum einen Verzicht auf Kündigungsschutz schon dann für zuläs518
So BAG vom 28.11.1979 – 5 AZR 955/77 – AP LohnFG § 6 Nr. 10 a. E. Kritisch dazu auch Hofmann, FS 25 Jahre BAG, 217, 239; vgl. im Übrigen zum Meinungsstand oben, 2. Kapitel: A. I. 3. a) und die dortigen Nachweise. 519 So auch Hofmann, a. a. O.
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5. Kap.: Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung
sig, wenn er zwar nach Ausspruch der Kündigung, aber vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses, d.h. während der Kündigungsfrist, als sog. Abwicklungsvertrag vereinbart wird520. Nichts grundsätzlich anderes wird man aus der Perspektive des Unterlegenheitsschutzes hinsichtlich einer Verzichtsvereinbarung über (bereits fällige) Entgeltfortzahlungs-, Urlaubs(-abgeltungs)- oder Zeugnisansprüche annehmen können. Auch bei diesen Ansprüchen entfällt eine sich aus dem Paradigma wirtschaftlicher Unterlegenheit ergebende Rechtfertigung für eine extensive Auslegung der Unabdingbarkeitswirkung, wenn feststeht, dass das Arbeitsverhältnis in naher Zukunft mit Sicherheit beendet werden wird und es nur noch gilt, die beiderseitigen Beziehungen geschäftsmäßig zu Ende zu führen521. Gleiches gilt hinsichtlich des Abfindungsanspruchs aus § 1a KSchG jedenfalls nach Ablauf der Klagefrist522. Zwar verbleibt in der Beendigungsphase das sich aus dem kontrollfreien Spielraum des Arbeitgebers hinsichtlich des Direktionsrechts ergebende Sanktionspotenzial, seine Bedeutung für die Lebensgestaltung des Arbeitnehmers und das Gewicht möglicher Sanktionen ist jedoch wegen der nahen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nur noch begrenzt. Soweit der Arbeitnehmer während der laufenden Kündigungsfrist ohnehin von der Erbringung der Arbeitsleistung freigestellt wird, entfällt das Sanktionspotenzial des Direktionsrechts ganz523. In der Abwägung der widerstreitenden Freiheitsinteressen des Arbeitnehmers an einem Schutz seiner materiellen Entscheidungsfreiheit vor faktisch aufgezwungenen Verzichtsvereinbarungen und dem Freiheitsinteresse beider Parteien an einer gerichtsfesten, verbindlichen und den praktischen Erfordernissen des Einzelfalls gerecht werdenden Regelung der Abwicklungsmodalitäten muss in dieser Situation in der Regel das letztgenannte Interesse überwiegen. Im gekündigten Arbeitsverhältnis bietet das Unterlegenheitsparadigma deshalb in der Regel keine hinreichende Legitimationsbasis mehr für eine generelle Einschränkung der Verzichtsbefugnis524. 520 Vgl. zum Meinungsstand die Ausführungen und Nachweise oben, 2. Kapitel: A. IV. 2., zur abweichenden Meinung insb. Fn. 37. 521 So Hofmann, FS 25 Jahre BAG, S. 217, 239 (für den Entgeltfortzahlungsanspruch); Enderlein spricht insoweit von einem Verzicht bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses, S. 474 und passim. 522 Anderer Ansicht ohne nähere Begründung offenbar Altenburg/Reufels/Leister, Der Vorausverzicht auf den Abfindungsanspruch aus § 1a KSchG, NZA 2006, 71, 76. 523 Anderer Ansicht offenbar Altenburg/Reufels/Leister, Der Vorausverzicht auf den Abfindungsanspruch aus § 1a KSchG, NZA 2006, 71, 76. 524 So im Ergebnis auch Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, S. 497 f.
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Ausnahmen von einer derartigen Vorverlagerung der Wirkungsgrenze des unterlegenheitsspezifischen Schutzes durch Unabdingbarkeit mögen auch bei angestrebter endgültiger Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Einzelfall dann zu machen sein, wenn eine sehr lange Kündigungsfrist vorliegt; das Arbeitsverhältnis nach Ausspruch der Kündigung und Feststehen des Beendigungstermins also unter Umständen noch mehrere Monate lang tatsächlich fortgesetzt wird. Da der unterlegenheitsspezifische Verzichtsschutz seine tragende Legitimation jedoch nicht aus dem Zukunftsschutz bezieht, werden die Grenzen hier tendenziell weiter zu stecken sein als bei der oben erörterten Vorverlagerung der Legitimationsgrenze der paternalistisch begründeten Unverzichtbarkeit525. So wird beispielsweise ein Verzicht auf bereits fällige Entgeltfortzahlungsansprüche in einer laufenden längeren Kündigungsfrist aus der Unterlegenheitsperspektive regelmäßig als deutlich unproblematischer anzusehen sein, als es ein Verzicht auf noch nicht entstandene Ansprüche zum selben Zeitpunkt aus der freiheitsmaximierendpaternalistischen Perspektive wäre. In der Regel526 dürfte jedoch während einer Kündigungs- oder Auslauffrist aus der Perspektive des Unterlegenheitsparadigmas527 dann kein Bedürfnis mehr für eine Einschränkung der Verzichtsbefugnis bestehen, wenn kein neuer Arbeitsvertrag in Aussicht gestellt wird. (2) Sonderfall der befristeten Arbeitsverhältnisse Hinsichtlich befristeter Arbeitsverhältnisse, denen im Regelfall der Beendigung durch Ablauf einer kalendermäßigen Befristung eine Abgrenzung der Abwicklungsphase durch einen gesonderten Beendigungstatbestand fehlt, wird eine Vorverlagerung der Grenze des Unterlegenheitsschutzes im Allgemeinen nicht in Betracht kommen. Denn zum einen fehlt es hier an einer der Kündigung vergleichbaren Zäsur, die den definitiven Beginn der Beendigungsphase des Arbeitsverhältnisses für die Vertragsparteien augenfällig macht. Zum anderen ist jedenfalls dann, wenn die Vereinbarung der Befristung – wie wohl zumeist – nicht auf Initiative des Arbeitnehmers erfolgt, dem befristeten Arbeitsverhältnis der Wunsch des Arbeitnehmers auf Fortsetzung inhärent. Die Hoffnung des Arbeitnehmers auf Übernahme in ein neues befristetes oder unbefristetes Ar525
Vgl. dazu die Ausführungen oben, 4. Kapitel: B. III. 1. b) bb). Zur Ausnahmekonstellation der beabsichtigten Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sogleich, 5. Kapitel: E. I. 1. b) bb). 527 Davon prinzipiell unberührt bleiben nach dem am Zukunftsschutz orientierten Denkmuster des freiheitsmaximierenden Paternalismus legitimierte Einschränkungen der Verzichtsbefugnis hinsichtlich in der Regel noch nicht fälliger Ansprüche oder Rechte, ausführlich dazu oben, 4. Kapitel: B. III. 1. 526
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5. Kap.: Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung
beitsverhältnis und damit auf tatsächliche Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses beim selben Arbeitgeber erhält die tatsächlichen Grundlagen des Unterlegenheitsparadigmas bis zur endgültigen Beendigung zum vereinbarten Termin aufrecht528. Hinzu kommt, dass gerade bei befristeten Arbeitsverhältnissen auch die Fälle, in denen der Arbeitnehmer buchstäblich bis zum letzten Tag des Arbeitsverhältnisses mit dem vagen Inaussichtstellen einer Vertragsverlängerung bei Laune gehalten wird, nicht allzu selten sein dürften. Gegenausnahmen stellen insoweit die Fälle der Beendigung des befristeten Arbeitsverhältnisses durch außerordentliche Kündigung, einzel- oder tarifvertraglich vorgesehene ordentliche Kündigung oder Zweckerreichung dar. In diesen Fällen ist die Verzichtbarkeit unabdingbarer Ansprüche anlässlich der Beendigung aus der Perspektive des Unterlegenheitsparadigmas in der Regel nicht anders zu würdigen als bei unbefristeten Arbeitsverhältnissen. Denn hier wird ebenfalls mit Ausspruch der Kündigung, bzw. der Mitteilung über die Zweckerreichung nach § 15 Abs. 2 TzBfG, eine Zäsur gesetzt. Von diesem Zeitpunkt an dürften durch wirtschaftliche Unterlegenheit determinierte Opportunitätserwägungen im Allgemeinen nicht mehr zu einer Einschränkung der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit hinsichtlich des Verzichts auf noch offene Ansprüche oder Rechte führen. (3) Aussonderung nicht unterlegenheitsspezifischer Schutzbedürfnisse anlässlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses Mit der hier vertretenen Vorverlagerung der Grenze des unterlegenheitsspezifischen Verzichtsschutzes durch zwingendes Arbeitsvertragsrecht soll nicht verkannt werden, dass empirisch gerade bei Verzichtsvereinbarungen in Abwicklungs- und Aufhebungsverträgen ein erheblicher Schutzbedarf zu bestehen scheint529. Dieser gründet jedoch auf der in der Regel situationsspezifischen Gefahr rationalitätsdefizitärer Entscheidungen, die unter dem Einfluss von Zeitdruck, Überrumpelung oder Einschüchterung durch den Arbeitgeber zustande kommen. Sie beruhen also typischerweise nicht auf dem Nötigungsgedanken des Unterlegenheitsparadigmas. Das Fehlen einer zumutbaren Alternative zur Verzichtsvereinbarung ist in derartigen Situationen gerade nicht von Relevanz. Auch das Argument des Bundesarbeitsgerichts, es bedürfe einer Unverzichtbarkeit des Lohn- bzw. Entgeltfortzah528 Zu den unterlegenheitsspezifischen Auswirkungen des Fortsetzungswunsches im Einzelnen sogleich, 5. Kapitel: E. I. 1. b) bb). 529 Vgl. dazu statt vieler Singer, Arbeitsvertragsgestaltung nach der Reform des BGB, RdA 2003, 194, 196 f.; Zwanziger, Arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge und Vertragsfreiheit; DB 1994, 982 ff.; Dieterich, Grundgesetz und Privatautonomie im Arbeitsrecht; RdA 1995, 129, 135 und aus dem älteren Schrifttum Dorndorf, Anm. zu BAG vom 21.12.1972 – 5 AZR 319/72 – SAE 1974, 116 ff.
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lungsanspruchs bis zum Ablauf des letzten Tages des Arbeitsverhältnisses auch deshalb, weil der Arbeitnehmer dann noch in der Situation des abhängigen Arbeitnehmers stehe und noch „keinen Abstand“ habe gewinnen können, weist letztlich ebenfalls in Richtung der Annahme eines typischerweise vorhandenen Rationalitätsdefizits als eigentlichen Schutzgrund530. Sieht man die Maximierung realer Freiheitsräume bei der individuellen Gestaltung der vertraglichen Beziehungen als vertragstheoretisch relevante Auslegungsleitlinie, so wird wiederum deutlich, dass der Schutz vor situationsspezifischen Rationalitätsdefiziten keinen Ausschluss der Verzichtsbefugnis rechtfertigen kann531. Aus der Perspektive des Schutzes vor (wirtschaftlicher) Unterlegenheit besteht kein Bedürfnis für einen Schutz des Arbeitnehmers vor einer wohlüberlegten Abwicklungs- oder Aufhebungsvereinbarung mit Verzichtsklauseln; wohl aber besteht ein Bedürfnis für einen Schutz vor einer rationalitätsdefizitären Entscheidung als Folge unfairer Verhandlungssituationen532. Dem haben viele Tarifverträge533 und auch die Gesetzentwürfe zum Arbeitsvertragsrecht von 1977 und 1992 Rechnung getragen, indem sie beim Abschluss eines Aufhebungsvertrages ein dreitägiges Widerrufsrecht des Arbeitnehmers vorsahen534. Ein zeitlich eng befristetes Widerrufsrecht mit flankierender Belehrungspflicht, wie auch § 312 BGB es vorsieht, wäre hier unter dem Aspekt der Freiheitsmaximierung ein ausreichendes Schutzinstrument. Es wäre auch deshalb adäquat, weil es den tatsächlich autonom und fehlerfrei gebildeten Willen der Parteien prinzipiell achtet535. Denn in der Sache überlassen Widerrufsrechte die Entscheidung über die Gültigkeit des Vertrages den Parteien selbst; nur die Bedingungen der rechtlichen Anerkennung werden konditioniert. Zutreffend werden derartige Schutzinstrumente von Enderlein deshalb als nur schwach- oder auch weich-paternalistisch charakterisiert und deswegen 530
BAG vom 28.11.1979 – 5 AZR 955/77 – AP LohnFG § 6 Nr. 10 a. E. So in der Konsequenz aber wohl Migsch, Der sogenannte Verzicht des Arbeitnehmers auf Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, FS Strasser, S. 255, 259. 532 Vgl. dazu Singer, Arbeitsvertragsgestaltung nach der Reform des BGB, RdA 2003, 194, 196; Zwanziger, Arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge und Vertragsfreiheit, DB 1994, S. 982 ff.; M. Becker, Der unfaire Vertrag, S. 56 f.; unlängst auch Thüsing, Angemessenheit durch Konsens – Zu den Grenzen der Richtigkeitsgewähr arbeitsvertraglicher Vereinbarungen, RdA 2005, 257, 266. 533 Vgl. dazu Bauer, Arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge I., Rn. 161 (S. 52 f.) mit Nachweisen aus der Tarifvertragspraxis. 534 § 131 Abs. 2 ArbVG, in: Verhandlungen des 59. Deutschen Juristentages 1992, Band 1, D 63; § 110 Abs. 1 des von der Arbeitsgesetzbuchkommission vorgelegten Entwurfs eines Arbeitsgesetzbuches – Allgemeines Arbeitsvertragsrecht – 1977, in: Ramm, Entwürfe zu einem Deutschen Arbeitsvertragsgesetz, 1992, S. 402 ff., 465. 535 Ähnlich auch Enderlein, S. 487. 531
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5. Kap.: Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung
geringeren Rechtfertigungsanforderungen unterworfen536. Es erscheint weiter nicht fernliegend, dass in der rechtspolitischen Weiterentwicklung des Arbeitsvertragsrechts eine Anerkennung eines situationsbezogenen Widerrufsrechts zu einer Zurückdrängung überschießender Tendenzen bei der Auslegung zwingenden Rechts und einer weiteren Annäherung an die freiheitsorientierte Denkweise des allgemeinen Zivilrechts führen würde; im Kern also der im Interesse der Beschäftigungsförderung vielbeschworenen „Flexibilisierung des Arbeitsrechts“ dienlich wäre537. Mit seinen kategorisch ablehnenden Entscheidungen zur Anwendbarkeit des § 312 BGB n. F. auf Abwicklungs- und Aufhebungsverträge538 dürfte das Bundesarbeitsgericht deshalb zugleich auch eine rechtspolitische Chance auf eine differenziertere und damit enttabuisiertere Sichtweise des arbeitsrechtlichen Unterlegenheitsparadigmas vertan haben539. (4) Zwischenergebnis Zusammenfassend kann man sagen, dass sich aus dem arbeitsrechtlichen Unterlegenheitsparadigma grundsätzlich keine Einschränkung für in Abwicklungs- oder Aufhebungsverträgen vereinbarte Verzichte über unabdingbare Ansprüche oder Rechte des Arbeitnehmers ergibt540. Bereits nach Ausspruch der Kündigung und der daraus in der Regel zeitnah resultierenden rechtlichen und tatsächlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses endet im Allgemeinen die Gefahr unterlegenheitsspezifisch unfreiwilliger Verzichtsvereinbarungen541. In dieser Situation kann eine weitergehende Einschränkung der Zulässigkeit von Verzichtsklauseln über zwingende Ansprüche oder Rechte des ge536
Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht, S. 17, 41 ff., 69 f. und pas-
sim. 537 Vgl. zu diesem Zusammenhang bereits Migsch, Der sogenannte Verzicht des Arbeitnehmers auf Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis (1983), FS Strasser 255, 259 (zum österreichischen Recht) und die Ausführungen oben, 5. Kapitel: C. II. 3. 538 BAG vom 27.11.2003 – 2 AZR 135/03 – AP BGB § 312 Nr. 1; BAG vom 27.11.2003 – 2 AZR 177/03 – AP BGB § 312 Nr. 2; zur Diskussion um die Anwendbarkeit des § 312 BGB auf arbeitsrechtliche Abwicklungs- und Aufhebungsverträge hier bereits oben, 5. Kapitel: D. III. 2. a) bb). 539 Vgl. Hümmerich, Alea iacta est – Aufhebungsvertrag kein Haustürgeschäft, NZA 2004, 809 ff. 540 So auch Enderlein, S. 487 f. 541 Insoweit ist die Argumentation der wohl herrschenden Meinung zur unterlegenheitsspezifischen Unbedenklichkeit von Aufhebungsverträgen zur endgültigen Beendigung hier übertragbar; vgl. dazu vor allem BAG vom 14.2.1996 – 2 AZR 234/95 – NZA 1996, 811, 812 und Ernst, Aufhebungsverträge zur Beendigung von Arbeitsverhältnissen, S. 133.
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setzlichen Arbeitsvertragsrechts in Aufhebungs- oder Abwicklungsverträgen im Allgemeinen nur geboten sein, wenn die darin liegende Einschränkung der Verzichtsfreiheit entweder paternalistisch gerechtfertigt ist542 oder andere Schutzgründe, insbesondere der Gedanke der unzulässigen Beeinträchtigung von Interessen Dritter und/oder ordnungspolitische Erwägungen, dies rechtfertigen. bb) Die beabsichtigte Fortsetzung als Sonderkonstellation eines nachgelagerten unterlegenheitsbezogenen Schutzbedarfs Die bevorstehende rechtliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses markiert nicht in allen Konstellationen eine grundlegende zeitliche Grenze des aus der Perspektive des Unterlegenheitsparadigmas gebotenen Verzichtsschutzes. Beabsichtigen die Parteien bereits bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses im direkten Anschluss daran oder in naher Zukunft erneut in arbeitsvertragliche Beziehungen zueinander zu treten, so wirken auch die faktischen Markt- und Machtstrukturen über das Datum der formellen Beendigung des vorherigen Arbeitsverhältnisses hinaus543. Zu denken ist hier in erster Linie an die Fälle der sog. Kettenbefristungen, aber auch an unbefristete Arbeitsverhältnisse, deren Beendigung durch Aufhebungsvertrag von einer Bedingung abhängig gemacht oder mit einer (bedingten) Wiedereinstellungszusage verknüpft wird544. Beispielsweise zu nennen sind hier die in der Praxis anzutreffenden Fälle, in denen die Parteien zur „Verlängerung“ der Probezeit ein zunächst auf unbestimmte Zeit geschlossenes Arbeitsverhältnis beenden, um sogleich ein neues, mit dem Sachgrund der Erprobung befristetes Arbeitsverhältnis zu schließen545, oder 542
Dieser Aspekt wurde bereits oben in Kapitel 4 behandelt. Siehe dazu bereits die Ausführungen oben, 2. Kapitel: B. III. 3. und 5. Kapitel: E. I. 1. 544 Vgl. etwa den Wiedereinstellungsanspruch nach Kündigung wegen schlechter Witterung gemäß § 46 Nr. 3 des (allgemeinverbindlichen) Rahmentarifvertrags für gewerbliche Arbeitnehmer im Maler- und Lackiererhandwerk sowie dazu BAG vom 1.12.2004 – 7 AZR 37704 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Maler Nr. 12. 545 In der Sache ähnlich gelagert sind die Fälle, in denen zu gleichem Zweck noch während der vereinbarten Probezeit ein Aufhebungsvertrag mit einer mehrmonatigen Auslauffrist unter der auflösenden Bedingung der Bewährung vereinbart wird, vgl. dazu BAG vom 7.3.2002 – 2 AZR 93/01 – AP BGB § 620 Aufhebungsvertrag Nr. 22. Zwar liegt im letztgenannten Fall keine Umgehung des zwingenden Kündigungsschutzes vor, da zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses die Wartezeit des § 1 KSchG noch nicht erfüllt ist; ein solcher Aufhebungsvertrag könnte sich jedoch als eine Umgehung des seit Einführung des § 14 TzBfG teleologisch vom Kündigungsschutzrecht unabhängigen zwingenden Rechts auf Befristungsschutz erweisen. Die Wirksamkeit eines solchen Aufhebungsvertrages dürfte 543
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5. Kap.: Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung
eine nicht rechtzeitige Wiederaufnahme der Arbeit nach einer Urlaubsreise sanktioniert werden soll546. Den genannten Konstellationen ist gemein, dass es den Parteien mit der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses zumindest nicht in erster Linie auch um dessen tatsächliche Beendigung für die absehbare Zukunft geht, sondern vielmehr der tatsächliche Fortbestand auf neuer Rechtsgrundlage – möglicherweise auch zu veränderten Bedingungen – angestrebt wird. (1) Unveränderter Fortbestand der bisherigen Drucksituation Hinsichtlich der Intensität der unterlegenheitsspezifischen Schutzbedürftigkeit bei Eingehung der Verzichtsvereinbarung lassen sich in derartigen Fällen zwei Stufen unterscheiden: Ist die tatsächliche Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bei Abschluss der Verzichtsvereinbarung rechtlich bereits abgesichert, entspricht die Schutzbedürftigkeit derjenigen in einem ohne Veränderung der Rechtsgrundlage fortgesetzten Arbeitsverhältnis. Die für das arbeitsrechtliche Unterlegenheitsparadigma maßgeblichen tatsächlichen Markt- und Machtstrukturen des Arbeitsverhältnisses werden von der in diesem Fall ausschließlich rechtlichen Zäsur nicht tangiert547. Insbesondere besteht nach wohl allgemeiner Ansicht auch ein bereits erdienter gesetzlicher Kündigungsschutz als wohl wichtigstes rechtliches Korrektiv gegenüber dem faktischen Druckpotenzial des Arbeitgebers fort548, da für die Wartezeit nach § 1 KSchG nach allgemeiner Ansicht grundsätzlich auf den tatsächlichen Zeitraum des rechtlichen Bestandes und nicht auf die Zeitdauer des Bestandes der zu Grunde liegenden Rechtsgrundlage abzustellen ist549.
deshalb nunmehr ebenfalls am Befristungsrecht zu messen sein und davon abhängen, ob es einen Sachgrund i. S. d. § 14 Abs. 1 Nr. 5 TzBfG für eine weitere Erprobung des Arbeitnehmers gibt; für eine divergierende rechtliche Würdigung dieser Konstellationen jedoch Hümmerich, Beendigung von Arbeitsverhältnissen angestellter Anwälte, AnwBl 2005, 77, 82; wie hier Bauer, Anm. zu BAG vom 7.3.2002 – 2 AZR 93/01 – AP BGB § 620 Aufhebungsvertrag Nr. 22 [unter 4.). Die genannte Entscheidung des BAG beruht auf der Rechtslage vor in Kraft treten des TzBfG. 546 Vgl. BAG vom 13.12.1984 – 2 AZR 294/83 – AP BGB § 620 Bedingung Nr. 8. 547 Vgl. auch Fn. 544. 548 Zu dieser Nebenfunktion des Kündigungsschutzes ausführlich oben, 5. Kapitel: C. I. 2. c) bb) (2) (a). 549 BAG vom 23.9.1976 – 2 AZR 309/75 – AP KSchG 1969 § 1 Wartezeit Nr. 1; zu Einzelheiten und Zweifelsfällen statt vieler HK-KSchG - Dorndorf § 1 Rn. 100 ff.
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(2) Gesteigerte Drucksituation bei rechtlich ungesicherter Fortsetzung Eine gesteigerte, weil rechtlich in keiner Weise konditionierte Abhängigkeitssituation ergibt sich, wenn die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zum Zeitpunkt der Beendigung zwar in Aussicht gestellt, aber noch nicht rechtlich verbindlich vereinbart wird. Deutet der Arbeitgeber in einer solchen Situation an, dass die Wiederbegründung eines Arbeitsverhältnisses vom Verzicht des Arbeitnehmers auf noch offene unabdingbare Ansprüche oder Rechte aus dem früheren Arbeitsverhältnis abhänge, oder macht er eine derartige Erledigungsklausel gar zum Bestandteil eines neuen Arbeitsvertrages, so werden Arbeitnehmer einem solchen Ansinnen regelmäßig faktisch nichts entgegen zu setzen haben. Das Ausschlagen eines Angebots auf ein neues Arbeitsverhältnis wegen eines damit verbundenen Verzichts auf – wirtschaftlich regelmäßig relativ unbedeutende – Ansprüche oder Rechte aus dem alten Arbeitsvertrag ist dem Arbeitnehmer dann regelmäßig unzumutbar. In einer solchen Situation bietet die bloße Unabdingbarkeit gesetzlicher Mindestansprüche und -rechte des Arbeitnehmers deshalb keine hinreichende Gewähr für deren praktische Realisierbarkeit: Hier wird eine weitergehende, unterlegenheitsspezifische Unverzichtbarkeit typischerweise zur praktischen Funktionsvoraussetzung der gesetzlichen Schutzrechte. Bei der Heimarbeit will die herrschende Meinung dem Umstand einer gesteigerten Abhängigkeitssituation wegen rechtlich ungewisser Fortsetzung der Erwerbsbeziehung durch die Unverzichtbarkeit des Zuschlags nach § 10 EFZG Rechnung tragen550. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts können in Heimarbeit Beschäftigte und diesen Gleichgestellte auf die ihnen zustehenden gesetzlichen Zuschläge zum Krankengeld auch nach Entstehung und Fälligkeit nicht verzichten und zwar weitergehend auch dann nicht, wenn das Heimarbeitsverhältnis zu diesem Zeitpunkt bereits aufgelöst war551. Der Verzicht könne nämlich von der – vom Auftraggeber unter Umständen ausgenutzten – Erwartung des Beschäftigten bestimmt gewesen sein, nur auf diese Weise die Chance einer späteren Auftragserteilung wahren zu können; solange diese Möglichkeit nicht auszuschließen sei, 550 Vgl. Geyer/Knorr/Krasney EFZG § 12 Rn. 26; Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge - Hold EFZG § 12 Rn. 30; so wohl auch Schmitt, EFZG § 12 Rn. 22; differenzierend Lepke, Der Verzicht des Arbeitnehmers auf den Lohnfortzahlungsanspruch im Krankheitsfalle, BB 1971, 1509, 1514. 551 BAG vom 22.10.1964 – 5 AZR 492/63 – HAG § 25 Nr. 1; BAG vom 28.7.1966 – 5 AZR 63/66 – AP HAG § 25 Nr. 2; möglich sind rechtswirksame Verzichtsvergleiche allerdings dann, wenn sie in einem von der obersten Arbeitsbehörde des Landes oder einem von ihr bestimmten nachgeordneten Behörde gebilligten Vergleich erfolgen, vgl. dazu Geyer/Knorr/Krasney EFZG § 12 Rn. 27. Insoweit zeigt sich in dieser Billigungslösung eine gewisse Parallelität zur Verzichtbarkeit tariflicher Ansprüche nach § 4 Abs. 4 Satz 1 TVG.
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5. Kap.: Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung
müsse aber der Entgeltschutz in voller Wirksamkeit – also mit dem Ausschluss materiellrechtlicher Verzichtserklärungen – allgemein aufrechterhalten bleiben552. Lediglich für den Fall, dass der in Heimarbeit Beschäftigte, diesem Gleichgestellte oder sein Auftraggeber offenkundig endgültig die Betätigung im Heimarbeitsbereich aufgegeben haben, hat das Bundesarbeitsgericht die Möglichkeit eines Erlassvertrages nach Beendigung des Heimarbeitsverhältnisses offen gelassen553. Zutreffend – wenn auch mit unterschiedlichen Ergebnissen – ist im Schrifttum argumentiert worden, dass die Situation des Arbeitnehmers unter dem Unterlegenheitsaspekt nicht anders als die des Heimarbeiters gewürdigt werden könne, wenn der Beschäftigte nur deshalb eine Ausgleichsquittung unterschreibe, weil er sich so das Wohlwollen des Arbeitgebers/Auftraggebers hinsichtlich eines erstrebten neuen Vertragsabschlusses sichern möchte554. Sowohl bei der Heimarbeit als auch beim fortgesetzten Arbeitsverhältnis wird man m. E. jedoch fordern müssen, dass die Wiederbegründung der Erwerbsbeziehung nicht nur bloßes Wunschdenken, sondern aufgrund konkreter Umstände berechtigte Erwartung ist. Es liegt auf der Hand, dass aus der Perspektive des Unterlegenheitsschutzes eine derart gesteigerte Drucksituation bei der teleologischen Auslegung zwingenden Arbeitsvertragsrechts jedenfalls keine schwächere Würdigung erfahren darf als die dem laufenden Arbeitsverhältnis inhärente Drucksituation. Gerade in dieser gesteigerten Drucksituation haben einige Autoren, die ansonsten die Verzichtbarkeit des fälligen Entgeltfortzahlungsanspruchs im laufenden Arbeitsverhältnis bejahen, ein tragfähiges Differenzierungskriterium für eine weitergehende Unabdingbarkeitswirkung des § 12 EFZG hinsichtlich des fälligen Anspruchs des Heimarbeiters auf Zuschläge nach §§ 10 und 11 EFZG gesehen555. Die in praktischer Hinsicht wohl bedeutsamste Konstellation einer nachwirkenden Unterlegenheit des Arbeitnehmers zeigt sich bei den so genannten Kettenbefristungen. Steht der Arbeitnehmer anlässlich des Ablaufs der vereinbarten Befristungsdauer vor der Alternative, entweder ein Angebot des Arbeitgebers auf Abschluss eines neuerlichen befristeten Arbeitsverhältnisses unter Verzicht auf bereits erdiente Ansprüche und Rechte aus dem alten Arbeitsverhältnis anzunehmen oder aber unter Beharrung auf diese Ansprüche das neuerliche Vertragsangebot abzulehnen, so zeigen sich die 552
So BAG vom 28.7.1966 – 5 AZR 63/66 – AP HAG § 25 Nr. 2. BAG vom 28.7.1966 – 5 AZR 63/66 – AP HAG § 25 Nr. 2. a. E. 554 Vgl. dazu einerseits Lepke, a. a. O., S. 1515; andererseits ErfK - Dörner EFZG § 12 Rn. 13. 555 So etwa Geyer/Knorr/Krasney EFZG § 12 Rn. 26; Lepke, BB 1971, 1509, 1514 und wohl auch Schmitt, EFZG § 12 Rn. 19, 22. 553
E. Grenzen der Legitimierbarkeit zwingenden Arbeitsvertragsrechts
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Mechanismen des arbeitsrechtlichen Unterlegenheitsparadigmas in ihrer gesteigerten Form. Neben die im bestehenden Arbeitsverhältnis wirkenden Mechanismen der arbeitsrechtlichen Unterlegenheit treten hier zusätzlich die für die Situation bei Begründung von Arbeitsverhältnissen typischen Mechanismen der wirtschaftlichen Unterlegenheit. Das rechtlich in keiner Weise abgesicherte Interesse des Arbeitnehmers an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses wird zum Nötigungsmittel des Arbeitgebers zur Erwirkung der Preisgabe bereits erdienter Ansprüche und Rechte. Die Mechanismen der arbeitsrechtlichen Unterlegenheit erfordern deshalb hier nicht nur die vertragsfeste Statuierung der Mindestarbeitsbedingungen für das künftige Arbeitsverhältnis, sondern darüber hinaus auch eine Absicherung bereits erdienter unabdingbarer Ansprüche und Rechte aus dem vorangegangen Arbeitsverhältnis vor materiell „unfreiwilliger“ Preisgabe556. (3) Insbesondere: Der Verzicht auf Befristungskontrolle bei sog. Kettenbefristungen Unter den hier schwerpunktmäßig betrachteten zwingenden Normen kommt dem Anspruch des Arbeitnehmers auf Befristungskontrolle nach § 17 TzBfG eine besondere praktische Relevanz zu. Ist der Arbeitnehmer der Ansicht, bereits die Befristung des vorangegangenen Arbeitsverhältnisses sei rechtlich unwirksam gewesen – es bestehe gemäß § 16 TzBfG also bereits ein unbefristetes Arbeitsverhältnis – so steht er regelmäßig vor der Alternative, um die Gefahr der Preisgabe seiner Chance auf die zumindest befristete Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses die Unwirksamkeit der Befristung des vorangegangenen Arbeitsverhältnisses gerichtlich geltend zu machen oder aber das möglicherweise bereits bestehende unbefristete Arbeitsverhältnis aufzugeben557. Für die Würdigung dieser Entscheidungssituation ist neben dem Prozessrisiko der Entfristungsklage weiter in Betracht zu ziehen, dass der Arbeitnehmer selbst für den Fall des Obsiegens regelmäßig damit rechnen muss, dass das erstrittene unbefristete Arbeitsverhältnis von Anfang an nicht unbelastet sein wird. Nach Maßgabe der Intensität der Abhängigkeiten, die hinsichtlich der übrigen untersuchten Ansprüche und Rechte während des Bestehens des Arbeitsverhältnisses nach dem arbeitsrechtlichen Unterlegenheitsparadigma zur Unverzichtbarkeit führen sollen, muss danach in der Situation der Kettenbefristung typischerweise erst recht von einem unterle556
So im Ergebnis auch die österreichische Rechtsprechung, vgl. OGH vom 19.4.1966 – 4 Ob 21/66 – Arb 8222; OGH vom 7.7.1981 – 4 Ob 63/81 – Arb 9999. 557 Dazu ausführlich schon oben, 2. Kapitel: B. III. 3. b).
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5. Kap.: Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung
genheitsspezifischen Schutzbedürfnis des Arbeitnehmers hinsichtlich des Rechts auf Erhebung einer Entfristungsklage ausgegangen werden. Bei realistischer Betrachtung seiner Situation kann dem Arbeitnehmer das „Nein“ zu einer mit der Fortführung des Arbeitsverhältnisses verbundenen Verzichtsvereinbarung nicht zugemutet werden. Die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit des Arbeitnehmers ist hier typischerweise in einem Maße durch tatsächliche Macht- und Marktumstände determiniert, das von einem dem Gedanken der individuellen Freiheit verpflichteten Vertragsrecht nicht ignoriert werden kann. Entgegen der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts muss aus § 22 Abs. 1 TzBfG die Unverzichtbarkeit des Rechts auf Erhebung einer Entfristungsklage nach § 17 Satz 1 TzBfG jedenfalls dann gefolgert werden, wenn im Anschluss ein weiteres befristetes Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien begründet wird558. Andernfalls bliebe dem Arbeitgeber die Möglichkeit eröffnet, eine rechtlich unwirksame Befristung des vorangegangenen Arbeitsverhältnisses durch die Neubegründung eines wirksam mit einem Sachgrund i. S. des § 14 Abs. 1 TzBfG befristeten Arbeitsverhältnisses gleichsam zu heilen. Die Rechtsfolge des § 16 TzBfG, das Bestehen eines unbefristeten, unter Umständen bereits durch Kündigungsschutz abgesicherten Arbeitsverhältnisses, könnte so stets umgangen werden. Verschärft wird das situationsspezifische Schutzbedürfnis des Arbeitnehmers durch die seit 1985 ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, die Neubegründung eines weiteren befristeten Arbeitsverhältnisses beinhalte regelmäßig bereits konkludent den Verzicht auf Befristungskontrolle des vorangegangenen Arbeitsverhältnisses, ohne dass es einer ausdrücklichen Vereinbarung überhaupt bedürfe559. Denn zu der oben erörterten Gefahr eines im materiellen Sinne unfreiwilligen Verzichts kommt hier die begründete Besorgnis, dass rechtlich nicht vorgebildete Arbeitnehmer sich dieser rechtlichen Konsequenz des Abschlusses eines neuen befristeten Arbeitsvertrages regelmäßig kaum bewusst sein werden560. Es mag dem zi558 Dies erkennt das BAG nunmehr jedenfalls für den Verzicht auf Befristungsschutz hinsichtlich des neu abzuschließenden befristeten Arbeitsverhältnisses an; BAG vom 19.1.2005 – 7 AZR 115/04 – www.bundesarbeitsgericht.de (siehe dort insbesondere Rn. 31 ff.) = DB 2005, 1171 f. (nur Kurztext). 559 BAG vom 8.5.1985 – 7 AZR 191/84 – AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 97. Dazu auch bereits oben, 2. Kapitel: A. V. 2. Eine Ausnahme macht das BAG insoweit nur, wenn sich der befristete Folgevertrag als unselbstständiger Annex des Vorangegangenen darstellt und deshalb einer eigenständigen Würdigung des sachlichen Grundes der Befristung nicht zugänglich ist, vgl. dazu statt vieler APS Backhaus TzBfG § 17 Rn. 68 ff. 560 Kreutz, Anm. zu BAG vom 8.5.1985 – 7 AZR 191/84 – SAE 1987, 311, 312. Den in der o. g. Änderungsentscheidung vom 8.5.1985 noch offen gelassenen Weg
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vilrechtlichen Grundsatz der informationellen Selbstverantwortung entsprechen, dass es dem Arbeitnehmer wie jeder Vertragspartei grundsätzlich selbst obliegt, sich über mögliche nachteilige Folgen einer vertraglichen Vereinbarung zu informieren und entsprechend auch das Risiko unerkannter Fehlvorstellungen über Vertragsfolgen zu tragen561. Die Situation des bisher unwirksam befristet beschäftigten Arbeitnehmers, der sich nun mit einer wirksamen Folgebefristung im neuen Vertragsangebot konfrontiert sieht, wird dadurch jedoch noch prekärer. Selbst wenn der Arbeitnehmer die rechtliche Brisanz des neuerlichen Vertragsabschlusses erkennt, ist er nach den Grundsätzen der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts noch nicht in die Lage versetzt, diese missliche Konsequenz auch tatsächlich vermeiden zu können. Zwar soll der Arbeitnehmer sich bei Abschluss des neuen befristeten Arbeitsvertrages die Überprüfung der Befristung des alten vorbehalten können562. Anders als bei der Änderungskündigung nach § 2 KSchG ist es hier mit der bloß einseitigen Erklärung eines entsprechenden Vorbehalts gegenüber dem Arbeitgeber in der Regel jedoch nicht getan563. Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts muss ein solcher Vorbehalt im neuen Vertrage vereinbart und dementsprechend von beiden Seiten akzeptiert werden564. Vor dem Hintergrund des klassischen Konzepts des BGB vom Vertragsschluss durch Angebot und Annahme und mit Blick auf § 150 Abs. 2 BGB ist diese rechtliche Würdigung sicher konsequent; sie verkennt jedoch gerade die Wirkungsmechanismen, die zur Anerkennung spezifisch arbeitsrechtlichen Unterlegenheitsschutzes durch Unabdingbarkeit geführt haben. Denn der Anteil der befristet beschäftigten Arbeitnehmer, die über die zur Durchsetzung einer solchen der Anfechtung des neuen Vertrages wegen dessen unerkannter Verzichtswirkung nach § 119 Abs. 1 BGB soll nach einer weiteren Entscheidung ebenfalls versperrt sein, weil der dem Neuabschluss innewohnende Verzicht auf Kündigungsschutz bzw. Befristungsschutz bloße rechtliche Nebenfolge sei, dazu BAG vom 30.10.1987 – 7 AZR 115/87 – AP BGB § 119 Nr. 8. 561 Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 406 f.; so auch BAG vom 3.7.1990 – 3 AZR 382/89 – AP BetrAVG § 1 Nr. 24. Vgl. auch unten, 7. Kapitel: D. III. 2. b). 562 Ständige Rechtsprechung seit BAG vom 30.10.1987 – 7 AZR 115/87 – AP BGB § 119 Nr. 8; a. A. jedoch Rolfs, TzBfG § 17 Rn. 17. 563 Vgl. zu den bei der Änderungskündigung nach § 2 KSchG an den Vorbehalt der Annahme gestellten Anforderungen ErfK - Ascheid KSchG § 2 Rn. 39 ff.; HKKSchG - Weller/Hauck § 2 Rn. 96 ff. 564 Auch die Beifügung einer schriftlichen Vorbehaltserklärung bei Annahme des befristeten Arbeitsvertragsangebots soll insoweit nicht ausreichen, wenn der Arbeitgeber dem widerspricht, BAG vom 5.6.2002 – 7 AZR 205/01 – AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 236; a. A. KR - Bader TzBfG § 17 Rn. 55, der einen solchen Vorbehalt bei Abschluss des befristeten Folgevertrages als regelmäßig konkludent vereinbart ansieht.
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5. Kap.: Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung
Vorbehaltsvereinbarung nötige Verhandlungsmacht verfügen, dürfte eher begrenzt sein565. Illustriert wird dies durch einen kürzlich vom LAG Niedersachsen entschiedenen Fall: Eine befristet im Landesdienst beschäftigte Lehrerin hatte mit ihrer Entfristungsklage zwar in erster Instanz obsiegt, während des laufenden Berufungsverfahrens jedoch zur Absicherung ihrer beruflichen Existenz erneut einen vorbehaltlos befristeten Arbeitsvertrag für das nächste Schulhalbjahr abgeschlossen, nachdem sie sich vergeblich um die Aufnahme eines entsprechenden Vorbehalts in die Vertragsurkunde bemüht hatte566. Das Bestehen eines vorläufigen Weiterbeschäftigungsanspruchs nach dem erstinstanzlichen Urteil kompensiert die faktische Unterlegenheitssituation hier nur unzureichend. Aus der Perspektive der klagenden Lehrerin erscheint es mit Blick auf die erstrebte dauerhafte Beschäftigung bei diesem Arbeitgeber nicht zumutbar, in (weiterer) Konfrontation mit dem Arbeitgeber zugunsten des zeitlich ungewissen Weiterbeschäftigungsanspruchs das Angebot auf gesicherte befristete Weiterbeschäftigung auszuschlagen, zumal gerade im Lehrerberuf die Zahl der in Frage kommenden anderen Arbeitgeber äußerst begrenzt ist. Zwar hat das Bundesarbeitsgericht in einer neueren Entscheidung entgegen dem LAG Niedersachsen für den Fall des neuerlichen Abschlusses eines befristeten Arbeitsvertrages während einer rechtshängigen Befristungskontrollklage nach § 17 TzBfG entschieden, dass unter dieser Voraussetzung regelmäßig die konkludente Vereinbarung eines Vorbehalts im Folgevertrag anzunehmen sei567. Für die Mehrzahl der Fälle, in denen bei neuerlichem Vertragsschluss noch keine Befristungskontrollklage erhoben worden war, ist es vom Erfordernis eines einvernehmlich vereinbarten Vorbehalts nicht abgewichen. Insbesondere sollen Arbeitgeber auch nach dieser Entscheidung durch Aufnahme eines Hinweises auf die Verzichtswirkung des Folgevertrages einer gerichtlichen Überprüfung der vorangegangenen Befristung den Boden entziehen können568. Die Option des Vorbehalts der Befristungskontrolle entpuppt sich damit aus Sicht des Arbeitnehmers als Scheinlösung und neuerliche Einbruchs565
Vgl. dazu den Sachverhalt der Entscheidung des BAG vom 5.6.2002 (vorige
Fn.). 566 LAG Niedersachsen vom 12.1.2004 – 5 Sa 1130/03 – JURIS KARE 600009672. 567 BAG vom 10.3.2004 – 7 AZR 402/03 – AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 259 = AP TzBfG § 14 Nr. 11; ähnlich auch bereits BAG vom 22.4.1998 – 5 AZR 92/97 – AP BGB § 611 Rundfunk Nr. 25 [unter II. 2. der Gründe]. 568 BAG vom 10.3.2004 – 7 AZR 402/03 – AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 259 = AP Nr. 11 zu § 14 TzBfG [unter II. 2. der Gründe].
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stelle der die Unterlegenheit ausmachenden ökonomischen Mechanismen. Eine am unterlegenheitsspezifischen Schutzzweck orientierte Auslegung der Reichweite der Unabdingbarkeit muss deshalb beim Recht auf Befristungsschutz zu dessen Unverzichtbarkeit führen, soweit bei Abschluss der Verzichtsvereinbarung bereits der Abschluss eines neuerlichen befristeten Arbeitsvertrages mit demselben Arbeitgeber in aussicht gestellt worden ist569. (a) Einwände Gegen ein aus der arbeitsrechtlichen Unterlegenheit abgeleitetes Bedürfnis für eine Einschränkung der Verzichtsbefugnis hinsichtlich des Rechts auf Befristungskontrolle sind grundsätzliche Einwände denkbar. (aa) Verzichtswirkung als bloßer Reflex einer einvernehmlichen Vertragsauflösung? Ein erster Einwand könnte sich daraus ergeben, dass das Bundesarbeitsgericht die Verzichtswirkung als vom rechtsgeschäftlichen Willen der Parteien unabhängige rechtliche Nebenfolge der Vertragsaufhebung eingeordnet hat570. Analog zur Diskussion um die Zulässigkeit von Tatsachenvergleichen lässt sich argumentieren, die Unabdingbarkeit des § 22 TzBfG könne nur echte Rechtsverzichte hinsichtlich des Rechts auf Erhebung einer Entfristungsklage erfassen, nicht aber die vertragliche Aufhebung des vorangegangenen Arbeitsverhältnisses selbst als dessen tatsächliche Grundlage verhindern571. Eine vertragliche Aufhebung des Arbeitsverhältnisses müsse deshalb grundsätzlich für zulässig erachtet werden und enthalte insbesondere ohne entsprechende Vereinbarung auch keinen unzulässigen vertraglichen (Rechts-)Verzicht auf Geltendmachung der Unwirksamkeit der Befristung572. Es müsse deshalb unterschieden werden, ob die faktische Verzichtswirkung aufgrund eines rechtlichen Reflexes der vertraglichen Aufhebung 569
Im Ergebnis ebenso Rolfs, TzBfG § 17 Rn. 6; BAG vom 19.1.2005 – 7 AZR 115/04 – www.bundesarbeitsgericht.de (siehe dort insbesondere Rn. 33) = DB 2005, 1171 f. (nur Kurztext) kann als Andeutung eines möglichen Rechtsprechungswechsels verstanden werden. 570 Ständige Rspr. seit BAG vom 30.10.1987 – 7 AZR 115/87 – AP BGB § 119 Nr. 8. 571 Vgl. Ernst, Aufhebungsverträge zur Beendigung von Arbeitsverhältnissen, S. 49 f., 106 jeweils m. w. N.; insbesondere auch BAG vom 24.1.1985 – 2 AZR 317/84 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Einzelhandel Nr. 8. 572 In diese Richtung weist die Entscheidung vom BAG vom 26.7.2000 – 7 AZR 43/99 – AP BeschFG 1985 § 1 Nr. 26 [unter B. I. 1. der Gründe], die zwar an der seit 1985 ständigen Rechtsprechung zur konkludenten Aufhebung des vorherigen Arbeitsvertrages durch Neuabschluss festhält, sich im Rahmen der Inzidentkontrolle
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5. Kap.: Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung
des Arbeitsverhältnisses eintritt oder selbst das finale Ziel eines entsprechenden Rechtsverzichts ist573. Gleichwohl gibt es sowohl in unbefristeten als auch in befristeten Arbeitsverhältnissen Konstellationen, in denen sich auch die Vertragsbeendigungsfreiheit selbst wegen funktionswidrigen Gebrauchs als konditionierungsbedürftig erweist, weil die Beendigung selbst typischerweise nicht durch einen echten Konsens der Parteien getragen ist. Ihre Entsprechung findet diese Argumentationslinie in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Umgehung von zwingendem Kündigungsschutz durch Aufhebungsverträge bei unbefristeten Arbeitsverhältnissen574. In der hier erörterten Konstellation der Kettenbefristungen ist bereits die Annahme eines konkludenten Aufhebungsvertrages äußerst zweifelhaft575. Fragwürdig ist sie insbesondere dann, wenn sich der neue befristete Arbeitsvertrag – abgesehen von der Laufzeit – inhaltlich nicht wesentlich vom vorigen Vertrag unterscheidet. Diese Frage kann hier jedoch letztlich dahinstehen. Die Annahme einer faktischen Verzichtswirkung hinsichtlich des unbefristeten Fortbestands des vorigen Arbeitsverhältnisses vermag auch dann nicht zu überzeugen, wenn man die Rechtsprechung zur Zulässigkeit expliziter Aufhebungsverträge genauer betrachtet.
Zwar steht es den Parteien aufgrund ihrer Vertragsbeendigungsfreiheit grundsätzlich offen, das Arbeitsverhältnis jederzeit durch Aufhebungsvertrag zu beenden576. Das gilt im Grundsatz für unbefristete und befristete Arbeitsverträge gleichermaßen. Die Unabdingbarkeit des Befristungsschutzes nach § 22 Abs. 1 TzBfG berührt diese Befugnis der Arbeitsvertragsparteien im Grundsatz ebenso wenig, wie die Unabdingbarkeit des Kündigungsschutzes dies tut577. dadurch jedoch nicht an der Überprüfung der Rechtswirksamkeit der Vorbefristung gehindert sieht. 573 Vgl. Ernst, Aufhebungsverträge zur Beendigung von Arbeitsverhältnissen, S. 49 f., 106 jeweils m. w. N.; und insbesondere BAG vom 24.1.1985 – 2 AZR 317/84 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Einzelhandel Nr. 8. 574 Vgl. dazu bereits die Nachweise in der vorigen Fn. und unten Fn. 590. 575 Kritisch zur Konstruktion des konkludenten Aufhebungsvertrags mit Recht Klevemann/Ziemann, Die Reichweite der Befristungskontrolle bei mehrfach befristeten Arbeitsverhältnissen, DB 1989, 2608 ff.; Colneric, Anm. zu BAG vom 8.5.1985 – 7 AZR 191/84 – AuR 1986, S. 317; Kreutz, Anm. zu BAG vom 8.5.1985 – 7 AZR 191/84 – SAE 1987, S. 311; vgl. dazu auch BAG vom 1.12.2004 – 7 AZR 198/04 – NZA 2005, 575 ff. 576 Insbesondere enthält die auf einen Aufhebungsvertrag gerichtete Willenserklärung des Arbeitnehmers nicht zugleich einen Verzicht auf Kündigungsschutz (oder auch Befristungskontrolle), BAG 24.1.1985 – 2 AZR 317/84 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Einzelhandel Nr. 8; ähnlich BAG vom 16.2.1983 – 7 AZR 134/81 – AP BGB § 123 Nr. 22; Ernst, S. 50 m. w. N. aus dem Schrifttum; anders noch BAG vom 19.12.1974 – 2 AZR 565/73 – AP BGB § 620 Bedingung Nr. 3.
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Wenn die Parteien einen Aufhebungsvertrag schließen, so ist dieser selbst und nicht eine Kündigung oder der Ablauf einer bei Vertragsschluss vereinbarten Befristung der Rechtsgrund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses578. Damit unterscheidet sich der (konkludente) Aufhebungsvertrag vom konkludenten Rechtsverzicht auf Befristungsschutz vor allem dadurch, dass sein Zweck gerade in der finalen Beendigung des Arbeitsverhältnisses liegt und dieser Zweck vom vertraglichen Willen der Parteien getragen sein muss579. Der Sinn der Unabdingbarkeit des Befristungsschutzes lässt sich daher ebenso wenig wie der Zweck der Unabdingbarkeit des Kündigungsschutzes im Schutz vor der eigentlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Vertrag sehen. Das Schutzanliegen der Unabdingbarkeit des gesetzlichen Beendigungsschutzes besteht zumindest auch580 in einem unterlegenheitsspezifischen Schutz vor vertraglicher Aushöhlung der Schutzinstrumente, die dem Arbeitnehmer gegen eine problematische Art der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zur Verfügung gestellt sind581. In der Tat nimmt der Abschluss eines Aufhebungsvertrages der gerichtlichen Befristungskontrolle damit „nur“ die tatsächliche Anwendungsgrundlage. Insoweit ist der Abschluss eines Aufhebungsvertrages vergleichbar mit dem eines Tatsachenvergleiches über die tatsächlichen Grundlagen anderer unabdingbarer gesetzlicher Ansprüche. Entsprechend hat die Rechtsprechung auch Tatsachenvergleiche, die im Ergebnis unabdingbare gesetzliche Ansprüche des Arbeitnehmers vereitelten, grundsätzlich nicht für unzulässig gehalten582. Genauso wenig wie die Unabdingbarkeit des Ent577 Zum „Verzicht“ auf Kündigungsschutz durch Aufhebungsvertrag BAG vom 24.1.1985 – 2 AZR 317/84 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Einzelhandel Nr. 8; so auch Ernst, S. 50 und passim; anders insoweit Klevemann/Ziemann, DB 1989, 2608 ff. [unter II. 2. 3. 1.], die nicht zwischen einem Aufhebungsvertrag und einem Verzicht auf Befristungskontrolle bzw. Kündigungsschutz unterscheiden. 578 Überschneidungen gibt es insoweit nur, wenn der Aufhebungsvertrag nicht zur alsbaldigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses geschlossen wird. Der Sache nach handelt es sich dann um eine nachträgliche Befristung des Arbeitsverhältnisses, die ihrerseits der Befristungskontrolle unterliegt; vgl. dazu BAG vom 12.1.2000 – 7 AZR 48/99 – AP BGB § 620 Aufhebungsvertrag Nr. 16. 579 Klevemann/Ziemann, DB 1989, 2608 ff. [unter II. 2.2.2.5]. 580 Das regelmäßige Hinzutreten auch freiheitsmaximierend-paternalistisch zu deutenden Schutzmotivationen des Beendigungsschutzes hindert eine auch unterlegenheitsspezifische Zwecksetzung nicht; vgl. dazu auch oben, 4. Kapitel: A. II. 2. b). 581 Vgl. BAG vom 19.1.2005 – 7 AZR 115/04 – www.bundesarbeitsgericht.de (siehe dort insbesondere Rn. 35) = DB 2005, 1171 f. (nur Kurztext). 582 BAG vom 21.12.1972 – 5 AZR 319/72 – AP LohnFG § 9 Nr. 1; BAG vom 21.7.1978 – 6 AZR 1/77 – AP BUrlG § 13 Unabdingbarkeit Nr. 5; BAG vom 31.7.1967 – 5 AZR 112/67 – NJW 1967, 2376, 2377; Neumann/Fenski § 13 Rn. 76, 77; Leinemann/Linck § 13 Rn. 37; Gaul, Das Arbeitsrecht im Betrieb, S. 478; kri-
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5. Kap.: Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung
geltfortzahlungsanspruchs die tatsächlichen Anspruchsvoraussetzungen oder den tatsächlichen Erhalt des fortzuzahlenden Entgelts sichern kann, kann die Unabdingbarkeit des Rechts auf gerichtliche Befristungskontrolle die Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses als solches sichern. Im Grundsatz stößt der justiziable Schutz durch zwingendes Recht hier an die durch den zivilprozessualen Beibringungsgrundsatz gesetzten Grenzen583. Da und wenn arbeitsrechtlicher Unterlegenheitsschutz aber gerade durch die aus den vorgefundenen Markt- und Machtlagen resultierenden Einschränkungen der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit begründet ist, so kann es nicht entscheidend darauf ankommen, ob eine Aushöhlung der Arbeitnehmerschutzrechte durch einen echten Rechtsverzichts oder infolge vertraglicher Manipulation ihrer tatsächlichen Grundlagen erfolgt. Wenn der eigentliche Zweck eines solchen Aufhebungsvertrags sich in der Umgehung unterlegenheitsspezifisch-zwingenden Arbeitsvertragsrechts zum Nachteil des Arbeitnehmers erschöpft, fehlt ihm seine Legitimation durch die Vertragsfreiheit584. Zur entscheidenden Frage wird damit, ob und wann der reflexhafte faktische Verlust von Rechten oder Ansprüchen des zwingenden Arbeitsvertragsrechts eigentliches Ziel oder bloße Nebenfolge einer Parteivereinbarung ist. Im Umstand der tatsächlichen Beendigungsabsicht hat die Rechtsprechung bei Aufhebungsverträgen schon bisher ein tragfähiges Differenzierungskriterium gesehen, um eine Umgehung des zwingenden Kündigungsschutzes, bzw. das Herbeiführen entsprechender faktischer Rechtsverluste, des Arbeitnehmers rechtlich zu konditionieren585. So soll z. B. ein unter der Bedingung der nicht pünktlichen Rückkehr aus dem Urlaub geschlossener Aufhebungsvertrag wegen Umgehung des Kündigungsschutzes nach § 134 BGB unwirksam sein586. Ebenso ist auch ein aus gleichem Anlass geschlossener unbedingter Aufhebungsvertrag, der einen durch die rechtzeitige Rückkehr aus dem Urlaub bedingten Wiedereinstellungsanspruch vorsah, als tisch zur Zulassung eines Tatsachenvergleichs Dorndorf, Anm. zu BAG vom 21.12.1972 – 5 AZR 319/72 – SAE 1974 116, 119; Herschel, Anm. zu BAG vom 21.7.1978 – 6 AZR 1/77 – AP BUrlG § 13 Unabdingbarkeit Nr. 5; ebenso für einen tarifliche Ansprüche betreffenden Tatsachenvergleich BAG vom 5.11.1997 – 4 AZR 682/95 – AP TVG § 4 Nr. 17 (mit krit. Anmerkung von Zachert); BAG vom 20.8.1980 – 5 AZR 955/78 – AP LohnFG § 6 Nr. 12. 583 Neumann/Fenski § 13 Rn. 77; vgl. allg. Thomas/Putzo - Reichold Einl. I Rn. 1–3; ausführlich Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht § 77 Rn. 7 ff. 584 Vgl. dazu bereits oben, Fn. 545. 585 Ausführlich zu derartigen Konstellationen Oßwald, Der (bedingte) Aufhebungsvertrag im Arbeitsrecht und die Privatautonomie im Kündigungsschutzrecht, Diss. Uni Würzburg 1990. 586 Vgl. BAG vom 19.12.1974 – 2 AZR 565/73 – AP BGB § 620 Bedingung Nr. 3.
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unwirksam angesehen worden587. Vergleichbar ist auch die Rechtsprechung, nach der eine überlange Auslauffrist zur Anwendung des Befristungsrechts auf den Aufhebungsvertrag führen soll588. Die Grenzlinie dürfte in der Praxis nicht immer leicht zu ziehen sein. Für den Fall der Kettenbefristung wird man jedoch in aller Regel davon ausgehen können, dass eine konkludente – oder auch ausdrückliche Aufhebung – des vorherigen Arbeitsverhältnisses anlässlich der Neubegründung eines weiteren befristeten Arbeitsverhältnisses im Wesentlichen gleichen Inhalts typischerweise nicht als eigentlicher Zweck der Parteivereinbarung aufgefasst werden kann589. Untechnisch betrachtet wollen die Parteien nur die Verlängerung des bisherigen Arbeitsverhältnisses. Zumindest wenn die neuerliche Befristung nicht im Interesse des Arbeitnehmers liegt, dürften sich Zweck und Zielrichtung einer ausdrücklich getroffenen oder als konkludent unterstellten Aufhebungsvereinbarung typischerweise in der Aushebelung des zwingenden Rechts auf Befristungskontrolle bzw. Kündigungsschutz erschöpfen. In dieser Konstellation dürfte deshalb auch die Befugnis zum Abschluss von Aufhebungsverträgen ihrerseits wegen funktionswidriger Umgehung des zwingenden Rechts auf Befristungskontrolle restriktiv zu beurteilen sein590. Eine andere Interpretation des (konkludenten) Parteiwillens mag angezeigt sein, wenn das neue Arbeitsverhältnis sich gegenüber dem alten als aliud darstellt, weil etwa Aufgabenbereich, Arbeitszeit oder Entlohnung entscheidend geändert wurden. Dies entspricht jedoch nicht dem Regelfall der Kettenbefristung.
Für die Konstellation der Kettenbefristung muss daraus gefolgert werden, dass eine – auch ausdrückliche – vertragliche Aufhebung des vorangegangenen Arbeitsverhältnisses anlässlich des Abschlusses eines gleichartigen weiteren befristeten Arbeitsvertrages regelmäßig wegen Umgehung des zwingenden Rechts auf Befristungsschutz als nach § 22 TzBfG i. V. m. § 134 BGB unwirksam anzusehen ist. Der wirkliche Parteiwille dürfte in solchen Fällen regelmäßig als Verlängerung des ursprünglichen Arbeitsver587
Vgl. BAG vom 13.12.1984 – 2 AZR 294/83 – AP BGB § 620 Bedingung
Nr. 8. 588 Ständige Rechtsprechung, vgl. nur BAG vom 12.1.2000 – 7 AZR 48/99 – AP BGB § 620 Aufhebungsvertrag Nr. 16; BAG vom 7.3.2002 – 2 AZR 93/01 – AP BGB § 620 Aufhebungsvertrag Nr. 22 [unter II. 5. a) der Gründe]. 589 Vgl. auch BAG vom 1.12.2004 – 7 AZR 198/01 – NZA 2005, 575 ff. [unter B. I. 4. b) der Gründe]. 590 Vgl. zur restriktiven Auslegung von Aufhebungsverträgen wegen funktionswidriger Gesetzesumgehung BAG vom 12.1.2000 – 7 AZR 48/99 – AP BGB § 620 Aufhebungsvertrag Nr. 16; LAG Sachsen-Anhalt vom 17.6.2003 – 8 Sa 614/02 – nv. JURIS KARE 600009528; BAG vom 19.12.1974 – 2 AZR 565/73 – AP BGB § 620 Bedingung Nr. 3; BAG vom 13.12.1984 – 2 AZR 294/83 – AP BGB § 620 Bedingung Nr. 8.
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hältnisses zu deuten sein, der als solcher eine gerichtliche Befristungskontrolle hinsichtlich der zuvor vereinbarten Befristung nicht ausschließt. Die Vereinbarung einer Folgebefristung selbst kann deshalb in der Regel nicht zum Ausschluss des Rechts auf Erhebung einer Entfristungsklage hinsichtlich des vorangegangenen Arbeitsvertrags führen591. (bb) Beschränkung der Befristungskontrolle durch konkludenten Verzicht als Gebot der Rechtssicherheit? Die Erhöhung der Rechtssicherheit für Arbeitgeber befristet Beschäftigter dürfte seinerzeit einer der maßgeblichen Beweggründe der 1985 vom Bundesarbeitsgericht vollzogenen Rechtsprechungsänderung hinsichtlich der Kontrollfähigkeit von Vorbefristungen gewesen sein592. Angesichts teilweise über Jahrzehnte fortgeführter Befristungsketten bestand ein nicht zu leugnendes praktisches Bedürfnis für eine Begrenzung des rechtlichen Kontrollmaßstabs. In der Tat muss es befremden, wenn z. B. in einer über Jahrzehnte fortgesetzten Kette mit einer Vielzahl von befristeten Arbeitsverträgen die Unwirksamkeit einer einzigen, schon längere Zeit zurückliegenden Befristung zum unbefristeten Fortbestand des Arbeitsverhältnisses führen soll, ohne dass es auf zeitlich danach liegende wirksame Befristungen noch ankäme593. Insbesondere im Anwendungsbereich des BAT konnte dies zur Folge haben, dass von den Parteien quasi unbemerkt ein mittlerweile ordentlich unkündbares, unbefristetes Arbeitsverhältnis entstanden war. Mit Einführung der dreiwöchigen Klagefrist des § 1 Abs. 5 BeschFG 1996, heute § 17 Satz 1 und 2 TzBfG, und der den §§ 5 und 7 KSchG entsprechenden Wirksamkeitsfiktion der vereinbarten Befristung als Beendigungstatbestand ist die Gefahr unversehens im Hintergrund schwebender Arbeitsverhältnisse jedoch gebannt. Nach herrschender und zutreffender Ansicht wird die Drei-Wochen-Frist des § 17 Satz 1 TzBfG bei mehreren aufeinander folgenden Befristungsabreden für jede Befristungsabrede mit dem Ablauf der darin vereinbarten Befristung und nicht etwa insgesamt erst 591 Im Ergebnis ebenso APS - Backhaus TzBfG § 17 Rn. 66; KR - Lipke TzBfG § 14 Rn. 43, 45; KR - Bader TzBfG § 17 Rn. 55; Kittner/Däubler/Zwanziger KSchR - Däubler § 14 TzBfG Rn. 33; Meinel/Heyn/Herms TzBfG § 17 Rn. 10; Annuß/Thüsing - Maschmann TzBfG § 17 Rn. 4 und § 14 Rn. 11; Klevemann/Ziemann, DB 1989, 2608. 592 Vgl. die Entscheidungsbegründung des BAG vom 8.5.1985 – 7 AZR 191/84 – AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 97 a. E. 593 So der Rechtsprechungsstand vor 1985, vgl. z. B. BAG vom 30.9.1981 – 7 AZR 467/79 – AP BGB § 620 Nr. 62; BAG vom 19.8.1981 – 7 AZR 252/79 – AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 60.
E. Grenzen der Legitimierbarkeit zwingenden Arbeitsvertragsrechts
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mit dem Ablauf der letzten Befristung in Lauf gesetzt594. Dies entspricht der Rechtslage im Kündigungsrecht oder auch im Recht der tariflichen Ausschlussfristen: Auch dort muss der Arbeitnehmer im laufenden Arbeitsverhältnis – trotz berechtigter Hoffnung oder sogar Zusage auf Wiedereinstellung595 – seine Rechte im Wege der Klage geltend machen, wenn er sie nicht verlieren will596. Insbesondere gibt es seit Einführung der Präklusionsfrist keine Besserstellung des befristet Beschäftigten gegenüber dem unbefristet Beschäftigten mehr. Die im Befristungsrecht damals fehlende Präklusionsfrist hatte dem Bundesarbeitsgericht bei seiner Rechtsprechungsänderung von 1985 noch als Argument für die Konstruktion eines konkludenten Verzichts durch Neuabschluss gedient597. Das eine über die gesetzliche Präklusionsfrist hinausgehende Beschränkung der rechtlichen Kontrollmöglichkeit aus rechtspraktischen Gründen geboten wäre, ist nicht ersichtlich. Das Argument der Rechtssicherheit hat mit ihrer Einführung seine Überzeugungskraft verloren598. (cc) Relativierung der Bedeutung des Verzichts durch die gesetzliche Präklusionsfrist? Dagegen kann der im Ergebnis gleiche Rechtsverlust durch die gesetzliche Ausschlussfrist des § 17 Satz 1 TzBfG nicht im Umkehrschluss für eine Relativierung der Unterlegenheitsproblematik beim Verzicht auf Befristungskontrolle ins Feld geführt werden. 594 BAG vom 22.3.2000 – 7 AZR 581/98 – AP BeschFG 1996 § 1 Nr. 1; BAG vom 28.6.2000 – 7 AZR 920/98 – AP BeschFG 1996 § 1 Nr. 2; BAG vom 26.7.2000 – 7 AZR 51/99 – AP BeschFG1996 § 1 Nr. 3; BAG vom 25.10.2000 – 7 AZR 483/99 – AP BeschFG1996 § 1 Nr. 7; BAG vom 21.2.2001 – 7 AZR 98/00 – AP BeschFG1996 § 1 Nr. 9; BAG vom 24.10.2001 – 7 AZR 686/00 – AP BeschFG1996 § 1 Nr. 11; aus dem Schrifttum statt vieler KR - Lipke § 14 TzBfG Rn. 44; a. A. Fiebig, Die gerichtliche Überprüfung des Sachgrundes der vorletzten Befristung, NZA 1999, 1086, 1088; Buschmann, Gemeine Marktwirtschaft, AuR 1996, 286, 289. 595 Vgl. dazu BAG vom 7.3.2002 – 2 AZR 93/01 – AP BGB § 620 Aufhebungsvertrag Nr. 22. 596 KR - Lipke TzBfG § 14 Rn. 44; BAG vom 22.3.2000 – 7 AZR 581/98 – AP BeschFG 1996 § 1 Nr. 1 [unter B. II. 2. a) dd)]. 597 Vgl. die Entscheidungsbegründung des BAG vom 8.5.1985 – 7 AZR 191/84 – AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 97 a. E. 598 So auch APS - Backhaus TzBfG § 17 Rn. 65; KR - Lipke TzBfG § 14 Rn. 44; Meinel/Heyn/Herms TzBfG § 14 Rn. 10; Annuß/Thüsing - Maschmann TzBfG § 17 Rn. 4; wohl auch ErfK - Müller-Glöge TzBfG § 14 Rn. 13; a. A. nach wie vor BAG vom 5.6.2002 – 7 AZR 205/01 – AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 236.
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5. Kap.: Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung
Fraglos werden die gleichen Mechanismen, die den Arbeitnehmer in dieser Situation geneigt machen können, dem Angebot des Arbeitgebers auf Abschluss einer Verzichtsvereinbarung näher zu treten, ebenso geeignet sein, ihm die fristgerechte Erhebung einer Entfristungsklage untunlich erscheinen zu lassen599. Gleichwohl ist der Rechtsverlust infolge unterbliebener Klageerhebung durch die Präklusionswirkung auf einer anderen Ebene angesiedelt und rechtlich anders zu würdigen. Im Unterschied zu Fallkonstellationen, in denen der Ablauf einer Ausschlussfrist gesetzlicher, tarif- oder individualvertraglicher Art zur Vermeidung von Rechtsverlusten die gerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen im laufenden Arbeitsverhältnis erfordert, tritt beim Verzicht der Rechtsverlust unmittelbar durch eine vertragliche, das heißt durch eine jedenfalls formell vom rechtsgeschäftlichen Willen des Arbeitnehmers getragene Vereinbarung ein. Diese enge Verknüpfung von Willensbetätigung und unfreiwilligem Rechtsverlust des Arbeitnehmers hindert in einer Situation typischerweise eingeschränkter tatsächlicher Entscheidungsfreiheit – wie derjenigen bei Abschluss einer Folgebefristung – die unmittelbare Vergleichbarkeit des – auch rein reflexiv verstandenen – Verlusts des Rechts auf Befristungskontrolle aufgrund einer vertraglichen Vereinbarung mit dem Rechtsverlust aufgrund einer (gesetzlichen) Ausschlussfrist. Die innere Rechtfertigung für den unterlegenheitsspezifischen Schutz durch zwingendes Recht ergibt sich gerade daraus, dass der speziell dem Konzept der privatautonomen Gestaltung zu Grunde liegende Satz „volenti non fit iniuria“ seine innere Überzeugungskraft einbüßt, wenn ein rechtsgeschäftlicher Wille eben nicht mehr als hinreichend autonom gebildet angesehen werden kann600. Die unterlegenheitsspezifische Schutzkomponente zwingenden Arbeitsvertragsrechts liefert damit zwar eine eigenständige Rechtfertigung für die Konditionierung typischerweise als materiell „unfreiwillig“ angesehener vertraglicher Vereinbarungen. Sie kann jedoch nicht losgelöst oder konträr zu den gesetzgeberischen Vorgaben zu einer freischwebend an der Kategorie der Unzumutbarkeit orientierten Konditionierung führen601. Der Gedanke des Unterlegenheitsschutzes durch Unabdingbarkeit wäre überstrapaziert, wenn man ihn für die Idee eines umfassenden Schutzes tatsächlicher Chancengleichheit bei der Interessendurchsetzung zu mobilisieren sucht602. 599
Fiebig, NZA 1999, 1086, 1088; ähnlich Buschmann AuR 1996, 286, 289. Vgl. Canaris, Wandlungen des Schuldvertragsrechts – Tendenzen zu seiner Materialisierung, AcP 200 (2000), 273, 286, 296 ff. m. w. N.; Zöllner, Regelungsspielräume im Schuldvertragsrecht, AcP 196 (1996), 1, 27 ff. 601 Vgl. dazu BAG vom 22.3.2000 – 7 AZR 581/98 – AP BeschFG 1996 § 1 Nr. 1 [unter B. II. 2. a) dd]. 600
E. Grenzen der Legitimierbarkeit zwingenden Arbeitsvertragsrechts
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Das Unterlassen einer (rechtzeitigen) gerichtlichen Geltendmachung aus Furcht vor informellen Sanktionen ist deshalb nicht vom Schutzbereich des zwingenden Arbeitsvertragsrechts umfasst603. Weder ist ein Verzicht auf Befristungskontrolle im laufenden oder fortgesetzten Arbeitsverhältnis schon deshalb für zulässig zu halten, weil auch die Ausschlussfrist des § 17 Satz 1 und 2 TzBfG nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts604 bei Untätigkeit des Arbeitnehmers zu einem entsprechenden Rechtsverlust führt, noch kann aus dem Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses die Unanwendbarkeit der Präklusionsfrist gefolgert werden605. Entsprechend hat das Bundesarbeitsgericht auch zu Entgeltfortzahlungsansprüchen entschieden: Diese sollen zwar im laufenden Arbeitsverhältnis nicht verzichtbar sein, sie können jedoch durch das Verstreichenlassen von Ausschlussfristen bereits im laufenden Arbeitsverhältnis erlöschen606. Mit der Einführung der Drei-Wochen-Frist als allgemeiner materieller Präklusionsfrist für Streitigkeiten über die Beendigung aufgrund von Kündigung oder Befristung hat der Gesetzgeber eine Abwägungsentscheidung zwischen den Interessen der Planungs- und Rechtssicherheit und dem Interesse des Beendigungsschutzes vorgenommen. Diese Abwägungsentscheidung gilt es im Rahmen der Gesetzesanwendung und Auslegung zu respektieren. Man kann daher aus dem Ablauf der gesetzlichen Präklusionsfrist noch während des bestehenden Arbeitsverhältnisses keine Folgerungen für die Zulässigkeit einer vertraglichen Verzichtsvereinbarung ziehen. (b) Fazit zur Befristungskontroll-Rechtsprechung Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur (konkludenten) Aufhebung eines infolge unwirksamer Befristung bestehenden unbefristeten Arbeitsverhältnisses durch vorbehaltlosen Abschluss eines neuen befristeten Arbeitsvertrages hält einer rechtlichen Überprüfung nicht uneingeschränkt stand607. 602 Zu Recht warnt Preis im Zusammenhang mit der sog. Bürgschaftsentscheidung davor, den verfassungsrechtlich untermauerten Unterlegenheitsgedanken als „Wundertüte“ für privatrechtliche Lösungen zu missbrauchen; in Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, S. 47. 603 Vgl. dazu auch oben, Fn. 583. 604 BAG vom 22.3.2000 – 7 AZR 581/98 – DB 2000, 1714; a. A. Fiebig, NZA 1999, 1086, 1089; Buschmann, AuR 1996, 286, 289. 605 So aber Fiebig, a. a. O. 606 BAG vom 25.7.1984 – 5 AZR 219/82 – nv., JURIS KARE 278330703 zu einer einzelvertraglich vereinbarten Ausschlussfrist. 607 BAG vom 8.5.1985 – 7 AZR 191/84 – AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 97.
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5. Kap.: Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung
Dabei kommt es nicht primär darauf an, ob eine solche Aufhebung bei Neuabschluss ausdrücklich vereinbart oder dem Arbeitnehmer als rechtliche Nebenfolge der Neubegründung quasi untergeschoben wird. Die auf Initiative des Arbeitgebers erfolgende Aufhebung des vorangegangenen Arbeitsverhältnisses anlässlich der Begründung eines sonst im Wesentlichen inhaltsgleichen befristeten Arbeitsverhältnisses ist rechtlich als Umgehung des nach § 22 Abs. 1 TzBfG zwingenden Rechts auf Befristungskontrolle einzuordnen und deshalb als nach § 134 BGB unwirksam anzusehen. Zu einem anderen Ergebnis könnte man nur kommen, wenn man der zwingenden Wirkung des Rechts auf Befristungskontrolle jene unterlegenheitsschützende Komponente abspräche, die nach herrschender Meinung gerade die tragende Rechtfertigung für die Unverzichtbarkeit von Ansprüchen und Rechten aus unabdingbaren Normen im laufenden Arbeitsverhältnis sein soll608. Insbesondere die insoweit gleichlautende Formulierung des § 22 Abs. 1 TzBfG bietet für eine entsprechende gesetzgeberische Differenzierungsabsicht keinen Anhaltspunkt609. 2. Die ökonomischen Grenzen des Unterlegenheitsparadigmas Eine weitere Grenze der aus dem Unterlegenheitsparadigma legitimierbaren Einschränkung der Verzichtsfreiheit wird erreicht, wenn der in Rede stehende Verzicht sich nicht als Ausdruck einer wirtschaftlichen Unterlegenheit deuten lässt, weil er aufgrund synallagmatischer Verknüpfung entweder offensichtlich wirtschaftlich vorteilhaft oder aber mangels wirtschaftlicher Angewiesenheit des konkreten Arbeitnehmers auf das konkrete Arbeitsverhältnis jedenfalls nicht Ausdruck einer wirtschaftlichen Abhängigkeit vom jeweiligen Arbeitgeber ist. a) Wirtschaftliche Unabhängigkeit des Arbeitnehmers Eines unterlegenheitsbezogenen Arbeitnehmerschutzes bedarf es nicht, wenn der konkrete Arbeitnehmer aufgrund wirtschaftlicher Unabhängigkeit vom jeweiligen Arbeitgeber in der Lage ist, für ihn unvorteilhafte Verzichtsvereinbarungen zurückzuweisen, weil seine wirtschaftlich-sozialen 608
Dieser Aspekt bleibt in der Entscheidung des BAG vom 19.1.2005 – 7 AZR 115/04 – www.bundesarbeitsgericht.de (siehe dort insbesondere Rn. 31 ff.) = DB 2005, 1171 f. (nur Kurztext) unklar, weil sie keine Stellung zu der Frage bezieht, weshalb es eines grundrechtlich gewährleisteten Mindestbestandschutzes bedürfe. 609 Hätte der Gesetzgeber mit der Unabdingbarkeitsnorm des § 22 TzBfG lediglich im Interesse des Zukunftsschutzes des Arbeitnehmers tätig werden wollen, so hätte eine an § 619 BGB angelehnte Formulierung nahe gelegen; vgl. insoweit die Struktur des mit der Schuldrechtsreform 2002 eingeführten § 475 BGB.
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Existenz anderweitig gesichert ist610. Mit anderen Worten: Ist der Arbeitnehmer wirtschaftlich unabhängig, so ist ihm regelmäßig auch das Nein zu einer für ihn ungünstigen Verzichtsvereinbarung zuzumuten; er ist dann formell wie materiell in der Wahrnehmung seiner Vertragsabschlussfreiheit autonom. Unterlegenheitskompensierende Instrumentarien werden dann und insoweit obsolet611. Fraglos wird der Arbeitnehmer auch dann nicht immer in der Lage sein, bei Eingehung des Arbeitsverhältnisses die von ihm gewünschten Vertragsbedingungen gegenüber dem Arbeitgeber durchzusetzen. Und fraglos wird der Arbeitgeber im Regelfall auch dann noch die wirtschaftlich wesentlich potentere Partei des Arbeitsvertrages sein. Es mag also sein, dass der Arbeitgeber sich beispielsweise nicht auf die Vereinbarung von zwei Monaten Urlaub bei einem entsprechend herabgesetzten Jahresarbeitsentgelt einlassen wird; der Arbeitnehmer sich also in einer „take-it-or-leave-it“-Situation hinsichtlich der arbeitsvertraglichen Nebenbedingungen befindet oder aber das Nichteingehen auf ein Verzichtsangebot des Arbeitgebers von diesem ultimativ mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses verknüpft wird. Das Aufzwingen unliebsamer Vertragsbedingungen ist jedoch aus der Perspektive des Unterlegenheitsschutzes solange nicht konditionierungsbedürftig, wie die Ablehnung des Vertragsschlusses an sich zumutbar ist612. Wiederum zeigt sich, wie wenig präzise und zielführend die Metaphern der Gleichgewichtigkeit oder Vertragsparität in diesem Zusammenhang sind613.
Es ist offenkundig, dass wohl nur eine Minderheit der Arbeitnehmer als derart wirtschaftlich unabhängig angesehen werden kann, so dass ihnen zuzumuten ist, zur Abwehr unerwünschter arbeitsvertraglicher Nebenbedingungen notfalls die Eingehung oder den Bestand des Arbeitsverhältnisses selbst in Frage zu stellen. Der Anteil ist jedoch nicht so marginal, wie man auf den ersten Blick vielleicht vermuten könnte. Denn die sich hier fast unwillkürlich einstellende Assoziation, im obengenannten Sinne wirtschaftlich unabhängig seien nur diejenigen Arbeitnehmer, die aufgrund hohen eigenen Vermögens für ihren Lebensunterhalt überhaupt nicht auf die wirtschaftliche Verwertung ihrer Arbeitskraft angewiesen sind, hält einer näheren Überprüfung nicht stand. Derartige Assoziationen mögen aus einer überkommenen klassenspezifischen Vorstellung vom Typus des Arbeitnehmers herrühren. Den Realitäten der heutigen Gesellschaft entspricht diese Vorstellung jedoch nicht mehr. Mit dem Arbeitnehmerdasein kann heute keine starre Zuordnung zu einer bestimmten gesellschaftlichen Schicht oder einem bestimmten gesellschaftlichen Milieu mehr verbunden werden; Arbeitnehmer-Sein ist im soziologischen Sinne kein Status, sondern eine 610
Schwarze, Arbeitnehmerbegriff und Vertragstheorie, ZfA 2005, 81, 100 f. Schwarze, ebenda; ähnlich Thüsing, FS Wiedemann, S. 559, 575 f. 612 Thüsing, ebenda, S. 570 f.; Zöllner, Regelungsspielräume im Schuldvertragsrecht, AcP 196 (1996), 1, 29 ff. 613 Vgl. dazu ausführlich Zöllner, ebenda. 611
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5. Kap.: Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung
funktionale Rolle614. Entsprechend muss sich ein sich kompensatorisch verstehender Unterlegenheitsschutz an einem rollenspezifischen Arbeitnehmerbild orientieren, das in Arbeitnehmern nicht per se eine ausgebeutete Klasse sieht.
Maßstab eines kompensatorischen Unterlegenheitsschutzes durch Unabdingbarkeit muss grundsätzlich die typische Situation bei Abschluss der fraglichen rechtsgeschäftlichen Vereinbarung sein. Und diese Situation darf nicht nur aus einem auf das jeweilige Arbeitsverhältnis verengten Blickwinkel gewürdigt werden: An einer wirtschaftlichen Unterlegenheit des Arbeitnehmers fehlt es deshalb bereits dann, wenn der konkrete Arbeitnehmer zum fraglichen Zeitpunkt ein konkretes Alternativangebot eines anderen Arbeitgebers hat615, das sich – für den Fall der Verzichtsvereinbarung im bestehenden Arbeitsverhältnis unter Berücksichtigung der mit einem Arbeitsplatzwechsel verbundenen Nachteile und Unsicherheitsfaktoren – als mindestens gleichwertig erweist. Die paradigmatisch vorausgesetzte existenzielle Angewiesenheit des Arbeitnehmers auf das Arbeitsverhältnis kann auch in Frage stehen, wenn eine nebenberufliche Beschäftigung in nur geringfügigem Umfang für den Arbeitnehmer nicht Existenzsicherung, sondern bloßer Zuverdienst ist. Dies wird regelmäßig bei Ferien- oder Nebenjobs von Schülern und Studenten der Fall sein, deren eigentlicher Lebensunterhalt durch elterlichen Unterhalt oder staatliche Zuwendungen gesichert ist. Zwar sind auch solche Beschäftigungen rechtlich in der Regel als Arbeitsverhältnis zu qualifizieren, was – jedenfalls wenn die gesetzlich z. T. vorgesehenen Wartefristen eingehalten sind – zur vollumfänglichen Anwendbarkeit des gesetzlichen Arbeitsvertragsrechts führt. Mit der wirtschaftlichen Abhängigkeit des Arbeitnehmers ist die zwingende Wirkung hier jedoch regelmäßig nicht begründbar. Es fehlt an einem unterlegenheitsspezifischen Schutzbedürfnis, wie es im klassischen Vollzeitarbeitsverhältnis mit proletarischer Prägung zu finden ist. Das dürfte auch ein wesentlicher Grund dafür sein, dass in derartigen Arbeitsverhältnissen arbeitsvertragliche Nebenansprüche, wie Entgeltfortzahlung oder Urlaub, in der Praxis verhältnismäßig häufig contra legem weder gewährt noch eingeklagt werden616. Die mit Einführung des Entgeltfortzahlungsgesetzes aufgehobene Regelung des § 1 Abs. 3 Nr. 2 LFZG, die diejenigen Arbeiter vom gesetzlichen 614
Reuter, Gibt es eine arbeitsrechtliche Methode?, FS Hilger/Stumpf, S. 573, 577. Schwarze, Arbeitnehmerbegriff und Vertragstheorie, ZfA 2005, 81, 100; ähnlich auch Thüsing, FS Wiedemann, S. 559, 575 f. 616 Vgl. Buschmann/Dieball/Stevens-Bartol, TzA EFZG § 3 Rn. 5 und insb. die Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Vogt auf die Frage des MdB Schmidt betreffend Maßnahmen der Bundesregierung nach dem Urteil des EuGH vom 13.7.1989 zur Lohnfortzahlungspflicht bei geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen, BT-Drucks. 11/5430, S. 13. 615
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Lohnfortzahlungsanspruch im Krankheitsfall ausnahm, deren regelmäßige Arbeitszeit wöchentlich zehn oder monatlich 45 Stunden nicht überstieg, schien ebenfalls von einem geringeren unterlegenheitsspezifischen Schutzbedürfnis dieser Gruppe auszugehen617. Zu Recht ist § 1 Abs. 3 Nr. 2 LFZG allerdings vom Bundesarbeitsgericht wegen europarechtswidriger mittelbar geschlechtsspezifischer Diskriminierung im Anschluss an eine entsprechende Entscheidung des EuGH618 als unwirksam angesehen worden619. Dies zeigt einmal mehr, dass das arbeitsrechtliche Unterlegenheitsparadigma allein die Unabdingbarkeit zwingenden Arbeitsvertragsrechts nicht zureichend erklären kann. Das Fehlen einer existenziellen Angewiesenheit auf das konkrete Arbeitsverhältnis und damit eine den Annahmen des arbeitsrechtlichen Unterlegenheitsparadigmas entgegenstehende wirtschaftliche Unabhängigkeit des Arbeitnehmers im hier interessierenden Sinne ist damit nicht auf das klischeehafte Bild des Millionärs, der nur aus Liebhaberei noch arbeitet, beschränkt. Es kommt sowohl am oberen als auch am unteren Ende der sozialen Skala der Arbeitsverhältnisse vor und kann deshalb nicht pauschal marginalisiert werden. Der Gedanke der Freiheitsmaximierung steht einer derart groben Typisierung arbeitnehmerspezifischer Unterlegenheit entgegen, zumal den Belangen der Rechtssicherheit auch durch feinere Typisierungen hinreichend Rechnung getragen werden kann620. Es muss deshalb der folgende Satz gelten: Wenn der jeweilige Arbeitnehmer beim Abschluss einer Verzichtsvereinbarung vom konkreten Arbeitsverhältnis aktuell nicht wirtschaftlich abhängig ist, kann das arbeitsrechtliche Unterlegenheitsparadigma den Ausschluss der vertraglichen Verzichtsfreiheit nicht legitimieren621. Allerdings ist damit noch kein abschließendes Urteil über die individualvertragliche Verzichtbarkeit des fraglichen Rechts oder Anspruchs verbunden. Unterlegenheit ist – wie bereits im 4. Kapitel gezeigt wurde – nicht der einzige in Betracht kommende vertragstheoretische Grund für Autonomieeinschränkungen im Arbeitsvertragsrecht. Entsprechend muss eine 617 Zuzugeben ist, dass § 1 Abs. 3 Nr. 2 Lohnfortzahlungsgesetz insofern zu weit gefasst war, weil er auch die Fälle erfasste, in denen beispielsweise der Zuverdienst der Ehefrau existenzieller Teil des Familieneinkommens war; vgl. dazu BAG vom 9.10.1991 – 5 AZR 598/90 – AP LohnFG § 1 Nr. 95. 618 EuGH vom 13.7.1989 – Rs 171/88 – AP EWG-Vertrag Art. 119 Nr. 16. 619 BAG vom 9.10.1991 – 5 AZR 598/90 – AP LohnFG § 1 Nr. 95. 620 So auch Schwarze, Arbeitnehmerbegriff und Vertragstheorie, ZfA 2005, 81, 100; vgl. zur rechtlichen Operationalisierung des unterlegenheitsspezifischen Verzichtsschutzes auch sogleich unten, 5. Kapitel: E. II. 2. 621 Schwarze, Arbeitnehmerbegriff und Vertragstheorie, ZfA 2005, 81, 101 f.; im Ergebnis auch Thüsing, FS Wiedemann, S. 559, 570 f., 585.
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5. Kap.: Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung
Verzichtsvereinbarung zu ihrer Rechtswirksamkeit auch mit allen Schutzzwecken der Unabdingbarkeitsanordnung kompatibel sein, die hinsichtlich der jeweiligen arbeitsvertragsrechtlichen Norm relevant sind622. So wird in der Regel ein Vorausverzicht auf zwingende Rechte dennoch nicht in Betracht kommen, wenn und soweit das Verzichtsverbot paternalistisch gerechtfertigt ist623. Zudem mögen insbesondere in atypischen Arbeitsverhältnissen auch überindividuelle, generalpräventive Erwägungen wie beispielsweise Beschäftigungsförderung oder Diskriminierungsschutz ein weitergehendes Verzichtsverbot rechtfertigen können624. b) Günstigkeit der Verzichtsvereinbarung Die unterlegenheitsspezifische Rechtfertigung des Verzichtsverbots aus dem arbeitsrechtlichen Unterlegenheitsparadigma setzt denknotwendig voraus, dass sich der vereinbarte Verzicht als nachteilige Folge der paradigmatisch vorausgesetzten Unterlegenheit des Arbeitnehmers deuten lässt. Das ergibt sich im Kern schon aus dem Umstand, dass die meisten arbeitsvertragsrechtlichen Normen nicht absolut zwingend sind, sondern Abweichungen zugunsten des Arbeitnehmers durchaus zulassen. Solange man nur den jeweiligen Anspruch isoliert betrachtet, ergibt sich daraus kein Problem. Ein einzelvertraglich vereinbartes Mehr z. B. an Entgeltfortzahlung, Urlaub oder auch die vereinbarte Geltung des Kündigungsschutzgesetzes625 ist problemlos zulässig, nur ein Weniger wird vom Gesetz als konditionierungsbedürftig erachtet. Auf Seiten der Befürworter einer extensiven Auslegung der Reichweite der Unabdingbarkeitswirkung werden paradigmatische Schutzannahmen im Wesentlichen durch die starke suggestive Kraft befeuert, die die übliche Vorstellung vom Verzichtsvertrag als einseitig den Arbeitgeber begünstigenden Vertrag bzw. umgekehrt als Selbstschädigung des Arbeitnehmers entfaltet626. Entgegen der intuitiven Verknüpfung von Verzicht und wirtschaftlicher Nachteiligkeit für den Verzichtenden sind jedoch weiter auch die Fälle in Betracht zu nehmen, in denen sich eine Verzichtsvereinbarung als insgesamt für den Arbeitnehmer wirtschaftlich vorteilhaft erweist, obwohl sie die punktuelle Preisgabe einzelner unabdingbarer Ansprüche oder Rechte 622
Schwarze, ebenda. Schwarze, a. a. O., 81, 102 f. 624 Ausführlich dazu im 6. Kapitel. 625 Dazu statt vieler von Hoyningen-Huene/Linck KSchG § 1 Rn. 9 m. w. N. 626 Besonders deutlich bei Heckelmann, Anm. zu BAG vom 11.6.1976 – 5 AZR 506/75 – SAE 1977, 260, 262; eingehend dazu vor allem Köck, ZAS 1986, 73, 80; und Migsch, Der so genannte Verzicht des Arbeitnehmers auf Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, FS Strasser, S. 255, 256. 623
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enthält627. Ist der Verzicht also Teil eines synallagmatischen Vertrages, dessen vereinbarte Gegenleistung die vordergründige Nachteiligkeit des Verzichts überkompensiert, so kollidiert der intendierte Schutz des Arbeitnehmers mit der konkreten ökonomischen Bilanz der Vereinbarung. Insbesondere im Rahmen eines Abwicklungs- oder Aufhebungsvertrages, also in der Beendigungsphase des Arbeitsverhältnisses, dürfte ein Verzicht des Arbeitnehmers wohl zumeist mit einer Abfindung oder einer anderen – im Einzelnen wie auch immer gearteten – Gegenleistung des Arbeitgebers korrespondieren628. Im Fall der für den Arbeitnehmer objektiv ökonomisch vorteilhaften Verzichtsvereinbarung verliert der Gedanke der Unterlegenheitskompensation als Legitimation für einen Eingriff in den Vertragsschlussmechanismus seine innere Überzeugungskraft629. Der durch den Schutz vor den Auswirkungen wirtschaftlicher Unterlegenheit motivierte Grundgedanke des arbeitsrechtlichen Unterlegenheitsparadigmas würde für den Arbeitnehmer zum Ärgernis, das ihn an einer vorteilhaften und interessengerechten Gestaltung des Arbeitsverhältnisses durch Vertrag hindert630. Ein solches Ergebnis ist deshalb mit dem Zweck der Unterlegenheitskompensation nicht vereinbar. Soweit deshalb von einer Verzichtsvereinbarung nur die unterlegenheitskompensierende Schutzkomponente zwingenden Arbeitsvertragsrechts betroffen ist, besteht keine Veranlassung, auch den ökonomisch günstigen synallagmatischen Verzicht für unzulässig zu halten631. Aus teleologischer Sicht bedarf es insoweit – aber auch nur insoweit632 – bei der unterlegenheitsspezifischen Auslegung zwingenden Gesetzesrechts eines Günstigkeitsvergleichs zwischen der ökonomischen Bilanz der vereinbarten einzelvertraglichen Regelung und derjenigen der gesetzlichen Konzeption633, ähnlich wie im Verhältnis einzelvertraglicher Abweichungen zu kollektivvertraglichen Regelungen634. 627 Migsch, a. a. O.; Hanau, Freiheit und Gleichheit bei der Gestaltung des Arbeitsrechts, FS 600 Jahre Uni Köln, S. 183, 205. 628 Vgl. zum Sonderproblem der Umgehung der zwingenden Wirkung des § 613a BGB durch einen „dreiseitigen Aufhebungs- und Übernahmevertrag“ mit dem Betriebserwerber unter Zwischenschaltung einer Beschäftigungsgesellschaft BAG vom 18.8.2005 – 8 AZR 523/04 – NZA 2006, 145 ff.; zur sozialrechtlichen Folgeproblematik des Auslösens einer Sperrzeit beim Arbeitslosengeld BSG vom 18.12.2003 – B 11 AL 35/03 R – NZA 2004, 661. 629 Migsch, a. a. O. 630 Thüsing, Gedanken zur Vertragsautonomie im Arbeitsrecht, FS Wiedemann, S. 559, 561. 631 In diese Richtung tendiert offenbar auch Thüsing, FS Wiedemann, S. 559, 560 f., 585. 632 Die Notwendigkeit dieser wichtigen Einschränkung verkennt insbesondere Hanau, FS 600 Jahre Uni Köln, S. 183, 205.
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5. Kap.: Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung
Über den richtigen Ansatzpunkt und die Grenzen der Vergleichbarkeit der sich gegenüberstehenden Leistungen wird man hier ebenso wie im Kollektivarbeitsrecht im konkreten Einzelfall trefflich streiten können635. Dem kann hier nicht im Einzelnen nachgegangen werden. Tendenziell wird man den Günstigkeitsvergleich jedoch auf einer breiteren Basis als im Kollektivarbeitsrecht für zulässig erachten können. Der Schutzgedanke der Vermeidung materiell unfreiwilliger rechtsgeschäftlicher Entscheidungen ist eng mit dem Indikator der wirtschaftlichen Nachteiligkeit der Vereinbarung für den Arbeitnehmer verbunden. Ein starres Festhalten am Sachgruppenvergleich ist hier nicht zwingend erforderlich636. Der Günstigkeitsvergleich fokussiert sich notwendig auf das konkrete Arbeitsverhältnis. Damit handelt es sich, anders als bei abändernden kollektivvertraglichen Vereinbarungen, für die Arbeitsvertragsparteien nicht um Vereinbarungen von dritter Seite, die eine Vielzahl von Arbeitsverhältnissen und damit möglicherweise unterschiedliche Individualinteressen betreffen637. Die kollektivrechtlichen Günstigkeitsvergleichen inhärente Gefahr einer Majorisierung der Interessen des Einzelnen durch Mehrheitsinteressen besteht damit von vornherein nicht. Freilich bleibt auch hier das Problem der Kontrollierbarkeit. Die zur rechtlichen Anerkennung führende Günstigkeit einer synallagmatischen Verzichtsvereinbarung ist im Streitfall u. U. nur schwer objektivierbar. Insoweit werden gewisse Rechtsunsicherheiten verbleiben.
Dennoch werden die praktischen Auswirkungen eines so erweiterten Günstigkeitsvergleichs für die Verzichtbarkeit unabdingbarer gesetzlicher Ansprüche oder Rechte eher gering sein. Denn der Gedanke des Günstigkeitsvergleichs erweist sich zwar in hohem Maße als mit den auf wirtschaftliche Erwägungen gründenden Mechanismen des arbeitsrechtlichen Unterlegenheitsparadigmas kompatibel, nicht jedoch mit dem Gedanken des Zukunftsschutzes durch freiheitsmaximierend-paternalistische Zweckannahmen oder überindividuellen, gemeinwohlorientierten Schutzzwecken638. Ein er633 Vgl. dazu aus der österreichischen Rechtsprechung OGH vom 27.2.1991 – 9 ObA 20/91 – www.ris.bka.gv.at, E 25502. 634 Vgl. dazu Körner, Zum Verständnis des tarifvertraglichen Günstigkeitsprinzips, RdA 2000, 140, 142, die den nach h. M. im deutschen Recht auf kollektivrechtliche Regelungen beschränkten Anwendungsbereich des Günstigkeitsprinzips dem im Frankreich vorherrschenden Verständnis vom Günstigkeitsprinzip als generellem arbeitsrechtlichem Prinzip gegenüberstellt. 635 Dazu jüngst Raab, Betriebliche Bündnisse für Arbeit – Königsweg aus der Beschäftigungskrise?, ZfA 2004, 371, 382 ff.; speziell zum Günstigkeitsvergleich beim Verzicht auf einen Sozialplananspruch BAG vom 27.1.2004 – 1 AZR 148/03 – AP § 112 BetrVG 1972 Nr. 166 und die Besprechung dazu von Löwisch/Geisenberger, RdA 2005, 45 ff. 636 Vgl. zum Prinzip des Sachgruppenvergleichs beim tarifrechtlichen Günstigkeitsprinzip BAG vom 20.4.1999 – 1 ABR 72/98 – AP GG Art. 9 Nr. 89 mit Anm. von Richardi. 637 Vgl. zum kollektiven Günstigkeitsvergleich BAG GS vom 16.9.1986 – GS 1/82 – AP BetrAVG § 1 Ablösung Nr. 8; BAG vom 28.3.2000 – 1 AZR 366/99 – AP BetrVG 1972 § 77 Nr. 83.
E. Grenzen der Legitimierbarkeit zwingenden Arbeitsvertragsrechts
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weiterter Günstigkeitsvergleich kann deshalb von vornherein nur dort zu einer Ausweitung der individualvertraglichen Verzichtsfreiheit der Arbeitsvertragsparteien führen, wo durch die Verzichtsvereinbarung ausschließlich die spezifisch unterlegenheitskompensierende Schutzkomponente des gesetzlichen Arbeitsvertragsrechts tangiert sein könnte. Da den meisten Normen des zwingenden gesetzlichen Arbeitsvertragsrechts neben dem Unterlegenheitsschutz aber zumindest auch die Funktion eines paternalistisch gerechtfertigten Zukunftsschutzes zukommt, kann die Günstigkeit einer synallagmatischen Verzichtsvereinbarung von vornherein nur jenseits des Wirkungsbereiches dieser Schutzlegitimation eine eigenständige Rolle spielen639. Insoweit hat der Gesetzgeber durch die im Kern paternalistisch zu deutende Anordnung der Unabdingbarkeit zu entscheiden, was „günstiger“ ist. Günstigkeitserwägungen werden deshalb in der Regel nicht geeignet sein, einem Vorausverzicht auf noch nicht entstandene oder fällige Ansprüche oder Rechte des zwingenden gesetzlichen Arbeitsvertragsrechts zur Rechtswirksamkeit zu verhelfen640. Allein mit Günstigkeitserwägungen ist deshalb auch Thüsings Beispiel641 vom gegenseitigen vertraglichen Verzicht des chronisch kranken Arbeitnehmers auf Entgeltfortzahlungsansprüche zugunsten eines Verzichts des Arbeitgebers auf Ausspruch einer – nach Lage der Dinge rechtlich zulässigen – krankheitsbedingten Kündigung keiner Lösung zuzuführen642. Auch bei einem synallagmatischen Vorausverzicht kann eine Berücksichtigung des Aspekts der Günstigkeit im Einzelfall jedoch u. U. auf der Rechtsfolgenseite in Betracht kommen. Dies ist insbesondere dann denkbar, wenn ein Gericht aus der ex post Perspektive über die Wirksamkeit eines solchen Verzichts zu entscheiden hat. Um im Beispiel Thüsings zu bleiben: Verweist der häufig erkrankende Arbeitnehmer in einem Kündigungsschutzprozess auf den als Gegenleistung für seinen Vorausverzicht auf Entgeltfortzahlungsansprüche vereinbarten Verzicht des Arbeitgebers auf Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung, so wäre es offensichtlich unbillig, ihm diesen Einwand unter Verweis auf die Nichtigkeit des gegenseitigen Vorausverzichts auch für die Vergangenheit abzuschneiden. Eine Teilnichtigkeit der Vereinbarung nach § 139 BGB kann – anders als dies regelmäßig bei einzelnen un638 Das verkennt Hanau, FS 600 Jahre Uni Köln, S. 183, 205; vgl. auch Körner, RdA 2000, 140, 143. 639 Vgl. Körner, RdA 2000, 140, 143, 146. 640 Vgl. Schwarze, ZfA 2005, 102 f. 641 Thüsing, Gedanken zur Vertragsautonomie im Arbeitsrecht, FS Wiedemann, S. 559, 560. 642 Problematisch wäre die Legitimation einer derartigen Vereinbarung durch Günstigkeit auch unter dem Aspekt einer der gesetzlichen Konzeption des Sozialschutzes zuwiderlaufenden Umverteilung der Finanzierungslasten zum Nachteil der Versichertengemeinschaft. Dazu näher unten, 6. Kapitel: A. IV.
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5. Kap.: Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung
wirksamen Klauseln eines Arbeitsvertrages praktiziert wird643 – in einer solchen vom eigentlichen Bestand des Arbeitsvertrages prinzipiell unabhängigen Konstellation wohl nur schwerlich angenommen werden. Denn dies hätte die paradoxe Folge, dass wegen der nicht zuletzt paternalistischen Unabdingbarkeitsanordnung des § 12 EFZG die Kündigung als wirksam angesehen werden müsste. Ebenso erscheint es unbillig, wenn der Arbeitnehmer noch mit Aussicht auf Erfolg Zahlungsklage erheben könnte, wenn er u. U. jahrelang von der nichtigen Verzichtsvereinbarung profitiert hat, d.h. eine rechtlich zulässige und betriebswirtschaftlich angezeigte krankheitsbedingte Kündigung nicht erfolgt ist. Solche Ergebnisse kann die Rechtsordnung nicht hinnehmen. Es erscheint sinnwidrig, wenn ein primär im Interesse des Zukunftsschutzes zugunsten des Arbeitnehmers gebotener Verzichtsschutz auch die in der Vergangenheit liegenden Vorteile einer dem Arbeitnehmer günstigen synallagmatischen Verzichtsvereinbarung beseitigen würde. Die Nichtigkeit des Vorausverzichts darf sich deshalb nur für die Zukunft auswirken, hinsichtlich bereits zurückliegender Zeiträume wird man von einer Rückabwicklung des günstigen synallagmatischen Vorausverzichts – ähnlich wie nach einer Anfechtung des Arbeitsvertrages – absehen müssen. Im Ergebnis wird man es beim Bestand der wechselseitigen Verzichtsversprechen belassen müssen. Dogmatisch kann dieses Ergebnis durch eine Anwendung des § 242 BGB644 oder – m. E. vorzugswürdig – auch im Rahmen des § 134 BGB erreicht werden645. Der praktisch relevante Anwendungsbereich der ausnahmsweise durch Günstigkeit begründeten Verzichtbarkeit unabdingbarer gesetzlicher Normen wird sich daher im Wesentlichen auf Verzichtsvereinbarung im ungekündigt fortbestehenden Arbeitsverhältnis reduzieren, die bereits fällige Rechte oder Ansprüche des Arbeitnehmers betreffen. Da und wenn aber der Anwendungsbereich der wegen Günstigkeit zulässigen einzelvertraglichen Abweichung auf diesen Bereich beschränkt bleiben muss, steht auch eine rechtsethisch bedenkliche Kommerzialisierung unveräußerlicher Zwecksetzungen arbeitsvertragsrechtlicher Arbeitnehmerschutzrechte nicht zu befürchten. Auch aus dieser Perspektive bedarf es deshalb keiner eng definierten Sachgruppen als Vergleichsbasis. Zusammenfassend bleibt daher festzuhalten, dass sich die Günstigkeit einer synallagmatischen einzelvertraglichen Verzichtvereinbarung gegenüber der zwingenden gesetzlichen Regelung durchsetzen muss, wenn und soweit als einzig möglicher Schutzzweck der Unabdingbarkeit zum Zeitpunkt des Verzichts nur noch der Unterlegenheitsschutz in Frage kommt. 643
Statt vieler ErfK - Preis BGB § 611 Rn. 417 ff. Vgl. zu ähnlichen Konstellationen im allg. Zivilrecht Palandt - Heinrichs § 139 Rn. 16. 645 Vgl. dazu bereits oben, 3. Kapitel: D. II. 644
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3. Die echte Freiwilligkeit des Verzichts Entspricht es dem wirklichen oder materiellen Willen des Arbeitnehmers, auf unabdingbare Rechte oder Ansprüche des gesetzlichen Arbeitsvertragsrechts zu verzichten, obwohl dieser Verzicht bei objektiver Betrachtung als für den Arbeitnehmer wirtschaftlich nachteilig einzustufen ist, wird eine weitere grundsätzliche Wirkungsgrenze des arbeitsrechtlichen Unterlegenheitsparadigmas erreicht646. Nicht die wirtschaftliche Nachteiligkeit einer Verzichtsvereinbarung selbst, sondern erst die weitere Annahme, die Inkaufnahme dieses Nachteils sei nicht Ausdruck des wirklichen oder materiellen Willens des Arbeitnehmers, legitimiert den in der Nichtanerkennung der Vereinbarung liegenden Eingriff in die Vertragsfreiheit. Besteht jedoch keine Diskrepanz zwischen dem materiellen und dem in der rechtsgeschäftlichen Erklärung zum Ausdruck gekommenen formellen Willen des Arbeitnehmers, so besteht auch kein Grund für einen unterlegenheitsspezifischen Eingriff in die Verzichtsfreiheit. Jenseits der durch den freiheitsmaximierend-paternalistischen Zukunftsschutz gesteckten Grenzen bedeutet Vertragsfreiheit eben auch die Freiheit zur selbstbestimmten wirtschaftlichen Selbstschädigung oder mit anderen Worten: die Freiheit zur Freigebigkeit647. Häufig wird eine wirtschaftliche Selbstschädigung durch einen Verzicht allerdings auch nur vordergründig vorliegen. So kann insbesondere ein Gehaltsverzicht beispielsweise dazu führen, dass dem Arbeitnehmer von dritter Seite andere Vorteile von höherem Wert zufließen; man denke etwa an Steuervorteile aufgrund einer günstigeren Progressionsstufe, Zuverdienst-Freibeträge bei staatlichen Zuwendungen wie z. B. Kindergeld648 oder Wohngeld oder an einkommensabhängig geringere Beiträge zum Beispiel für Kindergärten649.
Denkbar ist auch, dass der Verzicht auf geldwerte Leistungen des Arbeitgebers einer besonderen Interessenlage entspricht, etwa weil der Arbeitgeber ein enger Familienangehöriger ist und auf Arbeitnehmerseite ein echter Zuwendungswillen besteht. In praktischer Hinsicht besonders bedeutsam ist hier das Befristungsrecht. So ist eine Befristung des Arbeitsverhältnisses gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 6 TzBfG auch ohne besonderen sachlichen Grund 646
Schwarze, ZfA 2005, 81, 100. M. Wolf, Entscheidungsfreiheit, S. 120. 648 Vgl. zur rechtlichen Unbeachtlichkeit des Teilverzichts nach § 32 Abs. 4 Satz 9 EStG für steuerliche Kinderfreibeträge Blümich/Heuermann EStG § 32 Rn. 156; vgl. zum Kindergeldanspruch auch FG Niedersachsen 25.9.2001 – 15 K 214/99 Ki – BeckOnline BeckRS 2001 21012446. 649 Umfassend zu derartigen Konstellationen Terhorst, Der Schutz der Sozialleistungsträger vor selbstgeschaffenen Versorgungslücken des Leistungsberechtigten durch einen Verzicht auf Unterhalt und Arbeitsentgelt, Diss. Uni Konstanz 1993. 647
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5. Kap.: Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung
zulässig, wenn sie auf den Wunsch des Arbeitnehmers, also auf seinen hinreichend freien Willen, zurückgeht650. Wiederum zeigt sich, dass die dem arbeitsrechtlichen Unterlegenheitsparadigma zu Grunde liegende Annahme einer eingeschränkten materiellen Vertragsfreiheit des Arbeitnehmers weit weniger universell ist, als gemeinhin angenommen wird. Sicher ist einerseits, dass ein Wille des Arbeitnehmers zu Selbstschädigung durch Verzichtsvereinbarungen niemals unkritisch unterstellt werden darf. Auf der anderen Seite besteht aber auch keine vertragstheoretische Rechtfertigung dafür, aus unterlegenheitsspezifischen Gründen einer tatsächlich freiwilligen Verzichtsvereinbarung die Geltung zu versagen. Die Vielzahl der denkbaren Konstellationen, in denen sich ein Verzicht aus Arbeitnehmerperspektive als subjektiv vorteilhaft oder jedenfalls als wirklich gewollt erweist, zeigt zumindest, dass eine absolute, d.h. unwiderlegbare, Vermutung einer materiell eingeschränkten Entscheidungsfreiheit bei Eingehung einer Verzichtsvereinbarung aus der Perspektive der Freiheitsmaximierung keinen Bestand haben kann. 4. Zwischenergebnis Die situationsspezifische Analyse des arbeitsrechtlichen Unterlegenheitsparadigmas offenbart die Grenzen eines unterlegenheitsspezifisch legitimierten Eingriffs in die Privatautonomie der Arbeitsvertragsparteien. In zeitlicher Hinsicht korreliert das Ende des Unterlegenheitsschutzes durch zwingendes Arbeitsvertragsrecht mit dem Ende der berechtigten Erwartung des Arbeitnehmers auf Eingehung bzw. Fortführung des konkreten Arbeitsverhältnisses. Daraus lässt sich eine erste Basiswertung für die zeitliche Grenze unterlegenheitsspezifischen Verzichtsschutzes ableiten: Nach Ausspruch einer Beendigungskündigung kann Unterlegenheitsschutz eine individualvertragliche Unverfügbarkeit unabdingbarer Ansprüche in der Regel nicht mehr begründen. Beabsichtigen die Parteien dagegen die Fortführung des Arbeitsverhältnisses, etwa durch erneute Begründung eines neuen befristeten Arbeitsverhältnisses, so besteht das unterlegenheitsspezifische Bedürfnis für Arbeitnehmerschutz durch unabdingbares Arbeitsvertragsrecht auch über das formalrechtliche Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus fort. Abweichungen von dieser Basiswertung sind jedoch bei besonderen Umständen des Einzelfalls nicht ausgeschlossen; insbesondere sind Ausnahmekonstellationen denkbar, in denen nachwirkende Abhängigkeiten des Arbeit650 Vgl. BAG vom 6.11.1996 – 7 AZR 909/95 – AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 188 und aus der Kommentarliteratur statt vieler ErfK - Müller-Glöge TzBfG § 14 Rn. 82 m. w. N. aus der Rechtsprechung.
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nehmers eine zeitlich darüber hinausgehende extensive Auslegung der Unabdingbarkeitswirkung zulassen. Unabhängig davon, in welcher Phase sich das Arbeitsverhältnis der Parteien bei Abschluss einer Verzichtsvereinbarung befindet, muss unterlegenheitsspezifischer Verzichtsschutz dort eine Grenze finden, wo sich der vereinbarte Verzicht nicht mehr als Ausdruck einer typisierbaren ökonomischen Abhängigkeitssituation des Arbeitnehmers deuten lässt. Diese Grenze wird im Allgemeinen erreicht, wenn der Verzicht wegen einer vereinbarten Gegenleistung entweder ökonomisch vorteilhaft ist, der konkrete Arbeitnehmer bei Abschluss der Verzichtsvereinbarung nicht auf die wirtschaftliche Verwertung seiner Arbeitskraft angewiesen war oder der Verzicht deshalb nicht als Folge einer beengten rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit angesehen werden kann, weil der Arbeitnehmer konkrete, ökonomisch zumindest gleichwertige Alternativen hatte. Gleiches gilt für den wohl eher seltenen Fall, dass ein vereinbarter Verzicht des Arbeitnehmers subjektiv einem echten Zuwendungswillen folgt. Die Intensität der unterlegenheitsspezifischen Beengung der materiellen Entscheidungsfreiheit hängt damit von einer Vielzahl sehr heterogener Parameter ab. Zudem ist der Anteil der im oben erörterten Sinne wirtschaftlich unabhängigen Arbeitnehmer nicht marginal. Die Unterlegenheit des Arbeitnehmers kann deshalb nicht mit Absolutheit unterstellt und pauschal zur Rechtfertigung eines aus der Unabdingbarkeit abgeleiteten Verzichtsverbots herangezogen werden – schon gar nicht über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus. Der Befund der situationsspezifischen Analyse legt vielmehr einen enttabuisierteren Umgang mit dem Dogma der Unterlegenheit des Arbeitnehmers nahe und muss zu einer Relativierung allzu pauschaler rechtlicher Folgerungen aus der Unterlegenheitsannahme führen651.
II. Rechtstechnische Operationalisierung des Unterlegenheitsschutzes durch Unabdingbarkeit Für die unterlegenheitsschutzspezifische Auslegung des zwingenden Arbeitsvertragsrechts stellt sich die rechtspraktische Aufgabe, eine handhabbare rechtstechnische Operationalisierung der soeben aufgezeigten inhärenten Grenzen der unterlegenheitsspezifischen Schutzkomponente des zwingenden Arbeitsvertragsrechts zu finden. 651 Problematisch insoweit Wiedemann, Anm. zu BVerfG vom 19.10.1993 – 1 BvR 567 u. 1044/89 – JZ 1994, 411, 413; und auch BAG vom 16.3.1994 – 5 AZR 339/92 – NZA 1994, 937, 940 [unter A. II. 1. a) dd) der Gründe].
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5. Kap.: Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung
1. Der Ausgleich von Vertragsfreiheit und Unterlegenheitsschutz als Auslegungsleitlinie Die Orientierung am Ziel einer Gewährleistung möglichst weitreichender realer Entscheidungsfreiheit der Arbeitsvertragsparteien bei der Gestaltung des Arbeitsverhältnisses kann eine mit dem Freiheitsideal der herrschenden Zivilrechtsdogmatik kompatible Leitlinie liefern, um einer eindimensionalen pro-oder-contra Arbeitnehmerschutz-Sichtweise auf die Unterlegenheitsproblematik entgegenzutreten. Nicht pauschalierende Schutzerwägungen, sondern die Frage, inwieweit der einzelne Arbeitnehmer bei typisierender Betrachtung der jeweiligen „Unterlegenheitssituation“ an der interessengerechten Wahrnehmung seiner gesetzlichen Rechte faktisch oder psychologisch gehindert ist, wird so zum rechtstheoretischen Anknüpfungspunkt für die Bestimmung unterlegenheitsspezifischer Einschränkungen der Verzichtsfreiheit. Das Bestehen eines nachvollziehbaren teleologischen Sinnzusammenhangs zwischen einer objektiv nachvollziehbaren Unterlegenheitsannahme und der Reichweite des unterlegenheitsspezifischen Schutzes der materiellen Entscheidungsfreiheit des Arbeitnehmers wird so zur Richtschnur der Auslegung. Dazu sind gleichzeitig sowohl die freiheitssichernde als auch die freiheitseinschränkende Wirkung zwingenden Arbeitsvertragsrechts in den Blick zu nehmen. Dies erfordert und ermöglicht eine differenziertere Sicht auf den Befund einer charakteristischen, aber eben nicht naturgesetzmäßigen Unterlegenheit des Arbeitnehmers aufgrund im weitesten Sinne wirtschaftlicher Abhängigkeiten652. Die Legitimation zwingenden Arbeitsvertragsrechts und seine unterlegenheitsspezifische Auslegung kann sich dadurch in ihrem am Individualschutz ausgerichteten Kernbereich weitgehend von ordnungspolitischen Instrumentalisierungen emanzipieren653; sie lässt sich so vom interessenpolitischen Ringen um ein Mehr oder Weniger an Arbeitnehmerschutz prinzipiell entkoppeln654.
652 Mit diesem Ansatz auch BAG vom 19.1.2005 – 7 AZR 115/04 – www. bundesarbeitsgericht.de (siehe dort insbesondere Rn. 35) = DB 2005, 1171 f. (nur Kurztext). 653 Vgl. dazu auf vertragstheoretischen Ebene auch Schwarze, Arbeitnehmerbegriff und Vertragstheorie, ZfA 2005, 81, 102; zu ordnungspolitischen Implikationen hier näher im 6. Kapitel. 654 Dies kann natürlich nicht darüber Hinwegtäuschen, dass das „ob“ und auch der Umfang arbeitsvertragsrechtlichen Mindestschutzes durch zwingendes Recht nur Gegenstand einer gesetzgeberischen und damit notwendig gesellschaftspolitischen Entscheidung im Sinne einer social choice sein kann. So wird beispielsweise der notwendige Umfang eines Mindesturlaubsanspruchs einer rechtlichen Begründung nicht zugänglich sein.
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Der Schutz der materiellen Selbstbestimmungsfreiheit des Arbeitnehmers muss danach einerseits eine unterlegenheitsspezifische Untergrenze für eine Konditionierung der Verzichtsfreiheit markieren, während andererseits die prinzipielle Achtung des (freien) rechtsgeschäftlichen Willens der Parteien als eine Obergrenze für Eingriffe in die (formelle) Vertragsfreiheit aufgefasst werden muss. Ausgehend vom Primat der (formellen) Vertragsfreiheit sind danach grundsätzlich alle Eingriffe übermäßig, die nicht durch die begründete Besorgnis einer erheblichen Verengung der Wahlmöglichkeiten des Arbeitnehmers hinsichtlich des „ob“ eines Abschlusses einer die gesetzliche Schutzkonzeption modifizierenden Vereinbarung gerechtfertigt sind. Nochmals sei betont, dass die so auf der Ebene des einfachen Zivilrechts zu findenden Lösungen für den Umgang mit Abhängigkeitsmechanismen nicht als verfassungsrechtlich geboten bezeichnet werden können. Insbesondere soll hier keine verfassungsrechtliche Überhöhung der Auslegung einfachen Zivilrechts betrieben werden. Der durch das Über- bzw. Untermaßgebot abgesteckte verfassungsrechtliche Rahmen für das zulässige Maß an Arbeitnehmerschutz ist deutlich weiter, als hier unter dem Gesichtspunkt der Freiheitsmaximierung auf der Ebene des einfachen Rechts für richtig gehalten wird. Die aus dem Gedanken der Freiheitsmaximierung zu ziehenden Schlüsse dürfen m. E. aber für sich in Anspruch nehmen, mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben im Einklang zu stehen.
Dabei liegt auf der Hand, dass auch die rechtliche Operationalisierung des Konkordanzgedankens im Arbeitsvertragsrecht im Interesse der Rechtssicherheit nicht ohne geeignete Fallgruppentypisierungen auskommen kann. Typisierende Annahmen sind hier wegen der mit der tatsächlichen Feststellung wirtschaftlicher Unterlegenheit verbundenen Schwierigkeiten im Interesse der Rechtssicherheit geradezu geboten. Derartige Typisierungen sind jedoch auch deutlich feinmaschiger als durch die Rechtsprechung praktiziert möglich und damit angezeigt. Das Gewicht einer möglichen Beengung der materiellen rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit des Arbeitnehmers lässt sich situations- bzw. fallgruppenspezifisch differenzierter würdigen. So erscheint es beispielsweise gerechtfertigt, den Mechanismen des arbeitsrechtlichen Unterlegenheitsparadigmas im fortlaufenden Arbeitsverhältnis jedenfalls prima facie eine höhere Relevanz als im gekündigten Arbeitsverhältnis beizumessen, auch wenn man grundsätzlich anerkennt, dass es auch dann im Einzelfall noch unterlegenheitsspezifische Beschränkungen der Entscheidungsfreiheit geben kann655. Situations- bzw. fallgruppenspezifische Untertypisierungen des Unterlegenheitsparadigmas bilden insoweit die Basis für eine der Maximierung realer Freiheitsräume der Arbeitsvertragsparteien verpflichtete teleologische Auslegung der Reichweite der Unabdingbarkeitswirkung. 655
Vgl. dazu im Einzelnen bereits oben, 5. Kapitel: E. I. 1. a).
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5. Kap.: Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung
2. Die widerlegbare Unterlegenheitsvermutung als praktischer Lösungsansatz Der Abschied von der herrschenden generell-absoluten Ausprägung des arbeitsrechtlichen Unterlegenheitsparadigmas wirft zwangsläufig Beweisprobleme auf. Wenn Arbeitnehmer auch bei Begründung oder im bestehenden Arbeitsverhältnis nicht mehr generell als wirtschaftlich unterlegen gelten, so bedarf es regelmäßig einer Entscheidung, ob eine zwingendes Arbeitsvertragsrecht betreffende Verzichtsvereinbarung im konkreten Fall als Ausdruck der spezifisch arbeitsrechtlichen Unterlegenheit angesehen werden kann656. Mangels hinreichend objektivierbarer Maßstäbe wird ein solcher Nachweis durch den Arbeitnehmer, der sich auf eine unterlegenheitsspezifische Nichtigkeit einer solchen Verzichtsvereinbarung im Prozess beruft, kaum positiv zu führen sein. Dies gilt umso mehr, weil es nach dem arbeitsrechtlichen Unterlegenheitsparadigma gerade nicht unbedingt eines äußerlich erkennbaren, drohungsähnlichen Verhaltens des Arbeitgebers bedarf. Damit liegt regelmäßig eine Situation vor, in der die tatsächlichen Voraussetzungen einer unterlegenheitsspezifischen Einschränkung der materiellen Entscheidungsfreiheit aus überobligationsmäßigen Wohlverhaltenserwägungen bei ökonomischer Analyse der herrschenden Markt- und Machtverhältnisse zwar typischerweise als gegeben angesehen werden kann, im Einzelfall aber kaum positiv beweisbar ist. Da und wenn die mit der Enttabuisierung des Unterlegenheitsparadigmas verbundene Ausweitung arbeitsvertraglicher Gestaltungsräume nicht zu einer faktischen Aushöhlung der unterlegenheitsspezifischen Schutzkomponenten zwingenden Arbeitsvertragsrechts führen soll, bedarf es einer Beweisentlastung für den Arbeitnehmer657. Insoweit bietet das Instrument der tatsächlichen Vermutung hier ein probates und auch aus anderen rechtlichen Zusammenhängen geläufiges Mittel für den Umgang mit einer unsicheren Tatsachengrundlage658. Der Bundesgerichtshof hat zu den sog. Angehörigenbürgschaften mehrfach entschieden, dass deren Eingehung aufgrund einer die autonome Entscheidungsfindung einschränkenden emotionalen Verbundenheit mit dem Hauptschuldner sowie ihre verwerfliche Ausnutzung durch die begünstigte 656
Zu den damit verbunden Schwierigkeiten bereits im 5. Kapitel: B. Entgegen Dorndorf, Mehr Individualvertragsfreiheit im Arbeitsrecht?, FS Gnade, S. 39, 44 f., erfordert dies jedoch keine absolute, unwiderlegliche Unterlegenheitsannahme. 658 Vgl. Canaris, AcP 200 (2000), 273, 297 (im Zusammenhang mit der Rechtsprechung des BGH zu Ehegattenbürgschaften) m. w. N. 657
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Bank – unter den weiteren Voraussetzungen der wirtschaftlichen Überforderung und der wirtschaftlichen Bedeutungslosigkeit der Bürgschaft – regelmäßig zu vermuten sei659. Der darin liegende Grundgedanke der (widerlegbaren) Unterlegenheitsvermutung lässt sich auf die unterlegenheitsspezifische Einschränkung der faktischen rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit beim Verzicht des Arbeitnehmers auf zwingende Ansprüche oder Rechte übertragen: So wie bei den Angehörigenbürgschaften im Allgemeinen von einem wesentlichen Einfluss einer emotionalen Verbundenheit für den wirtschaftlich unvorteilhaften Abschluss eines Bürgschaftsvertrages ausgegangen werden kann, kann im fortbestehenden Arbeitsverhältnis die Furcht vor einem die wirtschaftlich-soziale Existenz gefährdenden informellen Sanktionspotenzial als typischerweise, aber keineswegs zwangsläufig, handlungsleitend angesehen werden. Wie in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu Angehörigenbürgschaften muss auch im hier interessierenden arbeitsvertragsrechtlichen Zusammenhang die Vermutung einer in unzulässigem Maße determinierten Entscheidungsfreiheit durch den Vortrag entgegenstehender Tatsachen als widerlegbar angesehen werden660. Aus der Perspektive des Unterlegenheitsschutzes besteht kein Grund, dem Arbeitgeber die Möglichkeit zu verweigern, durch Vortrag entgegenstehender Indizien die zugunsten des Arbeitnehmers bestehende Unterlegenheitsvermutung zu widerlegen661. Bestehen bei der Eingehung der Verzichtsvereinbarung gesicherte Anhaltspunkte dafür, dass die rechtsgeschäftliche Entscheidung des Arbeitnehmers nicht durch wirtschaftlich-soziale Unterlegenheit determiniert ist, so muss der sich auf die Geltung der Vereinbarung berufende Arbeitgeber damit gehört werden. Allerdings wird man keine übersteigerten Anforderungen an die dem Arbeitgeber obliegende Darlegungs- und Beweislast zur Widerlegung der Unterlegenheitsvermutung stellen dürfen. Insbesondere wird man nicht verlangen können, dass der Arbeitgeber darlegt und beweist, dass die Entscheidungsfindung des Arbeitnehmers völlig frei von überobligationsmäßigen Wohlverhaltenserwägungen war. Denn ein solcher Beweis über interne Motivationen des Arbeitnehmers muss als dem Arbeitgeber prinzipiell unmög659 So z. B. BGH vom 18.9.1997 – IX ZR 283/96 – BGHZ 136, 347, 351; BGH vom 24.2.1994 – IX ZR 93/93 – BGHZ 125, 206, 213; differenzierend BGH vom 18.12.1997 – IX ZR 271/96 – BGHZ 137, 330, 333 f. 660 Vgl. Canaris, AcP 200 (2000), 273, 297. 661 Schwarze, Arbeitnehmerbegriff und Vertragstheorie, ZfA 2005, 81, 100; ausführlich Köck, Grenzen der Zulässigkeit des Verzichts auf schon entstandene Arbeitnehmeransprüche, ZAS 1986, 73, 80 f. und zuvor bereits Mayer-Maly, Kommentar zu OGH vom 19.4.1966 – 4 Ob 21/66 – ZAS 1967, 17 f. (beide zum österreichischen Recht).
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5. Kap.: Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung
lich angesehen werden. Als hinreichend, aber auch erforderlich kann insoweit der Vortrag von Tatsachen gelten, die eine Verzichtsvereinbarung der Arbeitsvertragsparteien bei objektiver Würdigung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht mehr als Ausdruck einer spezifisch arbeitsrechtlichen Unterlegenheitssituation erscheinen lassen662. In der Regel wird man es deshalb wohl als ausreichend erachten können, wenn der Arbeitgeber darlegt, dass eine Vereinbarung für den Arbeitnehmer ökonomisch vorteilhaft ist oder aufgrund einer besonderen Interessenlage auf dessen Initiative hin erfolgt ist663. 3. Der zeitlich-situativ zu differenzierende Ansatzpunkt der Unterlegenheitsvermutung Die Widerlegbarkeit der Unterlegenheitsvermutung gestattet nicht nur eine am Einzelfall orientierte Erweiterung der individualvertraglichen Autonomieräume der Arbeitsvertragsparteien bei bestehender wirtschaftlicher Unabhängigkeit des Arbeitnehmers, sie kann darüber hinaus auch dazu dienen, atypische Konstellationen wirtschaftlicher Unterlegenheit nach endgültiger Beendigung des Arbeitsverhältnisses adäquat zu erfassen. Denn das Instrument der widerlegbaren Vermutung ermöglicht es auch, den Unterlegenheitsschutz an die oben erörterten allgemeinen zeitlichen Wirkungsgrenzen des arbeitsrechtlichen Unterlegenheitsparadigmas anzupassen, ohne diese Grenzen entgegen den Erfordernissen des Einzelfalls absolut setzen zu müssen. a) Die starke Unterlegenheitsvermutung im ungekündigten oder fortzuführenden Arbeitsverhältnis Im Stadium des ungekündigten Arbeitsverhältnisses oder bei dessen beabsichtigter Fortführung kann davon ausgegangen werden, dass die mehr oder minder subtilen Mechanismen der arbeitsrechtlichen Unterlegenheit auf die eine oder andere Art in der Mehrzahl der Arbeitsverhältnisse wirksam sind664. Insbesondere wird in aller Regel ohne weiteres davon auszugehen sein, dass in der Mehrzahl der Arbeitsverhältnisse ein aus der Alternativkostendifferenz resultierendes Machtgefälle hinsichtlich der Durchsetzung einseitig benachteiligender Verzichtsvereinbarungen besteht665. 662
Vgl. Schwarze, Arbeitnehmerbegriff und Vertragstheorie, ZfA 2005, 81, 100. Schwarze, ebenda. 664 So auch Schwarze, ZfA 2005, 81, 100; Dorndorf, Mehr Individualvertragsfreiheit im Arbeitsrecht?, FS Gnade, S. 39, 45. 665 Vgl. dazu bereits die Ausführungen oben, 5. Kapitel: C. I. 2. c) und die dortigen Nachweise. 663
E. Grenzen der Legitimierbarkeit zwingenden Arbeitsvertragsrechts
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Da und wenn dem zwingenden Arbeitsvertragsrecht deshalb eine im Interesse der Rechtssicherheit pauschalierende unterlegenheitsspezifische Schutzkomponente zukommt, so bedarf es in diesem Kernanwendungsbereich des unterlegenheitsspezifischen Schutzes keiner weiteren Voraussetzungen für eine (widerlegbare) Unterlegenheitsvermutung zugunsten des Arbeitnehmers: Sie besteht zugunsten des Arbeitnehmers stets und insoweit unabhängig von den Konstellationen des Einzelfalls666. Entsprechend ist in dieser Situation – vorbehaltlich widerlegender Umstände im Einzelfall – grundsätzlich auch davon auszugehen, dass ein rechtsgeschäftlicher Verzicht auf bereits fällige Ansprüche oder Rechte des zwingenden Arbeitsvertragsrechts nicht dem wirklichen Willen des Arbeitnehmers entspricht, also materiell unfreiwillig und deshalb i. S. des § 134 BGB verboten und nichtig ist. Konsequenz dieser unbedingten, aber widerlegbaren Unterlegenheitsvermutung ist, dass sich der Arbeitnehmer hier im Streitfall ohne den Vortrag weiterer Umstände auf seine Unterlegenheit bei Abschluss der Verzichtsvereinbarung berufen kann, dem Arbeitgeber jedoch zur Vermeidung der Nichtigkeitsfolge gestattet ist, Tatsachen vorzutragen, die die zugunsten des Arbeitnehmers bestehende Unterlegenheitsvermutung widerlegen667. Dies kann z. B. dadurch geschehen, dass er die Günstigkeit einer synallagmatischen Verzichtsvereinbarung oder eine besondere Verhandlungsmacht des Arbeitnehmers bei Abschluss der fraglichen Vereinbarung darlegt. Gelingt es dem Arbeitgeber nicht, die Unterlegenheitsvermutung zu widerlegen, so tritt ohne weiteres die aus § 134 BGB abzuleitende Nichtigkeitsfolge ein; insbesondere muss der Arbeitnehmer nicht darlegen, warum er sich in seiner Entscheidungsfreiheit beengt gefühlt habe. Denn in diesem Kernanwendungsbereich des unterlegenheitsspezifischen Schutzes durch zwingendes Arbeitsvertragsrecht ist es gerade auch die dem arbeitsrechtlichen Unterlegenheitsparadigma inhärente Anerkennung einer subtilen, psychologisch nicht bis ins Letzte ausdeutbaren Gemengelage verschiedener entscheidungsbeengender Aspekte, die einen extensiven Verzichtsschutz erfordert. b) Die schwache Unterlegenheitsvermutung als Schutz vor nachwirkenden Abhängigkeiten Außerhalb des zeitlichen Kernanwendungsbereichs des arbeitsrechtlichen Unterlegenheitsparadigmas, d.h. nach endgültiger Beendigung des Arbeitsverhältnisses, kann sich aus den Umständen des Einzelfalls ebenfalls ein 666 Vgl. Dorndorf, Vertragsdurchsetzung als Funktion des Kündigungsschutzes, ZfA 1989, 345, 357. 667 Ausführlich Köck, Grenzen der Zulässigkeit des Verzichts auf schon entstandene Arbeitnehmeransprüche, ZAS 1986, 73, 80 (zum österreichischen Recht); Schwarze, Arbeitnehmerbegriff und Vertragstheorie, ZfA 2005, 81, 100.
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5. Kap.: Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung
unterlegenheitsspezifisches Bedürfnis für besonderen Verzichtsschutz durch zwingendes Arbeitsvertragsrecht ergeben. Zu denken ist dabei an die bereits oben erörterten Fälle der so genannten Dreiecksnötigung und an die Fälle, in denen der Arbeitnehmer eine Benachteiligung für sein berufliches Fortkommen durch unvorteilhafte Zeugniserteilung oder informelle Erteilung von nachteiligen Auskünften durch seinen bisherigen Arbeitgeber befürchtet668. In beiden Fallgruppen kann man nicht von einer typischerweise für alle Arbeitnehmer gegebenen unterlegenheitsspezifischen Beengung der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit sprechen. Für den Fall der Dreiecksnötigung ergibt sich das aus ihrem atypischen Charakter; für die Fälle, in denen der Arbeitnehmer eine unvorteilhafte Zeugnis- oder Auskunftserteilung befürchtet, hindern das relativ geringere Gewicht derartiger Sanktionen und die Möglichkeit der gerichtlichen Überprüfung eine voraussetzungslos pauschalierende Unterlegenheitsannahme669. Gleichwohl besteht aus teleologischer Sicht kein Grund für eine kategorische Ausklammerung des nachwirkenden Unterlegenheitsschutzes aus dem Schutzbereich des unabdingbaren Arbeitsvertragsrechts. Da und wenn wirtschaftliche Unterlegenheit des Arbeitnehmers auch ohne explizite gesetzgeberische Anordnung zumindest eine zentrale Komponente der Legitimation zwingenden Arbeitsvertragsrechts liefert, so bildet erst das tatsächliche Vorliegen wirtschaftlicher Unabhängigkeit eine grundsätzliche teleologische Grenze der Leistungsfähigkeit dieses Legitimationsansatzes. Die fehlende Generalisierbarkeit des Bedürfnisses für einen nachwirkenden Unterlegenheitsschutz verbietet es bei Vorliegen besonderer Umstände des Einzelfalls nicht, aus der unterlegenheitsspezifischen Unabdingbarkeit der Rechtsgrundlage des preisgegebenen Rechts oder Anspruchs besonderen Verzichtsschutz herzuleiten. Denn nicht der durch Unterlegenheitsschutz motivierte Eingriff in die Vertragsfreiheit an sich, sondern nur seine überschießende Pauschalierung verliert mit Feststehen der zeitlich nahen und endgültigen Beendigung seine innere Überzeugungskraft670. Insbesondere bestehen in den hier angesprochenen Konstellationen auf Arbeitnehmerseite die gleichen Beweisschwierigkeiten hinsichtlich einer Beengung der tatsächlichen Entscheidungsfreiheit wie im laufenden Arbeitsverhältnis. So wird beispielsweise der positive Beweis, dass der Arbeitnehmer sich nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses nur deshalb zu einer vom Arbeitgeber initiierten nachteiligen Verzichtsvereinbarung bereitgefunden habe, weil er 668
Ausführlich dazu oben, 5. Kapitel: E. I. 1. a). Vgl. dazu bereits die Ausführungen oben, 5. Kapitel: E. I. 1. a) nebst dortiger Nachweise. 670 Hofmann, Grenzen gesetzlicher Unabdingbarkeitsnormen im Arbeitsrecht, FS 25 Jahre BAG, S. 217, 233 f.; vgl. auch BAG vom 11.6.1976 – 5 AZR 506/75 – AP LohnFG § 9 Nr. 2. 669
F. Wertungskompatibilität mit der gesetzlichen Anordnung
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ansonsten Nachteile für ebenfalls dort beschäftigte Angehörige befürchtet habe, regelmäßig nicht zu führen sein. Die durch die Anordnung der Unabdingbarkeit bezweckte Gewährleistung eines effektiven Unterlegenheitsschutzes erfordert deshalb auch hier eine Beweiserleichterung auf Arbeitnehmerseite. Auch der nur im Einzelfall gebotene nachwirkende Unterlegenheitsschutz kann durch den abgestuften Einsatz des rechtstechnischen Instruments der widerlegbaren Vermutung interessengerecht operationalisiert werden. Ähnlich wie in den bewährten Anwendungsfällen der abgestuften Darlegungsund Beweislast wird man hier das Eingreifen einer widerlegbaren Unterlegenheitsvermutung zugunsten des Arbeitnehmers davon abhängig machen müssen, dass der Arbeitnehmer Tatsachen glaubhaft macht, die eine Beengung seiner Entscheidungsfreiheit aufgrund wirtschaftlicher Unterlegenheit auch noch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses vermuten lassen. Erst wenn das Vorliegen einer atypischen nachgelagerten Abhängigkeitssituation des Arbeitnehmers glaubhaft gemacht ist, greift hier zu seinen Gunsten die Unterlegenheitsvermutung, wobei es dem Arbeitgeber auch hier gestattet sein muss, diese zur Vermeidung der Nichtigkeitsfolge zu widerlegen.
III. Fazit Das Instrument der widerlegbaren Unterlegenheitsvermutung ermöglicht ein abgestuftes rechtliches Reaktionssystem zur Operationalisierung des unterlegenheitsspezifischen Arbeitnehmerschutzes durch einseitig zwingendes Arbeitsvertragsrecht. Es führt nicht nur zu einer Ausweitung des Bereichs, in dem die formelle Vertragsfreiheit der Arbeitsvertragsparteien im Sinne der Verzichtsfreiheit gegenüber unabdingbaren gesetzlichen Normen des Arbeitsvertragsrechts anzuerkennen ist. Es führt zugleich auch zu einer Ausweitung der real bestehenden individualvertraglichen Autonomieräume durch die prinzipielle Anerkennung auch atypischer Situationen eingeschränkter materieller Vertragsfreiheit und kommt damit m. E. der Auslegungsleitlinie der Freiheitsmaximierung relativ nahe.
F. Wertungskompatibilität mit der gesetzlichen Anordnung genereller Unverzichtbarkeit kollektivrechtlicher Ansprüche Unterlegenheitsschutz gilt nach wohl herrschender Meinung als zentrale Rechtfertigung für Eingriffe in die Individualvertragsfreiheit nicht nur durch zwingendes gesetzliches Arbeitsvertragsrecht, sondern vor allem auch durch
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5. Kap.: Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung
zwingende kollektivvertragliche Regelungen671. Es erscheint deshalb naheliegend, dass die unterlegenheitsspezifisch zu deutende Reichweite des Verzichtsschutzes durch Unabdingbarkeit auf der Ebene teleologischer Auslegung zu grundsätzlich ähnlichen Ergebnissen führen müsste; die aus dem jeweiligen unterlegenheitsschutzspezifischen Gehalt der Unabdingbarkeit abzuleitenden Wertungen des Gesetzgebers also übertragbar sind672. Der gegenwärtige Rechtsstand ist jedoch ein anderer: Ein Verzicht auf entstandene tarifvertragliche Rechte ist gem. § 4 Abs. 4 Satz 1 TVG nur in einem von den Tarifvertragsparteien gebilligten Vergleich zulässig. Entsprechendes gilt gemäß § 77 Abs. 4 Satz 2 BetrVG für Rechte des Arbeitnehmers aus einer Betriebsvereinbarung673. Nach wohl einhelliger Auffassung ist das Zustimmungserfordernis der Parteien des Kollektivvertrages auch dann Voraussetzung für die Wirksamkeit des individualrechtlich vereinbarten Verzichts, wenn dieser nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Rahmen einer Ausgleichsquittung vereinbart wird674. Das Zustimmungserfordernis soll also auch dann gelten, wenn nach dem soeben erörterten Konzept des unterlegenheitsspezifischen Schutzes durch zwingendes gesetzliches Arbeitsvertragsrecht im Allgemeinen gerade kein unterlegenheitsspezifisches Schutzbedürfnis des Arbeitnehmers mehr besteht. Die individualvertragliche Verzichtsfreiheit erfährt so eine weitergehende Einschränkung. Und diese Einschränkung der Vertragsfreiheit bleibt ihrerseits begründungsbedürftig675. Da der gesetzlich normierte Verzichtsschutz für unabdingbare kollektivvertragliche Ansprüche über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinausreicht, ist vereinzelt gefolgert worden, auch der Verzichtsschutz durch unabdingbare gesetzliche Normen des Arbeitsvertragsrechts müsse unabhängig vom Fortbestand des Arbeitsverhältnisses fortwirken, zumal auch dann im Einzelfall noch ein unterlegenheitsspezifisches Schutzbedürfnis denkbar ist676. 671 Statt vieler Konzen, Die Tarifautonomie zwischen Akzeptanz und Kritik, NZA 1995, 913, 914. 672 Vgl. dazu einerseits Trieschmann, Zum Verzicht des Arbeitnehmers auf unabdingbare gesetzliche Ansprüche, RdA 1976, 68, 69 f.; andererseits Lepke, Der Verzicht des Arbeitnehmers auf den Lohnfortzahlungsanspruch im Krankheitsfalle, BB 1971, 1509, 1511. Zu daraus abgeleiteten gesetzessystematischen Argumenten bereits oben, 2. Kapitel: B. II. 673 Statt vieler GK-BetrVG - Kreutz § 77 Rn. 271 ff. 674 MünchArbR - Wank § 127 Rn. 11; Löwisch/Rieble TVG § 4 Rn. 333; Ausnahmen vom Verzichtsverbot können sich jedoch auch hinsichtlich eines nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses vereinbarten synallagmatischen Verzichts aus dem Günstigkeitsprinzip ergeben, vgl. dazu Löwisch/Rieble TVG § 4 Rn. 359. 675 Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht, S. 444 f. 676 So vor allem Trieschmann, Zum Verzicht des Arbeitnehmers auf unabdingbare gesetzliche Ansprüche, RdA 1976, 68, 69 f.
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Dass diese Schlussfolgerung auf der gesetzessystematischen Ebene keinesfalls zwingend ist, wurde bereits oben gezeigt677. Es ist deshalb weiter nach dem teleologischen Zweck des über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinausreichenden Verzichtsverbots hinsichtlich bereits entstandener kollektivvertraglicher Ansprüche zu fragen. Dies gilt umso mehr, weil auch die von Nipperdey unter Geltung der Tarifvertragsverordnung begründete unterlegenheitsspezifische Auslegung der tarifvertraglichen Unabdingbarkeit mit Ende des Arbeitsverhältnisses ein Ende des Verzichtsverbots vorsah und diese Ansicht bis zum in Kraft treten des TVG sogar zur herrschenden Meinung avanciert war678. Mit anderen Worten: Wenn und soweit der zeitlich unbegrenzte Ausschluss des Arbeitnehmerverzichts auf entstandene kollektivvertragliche Rechte aus der Perspektive des individuellen Unterlegenheitsschutzes als überschießend zu qualifizieren ist, so liegt die Vermutung nahe, dass die aus § 4 Abs. 4 Satz 1 TVG bzw. § 77 Abs. 4 Satz 2 BetrVG unabhängig vom Fortbestand des Arbeitsverhältnisses zu folgernde Unwirksamkeit einer individualvertraglichen Verzichtsvereinbarung des Arbeitnehmers entweder auf ein redaktionelles Versehen des Gesetzgebers zurückzuführen – und mithin einer teleologischen Reduktion zugänglich – oder aber durch andere Gründe teleologisch gerechtfertigt ist. Insoweit wird verbreitet vor allem der Gedanke des Schutzes der Institutionen des kollektiven Arbeitsrechts und damit der faktischen wie rechtlichen Durchsetzungsmacht der Kollektivvertragsparteien selbst in Betracht gezogen679.
I. Verzicht auf tarifvertragliche Ansprüche oder Rechte, § 4 Abs. 4 Satz 1 TVG Für die tarifschließenden Verbände ergibt sich ein Institutionenschutz nach wohl herrschender Meinung aus der institutionellen Garantie der Tarifautonomie durch Art. 9 Abs. 3 GG, welcher vom Bundesverfassungsgericht als „Doppelgrundrecht“ verstanden wird680. Art. 9 Abs. 3 GG soll somit 677
Siehe bereits oben, 2. Kapitel: B. II. Vgl. zum Verständnis der tariflichen Unabdingbarkeit bereits die Ausführungen oben, 5. Kapitel: A. mit den dortigen Nachweisen und insbesondere Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts II./1., S. 616 m. w. N. 679 Vgl. Wiedemann/Wank TVG § 4 Rn. 672; Schaub § 204 Rn. 63, 64. 680 Dieterich, Tarifautonomie und Bundesverfassungsgericht, AuR 2001, 390; BVerfG vom 27.4.1999 – 1 BvR 2203/93, 897/95 – BVerfGE 100, 271, 282; BVerfG vom 24.4.1996 – 1 BvR 712/86 – BVerfGE 94, 268, 283; BVerfG vom 2.3.1993 – 1 BvR 1213/85 – BVerfGE 88, 103, 114. 678
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5. Kap.: Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung
nicht nur dem einzelnen Mitglied Schutz hinsichtlich des Beitritts zu einer Koalition vermitteln, sondern darüber hinaus auch die rechtliche Betätigungsfreiheit der Koalition einschließlich der organisatorischen Funktionsvoraussetzungen der verbandlichen Interessenvertretung schützen681. Ähnlich wie staatliche Schutzpflichten hinsichtlich faktischer Beeinträchtigungen der individuellen Privatautonomie verfassungsrechtlich begründet werden, sollen sich auch staatliche Schutzpflichten hinsichtlich der Gestaltung der Arbeitsbeziehungen durch tarifvertragliche Regelungen als Privatautonomie auf kollektiver Ebene verstehen lassen682. Die unmittelbare und zwingende Wirkung tarifvertraglicher Regelungen, wie § 4 Abs. 1 TVG sie vorsieht, wird nicht zuletzt deshalb von der herrschenden Meinung als Funktionsvoraussetzung einer sinnvollen Ordnung des Arbeitslebens mit den Mitteln der Tarifautonomie verstanden. Sie sei eine „Mindestanforderung der Ausgestaltungspflicht“, die aus Art. 9 Abs. 3 GG folge683 und zumindest in ihrem Kernbereich als von der institutionellen Garantie des Art. 9 Abs. 3 GG umfasst anzusehen684. In der Tat dürfte nicht nur die unterlegenheitskompensierende Funktion des Tarifvertrags, sondern darüber hinaus auch Gestaltungsmacht, Autorität und nicht zuletzt die Akzeptanz der tarifschließenden Verbände fundamental geschwächt sein, wenn die Arbeitsvertragsparteien – oder auch nur die Betriebsparteien – ohne Mitwirkung der Tarifvertragsparteien den durch den Tarifvertrag gesetzten Mindeststandard wieder absenken könnten685. Anders 681 ErfK - Dieterich GG Art. 9 Rn. 38, 42; ablehnend Picker, Tarifautonomie – Betriebsautonomie – Privatautonomie, NZA 2002, 761, 764 ff. 682 Dieterich, Tarifautonomie und Bundesverfassungsgericht, AuR 2001, 390, 391. 683 Dieterich, RdA 2002, 1, 12; Konzen, Die Tarifautonomie zwischen Akzeptanz und Kritik, NZA 1995, 913, 915; ähnlich Franzen, Tarifrechtssystem und Gewerkschaftswettbewerb – Überlegungen zur Flexibilisierung des Flächentarifvertrags, RdA 2001, 1, 3; Hanau, Die Deregulierung von Tarifverträgen durch Betriebsvereinbarungen als Problem der Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG), RdA 1993, 1, 6; kritisch zur verfassungsrechtlichen Gewährleistung der zwingenden Wirkung des Tarifvertrags unlängst Raab, Betriebliche Bündnisse für Arbeit – Königsweg aus der Beschäftigungskrise?, ZfA 2004, 371, 392 ff.; Rieble, Tarifvertrag und Beschäftigung, ZfA 2004, 1, 39 ff. 684 ErfK - Dieterich GG Art. 9 Rn. 59, 64; ders., Flexibilisiertes Tarifrecht und Grundgesetz, RdA 2002, 1, 12; BVerfG vom 18.11.1954 – 1 BvR 629/52 – BVerfGE 4, 96, 106; BVerfG vom 24.5.1977 – 2 BvL 11/74 – BVerfGE 44, 322, 340 f. 685 Richardi, Gutachten B. zum 61. Deutschen Juristentag, S. 43; vgl. zu den tarifpolitischen Fernwirkungen auch Dieterich, RdA 2002, 1, 7 und Kissel, Das Spannungsfeld zwischen Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung, NZA 1986, 73, 78 f.; Dorndorf, Das Verhältnis von Tarifautonomie und individueller Freiheit als Problem dogmatischer Theorie, FS Kissel, S. 139, 157 f.
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als bei der unterlegenheitsspezifischen Konditionierung der Verzichtsbefugnis des Arbeitnehmers durch unabdingbares gesetzliches Arbeitsvertragsrecht verbleibt der Gedanke der Sicherung der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie als überindividueller und generalpräventiver Rechtfertigungsansatz auch dann, wenn der konkrete Arbeitnehmer in der konkreten Situation keines unterlegenheitsspezifischen Schutzes bedarf686. Enderlein deutet die zwingende Geltung tarifvertraglicher Normen ihrerseits wiederum paternalistisch687, d.h. im Kern als dem zukünftigen Wohle des Gebundenen selbst dienend. Dies ist m. E. zumindest im Hinblick auf den ausdrücklich mitumfassten Ausschluss des Verzichts auf schon entstandene tarifliche Rechte des § 4 Abs. 4 TVG nicht überzeugend. Wollte man auch diesen paternalistisch rechtfertigen, so wäre dies letztlich nur denkbar, wenn man die Freiheitsbeschränkung durch eine zwingende tarifliche Regelung durch eine Beförderung zukünftiger Wahlfreiheiten gerechtfertigt sieht. Das abstrakte Interesse des einzelnen Arbeitnehmers am Funktionieren des Systems der Tarifautonomie lässt sich m. E. aber mangels hinreichender Konkretisierung nicht mehr als Beförderung zukünftiger Wahlfreiheiten des Individuums deuten. Das allgemeine – und nicht zuletzt freiheitliche – gesellschaftliche Interesse an einem weitgehend staatsfrei und auf der Basis kollektiver Privatautonomie funktionierenden Tarifvertragssystem ist nicht ohne Denaturierungen auf die atomisierende Ebene des Einzelfalls einer auch tarifliche Ansprüche betreffenden individualvertraglichen Ausgleichsquittung projizierbar688.
Der überindividuell-generalpräventive Schutzzweck der Gewährleistung der Funktionsfähigkeit der Institutionen der Tarifautonomie soll es nach verbreiteter Ansicht rechtfertigen, den Verzicht auf entstandene tarifliche Rechte auch dann von der Zustimmung der Tarifvertragsparteien abhängig zu machen, wenn keine Unterlegenheitsvermutung zugunsten des Arbeitnehmers mehr besteht oder diese im konkreten Fall als widerlegt angesehen werden kann689. Dies gelte umso mehr, weil es der einzelne Arbeitnehmer – außer im Fall der Allgemeinverbindlichkeitserklärung690 – selbst in der 686 Vgl. Richardi, Gutachten B. zum 61. Deutschen Juristentag, S. 43; anderer Ansicht Raab, ZfA 2004, 371, 395, der dies als mit dem Gedanken der kollektiv ausgeübten Privatautonomie unvereinbar ansieht; ablehnend auch Rieble, Tarifvertrag und Beschäftigung, ZfA 2004, 39 ff. und unlängst auch Thüsing, Angemessenheit durch Konsens – Zu den Grenzen der Richtigkeitsgewähr arbeitsvertraglicher Vereinbarungen, RdA 2005, 257, 270. 687 Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht, S. 445, 447. 688 Vgl. zum Problem der Inpflichtnahme des Einzelnen für Gemeinschaftsinteressen die verfassungsrechtliche Untersuchung von Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 63, 98 ff. 689 Vgl. Heinze, Tarifautonomie und so genanntes Günstigkeitsprinzip, NZA 1991, 329, 330; Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, II./1., S. 623; W. Thomas, S. 35, 40 und auch ErfK - Schaub/Franzen TVG § 4 Rn. 91 W(ettbewerbsschutz tariftreuer Arbeitgeber). 690 Vgl. Wiedemann/Wank TVG § 4 Rn. 686; dazu auch W. Thomas, S. 37 ff.
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Hand habe, ob er sich durch Beitritt zur Gewerkschaft der normativen Wirkung des Tarifvertrages aussetzen will691. Es erscheint indes zweifelhaft, ob der Gedanke des Institutionenschutzes auch noch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses und jenseits einer individuellen Unterlegenheit des Arbeitnehmers Eingriffe in dessen Vertragsfreiheit rechtfertigen kann. Einer Erörterung des lebhaften – auch rechtspolitischen – Streits, inwieweit die institutionelle Gewährleistung der Tarifautonomie durch Art. 9 Abs. 3 GG eine Aufweichung oder – positiver formuliert – eine Flexibilisierung der zwingenden normativen Wirkung des Tarifvertrags zugunsten individualvertraglicher oder betriebsspezifischer Regelungen generell zuließe, bedarf es dazu nicht692. Eine verfassungsrechtliche Verankerung des Zustimmungserfordernisses des § 4 Abs. 4 TVG ist m. E. aber insbesondere dann zweifelhaft, wenn es nur noch um die individuelle Abwicklung des Arbeitsverhältnisses im Rahmen einer Ausgleichsquittung geht und damit – anders als im laufenden Arbeitsverhältnis – ein planmäßiges Aushöhlen der zwingenden Wirkung des Tarifvertrages und der damit einhergehenden Autorität der Gewerkschaftsseite als Verhandlungspartner nicht zu befürchten steht693. Gleichwohl bedarf es auch bei Fehlen einer verfassungsrechtlichen Gebotenheit des Verzichtsverbots des § 4 Abs. 4 Satz 1 TVG keiner teleologischen Reduktion hinsichtlich nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses abgeschlossener Verzichtsvereinbarungen694. Denn zumindest ist das Zustimmungserfordernis der Tarifparteien als (zusätzliches) prozedurales Instrument des individuellen Unterlegenheitsschutzes für Gewerkschaftsmitglieder legitimierbar. Der Gesetzgeber dürfte sich hier im Rahmen seiner Einschätzungsprärogative gehalten haben, wenn er die Grenzen des Verzichtsschutzes durch ta691 § 4 Abs. 4 Satz 1 TVG berührt die Verzichtsfreiheit nicht, wenn der Tarifvertrag nicht (mehr) normativ auf das Arbeitsverhältnis wirkt, vgl. dazu Löwisch/Rieble TVG § 4 Rn. 334; Wiedemann/Wank TVG § 4 Rn. 669 ff.; LAG Schleswig-Holstein vom 26.2.1981 – 3 Sa 438/80 – DB 1981, 900; differenzierend Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 802 f. 692 Vgl. dazu die zahlreichen Beiträge allein aus dem jüngsten Schrifttum, exemplarisch Rieble, Tarifvertrag und Beschäftigung, ZfA 2004, 1 ff.; ders., Öffnungsklauseln und Tarifverantwortung, ZfA 2004, 405 ff.; Raab, Betriebliche Bündnisse für Arbeit – Königsweg aus der Beschäftigungskrise?, ZfA 2004, 371 ff. und aus wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive Seitel, Öffnungsklauseln in Tarifverträgen (1994); Picker, Tarifautonomie – Betriebsautonomie – Privatautonomie, NZA 2002, 761 ff. 693 Dies erwägt Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 801 f.; vgl. auch Heinze, NZA 1991, 329, 331 f. 694 W. Thomas, Der Verzicht auf tarifliche Annsprüche, S. 35 hält die Regelung des § 4 Abs. 4 Satz 1 TVG sogar für verfassungsrechtlich geboten.
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rifliche Unabdingbarkeit für originär tarifgebundene Arbeitsvertragsparteien weiter als hinsichtlich gesetzlicher Regelungen zieht695.
II. Verzicht auf Ansprüche oder Rechte aus Betriebsvereinbarung, § 77 Abs. 4 Satz 2 BetrVG Die teleologische Rechtfertigung der Einschränkung der Individualvertragsfreiheit durch das Verzichtsverbots des § 77 Abs. 4 Satz 2 BetrVG ist in der Literatur bisher kaum vertieft problematisiert worden696. Die einschlägige Kommentarliteratur zum Betriebsverfassungsgesetz verweist zumeist ohne eigenständige Begründung auf Rechtsprechung und Literatur zur Unverzichtbarkeit tariflicher Rechte und Ansprüche nach § 4 Abs. 4 TVG und kommt im Wesentlichen697 zu entsprechenden Ergebnissen698. Insbesondere soll ein individualvertraglicher Verzicht des Arbeitnehmers auf Rechte aus Betriebsvereinbarungen auch dann gemäß § 77 Abs. 4 Satz 2 BetrVG unzulässig699 und deswegen nach § 134 BGB nichtig sein700, wenn er nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses vereinbart wird und bereits entstandene Rechte betrifft701. Eine gewisse praktische Bedeutung erlangen in diesem Zusammenhang Verzichtsvereinbarungen des Arbeitnehmers, die 695 Vgl. Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 801 f.; Kempen/Zachert TVG § 4 Rn. 240. 696 Die rechtsdogmatischen Arbeiten von Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille bei der Gestaltung des Arbeitsverhältnisses (1968); Kreutz, Grenzen der Betriebsautonomie (1979) und Waltermann, Rechtsetzung durch Betriebsvereinbarung zwischen Privatautonomie und Tarifautonomie (1996) sparen das hier interessierende Spezialproblem der teleologischen Rechtfertigung der Unverzichtbarkeit unmittelbar und zwingend wirkender Betriebsvereinbarungen weitgehend aus. 697 Anders als nach § 4 Abs. 4 Satz 1 TVG ist hier jedoch nicht erforderlich, dass der Verzicht in einem Vergleich erklärt wird, vgl. Richardi/Richardi BetrVG § 77 Rn. 182. 698 Däubler/Kittner/Klebe BetrVG § 77 Rn. 4 f.; GK-BetrVG - Kreutz § 77 Rn. 271 ff.; Richardi/Richardi BetrVG § 77 Rn. 178 ff. 699 Statt vieler Fitting BetrVG § 77 Rn. 133, 136 m. w. N. 700 Gegen die dogmatische Herleitung der Nichtigkeitsfolge aus § 134 BGB GKBetrVG - Kreutz § 77 Rn. 272; a. A. AR-Blattei-SD (Brune) Nr. 520 Rn. 456; BAG vom 30.3.2004 – 1 AZR 85/03 – AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 170. 701 Statt aller GK-BetrVG - Kreutz § 77 Rn. 276; a. A. jedoch Stege/Weinspach BetrVG § 77 Rn. 32 die einen Verzicht auf bereits entstandene Ansprüche auch ohne Zustimmung des Betriebsrats für zulässig halten, weil § 77 Abs. 4 Satz 2 BetrVG im Gegensatz zu § 4 Abs. 4 Satz 1 TVG nicht ausdrücklich auch „entstandene“ Rechte dem Verzichtsverbot unterwirft. Dieser am Wortlaut haftende Rückschluss ist jedoch schon deshalb nicht überzeugend, weil § 77 Abs. 4 Satz 3 BetrVG unter Bezug auf Satz 2 die Unzulässigkeit der Verwirkung „dieser Rechte“ anordnet, was begrifflich nur Sinn macht, wenn Satz 2 neben künftigen Rechten auch entstandene Rechte meint. Zudem hätte Abs. 2 bei dieser Interpretation keinen über Abs. 1
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gemäß § 112 Abs. 1 Satz 3 BetrVG Ansprüchen aus Betriebsvereinbarungen gleichstehende Sozialplanansprüche betreffen702. Im Grundsatz wird man analog zur teleologischen Rechtfertigung der Unverzichtbarkeit tarifvertraglicher Rechte neben dem Schutz der Arbeitnehmerseite vor überlegener Vertragsmacht auch hier in der Sicherung der Funktionsfähigkeit der Institutionen des Betriebsverfassungsrechts gegenüber Aushöhlungstendenzen einen tragfähigen Rechtfertigungsansatz für eine weitere Einschränkung der Individualvertragsfreiheit der Arbeitsvertragsparteien sehen können703. Insbesondere erscheint es auch in prozeduraler Hinsicht konsequent, den primär in der Kompensation der vermuteten wirtschaftlichen Unterlegenheit des einzelnen Arbeitnehmers bei der Vertragsgestaltung liegenden Schutzzweck der Unabdingbarkeit der Betriebsvereinbarung dadurch zu erweitern, dass auch die möglicherweise durch wirtschaftliche Unterlegenheit determinierte Beseitigung entstandener Rechte von der Zustimmung des Betriebsrats abhängig gemacht wird704. Kreutz spricht in diesem Zusammenhang davon, dass § 77 Abs. 4 Satz 2 BetrVG die Stellung des Betriebsrats als Partei der Betriebsvereinbarung bestätige und ihn als „Herrn dieser Vereinbarung“ ausweise705. Das Zustimmungserfordernis des Betriebsrats zu einem Verzicht im bestehenden Arbeitsverhältnis kann also auch hier als legitimes prozedurales Instrument des Schutzes vor individueller wirtschaftlicher Unterlegenheit aufgefasst werden. Zweifelhaft ist die teleologische Legitimation dieser prozeduralen „Herrschaft des Betriebsrats“ über individualrechtliche Ansprüche des Arbeitnehmers aus Betriebsvereinbarungen aber nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Auch eine Rechtfertigung des Zustimmungserfordernisses des Betriebsrats durch den Gedanken der Sicherung der Funktionsfähigkeit der Institution der Betriebsvereinbarung, bzw. der Autorität des Betriebsrats als Verhandlungspartner des Arbeitgebers, ist in dieser Situation sehr fraglich. Denn anders als der nach § 4 Abs. 4 Satz 1 TVG durch die normative Wirkung des Tarifvertrags vermittelte Verzichtsschutz ist die Einschränkung der Verzichtsfreiheit der Arbeitsvertragsparteien durch § 77 Abs. 4 Satz 2 BetrVG nicht durch die privatautonome Entscheidung des Arbeitnehmers hinausreichenden Wirkungsbereich, was die Überzeugungskraft des Wortlautarguments weiter entkräftet. 702 Vgl. dazu unlängst BAG vom 27.1.2004 – 1 AZR 148/03 – AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 166 [unter II. 2. a)]; BAG vom 30.3.2004 – 1 AZR 85/03 – AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 170 [unter II. 4. b) der Gründe]. 703 Kritisch Kreutz, Grenzen der Betriebsautonomie, S. 154, 239. 704 Vgl. Kreutz, Grenzen der Betriebsautonomie, S. 222 ff.; Schwarze, Arbeitnehmerbegriff und Vertragstheorie, ZfA 2005, 101. 705 GK-BetrVG - Kreutz § 77 Rn. 272; Kreutz, Grenzen der Betriebsautonomie, S. 39.
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über seine Mitgliedschaft in der tarifschließenden Gewerkschaft legitimiert706. Und darin unterscheidet sich die Legitimation des Verzichtsverbots des § 77 Abs. 4 Satz 2 BetrVG fundamental von derjenigen des § 4 Abs. 4 Satz 1 TVG707: Die Betriebsvereinbarung wirkt mangels einer privatautonomen Unterwerfung des betroffenen Arbeitnehmers gegenüber dem einzelnen Arbeitnehmer als „korporative Zwangsordnung“, wie Richardi – in der Wortwahl überspitzend – zutreffend festgestellt hat708. Den dogmatischen Grundlagen der Regelungsbefugnis der Betriebsparteien kann im Rahmen dieser Arbeit nicht vertieft nachgegangen werden709. Grundsätzlich wird man die legitimatorische Basis der Gestaltungsmacht der Betriebsparteien aber wohl in einer Delegation originär staatlicher Regelungsmacht suchen müssen710. Selbst wenn man danach entgegen Richardi mit der wohl herrschenden Meinung den Betriebsparteien grundsätzlich eine umfassende, unmittelbar und zwingend wirkende Regelungsbefugnis in allen das Arbeitsverhältnis betreffenden Angelegenheiten zugesteht711, ist die teleologische Rechtfertigung des Verzichtsverbots auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses in der Regel wohl nicht mehr hinreichend durch den Gedanken des kollektivrechtlich organisierten Unterlegenheitsschutzes legitimierbar712. Denn die Delegation der Regelungskompetenz an den Betriebsrat ist mit der Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers verbunden. Nach rechtlicher und tatsächlicher Beendigung des Arbeitsverhältnisses und damit der Betriebszugehörigkeit fehlt es deshalb an einer inneren Legitimation, die Wirksamkeit eines individualvertraglichen Verzichts von der Zustimmung des Betriebsrats abhängig zu machen. 706 Vgl. Kempen/Zachert TVG § 4 Rn. 240; ausführlich dazu Thomas, Verzicht auf tarifliche Ansprüche im arbeitsgerichtlichen Verfahren unter besonderer Berücksichtigung des Vergleichsschlusses, S. 28 ff., 35 f. 707 Vgl. Dorndorf, Das Verhältnis von Tarifautonomie und individueller Freiheit als Problem dogmatischer Theorie, FS Kissel, S. 139, 153. 708 So die Begriffsbildung bei Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille bei der Gestaltung des Arbeitsverhältnisses, S. 316 f.; ähnlich auch Picker, Tarifautonomie – Betriebsautonomie – Privatautonomie, NZA 2002, 761, 769 f. 709 Vgl. dazu insbesondere die Arbeiten von Kreutz, Grenzen der Betriebsautonomie (1979) und Waltermann, Rechtsetzung durch Betriebsvereinbarung zwischen Privatautonomie und Tarifautonomie (1996). 710 Picker, Tarifautonomie – Betriebsautonomie – Privatautonomie, NZA 2002, 761, 769 f. m. w. N; vgl. auch Waltermann, Tarifvertragliche Öffnungsklauseln für betriebliche Bündnisse für Arbeit – zur Rolle der Betriebsparteien, ZfA 2005, 505, 513 ff. 711 Vgl. statt vieler GK-BetrVG - Kreutz § 77 Rn. 83; grundsätzlich ablehnend jedoch auch Picker, Tarifautonomie – Betriebsautonomie – Privatautonomie, NZA 2002, 761, 769 f. 712 Vgl. zum Schutzzweck der zwingenden Wirkung der Betriebsvereinbarung Kreutz, Grenzen der Betriebsautonomie, S. 222 ff.
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Auch der Gedanke eines zusätzlichen prozeduralen Schutzes vor individueller wirtschaftlicher Unterlegenheit legitimiert nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses das Zustimmungserfordernis des Betriebsrats nicht mehr. Denn anders als hinsichtlich tariflicher Ansprüche ist die darin liegende Freiheitseinschränkung des Arbeitnehmers nicht von dessen freiwilliger Entscheidung über die Gewerkschaftsmitgliedschaft abhängig. Von daher ist nicht ersichtlich, warum die an die Betriebsparteien delegierte staatliche Regelungsmacht des Betriebsverfassungsrechts weiter gehen sollte, als der unmittelbar staatliche Unterlegenheitsschutz durch zwingendes Gesetzesrecht. Die Anwendung des Günstigkeitsprinzips auf individualrechtliche Verzichtsvereinbarungen vermag diesen Eingriff in die Vertragsfreiheit kaum wirksam zu entschärfen. Denn der insoweit zur Objektivierung des Günstigkeitsbegriffs durchzuführende Sachgruppenvergleich dürfte bei der Regelung nachvertraglicher Konstellationen wohl nahezu regelmäßig an der fehlenden funktionalen Vergleichbarkeit der individualvertraglich vereinbarten Gegenleistung mit den Ansprüchen des Arbeitnehmers aus der Betriebsvereinbarung bzw. einem Sozialplan scheitern713.
Eine teleologische Reduktion des § 77 Abs. 4 Satz 2 BetrVG wäre deshalb zumindest hinsichtlich Verzichtsvereinbarungen, die nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses getroffen werden, zu erwägen.
III. Übertragbarkeit der kollektivrechtlichen Konzeption des Zustimmungserfordernisses auf den gesetzliche Ansprüche betreffenden Verzicht? In prozeduraler Hinsicht ist das gesetzgeberische Konzept des kollektivrechtlichen Verzichtsschutzes durchaus konsequent und hat nicht zuletzt auch einen freiheitlichen Gehalt: Der Gesetzgeber überlässt in Gestalt des Zustimmungserfordernisses der §§ 4 Abs. 4 Satz 1 TVG bzw. 77 Abs. 4 Satz 2 BetrVG die Entscheidung über die Wirksamkeit einer individualvertraglichen Verzichtsvereinbarung den dadurch mittelbar betroffenen Kollektivvertragsparteien; er billigt ihnen eine „Betreuungsfunktion“ zu. Da und wenn der Gesetzgeber zutreffend von einer Verhandlungsparität der Kollektivvertragsparteien ausgeht714, besteht aus dieser Perspektive auch kein Bedürfnis für eine weitergehende staatliche Konditionierung der individualvertraglichen Verzichtsfreiheit. Das Zustimmungserfordernis enthält insoweit eine Auflockerung der die gesetzliche Anerkennung der kol713
Vgl. dazu unlängst BAG vom 27.1.2004 – 1 AZR 148/03 – AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 166 und BAG vom 30.3.2004 – 1 AZR 85/03 – AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 170. 714 Vgl. z. B. GK-BetrVG - Kreutz § 77 Rn. 302.
F. Wertungskompatibilität mit der gesetzlichen Anordnung
327
lektivvertraglichen Institutionen überhaupt tragenden Vermutung der wirtschaftlichen Unterlegenheit des einzelnen Arbeitnehmers im Verhältnis zum Arbeitgeber715. Zudem garantiert es auch ein hohes Maß an Rechtssicherheit für den Fall einer gerichtlichen Auseinandersetzung über die Wirksamkeit der Verzichtsvereinbarung und kann hinsichtlich des Verzichts auf tarifliche Rechte überdies sogar als durch die privatautonome Entscheidung des Arbeitnehmers über seine Gewerkschaftsmitgliedschaft legitimiert angesehen werden716. Auf den ersten Blick könnte ein vergleichbares „Betreuungsmandat“, etwa des Betriebsrats, deshalb – de lege ferenda – auch als prozedurale Lösung für das Problem der Feststellung der Entscheidungsfreiheit des Arbeitnehmers beim individualvertraglichen Verzicht auf gesetzliche Ansprüche in Betracht kommen. Raab hat unlängst ein derartiges Konzept für eine künftige Flexibilisierung des Tarifvertrages vorgeschlagen717. Raab meint, die zwingende Wirkung des Tarifvertrages könne durch abweichende individualvertragliche Regelungen aufgelockert werden, wenn der Betriebsrat der vorgeschlagenen Regelung zugestimmt und diese damit als angemessenen Interessenausgleich akzeptiert habe718. Der Betriebsrat könne typischerweise erheblich besser als der einzelne Arbeitnehmer absehen, ob eine reale Gefahr für die Arbeitsplätze bestehe und ob die vorgeschlagenen Kürzungen im Hinblick auf die wirtschaftliche Situation des Unternehmens angemessen seien; zudem bestehe zwischen den Betriebsparteien typischerweise ein Kräftegleichgewicht, das es rechtfertige, diesen Abreden eine „Richtigkeitsgewähr“ zuzubilligen719.
Bei näherer Betrachtung überwiegen jedoch die Bedenken gegen eine derartige Verallgemeinerung der prozeduralen Lösung der Verzichtsproblematik im Kollektivarbeitsrecht auf den unterlegenheitsspezifischen Bereich des Verzichtsschutzes durch zwingendes Gesetzesrecht. Es fehlt insoweit an einer geeigneten Instanz, die für die Wahrnehmung der individualvertraglichen Interessen im Bezug auf gesetzliche Ansprüche oder Rechte hinreichend legitimiert wäre und zugleich in allen Betrieben zur Verfügung stände. Wollte man beispielsweise die tarifzuständige Gewerkschaft unabhängig von einer bestehenden Mitgliedschaft für allgemeinzuständig für die Genehmigung individualvertraglicher Verzichtsvereinbarungen halten, so müsste dies zwangsläufig zu schwerwiegenden Friktionen mit der durch Art. 9 715
Vgl. Schwarze, Arbeitnehmerbegriff und Vertragstheorie, ZfA 2005, 81, 101. Problematisch ist insoweit allerdings das nachvertragliche Mandat des Betriebsrats beim Verzicht auf Rechte aus Betriebsvereinbarungen, siehe die Ausführungen zuvor im 5. Kapitel: F. II. 717 Raab, Betriebliche Bündnisse für Arbeit – Königsweg aus der Beschäftigungskrise?, ZfA 2004, 371 ff. 718 Raab, ebenda, S. 403. 719 Raab, a. a. O., S. 397. 716
328
5. Kap.: Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung
Abs. 3 GG verfassungsrechtlich garantierten negativen Koalitionsfreiheit führen720. Praktische Probleme ergeben sich hinsichtlich einer entsprechenden Befugnis des Betriebsrats, soweit im jeweiligen Betrieb kein Betriebsrat vorhanden ist. Hinzu kommen grundsätzliche Bedenken gegen eine Befugnis des nicht privatautonom durch den betroffenen Arbeitnehmer legitimierten Betriebsrats zu Eingriffen in den Individualvertrag721. Diese müssen umso schwerer wiegen, wenn dem Betriebsrat auch außerhalb des durch die Betriebsvereinbarung gekennzeichneten angestammten Kompetenzbereichs ein Mandat für im Grenzbereich zwischen Paternalismus und Unterlegenheitsschutz liegende Zugriffe auf die individuelle Vertragsfreiheit eingeräumt werden soll722. Dies schließt die gesetzgeberische Befugnis, dem Betriebsrat nach dem Gedanken des prozeduralen Unterlegenheitsschutzes weitere gesetzliche Mitwirkungsrechte bei der individuellen Anpassung von Arbeitsbedingungen einzuräumen, als dies bisher geschehen ist, nicht grundsätzlich aus. Die Einführung des so genannten betrieblichen Eingliederungsmanagements mit der Neufassung des § 84 Abs. 2 SGB IX und der Einführung des dortigen Abs. 3 weist beispielsweise bereits in diese Richtung723. Insbesondere im Grenzbereich zwischen Arbeits- und Sozialrecht bei der (Wieder-)Eingliederung chronisch- oder langzeitkranker Arbeitnehmer und dadurch notwendig werdenden Umstellungen betrieblicher Abläufe oder auch Änderungen von Individualarbeitsverträgen mag eine Funktion des Betriebsrats als „Anwalt“ des Arbeitnehmers im Geflecht der Interessen von Arbeitgeber und Sozialleistungsträgern eine sachgerechte Lösung sein. Anders als bei § 77 Abs. 4 Satz 2 BetrVG ist die Mitwirkung bzw. Zustimmung des Betriebsrats beim betrieblichen Eingliederungsmanagement des § 84 Abs. 2 SGB IX über § 93 SGB IX jedoch keine Wirksamkeitsvoraussetzung. Dort steht zunächst das – jedenfalls formal gegebene – Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen im Vordergrund724. Möglicherweise könnte aber durch ein derartiges Prozedere – de lege ferenda – in solchen Fällen auch eine Auflockerung der zwingenden Wirkung des Entgeltfortzahlungsrechts – auch hinsichtlich künftiger Ansprüche – in Betracht kommen, wie sie das bereits mehrfach erwähnte Beispiel Thüsings nahe legt725. 720 Vgl. statt vieler ErfK - Dieterich GG Art 9 Rn. 32; BVerfG vom 1.3.1979 – 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 – BVerfGE 50, 290, 367 ff. 721 Das sieht auch Raab, a. a. O., S. 400 f. 722 Kritisch insbesondere Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille bei der Gestaltung des Arbeitsverhältnisses, S. 291 ff., 294 und ders., Die Betriebsvereinbarung als Rechtsquelle des Arbeitsrechts, ZfA 1992, 307, 315. 723 Einen knappen Überblick liefern Steinau-Steinrück/Hagemeister, Das neue betriebliche Eingliederungsmanagement, NJW-Spezial 2005, 129 ff. 724 Gagel, Betriebliches Eingliederungsmanagement – Rechtspflicht und Chance, NZA 2004, 1359, 1360 f.
F. Wertungskompatibilität mit der gesetzlichen Anordnung
329
Die auch und gerade mit Blick auf die sog. betrieblichen Bündnisse wohl noch am Anfang stehende rechtspolitische Diskussion über das Für und Wider eines prozedural verankerten Unterlegenheitsschutzes, insbesondere durch Zustimmungserfordernisse des Betriebsrats, kann hier nicht weiter vertieft werden. Festzuhalten bleibt vorerst, dass jedenfalls de lege lata eine Kompetenz der Kollektivvertragsparteien zur Unterlegenheitskontrolle individualvertraglicher Verzichtsvereinbarungen über unabdingbare gesetzliche Ansprüche oder Rechte nicht in Betracht kommt und m. E. wohl auch de lege ferenda nur in Ausnahmekonstellationen in Betracht kommen kann726. Dies gilt insbesondere, wenn durch eine prozedural abgesicherte Zulassung des Vorausverzichts freiheitssichernde, paternalistische Zwecksetzung der Unabdingbarkeit berührt werden.
IV. Fazit Der gesetzlich normierte Verzichtsschutz für Rechte des Arbeitnehmers aus kollektivvertraglichen Regelungen hindert die hier befürwortete Widerlegbarkeit der für den unterlegenheitsspezifischen Teilschutzzweck zwingenden Arbeitsvertragsrechts grundlegenden Unterlegenheitsvermutung nicht. Zum einen mag der Schutzzweck der Gewährleistung der Funktionsfähigkeit der kollektivrechtlichen Instrumentarien ein Verzichtsverbot als überindividuellen Schutz vor den tarif- bzw. betriebspolitischen Fernwirkungen individualvertraglicher Verzichtsvereinbarungen eine zusätzliche teleologische Rechtfertigung liefern. Dies kann jedenfalls solange in Betracht kommen, wie das Arbeitsverhältnis und damit die Gefahr einer faktischen Aushöhlung kollektivvertraglich vereinbarter Arbeitsbedingungen durch eine Vielzahl individualvertraglicher Verzichtsvereinbarungen noch bestehen. Zum anderen kann aus dem Verbot des nicht autorisierten individualvertraglichen Verzichts auf entstandene kollektivvertragliche Rechte nicht der Schluss gezogen werden, auch der unterlegenheitsspezifische Verzichtsschutz hinsichtlich unabdingbarer gesetzlicher Ansprüche und Rechte des Arbeitsvertragsrechts lasse die individuelle Widerlegbarkeit der zu Grunde liegenden Unterlegenheitsvermutung prinzipiell nicht zu727. Der prozedurale Weg der Auflockerung der Unterlegenheitsvermutung durch ein Zustimmungserfordernis der als unabhängig vom Arbeitgeber angesehenen Kollektivvertragsparteien ist für den Schutz der Kollektivvereinbarungen vor Aus725 726 727
Thüsing, FS Wiedemann, S. 539, 540; siehe bereits hier im 3. Kapitel: D. II. Schwarze, Arbeitnehmerbegriff und Vertragstheorie, ZfA 2005, 81, 101. Schwarze, Arbeitnehmerbegriff und Vertragstheorie, ZfA 2005, 81, 101.
330
5. Kap.: Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung
höhlung sachgerecht. Die prozedurale Absicherung ist jedoch weder das einzig denkbare Mittel, noch kommt sie als Universallösung für die Flexibilisierung unterlegenheitsschützenden gesetzlichen Arbeitsvertragsrechts in Betracht728.
G. Rechtsvergleichende Betrachtung zum österreichischen und schweizerischen Recht Die am arbeitsrechtlichen Unterlegenheitsparadigma orientierte Diskussion um die Verzichtbarkeit unabdingbarer Rechte und Ansprüche des gesetzlichen Arbeitsvertragsrechts ist nicht auf das deutsche Arbeitsrecht beschränkt729. Insbesondere in Schrifttum und Rechtsprechung der Länder Österreich und Schweiz wird diese Frage schon seit längerem vertieft erörtert. Auffällig ist dabei, dass das rechtstheoretische Abstraktionsniveau der dortigen Auseinandersetzungen zum Verhältnis von Unabdingbarkeit und Unverzichtbarkeit im Arbeitsrecht tendenziell höher ist, als die zumeist in den Besonderheiten einzelner Ansprüche oder Rechte verharrenden Ausführungen zum deutschen Arbeitsrecht. Durch die strukturelle Vergleichbarkeit der Grundlagen der Privat- und Arbeitsrechtsordnungen von Österreich und der Schweiz mit der deutschen Arbeitsrechtsverfassung wird die rechtsvergleichende Betrachtung auch für die hiesigen Verhältnisse instruktiv.
I. Österreich 1. Gesetzliche Rahmenbedingungen730 Das österreichische Arbeitsvertragsrecht enthält wie das deutsche zahlreiche gesetzliche Nebenansprüche und Rechte des Arbeitnehmers, die zu seinem Schutz einseitig zwingend ausgestaltet sind. Eine Besonderheit gegenüber dem deutschen Arbeitsrecht bildet hier ein nach § 40 AngG zwingender gesetzlicher Anspruch auf Abfertigung (Abfindung) des langjährig beschäftigten Arbeitnehmers gemäß § 23 AngG bei Auflösung des Dienstverhältnisses durch Vertrag, Tod oder nicht verschuldete Arbeitgeberkündigung. Dieser Anspruch war in der österreichischen Rechtsprechung zumeist Anlass und Gegenstand der Verzichtsdiskussion. 728
Schwarze, ebenda. Vergleiche zur rechtsvergleichenden Perspektive auch die Arbeit von Szücs, Verzicht und Vergleich im österreichischen, deutschen und schweizerischen Arbeitsrecht, Dissertation Universität Salzburg, Wien 2006. 730 Eine allgemein zugängliche Sammlung des österreichischen Bundesrechts findet sich unter http://www.ris.bka.gv.at/bundesrecht. 729
G. Rechtsvergleichung österreichisches/schweizerisches Recht
331
Kollektivvertragliche Normen gelten in Österreich ebenfalls unmittelbar und als zugunsten des Arbeitnehmers zwingend, vgl. §§ 3 Abs. 1, 11 Abs. 1 ArbVG; die Unzulässigkeit eines Verzichts auf daraus abgeleitete Ansprüche oder Rechte ist jedoch – anders als in Deutschland – nicht kodifiziert. 2. Rechtsprechung und Schrifttum Seit dem Judikat 26 des Obersten Gerichtshofs vom 8. Juni 1927731 besteht in Österreich eine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung, wonach aufgrund eines zu vermutenden Drucks des Arbeitgebers ein Rechtsverzicht des Arbeitnehmers auf bereits entstandene unabdingbare gesetzliche oder kollektivrechtliche Ansprüche oder Rechte während des aufrechten Bestands des Arbeitsverhältnisses unwirksam ist732. Maßgeblich soll insoweit jedoch nicht die formale Beendigung des Arbeitsverhältnisses, sondern dessen „wirtschaftliche Beendigung“ sein733. Aus dem wirtschaftlichen Beendigungsbegriff folgert die Rechtsprechung, dass ein Verzicht einerseits bereits vor rechtlicher Beendigung des Arbeitsverhältnisses möglich734, andererseits aber auch noch nach oder anlässlich der formalen Beendigung unzulässig sein kann, wenn und soweit die „Drucksituation“ des Arbeitnehmers, beispielsweise infolge einer beabsichtigten Fortführung des Arbeitsverhältnisses735, noch nicht beendet ist736. Zumindest für den nachträglichen Verzicht auf eine kollektivvertraglich gesicherte Entgeltforderung geht der Oberste Gerichtshof darüber hinaus von der Widerlegbarkeit der Vermutung „wirtschaftlichen Drucks“ auch während des bestehenden Arbeitsverhältnisses aus; ein Verzicht auf entstandene unabdingbare Entgeltansprüche soll also wirksam sein, wenn er frei und ohne wirtschaftlichen Druck zustande gekommen Als unabhängig von der sog. „Drucktheorie“ unzulässig wird ein Vorausverzicht auf noch nicht fällige Ansprüche angesehen737. Streitig ist, ob die sog. „Drucktheorie“ auch auf den während des Arbeitsverhältnisses verein731 Judikat 26 neu = Arb 3725 = SZ 9/80; einen kompakten Überblick zur österreichischen Rechtsprechungsentwicklung bis 1984 gibt Eypeltauer, Verzicht und Unabdingbarkeit im Arbeitsrecht, S. 16 ff. und aktuell auch bei Szücs, Verzicht und Vergleich im österreichischen, deutschen und schweizerischen Arbeitsrecht, S. 60 ff. 732 OGH vom 19.5.1993 – 9 ObA 95/93 – www.ris.bka.gv.at. 733 OGH vom 3.7.1952 – 4 Ob 81/52 – Arb 5456. 734 OGH vom 14.5.1974 – 4 Ob 19/74 – Arb 9209 (einvernehmlicher Auflösungsvertrag mit Wirkung zu einem späteren Zeitpunkt); OGH vom 3.7.1952 – 4 Ob 81/52 – Arb 5456. 735 OGH vom 7.7.1981 – 4 Ob 3/81 – Arb 9999. 736 OGH vom 19.4.1966 – 4 Ob 21/66 – Arb 8222. 737 OGH vom 30.11.1988 – 9 ObA 264/88 – www.ris.bka.gv.at.
332
5. Kap.: Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung
barten nachträglichen Verzicht auf grundsätzlich dispositive gesetzliche Ansprüche Anwendung findet738. Grundsätzlich zulässig ist ein Tatsachenvergleich (Vergleichsverzicht) zur Klärung der tatsächlichen Voraussetzungen unabdingbarer Ansprüche oder Rechte739. In Teilen des österreichischen Schrifttums ist die sog. „Drucktheorie“ grundsätzlich abgelehnt worden740. Vorwiegend im älteren Schrifttum finden sich Stimmen, die Unabdingbarkeit und Unverzichtbarkeit gleichsetzen und die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, insbesondere auch die Widerlegbarkeit der Vermutung wirtschaftlichen Drucks741, mit Blick auf die Sozialschutz- und Versorgungsfunktion des Arbeitsvertragsrechts heftig kritisieren742. Die generelle, zeitlich unbeschränkte Unverzichtbarkeit unabdingbarer Ansprüche des Arbeitsvertragsrechts wird von den Vertretern dieser Strömung mit Sozialschutz- und Rechtssicherheitserwägungen sowie mit einem Schutzbedürfnis des Arbeitnehmers gerade in der Abwicklungsphase im Kern ordnungspolitisch begründet743, ohne den darin liegenden Eingriff in Privatautonomie und Vertragsfreiheit grundsätzlich zu problematisieren744. Vereinzelt wird auch eine generell über das rechtliche Ende des Arbeitsverhältnisses hinausreichende Unverzichtbarkeit befürwortet, soweit und solange die für das Arbeitsverhältnis zu vermutende Drucksituation noch in irgendeiner Form weiter- oder nachwirkt745. Andere Stimmen preisen – nicht zuletzt mit einem Seitenhieb auf die unübersichtliche deutsche Rechtslage – gerade die Unterscheidung von Unabdingbarkeit und Unverzichtbarkeit durch die österreichische Rechtsprechung als „die goldene Mitte zwischen Freiheit und sozialer Bindung der 738
Vgl. dazu OGH vom 18.10.1983 – 4 Ob 105/82 – www.ris.bka.gv.at mit zahlreichen Nachweisen; eingehend Köck, Grenzen der Zulässigkeit des Verzichts auf schon entstandene Arbeitnehmeransprüche, ZAS 1986, 73, 77 f. 739 Ständige Rspr. vgl. nur OGH vom 29.5.1996 – 9 ObA 2035/96x – www. ris.bka.gv.at m. w. N. 740 Vergleiche dazu den aktuellen Überblick bei Szücs, Verzicht und Vergleich im österreichischen, deutschen und schweizerischen Arbeitsrecht, S. 32 ff. 741 Schwarz, Kommentar zu OGH vom 16.10.1973, ZAS, 1975, 101 f.; Eypeltauer, Verzicht und Unabdingbarkeit im Arbeitsrecht, S. 36 f. 742 Grundlegend Strasser, Der Verzicht auf unabdingbare arbeitsrechtliche Ansprüche, DRdA 1955, Heft 15, 13 ff.; Schwarz, Zum Problem des Verzichts auf arbeitsrechtliche Ansprüche, DRdA 1956, 120 f.; ausführlich Eypeltauer, Verzicht und Unabdingbarkeit im Arbeitsrecht (1984). 743 So vor allem Migsch, FS Strasser, S. 255, 258. 744 Vgl. Strasser, a. a. O.; Schwarz, a. a. O.; konzilianter jedoch später ders., Kommentar zu OGH vom 16.10.1973, ZAS, 1975, 101 f.; ausführlich Eypeltauer, a. a. O., S. 50 ff.; ders., Wider den vereinbarten Verfall zwingender Arbeitnehmeransprüche bei aufrechtem Arbeitsverhältnis, DRdA 2001, 23, 25. 745 Floretta/Spielbüchler, Arbeitsrecht I, S. 54 f.
G. Rechtsvergleichung österreichisches/schweizerisches Recht
333
Rechtsgenossen untereinander“746. Auch die Loslösung von starren zeitlichen Grenzen sowie die Widerleglichkeit der Druckvermutung im aufrechten Arbeitsverhältnis werden von einigen als sachgerechte Lösungen befürwortet747. Die im österreichischen Schrifttum wohl herrschende Meinung folgt zumindest im Ergebnis im Wesentlichen den von der Rechtsprechung des OGH gezogenen Leitlinien zum Verhältnis von Unabdingbarkeit und Unverzichtbarkeit748.
II. Schweiz 1. Gesetzliche Grundlagen Das schweizerische Arbeitsrecht enthält im Gegensatz zum österreichischen und deutschen Arbeitsrecht eine umfassende gesetzliche Regelung zur Verzichtbarkeit unabdingbarer Ansprüche und Rechte des Arbeitsvertragsrechts749. Art. 341 Abs. 1 des Obligationenrechts (OR) ordnet an, dass Arbeitnehmer auf Forderungen, die sich aus unabdingbaren Vorschriften des Gesetzes oder aus unabdingbaren Bestimmungen eines Gesamtarbeitsvertrags (Tarifvertrags) ergeben, während der Dauer des Arbeitsverhältnisses und eines Monats nach dessen Beendigung nicht verzichten können750. Art. 341 OR nimmt damit Bezug auf Art. 361 OR und Art. 362 OR, die in umfassenden Katalogen die gesetzlichen Vorschriften des Arbeitsrechts auflisten, die als beidseitig (Art. 361 OR) bzw. zugunsten des Arbeitnehmers einseitig zwingend ausgestaltet sind (Art. 362 OR). Will ein Arbeitnehmer auf einen geschützten Anspruch rechtswirksam verzichten, so kann er das erst nach Ablauf der Nachfrist des Art. 341 OR tun; ein vorher vereinbarter Verzicht ist als nichtiges Rechtsgeschäft unheilbar unwirksam751. 746
Schnorr, Anm. zu BAG vom 27.7.1967, RdA 1968, 181, 182. Mayer-Maly, Kommentar zu OGH vom 19.4.1966, ZAS 1967, 17 f.; ders. in Mayer-Maly/Marhold, Österreichisches Arbeitsrecht I, S. 132; mit ausführlicher Begründung Köck, Grenzen der Zulässigkeit des Verzichts auf schon entstandene Arbeitnehmeransprüche, ZAS 1986, 73 ff.; ablehnend jedoch Floretta/Spielbüchler, Arbeitsrecht I, S. 54 f. 748 Vgl. Mayer-Maly/Marhold, Österreichisches Arbeitsrecht I, S. 131 f.; einen umfassenden Überblick über den Meinungsstand liefert auch Kollros, Verzicht auf den Abfertigungsanspruch bei einvernehmlicher Auflösung des Arbeitsverhältnisses, ZAS 1998, 111 ff. 749 Szücs, Verzicht und Vergleich im österreichischen, deutschen und schweizerischen Arbeitsrecht, S. 202 ff. 750 Vgl. OR - Rehbinder, Art. 341 Rn. 1. 751 Heuberger, Die Unverzichtbarkeit von arbeitsvertraglichen Ansprüchen, S. 40. 747
334
5. Kap.: Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung
2. Meinungsstand zu Grund und Grenzen des Verzichtsverbots nach Art. 341 OR Die das Verzichtsverbot des Art. 341 OR tragende Rechtfertigung wird im schweizerischen Arbeitsrecht primär im arbeitsrechtlichen Unterlegenheitsparadigma gesehen. Die wirtschaftliche, soziale und betriebliche Abhängigkeit des Arbeitnehmers soll teleologischer Zweck sowohl des zwingenden Arbeitsrechts als auch des Verzichtsverbots des Art. 341 OR sein752. Bereits vor Inkrafttreten des gesetzlichen Verzichtsverbots des Art. 341 OR im Jahr 1971 ist in der schweizerischen Lehre und Rechtsprechung die rechtsgeschäftliche Unverzichtbarkeit von Ansprüchen und Rechten des Arbeitnehmers während des bestehenden Arbeitsverhältnisses für den normativen Teil des Gesamtarbeitsvertrages und zum Teil auch für das zwingende Gesetzesrecht aus der Unabdingbarkeitswirkung hergeleitet worden753. Die Nachfrist des Art. 341 OR wird mit der besonderen Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers bei oder kurz nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Hinblick auf die so genannten Saldoklauseln (Ausgleichsquittungen) begründet754. Die Erfahrung habe gezeigt, dass Arbeitnehmer oftmals – sei es aus Unkenntnis der Rechtslage, sei es aus Furcht, der Arbeitgeber werde bei einer Verweigerung der Unterschrift auch unbestrittener Beträge nicht freiwillig bezahlen oder ein schlechtes Zeugnis erteilen bzw. negative Auskünfte an Dritte weitergegeben – Schriftstücke unterzeichneten, die Nachforderungen ausschlossen755. Auch bei oder kurz nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses könne typischerweise nicht von einer echten Entscheidungsfreiheit des Arbeitnehmers gesprochen werden756. Der Charakter des Verzichtsverbots als Schutz des in seiner Entscheidungsfreiheit beeinträchtigten Arbeitnehmers zeige sich auch darin, dass der Verzicht nach Ablauf der Nachfrist keinen Beschränkungen mehr unterliege. Hätte die Verzichtsfreiheit vornehmlich aus ordnungspolitischen Überlegungen beschränkt werden sollen oder hätte ein spezieller Typus unverzichtbarer Rechte geschaffen werden sollen, so hätte ein zeitlich unbeschränktes Verzichtsverbot wie das des deutschen § 4 Abs. 4 TVG erlassen werden müssen; eine entsprechende Privilegierung tariflicher Ansprüche und Rechte ist im schweizerischen Arbeitsrecht jedoch nicht vorgesehen757. Die Nachfrist des Art. 341 752 Brühwiler, Art. 341 OR Rn. 1 m. w. N.; U. Hofmann, Verzicht und Vergleich im Arbeitsrecht, S. 80 f. 753 U. Hofmann, S. 83. Ein rechtshistorischer Überblick zum Verzichtsverbot im schweizerischen Arbeitsrecht findet sich bei U. Hofmann, S. 158 ff. 754 U. Hofmann, S. 83 m. w. N. 755 U. Hofmann, ebenda. 756 U. Hofmann, S. 84. 757 So U. Hofmann, ebenda.
G. Rechtsvergleichung österreichisches/schweizerisches Recht
335
OR lässt sich damit als ein typisierender Schutz des Gesetzes vor den unterlegenheitsspezifischen Nachwirkungen des Arbeitsverhältnisses im Hinblick auf Saldoklauseln (Ausgleichsquittungen) verstehen758. Während die teleologische Ableitung des Verzichtsverbots des Art. 341 OR aus dem unterlegenheitsspezifischen Schutzzweck der Unabdingbarkeit arbeitsrechtlicher Normen hinsichtlich einseitig begünstigender Verzichtsvereinbarungen angesichts des klaren Gesetzeswortlauts nur noch von akademischem Interesse ist, gewinnen teleologische Erwägungen in der Diskussion um die Randbereiche der Verzichtsproblematik eine gewisse eigenständige Bedeutung. Diskutiert wird insbesondere, ob und inwieweit das Verzichtsverbot des Art. 341 OR im Rahmen eines Günstigkeitsvergleichs der einzelvertraglichen Verzichtsvereinbarungen759, also eines echten rechtlichen Vergleichs über ungewisse Ansprüche760 oder eines Tatsachenvergleichs aufgelockert werden kann761. Nach Rechtsprechung des schweizerischen Bundesgerichts ist ein Verzicht des Arbeitnehmers nicht nach Art. 341 OR unwirksam, wenn es im Rahmen eines Vergleichs zu einem beidseitigen Verzicht gekommen ist762. Auch ein Aufhebungsvertrag mit Reflexwirkungen auf durch das Verzichtsverbot geschützte Ansprüche und Rechte soll grundsätzlich zulässig sein, soweit er nicht gerade zur Umgehung zwingender Vorschriften bzw. des Verzichtsverbots des Art. 341 Abs. 1 OR abgeschlossen wird763.
III. Fazit Auch in den Arbeitsrechtsordnungen Österreichs und der Schweiz ist die Debatte um die Verzichtbarkeit unabdingbarer Ansprüche des Arbeitsvertragsrechts zentral als eine Debatte um die Unterlegenheit des Arbeitnehmers im Arbeitsverhältnis geführt worden. In beiden Rechtsordnungen wird – deutlicher noch als im deutschen Arbeitsvertragsrecht – dogmatisch zwischen der Unabdingbarkeit und der Unverzichtbarkeit von Ansprüchen und Rechten unterschieden. Die Unverzichtbarkeit entstandener unabdingbarer Ansprüche und Rechte wird dabei von den jeweils herrschenden Meinungen 758
U. Hofmann, ebenda. Heuberger, S. 47; kritisch dazu U. Hofmann, S. 141 ff. und Renz, Die Saldoquittung und das Verzichtsverbot im schweizerischen Arbeitsrecht, S. 147 ff. 760 Vgl. U. Hofmann, S. 164 ff. 761 Vgl. U. Hofmann, S. 173 ff. 762 BG vom 17.11.1980 – BGE 106 II, 222 f.; vgl. auch Brühwiler, Art. 341 Rn. 5 m. w. N. 763 BG vom 17.7.2000 – 4C. 122/2000 – Schweizerische Juristen-Zeitung (SJZ) 2000, 476. 759
336
5. Kap.: Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung
übereinstimmend als ein weitergehender, typisch arbeitsrechtlicher Eingriff in die Vertragsfreiheit der Arbeitsvertragsparteien erkannt764. Gleichwohl wird aus der zum Schutz des Arbeitnehmers erfolgten gesetzgeberischen Anordnung der Unabdingbarkeit gewisser Ansprüche des Arbeitsvertragsrechts gefolgert, dass diese Ansprüche und Rechte jedenfalls während des Bestands des Arbeitsverhältnisses grundsätzlich unverzichtbar sein müssen. Die Rechtfertigung dafür wird von den herrschenden Meinungen sowohl in Österreich als auch in der Schweiz zentral beim Gedanken des individualrechtlichen Schutzes des in seiner Entscheidungsfreiheit faktisch beschränkten Arbeitnehmers, nicht in ordnungspolitischen Erwägungen verortet. In der Schweiz ist mit der Nachfrist des Art. 341 OR darüber hinaus auch ein nachwirkendes Verzichtsverbot als typisierender Schutz vor nachwirkenden Abhängigkeiten des Arbeitnehmers kodifiziert worden. Anders als im deutschen Recht ist jedoch weder in Österreich noch in der Schweiz eine vergleichbar starre zeitliche Grenze der Unverzichtbarkeit mit rechtlich-formaler Beendigung des Arbeitsverhältnisses bzw. der Nachfrist des Art. 341 OR gezogen worden, wie dies beispielsweise in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Verzichtbarkeit des Entgeltfortzahlungsanspruchs geschehen ist765. In der österreichischen Rechtsprechung wurde eine Flexibilisierung der Grenzen der Unverzichtbarkeit durch die grundsätzliche Widerlegbarkeit der zu Grunde liegenden Unterlegenheitsvermutung erreicht; in der Schweiz ergibt sich trotz des restriktiven Wortlauts des Art. 341 OR eine gewisse Auflockerung der Unverzichtbarkeit unabdingbarer Ansprüche aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Zulässigkeit eines beiderseitigen Verzichts im Rahmen eines – auch außergerichtlichen – Rechtsvergleichs. Die in diesem Kapitel für das deutsche Recht hergeleiteten Lösungsansätze zum Problem der Reichweite unterlegenheitsspezifischen Verzichtsschutzes entsprechen in ihren Grundzügen der langjährigen höchstrichterlichen Rechtsprechung in Österreich.
H. Zusammenfassung Der Schutz des Arbeitnehmers bzw. des Arbeitssuchenden als typischerweise wirtschaftlich unterlegener Partei des Arbeitsvertrages vor durch faktische Markt- und Machtkonstellationen determinierten und daher materiell unfreiwilligen rechtsgeschäftlichen Bindungen kann durchgängig als ein 764 Vgl. für das schweizerische Recht U. Hofmann, S. 83 m. w. N.; für das österreichische Recht Köck, ZAS 1986, 73, 77 f. 765 Vgl. dazu den Rechtsprechungsüberblick oben, 2. Kapitel: A. I.
H. Zusammenfassung
337
zweiter tragender Grund für die zwingende Geltung weiter Teile des gesetzlichen Arbeitsvertragsrechts betrachtet werden. Auch unter den Bedingungen des heutigen Arbeitsmarkts und angesichts der bestehenden sozialen Sicherungssysteme hat er seine vertragstheoretisch aus den tatsächlichen Gegebenheiten des Arbeitsmarkts ableitbare Legitimation nicht verloren. Der auf den Schutz vor Unterminierung der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit infolge wirtschaftlicher Unterlegenheit gerichtete (Teil-)Schutzzweck des zwingenden Arbeitsvertragsrechts ist deshalb bei der teleologischen Auslegung der Reichweite der Unabdingbarkeit des jeweiligen Rechts oder Anspruchs stets mit zu berücksichtigen. Dagegen kann der Gedanke des Schutzes des Arbeitnehmers vor den Auswirkungen einer angeblich typischen intellektuellen oder informationellen Unterlegenheit als teleologische Rechtfertigung für die generelle Anordnung der Unabdingbarkeit oder eines daraus abzuleitenden Verzichtsverbots ausgeschieden werden. Die Zulässigkeit von Aufhebungs- oder Abwicklungsverträgen und Ausgleichsquittungen mit Verzichtscharakter konfligiert deshalb nicht prinzipiell mit der Unabdingbarkeit arbeitsvertragsrechtlicher Normen. Der Ausschluss der Befugnis des Arbeitnehmers zu einem rechtsgeschäftlichen Verzicht auf entstandene subjektive Ansprüche und Rechte aus zwingendem Arbeitsvertragsrecht ist gegenüber der bloßen Unabdingbarkeitsanordnung eine weitergehende Einschränkung der formellen Vertragsfreiheit der Arbeitsvertragsparteien, die einer weiteren Begründung bedarf766. Die von der Verfassung garantierte (formelle) Vertragsfreiheit gebietet es, den mit dem Verzicht zutage getretenen erklärten Parteiwillen bei der teleologischen Auslegung der Reichweite der zwingenden Wirkung prinzipiell anzuerkennen767. Auch im Arbeitsverhältnis ist der dem BGB immanente Gedanke der Eigenverantwortlichkeit der am Rechtsverkehr teilnehmenden Personen für die Gestaltung ihrer Rechtverhältnisse Ausgangspunkt der weiteren Rechtsanwendung. Allein die – vordergründige oder tatsächliche – Nachteiligkeit einer Verzichtsvereinbarung für den Arbeitnehmer berührt die grundsätzliche Verzichtsbefugnis und damit die Rechtswirksamkeit des Verzichts nicht. Eine Auslegung der Unabdingbarkeitsnormen, die zu einem generellen Schutz des Arbeitnehmers vor möglicherweise nachteiligen Verzichtserklärungen als „Schutz vor sich selbst“ führt, ist deshalb mit der verfassungsrechtlich gewährleisteten (formellen) Vertragsfreiheit nicht vereinbar768. 766 U. Hofmann, Verzicht und Vergleich im Arbeitsrecht, S. 80 f. (zum schweizerischen Arbeitsrecht). 767 So besonders deutlich Fastrich, RdA 1997, 65, 67. 768 Vgl. ausführlich Enderlein, S. 129 ff.
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5. Kap.: Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung
Das Bundesverfassungsgericht hat andererseits insbesondere in seiner Bürgschaftsentscheidung und in seiner Handelsvertreterentscheidung klargestellt, dass die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Vertragsfreiheit nicht auf die Anerkennung der formellen Vertragsfreiheit beschränkt ist. Es hat aus der Verfassung die Gewährleistung auch der „materiellen“ Vertragsfreiheit gefolgert. Wirtschaftliche oder psychische Faktoren, die zugunsten einer Vertragspartei die Selbstbestimmungs- bzw. Entscheidungsfreiheit der anderen Vertragspartei hinsichtlich des Vertragsschlusses in unzulässigem Maße determinieren, können deshalb rechtlich relevant werden und auch unterhalb der Eingriffsschwellen der klassischen Lehre zu den §§ 123 und 138 BGB zur Nichtigkeit einer Verzichtsvereinbarung führen. Im Interesse der Rechtssicherheit und des gebotenen Schutzes der berechtigten Interessen der „überlegenen“ Partei setzt die rechtliche Relevanz derartiger Umstände des Vertragsschlusses im Allgemeinen jedoch deren Zurechenbarkeit zur Sphäre der durch die Nichtigkeitsfolge belasteten Partei, d.h. in der Regel des Arbeitgebers, voraus. Die bloße Arbeitnehmereigenschaft kann im Arbeitsverhältnis nicht als hinreichendes allgemeines Zurechnungskriterium für jedwede faktische Einschränkung der Entscheidungsfreiheit des Arbeitnehmers bei Vereinbarungen mit dem Arbeitgeber dienen. Ein Verzichtsverbot hinsichtlich dispositiver Ansprüche und Rechte des Arbeitnehmers kann aus den zivilrechtlichen Generalklauseln daher erst ab einer gewissen Erheblichkeitsschwelle folgen. Erst wenn die wirtschaftliche Bedeutung einer offensichtlich einseitig benachteiligenden Verzichtsvereinbarung auf Seiten des Arbeitnehmers die Annahme einer tatsächlich selbstbestimmten rechtsgeschäftlichen Entscheidung nach allgemeiner Lebenserfahrung ausschließt, ist diese Schwelle überschritten. Soweit die Unabdingbarkeit zwingenden Arbeitsvertragsrechts dem Schutz des Arbeitnehmers vor wirtschaftlicher Abhängigkeit dient, kann darin eine spezielle Ausprägung eines gegenüber den zivilrechtlichen Generalklauseln erweiterten Schutzes vor materiell eingeschränkter Vertragsfreiheit gesehen werden. Die unterlegenheitsschützenden Komponenten zwingenden Rechts vermitteln deshalb einen speziellen Verzichtsschutz hinsichtlich der durch Unabdingbarkeit geschützten Ansprüche. Auf die wirtschaftliche Bedeutung des Verzichts als Schutz gegen Ausuferungstendenzen kommt es hier nicht an und auch die Fälligkeit des jeweiligen unabdingbaren Rechts oder Anspruchs ist hier prinzipiell nicht von Bedeutung. Ob in concreto aus der unterlegenheitsschützenden Komponente der Unabdingbarkeit eines arbeitsrechtlichen Anspruchs auch die Nichtigkeit eines vereinbarten Verzichts abzuleiten ist, hängt prinzipiell davon ab, ob sich der konkrete Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Verzichtsvereinbarung tatsächlich noch in einer wirtschaftlichen Abhängigkeitssituation gegenüber dem Ar-
H. Zusammenfassung
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beitgeber befindet. Diese Voraussetzung lässt sich im Rahmen der teleologischen Gesetzesauslegung nicht pauschal mit einer generellen Schutzbedürftigkeit des per se „strukturell unterlegenen“ Arbeitnehmers begründen. Das Prinzip der Freiheitsmaximierung als Auslegungsleitlinie des Zivilrechts gebietet es, die (formelle) Vertragsfreiheit der Parteien nur soweit anzutasten, wie es für die Gewährleistung der (materiellen) Vertragsfreiheit der durchsetzungsschwächeren Partei in der aktuellen Vertragsschlusssituation erforderlich ist. Die unterlegenheitsschützende Komponente der Unabdingbarkeitsanordnung kann den in der Aberkennung der Befugnis zu einem nachträglichen Rechtsverzicht liegenden weiteren Eingriff in die (formelle) Vertragsfreiheit daher nur rechtfertigen, wenn und soweit in der konkreten Verzichtssituation zumindest typischerweise davon ausgegangen werden kann, dass die tatsächliche Entscheidungsfreiheit des Arbeitnehmers aus objektiv nachvollziehbaren Beweggründen entscheidend eingeschränkt ist769. Im Arbeitsverhältnis lassen sich Situationen oder Stadien unterscheiden, in denen die Schutzbedürftigkeit der realen rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit des Arbeitnehmers regelmäßig unterschiedlich zu beurteilen ist. Es liegt auf der Hand, dass die Entscheidungsfreiheit des Arbeitnehmers hinsichtlich des ihm angetragenen Anspruchsverzichts nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses typischerweise weniger als bei der Einstellung durch nachvollziehbar als opportun erscheinende Wohlverhaltenserwägungen überlagert sein wird770. In der Regel kann aus der Unabdingbarkeit ein unterlegenheitsspezifisches Verzichtsverbot deshalb nur abgeleitet werden, solange das Arbeitsverhältnis noch ungekündigt fortbesteht. Der Nachweis atypischer tatsächlicher Umstände muss jedoch auch danach – und insbesondere auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses – noch prinzipiell möglich und rechtlich relevant sein. Dem zeitlich-situativ unterschiedlichen unterlegenheitsspezifischen Schutzbedürfnis wie dem Bedürfnis nach Berücksichtigung auch atypischer Konstellationen kann in der Rechtspraxis durch ein abgestuftes System einer widerlegbaren Unterlegenheitsvermutung Rechnung getragen werden. Solange das Arbeitsverhältnis ungekündigt fortbesteht oder dessen tatsächliche Fortsetzung auch über dessen rechtliches Ende hinaus beabsichtigt ist, ist ohne weiteres von einer (widerlegbaren) rechtlichen Vermutung auszugehen, dass ein in dieser Zeit vereinbarter Verzicht des Arbeitnehmers auf Ansprüche oder Rechte aus zwingendem Arbeitsvertragsrecht nicht Ausdruck des freien 769
Vgl. Bengelsdorf, Der arbeitsrechtliche Aufhebungsvertrag, ZfA 1995, 261 f. Vgl. Bengelsdorf, a. a. O. und Renz, Die Saldoquittung und das Verzichtsverbot im schweizerischen Arbeitsrecht, S. 82 ff. 770
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5. Kap.: Arbeitnehmerspezifische Unterlegenheit als Rechtfertigung
rechtsgeschäftlichen Willens beider Parteien, sondern Ergebnis der so genannten wirtschaftlichen Unterlegenheit des Arbeitnehmers ist. Steht dagegen nach erfolgter Kündigung die zeitlich nahe tatsächliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses fest, so kann eine Einschränkung der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit des Arbeitnehmers infolge wirtschaftlicher Unterlegenheit nur noch dann vermutet werden, wenn der Arbeitnehmer dies durch den Vortrag besonderer Umstände glaubhaft macht. In beiden Fällen muss es dem Arbeitgeber prinzipiell gestattet sein, die den Arbeitnehmer begünstigende Unterlegenheitsvermutung durch entgegenstehenden Tatsachenvortrag zu widerlegen.
6. Kapitel
Einschränkung der arbeitsrechtlichen Verzichtsbefugnis wegen möglicher gemeinwohlschädlicher Folgewirkungen? Während zuvor der individuelle Schutz des Arbeitnehmers durch unabdingbares Arbeitsvertragsrecht Schwerpunkt der Untersuchung war, soll im Folgenden auf dessen überindividuelle Bedeutung in der Arbeits- und Sozialverfassung eingegangen werden. Das Arbeitnehmerschutzrecht bezweckt in der Regel nicht nur den individuellen Schutz des Arbeitnehmers, es entspringt ebenso auch institutionellen wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Überlegungen1. Im besonderen Maße gilt dies für beschäftigungspolitische Intentionen des Gesetzgebers im weitesten Sinne2. Denn die einzelvertragliche Unabdingbarkeit weiter Teile des gesetzlichen Arbeitsvertragsrechts hat neben ihrer am individuellen Schutzbedürfnis des betroffenen Arbeitnehmers orientierten Funktion zumindest mittelbar auch überindividuelle ordnungspolitische Auswirkungen. Die gesetzliche Statuierung einheitlicher arbeitsvertragsrechtlicher Rahmenbedingungen kann deshalb als ein rechtspolitisches Steuerungsinstrument der Ordnungs-, Beschäftigungs- und Sozialpolitik dienen, wenn und soweit sie die erwarteten mittelbaren Auswirkungen der Gesamtheit der einzelvertraglichen Gestaltungen zum erklärten Ziel politischer Steuerung erhebt3. Die aktuelle Debatte um die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns zur Abwehr unterbietender Konkurrenz durch Arbeitnehmer in Deutschland tätiger osteuropäischer Subunternehmer mag dies illustrieren4. Aber auch zur Erreichung im weitesten Sinne gesundheits- oder gesellschaftspolitischer Ziele, wie etwa der Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch das Recht auf Elternzeit, §§ 15 – 21 BErzGG, in Teilbereichen des Mutterschutzrechts oder beim Schutz vor Diskriminierung 1
Statt vieler MünchArbR - Birk § 20 Rn. 88. Näher dazu sogleich im 6. Kapitel: A. III. 3 Vgl. dazu BVerfG vom 3.4.2001 – 1 BvL. 32/97 – BVerfGE 103, 293, 307 f. 4 Vgl. zum Diskussionsstand und den vertretenen Positionen die Webseiten der Gewerkschaft NGG, http://www.gesetzlicher-mindestlohn.de/, einerseits und der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände, http://www.arbeitgeber.de/www/ bdaonline.nsf/id/Entgelt, andererseits. 2
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6. Kap.: Unverzichtbarkeit wegen gemeinwohlschädlicher Folgewirkungen?
bedient sich der Gesetzgeber oft des Instruments des unabdingbaren Privatrechts. Eine Grenzziehung zwischen systemimmanent einzelvertraglich unverzichtbarem öffentlich-rechtlichem Arbeitsschutzrecht, privatrechtlich organisierten, aber zumindest auch mit überindividuellen Schutzintentionen belegten Instrumentarien und ausschließlich oder zumindest überwiegend individualschützenden Normen ist deshalb äußerst komplex und in vielen Bereichen wohl auch nicht trennscharf durchführbar5. Solange Individualschutz und überindividuelle Schutzzwecke parallel laufen, ergibt sich aus der Einbeziehung überindividueller Schutzerwägungen ins Arbeitsvertragsrecht für die Frage der individualvertraglichen Verzichtbarkeit kein Problem von praktischer Relevanz. Sobald jedoch ein individuelles Schutzbedürfnis des Arbeitnehmers als privatrechtskonforme teleologische Rechtfertigung für einen Eingriff in die arbeitsrechtliche Verzichtsfreiheit nicht (mehr) feststellbar ist, stellt sich die Frage, ob und inwieweit in die Vertragsfreiheit der Arbeitsvertragsparteien – oder auch in die Tarifautonomie der Tarifvertragsparteien6 – eigenständig aus im weitesten Sinne ordnungspolitischen und damit außerhalb des vertragstheoretisch legitimierbaren Bereichs liegenden Gründen eingegriffen werden darf. Ein ganz ähnliches Abgrenzungsproblem stellt sich im internationalen Arbeitsvertragsrecht bei der Frage, welche zwingenden Normen des deutschen Arbeitsvertragsrechts als Eingriffsnormen i. S. des Art. 34 EGBGB zu qualifizieren sind, die auch gegenüber einem ausländischen Recht unterliegenden Arbeitsvertrag mit Inlandsbezug zwingend gelten. Beruht die Geltung des ausländischen Rechts auf einer Rechtswahl der Arbeitsvertragsparteien, gilt insoweit zwar primär die Sonderanknüpfung des Art. 30 Abs. 1 EGBGB, die den Arbeitnehmer – ohne im Einzelnen Rückgriff auf die jeweils verfolgten Normzwecke zu nehmen – vor einer Umgehung der Geltung des deutschen Arbeitsvertragsrechts durch Rechtswahl schützen soll7. Mangels einer ausdrücklichen Rechtswahl stellt sich jedoch gegebenenfalls die Frage, welche Normen des 5 Vgl. dazu LAG Hessen vom 16.11.1999 – 4 Sa 463/99 – NZA-RR 2000, 406; dagegen BAG vom 12.12.2001 – 5 AZR 255/00 – AP EGBGB n. F. Art. 30 Nr. 10 (mit ablehnender Anm. vom Schlachter); beide zur Frage, ob § 3 Abs. 1 EFZG und § 14 Abs. 1 MuSchG wegen Gemeinwohlbelangen als international zwingende Eingriffsnormen i. S. d. § 34 EGBGB anzusehen sind. 6 Vgl. dazu BVerfG vom 3.4.2001 – 1 BvL. 32/97 – BVerfGE 103, 293, 308 f. (zur Verfassungsmäßigkeit der zwischenzeitlich durch das Arbeitsrechtliche Beschäftigungsförderungsgesetz vom 25.9.1996 (BGB. I, S. 1476) geschaffenen Anrechnungsmöglichkeit des Arbeitsausfalls aufgrund von Maßnahmen der medizinischen Vorsorge und Rehabilitation auf den Tarifurlaub nach § 10 Abs. 1 BUrlG a. F.); BVerfG vom 27.4.1999 – 1 BvR 2203/93, 897/95 – BVerfGE 100, 271, 284 (zur Zulässigkeit der Lohnabstandsklausel bei sog. Strukturanpassungsmaßnahmen nach § 275 Abs. 2 i. V. m. § 265 Abs. 1 Satz 1 SGB III). 7 Vgl. zum Verhältnis von Art. 30 und Art. 34 EGBGB Staudinger - Magnus EGBGB Art. 30 Rn. 203 f. und Franzen, AR-Blattei SD Nr. 920 Rn. 109.
6. Kap.: Unverzichtbarkeit wegen gemeinwohlschädlicher Folgewirkungen? 343 zwingenden inländischen Arbeitsvertragsrechts sich trotz des im Übrigen nach Art. 30 Abs. 2 EGBGB anwendbaren ausländischen Vertragsstatuts nach Art. 34 EGBGB durchsetzen sollen. Einigkeit scheint insoweit dahingehend zu bestehen, dass nicht alle zwingenden Normen des deutschen Arbeitsvertragsrechts auch als Eingriffsnormen i. S. des Art. 34 EGBGB qualifiziert werden können8. Entscheidend für die Qualifikation als international zwingend soll nach wohl herrschender Meinung sein, ob aus gesamtstaatlicher Sicht in Deutschland für den jeweiligen Sachkomplex eine einheitliche Regelung gelten soll, die auf die Besonderheit des Auslandsbezugs keine Rücksicht nimmt9. Der Normzweck muss in der Durchsetzung inländischer ordnungspolitischer Vorstellungen liegen, die nicht zur Disposition der Parteiautonomie stehen10. Notwendig wird damit eine normspezifisch teleologische Abgrenzung danach, ob eine arbeitsvertragsrechtliche Norm auch11, bzw. nach anderer Ansicht überwiegend oder vorrangig12, dem Schutz überindividueller Gemeinwohlbelange zu dienen bestimmt ist13. Auf der Ebene der konkreten Anwendbarkeit einzelner Normen ist hier allerdings im Detail vieles umstritten14.
Bezogen auf das im Fokus dieser Arbeit stehende teleologische Verhältnis von arbeitsvertragsrechtlicher Unabdingbarkeit und der Unverzichtbarkeit arbeitsvertragsrechtlicher Ansprüche oder Rechte spitzt sich dieses Problemfeld auf die Frage zu, ob im Wege teleologischer Auslegung aus der gesetzgeberischen Anordnung der Unabdingbarkeit eine einzelvertragliche Unverzichtbarkeit auch dann gefolgert werden kann, wenn vertragstheoretische Rechtfertigungsgründe des Individualschutzes ein solches Ergebnis nicht tragen. Es fragt sich also, ob und inwieweit überindividuelle ordnungspolitische Erwägungen geeignet sind, eine allgemeine und eigenstän8 So auch BAG vom 12.12.2001 – 5 AZR 255/00 – AP EGBGB n. F. Art. 30 Nr. 10 [unter B. II. 1. der Gründe]. 9 So Staudinger - Magnus EGBGB Art. 30 Rn. 194. 10 ErfK - Schlachter EGBGB Art. 34 Rn. 16. 11 So BAG vom 12.12.2001 – 5 AZR 255/00 – AP EGBGB n. F. Art. 30 Nr. 10 [unter B. II. 1. der Gründe]. 12 So LAG Hessen vom 16.11.1999 – 4 Sa 463/99 – NZA-RR 2000, 401, 405 (Vorinstanz zu BAG vom 12.12.2001, vorherige Fn.); mit überzeugender Begründung ebenso Schlachter, Anm. zu BAG vom 12.12.2001 – 5 AZR 255/00 – AP EGBGB n. F. Art. 30 Nr. 10, [unter b)]; AR-Blattei SD (Franzen) Nr. 920 Rn. 118; Junker, Internationales Arbeitsrecht in der Praxis im Blickpunkt: Zwanzig Entscheidungen der Jahre 1994–2000, RIW 2001, 94, 103; vgl. auch Gamillscheg, Ein Gesetz über das internationale Arbeitsrecht, ZfA 1983, 307, 344 f. 13 Gamillscheg befürwortet insoweit eine Abgrenzung anhand der Indizien, „ob das Gesetz das Schutzanliegen so ernst nimmt, dass es seine Durchsetzung einer Behörde anvertraut, der Verzicht des Arbeitnehmers auf den Schutz unbeachtlich ist und das Schutzanliegen durch Strafvorschriften abgesichert wird oder ob es, bei aller Wichtigkeit des Anliegens, dem Arbeitnehmer überlassen bleibt, sein Recht vor Gericht selbst zu suchen,“ Gamillscheg, ZfA 1983, 307, 346, anders aber auf S. 360. 14 Einen Überblick zum Meinungsstand geben Palandt - Heldrich EGBGB EG Art. 34 Rn. 3b und ErfK - Schlachter EGBGB Art. 34 Rn. 17 f.
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6. Kap.: Unverzichtbarkeit wegen gemeinwohlschädlicher Folgewirkungen?
dige Rechtfertigung für die Nichtanerkennung eines privatrechtlichen Verzichts auf dem Gebiet des Arbeitsvertragsrechts zu liefern, die es im Rahmen der teleologischen Auslegung der Unabdingbarkeit zu beachten gilt15.
A. Einschränkung der individualvertraglichen Verzichtsbefugnis aus ordnungspolitischen Gründen I. Gesundheitspolitische Wohlfahrtserwägungen Vereinzelt werden für die teleologische Auslegung der Unabdingbarkeit individueller arbeitsvertragsrechtlicher Ansprüche oder Rechte auch sozialpolitisch motivierte, allgemeine Wohlfahrtserwägungen herangezogen16. Tendenzen dazu lassen sich insbesondere in Erwägungen eines nicht nur individuell, sondern auch wohlfahrtsökonomisch begründeten Gesundheitsschutzes finden, der in erster Linie auf mögliche gesamtgesellschaftliche Folgekosten durch wegen befürchteter Einkommenseinbußen verschleppter Krankheiten rekurriert. Die äußerst wechselvolle Geschichte der bis zum Inkrafttreten des § 4a EFZG ergangenen sog. „Anreiz“ – Rechtsprechung zur Zulässigkeit von an Entgeltfortzahlungszeiträumen anknüpfende Anwesenheitsprämien17 und die ältere Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum Urlaubsrecht liefern hier einige Beispiele18. Auch der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die grundsätzliche Erwägung, die Belastung der Allgemeinheit durch die Folgekosten individuell vermeidbarer Gesundheitsschäden rechtfertige gesetzgeberische Eingriffe in die individuelle Handlungsfreiheit, nicht fremd19. 15 Insoweit liegt eine Synchronisation der Frage der Einschränkung der individualvertraglichen Verzichtbarkeit arbeitsvertragsrechtlicher Rechte und Ansprüche aus ordnungspolitischen Erwägungen mit der Qualifikation als Eingriffsnorm i. S. des Art. 34 EGBGB nahe, vgl. auch Gamillscheg, ZfA 1983, 307, 346. 16 Bedenklich insoweit die Ausführungen des BAG zur gemeinwohlorientierten Zwecksetzung des Zuschusses zum Mutterschaftsgeld, BAG vom 12.12.2001 – 5 AZR 255/00 – AP EGBGB n. F. Art. 30 Nr. 10 [unter B. II. 2. a) der Gründe]. 17 Einen Überblick dazu gibt BAG vom 15.2.1990 – 6 AZR 381/88 – AP BGB § 611 Anwesenheitsprämie Nr. 15. Vgl. dazu auch Fenn/Bepler, Die Problematik der Anwesenheitsprämie – Abschied oder tarifvertragliche Renaissance?, RdA 1973, 218, 226 m. w. N. und insbesondere BAG vom 14.2.1967 – 1 ABR 7/66 – BAGE 19, 244 f. 18 BAG vom 26.10.1956 – 1 AZR 248/55 – BAGE 3, 215, 216; vgl. auch Winderlich, Der Urlaubszweck, AuR 1989, 300 f. m. w. N. 19 Vgl. dazu BVerfG vom 26.1.1982 – 1 BvR 1295/80, 201, 881, 1074, 1319/81 – BVerfGE 59, 275,279 (zur Verfassungsmäßigkeit einer bußgeldbewehrten Helmpflicht für Kradfahrer); kritisch dazu mit ausführlicher Begründung Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 101. BVerfG vom 9.3.1994 – 2 BvL 43/92
A. Einschränkung der individualvertraglichen Verzichtsbefugnis
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Ob der Gedanke eines überindividuellen Schutzes der so genannten „Volksgesundheit“ überhaupt geeignet sein kann, über aus paternalistisch individualschützenden Erwägungen eines präventiven Gesundheitsschutzes gerechtfertigte Eingriffe in individuelle Freiheiten hinausgehende Legitimationen für Freiheitseinschränkungen zu liefern, ist m. E. äußerst zweifelhaft, kann hier aber dahinstehen20. Jedenfalls im Rahmen der teleologischen Auslegung der Reichweite unabdingbaren Arbeitsvertragsrechts können fernliegende überindividuelle Auswirkungen allgemeiner Art keine generelle Einschränkung der individualvertraglichen Verzichtsfreiheit rechtfertigen21. Die individuelle Arbeitsvertragsfreiheit wäre ansonsten wegen der dem Arbeitsvertragsrecht stets immanenten sozialpolitischen Implikationen beliebigen Eingriffen durch den auslegenden Richter ausgesetzt; nahezu jedes Ergebnis würde durch einen vagen Rückgriff auf mögliche sozialschädliche Fernwirkungen „begründbar“22. Mit dem Vorverständnis vom Arbeitsrecht als Teil des Privatrechts ist eine derart unkritische Indienststellung individueller privatrechtlicher Positionen zum vermeintlichen und abstrakten Wohle des Gemeinwesens nicht vereinbar23. Soweit sich für eine explizit auch gemeinwohlschützende Regelungsabsicht des Gesetzgebers mit der Norm im jeweiligen Gesetz kein tragfähiger Anhaltspunkt findet24, wird man für eine extensive teleologischen Auslegung der Unabdingbarkeitsreichweite zumindest eine besonders enge und unmittelbare Verzahnung des jeweiligen Rechts oder Anspruchs mit öffentlichen Interessen fordern müssen, wie dies etwa bei unmittelbaren sozialversicherungsrechtlichen Folgen25 eines privatrechtlichen Verzichtsvertrages denkbar sein kann. Ein allgemeiner Rekurs auf mögliche Beeinträchtigungen von Gemeinwohlinteressen, wie dem Schutz der sog. „Volksgesundheit“, kann deshalb im Arbeitsvertragsrecht keine rechtlich tragfähige Begründung für eine extensive Auslegung der Unabdingbarkeitswirkung geben. – NJW 1994, 1577, 1580 ff. (zur Verfassungsmäßigkeit der Strafbarkeit des unerlaubten Umgangs mit Cannabis-Produkten). 20 Kritisch dazu vor allem Enderlein, S. 478 f. und S. 153 f. und auch Hillgruber, S. 162 ff. 21 Insofern kann auf die Abgrenzung von einfach zwingenden und international zwingenden Normen i. S. des Art. 34 EGBGB zurückgegriffen werden, vgl. dazu bereits den Einschub oben. 22 Vgl. Schlachter, Anm. zu BAG vom 12.12.2001 – 5 AZR 255/00 – AP EGBGB n. F. Art. 30 Nr. 10 [unter 4. b)]. 23 Enderlein, S. 153. 24 Regelmäßig der Fall ist dies im hier nicht näher zu thematisierenden, zumeist öffentlich-rechtlich ausgestaltetem Arbeitsschutzrecht, bzw. bei Strafbewährung von Abweichungen von der gesetzlichen Schutzkonzeption, wie dies in teilen des Mutterschutzrechts der Fall ist (vgl. § 21 MuSchG). 25 Dazu näher im 6. Kapitel: A. IV.
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6. Kap.: Unverzichtbarkeit wegen gemeinwohlschädlicher Folgewirkungen?
II. Diskriminierungsschutz in der Teilzeitarbeit 1. Die Sonderrolle der Teilzeitbeschäftigten in der Teleologie des Arbeitnehmerschutzes Die Dichotomie der vertragstheoretischen Legitimation zwingenden Arbeitsvertragsrechts orientiert sich in beiden Zweigen an der Vorstellung vom Vollzeitarbeitsverhältnis26. Weil der Arbeitgeber die volle Arbeitskraft des Arbeitnehmers beansprucht, wird ihm über das Äquivalenzprinzip hinaus auch ein Teil des allgemeinen Lebensrisikos des Arbeitnehmers aufgebürdet27. Hinsichtlich der paternalistischen Rechtfertigung kann ein individuelles Schutzbedürfnis zweifelhaft werden, wenn sich aufgrund des geringen zeitlichen Umfangs der abhängigen Tätigkeit die Qualität des in der Eingehung des Arbeitsverhältnisses liegenden Freiheitsverzichts nicht mehr wesentlich von Freiheitseinschränkungen durch dienst- oder werkvertragliche Beziehungen unterscheidet28. In der unterlegenheitsspezifischen Rechtfertigung ist es die Vorstellung von der typischerweise gegebenen existenziellen wirtschaftlichen Abhängigkeit des Arbeitnehmers von einem einzigen konkreten Arbeitsverhältnis, die es rechtfertigt, dem Arbeitgeber über das vertragliche Synallagma hinausgehende Pflichten gegenüber dem Arbeitnehmer aufzubürden. Zwar dürfte sich ein arbeitnehmerspezifisches Schutzbedürfnis regelmäßig auch in Arbeitsverhältnissen deutlich unterhalb der Regelvollzeitarbeitszeit feststellen lassen29. Darüber hinaus dürfte auch eine allgemeingültige und trennscharfe Abgrenzung, etwa nach einer starren Stundengrenze, zu nicht mehr schutzbedürftigen Arbeitsverhältnissen teleologisch kaum begründbar sein30. Dazu sind die realen Lebensumstände, in denen 26
Vgl. dazu Lieb, Arbeitsrecht, § 1 Rn. 15. Wank, Arbeitnehmer und Selbständige, S. 222. 28 Vgl. Lieb Arbeitsrecht, a. a. O. und ders., Die Schutzbedürftigkeit arbeitnehmerähnlicher Personen, RdA 1974, 257, 260. 29 Ausführlich dazu Wank, a. a. O., S. 212 ff., der in einer ersten Annäherung zwischen mehr und weniger als halbtags Beschäftigten unterscheidet. 30 Fragwürdig erscheint insbesondere das Rechenwerk von Beuthien/Wehler, Stellung und Schutz der freien Mitarbeiter im Arbeitsrecht, RdA 1978, 2, 7, die ausgehend von einer täglichen körperlichen Maximalarbeitszeit von zehn Stunden und der 40-Stunden-Woche als Regelfall eines Vollzeitarbeitsplatzes eine arbeitsrechtspezifische Schutzbedürftigkeit bei einer regelmäßigen Arbeitszeit von weniger als zwei Stunden täglich bzw. zehn Stunden wöchentlich oder 40 Stunden monatlich verneinen. Einen ähnlichen Schwellenwert sah mit zehn Stunden wöchentlich und 45 Stunden monatlich auch § 1 Abs. 3 Nr. 2 LFZG als Voraussetzung für einen Lohnfortzahlungsanspruch von Arbeitern vor; vgl. dazu Kehrmann/Pelikan LFZG (2. Aufl. 1973) § 1 Rn. 25 f. 27
A. Einschränkung der individualvertraglichen Verzichtsbefugnis
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sich Teilzeitbeschäftigte befinden, zu unterschiedlich31. Dennoch ändert dies nichts am prinzipiellen teleologischen Zusammenhang zwischen der vertragstheoretischen Legitimierbarkeit zwingenden Arbeitsvertragsrechts und der zeitlichen und wirtschaftlichen Bedeutung des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitnehmer. In Teilzeitarbeitsverhältnissen nur geringfügigen zeitlichen Umfangs kann deshalb ein arbeitnehmerspezifisches Schutzbedürfnis prinzipiell zweifelhaft werden32. Im Umkehrschluss bedeutet das im Einzelfall mögliche Fehlen eines individuellen arbeitsrechtlichen Schutzbedürfnisses im Bereich der nur in geringem Umfang Teilzeitbeschäftigten, dass es an einer vertragstheoretisch begründbaren Legitimation für die Unabdingbarkeit gesetzlicher Normen des Arbeitsvertragsrechts fehlen kann33. Ausgehend vom Primat der Vertragsfreiheit müsste dann sowohl ein Vorausverzicht, bzw. eine teleologische Reduktion der Unabdingbarkeitswirkung, als auch ein nachträglicher Verzicht auf entstandene Ansprüche oder Rechte zivilrechtlich zulässig und wirksam sein34. Im Sozialversicherungsrecht hat der Gesetzgeber dem tendenziell geringeren Schutzbedürfnis durch die Regelungen zur Sozialversicherungsfreiheit geringfügiger Beschäftigungen nach § 8 SGB IV Rechnung getragen. Der Schutz durch das geltende Arbeitsvertragsrecht35 kennt demgegenüber keine Differenzierungen nach dem zeitlichen Umfang der Tätigkeit36. Auch der verbeamtete Studienrat mit Vollzeitbeschäftigung an einer Schule, der zwei Wochenstunden nebenberuflichen Unterricht an einem Abendgymnasium erteilt, genießt – zumindest nach den Buchstaben des geltenden gesetzlichen Arbeitsvertragsrechts – in seiner nebenberuflichen Beschäftigung den gleichen arbeitsrechtlichen Schutz37. Lehnt man die zivilrechtliche Wirksamkeit eines Verzichts auf zwingende gesetzliche Ansprüche des Arbeitsvertragsrechts gleichwohl ab, so kann eine Legitimation des darin liegenden weiter31
Vgl. Wank, a. a. O., S. 216 ff. Wank, a. a. O., S. 223 f.; ders., Die Teilzeitbeschäftigung im Arbeitsrecht, RdA 1985, 1, 18. 33 Eingehend dazu Wank, Arbeitnehmer und Selbständige, S. 205 ff. 34 Däubler, Das Arbeitsrecht 2, S. 960, Rn. 1918, will dem schon im Ansatz dadurch begegnen, dass er die grundsätzliche Zulässigkeit des Angebots von Teilzeitstellen aus sozialordnungspolitischen Gründen vom Vorliegen eines sachlichen Grundes ähnlich wie im Befristungsrecht abhängig machen will. 35 Anders noch § 1 Abs. 2 Nr. 2 LFZG. 36 MünchArbR - Schüren § 161 Rn. 20. 37 Einen Überblick dazu gibt Wank, Arbeitnehmer und Selbständige, S. 207; vgl. insb. BAG vom 13.3.1987 – 7 AZR 724/85 – AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 37; krit. dazu MünchArbR - Wank § 116 Rn. 33; Hahn, Kündigungsschutz für nicht Schutzbedürftige?, DB 1015, 1016, der die Anwendbarkeit des KSchG vor dem Hintergrund einer „ungeschriebenen Präambel“ der wirtschaftlichsozialen Schutzbedürftigkeit beurteilen möchte. 32
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6. Kap.: Unverzichtbarkeit wegen gemeinwohlschädlicher Folgewirkungen?
gehenden Eingriffs in die Vertragsfreiheit letztlich nur aus externen, ordnungspolitischen Gründen in Betracht kommen. Für den Bereich der Teilzeitarbeit stellt sich damit besonders die Frage, ob der Gedanke des Diskriminierungsschutzes einem einzelvertraglichen Verzicht des Teilzeitbeschäftigten auf unabdingbare gesetzliche Rechte oder Ansprüche des Arbeitsvertragsrechts prinzipiell entgegenstehen kann. 2. Diskriminierungsverbot des § 4 Abs. 1 Satz 1 TzBfG § 4 Abs. 1 Satz 1 TzBfG verbietet die schlechtere Behandlung eines teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmers gegenüber einem vergleichbaren vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmer „wegen der Teilzeitarbeit“, soweit die unterschiedliche Behandlung nicht durch sachliche Gründe gerechtfertigt ist. Sein sachlicher Geltungsbereich erfasst das gesamte rechtserhebliche Handeln des Arbeitgebers gegenüber seinen Arbeitnehmern und erstreckt sich damit sowohl auf einseitige Maßnahmen als auch auf vertragliche Regelungen38. Vom Anwendungsbereich umfasst sind damit grundsätzlich auch einzelvertragliche Verzichtsvereinbarungen39. Die Tatbestandsstruktur des § 4 Abs. 1 Satz 1 TzBfG enthält allerdings kein absolutes Gleichstellungsgebot40. Im Rahmen einer zweistufigen Prüfung ist zunächst zu hinterfragen, ob die Ungleichbehandlung kausal wegen der Teilzeitarbeit erfolgt. Erst wenn diese Kausalität zu bejahen ist, stellt sich die weitere Frage, ob die festgestellte Ungleichbehandlung gleichwohl durch sachliche Gründe gerechtfertigt werden kann41. In der Rechtspraxis sind die Grenzen dieser Tatbestandsmerkmale jedoch fließend42. Eine Schlechterstellung „wegen der Teilzeitarbeit“ liegt immer dann vor, wenn allein die Dauer der Arbeitszeit zum Anknüpfungspunkt für eine relative Schlechterstellung des Teilzeitbeschäftigten im Rahmen des vertraglichen Synallagmas gemacht wird. Eine Regelung, die die Höhe des Arbeitsentgelts (pro rata temporis) oder andere im Äquivalenzverhältnis des Arbeitsvertrages stehende Leistungen von der Dauer der Arbeitszeit abhän38 Statt vieler ErfK - Preis TzBfG § 4 Rn. 19 m.w.N; BAG vom 25.1.1989 – 5 AZR 161/88 – AP § 2 BeschFG Nr. 2. 39 Anders allerdings wohl noch von Hoyningen-Huene, Das Beschäftigungsförderungsgesetz 1985, NJW 1985, 1803. 40 Vgl. ErfK - Preis TzBfG § 4 Rn. 33; Oetker, Anm. zu BAG vom 26.9.1990 – 5 AZR 112/90 – EzA BeschFG 1985 § 2 Nr. 7, S. 12. 41 BAG vom 29.1.1992 – 5 AZR 518/90 – AP § 2 BeschFG1985 Nr. 18. [unter B. II. 3. b) der Gründe]. 42 So auch BAG vom 25.1.1989 – 5 AZR 161/88 – AP § 2 BeschFG Nr. 2; ErfK - Preis TzBfG § 4 Rn. 28 f.
A. Einschränkung der individualvertraglichen Verzichtsbefugnis
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gig macht, dürfte damit stets als Diskriminierung wegen der Teilzeitarbeit und damit als kausal anzusehen sein43. Andererseits soll eine Ungleichbehandlung der Teilzeitbeschäftigten insbesondere im Bereich des Arbeitsschutzrechts zulässig sein, wenn sie nicht „wegen der Teilzeitarbeit“, sondern deshalb erfolgt, weil besondere Belastungen aufgrund der kürzeren Arbeitszeit nicht im gleichen Maße auftreten wie bei Vollzeitbeschäftigten44. Zulässige Differenzierungsgründe können ausweislich der amtlichen Gesetzesbegründung45 weiter auf unterschiedlicher Arbeitsbelastung, Qualifikation, Berufserfahrung oder unterschiedlichen Anforderungen am Arbeitsplatz beruhen46. Wirkt sich die Differenzierung im Bereich der Vergütung und damit unmittelbar auf das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung aus, kommt eine zulässige Ungleichbehandlung allerdings nur in Betracht, wenn etwa die besonderen Anforderungen oder Erschwernisse, um deren Ausgleich es geht, bei den vergleichbaren Teilzeitkräften selbst anteilig nicht gegeben sind47. Insbesondere Ansprüche auf sozialschutzmotivierte Nebenansprüche des Arbeitsvertragsrechts wie etwa Entgeltfortzahlung oder bezahlter Erholungsurlaub bewegen sich hier in einem Grenzbereich, da ihnen neben ihren spezifischen Schutzzwecken auch Vergütungscharakter zukommt. Insoweit ergeben sich gerade in diesem Bereich im Einzelfall und auch anspruchsspezifisch schwierige Abgrenzungsfragen48, denen im Rahmen dieser Arbeit nicht weiter nachgegangen werden kann. Für die Frage der Kompatibilität der einzelvertraglichen Verzichtbarkeit unabdingbarer Rechte und Ansprüche des gesetzlichen Arbeitsvertragsrechts mit dem Diskriminierungsschutz für Teilzeitbeschäftigte liegt ein entscheidender Gesichtspunkt m. E. darin, dass die Rechtfertigung einer extensiven Auslegung der Unabdingbarkeitswirkung primär nach der Schutzbedürftigkeit des betroffenen Arbeitnehmers fragt. Und darin liegt im Rahmen des § 4 Abs. 1 Satz 1 TzBfG ein prinzipiell zulässiger sachlicher Grund für eine Ungleichbehandlung. Da und wenn das Diskriminierungsverbot des 43 Vgl. BAG vom 30.9.1998 – 5 AZR 18/98 – AP BeschFG 1985 § 2 Nr. 70; BAG vom 29.1.1992 – 5 AZR 518/90 – AP § 2 BeschFG1985 Nr. 18. 44 BAG 6. Senat, Urteil vom 9.2.1989 – 6 AZR 174/87 – AP BeschFG 1985 § 2 Nr. 4 [unter B. II. 5. e) aa) der Gründe]. 45 So die nicht abschließende Aufzählung in der Amtliche Begründung für den Regierungsentwurf zum BeschFG 1985, BT-Drucks. 10/2102, S. 24. 46 Oetker, Anm. zu BAG vom 26.9.1990 – 5 AZR 112/90 – EzA BeschFG 1985 § 2 Nr. 7, S. 13 m. w. N. 47 BAG vom 30.9.1998 – 5 AZR 18/98 – AP BeschFG 1985 Nr. 70 [unter II. 5. der Gründe]. 48 Vgl. auch Wank, Die Teilzeitbeschäftigung im Arbeitsrecht, RdA 1985, 1, 15, 18, 22.
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6. Kap.: Unverzichtbarkeit wegen gemeinwohlschädlicher Folgewirkungen?
§ 4 Abs. 1 Satz 1 TzBfG wegen seines Kausalitätserfordernisses und der Möglichkeit einer gerechtfertigten Ungleichbehandlung gerade kein absolutes Gleichstellungsgebot enthalten soll49, so darf eine Vertragsgestaltung nicht allein deshalb unzulässig sein, weil sie ein Teilzeitarbeitsverhältnis betrifft. Eine anlässlich eines geringfügigen Teilzeitarbeitsverhältnisses individuell feststellbare geringere Schutzbedürftigkeit durch zwingendes Arbeitsvertragsrecht ist deshalb keine ungerechtfertigte Benachteiligung „wegen der Teilzeitarbeit“. Wenn man mit der hier vertretenen Ansicht auch im Vollzeitarbeitsverhältnis die die Unverzichtbarkeit tragende Unterlegenheitsvermutung für widerlegbar hält, so muss dies auch im Teilzeitarbeitsverhältnis prinzipiell möglich sein. Der mögliche Fortfall eines zusätzlich auch freiheitsmaximierend-paternalistisch legitimierten Verzichtsschutzes in Teilzeitarbeitsverhältnissen geringen zeitlichen Umfangs ändert daran nichts. Soweit für in geringem Umfang Teilzeitbeschäftigte der in der Unabdingbarkeitswirkung liegende Eingriff in die arbeitsvertragsrechtliche Verzichtsfreiheit nicht mehr individuell vertragstheoretisch gerechtfertigt werden kann, steht auch das Diskriminierungsverbot des § 4 Abs. 1 Satz 1 TzBfG einer einzelvertraglichen Verzichtsvereinbarung über unabdingbare gesetzliche Ansprüche oder Rechte nicht entgegen. 3. Verbot geschlechtsspezifischer Diskriminierung Die rechtliche Zulässigkeit einer unterschiedlichen Behandlung geringfügig teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer wirft neben den Fragen der Kompatibilität mit dem Diskriminierungsverbot des § 4 Abs. 1 Satz 1 TzBfG auch die Frage auf, ob die Zulassung einzelvertraglicher Verzichtsvereinbarungen mit dem Verbot – auch mittelbarer – geschlechtsspezifischer Diskriminierungen kollidiert50. Teilzeitarbeit – insbesondere zeitlich geringfügige – wird traditionell und bis heute in erster Linie von Frauen geleistet51. Noch im Jahr 2005 waren in Deutschland 40,8% der erwerbstätigen Frauen teilzeitbeschäftigt, während sich dieser Anteil unter den erwerbstätigen Männern zwar gegenüber 1995 fast verdoppelt hatte, mit 6,1% aber immer noch signifikant 49 Oetker, Anm. zu BAG vom 26.9.1990 – 5 AZR 112/90 – EzA BeschFG 1985 § 2 Nr. 7, S. 12 m. w. N. zur Entstehungsgeschichte der Vorläufernorm des Art. 1 § 2 Abs. 1. BeschFG 1985. 50 Vgl. zum Verhältnis der Diskriminierungsverbote von § 4 Abs. 1 Satz 1 TzBfG und § 612 Abs. 3 BGB bzw. Art. 141 EGV ErfK - Preis BGB § 612 Rn. 46, 48. 51 Vgl. auch das der Entscheidung des BAG zur Anwendbarkeit des § 1 Abs. 3 Nr. 2 LFZG zu Grunde gelegte statistische Material, BAG vom 9.10.1991 – 5 AZR 598/90 – AP LohnFG § 1 Nr. 95.
A. Einschränkung der individualvertraglichen Verzichtsbefugnis
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geringer ist52. Entsprechend ist auch die Zulässigkeit des Ausschlusses der geringfügig Teilzeitbeschäftigten vom gesetzlichen Lohnfortzahlungsanspruch durch den früheren § 1 Abs. 3 Nr. 2 LFZG unter dem Aspekt der Unzulässigkeit einer mittelbar geschlechtsspezifischen Diskriminierung diskutiert worden53. Vor dem Hintergrund des Entgeltcharakters der Lohnfortzahlung hatte der Gerichtshof der europäischen Gemeinschaften (EuGH)54 auf Vorlage des Arbeitsgerichts Oldenburg zu entscheiden, ob die Regelung des § 1 Abs. 3 Nr. 2 des deutschen Lohnfortzahlungsgesetzes mit dem Grundsatz der Entgeltgleichheit aus Art. 119 EWG-Vertrag (heute Art. 141 EGV) und der Richtlinie 75/117 des Rates zur Auslegung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Anwendung des Grundsatzes gleichen Entgelts für Männer und Frauen vereinbar ist. Der EuGH hat aus dem Umstand, dass prozentual erheblich weniger Frauen als Männer die wöchentliche oder monatliche Mindestzahl an Arbeitsstunden leisten, die nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 LFZG Voraussetzung für den Anspruch auf Lohnfortzahlung waren, zwar gefolgert, dass eine solche Bestimmung zwar im Ergebnis die weiblichen gegenüber den männlichen Arbeitern diskriminiert und grundsätzlich im Widerspruch zur Zielsetzung des Art. 119 EWG-Vertrag steht. Er hat jedoch einer Rechtfertigung der unterschiedlichen Behandlung der beiden Arbeitnehmerkategorien durch objektive Faktoren, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben, für möglich gehalten, wenn der Mitgliedsstaat dies darlege55. Daraufhin haben zunächst verschiedene Arbeitsgerichte56 und schließlich das Bundesarbeitsgericht57 Arbeitgeber von geringfügig beschäftigten Arbeitern zur Lohnfortzahlung im Krankheitsfall verurteilt, weil die Ausnahmevorschrift des § 1 Abs. 3 Nr. 2 LFZG wegen Verstoßes gegen höherrangiges Recht nicht anzuwenden sei. Insbesondere hat das Bundesarbeitsgericht eine Rechtfertigung der Vorschrift des § 1 Abs. 3 Nr. 2 LFZG durch eine geringere soziale Schutzbedürftigkeit dieser Gruppe abgelehnt58. In weiteren Entscheidungen hat das Bundesarbeitsgericht diese Einschätzung bestätigt59.
An der grundsätzlichen Richtigkeit der ausführlich begründeten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zur Vereinbarkeit der Ausnahme gering52 Zahlen aus dem Bericht der EU-Kommission zur Gleichstellung von Frau und Mann 2005, zitiert aus Böcklerimpuls 3/2005, S. 6, www.boecklerimpuls.de. 53 Einen knappen Überblick über die Rechtsprechungsentwicklung geben Buschmann/Dieball/Stevens-Bartol – TzA EFZG § 3 Rn. 4 f. 54 EuGH vom 13.7.1989 – Rs 171/88 – AP EWG-Vertrag Art. 119 Nr. 16. 55 EuGH vom 13.7.1989 – Rs 171/88 – AP EWG-Vertrag Art. 119 Nr. 16 (Abs.-Nr. 11 f.). 56 Vgl. die Nachweise bei Buschmann/Dieball/Stevens-Bartol – TzA EFZG § 3 Rn. 4. 57 BAG vom 9.10.1991 – 5 AZR 598/90 – AP LohnFG § 1 Nr. 95. 58 BAG vom 9.10.1991 – 5 AZR 598/90 – AP LohnFG § 1 Nr. 95 [unter II. 4. c) der Gründe]. 59 BAG vom 26.2.1992 – 5 AZR 225/91 – JURIS KARE 386600429; BAG vom 7.7.1993 – 5 AZR 609/92 – JURIS KARE 411570703.
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6. Kap.: Unverzichtbarkeit wegen gemeinwohlschädlicher Folgewirkungen?
fügig beschäftigter Arbeiter von der gesetzlichen Lohnfortzahlung mit dem Grundsatz der Entgeltgleichheit von Mann und Frau kann kein Zweifel bestehen. Dennoch sind die dort für die gesetzliche Regelung des alten Lohnfortzahlungsgesetzes getroffenen Aussagen auf die hier interessierende Frage der Vereinbarkeit eines einzelvertraglichen Verzichts mit dem gesellschaftspolitischen Anliegen des geschlechtsspezifischen Diskriminierungsschutzes nur eingeschränkt übertragbar. Zwar ist auch der einzelne Arbeitgeber als Partei einer Verzichtsvereinbarung über entgeltliche Sonderleistungen außerhalb des unmittelbaren vertraglichen Synallagmas60 wie z. B. dem Entgeltfortzahlungsanspruch Adressat des Lohngleichheitsgebots des § 612 Abs. 3 BGB bzw. sekundär auch des insoweit inhaltsgleichen Art. 141 EGV61. Aus dem Befund, dass eine abstrakt-generelle gesetzliche Ausnahme geringfügig Teilzeitbeschäftigter von gesetzlichen Nebenleistungsansprüchen mit Entgeltcharakter zu nicht legitimierbaren geschlechtsspezifischen Diskriminierungen mittelbarer Art i. S. des Art. 141 EGV führt, kann jedoch nicht abgeleitet werden, dass eine an der individuellen Schutzbedürftigkeit orientierte Rechtfertigung auch für den einzelvertraglichen Verzichtsvertrag ausgeschlossen sein muss. Es ist sicher zutreffend, dass vielen Arbeitnehmern als einzig reale Möglichkeit der Erwerbstätigkeit nur ein Teilzeitarbeitsverhältnis verbleibt und auch das durch geringfügige Teilzeitarbeit erzielte Einkommen – und damit auch das im Krankheitsfall fortzuzahlende Entgelt – in vielen Fällen als unverzichtbarer Teil des existenzsichernden Einkommens der Familie als „Bedarfsgemeinschaft“ dient62. Solche Arbeitnehmer – bzw. in der weit überwiegenden Zahl eben solche Arbeitnehmerinnen – sind selbstverständlich nicht weniger sozial schutzwürdig als Vollzeitbeschäftigte. Dies gilt insbesondere, wenn der Lebensunterhalt durch mehrere geringfügige Teilzeitbeschäftigungen nebeneinander erwirtschaftet wird63. Wenn aber in der Person des konkreten Arbeitnehmers oder der konkreten Arbeitnehmerin kein unterlegenheitsspezifisches Schutzbedürfnis besteht, so kann man in der Zulassung der rechtlichen Möglichkeit der Abweichung durch individualver60
Der Vergütungsbegriff i. S. des § 612 Abs. 3 BGB und des Art. 141 EGV ist weit zu verstehen und erfasst auch außerhalb des Gegenseitigkeitsverhältnisses stehende Leistung, dazu ErfK - Preis BGB § 620 Rn. 51; ErfK - Schlachter EG Art. 141 (ex-Art. 119) Rn. 6 f. mit zahlreichen Nachweisen. 61 Dazu ErfK - Schlachter EG Art. 141 (ex-Art. 119) Rn. 2 f.; zum Anwendungsvorrang der nationalen Norm des § 612 Abs. 3 BGB ErfK - Preis BGB § 612 Rn. 46. 62 BAG vom 9.10.1991 – 5 AZR 598/90 – AP LohnFG § 1 Nr. 95 [unter II. 4. c) der Gründe]. 63 Nach dem alten Lohnfortzahlungsgesetz entfiel dann im Krankheitsfall jeder arbeitsrechtliche Entgeltfortzahlungsanspruch; vgl. Kehrmann/Pelikan LFZG (2. Aufl. 1973) § 1 Rn. 25.
A. Einschränkung der individualvertraglichen Verzichtsbefugnis
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traglichen Verzichtsvertrag (auch) im Bereich der geringfügigen Teilzeitarbeit schwerlich eine ungerechtfertigte mittelbare geschlechtsspezifische Benachteiligung sehen. Das Ergebnis wäre paradox und zugleich auch mit der Gefahr eines Zirkelschlusses behaftet: Man müsste eine Verzichtsvereinbarung des geringfügig beschäftigten männlichen Arbeitnehmers auf gesetzliche Ansprüche wie Entgeltfortzahlung oder Urlaubsentgelt bei und wegen fehlender unterlegenheitsspezifischer Schutzbedürftigkeit zulassen, ihre Zulässigkeit jedoch bei Frauen ablehnen, weil in Summe betrachtet die Voraussetzungen für die Anerkennung des Verzichtsvertrages überwiegend bei Frauen vorliegen dürften. Die unmittelbar unterschiedliche Behandlung der Verzichtsfreiheit von Männern und Frauen dürfte jedoch mit dem Gedanken der Gleichberechtigung der Geschlechter erst recht nicht vereinbar sein. 4. Zwischenergebnis Der besonders im Recht der Teilzeitarbeit präsente Gedanke des Diskriminierungsschutzes liefert für die teleologische Auslegung der Reichweite der Unabdingbarkeitswirkung arbeitsvertragsrechtlicher Normen keine eigenständige und weitergehende Legitimation der Einschränkung der Verzichtsfreiheit. Zwar können im Bereich der Teilzeitarbeitsverhältnisse sehr geringen zeitlichen Umfangs paternalistische Rechtfertigungsgründe als teleologische Legitimation der Unabdingbarkeitswirkung zweifelhaft werden. Konsequenz ist, dass auch im paternalistischen Zweig der Rechtfertigung der Unabdingbarkeit ein Vorausverzicht bzw. eine teleologische Reduktion der Unabdingbarkeitswirkung denkbar sein kann. Auf den unterlegenheitsspezifischen Zweig wirkt sich dies jedoch nicht aus. Da und wenn die Unterlegenheitsvermutung als weitere Rechtfertigung der arbeitsrechtlichen Unabdingbarkeit prinzipiell widerlegbar ist, so kann im Teilzeitarbeitsverhältnis nichts anderes als im Vollzeitarbeitsverhältnis gelten64. Auch im Teilzeitarbeitsverhältnis ist deshalb eine die einzelvertragliche Unverzichtbarkeit rechtfertigende Unterlegenheit des Arbeitnehmers bei Eingehung und während des laufenden Arbeitsverhältnisses stets zu vermuten – aber auch unter den gleichen Maßgaben wie im Vollzeitarbeitsverhältnis widerlegbar65. Dieses Procedere dürfte damit in hohem Maße kompatibel sein mit den Anforderungen, die an die Prüfung der Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung zu stellen sind66. 64 Vgl. zum Argument der Gleichbehandlung von Vollzeit- und Teilzeitarbeitsverhältnis auch BAG vom 9.10.1991 – 5 AZR 598/90 – AP LohnFG § 1 Nr. 95 [unter II. 4. c der Gründe]. 65 Näher dazu im 5. Kapitel: E. II. 2. 66 Vgl. dazu ErfK - Preis BGB § 612 Rn. 66 f.; ErfK - Schlachter EG Art. 141 (ex-Art. 119) Rn. 21, 23.
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6. Kap.: Unverzichtbarkeit wegen gemeinwohlschädlicher Folgewirkungen?
Eine eigenständige Rechtfertigung für eine absolute einzelvertragliche Unverzichtbarkeit unabdingbarer gesetzlicher Normen des Arbeitsvertragsrechts kann in den Diskriminierungsverboten der §§ 4 Abs. 1 Satz 1 TzBfG und 612 Abs. 3 BGB sowie in Art. 141 EGV nicht gesehen werden.
III. Beschäftigungspolitische Ordnungskonzepte Einzelvertragliche Verzichtsvereinbarungen können mit an der Förderung von Normalarbeitsverhältnissen ausgerichteten beschäftigungspolitischen Intentionen des Gesetzgebers konfligieren, wenn sie durch Absenkung der individuellen Arbeitskosten zu einer verdrängenden Konkurrenz führen. Theoretisch denkbar sind derartige Erwägungen in Vollzeit- und Teilzeitarbeitsverhältnissen gleichermaßen67; eine praktische Relevanz scheint aber von vornherein allenfalls im Hinblick auf die Möglichkeit eines Vorausverzichts aufgrund eines eingeschränkten Verzichtsschutzes aus paternalistischen Erwägungen bei im Nebenberuf oder nur in geringem zeitlichen Umfang ausgeübten Teilzeitarbeitsverhältnissen möglich68. Insbesondere Neuhausen ist der Ansicht, die wirtschaftliche und soziale Unabhängigkeit des Arbeitnehmers könne auch in derartigen Fällen keinen objektiv sachlichen Grund für eine Verzichtbarkeit liefern, weil der Aspekt der Verteilungsgerechtigkeit der Arbeitsplätze verletzt werde, wenn der Konkurrenzvorteil einer geringeren Schutzbedürftigkeit Berücksichtigung fände69. Die möglichen mittelbaren Auswirkungen der Zulassung von Ausnahmen vom arbeitsvertraglichen Unabdingbarkeitsschutz und damit die beschäftigungspolitische Erwägung, Ausweichstrategien der Arbeitsplatzanbieter in weniger kostenträchtige atypische Arbeitsverhältnisse entgegenzutreten, rückt hier als denkbare Legitimation der Unabdingbarkeitswirkung ins Blickfeld70. Sie gilt es im Folgenden kritisch zu hinterfragen. Hinsichtlich der grundsätzlichen Befugnis des Gesetzgebers zu beschäftigungspolitisch motivierten Eingriffen in die Arbeitsvertragsfreiheit bestehen insoweit selbst dann keine durchgreifenden Bedenken, wenn allenfalls die 67 Zum arbeitsrechtlichen Schutzbedürfnis in Teilzeitarbeitsverhältnissen sogleich näher im 6. Kapitel: A. II. 1. 68 Vgl. Staudinger - Preis BGB § 620 Rn. 68; MünchArbR - Wank § 116 Rn. 33; Wank, Arbeitnehmer und Selbständige, S. 207, 221 ff. 69 Neuhausen, Der im voraus erklärte Verzicht des Arbeitnehmers auf Kündigungsschutz, Diss. Uni Köln 1992, S. 126, 128 (zur Möglichkeit eines Vorausverzichts auf Kündigungsschutz. bei geringfügig nebenberuflich tätigen Arbeitnehmern). 70 Wank, Arbeitnehmer und Selbständige, S. 227; vgl. auch Thüsing, Arbeitsrecht zwischen Markt und Arbeitnehmerschutz, NJW 2004, 2576 ff.
A. Einschränkung der individualvertraglichen Verzichtsbefugnis
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mittelbaren Auswirkungen eines solchen Eingriffs von beschäftigungspolitischer Relevanz sein können71. Da die staatlichen Ressourcen für die Schaffung von Arbeitsplätzen im öffentlichen Sektor eng begrenzt sind und dieser Weg der Beschäftigungsförderung zudem auch wirtschaftspolitisch höchst problematisch ist, ist staatliche Beschäftigungspolitik in einer marktwirtschaftlichen Umgebung notwendig darauf angewiesen, ihre politischen Ziele über den „Umweg“ der gesetzlichen Gestaltung der privatrechtlichen und auch sozialversicherungsrechtlichen Rahmenbedingungen abhängiger Beschäftigungen zu verwirklichen. Sie kann in weiten Bereichen nicht wirkungsvoll über unmittelbar wirkende öffentlich-rechtliche Normen, sondern letztlich nur über rechtliche Anreize für privatrechtliche Gestaltungsoptionen und Entscheidungen agieren. Mittelbare Steuerungsinstrumente der Beschäftigungspolitik setzen daher im Bereich des Arbeitsvertragsrechts in erster Linie an den Auswirkungen zwingenden Arbeitsvertragsrechts auf die Arbeitskosten an72. Die Anwendung derart mittelbar wirkender Instrumentarien der Beschäftigungsförderung durch den Gesetzgeber ist dabei grundsätzlich legitim und auch in dieser Hinsicht ist sein Gestaltungsspielraum relativ weit73. Soweit Beschäftigungspolitik in Verfolgung der wirtschaftspolitischen These, eine Absenkung der Arbeitskosten erhöhe die Zahl der angebotenen Arbeitsplätze, nur das gesetzliche Schutzniveau und die damit einhergehenden Kosten durch zwingende arbeitsvertragsrechtliche Normen reduziert74, tangiert dies die Frage der Reichweite der gesetzlich angeordneten Unabdingbarkeit allerdings nicht.
Beschäftigungspolitische Erwägungen waren es auch, die den Gesetzgeber im April 1999 zur Einschränkung der Sozialversicherungsfreiheit geringfügiger Beschäftigungen veranlasst haben. Die als gemeinwohlschädlich betrachtete „Flucht aus dem Normalarbeitsverhältnis“ mit Sozialversicherungspflicht zugunsten nebenberuflicher geringfügiger Beschäftigungen auf 630 DM-Basis sollte zugunsten der Schaffung von sozialversicherungspflichtigen Vollzeit- oder Teilzeitarbeitsplätzen gebremst werden75. Mit den 71 Vgl. dazu BVerfG vom 3.4.2001 – 1 BvL. 32/97 – BVerfGE 103, 293, 295 f., 307 f. und insbesondere BVerfG vom 18.11.2003 – 1 BvR 302/96, NZA 2004, 33, 37 (zur Verfassungswidrigkeit der ausgleichslosen Verpflichtung des Arbeitgebers zur Zahlung des Zuschusses zum Mutterschaftsgeld nach § 14 Abs. 1 MuSchG wegen seiner möglichen mittelbaren Wirkung als Einstellungshemmnis für Frauen). 72 Instruktiv dazu BVerfG vom 3.4.2001 – 1 BvL. 32/97 – BVerfGE 103, 293, 307 f. 73 Vgl. dazu BVerfG vom 3.4.2001 – 1 BvL 32/97 – BVerfGE 103, 293, 295 f., 307 f. 74 Beispielhaft statt vieler Aktivitäten des Gesetzgebers sei hier nur die beschäftigungspolitisch motivierte Erleichterung der Befristungsmöglichkeit von Arbeitsverhältnissen älterer Arbeitnehmer nach § 14 Abs. 3 TzBfG genannt, vgl. dazu auch ErfK - Müller-Glöge TzBfG § 14 Rn. 133. 75 Vgl. die Gesetzesbegründung BT-Drucks. 14/280, S. 10; einen Überblick über die dazu erschienene Aufsatzliteratur gibt MünchArbR - Schüren § 161 Rn. 20 (Fn. 28).
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6. Kap.: Unverzichtbarkeit wegen gemeinwohlschädlicher Folgewirkungen?
Regelungen zu den so genannten Minijobs und Ich-AGs durch das Zweite Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (vulgo Hartz-II-Gesetz) hat der Gesetzgeber den stark am beschäftigungspolitischen Leitbild des sozialversicherungspflichtigen Normalarbeitsverhältnisses orientierten beschäftigungspolitischen Kurs jedoch teilweise wieder korrigiert76. Dennoch können im Rahmen der teleologischen Auslegung der Unabdingbarkeit gesetzlichen Arbeitsvertragsrechts mittelbare beschäftigungspolitische Aspekte allgemeiner Art keine eigenständige Rechtfertigung für einen Eingriff in die individuelle Verzichtsfreiheit der Arbeitsvertragsparteien liefern. Für eine derart weitreichende beschäftigungspolitische Zielsetzung des Gesetzgebers sind keine Anhaltspunkte ersichtlich. Soweit zu den hier schwerpunktmäßig untersuchten Gesetzen überhaupt gesetzgeberische Begründungserwägungen verfügbar sind77, steht der Gedanke des Individualschutzes klar im Vordergrund. Zum anderen dürften die Fälle, in denen zivilrechtlicher Verzichtsschutz auf der Individualebene weder paternalistisch noch unterlegenheitsspezifisch zu rechtfertigen ist, zahlenmäßig nicht so bedeutsam sein78, dass theoretisch denkbaren Ausweichstrategien eine beschäftigungspolitische Relevanz zukommt. Insbesondere wird man auch bei weitem nicht in jeder geringfügigen Teilzeitbeschäftigung eine kompensationsbedürftige Abhängigkeit im Sinne des Unterlegenheitsparadigmas in Abrede stellen können. Man denke hier insbesondere an die bereits erwähnten Fälle, in denen als alleinige Erwerbsquelle mehrere Teilzeitbeschäftigungen parallel nebeneinander ausgeübt werden (so genannten Mehrfachbeschäftigungen)79. Im Regelfall dürfte auch die wirtschaftliche Attraktivität des Ausweichens in Teilzeitarbeitsverhältnisse von geringem Umfang um der Kostenersparnis durch mögliche arbeitsvertragsrechtliche Verzichtsvereinbarungen willen für Arbeitgeber gering sein. Denn der durch einen möglichen Verzicht auf Kündigungsschutz, Entgeltfortzahlung oder bezahlten Erholungsurlaub erzielbaren Einsparung dürften regelmäßig deutlich erhöhte Kosten für die Organisation des Personaleinsatzes gegenüberstehen. In der relativ geringen wirtschaftlichen Attraktivität arbeitsvertragsrechtlicher Verzichtsvereinbarungen dürfte insoweit auch ein deutlicher Unterschied zu aus sozialversicherungsrechtlichen Gründen beobachtbaren Ausweichstrategien bestehen. 76 Vgl. die zum 1.4.2003 durch das Zweite Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2002 (BGBl. I, S. 4621) in Kraft getretenen Neuregelungen zur Erleichterung geringfügiger Beschäftigungen und zur sog. Ich-AG. 77 Vgl. die Nachweise in Fn. 86. 78 Eingehend dazu Wank, Arbeitnehmer und Selbständige, S. 216 ff. 79 Wank, a. a. O., S. 227 f.; weitere Fallgruppen, a. a. O., S. 221 ff.
A. Einschränkung der individualvertraglichen Verzichtsbefugnis
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Eine beschäftigungspolitische Relevanz gehäuft auftretender arbeitsvertraglicher Verzichtsvereinbarungen steht deshalb m. E. insgesamt praktisch nicht zu befürchten, wenn man in atypischen Arbeitsverhältnissen eine auch unabdingbare gesetzliche Ansprüche umfassende Verzichtsfreiheit dort zulässt, wo ihre Einschränkung auf der individuellen Ebene vertragstheoretisch nicht gerechtfertigt werden kann. Wohl gemerkt kann daraus auf der Ebene der teleologischen Auslegung nicht gefolgert werden, dass geringfügig Teilzeitbeschäftigte stets keinen Arbeitnehmerstatus hätten80, arbeitsvertragsrechtlicher Schutz durch zwingendes Gesetzesrecht in Teilzeitbeschäftigungen geringen Umfangs stets obsolet sei oder doch regelmäßig im Voraus durch einzelvertragliche Verzichtsvereinbarungen preisgegeben werden könnte. Die Frage der Verzichtbarkeit ist anspruchsspezifisch entsprechend der individuellen Schutzbedürftigkeit des konkreten Arbeitnehmers im konkreten Arbeitsverhältnis zu beantworten.
Ein genereller Ausschluss der Verzichtbarkeit von Ansprüchen oder Rechten aus gesetzlich zwingenden arbeitsvertragsrechtlichen Normen kann so nicht teleologisch begründet werden. Überindividuelle und mittelbar beschäftigungspolitische Aspekte mögen geeignet sein, einen Eingriff in die individuelle Verzichtsfreiheit zu rechtfertigen, wenn für eine bestimmte Norm explizit eine entsprechende Grundentscheidung durch den Gesetzgeber getroffen wurde. Im Rahmen der teleologischen Auslegung der Unabdingbarkeit des allgemeinen gesetzlichen Arbeitsvertragsrechts ist eine generelle Einschränkung der Verzichtsfreiheit der Arbeitsvertragsparteien so nicht legitimierbar.
IV. Fazit Ordnungspolitische Erwägungen können als mögliche und zulässige Zwecksetzung zwingenden Arbeitsvertragsrechts nicht prinzipiell ausgeschlossen werden. Soweit einzelvertragliche Verzichtsvereinbarungen mit durch Anordnung der Unabdingbarkeit verfolgten ordnungspolitischen Konzepten kollidieren würden, wird man deshalb für den konkreten Normanwendungsfall von einem Ausschluss der Verzichtsbefugnis durch Unabdingbarkeit ausgehen müssen. Im Rahmen der teleologischen Auslegung ist jedoch bei der Annahme ordnungspolitischer Zwecksetzungen im Arbeitsvertragsrecht wegen der prinzipiellen Orientierung des Privatrechts am Gedanken der Selbstbestimmung äußerste Zurückhaltung geboten. Insbesondere ist es unzulässig, Normen zur Beförderung des individuellen Wohls wie etwa solche mit gesundheitsschützender Tendenz oder des Diskriminierungsschutzes unreflektiert 80
So aber wohl Beuthien/Wehler, RdA 1978, 1, 5, 7.
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6. Kap.: Unverzichtbarkeit wegen gemeinwohlschädlicher Folgewirkungen?
zugleich als Element eines im öffentlichen Interesse unverzichtbaren Gemeinwohlschutzes zu deuten81. Die entfernte Möglichkeit gemeinwohlschädlicher Fernwirkungen individualvertraglicher Verzichtsvereinbarungen reicht dafür nicht aus. Die Verfolgung ordnungspolitischer Zielsetzungen des Gesetzgebers – nicht nur bei der Schaffung eines materiellen Rechts oder Anspruchs des Arbeitnehmers, sondern gerade auch bei der Anordnung von deren Unabdingbarkeit – wäre für die Annahme einer Unverzichtbarkeit privatrechtlicher Ansprüche des Arbeitnehmers aus ordnungspolitischen Gründen zu fordern. Für die hier schwerpunktmäßig untersuchten zentralen Normen des individuellen Arbeitsvertragsrechts können primär ordnungspolitisch motivierte Schutzzwecke nicht festgestellt werden.
B. Sozialrechtliche Implikationen – der arbeitsvertragliche Verzicht als unzulässiger „Vertrag zu Lasten Dritter“ Der Sozialschutz durch zwingendes Arbeitsvertragsrecht im Arbeitsverhältnis wird im sozialstaatlichen System der Bundesrepublik Deutschland flankiert durch Sozialleistungen aus sozialrechtlichen Sicherungssystemen. Diese sind teils mitgliedschaftlich umlagefinanziert, wie etwa die gesetzliche Kranken- und im Grundsatz auch die Arbeitslosenversicherung, teils werden Sozialleistungen vollständig aus steuerfinanzierten Haushalten erbracht. Zu denken ist bei Letzteren insbesondere an die Sozialhilfe bzw. das so genannte Arbeitslosengeld II (vulgo Hartz IV). Verzichtet ein Arbeitnehmer einzelvertraglich auf Ansprüche oder Rechte aus dem Arbeitsverhältnis, so kann eine Situation eintreten, in der er erst durch diese einzelvertragliche Verzichtsvereinbarung im sozialrechtlichen Sinne bedürftig wird und mithin Ansprüche auf durch die Versichertengemeinschaft bzw. staatliche Stellen aufzubringende Leistungen erhalten könnte. Denkbar ist dies sowohl durch den Verzicht des Arbeitnehmers auf Entgeltleistungen im weitesten Sinne als auch durch die Aufgabe des Beschäftigungsverhältnisses selbst, sei es durch Eigenkündigung, Aufhebungsvertrag oder u. U. auch den in einem Abwicklungsvertrag vereinbarten Verzicht des Arbeitnehmers auf Erhebung einer Kündigungsschutzklage82. Es 81
Vgl. Enderlein, S. 153. Vgl. dazu BSG vom 18.12.2003 – B 11 AL 35/03 R – BSGE 92, 74 ff.; kritisch zur sperrzeitrechtlichen Gleichstellung des Abwicklungsvertrages Lilienfeld/ Spellbrink, RdA 2005, 88, 91; Bauer/Krieger, Das Ende der außergerichtlichen Beilegung von Kündigungsstreitigkeiten?, NZA 2004, 640 ff. und Hümmerich, Auf82
B. Sozialrechtliche Implikationen
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entsteht eine Konstellation, die – zumindest phänotypisch – an die aus dem Zivilrecht bekannte Figur des unzulässigen Vertrags zu Lasten Dritter83, bzw. in diesem Fall zu Lasten der Sozialleistungsträger, erinnert: Ein privatrechtlicher Vertrag wird zur aufgezwungenen Belastung Vertragsfremder; der auf privatautonomer Willensbetätigung beruhende arbeitsrechtliche Verzicht greift in das gesetzlich vorgesehene duale System des Sozialschutzes durch Arbeitgeberleistungen einerseits und sozial(-versicherungs-)rechtliche Leistungsansprüche andererseits zum Nachteil der Sozialleistungsträger ein. Zu Recht wird eine derart gewillkürte Inanspruchnahme der Sozialsysteme im Ergebnis zumeist für unbillig und unzulässig gehalten. Nach wohl überwiegender und richtiger Ansicht handelt es sich in dogmatischer Hinsicht bei den sozialrechtlichen Folgewirkungen eines privatrechtlichen Verzichts nicht um einen echten Vertrag zu Lasten Dritter i. S. des bürgerlichen Rechts84. Denn der klassische Vertrag zu Lasten Dritter ist dadurch gekennzeichnet, dass der Dritte von den Vertragspartnern unmittelbar zu einer Leistung verpflichtet wird, ohne selbst in die Vertragsbeziehungen eingeschaltet zu sein85. In vertragstheoretischer Hinsicht ist es gerade der darin liegende, unmittelbar belastende Eingriff in die fremde Privatautonomie durch die Vertragsschließenden, der das Überschreiten ihrer rechtsgeschäftlichen Kompetenzen kennzeichnet und zur Nichtigkeit des Vertrages führt86. Die hier in Rede stehende Gefahr einer missbräuchlichen Sozialleistungsgewährung selbst wird jedoch nicht unmittelbar durch eine vertragliche Vereinbarung bewirkt, sondern allenfalls dadurch, dass eine tatsächliche Lage geschaffen oder aufrechterhalten wird, aufgrund derer eine gesetzliche Leistungsverpflichtung des Sozialleistungsträgers entstehen kann87. Rechtsgrund der Leistungsverpflichtung ist in jedem Fall nicht der Verzichtsvertrag, sondern eine davon unabhängige sozialrechtliche Anspruchsnorm88. Man kann insoweit allenfalls von einem Vertrag mit Lastwirkung zum Nachteil der Sozialleistungsträger und damit mittelbar des hebungs- und Abwicklungsvertrag in einem sich wandelnden Arbeitsrecht, NJW 2004, 2921. 83 So auch Salje, Der Vertrag zu Lasten Dritter im Sozialrecht, NZA 1990, 299 ff. 84 Salje, NZA 1990, 299, 300; Terhorst, Der Schutz der Sozialleistungsträger vor selbstgeschaffenen Versorgungslücken des Leistungsberechtigten durch einen Verzicht auf Unterhalt und Arbeitsentgelt, Diss. Uni Konstanz 1993, S. 78; BGH vom 23.1.2003 – V ZB 48/02 – NJW-RR 2003, 577 f.; BSG vom 28.2.1990 – 10 RKg 15/89 – NZA 1990, 995, 997; anders jedoch noch OLG Karlsruhe vom 17.8.1982 – 18 UF 49/82 – FamRZ 1983, 174 ff.; SG Münster vom 19.4.1988 – S 14 U 37/86 – JURIS KSRE 041273405. 85 Salje, a. a. O. 86 Mit ausführlicher systematischer Einordnung Martens, Rechtsgeschäft und Drittinteressen, AcP 177 (1977), 113, 138 f. 87 Salje, a. a. O. 88 BSG vom 28.2.1990 – 10 RKg 15/89 – NZA 1990, 995, 997; BGH vom 23.1.2003 – V ZB 48/02 – NJW-RR 2003, 577 f.
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6. Kap.: Unverzichtbarkeit wegen gemeinwohlschädlicher Folgewirkungen?
Gemeinwohls sprechen. Verträge, die jedoch nur mehr oder minder mittelbare Lastwirkungen – sei es zum Nachteil individualisierbarer Dritter, sei es zum Nachteil des Gemeinwohls – auslösen, überschreiten nicht ohne weiteres den kompetentiellen Rahmen von Privatautonomie und Vertragsfreiheit. Sie sind deshalb auch nicht ohne weiteres unwirksam, sondern müssen an allgemeinen rechtsimmanenten und rechtsinstitutionellen Maßstäben gemessen werden89.
Hinsichtlich der Auflösung dieser Dreieckskonstellation stellt sich – phänotypisch ähnlich wie beim Problem der gestörten Gesamtschuld – die Frage, wie bzw. zu wessen wirtschaftlichem Nachteil man die rechtlichen Wirkungen der Verzichtsvereinbarungen würdigen will. Drei Lösungswege sind prinzipiell denkbar: Man kann entweder die Verzichtsvereinbarung aus sozialordnungspolitischen Gründen für zivilrechtlich unwirksam halten; der Arbeitnehmer behielte seine Ansprüche gegen den Arbeitgeber und würde – jedenfalls soweit er diese Ansprüche auch tatsächlich realisieren kann – nicht bedürftig i. S. des Sozialrechts. Oder man könnte die Verzichtsvereinbarung zwar für zivilrechtlich wirksam, aber sozialrechtlich unbeachtlich halten; der Arbeitnehmer verlöre seine Ansprüche gegen den Arbeitgeber, ohne dass er dadurch ausgelöste Sozialleistungsansprüche beanspruchen könnte. Oder man belässt es bei der zivilrechtlichen Wirksamkeit des belastenden Rechtsgeschäfts, setzt den Arbeitgeber jedoch generell einem Regressanspruch des jeweiligen Sozialleistungsträgers in Höhe der gewährten Sozialleistungen aus90. Keiner der genannten Lösungswege ist unserer Rechtsordnung völlig fremd, aber auch keiner von ihnen dürfte als prinzipielle Universallösung in diesem Problemfeld geeignet sein. Für den erstgenannten Lösungsweg ergibt sich unmittelbar ein Dilemma zwischen dem Grundsatz der Vertragsfreiheit und dem Sozialschutzgedanken91: Man würde individuelle rechtliche Gestaltungsfreiheiten einschränken weil und soweit dem Arbeitnehmer dadurch Sozialleistungsansprüche entstehen könnten. Der Schutz des sozialrechtlichen Schutzinstrumentariums vor missbräuchlicher Inanspruchnahme würde so auch dann zum Selbstzweck einer erheblichen Freiheitseinschränkung, wenn der Arbeitnehmer in concreto gar keine Sozialleistung wie etwa Krankengeld in Anspruch nehmen will. Die individuelle Verzichtsfreiheit des Arbeitnehmers würde so dem potenziellen Sozialschutz geopfert. Aber auch bei den anderen Lösungswegen werden bei näherer Betrachtung schnell große Konfliktpotenziale deutlich, weil Struktur und Zwecksetzung der möglichen Gegenstände eines arbeitsrechtlichen Verzichts sehr 89
Martens, a. a. O. Vgl. § 147a SGB III und auch die von Kramer/Marhold zu § 12 EFZG vertretene Ansicht, AR-Blattei-SD (Kramer/Marhold) Nr. 290 Ausgleichsquittung Rn. 99. 91 Vgl. Martens, a. a. O., 139. 90
B. Sozialrechtliche Implikationen
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unterschiedlich und nur eingeschränkt mit den dadurch ausgelösten Sozialleistungen kongruent sind. Wenn man also den arbeitsrechtlichen Verzicht grundsätzlich für wirksam hält, so ist eine einheitliche sachangemessene Behandlung der sozialrechtlichen Verzichtsfolgen damit noch nicht gefunden. So dürfte es beispielsweise rechtsethisch nicht vertretbar sein, dem Arbeitnehmer den sozialrechtlichen Mindestschutz seiner Existenz vollständig zu verweigern92, weil er auf sein Recht auf Erhebung einer (aussichtsreichen) Kündigungsschutzklage oder auch auf existenzsichernde Entgeltfortzahlungsansprüche verzichtet hat. Andererseits dürfte für den Fall der Arbeitsaufgabe durch den Arbeitnehmer auch ein Regress nach dem Muster des § 147a SGB III beim ehemaligen Arbeitgeber hinsichtlich der aufzubringenden Sozialleistungskosten systemwidrig sein. Die sozialrechtlichen Besonderheiten der in Frage kommenden Ansprüche und Konstellationen können hier nicht im Einzelnen erörtert werden. Insoweit muss es mit einer groben Skizzierung der spezifisch sozialrechtlichen Reaktionsmöglichkeiten auf gewillkürte Inanspruchnahmen sein Bewenden haben. Dazu werden im Folgenden anhand der Art der in Betracht kommenden arbeitsrechtlichen Verzichtsgegenstände Fallgruppen gebildet. Im Fokus der weiteren Untersuchung steht dann die Frage, ob die gesetzgeberische Anordnung der Unabdingbarkeit arbeitsvertragsrechtlicher Ansprüche und Rechte des Arbeitnehmers rechtlich gerade auch den gemeinwohlrelevanten Schutz der Sozialleistungsträger vor gewillkürter Inanspruchnahme bezweckt und deshalb bei der teleologischen Auslegung der Reichweite der Unabdingbarkeit des jeweiligen Anspruchs mit zu berücksichtigen ist.
I. Arbeitsaufgabe/Verzicht auf das Recht zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage und Arbeitslosengeld Für das Recht der Arbeitslosenversicherung regelt § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGB III die sozialversicherungsrechtlichen Auswirkungen arbeitsrechtlich zulässiger Vereinbarungen über die Beendigung von Arbeitsverhältnissen. § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGB III ordnet das Ruhen des Arbeitslosengeldanspruchs für die Dauer einer Sperrzeit an, wenn der Arbeitslose das Beschäftigungsverhältnis gelöst oder durch arbeitsvertragswidriges Verhalten Anlass für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses durch den Arbeitgeber gegeben und dadurch vorsätzlich oder grobfahrlässig seine Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat. Ein Lösen des sozialversicherungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnisses im Sinne der ersten Alternative liegt zum einen 92
Vgl. dazu auch Hillgruber, S. 101 f.
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6. Kap.: Unverzichtbarkeit wegen gemeinwohlschädlicher Folgewirkungen?
immer dann vor, wenn der Arbeitnehmer aktiv an der rechtsgeschäftlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses, etwa durch Aufhebungsvertrag oder Eigenkündigung, beteiligt war93. Darüber hinaus liegt nach einer im arbeitsrechtlichen Schrifttum teils heftig kritisierten Entscheidung des Bundessozialgerichts ein Lösen des Beschäftigungsverhältnisses auch dann vor, wenn der Arbeitnehmer im Rahmen eines Abwicklungsvertrages auf sein Recht auf Erhebung einer Kündigungsschutzklage verzichtet94. Allein die fehlende Bereitschaft, sich gegen den Willen des Arbeitgebers im Beschäftigungsverhältnis zu behaupten, soll demgegenüber den Eintritt einer Sperrzeit jedoch nicht rechtfertigen können95. Auf die im Schrifttum lebhaft geführte Diskussion um die sperrzeitrechtliche Bewertung des Verzichts auf Kündigungsschutz durch das Bundessozialgericht und ihre faktischen Auswirkungen im Arbeitsrecht muss hier nicht näher eingegangen werden96. Festzustellen bleibt im hier interessierenden Zusammenhang lediglich, dass eine zivilrechtliche Nichtigkeit des Verzichts auf unabdingbares Kündigungsschutzrecht aus sozialrechtlichen Gründen – so weit ersichtlich und zu Recht – noch nicht einmal erwogen worden ist. Eine privatrechtliche Lösung des Interessenkonflikts durch Nichtigkeit des Verzichts wäre hier auch nicht zielführend. Denn selbst wenn man eine Nichtigkeit des rechtsgeschäftlichen Verzichts auf Kündigungsschutz wegen seiner sozialversicherungsrechtlichen Folgewirkungen annehmen wollte, so folgte daraus noch nicht die Obliegenheit des Arbeitnehmers, sich zum Erhalt des Arbeitsplatzes gerichtlich gegen eine rechtswidrige Arbeitgeberkündigung zu wehren97. Für die Aufgabe des Arbeitsverhältnisses – und damit in der Logik des Sperrzeitrechts mittelbar auch für den rechtsgeschäftlichen Verzicht auf Kündigungsschutz – dürfte eine zivilrechtliche Nichtigkeit des arbeitsrechtlichen Rechtsgeschäfts aus sozialrechtlichen Gründen auch nach Art. 12 GG nicht in Betracht kommen können98. Da das Freiheitsrecht des Art. 12 93
Vgl. statt aller Gagel, SGB III § 144 Rn. 42, 49. BSG vom 18.12.2003 – B 11 AL 35/03 R – AP SGB III § 144 Nr. 3 (mit zustimmender Anmerkung von Wank); mit derselben Tendenz auch bereits BSG vom 9.11.1995 – 7 Rar27/95 – BSGE 77, 48, 50 ff. 95 BSG, a. a. O., m. w. N. aus der sozialgerichtlichen Rechtsprechung. 96 Vgl. zur Kritik im Schrifttum statt vieler Boecken/Hümmerich, Gekündigt, abgewickelt, gelöst, gesperrt, DB 2004, 2046 ff. und Lilienfeld/Spellbrink, Für eine sperrzeitrechtliche Neuberwertung des Abwicklungsvertrages im Lichte des § 1a KSchG, RdA 2005, 88 ff. (mit zahlreichen weiteren Nachweisen aus der Aufsatzliteratur). 97 BSG vom 18.12.2003 – B 11 AL 35/03 R – AP SGB III § 144 Nr. 3 m. w. N. aus der Rechtsprechung des BSG. 98 Vgl. ErfK - Dieterich GG Art. 12 Rn. 10. 94
B. Sozialrechtliche Implikationen
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GG mit der negativen Berufsfreiheit auch das Recht zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses umfasst99, muss sich dies in der Abwägung mit den gegenläufigen Interessen der Sozialleistungsträger auch dann gegen eine zivilrechtliche Nichtigkeit der Arbeitsaufgabe durchsetzen, wenn die mutwillige Arbeitsaufgabe durch den dann Arbeitslosen im Ergebnis zu einer Belastung der Sozialleistungsträger führt. Das schließt zwar sozialrechtliche Leistungsausschlüsse in der Arbeitslosenversicherung und Leistungseinschränkungen bei der Sicherung des Existenzminimums durch das Arbeitslosengeld II (der früheren Sozialhilfe) nicht aus100. Ein gegen die rechtsgeschäftliche Beendigungsfreiheit der Arbeitsvertragsparteien erfolgendes Festhalten am privatrechtlichen Arbeitsverhältnis liefe jedoch im Ergebnis auf einen nach Art. 12 Abs. 2 GG unzulässigen Arbeitszwang hinaus und ist schon deshalb abzulehnen.
II. (Teil-)Verzicht auf tarifliches Arbeitsentgelt Zahlreiche Sozialleistungsansprüche nehmen die Höhe des Arbeitseinkommens als tatsächlichen Anknüpfungspunkt für den Anspruch auf öffentliche Unterstützungsleistungen. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit seien hier die Ansprüche auf Kindergeld, Ausbildungsförderung nach dem BaföG, Wohngeld oder Waisenrente genannt. Erhält der Arbeitnehmer aufgrund eines privatrechtlichen Verzichts weniger Arbeitsentgelt als er nach dem ursprünglichen Arbeitsvertrag beanspruchen könnte, so kann in tatsächlicher Hinsicht der Verzichtsvertrag zum Auslöser des gesetzlichen Sozialleistungsanspruchs werden. Soweit die genannten Sozialgesetze starre Bemessungsgrenzen vorsehen, von denen nach dem Alles-oder-Nichts-Prinzip das „ob“ eines Sozialleistungsanspruchs abhängt, kann ein solcher Verzicht auch für den Arbeitnehmer wirtschaftlich attraktiv sein101: Der Erlass geringfügiger Teilbeträge des Arbeitsentgelts löst dann u. U. wirtschaftlich sehr viel umfangreichere Leistungen des Sozialrechts aus102. Ein prominentes Beispiel aus dieser Kategorie findet sich in einer Entscheidung des BSG zum (früheren103) Kindergeldrecht104. 99
Vgl. dazu BVerfG vom 21.10.1981 – 1 BvR 51/81 – BVerfGE 58, 358, 364 f. Vgl. ErfK - Dieterich GG Art. 12 Rn. 10. 101 Strukturell ähnliche Probleme ergeben sich auch hinsichtlich der Verpflichtung des Arbeitnehmers zu Zahlung von gestuft einkommensabhängigen Steuern bzw. der an Schwellenbeträge gekoppelten Pflicht zur Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen. 102 Entsprechendes gilt umgekehrt für gestufte Schwellenwerte als Grundlage für Beitragspflichtigkeit oder Bemessung. 103 Nach aktueller Rechtslage ist ein Verzicht des Kindes auf Ausbildungsvergütung für den Kindergeldanspruch sozialrechtlich unbeachtlich, § 2 Abs. 2 Satz 9 100
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6. Kap.: Unverzichtbarkeit wegen gemeinwohlschädlicher Folgewirkungen?
Mit der arbeitsrechtlichen Unabdingbarkeit konfligiert ein solcher Teilverzicht auf Arbeitsentgelt dann, wenn die Höhe des Arbeitsentgelts durch einen normativ wirkenden Tarifvertrag geregelt ist. Soweit die Zulässigkeit derartiger Teilverzichte nicht bereits im Tarifvertrag vorgesehen ist105 stellt sich die Frage, ob sich der Sozialleistungsträger gegenüber dem Arbeitnehmer auf die tarifliche Unabdingbarkeit und damit die zivilrechtliche Nichtigkeit einer solchen Verzichtsvereinbarung nach § 4 Abs. 4 Satz 1 TVG i. V. m. § 134 BGB berufen kann. Dem Sozialleistungsträger müsste diese Möglichkeit offen stehen, wenn und soweit der teleologische Sinn der tariflichen Unabdingbarkeit des Entgeltanspruchs auch im Schutz der Sozialleistungsträger bzw. des Gemeinwohls vor gewillkürter Inanspruchnahme liegt. Im Ergebnis zu Recht hat das Bundessozialgericht dies stets, allerdings mit im Detail unterschiedlichen Begründungen, abgelehnt. In einer Entscheidung aus dem Jahr 1986106 hat der Senat 5a des Bundessozialgerichts die Wirksamkeit des arbeitsrechtlichen Verzichts auf einen geringfügigen Teil des tariflichen Arbeitsentgelts aus § 4 Abs. 3 1. Alternative TVG abgeleitet, da ein Verzicht auf so genannte Lohn- oder Gehaltsspitzen, der zu einem sozialversicherungsrechtlichen Vorteil führe, als dem mutmaßlichen Willen der Tarifparteien entsprechend angesehen werden könne107. In einer nachfolgenden Entscheidung aus dem Jahr 1990108 ist der 10. Senat des Bundessozialgerichts für den Fall des vom Empfänger des Kindergeldes zu unterhaltenden Auszubildenden, der auf geringfügige Teile der tariflichen Ausbildungsvergütung verzichtet hatte, zum gleichen Ergebnis gekommen. Hier hat das Bundessozialgericht die arbeitsrechtliche Wirksamkeit des Verzichts jedoch nicht aus einer mutmaßlichen Einwilligung der Tarifvertragsparteien, sondern aus dem Günstigkeitsprinzip des § 4 Abs. 3 2. Alt. TVG gefolgert. Aus der objektiven Gesamtbetrachtung der Vereinbarung folge, dass dem verzichtenden Auszubildenden im Ergebnis ein Vorteil erwachse, weil der so erzielte Anspruch auf Kindergeld des anspruchsberechtigten Vaters über eine Erhöhung des Familieneinkommens BKKG; entsprechendes gilt nach § 32 Abs. 4 Satz 9 EStG auch für die steuerrechtlichen Kinderfreibeträge der unterhaltspflichtigen Eltern; vgl. auch BFH vom 11.3.2003 – VIII R 16/02 – BFHE 202, 156. 104 BSG vom 28.2.1990 – 10RKg 15/89 – NZA 1990, 995 ff., vgl. auch BSG vom 27.11.1986 – 5a RKn 26/85 – JURIS KSRE 028410118 (zum verhinderten Fortfall des Anspruchs auf Halbwaisenrente durch Verzicht eines Beamtenanwärters auf seine den Schwellenwert übersteigende vermögenswirksame Leistungen). 105 Vgl. Nr. 5 des der Entscheidung des BSG vom 27.11.1986 – 5a RknU 6/85 – BSGE 61, 54–59 zu Grunde liegenden „Tarifvertrags für Auszubildende und Jungbergleute im rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau“. 106 BSG vom 27.11.1986 – 5a RknU 6/85 – BSGE 61, 54–59 (zum Fortfall des Anspruchs auf Kinderzulage nach § 583 RVO bei damals 750 DM übersteigenden Bruttobezügen des Berechtigten) mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen zu strukturell ähnlichen Konstellationen. 107 BSG, ebenda. 108 BSG vom 28.2.1990 – 10RKg 15/89 – NZA 1990, 995 ff.
B. Sozialrechtliche Implikationen
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gemäß § 1603 BGB auch zu einer Erhöhung seines familienrechtlichen Unterhaltsanspruchs führe. Nur so würde vermieden, dass in das höchstpersönliche Recht der individuellen Vertragsfreiheit, bei der vor allem subjektiven Anschauungen der Betroffenen als wichtiges Indiz zu beachten seien, unangemessen eingegriffen werde109.
Die Anwendung des tarifrechtlichen Günstigkeitsprinzips in der letztgenannten Entscheidung muss vor dem Hintergrund der vom Bundesarbeitsgericht zum arbeitsrechtlichen Günstigkeitsvergleich erarbeiteten Dogmatik zwar befremden110. Dem muss hier jedoch nicht weiter nachgegangen werden. Entscheidend ist die Bestimmung des Schutzbereichs des tariflichen Entgeltschutzes durch Unabdingbarkeit, der nach der übereinstimmenden und in der tarifrechtlichen Literatur geteilten Einschätzung der dargestellten Entscheidungen nicht den Schutz der fiskalischen Interessen der Sozialleistungsträger umfasst111. Demgegenüber soll das beamtenrechtliche Verzichtsverbot des § 2 Abs. 3 BBesG, das mit Ausnahme des Anspruchs auf vermögenswirksame Leistungen die Unverzichtbarkeit der gesetzlich zustehenden Besoldung durch den Beamten, Richter oder Soldaten anordnet, einer vergleichbaren teleologischen Reduktion im Hinblick auf sich für den Berechtigten wirtschaftlich vorteilhaft auswirkende Entgeltverzichte nicht zugänglich sein112. Zwar wird man auch hier kaum den Schutz der Sozialkassen als direkten Schutzzweck der Norm ansehen können. Anders als das tarifrechtliche Verzichtsverbot soll § 2 Abs. 3 BBesG jedoch in erster Linie öffentlichen Interessen dienen. Es soll durch Absicherung des gesetzlichen Anspruchs auf eine amtsangemessene Vergütung gewährleisten, dass ein einkommens- bzw. vermögensneutraler Zugang zu öffentlichen Ämtern entsprechend Art. 33 Abs. 2 GG allein nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung erfolgt und der Gefahr entgegentreten, dass bei Beförderungen der billigste der und nicht der geeigneteste Bewerber zum Zuge kommt113. Man mag darüber streiten, ob dieser Zweck ein gesetzliches Verzichtsverbot auch hinsichtlich der hier in Rede stehenden eher geringfügigen Beträge erfordert. Da das Verzichtsverbot des § 2 Abs. 3 BBesG jedoch primär als dem Schutz öffentlicher Interessen dienend anzusehen ist, kann im Rahmen einer teleologischen Reduktion keine Zulassung privatautonomer Dispositionen erfolgen. Insoweit ist der Schutz der Sozialkassen durch das beamtenrechtliche Verzichtsverbot eine nicht ohne weiteres auf arbeitsrechtliche Ansprüche übertragbare Reflexwirkung spezifisch beamtenrechtlicher Grundsätze114. 109
BSG, ebenda, 996. Terhorst, S. 45; Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts II./1., S. 607 ff. 111 Im tarifrechtlichen Schrifttum wird diesem Ergebnis überwiegend gefolgt. Vgl. Wiedemann/Wank TVG § 4 Rn. 664; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 803; Kempen/Zachert TVG § 4 Rn. 244; ablehnend Koberski/Clasen/Menzel, TVG § 4 Rn. 114. 112 Kümmel/Pohl BBesG § 2 Rn. 16; Clemens, Besoldungsrecht BBesG § 2 Nr. 5; Terhorst, S. 42. 113 Kümmel/Pohl BBesG § 2 Rn. 13. 114 Vgl. Clemens, Besoldungsrecht BBesG § 2 Nr. 5. 110
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6. Kap.: Unverzichtbarkeit wegen gemeinwohlschädlicher Folgewirkungen?
Der am individuellen Schutz des Arbeitnehmers und dem Schutz der Durchsetzungsfähigkeit der tarifschließenden Arbeitnehmerverbände orientierte Schutzzweck des Verzichtsverbots des § 4 Abs. 4 Satz 1 TVG erfordert keine Einschränkung der Dispositionsmöglichkeiten, der den Arbeitnehmer im Hinblick auf die sozialrechtlichen Folgewirkungen wirtschaftlich belastet.
III. Verzicht auf arbeitsrechtliche Entgeltansprüche mit Sozialleistungscharakter Als sozialleistungsähnlich lassen sich Entgeltansprüche des Arbeitnehmers kategorisieren, die das arbeitsvertragliche Synallagma und den sich daraus ergebenden Grundsatz „Kein Lohn ohne Arbeit“ für besondere Lebenslagen oder Situationen zu seinen Gunsten modifizieren. Das prominenteste Beispiel aus dieser Kategorie ist der Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nach den §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 EFZG; ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu nennen sind weiter auch die Ansprüche auf Urlaubsentgelt (§§ 1, 11 BUrlG) und Urlaubsabgeltung (§ 7 Abs. 4 BUrlG), Mutterschutzlohn (§ 11 MuSchG) und Zuschuss zum Mutterschaftsgeld (§ 14 MuSchG) oder sich aus der Betriebsrisikolehre ergebende Verzugslohnansprüche. Arbeitsrechtlicher Schutz und sozialrechtlicher Schutz korrespondieren damit – allerdings mit nicht unerheblichen anspruchsspezifischen Unterschieden – enger, als es beim bloßen Existenzschutz durch normales Arbeitsentgelt einerseits und sozialrechtliche Lohnersatz- oder Ergänzungsansprüche andererseits der Fall ist. Deswegen erscheint es hier auch prinzipiell naheliegender als beim Verzicht auf normales Arbeitsentgelt, aus der arbeitsrechtlichen Unabdingbarkeit oder aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen wegen der sozialrechtlichen Folgewirkungen des Verzichts Rückwirkungen auf die arbeitsrechtliche Gestaltungsfreiheit abzuleiten115. Vertreten wird das insbesondere für den Entgeltschutz im Krankheitsfall, dessen Beispiel stellvertretend für diese Fallgruppe näher beleuchtet werden soll. 1. Schutz der Krankenkassen als weiterer Schutzzweck des § 12 EFZG? Für den Regelungsgegenstand des Schutzes vor den finanziellen Folgen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit kann eine besonders enge Verzahnung von Arbeits- und Sozialrecht konstatiert werden. Dies ergibt sich vor 115 Vgl. dazu BAG vom 12.12.2001 – 5 AZR 255/00 – AP EGBGB n. F. Art. 30 Nr. 10 einerseits; BAG vom 11.6.1976 – 5 AZR 506/75 – AP LohnFG § 9 Nr. 2 andererseits.
B. Sozialrechtliche Implikationen
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allem aus der besonderen rechtlichen Konstruktion des Krankengeldanspruchs, wonach der sozialrechtliche Anspruch auf Krankengeld gemäß § 44 SGB V zwar bereits unmittelbar mit der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit entsteht, jedoch gemäß § 49 Nr. 1 SGB V ruht, soweit und solange der Berechtigte die Fortzahlung des beitragspflichtigen Arbeitsentgelts durch den Arbeitgeber realisieren kann. Auf diese Weise soll der sozialrechtliche Mindestschutz durch Krankengeld auch dann gewährleistet werden, wenn die Voraussetzungen des arbeitsrechtlichen Entgeltfortzahlungsanspruchs nach § 3 EFZG – etwa wegen noch nicht erfüllter vierwöchiger Wartezeit nach Abs. 3 – nicht vorliegen oder aber der Arbeitgeber die tatsächliche Auszahlung des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts unberechtigt verweigert116. Ein weiterer Hinweis auf einen möglichen sozialrechtlichen Schutzzweck der Unabdingbarkeit des arbeitsrechtlichen Entgeltfortzahlungsanspruchs ergibt sich aus der historischen Entwicklung dieses Regelungsmodells. Denn für die Gruppe der Arbeiter besteht ein arbeitsrechtlicher Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall erst seit Einführung des Lohnfortzahlungsgesetzes zum 1.1.1970. Zuvor bestand nach dem Arbeiterkrankheitsgesetz neben dem sozialrechtlichen Anspruch auf Krankengeld lediglich ein Anspruch des Arbeiters auf Zuschuss zum Krankengeld. Ein wesentlicher sozialpolitischer Grund für den Übergang von der „gespaltenen Lösung“ nach dem Arbeiterkrankheitsgesetz zur arbeitsrechtlichen Lösung des Lohnfortzahlungsgesetzes soll ausweislich der Beratungen zum Lohnfortzahlungsgesetz damals im sozialpolitischen Zweck der finanziellen Entlastung der Krankenkassen gelegen haben117. In der Tat: Wenn der Gesetzgeber mit dem Anspruch auf Entgeltfortzahlung einen unabdingbaren arbeitsrechtlichen Anspruch auf Krankenlohn schafft, der die Krankenkassen vom subsidiär bestehenden Krankengeldanspruch entlasten soll, so scheint die enge sachliche Kongruenz der Leistungszwecke auf den ersten Blick für einen überindividuellen, auch dem Schutz der Krankenkassen dienenden Zweck der arbeitsrechtlichen Unabdingbarkeitsanordnung des § 12 EFZG zu sprechen118. Auch das Bundesarbeitsgericht hat diese Aspekte in einer seiner Leitentscheidungen zum Entgeltfortzahlungsrecht kritisch erwogen119 und 116 Im letzteren Fall geht der Anspruch des Arbeitnehmers auf Entgeltfortzahlung in Höhe des geleisteten Krankengeldes gemäß § 115 SGB X im Wege der cessio legis auf die Krankenkasse über. 117 Vgl. Lepke, Der Verzicht des Arbeitnehmers auf den Lohnfortzahlungsanspruch im Krankheitsfalle, DB 1971, 1509, 1513; Hofmann, Grenzen gesetzlicher Unabdingbarkeitsnormen im Arbeitsrecht, FS 25 Jahre BAG 217, 236; Heckelmann, Anm. zu BAG vom 11.6.1976 – 5 AZR 506/75 – SAE 1977. 260, 262. 118 So insbesondere Heckelmann, a. a. O. und Kunze, Anspruch auf Krankengeld bei Verzicht auf Lohnfortzahlung, DOK 1980, 77, 82.
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6. Kap.: Unverzichtbarkeit wegen gemeinwohlschädlicher Folgewirkungen?
in einer neueren Entscheidung zum internationalen Arbeitsrecht sogar ohne weitere Begründung als entscheidendes Kriterium für die Qualifizierung des Entgeltfortzahlungsanspruchs nach § 3 Abs. 1 EFZG als international zwingende Eingriffsnorm i. S. des Art. 34 EGBGB herangezogen120. Eine vermittelnde Lösung „zum Nachteil des Arbeitgebers“ fehlt im Meinungsspektrum zur Reichweite der Wirkung des § 12 EFZG ebenfalls nicht: Kramer/Marhold sehen in der Norm des § 12 EFZG die Anordnung einer relativen Unwirksamkeit der in der Verzichtsvereinbarung liegenden Verfügung des Arbeitnehmers. Verzichte der Arbeitnehmer auf Lohnfortzahlung und erhalte er stattdessen Krankengeld, dann bleibe der Arbeitgeber der Krankenkasse gegenüber, zu deren Gunsten die Verfügungsbeschränkung bestehe, auch weiterhin zur Lohnfortzahlung verpflichtet121. Darin mag im Ergebnis ein sachgerechter und de lege ferenda wünschenswerter Lösungsansatz liegen122; eine dogmatisch tragfähige Anknüpfung dieser relativen Wirkung an § 12 EFZG in der geltenden Fassung bleiben die Vertreter dieser Ansicht jedoch schuldig. Einer näheren Überprüfung hält der Gedanke einer zum Schutz der Krankenkassen aus § 12 EFZG herzuleitenden absoluten oder relativen Einschränkung der Verzichtsbefugnis des Arbeitnehmers dennoch nicht stand. Denn selbst wenn man einen tragenden Grund für die arbeitsrechtliche Lösung der Entgeltfortzahlung in der Entlastung der Krankenkassen sieht123, so bedingt dies für sich genommen noch nicht die Anordnung der arbeitsrechtlichen Unabdingbarkeit des Anspruchs. Dem Interesse der Krankenkassen ist prinzipiell mit der sozialrechtlichen Unbeachtlichkeit des Verzichts, wie sie das Bundessozialgericht aus der analogen Anwendung der Ruhensnorm des § 49 Abs. 1 Nr. 1 SGB V bzw. deren Vorgängernorm § 189 RVO ableitet124, hinreichend gedient125. Eine Art relative Unwirksamkeit des Arbeitnehmerverzichts ausschließlich gegenüber der Krankenkasse mag in die119 Im Ergebnis ablehnend zum Schutz der Krankenkassen als Schutzzweck der Lohnfortzahlung BAG vom 11.6.1976 – 5 AZR 506/75 – AP LohnFG § 9 Nr. 2. 120 Ohne Erwähnung der gegenteiligen Ansicht in der vorgenannten Entscheidung BAG vom 12.12.2001 – 5 AZR 255/00 – AP EGBGB n. F. Art. 30 Nr. 10. 121 AR-Blattei-SD (Kramer/Marhold) Nr. 290 Ausgleichsquittung Rn. 99 unter Berufung auf Schlüter, Anm. zu BAG vom 20.8.1980 – 5 AZR 759/78 – EzA LohnFG § 9 Nr. 7, [unter III. 4.c)]. 122 De lege ferenda propagiert auch Salje ein ähnliches Ergebnis, siehe Fn. 126. 123 So insbesondere Wende/Gerntke/Kunz/Platow, EFZG § 12 Rn. 20. 124 BSG vom 16.12.1980 – 3 RK 40/79 – JURIS KSRE 019281012; BSG vom 16.12.1980 – 3 RK 27/79 – JURIS KSRE 014991017; vgl. dazu auch Kunze, DOK 1980, 77, 80 mit weiteren unveröffentlichten Beispielen aus der sozialgerichtlichen Rechtsprechung. 125 Mit Rücksicht auf Wortlaut und Zweck der gesetzessystematischen Konstruktion des ruhenden Anspruchs prinzipiell gegen eine entsprechende Anwendung aller-
B. Sozialrechtliche Implikationen
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sem Zusammenhang darüber hinaus zwar rechtspolitisch wünschenswert sein, ist dem geltenden Recht aber nicht zu entnehmen126. Die verhältnismäßig seltenen Fälle, in denen der kraft objektiver Anknüpfung i. S. des Art. 30 Abs. 2 EGBGB nach ausländischen Vertragsstatut beschäftigte Arbeitnehmer als Versicherter wegen eines fehlenden oder geringeren Entgeltfortzahlungsanspruchs Krankengeld von seiner deutschen Krankenkasse beanspruchen kann, lassen jedenfalls nicht den Schluss zu, der Entgeltfortzahlungsanspruch des § 3 Abs. 1 EFZG müsse generell zum Schutze des Gemeinwohlinteresses als absolut zwingende Norm i. S. des Art. 34 EGBGB qualifiziert werden127.
Ein Eingriff in die individualrechtliche Verzichtsfreiheit des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber ist wegen des nur mittelbaren Gemeinwohlbezugs des Entgeltfortzahlungsanspruchs jedenfalls nicht gerechtfertigt128. 2. Sozialrechtliche Sanktionierung der belastenden Verzichtsvereinbarung Die Vereinbarung eines arbeitsrechtlichen Verzichts, durch den ein Sozialleistungsträger belastet wird, kann auch durch das Sozialrecht selbst sanktioniert werden. Zu denken ist hier sowohl an die Anordnung der zivilrechtlichen Nichtigkeit des Verzichts als auch an sozialversicherungsrechtliche Leistungsausschlüsse. a) Zivilrechtliche Nichtigkeit nach Vorschriften des Sozialrechts aa) (Entsprechende) Anwendbarkeit des § 32 SGB I? Nach § 32 SGB I sind privatrechtliche Vereinbarungen nichtig, soweit sie zum Nachteil des Sozialleistungsberechtigten von zwingenden sozialrechtlichen Vorschriften abweichen. Primäres Schutzgut der Norm ist der Schutz des Sozialleistungsberechtigten vor sozialrechtlich – nicht notwendig auch wirtschaftlich – nachteiligen privatrechtlichen Dispositionen129. Grundsätzlich nicht geschützt sind die dings Lepke, BB 1971, 1509, 1515; im Ergebnis wie dieser mit ausführlicher Begründung auch Terhorst, S. 141. 126 So auch Salje, NZA 299, 304, der zur Klarstellung die Einfügung eines entsprechenden Abs. 3 in § 46 SGB I empfiehlt. 127 So aber ohne nähere Begründung wohl BAG vom 12.12.2001 – 5 AZR 255/00 – AP EGBGB n. F. Art. 30 Nr. 10; ähnlich Benecke, Anknüpfung und Sonderanknüpfung im Internationalen Arbeitsrecht, IPRax 2001, 449, 453. 128 Hofmann, FS 25 Jahre BAG, S. 217, 238; a. A. Kunze, DOK 1980, 77, 80. 129 Vgl. BSG vom 8.10.1998 – B 12 KR 19/97 R – NZA-RR 2000 148, 150 f.
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6. Kap.: Unverzichtbarkeit wegen gemeinwohlschädlicher Folgewirkungen?
fiskalischen Interessen der Sozialleistungsträger vor belastenden Abreden130. Unmittelbar betrifft diese Vorschrift deshalb beispielsweise Verträge zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, durch die sich der Arbeitgeber verpflichtet, das vereinbarte Arbeitsentgelts ohne Abzug von Sozialversicherungsbeiträgen an den Arbeitnehmer auszuzahlen, oder seine Verpflichtung zur Zahlung eines Arbeitgeberanteils auf den Arbeitnehmer abzuwälzen sucht131. Grundsätzlich nicht anwendbar ist § 32 SGB I, wenn die im Sozialrecht vorausgesetzte privatrechtliche Gestaltung verworfen und stattdessen eine andere privatrechtliche Gestaltung gewählt wird132, etwa ehemalige Arbeitsverhältnisse so umgestaltet werden, dass die privatrechtliche Grundlage der erbrachten Leistungen als einzelne Werkverträge oder als ein freies Dienstverhältnis ohne Sozialversicherungspflicht zu qualifizieren sind133. Privatrecht als eine auf Selbstbestimmung gründende Ordnung kann und muss insoweit auf das Sozialrecht ausstrahlen134. Dies muss grundsätzlich auch für den arbeitsrechtlich wirksamen Erlass von vertraglichen Entgeltansprüchen gelten, soweit das Sozialrecht die Unbeachtlichkeit des Verzichts nicht speziell für den betreffenden Sozialleistungsanspruch anordnet135. Jedenfalls der Verzicht auf die den gesetzlichen Anspruch übersteigende arbeits- oder tarifvertragliche Entgeltfortzahlungsansprüche kollidiert damit nicht mit der allgemeinen Vorschrift des § 32 SGB I136. Da der Verzicht auf den gesetzlichen Entgeltfortzahlungsanspruch jedoch ein mit dem Krankengeldanspruch kongruentes Sozialschutzinteresse berührt, bewegt er sich in einem besonderen Grenzbereich zwischen sozialrechtlich als zulässig hinzunehmender Disposition über tatsächliche Anspruchsvoraussetzungen und unzulässiger manipulativer Einwirkung auf die gesetzgeberische Konzeption der Lastenverteilung137. In der sozialrechtlichen Literatur wird deshalb von einigen Stimmen aus § 32 SGB I die Unwirksamkeit des Verzichts auf den arbeitsrechtlichen Entgeltfortzahlungsanspruch gefolgert138. Ein tatbestandsausfüllender sozialrechtlicher Nachteil 130
Terhorst, S. 61 ff. Jahn SGB I - Klose § 32 Rn. 10; Eichenhofer, Sozialrechtliche Grenzen der Privatautonomie, VSSR 1991, 185, 187 f. 132 Eichenhofer, ebenda, S. 185, 188. 133 Jahn SGB I - Klose § 32 Rn. 13 f. 134 Eichenhofer, a. a. O., S. 185, 195. 135 Eichenhofer, a. a. O., S. 185, 197. 136 So setzt beispielsweise die Option des § 71 Abs. 6 BAT die Zulässigkeit eines solchen Verzichts voraus. 137 Vgl. Eichenhofer, a. a. O., S. 185, 200. 138 Jahn SGB I - Klose § 32 Rn. 11 a. E.; ebenso Mrozynski § 32 Rn. 8; GK-SGB I Kretschmer § 32 Rn. 21; insbesondere Bürck, § 32 SGB I in der Praxis, VSSR 1990, 131
B. Sozialrechtliche Implikationen
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des Berechtigten wird dabei u. a. aus dem durch § 48 SGB V entstehenden Effekt der durch den „vorzeitigen“ Beginn der Krankengeldzahlung reduzierten Gesamtdauer der sozialen Absicherung gegen das wirtschaftliche Risiko krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit139 und aus dem durch den Ausfall beitragspflichtigen Arbeitsentgelts entstehenden rentenversicherungsrechtlichen Nachteil gefolgert140. Beide Argumente sind indes nicht überzeugend. Die Verkürzung der Gesamtdauer des Entgeltschutzes im Krankheitsfall stellt keinen sozialrechtlichen Nachteil i. S. der Norm dar, weil die sozialrechtliche Krankengeldbezugsdauer durch den arbeitsrechtlichen Verzicht nicht berührt wird. Die Berücksichtigung rentenversicherungsrechtlicher Nachteile durch geringere Beitragszeiten kann nicht in Betracht kommen, weil die Berücksichtigung derartiger Reflexwirkungen als Auslöser zivilrechtlicher Nichtigkeit in nicht tolerierbarem Maße in die zivilrechtliche Arbeitsvertragsfreiheit eingriffe141. Konsequenterweise müsste man dann beispielsweise auch die aus persönlichen Motiven getroffene Vereinbarung unbezahlten Urlaubs (beispielsweise auch sog. Sabbaticals) bzw. des zeitweisen Ruhens des Arbeitsverhältnisses für nichtig halten142. Die Rechtsprechung ist einer Anwendung des § 32 SGB I bisher – zu Recht – nicht näher getreten143. bb) (Entsprechende) Anwendbarkeit des § 46 Abs. 2 SGB I? § 46 Abs. 2 SGB I ordnet die Unwirksamkeit eines Verzichts an, durch den Sozialleistungsträger oder andere Personen belastet oder Rechtsvorschriften umgangen werden. Hinsichtlich des Begriffs „Verzicht“ bezieht sich § 46 Abs. 2 auf Abs. 1 dieser Vorschrift, der die grundsätzliche Zulässigkeit eines Verzichts auf Sozialleistungen gegenüber dem Sozialleistungsträger durch einseitige schriftliche Erklärung zum Gegenstand hat. Vom hier interessierenden vertraglichen Verzicht auf den arbeitsrechtlichen Entgeltfortzahlungsanspruch unterscheidet sich der Verzicht des § 46 Abs. 1 SGB I hinsichtlich der Rechtsnatur des Verzichtsobjekts (hier privatrechtlicher Entgeltanspruch – dort öffentlich-rechtlicher Sozialleistungsanspruch), der dogmatischen Natur des Verzichts (hier bürgerlich-rechtlicher Vertrag nach § 397 BGB – dort einseitige Erklärung) und auch hin287, 305; für eine „Heranziehung des Rechtsgedankens“ auch Kunze, DOK 1980, 77, 82. 139 Mrozynski § 32 Rn. 8. 140 Bürck, a. a. O., 287, 305. 141 Eingehend dazu Terhorst, S. 62 ff. m. w. N. 142 Weitere Beispiele bei Terhorst, ebenda. 143 Terhorst, S. 61 ff.
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6. Kap.: Unverzichtbarkeit wegen gemeinwohlschädlicher Folgewirkungen?
sichtlich des Adressaten (hier der i. d. R. private Arbeitgeber – dort die öffentlich-rechtliche Leistungsverwaltung). Der privatrechtliche Verzicht i. S. des § 397 BGB gegenüber dem Arbeitgeber ist damit nach dem eindeutigen Wortlaut nicht vom Verzichtsverbot des § 46 Abs. 2 SGB I erfasst144. Gleichwohl rückt die vergleichbare Schutzintention des § 46 Abs. 2 SGB I – die Vermeidungen manipulativer Eingriffe in die gesetzliche Konzeption der Verteilung der Soziallasten – die Möglichkeit einer entsprechenden Anwendung dieser Norm auf arbeitsrechtliche Verzichtsvereinbarungen ins Blickfeld145. Die Voraussetzungen einer Analogiefähigkeit erscheinen bei näherer Betrachtung jedoch bereits auf formaler Ebene zweifelhaft. So stellt sich § 46 Abs. 2 SGB I im Verhältnis zu § 46 Abs. 1 SGB I zum einen als negatives Tatbestandsmerkmal dar und ist mithin als grundsätzlich nicht analogiefähige Ausnahmevorschrift zu klassifizieren146. Zum anderen spricht auch die Entstehungsgeschichte der Norm gegen die Annahme einer planwidrigen Regelungslücke147. cc) Zwischenergebnis Eine Nichtigkeit des zivilrechtlichen Verzichts durch analoge Anwendung der allgemeinen sozialrechtlichen Vorschriften der §§ 32 oder 46 Abs. 2 SGB I ist auch für sozialleistungsähnliche arbeitsrechtliche Ansprüche abzulehnen. Jenseits der formalen Argumente gegen eine analoge Anwendung der §§ 32 und 46 SGB I auf arbeitsrechtlich zulässige Verzichte auf unabding144 BSG vom 27.11.1986 – 5a RknU 6/85 – BSGE 61, 54, 55 (für den einen Kindergeldanspruch auslösenden Verzicht auf Arbeitsentgelt); Terhorst, S. 57; Eichenhofer, VSSR 1991, 185, 188 m. w. N. 145 Vgl. Salje, NZA 1990, 299, 304. 146 Terhorst, S. 60 f.; allgemein dazu Larenz, Methodenlehre, Kapitel 4, 4.a), S. 353 ff.; zur Berechtigung des Regel-Ausnahme-Arguments auch Köbl, Allgemeine Rechtstheorie – Aspekte der Gesetzesbindung, FS 25 Jahre BSG, Bd. 2, S. 1005, 1049 ff. 147 Dazu im Einzelnen Terhorst, S. 60 f.; das Bestehen einer planwidrigen Regelungslücke wird im Ergebnis offen gelassen bei Salje, NZA 1990, 299, 304. Dieser propagiert insoweit die Einfügung eines Abs. 3 in § 46 SGB I, der klarstellend die relative Unwirksamkeit privatrechtlicher Vereinbarungen mit Lastwirkungen zum Nachteil der Sozialleistungsträger nach dem Vorbild der § 135, 136 BGB anordnen soll. Für den hier schwerpunktmäßig untersuchten Verzicht auf den Entgeltfortzahlungsanspruch entspricht das im Ergebnis der Lösung des BSG, vgl. BSG vom 16.12.1980 – 3 RK 27/79 – JURIS KSRE 014991017.
B. Sozialrechtliche Implikationen
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bare Ansprüche ergibt sich dies auch aus rechtssystematischen Erwägungen. Die Voraussetzungen sozialrechtlichen Schutzes sind im Allgemeinen nicht statisch vorgegeben, sondern setzen an den i. d. R. durch privatautonome Dispositionen geschaffenen tatsächlichen Verhältnissen an. Sozialrecht muss deshalb die vorgefundenen tatsächlichen Verhältnisse grundsätzlich als gegeben akzeptieren, es kann diese im Allgemeinen nicht rückwirkend umgestalten. Besonders deutlich wird dies für den in der Regel durch Rechtsgeschäft (Kündigung oder Aufhebungsvertrag) herbeigeführten Leistungstatbestand der Arbeitslosigkeit: Sozialrecht kann hier systembedingt nicht die Fortsetzung des Beschäftigungsverhältnisses anordnen. Eine Rückwirkung mittelbarer sozialrechtlicher Folgewirkungen auf zivilrechtliche Vertragsfreiheiten mag zwar durch sozialrechtliche Spezialgesetze bei besonderen Kollisionslagen u. U. in Betracht kommen können, allgemeine Vorschriften des Sozialrechts können jedoch grundsätzlich nicht – und schon gar nicht im Wege der Analogie – präventive Eingriffe in privatautonome Dispositionsfreiheiten über zivilrechtliche Ansprüche rechtfertigen148. b) Sozialrechtlicher Leistungsausschluss als Verzichtsfolge Folge des arbeitsrechtlichen Verzichts auf Entgeltfortzahlung ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts149 grundsätzlich, dass der Arbeitnehmer weder Entgeltfortzahlung noch Krankengeld beanspruchen kann. Er muss sich krankengeldrechtlich so behandeln lassen, als ob sein Arbeitsentgelt tatsächlich fortgezahlt worden wäre und der Krankengeldanspruch deshalb nach § 49 Abs. 1 Nr. 1 SGB V geruht hätte150. Und auch dieses aus der Sozialschutzperspektive auf den ersten Blick radikale Ergebnis hält prinzipiell einer Überprüfung am Maßstab der sozialpolitischen Zwecksetzung des Entgeltschutzes im Krankheitsfall stand151. Denn der Sozialleistungsberechtigte kann nach § 46 Abs. 1 SGB I prinzipiell auch auf Sozialleistungsansprüche – prozedural durch das dortige Schriftformerfordernis abgesichert – rechtswirksam verzichten. Niemand muss sich Hilfe durch das Sozialsystem aufdrängen lassen. Diese Rechtslage im Sozialrecht legt die Kontrollfrage nahe, weshalb auch der wohlinformierte Arbeitnehmer, der einen arbeitsrechtlich zulässigen Verzicht auf Entgeltfortzahlung vereinbart, in seinem Vertrauen auf Erhalt des Kranken148
Vgl. Eichenhofer, VSSR 1991, 185, 203. BSG vom 16.12.1980 – 3 RK 40/79 – JURIS KSRE 019281012; BSG vom 16.12.1980 – 3 RK 27/79 – JURIS KSRE 014991017. 150 Marburger, Krankengeld bei Verzicht auf Lohnfortzahlung und bei Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses, BB 1982, 2055, 2056 ff. 151 A. A. Salje, NZA 1990, 299, 304. 149
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6. Kap.: Unverzichtbarkeit wegen gemeinwohlschädlicher Folgewirkungen?
geldes schutzbedürftig sein soll. Ein weitergehendes sozialversicherungsrechtliches Schutzbedürfnis dürfte in einer solchen Konstellation der „künstlich“ und gezielt durch Rechtsgeschäft herbeigeführten Bedürftigkeit nach dem in § 242 BGB verankerten Grundsatz des venire contra factum proprium kaum vertretbar sein152. Für den Bereich des privaten Versicherungsrechts findet sich eine Konkretisierung dieses Gedankens auch in § 67 Abs. 1 Satz 3 VVG153. Der sozialrechtlichen Frage, ob dem Bundessozialgericht auf dem gewählten Lösungsweg der analogen Anwendung der Ruhensbestimmung des § 189 Satz 1 RVO bzw. des § 49 Abs. 1 Nr. 1 SGB V im Einzelnen gefolgt werden kann, muss hier nicht weiter nachgegangen werden. Vom Gesetzgeber ist der Lösungsweg des sozialrechtlichen Leistungsausschlusses als Reaktion auf eine durch rechtsgeschäftliche Verzicht gewillkürte Inanspruchnahme bei verschiedenen Sozialleistungsansprüchen beschritten worden. Neben der bereits erwähnten sozialrechtlichen Unbeachtlichkeit eines Verzichts auf Arbeitsentgelt im Kindergeldrecht nach § 2 Abs. 2 Satz 9 BKGG ist hier insbesondere an die Sperrzeiten für den Bezug von Arbeitslosengeld bei Arbeitsaufgabe nach § 144 Abs. 1 Nr.1 SGB III zu denken154. Zudem erweist sich die sozialrechtliche Auflösung dieser Konfliktlage durch Leistungsausschluss auch unter der Prämisse der möglichst weitreichenden Gewährleistung individueller rechtlicher Freiheiten als prinzipiell vorzugswürdig, weil sie einen unmittelbaren rechtlichen Eingriff in die zivilrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten vermeidet und deshalb weniger 152 Das verkennt Terhorst, S. 136 f., der aus der Verpflichtung der Krankenkasse zur Zahlung von Krankengeld bei einer den arbeitsrechtlichen Entgeltfortzahlungsanspruch ausschließenden Selbstverschuldung der Arbeitsunfähigkeit ableitet, dass auch die rechtsgeschäftlich durch Verzicht herbeigeführte Bedürftigkeit nicht zur Anwendung der Ruhensbestimmung des § 49 Abs. 1 Nr. 1 SGB V führen könne. Der insoweit weniger restriktive krankengeldrechtliche Leistungsausschluss nach § 52 SGB V ist nicht mit der rechtsgeschäftliche Manipulationen der sozialrechtlichen Lastenverteilung vergleichbar und kann deshalb nicht als verallgemeinerbarer Zurechnungsmaßstab für sozialrechtliche Leistungsausschlüsse durch gezieltes Rechtsgeschäft dienen. 153 Vgl. auch Gagel, Der Vergleich im Kündigungsschutzprozess und seine Auswirkungen auf Arbeitslosengeld und Beitragspflicht, NZA 1985, 270, 275; Wank, Anm. zu BSG vom 18.12.2003 – B 11 AL 35/03 R – AP SGB III § 144 Nr. 3. 154 Für das Krankengeldrecht dürfte ein Wegfall der arbeitsrechtlichen Entgeltfortzahlung nach Arbeitsaufgabe durch Eigenkündigung jedoch nicht zu einer analogen Anwendung der Ruhensbestimmung des § 49 Abs. 1 Nr. 1 SGB V führen können, weil es insoweit an einem gezielten Eingriff in die Lastenverteilung fehlt. Auch eine vom Arbeitgeber nicht zu vertretende Eigenkündigung kann vielfältigste andere Gründe in der persönlichen Sphäre des Arbeitnehmers, etwa einen Arbeitsplatzwechsel, haben. Derart mittelbare Belastungen müssen der Krankenkasse deshalb zugemutet werden.
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freiheitseinschränkend wirkt155. Soweit dem Sozialleistungsberechtigten durch einen Leistungsausschluss nicht das wirtschaftliche Existenzminimum im sozialhilferechtlichen Sinne entzogen wird, dürfte die sozialrechtliche Lösung des Problems gewillkürter Inanspruchnahme deshalb in der Regel als sachangemessen anzusehen sein. Jedenfalls für den Fall der Kollision des arbeitsrechtlich wirksamen Verzichts auf Entgeltfortzahlung mit einer Belastung der Krankenkassen durch so fällig werdende Krankengeldansprüche ist dieser Weg eine adäquate Lösung.
IV. Rückwirkungen sozialrechtlicher Leistungsausschlüsse auf das individuelle Verzichtsschutzbedürfnis des Arbeitnehmers? Allerdings dürfte hinsichtlich der versehentlichen oder rechtsirrtümlichen Herbeiführung unerkannter sozialrechtlicher Folgewirkungen ein sozialpolitisches Schutzbedürfnis bestehen. Diesem Schutzgedanken kann jedoch nicht zivilrechtskonform mit der teleologischen Ableitung der absoluten Unverzichtbarkeit des arbeitsrechtlichen Anspruchs begegnet werden. Insoweit können allenfalls schwach-paternalistische, den Willen der Parteien prinzipiell achtende, rationalitätserhöhende oder sichernde Maßnahmen angezeigt sein156. Auch derartige Maßnahmen können prinzipiell sowohl im Sozialrecht als auch im Arbeitsrecht ansetzen. 1. Vermeidung unvorhergesehener Nachteile durch restriktive Anwendung sozialrechtlicher Leistungsausschlüsse Auf der sozialrechtlichen Seite versucht die Rechtsprechung, eine gewisse Begrenzung der Auswirkungen rationalitätsdefizitärer arbeitsrechtlicher Verzichte beispielsweise dadurch zu gewährleisten, dass nicht jeder Verzicht auf arbeitsrechtliche Entgeltfortzahlung automatisch auch zum Fortfall des Krankengeldanspruchs führt157. Das Bundessozialgericht vertritt im Anschluss an eine ältere Entscheidung des Reichsversicherungsamts158 155
Vgl. auch Hofmann, FS 25 Jahre BAG, S. 217, 237. Man denke hier etwa an die Hinweispflicht des Arbeitgebers bei Kündigung hinsichtlich der Verpflichtung des Arbeitnehmers gemäß § 37b SGB III zur frühzeitigen Arbeitssuche. 157 Gegen derartige Differenzierungen bei den sozialrechtlichen Rechtsfolgen Kunze, DOK 1980, 77, 80 ff. 158 Entscheidung des Reichsversicherungsamts vom 25.2.1943 – IIa K 27.42 – EuM 50, 296 (zitiert nach BSG vom 16.12.1980 – 3 RK 27/79 – JURIS KSRE 014991017). 156
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6. Kap.: Unverzichtbarkeit wegen gemeinwohlschädlicher Folgewirkungen?
die Ansicht, die analoge Anwendbarkeit der Ruhensbestimmung des § 49 Abs. 1 Nr. 1 SGB V (bzw. § 189 RVO) sei davon abhängig, dass der Arbeitnehmer hinsichtlich der mittelbaren Belastung der Krankenkasse durch die Preisgabe des arbeitsrechtlichen Entgeltfortzahlungsanspruchs qualifiziert schuldhaft, d.h. wohl zumindest grob fahrlässig159, gehandelt habe160. Im sozialrechtlichen Schrifttum ist das Verschuldenserfordernis und das insoweit anzulegende Maß allerdings umstritten161. 2. Schutz vor unvorhergesehenen sozialrechtlichen Folgen durch Instrumente des Zivilrechts Auf der zivilrechtlichen Ebene wurde weiter vorgeschlagen, das Problem der irrtümlichen Selbstbelastung des Arbeitnehmers mit den sozialrechtlichen Folgen des arbeitsrechtlichen Verzichts über die Grundsätze des Wegfalls der Geschäftsgrundlage oder der Irrtumsanfechtung zu lösen. Die enttäuschte Erwartung auf Erhalt des Krankengeldes soll danach als Geschäftsgrundlage bzw. Anfechtungsgrund des arbeitsrechtlichen Verzichts anzusehen sein162. Als Generallösung sind diese Ansätze allerdings weder rechtssystematisch noch rechtspolitisch überzeugend163. Auf rechtspolitischer Ebene kann die Komplexität der Verzahnung von Arbeits- und Sozialrecht m. E. ein zusätzliches Argument sowohl für Hinweis- und Aufklärungspflichten des Arbeitgebers als auch für ein situativ angeknüpftes, zeitlich eng beschränktes Vertragslösungsrecht nach dem Muster des § 312 BGB liefern164. Dies gilt insbesondere für den in der 159 Marburger, Krankengeld bei Verzicht auf Lohnfortzahlung und bei Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses, BB 1982, 2055, 2058. 160 BSG vom 16.12.1980 – 3 RK 40/79 – JURIS KSRE 019281012; BSG vom 16.12.1980 – 3 RK 27/79 – JURIS KSRE 014991017. 161 Einen Überblick liefert Kunze, DOK 1980, 77 ff. 162 Gagel, Sozialrechtliche Konsequenzen, Rn. 155 (S. 44); Gagel, NZA 1985, 270, 274; für eine Anwendung der Grundsätze vom Wegfall der Geschäftsgrundlage Salje, NZA 1990, 299, 304. 163 So mit ausführlicher Begründung auch Terhorst, S. 140 f.; ablehnend auch BAG vom 10.02.2004 – 9 AZR 401/02, 2 – AP BGB § 119 Nr. 15; zur Anfechtungslösung ebenso Salje, NZA 1990, 299, 304 (Fn. 34); gegen die Anwendung der Grundsätze des Wegfalls der Geschäftsgrundlage mit überzeugenden Argumenten LAG Hamm vom 21.1.2004 – 18 Sa 1802/03 – JURIS KARE 600011292. Zur informationellen Risikoverteilung hinsichtlich unerkannter sozialrechtlicher Folgewirkungen von Aufhebungsverträgen und Ausgleichsquittungen hier bereits oben, 5. Kapitel: C. II. 3. mit den dortigen Nachweisen. Vgl. dazu auch die Ausführungen im 7. Kapitel. 164 Vgl. Hümmerich, Alea iacta est – Aufhebungsvertrag kein Haustürgeschäft, NZA 2004, 809, 811, 817.
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Praxis wohl wichtigsten Fall des in einer Ausgleichsquittung mehr oder minder unreflektiert erklärten Verzichts. Da und wenn die möglichst umfassende Gewährleistung der Prinzipien von Vertragsfreiheit und Eigenverantwortung als Auslegungsleitlinie dienen sollen, so resultiert daraus auch das rechtspolitische Postulat, dass deren Funktionsvoraussetzungen sicher zu stellen sind. Für den im Regelfall nicht im Einzelnen mit den rechtlichen Wirkungen von Ausgleichsquittungen vertrauten Arbeitnehmer heißt das, dass die realistische Chance zur Einholung der zur eigenverantwortlichen Wahrung seiner Interessen erforderlichen Informationen vor Vertragsschluss gegeben sein muss. Die seit Jahrzehnten immer wieder durch neue praktische Fälle befeuerte Diskussion um die Wirksamkeit von den Arbeitnehmer belastende Verzichtserklärungen in Ausgleichsquittungen in Rechtsprechung und Literatur belegt, dass in dieser spezifischen Situation einer dem Laien oftmals in ihrem rechtsgeschäftlichen Charakter unklare Formulierung mit rechtlich komplexen sozialrechtlichen Folgewirkungen die Anforderungen an die eigenverantwortliche Interessenwahrnehmung bei bzw. vor Unterzeichnung der Ausgleichsquittung überspannt sind165. Eine Anwendung des § 312 BGB wäre m. E. deshalb hier eine sachgerechte Lösung, die den für den Arbeitnehmer nötigen zeitlichen Spielraum böte, ohne den Arbeitgeber durch Haftungsrisiken oder übermäßige zeitliche Verzögerungen der administrativen Abwicklung des Arbeitsverhältnisses zu belasten. Gegenüber der zurzeit in Teilen der Rechtsprechung favorisierten generellen Anwendung des AGB-Rechts auf Ausgleichsquittungen stellt ein Widerrufsrecht nach dem Vorbild des § 312 BGB zudem den geringeren Eingriff in die Vertragsfreiheit bei einem höheren Maß an Rechtsicherheit dar166.
V. Fazit Die Wirksamkeit eines nach arbeitsrechtlichen Maßstäben wirksamen Verzichts scheitert im Allgemeinen nicht an seiner möglichen Lastwirkung für Sozialversicherungsträger. Weiter kann auch die Unabdingbarkeit gesetzlicher Normen des Arbeitsvertragsrechts nicht mit dem Gedanken des Schutzes der Sozialleistungsträger vor den Lasten selbstgeschaffener Bedürftigkeit gerechtfertigt werden. Ebenso wenig kann eine analoge Anwendung von allgemeinen sozialrechtlichen Vorschriften wie §§ 32 oder 46 SGB I zur Nichtigkeit arbeitsrechtlich zulässiger Verzichtsvereinbarungen führen. Eine privatrechtliche Nichtigkeitsfolge aus sozialrechtlichen Grün165 Vgl. Hümmerich, NZA 2004, 809, 810; Dieterich, Grundgesetz und Privatautonomie im Arbeitsrecht, RdA 1995, 129, 135. 166 Dazu bereits oben, 5. Kapitel: C. II. 3.
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6. Kap.: Unverzichtbarkeit wegen gemeinwohlschädlicher Folgewirkungen?
den mag zwar rechtssystematisch denkbar sein167, bedürfte aber einer ausdrücklichen spezialgesetzlichen Anordnung. Eine allgemeingültige Lösung des Konflikts zwischen dem im Gemeinwohlinteresse notwendigen Schutz der Sozialleistungsträger vor gewillkürter Inanspruchnahme und der im Individualinteresse gewährten Privatautonomie gibt es nicht. Im Interesse von Privatautonomie und individueller Gestaltungsfreiheit prinzipiell vorzugswürdig erscheinen jedoch Lösungen, die den rechtsgeschäftlichen Willen der Parteien achten und das Problem der gewillkürten Inanspruchnahme der Sozialleistungsträger durch sozialrechtliche Leistungsausschlüsse lösen168. Diese Lösung entspricht im Ansatz dem in § 242 BGB verankertem Grundsatz des venire contra factum proprium und dessen privatversicherungsrechtlicher Konkretisierung durch § 67 Abs. 3 VVG. Der Gesetzgeber hat den Weg der sozialrechtlichen Unbeachtlichkeit des zivilrechtlichen Verzichts u. a. mit der Einführung des § 2 Abs. 2 Satz 9 BKGG gewählt; die sozialgerichtliche Rechtsprechung geht ihn im Krankengeldrecht mit der analogen Anwendung der Ruhensbestimmung des § 49 Abs. 1 Nr. 1 SGB V. Das sozialrechtliche Schutzprinzip wird bei dieser „Lösung zum Nachteil des Sozialleistungsberechtigten“ jedoch zumindest bei unmittelbar zur Sicherung des Existenzminimums dienenden Ansprüchen zu modifizierenden Begrenzungen der Leistungsausschlüsse führen müssen169, wie dies etwa im Sperrzeitrecht der Fall ist. Weiter führen die oftmals unübersichtlichen und für die Arbeitsvertragsparteien bei Abschluss eines Verzichtsvertrages entfernt liegenden sozialrechtlichen Folgewirkungen zu einem gesteigerten Schutzbedürfnis hinsichtlich der unbeabsichtigten Herbeiführung von Leistungsausschlüssen. Neben der sozialrechtlichen Anknüpfung der Leistungsausschlüsse an ein qualifiziertes Verschulden des Berechtigten liefert dies ein zusätzliches rechtspolitisches Argument für die Anwendung des Widerrufsrechts des § 312 BGB auf arbeitsrechtliche Verzichtsverträge.
C. Zusammenfassung Zwingendes Arbeitsvertragsrecht ist wegen der hohen gesellschaftlichen sowie sozial- und wirtschaftspolitischen Relevanz des „Faktors Arbeit“ weit enger in ordnungspolitische Regelungskonzepte eingewoben, als dies in an167
Vgl. Salje, NZA 1990, 299, 304. Vgl. aus verfassungsrechtlicher Perspektive dazu Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 100 f. 169 So auch Salje, NZA 1990, 299, 304. 168
C. Zusammenfassung
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deren Bereichen des Schuldvertragsrechts der Fall ist. Verzichtsvereinbarungen im Individualarbeitsrecht können deshalb theoretisch als Reflexwirkung in ihrer Gesamtheit ein gemeinwohlschädliches Potenzial entwickeln, das ordnungspolitischen Konzeptionen des Gesetzgebers zuwider laufen kann. Soweit der Gesetzgeber in concreto gerade zur Vermeidung derartiger Reflexwirkungen das Instrument des zwingenden Arbeitsvertragsrechts eingesetzt hat, muss die gemeinwohlschützende Tendenz der zivilrechtlichen Unabdingbarkeit einem einzelvertraglichen Verzicht auf diese Ansprüche oder Rechte entgegenstehen. In derartigen Fällen muss die individuelle Verzichtsfreiheit in der Beeinträchtigung übergeordneter Gemeinwohlbelange eine prinzipielle Grenze finden, die es bei der teleologischen Auslegung der Reichweite der Unabdingbarkeitswirkung zu beachten gilt. Die gesetzgeberische Einschätzungsprärogative bei der Festlegung des mit der Unabdingbarkeitsanordnung verfolgten Normzwecks steht dann einer an der individuellen Schutzbedürftigkeit orientierten Relativierung auf vertragstheoretischer Ebene entgegen. Für die hier schwerpunktmäßig untersuchten Normen des Arbeitsvertragsrechts lässt sich eine überwiegend an Gemeinwohlbelangen orientierte Zwecksetzung der Unabdingbarkeit nicht nachweisen; deutlich im Vordergrund stehen Belange des Individualschutzes des Arbeitnehmers170. Eine durch die sozialschützende Motivation des Arbeitsvertragsrechts vermittelte gewisse Gemeinwohlnähe lässt sich zwar auch hier nicht vollständig negieren, sie kann jedoch nicht als eigenständige Begründung der Unverzichtbarkeit dieser Ansprüche dienen. Da und wenn man das Arbeitsvertragsrecht als Teil des Zivilrechts versteht und damit im „Geltungsbereich“ des Primats der Vertragsfreiheit sieht, können außerhalb der Vertragsbeziehung liegende Reflexwirkungen bei der rechtlichen Anerkennung der Verzichtsvereinbarung nur sehr restriktiv Berücksichtigung finden. Vertragstheoretisch begründeter Verzichtsschutz zur Kompensation von wirtschaftlicher Unterlegenheit oder Verzichtsschutz paternalistischer Art trägt den Sozialschutzintentionen des Arbeitsvertragsrechts hinreichend Rechnung. Ein darüber hinausgehendes praktisches Bedürfnis für ein gemeinwohlorientiertes Verzichtsverbot dürfte damit nur in seltenen Ausnahmekonstellationen nachweisbar sein. In den hier näher untersuchten Fallgestaltungen des Diskriminierungsschutzes in Teilzeitarbeitsverhältnissen und der möglichen sozialversicherungsrechtlichen Implikationen eines arbeitsrechtlichen Verzichts konnte 170 Für diese Abgrenzungsfrage kann ergänzend die zur Frage der Eingriffsnormqualität zwingender arbeitsvertragsrechtlicher Normen nach Art. 34 EGBGB ergangene Rechtsprechung und Literatur herangezogen werden, siehe dazu bereits den Einschub oben in der Einleitung dieses Kapitels und die dortigen Nachweise.
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6. Kap.: Unverzichtbarkeit wegen gemeinwohlschädlicher Folgewirkungen?
eine durch Belange des Gemeinwohlschutzes generell und überindividuell legitimierte Einschränkung der Verzichtsbefugnis nicht festgestellt werden. Für die Zulässigkeit einer individualvertraglichen Verzichtsvereinbarung über Ansprüche oder Rechte des Arbeitnehmers aus zwingenden Normen des Arbeitsvertragsrechts haben ordnungspolitische Erwägungen nur eine untergeordnete Bedeutung.
7. Kapitel
Verzichtsschutz durch allgemeine Regeln des Zivilrechts – ein Überblick Der Verzichtsschutz durch arbeitsrechtsspezifische Unabdingbarkeit wird flankiert durch an der Verzichtsvereinbarung selbst ansetzende, allgemeine Schutzinstrumentarien des Vertragsrechts. Prinzipiell losgelöst von einer gesetzlichen Einschränkung der Disponibilität des jeweiligen Anspruchs oder Rechts durch Unabdingbarkeit wird die Wirksamkeit von Verzichtsvereinbarungen über Ansprüche des Arbeitnehmers daher weiter konditioniert1. Auch wenn im konkreten Fall die gesetzlich angeordnete Unabdingbarkeit eines Anspruchs oder Rechts der Verzichtsvereinbarung nicht entgegensteht, hängt ihr Zustandekommen, ihre Wirksamkeit und ihre Bestandskräftigkeit ergänzend von ihrer Kompatibilität mit allgemeinen Wertungen und Schutzinstrumentarien des Schuldvertragsrechts arbeitsrechtlicher Prägung ab. Jenseits der rechtsdogmatischen Einordnung der hier in Betracht kommenden Schutzinstrumentarien geht es bei diesen primär um eine Vermeidung und Einhegung unbedachter und ungewollter rechtlicher Wirkungen der Verzichtsvereinbarung für den Verzichtenden. Hauptanliegen ist zumeist nicht (streng) paternalistischer, sich auch gegen den Willen des Verzichtenden durchsetzender „Schutz vor sich selbst“, sondern ein den rechtsgeschäftlichen Willen des Verzichtenden prinzipiell achtender Schutz vor unerkannt informationsdefizitären Vereinbarungen zum eigenen Nachteil. Lediglich offenkundige Störfälle der materiellen Entscheidungsfreiheit durch heteronome Determinierung werden auch hier ab einer gewissen Erheblichkeit, insbesondere durch die §§ 123 und 138 BGB konditioniert. Insbesondere im Hinblick auf vom juristischen Laien in ihrer rechtlichen Tragweite verkannte Ausgleichsquittungen kommt der Absicherung der Fehlerfreiheit der Willensbildung erhebliche praktische Bedeutung zu2. Typische Fallgruppen informationsdefizitärer Gesamtverzichtsvereinbarungen lassen sich folgendermaßen unterscheiden: In einer ersten Fallgruppe ist dem Arbeitnehmer bei Abgabe einer allgemeinen Erledigungserklärung überhaupt nicht bewusst, dass ihm ein werthaltiger An1 2
B. Preis, Abschied von der Ausgleichsquittung?, ArbuR 1979, 97 ff. Dieterich, Grundgesetz und Privatautonomie im Arbeitsrecht, RdA 1995, 129, 135.
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7. Kap.: Verzichtsschutz durch allgemeine Regeln des Zivilrechts
spruch bzw. ein werthaltiges Recht zusteht, dessen er sich begeben könnte. Die Fehleinschätzung kann dabei sowohl in einem Rechtsirrtum (Bsp.: Der Arbeitnehmer weiß nichts von einem gesetzlichen Urlaubabgeltungsanspruch) als auch in einem Irrtum über das Vorliegen anspruchsbegründender Tatsachen liegen (Bsp.: Eine Arbeitnehmerin vereinbart in Unkenntnis der eigenen Schwangerschaft gegen einen geringen Abfindungsbetrag einen Klageverzicht, weil sie eine auf den allgemeinen Kündigungsschutz gestützte Klage für aussichtslos hält)3. In einer zweiten Fallgruppe verkennt der Verzichtende den rechtsgeschäftlichen Gehalt der von ihm abgegebenen Erklärung, er versteht seine Erklärung, dass ihm „keine Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung mehr zustehen“ als bloße Wissenserklärung, nicht als rechtsgeschäftlich erheblichen Verzichtswillen auf etwaige Ansprüche oder Rechte. In einer dritten Fallgruppe schließlich ist sich der Arbeitnehmer zwar der rechtlichen Tragweite seiner Erklärung gegenüber dem Arbeitnehmer bewusst, er verkennt jedoch deren für eine Entscheidung über einen arbeitsvertraglichen Verzicht relevante Reflexwirkung auf sozialversicherungsrechtliche Ansprüche; m. a. W. verkennt er also die entscheidungserheblichen Wertungsgrundlagen für seine Willenserklärung.
Des Weiteren spielt auch der Gedanke eines Schutzes der Willensbildungsfreiheit vor Überrumpelung oder unfairen Verhandlungsmethoden bei der Vereinbarung von Abwicklungsverträgen und Ausgleichsklauseln eine gewichtige Rolle4. Zur besseren Einordnung des in dieser Arbeit im Mittelpunkt des Interesses stehenden Verzichtsschutzes durch Unabdingbarkeit in das Gesamtsystem des Arbeitsvertragsrechts soll eine knappe Darstellung des Schutzes vor unerwünschtem Rechtsverlust durch rechtsgeschäftlichen Verzicht folgen, der unabhängig von der arbeitsrechtlichen Unabdingbarkeit eingreift. Der Schwerpunkt liegt dabei auf dem die Wertungen der Unabdingbarkeit ergänzenden Schutz vor informationsdefizitären Verzichtserklärungen.
A. Verzichtsschutz durch Verschärfung des Erklärungstatbestands Verzichtsvereinbarungen über Rechte oder Ansprüche des Arbeitnehmers sind in der Systematik des BGB als zweiseitige Verträge einzuordnen5. Entsprechend ist auch die Wirksamkeit der auf Abschluss eines Verzichtsver3 Vgl. BAG vom 16.2.1983 – 7 AZR 134/81 – AP BGB § 123 Nr. 22 (Abschluss eines Aufhebungsvertrages zur Vermeidung des Makels einer ordentlichen Arbeitgeberkündigung durch unerkannt Schwangere). 4 Vgl. dazu unlängst Thüsing, Angemessenheit durch Konsens – Zu den Grenzen der Richtigkeitsgewähr arbeitsvertraglicher Vereinbarungen, RdA 2005, 257, 266 ff. 5 Dazu bereits oben, 1. Kapitel: B. II.
A. Verzichtsschutz durch Verschärfung des Erklärungstatbestands
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trags gerichteten Willenserklärungen – Angebot und Annahme – grundsätzlich nach den Regeln der allgemeinen Willenserklärungslehre zu beantworten. Ein besonderes gesetzliches Formerfordernis besteht hier nicht. Gleichwohl stellt die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts im Allgemeinen gesteigerte Anforderungen an die Unmissverständlichkeit von Willenserklärungen, wenn deren Folgen für den Erklärenden außergewöhnlich einschneidend sind. So hat das Bundesarbeitsgericht zum Erfordernis einer Änderungskündigung nach § 2 KSchG zur Vermeidung der Beendigung des Arbeitsverhältnisses entschieden, dass von einer Ablehnung eines vorherigen Änderungsangebots durch den Arbeitnehmer – und mithin von einer sozialen Rechtfertigung einer Beendigungskündigung – erst dann auszugehen sei, wenn der Arbeitnehmer im Vorhinein unmissverständlich zu erkennen gegeben hat, dass er unter gar keinen Umständen – auch nicht unter dem Vorbehalt der sozialen Rechtfertigung – bereit ist, zu den geänderten Arbeitsbedingungen zu arbeiten. Eine pauschale Ablehnung einer im Vorfeld angebotenen Vertragsänderung reiche dazu im Allgemeinen nicht aus, der Arbeitgeber sei nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz regelmäßig gehalten, trotzdem zunächst eine Änderungskündigung auszusprechen6.
Auch hinsichtlich der Auslegung der auf Verzichtsvereinbarungen gerichteten Willenserklärungen haben sich hier einige Besonderheiten herausgebildet. Diese gründen vor allem auf einem gewissen prinzipiellen Misstrauen gegenüber der Richtigkeit von auf einseitige Preisgabe von Rechten oder Ansprüchen gerichteten Willenserklärungen7.
I. Verzicht durch konkludentes Handeln Verzichtsvereinbarungen über Arbeitnehmeransprüche oder Rechte unterliegen keinem gesetzlichen Formzwang und sind daher grundsätzlich formfrei möglich8. Nicht nur schriftliche Vereinbarungen, sondern auch mündliche Äußerungen oder konkludentes Verhalten kommen daher prinzipiell als mögliche Formen der Kundgabe eines beachtlichen rechtsgeschäftlichen Verzichtswillens in Betracht. Von nur noch historischer Bedeutung für die 6 Vgl. BAG vom 21.4.2005 – 2 AZR 132/04 – www.bundesarbeitsgericht.de m. w. N. 7 Vgl. Köck, Grenzen der Zulässigkeit des Verzichts auf schon entstandene Arbeitnehmeransprüche, ZAS 1986, 73, 79 f. (zum österreichischen Recht). 8 Das Schriftformerfordernis des § 623 BGB für Beendigungsvereinbarungen hat daran nach wohl herrschender und zutreffender Ansicht auch für sog. Abwicklungsverträge, in denen der Arbeitnehmer im Zusammenhang mit einer Arbeitgeberkündigung auf Erhebung einer Kündigungsschutzklage verzichtet, nichts geändert, vgl. dazu statt vieler ErfK - Müller-Glöge BGB § 623 Rn. 14 m. w. N.; ohne nähere Begründung a. A. offenbar Trittin/Backmeister, Arbeitsgerichtsbeschleunigungsgesetz, DB 2000, 618, 621.
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7. Kap.: Verzichtsschutz durch allgemeine Regeln des Zivilrechts
Entwicklung der Unverzichtbarkeit tariflicher Ansprüche ist insoweit die bis Ende der zwanziger Jahre herrschende Meinung, die bereits in der widerspruchslosen Annahme eines geringeren als des vereinbarten Lohns durch den Arbeitnehmer einen konkludenten Verzicht auf den Restlohnanspruch sah9. Heute wird die Zulässigkeit eines „stillschweigenden Erlassvertrags“ durch konkludentes Verhalten restriktiv betrachtet10. Bereits das Reichsarbeitsgericht11 ging seit Ende der zwanziger Jahre davon aus, dass § 397 BGB grundsätzlich eng auszulegen sei und es sich insbesondere verbiete, das Vorliegen eines Verzichts zu vermuten12. Die prinzipielle Skepsis gegenüber der Richtigkeit eines einseitigen Fremdbegünstigungswillens wird hier zum ausschlaggebenden Moment der restriktiven Vertragsauslegung. An der grundsätzlichen Zulässigkeit auch eines nur konkludent vorgenommenen Verpflichtungsgeschäfts zu einem Verzicht auf Ansprüche oder Rechte ändert dies zwar nichts, die tatsächlichen Spielräume für entsprechende Verhaltensdeutungen sind damit jedoch deutlich enger als bei Verträgen, die ihrer Natur nach auf ein echtes Austauschverhältnis gerichtet sind13.
II. Verzicht durch allgemeine Erledigungsklauseln Die Bedeutung des nur konkludent erklärten Verzichts tritt gegenüber dem in der Praxis häufigen Fall der schriftlichen, vom Arbeitnehmer unterzeichneten Ausgleichsquittung oder des schriftlichen Abwicklungsvertrages mit einer allgemeinen Erledigungsklausel in den Hintergrund. Nach zivilrechtlichen Auslegungsgrundsätzen ist im Allgemeinen davon auszugehen, dass der Erklärende das, was er unterschreibt, auch gegen sich gelten lassen will. Von rechtlicher Relevanz ist deshalb regelmäßig die Abgrenzungsfrage, ob eine bestimmte Formulierung als rein deklaratorische Wissenserklärung oder als eine auf einen Verzicht gerichtete rechtsgeschäft9 Vgl. dazu bereits die Ausführungen oben, 5. Kapitel: A. I.; insb. Nipperdey, Beiträge zum Tarifrecht (1924), S. 19 m. w. N. und Seelig, Unabdingbarkeit und Erlaßvertrag, Diss. Uni Breslau 1928, S. 11 ff. (jeweils mit zahlreichen Nachweisen aus der damaligen Rechtsprechung und Literatur). 10 Allg. Ansicht, statt vieler Staudinger - Rieble BGB § 397 Rn. 103. 11 Vgl. RAG vom 1.2.1928 – 47/27 – ARS Bd. 2, 12 ff.; RAG vom 13.7.1935 – RAG. 16/35 – ARS Bd. 24, 93, 96; RAG vom 6.11.1935 – RAG. 181/35 – ARS Bd. 25, 135, 137. 12 Heute ganz herrschende Meinung, vgl. nur BGH vom 15.1.2002 – X ZR 91/00 – NJW 2002, 1044, 1046; BGH vom 10.5.2001 – VII ZR 356/00 – NJW 2001, 2325, 2326; LAG Hamm vom 7.12.2000 – 16 Sa 1152/00 – NZA-RR 2002, 15, 16 und aus dem Schrifttum statt vieler Staudinger - Rieble BGB § 397 Rn. 101 ff. 13 Dies ändert nichts daran, dass auch der Verzicht synallagmatische Gegenleistung eines umfassenderen Austauschverhältnisses sein kann.
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liche Willenserklärung hinsichtlich etwaiger Ansprüche oder Rechte gedeutet werden muss14. Fraglich kann im letzteren Fall weiter auch der Umfang der Verzichtswirkung hinsichtlich unbekannter Rechte oder Ansprüche sein. 1. Konstitutiver oder deklaratorischer Charakter der allgemeinen Erledigungsklausel? Zu den Abwicklungsmodalitäten des gekündigten oder bereits beendigten Arbeitsverhältnisses treffen die Arbeitsvertragsparteien häufig Vereinbarungen, die neben detaillierten rechtsgeschäftlichen Regelungen über Einzelfragen allgemeine Erledigungsklauseln – etwa dergestalt, dass „neben den ausdrücklich getroffenen Vereinbarungen aus dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung keine gegenseitigen Ansprüche mehr bestehen“ – enthalten. Welche Rechtsqualität und welchen Umfang eine allgemeine Ausgleichsklausel hat, ist durch Auslegung nach den Regeln der §§ 133, 157 BGB zu ermitteln. Ausgangspunkt ist dabei der Wortlaut der schriftlich niedergelegten Erklärung. Ein deklaratorisches negatives Schuldanerkenntnis ist danach anzunehmen, wenn die Parteien nur die von ihnen angenommene Rechtslage eindeutig dokumentieren und damit fixieren wollen. Dagegen ist eine Verzichtsvereinbarung mit rechtsvernichtendem Charakter anzunehmen, wenn der Wille der Parteien darauf gerichtet ist, alle oder eine bestimmte Gruppe von bekannten oder unbekannten Ansprüchen zum Erlöschen zu bringen15. In der Praxis finden sich jedoch regelmäßig Formulierungen, aus denen sich dem reinen Wortlaut nach ein rechtsvernichtender Charakter der Erklärung nicht unmittelbar ergibt. Es wird zumeist lediglich feststellend formuliert, dass alle Ansprüche „erledigt seien“, „abgegolten seien“ oder der Arbeitnehmer „keine Forderungen mehr habe“16. In erster Ansehung spricht ein derartiger Wortlaut gegen den rechtsvernichtenden Charakter der Vereinbarung17; dennoch wird solchen Formulierungen häufig ohne weiteres Ver14
Vgl. auch AR-Blattei-SD (Kramer/Marhold) Nr. 290 Ausgleichsquittung Rn. 31 ff. 15 Vgl. nur BAG vom 19.11.2003 – 10 AZR 174/03 – AP BGB § 611 Konkurrenzklausel Nr. 50. 16 Vgl. BAG vom 20.8.1980 – 5 AZR 759/78 – AP LohnFG § 9 Nr. 3; BAG vom 28.7.2004 – 10 AZR 661/03 – AP TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 177; BAG vom 19.11.2003 – 10 AZR 174/03 – AP BGB § 611 Konkurrenzklausel Nr. 50. 17 So auch BAG vom 20.8.1980 – 5 AZR 759/78 – AP LohnFG § 9 Nr. 3; ARBlattei-SD (Kramer/Marhold) Nr. 290 Ausgleichsquittung Rn. 29; B. Preis, Abschied von der Ausgleichsquittung?, ArbuR 1979, 97, 103 f.; ablehnend Schlüter, Anm. zu BAG vom 20.8.1980 – 5 AZR 759/78 – EzA LohnFG § 9 Nr. 7, der entgegen dem BAG den rechtsvernichtenden Charakter eines derartigen Wortlauts für „schwerlich missverständlich“ hält.
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zichtscharakter beigemessen18. M. E. hat sich die arbeitsgerichtliche Praxis in Deutschland19 damit unter Hinweis auf die dem Arbeitsrechtler geläufige Üblichkeit der genannten Formulierungen für rechtsvernichtende Erledigungsklauseln zum Teil zu weit vom allgemeinen Sprachgebrauch und den im Grundsatz allgemein anerkannten restriktiven Auslegungsgrundsätzen zum nur konkludent erklärten Verzicht entfernt20. Arbeitsrechtlich nicht vorgebildete oder beratene Arbeitnehmer geraten so leicht in Gefahr, den rechtsvernichtenden Charakter einer Ausgleichsquittung – und damit deren Brisanz für ihre Interessen – zu verkennen21. Betrachtet man zunächst isoliert nur die Wortlautebene der Vertragsauslegung, so müsste man für die Wirksamkeit von Ausgleichsquittungen/Ausgleichsklauseln als rechtsvernichtende Vereinbarung zumindest die Verwendung aus dem allgemeinen Sprachgebrauch bekannter Signalwörter wie etwa „erlöschen“ oder eben „verzichten“ für die gewillkürte Beseitigung von Ansprüchen fordern22. Es kann kein schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers an durch die Verwendung verschleiernder Formulierungen erschlichenen Begünstigungen durch wirtschaftlich einseitige Verzichtsvereinbarungen geben. Allerdings darf die Vertragsauslegung nach den Grundsätzen der §§ 133, 157 BGB23 nicht auf der Wortlautebene stehen bleiben. Die Umstände des Vertragsschlusses einerseits und mit der Verkehrssitte auch die Üblichkeit bestimmter Formulierungen andererseits sind angemessen zu berücksichtigen. Das kann im konkreten Fall dazu führen, dass auch dann zutreffend vom übereinstimmenden Willen der Parteien zum Abschluss einer rechtsvernichtenden Erledigungsklausel ausgegangen werden kann, wenn eine iso18
Exemplarisch für derart apodiktische Deutungen auch MünchArbR - Wank § 127 Rn. 3, „Unterschreibt der Arbeitnehmer eine Ausgleichsquittung, dann muss ihm bewusst sein (Hervorhebung vom Verf.), dass seiner Erklärung eine weitergehende Bedeutung zukommt als einer bloßen Empfangsquittung“; vgl. auch die Formulierungsbeispiele von Bauer, Arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge, IV. Rn. 378. 19 Vgl. zur deutlich restriktiveren Linie der Rechtsprechung in Österreich und Italien AR-Blattei-SD (Kramer/Marhold) Nr. 290 Ausgleichsquittung Rn. 174 ff. 20 Zuletzt BAG vom 28.7.2004 – 10 AZR 661/03 – AP TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 177; anders noch BAG vom 20.8.1980 – 5 AZR 759/78 – AP LohnFG § 9 Nr. 3; sehr zurückhaltend auch LAG Hamm vom 7.12.2000 – 16 Sa 1152/00 – NZA-RR 2002, 15, 16. 21 LAG Düsseldorf vom 13.4.2005 –12 Sa 154/05 – LAGE BGB 2002 § 307 Nr. 7. 22 Vgl. Staudinger - Rieble BGB § 397 Rn. 104; B. Preis, Abschied von der Ausgleichsquittung?, ArbuR 1979, 97, 105, 108. Zum Maßstab des Transparenzgebotes formularvertraglicher Vereinbarungen nach §§ 305 ff. BGB unten, 7. Kapitel: B. II. 2. 23 Zu den Besonderheiten der AGB-rechtlichen Auslegung sogleich, 7. Kapitel: B. II. 2.
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lierte Betrachtung des Wortlauts auch die Deutung als rein deklaratorische Wissenserklärung zuließe24. Die Interpretation der verwendeten Formulierung kann deshalb nicht allgemeingültig und losgelöst von den Umständen des Einzelfalls erfolgen. Allein die Üblichkeit einer auch rein deklaratorisch deutbaren Formulierung einer allgemeinen Erledigungsklausel darf dennoch nicht zu einem unkritischen Abrücken vom Grundsatz führen, dass ein rechtsvernichtender Verzicht nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht vermutet werden darf25. Auffällig bleibt, dass die zivilgerichtliche Rechtsprechung an die Feststellung eines Verzichtswillens im Allgemeinen deutlich strengere Anforderungen stellt26, als die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung dies tut27. Was dem Arbeitsrechtler geläufige Formulierungen sind, dürfte für die meisten Arbeitnehmer unbekanntes Terrain sein28. Ergreift der Arbeitgeber die Initiative zur Vereinbarung von Ausgleichsquittungen zur Herbeiführung eines Rechtsverzichts durch den Arbeitnehmer, so ist ihm auch zuzumuten, dass er darin in jeder Hinsicht unzweifelhaft „die Karten auf den Tisch legt“29. 2. Erklärungsbewusstsein als Wirksamkeitsvoraussetzung? Soweit der Arbeitnehmer bei Unterzeichnung einer allgemeinen Erledigungsklausel gänzlich ohne rechtsgeschäftliches Erklärungsbewusstsein handelte (vgl. dazu oben die 2. Fallgruppe), stellt sich überdies die Frage, ob überhaupt eine rechtsgeschäftlich wirksame Willenserklärung des Arbeitnehmers vorliegen kann. Die Erteilung einer Quittung i. S. des § 368 BGB, 24 Vgl. BAG vom 20.8.1980 – 5 AZR 759/78 – AP LohnFG § 9 Nr. 3 einerseits; BAG vom 28.7.2004 – 10 AZR 661/03 – AP TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 177 andererseits; vgl. auch AR-Blattei-SD (Kramer/Marhold) Nr. 290 Ausgleichsquittung Rn. 34, 40 ff. 25 LAG Hamm vom 7.12.2000 – 16 Sa 1152/00 – NZA-RR 2002, 15, 16. Vgl. auch die rechtsvergleichende Übersicht bei Kramer/Marhold, AR-Blattei-SD (Kramer/Marhold) Nr. 290 Ausgleichsquittung Rn. 174 ff. 26 Vgl. BGH vom 15.1.2002 – X ZR 91/00 – NJW 2002, 1044, 1046; BGH vom 10.5.2001 – VII ZR 356/00 – NJW 2001, 2325, 2326; LAG Hamm vom 7.12.2000 – 16 Sa 1152/00 – NZA-RR 2002, 15, 16. 27 BAG vom 28.7.2004 – 10 AZR 661/03 – AP TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 177; ähnlich LAG München vom 28.5.2000 – 10 Sa 1190/98 – NJOZ 2001, 69 ff.; anders (jedoch bezeichnendfung auf die zivilgerichtliche Rechtsprechung) LAG Hamm vom 7.12.2000 – 16 Sa 1152/00 – NZA-RR 2002, 15, 16. 28 Vgl. auch LAG Düsseldorf vom 13.4.2005 – 12 Sa 154/05 – LAGE BGB 2002 § 307 Nr. 7; ausführlich dazu bereits B. Preis, Abschied von der Ausgleichsquittung?, ArbuR 1979, 97, 103 f. 29 So die von Grunsky übernommene Formulierung des BAG vom 20.8.1980 – 5 AZR 759/78 – AP LohnFG § 9 Nr. 3.
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beispielsweise über den Erhalt vom Arbeitgeber herauszugebender Arbeitspapiere, ist für sich genommen gerade kein Rechtsgeschäft30. Ist daher die in der Unterzeichnung einer vom Arbeitgeber vorgelegten, so genannten „Ausgleichsquittung“ ausschließlich vom Willen des Arbeitnehmers zur Erteilung einer reinen Empfangsquittung getragen, fehlt es nicht nur an einem auf einen bestimmten Verzicht des Arbeitnehmers gerichteten Geschäftswillen des Arbeitnehmers; es fehlt darüber hinaus bereits am Bewusstsein, überhaupt eine rechtserhebliche Willenserklärung abzugeben31. Aus der Perspektive der Willenserklärungslehre liegt dieser Fall im Grundsatz nicht anders als der klassische Schulfall von der Trierer Weinversteigerung32. Auch hier ist deshalb die sich daran anschließende alte Streitfrage relevant, ob die Wirksamkeit des Vertragsschlusses vom subjektiven rechtsgeschäftlichen Erklärungsbewusstsein der Parteien abhängt. Im Rahmen dieser Arbeit kann diese Frage nicht vertieft erörtert werden33. Entscheidend für ihre Beantwortung dürfte aber im Wesentlichen eine Abwägung der für die gegensätzlichen Positionen streitenden Wertungen des BGB sein, die sich – grob gezeichnet – auf Folgendes reduzieren lassen: Das Prinzip der Selbstbestimmungsfreiheit des Erklärenden hinsichtlich der Herbeiführung rechtsgeschäftlicher Bindungen einerseits und der Schutz des Vertrauens des Erklärungsempfängers auf die Gültigkeit der abgegebenen Erklärung und damit die Sicherheit des Rechtsverkehrs andererseits. Zur eigentlich entscheidenden Frage wird damit, welcher Seite das Risiko einer derart fehlerhaften Willenserklärung zuzurechnen ist34. Die wohl herrschende Meinung unterscheidet nicht zwischen „einfach“ fehlerhaften Willenserklärungen aus dem angestammten Anwendungsbereich des § 119 BGB und solchen, denen überhaupt das Element eines subjektiven rechtsgeschäftlichen Erklärungsbewusstseins fehlt, und geht daher in der Regel von der Wirksamkeit der ohne Erklärungsbewusstsein abgegebenen – dann aber u. U. anfechtbaren – Willenserklärung aus35. Ausrei30
Vgl. Staudinger - Olzen BGB § 368 Rn. 4; MüKo - Wenzel BGB § 368 Rn. 2. Vgl. bereits Dorndorf, Anm. zu BAG vom 21.12.1972 – 5 AZR 319/72 – SAE 1974, 115, 117 f.; zum Sonderproblem der Vereinbarung von Ausgleichsquittungen mit fremdsprachigen Arbeitnehmern AR-Blattei-SD (Kramer/Marhold) Nr. 290 Ausgleichsquittung Rn. 44 f. 32 Vgl. dazu MüKo - Kramer BGB § 119 Rn. 92. 33 Vgl. dazu die Arbeiten von Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen, Habil. Uni München 1993 und Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, Diss. Uni Trier 2004. 34 Singer, a. a. O., S. 175 ff.; besonders deutlich zur Funktion des Erklärungsbewusstseins als Zurechnungsfaktor auch Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 135 f. 35 So insbesondere BGH vom 2.11.1989 – IX ZR 197/88 – BGHZ 109, 171, 177; BGH vom 7.6.1984 – IX ZR 66/83 – BGHZ 91, 324 ff.; statt vieler auch 31
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chend für eine Zurechnung erklärungserheblichen Verhaltens als Willenserklärung soll sein, dass der sich Äußernde fahrlässig nicht erkannt hat, dass sein Verhalten als Willenserklärung aufgefasst werden konnte und der Empfänger es tatsächlich auch so verstanden hat36. Diese Risikozuweisung mag im Allgemeinen auch die überzeugendere Lösung sein, zumal Differenzierungen zwischen (scheinbaren) Willenserklärungen ohne rechtsgeschäftlichem Erklärungsbewusstsein und solchen, die von einer vollständigen Fehlvorstellung vom rechtsgeschäftlichen Erklärungsinhalt getragen sind, häufig eher gekünstelt wirken37. Für den Fall der isolierten allgemeinen Erledigungsklausel in einer Ausgleichsquittungen ist das Ergebnis der herrschenden Meinung dennoch fragwürdig. Denn die Besonderheit derartiger Vereinbarungen besteht darin, dass durch sie für den Arbeitgeber eben gerade keine positive Verpflichtung zur Vertragserfüllung begründet wird38. Ein schutzwürdiges Vertrauen des Arbeitgebers, der eine verschleiernde Generalklausel verwendet, die typischerweise ausschließlich Ansprüche des Arbeitnehmers vernichtet, ist nicht erkennbar. Derartige Vereinbarungen liegen in aller Regel im alleinigen Interesse des Arbeitgebers und werden meist ausschließlich auf seine Veranlassung hin getroffen, wobei der Arbeitgeber umso eher mit der „Akzeptanz“ einer solchen Vereinbarung rechnen kann, je weniger er durch eine knappe, allgemeine und in ihrer Wortwahl möglichst harmlos gehaltene Formulierung den „rechtsgeschäftlichen Argwohn“ des Arbeitnehmers erregt39. Die Verantwortung für die Fehlerhaftigkeit des in einer Ausgleichsquittung liegenden Konsenses über ihre Verzichtswirkung liegt damit typischerweise überwiegend beim Arbeitgeber, der in der Regel als Antragender des primär in seinem Interesse liegenden Vertragsschlusses auftritt40. Und gerade darin liegt m. E. zumindest bei Willenserklärungen, die auf die Annahme einseitig verpflichtender – oder hinsichtlich der beidseitig wirkenden Erledigungsklausel doch zumindest typischerweise nur einseitig belastender – Verträge MüKo - Kramer BGB § 119 Rn. 93 mit einer Übersicht zum Meinungsstand; a. A. Singer, a. a. O., S. 176, der gerade aus dem Gedanken der Selbstverantwortung des Erklärenden eine solche Differenzierung folgert: Es falle wesentlich leichter, demjenigen, der sich bewusst auf die Ebene des Rechtsgeschäftsverkehrs begebe, zu guter Letzt auch die vollständige Verantwortung für sein Tun aufzubürden als demjenigen, dem gegen seinen Willen eine rechtsgeschäftliche Verpflichtung auferlegt wird. 36 BGH vom 2.11.1989 – IX ZR 197/88 – BGHZ 109, 171, 177. 37 Vgl. dazu Werba, a. a. O., S. 54 f.; Bydlinski, Entscheidungsbewusstsein und Rechtsgeschäft, JZ 1975, 1 ff. 38 B. Preis, Abschied von der Ausgleichsquittung?, ArbuR 1979, 97, 107 f. 39 Vgl. BAG vom 20.8.1980 – 5 AZR 759/78 – AP LohnFG § 9 Nr. 3; vgl. B. Preis, Abschied von der Ausgleichsquittung?, ArbuR 1979, 97, 103 f. 40 Vgl. LAG Düsseldorf vom 13.4.2005 –12 Sa 154/05 – LAGE BGB 2002 § 307 Nr. 7 [unter B. II. 2.].
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gerichtet sind41, ein entscheidender wertungsmäßiger Unterschied zu den Fällen begründet, in denen der Erklärende sich über Inhalt, Reichweite oder Rechtsfolgen einer als rechtsgeschäftlich erkannten Erklärung irrt42: Wer weiß oder nach den Umständen unzweifelhaft wissen muss, dass er rechtsgeschäftlich handelt, dem kann und muss im Grundsatz auch die Verantwortung für sein Tun zugerechnet werden. Er hat dann Anlass, dasjenige Maß an Sorgfalt walten zu lassen, das er im rechtsgeschäftlichen Verkehr zur Wahrung seiner Interessen für notwendig erachtet43. Der Schutz des Erklärungsempfängers und damit des Rechtsverkehrs muss bei gleichwohl auftretenden Fehlvorstellungen dann im Allgemeinen in der Interessenabwägung überwiegen. Die Verantwortung für Missverständnisse über den rechtsgeschäftlichen Gehalt einer vorgelegten „Ausgleichs“-Quittung dürfte dagegen in der Regel zumindest überwiegend beim Arbeitgeber und weniger beim Arbeitnehmer als durch seine Unterschrift formal Erklärenden liegen. Entsprechend sollte hier m. E. auch das Risiko für Missverständnisse über den deklaratorischen oder konstitutiven Charakter der Vereinbarung in Gestalt der Nichtigkeit der ohne Erklärungsbewusstsein des Arbeitnehmers abgegebenen Verzichtserklärung regelmäßig überwiegend beim Arbeitgeber angesiedelt werden44. Dadurch entstehende Rechtsunsicherheiten hinsichtlich der Wirksamkeit einer konkreten Erledigungsklausel dürften auf der Ebene der im Streitfall vom Richter vorzunehmenden Tatsachenwürdigung hinreichend zu begrenzen sein. Zum einen dürfte bei weitem nicht jede Einlassung eines Arbeitnehmers, er habe ohne Erklärungsbewusstsein gehandelt, nach den Umständen des Einzelfalls glaubhaft erscheinen, zum anderen hat es der Arbeitgeber durch Verwendung eines hinsichtlich des rechtsvernichtenden Charakters klaren Wortlauts45 selbst in der Hand, einem entgegenstehenden Vortrag des Arbeitnehmers weitgehend den Boden zu entziehen. 41 Vgl. zu dem anders liegenden Fall des beim Antragenden fehlenden Erklärungsbewusstseins BGH vom 7.6.1984 – IX ZR 66/83 – BGHZ 91, 324 ff. 42 Vgl. auch LAG Düsseldorf vom 13.4.2005 – 12 Sa 154/05 – LAGE BGB 2002 § 307 Nr. 7 [unter B. II. 2.]. 43 Vgl. Bydlinski, Entscheidungsbewusstsein und Rechtsgeschäft, JZ 1975, 1, 5. 44 Ob den Arbeitnehmer hier in analoger Anwendung des § 122 BGB eine auf Ersatz des Vertrauensschadens des Arbeitgebers gerichtete (u. U. verschuldensunabhängige) Schadensersatzpflicht treffen kann, ist hier nur von sekundärer praktischer Bedeutung, weil es an einem solchen regelmäßig fehlen dürfte. Diese Frage kann deshalb hier dahinstehen; kritisch dazu allgemein Bydlinski, ebenda. 45 In dieser Hinsicht unzweifelhaft – wenn auch bisher wohl eher unüblich – dürfte etwa eine Formulierung sein, wonach die Arbeitsvertragsparteien „hiermit auf etwaige noch bestehende Ansprüche oder Rechte aus dem Arbeitsverhältnis und sei-
A. Verzichtsschutz durch Verschärfung des Erklärungstatbestands
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Soweit sich dagegen der Arbeitnehmer gegenüber den ihm möglichen und in der Situation zumutbaren Anstrengungen zur Kenntnisnahme des Inhalts des ihm vorgelegten Schriftstücks verschließt, indem er es beispielsweise ungelesen unterschreibt, wird man ihn auch nicht mit dem Einwand fehlenden Erklärungsbewusstseins hören können46. Denn wer ein vorgelegtes Schriftstück ungelesen unterschreibt, der muss sich die darin liegende Erhöhung des Risikos der Abweichung des objektiv Erklärten vom Gewollten auch dann zurechnen lassen, wenn er subjektiv der Meinung ist, allenfalls eine nicht-rechtsgeschäftliche Erklärung wie z. B. eine echte Quittung i. S. des § 368 BGB abzugeben47. Bedeutung und Risiko der Unterschriftsleistung im Rechtsverkehr sind allgemein bekannt; deshalb muss derjenige, der durch aufmerksames Studium des unterschriebenen Textes die Gefahr von Missbräuchen oder Verwechselungen begrenzen könnte, im Regelfall auch das Unrichtigkeitsrisiko tragen, wenn er diese Mühewaltung unterlässt48. Die wesentliche praktische Bedeutung der Auslegung einer ohne Erklärungsbewusstsein und/oder Geschäftswillen des Arbeitnehmers unterschriebenen Ausgleichsquittung als nur deklaratorische Wissenserklärung oder konstitutive Willenserklärung ergibt sich zum einen aus der kurzen Anfechtungsfrist des § 121 BGB49. Zum anderen ist bei der Anfechtung regelmäßig der Arbeitnehmer beweisbelastet. Beruft sich der Arbeitgeber im Prozess über einen Anspruch des Arbeitnehmers auf das Erlöschen des Anspruchs infolge einer Ausgleichsquittung, so muss er nur das Vorliegen einer wirksamen Verzichtsvereinbarung darlegen und beweisen50. Für das Vorliegen eines anfechtungsbegründenden Irrtums wäre dagegen der Arbeitnehmer beweispflichtig, d.h. Zweifel über den rechtlichen Gehalt der von den Parteien getroffenen Vereinbarung gehen dann voll zu seinen Lasten51.
Fehlendes Erklärungsbewusstsein des Arbeitnehmers allein ist deshalb bei der Frage, ob eine auf einen Verzicht gerichtete Willenserklärung des Arbeitnehmers vorliegt, nicht ausschlaggebend. Entscheidend ist unabhängig davon, welcher Seite das überwiegende Risiko der Fehlerhaftigkeit ner Beendigung sowie die Erhebung einer Kündigungsschutzklage endgültig verzichten.“ 46 Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz im Recht der Willenserklärungen, S. 196. 47 Singer, ebenda, S. 194 ff.; vgl. auch Werba, Die Willenserklärung ohne Willen, S. 135 f. 48 So die wohl herrschende Meinung, vgl. Palandt - Heinrichs BGB § 119 Rn. 9; MüKo - Kramer BGB § 119 Rn. 50; eingehend dazu Singer, ebenda; Bydlinski, a. a. O. 49 Vgl. dazu BAG vom 21.1.1981 – 7 AZR 1093/78 – AP BGB § 119 Nr. 6. 50 Vgl. statt vieler MünchArbR - Wank § 127 Ausgleichsquittung Rn. 33. 51 MünchArbR - Wank, ebenda.
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7. Kap.: Verzichtsschutz durch allgemeine Regeln des Zivilrechts
der Willenserklärung zuzurechnen ist52. Erklärungsbewusstsein ist insoweit zwar ein starker Zurechnungsfaktor, nicht aber konstitutives Element für die Wirksamkeit der (Verzichts-)Willenserklärung. 3. Restriktive Auslegung des Umfangs des Generalverzichts? Von der grundsätzlichen Wirksamkeit ist die weitere Frage zu unterscheiden, ob eine als solche an sich hinreichend deutliche allgemeine Verzichtsklausel auch Ansprüche und Rechte des Arbeitnehmers erfassen kann, von deren Bestehen die Parteien zum Zeitpunkt der Vereinbarung gar nichts geahnt haben. Wollte man auch diesbezüglich nach dem Grundsatz „kein Verzicht ohne (konkreten) Verzichtswillen“ handeln, so liefe das dem grundsätzlich anzuerkennenden Interesse der Parteien an der Vereinbarung einer (übereinstimmend gewollten) erledigenden Generalklausel zur umfassenden und endgültigen Beendigung aller wechselseitigen Beziehungen und damit der Klarstellungs- und Befriedungsfunktion der Ausgleichsquittung zuwider53. Eine Art Zitiergebot, das die Wirksamkeit des Verzichts von der ausdrücklichen Erwähnung des jeweiligen Anspruchs abhängig macht, entspricht hier gerade nicht dem übereinstimmenden Interesse der Parteien an der umfassenden Klärung ihrer Rechtsbeziehungen durch erledigenden Generalverzicht. Zudem dürfte ein derartiges Zitiergebot die praktische Folge haben, dass dann umfangreiche vorbereitete Listen mit ausdrücklicher Erwähnung aller nur erdenklicher wechselseitiger Ansprüchezur Unterschrift vorgelegt werden54. Zu mehr Transparenz dürfte das nicht jedoch führen. Der Rechtsprechung kann nicht gefolgt werden, wenn sie speziell in der gesetzlichen Unabdingbarkeit einen Anknüpfungspunkt für die restriktive Auslegung des Verzichtswillens sieht. Der auslegungsleitende Gedanke, dass grundsätzlich niemand – und insbesondere nicht der Arbeitnehmer gegenüber seinem Arbeitgeber – etwas zu verschenken habe55, trifft unabhängig von der Art des Rechtsgrunds auf alle wohlerworbenen Ansprüche oder Rechte gleichermaßen zu. Das Nötige dazu wurde bereits oben gesagt56. In diesem Sinne entspricht es dem Parteiwillen, eine erledigende Generalverzichtsklausel, die als solche hinsichtlich ihres rechtsvernichtenden Cha52 Werba, a. a. O. S. 136; vgl. MüKo - Kramer BGB § 119 Rn. 49 ff.; ähnlich auch B. Preis, Abschied von der Ausgleichsquittung?, ArbuR 1979, 97, 103 f., 107 f. 53 Vgl. AR-Blattei-SD (Kramer/Marhold) Nr. 290 Ausgleichsquittung Rn. 34. 54 ErfK - Preis BGB § 611 Rn. 516 empfiehlt das. 55 Vgl. z. B. BAG vom 20.8.1980 – 5 AZR 759/78 – AP LohnFG § 9 Nr. 3. 56 Vgl. dazu schon oben, 5. Kapitel: C. II. 3.
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rakters hinreichend deutlich ist, umfassend dahin auszulegen, dass grundsätzlich auch den Parteien unbekannte Ansprüche von ihr erfasst werden57.
III. Weitergehende Aufklärungs- und Hinweispflichten Liegt nach Maßgabe der vorgenannten Auslegungskriterien eine als Verzicht zu deutende Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien vor, so hängt ihre Rechtswirksamkeit im Allgemeinen nicht davon ab, ob der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auf diese Rechtsfolge explizit hingewiesen hat58. Nach dem Grundsatz der Selbstverantwortung haben die Parteien das Rechtsfolgenrisiko ihrer Willenserklärungen regelmäßig selbst zu tragen. Für fremdsprachige Arbeitnehmer sind hinsichtlich der rechtsvernichtenden Wirkung der Ausgleichsquittung hier jedoch zum Teil Ausnahmen aus der arbeitsrechtlichen Fürsorgepflicht des Arbeitgebers hergeleitet worden59. Angesprochen sind damit Fälle, in denen der Arbeitgeber erkennen muss, dass der Arbeitnehmer der deutschen Sprache nur unzureichend mächtig ist und deshalb zu erwarten steht, dass er die Art der Urkunde oder zumindest deren Inhalt nicht im Einzelnen verstehen kann. In diesen Fällen soll dem Arbeitgeber entweder eine entsprechende Aufklärungspflicht zuzurechnen sein, deren Verletzung zur Folge habe, dass keine wirksame Willenserklärung des Arbeitnehmers anerkannt werden könne60, oder er ist gehalten, dem Arbeitnehmer eine den oben skizzierten Deutlichkeitsanforderungen entsprechende Übersetzung in die Muttersprache zur Verfügung zu stellen61. Eine andere Frage ist dem gegenüber, ob und inwieweit Beseitigungsrechte des Arbeitnehmers aus einer mangelnden Verständigung über den materiellen Vertragsinhalt der Ausgleichsquittung resultieren können. Soweit dem Verhalten des 57 BAG vom 28.7.2004 – 10 AZR 661/03 – AP TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 177; BAG vom 19.11.2003 – 10 AZR 174/03 – AP BGB § 611 Konkurrenzklausel Nr. 50; a. A. offenbar MünchArbR - Wank § 127 Rn. 17. Einschränkungen sind insoweit jedoch hinsichtlich des Rechtsverzichts auf gerichtlichen Beendigungsschutz zu machen, da es sich hier nicht um Ansprüche gegen den Arbeitgeber, sondern um gesetzlich eingeräumte Möglichkeiten zur prozessualen Rechtsdurchsetzung handelt, insoweit zutreffend MünchArbR - Wank § 127 Rn. 14 ff. 58 BAG vom 20.8.1980 – 5 AZR 759/78 – AP LohnFG § 9 Nr. 3. 59 Streitig, einen Überblick zum Meinungsstand im Einzelnen liefern AR-Blattei-SD (Kramer/Marhold) Nr. 290 Ausgleichsquittung Rn. 44 ff. 60 AR-Blattei-SD (Kramer/Marhold) Nr. 290 Ausgleichsquittung Rn. 45; LAG Düsseldorf vom 24.9.1965 – 1 Sa 321/65 – DB 1966, 507; LAG Düsseldorf vom 2.11.1971 – 8 Sa 346/71 – DB 1971, 2318 f.; LAG Berlin vom 7.12.1972 – 7 Sa 100/72 – BB 1973, 1030; LAG Frankfurt vom 6.2.1974 – 6 Sa 608/73 – BB 1975, 562; gegen eine spezifische Aufklärungspflicht gegenüber fremdsprachigen Arbeitnehmern aber LAG Berlin vom 17.4.1978 – 9 Sa 130/77 – EzA BGB § 397 Nr. 3. 61 LAG Hamm vom 31.8.1977 – 11 Sa 451/77 – BB 1978, 611.
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Arbeitgebers bereits die Qualität einer Täuschungshandlung zukommt, wäre an ein Anfechtungsrecht des Arbeitnehmers aus § 123 Abs. 1 BGB zu denken; da und wenn im Aufrechterhalten eines für den Arbeitgeber erkennbaren Irrtums des Arbeitnehmers ein schuldhaftes Verhalten liegt, käme ein schadensersatzrechtlicher Anspruch auf Vertragsaufhebung nach den Grundsätzen der culpa in contrahendo in Betracht62. Dies wird sogleich noch näher zu beleuchten sein.
Als konstitutives Wirksamkeitserfordernis der Ausgleichsquittung mögen entsprechende Aufklärungs- und Hinweispflichten allenfalls in den Sonderfällen der fremdsprachigen Arbeitnehmer in Betracht kommen können63; in der von der rechtsgeschäftlichen Eigenverantwortlichkeit der Teilnehmer des Rechtsverkehrs ausgehenden Systematik des BGB kann darin jedoch kein verallgemeinerbarer Lösungsansatz für das Problem informationsdefizitärer Verzichtsvereinbarungen gesehen werden.
IV. Fazit Die Anerkennung einer rechtsvernichtenden Verzichtsvereinbarung erfordert, dass eine objektiv zweifelsfrei als Zustimmung zu einer rechtsvernichtenden Verzichtsvereinbarung zu deutende Willenserklärung des Arbeitnehmers vorliegt, die diesem hinsichtlich ihres Sinngehalts auch subjektiv mit hinreichender Sicherheit zugerechnet werden kann. Sowohl das objektive Vorliegen einer Verzichtserklärung als auch deren Zurechenbarkeit als rechtsvernichtende Erklärung sind dabei im Wege der Vertragsauslegung nach den Grundsätzen der §§ 133, 157 BGB zu ermitteln, wobei im Zweifel nicht von der Vereinbarung eines rechtsvernichtenden Verzichts auszugehen ist64. Das Vorhandensein eines rechtsgeschäftlichen Erklärungsbewusstseins des Arbeitnehmers ist hier neben dem Verschuldensgedanken und dem Gedanken der Risikoverantwortung für die Fehlerhaftigkeit des scheinbaren Konsenses der Parteien ein starker Zurechnungsfaktor für die Anerkennung einer Erledigungsklausel als rechtsgestaltend; es ist jedoch kein allein entscheidender Faktor und damit kein konstitutives Element der auf einen Verzicht gerichteten Willenerklärung65. Steht nach dem Ergebnis der Auslegung fest, dass die Parteien anlässlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine rechtsvernichtende allgemeine Erledigungsklausel individualvertraglich vereinbart haben, so erfasst diese Klausel grundsätzlich auch solche Ansprüche und Rechte, die von ihnen 62 Zum theoretischen Hintergrund eingehend Schwarze, Vorvertragliche Verständigungspflichten, S. 195 ff. 63 Kritisch Schaub/Linck, § 72 Rn. 14; ablehnend noch die Vorauflage. 64 Vgl. Werba, a. a. O., S. 164. 65 Vgl. auch Werba, a. a. O., S. 124 ff.
B. AGB-rechtliche Einschränkungen der Zulässigkeit
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bei deren Vereinbarung gar nicht in Betracht gezogen worden sind. In diesem Sinne (und nur in diesem Sinne) muss die von den Parteien erstrebte umfassende Klarstellungs- und Befriedungsfunktion grundsätzlich zu einer extensiven Auslegung des Wirkungsbereichs der Ausgleichsquittung hinsichtlich aller zu diesem Zeitpunkt dispositiven Ansprüche des Arbeitnehmers führen66.
B. AGB-rechtliche Einschränkungen der Zulässigkeit arbeitsrechtlicher Verzichtsvereinbarungen Mit der Schuldrechtsreform des Jahres 2002 haben sich tiefgreifende Veränderungen der Vertragskontrolle im Arbeitsrecht ergeben. Insbesondere die wegen des Fortfalls der bisherigen Bereichsausnahme des § 23 Abs. 1 AGBG für das Arbeitsrecht neue Anwendung des Rechts der allgemeinen Geschäftsbedingungen und seine Verzahnung mit verbraucherrechtlichen Grundsätzen führt hier in vielen Bereichen zu neuen Zweifelsfragen. In erster Linie betreffen die entstandenen Unsicherheiten Fragen der Arbeitsvertragsgestaltung. Darüber hinaus stellt sich aber auch hinsichtlich aller anderen Vereinbarungen zwischen den Arbeitsvertragsparteien das Problem, inwieweit die Grundsätze des AGB-Rechts und des Verbraucherrechts zu einer Neubewertung der bisherigen Rechtslage führen müssen. Die von § 310 Abs. 4 Satz 2 BGB geforderte Berücksichtigung der „Besonderheiten des Arbeitsrechts“ hat hier nicht eben zur Rechtsklarheit beigetragen. Auch vier Jahre nach Inkrafttreten der Schuldrechtsreform steht die Rechtsprechung bei der Bewältigung der praktischen Zweifelsfragen noch am Anfang67. Höchstrichterlich anerkannt ist mittlerweile die bisher lebhaft umstrittene grundsätzliche Behandlung des Arbeitnehmers als Verbraucher i. S. des § 13 BGB auch in arbeitsrechtlichen Zusammenhängen68. Die Regelungen des AGB-Rechts finden daher nach Maßgabe der gemäß § 310 Abs. 3 BGB für Verbraucherverträge geltenden Besonderheiten Anwendung69. 66
Staudinger - Rieble BGB § 397 Rn. 104. Einschränkungen mögen sich hier jedoch gemäß § 242 BGB aus dem Gedanken der unzulässigen Rechtsausübung ergeben können, etwa wenn ein Arbeitnehmer sich auf Schadensersatzforderungen aus bei Abschluss der Ausgleichsquittung unerkannten Straftaten zum Nachteil des Arbeitgebers auf eine allgemeine Erledigungsklausel beruft, vgl. dazu LAG Düsseldorf vom 28.8.2001 – 16 Sa 610/01 – LAGE BGB § 242 Unzulässige Rechtsausübung Nr. 3. 67 Einen aktuellen Überblick zum Meinungsstand geben Herbert/Oberrath, Arbeitsrecht nach der Schuldrechtsreform – eine Zwischenbilanz, NJW 2005, 3745 ff. 68 BAG vom 25.5.2005 – 5 AZR 572/04 – NJW 2005, 3305, 3308. 69 BAG, ebenda.
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7. Kap.: Verzichtsschutz durch allgemeine Regeln des Zivilrechts
Auf die komplexen Probleme der Arbeitsvertragsgestaltung kann hier nicht eingegangen werden. Die folgende Darstellung beschränkt sich deshalb von vornherein auf eine Skizzierung der normativen Grundlagen und der wesentlichen praktischen Eckpunkte einer AGB-rechtlichen Kontrolle arbeitsrechtlicher Verzichtsvereinbarungen, die separat vom Arbeitsvertrag – typischerweise anlässlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses – getroffen werden.
I. Normative Grundlagen der arbeitsrechtlichen und AGB-rechtlichen Vertragskontrolle Vor Inkrafttreten der Schuldrechtsreform hat das Bundesarbeitsgericht die Grundlagen der Legitimation einer Kontrolle arbeitsrechtlicher Individualvereinbarungen in § 242 BGB und zuweilen auch in § 315 BGB gesucht. Die als Rechtfertigung für den arbeitsgerichtlichen Eingriff in die Vertragsfreiheit herangezogenen Begründungslinien unterschieden sich dabei nicht wesentlich von denjenigen, die auch für die Legitimation zwingenden Arbeitsvertragsrechts maßgeblich sind. Grundgedanke des arbeitsgerichtlichen Eingriffs in die privatrechtliche Vereinbarung war zum einen, dass der wirtschaftlich unterlegene Arbeitnehmer vor einer Ausbeutung seiner Abhängigkeit durch den Arbeitgeber geschützt werden müsse70. Daneben spielten insbesondere bei der auf Vermeidung einer überlangen Bindungsdauer zielenden Rechtsprechung zur Rückzahlungspflicht bei Fortbildungskosten zum anderen auch freiheitsmaximierend-paternalistisch zu deutende Rechtfertigungsgründe eine gewisse Rolle71. Das Paradigma der wirtschaftlichen Imparität der Vertragsparteien war damit in der Regel zumindest auch tragendes Element der im Wesentlichen paritätstheoretisch legitimierten Grundlagen der allgemeinen Arbeitsvertragskontrolle. Die frühere Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Vertragskontrolle unterschied deshalb nicht zwischen vorformulierten und ausgehandelten Vertragsbedingungen72. Denn nicht der Schutz des Arbeitnehmers vor einer für AGB-Adressaten typischen Informationsunterlegenheit hinsichtlich der vertraglichen Nebenbedingungen, dem so genannten Kleingedruckten, sondern die auch dem zwingenden Arbeitsvertragsrecht zu Grunde liegen70 Vgl. BAG 19.03.1980 – 5 AZR 362/78 – AP BGB § 611 Ausbildungsbeihilfe Nr. 5; BAG vom 21.11.2001 – 5 AZR 158/00 – NZA 2002, 531 ff. 71 Vgl. dazu (in Anknüpfung an Art. 12 GG) BAG vom 5.12.2002 – 6 AZR 539/01 – AP BGB § 611 Ausbildungsbeihilfe Nr. 32; ablehnend Thüsing, Angemessenheit durch Konsens – Zu den Grenzen der Richtigkeitsgewähr arbeitsvertraglicher Vereinbarungen, RdA 2005, 257, 266. 72 Dazu Preis, Arbeitsrecht, Verbraucherschutz und Inhaltskontrolle, Sonderbeilage zu NZA 16/2003, 19, 20 m. w. N. aus der Rechtsprechung.
B. AGB-rechtliche Einschränkungen der Zulässigkeit
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den Paradigmen des Schutzes zukünftiger Wahlfreiheiten und des Schutzes vor den Folgen wirtschaftlicher Abhängigkeit legitimierten im Wesentlichen die Vertragskorrektur. Folgerichtig verweigerte das Bundesarbeitsgericht dem Arbeitnehmer einen Schutz durch Vertragsinhaltskontrolle hinsichtlich Ausgleichsklauseln oder Ausgleichsquittungen. Denn in der Beendigungssituation des Arbeitsverhältnisses besteht – wie in den Kapiteln 4 und 5 erörtert – aus dieser Perspektive in der Regel kein Schutzbedürfnis. Das gilt insbesondere für den unterlegenheitsspezifischen Begründungsansatz: Bei typisierender Betrachtung wird zwischen den Arbeitsvertragsparteien zwar zumeist immer noch ein wirtschaftliches Gefälle bestehen, aber in der Regel ist dann eben gerade keine aus entscheidungstheoretischer Sicht kompensationsbedürftige wirtschaftliche Unterlegenheit gegeben, mögen die wirtschaftlichen Folgen einer Ausgleichsquittung für den Arbeitnehmer auch noch so einschneidend sein73. Anders im allgemeinen Zivilrecht: Dort gab und gibt es im Allgemeinen keine ernst zu nehmenden Zweifel prinzipieller Art daran, dass der Vertrag ein an sich geeignetes Instrument des gerechten Interessenausgleichs und damit letztlich auch der marktwirtschaftlichen Ressourcenallokation ist74. Vertragskontrolle wurde und wird deshalb traditionell – ungeachtet zahlreicher Streitigkeiten im Detail – unter grundsätzlicher Anerkennung der formellen Vertragsfreiheit als punktuelle Absicherung gegenüber Störfällen des Verhandlungsprinzips verstanden75. Zu diesen Störfällen gehört wesentlich die Aushöhlung des Verhandlungsprinzips durch Verwendung vorformulierter Vertragsbedingungen, die vom Adressaten in der Regel nicht mit bei wirtschaftlicher oder praktischer Betrachtung zumutbarem Aufwand durchdrungen und im Einzelnen akzeptiert oder zurückgewiesen werden können76. Ob eine konkrete Vertragsbedingung Ergebnis einer Störung des Verhandlungsprinzips ist, kann die Rechtsordnung nur indiziell bestimmen; ein Kausalitätsnachweis ist hier praktisch nicht möglich. Das AGB-Recht tut dies, 73 Vgl. Gotthardt, Arbeitsrecht nach der Schuldrechtsreform, Rn. 306; B. Preis, ArbuR 1979, 97, 106. 74 Vgl. dazu die kritische Auseinandersetzung mit ordnungspolitischen Verteilungskonzepten bei Schmidt-Rimpler, Grundfragen einer Erneuerung des Vertragsrechts, AcP 147 (1941), 130, 150 ff. 75 Eingehend zu den vertragstheoretischen Rechtfertigungsansätzen der AGBKontrolle Wackerbarth, Unternehmer, Verbraucher und die Rechtfertigung der Inhaltskontrolle vorformulierter Verträge, AcP 200 (2000), 45 ff. 76 Vgl. zu den Zwecksetzungen des AGB-Gesetzes Däubler/Dorndorf - Dorndorf, AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht, § 307 Rn. 19 ff.; Wackerbarth, Unternehmer, Verbraucher und die Rechtfertigung der Inhaltskontrolle vorformulierter Verträge, AcP 200 (2000), 45, 79 f.
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indem es in der Generalklausel des § 307 BGB abstrahierend vom informationellen Verhandlungsgleichgewicht darauf abstellt, ob eine Vertragsbedingung den AGB-Adressaten objektiv unangemessen benachteiligt. Dem liegt die Vorstellung zu Grunde, dass eine objektiv unangemessene Vertragsbedingung nicht das Ergebnis eines funktionierenden Verhandlungsprocederes sein kann. Worauf die so zutage getretene Störung des Verhandlungsprinzips beruht, ob eine AGB-typische Störung des informationellen Verhandlungsgleichgewichts vorliegt oder aber infolge wirtschaftlicher Abhängigkeiten bereits die Grundvoraussetzungen für ein Verhandeln auf gleicher Augenhöhe fehlen, erlangt für die AGB-rechtlichen Rechtsfolgen keine eigenständige Bedeutung77. Ohne speziell darauf gerichtet zu sein, erfasst die AGB-rechtliche Inhaltskontrolle in ihrem Anwendungsbereich somit auch Fälle, in denen eine wirtschaftlichen Unterlegenheit, wie sie von der wohl herrschenden Meinung als für das Arbeitsrecht prägend angesehen wird, (Mit-)Ursache für das Ergebnis der objektiven Unangemessenheit der Vertragsbedingung war78. Dass der Schutz vor wirtschaftlicher Unterlegenheit aber zumindest nicht primäres Schutzanliegen des AGB-Rechts ist, zeigt sich entscheidend daran, dass der unmittelbare Gegenstand der Inhaltskontrolle auf allgemeine Geschäftsbedingungen beschränkt ist und die vereinbarten Hauptleistungspflichten des Vertrages damit grundsätzlich nicht nach § 307 BGB kontrollfähig sind79. Da und soweit das AGB-Recht prinzipiell von der Leistungsfähigkeit des Verhandlungsprinzips ausgeht, bedarf es aus seiner Perspektive auch hinsichtlich der von den Parteien mit dem Vertrag verfolgten Primärziele keiner Konditionierung des Verhandlungsergebnisses. Denn hinsichtlich der gegenseitigen Hauptleistungspflichten, dem Preis/Leistungs-Verhältnis, besteht in der Regel keine durch die Verwendung vorformulierter Vertragsunterlagen induzierte informationelle Verhandlungsunterlegenheit80. Wollte das AGB-Recht dagegen zielgerichtet auch vor den Folgen (ausschließlich) wirtschaftlicher Unterlegenheit schützen, so müsste es bei einem objektiv unangemessenes Verhältnis der vertraglich vereinbarten Hauptleistungspflichten erst Recht eingreifen81. Gerade hier gilt jedoch grundsätzlich erst die durch § 138 BGB markierte Sittenwidrigkeitsgrenze82. Nur für den 77
Däubler/Dorndorf - Dorndorf, AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht, § 307 Rn. 28 ff. Vgl. Däubler/Dorndorf - Dorndorf, AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht, § 307 Rn. 30, 35. 79 Näher dazu unten, 7. Kapitel: B. II. 3.; Däubler/Dorndorf - Däubler, AGBKontrolle im Arbeitsrecht, § 307 Rn. 263 ff. 80 Vgl. Wackerbarth, Unternehmer, Verbraucher und die Rechtfertigung der Inhaltskontrolle vorformulierter Verträge, AcP 200 (2000), 45, 78. 81 Vgl. Wackerbarth, Unternehmer, Verbraucher und die Rechtfertigung der Inhaltskontrolle vorformulierter Verträge, AcP 200 (2000), 45, 72. 78
B. AGB-rechtliche Einschränkungen der Zulässigkeit
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Fall der Intransparenz einer AGB-Klausel erkennt auch das AGB-Recht eine inhaltliche Kontrollbedürftigkeit der vereinbarten Hauptleistungspflichten an83. Wiederum erweist sich die Konditionierung einer aus der Vorformulierung resultierenden Verhandlungsunterlegenheit als das aus der Perspektive des AGB-Rechts zentrale Schutzanliegen. Es ist deshalb verfehlt, pauschalierend das Schutzniveau der Vertragskontrolle im allgemeinen Zivilrecht mit demjenigen durch die (bisherigen) Grundsätze der allgemeinen Vertragskontrolle des Arbeitsrechts zu vergleichen84. Nicht in der Intensität des gewährten Schutzes, sondern im prinzipiell anderen Begründungsansatz der arbeitsrechtlichen Vertragskontrolle liegt der relevante Unterschied, auch wenn die praktischen Ergebnisse oft ähnlich sein mögen85. Der Schutz vor standardisierten Vertragsbestimmungen im allgemeinen Zivilrecht war vor allem deshalb differenzierter als im Arbeitsrecht, weil dem Vertrag als Instrument des Interessenausgleichs dort von vornherein ein wesentlich höherer Stellenwert eingeräumt war86. Denn dem Verhandlungsprinzip als Mechanismus zum Ausgleich der wechselseitigen Interessen fehlt es bereits an seiner entscheidenden Grundvoraussetzung, wenn man eine Seite des Vertrages paradigmatisch als Unterlegene ansieht. Ausgehend von einer verabsolutierten Anwendung des Unterlegenheitsparadigmas bedurfte es im Arbeitsvertragsrecht keiner im Detail austarierten Konditionierung des Verhandlungsprinzips; Verhandlungen konnten in dieser Logik prinzipiell kein taugliches Instrument des Interessenausgleichs sein. Insbesondere Preis87 hat in der Aufhebung der alten Bereichsausnahme des früheren § 23 Abs. 1 AGBG einen Paradigmenwechsel der arbeitsrechtlichen Inhaltskontrolle gesehen; die allgemeine Inhaltskontrolle von arbeits82 Dies verkennt OLG Karlsruhe vom 24.10.1990 – 1 U 101/90 – NJW 1991, 112 (Anwendung des § 9 AGBG auf einen vom Verkehrsunfallgegner vorformulierten Anspruchsverzicht); differenzierend BAG vom 15.3.2005 – 9 AZR 502/03 – NJW 2005, 3164 ff. (Keine Kontrollfähigkeit der Höhe des mit einem konstitutiven Schuldanerkenntnis anerkannten Schadensersatzbetrages, wohl aber Kontrollfähigkeit des zugleich vereinbarten Einwendungsverzichts). 83 Dazu im Einzelnen unten, 7. Kapitel: B. II. 2. c). 84 Reinecke, Kontrolle Allgemeiner Arbeitsbedingungen nach dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz, DB 2002, 583. 85 Vgl. Hromadka, Schuldrechtsmodernisierung und Vertragskontrolle im Arbeitsrecht, NJW 2002, 2523, 2525; Thüsing, Angemessenheit durch Konsens – Zu den Grenzen der Richtigkeitsgewähr arbeitsvertraglicher Vereinbarungen, RdA 2005, 257, 262 f.; ähnlich bereits B. Preis, Abschied von der Ausgleichsquittung?, ArbuR 1979, 97, 105. 86 Vgl. dazu den historischen Überblick oben, 3. Kapitel: B. 87 Preis, Arbeitsrecht, Verbraucherschutz und Inhaltskontrolle, Sonderbeilage zu NZA 16/2003, 19, 20; ähnlich Thüsing, Angemessenheit durch Konsens – Zu den
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7. Kap.: Verzichtsschutz durch allgemeine Regeln des Zivilrechts
rechtlichen Individualvereinbarungen durch die Arbeitsgerichte sei nunmehr auf das Maß der Sittenwidrigkeitskontrolle nach § 138 Abs. 1 BGB begrenzt, da eine weitergehende allgemeine arbeitsrechtliche Inhaltskontrolle mit den Wertungen der §§ 305 ff. BGB nicht mehr vereinbar sei88. Wohl unbestritten sind die §§ 307 ff. BGB in ihrem Anwendungsbereich leges speciales gegenüber den §§ 138, 242, 315 BGB89. Ob allerdings dadurch die bisherigen Grundsätze der arbeitsrechtlichen Inhaltskontrolle vollständig ersetzt oder nur ergänzt wurden90 und welches Kontrollniveau hinsichtlich einer konkreten Angemessenheitskontrolle arbeitsrechtlicher Individualvereinbarungen verbleiben soll91, kann trotz einer für ersteres sprechenden aktuellen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts92 wohl noch nicht als abschließend geklärt betrachtet werden. Es ist deshalb m. E. zu früh, einen generellen Paradigmenwechsel im Sinne einer vollständigen Abkehr von unabdingbarkeitsbezogenen Denkmustern bei der arbeitsrechtlichen Vertragskontrolle zu konstatieren93. Jedenfalls aber geht mit der gesetzgeberischen Anerkennung der grundsätzlichen Unterscheidung zwischen ausgehandelten und vorformulierten Klauseln im Arbeitsrecht eine prinzipielle Anerkennung der Tauglichkeit des Verhandlungsprinzips einher94. Und allein darin liegt bereits eine erhebliche Relativierung des arbeitsrechtlichen Unterlegenheitsparadigmas95: Die Grenzen der Richtigkeitsgewähr arbeitsvertraglicher Vereinbarungen, RdA 2005, 257, 261 f. 88 A. A. insbesondere Hromadka, Schuldrechtsmodernisierung und Vertragskontrolle im Arbeitsrecht, NJW 2002, 2523, 2525. 89 Vgl. statt vieler Däubler/Dorndorf - Dorndorf, AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht, § 307 Rn. 40–44. 90 Tendenziell für ersteres wohl auch BAG vom 25.5.2005 – 5 AZR 572/04 – NJW 2005, 3305, 3309, die §§ 305 ff. BGB stellten eine „abschließende Konkretisierung des Gebots von Treu und Glauben hinsichtlich einer allgemeinen, allein den Inhalt einer Regelung überprüfenden Angemessenheitskontrolle dar“. 91 Vgl. auch Thüsing, Angemessenheit durch Konsens – Zu den Grenzen der Richtigkeitsgewähr arbeitsvertraglicher Vereinbarungen, RdA 2005, 257, 262 f.; a. A. Hromadka, Schuldrechtsmodernisierung und Vertragskontrolle im Arbeitsrecht, NJW 2002, 2523, 2525; und tendenziell anders wohl auch Däubler/Dorndorf - Däubler, AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht, § 307 Rn. 294. 92 BAG vom 25.5.2005 – 5 AZR 572/04 – NJW 2005, 3305, 3308 f. 93 Zurückhaltend auch das Fazit von Herbert/Oberrath, Arbeitsrecht nach der Schuldrechtsreform – eine Zwischenbilanz, NJW 2005, 3745, 3753. 94 Jedenfalls davon scheint nunmehr auch das BAG auszugehen: „Besteht für die Vertragspartner die Möglichkeit, die Vertragsbedingungen im Einzelnen auszuhandeln, ist im Grundsatz davon auszugehen, dass sie ihre Interessen selbst angemessen vertreten können“, BAG vom 25.5.2005 – 5 AZR 572/04 – NJW 2005, 3305, 3309. 95 Vgl. Thüsing, Angemessenheit durch Konsens – Zu den Grenzen der Richtigkeitsgewähr arbeitsvertraglicher Vereinbarungen, RdA 2005, 257, 261, 262.
B. AGB-rechtliche Einschränkungen der Zulässigkeit
401
Stärkung des Verhandlungsprinzips im Arbeitsrecht dokumentiert deshalb die von der wohl h. M. in der Arbeitsrechtswissenschaft längst vollzogene normative (Wieder-)Eingliederung des Arbeitsvertragsrechts in die Systematik des Schuldvertragsrechts96. Zugleich kann in der prinzipiellen Anerkennung eines erhöhten rechtlichen Stellenwerts des arbeitsrechtlichen Individualvertrags auch ein Spiegelbild einer sich zunehmend diversifizierenden Arbeitswelt gesehen werden. Eine grundsätzliche Tendenz – weg von lebenslangen Arbeitsverhältnissen mit uniformen Arbeitsbedingungen in zumeist großen industriellen Produktionseinheiten, hin zu kürzeren Arbeitsverhältnissen in kleineren Einheiten mit spezialisierten Lösungen – ist hier für den deutschen Arbeitsmarkt unverkennbar.
II. Eckpunkte der AGB-rechtlichen Kontrolle arbeitsrechtlicher Verzichtsvereinbarungen 1. Eröffnung des Anwendungsbereichs der §§ 305 ff. BGB Eine Anwendung des AGB-Rechts setzt nach § 305 Abs. 1 BGB voraus, dass es sich um „Vertragsbedingungen“ handelt, die „für eine Vielzahl von Verträgen“ „vorformuliert“ sind und vom Verwender „gestellt werden“, ohne zuvor im Einzelnen ausgehandelt worden zu sein97. Da Vereinbarungen über das Arbeitsverhältnis grundsätzlich als Verbraucherverträge anzusehen sind98, relativiert sich die praktische Bedeutung der Merkmale „gestellt werden“ und „für eine Vielzahl von Verträgen“ durch die gesetzlichen Vermutungen des § 310 Abs. 3 BGB99. Zum zentralen Anknüpfungspunkt für die grundsätzliche Eröffnung des Anwendungsbereichs des AGB-Rechts im Arbeitsrecht wird damit die grundsätzliche Unterscheidung vorformulierter/ausgehandelter Vertragsbedingungen. „Vertragsbedingung“ i. S. des § 305 Abs. 1 BGB sind dabei – unabhängig von ihrer inhaltlichen Kontrollfähigkeit100 – grundsätzlich auch die Hauptleistungspflichten des Vertrages101. 96
Dazu schon oben, 3. Kapitel: B. II. Dazu statt vieler im Einzelnen Däubler/Dorndorf - Dorndorf, AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht, § 305 Rn. 2 ff. 98 BAG vom 25.5.2005 – 5 AZR 572/04 – NJW 2005, 3305, 3308 f. 99 Vgl. dazu im Einzelnen Däubler/Dorndorf - Dorndorf, AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht, § 310 Rn. 3 ff. 100 Dazu näher unten, 7. Kapitel: B. II. 3.a). 101 Däubler/Dorndorf - Dorndorf, AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht, § 305 Rn. 5; vgl. auch LAG Düsseldorf vom 13.4.2005 –12 Sa 154/05 – LAGE BGB 2002 § 307 Nr. 7. 97
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7. Kap.: Verzichtsschutz durch allgemeine Regeln des Zivilrechts
Unerheblich für die Eröffnung des Anwendungsbereichs der § 305 ff. BGB ist der Umfang des Vertragswerks102. Zwar legt der auf eine Konditionierung einer informationellen Verhandlungsunterlegenheit gerichtete Schutzzweck des AGB-Rechts die Vorstellung eines umfangreicheren Vertragswerks nahe, in der Festlegung des Anwendungsbereichs des AGBRechts durch § 305 BGB hat dies jedoch keinen Niederschlag gefunden. Von Bedeutung ist die vom Umfang unabhängige Bestimmung des Anwendungsbereichs insbesondere für die AGB-rechtliche Transparenzkontrolle103. Wie sich nicht zuletzt an der Ausgleichsquittung zeigt, können nämlich gerade sehr knapp gehaltene Vereinbarungen in inhaltlicher Hinsicht in hohem Maße undurchsichtig sein. Solchermaßen atypische AGB können deshalb gleichermaßen einer AGB-spezifischen Konditionierung bedürfen. Damit ist auch hinsichtlich einer vom Arbeitgeber vorformulierten Abwicklungsvereinbarung, die ausschließlich aus einer in einem einzigen Satz zusammengefassten allgemeinen Verzichtsklausel besteht, der Anwendungsbereich der §§ 305 ff. BGB in der Regel eröffnet104. 2. AGB-rechtliche Transparenzanforderungen Ein wesentliches Standbein der AGB-rechtlichen Vertragskontrolle ist die Absicherung der Selbstbestimmung des AGB-Adressaten durch gesteigerte Anforderungen an die Transparenz des niedergelegten Vertragsinhalts. Auch wenn man bei lebensnaher Betrachtung davon ausgehen muss, dass jedenfalls typische AGB häufig, wenn nicht gar zumeist, vom Adressaten beim Vertragsschluss überhaupt nicht gelesen werden, so soll jedenfalls die ungehinderte Möglichkeit der Kenntnisnahme und korrekten inhaltlichen Erfassung durch Gebote zur äußerlich wie inhaltlich eindeutigen Gestaltung gewährleistet werden. a) Gebot der „äußeren Transparenz“, § 305c Abs. 1 BGB Überraschende AGB-Klauseln werden nach § 305c Abs. 1 BGB auch dann nicht Vertragsbestandteil, wenn sie als Hauptleistungskondition zu qualifizieren sind105. Die Qualifikation einer Vertragsbestimmung als in die102 Däubler/Dorndorf - Dorndorf, AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht, § 305 Rn. 29 m. w. N.; kritisch Wackerbarth, Unternehmer, Verbraucher und die Rechtfertigung der Inhaltskontrolle vorformulierter Verträge, AcP 200 (2000), 45, 81. 103 Näher dazu sogleich. 104 Vgl. LAG Düsseldorf vom 13.4.2005 – 12 Sa 154/05 – LAGE BGB 2002 § 307 Nr. 7 [unter B. II. 2. a) der Gründe].
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sem Sinne überraschend setzt sich aus objektiven und subjektiven Elementen zusammen: Objektiv ungewöhnlich sind danach insbesondere Klauseln, die für den jeweiligen Geschäftskreis fremd sind106; oder mit denen nach der äußeren Gestaltung des Vertrages nicht gerechnet werden muss, weil sie sich etwa unter einer systematisch unzutreffenden Überschrift finden107. Insbesondere Ausgleichsquittungen können danach – obgleich allgemeine Verzichtsvereinbarungen anlässlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses schwerlich als empirisch unüblich zu betrachten sind – als objektiv überraschend zu qualifizieren sein, soweit sie ihrer äußeren Gestaltung nach unzulässig mit einer echten Quittung i. S.d. § 368 BGB über herausgegebene Arbeitspapiere o. ä. verquickt werden108. Weitere Voraussetzung der Nichteinbeziehung ist, dass die betreffende Klausel sich auch subjektiv, d.h. aus der Perspektive des Vertragspartners, als überraschend darstellt. Maßstab sind insoweit nicht die individuellen Verständnismöglichkeiten des konkreten Vertragspartners, sondern der objektivierte Verständnishorizont eines typischen Vertragspartners bzw. eines vergleichbaren Durchschnittsarbeitnehmers109. Besondere Rechtskenntnisse können insoweit nicht unterstellt werden; der Verständnishorizont ist deshalb im Wesentlichen durch den allgemeinen Sprachgebrauch determiniert110. Danach ist in der Regel eine i. S. des § 305c Abs. 1 BGB objektiv überraschende Klausel auch subjektiv überraschend. Nur soweit der konkrete Arbeitnehmer als AGB-Adressat positive Kenntnis von Inhalt und Wirkung der ungewöhnlichen Klausel hat, scheidet eine Nichteinbeziehung wegen Intransparenz aus111. Die Verwendung des Begriffs „Ausgleichsquittung“ als Überschrift oder dergleichen dürfte den Deutlichkeitsanforderungen des § 305c Abs. 1 BGB deshalb – trotz seiner fachspezifischen Klarheit – in der Regel nicht genügen112. Eine abweichende Beurteilung kann sich im Einzelfall aus den Um105
Däubler/Dorndorf - Däubler, AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht, § 305c Rn. 3. Ebenda, Rn. 10. 107 Ebenda, Rn. 12. 108 So im Fall des LAG Düsseldorf vom 13.4.2005 – 12 Sa 154/05 – LAGE BGB 2002 § 307 Nr. 7 [unter B. II. 2. b) der Gründe]. 109 Däubler/Dorndorf - Däubler, a. a. O., Rn. 13 ff.; LAG Düsseldorf vom 13.4.2005 – 12 Sa 154/05 – LAGE BGB 2002 § 307 Nr. 7 [unter B. II. 2. b) der Gründe]. 110 LAG Düsseldorf vom 13.4.2005 – 12 Sa 154/05 – LAGE BGB 2002 § 307 Nr. 7 [unter B. II. 2. b) der Gründe] 111 Däubler/Dorndorf - Däubler, AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht, § 305c Rn. 14. 112 So bereits B. Preis, Abschied von der Ausgleichsquittung?, ArbuR 1979, 97, 105 (für die von ihm propagierte analoge Anwendung der Vorgängernorm des § 3 AGBG). 106
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7. Kap.: Verzichtsschutz durch allgemeine Regeln des Zivilrechts
ständen der Vertragsverhandlungen, im Fall der Ausgleichsquittung insbesondere aus einem Hinweis des Arbeitgebers auf deren rechtsvernichtende Wirkung, ergeben. Insoweit ist jedoch der Arbeitgeber als AGB-Verwender beweispflichtig113. b) Unklarheitenregel, § 305c Abs. 2 BGB Bleiben nach Anwendung der für AGB geltenden objektivierten Grundsätze der Vertragsauslegung114 Zweifel am maßgeblichen Bedeutungsgehalt der fraglichen Klausel, so gehen diese nach der Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB zu Lasten des Verwenders115. Bezogen auf arbeitsrechtliche Verzichtsvereinbarungen können Auslegungszweifel in mehrfacher Hinsicht bestehen. Zum einen kann bei einer Ausgleichsquittung die grundsätzliche Qualifikation einer Klausel als rein deklaratorische Wissenserklärung oder rechtsvernichtende Verzichtsvereinbarung zweifelhaft sein, falls insoweit überhaupt eine nach Maßgabe des § 305c Abs. 1 BGB wirksame Einbeziehung der Klausel angenommen werden kann116. Zum anderen kann der Umfang einer arbeitsrechtlichen Verzichtsvereinbarung sowohl in sachlicher als auch in zeitlicher Hinsicht Auslegungszweifel offen lassen. In sachlicher Hinsicht kann insbesondere zweifelhaft sein, ob ein anlässlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses vereinbarter Generalverzicht auch das Recht auf Erhebung einer Kündigungsschutzklage umfasst117. In zeitlicher Hinsicht können Zweifel bestehen, ob auch künftige Ansprüche wie etwa auf Zahlung des Verzugslohns bei einem anhängigen Kündigungsrechtsstreit118 oder einer Wettbewerbsentschädigung vom anlässlich der Beendigung vereinbarten Generalverzicht erfasst sein sollen. In der Regel muss dies im Arbeitsrecht dazu führen, dass die für den Arbeitnehmer günstigste der objektiv möglichen Auslegungsalternative zur Anwendung kommt.
113
B. Preis, ebenda; Däubler/Dorndorf - Däubler, a. a. O., Rn. 17. Dazu im Einzelnen ebenda, Rn. 28 ff. 115 Vgl. BGH vom 19.1.2005 – XII ZR 107/01 – VersR 2005, 414, 415. 116 LAG Düsseldorf vom 13.4.2005 – 12 Sa 154/05 – LAGE BGB 2002 § 307 Nr. 7 [unter B. II. 2. d) der Gründe]. 117 Däubler/Dorndorf - Däubler, AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht, § 305c Rn. 36 unter Bezugnahme auf BAG vom 3.5.1979 – 2 AZR 679/77 – AP KSchG 1969 § 4 Nr. 6. 118 LAG Düsseldorf vom 13.4.2005 – 12 Sa 154/05 – LAGE BGB 2002 § 307 Nr. 7 [unter B. II. 2. b) der Gründe]. 114
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c) Gebot der „inhaltlichen Transparenz“, § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB Soweit eine Vertragsbedingung nach § 305c Abs. 1 BGB wirksam in den Vertrag einbezogen worden ist und ihr für den Vertrag maßgeblicher Inhalt nach Maßgabe des § 305c Abs. 2 BGB feststeht, findet gemäß § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB auf der Ebene der Inhaltskontrolle des § 307 Abs. 1 BGB eine weitere Transparenzkontrolle statt. Eine Abgrenzung der Anwendungsbereiche des Transparenzgebots im Rahmen der Einbeziehungskontrolle des § 305c Abs. 1 BGB und des Transparenzgebots des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB als Maßstab der Inhaltskontrolle ist dabei nicht immer trennscharf möglich. Ein eigenständiger Anwendungsbereiche des Transparenzgebots ergibt sich dadurch, dass eine Klausel nicht überraschend i. S. des § 305c Abs.1 BGB sein muss, um i. S. des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB inhaltlich intransparent zu sein. Insbesondere bei sehr kurzen Vertragswerken wie einem arbeitsrechtlichen Generalverzicht, der im Extremfall aus einem einzigen vorformulierten Satz bestehen kann, dürfte die Qualifikation als überraschend i. S. des § 305c Abs. 1 BGB häufig schwer fallen. Nach allgemeiner Ansicht betrifft die inhaltliche Transparenzprüfung Hauptleistungskonditionen und Nebenpflichten gleichermaßen, da die Transparenzkontrolle des § 307 Abs. 1 Satz 2 von der Einschränkung der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle gemäß § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB durch § 307 Abs. 3 Satz 2 BGB ausgenommen wird119. Davon betroffen sind im Allgemeinen typischerweise Preisabreden, die den Adressaten im Unklaren über den Gesamtumfang der Gegenleistung lassen120. Tragender Grundgedanke der inhaltlichen Transparenzkontrolle der Hauptleistungskonditionen ist hier, dass die Möglichkeit des AGB-Adressaten zu marktkonformen Verhalten davon abhängt, dass das gesamte Angebot des Verwenders exakt erkennbar ist und sich so mit den Bedingungen des Konkurrenten und des „Marktüblichen“ vergleichen lässt121. Anders als bei der Einbeziehungskontrolle muss für eine Unwirksamkeit einer Klausel nach § 307 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. Satz 1 BGB die Intransparenz in einem adäquaten Zusammenhang zu einer Benachteiligung 119 Däubler/Dorndorf - Dorndorf, AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht, § 307 Rn. 162 f.; Hromadka, Schuldrechtsmodernisierung und Vertragskontrolle im Arbeitsrecht, NJW 2002, 2523, 2529. 120 Vgl. zu Einzelfällen Palandt - Heinrichs § 307 21 ff.; OLG Frankfurt/Main vom 1.3.2000 – 9 U 83/99 – NJW-RR 2000, 1367. 121 Däubler/Dorndorf - Däubler, a. a. O., Rn. 428; vgl. auch Wackerbarth, Unternehmer, Verbraucher und die Rechtfertigung der Inhaltskontrolle vorformulierter Verträge, AcP 200 (2000), 45, 69 f.
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des Vertragspartners stehen; nicht jede noch so geringfügige inhaltliche Unklarheit kann damit zur Unwirksamkeit der Klausel führen122. Uneinigkeit besteht jedoch hinsichtlich der Frage, ob in einer intransparenten Klausel per se eine Benachteiligung des Vertragspartners liegt oder ob sich eine mögliche Benachteiligung durch hinzutreten eines weiteren Umstands konkret realisiert haben muss123. Dem muss hier nicht im Einzelnen nachgegangen werden. Denn soweit sich die Intransparenz einer vorformulierten Verzichtsklausel auf die beabsichtigte Verzichtswirkung oder deren Umfang bezieht, wird ein hinreichender Zusammenhang zwischen Intransparenz und (unangemessener) Benachteiligung wohl stets bestehen124. Demgegenüber ist eine Transparenzkontrolle von während des Arbeitsverhältnisses oder anlässlich dessen Beendigung geschlossenen Verzichtsvereinbarungen nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht deshalb ausgeschlossen, weil ausschließlich die Arbeitsvertragsparteien mögliche Vertragspartner der Verzichtsvereinbarung sind und insoweit von vornherein keine markttypische Konkurrenz verschiedener potenzieller Anbieter einer Leistung besteht. Denn eine unangemessene Benachteiligung kann auch darin bestehen, dass der AGB-Adressat sein konkret vorhandenes Verhandlungspotenzial hinsichtlich des Umfangs einer Verzichtsvereinbarung und ihrer Gegenleistung infolge einer durch Intransparenz hervorgerufenen Fehlvorstellung vom objektiven Bedeutungsgehalt nicht zureichend ausschöpft125. Auch darin liegt die Gefahr einer Vereitelung von Marktchancen. Eine teleologische Reduktion des Anwendungsbereichs der Transparenzkontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB auf Verträge, die einem Marktwettbewerb ausgesetzt sind, kommt deshalb nicht in Betracht. Die grundsätzliche Kontrollfähigkeit arbeitsrechtlicher Verzichtsvereinbarungen gemäß § 307 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. Satz 1 BGB auf inhaltliche Transparenz dürfte insoweit wohl allgemein anerkannt sein126.
122
Däubler/Dorndorf - Dorndorf, AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht, § 307 Rn. 146,
152. 123
Im Einzelnen zum Meinungsstand ebenda, Rn. 145 ff. Vgl. LAG Düsseldorf vom 13.4.2005 – 12 Sa 154/05 – LAGE BGB 2002 § 307 Nr. 7 [unter B. II. 2. d) der Gründe]. 125 Däubler/Dorndorf - Dorndorf, a. a. O., Rn. 147 f. 126 Vgl. Gotthard, Arbeitsrecht nach der Schuldrechtsreform, S. 147 f.; Däubler/ Dorndorf - Däubler, AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht, Einleitung Rn. 163; Herbert/ Oberrath, Arbeitsrecht nach der Schuldrechtsreform – eine Zwischenbilanz, NJW 2005, 3745, 3750; LAG Düsseldorf vom 13.4.2005 – 12 Sa 154/05 – LAGE BGB 2002 § 307 Nr. 7 [unter B. II. 2. d) der Gründe]. 124
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3. AGB-rechtliche Angemessenheitskontrolle nach § 307 Abs. 1 BGB a) Treuwidrige Benachteiligung des Vertragspartners nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB Nach derzeitigem Meinungsstand ist umstritten, ob vorformulierte arbeitsrechtliche Verzichtsvereinbarungen schon dann nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB als unwirksam angesehen werden können, wenn sie mangels einer (hinreichenden) kompensatorischen Gegenleistung einseitig den Arbeitnehmer belasten127. Angesprochen ist damit die Frage, wie weit die AGBrechtliche Inhaltskontrolle in den vertraglichen Leistungsaustausch – oder eben die einseitige Leistungsgewährung – eingreifen darf. Nach § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB ist die AGB-rechtliche Angemessenheitskontrolle beschränkt auf AGB, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden. Das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung als solches ist jedoch nicht Gegenstand von Rechtsvorschriften, sondern obliegt nach dem Grundsatz der Vertragsfreiheit der Festsetzung durch die Parteien. Entsprechend sind die gegenseitigen vertraglichen Hauptleistungspflichten hinsichtlich ihrer Ausgewogenheit nach wohl einhelliger Meinung grundsätzlich nicht am Maßstab des § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB zu messen128. Soweit ein einseitiger Verzicht des Arbeitnehmers auf arbeitsrechtliche Ansprüche oder Rechte daher als Hauptleistungspflicht eines vorformulierten Vertrages einzuordnen ist, kann dieser Verzicht nicht am Maßstab der inhaltlichen Unangemessenheit des § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB gemessen werden129. Dann und insoweit muss ein solcher Verzicht nach dem Grundsatz der Ver127 Für eine Unwirksamkeit nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB LAG Schleswig-Holstein vom 24.9.2003 – 3 Sa 6/03 – NZA-RR 2004, 74, 75; LAG Düsseldorf vom 13.4.2005 – 12 Sa 154/05 – LAGE BGB 2002 § 307 Nr. 7 [unter B. II. 2. c) der Gründe]; LAG Hamburg vom 29.4.2004 – 1 Sa 47/03 – NZA-RR 2005, 151, 153; Reinecke, Kontrolle Allgemeiner Arbeitsbedingungen nach dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz, DB 2002, 583, 586; ErfK - Preis § 310 Rn. 74b; vorsichtiger Stoffels, AGB-Recht, Rn. 487; dagegen Herbert/Oberrath, Arbeitsrecht nach der Schuldrechtsreform – eine Zwischenbilanz, NJW 2005, 3745, 3750; Gotthard, Arbeitsrecht nach der Schuldrechtsreform, S. 148 Rn. 306; Bauer, Chancen und Risiken von Ausgleichsklauseln in arbeitsrechtlichen Aufhebungs- und Abwicklungsverträgen, FS Bartenbach, S. 607, 609. 128 Statt vieler Däubler/Dorndorf - Däubler, AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht, § 307 Rn. 263 ff. 129 Vgl. BAG vom 27.11.2003 – 2 AZR 135/03 – AP BGB § 312 Nr. 1 [unter B. IV. 3. der Gründe] m. w. N.; BAG vom 15.3.2005 – 9 AZR 502/03 – NJW 2005, 3164 ff. (Keine Kontrollfähigkeit der Höhe des mit einem konstitutiven Schuldanerkenntnis anerkannten Schadensersatzbetrages, wohl aber Kontrollfähigkeit des zugleich vereinbarten Einwendungsverzichts).
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tragsfreiheit als wirksam angesehen werden, weil die Parteien ihn bei Vertragsabschluss genau so wollten. Der übereinstimmende Wille der Parteien ist insoweit alleiniger und hinreichender Geltungsgrund der Vereinbarung130. Wollte man den Parteien hinsichtlich der gewährten Leistungen hier gleichwohl einen anderen als ihren subjektiven Angemessenheitsmaßstab oktroyieren, so liefe das auf eine nicht zu rechtfertigende paternalistische Bevormundung der Parteien hinaus131. Deutlich wird diese Grundwertung, wenn man einen Vergleich zum entschädigungslosen arbeitsrechtlichen Aufhebungsvertrag anstellt132: Eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch einen vorformulierten Aufhebungsvertrag mag objektiv wirtschaftlich nachteilig sein, die Beendigung des Arbeitsverhältnisses selbst entzieht sich jedoch einer objektiven Bewertbarkeit, wenn es dem Arbeitnehmer – aus welchen Gründen auch immer – gerade auf die (sofortige) Beendigung ankommt. Nicht anders sind selbstständige Verzichtsvereinbarungen der Arbeitsvertragsparteien zu beurteilen133: Auch diese sind nach dem Grundsatz der Vertragsfreiheit nicht am Maßstab der inhaltlichen Angemessenheit des § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB überprüfbar. Denn aus der privatrechtlichen Perspektive des AGB-Rechts kann sich das rechtliche Verdikt nicht gegen den – formularmäßigen – Rechtsverzicht als solchen richten, sondern allenfalls gegen die Art und Weise seines Zustandekommens, falls er dem arglosen Arbeitnehmer „untergeschoben“ worden ist134. Eine arbeitsrechtliche Verzichtsklausel kann daher nur dann nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam sein, wenn sie als unselbstständige Nebenbedingung eines Vertrags anzusehen ist135. Das kann nach den Umständen des Einzelfalls denkbar sein, wenn bereits im Arbeitsvertrag der Vorausverzicht auf etwaigen Verzugslohn oder ein abschließender Generalverzicht als Nebenbedingung eines Aufhebungsvertrages mit ansonsten detaillierten Regelungen zur Abwicklung des Arbeitsverhältnisses vereinbart wird136. Zum 130 Vgl. Wackerbarth, Unternehmer, Verbraucher und die Rechtfertigung der Inhaltskontrolle vorformulierter Verträge, AcP 200 (2000), 45, 78. 131 Vgl. ebenda, 74 f., 78 f. 132 Vgl. dazu BAG vom 27.11.2003 – 2 AZR 135/03 – AP BGB § 312 Nr. 1 a. E. 133 Das BAG unterscheidet insoweit zumindest nicht zwischen Aufhebungsvertrag und Verzicht auf Kündigungsschutzklage, sondern spricht zusammenfassend von „Beendigungsvereinbarungen“, vgl. BAG vom 27.11.2003 – 2 AZR 135/03 – AP BGB § 312 Nr. 1. 134 So zutreffend bereits B. Preis, Abschied von der Ausgleichsquittung?, ArbuR 1979, 97, 106. 135 So auch Däubler/Dorndorf - Däubler, AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht, Einleitung Rn. 163. 136 Vgl. auch Gotthardt, Arbeitsrecht nach der Schuldrechtsreform, S. 148 Rn. 306; Wolf/Horn/Lindacher, AGB-Gesetz (4. Aufl.), § 9 Rn. V. 61; BGH vom 25.10.1984 – VII ZR 95/83 – NJW 1985, 970 f.
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Teil ist argumentiert worden, einseitige Ausgleichsquittungen seien im Unterschied zu Aufhebungs- oder Abwicklungsverträgen nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB stets kontrollfähig, weil sie eine Abweichung von den (verbleibenden) allgemeinen Modalitäten des Arbeitsverhältnisses enthielten137. Das vermag schon deshalb nicht zu überzeugen, weil „das Arbeitsverhältnis“ als solches nicht Gegenstand einer vertraglichen Inhaltskontrolle sein kann. Gegenstand der Vertragskontrolle ist allenfalls der Arbeitsvertrag, genauer: die konkrete Verzichtsklausel eines Arbeitsvertrags. Eine Ausgleichsquittung enthält jedoch gegenüber dem Arbeitsvertrag genauso wie der Aufhebungsoder Abwicklungsvertrag eine selbstständige vertragliche Vereinbarung und nur diese Vereinbarung kann dann Gegenstand der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle sein. Ein prinzipieller Differenzierungsgrund zwischen Aufhebungsverträgen, Abwicklungsverträgen und Ausgleichsquittungen existiert nicht138. Der vertragliche Verzicht des Arbeitnehmers auf Ansprüche oder Rechte ist damit regelmäßig Hauptleistung der Ausgleichsquittung und als solche nicht nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB kontrollfähig. Soweit ein vorformulierter arbeitsrechtlicher Generalverzicht anlässlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses als solcher hinreichend transparent ist, scheitert seine Wirksamkeit nicht am Fehlen einer kompensatorischen Gegenleistung des Arbeitgebers139. b) Berücksichtigung der Umstände des Vertragsschlusses nach § 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB Nach § 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB sind bei Verbraucherverträgen im Rahmen der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 und 2 BGB auch die den Vertragsschluss begleitenden Umstände angemessen zu berücksichtigen. Insbeson137 Däubler/Dorndorf - Däubler, AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht, Einleitung Rn. 168; ähnlich wohl Reinecke, Kontrolle Allgemeiner Arbeitsbedingungen nach dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz, DB 2002, 583, 586 und Preis, Arbeitsrecht, Verbraucherschutz und Inhaltskontrolle, Sonderbeilage zu NZA 2003 Heft 16, S. 19, 29 im Anschluss an OLG Karlsruhe vom 24.10.1990 – 1 U 101/90 – NJW 1991, 112 (Anwendung des § 9 AGBG auf einen vom Verkehrsunfallgegner vorformulierten Anspruchsverzicht). 138 So aber offenbar Preis, ebenda, S. 19, 31; vgl. auch Däubler/Dorndorf - Däubler, ebenda, Einleitung Rn. 163 einerseits, Rn. 168 andererseits. 139 Im Ergebnis wie hier Herbert/Oberrath, Arbeitsrecht nach der Schuldrechtsreform – eine Zwischenbilanz, NJW 2005, 3745, 3750; Gotthard, Arbeitsrecht nach der Schuldrechtsreform, S. 148 Rn. 306; Bauer, Chancen und Risiken von Ausgleichsklauseln in arbeitsrechtlichen Aufhebungs- und Abwicklungsverträgen, FS Bartenbach, S. 607, 609; B. Preis, Abschied von der Ausgleichsquittung?, ArbuR 1979, 97, 106.
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dere eine mögliche Überrumpelung des AGB-Adressaten kann so im Rahmen der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle Bedeutung erlangen. § 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB stellt jedoch nach wohl allgemeiner Ansicht keine Erweiterung des Anwendungsbereichs der Inhaltskontrolle um einen eigenständigen Überrumpelungsschutz dar; Überrumpelung kann lediglich ein zusätzliches Abwägungskriterium bei der Feststellung einer inhaltlichen Unangemessenheit i. S. des § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB sein140. Die Umstände des Vertragsschlusses können deshalb für die Wirksamkeit einer Vertragsbedingung nur dann Bedeutung erlangen, wenn diese Klausel als solche der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unterliegt – m. a. W. nicht (ausschließlich) zur Bestimmung der vertraglichen Hauptleistung dient141. Für arbeitsrechtliche Verzichtsvereinbarungen außerhalb des Arbeitsvertrages dürfte diese Vorschrift deshalb nur in seltenen Fällen Bedeutung erlangen können. 4. Grundsätzliche Unzulässigkeit eines Generalverzichts in formularmäßigen Aufhebungs- bzw. Abwicklungsverträgen? Aus der grundsätzlichen Anwendbarkeit der AGB-rechtlichen Vorschriften der §§ 305 ff. BGB, insbesondere aus der AGB-Generalklausel des § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB, ist von einigen Autoren das praktische Ende der Ausgleichsquittung gefolgert worden142. Ausgleichsquittungen seien zumeist vorformulierte Erklärungen, die den Arbeitnehmer in aller Regel unangemessen entgegen den Geboten von Treu und Glauben benachteiligten, da er für seinen Verzicht keine Gegenleistung erhalte143. Einer näheren Analyse kann diese Bewertung jedoch nicht standhalten. Im Ausgangspunkt zutreffend ist der Befund, dass kompensationslose Generalverzichtserklärungen anlässlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses in aller Regel nicht als Individualvereinbarungen i. S. des § 305 Abs. 1 Satz 3 BGB bzw. des § 305b BGB anzusehen sind144. Dies gilt umso mehr, weil durch die verbraucherrechtliche Erweiterung des Anwendungsbereichs nach § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB die Bestimmungen der AGB-Kontrolle in der Regel auch für arbeitsrechtliche Verzichtsvereinbarungen zur nur einmaligen Ver140
MüKo - Basedow BGB § 310 Rn. 70. Vgl. BAG vom 27.11.2003 – 2 AZR 135/03 – AP BGB § 312 Nr. 1 [unter B. IV. 2. der Gründe]. 142 Reinecke, Kontrolle Allgemeiner Arbeitsbedingungen nach dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz, DB 2002, 583, 586 und Preis, Arbeitsrecht, Verbraucherschutz und Inhaltskontrolle, Sonderbeilage zu NZA 2003 Heft 16, S. 19, 29. 143 So insb. Reinecke, ebenda. 144 So zutreffend Preis, a. a. O., S. 19, 29. 141
B. AGB-rechtliche Einschränkungen der Zulässigkeit
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wendung anwendbar sind. Demgegenüber erscheint der anlässlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Einzelnen ausgehandelte Generalverzicht als lediglich theoretisch mögliches Konstrukt ohne praktische Bedeutung145. Arbeitsrechtliche Generalverzichtserklärungen werden sich damit in aller Regel am Kontrollmaßstab des AGB-Rechts messen lassen müssen. Zudem wird eine Einschränkung des AGB-rechtlichen Kontrollmaßstabs durch „Besonderheiten des Arbeitsrechts“ i. S. des § 310 Abs. 4 BGB hier nicht in Frage kommen. Auf die lebhafte Diskussion zu diesem Thema muss hier nicht im Einzelnen eingegangen werden146. Jedenfalls aber kann nicht angenommen werden, dass der Gesetzgeber durch die nach § 310 Abs. 4 BGB vorgesehene Berücksichtigung der Besonderheiten des Arbeitsrechts jegliche Änderung der materiellen Rechtslage vermeiden wollte147. Allein die bisherige Üblichkeit von Ausgleichsquittungen rechtfertigt deshalb eine derartige Einschränkung des Anwendungsbereichs nicht148. Da es sich bei arbeitsrechtlichen Verzichtsvereinbarungen lediglich um die Anwendung originär zivilrechtlicher Vorschriften handelt, die im Stadium der Abwicklungsphase zudem in der Regel nicht mehr aus der Perspektive des arbeitsrechtlichen Unterlegenheitsparadigmas gewürdigt werden können, kommt eine arbeitsrechtsspezifische Einschränkung des AGB-rechtlichen Anwendungsbereichs jedenfalls hier nicht in Betracht149. Allein die Anwendbarkeit der AGB-Kontrolle lässt jedoch nicht den Schluss auf die Unzulässigkeit des kompensationslosen Generalverzichts zu. Insoweit ist der in einer Ausgleichsquittung liegende Generalverzicht nicht anders zu würdigen, als die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses durch Auflösungsvertrag150. Praktisch bedeutsame Einschränkungen der Zulässigkeit von Ausgleichsquittungen können sich aus den AGB-rechtlichen Transparenzanforderungen ergeben. Diese schließen den kompensationslosen Generalverzicht als solchen zwar nicht der Sache nach aus, erhöhen jedoch die Anforderungen an die Deutlichkeit und Eindeutigkeit der Verzichtsvereinbarung151. Die AGB145
Dazu Preis, ebenda. Eingehend dazu Däubler/Dorndorf - Dorndorf, AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht, § 310 Rn. 59 ff. 147 Mit dieser Tendenz aber insbesondere Hromadka, Schuldrechtsmodernisierung und Vertragskontrolle im Arbeitsrecht, NJW 2002, 2523, 2525, 2528, 2530. 148 So zu Recht LAG Düsseldorf vom 13.4.2005 – 12 Sa 154/05 – LAGE BGB 2002 § 307 Nr. 7 [unter B. II. 3. der Gründe]; LAG Schleswig-Holstein vom 24.9.2003 – 3 Sa 6/03 – NZA-RR 2004, 74, 76. 149 Vgl. dazu Däubler/Dorndorf - Dorndorf, AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht, § 310 Rn. 76, 86. 150 Dazu im Einzelnen oben 7. Kapitel: B. II. 3. a); ebenso Bauer, Chancen und Risiken von Ausgleichsklauseln in arbeitsrechtlichen Aufhebungs- und Abwicklungsverträgen, FS Bartenbach, S. 607, 609. 146
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7. Kap.: Verzichtsschutz durch allgemeine Regeln des Zivilrechts
rechtlichen Auslegungsregeln enthalten zudem nicht zuletzt durch die Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB eine eindeutig den AGB-Adressaten schützende Tendenz. Soweit eine Ausgleichsquittung entsprechend dem üblichen Wortlaut lediglich feststellend formuliert ist, dürfte sie deshalb ohne das Hinzutreten von besonderen Umständen, die gesichert auf ein zutreffendes Verständnis des konkreten AGB-Adressaten schließen lassen, den AGBrechtlichen Transparenzanforderungen nicht genügen152. Hinsichtlich des aus AGB-rechtlichen Erwägungen postulierten Abschieds von der Ausgleichsquittung ist danach eine differenzierte Betrachtungsweise angezeigt: Soweit man unter dem Begriff der Ausgleichsquittung nur die äußere Form der Vereinbarung eines einseitigen Generalverzichts durch einen quittungsähnlichen, lediglich feststellenden Wortlaut versteht, dürfte mit einer konsequenten Anwendung der AGB-rechtlichen Transparenzanforderungen in der Tat das Ende dieser problematischen Vertragspraxis kommen153. Abzulehnen sind hingegen die Auffassungen154, die allein aus dem Fehlen einer kompensatorischen Gegenleistung die Unwirksamkeit vorformulierter Generalverzichtsvereinbarungen nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB folgern155. § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB begrenzt die AGB-rechtliche Inhaltskontrolle auf Nebenbedingungen des Vertrages156. Der umfassende Anspruchsverzicht des Arbeitnehmers ist jedoch regelmäßig als Hauptleistung der anlässlich der Beendigung getroffenen Abwicklungsvereinbarung zu qualifizieren und als solche nach dem Grundsatz der Vertragsfreiheit nicht kontrollfähig i. S. des § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB. Ein vorformulierter Generalverzicht zur umfas151
Gotthardt, Arbeitsrecht nach der Schuldrechtsreform, S. 147, Rn. 305. Eingehend dazu bereits B. Preis, Abschied von der Ausgleichsquittung?, ArbuR 1979, 97, 105 (für die von ihm propagierte analoge Anwendung des früheren § 3 AGBG). 153 B. Preis, ebenda. 154 Für eine Unwirksamkeit nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB insbesondere LAG Schleswig-Holstein vom 24.9.2003 – 3 Sa 6/03 – NZA-RR 2004, 74, 75; LAG Düsseldorf vom 13.4.2005 – 12 Sa 154/05 – LAGE BGB 2002 § 307 Nr. 7 [unter B. II. 2. c) der Gründe]; LAG Hamburg vom 29.4.2004 – 1 Sa 47/03 – NZA-RR 2005, 151, 153 und aus dem Schrifttum Reinecke, Kontrolle Allgemeiner Arbeitsbedingungen nach dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz, DB 2002, 583, 586; ErfK - Preis § 310 Rn. 74b. 155 Im Ergebnis wie hier Herbert/Oberrath, Arbeitsrecht nach der Schuldrechtsreform – eine Zwischenbilanz, NJW 2005, 3745, 3750; Gotthard, Arbeitsrecht nach der Schuldrechtsreform, S. 148 Rn. 306; Bauer, Chancen und Risiken von Ausgleichsklauseln in arbeitsrechtlichen Aufhebungs- und Abwicklungsverträgen, FS Bartenbach, S. 607, 609; B. Preis, Abschied von der Ausgleichsquittung?, ArbuR 1979, 97, 106. 156 BAG vom 27.11.2003 – 2 AZR 135/03 – AP BGB § 312 Nr. 1 [unter B. IV. 3. der Gründe] m. w. N. 152
C. Nicht-unabdingbarkeitsspezifische Unwirksamkeit des Individualverzichts 413
senden Bereinigung der wechselseitigen Ansprüche und Rechte aus dem endenden Arbeitsverhältnis ist deshalb auch nach AGB-rechtlichen Maßstäben bei hinreichender Klarheit und Eindeutigkeit wirksam, soweit die Verzichtsbefugnis der Arbeitsvertragsparteien hinsichtlich einzelner Ansprüche oder Rechte nicht durch zwingendes Recht eingeschränkt ist157.
III. Fazit Mit der Ausdehnung der AGB-Kontrolle auf den Bereich des Arbeitsrechts und der dadurch induzierten grundsätzlichen Unterscheidung zwischen vorformulierten und ausgehandelten Klauseln geht eine Stärkung des Verhandlungsprinzips einher. Bezogen auf arbeitsrechtliche Verzichtsvereinbarungen führt dies zu einer erhöhten Sensibilisierung gegenüber informationellen Defiziten des Arbeitnehmers als AGB-Adressaten hinsichtlich des Inhalts und der rechtlichen Folgen des konkreten Vertragsschlusses durch AGB-rechtliche Transparenzgebote. Insbesondere die Wirksamkeit von nur feststellend formulierten Ausgleichsquittungen als rechtsvernichtende Verzichtsvereinbarungen dürfte deshalb neu zu bewerten sein158. Die grundsätzliche Zulässigkeit von getrennt vom Arbeitsvertrag vereinbarten arbeitsrechtlichen Verzichtsvereinbarungen wird nach der hier vertretenen Ansicht durch das AGB-Recht nicht berührt159. Insbesondere hängt die Wirksamkeit der Verzichtsvereinbarung nicht von der Gewährung einer kompensatorischen Gegenleistung ab, da und wenn der vorformulierte (General-)Verzicht des Arbeitnehmers als vertragliche Hauptleistung zu qualifizieren ist160. Die Rechtslage entspricht insoweit derjenigen beim Aufhebungsvertrag161.
C. Nicht-unabdingbarkeitsspezifische Unwirksamkeit des arbeitsrechtlichen Individualverzichts Außerhalb des Bereichs der aus der arbeitsrechtlichen Unabdingbarkeit ableitbaren Einschränkungen der Verzichtsbefugnis lässt sich die Grundregel formulieren, dass die Arbeitsvertragsparteien über Rechte und Ansprüche 157 So insbesondere Gotthardt, Arbeitsrecht nach der Schuldrechtsreform, Rn. 306; B. Preis, ArbuR 1979, 97, 106. 158 LAG Düsseldorf vom 13.4.2005 – 12 Sa 154/05 – LAGE BGB 2002 § 307 Nr. 7; vgl. auch B. Preis, ebenda, 97 ff. 159 Zum allgemeinen Meinungsstand vgl. oben Fn. 127. 160 Gotthardt, Arbeitsrecht nach der Schuldrechtsreform, Rn. 306. 161 Vgl. dazu BAG vom 27.11.2003 – 2 AZR 135/03 – AP BGB § 312 Nr. 1 [unter B. IV. 3. der Gründe].
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7. Kap.: Verzichtsschutz durch allgemeine Regeln des Zivilrechts
des Arbeitnehmers durch einen Erlassvertrag nach § 397 BGB frei disponieren können, soweit die herbeigeführte Verzichtswirkung dem (gesicherten) rechtsgeschäftlichen Willen, insbesondere des verzichtenden Arbeitnehmers, entspricht. Auch in diesem Bereich ist die von der Rechtsordnung gewährte Verzichtsfreiheit jedoch nicht schrankenlos: Eine allgemeine äußere Grenze der Verzichtsfreiheit wird auch hier gemäß § 138 BGB durch das Verbot sittenwidriger Rechtsgeschäfte markiert; einen Sonderfall der Unwirksamkeit wegen Sittenwidrigkeit betrifft die verbotene Maßregelung nach § 612a BGB162.
I. Nichtigkeit wegen Verstoßes gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB § 612a BGB verbietet die Sanktionierung einer zulässigen Rechtsausübung des Arbeitnehmers durch eine vom Arbeitgeber anlässlich einer anderen Vereinbarung oder Maßnahme vorgenommenen Benachteiligung. Während der Begriff der „Maßnahme“ sich hier auf einseitige Betätigungen des Arbeitgebers rechtlicher oder tatsächlicher Art bezieht, macht die Einbeziehung der „Vereinbarung“ klar, dass die formale Einverständniserklärung des Arbeitnehmers zu einer Maßregelung dieser nicht den Charakter einer Benachteiligung durch den Arbeitgeber nimmt; § 612a BGB setzt somit auch der Vertragsfreiheit der Arbeitsvertragsparteien aus dem Schutzinteresse des Arbeitnehmers abgeleitete Grenzen163. Der Schutzzweck des § 612a BGB lässt sich damit als zumindest primär paritätstheoretisch legitimierbar deuten: Die Willensfreiheit des Arbeitnehmers bei der Entscheidung darüber, ob er ein ihm zustehendes Recht ausübt oder nicht, soll vor Beeinträchtigungen durch die Befürchtung künftiger Benachteiligungen durch den Arbeitgeber geschützt werden164. Die praktische Bedeutung des § 612a BGB ist bisher gering geblieben165. Bezogen auf arbeitsrechtliche Verzichtsvereinbarungen wird eine Unwirksamkeit gemäß § 612a BGB erwogen, wenn der Anspruch auf Sozialplanabfindung vom Verzicht des Arbeitnehmers auf Erhebung einer Kündigungsschutzklage abhängig gemacht wird166. 162 ErfK - Preis BGB § 612a Rn. 2; BAG vom 22.5.2003 – 2 AZR 426/02 – AP KSchG 1969 § 1 Wartezeit Nr. 18; BAG vom 02.04.1987 – 2 AZR 227/86 – AP BGB § 612a Nr. 1. 163 Staudinger - Richardi BGB § 612a Nr. 10. 164 Vgl. Thüsing, Anwendungsbereich und Regelungsgehalt des Maßregelungsgebots gem. § 612a BGB, NZA 1994, 728, 731 m. w. N. 165 Thüsing, a. a. O., S. 732 hält § 612a BGB dementsprechend für überflüssig. 166 So insbesondere LAG Niedersachsen vom 16.8.2002 – 10 Sa 409/02 – NZA-RR 2003, 578, 582; offen gelassen in BAG vom 31.5.2005 – 1 AZR 254/04 –
C. Nicht-unabdingbarkeitsspezifische Unwirksamkeit des Individualverzichts 415
Demgegenüber sollen jedoch über den eigentlichen Sozialplananspruch hinausgehende Ansprüche des Arbeitnehmers auf eine weitere Abfindung oder sonstige Leistungen aus einer separaten Betriebsvereinbarung zulässigerweise von einem Klageverzicht abhängig gemacht werden können, ohne dass darin ein Verstoß gegen § 612a BGB liegt167. Die Zusage von Vorteilen als Gegenleistung für einen an sich zulässigen Rechtsverzicht enthält insoweit keine unzulässige Beeinträchtigung der Willensbildungsfreiheit durch eine (befürchtete) Maßregelung unbestimmter Art168. Weitere Anwendungsfälle des Maßregelungsverbots des § 612a BGB sind – soweit ersichtlich – in der Verzichtsdiskussion bisher nicht erwogen worden.
II. Nichtigkeit wegen Sittenwidrigkeit i. S. des § 138 BGB Unabhängig von der Dispositivität des entsprechenden Anspruchs oder Rechts des Arbeitnehmers kann eine Verzichtsvereinbarung gemäß § 138 BGB als nichtig anzusehen sein, wenn sie unter Ausnutzung einer strukturellen Störung der Vertragsparität zu Stande gekommen ist. Zur Vertragskontrolle an diesem Maßstab führt das Bundesarbeitsgericht in ausdrücklicher Anknüpfung an die sog. Bürgschaftsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts169 aus, es bedürfe einer richterlichen Kontrolle bei strukturellen Störungen der Vertragsparität170. Nutze der Arbeitgeber seine wirtschaftliche Überlegenheit gegenüber dem Arbeitnehmer aus, um ein für diesen ungünstiges Verhandlungsergebnis durchzusetzen, so bestehe der Schutzauftrag des Richters, der Vertragsparität mit den Mitteln des Zivilrechts Geltung zu verschaffen; es handele sich dabei um Fälle, in denen der Inhalt des Vertrages eine Seite ungewöhnlich belaste und als Interessenausgleich offensichtlich ungeeignet sei171. Verallgemeinerbare Maßstäbe für eine Bestimmung der Erheblichkeitsschwelle der „ungewöhnlichen Belastung“ im Arbeitsrecht liefert das Bundesarbeitsgericht jedoch nicht172. DB 2005, 1744. Das BAG folgerte die Unzulässigkeit der Verbindung von Klageverzicht und Sozialplanabfindung tragend aus dem Diskriminierungsverbot des § 75 Abs. 1 Satz 1 BetrVG. Vgl. auch ErfK - Preis BGB § 612a Rn. 15 m. w. N. 167 BAG vom 31.5.2005 – 1 AZR 254/04 – DB 2005, 1744, 1746. 168 Vgl. BAG, ebenda. 169 BVerfG vom 19.10.1993 – 1 BvR 567, 1044/89 – BVerfGE, 214, 232 f. 170 BAG vom 25.5.2005 – 5 AZR 572/04 – NJW 2005, 3305, 3309. 171 BAG, ebenda. Weniger restriktiv zu Rückzahlungsvereinbarungen jedoch BAG vom 21.11.2001 – 5 AZR 158/00 – NZA 2002, 531 ff. 172 Vgl. BAG vom 25.5.2005 – 5 AZR 572/04 – NJW 2005, 3305, 3309.
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7. Kap.: Verzichtsschutz durch allgemeine Regeln des Zivilrechts
Das Nötige zu Maßstab und paritätstheoretischer Rechtfertigung der allgemeinen Vertragskontrolle im Arbeitsrecht wurde bereits oben gesagt173. Auch wenn man insoweit als Voraussetzung der Sittenwidrigkeit kaum die schlechthin ruinösen Folgen des Rechtsgeschäfts verlangen kann, wird man diese Erheblichkeitsschwelle tendenziell wohl so hoch ansetzen müssen, dass ein Verzicht des Arbeitnehmers auf einzelne Leistungsansprüche aus dem Arbeitsverhältnis hier in aller Regel nicht ausreichen wird174. Ihr Anwendungsbereich ist weiter von vornherein begrenzt auf Vertragsschlusssituationen, in denen von einer durch wirtschaftliche Unterlegenheit bedingten Einschränkung der Entscheidungsfreiheit des Arbeitnehmers ausgegangen werden kann. Da und soweit bei einem anlässlich der Beendigung vereinbarten Verzicht nicht mehr von einer strukturellen Unterlegenheit des Arbeitnehmers ausgegangen werden kann, dürfte deshalb gerade in den praktisch relevanten Fällen von Ausgleichsquittung und Abwicklungsvertrag eine Sittenwidrigkeit der Verzichtsvereinbarung regelmäßig nicht in Betracht kommen. Die praktische Bedeutung der Sittenwidrigkeitskontrolle arbeitsrechtlicher Verzichtsvereinbarungen am Maßstab des § 138 BGB ist dementsprechend gering.
III. Fazit Eine paritätstheoretisch legitimierte Unwirksamkeit im Rahmen der Sittenwidrigkeitskontrolle von arbeitsrechtlichen Verzichtsvereinbarungen kann prinzipiell auch außerhalb des Verzichtsschutzes durch Unabdingbarkeit in Betracht kommen. Sie ist jedoch von nur untergeordneter praktischer Bedeutung. Anwendungsfälle des Maßregelungsverbots des § 612a BGB sind in Bezug auf arbeitsrechtliche Verzichtsvereinbarungen außerordentlich selten. Hinsichtlich der allgemeinen Sittenwidrigkeitskontrolle des § 138 BGB ist der paritätstheoretisch legitimierte Anwendungsbereich zudem auf Verzichtsvereinbarungen vor Beginn oder im laufenden Arbeitsverhältnisses fokussiert; der zur Vermeidung von Ausuferungen anzulegende Erheblichkeitsmaßstab begrenzt die Anwendbarkeit der Sittenwidrigkeitskontrolle weiter.
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Vgl. oben, 5. Kapitel: D. III. 2. Dazu schon oben, 5. Kapitel: D. III. 2. a) aa); vgl. auch Thüsing, Angemessenheit durch Konsens – Zu den Grenzen der Richtigkeitsgewähr arbeitsvertraglicher Vereinbarungen, RdA 2005, 257, 262 f. 174
D. Beseitigungsrechte
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D. Beseitigungsrechte Steht nach dem Ergebnis der (AGB-rechtlichen) Auslegung fest, dass in der von den Parteien getroffenen Vereinbarung eine wirksame rechtsvernichtende Verzichtsvereinbarung zu sehen ist, stellt sich die weitere Frage, unter welchen Voraussetzungen sich der Verzichtende von einem nachträglich als prekär erkannten Verzicht lösen kann. Typischerweise, aber keineswegs immer175, handelt es sich hier um Fälle, in denen der Arbeitnehmer die Verzichtswirkung, den Umfang oder die Folgewirkung einer Ausgleichsklausel verkannt hat.
I. Die Anfechtung der Verzichtsvereinbarung 1. Anfechtung wegen Irrtums Eine Anfechtung der Verzichtsvereinbarung wegen Irrtums gem. § 119 Abs. 1 BGB kommt in Betracht, wenn die anfechtende Partei sich im Irrtum über den rechtsvernichtenden Charakter der Vereinbarung überhaupt befand oder aber den Umfang der Verzichtswirkung einer allgemeinen Erledigungsklausel verkannt hat. a) Beachtlicher Rechtsfolgenirrtum Der Anfechtungsgrund des Inhaltsirrtums gem. § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB ist gegeben, wenn der Arbeitnehmer eine als Ausgleichsquittung anzusehende Vereinbarung in der Meinung unterschreibt, er erteile lediglich eine einfache Empfangsquittung i. S. des § 368 BGB. Streng genommen befindet sich der Arbeitnehmer hier in einem Rechtsfolgenirrtum176, der im Allgemeinen als im Rahmen des § 119 BGB unbeachtlich anzusehen ist177. Da und wenn jedoch – wie beim Verzichtsvertrag – Rechtsfolge und Inhalt praktisch identisch sind, hat das Bundesarbeitsgericht eine Anfechtung wegen Inhaltsirrtums grundsätzlich zugelassen178. Unterschreibt der Arbeitnehmer die ihm vorgelegte Erklärung dagegen ungelesen, so kann er sich nach allgemeinen Grundsätzen auch nicht auf einen Inhaltsirrtum nach § 119 175 Vgl. OLG Düsseldorf vom 9.7.1997 – 3 U 11/97 – EzA BGB § 397 Nr. 4 (Arbeitgeberdarlehen). 176 So auch MünchArbR - Wank § 127 Rn. 28. 177 Dazu MüKo - Kramer BGB § 119 Rn. 82; Palandt - Heinrichs § 119 Rn. 15. 178 BAG vom 27.8.1970 – 2 AZR 519/69 – AP BGB § 133 Nr. 33; vgl. auch BAG vom 10.2.2004 – 9 AZR 401/02 – AP BGB § 119 Nr. 15.
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7. Kap.: Verzichtsschutz durch allgemeine Regeln des Zivilrechts
Abs. 1 BGB berufen, er hat dann das im Unterlassen der möglichen Kenntnisnahme liegende Risiko der Fehlerhaftigkeit selbst zu tragen179. Für das Vorliegen eines Inhaltsirrtums ist die anfechtende Partei beweispflichtig180. Ausgehend von den oben erörterten restriktiven Auslegungsgrundsätzen dürfte der Bereich, indem zwar von einer rechtsvernichtenden Willenserklärung des Arbeitnehmers ausgegangen werden muss, dieser sich jedoch nachweisbar gerade über diesen Umstand im Irrtum befand, äußerst schmal sein. Die praktische Bedeutung der Anfechtung einer Ausgleichsquittung wegen Inhaltsirrtums ist deshalb gering. b) Unbeachtlichkeit des Motivirrtums bzw. des Irrtums über die weiteren Rechtsfolgen des Verzichts Als Anfechtungsgrund unbeachtlich ist dagegen der Irrtum über den Beweggrund für bzw. die (weiteren) Rechtsfolgen des Verzichtsvertrages181. So soll die nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts im Abschluss eines erneuten befristeten Arbeitsvertrages liegende Auflösung des mangels wirksamer Befristung unbefristeten vorherigen Arbeitsvertrages bloße rechtliche Nebenfolge des Neuabschlusses sein; ein Irrtum über die Rechtsfolge der Auflösungswirkung sei daher bloßer Motivirrtum und berechtige damit nicht zu einer Irrtumsanfechtung nach § 119 Abs. 1. Alt. 1 BGB182. Mag die irrtumsrechtliche Bewertung des Bundesarbeitsgerichts hier auch durchaus konsequent erscheinen, so unterliegt der Interpretationsansatz einer konkludenten Auflösungsvereinbarung doch erheblichen Bedenken183. In den Bereich des unbeachtlichen Irrtums über die weiteren Rechtsfolgen gehören auch die Fälle, in denen Arbeitnehmer unter Verkennung der sozialrechtlichen Folgen Verzichtsvereinbarungen mit dem Arbeitgeber eingehen184. Beispielhaft genannt seien hier der Eintritt einer Sperrzeit beim Bezug von Arbeitslosengeld nach einem Klageverzicht hinsichtlich der Er179 BAG vom 27.8.1970 – 2 AZR 519/69 – AP BGB § 133 Nr. 33; LAG Berlin 17.4.1978 – 9 Sa 130/77 – EzA BGB § 397 Nr. 3; allgemein Palandt - Heinrichs § 119 Rn. 9. 180 Palandt - Heinrichs § 119 Rn. 32. 181 Auch hier werden der Beweggrund für und die irrig vorausgesetzten weiteren Rechtsfolgen des Verzichtsvertrages häufig identisch sein. 182 BAG vom 30.10.1987 – 7 AZR 115/87 – AP BGB § 119 Nr. 8. 183 Zur Kritik am Interpretationsansatz des BAG ausführlich Klevemann/Ziemann, Die Reichweite der Befristungskontrolle bei mehrfach befristeten Arbeitsverhältnissen, DB 1989, 2608 ff.; zur Problematik der Folgebefristungen hier bereits oben, 5. Kapitel: E. I. 1. b) bb) (3). 184 BAG vom 10.02.2004 – 9 AZR 401/02, 2 – AP BGB § 119 Nr. 15; vgl. auch Salje, NZA 1990, 299, 304 (Fn. 34); a. A. offenbar Gagel, NZA 1985, 270, 274.
D. Beseitigungsrechte
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hebung einer Kündigungsschutzklage185 oder das Ruhen des Krankengeldanspruchs nach einem Verzicht auf Entgeltfortzahlung gegenüber dem Arbeitgeber186. c) Erklärungsirrtum Da Verzichtsvereinbarungen in der Praxis zumeist vom Arbeitgeber vorformuliert werden, wird ein Erklärungsirrtum i. S. des § 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB in der Regel nur auf Arbeitgeberseite in Betracht kommen187. Denkbar sind hier Fälle, in denen sich der Arbeitgeber bei der Formulierung der Vereinbarung, beispielsweise hinsichtlich der eigentlich beabsichtigten Ausnahme von Rückzahlungsansprüchen aus einem Arbeitgeberdarlehen von der Verzichtswirkung188, geirrt hat. d) Irrtum über verkehrswesentliche Eigenschaften Der Anfechtungsgrund des § 119 Abs. 2 BGB wird bei der Anfechtung einer Verzichtsvereinbarung kaum in Betracht kommen. Diskutiert worden sind in diesem Zusammenhang Fälle, in denen eine unerkannt schwangere Arbeitnehmerin sich durch Eigenkündigung oder Aufhebungsvertrag unversehens auch des mutterschutzrechtlichen Kündigungsschutzes begeben hatte189. Die Anfechtung der Schwangeren scheitert jedoch bereits daran, dass es sich bei der Schwangerschaft naturgemäß nur um einen vorübergehenden Zustand handelt, der als solcher zwar sicher verkehrswesentlich, aber eben keine Eigenschaft i. S. des § 119 BGB ist190. 2. Anfechtung wegen Täuschung oder Drohung Ein Anfechtungsrecht wegen arglistiger Täuschung gemäß § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB kommt in Betracht, wenn dem Arbeitnehmer vorgespiegelt wurde, die zu unterschreibende Ausgleichsquittung sei lediglich eine einfache Empfangsquittung ohne weitere Rechtsfolge. Soweit den Arbeitgeber Aufklärungspflichten hinsichtlich des Inhalts, Umfangs oder der Folgewir185 Vgl. dazu BSG vom 18.12.2003 – B 11 AL 35/03 R – AP Nr. 3 zu § 144 SGB III. 186 Vgl. dazu oben, 6. Kapitel: B. IV. 2. 187 Vgl. MünchArbR - Wank § 127 Rn. 28. 188 Vgl. OLG Düsseldorf vom 9.7.1997 – 3 U 11/97 – EzA BGB § 397 Nr. 4. 189 Vgl. BAG vom 6.2.1992 – 2 AZR 408/91 AP BGB § 119 Nr. 13 m.w.N.; BAG vom 16.2.1983 – 7 AZR 134/81 – AP BGB § 123 Nr. 22. 190 BAG, ebenda.
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7. Kap.: Verzichtsschutz durch allgemeine Regeln des Zivilrechts
kungen einer Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien treffen, kann auch die arglistige Unterlassung der gebotenen Aufklärung ein Anfechtungsrecht des Arbeitnehmers nach § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB begründen191. Die praktische Erfolgsquote der Anfechtungen wegen arglistig unterlassener Aufklärung ist jedoch bei Vereinbarungen zur Beendigung oder Abwicklung des endenden Arbeitsverhältnisses äußerst gering192. Wegen widerrechtlicher Drohung i. S. des § 123 Abs. 1 2. Alt. BGB kann eine Anfechtung einer Verzichtsvereinbarung bei einer Drohung des Arbeitgebers mit einer nicht zu rechtfertigenden Kündigung des laufenden Arbeitsverhältnisses oder mit willkürlichen Maßnahmen des Direktionsrechts in Betracht kommen. Hinsichtlich einer Ausgleichsquittung sind hier das widerrechtliche Zurückhalten der Arbeitspapiere oder die widerrechtliche Weitergabe von für das berufliche Fortkommen schädlichen Informationen als Anfechtungsgrund denkbar, soweit der Arbeitnehmer derartige Ankündigungen des Arbeitgebers von entsprechender Qualität nachweisen kann193. 3. Zwischenergebnis Das Anfechtungsrecht des BGB erfasst grundsätzlich zwar auch Verzichtsvereinbarungen zwischen den Arbeitsvertragsparteien, gibt jedoch in den phänomenologisch typischen Fällen prekärer Verzichtsvereinbarungen selten ein Beseitigungsrecht194. Seine praktische Bedeutung ist entsprechend gering.
II. Widerrufsrecht nach den §§ 312, 355 BGB? Der Wortlaut des durch die Schuldrechtsreform zum 1.1.2002 in das BGB eingeführten § 312 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB schließt im Zusammenspiel mit der Legaldefinition des Verbraucherbegriffs in § 13 BGB ein 191
Vgl. BAG vom 22.4.2004 – 2 AZR 281/03 – AP BGB § 620 Aufhebungsvertrag Nr. 27 (Anfechtung u. a. wegen eines unerlassenen Hinweises auf die sperrzeitrechtlichen Folgen des Aufhebungsvertrages) mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung. 192 Nach Thüsing gab es in diesem Zusammenhang in der Rechtsprechung des BAG bisher keinen einzigen Fall, in dem eine Anfechtung wegen unterlassener Aufklärung erfolgreich war; vgl. Thüsing, Angemessenheit durch Konsens – Zu den Grenzen der Richtigkeitsgewähr arbeitsvertraglicher Vereinbarungen, RdA 2005, 257, 268. 193 Zu den damit einhergehenden Beweisschwierigkeiten bereits oben, 5. Kapitel: D. III. 1. 194 Vgl. auch Thüsing, Angemessenheit durch Konsens – Zu den Grenzen der Richtigkeitsgewähr arbeitsvertraglicher Vereinbarungen, RdA 2005, 257, 267 f.
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Recht des Arbeitnehmers zum Widerruf auch von Vereinbarungen mit dem Arbeitgeber ein, die das Arbeitsverhältnis selbst betreffen. Die weiteren Voraussetzungen des § 312 BGB einer „entgeltlichen Leistung“ des Verbrauchers und der Situationen eines Abschlusses „am Arbeitsplatz“ sind bei arbeitsrechtlichen Verzichtsvereinbarungen im Regelfall ebenfalls erfüllt. Danach ergäbe sich für während des Arbeitsverhältnisses oder anlässlich der Beendigung desselben getroffene Verzichtsvereinbarungen wie für arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge regelmäßig ein weitgehend formalisiertes, verbraucherrechtliches Widerrufsrecht nach § 312 BGB. In der Literatur ist die Anwendbarkeit des verbraucherrechtlichen Widerrufsrechts kontrovers diskutiert worden195; das Bundesarbeitsgericht hat eine Anwendung des § 312 BGB auf arbeitsrechtliche Abwicklungs- oder Aufhebungsverträge aus gesetzessystematischen wie teleologischen Erwägungen kategorisch abgelehnt196. Unter dem Gesichtspunkt des unverkennbaren situationsspezifischen Schutzbedürfnisses des Arbeitnehmers vor Überrumpelung vermag m. E. weder eine uneingeschränkte wortlautgestützte Anwendung des § 312 BGB noch dessen generelle Unanwendbarkeit für das Arbeitsverhältnis oder Ansprüche oder Rechte aus demselben betreffende Verzichtsvereinbarungen teleologisch vollends zu überzeugen. Das Nötige dazu wurde bereits oben gesagt197.
III. Schadensersatzrechtlicher Beseitigungsanspruch aus § 249 Abs. 1 BGB Obgleich das Bundesarbeitsgericht eine Anwendung des formal-typisierenden Überrumpelungsschutzes des § 312 BGB auf arbeitsrechtliche Abwicklungs- bzw. Aufhebungsverträge abgelehnt hat, weist es im Anschluss an Lorenz198 zugleich auch neue Wege für einen individualisierten Über195
Zur Diskussion um die Anwendbarkeit des § 312 BGB n. F. auf arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge und die insoweit ausgetauschten Argumente vgl. statt vieler Hümmerich, Alea iacta est – Aufhebungsvertrag kein Haustürgeschäft, NZA 2004, 809 ff.; für eine Anwendbarkeit der Vorgängernorm des HausTWG bereits Lorenz, Arbeitsrechtlicher Aufhebungsvertrag, Haustürwiderrufsgesetz und „undue influence“, JZ 1997, 277, 281 f. 196 BAG vom 27.11.2003 – 2 AZR 135/03 – AP BGB § 312 Nr. 1 [unter II. 5. der Gründe]; BAG vom 27.11.2003 – 2 AZR 177/03 – AP BGB § 312 Nr. 2 [unter II. 2. b) bb) (5) der Gründe]; BAG vom 22.4.2004 – 2 AZR 281/03 – AP BGB § 620 Aufhebungsvertrag Nr. 27 [unter I. B. 2. b) aa) (5) der Gründe]; BAG vom 3.6.2004 – 2 AZR 427/03 – www.bundesarbeitsgericht.de; BAG vom 15.3.2005 – 9 AZR 502/03 – NJW 2005, 3164, 3167. 197 Vgl. oben, 5. Kapitel: D. III. 2. a) bb). 198 Lorenz, Arbeitsrechtlicher Aufhebungsvertrag, Haustürwiderrufsgesetz und „undue influence“, JZ 1997, 277, 281 f.
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7. Kap.: Verzichtsschutz durch allgemeine Regeln des Zivilrechts
rumpelungsschutz des Arbeitnehmers. Das Bundesarbeitsgericht hat in jüngster Zeit mehrfach ausgesprochen, der allgemeinen Gefahr einer möglichen Überrumpelung des Arbeitnehmers könne über Informationspflichten und mit dem Gebot fairen Verhandelns hinreichend begegnet werden199. Damit rücken in Anlehnung an die aus dem angloamerikanischen Rechtsraum stammende Rechtsfigur des undue influence dem Abschluss einer Verzichtsvereinbarung vorgelagerte Verhandlungs- und Verständigungspflichten der Arbeitsvertragsparteien und gegebenenfalls daran anknüpfende Schadensersatzpflichten des Arbeitgebers in ein aus der Perspektive der bisherigen Rechtsprechung der Arbeitsgerichte neues Blickfeld200. Insbesondere die mögliche Rechtsfolge eines Anspruchs auf Aufhebung nachteiliger Beendigungs- oder Verzichtsvereinbarungen aus § 249 Abs. 1 BGB ist ein für das Arbeitsrecht bislang wenig untersuchter Aspekt der schadensersatzrechtlichen Haftung. Von untergeordneter Bedeutung ist demgegenüber die dogmatische Anknüpfung der Verhandlungspflichten, sei es aus unter dem Gesichtspunkt der culpa in contrahendo des Verzichtsvertrages201, §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB, sei es unter dem Gesichtspunkt der Verletzung einer arbeitsvertraglichen Nebenpflicht zur Fürsorge202, §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB.
Eckpunkte eines schadensersatzrechtlichen Schutzes vor unerwünschten Verzichtsvereinbarungen unter dem Gesichtspunkt der Verletzung vorgelagerter Informations- oder Verhandlungspflichten sollen im Folgenden skizziert werden. 1. Der unerwünschte Verzichtsvertrag als Schaden Unstreitig kann im Abschluss eines wirtschaftlich nachteiligen Vertrages ein Vermögensschaden liegen, der gemäß § 249 Abs. 1 BGB im Wege der Naturalrestitution durch Vertragsaufhebung beseitigt werden kann203. Zwar ist im Schrifttum teilweise bestritten worden, dass die schadensersatzrechtliche Rechtsfolge der Aufhebung des schädigenden Vertrages ihren recht199 BAG vom 27.11.2003 – 2 AZR 135/03 – AP BGB § 312 Nr. 1 [unter II. 5. der Gründe]; BAG vom 27.11.2003 – 2 AZR 177/03 – AP BGB § 312 Nr. 2 [unter II. 2. b) bb) (5) der Gründe]; BAG vom 22.4.2004 – 2 AZR 281/03 – AP BGB § 620 Aufhebungsvertrag Nr. 27 [unter B. I. 2. b) aa) (5) der Gründe]; BAG vom 3.6.2004 – 2 AZR 427/03 – www.bundesarbeitsgericht.de; BAG vom 15.3.2005 – 9 AZR 502/03 – NJW 2005, 3164, 3167. 200 So auch Thüsing, Angemessenheit durch Konsens – Zu den Grenzen der Richtigkeitsgewähr arbeitsvertraglicher Vereinbarungen, RdA 2005, 257, 268. 201 Vgl. Thüsing, ebenda. 202 So etwa Rolfs, Anm. zu BAG 17.10.2000 – 3 AZR 605/99 – AP BGB § 611 Fürsorgepflicht Nr. 116. 203 Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 69 ff.
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lichen Grund auch in den Grundsätzen der culpa in contrahendo als Folge der Verletzung von vorvertraglichen Verhandlungspflichten hinsichtlich eben dieses Vertrages finden kann204. Bedenken wurden hier vor allem aus einem Konkurrenzverhältnis zum tatbestandlich enger gefassten § 123 Abs. 1 BGB abgeleitet205. Der Bundesgerichtshof hat jedoch mehrfach höchstrichterlich bestätigt, dass eine Rückabwicklung von Verträgen über die Rechtsfigur der culpa in contrahendo nicht durch eine Exklusivität des Anfechtungsrechts nach § 123 BGB ausgeschlossen ist206. Die grundsätzliche Möglichkeit der Vertragsaufhebung als Folge der Verletzung vorvertraglicher Informations- oder Verhandlungspflichten – jedenfalls hinsichtlich wirtschaftlich nachteiliger Verträge207 – auch im Rahmen der culpa in contrahendo dürfte damit der weit überwiegenden Meinung entsprechen208. Da die hier im Blickpunkt des Interesses stehenden Verzichtsvereinbarungen anlässlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses typischerweise für den Arbeitnehmer wirtschaftlich nachteilig sind, ist der Weg zur Aufhebung dieser Verzichtsverträge aufgrund der Rechtsfigur der culpa in contrahendo bereits de lege lata prinzipiell frei. 2. Schuldhaftes Arbeitgeberverhalten als Anknüpfungspunkt Im Rahmen eines schadensersatzrechtlich gestützten Vertragsaufhebungsrechts wird zur entscheidenden Frage, welches Maß an Informations- bzw. Verhandlungspflichten hinsichtlich möglicher nachteiliger Rechtsfolgen eines Verzichtsvertrages dem Arbeitgeber zuzumuten ist bzw. wie das Gebot des fairen Verhandelns speziell in der Beendigungsphase des Arbeitsverhältnisses zu konkretisieren ist. Zugleich sind damit zwei Varianten des „undue influence“ angesprochen: Zum einen die mit denjenigen des § 123 BGB 204 Zum Problem des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs vgl. Rolfs, Anm. zu BAG 17.10.2000 – 3 AZR 605/99 – AP BGB § 611 Fürsorgepflicht Nr. 116. 205 Eingehend zum Streitstand Lorenz, a.a.O; für einen Vorrang des Anfechtungsrechts insbesondere Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, S. 133 ff. 206 Grundlegend BGH vom 31.1.1962 – VIII ZR 120/60 – NJW 1962, 1196 ff.; bestätigend BGH vom 26.9.1997 – V ZR 29/96 – NJW 1998, 302, 303 f. mit zahlreichen Nachweisen. 207 Mit dieser Einschränkung der BGH a. a. O.; weitergehend für einen Schutz der Selbstbestimmung durch cic. insbesondere Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 72 ff. und S. 388 ff.; Schwarze, Vorvertragliche Verständigungspflichten, S. 353. 208 Lorenz, ebenda; vgl. auch Lorenz, Arbeitsrechtlicher Aufhebungsvertrag, Haustürwiderrufsgesetz und „undue influence“, JZ 1997, 277, 280 f.; Thüsing, Angemessenheit durch Konsens – Zu den Grenzen der Richtigkeitsgewähr arbeitsvertraglicher Vereinbarungen, RdA 2005, 257, 268; a. A. aber wohl BAG 17.10.2000 – 3 AZR 605/99 – AP BGB § 611 Fürsorgepflicht Nr. 116.
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verwandten Fälle einer drohungs- oder täuschungsähnlichen Willensbeeinflussung durch „unfaire“ Verhandlungstechniken, zum anderen das Herbeiführen oder Ausnutzen vorhandener Fehlvorstellungen über den rechtlichen Gehalt oder die rechtlichen Folgen einer Vereinbarung209. In beiden Fällen ist es nicht der Inhalt der (Verzichts-)Vereinbarung, der Anstoß erregt, sondern der Weg zum Vertragsschluss210. a) Gebot des fairen Verhandelns Mit dem Schlagwort eines Verstoßes gegen das Gebot fairen Verhandelns werden allgemein Verhandlungspraktiken gekennzeichnet, die auf die Herbeiführung äußerer Umstände des Vertragsschlusses abzielen, durch die eine wohlüberlegte, rationale Entscheidungsfindung durch den Vertragspartner psychologisch erschwert wird. Bezogen auf arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge oder Verzichtsvereinbarungen in der Beendigungsphase kommen als Indizien unfairer Verhandlungsführung etwa das Generieren eines vermeintlichen Zeitdrucks, die besondere Betonung etwaiger Verzögerungsfolgen, die Konfrontation mit angeblich unwiderleglich bewiesenen strafrechtlich relevanten Vorwürfen, die Ablehnung der Hinzuziehung eines rechtskundigen Beistandes durch den Arbeitnehmer oder der Gebrauch mehrerer Personen als „Überzeuger“ durch den Arbeitgeber in Betracht211. Subsumtionsfähige Mindestanforderungen einer fairen Verhandlungsführung in typischen arbeitsrechtlichen Beendigungssituationen sind jedoch bisher nicht entwickelt worden212. Jedenfalls soll für den Arbeitgeber keine Verpflichtung bestehen, dem Arbeitnehmer beim Abschluss eines Aufhebungsvertrags eine Überlegenszeit einzuräumen213. Es bleibt abzuwarten, ob die Arbeitsgerichte sich dieser Aufgabe durch Erarbeitung rechtspraktisch operationabler fallgruppenspezifischer Typisierungen künftig annehmen werden. Der bisherige Umgang mit dem seit Jahrzehnten diskutierten Phänomen aufgenötigter Aufhebungsverträge durch die Arbeitsgerichte nährt hier Zweifel214. Das Bundesarbeitsgericht selbst hat es hinsichtlich des Gebots des fairen Verhandelns bisher stets bei der Fest209 Thüsing, Angemessenheit durch Konsens – Zu den Grenzen der Richtigkeitsgewähr arbeitsvertraglicher Vereinbarungen, RdA 2005, 257, 268. 210 So auch Thüsing, ebenda, S. 269. 211 Vgl. auch Thüsing, ebenda. 212 Thüsing, ebenda. 213 BAG vom 30.9.1993 – 2 AZR 268/93 – AP BGB § 123 Nr. 37; anders jedoch LAG Hamburg vom 3.7.1991 – 5 Sa 20/91 – LAGE Aufhebungsvertrag Nr. 6. 214 Zuversichtlicher jedoch Thüsing, a. a. O.
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stellung belassen, dass es in den jeweils entschiedenen Fällen keinen Anhaltspunkt für ein im hier interessierenden Sinne „unfaires“ Verhandeln gegeben habe215. b) Verletzung vorvertraglicher Informationspflichten Auch die Verletzung vorvertraglicher Informationspflichten hat als möglicher Auslöser eines Vertragsauflösungsrechts hinsichtlich arbeitsrechtlicher Beendigungs- oder Verzichtsvereinbarungen bisher keine allgemein anerkannten Konkretisierungen erfahren216. Der dem BGB immanente Grundsatz der informationellen Selbstverantwortung führt hier jedoch auch zu der allgemeinen Basiswertung, dass es dem Arbeitnehmer wie jeder Vertragspartei grundsätzlich selbst obliegt, sich über mögliche nachteilige Folgen einer vertraglichen Vereinbarung zu informieren und entsprechend auch das Risiko unerkannter Fehlvorstellungen über Vertragsfolgen zu tragen217. Auch wenn der Gedanke der arbeitsrechtlichen Fürsorgepflicht des Arbeitgebers hier u. U. eine graduelle Aufweichung dieses Grundsatzes rechtfertigen mag218, kann ein allgemeines Vertragsauflösungsrecht des Arbeitnehmers hinsichtlich unerwünschter Verzichtsvereinbarungen so nicht begründet werden. Erforderlich ist daher eine nähere Eingrenzung der für eine schadensersatzrechtliche Aufhebung des Beendigungs- oder Verzichtsvertrages rechtlich relevanten Fehlvorstellungen. aa) Begrenzung der vorvertraglichen Haftungsbegründung auf speziell normierte Aufklärungs- und Hinweispflichten? Auf den ersten Blick naheliegend scheint eine Begrenzung vorvertraglicher Informationspflichten des Arbeitgebers auf Aufklärungs- oder Hinweispflichten, die entweder ausdrücklich gesetzlich angeordnet sind oder sich aus besonderen tarifvertraglichen oder vertraglichen Bindungen ergeben. Derartige „echte“ Aufklärungspflichten sind jedoch bisher die absolute 215
BAG vom 27.11.2003 – 2 AZR 135/03 – AP BGB § 312 Nr. 1 [unter II. 5. der Gründe]; BAG vom 27.11.2003 – 2 AZR 177/03 – AP BGB § 312 Nr. 2 [unter II. 2. b) bb) (5) der Gründe]; BAG vom 3.6.2004 – 2 AZR 427/03 – www. bundesarbeitsgericht.de; BAG vom 15.3.2005 – 9 AZR 502/03 – NJW 2005, 3164, 3167. 216 Anders beispielsweise im Bereich der Bankenhaftung, vgl. zum Überblick MüKo - Emmerich BGB § 311 Rn. 144 ff. 217 Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 406 f.; so auch BAG vom 3.7.1990 – 3 AZR 382/89 – AP BetrAVG § 1 Nr. 24. 218 Vgl. Rolfs, Anm. zu BAG vom 17.10.2000 – 3 AZR 605/99 – AP BGB § 611 Fürsorgepflicht Nr. 116.
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Ausnahme geblieben, und betont restriktiv ist die bisherige Rechtsprechung219 selbst dann, wenn es um die privatrechtlichen Folgen der Verletzung sozialrechtlich normierter Hinweispflichten des Arbeitgebers geht220. Ein wesentlich über den Schutz durch das Anfechtungsrecht des § 123 BGB hinausgehende Eindämmung übervorteilender Verhandlungspraktiken ist auf dieser Grundlage auch im Rahmen der culpa in contrahendo nicht realisierbar221. Als Schutzinstrument gegenüber informationsdefizitären Verzichtsvereinbarungen würde eine derart rigide Limitierung des rechtlich relevanten vorvertraglichen Pflichtenbereichs das Instrument der culpa in contrahendo de lege lata praktisch vollends entwerten. Andererseits erschiene auch de lege ferenda eine Ausweitung echter Aufklärungspflichten des Arbeitnehmers mit entsprechendem Unwirksamkeitsoder Schadensersatzrisiko nicht uneingeschränkt als rechtspolitisch wünschenswert. Denn keineswegs immer kann von einem so einzuebnenden Informationsgefälle zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer hinsichtlich des rechtlichen Gehalts und der rechtlichen Folgewirkungen der getroffenen Vereinbarungen ausgegangen werden. Eine generelle Überwälzung des Informationsrisikos auf den Arbeitgeber dürfte aber gerade bei Kleinunternehmern ohne rechtliche Fachkenntnisse zu unzuträglichen und nicht rechtfertigbaren Belastungen durch Bürokratiekosten und/oder Schadensfälle führen. Echte Aufklärungspflichten sind als Anknüpfungspunkt für eine Konditionierung unerwünschter Verzichtsvereinbarungen im Rahmen der culpa in contrahendo zu statisch und damit nicht zielführend.
219 BAG vom 10.3.1988 – 8 AZR 420/85 – NZA 1988, 837 ff.; anders allerdings zu Aufklärungspflichten hinsichtlich den Auswirkungen eines Aufhebungsvertrages auf eine Zusatzversorgung BAG vom 17.10.2000 – 3 AZR 605/99 – AP BGB § 611 Fürsorgepflicht Nr. 116 [unter II. 2. b) cc) der Gründe]; vereinzelt geblieben LAG Hamburg vom 20.8.1992 – 2 Sa 16/92 – LAGE BGB § 611 Aufhebungsvertrag Nr. 9 und ArbG Wetzlar vom 7.8.1991 – 1 Ca 48/90 – DB 1991, 976 und ArbG Wetzlar vom 29.8.1995 – 1 Ca 273/95 – DB 1995, 2376 (Anfechtbarkeit des Aufhebungsvertrags nach § 123 BGB bei fehlendem Hinweis des Arbeitgebers auf Sperrzeit beim Arbeitslosengeld). 220 BAG vom 29.9.2005 – 8 AZR 571/04 – www.bundesarbeitsgericht.de (zum nach § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB III dem Arbeitgeber gebotenen Hinweis an den Arbeitnehmer über dessen Pflicht, sich vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses unverzüglich bei der Agentur für Arbeit arbeitssuchend zu melden). 221 Vgl. Thüsing, Angemessenheit durch Konsens – zu den Grenzen der Richtigkeitsgewähr arbeitsvertraglicher Vereinbarungen, RdA 2005, 257, 268; ähnlich Lorenz, Arbeitsrechtlicher Aufhebungsvertrag, Haustürwiderrufsgesetz und „undue influence“, JZ 1997, 277, 280 f.
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bb) Allgemeine vorvertragliche Informationspflichten und ihre Begrenzung durch Zurechnungskriterien Gedanklicher Ausgangspunkt für allgemeine Informationspflichten im Rahmen der culpa in contrahendo ist, dass grundsätzlich kein allgemein und generell schutzwürdiges Vertrauen eines Verhandelnden darauf bestehen kann, ungefragt über alle für seinen Vertragswillen entscheidenden Punkte informiert zu werden222. Informationspflichten innerhalb des vorvertraglichen Schuldverhältnisses sind stets begründungsbedürftig. Für die hier interessierenden Fälle der unerwünschten arbeitsrechtlichen Verzichtsvereinbarungen sind insbesondere vertrauenstheoretische Ansätze der Inanspruchnahme besonderen Vertrauens und verständigungstheoretische Ansätze der Haftungsbegründung von Relevanz. (1) Inanspruchnahme besonderen Vertrauens Vertrauenstheoretisch lassen sich erhöhte vorvertragliche Informationspflichten begründen, wenn ein besonderes Vertrauen der informationsbedürftigen Partei auf Wahrung ihrer Interessen durch den Vertragspartner begründet wurde223. Die Obliegenheit des Verhandlungspartners zur umfassenden Selbstinformation kann sich so in zurechenbarer Weise aufheben oder mindern, auch wenn die Parteien mit dem beabsichtigten Vertrag grundsätzlich gegensätzliche Interessen verfolgen224. So sollen den Arbeitgeber hinsichtlich der Rechtsfolgen jedenfalls dann erhöhte Hinweis- und Aufklärungspflichten treffen, wenn er den Abschluss eines Aufhebungsvertrages „im betrieblichen Interesse vorschlägt und dabei den Eindruck erweckt, er werde bei der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses auch die Interessen des Arbeitnehmers wahren und ihn nicht ohne ausreichende Aufklärung erheblichen Risiken für den Bestand seines Arbeitsverhältnisses aussetzen“225.
222
Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 416 f. Vgl. Schwarze, Vorvertragliche Verständigungspflichten, S. 88 ff.; auch BAG vom 22.4.2004 – 2 AZR 281/03 – AP BGB § 620 Aufhebungsvertrag Nr. 27. 224 Lorenz, a. a. O. 433 f. 225 BAG vom 22.4.2004 – 2 AZR 281/03 – AP BGB § 620 Aufhebungsvertrag Nr. 27; vgl. auch BAG vom 21.2.2002 – 2 AZR 749/00 – EzA KSchG § 1 Wiedereinstellungsanspruch Nr. 7 jeweils m. w. N.; restriktiver noch BAG vom 17.10.2000 – 3 AZR 605/99 – AP BGB Fürsorgepflicht Nr. 116 (zu Aufklärungspflichten hinsichtlich möglicher Versorgungsnachteile in der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes). 223
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(2) Pflicht zur Verständigung im Rahmen präsenten Wissens Verständigungstheoretisch lassen sich Informationspflichten begründen, die auf der allgemeinen vorvertraglichen Verpflichtung der Vertragsparteien fußen, sich zur Vermeidung fehlerhafter Vereinbarungen im Rahmen der Vertragsanbahnung um das Verständnis des materiellen Willens der anderen Seite des Vertrages hinsichtlich seines Inhalts und seiner Wertungsgrundlagen zu bemühen226. Verständigungspflichten zur Erforschung des materiell gewollten Vertragsinhalts treffen dabei als allgemeine Pflichten grundsätzlich beide Seiten des Vertrages; sie gründen – insbesondere auch bezogen auf das Arbeitsrecht – nicht auf einer paritätstheoretisch hergeleiteten und als typisch postulierten informationellen Unterlegenheit des Arbeitnehmers227, sind jedoch am subjektiven Verständnishorizont und damit auf den Wissenshorizont der anderen Seite ausgerichtet228. Beide Seiten des Vertrages trifft damit grundsätzlich eine von den Verständnismöglichkeiten der anderen Seite determinierte Pflicht zur Nachfrage hinsichtlich des wirklichen Rechtsfolgewillens bei als klärungsbedürftig erkannten Willenserklärungen. Die Ausrichtung der Verständigungspflicht auf das subjektiv Gemeinte soll damit zu einer Verteilung der Verständigungsverantwortlichkeiten nach Maßgabe des individuellen Wissens der Vertragsparteien führen, die sich u. U. bis zu einer Informationspflicht einer kognitiv überlegenen Partei hinsichtlich erkannter Abweichungen des subjektiven Rechtsfolgewillens vom objektiv Erklärten verdichten kann229. Die Verletzung einer derartigen allgemeinen Informationspflicht kraft überlegenen Wissens ist dann geeignet, im Rahmen der culpa in contrahendo haftungsbegründend zu wirken. Bezogen auf arbeitsrechtliche Verzichtserklärungen kann sich so eine Hinweispflicht des Arbeitgebers auf den rechtsvernichtenden Charakter einer Ausgleichsklausel oder -quittung ergeben, wenn er nach dem Ablauf der vorangegangen Verhandlungen aus dem gesamten Verhalten des Arbeitnehmers den subjektiven Eindruck gewinnen muss, dass dieser den rechtlichen Gehalt der aufgrund des Erklärungsinhalts und der Erklärungsumstände objektiv als rechtsvernichtend auszulegenden Vereinbarung nicht erkannt hat. In der Schutzrichtung ähnelt die verständigungstheoretische Begründung einer Informationspflicht damit der teilweise für fremdsprachige Arbeitnehmer mit der Wirkung einer Wirksamkeitsvoraussetzung vertrete226 Grundlegend dazu Schwarze, Vorvertragliche Verständigungspflichten, insb. S. 195 ff., 348 ff. 227 Vgl. Schwarze, ebenda, S. 189, 348. 228 Schwarze, a. a. O., S. 199 ff. 229 Schwarze, a. a. O., S. 208 ff., 349.
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nen Aufklärungspflicht aus dem Gesichtspunkt der arbeitsrechtlichen Fürsorgepflicht230. Weitergehend sollen nach Schwarze vorvertragliche Verständigungspflichten der Parteien nicht nur auf die Erforschung des subjektiven Rechtsfolgewillens beschränkt sein, sondern darüber hinaus auch die für die andere Seite ersichtlich wesentlichen Wertungsgrundlagen des Vertragsschlusses umfassen231. Ausgehend vom Prinzip der informationellen Selbstverantwortung ist jedoch auch hier Voraussetzung einer Informationspflicht, dass der Erklärungsgegner Anhaltspunkte dafür hat, dass der Wissensstand des Erklärenden hinsichtlich seiner ausdrücklich oder konkludent offenbarten Wertungsgrundlagen nicht gesichert ist232. Ist dies nach den konkreten Umständen der Fall, so soll der Erklärungsgegner die Erkennbarmachung von Wertungsgrundlagen als an ihn gerichtete Mitteilung über deren Geschäftserheblichkeit verstehen müssen und ihr unabhängig davon, ob der Erklärende selbst sein Informationsdefizit erkannt hat oder zur Selbstinformation in der Lage war, widersprechen, soll die offenbarte Wertungsgrundlage für den Vertrag irrelevant bleiben233. So soll der Arbeitgeber bei Abschluss eines Aufhebungsvertrages gegen Abfindung (u. U.) nicht (ohne weiteres) davon ausgehen können, dass ein durchschnittlicher Arbeitnehmer gesicherte Kenntnisse über Auswirkungen der Aufhebung des Arbeitsvertrages auf etwaige Ansprüche auf Arbeitslosengeld hat; sprechen die konkreten Umstände gegen ein entsprechend gesichertes Wissen des Arbeitnehmers, „so muss der Arbeitgeber den erkennbaren materiellen Willen des Arbeitnehmers, dass die Abfindung nicht durch Kürzungen des Arbeitslosengeldes weitgehend aufgezehrt werde, als geschäftlich erheblich betrachten“234. Bezogen auf den Bereich arbeitsrechtlicher Verzichtsvereinbarungen könnte eine Erweiterung der vorvertraglichen Verständigungspflichten auf vom Arbeitgeber erkannte subjektive Wertungsgrundlagen deshalb u. U. zu einem Anspruch des Arbeitnehmers auf Aufhebung eines Verzichts auf Entgeltfortzahlungsansprüche führen, wenn der Arbeitgeber positive Kenntnis davon hatte, dass die später enttäuschte Erwartung des Krankengeldbezugs eine unzutreffende Wertungsgrundlage des Verzichtsvertrages war235.
Ihre Grenze finden verständigungstheoretisch begründbare Informationspflichten dort, wo hinsichtlich des präsenten Wissens kein relevantes Ge230
Dazu statt vieler AR-Blattei-SD (Kramer/Marhold) Nr. 290 Ausgleichsquittung Rn. 45 m. w. N. und hier die Ausführungen oben, 7. Kapitel: A. III. 231 Schwarze, Vorvertragliche Verständigungspflichten, S. 236 ff. 232 Schwarze, a. a. O., S. 251. 233 Schwarze, a. a. O., S. 252; deutlich enger Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 420 f., der das Bestehen vorvertraglicher Aufklärungspflichten entscheidend von der Möglichkeit der Selbstinformation abhängig machen will. 234 Schwarze, a. a. O., S. 252, einschränkend und präzisierend zu diesem Beispiel auf S. 255. 235 Vgl. dazu oben, 6. Kapitel: B. IV. 2. Problematisch könnte insoweit die Rechtsfolgenbestimmung beim vereinbarten Verzicht auf Erhebung der Kündigungsschutzklage nach enttäuschter Erwartung auf den sperrzeitlosen Bezug von Arbeitslosengeld darstellen, vgl. dazu BSG vom 18.12.2003 – B 11 AL 35/03 R – AP Nr. 3 zu § 144 SGB III.
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fälle über herbeigeführte Rechtsfolgen oder die Erreichbarkeit zutage getretener Vertragsschlussgrundlagen zwischen den Vertragsparteien festzustellen ist236. Normative Kriterien für ein „Wissen müssen“ sind damit zwar insbesondere bei institutionellen Vertragspartnern nicht bedeutungslos237, im Grundsatz können auf dem Gedanken des im Rahmen der Verständigungspflichten einzusetzenden Wissensvorsprungs aufbauende Informationspflichten einer Vertragspartei jedoch nicht über das dieser Partei präsente Wissen hinausgehen238. Wenn und soweit die fehlende Information für beide Seiten gleichermaßen zugänglich ist – und im Bereich der Fehlvorstellungen über Gehalt und Auswirkungen arbeitsrechtlicher Verzichtsvereinbarungen dürfte dies wohl stets der Fall sein – lassen sich im Rahmen des präsenten Wissens einer Partei zwar Informationspflichten verständigungstheoretisch begründen, nicht aber darüber hinaus gehende Informationsbeschaffungspflichten. Darin unterscheiden sich verständigungstheoretisch begründete Informationspflichten maßgeblich von Informationspflichten aufgrund in Anspruch genommenen Vertrauens239 oder normierten „echten“ Aufklärungspflichten. Eine unzuträgliche Belastung kleinerer Unternehmen durch eine zusätzliche Bürokratisierung arbeitsrechtlicher Vereinbarungen bzw. entsprechende Haftungsrisiken stehen wegen der Begrenzung der Aufklärungspflichten auf das präsente Wissen nicht zu befürchten. (3) Ausschluss des Verschuldens bei fehlender Erkennbarkeit des Informationsbedarfs Die haftungsbegründende Wirkung verständigungstheoretisch begründeter Informationspflichten setzt die Klärungsbedürftigkeit – sei es des Rechtsfolgewillens, sei es der als maßgeblich zutage getretenen Wertungsgrundlagen – des zu Vereinbarenden und mithin das Bestehen eines konkreten Informationsdefizits einer Partei voraus. Im Rahmen der culpa in contrahendo ist jedoch neben dem Vorliegen der im Unterlassen einer möglichen und zumutbaren Aufklärung liegenden objektiven Pflichtverletzung ein Verschulden i. S. des § 276 BGB weitere Zurechnungsvoraussetzung der Pflichtwidrigkeit240. Zum entscheidenden Zurechnungskriterium im Rahmen des Ver236
Schwarze, a. a. O., S. 273 ff. Ebenda. 238 Dies gilt jedenfalls dann, wenn beide Seiten prinzipiell die gleichen Informationsmöglichkeiten haben, vgl. Schwarze S. 274; ebenso Breidenbach, Die Voraussetzungen von Informationspflichten beim Vertragsschluss, S. 70 f.; zum Sonderfall weitergehender Untersuchungspflichten ders., S. 83 ff. 239 Schwarze, ebenda; vgl. auch BAG vom 17.10.2000 – 3 AZR 605/99 – AP BGB § 611 Fürsorgepflicht Nr. 116; BAG vom 3.7.1990 – 3 AZR 382/89 – AP BetrAVG § 1 Nr. 24. 237
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schuldens wird damit die subjektive Erkennbarkeit des eine Informationspflicht auslösenden Wissensvorsprungs durch die informationspflichtige Partei241. Ein typischerweise vorhandener Wissensvorsprung, etwa des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer hinsichtlich arbeitsrechtlicher Kenntnisse, kann so über den Fahrlässigkeitsbegriff des § 276 BGB angemessen berücksichtigt werden: Wer als Arbeitgeber eines Rechtsanwalts mit diesem eine Beendigungsvereinbarung schließt, darf unter Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt eher von einem übereinstimmenden Verständnis einer lediglich feststellend formulierten allgemeiner Ausgleichsklausel als rechtsvernichtend ausgehen, als der Arbeitgeber eines Hilfsarbeiters ohne Schulabschluss242. An einer Erkennbarkeit eines objektiv vorhandenen Wissensvorsprungs kann es deshalb fehlen, wenn die objektiv informationsbedürftige Partei sich als wohlinformiert oder gegenüber wohlmeinender Aufklärung ignorant geriert oder aber nach den Umständen des Einzelfalls davon ausgegangen werden darf, dass die ursprünglich informationsbedürftige Partei ihrer vorrangigen Verpflichtung zur Selbstinformation, etwa während einer eingeräumten Bedenkzeit243, mittlerweile hinreichend nachgekommen ist. Das Verschuldensprinzip begrenzt damit wesentlich die Zurechenbarkeit der Verletzung verständigungstheoretisch begründbarer Pflichten der im konkreten Fall objektiv wissensüberlegenen Partei. 3. Zwischenergebnis Die vorkonsensuale Phase des arbeitsrechtlichen Aufhebungs- oder Verzichtsvertrages bietet rechtstheoretisch tragfähige Anknüpfungspunkte für schadensersatzrechtliche Beseitigungsansprüche hinsichtlich solcher Verträge, die infolge unfairer Verhandlungspraktiken oder unter Verletzung redlicherweise vom Vertragspartner zu erwartender Hinweispflichten zustandegekommen sind. Eine rechtspraktisch handhabbare Operationalisierung erweist sich jedoch in beiden Fallgruppen als nicht unproblematisch. Zwar mögen in den Fällen des Verstoßes gegen das Gebot des fairen Verhandelns die ob240 Eine bloße Risikoverantwortlichkeit reicht hier auch bei Informationspflichten nicht als Zurechnungskriterium aus, so insbesondere Schwarze, a. a. O., S. 201 f., in Auseinandersetzung mit dem sog. Speisekarten-Fall von Medicus; ähnlich insoweit Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, S. 419 f. und Breidenbach, a. a. O., S. 31 f. 241 Vgl. Breidenbach, ebenda. 242 Vgl. ebenda. 243 Vgl. Schwarze, a. a. O., S. 255.
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jektiv feststellbaren äußeren Umstände des Vertragsschlusses noch hinreichend tragfähige Aufgreiftatbestände für eine durch die Rechtsprechung zu leistende Fallgruppentypisierung liefern können244. Insbesondere hinsichtlich verständigungstheoretisch begründeter Informationspflichten dürften angesichts der regelmäßig mündlich und häufig unter vier Augen erfolgenden Vertragsverhandlungen erhebliche Beweisschwierigkeiten hinsichtlich des Ablaufs und Inhalts des Gesprächs und damit hinsichtlich des Bestehens objektiv klärungsbedürftiger Punkte entstehen. Einzig der Umstand, ob dem Arbeitnehmer eine Bedenkzeit hinsichtlich der vom Arbeitgeber angetragenen Vereinbarung eingeräumt worden ist, bietet in Kombination mit dem Grundprinzip der informationellen Selbstverwaltung insoweit ein halbwegs handfestes – wenn auch nicht alleinentscheidendes – Aufgreif- bzw. Ausschlusskriterium. Im Übrigen dürfte ein als Informationsberechtigter grundsätzlich beweisbelasteter Arbeitnehmer ohne einschneidende Beweiserleichterungen regelmäßig erhebliche Schwierigkeiten haben245, im 10-Minuten-Takt arbeitsgerichtlicher Güteverhandlungen mit dem Vortrag unberechtigt vorenthaltener vertragswesentlicher Informationen durchzudringen. Das hohe Maß an Flexibilität und Diversität und damit auch der hohe Gerechtigkeitsgehalt verständigungstheoretisch begründeter Informationspflichten dürfte deshalb im praktischen Massengeschäft des Individualarbeitsrechts durch formalisierte Fragen der Verteilung der Darlegungsund Beweislast und des jeweils erforderlichen Beweismaßes erheblich relativiert werden. Ähnliches gilt für die zur rechtstechnischen Operationalisierung notwendige fallgruppenspezifische Typisierung des Gebots des fairen Verhandelns. Diese rechtspraktischen Schwierigkeiten lassen Zweifel daran aufkommen, ob in individualisierten Informationspflichten und dem Gebot fairen Verhandelns auch in rechtspraktischer Hinsicht „der Königsweg“ zu einem höheren Maß an Vertragsgerechtigkeit hinsichtlich rationalitätsdefizitärer Verzichts- oder Aufhebungsvereinbarungen gesehen werden kann246.
244 Optimistisch insoweit Thüsing, Angemessenheit durch Konsens – Zu den Grenzen der Richtigkeitsgewähr arbeitsvertraglicher Vereinbarungen, RdA 2005, 257, 269. 245 Zur Verteilung der Darlegungs- und Beweislast und des im Einzelnen erforderlichen Beweismaßes im Überblick Schwarze, a. a. O., S. 313 ff.; ausführlich zu Beweisfragen der Informationshaftung Bruske, Beweiswürdigung und Beweislast bei Aufklärungspflichtverletzungen im Bankrecht (1994) und Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, S. 163 ff., 172 ff. 246 So aber Thüsing, Angemessenheit durch Konsens – Zu den Grenzen der Richtigkeitsgewähr arbeitsvertraglicher Vereinbarungen, RdA 2005, 257, 268.
D. Beseitigungsrechte
433
IV. Fazit Allgemeine Ausgleichsklauseln oder Ausgleichsquittungen zur Abwicklung des endenden Arbeitsverhältnisses stellen sich häufig als das Ergebnis einer übereilten oder infolge ungenügender Information fehlerhaften Entscheidung dar. Insbesondere die sozialrechtlichen Folgewirkungen sind für den betroffenen Arbeitnehmer zum Teil einschneidend. Gleichwohl verhält sich die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung zu Beseitigungsrechten hinsichtlich auf fehlerhafter Willensbildung beruhender Verzichtsverträge betont restriktiv247. Zwar bieten die gesetzlichen Anfechtungsrechte der §§ 119 und 123 BGB insoweit wenig Spielraum für einen Schutz vor auf Überrumpelung oder Informationsdefiziten beruhenden Vereinbarungen. Die Eingliederung des nunmehr (auch) seinem Wortlaut nach auf arbeitsrechtliche Vereinbarungen anwendbaren verbraucherrechtlichen Widerrufsrechts in § 312 BGB hätte jedoch für das Bundesarbeitsgericht Anlass geboten, sich differenzierter mit den Möglichkeiten und teleologischen Grenzen des Überrumpelungsschutzes durch ein formalisiertes Widerrufsrecht auseinander zu setzen248. Seit langem wird ein Widerrufsrecht des Arbeitnehmers für Beendigungs- und Abwicklungsvereinbarungen diskutiert, einige Tarifverträge enthalten seit langem ein solches249. Sicher bedurfte die dem Wortlaut nach generelle Anwendbarkeit des § 312 BGB auf arbeitsrechtliche Vereinbarungen einer teleologischen Reduktion, die kategorische Ablehnung der Anwendbarkeit des § 312 BGB auf arbeitsrechtliche Vereinbarungen aus im Wesentlichen formalen gesetzessystematischen Erwägungen macht jedoch zugleich deutlich, dass das Bundesarbeitsgericht diesen Weg prinzipiell nicht gehen wollte250. Tragfähige rechtstheoretische Anknüpfungspunkte für eine Konditionierung rationalitätsgefährdender Verhandlungspraktiken bietet darüber hinaus auch der schadensersatzrechtliche Vertragsaufhebungsanspruch als Folge der schuldhaften Verletzung vorvertraglicher Verhandlungspflichten. Auch hier hat sich die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung bisher weder hinsichtlich 247
So auch Reinecke, Kontrolle allgemeiner Arbeitsbedingungen nach dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz, DB 2002, 583. 248 Hümmerich, Alea iacta est – Aufhebungsvertrag kein Haustürgeschäft, NZA 2004, 809, 811 f. 249 Vgl. dazu schon oben, 5. Kapitel: D. III. 2. a) bb) und insbesondere auch die Nachweise in Fn. 533. 250 Vgl. Thüsing, Angemessenheit durch Konsens – Zu den Grenzen der Richtigkeitsgewähr arbeitsvertraglicher Vereinbarungen, RdA 2005, 257, 267; Hümmerich, Alea iacta est – Aufhebungsvertrag kein Haustürgeschäft, NZA 2004, 809, 817.
434
7. Kap.: Verzichtsschutz durch allgemeine Regeln des Zivilrechts
unfairer Verhandlungspraktiken noch hinsichtlich vertrauens- oder verständigungstheoretisch zu begründender Informationspflichten als besonders sensibel gezeigt. Anders als etwa im Bankenrecht ist eine fallgruppenspezifisch gesicherte Operationalisierung von Informationspflichten hinsichtlich arbeitsrechtlicher Verzichts- oder Beendigungsvereinbarungen allenfalls in Ansätzen erkennbar; hinsichtlich einer Konkretisierung des Gebots des fairen Verhandelns liegt hier Neuland251.
E. Zusammenfassung Nicht unabdingbarkeitsspezifischer Verzichtsschutz flankiert und ergänzt den durch die Unabdingbarkeit arbeitsrechtlicher Normen vermittelten Verzichtsschutz im Arbeitsrecht. Unabhängig von der Frage der prinzipiellen Abdingbarkeit des jeweiligen Rechts oder Anspruchs ist hier entscheidend, ob die Parteien von der ihnen prinzipiell zustehenden Dispositionsbefugnis in rechtlich (endgültig) bindender Weise Gebrauch gemacht haben und sich folglich am Vereinbarten festhalten lassen müssen. Das vom allgemeinen Zivilrecht zur Vermeidung bzw. Beseitigung fehlerhafter (Verzichts-)Verträge zur Verfügung gestellte Instrumentarium ist dabei in hohem Maße störungsspezifisch ausdifferenziert. Für den praktisch häufigen Fall des Verzichts durch Ausgleichsquittungen oder Ausgleichsklauseln ist auf der Auslegungsebene zunächst die Bestimmung des Rechtscharakters als rein deklaratorische Wissenserklärung oder rechtsvernichtende Willenserklärung von herausragender Bedeutung. Im Grundsatz allgemein anerkannt ist hier, dass ein Verzichtswille unzweifelhaft feststellbar sein muss und dem Verzichtenden nicht unterstellt werden darf. Dennoch scheint die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung vor dem Hintergrund der langen Tradition der Ausgleichsquittung bei der Annahme eines Verzichtswillens tendenziell deutlich schneller – und m. E. häufig auch zu schnell – bei der Hand zu sein als die Zivilgerichte in vergleichbaren Konstellationen252. Da es sich bei Ausgleichsquittungen in der Regel um vom Arbeitgeber vorformulierte Erklärungen handelt, werden die hergebrachten Auslegungsgrundsätze gemäß §§ 133, 157 BGB seit Fortfall der AGB-rechtlichen Bereichsausnahme für das Arbeitsrecht insoweit von AGB-rechtlichen Transparenzanforderungen überlagert. Das Gewicht des Wortlautes der Ausgleichsquittung für die Rechtsfolgenbestimmung dürfte sich dadurch tendenziell erhöhen. Ein ausschließlich feststellender Wortlaut wie etwa 251 252
Thüsing, ebenda, S. 268. Vgl. dazu die Nachweise in Fn. 12 und Fn. 20.
E. Zusammenfassung
435
„alle Ansprüche sind abgegolten“ dürfte nach den AGB-rechtlichen Transparenzmaßstäben für die wirksame Vereinbarung eines rechtsvernichtenden Verzichts hinsichtlich gleichwohl bestehender Ansprüche bzw. Rechte des Arbeitnehmers nicht mehr genügen253. Nicht-unabdingbarkeitsspezifische Unwirksamkeitsgründe wie etwa die §§ 612a oder 138 BGB hindern das Zustandekommen von arbeitsrechtlichen Verzichtsvereinbarungen im Allgemeinen nicht; ihr Anwendungsbereich ist insoweit auf Ausnahmekonstellationen begrenzt. Dies gilt auch für die AGB-rechtliche Angemessenheitskontrolle des § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB, wenn und soweit der Verzicht als kontrollfreie Hauptleistung der Vereinbarung zu qualifizieren ist. Neueren Tendenzen in der Rechtsprechung einiger Landesarbeitsgerichte254, die den einseitigen Verzicht durch Ausgleichsquittung wegen inhaltlicher Unangemessenheit als stets gegen § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB verstoßend ansehen, kann nicht gefolgt werden255. Die Konditionierung des wirksamen Zustandekommens der Verzichtsvereinbarung wird ergänzt durch allgemeine vertragsrechtliche Beseitigungsrechte des Verzichtenden hinsichtlich unerwünschter Verzichtsvereinbarungen. Von nur geringer praktischer Bedeutung sind hier die gesetzlichen Anfechtungsrechte des BGB; ebenso wird eine Vertragsanpassung bzw. Aufhebung wegen einer Störung der Geschäftsgrundlage i. S. des § 313 BGB (dort insb. wegen einer Störung i. S. des Abs. 2) wegen der grundsätzlichen Rechtsfolgenverantwortlichkeit des Verzichtenden im Allgemeinen nicht in Betracht kommen256. Abgelehnt wird von der mittlerweile wohl überwiegenden Meinung auch die Anwendung des verbraucherrechtlichen Widerrufsrechts des § 312 BGB auf arbeitsrechtliche (Verzichts-)Vereinbarungen257. Nach der hier vertrete253
Vgl. dazu im Einzelnen oben 7. Kapitel: B. II. 2. und insbesondere B. Preis, Abschied von der Ausgleichsquittung?, ArbuR 1979, 97 ff. und LAG Düsseldorf vom 13.4.2005 – 12 Sa 154/05 – LAGE BGB 2002 § 307 Nr. 7. 254 LAG Schleswig-Holstein vom 24.9.2003 – 3 Sa 6/03 – NZA-RR 2004, 74, 75; LAG Düsseldorf vom 13.4.2005 – 12 Sa 154/05 – LAGE BGB 2002 § 307 Nr. 7 [unter B. II. 2. c) der Gründe]; LAG Hamburg vom 29.4.2004 – 1 Sa 47/03 – NZA-RR 2005, 151, 153. Der Fall des BAG vom 28.7.2004 – 10 AZR 661/03 – AP TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 177 betraf eine vor dem 1.1.2002 angefertigte Ausgleichsquittung. 255 Vgl. oben 7. Kapitel: B. II. 3., dort insb. Fn. 127; wie hier insbesondere Gotthardt, Arbeitsrecht nach der Schuldrechtsreform, Rn. 306; B. Preis, Abschied von der Ausgleichsquittung?, ArbuR 1979, 97, 106 und wohl auch AR-Blattei-SD (Kramer/Marhold) Nr. 290 Ausgleichsquittung Rn. 36. 256 Vgl. dazu schon oben 6. Kapitel: B. IV. 2. und die dortigen Nachweise; vgl. zu denkbaren Anwendungsfällen den Sachverhalt des LAG Schleswig-Holstein vom 24.9.2003 – 3 Sa 6/03 – NZA-RR 2004, 74 (auch dort wird eine Anwendung des § 313 BGB jedoch nicht einmal erwogen).
436
7. Kap.: Verzichtsschutz durch allgemeine Regeln des Zivilrechts
nen Ansicht vermag eine derart umfassende gesetzessystematische und teleologische Reduktion des § 312 BGB nicht vollends zu überzeugen, zumal das weitgehend formalisierte Widerrufsrecht des § 312 BGB gerade für den Bereich der anlässlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses getroffenen Verzichtsvereinbarungen ein in hohem Maße operationables Schutzinstrument hinsichtlich situationsspezifisch übereilter und/oder informationsdefizitärer Verzichtsvereinbarungen darstellt258. Nicht zuletzt wegen der Ablehnung einer Anwendung des § 312 BGB auf arbeitsrechtliche (Verzichts-)Vereinbarungen durch das Bundesarbeitsgericht sind in jüngerer Zeit vermehrt auch schadensersatzrechtliche Vertragsauflösungsrechte aus der Verletzung vorvertraglicher Verhandlungsund Informationspflichten neu ins Blickfeld gerückt259. Während im Bankenhaftungsrecht Beseitigungsrechte nach den Grundsätzen der culpa in contrahendo (§ 311 Abs. 2 BGB) schon seit langem anerkannt sind260, ist ihr Potenzial als Schutzinstrument gegen Überrumpelung oder unerkannt informationsdefizitäre Vertragsschlüsse im Arbeitsrecht bisher kaum untersucht worden261. Dass der Gedanke einer Verletzung vorvertraglicher Verhandlungspflichten prinzipiell geeignet ist, rechtstheoretisch tragfähige und zudem störungsspezifisch hoch präzise abgestufte Anknüpfungspunkte für ein Vertragsauflösungsrecht zu liefern, kann im Grundsatz als allgemein anerkannt betrachtet werden. Als problematisch erweist sich jedoch die für eine rechtspraktisch handhabbare Operationalisierung erforderliche Konkretisierung der Verhandlungspflichten im Arbeitsrecht durch Fallgruppentypisierungen und Beweiserleichterungen. Es bleibt abzuwarten, ob und inwieweit die Arbeitsgerichte künftig im Interesse einer längst überfälligen Verbesserung des Schutzes vor Überrumpelung und Übervorteilung diesen Weg der Konditionierung arbeitsrechtlicher Auflösungs-, Abwicklungs- und/oder Verzichtsvereinbarungen gehen werden.
257 Vgl. zum Meinungsstand Staudinger - Thüsing BGB § 312 Rn. 85 mit umfangreichen Nachweisen aus dem Schrifttum und BAG vom 27.11.2003 – 2 AZR 135/03 – AP BGB § 312 Nr. 1. 258 Vgl. insb. Hümmerich, Alea iacta est – Aufhebungsvertrag kein Haustürgeschäft, NZA 2004, 809 ff. und Lorenz, Arbeitsrechtlicher Aufhebungsvertrag, Haustürwiderrufsgesetz und „undue influence“, JZ 1997, 277, 281 f. 259 Vgl. oben, 7. Kapitel: D. III. 260 Vgl. zum Überblick nur MüKo - Emmerich BGB § 311 Rn. 144 ff. Überdies haben die von der Rechtsprechung hierzu entwickelten Grundsätze auch Eingang in das Wertpapierhaftungsgesetz gefunden. 261 Grundlegend insoweit Lorenz, a. a. O., 277 ff.
8. Kapitel
Zusammenfassung der wesentlichen Begründungslinien und Ergebnisse A. Unabdingbarkeitsspezifische Einschränkungen der Verzichtsbefugnis – ein Problem der Gesetzesauslegung Das Arbeitsrecht ist gekennzeichnet durch seinen hohen Anteil an zugunsten des Arbeitnehmers unabdingbaren vertragsrechtlichen Normen. Die Reichweite der zwingenden Wirkung ist jedoch in den meisten neueren Normen des gesetzlichen Arbeitsvertragsrechts nicht ausdrücklich festgelegt1. Daraus resultieren Unklarheiten, ob und gegebenenfalls inwieweit der Gesetzgeber mit der Anordnung der Unabdingbarkeit auch die Dispositivität von aus zwingendem Recht abgeleiteten Ansprüchen oder Rechten des Arbeitnehmers durch individualvertraglichen Verzicht der Arbeitsvertragsparteien ausschließen wollte. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist in dieser Frage ausgesprochen uneinheitlich, wie hier exemplarisch anhand von fünf zentralen Normen des zwingenden Arbeitsvertragsrechts gezeigt wurde. Insbesondere haben die Ähnlichkeit von Sachzusammenhang und Wortlaut der gesetzlichen Unabdingbarkeitsanordnungen nicht zu systematisierten, anspruchsübergreifend einheitlichen Auslegungsgrundsätzen der Rechtsprechung geführt. In der arbeitsrechtlichen Aufsatzliteratur, vornehmlich der 70er Jahre, ist versucht worden, aus Wortlaut und Gesetzessystematik der Unabdingbarkeitsnormen Folgerungen hinsichtlich der individualvertraglichen Verzichtsbefugnis zu ziehen. Vergleichende Betrachtungen sowohl zu den älteren arbeitsrechtlichen Normen des BGB und des HGB, die bereits ihrem Wortlaut nach zumeist einen Verzicht des Arbeitnehmers auf entstandene und fällige Ansprüche zuließen, als auch zu den einen Verzicht explizit verbietenden Normen des kollektiven Arbeitsrechts wurden angestellt – mit zum Teil gegensätzlichen Ergebnissen. Methodisch überzeugende Interpretationen der Reichweite der arbeitsrechtlichen Unabdingbarkeit konnten so nicht gefun1 Üblich ist die Wendung, dass von den Vorschriften dieses Gesetzes „nicht zuungunsten des Arbeitnehmers abgewichen“ werden könne. Vgl. dazu oben 2. Kapitel: B. I. 1.
438
8. Kap.: Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse
den werden. Die Frage der individualvertraglichen Verzichtbarkeit der aus unabdingbaren gesetzlichen Normen abgeleiteten Ansprüche und Rechte des Arbeitnehmers kann deshalb nur aus der Teleologie der arbeitsrechtlichen Unabdingbarkeitsanordnung in ihrer normspezifischen Ausprägung beantwortet werden. Zentrale Frage der teleologischen Analyse der individualvertraglichen Verzichtsbefugnis ist, ob und inwieweit die Verwirklichung des Schutzzwecks der spezifisch arbeitsrechtlichen Unabdingbarkeit den Ausschluss der Verzichtsbefugnis erfordert und legitimiert. Ein Verzichtsverbot stellt gegenüber der bloßen Unabdingbarkeit einen weitergehenden Eingriff in die Vertragsfreiheit der Parteien dar, der insoweit auch einer weitergehenden Legitimation bedarf. Unabdingbarkeitsspezifisch kann eine solche Legitimation nur sein, wenn und soweit gerade die die gesetzliche Anordnung der Unabdingbarkeit tragenden Gründe auch die weitergehende Einschränkung der Verzichtsbefugnis zureichend begründen.
B. Die Dichotomie der individualschützend begründeten Einschränkungen der Verzichtsfreiheit durch arbeitsrechtliche Unabdingbarkeit Welches Gewicht diese weitergehenden Rechtfertigungsgründe aufweisen müssen hängt entscheidend davon ab, welches Eigengewicht man dem Wert der Vertragsfreiheit der Arbeitsvertragsparteien gegenüber dem Globalzweck des Arbeitsrechts, dem – im Einzelnen zu konkretisierenden – Schutzbedürfnis des Arbeitnehmers, beimisst. Das Vorverständnis vom Arbeitsrecht als eigenständigem Rechtsgebiet zum Zweck des Arbeitnehmerschutzes einerseits oder als Teil der Privatrechtsordnung mit kompensatorisch wirkenden arbeitsrechtlichen Schutzinstrumentarien andererseits determiniert insoweit das Maß der Begründungsanforderungen. Zu Recht versteht die heute wohl allgemeine Auffassung Arbeitsrecht als Teil des Zivilrechtssystems; als überwunden können die Ansichten gelten, die Arbeitsrecht unter grundsätzlicher Abwendung vom zivilrechtlichen Prinzip der Privatautonomie unter freien und gleichen Rechtssubjekten deuten wollten2. Mit der rechtssystematischen Einordnung des Arbeitsvertragsrechts in das Zivilrechtssystem geht auch die Anerkennung eines prinzipiellen Eigenwerts der rechtsgeschäftlichen Selbstbestimmung durch Vertragsfreiheit einher. Vertragstheoretische Deutungen der arbeitsrechtlichen Unabdingbarkeit und ihrer Reichweite müssen dem Rechnung tragen. Dementsprechend führt die vertragstheoretische Deutung der Unabdingbarkeit 2
Vgl. dazu oben, 3. Kapitel: B. I.
B. Die Dichotomie der Einschränkungen der Verzichtsfreiheit
439
auch zu einer erhöhten Sensibilität gegenüber der Gefahr bevormundender Freiheitseinschränkungen durch extensive Auslegung zwingenden Arbeitsvertragsrechts. Schutzintention und Freiheitseinschränkung des zwingenden Rechts müssen auf der Auslegungsebene gegeneinander abgewogen werden. Aus teleologischer Sicht verbietet sich daher eine undifferenzierte Gleichsetzung von Unabdingbarkeit und Unverzichtbarkeit durch ausufernde paternalistische Schutzannahmen. Gleichwohl muss sich die durch teleologische Auslegung zu ermittelnde Verzichtsbefugnis an den spezifisch arbeitsrechtlichen Zwecksetzungen der Unabdingbarkeit orientieren. Die Vertragstheorie liefert insoweit zwei prinzipiell unterschiedliche Deutungsmuster für am Individualschutz des Arbeitnehmers orientierte Zwecksetzungen der arbeitsrechtlichen Unabdingbarkeit3. Beide sind mit dem Freiheitsideal der Privatrechtsordnung prinzipiell kompatibel; beide liefern zugleich Leitlinien für Grund und Grenzen der extensiven teleologischen Auslegung der Unabdingbarkeit. Arbeitsrechtlicher Schutz durch zwingendes Recht kann danach zum einen mit dem Gedanken des Schutzes zukünftiger Dispositionsmöglichkeiten gerechtfertigt werden, wenn und soweit er unter Abwägung gegenwärtiger mit künftigen Dispositionsfreiheiten insgesamt freiheitsmaximierend wirkt. Er ist dann freiheitsmaximierend-paternalistisch gerechtfertigt4. Zum anderen kann arbeitsrechtliche Unabdingbarkeit daneben auch paritätstheoretisch (nicht-paternalistisch) gerechtfertigt sein, wenn und soweit sie der Kompensation arbeitsrechtsspezifisch überlegener Vertragsmacht des Arbeitgebers dient. In beiden Fällen ist der in der Unabdingbarkeit liegende Eingriff bzw. partielle Ausschluss der Vertragsfreiheit paradigmatisch der Gewährleistung der grundlegenden Funktionsvoraussetzungen der individuellen rechtsgeschäftlichen Selbstbestimmung durch Privatautonomie verpflichtet. Auch die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, insbesondere zur Verzichtbarkeit des Entgeltfortzahlungsanspruchs, wird wesentlich von dieser Dichotomie der vertragstheoretischen Begründung des individualschützenden Ausschlusses der Verzichtsbefugnis durch Unabdingbarkeit getragen.
I. Freiheitsmaximierend-paternalistische Deutung arbeitsrechtlicher Unabdingbarkeit Im freiheitsmaximierend-paternalistischen Deutungsmodell ist der Schutz von (zukünftigen) Dispositionsfreiheiten der entscheidende Anknüpfungs3
Eine weitere prinzipielle Grenze setzt die Vertragstheorie der Vertragsfreiheit unter dem Gesichtspunkt der unzulässigen Beeinträchtigung von Drittinteressen, vgl. dazu 8. Kapitel: C. 4 Vgl. dazu grundlegend Enderlein, S. 52 und hier 4. Kapitel: B. I.
440
8. Kap.: Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse
punkt für die Legitimation einer Beschränkung der Vertragsfreiheit. Der Berechtigte soll sich nicht für die Zukunft in einem unzulässigen Maße seiner rechtlichen Handlungsfreiheit begeben dürfen. Die mit der Eingehung eines Arbeitsverhältnisses einhergehenden Freiheitseinschränkungen erweisen sich unter diesem Aspekt in mehrfacher Hinsicht als problematisch. Problematisch ist zunächst die jedem Dauerschuldverhältnis inhärente Gefahr einer überlangen Bindung der Vertragspartner, die infolge von im Laufe der Zeit veränderten Umständen zu einer übermäßigen Belastung werden kann. Die Rechtsordnung reagiert auf diese Gefahr, indem sie einen Ausschluss des Rechts zur außerordentlichen Kündigung verbietet5 und zudem auch die übermäßige Erschwerung der ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses konditioniert6. Spezifisch arbeitsrechtlich sind die mit dem arbeitsrechtlichen Direktionsrecht einhergehenden Freiheitseinschränkungen des Arbeitnehmers; er begibt sich unter eine fremde Leitungsmacht und wird im durch den Arbeitsvertrag mehr oder minder weit gesetzten Rahmen einem anderen Menschen gehorsamspflichtig. Dem zivilrechtlichen Freiheitsideal freier und gleicher Individuen steht eine derart umfassende und weitgehend undefinierte Gehorsamspflicht diametral entgegen. Die Rechtsordnung begegnet dem zum einen durch eine Konditionierung der Ausübung des Direktionsrechts nach § 315 BGB. Weiter kann man auch den arbeitsrechtlichen Beendigungsschutz, insbesondere die Erschwerung betriebsbedingter Kündigungen durch das Kündigungsschutzgesetz, als Konditionierung der u. U. dequalifizierenden Folgen eines fremdbestimmten Arbeitseinsatzes auffassen. In wirtschaftlicher Hinsicht kann die Eingehung eines Arbeitsverhältnisses als Verlust der unternehmerischen Freiheit zur marktgängigen Verwertung der eigenen Arbeitskraft und der damit prinzipiell einhergehenden ökonomischen Chancen unternehmerischer Betätigung gedeutet werden7. Der mit der umfassenden Verpflichtung zur fremdnützigen Verwertung der eigenen Arbeitskraft einhergehende Verlust der Fähigkeit zur eigenwirtschaftlichen Daseinsvorsorge kann als innere Legitimation für eine teilweise Überwälzung dieser Lasten auf den Arbeitgeber durch arbeitsrechtliche Normen zur Entgeltfortzahlung oder zum Urlaubsanspruch angesehen werden. Die (z. T. sogar tariffeste) Unabdingbarkeit dieser Normen ist hier als funktionsnotwendige Absicherung der zukunftsschützenden Tendenz dieser Normen gegenüber einer unüberlegten Preisgabe um kurzfristiger Vorteile willen freiheitsmaximierend-paternalistisch gerechtfertigt8.
Die Legitimation der Unabdingbarkeit arbeitsvertragsrechtlicher Schutzvorschriften lässt sich insoweit als Schutz durch Konditionierung der mit der Eingehung des Arbeitsverhältnisses prinzipiell verbundenen Entäußerung zukünftiger personaler wie wirtschaftlicher Handlungsfreiheiten auffassen. Sie ist in ihrem Kernbereich teleologisch aus dem Arbeitnehmerbegriff ableitbar. 5 6 7 8
Vgl. ErfK - Müller-Glöge BGB § 626 Rn. 1. Vgl. nur ebenda § 622 Rn. 98 und dies. § 624 Rn. 1. Vgl. oben, 4. Kapitel: A. II. 2. Dazu oben, 4. Kapitel: A.
B. Die Dichotomie der Einschränkungen der Verzichtsfreiheit
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Die Einschränkung der Vertragsfreiheit durch ein Verzichtsverbot kann ebenfalls freiheitsmaximierend-paternalistisch legitimiert sein. Voraussetzung dafür ist, dass der für die Unabdingbarkeitsanordnung tragende Gedanke des paternalistischen Zukunftsschutzes auch noch für den Verzicht auf aus zwingendem Recht abgeleitete Ansprüche oder Rechte von hinreichender Relevanz ist. Die Rechtfertigung der weitergehenden Einschränkung der Vertragsfreiheit durch ein Verzichtsverbot ist in einem beweglichen System zu prüfen. Zentrale Wertungselemente sind insoweit Qualität und Wahrscheinlichkeit einer drohenden Beeinträchtigung zukünftiger Freiheiten, die den Beeinträchtigungen der gegenwärtigen Freiheit durch den Eingriff in die Verzichtsfreiheit und den Nachteilen, die Begleiterscheinungen des Eingriffes sind, gegenüber gestellt werden müssen9. Dabei gilt grundsätzlich die dem Freiheitsideal des Zivilrechts immanente anti-paternalistische Grundwertung, d.h. in concreto jeder paternalistische Eingriff in die Verzichtsfreiheit kann nur solange und nur soweit gerechtfertigt sein, wie die für die Einschränkung sprechenden Gründe der Sicherung zukünftiger Freiheiten erheblich überwiegen. Bezogen auf unabdingbarkeitsspezifische Einschränkungen der Verzichtsbefugnis im Arbeitsrecht führt dies im Allgemeinen zu der Basiswertung, dass ein Verzichtsverbot in der Regel nur solange freiheitsmaximierend-paternalistisch gerechtfertigt sein kann, wie die fraglichen Ansprüche oder Rechte noch nicht entstanden und fällig bzw. ausübbar geworden sind. Denn ab diesem Datum entfällt im Allgemeinen die für die freiheitsmaximierende Rechtfertigung zentrale, zukunftsschützende Tendenz der Unabdingbarkeitsanordnung. Dies entspricht im Ergebnis dem in Rechtsprechung und Literatur allgemein anerkannten unabdingbarkeitsspezifischen Verbot des Vorausverzichts und lässt sich als teleologischer Grundgedanke auch in zahlreichen nicht-arbeitsrechtlichen Vorschriften des BGB zeigen, die den Ausschluss der Dispositivität lediglich für künftig entstehende Rechte oder Ansprüche anordnen10. Von dieser Basiswertung sind in beide Richtungen Ausnahmen denkbar. Zum einen führt die unmittelbar bevorstehende Beendigung des Arbeitsverhältnisses in der Regel zu einer Konkretisierung der noch offenen Ansprüche und Rechte auf ein überschaubares Maß. Das formale Datum der Fälligkeit ist dann häufig nicht mehr geeignet, eine unter dem Aspekt des Zukunftsschutzes zutreffende Zäsur für die Frage der Verzichtbarkeit zu liefern. So lässt sich in der Abwicklungsphase des Arbeitsverhältnisses die Unverzichtbarkeit des Entgeltfortzahlungs- oder Urlaubsabgeltungsanspruchs nicht mehr freiheitsmaximierend-paternalistisch rechtfertigen; An9 10
Vgl. Enderlein, S. 293 ff. Vgl. dazu oben, 4. Kapitel: B. II.
442
8. Kap.: Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse
ders beispielsweise beim Zeugnisanspruch. Die Bedeutung des Arbeitszeugnisses für das berufliche Fortkommen ist zum Zeitpunkt der Fälligkeit des Anspruchs, d.h. bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses, häufig noch nicht absehbar. Da und wenn der Zeugnisanspruch wegen seiner überragenden Bedeutung für das berufliche Fortkommen aus paternalistischen Gründen unabdingbar ist, so muss – mangels anderweitiger gesetzlicher Anordnung – auch ein Verzicht auf den fälligen Anspruch auf Zeugniserteilung teleologisch unzulässig sein. Der Gedanke des paternalistischen Zukunftsschutzes kann die Unverzichtbarkeit des unabdingbaren gesetzlichen Zeugnisanspruchs hier über das Datum der Fälligkeit hinaus zureichend legitimieren. Der Gedanke der strukturellen Unterlegenheit des Arbeitnehmers spielt für die paternalistische Rechtfertigung von Verzichtsverboten prinzipiell keine Rolle; darauf beruhende Erwägungen sind deshalb im oben beschriebenen Abwägungssystem gedanklich auszublenden.
II. Paritätstheoretische Deutungen der arbeitsrechtsspezifischen Unabdingbarkeit Nach wohl überwiegender Ansicht ist die Unabdingbarkeit weiter Teile des gesetzlichen Arbeitsvertragsrechts vor allem deshalb gerechtfertigt, weil der Arbeitnehmer wegen seiner typischerweise existenziellen Abhängigkeit vom Arbeitsverhältnis vor der Ausnutzung seiner wirtschaftlich unterlegenen Position durch den Arbeitgeber geschützt werden müsse11. Der einzelne Arbeitnehmer könne es sich typischerweise nicht leisten, unter Preisgabe oder Gefährdung des für seinen Lebensunterhalt existenziell wichtigen Arbeitsverhältnisses unangemessene Vertragsbedingungen zurückzuweisen. Soweit damit die Rechtfertigung des Verbots der Abbedingung arbeitsvertragsrechtlicher Schutzvorschriften bei Eingehung des Arbeitsverhältnisses angesprochen ist, hängt die Validität des so genannten Unterlegenheitsparadigmas im konkreten Fall maßgeblich von der Arbeitsmarktsituation des betroffenen Arbeitnehmers ab. Jenseits der individuellen Arbeitsmarktsituation werden seine Grundlagen wirtschaftstheoretisch durch das so genannte Konkurrenzparadoxon gestützt, das für das Angebotsverhalten der Anbieter von Arbeitskraft kennzeichnend ist. Insoweit unterscheidet sich die innere Rechtfertigung für zugunsten des Arbeitnehmers zwingendes Arbeitsvertragsrecht nicht prinzipiell von der Legitimation kollektivvertraglicher, insbesondere tarifvertraglicher Instrumente des Arbeitsrechts12. Sie trägt im 11 Vereinzelt wird auch der Schutz des Arbeitnehmers vor den Auswirkungen einer als typisch angesehenen intellektuellen/informatorischen Unterlegenheit als Schutzgrund zwingenden Arbeitsvertragsrechts angesehen. Dem kann jedoch nicht gefolgt werden, vgl. dazu eingehend oben, 5. Kapitel: C. II.
B. Die Dichotomie der Einschränkungen der Verzichtsfreiheit
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Grundsatz sowohl für ein Verbot der Abbedingung als auch für ein Verbot des phänotypisch identischen Vorausverzichts auf unabdingbare arbeitsvertragsrechtliche Ansprüche oder Rechte. Im bestehenden Arbeitsverhältnis reicht der Gedanke der Vermeidung sozialethisch ruinöser Folgen unterbietender Konkurrenz allein nicht aus, um ein Verbot der nachträglichen Abbedingung gesetzlichen Arbeitsvertragsrechts zu rechtfertigen. Der beschäftigte Arbeitnehmer bräuchte einem derartigen Ansinnen seines Arbeitgebers nur ein schlichtes „Nein“ entgegenzusetzen, um sein Interesse an der Beibehaltung des arbeitsvertraglichen Schutzes zu wahren. Es bedarf hier also einer weiteren Begründung, warum dem Arbeitnehmer die eigenverantwortliche Interessenwahrung durch Ablehnung verschlechternder Vertragsangebote im Bereich des zwingenden Arbeitsvertragsrechts nach h. M. nicht zugetraut werden soll. Allein die Tatsache, dass der Arbeitgeber auch hier im Regelfall die wirtschaftlich potentere Seite des Arbeitsvertrages sein wird, kann insoweit keine zureichende paritätstheoretische Legitimation für einen Eingriff in die vertragliche Verzichtsfreiheit liefern13. Erforderlich wird insoweit eine Analyse der wirtschaftlichen Konsequenzen der dem Arbeitnehmer in dieser Situation theoretisch zur Verfügung stehenden Entscheidungsoptionen. Erst wenn die materiell unfreiwillige Preisgabe des gesetzlich vorgesehenen Arbeitnehmerschutzes im Regelfall als durch die herrschenden Markt- und Machtverhältnisse im bestehenden Arbeitsverhältnis determiniert angesehen werden kann, darf und muss die Rechtsordnung – bzw. der im Einzelfall entscheidende Richter – auch hier im Interesse der materiellen Vertragsfreiheit der Arbeitnehmer in die formelle Vertragsfreiheit der Parteien eingreifen. Die wohl herrschende Meinung begründet den Sinn der Unabdingbarkeit im laufenden Arbeitsverhältnis recht unspezifisch damit, dass der Arbeitnehmer davor geschützt werden müsse, unter einem wirklichen oder vermeintlichen „wirtschaftlichen Druck“ des Arbeitgebers die ihm zustehenden – und für den Arbeitgeber in der Regel kostenträchtigen – gesetzliche Rechte oder Ansprüche preiszugeben. Ein solches Schutzbedürfnis soll sowohl die Abbedingung, als auch den Vorausverzicht und den nachträglichen Verzicht auf aus zwingendem Recht abgeleitete Rechte oder Ansprüche betreffen, solange das Arbeitsverhältnis im Rechtssinne fortbestehe. Eine eigenständige Bedeutung erlangt diese Begründungslinie nach der hier vertretenen Ansicht vor allem14 hinsichtlich bereits entstandener Ansprüche oder 12
Vgl. oben, 5. Kapitel: A. II. und 5. Kapitel: F. Dazu oben, 5. Kapitel: C. I. 2., vgl. insb. auch Zöllner, Regelungsspielräume im Schuldvertragsrecht, AcP 196 (1996), 1, 32 f. 14 Eigenständige Bedeutung kann diese Begründungslinie darüber hinaus auch in atypischen Arbeitsverhältnissen entwickeln; vgl. 6. Kapitel: A. II. 1. 13
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8. Kap.: Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse
Rechte, deren Unverzichtbarkeit durch den Gedanken des Zukunftsschutzes in der Regel nicht mehr zureichend legitimiert werden kann. Die ökonomische Analyse der Handlungsoptionen des mit einer verschlechternden Vertragsänderung oder einem Verzichtsansinnen des Arbeitgebers konfrontierten Arbeitnehmers bestätigt die so genannte „Drucktheorie“ der h. M. (nur) im Grundsatz. Insbesondere der Vergleich der durch einen Arbeitsplatzwechsel auf beiden Seiten entstehenden Transaktionskosten zeigt, dass das Interesse des Arbeitnehmers am Erhalt des aktuellen Arbeitsplatzes dasjenige des Arbeitgebers am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses mit dem jeweiligen Arbeitnehmer in Person in der Regel überwiegen wird. Dem Arbeitgeber erwächst daraus und aus dem ihm insbesondere in Gestalt von Kündigung und Direktionsrecht zur Verfügung stehenden arbeitsrechtlichen Sanktionsinstrumentarium ein Druck- oder Nötigungspotenzial15. Im Regelfall wird dieses zwar erheblichen Einfluss auf die materiell verstandene, negative Entscheidungsfreiheit des Arbeitnehmers hinsichtlich der Ablehnung eines solchen Ansinnens haben. Die ökonomische Analyse offenbart jedoch auch und gerade, dass die Vielzahl der auf die konkrete Arbeitsbeziehung einwirkenden Parameter – allen voran die Alternativchancen des konkreten Arbeitnehmers auf dem Arbeitsmarkt – die generelle Gültigkeit der „Drucktheorie“ stark relativieren. Eine mehr oder minder stark ausgeprägte Verengung der materiellen Entscheidungsfreiheit des Arbeitnehmers mag danach typischerweise gegeben sein, sie ist jedoch keine unumstößliche Gesetzmäßigkeit. Eine prinzipielle zeitliche Grenze findet sie, wenn das Entscheidungsverhalten des Arbeitnehmers nicht mehr durch die Hoffnung auf gedeihliche Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses determiniert ist. Das Bundesverfassungsgericht hat die Rechtsordnung bzw. den auslegenden Richter in seiner vieldiskutierten Bürgschaftsentscheidung ebenso wie in der vorangegangenen Handelsvertreterentscheidung einerseits zu Sensibilität gegenüber paritätstheoretisch begründeten materiellen Störungen der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit verpflichtet. Andererseits hat es gerade auch den Wert der (formellen) Vertragsfreiheit und Privatautonomie als Ausprägung der verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsfreiheit betont. Daraus lässt sich ableiten, dass ein typischerweise tatsächlich gegebenes Nötigungspotenzial des Arbeitgebers hinsichtlich einer Abbeding/eines Verzichts nicht prinzipiell rechtlich irrelevant bleiben darf. Das muss umso mehr für die Auslegung der Reichweite zwingenden Arbeitsvertragsrechts gelten, dessen Entstehung ohne die paradigmatische Vorstellung unterlegender Vertragsmacht des Arbeitnehmers nicht zureichend 15 Dazu oben, 5. Kapitel: C. I. 2. c) bb); grundlegend Arrow, The Limits of Organization (1974), S. 64.
B. Die Dichotomie der Einschränkungen der Verzichtsfreiheit
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erklärt werden kann16. Andererseits gebietet der Primat der (formellen) Vertragsfreiheit, die vertragliche Bindung auch durch einen Verzicht dort anzuerkennen, wo eine strukturell angelegte, situationstypische Gefahr einer unzureichenden Übereinstimmung des Vertragsschlusses mit dem materiellen Willen der Parteien nicht erkennbar ist. Das rechtstechnische Instrument der widerleglichen Vermutung bietet insoweit ein probates Instrument zu Operationalisierung des Problems einer typischerweise beachtlichen, aber keineswegs stets gegebenen Beengung der materiellen Entscheidungsfreiheit des Arbeitnehmers aufgrund wirtschaftlicher Unterlegenheit. Insbesondere im österreichischen Arbeitsrecht wird das Problem des Verzichts auf (bereits entstandene) Ansprüche oder Rechte des unabdingbaren Arbeitsvertragsrechts so angegangen17. Der Ansatzpunkt der widerleglichen Unterlegenheitsvermutung lässt sich in zeitlich-situativer Hinsicht an die Stadien des Arbeitsverhältnisses anpassen. Solange das Arbeitsverhältnis ungekündigt fortbesteht oder dessen tatsächliche Fortsetzung auch über dessen formalrechtliches Ende hinaus beabsichtigt ist, kann ohne weitere Voraussetzungen von einer (widerlegbaren) rechtlichen Vermutung ausgegangen werden, dass ein in dieser Zeit vereinbarter Verzicht des Arbeitnehmers auf Ansprüche oder Rechte aus zwingendem Arbeitsvertragsrecht nicht Ausdruck seines freien rechtsgeschäftlichen Willens ist. Insoweit steht zu vermuten, dass die Verzichtsvereinbarung Ergebnis der Mechanismen der so genannten wirtschaftlichen Unterlegenheit des Arbeitnehmers ist. Einem solchen Verzichtsvertrag ist damit in der Regel die rechtliche Anerkennung zu versagen. Steht dagegen die zeitlich nahe tatsächliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach erfolgter Kündigung oder aufgrund eines zeitlich nahen Ablaufs einer Befristung fest, so kann eine Einschränkung der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit des Arbeitnehmers infolge wirtschaftlicher Unterlegenheit nur noch dann vermutet werden, wenn der Arbeitnehmer dies durch den Vortrag besonderer Umstände glaubhaft macht. In beiden Fällen muss es dem Arbeitgeber prinzipiell gestattet sein, die den Arbeitnehmer begünstigende Unterlegenheitsvermutung durch entgegenstehenden Tatsachenvortrag zu widerlegen. Die zeitlich unmittelbar bevorstehende Beendigung des Arbeitsverhältnisses markiert damit eine aus der unterlegenheitsspezifischen Rechtfertigung zwingenden Arbeitsvertragsrechts abgeleitete, immanente Grenze der Unverzichtbarkeit. Ihr kommt ähnlich dem Datum der Fälligkeit in der freiheitsmaximierend-paternalistischen Rechtfertigung der Charakter einer Basiswertung zu. 16 Vgl. oben, 5. Kapitel: A. Grundlegend (zum Tarifrecht) Nipperdey, Beiträge zum Tarifrecht (1924). 17 Dazu oben, 5. Kapitel: G. I.
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8. Kap.: Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse
C. Ordnungspolitische Zweckannahmen unabdingbarkeitsspezifischer Grenzen der Verzichtsfreiheit Die Unabdingbarkeit arbeitsvertragsrechtlicher Normen ist z. T. auch mit über das individuelle Schutzbedürfnis des konkret betroffenen Arbeitnehmers hinausgehenden Zweckannahmen begründet worden. Eine mögliche Beeinträchtigung der Interessen außerhalb des eigentlichen Vertragsschlusses stehender Dritter bzw. des Gemeinwohls werden insoweit als weiteres Schutzgut der Unabdingbarkeitsanordnung angesehen. Soweit eine unmittelbare Beeinträchtigung von Drittinteressen zu befürchten steht, lässt sich auch eine solche Einschränkung der Vertragsfreiheit vertragstheoretisch deuten. Dies ist z. B. beim so genannten echten Vertrag zu Lasten Dritter der Fall, der indes beim Verzicht auf arbeitsrechtliche Ansprüche keine Rolle spielt. Denkbar sind allerdings Konstellationen, in denen ein Verzicht des Arbeitnehmers gesetzliche Sozialleistungsansprüche auslöst und so Belastungen für die sozialen Sicherungssysteme und damit das Gemeinwohl entstehen18. In Betracht kommen weiter mögliche mittelbare Wirkungen auf den Arbeitsmarkt, die von der Berücksichtigung eines arbeitsrechtsspezifisch geringeren individuellen Schutzniveaus bestimmter Arbeitnehmergruppen, beispielsweise von nebenberuflich in geringem Umfang teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmern, ausgehen könnten. Angesprochen ist damit die Funktion zwingenden Arbeitsvertragsrechts als mittelbares Steuerungsinstrument staatlicher Beschäftigungspolitik19. Derart abstrakt und mittelbar wirkende gemeinwohlschädliche Fernwirkungen können die individualvertragliche Unverzichtbarkeit unabdingbarer arbeitsrechtlicher Ansprüche jedoch nicht generell begründen. Insoweit bedarf es eindeutiger Anhaltspunkte für eine über den Schutz des individuellen Arbeitnehmers hinausgehende, zumindest auch ordnungspolitische Motivation des Gesetzgebers bei der Anordnung der Unabdingbarkeit der betreffenden Normen. Liegt eine derart ordnungspolitisch motivierte Regelungsabsicht des Gesetzgebers vor, so kann er sich dazu auch privatrechtlicher Normen des Arbeitsvertragsrechts als eines mittelbaren Steuerungsinstruments bedienen; ihm steht nach den Vorgaben des Verfassungsrechts grundsätzlich sowohl hinsichtlich des „ob“ einer Regelung im Bereich der Arbeits- und Sozialordnung als auch hinsichtlich der Wahl des Regelungsinstrumentariums ein weiter Einschätzungsspielraum zu20. 18 19
Eingehend dazu oben, 6. Kapitel: B. Vgl. oben 6. Kapitel: A. III.
D. Konkrete Folgerungen für die Verzichtsbefugnis
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Für die hier schwerpunktmäßig untersuchten Normen des Arbeitsvertragsrechts lässt sich eine derart an Gemeinwohlbelangen orientierte Zwecksetzung der Unabdingbarkeit jedoch nicht nachweisen. Eine Einschränkung der individualvertraglichen Verzichtsbefugnis durch überindividuelle, ordnungspolitische Zwecksetzungen der Unabdingbarkeit kommt insoweit hier nicht in Betracht.
D. Konkrete Folgerungen für die Verzichtsbefugnis hinsichtlich der exemplarisch untersuchten Ansprüche und Rechte Im 2. Kapitel wurde die Kritik an der divergierenden Rechtsprechung zur Verzichtbarkeit von Ansprüchen und Rechten aus den exemplarisch untersuchten Normen des zwingenden Arbeitsvertragsrechts zum Ausgangspunkt der weiteren Untersuchung gemacht. An dieser Stelle soll nun eine knappe Rückbeziehung der oben als wesentlich erkannten Leitlinien für aus der arbeitsrechtsspezifischen Unabdingbarkeit folgende Einschränkungen der Verzichtsbefugnis auf diese konkreten Anwendungsbeispiele erfolgen. Als für die Rechtfertigung der zwingenden Wirkung der untersuchten Normen des Arbeitsvertragsrechts prinzipiell relevant wurde zum einen der paternalistische Schutz des Arbeitnehmers vor übermäßiger Freiheitsentäußerung erkannt. Zum anderen kann der unterlegenheitsspezifische Schutz des Arbeitnehmers vor einer Korrumpierung seiner rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit durch eine – typischerweise, aber widerlegbar – anzunehmende existenzielle Abhängigkeit vom Arbeitsverhältnis zwingendes Arbeitsvertragsrecht rechtfertigen. Beide Leitlinien des unabdingbarkeitsspezifischen Verzichtsschutzes orientieren sich am individualvertraglichen Schutzbedürfnis des Arbeitnehmers.
I. Verzicht auf Entgeltfortzahlungsansprüche Für die individualvertragliche Verzichtsbefugnis hinsichtlich des Entgeltfortzahlungsanspruchs nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz folgt daraus, dass ein Vorausverzicht auf künftige und ihrem potenziellen Umfang nach noch völlig unbestimmte Ansprüche aus paternalistischen Erwägungen als unzulässig anzusehen ist21.
20 Vgl. 6. Kapitel: A. III. und insbesondere auch BVerfG vom 18.11.2003 – 1 BvR 302/96 – NZA 2004, 33, 37. 21 Vgl. oben, 4. Kapitel: B. III. 1. b) bb).
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8. Kap.: Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse
Ist das Arbeitsverhältnis jedoch bereits gekündigt und/oder steht seine zeitlich nahe endgültige Beendigung aus anderen Gründen bereits fest, so ist der Entgeltfortzahlungsanspruch seiner maximalen Höhe nach bereits abschließend definiert. Der paternalistische Gedanke des Schutzes zukünftiger und ihrer Bedeutung nach undefinierter Dispositionsfreiheiten kann dann auch kein Verbot des Vorausverzichts mehr rechtfertigen. Dies gilt auch für den nach Maßgabe des § 8 EFZG über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinausreichenden Entgeltfortzahlungsanspruch; auch dieser ist seiner (maximalen) Höhe und finanziellen Bedeutung für den konkreten Arbeitnehmer nach abschließend definiert22. Das Datum der formalen Fälligkeit des Anspruchs bildet keine starre Grenze der Verzichtbarkeit23. Daneben darf sich der Verzicht auf entstandene oder erst künftig fällig werdende Entgeltfortzahlungsansprüche nicht als das Ergebnis eines dem Arbeitsverhältnis inhärenten und die materielle rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit des Arbeitnehmers unzulässig determinierenden Drucks des Arbeitgebers darstellen. Eine solche Drucksituation steht beim Verzicht auf Ansprüche oder Rechte aus zwingenden Rechtsnormen ohne weiteres – aber im Streitfall durch den Arbeitgeber widerlegbar – zu vermuten, solange das Arbeitsverhältnis ungekündigt fortbesteht oder die tatsächliche Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses in neuer rechtlicher Gestalt zwischen den Parteien im Raum steht. Insoweit bildet auch für unterlegenheitsspezifische Einschränkungen des Verzichts auf Entgeltfortzahlungsansprüche das endgültige Feststehen der zeitlich nahen tatsächlichen Beendigung, etwa nach Ausspruch einer Kündigung oder Abschluss eines Aufhebungsvertrages, die für die Frage der Verzichtbarkeit des Anspruchs entscheidende Zäsur24. Auf das Datum der formalen Beendigung des Arbeitsverhältnisses kann es für die Vermutung eines faktischen „Drucks“ dagegen nicht ankommen25. Nach diesem Zeitpunkt kann ein unterlegenheitsspezifisches Verzichtsverbot aus der Unabdingbarkeit des Entgeltfortzahlungsanspruchs nicht mehr ohne weiteres abgeleitet werden. Es bedarf dann im Streitfall zur Glaubhaftmachung durch den Arbeitnehmer des Vortrags weiterer Tatsachen, weshalb er sich zu einem selbstschädigenden Verzicht durch den Arbeitgeber bestimmt gesehen habe. Erst dann kann auch hier u. U. eine unterlegenheitsbzw. unabdingbarkeitsspezifische Unzulässigkeit des Verzichts vermutet 22
Vgl. oben, 4. Kapitel: B. III. 1. b) bb) (2). Vgl. dazu im Einzelnen oben, 4. Kapitel: B. III.; anders BAG vom 20.8.1980 – 5 AZR 218/78 – AP LohnFG § 6 Nr. 11. 24 Vgl. oben, 5. Kapitel: E. I. 1. b). 25 Anders jedoch BAG vom 28.11.1979 – 5 AZR 955/77 – AP LohnFG § 6 Nr. 10 a. E. 23
D. Konkrete Folgerungen für die Verzichtsbefugnis
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werden; auch hier muss es dem Arbeitgeber jedoch gestattet sein, diese Vermutung zu entkräften26. Für den praktisch wichtigen Fall des Anspruchsverzichts anlässlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Aufhebungs- oder Abwicklungsvertrag bedeutet das, dass die Unabdingbarkeit nach § 12 EFZG einem solchen Verzicht in der Regel nicht entgegensteht.
II. Verzicht auf Erholungsurlaub und Urlaubsabgeltung Für den Verzicht auf gesetzliche Urlaubs- oder Urlaubsabgeltungsansprüche müssen nach der hier vertretenen Ansicht die gleichen Grundsätze wie beim Verzicht auf Entgeltfortzahlungsansprüche gelten27. Auch hier wird man aus paternalistischen Gründen einen rechtsverbindlichen Vorausverzicht auf künftige Urlaubs- oder Urlaubsabgeltungsansprüche bzw. deren zukünftige Geltendmachung solange für unzulässig erachten müssen, wie das Arbeitsverhältnis ungekündigt auf unbestimmte, bzw. bei befristeten Arbeitsverhältnissen noch für einen längeren, im Einzelnen noch nicht zu überblickenden Zeitraum fortbesteht. Auch hier lässt sich aus der Unabdingbarkeit gesetzlicher Urlaubsansprüche jedoch kein paternalistisch zu rechtfertigendes Verzichtsverbot mehr ableiten, wenn das Arbeitsverhältnis bereits in eine konkrete Abwicklungsphase eingetreten ist. Denn auch bei einem überschaubaren Resturlaubsanspruch oder einem Urlaubsabgeltungsanspruch lässt sich ein Verzichtsverbot nicht mehr als Beförderung künftiger Freiheiten deuten; der paternalistischen Rechtfertigung der unabdingbarkeitsspezifischen Unverzichtbarkeit ist damit der Boden entzogen. Ebenso wie beim Verzicht auf den Entgeltfortzahlungsanspruch darf sich auch beim Urlaubs- oder Urlaubsabgeltungsanspruch der vereinbarte Verzicht nicht als das Ergebnis einer beim Arbeitgeber – widerlegbar – zu vermutenden Unterlegenheitssituation aufgrund existenzieller wirtschaftlicher Abhängigkeit vom Arbeitsverhältnis darstellen. Auch hier ist eine solche Unterlegenheitsvermutung ohne weitere Anhaltspunkte nur im fortlaufenden Arbeitsverhältnis oder bei dessen Begründung statthaft. In der Abwicklungsphase bzw. nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses bedarf es zur Glaubhaftmachung einer – auch dann widerlegbaren – Unterlegenheitsvermutung weiterer Anhaltspunkte. 26
Vgl. oben, 5. Kapitel: E. II. 3. b). Dazu schon oben, 2. Kapitel: B. III. 1; im Ergebnis wie hier auch Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht, S. 476 ff.; vgl. zur Gegenansicht des BAG oben, 2. Kapitel: A. II. und die dortigen Nachweise. 27
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8. Kap.: Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse
Entgegen der Ansicht des Bundesarbeitsgerichts lässt sich eine absolute, situationsunabhängige Unverzichtbarkeit nicht der „Natur der Sache nach“ aus der Unabdingbarkeitsanordnung des § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG herleiten28. Auch der Resturlaubs- bzw. Urlaubsabgeltungsanspruch ist ab Eintritt in die Abwicklungsphase des Arbeitsverhältnisses einem Rechtsverzicht durch vertragliche Vereinbarung, beispielsweise in Aufhebungs- oder Abwicklungsverträgen oder arbeitsgerichtlichen Beendigungsvergleichen, zugänglich29.
III. Verzicht auf den Anspruch auf Zeugniserteilung Auch die Zulässigkeit des Rechtsverzichts auf den Anspruch auf Erteilung eines Arbeitszeugnisses folgt den oben dargelegten Leitlinien, ihre Anwendung führt hier jedoch zu einem anderen Ergebnis. Die nach allgemeiner Ansicht bestehende Unabdingbarkeit des Zeugnisanspruchs gründet primär auf paternalistischen Erwägungen. Wirtschaftlicher Druck ist für den Verzicht auf ein Arbeitszeugnis nur von untergeordneter Bedeutung, weil die Zeugniserteilung selbst – von der damit verbundenen Mühewaltung abgesehen – keinen wirtschaftlichen Wert für den Arbeitgeber hat. Arbeitgeber haben daher keine nennenswerte wirtschaftliche Motivation, Arbeitnehmer durch „Druck“ zu einem Verzicht auf den Zeugnisanspruch zu bewegen. Primär paternalistisch ist die Unabdingbarkeit des Zeugnisanspruchs vor allem deshalb zu deuten, weil das Arbeitszeugnis als solches herausgehobene Bedeutung für die weiteren Arbeitsmarktchancen des Arbeitnehmers hat. Anders als beim Entgeltfortzahlungsanspruch oder beim Urlaubs(abgeltungs)anspruch konkretisiert und relativiert sich die Bedeutung des Zeugnisanspruchs für die zukünftige Lebensgestaltung nicht bereits mit dem Eintritt in die Abwicklungsphase des Arbeitsverhältnisses. Die Bedeutung des Arbeitszeugnisses für künftige Arbeitsmarktchancen besteht über das Ende des konkreten Arbeitsverhältnisses hinaus fort. Da und wenn man deshalb die Unabdingbarkeit des Zeugnisanspruchs vor allem deshalb für gerechtfertigt hält, weil sie der Wahrung zukünftiger Wahlfreiheiten dient, so trägt diese Legitimation auch die Unverzichtbarkeit des anlässlich der Beendigung fällig gewordenen Zeugnisanspruchs. Insbesondere wenn der Arbeitnehmer bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses wegen einer Anschlussbeschäftigung aktuell kein Zeugnis benötigt, besteht eine erhöhte Gefahr, dass er 28
So BAG vom 31.7.1967 – 5 AZR 112/67 – AP BUrlG § 7 Abgeltung Nr. 2 = NJW 1967, 2376. 29 Vgl. oben, 4. Kapitel: B. III. 1. b) aa); wie hier im Ergebnis auch Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht, S. 481.
D. Konkrete Folgerungen für die Verzichtsbefugnis
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sich durch einen Rechtsverzicht leichtfertig der Möglichkeit der späteren Geltendmachung des Zeugnisanspruchs im Bedarfsfall begibt. Das Interesse der Arbeitgeber an der Vermeidung übermäßigen Verwaltungsaufwands durch Zeugnisnachforderungen ist hier durch die Verjährungs- und Verwirkungsregeln hinreichend geschützt. Die Unabdingbarkeit des Zeugnisanspruchs mag sich daneben auch unterlegenheitsspezifisch rechtfertigen lassen. Anders als bei den zuvor erörterten Ansprüchen erlangt die unterlegenheitsspezifische Rechtfertigung hier jedoch für die Rechtfertigung der Unverzichtbarkeit keine eigenständige Bedeutung30.
IV. Verzicht auf Kündigungsschutz Auch die Unabdingbarkeit des Kündigungsschutzes ist von der Dichotomie aus paternalistischen und unterlegenheitsspezifischen Rechtfertigungsgründen getragen. Beide Rechtfertigungsmodelle führen hier zu dem übereinstimmenden und allgemein anerkannten Ergebnis, dass auf das Recht zur Erhebungen einer Kündigungsschutzklage vor Ausspruch der Kündigung nicht wirksam verzichtet werden kann. Hinsichtlich des seiner Mindesthöhe nach zwingenden (gesetzlichen) Abfindungsanspruchs aus § 1a KSchG lassen sich Einschränkungen der einzelvertraglichen Verzichtsbefugnis nur bis zum Ende der für die Anspruchsentstehung primär maßgeblichen Klagefrist rechtfertigen31.
V. Verzicht auf Befristungsschutz Die Rechtfertigung der Unabdingbarkeit des Rechts auf Beendigungsschutz durch Befristungskontrolle nach § 22 Abs. 1 TzBfG kann sich auf die gleichen teleologischen Erwägungen stützen, wie diejenige der Unabdingbarkeit des Kündigungsschutzes. Auch hier sind sowohl paternalistische Erwägungen des Zukunftsschutzes als auch der Gedanke des Unterlegenheitsschutzes tragend. Entsprechend kann auch das Recht auf gerichtliche Befristungskontrolle nicht verzichtbar sein, solange das vereinbarte Ende des Arbeitsverhältnisses zumindest nicht unmittelbar bevorsteht32. Besonderheiten ergeben sich hier jedoch hinsichtlich der so genannten Folgebefristungen aus der unterlegenheitsspezifischen Komponente der 30
A. A. offenbar Staudinger - Preis BGB § 630 Rn. 7. Vgl. dazu oben, 4. Kapitel: B. III. 1. b) cc). 32 Vgl. auch BAG vom 19.1.2005 – 7 AZR 115/04 – www.bundesarbeitsgericht .de. 31
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8. Kap.: Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse
Rechtfertigung der Unabdingbarkeit. Regelmäßig wird man davon ausgehen müssen, dass die spezifisch arbeitsrechtliche Unterlegenheitssituation des Arbeitnehmers über das ursprünglich vereinbarte Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus fortdauert, wenn der Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses aufgrund eines neuen (befristeten) Arbeitsvertrags in Aussicht stellt. Da und wenn eine arbeitnehmerspezifische wirtschaftliche Unterlegenheit geeignet ist, eine selbstständige und vertragstheoretisch tragfähige Rechtfertigung der Unabdingbarkeit zu liefern, so muss dies auch für ein teleologisch aus der Unabdingbarkeit abgeleitetes Verzichtsverbot gelten. Ein einzelvertraglicher Verzicht auf das gesetzliche Recht auf gerichtlichen Befristungsschutz bleibt deshalb unzulässig, solange die tatsächliche Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses aufgrund eines neuen (befristeten) Arbeitsvertrags im Raum steht. Dies gilt insbesondere, wenn der Abschluss des neuen Arbeitsvertrags explizit von einem Verzicht auf gerichtlichen Befristungsschutz hinsichtlich der Vorbefristung abhängig gemacht wird. Praktisch bedeutsamer als ein ausdrücklicher Rechtsverzicht auf Befristungskontrolle ist der vorbehaltlose Neuabschluss eines erneuten befristeten Arbeitsvertrages wesentlich gleichen Inhalts durch die Parteien. Seit 1985 geht das Bundesarbeitsgericht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass im Neuabschluss eines befristeten Arbeitsvertrages zwischen den Parteien zugleich eine Auflösungsvereinbarung hinsichtlich eines zeitlich früheren – aufgrund rechtlich unwirksamer Vorbefristung möglicherweise unbefristeten – Arbeitsverhältnisses liege, da zwei Arbeitsverhältnisse wesentlich gleichen Inhalts nicht nebeneinander rechtliche Geltung beanspruchen könnten33. Wollten die Parteien diese Rechtsfolge vermeiden, so müssten sie einen entsprechenden Vorbehalt rechtsgeschäftlich vereinbaren; die einseitige Erklärung eines einseitigen Vorbehalts durch den Arbeitnehmers soll hier – anders als im Rahmen des § 2 KSchG – nicht genügen. Der Anwendung des gesetzlichen Befristungsschutzes wird so – jedenfalls bei streng formaler Betrachtung – der Boden entzogen. Problematisch erscheint dies aus zwei Aspekten: Zum einen wird – zumindest auf Seiten des Arbeitnehmers – ein entsprechendes Rechtsfolgenbewusstsein der Parteien regelmäßig nicht unterstellt werden können34. Dies mag zwar auf zivilrechtsdogmatischer – insbesondere irrtumsrechtlicher Ebene – grundsätzlich irrelevant sein, dieser regelmäßig ungeahnte Rechtsverlust gerät auf normativer Ebene aber notwendig in Friktion mit dem Gedanken des Arbeitnehmerschutzes. Gleichwohl bietet die Gefahr eines derartigen Rechtsirrtums im Rahmen einer der Vertragstheorie verpflichteten teleologischen Auslegung keinen tragfähigen Ansatzpunkt für normative 33 34
Vgl. zu dieser Rechtsprechung ausführlich oben, 5. Kapitel: E. I. 1. b) bb) (3). Vgl. oben, 5. Kapitel: E. I. 1. b) bb) (3).
D. Konkrete Folgerungen für die Verzichtsbefugnis
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Korrekturen. Das Risiko eines sich auf diese Weise verwirklichenden Informationsdefizits ist auch im Arbeitsrecht grundsätzlich von der davon betroffenen Partei selbst zu tragen35. Für eine Umverteilung der Informationslast wäre hier grundsätzlich der Gesetzgeber gefordert. Zum anderen eröffnet diese Rechtsprechung aber auch die Gefahr einer Umgehung des durch die Unabdingbarkeitsanordnung des § 22 Abs. 1 TzBfG vermittelten Schutzes vor Übervorteilung infolge wirtschaftlicher Unterlegenheit. Selbst wenn der Arbeitnehmer über die Rechtsfolgen des vorbehaltlosen Abschlusses eines befristeten Folgevertrages im Bilde ist, ist er aufgrund seiner typischerweise bestehenden existenziellen Abhängigkeit vom Arbeitsverhältnis regelmäßig nicht in die Lage versetzt, den Eintritt dieser für ihn nachteiligen Rechtsfolge des Vertragsschlusses in wirtschaftlich zumutbarer Weise abzuwenden. Regelmäßig wird es dem Arbeitnehmer nicht gelingen, die Aufnahme eines entsprechenden rechtsgeschäftlichen Vorbehalts auf Überprüfung der Rechtswirksamkeit der Vorbefristung bei Abschluss eines befristeten Folgevertrages gegenüber dem Arbeitgeber durchzusetzen. Er steht somit regelmäßig vor der Entscheidung, unter Preisgabe des Angebots auf gesicherte Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für zumindest befristete Zeit die Geltendmachung des Bestehens eines infolge rechtsunwirksamer Vorbefristung unbefristeten Arbeitsverhältnisses hintanzustellen. Die Gefahr eines Informationsdefizits beim Arbeitnehmer hinsichtlich der Rechtsfolgen des neuerlichen Vertragsabschlusses ist in dieser Konstellation somit nur von untergeordneter Bedeutung. Faktisch wird das Recht auf Befristungsschutz in der Konstellation der so genannten Kettenbefristungen schon aufgrund einer typischerweise bestehenden wirtschaftlichen Unterlegenheit des Arbeitnehmers weitgehend funktionslos. Gerade die Absicherung der Funktionsfähigkeit der materiellen Regelungen des Arbeitsvertragsrechts gegenüber derartigen Markt- und Machtbeziehungen konnten jedoch als ein allgemein tragender und maßgeblicher Zweck der arbeitsrechtlichen Unabdingbarkeit herausgearbeitet werden. Mit dieser teleologischen Zwecksetzung der Unabdingbarkeit ist die etablierte Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu Folgebefristungen nach der hier vertretenen Ansicht deshalb nicht vereinbar36. Die Deutung des Neuabschlusses des befristeten Arbeitsverhältnisses als vertragliche Auflösung des vorherigen Arbeitsverhältnisses steht dem nicht entgegen. Soweit das erneut abgeschlossene befristete Arbeitsverhältnis als im Wesentlichen inhaltsgleich mit dem vorherigen anzusehen ist, ist eine
35 Insbesondere kann hier kein Fall einer informationellen Unterlegenheit erblickt werden, vgl. dazu näher oben, 5. Kapitel: C. II. 2. und 7. Kapitel: A. II. 2. 36 Vgl. oben, 5. Kapitel: E. I. 1. b) bb) (3) (b).
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8. Kap.: Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse
Auflösung des vorangegangenen Arbeitsverhältnisses als Umgehung des zwingenden gesetzlichen Befristungsschutzes unwirksam37. Über das Recht des Arbeitnehmers auf gerichtlichen Befristungsschutz hinsichtlich einer Vorbefristung können die Parteien deshalb anlässlich der Vereinbarung einer Folgebefristung grundsätzlich nicht rechtswirksam disponieren38. Auch hier ist die das Verzichtsverbot im Allgemeinen tragende Unterlegenheitsvermutung jedoch im Einzellfall durch den Arbeitgeber widerlegbar.
E. Einbettung in Schutzinstrumentarien des allgemeinen Zivilrechts Die weite Verbreitung zwingenden Arbeitsvertragsrechts mag im Verein mit der traditionellen Fokussierung auf arbeitsrechtsspezifische Unterlegenheitsannahmen und ihre verabsolutierend-extensive Auslegung das Bedürfnis für einen spezifischeren Schutz der rationalen Willensbildung im Arbeitsrecht verdeckt haben. Zutage tritt dies insbesondere beim im Vergleich mit anderen Bereichen des Arbeitsrechts auffällig niedrigen Schutzniveau vor informationsdefizitären Aufhebungs- und Abwicklungsverträgen bzw. allgemeinen Erledigungsklauseln. Denn anders als beim Schutz durch zwingendes Arbeitsvertragsrecht geht es hier im Kern nicht mehr um die Konditionierung von mit dem Arbeitsverhältnis einhergehenden Freiheitsverlusten bzw. die Begrenzung der Auswirkungen existenzieller wirtschaftlicher Abhängigkeiten auf die materielle Entscheidungsfreiheit39, sondern um Vermeidung bzw. Einhegung unfairer Verhandlungspraktiken sowie informationeller Defizite bei Vertragsschluss. Und diese sind nicht in den Spezifika des Arbeitsverhältnisses – oder allgemeiner in einer Imparitätslage – begründet. Ihre Einhegung ist deshalb primär eine Aufgabe des allgemeinen Vertragsrechts40. Jenseits der klassischen Instrumente der Vertragsauslegung und des im hier interessierenden Zusammenhang wenig zielführenden Anfechtungsrechts können hier insbesondere schadensersatzrechtliche Vertrags37
Vgl. auch die neuere Entscheidung des BAG vom 10.3.2004 – 7 AZR 402/03 – AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 259 = AP TzBfG § 14 Nr. 11, die nunmehr zumindest für den während des Befristungsrechtsstreits abgeschlossenen befristeten Folgevertrages von der Entbehrlichkeit eines rechtsgeschäftlichen Vorbehalts ausgeht. 38 Das Erlöschen des Rechts auf Befristungsschutz durch die gesetzliche Ausschlussfrist des § 17 Satz 1 TzBfG bleibt davon jedoch unberührt, vgl. dazu oben, 5. Kapitel: E. I. 1. b) bb) (3) (a) (cc). 39 Vgl. bereits Ernst, Arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge zur Beendigung von Arbeitsverhältnissen, S. 2, 133. 40 Vgl. dazu hier auch schon, 5. Kapitel: C. II. 3.
E. Einbettung in Schutzinstrumentarien des Zivilrechts
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lösungsrechte wegen Verletzung vorvertraglicher Verhandlungspflichten in Betracht kommen. Ihr Potenzial ist insbesondere im Bereich des Arbeitsrechts bisher noch nicht hinreichend untersucht und gewürdigt worden41. Neue Impulse hat die Diskussion um einen nicht unabdingbarkeitsspezifischen Schutz des Arbeitnehmers vor unerwünschten Ausgleichsquittungen und sonstigen Verzichtsvereinbarungen durch die Schuldrechtsreform des Jahres 2002 erhalten. Zum einen ist hier an die nunmehr auch im Arbeitsrecht anwendbaren Kontrollinstrumentarien des AGB-Rechts verbraucherrechtlicher Prägung zu denken. Die für allgemeine Geschäftsbedingungen geltenden Transparenzgrundsätze dürften insoweit zu einer kritischeren Beurteilung von rechtsvernichtenden Ausgleichsquittungen führen42. Abzulehnen sind jedoch überschießende Tendenzen in Teilen des Schrifttums und der Rechtsprechung, die vorformulierte Ausgleichsquittungen per se wegen inhaltlicher Unangemessenheit i. S. des § 307 Abs. 1 BGB für unwirksam halten wollen43. Zum anderen war auch das verbraucherrechtliche Widerrufsrecht des § 312 BGB Anlass lebhafter Diskussion, obgleich die mittlerweile wohl überwiegende Meinung entgegen dem Wortlaut der §§ 13 und 312 BGB dem Bundesarbeitsgericht in der Ablehnung der Anwendung auf arbeitsrechtliche (Verzichts-)Vereinbarungen folgt44. Die dafür vorgebrachten gesetzessystematischen und teleologischen Argumente vermögen indes nach der hier vertretenen Ansicht nicht vollends zu überzeugen. Rechtspolitisch erscheint gerade unter dem Aspekt des Prinzips der informationellen Selbstverantwortung der Vertragsparteien ein formalisiertes, fristgebundenes Widerrufsrecht nach Art des § 312 BGB als geeignetes Instrument zur Vermeidung unerwünschter Bindungen an Verzichtsvereinbarungen, die unter dem Eindruck von Überrumpelung oder informationellen Defiziten des Arbeitnehmers zustande gekommen sind. Während der Widerrufsfrist hätte der Arbeitnehmer hinreichend Gelegenheit zur Selbstinformation, insbesondere hinsichtlich der u. U. komplexen sozialrechtlichen Folgewirkungen einer Abwicklungsvereinbarung. Zudem hätte ein derartiges Widerrufsrecht auch eine Präventivwirkung gegenüber unfairen, auf Überrumpelung abzielenden Verhandlungspraktiken. Mag auf der rechtstheoretischen Ebene eine hinreichende und überdies auch zielgenauere Sanktionierung der Verletzung von 41 Grundlegend Lorenz, Arbeitsrechtlicher Aufhebungsvertrag, Haustürwiderrufsgesetz und „undue influence“, JZ 1997, 277 ff. 42 Vgl. dazu 7. Kapitel: B. II. 2.; grundlegend dazu bereits B. Preis, Abschied von der Ausgleichsquittung ?, ArbuR 1979, 97 ff. 43 Vgl. dazu die Nachweise in Fn. 127. 44 Vgl. zum Meinungsstand Staudinger - Thüsing BGB § 312 Rn. 85 mit umfangreichen Nachweisen aus dem Schrifttum und BAG vom 27.11.2003 – 2 AZR 135/03 – AP BGB § 312 Nr. 1.
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8. Kap.: Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse
Verhandlungspflichten auch über ein schadensersatzrechtliches Vertragsauflösungsrecht nach den Grundsätzen der culpa in contrahendo erreichbar sein, so erscheint ein weitgehend formalisiertes Widerrufsrecht des Arbeitnehmers doch als in rechtspraktischer Hinsicht vorzugswürdig. In vielen Fällen dürften gerichtliche Auseinandersetzungen über den Bestand einer Verzichtsvereinbarung durch ein formalisiertes Widerrufsrecht überhaupt vermeidbar sein; in den verbleibenden Fällen werden zumindest schwierige Beweiserhebungen über Umstände und Inhalt der vorhergegangenen Vertragsverhandlungen weitgehend obsolet. Jenseits der Detaildiskussionen um die Auswirkungen der mit der Schuldrechtsreform neu ins Arbeitsrecht gelangten Instrumentarien zeigt sich gerade auch in der vom Gesetzgeber vorgenommenen prinzipiellen Einbeziehung des Arbeitsvertragsrechts in das Schuldrecht des BGB eine Tendenz zur Relativierung der auf einer Exklusivität des Arbeitsrechts gründenden Schutzparadigmen45. Der Individualvertrag als Instrument des Interessenausgleichs erlangt so auch im Arbeitsrecht einen prinzipiell höheren Stellenwert. Insbesondere der Fortfall der Bereichsausnahme des AGB-Rechts lässt sich so auch als Ausdruck eines Trends zur Harmonisierung der paradigmatischen Grundlagen der (arbeits-)vertragsrechtlichen Schutzinstrumentarien deuten. Es ist deshalb m. E. zu kurz gegriffen, beispielsweise die Anwendbarkeit des AGB-Rechts ausschließlich als zusätzliche Reglementierung des Arbeitsrechts zu begreifen: In Teilbereichen dürfte sie auch und gerade zu einer Rückführung der von den Arbeitsgerichten entwickelten Grundsätzen der Inhaltskontrolle auf das durch das AGB-Recht gesetzte Maß bewirken46. Ähnliche Fernwirkungen sind m. E. auf mittel- bis längerfristige Sicht auch im Verhältnis zur Auslegungspraxis des zwingenden Arbeitsvertragsrechts zu erwarten. Tendenzen zu einer überschießenden Auslegung der Reichweite der Unabdingbarkeit arbeitsvertragsrechtlicher Normen in den Bereich nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses dürften sich zurückbilden, wenn und soweit die dort relevante Gefahr informationsdefizitärer Verzichtsvereinbarungen durch allgemeine Instrumentarien wirkungsvoller und vor allem ursachenspezifischer als bisher gebannt wird. Der Gestaltungsspielraum der Arbeitsvertragsparteien, hier in Gestalt der Verzichtsbefugnis, würde dadurch ausgeweitet; zwingendes Recht, bzw. die ihm inhärente Gefahr im Einzelfall unangemessener Bevormundung der Vertragsparteien, würde in seinen originären Anwendungsbereich zurückgedrängt. 45 In diesem Sinne vor allem Preis, Arbeitsrecht, Verbraucherschutz und Inhaltskontrolle, Sonderbeilage zu NZA 16/2003, 19 ff.; Thüsing, Angemessenheit durch Konsens – Zu den Grenzen der Richtigkeitsgewähr arbeitsvertraglicher Vereinbarungen, RdA 2005, 257, 260 ff. 46 BAG vom 25.5.2005 – 5 AZR 572/04 – NJW 2005, 3305, 3309.
F. Schlussbetrachtung
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Zwar besteht kein unmittelbarer rechtlicher Zusammenhang zwischen der Reichweite zwingenden Arbeitsvertragsrechts und allgemeinen zivilrechtlichen Instrumentarien zur Gewährleistung fehlerfreier bzw. zur Beseitigung fehlerhafter vertraglicher Bindungen. Und auch ein entsprechender Wille des Gesetzgebers zur Zurückdrängung zwingenden Arbeitsvertragsrechts – das sei hier ausdrücklich eingeräumt – lässt sich den Materialien zum Schuldrechtsmodernisierungsgesetz nicht entnehmen47. Überdies sollen auch die von einer gefestigten Rechtsprechung – beispielsweise zur Unverzichtbarkeit des gesetzlichen Urlaubsabgeltungsanspruchs – ausgehenden Beharrungskräfte nicht verkannt werden. Gleichwohl erscheint – bei aller nach dem Vorgesagten angebrachten Vorsicht – die Prognose zulässig, dass sich perspektivisch und im Sinne des Gedankens der Freiheitsmaximierung im Bereich der Abwicklungsvereinbarungen/Ausgleichsquittungen das insoweit spezifischere Schutzinstrumentarium des allgemeinen Zivilrechts gegenüber einer teleologisch überschießenden Anwendung des störungsrechtlich unspezifischeren zwingenden Arbeitsvertragsrechts durchsetzen wird.
F. Schlussbetrachtung In der Suche nach zielgenauen rechtlichen Instrumenten zum Ausgleich und zur Kompensation von Defiziten des Vertragsschlussmechanismusses liegt eine Chance für die Ausweitung privatautonomer Gestaltungsräume – gerade im durch zwingendes Recht geprägten Arbeitsvertragsrecht. Das Bekenntnis zu Privatautonomie und Vertragsfreiheit als im Allgemeinen wohl leistungsfähigsten Ordnungsprinzipien des gerechten Interessenausgleichs muss jedoch den Blick für deren Funktionsvoraussetzungen in den Realitäten des Wirtschaftslebens schärfen. Andernfalls steht zu befürchten, dass eine Ausweitung privatautonomer Freiheitsgrade mit einer Ausweitung der rechtlichen Anerkennung faktisch einseitig durchgesetzter „Vereinbarungen“ einhergehen würde. Die viel beschworene „Flexibilisierung des Arbeitsrechts“ darf deshalb gerade aus vertragstheoretischer Sicht nicht gleichbedeutend mit einer weitgehenden Abschaffung (arbeits-)rechtlicher Korrekturinstrumente sein. Flexibilisierung erfordert vielmehr die Suche nach neuen, individuelleren und situationsangepassteren Wegen zur Gewährleistung „richtiger“, d.h. materiell von beiden Seiten übereinstimmend gewollter Verträge. Die arbeitsrechtsspezifische Unabdingbarkeit vertragsrechtlicher Normen ist einer dieser Wege. Sie ist in ihrem Kernanwendungsbereich ein unersetz47 Einen knappen Überblick zu den arbeitsrechtlichen Belangen des Gesetzgebungsverfahrens des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes geben Däubler/Dorndorf - Däubler, AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht, Einleitung Rn. 1–19.
458
8. Kap.: Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse
liches Instrument sowohl des paternalistischen Zukunftsschutzes als auch der Korrektur arbeitsrechtsspezifischer Folgen wirtschaftlicher Imparität und damit gerade nicht monistisch auf eine allein maßgebliche Rechtfertigung zu reduzieren. Dennoch birgt ein unkritischer Umgang mit der arbeitsrechtlichen Unabdingbarkeit die Gefahr ungerechtfertigter Freiheitseinschränkungen und Bevormundungen. Insbesondere ist zwingendes Arbeitsvertragsrecht kein adäquates Instrument zum Schutz des Arbeitnehmers vor informationsdefizitären rechtsgeschäftlichen Entscheidungen. Hierzu bietet das allgemeine Zivilrecht, unter anderem mit dem Institut der culpa in contrahendo und nunmehr auch mit dem AGB-Recht, das auch im Arbeitsrecht angemessenere Instrumentarium. Insoweit gilt es im Sinne einer echten Flexibilisierung im Arbeitsrecht neue Wege zu gehen. Dass das Bundesarbeitsgericht prinzipiell dazu bereit ist, zeigt sich gerade auch an der bereits mehrfach zitierten neueren Entscheidung zur arbeitsrechtlichen Inhaltskontrolle48.
48
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Wilburg, Walter: Entwicklung eines beweglichen Systems im Bürgerlichen Recht, Graz 1950 Winderlich, Ute: Der Urlaubszweck, AuR 1989, 300 ff. Wolf, Manfred: Inhaltskontrolle von Arbeitsverträgen, RdA 1988, 270 ff. – Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, Habilitationsschrift Universität Tübingen, Tübingen 1970 Wolf, Manfred/Horn, Norbert/Lindacher, Walter F.: AGB-Gesetz, München 1999 Wollenschläger, Michael: Anm. zu BAG vom 19.12.1974 – 2 AZR 565/73 – AuR 1975, 220 ff. Worzalla, Michael/Süllwald, Ralf: Kommentar zur Entgeltfortzahlung, 2. Aufl., Berlin/Heidelberg 1999 Zachert, Ulrich: Anm. zu BAG vom 5.11.1997 – 4 AZR 682/85 – AP TVG § 4 Nr. 17 Zöllner, Wolfgang: Die Stellung des Bundesarbeitsgerichts im Gefüge der arbeitsrechtlichen Regelsetzer – rechtspolitisch betrachtet“, in: Festschrift 50 Jahre Bundesarbeitsgericht, S. 1395 ff., Hrsg.: Oetker, Hartmut/Preis, Ulrich/Rieble, Volker, München 2004 – Privatautonomie und Arbeitsverhältnis – Bemerkungen zu Parität und Richtigkeitsgewähr beim Arbeitsvertrag, AcP 176 (1976), 221 ff. – Regelungsspielräume im Schuldvertragsrecht – Bemerkungen zur Grundrechtsanwendung im Privatrecht und zu den sogenannten Ungleichgewichtslagen, AcP Bd. 196 (1996), 1 ff. Zwanziger, Bertram: Arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge und Vertragsfreiheit, DB 1994, S. 982 ff.
Sachregister Abwicklungsphase 132, 142, 146, 150, 270, 277, 411, 441
culpa in contrahendo 423
Anfechtung wegen – arglistiger Täuschung 419 – Drohung 248 – Eigenschaftsirrtum 419 – Erklärungsirrtum 391 – Inhaltsirrtum 417 – Irrtum 51 – Motivirrtum 168, 418 – Rechtsfolgenirrtum 417 – widerrechtlicher Drohung 420 Arbeitnehmerbegriff 98, 113, 124, 440 Aufhebungsvertrag 36, 47, 150, 275, 290–292, 408 Aufklärungspflichten 219, 376, 419, 426 Ausgleichsquittung 27, 212, 391 – AGB-Kontrolle 397, 402 – Anfechtung 417 – Auslegung 219, 386 – Erklärungsbewusstsein 214, 388 – Hinweispflichten 394 – Informationsdefizit 212 – Inhaltskontrolle 412 – Rationalitätsdefizit 72, 93 Ausschlussfristen 33, 249, 295, 297
Daseinsvorsorge 116, 119, 123, 440 Direktionsrecht 115, 195, 440, 444 Diskriminierungsschutz 346 Drucktheorie 331, 444
Basiswertung – Beendigung des Arbeitsverhältnisses 274 – Fälligkeit 129 Betriebsvereinbarung 318, 323 Bewegliches System 100 Bürgschaftsentscheidung 229, 234
Kettenbefristungen 51, 281, 284, 453
Eingriffsnormen i. S. des Art. 34 EGBGB 342 Entgeltfortzahlung 28, 40, 60, 368 Entscheidungsfreiheit 42, 72, 91, 98, 167, 224, 241, 261, 286, 309, 444 Erklärungsbewusstsein 387, 391 Erklärungsirrtum 419 Fälligkeit 132, 135, 148, 441 Freiheitsmaximierung 126, 136, 218, 262, 279, 301, 311, 317, 339, 457 Freiwilligkeit 307 Gesetzesumgehung 36, 104, 107 Gesundheitsschutz 113, 143, 146 Günstigkeit 305 Handelsvertreterentscheidung 234, 240 Informationspflichten 422, 425
Maßregelungsverbot 414 Ökonomische Analyse 181 – Abwanderungskosten 187 – Aussagekraft 183
480 – – – –
Sachregister
homo oeconomicus 199 Reziprozitätseffekte 200 Sanktionspotenzial 196 Widerspruchskosten 190
pactum de non petendo 34, 47 Paternalismus 80 Präklusionsfrist 50, 295, 297 Rechtsvergleichende Betrachtung – Österreich 330 – Schweiz 333 Schadensersatzrechtlicher Beseitigungsanspruch 421 Sittenwidrigkeit 255, 414–415 Sozialrechtliche Folgewirkungen 136 – Arbeitslosengeld 73, 216, 361 – BaföG 363 – Krankengeldanspruch 137 – Wohngeld 363 Tarifvertragliche Ansprüche 161, 319 Tatsachenvergleich 36, 332 Teilzeitarbeit 123, 348 Transaktionskosten 186, 444 Überrumpelung 93, 211, 214, 256, 278, 382, 410, 421, 433, 455 Unabdingbarkeit 26 – Begriff 29 – extensive Auslegung 95 – im internationalen Privatrecht 342 – Schutzzwecke 69 – tariflicher Ansprüche 161 – versus Unverzichtbarkeit 76 Unklarheitenregel 404, 412
Unterlegenheit – informationelle 215, 219 – intellektuelle 159, 208 – wirtschaftliche siehe Unterlegenheitsparadigma 159 Unterlegenheitsparadigma 71, 96, 166, 251, 259, 264, 271, 298, 302, 312, 315 Unterlegenheitsvermutung 312 – Ansatzpunkt 314 – schwache 315 – starke 314 – Widerlegbarkeit 313 Urlaubsabgeltungsanspruchs 133 Vertrag zu Lasten Dritter 101, 358, 446 Vertragsauflösungsrechte 436 Vertragsfreiheit – formelle 96, 227, 244 – materielle 95, 243, 443 Verzicht auf – Befristungsschutz 38, 49, 64, 289, 451 – Entgeltfortzahlungsanspruch 68, 135, 137, 181, 268, 352, 369, 448–449 – Urlaubsabgeltung 43, 62, 133, 449 – Zeugnisanspruch 45, 153, 442, 450 Vorausverzicht 33, 66, 130, 145, 179, 305, 353, 408, 443 Widerruf gemäß § 312 BGB 139, 256, 258, 279, 376, 421 Zukunftsbezug 126, 129, 132, 153 Zukunftsschutz 127