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German Pages 177 Year 2002
HELGE SODAN / OLAF GAST
Umverteilung durch „Risikostrukturausgleich"
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 876
Umverteilung durch Risikostrukturausgleich" Verfassungs- und europarechtliche Grenzen des Finanztransfers in der Gesetzlichen Krankenversicherung
Von Univ.-Prof. Dr. Helge Sodan Freie Universität Berlin Präsident des Verfassungsgerichtshofes des Landes Berlin
Olaf Gast Freie Universität Berlin
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Sodan, Helge: Umverteilung durch „Risikostrukturausgleich" : verfassungs- und europarechtliche Grenzen des Finanztransfers in der Gesetzlichen Krankenversicherung / Helge Sodan ; Olaf Gast. Berlin : Duncker und Humblot, 2002 (Schriften zum öffentlichen Recht ; Bd. 876) ISBN 3-428-10709-8
Alle Rechte vorbehalten © 2002 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-10709-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ
Vorwort Seit langem befindet sich die Gesetzliche Krankenversicherung in einer strukturellen und vor allem finanziellen Krise. Zahlreiche Reformversuche haben letztlich keine Abhilfe geschaffen. Der 1994 eingeführte sog. „Risikostrukturausgleich" zwischen Krankenkassen führt zu mittlerweile ca. 24 Milliarden D M Finanztransfers per annum. Eine weitere massive Ausweitung dieses umstrittenen Umverteilungsinstruments wird angestrebt. Krankenkassen müssen teilweise über die Hälfte ihrer Beitragseinnahmen in den Risikostrukturausgleich abführen. Seit Jahren sehen sich die Finanztransfers insbesondere wegen fortlaufender Datenfehler massiver Kritik ausgesetzt. Zahlreiche Klagen betroffener Krankenkassen sind vor den zuständigen Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit anhängig. Zudem hat sich das Bundesverfassungsgericht mit Normenkontrollverfahren zu beschäftigen, die vom Freistaat Bayern sowie von den Ländern Baden-Württemberg und Hessen anhängig gemacht wurden. Zentrale Vorgaben des gerade in Kraft getretenen Maßstäbegesetzes vom 9. September 2001 für den vergleichbaren Finanzausgleich der Länder sind im Finanzausgleich der Krankenkassen nicht annähernd eingehalten. Im Zentrum dieser Studie stehen die vielfältigen verfassungs- und europarechtlichen Probleme des Risikostrukturausgleichs. Deren Erörterung soll Grenzen der Umverteilung aufzeigen und zugleich einen Beitrag zu einer Reform des Rechts der Gesetzlichen Krankenversicherung leisten, durch die Wettbewerb und Eigenverantwortung zu zentralen Prinzipien dieser Sozialversicherung werden. Einer fortschreitenden Ausweitung von Umverteilungen wie dem Risikostrukturausgleich wird entgegengetreten - um einer wirtschaftlichen und nur dadurch finanziell tragfähigen Sozialversicherung willen. Wir danken der Betriebskrankenkasse der B M W AG für vielfältige Anregungen und Materialien. Unser Dank gilt insbesondere Herrn Vorstand Manfred Schulz, Herrn Vorsitzenden des Verwaltungsrates Günther Furchtbar, Herrn Vorstand a.D. Dietmar Wirtz und dem Leiter der Abteilung Finanzen und Informationsverarbeitung, Herrn Jürgen Herold. Herzlich zu danken haben wir schließlich Herrn Prof. Dr. h.c. Norbert Simon für die zügige Veröffentlichung der Schrift. Berlin, im September 2001
Helge Sodan/Olaf Gast
Inhaltsverzeichnis I.
Einleitung
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II.
Bindungswirkung analog anwendbarer Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
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Funktionsbezogene Grundrechtsfähigkeit gesetzlicher Krankenkassen
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III.
1. Grundrechtsunfähigkeit staatlicher Institutionen nur, insoweit sie staatliche Funktionen ausüben 22 2. Partielle Grundrechtsfähigkeit der Körperschaften im Maße ihrer funktionalen Selbstverwaltung und Privatheit
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3. Partielle Grundrechtsfähigkeit wegen der maßgeblichen Selbstverwaltungsautonomie der Krankenkassen 29 4. Funktionale Grundrechtsfähigkeit nach dem Sparkassen-Beschluß des Bundesverfassungsgerichts 38 5. Grundrechtsfähigkeit bezüglich Art. 14 Abs. 1 GG nach der Rechtsprechung des Bayerischen Landessozialgerichts
40
6. Die Verfehltheit der Dogmatik von der pauschalen Grundrechtsunfähigkeit des institutionell differenzierten Staates
41
7. Der funktionale Grundrechtsschutz von Körperschaften, soweit die Grundrechte „ihrem Wesen nach" auf diese anwendbar sind 43 8. Grundrechtsschutz mittelbar über denjenigen der Mitglieder IV.
V.
45
Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit
48
1. Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG 2. Zur Einschlägigkeit von Art. 9 Abs. 1 GG 3. Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs a) Fehlen der Gesetzgebungskompetenz des Bundes b) Widersprüchlichkeit der Intentionen und Mittel c) Ungeeignetheit von Intentionen und Mitteln des RSA d) Fehlende Eignung des RSA-Verfahrens e) Nichterforderlichkeit und Unzumutbarkeit des RSA f) Grenze der Belastbarkeit im Wesensgehaltsschutz g) Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht 4. Verletzung der Strukturprinzipien im Falle der Verwehrung des Grundrechtsschutzes
48 48 50 50 54 57 63 71 78 81
Verletzung der Eigentumsgarantie 1. Vermögensschutz durch das Bundesverfassungsgericht
96 96
94
8
Inhaltsverzeichnis 2. Die Einheitswert-Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts - Die Grenze maximal hälftiger Sollertrags-Belastung des Vermögens 3. Justitiable Schranken-Schranken der Eigentumsgarantie - maximal hälftige Belastung der typischen Erträge nach Aufwendungen, persönlichen und sonstigen Freibeträgen des Ertrags 4. Hälftigkeitsgrundsatz und Eigentumsgarantie der Krankenkassen als Solidargemeinschaft ihrer Versicherten 5. Hälftigkeitsgrundsatz und Eigentumsgarantie der Mitglieder insgesamt 6. Hälftigkeitsgrundsatz und Eigentumsgarantie einzelner Mitgliedergruppen 7. Zur Bundeskompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG und zur Anwendbarkeit von Art. 120 Abs. 1 Satz 4 GG 8. Anwendbarkeit des Mieter-Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 26.05.1993 auf die Rechte der Krankenkassen bzw. ihrer Mitglieder aus Art. 14 Abs. 1 GG
VI.
Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes 1. Grundrechtsfähigkeit der Krankenkassen und Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG 2. Die bundesverfassungsgerichtlichen Forderungen einer gleichmäßigen faktischen Vollziehbarkeit der Gesetze 3. Bindungswirkung des Länderfinanzausgleichs-Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 11.11.1999 a) Vergleichbarkeit des Finanzausgleichs der Länder mit dem Finanzausgleich der Sozialversicherungsträger b) Für den RSA verbindliche und gesetzeskräftige Entscheidungsgründe aus dem Länderfinanzausgleichs-Urteil des Bundesverfassungsgerichts c) Statt eines unzumutbaren RSA: Bundeszuschüsse im Sinne des vertikalen Finanzausgleichs gemäß Art. 120 Abs. 1 Satz 4 GG . . . d) Verfassungsgebotene Notwendigkeit eines Maßstäbegesetzes
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108 109 110 112 113
113 117 117 120 125 126
127 133 133
VII. Verletzung der Berufsfreiheit
138
VIII. Verletzung einfachgesetzlicher Grundsätze
142
IX.
Vorlagepflicht nach Art. 100 Abs. 1 GG bzw. Art. 234 Abs. 2 EGV .145 1. Vorlagepflicht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG 145 2. Zum Verstoß gegen europäisches Gemeinschaftsrecht und zur Vorlagepflicht gemäß Art. 234 Abs. 2 EGV 147
X.
Zusammenfassung in Leitsätzen
153
Literaturverzeichnis
158
SachWortverzeichnis
167
Abkürzungsverzeichnis a. Α. a.a.O. Abs. a. F. Anm. Art. Aufl. BÄK BayLSG Bd. BEMA BGBL BKK BKK BMW BSG BT-Drucks. BT-Plenarprotokoll BVA BVerfG BVerfGE BVerwG BVerwGE BZÄK bzw. CDU CSU dens. ders. dies. Diss. DJT DÖV DOK DVB1. EBM
anderer Ansicht am angegebenen Ort Absatz alter Fassung Anmerkung Artikel Auflage Bundesärztekammer Bayerisches Landessozialgericht Band Einheitlicher Bewertungsmaßstab für zahnärztliche Leistungen Bundesgesetzblatt Die Betriebskrankenkasse Betriebskrankenkasse der BMW AG Bundessozialgericht Bundestags-Drucksache Plenarprotokoll des Deutschen Bundestages Bundesversicherungsamt Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Bundeszahnärztekammer beziehungsweise Christlich Demokratische Union Christlich Soziale Union denselben derselbe dieselben Dissertation Deutscher Juristentag Die Öffentliche Verwaltung Die Ortskrankenkasse Deutsches Verwaltungsblatt Einheitlicher Bewertungsmaßstab für vertragsärztliche Leistungen
10 EGV EMRK Ersk. EU EuGH EuGRZ EuR EUV EWGV f. ff. F.D.P. Fn. GBl. GewArch GewO GG GG-Komm. GKV GRG GSG Halbs. Hrsg. hrsg. HStR HVerfR insbes. JA JöR JR JuS JZ KassKomm LS LSG MedR m.w.Nachw. Nachw. n.F. NJW NZS
Abkürzungsverzeichnis Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten Die Ersatzkasse Europäische Union Europäischer Gerichtshof Europäische Grundrechtezeitschrift Europarecht Europäischer Unionsvertrag Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft folgende (Seite) folgende (Seiten) Freie Demokratische Partei Fußnote Gesetzblatt Gewerbearchiv Gewerbeordnung Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Grundgesetz-Kommentar Gesetzliche Krankenversicherung Gesundheits-Reformgesetz Gesundheitsstrukturgesetz Halbsatz Herausgeber herausgegeben Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland Handbuch des Verfassungsrechts insbesondere Juristische Arbeitsblätter Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart Juristische Rundschau Juristische Schulung Juristenzeitung Kasseler Kommentar Leitsatz Landessozialgericht Medizinrecht mit weiteren Nachweisen Nachweise neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift Neue Zeitschrift für Sozialrecht
Abkürzungsverzeichnis OVG p.a. PKV RGBl. Rn. Rs. RSA RSAV RVO S. Schulin HS-KV SG SGB SGb. Slg. SozR SozVers. Sp. SPD u.a. Urt. usw. V.
Verf. VerfGH VersR VerwArch. VG VGH vgl. VSSR WDStRL WRV WzS z.B. ZfSH/SGB ZRP ZSR
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Oberverwaltungsgericht per annum Private Krankenversicherung Reichsgesetzblatt Randnummer Rechtssache Risikostrukturausgleich in der gesetzlichen Krankenversicherung Risikostruktur-Ausgleichsverordnung Reichsversicherungsordnung Seite(n) B. Schulin (Hrsg.), Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Bd. 1, 1994 Sozialgericht Sozialgesetzbuch Die Sozialgerichtsbarkeit Sammlung Sozialrecht. Rechtsprechung und Schrifttum, bearbeitet von den Richtern des Bundessozialgerichts Die Sozialversicherung Spalte Sozialdemokratische Partei Deutschlands unter anderem; und andere Urteil und so weiter vom Verfasser Verfassungsgerichtshof Versicherungsrecht Verwaltungsarchiv Verwaltungsgericht Verwaltungsgerichtshof vergleiche Vierteljahresschrift für Sozialrecht Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Weimarer Reichsverfassung Wege zur Sozialversicherung zum Beispiel Zeitschrift für Sozialhilfe und Sozialgesetzbuch Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für Sozialreform
I. Einleitung Der sogenannte Risikostrukturausgleich (RSA) in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ist schon kurze Zeit nach seiner im Jahre 1994 erfolgten Einführung vielfach kritisiert worden. Die rechtliche Kritik verstärkte sich 1 , als nach den ersten Erfahrungen mit dem RSA dessen Folgen für das finanziell gefährdete System der GKV, vor allem aber für einige besonders schwer mit Ausgleichzahlungen belastete Krankenkassen, immer deutlicher wurden. Der RSA ist eine „Bedrohung des gegliederten Systems der gesetzlichen Krankenversicherung insgesamt"2. Angesichts einer fortlaufenden Ausweitung des RSA mit einem Transfervolumen von inzwischen über 24 Milliarden D M p.a. soll diese Arbeit am Beispiel der besonders schwer betroffenen Betriebskrankenkasse der B M W AG (BKK B M W ) die Rechtslage des derzeitigen RSA im Hinblick auf das einschlägige „einfache" Gesetzesrecht, das Grundgesetz und Europäisches Gemeinschaftsrecht untersuchen. Die verfassungsrechtliche Prüfung des RSA wird hierbei den Schwerpunkt bilden. Das Gesundheitsstrukturgesetz (GSG) 3 hat den kassenartübergreifenden, bundesweiten RSA nach § 266 SGB V n.F. mit Wirkung vom 01.01.1994 (bzw. vom 01.01.1995 für die Krankenversicherung der Rentner) eingeführt. 4 Grundlegend ist die Datenerhebung (§ 267 SGB V ) 5 . Näheres zum RSA-Verfahren regelt eine Risikostruktur-Ausgleichsverordnung (RSAV). 6 1
Vgl. insb. U. Ramsauer, Der Risikostrukturausgleich in der gesetzlichen Krankenversicherung - verfassungswidrig?, NJW 1998, S. 481 ff.; H. Sodan/O. Gast, Der Risikostrukturausgleich in der gesetzlichen Krankenversicherung, NZS 1999, S. 265 ff.; auch R. Pitschas, Der Konflikt zwischen Solidarität und wettbewerblicher Subsidiarität im Gesundheitswesen - Gegliederte Krankenversicherung oder Einheitskasse?, NZS 1996, S. 266 (269). 2 U. Ramsauer, NJW 1998, S. 481. 3 Vom 21.12.1992, BGBl. I S. 2266. 4 Vgl. KassKomm-Peters, § 266 SGB V Rn. 1 ff. 5 Dazu näher KassKomm-Peters, § 267 SGB V Rn. 2 ff.; W. Schneider, Der Risikostrukturausgleich in der GKV, 1994, S. 118 ff., 123 ff. 6 RSAV v. 03.01.1994 (BGBl. I S. 55); zuletzt geändert durch die Dritte Verordnung zur Änderung der Risikostruktur-Ausgleichsverordnung v. 22.12.2000 (BGBl. I S. 2037). Das SGB V wird in der Fassung nach den Änderungen durch das Gesetz v. 19.06.2001, BGBl. I 1046, und durch das 2. Gesetz zur Änderung des Künstlersozialversicherungsgesetzes und anderer Gesetze v. 13.06.2001, BGBl. I 1027, zugrundegelegt. Näheres zum RSA-Verfahren: D. Cassel/J. Wasem/Institut für Gesundheits- und Sozialforschung, Berlin (IGES), Zur Wirkung des Risikostrukturaus-
14
I. Einleitung
Der RSA beruht auf den sog. Lahnsteiner Beschlüssen, welche die GKV reformieren sollten. 7 Als Korrelat des grundsätzlichen Rechts der freien Kassenwahl (§ 173 SGB V) sollte der RSA hinsichtlich ausgewählter Risikostrukturen eine wettbewerbliche Chancengleichheit der Kassen sichern. Die Gesetzesbegründung zu § 266 Abs. 1 SGB V n.F. 8 merkt hierzu an: „ M i t dem Ausgleich der finanziellen Auswirkungen der unterschiedlichen Risikostrukturen der Krankenkassen sollen eine gerechtere Beitragsbelastung der Versicherten erreicht und Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Krankenkassen abgebaut werden." Als Hauptziel des RSA ist gleichwohl die Kostendämpfung durch Einführung von Wettbewerb zu nennen.9 Demnach muß sich der RSA maßgeblich an den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und der Beitragssatzstabilität 10 (§ 70 Abs. 1, § 71 Abs. 1, § 141 Abs. 2 Satz 3 SGB V) messen lassen. Das Gesetz zur Rechtsangleichung in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 22.12.1999 11 regelt die stufenweise Einführung eines gesamtdeutschen RSA bis zum Jahr 2007. M i t dem neu in das SGB V eingefügten § 313 a erfaßt der RSA ab dem Jahre 2001 die gesamte Solidargemeinschaft der GKV in Deutschland. Danach werden die Verhältniswerte, die standardisierten Leistungsausgaben sowie der Beitragsbedarf in den alten und neuen Bundesländern getrennt ermittelt. Nach § 313 a Abs. 1 Nr. 2 SGB V wird auf einen gesamtdeutschen Ausgleichsbedarfssatz, Beitragsbedarfssummen und die Summe der beitragspflichtigen
gleichs in der gesetzlichen Krankenversicherung, Eine Untersuchung im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit, Endbericht v. 15.02.2001, S. 12 ff., 62 ff. Nach diesem Gutachten soll der RSA massiv ausgeweitet werden, was Niederschlag in der Novellierung des RSA zum 1.1.2002 fand. Insb. wird in diesem Gutachten ein GKV-Hochrisiko-Pool sowie ein weitgehender Ausgleich der Morbiditätsfaktoren und der regionalen Unterschiede diskutiert, vgl. S. 49 ff., 69 ff., 96 ff., 133 ff., 147 ff. Die Idee einer solidarischen Rückversicherung diskutiert ein weiteres aktuelles Gutachten: K. W. Lauterbach/E. Wille, Modell eines fairen Wettbewerbs durch den Risikostrukturausgleich, Sofortprogramm „Wechslerkomponente und solidarische Rückversicherung" unter Berücksichtigung der Morbidität, Gutachten im Auftrag des Verbandes der Angestellten-Krankenkassen e.V. (VdAK), des Arbeiter-Ersatzkassen-Verbandes e.V. (AEV), des AOK-Bundesverbandes (AOK-BV) und des IKK-Bundesverbandes (IKK-BV), Abschlußbericht, Februar 2001, S. 90 ff., 116 ff. 7 Vgl. W. Schneider (Fn. 5), S. 25 ff.; ders., Die Organisationsreform. Ein historischer Durchbruch, DOK 1993, S. 49 (50); vgl. auch Th. Giehler/W. König, Der Risikostrukturausgleich nach dem GSG, BKK 1993, S. 82 (82 f.). 8 BT-Drucks. 12/3608, S. 117. 9 Vgl. BT-Drucks. 12/3608, S. 117; /. Müller/W. Schneider, Entwicklung der Mitgliederzahlen, Beitragssätze, Versichertenstrukturen und RSA-Transfers in Zeiten des Kassenwettbewerbs, Arbeit und Sozialpolitik 1998, S. 10 (20 f.). 10 Dazu ausführlich, jedoch kritisch H. Sodan/O. Gast, Die Relativität des Grundsatzes der Beitragssatzstabilität nach SGB V, Verfassungs- und Europarecht, NZS 1998, S. 497 ff. 11 BGBl. I S. 2657.
I. Einleitung Einnahmen abgestellt. Im Ergebnis wird damit nach Ende der Deckelungen des Jahres 1999 und mit fortschreitender Angleichung durch den Gewichtungsfaktor nach § 313a Abs. 1 Nr. 7 SGB V e i n weitgehender gesamtdeutscher Finanzausgleich durchgeführt. Grundsätzlich verändert der gesamtdeutsche RSA jedoch am RSA-Verfahren der §§ 266 und 267 SGB V sowie der RSAV nichts. Der RSA orientiert sich einerseits am Einnahmenpotential der Krankenkassen. Die sog. Finanzkraft (§ 266 Abs. 3 Satz 1 SGB V, § 12 RSAV) ist die Summe der fiktiven Beitragseinnahmen einer Kasse, wenn diese nach dem durchschnittlich in der gesamten GKV notwendigen Beitragssatz erhoben würden. Dieser wird als sog. Ausgleichsbedarfssatz (§ 266 Abs. 3 Satz 2 SGB V, § 313 a Abs. 1 Nr. 2 SGB V, § 11 RSAV) als Verhältnis der Summe der standardisierten Leistungsausgaben zur gesamten Grundlohnsumme der GKV ermittelt. Das Bundesversicherungsamt (BVA) führt den RSA durch (§ 266 Abs. 5 SGB V). Das einnahmenseitige Element des RSA stellt alle Krankenkassen bezüglich der Grundlohnsumme je Mitglied gleich, soweit dies zur Deckung der ausgleichsberücksichtigten Leistungsausgaben dieser Kasse erforderlich ist. 1 2 Der Finanzkraft einer Krankenkasse wird ausgabenseitig der sogen. Beitragsbedarf (§ 266 Abs. 2 Satz 2 SGB V, § 313 a Abs. 1 Nr. 1 und 3 SGB V, § 10 RSAV) gegenübergestellt. Ausgleichsanspruch bzw. Ausgleichsverpflichtung einer Kasse ermitteln sich durch Vergleich von Finanzkraft und Beitragsbedarf (§ 266 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 4 SGB V). Daran ändern auch die Modifikationen etwa durch § 313 a SGB V nichts. Für jeden Versicherten einer Kasse sind dabei bundeseinheitlich durchschnittliche standardisierte Leistungsausgaben (§ 266 Abs. 2 SGB V, § 313 a Abs. 1 Nr. 1 SGB V, § 6 RSAV) vorgegeben. Diese gründen auf Verhältniswerten, welche vom B V A ermittelt werden (§ 266 Abs. 2 Satz 3, Abs. 5 Nr. 1 SGB V, § 313 a Abs. 1 Nr. 1 und 3 SGB V, § 5 RSAV). Grundlage sind die Datenerhebungen gemäß § 267 Abs. 3 SGB V . 1 3 Das B V A ist für die Festsetzung dieses „Risikoprofils" zuständig. Dieses enthält die nach den (herausgegriffenen) Risikofaktoren Alter, Geschlecht und Zahl der Familienmitversicherten differenzierten bundes-durchschnittlichen (standardisierten) Leistungsausgaben. Die dazu notwendige Datenerhebung fand jedoch auf viel zu niedriger, systematisch fehlerhafter Datengrundlage statt, wie nicht nur gutachtlich 14 belegt ist 1 5 . Der Sozialgesetzgeber hatte zwar 12 Siehe zu den zwei Elementen des RSA Th. Giehle r/W. König, BKK 1993, S. 82 (83 ff.). 13 Siehe dazu KassKomm-Pefórj, § 267 SGB V Rn. 5. 14 Siehe M. Kricke/L Männer, Repräsentativität der Stichprobenerhebung im Risikostrukturausgleich, Gutachten, Versicherungswissenschaftliches Seminar der Universität Göttingen, Februar 1998, insb. S. 50 ff.
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I. Einleitung
hinsichtlich der Datenerhebung intendiert: „Ziel dieser Erhebung ist, für den Risikostrukturausgleich nach § 266 gesicherte Daten und Rechenwerte zu erhalten" 16 . Dieses Ziel wurde jedoch verfehlt. Die aus systematischen Fehlern des RSA resultierenden Wirkungen sollen am Beispiel der besonders betroffenen B K K der B M W AG für das ebenfalls exemplarische Jahr 1997 gezeigt werden. Diese geschlossene B K K hatte den RSA-Bescheiden des B V A zufolge für 1997 im Bereich West bei einer Finanzkraft von 409 Millionen D M einen RSA von über 171 Millionen D M zu zahlen, also 41,9% (Bereich Ost: 61%). Wird auch die Korrekturzahlung für die Jahre 1994 bis 1996 aufgrund der rückwirkenden Neuberechungen des RSA eingeschlossen, so erhöht sich die Belastung auf 43,1 % der Finanzkraft dieser BKK. Die vielfältigen Rechtsprobleme des RSA sollen im folgenden im Hinblick auf Grundrechte der betroffenen Krankenkassen (exemplifiziert am Fall der B K K BMW) erörtert werden. Vor dem erstinstanzlich für alle Klagen gegen RSA-Bescheide zuständigen Sozialgericht Köln (§ 57 a Abs. 2 SGG) waren allein bezüglich der RSA-Bescheide des B V A für 1997 weit über 100 Klagen anhängig. Auch die Urteile des Sozialgerichts Köln vom 28.02.2000 für die B K K B M W wie weitgehend analog für andere KlägerKrankenkassen verkennen über den für absolut erklärten Prinzipien der Solidarität und des Sozialstaats17 die systematische Auslegung der einfachgesetzlichen oder verordnungsmäßigen RSA-Regelungen durch Anwendung höherrangiger Strukturprinzipien, von Grundrechten und gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten. Vor systematischen materiell-rechtlichen Untersuchungen soll jedoch die Bindungswirkung wesentlicher verfassungsgerichtlicher Entscheidungen in bezug auf den RSA untersucht werden.
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Vgl. etwa W. Rogalski, Wege zur Verbesserung der Datenqualität im Risikostrukturausgleich, BKK 1997, S. 472 ff.; U. Ramsauer, NJW 1998, S. 481 (483, 487). 16 BT-Drucks. 12/3608, S. 117 (Hervorhebung von den Verf.). 17 I.d.S. SG Köln, Urt. v. 28.02.2000, Az.: S 19 KR 90/99, S. 35 ff.
II. Bindungswirkung analog anwendbarer Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Vor allem im Hinblick auf die partielle Grundrechtsfähigkeit gesetzlicher Krankenkassen kommt es dogmatisch auf die formelle und materielle Bindungswirkung von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts bezüglich der RSA-Bestimmungen an. Gerade im Hinblick auf die Anwendbarkeit der neuen, grundlegenden Länderfinanzausgleichs-Rechtsprechung 18 oder der für die grundgesetzliche Eigentums-Verfassung wegweisenden 19 Einheitswert-Beschlüsse 20 ist einer überzeugenden Dogmatik der Bindungswirkung dieser Entscheidungen große Bedeutung zuzumessen. Diese soll deshalb in den Grundzügen bezüglich der formellen Bindungswirkung dargelegt werden. Auf die materielle Bindungswirkung wird hinsichtlich der einzelnen materiellen Grundrechtsverletzungen eingegangen. Die ΒindungsWirkung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ist in ihrem Umfang und ihrer Geltungskraft nicht unumstritten. Die Klärung dieser Frage bedarf angesichts der Diskussion der Reichweite der Anwendbarkeit etwa des Länderfinanzausgleich-Urteils aus dem Jahre 1999 oder der Einheitswert-Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts auf analoge Normen und Fälle eingehender Erörterung. Das Bundesverfassungsgericht hat innerhalb der gewaltenteiligen Funktionenordnung des Grundgesetzes eine besondere Stellung. Zwar wird gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG die Staatsgewalt auch „durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt"; die Rechtsprechung ist nach Art. 20 Abs. 3 GG an „Gesetz und Recht gebunden". Zudem verpflichtet Art. 1 Abs. 3 GG die Rechtsprechung, die Grundrechte „als unmittelbar geltendes Recht" zu wahren. Die verfassungs auslegende Rechtsprechung bindet jedoch in besondere Weise selbst die verfassungs gebundene Gesetzgebung. Dies gilt vor allem für die verbindliche Auslegung des Grundgesetzes durch das Bundesverfassungsgericht - letztlich als Hüter der Verfassung 21. 18
BVerfGE 101, 158 ff. Vgl. insb. W. Leisner, Steuer- und Eigentumswende - die Einheitswert-Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts, NJW 1995, S. 2591 ff. 20 BVerfGE 93, 121 ff.; 93, 163 ff. 21 C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, 1931, 3. Aufl., 1985; C. Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, 3. Aufl. 1991, § 12 Rn. 12. 19
2 Sodan/Gast
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II. Bindungswirkung analog anwendbarer Entscheidungen des BVerfG
Dies entspricht der Idee einer Verfassungsgerichtsbarkeit, folgt man deren Ideengeschichte22 und auch der Teleologie des Grundgesetzes. So gilt gerade in Deutschland die Verfassungsgerichtsbarkeit als „Schlußstein" des Rechtsstaates23 und steht durchaus in der Tradition der Reichsgerichte des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation (Reichskammergericht, Reichshofrat). Erst mit der Institutionalisierung des Bundesverfassungsgerichts kommt der Verfassungsjudikative jedoch die Funktion der rechtsverbindlichen Verfassungsauslegung zu. Damit steht dieses Gericht im Ergebnis über der (nur) die Verfassung materialisierenden und konkretisierenden Gesetzgebung, welche gemäß Art. 1 Abs. 3 und 20 Abs. 3 GG an die verfassungsmäßige Ordnung und insbesondere die Grundrechte gebunden ist. Auch über die Auslegung des Wesensgehalts der Grundrechte ist das Bundesverfassungsgericht nach Art. 19 Abs. 2 GG in der Wirkung über die vor dieser unverletzlichen Grundrechts-Grenze haltmachenden - Gesetzgebung gestellt. Entscheidungsspielraum und politische Prärogative des Gesetzgebers finden ihre Grenze in der maßgeblich vom Bundesverfassungsgericht ausgelegten, entfalteten und zu eigentlicher rechtlicher Anwendbarkeit gebrachten Verfassung. Auch die sogenannte Ewigkeitsklausel des Art. 79 Abs. 3 GG setzt vor allem der verfassungsändernden Gesetzgebung Grenzen. Dem Bundesverfassungsgericht kommen - nach Maßgabe der klassischen canones juristischer Auslegung - weitgehende Befugnisse der Verfassungsverwirklichung, letztlich aber der funktionalen Verfassungsgebung 24 zu. Dies erhellt auch aus Art. 100 Abs. 1 und Art. 93 Abs. 1 GG sowie aus den §§ 80 ff., 90 ff. BVerfGG. So institutionalisiert Art. 20 Abs. 4 GG die „andere Abhilfe" zum Schutz der verfassungsmäßigen Ordnung. Die Offenheit und Entfaltungsbedürftigkeit vor allem der Grundrechte verlangt eine solche, alle staatliche Gewalt bindende Rechtsprechung. Art. 92 GG stellt demgemäß das Bundesverfassungsgericht als oberstes Organ der rechtsprechenden Gewalt klar und übergibt diesem gemäß Art. 93 GG die maßgebliche Befugnis der Verfassungsauslegung, insbesondere in Fällen der Meinungsverschiedenheiten und Zweifel über die Vereinbarkeit von „einfachem" Landes- und Bundesrecht mit Verfassungsrecht. Dies folgt der Idee der widerspruchsfreien Einheit der verfassungsmäßigen Rechtsordnung. 25
22 Vgl. etwa U. Scheuner, Die Überlieferung der deutschen Staatsgerichtsbarkeit im 19. und 20. Jahrhundert, in: C. Starck (Hrsg.), Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Festgabe 25 Jahre Bundesverfassungsgericht, Bd. I, 1976, S. 1 ff.; G. Robbers, Die historische Entwicklung der Verfassungsgerichtsbarkeit, JuS 1990, S. 257 ff. 23 K. Schlaich/S. Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, 5. Aufl., 2001, Rn. 1. 24 Zum Begriff etwa K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, 1994, S. 819 ff.
II. Bindungswirkung analog anwendbarer Entscheidungen des BVerfG
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§ 31 Abs. 1 BVerfGG klärt nach den verfassungsrechtlichen Maßgaben formalgesetzlich die Verbindlichkeit der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts: „Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts binden die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden." Dabei ist die Bindungswirkung umstritten. Die Rechtskraft der Entscheidungen erstreckt sich, als formelle und materielle, auf den entsprechenden Fall und - in subjektiver Hinsicht - auf dessen Verfahrensbeteiligte, „inter partes". 26 Von der Rechtskraft zu unterscheiden ist die Bindungswirkung 27 , welche über den entschiedenen Fall hinaus „inter omnes" 28 gilt. Insofern ist von Allgemeinverbindlichkeit der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu sprechen. Gerade hier wird die eingangs dargestellte Funktion des Bundesverfassungsgerichts als Hüter der Verfassung, demnach funktional über dem Gesetzgeber stehend, entscheidend für den Umfang der formellen und materiellen Bindungswirkung. § 31 Abs. 1 BVerfGG soll dabei im Sinne dieser verfassungwahrenden Funktion die fallbezogene Rechtskraft ergänzen. 29 Zugleich wird die Bindungswirkung formell wie materiell folgerichtig auf alle staatlichen Organe erstreckt, schon um die Einheit der geteilten staatlichen Gewalten zu sichern. Materiellrechtlich geht die Bindung jedoch über bloße Parallelfälle im engen Sinne hinaus. Eine materielle Bindungswirkung im Maße der subsumiblen Anwendbarkeit unter die Entscheidungsformel sowie die wesentlichen Entscheidungsgründe ist demgegenüber überzeugend. Die nicht nur für einen Fall anwendbare normative Kraft der Entscheidungen des verfassungauslegenden Gerichts birgt wie ein formelles Gesetz alle subsumiblen Fälle unter sich, freilich nach Maßgabe der juristischen Methodenlehre. Letztlich muß es sich bei der entsprechenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sozusagen um die einschlägige „Fallnorm" handeln, um die Anwendbarkeit zu bejahen. Nur insoweit läßt sich die materielle Bindungswirkung auf „Parallelfälle" 30 bejahen. Die Rechtsfolgen der Bindungswirkung reichen hinsichtlich Normenkontrollverfahren von der Nichtigerklärung verfassungswidriger Normen über die Unvereinbarkeitserklärung und die Erklärung als „noch verfassungsgemäß" bis hin zur verfassungskonformen Auslegung. 31 Aber schon die Un25
Siehe dazu jetzt BVerfGE 98, 83 (97); 98, 106 (118); 98, 265 (301); //. Sodan, Das Prinzip der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung, JZ 1999, S. 864 ff. 26 Vgl. dazu Κ Rennert, in: D. C. Umbach/T. Clemens (Hrsg.), Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Kommentar, 1992, § 31 Rn. 22 ff. 27 Siehe auch Κ Schlaich/S. Korioth (Fn. 23), Rn. 463 ff. 28 Vgl. Κ Schlaich/S. Korioth (Fn. 23), Rn. 470. 29 Vgl. Κ Rennert (Fn. 26), Rn. 55. 30 Vgl. Κ Rennert (Fn. 26), Rn. 59 31 Siehe Κ Schlaich/S. Korioth (Fn. 23), Rn. 366 ff. 2*
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II. Bindungswirkung analog anwendbarer Entscheidungen des BVerfG
Vereinbarkeitserklärung durch das Bundesverfassungsgericht führt zur Unanwendbarkeit des mit der Verfassung kollidierenden Rechts, wie etwa § 76 Abs. 1 Nr. 2 BVerfGG deklariert. Hierbei sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Falle der Nichtigerklärung von Gesetzen nicht nur die Entscheidung in ihren formelhaften Leitsätzen, sondern auch die wesentlichen Entscheidungsgründe verbindlich. 32 Der reine Wortlaut von § 31 Abs. 1 BVerfGG bindet zwar nur an den Entscheidungsspruch, den Tenor, aber nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts binden eben auch die tragenden Gründe der Entscheidung 33 , „soweit sie Ausführungen zur Auslegung der Verfassung enthalten" 34 . Nicht verbindlich sind reine obiter dicta. Tragend sind jedoch die Gründe, welche „mit dem Tenor in einem derart engen, inneren, denknotwendigen Zusammenhang stehen, daß der Tenor nicht aufrechterhalten werden kann, wenn einer dieser Sätze aufgegeben wird." 3 5 Im sog. Grundlagenvertrags-Urteil formuliert das Bundesverfassungsgericht zutreffend: „Alle Ausführungen der Urteilsbegründung ... sind nötig, also im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Teil der die Entscheidung tragenden Gründe." 36 Diese weite Ausdehnung der Bindungswirkung auf alle Entscheidungsgründe vermag zwar nicht in jedem Falle zu überzeugen. Regelmäßig sind aber die wesentlichen, tragenden Gründe bindend. Anders wäre eine Anwendung und Auslegung von Formeln einer Entscheidung, vor allem aber eine wirksame Verfassungsauslegung und -anwendung auch nicht zu leisten. Die juristischen Auslegungsmethoden legen allemal die Heranziehung wörtlich und systematisch bestimmender Gründe nahe. Allein das Rechtsstaatsprinzip verlangt die hinreichende Bestimmtheit verbindlicher Rechtserkenntnisse. Die Entscheidungsgründe vermögen die Beliebigkeit der Auslegung der Leitsätze bzw. Entscheidungsformel wesentlich einzuschränken. Immerhin sollen alle Verfassungsorgane von Bund und Ländern sowie alle Gerichte und exekutiven Organe gleichermaßen bestimmt gebunden sein. Die Verfassungsauslegung muß gleichheitlich in der verfassungsmäßigen Ordnung des Bundes wirken.
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Vgl. apodiktisch bereits BVerfGE 1, 14 (15). Vgl. BVerfGE 1, 14 (37); 19, 377 (392); 20, 56 (87); 40, 88 (93 f.); zustimmend J. Ziekow, Abweichung von bindenden Verfassungsgerichtsentscheidungen?, NVwZ 1995, 245 (248 f.). 34 K. Schlaich/S. Korioth (Fn. 23), Rn. 473. 35 K. Schlaich/S. Korioth (Fn. 23), Rn. 476. 36 BVerfGE 36, 1 (36). 33
II. Bindungswirkung analog anwendbarer Entscheidungen des BVerfG In den Fällen des § 13 Nrn. 6, 11, 12, 14 und teilweise auch Nr. 8 BVerfGG entfaltet eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gemäß § 31 Abs. 2 BVerfGG auch Gesetzeskraft. Dies ist nach den bereits angestellten Überlegungen eine bloß folgerichtige, die abstrakte Bindungswirkung verstärkende Deklaration 37 der unmittelbaren und allgemeinen Geltung sowie Anwendbarkeit der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. Zum Umfang der Bindungswirkung erklärt das Gericht bestärkend: „Ein Urteil, das ein Gesetz für nichtig erklärt, hat nicht nur Gesetzeskraft, ... sondern es bindet auch gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG mit den tragenden Entscheidungsgründen alle Verfassungsorgane des Bundes derart, daß ein Bundesgesetz desselben Inhalts nicht noch einmal erlassen werden kann." 3 8 Insofern erstreckt sich die ΒindungsWirkung auch als Normwiederholungsverbot 39 , was die Stellung des Bundesverfassungsgerichts - angesichts der lex-posterior-Regel 40 - deutlich macht. Insgesamt bleibt vor der näheren Klärung der genauen Bindungswirkung verschiedener Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts hinsichtlich des RSA festzuhalten, daß auf Urteilsformel, Urteilstenor (insbesondere die Leitsätze) und tragende Entscheidungsgründe abzustellen ist. Diese entfalten allgemein-abstrakte (quasi normative) Wirkung und führen im Analogiefalle (bezüglich des RSA) zur verbindlichen Anwendbarkeit. Daraus folgt im Kollisionsfalle grundsätzlich die Verdrängung bzw. Unanwendbarkeit der betreffenden unvereinbaren oder gar nichtigen RSA-Bestimmungen, gerade bezüglich der grundlegenden §§ 266, 267, 313 a SGB V.
37 Zur heutigen Sinnleere dieser Vorschrift etwa C. Pestalozzi Verfassungsprozeßrecht, 3. Aufl., 1991, S. 331. 38 BVerfGE 1, 14 (Ls. 5). 39 Vgl. BVerfGE 1, 14 (37); 69, 112 (115). Siehe dazu K. Schlaich/S. Korioth (Fn. 23), Rn. 471 ff., m.w.Nachw. 40 K. Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung, Neudruck 1987, S. 1; H. Sodan, JZ 1999, S. 864 (869, 871).
I I I . Funktionsbezogene Grundrechtsfähigkeit gesetzlicher Krankenkassen Bezüglich der Beschwer einer Krankenkasse wie etwa der B K K B M W soll im folgenden untersucht werden, ob dieser die entsprechende Grundrechtsfähigkeit hinsichtlich der zu prüfenden Art. 2 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG zukommt. Diese Krankenkasse ist gemäß § 4 Abs. 1 SGB V eine rechtsfähige Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung. Die Satzungen der Krankenkassen haben den Bestimmungen in den §§194 ff. SGB V zu entsprechen. Der Grundrechtsschutz von Körperschaften des öffentlichen Rechts ist jedoch problematisch. Staatlichen Organen kommt nämlich regelmäßig kein Schutz durch die klassisch staatsabwehrenden 41 Grundrechte zu. Die Auffassung grundsätzlicher und vollumfänglicher Grundrechtsw/ifähigkeit aller staatlichen Institutionen - unabhängig von ihren einzelnen Funktionen - ist allerdings nicht tragfähig. Die Grundrechtsfähigkeit darf nicht allein nach der institutionellen Rechtsform differenziert werden - vollumfassend für alle Funktionen einer solchen Körperschaft. Dies würde der zum Teil völlig verschiedenen Intensität der Bindung an staatliche Aufgaben und der entsprechenden Kompetenzdichte widersprechen, wie sie Institutionen mittelbarer Staatsverwaltung im Vergleich zu denen unmittelbarer Staatsverwaltung zugewiesen ist. Insbesondere würden die teilweise oder ganz privaten und korporativen 42 Funktionen solcher selbstverwaltenden und mitgliedschaftlich organisierten Körperschaften völlig außer acht gelassen. Demgemäß besäßen diese Körperschaften - auch wenn sie wesentlich privat-korporativ tätig würden - vollumfänglich keinerlei Grundrechtsschutz. 1. Grundrechtsunfahigkeit staatlicher Institutionen nur, insoweit sie staatliche Funktionen ausüben Das Bundesverfassungsgericht verweigert insoweit staatlichen Institutionen grundsätzlich den Grundrechtsschutz 43, als sie staatlich tätig werden 41 Vgl. zur Funktion der Eingriffsabwehr, also des status negativus, die Klassifizierung seit G. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl., 1919, S. 87 ff. 42 Zum Begriff grundlegend schon G. W. F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, Werke ed. Moldenhauer/Michel, nach der Ausg. 1832-1845, Bd. 7, 1993, 3. Teil, 2. Abschn., §§ 250 ff., S. 393 ff.
1. Grundrechtsunfähigkeit im Maße staatlicher Funktionen
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bzw. insoweit sie staatlich sind. Im Umkehrschluß ist für die öffentlichrechtlich organisierten Universitäten 44 und Rundfunkanstalten 45 die Grundrechtsfähigkeit anerkannt. Diesen wird eine Grundrechtsfähigkeit zugemessen für Lebensbereiche, in denen die Körperschaften ohnehin „vom Staat unabhängig sind". Diese Institutionen sind „unmittelbar dem durch die Grundrechte geschützten Lebensbereich zuzuordnen". 46 Die juristische Person des öffentlichen Rechts stellt sich in solchen Fällen als Sachwalterin „des Einzelnen bei der Wahrnehmung seiner Grundrechte" 47 dar. So sind für die Universitäten Wissenschaft, Forschung und Lehre gemäß dem diesen Lebensbereich spezifisch schützenden Art. 5 Abs. 3 GG frei. Insoweit ist entsprechender Grundrechtsschutz unabdingbar, was eine diesbezügliche Grundrechtsfähigkeit dieser Körperschaften voraussetzt. Dies kann nicht nur für die öffentlich-rechtlichen Universitäten und Rundfunkanstalten gelten, sondern muß sich auf alle Vereinigungen erstrecken, welche grundrechtlichen Schutzbereichen spezifisch zuzuordnen sind. Art. 19 Abs. 3 GG, welcher juristischen Personen einen den natürlichen Personen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleisten soll, darf jedenfalls bezüglich Institutionen mittelbarer Staatsverwaltung mit Selbstverwaltung nicht völlig leerlaufen. Soweit den Krankenkassen - wie etwa einer B K K - als öffentlich-rechtlichen Körperschaften also ein solcher grundrechtlich geschützter Lebensbereich zuzuordnen ist, kann ihnen der Grundrechtsschutz nicht völlig entzogen werden. Als ein solcher spezifisch geschützter Bereich ist etwa die Freiheit von Vereinigungen und deren Vereinigten gemäß Art. 2 Abs. 1 bzw. Art. 9 Abs. 1 GG anzuführen, sich gegen staatliche Eingriffe zu wehren. Es kommt hierbei darauf an, ob körperschaftliche Funktionen rein staatlich oder rein privat von den Mitgliedern der Vereinigung her bestimmt sind. Grundrechte gelten nur insoweit nicht für staatliche Institutionen, als sie nicht privatheitlich „funktionieren". Entscheidend ist für die Grundrechtsfähigkeit, ob hinter bestimmten Funktionen der Staat oder aber natürliche Personen als die eigentlichen Grundrechtsträger stehen. 48 So kommt 43
Siehe BVerfGE 21, 362 (369 ff.); 35, 263 (271); 39, 302 (314 f.); 45, 63 (78); 61, 82 (101); 62, 354 (369); 68, 163 (206); 70, 1 (15 ff.); 75, 192 (196); C. Dürig, in: T. Maunz/G. Dürig, Grundgesetz, Kommentar, Bd. II, Art. 19 Abs. III Rn. 33 ff. (Stand der Kommentierung: 1977); W. Riifner; Grundrechtsträger, in: P. Kirchhof/ J. Isensee (Hrsg.), HStR V, 1989, § 116 Rn. 65. 44 Vgl. BVerfGE 15, 256 (261 f.); 35, 79 (112 f.); 61, 82 (102); 85, 360 (384 f.); 90, 1 (11 f.); W; Rüfner, HStR V, § 116 Rn. 75; K. Stern/M. Sachs, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/1, 1988, S. 1152. 45 Siehe etwa BVerfGE 31, 314 (322); 59, 231 (254); 61, 82 (102); 78, 101 (102 f.); 87, 181 (197 f., 200 f.); 90, 60 (87 ff.); W. Rüfner, HStR V, § 116 Rn. 74. 46 BVerfGE 31, 314 (322); 39, 302 (314). 47 BVerfGE 61, 82 (103).
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III. Funktionsbezogene Grundrechtsfähigkeit gesetzlicher Krankenkassen
es nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf das personale Substrat an, welches gelegentlich auch bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts gegeben sei 49 . Gerade für die Krankenkassen gilt dementsprechend, daß sie diese personalen Bezüge besitzen und insbesondere selbst verwalten. Eine Krankenkasse stellt sich vor allem als ,Sachwalterin' des Einzelnen bei der Wahrnehmung seiner Grundrechte dar. Für Krankenkassen wie die B K K B M W muß insoweit gleiches gelten wie für Körperschaften, soweit sie mitgliedschaftliche bzw. personale Grundrechte repräsentieren. Die den Krankenkassen zugewiesenen staatlichen Aufgaben führen auch nicht zu einer maßgeblichen Staatlichkeit der Funktionen und Tätigkeiten dieser Krankenkassen. Eine solche Staatlichkeit würde solchen Körperschaften dann freilich die Grundrechtsfähigkeit insoweit nehmen, allerdings gerade nur im Maße und in der Intensität der staatlichen Bindung. Grundrechte kommen lediglich den Menschen und Bürgern zu sowie ihrem Wesen nach - gemäß Art. 19 Abs. 3 GG - auch deren Institutionen. Entscheidend für die Frage der Grundrechtsfähigkeit der Krankenkassen ist demnach, ob und inwieweit diese Kassen im Hinblick auf den RSA staatliche oder private Funktionen wahrnehmen. Das Bundesverfassungsgericht hat zwar den Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) in einer Entscheidung aus dem Jahre 1975 die Grundrechtsfähigkeit abgesprochen 50. Selbstverwaltungsfunktionen, wettbewerbliche Öffnung 51 und Kassenwahlfreiheit sowie die relativierte sozial staatliche Auffangfunktion der A O K lassen diese nach den Strukturreformen insbesondere des GSG nicht mehr in gleicher Weise als rein staatliche Funktionsträger erscheinen. Insbesondere haben sich die Aufgaben, Funktionen und Kompetenzen der Krankenkassen gegenüber den vom Bundesverfassungsgericht zugrundegelegten Bestimmungen der RVO mit dem SGB V und seinen Novellierungen verändert. Die nicht mehr vergleichbaren, zunehmend privatheitlichen Funktionen der AOK müssen um so mehr für betriebliche, nach wie vor geschlossene, wettbewerbliche und selbstverwaltete Betriebskrankenkassen gelten. Auf diese zunehmend privaten und korporativen Funktionen etwa der B K K B M W , welche nur dem weiten Rahmen der staatlichen Aufgabe nach begrenzt staatlich sind, wird noch im einzelnen einzugehen sein. 52 48 Vgl. etwa B. Pieroth/B. Schlink, Grundrechte, Staatsrecht II, 16. Aufl., 2000, Rn. 152 ff. 49 Vgl. BVerfGE 31, 314 (322); 39, 302 (314). 50 Vgl. BVerfGE 39, 302 (312 ff.). 51 Siehe dazu U. Ramsauer, NJW 1998, S. 481 (484); H. Sodan/O. Gast, NZS 1999, S. 265 (266 ff.). 52 Siehe näher S. 29 ff.
. Grundrechtsfähigkeit im Maße
Selbstverwaltungunie
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Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Rechtsprechung auch den Kassenärztlichen Vereinigungen den Grundrechtsschutz insoweit abgesprochen, als die Körperschaften Teil der Staatsverwaltung seien. 53 Das Gericht wollte jedoch die grundsätzliche Frage der allgemeinen Grundrechtsfähigkeit solcher Körperschaften nicht entscheiden. Es stellte schlicht auf die Pflichtaufgabe der Kassenärztlichen Vereinigungen nach § 368n Abs. 2 RVO a.F. ab; dadurch würden diese zu einem Teil der Staatsverwaltung. 54 Als ein solcher Teil könnten diese Körperschaften grundsätzlich nicht Träger von Grundrechten gegen den Staat sein, wenn sie nicht unmittelbar dem grundrechtlich geschützten Lebensbereich zuzuordnen seien. Auch hier kommt es demnach auf die Frage an, ob und inwieweit aus zugewiesenen öffentlichen Aufgaben eine (sogar umfassende) Staatlichkeit einer Institution zu folgern ist. Die bloße faktische Institutionalisierung bzw. Rechtsform darf aber, wie gesagt, nicht allein maßgeblich sein. Dies ist insbesondere im Hinblick auf die veränderten Aufgabenbereiche und die Intensitäten staatlicher Inkorporierung durch Selbstverwaltung, Privatisierungen und zunehmenden Wettbewerb zu berücksichtigen. Das Bundesverfassungsgericht hat für die AOK argumentiert: „Wie die anderen Träger der ... Sozialversicherung nahmen sie die ihnen nach der Reichsversicherungsordnung zukommenden Aufgaben in Selbstverwaltung und unter staatlicher Aufsicht wahr. Von dem Grundsatz der Selbstverwaltung waren sie indessen nicht derart bestimmt, daß die Staatsaufsicht nur eine Randbedeutung hatte und sie deshalb vom Staate nahezu unabhängig waren. Wenn das heute auch so wäre, könnten die A O K vorwiegend als Organisationsform ihrer Mitglieder gelten. Der soziale Zweck ihrer Einrichtung könnte dann allein Bindeglied zum Staat sein; sie stünden dann dem Staat gegenüber". 55 2. Partielle Grundrechtsfahigkeit der Körperschaften im Maße ihrer funktionalen Selbstverwaltung und Privatheit Dem Bundesverfassungsgericht zufolge kommt es also auf die Intensität staatlicher Aufgaben- sowie Funktionszuweisungen einerseits und mitgliedschaftlicher Selbstverwaltungsautonomie andererseits an. Grundrechtlich entscheidend ist die Maßgeblichkeit personaler oder aber staatlicher Bezüge. Staatliche Bezüge können trotz Aufgabenzuweisungen gering sein, etwa wenn bestimmte Kompetenzen und eigentliche Ermächtigungen fehlen. Wesentlich für die staatliche Funktionalität einer Körperschaft ist 53 54 55
Siehe BVerfGE 62, 354 (369); 70, 1 (15 ff.). Vgl. BVerfGE 62, 354 (369). BVerfGE 39, 302 (313).
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III. Funktionsbezogene Grundrechtsfähigkeit gesetzlicher Krankenkassen
demgemäß die staatliche Regelungsdichte. Der bloße gesetzliche Rahmen reicht nicht aus, da auch den einzelnen privaten Bürgern dieser Rahmen gesteckt ist, ohne daß diese zur mittelbaren Staatsverwaltung ohne Grundrechtsschutz würden. Weite Aufgaben eröffnen weite Bereiche der Selbstverwaltung, die über die Aufgaben Wahrnehmung hinaus rein mitgliedschaftlich-privater Interessenwahrnehmung folgen darf. Die staatliche Rechtsaufsicht dient dazu, staatliche wie auch private Funktionen im Rahmen der gesetzlichen Aufgaben vollziehen zu lassen. Im folgenden soll der für den Grundrechtsschutz der Grundrechte aus den Art. 2 Abs. 1 bzw. Art. 9 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG wesentliche rechtliche Status der Krankenkassen erörtert werden. Dazu ist die beispielhaft herangezogene B K K B M W bezüglich ihrer gesetzlich zugewiesenen Aufgaben auf die maßgebliche Staatlichkeit oder aber Privatheit ihrer grundrechtlich durch den RSA berührten Funktionen hin zu untersuchen. Entscheidend ist der rechtliche Standort der B K K B M W im Spannungsfeld zwischen Staatsverwaltung und mitgliedschaftlicher Selbstverwaltung. Körperschaften des öffentlichen Rechts gehören zur sog. mittelbaren Staatsverwaltung. Werden Aufgaben der öffentlichen Verwaltung durch institutionell staatliche Stellen im engeren Sinne selbst und unmittelbar erfüllt, so spricht man von „unmittelbarer Staatsverwaltung". „Mittelbare Staatsverwaltung" meint hingegen die Wahrnehmung staatlicher Funktionen aufgrund kompetentieller Ermächtigung durch hoheitlich geschaffene, verselbständigte, voll- oder teilrechtsfähige Funktionseinheiten. 56 Diese Verwaltungsträger „sind nur organisatorisch verselbständigte Teile der Staatsgewalt". 5 7 Da diese Funktionsträger ihre Existenz, ihre Aufgaben und insbesondere ihre Kompetenzen vom Staat ableiten, kann man insoweit von „derivativen Verwaltungsträgern" sprechen 58. Die Mittelbarkeit der Staatsverwaltung ist hierbei Element der vertikalen gewaltenteiligen Funktionenordnung. Die kompetentiell eingeräumte Se/fo/verwaltungsautonomie betont den Gegensatz zur unmittelbaren Staatsverwaltung und ist an sich schon ein die unmittelbare Staatsgewalt begrenzendes Regulativ. Von daher ist die Selbstverwaltungsautonomie der Körperschaften wesentliches Moment der rechtsstaatlich unabdingbaren Gewaltenteilung 59 . Eine „Körperschaft des öf56 In diesem Sinne E. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. I, Allgemeiner Teil, 9. Aufl., 1966, S. 459, 471; Ä J. Wolff/O. Bachof/R. Stober, Verwaltungsrecht I, 10. Aufl., 1994, § 2 Rn. 34; Verwaltungsrecht II, 5. Aufl., 1987, § 84 Rn. 1 ff.; H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 13. Aufl., 2000, § 22 Rn. I, § 23 Rn. 1. 57 BVerfGE 39, 302 (314). 58 Siehe näher H. Sodan, Kollegiale Funktionsträger als Verfassungsproblem, 1987, S. 106.
. Grundrechtsfähigkeit im Maße
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fentlichen Rechts (öffentliche Körperschaft) ist dabei eine mitgliedschaftlich verfaßte und unabhängig vom Wechsel der Mitglieder bestehende Organisation, die ihre Individualität als Rechtssubjekt nicht der Privatautonomie, sondern einem Hoheitsakt, nämlich idR einem Gesetz oder einem Staatsakt auf Grund eines Gesetzes verdankt, also rechtlich notwendig ist." Die Körperschaften entstehen „durch staatlichen Hoheitsakt und nur durch i h n " . 6 0 Die B K K B M W etwa ist als Betriebskrankenkasse hierbei nach § 29 Abs. 1 SGB IV bzw. § 4 Abs. 1 SGB V rechtsfähige Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung. Sie ist als Körperschaft ein mitgliedschaftlich organisierter Verband, welcher unabhängig vom Wechsel der Mitglieder (gemäß §§ 186 ff. SGB V i. V.m. §§ 5 ff. SGB V) eine rechtliche Einheit bildet und auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts tätig ist. 6 1 Innerhalb der mittelbaren Staatsverwaltung sind die Körperschaften von den Anstalten und Stiftungen abzugrenzen. 62 Jedoch können Abgrenzungsprobleme auch mit den sog. Beliehenen auftreten, soweit diese kraft „hoheitlicher Befugnisse" staatlich funktional sind. 63 Aufgrund ihrer mediären Stellung zwischen Staat und föderativer, aber auch berufsständischer Gesellschaft 64 kommen den öffentlich-rechtlichen Körperschaften zwar staatliche Funktionen zu. Diese Körperschaften erfüllen aber zugleich föderative und ständische Funktionen. Diese sind ihnen sogar als staatliche Funktionen im weiteren Sinne zugewiesen und ergeben sich allein aus den weiten, autonom auszufüllenden Aufgabenzuweisungen. Demnach könnte von ausschließlich privat-korporativen Funktionen nur insoweit gesprochen werden, als diese in keiner Weise staatliche Aufgaben erfüllen würden. Da die Körperschaften jedoch solche, meist weiten, Aufgaben vollziehen, lassen sich nur privat-korporative und zugleich staatliche Funktionen dieser Körperschaften feststellen. Um über die Maßgeblichkeit 59
Vgl. H. J. Wolff/O. Bachof/R. Stober (Fn. 56), § 84 Rn. 34. E. Forsthoff (Fn. 56), § 24, S. 458. 61 Vgl. etwa S. Weber, Die Organisation der gesetzlichen Krankenversicherung, 1995, S. 27. 62 Vgl. etwa E. Forsthoff (Fn. 56), § 24, S. 459 ff.; H. Maurer (Fn. 56), § 23 Rn. 30 ff.; zur Stiftung H. Sodati (Fn. 105), S. 108 f., m.w.N. 63 Siehe zu den Beliehenen näher H. Sodan (Fn. 105), S. 102 ff. 64 Die liberalistischen Gründe der Trennung von Staat und Gesellschaft mögen zwar zurückgetreten sein sowie eine Identität von Staat und Gesellschaft nahelegen. Gleichwohl muß immer ein systematischer Gegensatz zwischen repräsentierender Staatseinheit und repräsentierter, bürgerlicher Pluralität bestehen. Einzelne und Korporationen werden demnach immer den nicht mit ihnen und ihrem Willen, sondern nur mit dem repräsentierten Willen aller Bürger identischen Staat abwehren. Auch im Hinblick auf die Grundrechtsgeschichte darf das Institut des status negativus durch allzu leichtfertige Identifizierung von Staat und Gesellschaft nicht aufgehoben werden. 60
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III. Funktionsbezogene Grundrechtsfähigkeit gesetzlicher Krankenkassen
der staatlichen oder aber privaten Funktionalität einer Körperschaft wie der B K K BMW zu entscheiden, kommt es auf die Intensität der staatlichen Aufgaben- und Funktionsbestimmungen an. Diese Intensität ist etwa für die unmittelbare Staatsverwaltung ganz umfassend und sehr hoch, wie etwa aus Prinzipien der Ämterorganisation ersichtlich ist. Für Institutionen der mittelbaren Staatsverwaltung ist die Intensität staatlicher Verpflichtetheit niedriger, aber gleichwohl zwischen den Körperschaften sehr verschieden. Der mittelbaren Staatsverwaltung kommen im Rahmen der gewaltenteiligen Aufgaben- und Funktionenordnung ohnehin nur ganz begrenzte Aufgaben und Funktionen zu. Die gewaltenhemmende Intention dieser rechtsstaatlichen Kompetenzordnung soll viel mehr als die unmittelbare Staatlichkeit die mittelbaren Verwaltungsträger in ihren Handlungsmöglichkeiten begrenzen. Dies ist schon um der zugleich ausgeübten privaten Funktionen willen geboten, da letztlich alle Staatsgewalt vom ganzen Volke, nicht aber von Privaten ausgehen soll. Die öffentlich-rechtlichen Körperschaften dienen „öffentlichen Zwecken, können zugleich aber auch private Interessen befriedigen." 65 Grundsätzlich dienen sie jedoch auch privatem Interessenvollzug, erfüllen also regelmäßig zugleich staatliche, nämlich durch Staatsaufsicht gewährleistete, und privatkorporative Funktionen. Ernst Forsthojf vernachlässigt jedoch die privatkorporativen bzw. genossenschaftlichen Funktionen, wenn er definiert: „Körperschaften des öffentlichen Rechts sind mitgliedschaftlich organisierte, rechtsfähige Verbände öffentlichen Rechts, welche staatliche Aufgaben mit hoheitlichen Mitteln unter staatlicher Aufsicht wahrnehmen." 66 Mit dieser Einordnung steht und fällt jedoch die Grundrechtsträgerschaft auch der Krankenkassen. Letztlich rechtfertigt sich die Einordnung der Körperschaften in die mittelbare Staatsverwaltung, indem diese Körperschaften als staatliche Institutionalisierung zum Staat gehören, dies jedoch durch ihre (auch) privat-mitgliedschaftlichen Funktionen nur mittelbar. Die Körperschaften des öffentlichen Rechts einschließlich der gesetzlichen Krankenkassen sind zwar durch staatlichen Verleihungsakt konstituiert und (institutionell) nicht privatrechtlichen Korporationen gleichzusetzen. Sie sind aber kompetentiell und funktionell keine rein staatlichen Institutionen, sondern sie besitzen vorbehaltlich der staatlichen auch mitgliedschaftliche bzw. korporative Funktionen. Der strikte Vollzug der rechtlichen Gesetze, also des Gemeinwohls, ist gegenüber allen besonderen, nämlich korporativen und privaten Funktionen vorrangig. Dies gilt übrigens auch für die eigentlich Privaten und deren Korporationen. Diese sind jedoch als institutionell rein private Personen bzw. Institute von den hoheitlich geschaf65 66
H. J. Wolff/O. Bachof/R. Stober (Fn. 56), § 84 Rn. 13. E. Forsthoff (Fn. 56), § 24, S. 457.
3. Partielle Grundrechtsfähigkeit im Maße der Selbstverwaltungsautonomie 29 fenen Instituten verschieden. Die Körperschaften sind nicht ausschließlich staatliche Institutionen im Sinne reiner staatlicher Funktionalität. Die Funktionen prägen den Charakter der Institution. Von einer rein staatlichen Institutionalität gesetzlicher Krankenkassen kann angesichts vielfältiger privatkorporativer Funktionen nicht gesprochen werden. Der institutionellen und funktionellen Staatlichkeit, welche insoweit eine Grundrechtsfähigkeit grundsätzlich ausschließt, steht eine vorrangig mitgliedschaftlich bestimmte Körperschaft entgegen, welche erhebliche Selbstverwaltungskompetenzen wahrnimmt, und „nicht alle Funktionen, die sie wahrnimmt, brauchen hoheitlich zu sein" 6 7 . Mitgliedschaftliche Selbstverwaltung, zumal einer geschlossenen betrieblichen Krankenkasse, erfaßt weite Funktionsbereiche. 3. Partielle Grundrechtsfähigkeit wegen der maßgeblichen Selbstverwaltungsautonomie der Krankenkassen Das Selbstverwaltungsprinzip 68 ist den Krankenkassen durch § 29 Abs. 1 SGB IV und § 4 Abs. 1 SGB V eingeräumt. Die Selbstverwaltung wird gemäß § 29 Abs. 2 SGB IV „durch die Versicherten und die Arbeitgeber ausgeübt", soweit § 44 SGB IV nichts anderes regelt. Die Selbstverwaltungsorgane dürfen nur im Rahmen der gesetzlichen Aufgaben handeln und lediglich entsprechende Geschäfte tätigen, wie § 30 SGB IV bestimmt. Sie nehmen ihre Kompetenzen im Rahmen ihrer Zuständigkeiten zur Erfüllung ihrer Aufgaben wahr ( § 3 1 Abs. 2 SGB IV). Der Staat beschränkt seine Rechtsaufsicht auf die Aufsicht über die Einhaltung von Gesetz und sonstigem Recht (§ 87 Abs. 1 SGB IV). Die Versicherungsträger erfüllen also ihre Aufgaben gemäß § 29 Abs. 3 SGB IV „in eigener Verantwortung". An dieser maßgeblichen funktionalen Privatheit im weiten Rahmen funktionaler Staatlichkeit ändert der gesetzliche Rahmen nichts, da auch jeder private Bürger im Rahmen der Gesetze handeln muß und dennoch nicht maßgeblich Staat ohne Grundrechtsschutz ist. Entscheidend ist auch hier die Regelungsdichte der staatlichen Rahmenregelungen bzw. Aufgabenzuweisungen. Dies soll nachfolgend spezifisch am Beispiel der B K K B M W untersucht werden. Die Selbstverwaltungsautonomie der betrieblichen, geschlossenen Krankenkasse B K K B M W (vgl. § 5a der Satzung) enthält jedoch vielfältige Räume satzungsmäßiger, finanzieller, haushaltsmäßiger, beitragssatzmäßiger oder organisatorischer Autonomie.
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E. Forsthoff (Fn. 56), § 24, S. 455. Dazu grundlegend R. Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, 1984; ders., Das Prinzip Selbstverwaltung, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HStR IV, 1990, § 106, insb. Rn. 12 ff.; W. Brohm, Strukturen der Wirtschaftsverwaltung, 1969, insb. S. 248 ff. 68
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III. Funktionsbezogene Grundrechtsfähigkeit gesetzlicher Krankenkassen
Die Selbstverwaltungsautonomie der Krankenkassen bemißt sich zuerst einmal nach der konstitutiven Autonomie der Gründung bzw. Schließung der Krankenkasse. § 147 Abs. 1 SGB V bestimmt, daß der Arbeitgeber eine B K K errichten kann. Wesentlich ist die absehbar auf Dauer gesicherte Leistungsfähigkeit (§ 147 Abs. 1 Nr. 2 SGB V). Die B K K B M W wurde entsprechend - mit der berechtigten Annahme finanzieller Leistungsfähigkeit gemäß § 1 Abs. 1 ihrer Satzung am 01.07.1990 errichtet. 69 Die Gründung einer betrieblich gruppenhomogenen Solidargemeinschaft der B M W A G zum erheblichen Vorteil von Versicherten wie auch des Arbeitgebers konnte schlechterdings einen existenzgefährdenden Eingriff in diese Leistungsfähigkeit durch den später geregelten RSA nicht unterstellen. Der Fall der B K K B M W ist auch insoweit nicht untypisch. Der konstitutive Gründungswille des Arbeitgebers und der Mitglieder unterstellte eine global äquivalente sowie zugleich betriebssolidarische Krankenversicherung durch die errichtete B K K BMW. Dieser Wille der Mitglieder und des Arbeitgebers sowie die inhaltlich mit diesem Gründungswillen gesicherte Leistungsfähigkeit werden nachträglich durch den existenzbedrohenden RSA negiert. Der RSA hebt die konstitutive Selbstverwaltungsautonomie gerade auch betrieblich und effizient solidarischer Krankenkassen wie der B K K B M W rückwirkend auf. Vorbehaltlich des RSA besteht jedoch eine erhebliche konstitutive Autonomie der Krankenkassen, welche sich in den allgemeinen Selbstverwaltungsbefugnissen des laufenden Betriebs fortsetzt. Die Krankenkassen müssen jedoch bezüglich der Frage ihrer Grundrechtsfähigkeit so gestellt werden, wie sie ohne die rechtlichen Wirkungen des RSA auf ihre Selbstverwaltungsautonomie stünden. Anderenfalls schlösse der Eingriff durch den RSA an sich schon jeden Grundrechtsschutz aus. Nach dieser Logik würde eine vollständige staatliche Inkorporierung von Privaten deren Grundrechtsfähigkeit aufheben. Insoweit gäbe es jedoch keinen effektiven Grundrechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG), keinen unverletzlichen Wesensgehalt (Art. 19 Abs. 2 i.V.m. Art. 79 Abs. 3 GG) und auch keine verfassungsrechtlichen Grenzen der Gesetzgebung (Art. 20 Abs. 3 GG) mehr. Das Kriterium der mit der Gründungsautonomie verbundenen dauerhaften Existenzsicherung wird etwa durch die Bestimmungen zur Funktion der Rücklagen bestätigt. Nach § 82 SGB IV soll die Rücklage nämlich die Leistungsfähigkeit sicherstellen, wenn Einnahmen- und Ausgabenschwankungen nicht mehr durch Einsatz der Betriebsmittel ausgeglichen werden kön69
Sowohl der damals voraussichtliche allgemeine Beitragssatz von 9,9% wie auch die durchschnittliche Grundlohnsumme, die Alters- und Geschlechterstruktur sowie die Zahl der Familienangehörigen und die Netto-Verwaltungskosten je Mitglied lassen die dauerhafte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der zu gründenden BKK BMW erkennen (vgl. Gutachten über die Wirtschaftlichkeit einer Betriebskrankenkasse BMW, BKK Landesverband Bayern, Januar 1989).
3. Partielle Grundrechtsfähigkeit im Maße der Selbstverwaltungsautonomie 31 nen. Auch diese die Gründung der juristischen Person dauerhaft sichernde Institution wird jedoch durch die - zumal fortlaufend rückwirkenden RSA-Belastungen infragegestellt. 70 Auf die diesbezüglich stark eingeschränkte Finanz- und Haushaltsautonomie ist noch näher einzugehen. Jedenfalls sind die konstitutive Autonomie sowie die fortlaufend die Leistungsfähigkeit und wirtschaftliche wie rechtliche Existenz sichernde allgemeine Selbstverwaltungsautonomie untrennbar miteinander verbunden. Die Autonomie der Krankenkassen im Sinne ihrer funktionalen Privatheit (im Rahmen ihrer gesetzlich vermittelten funktionalen Staatlichkeit) offenbart sich jedoch nicht nur durch die konstitutive Autonomie. Vielmehr zeigt sie sich auch im Recht, diese Konstitution als öffentlich-rechtliche Körperschaft durch Schließungsakt aufgeben zu können. Ist die Leistungsfähigkeit einer Betriebskrankenkasse auf Dauer nicht gesichert, schließt die Aufsichtsbehörde gemäß § 153 Nr. 3 SGB V die Kasse. In anderen Fällen außer den drei in § 153 SGB V genannten kommt die Schließungsautonomie jedoch einzig und allein der Krankenkasse selbst zu. Dies spricht für erhebliche Selbstverwaltungsbefugnisse und eine entsprechende funktionale Privatheit. Allerdings haftet der Arbeitgeber im Falle der Schließung einer Kasse wie der B K K B M W gemäß § 155 Abs. 4 SGB V für die Verbindlichkeiten. Ist die Schließung aber maßgeblich durch den RSA und seine unverhältnismäßig hohe Belastung (im Falle der B K K B M W 43,14% [West] bzw. 62,08% [Ost] im Jahre 1997) der Finanzkraft verursacht, so. kann kaum mehr von einer entsprechenden Autonomie solcher Krankenkassen - bzw. des entsprechenden Arbeitgebers und der Mitglieder dieser Krankenkassen - gesprochen werden. Vielmehr wird durch den RSA im Ergebnis nicht nur die diesbezügliche Gründungs-, Verwaltungs- und Schließungsautonomie ausgehöhlt, sondern der Arbeitgeber wird noch in Haftung genommen, nachdem er zuvor schon die ihn sonderbelastenden RSA-Transfers hälftig zu tragen hatte. Die eigentliche Satzungsautonomie sowie die Kompetenz zur sonstigen autonomen Rechtsetzung sind den Krankenkassen durch § 33 Abs. 1 und § 34 SGB IV eingeräumt. Die Satzungsautonomie muß sich an die Vorgaben der §§ 194 bis 196 SGB V halten. Dem Vorstand einer Betriebskrankenkasse kommen nach § 35 a SGB IV besondere Befugnisse zu. Der Verwaltungsrat solcher Krankenkassen hat ganz wesentliche Selbstverwaltungsfunktionen, so die der Überwachung des Vorstands, der Feststellung des Haushaltsplans oder der Außen Vertretung (§ 197 SGB V). Entsprechendes bestimmt § 2 der Satzung der B K K BMW. Für die haushaltspolitischen Kompetenzen des Vorstands der B K K B M W gilt insbesondere § 3 Abs. 3 dieser Satzung. 70
S. 12.
Vgl. zum Aufbau einer Rücklage ohne RSA das genannte Gutachten (Fn. 69),
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III. Funktionsbezogene Grundrechtsfähigkeit gesetzlicher Krankenkassen
Der organisatorischen Selbständigkeit der rechtsfähigen Körperschaften des öffentlichen Rechts muß deren finanzielle und wirtschaftliche Selbständigkeit folgen. 71 Die Haushaltsautonomie der Versicherungsträger bestimmt sich zuerst nach den §§67 ff. SGB IV. Jede Krankenkasse stellt im Sinne von § 220 SGB V einen Haushaltsplan auf. Hierbei ist hinsichtlich der unzumutbaren und teilweise rückwirkenden Eingriffe durch die Bescheide zum RSA vor allem auf die Bedeutung und Wirkung des Haushaltsplans nach § 68 SGB IV hinzuweisen. Danach soll dieser sicherstellen, daß die gesetzlichen Aufgaben rechtzeitig erfüllt werden können. Der Haushaltsplan ist einnahmen- und ausgabenseitig auszugleichen (§ 69 Abs. 1 SGB IV). Die Selbstverwaltungsautonomie erstreckt sich diesbezüglich vor allem auf die wirtschaftlichen und finanziellen Belange, vor allem aber die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit der Körperschaft zum Zwecke der Aufgabenerfüllung. Angesichts der RSA-Belastungen ist auf das besondere Erfordernis der Bewilligung überplanmäßiger bzw. außerplanmäßiger Ausgaben nach § 73 SGB IV hinzuweisen. Die Haushaltsautonomie der Krankenkassen erfaßt zudem vor allem die Verwaltung der Mittel, also der Betriebsmittel und Rücklagen. Die RSA-Bescheide des B V A berühren hierbei insbesondere die Haushaltsautonomie der Krankenkassen hinsichtlich der Mittelreserven, nämlich der Rücklagen (§ 82 SGB IV). Die Rücklagenhöhe regelt demgemäß § 12 der Satzung der B K K BMW. Nähere Kompetenzen der Organe der Betriebskrankenkassen sind in den §§147 ff. SGB V bzw. für die B K K B M W in den §§ 2 ff. der Satzung geregelt. Wesentlich hinsichtlich der wirtschaftlichen und finanziellen Autonomie der Versicherungsträger ist die Finanzhoheit. Diese ist freilich mit der Haushaltsautonomie untrennbar verbunden. Letztlich kann die Finanzautonomie als Oberbegriff für die wirtschaftliche und finanzielle Selbständigkeit betrachtet werden. Jede Krankenkasse weist hierbei ein eigenes Vermögen aus, wie die §§ 80 ff. SGB IV, §§ 259 ff. SGB V zeigen. Es besteht eine entsprechende Haushaltsautonomie, mit dem Vermögen in Form der Betriebsmittel und Rücklagen zu wirtschaften. Wesentlicher, nämlich einnahmenseitiger Teil der Finanzautonomie der Versicherungsträger ist die Beitragssatzautonomie. Diese bestimmt sich nach § 220 Abs. 1 S. 2 SGB V und § 67 Abs. 1 SGB IV. Damit sollen die Beiträge nach dem zu erwartenden Bedarf an Ausgaben und Rücklagenauffüllung des kommenden Haushaltsjahres festgesetzt werden. Auf diese Weise ist das Prinzip der Globaläquivalenz 2 beschrieben. Dieser Ausgleich der Einnahmen und Ausgaben wird durch § 69 Abs. 1 SGB IV bestätigt.
71 Vgl. BSGE 47, 148 (158); F. Kirchhof, Finanzierung der Sozialversicherung, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HStR IV, 1990, § 93 Rn. 3; S. Weber (Fn. 61), S. 29.
3. Partielle Grundrechtsfähigkeit im Maße der Selbstverwaltungsautonomie 33 Die finanzhoheitliche Beitragssatzautonomie gerade der geschlossenen Betriebskrankenkasse der B M W AG war ausweislich der tatsächlichen Beitragssätze bis zur Einführung des kassenartübergreifenden RSA ganz erheblich. Da die Rücklagenhöhe in § 12 der Satzung dieser B K K auf 100% der nach dem Haushaltsplan durchschnittlich auf den Monat entfallenden Ausgabenbetrags begrenzt ist und die Leistungsautonomie nicht unbegrenzte Leistungserbringungen über das Maß des Notwendigen und Wirtschaftlichen hinaus zuläßt, wäre der Beitragssatz der B K K B M W ohne die RSABelastungen relativ niedrig ansetzbar. Die Grenzen eines fast unbegrenzt umverteilenden Solidarprinzips lassen sich insbesondere aus den Grundrechtspositionen der Mitglieder der Krankenkassen ableiten, aber auch aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip. Diese Grenzen des insofern keinesfalls allein maßgeblichen Solidarprinzips sind zugleich Grenzen der RSA-Zahlungspflichten - zur Wahrung der Beitragssatzautonomie der Krankenkassen bzw. mittelbar von deren Mitgliedern. Die Beitragssatzautonomie wäre ohne die unverhältnismäßige Beschwer der Krankenkassen durch die RSA-Bescheide erheblich; die entsprechenden, im Falle der B K K B M W 1997 um 43,14% (West) bzw. 62,08% (Ost) niedrigeren Beitragssätze würden insofern zu einer sehr leistungsfähigen, äußerst wettbewerbsfähigen betrieblichen Solidargemeinschaft sowie wirklichen finanziellen und haushaltsmäßigen Selbstverwaltung führen. Dies wird ersichtlich aus der Belastung dieser betrieblichen Krankenkasse im Jahre 1997 - vorbehaltlich weiterer rückwirkender Korrekturen - in Höhe von zusammen 177.888.636,20 D M für den RSA in den Bereichen West und Ost. Im Jahre 1998 sind dies sogar etwa 194 Millionen DM. Da die Finanzkraft des Jahres 1997 - im Bereich West von 409.217.226,64 D M und im Bereich Ost von 2.156.721,59 D M - in etwa den tatsächlichen Beitragseinnahmen entspricht, errechnet sich ein durch den RSA um 43,14% (West) bzw. 62,08% (Ost) höherer Beitragssatz. Zum rechtlich vertretbaren maximalen Umfang der RSA-Zahlungspflichten ist vor allem auf die Ausführungen zum sog. Hälftigkeitsgrundsatz des Bundesverfassungsgerichts hinzuweisen. 73 Dieser Aufhebung der Finanzautonomie auf der Einnahmenseite ist ausgabeseitig angesichts eines gesetzlich dicht geregelten Pflichtleistungskatalogs nichts entgegenzusetzen. Angesichts der Gefährdung der finanziellen Selbstverwaltung wird diese der Sache nach unmöglich gemacht. Der Risikoausgleich zwischen den Versicherten einer Krankenkasse bzw. Krankenkassenart, wie er bis zu den Änderungen durch das GSG geregelt war 7 4 . 72 Vgl. dazu F. E. Schnapp, Organisation der gesetzlichen Krankenversicherung, in: Schulin HS-KV, § 49 Rn. 48. 73 Siehe dazu ausführlich S. 99 ff. 74 Siehe dazu W. Schneider (Fn. 5), passim; S. Weber (Fn. 61), S. 29 ff. 3 Sodan/Gast
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III. Funktionsbezogene Grundrechtsfähigkeit gesetzlicher Krankenkassen
erreichte bei weitem nicht dieses Ausmaß der Reduktion der finanziellen Selbstverwaltungsautonomie. Insoweit stellte jede einzelne Kasse bzw. Kassenart bis zum GSG eine Solidargemeinschaft dar und wahrte die kassenmäßige Globaläquivalenz. Auf andere Formen der Finanzausgleiche für aufwendige Leistungsfälle (§ 265 SGB V) sowie bei Bedarfssatzüberschreitungen (§ 266 SGB V a.F.) und für notleidende Kassen (§ 267 SGB V a.F.) ist nicht näher einzugehen. Auch diese begrenzen nämlich Umfang und Höhe der Eingriffe in die primär eigenverantwortliche, selbstverwaltete und gegliederte Krankenversicherung durch Finanzausgleiche. Dies entspräche denn auch der allgemeinen gesetzlichen Intention zugunsten solidarischer, sach- bzw. betriebsnaher, zugleich eigenverantwortlicher Solidarität der GKV, wie dies § 1 SGB V regelt. 75 Insofern ist auf das Prinzip der Gruppenhomogenität 76 hinzuweisen, welches die primär eigenverantwortliche, wirklich und auch zumutbar solidarische Krankenversicherung prägen muß. 7 7 Die Regelung eines begrenzten Solidarausgleichs zwischen Krankenkassen einer Kassenart bis zum GSG hat jedenfalls die finanzielle Selbstverwaltung in gesetzeskonformer 78, vor allem aber verhältnismäßiger, nicht existenzgefährdender Weise berührt. Davon kann nach dem 1994 bzw. 1995 eingeführten RSA nicht mehr die Rede sein. Eine Finanzautonomie einschließlich einer Beitragssatzautonomie ist demgemäß - rechtswidrig - nur noch ganz unerheblich vorhanden. Für die Frage nach der funktionellen Privatheit oder aber Staatlichkeit der grundrechtlich maßgeblichen Funktionen der Krankenkassen kommt es jedoch auf die rechtskonforme Bewertung der Selbstverwaltungsfunktionen an. Die Grundrechtsfähigkeit der Krankenkassen soll ja gerade im Hinblick auf Rechtsverletzungen durch den RSA, welche die Selbstverwaltung und Existenz letztlich aufheben, untersucht werden. Demnach kann es für die Untersuchung dieser Selbstverwaltungsfunktionen nur auf die rechtliche Lage vor diesen Eingriffen ankommen. Jede vollständige staatliche Inkorporierung von Privaten würde anderenfalls diesen sofort jede Grundrechtsfähigkeit nehmen, da sie nur noch staatliche Funktionen ausübten. Entscheidend ist demnach die Feststellung, daß die Krankenkassen vor der Verletzung ihrer Rechte durch den RSA ganz erhebliche 75
In diesem Sinne B. Schulin, Rechtliche Grundprinzipien der gesetzlichen Krankenversicherung und ihre Probleme, in: Schulin HS-KV, § 6 Rn. 28 ff. 76 Vgl. dazu S. Weber (Fn. 61), S. 53 ff. 77 Siehe BSGE 58, 134 (144); vgl. auch J. Brunkhorst, Zur Problematik unterschiedlicher Risikostruktur und ihres Ausgleichs in der Sozialversicherung - insbesondere in der gesetzlichen Krankenversicherung, 1987, S. 260. 78 Zum Erfordernis gesetzessystematisch widerspruchsfreier sowie verfassungskonformer Auslegung einzelner Bestimmungen des SGB V, so zum RSA, vgl. S. 54 ff.
3. Partielle Grundrechtsfähigkeit im Maße der Selbstverwaltungsautonomie 35 finanzielle Selbstverwaltungsfunktionen ausübten, die vorrangig als privat und mitgliedschaftlich im weiten Rahmen der Gesetze zu bezeichnen sind. Diese wesentliche finanzielle Selbstverwaltung bewegt sich im weiten gesetzlichen Rahmen mit geringerer Regelungsdichte, wahrt darüber hinaus jedoch maßgeblich die mitgliedschaftlichen Interessen. Insofern stehen private Mitglieder, nicht aber der nur rahmensetzende Staat hinter den körperschaftlichen Funktionen gesetzlicher Krankenkassen wie etwa der B K K BMW. Diesbezüglich ist besonders auf die hohe Gruppenhomogenität und betriebliche Anbindung sowie teilweise sogar Finanzierung geschlossener Betriebskrankenkassen hinzuweisen. Die finanzielle Autonomie solcher Körperschaften erscheint demnach im Vergleich etwa zu einer A O K als noch stärker - insbesondere unter den Bedingungen der RVO, wie sie das Bundesverfassungsgericht seinerzeit bewerten mußte. Zudem sind die Voraussetzungen für die Selbstverwaltungsfunktionen der Krankenkassen als sehr viel besser einzustufen als diejenigen in anderen Sozialversicherungs79
zweigen. Die Selbstverwaltungsautonomie im Hinblick auf die Festsetzung der satzungsmäßigen Leistungen ist freilich durch die gesetzliche Regelungsdichte insbesondere von § 20 Abs. 3, § 23 Abs. 2, § 37 Abs. 2, § 38 Abs. 2, § 40 Abs. 1 S. 2 und § 41 Abs. 1 Satz 2 SGB V beschränkt. Ebenso ist die Autonomie des Versicherungsträgers bei der Auslegung von Ermessensleistungen etwa § 23 Abs. 4, § 24 Abs. 1 Satz 1, § 33 Abs. 5, § 37 Abs. 1 Satz 4 und § 38 Abs. 2 SGB V beschränkt. 80 Zugleich bestehen aber Freiräume hinsichtlich der Aufklärung und Beratung der Versicherten nach den §§13 bis 15 SGB I. Ferner ist auf eine umfangreiche Personal- sowie Organisationshoheit der Krankenkassen zu verweisen. Dennoch wird der Selbstverwaltungsspielraum der Versicherungsträger vielfach als zu gering kritisiert. 81 Dies ist nicht etwa wegen der Aufgabenzuweisungsdichte oder der Rechtsaufsichtsintensität festzustellen, sondern insbesondere nach Einführung des RSA wegen der die Selbstverwaltung an sich in Frage stellenden Belastung mit allgemeinen sozialstaatlichen Aufgaben. Auf die gesetzlich eher dicht geregelte Leistungsverwaltung, also begrenzte Leistungsautonomie ist bereits hingewiesen. Die demnach als eher gering einzustufende Leistungsautonomie stellt sich als ausgabenseitiges Element der allgemeinen Finanz- und Haushaltsautonomie dar. Maßgeblich für die mitgliedschaftliche Selbstverwaltung in finanzieller Hinsicht ist zudem gerade die Freiheit bzw. der Zwang der Kassenwahl. 79 Siehe etwa //. Schirmen Gemeinschaftskommentar SGB V (GK-SGB V), § 4 Rn. 24; vgl. S. Weber (Fn. 61), S. 35. 80 Vgl. etwa 5. Weber (Fn. 61), S. 28. 81 Siehe F. E. Schnapp, in: Schulin HS-KV, § 49 Rn. 70 ff.; H. Schirmer, GKSGB V, § 4 Rn. 25 ff.; 5. Weber (Fn. 61), S. 35.
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III. Funktionsbezogene Grundrechtsfähigkeit gesetzlicher Krankenkassen
Bis zum 31.12.1995 bestimmte sich dies nach den Prinzipien des Kassenzwangs und der Kassenwahl 82 , wobei grundsätzlich der Kassenzwang das Grundprinzip darstellte. Die Zugehörigkeit zu einer Kasse richtete sich nach Kriterien regionaler, betrieblicher, beruflicher oder branchenbezogener Art. Die AOK fungierte als (subsidiäre) Auffangkasse. Da die Krankenkassen jedoch nur durch das Ausmaß des RSA beschwert sind, nicht aber durch die Eröffnung wettbewerblicher Elemente und zunehmender diesbezüglicher Selbstverwaltungsfunktionen, kommt es auf die Rechtslage nach der Einführung weitgehender Kassenwahlfreiheit an. Danach wurde zugleich mit dem RSA durch das GSG gemäß § 173 SGB Veine umfassende Kassenwahlfreiheit eingeführt. Die gewählte (geöffnete) Krankenkasse darf die Mitgliedschaft gemäß § 175 Abs. 1 SGB V nicht ablehnen. 83 Für die B K K B M W etwa als geschlossene Krankenkasse besteht ein solcher Aufnahmezwang nur bezüglich der nach den §§5, 5 a ihrer Satzung Versicherungsfähigen. Dazu gehören die Pflichtversicherten (§ 5 SGB V), freiwillig Versicherten (§ 9 SGB V) und die Familienmitversicherten (§ 10 SGB V). Demnach ist die mitgliedschaftliche Selbstverwaltungsautonomie zwar generell gestärkt worden, aber hinsichtlich der Krankenkassen hat sich die rechtliche Lage nicht wesentlich gewandelt. Die B K K B M W z.B. hat sich wie andere betriebliche geschlossene Kassen insofern nicht dem Wettbewerb geöffnet, wird aber dennoch mit dem angeblich gleiche Wettbewerbsbedingungen schaffenden RSA belastet. Ihre erhebliche Selbstverwaltungsautonomie hat sich insofern durch die Kassenwahlfreiheit an sich nicht gewandelt, wohl aber durch deren Kehrseite, den RSA. Zuletzt ist die für die spezifisch betriebliche Selbstverwaltung eines Versicherungsträgers der GKV wichtige Gliederung der Krankenkassen zu berücksichtigen. Mittels dieses Gliederungsprinzips 84 des § 4 Abs. 2 SGB V bzw. der §§ 143 ff. SGB V wird die quasi sachlich und örtlich differenzierte Dimension der dezentralen Selbstverwaltung verdeutlicht. In Anlehnung an die gewaltenteilige Funktionenordnung und etwa die kommunale Selbstverwaltung sollen demnach den Krankenkassen organschaftlich differenzierte Selbstverwaltungsfunktionen und eigene Rechtsfähigkeiten zukommen. Eine Tendenz zur Einheitsversicherung bzw. Einheitskasse, wie sie insbesondere durch die Einführung des RSA gefördert wird, ist noch im einzelnen zu kritisieren. Auch diesbezüglich ist jedoch von einer rechtskonformen Beurteilung der Maßgeblichkeit selbstverwaltungsbestimmter, mitgliedschaftlicher oder aber staatlicher Funktion der Krankenkassen auszugehen, so daß die weitgehende Aufhebung der Selbstverwaltungsautonomie durch den RSA bei dieser Beurteilung unberücksichtigt bleiben muß. 82 83 84
Siehe dazu J. Brunkhorst (Fn. 77), S. 253; S. Weber (Fn. 61), S. 47 ff. Siehe dazu U. Ramsauer, NJW 1998, S. 481 (482). Vgl. dazu F. E. Schnapp, in: Schulin-HS-KV, § 49 Rn. 84 ff.
3. Partielle Grundrechtsfähigkeit im Maße der Selbstverwaltungsautonomie 37 Im Hinblick auf die gesetzlich zugewiesenen Aufgaben und Kompetenzen ist im Ergebnis festzustellen, daß die vielfältigen Elemente mitgliedschaftlicher Interessenwahrnehmung im Rahmen der Selbstverwaltung primär dem pnwzirechtlichen Bereich zuzuordnen sind. Insofern ist auf eine rechtskonforme, den RSA außer acht lassende Beurteilung der Selbstverwaltungsfunktionen abzustellen, da ansonsten Selbstverwaltung und sergar wirtschaftliche Existenz im wesentlichen aufgehoben wären. Die funktional vorrangig mitgliedschaftlich bestimmte Aufgabenwahrnehmung wird durch die verhältnismäßig geringe staatliche Regelungsdichte der gesetzlichen Vorgaben bestätigt. Daran ändern einzelne Bereiche geringer Autonomie nichts. Wesentlich für die zu bejahende Grundrechtsträgerschaft ist vielmehr der zu schützende personale und mitgliedschaftliche Lebensbereich. Dies gilt um so mehr, als die Eingriffsintensität durch den RSA existentiell ist. Das personale Substrat von Körperschaften wie der B K K B M W verlangt einen sachbereichlich effektiven Grundrechtsschutz, um unzumutbare Eingriffe in die körperschaftliche Handlungsfreiheit bzw. die negative Vereinigungsfreiheit sowie die Eigentumsgarantie, den allgemeinen Gleichheitssatz und die Berufsfreiheit der Krankenkassen abzuwehren. Nur insoweit kann die gesetzlich geregelte Selbstverwaltungsautonomie gerade in finanzieller Hinsicht gewahrt werden. Im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Grundrechtsträgerschaft der Universitäten und Rundfunkanstalten des öffentlichen Rechts 85 ist auch der vom RSA berührte Lebensbereich körperschaftlicher, vor allem finanzieller Selbstverwaltung „unmittelbar dem durch die Grundrechte geschützten Lebensbereich zuzuordnen". Eine Krankenkasse als juristische Person des öffentlichen Rechts stellt sich im Umfang ihrer maßgeblich privat-mitgliedschaftlichen Selbstverwaltung als Sachwalterin „des Einzelnen bei der Wahrnehmung seiner Grundrechte" 86 dar. Die Rechtsschutzgarantie auch für juristische Personen gemäß Art. 19 Abs. 3 GG würde insoweit verletzt, als wesentlich privaten Funktionen von Vereinigungen im (weiten) Rahmen staatlicher Regelungen der personale Grundrechtsschutz ihrer Mitglieder verwehrt würde. Demnach ist dem Bundesverfassungsgericht zu folgen, welches juristischen Personen des öffentlichen Rechts insoweit Grundrechtsschutz gewährt, als sie nicht Teil der Staatsverwaltung sind 87 . Auf diese „Insoweit-Formel" des Gerichts wird auch im folgenden Bezug genommen. Gerade die wettbewerblichen Öffnungen und die entsprechende Erhöhung der Selbstverwaltungsautonomie deuten auf eine maßgeblich und zuneh85 86 87
BVerfGE 31, 314 (322); 39, 302 (314). Siehe zu diesem Erfordernis der Grundrechtsfähigkeit BVerfGE 61, 82 (103). Siehe BVerfGE 62, 354 (369).
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III. Funktionsbezogene Grundrechtsfähigkeit gesetzlicher Krankenkassen
mend private(re) Funktion der Versicherungsträger 88 hin. In einem System miteinander konkurrierender Einheiten mit dem Ziel kostengünstiger Leistungserbringung 89 kann schwerlich von rein staatlichen Verwaltungseinheiten gesprochen werden, denen kein Grundrechtsschutz zukommt. 90 4. Funktionale Grundrechtsfähigkeit nach dem Sparkassen-Beschluß des Bundesverfassungsgerichts Das Bundesverfassungsgericht verneint in seinem Beschluß zur Grundrechtsfähigkeit öffentlich-rechtlicher Sparkassen 91 zwar, daß die geltend gemachten Grundrechte „ihrem Wesen nach" auf diese Sparkassen anwendbar seien. Aber das Gericht differenziert die Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen des öffentlichen Rechts näher: So würden die Grundrechte zwar „in erster Linie Individualrechte des einzelnen Menschen" sein, also „vorrangig dem Schutz seiner Freiheitssphäre dienen und darüber hinaus eine freie Mitwirkung und Mitgestaltung des Einzelnen im Gemeinwesen sichern." 92 Diese Voraussetzungen erfüllten juristische Personen des Privatrechts regelmäßig 93 , wohingegen die materiellen Grundrechte auf juristische Personen des öffentlichen Rechts grundsätzlich nicht anwendbar seien. Allerdings gibt sich das Bundesverfassungsgericht nicht mit der bloß institutionellen Zuordnung der juristischen Personen zum Staat oder zur Privatheit zufrieden, sondern differenziert die Grundrechtsberechtigung. Danach sei die Grundrechtsfähigkeit öffentlich-rechtlicher juristischer Personen grundsätzlich zu verneinen, aber dies gelte nur, „soweit sie öffentliche Aufgaben wahrnehmen. Denn die Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch juristische Personen des öffentlichen Rechts vollzieht sich in aller Regel nicht in Wahrnehmung unabgeleiteter, ursprünglicher Freiheiten, sondern aufgrund von Kompetenzen, die vom positiven Recht zugeordnet und inhaltlich bemessen und begrenzt sind. Die Regelung dieser Beziehungen und die Entscheidung daraus resultierender Konflikte sind nicht Gegenstand der Grundrechte." 94 Die Krankenkassen jedoch stellen sich als nur mittelbare Staatsverwaltung dar, zudem mit erheblichen Bereichen originärer, vom Gesetzgeber belassener Selbstverwaltung durch Organe der Mitglieder 88
Siehe dazu U. Ramsauer, NJW 1998, S. 481 (484). So die Begründung der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. zum Entwurf eines Gesundheits-Strukturgesetzes vom 05.11.1992, BT-Drucks. 12/3608, S. 74 ff.; vgl. U. Ramsauer, NJW 1998, S. 481 (484). 90 Siehe dazu dezidiert U. Ramsauer, NJW 1998, S. 481 (484). 91 BVerfGE 75, 192 ff. 92 BVerfGE 75, 192 (195). 93 BVerfGE 75, 192 (196), unter Verweis auf BVerfGE 39, 302 (312). 94 BVerfGE 75, 192 (196). 89
4. Grundrechtsfähigkeit nach dem Sparkassen-Beschluß des BVerfG
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bzw. Versicherten. Der Staat hat die öffentlich-rechtliche Körperschaft der Krankenkassen nur dem institutionellen Rahmen nach geregelt und konstituiert. Darüber hinaus ist diese Körperschaft vor allem private Vereinigung ihrer solidarisch vereinigten Mitglieder und Versicherten, welche sich zudem weitgehend selbst verwalten. Hier kommt es auf die Regelungsdichte und -intensität an, die grundsätzlich in der mittelbaren Staatsverwaltung eine andere ist als in der unmittelbaren. Insbesondere die vielfältigen, dargestellten Autonomien der Krankenkassen lassen darauf schließen, daß von einer materiellen „Wahrnehmung unabgeleiteter, ursprünglicher Freiheiten" in staatlich geregeltem bloß formellen Rahmen gesprochen werden kann. Eine Krankenkasse stellt sich mithin auch nach diesem Sparkassen-Beschluß des Bundesverfassungsgerichts materiell-rechtlich und vorrangig als Sachwalterin des Einzelnen 95 mit personalem Substrat 96 dar, so daß insoweit Grundrechtsschutz bestehen muß. Freilich gilt die grundsätzliche Grundrechtsunfähigkeit der Körperschaft nach Maßgabe - aber eben nicht über diese hinaus - ihres staatlich geregelten institutionellen Rahmens. Zur entscheidenden funktionalen, nicht institutionellen Differenzierung der Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen führt das Bundesverfassungsgericht entsprechend der hier vertretenen Dogmatik aus: „Maßgebend für die Frage der Anwendbarkeit der Grundrechte auf juristische Personen des öffentlichen Rechts ist danach nicht die Rechtsform als solche, sondern ob und inwieweit in der Rechtsstellung als juristische Person des öffentlichen Rechts eine Sach- und Rechtslage Ausdruck findet, welche nach dem Wesen der Grundrechte deren Anwendung auf juristische Personen entgegensteht. Es kommt namentlich auf die Funktion an, in der eine juristische Person des öffentlichen Rechts von dem beanstandeten Akt der öffentlichen Gewalt betroffen wird. Besteht diese in der Wahrnehmung gesetzlich zugewiesener und geregelter öffentlicher Aufgaben, so ist die juristische Person zumindest insoweit nicht grundrechtsfähig." 9 7 Insoweit beanspruchen Krankenkassen aber auch keinen Grundrechtsschutz. Dieser läßt sich vielmehr bezüglich unverhältnismäßiger RSA-Belastungen und mithin Verletzungen der privaten Funktionen gemäß der Vereinigungs- bzw. allgemeinen Handlungsfreiheit, der Eigentumsgarantie, der Berufsfreiheit und des allgemeinen Gleichheitssatzes der vereinigten Mitglieder der Krankenkassen geltend machen. Insoweit ist eine Krankenkasse aber Treuhänderin und Sachwalterin der verfassungsmäßigen, genuin noch 95 96 97
Vgl. zu diesem Kriterium BVerfGE 61, 82 (103). Siehe dazu etwa BVerfGE 31, 314 (322); 39, 302 (314). BVerfGE 75, 192 (197), unter Verweis auf BVerfGE 68, 193 (207 f.).
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III. Funktionsbezogene Grundrechtsfähigkeit gesetzlicher Krankenkassen
privaten Rechtspositionen ihrer Mitglieder. Damit wird Grundrechtsschutz nur im Maße der funktionalen Privatheit bzw. der privaten Vereinigung und Selbstverwaltung, eben insoweit nicht Staatlichkeit, dogmatisiert. Dies entspricht der individualrechtlichen Funktion der staatsabwehrenden Grundrechte. Hinsichtlich des RSA sollen die geltend gemachten Grundrechte einer Krankenkasse als selbstverwaltender Sachwalterin der vor allem (zumindest hälftig 9 8 ) privaten Rechtspositionen der Mitglieder zu wirksamem Rechtsschutz befähigen. Dem Zweck des Art. 19 Abs. 3 GG würde jedenfalls nicht entsprochen, wenn die nur institutionell staatlich vereinigten Mitglieder einer B K K ihre materiell verbliebenen, vorrangig privaten Rechtspositionen nicht über ihre Sachwalterin und Treuhänderin schützen könnten. Insoweit soll der Grundrechtsschutz juristischer Personen gemäß Art. 19 Abs. 3 GG mittelbar den Individualgrundrechtsschutz ermöglichen. 5. Grundrechtsfähigkeit bezüglich Art. 14 Abs. 1 G G nach der Rechtsprechung des Bayerischen Landessozialgerichts Das Bayerische Landessozialgericht hat zum RSA-Verfahren der Siemens-B K K in einem Beschluß vom 13.02.1998 - Az.: L 4 Β 431/97.Kr-VR - dieser B K K die Grundrechtsfähigkeit nicht vollumfänglich abgesprochen. Vielmehr bestätigt dieses Gericht die hier vorgetragene Dogmatik, daß analog zu den öffentlich-rechtlichen Universitäten und Rundfunkanstalten auch anderen juristischen Personen des öffentlichen Rechts Grundrechte insoweit zustehen, als ihnen spezifisch grundrechtlich geschützte Handlungsbereiche zuzuordnen sind. So schirmen die öffentlich-rechtlich organisierten Universitäten, die sich auf Art. 5 Abs. 3 GG stützen können, ihre körperschaftliche Autonomie und Selbstverwaltung als ihre Freiheit der Forschung und Lehre gegen den Staat im engeren Sinne ab. Dies ist im Falle der Krankenkassen analog für die genuin selbstverwalteten mitgliedschaftlichen, letztlich privaten Funktionen zu bejahen. Diese Krankenkassen können sich auf die ihre Selbstverwaltung schützende allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG stützen. Die auch oder sogar vor allem privaten und korporativen Handlungsbereiche dieser Selbstverwaltungseinheiten dürfen nicht ohne allen Grundrechtsschutz bleiben. Die Krankenkassen beanspruchen insofern Grundrechtsschutz vor allem aus Art. 2 Abs. 1 bzw. Art. 9 Abs. 1, aber auch aus Art. 3 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG. Das Bayerische Landessozialgericht führt dazu aus: „Zwar können sich juristische Personen des öffentlichen Rechts grundsätzlich nicht auf Grundrechte berufen, aber einzelne Grundrechte sichern die Autonomie bestimmter öffentlich-rechtlicher Einrichtungen ge98
Siehe dazu S. 109 ff.
6. Verfehltheit der Dogmatik von der pauschalen Grundrechtsunfähigkeit
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genüber dem Staat und stehen daher diesen Einrichtungen auch als subjektives Recht zu. Im vorliegenden Fall wird die Antragstellerin als Treuhänderin sozialversicherungsrechtlicher Rechtspositionen der Beitragszahler tätig." 9 9 Das Bayerische Landessozialgericht geht sogar soweit, der Siemens-BKK den spezifischen Grundrechtsschutz aus Art. 14 Abs. 1 GG zuzusprechen. Jedenfalls überzeugt das Bayerische Landessozialgericht mit seiner Begründung einer speziellen Grundrechtsfähigkeit einer Betriebskrankenkasse aus Art. 14 Abs. 1 GG, indem es die staatsabwehrende, die Privatheit schützende Funktion dieser Grundrechtsnorm herausstellt. Dies gilt auch für eine Krankenkasse als „Treuhänderin sozialversicherungsrechtlicher Rechtspositionen der Beitragszahler": „Diese sozialversicherungsrechtlichen Positionen fallen unter die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG, da sie auf nicht unerheblichen Eigenleistungen der Versicherten beruhen und zudem der Sicherung ihrer Existenz dienen können." 1 0 0 Das Gericht stützt sich hierbei auf eine gefestigte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 101 , aber auch auf rechtswissenschaftliche Literatur 1 0 2 . 6. Die Verfehltheit der Dogmatik von der pauschalen Grundrechtsunfähigkeit des institutionell differenzierten Staates Zudem ist an dieser Stelle nochmals der verfehlten Argumentation entgegenzutreten, „der Staat" könne nicht gleichzeitig Adressat und Berechtigter der Grundrechte sein. Dem widerspricht schon der Wortlaut in Art. 19 Abs. 3 GG, welcher den Grundrechtsschutz juristischer Personen nicht allein auf solche des Privatrechts beschränkt. 103 Das Bundesverfassungsgericht hat demgemäß in einer Grundsatzentscheidung betont, daß die Grundrechte weithin auf juristische Personen anwendbar seien. 104 Jedoch müssen die Grundrechte „ihrem Wesen nach" auf juristische Personen anwendbar sein, wie Art. 19 Abs. 3 GG einschränkend klarstellt. Die objektiv-rechtliche Dimension der Grundrechte verweist jedoch auf eine objektive Wertordnung 105 , welche über die rein abwehrrechtliche Dimension, bürgerliche Freiheit unmittelbar gegen den Staat zu schützen, weit hinausgeht. So sind 99
BayLSG, L 4 Β 431/97.Kr-VR, http://www.baylsg.de/urteile/b431-97v.htm, S. 5. Http://www.baylsg.de/urteile/b431 -97v.htm, S. 5. 101 BVerfGE 69, 272 (300); 72, 9 (19); 76, 220 (235). 102 D. Merten, Verfassungsrechtliche Grundlagen, in: Schulin HS-KV, § 5 Rn. 67 ff. 103 Vgl. H. Krüger, in: M. Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 2. Aufl., 1999, Art. 19 Rn. 81. 104 BVerfGE 21, 362 (369 ff.). 105 Vgl. schon BVerfGE 7, 198 (205). Siehe auch Κ Hesse, Verfassungsrechtsprechung im geschichtlichen Wandel, JZ 1995, S. 265 (266 f.); H. Sodan, Freie Berufe als Leistungserbringer im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung. Ein verfas100
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III. Funktionsbezogene Grundrechtsfähigkeit gesetzlicher Krankenkassen
mit der verfassungsmäßigen, systematischen Wertordnung institutionelle Garantien erfaßt, so die Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 G G ) 1 0 6 , aber auch die Vereinigungsfreiheit (Art. 9 Abs. 1 GG) oder die kommunale Selbstverwaltung (Art. 28 Abs. 2 GG). Die änderungsfesten (Art. 79 Abs. 3 GG) Strukturprinzipien des föderalen Bundesstaats und des institutionell gewaltengeteilten Rechtsstaats sind verfassungsmäßig verankert. Dementsprechend müssen diese Institute rechtlich - in speziellen Handlungsbereichen grwrtdrechtlich - geschützt sein, wie dies für die Universitäten in Art. 5 Abs. 3 und für die Kommunen in Art. 28 Abs. 2 GG umgesetzt ist. Demnach muß sich ein effektives (Grund-)Rechtsschutzbedürfnis nicht nur nach der abwehrrechtlichen Funktion bestimmen lassen, sondern allgemein nach der Funktion, die verfassungsmäßige (Wert-)Ordnung insgesamt zu schützen. Demgemäß dienen die Grundrechte nicht nur dem Bürger und seinem status negativus gegen den Staat, sondern auch juristischen Personen, soweit die verfassungsmäßige Institutionen- und Rechtsordnung gewahrt werden muß. Diesem Wesen der Grundrechte, dieser objektiv-rechtlichen, institutionellen Gewähr durch das Grundgesetz, dienen demnach auch etwa die Art. 106 und 107 GG, sofern die finanzielle Eigenständigkeit der Gemeinden und damit ihre institutionelle SWfofVerwaltung (Art. 28 Abs. 2 GG) geschützt wird. Der objektiv-rechtlich angelegten Freiheitsordnung des Grundgesetzes dienen Art. 14 Abs. 1 GG oder Art. 9 Abs. 1 GG (bzw. Art. 2 Abs. 1 GG), sofern in öffentlich-rechtliche Krankenversicherungsträger inkorporierte Bürger ihre körperschaftliche Eigenständigkeit und Selbstverwaltung sowie ihr beitragsgespeistes Eigentum gegen (unverhältnismäßige) Eingriffe anderer juristischer Personen des öffentlichen Rechts schützen können. So müssen um der institutionell gewaltengeteilten Staatsorganisation willen, also auch um durch Gewaltenteilung geschützter bürgerlicher Freiheit willen, juristischen Personen (Grund-)Rechte im Maße ihrer „Instituts"garantie zukommen. Dies bestätigt mithin die institutionell die Eigenständigkeit und Selbstverwaltung einer B K K ihrer privaten Mitglieder schützende Grundrechtsfähigkeit bezüglich der Art. 2 Abs. 1 (bzw. Art. 9 Abs. 1), Art. 3 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG.
sungs- und verwaltungsrechtlicher Beitrag zum Umbau des Sozialstaates, 1997, S. 51, 76. 106 Vgl. hierzu BVerfGE 20, 162 (175); 48, 367 (374).
7. Grundrechtsschutz, soweit die Grundrechte anwendbar sind
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7. Der funktionale Grundrechtsschutz von Körperschaften, soweit die Grundrechte „ihrem Wesen nach" auf diese anwendbar sind Die Grundrechte gelten demnach gemäß Art. 19 Abs. 3 GG auch für eine juristische Person des öffentlichen Rechts, soweit sie ihrem institutionellen Wesen gemäß auf diese anwendbar sind. Dies wird am Beispiel der öffentlich-rechtlichen Universitäten besonders deutlich. Die undifferenzierte Entziehung der Grundrechtsfähigkeit und damit eines effektiven Rechtsschutzes bezüglich der RSA-Belastungen gegenüber einer Krankenkasse verkennt die institutionelle Rechtsschutzbedürftigkeit separierter staatlicher Einheiten gegeneinander. Jedenfalls geht die Dogmatik einer bloß abwehrrechtlichen, privatheitlichen Funktion der Grundrechte an der objektivrechtlichen, institutionellen Dimension dieser Rechte vorbei. Zudem verkennt sie den untrennbaren Zusammenhang von subjektiver und objektiver, auch institutioneller Funktion der Grundrechtsordnung. So ist ohne einen die institutionelle Selbständigkeit der Krankenkassen schirmenden subjektiven Grundrechtsschutz insbesondere die Eigentumsgarantie verletzt, und zwar subjektiv- wie objektiv-rechtlich. Das Bundesverfassungsgericht betont jedoch diesen unverkennbaren Zusammenhang, wenn es auch die objektive Wertordnung nicht vom subjektiv-rechtlichen Kern der Grundrechte loslöst: „Die Funktion der Grundrechte als objektiver Prinzipien besteht in der prinzipiellen Verstärkung ihrer Geltungskraft" 107 . Ohne institutionelle Grundrechtsfunktionen liefe zudem die institutionelle Gewaltenteilung leer, also ein wesentliches grundrechts- und freiheitssicherndes Fundament des Rechtsstaats. Dies entspräche aber sicher nicht dem „Wesen" der Grundrechte, wie es Art. 19 Abs. 3 GG zur Bedingung einer analogen Anwendung auf juristische Personen macht. Die pauschale Versagung von Grundrechtsfähigkeit des „Staats" überzeugt insoweit nicht. Angesichts vielfältiger institutioneller Unterscheidungen des Staatsorganisationsrechts, so zwischen Staat im engeren Sinne und Staat im weiteren Sinne oder zwischen unmittelbarer und mittelbarer Staatsverwaltung, muß eine nähere Differenzierung des Begriffs „Staat" vorgenommen werden. Die vertikal wie horizontal gewaltengeteilte Staatsorganisation kann nicht schlicht als (homogener) „Staat" qualifiziert werden. Vielmehr kommen den vielfältig differenzierten staatlichen Einheiten Garantien und Rechte gerade auch gegeneinander zu, so etwa den öffentlich-rechtlichen Universitäten bezüglich ihres Grundrechts aus Art. 5 Abs. 3 GG. Dies gilt aber für vielfältige, die grundgesetzliche Staatsorganisation sichernde verfassungsmäßige Rechte und auch Grundrechte von juristischen Personen des öffent107
S. 54.
BVerfGE 50, 290 (337); vgl. auch BVerfGE 61, 82 (100); H. Sodan (Fn. 105),
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III. Funktionsbezogene Grundrechtsfähigkeit gesetzlicher Krankenkassen
liehen Rechts. Die Vorschriften der Finanzverfassung oder Kompetenzverteilung dienen insofern der Wahrung dieser rechtsstaatlich differenzierten Staatsorganisation, insbesondere der Autonomie und Eigenständigkeit verselbständigter Einheiten. Dies gilt insbesondere für die mittelbare, also ohnehin stärker vom unmittelbaren Staatsaufbau getrennte Staatsverwaltung, also auch für die Krankenkassen. So sind die Länder kompetentiell und organisationsrechtlich vom Bund abgegrenzt. Entsprechend deklariert Art. 28 Abs. 1 GG eine Bundesgarantie der Landesverfassungen und Prinzipien des föderalen, vertikal gewaltengeteilten Bundesstaats. Dieses Strukturprinzip der Bundesrepublik Deutschland ist vor allem im Art. 20 Abs. 1 GG zementiert, der gemäß Art. 79 Abs. 3 GG änderungsfest ist. Aber auch in der Finanzverfassung der Art. 104 a ff. GG oder der Kompetenzordnung der Art. 70 ff. GG und vielen anderen Verfassungsbestimmungen lassen sich rechtliche Garantien und ein entsprechender Rechtsschutz 108 der Länder als juristischer Personen des öffentlichen Rechts belegen. Diese Garantien stehen den Ländern zum Schutz ihrer Autonomie und Eigenständigkeit als subjektive öffentliche Rechte zu. Ebenso konstituiert Art. 28 Abs. 2 GG das subjektive öffentliche Recht der Gemeinden bzw. Gemeinde verbände auf die Selbstverwaltung ihrer Angelegenheiten. Auch diese staatsorganisationsrechtliche Abgrenzung und Verselbständigung wird etwa durch finanzverfassungsrechtliche Vorschriften abgesichert (Art. 106 und 107 GG). Diese institutionellen Garantien kommen mittels der Grundrechte den Bürgern selbst in deren Vereinigungen und Korporationen, aber auch Körperschaften zu, soweit dadurch institutionelle Selbständigkeit gewahrt wird. Die Grundrechte sollen hiermit der Abwehr der Eingriffe anderer staatlicher Institutionen dienen, so daß auch Eingriffe in körperschaftliche Rechtspositionen, die doch Rechtspositionen der vereinten Mitglieder bleiben, an Grundrechten und dem rechtsstaatlichen Verhältnismäßigkeitsprinzip zu messen sind. In ihrer institutionellen, objektiv-rechtlichen Funktion finden die Grundrechte die Ergänzung ihrer Abwehrfunktion. 109 Analog den explizit bundesstaatliche Institutionen schützenden Verfassungsgarantien dienen die Grundrechte ferner dem institutionellen Schutz bürgerlicher Korporationen und auch Körperschaften mit ihrer vereinigungsmäßigen sowie eigentumsmäßigen Selbstverwaltung. Diese Selbstverwaltung und bürgerliche Autonomie steht nicht beliebig zur Disposition des Sozialgesetzgebers, da sonst die Grundrechte der (zwangs-)vereinigten Mitglieder leerliefen, vor allem aber die unantastbare Wesensgehaltsgarantie 108 109
Vgl. etwa Art. 93 Abs. 1 Nr. 2, 3, 4 GG. Siehe //. Sodan (Fn. 105), S. 51 ff.
8. Grundrechtsschutz mittelbar über die Mitglieder
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(Art. 19 Abs. 2 GG) verletzt würde. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner ständigen Rechtsprechung für juristische Personen des öffentlichen Rechts einen „durch bestimmte Grundrechte geschützten Lebensbereich" festgestellt. 110 Hinsichtlich der Grundrechte der vereinigten Mitglieder kann es nicht allein auf den privat- oder öffentlich-rechtlichen Rahmen dieser Selbstverwaltung ankommen, die grundrechtlich (freiheitlich) gesehen doch vorrangig Selbst-Verwaltung bleiben muß. Vielmehr ist die Funktion entscheidend. Nicht ungefähr hat der Deutsche Juristentag im Jahre 1984 nach ausführlicher Diskussion beschlossen: „Die Grundrechtsfähigkeit der Sozialversicherungsträger ist zu bejahen." 111 8. Grundrechtsschutz mittelbar über denjenigen der Mitglieder Wollte man trotz allem die unmittelbare Grundrechtsfähigkeit der Krankenkassen verneinen, müßte mittelbar doch auf jeden Fall ein effektiver Grundrechtsschutz im Sinne von Art. 19 Abs. 4 G G 1 1 2 gewährt werden. Die Mitglieder öffentlich-rechtlicher Zwangsvereinigungen können nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts 113 „von dem Verband die Einhaltung der Grenzen verlangen ..., die seinem Tätigwerden durch die gesetzlich normierte Aufgabenstellung gezogen sind"; dies „folgt insbesondere aus Art. 2 Abs. 1 GG, der nicht nur das Recht gewährt, von der Mitgliedschaft in einem , unnötigen4 Verband verschont zu bleiben, sondern dem einzelnen Mitglied auch ein Abwehrrecht gegen solche Eingriffe des Verbandes in seine Handlungsfreiheit einräumt, die sich nicht im Wirkungskreis legitimer öffentlicher Aufgaben halten oder bei deren Wahrnehmung nicht dem Gebot der Verhältnismäßigkeit entsprochen wird". Insoweit haben die Mitglieder der Krankenkassen das Recht auf eine funktionsgerechte Verwendung ihrer Beiträge. 114 Die freiwillig gerade in der betrieblichen,
110
Vgl. etwa BVerfGE 31, 314 (322); 39, 302 (314); siehe auch H. Krüger, in: M. Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 2. Aufl., 1999, Art. 19 Rn. 83. 111 Siehe Verhandlungen des 55. Deutschen Juristentages Hamburg 1984, Bd. II (Sitzungsberichte), 1984, S. Ν 217, Nr. 11. 112 Siehe zur Erstreckung des Art. 19 Abs. 4 GG nach Systematik und Teleologie lediglich auf Grundrechte jetzt C. Pestalozza, Art. 19 IV GG - nur eine Garantie des Fachgerichtsweges gegen die Verletzung von Bundesgrundrechten i.S. der Art. 1-17 GG, NVwZ 1999, S. 140 ff. 113 Siehe BVerwGE 64, 115 (117); 64, 298 (301); vgl. auch BVerwGE 34, 69 (74); 59, 231 (238); 59, 242 (245); OVG Münster, DVB1. 1995, S. 433 (434). Siehe dazu näher H. Sodan, in: ders./J. Ziekow, Nomos-Kommentar zur Verwaltungsgerichtsordnung, Bd. I, § 42 Rn. 445 (Stand der Kommentierung: Januar 1996).
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III. Funktionsbezogene Grundrechtsfähigkeit gesetzlicher Krankenkassen
gruppenhomogenen Krankenkasse der B M W A G korporierten Mitglieder haben demgemäß auch das Recht auf eine verhältnismäßige, im Hinblick auf gesetzliche Zwecke erforderliche und zumutbare Verwendung ihrer Beiträge. Von einer funktionalen Mittelverwendung kann jedoch angesichts einer durchschnittlichen Belastung durch den RSA von über 40% ebenso wenig ausgegangen werden wie von einer entsprechenden Verhältnismäßigkeit. Der effektive Grundrechtsschutz der Mitglieder der B K K B M W aus Art. 2 Abs. 1 GG würde jedoch maßgeblich verkürzt, wenn der Körperschaft dieser Mitglieder kein Grundrechtsschutz hinsichtlich der disfunktionalen, unverhältnismäßigen Belastungen durch den RSA zukäme. Die mitgliedschaftlichen Grundrechtspositionen erfordern zwingend (mittelbar) eine entsprechende Grundrechtsposition der Vereinigung. Daran ändert die öffentlich-rechtliche Institutionalisierung nichts. Spräche man einer Krankenkasse als der Vereinigung ihrer Mitglieder einen solchen mittelbaren Grundrechtsschutz ab, würde jede Zuweisung öffentlicher Aufgaben die Grundrechtsfähigkeit betroffener Personen aufheben. Damit wäre jedoch die klassische staatsabwehrende, also auch Zwangskorporierungen abwehrende Funktion der Grundrechte verletzt. Vielmehr sind die Mitglieder mit bestimmter Intensität staatlicher Aufgabenzuweisung zwangsvereinigt; dies bedarf der Legitimation und insbesondere der Verhältnismäßigkeit dieses Eingriffs. Angesichts der umfassenden Reichweite der allgemeinen Handlungsfreiheit und deren Funktion als grundrechtlicher Auffangnorm kommt in keinem Fall in Betracht, einer Krankenkasse als der Vereinigung ihrer Mitglieder insoweit den Grundrechtsschutz aus Art. 2 Abs. 1 GG völlig zu entziehen. Gerade ein Auffanggrundrecht muß in jedem Falle, unmittelbar über eine Krankenkasse oder mittelbar über die Mitglieder, ein unverletzlicher Kernbereich schützen. Dieser ist gegenüber jedem staatlichen, auch zwangssolidarischen Eingriff gemäß Art. 79 Abs. 3 i.V.m. Art. 19 Abs. 2 GG unverletzlich und verfassungsfest. Um wieviel mehr der Wesensgehalt der allgemeinen Handlungsfreiheit der Mitglieder sozialgesetzgebungsfest ist, erweisen aber auch die Art. 1 Abs. 2 und 3 GG. Die in den Grundrechten materialisierten, unverletzlichen Menschenrechte binden die Sozialgesetzgebung, welche sich nur auf das offene Strukturprinzip des Sozialstaats, nicht aber auf entsprechend hochrangige Grundrechte stützen kann. Insofern ist von einem strikten Grundrechtsvorbehalt des sozialrechtlichen Solidarprinzips zu sprechen. Das sozialrechtliche Prinzip der Globaläquivalenz darf das grundrechtlich verankerte Prinzip der Versicherung und entsprechender Äquivalenz von Beitrag und Leistung nur verhältnismäßig und gerechtfertigt, nicht aber unbegrenzt modifizieren. Solidarität im Sinne des § 1 SGB V findet insbesondere und sachgemäßer auf betrieblicher Ebene 114
H. Sodan (Fn. 105), S. 338; ders., Der „Beitrag" des Arbeitgebers zur Sozialversicherung für geringfügige Beschäftigungsverhältnisse, NZS 1999, S. 105 (113).
8. Grundrechtsschutz mittelbar über die Mitglieder
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einer Krankenkasse statt, ebenso Eigenverantwortung. Ein die Krankenkassen ruinierender RSA würde eben diese wirkliche, nicht unüberschaubar bundesweite „Solidargemeinschaft" beenden, sofern der Krankenkasse bzw. deren Mitgliedern kein Grundrechtsschutz gewährt würde, welcher einen letzten Kern des betriebs-solidarischen Äquivalenzprinzips wahrt. Dementsprechend darf das Wesen wirklicher Selbstverwaltung der Mitglieder nicht angetastet werden.
IV. Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit 1. Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 G G Die durch den RSA betroffenen Krankenkassen sind durch die Verletzung ihrer verfassungsmäßigen Rechte aus Art. 2 Abs. 1 GG beschwert. Das Bundesverfassungsgericht versteht seit dem Elfes-Urteil 115 dieses Grundrecht als Gewährleistung der allgemeinen Handlungsfreiheit. Dieses allgemeine Auffanggrundrecht ist angesichts der weiten Interpretation der „verfassungsmäßigen Ordnung" im Sinne der „allgemeinen Rechtsordnung" ein Grundrecht darauf, „nur aufgrund solcher Vorschriften mit einem Nachteil belastet zu werden, die formell und materiell der Verfassung gemäß sind." 1 1 6 Eine fragliche Schrankenbestimmung durch Gesetz- oder Verordnungsgebung muß sich also auf ihre formelle wie materielle Verfassungsmäßigkeit hin prüfen lassen; sie stößt insofern auf verschiedene SchrankenSchranken. Vor dieser Prüfung der den Bescheiden des B V A zugrundeliegenden Bestimmungen zum RSA auf Verfassungsmäßigkeit ist jedoch zu klären, ob die Krankenkassen Trägerinnen dieses allgemeinsten Grundrechts sind. Da der Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG überhaupt nur in Frage kommt, wenn kein spezieller grundrechtlicher Schutzbereich einschlägig ist, bedarf es zuvor einer Untersuchung der möglichen Grundrechtsbetroffenheit einer Krankenkasse bezüglich der Vereinigungsfreiheit des Art. 9 Abs. 1 GG. 2. Zur Einschlägigkeit von Art. 9 Abs. 1 GG Als Folge der Zwangskorporierung des größten Teils der Versicherten können die Krankenkassen dasjenige Grundrecht geltend machen, welches durch die weitere Inpflichtnahme der Mitglieder betroffener Krankenkassen durch den RSA berührt ist. Die grundrechtliche Freiheit von Körperschaften bzw. deren Mitgliedern, sich gegen eine weitergehende staatliche Inkorporierung zu schützen, bemißt sich nach dem entsprechenden Grundrechtsschutz gegen staatliche Zwangsvereinigung überhaupt.
115
BVerfGE 6, 32 (36 ff.); vgl. vor allem auch BVerfGE 80, 137 (152 ff.). BVerfGE 29, 402 (408); vgl auch BVerfGE 6, 32 (37 f.); 7, 111 (119); 12, 296 (308); 19, 253 (257); 20, 150 (154); 26, 1 (7); 31, 222 (229); 42, 374 (385); 50, 256 (262); 80, 137 (153). 116
2. Zur Einschlägigkeit von Art. 9 Abs. 1 GG
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Zwar gewährt Art. 9 Abs. 1 GG das positive Recht, an Vereinigungen einschließlich ihrer Tätigkeiten teilzuhaben, sowie das negative Recht, insofern nicht vereinigt zu sein (negative Vereinigungsfreiheit) 117 . In klassisch staatsabwehrender Funktion der Grundrechte schützt die Vereinigungsfreiheit aber auch davor, im Hinblick auf die Ausübung dieser spezifisch korporativen Freiheit staatlich belastet zu werden. Andererseits ist in Judikatur und Schrifttum umstritten, ob eine Freiheit von staatlicher Inkorporation bzw. Zwangsmitgliedschaft dem speziellen Art. 9 Abs. 1 oder dem subsidiären Art. 2 Abs. 1 GG zuzuordnen ist. Bundesverfassungsgericht 118, Bundesverwaltungsgericht 119 und Bundessozialgericht 120 gehen in ständiger Rechtsprechung davon aus, daß Pflichtmitgliedschaften in öffentlich-rechtlichen Körperschaften am Maßstab des Art. 2 Abs. 1 GG zu messen seien. Art. 2 Abs. 1 GG soll also das Recht beinhalten, öffentlich-rechtlichen Zwangsvereinigungen nicht angehören zu müssen. Solche Vereinigungen ließen hingegen das Recht auf freie Verbandsbildung aus Art. 9 Abs. 1 GG von vornherein unberührt. Dieser Ansicht folgt weitgehend auch das Schrifttum 121 . Allerdings weicht ein erheblicher Teil der Literatur davon ab122. Danach würde durch öffentlich-rechtliche Zwangskorporierung die sog. negative Vereinigungsfreiheit im Sinne einer Freiheit, einer Vereinigung fern bleiben zu können, beschränkt. Infolgedessen sei das spezielle Vereinigungsgrundrecht des Art. 9 Abs. 1 GG berührt. Dem diene gerade die Funktion dieses Grundrechts, die „Freiheit privatautonomer Selbstorganisa117 Vgl. H. Sodan, Berufsständische Zwangsvereinigung auf dem Prüfstand des Grundgesetzes, 1991, S. 23 ff. 118 Vgl. BVerfGE 10, 89 (102); 15, 235 (239); 32, 54 (63 f.); 44, 70 (89); 53, 313 (326); 78, 320 (329 f.); 89, 365 (376); 92, 53 (69). 119 Siehe BVerwG, NJW 1962, S. 1311 (1312); BVerwGE 32, 308 (311 f.); 39, 100 (102 f.); 42, 210 (217); 64, 115 (117); 80, 334 (336 f.). 120 Vgl. BSGE 25, 170 (176); 26, 255 (261); 31, 136 (138 f.). 121 Siehe etwa E. R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Bd. I, 2. Aufl., 1953, S. 198 ff.; D. Merten, Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, JuS 1976, S. 345 (349); P. Kunig, in: I. v. Münch/P. Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, 5. Aufl., 2000, Art. 2 Rn. 29. Stichwort „Zwangsverband"; H.-U. Erichsen, Allgemeine Handlungsfreiheit, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VI, 1989, § 152 Rn. 68 ff. 122 So etwa R. Scholz, Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, 1971, S. 272 f.; ders., Das Grundrecht der freien Entfaltung der Persönlichkeit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, AöR 100 (1975), S. 80 (124 f.); A. v. Mutius, Grundrechtsschutz vor öffentlich-rechtlichen Zwangszusammenschlüssen, VerwArch. 64 (1973), S. 81 (82 ff.); K. Rode, Negative Vereinigungsfreiheit und Zwangsmitgliedschaft in öffentlichen Körperschaften, DÖV 1976, S. 841 (844 ff.); D. Jung, Rechtsfragen der Mitgliedschaft in öffentlich-rechtlichen Zwangsverbänden, JA 1984, S. 467 (468); K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl., 1995, Rn. 414. 4 Sodan/Gast
50
IV. Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit
tion" zu schützen. Die öffentlich-rechtliche Zwangsvereinigung sei demgegenüber „die wohl stärkste Form des Eingriffs in die Vereinigungsfreiheit", weil der Tatbestand dieser Freiheit „schon durch die staatliche Organisationsgewalt selbst ausgeschaltet" werde 1 2 3 . Nach dieser Logik kann es nicht auf staatliche Institutionalisierung und auf bloße Rechtsformen ankommen, sondern auf den spezifischen sachlichen Schutzbereich, welcher die freie soziale Gruppenbildung gerade gegen staatliche Korporierungen und Eingriffe in die privatautonome Vereinigung schützen soll. Maßgeblich ist der grundrechtlich abgeschirmte Lebensbereich. Aus den kontroversen Ausgangspositionen 124 werden allerdings im Regelfall keine unterschiedlichen Konsequenzen gezogen, so daß die Anwendung von Art. 9 Abs. 1 GG grundsätzlich zum gleichen Ergebnis führt wie der Weg über Art. 2 Abs. 1 G G . 1 2 5 Dies muß jedoch bei der Auslegung des Grundrechtsschutzes und der Schrankenproblematik des Art. 2 Abs. 1 GG berücksichtigt werden, um einen effektiven, die autonome soziale Gruppenbildung wahrenden Grundrechtsschutz zu erreichen.
3. Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs Die Verfassung überträgt zwar dem Gesetzgeber durch den Schrankenvorbehalt der „verfassungsmäßigen Ordnung" in Art. 2 Abs. 1 Halbs. 2 GG Befugnisse zur Begrenzung der allgemeinen Handlungsfreiheit. Gesetzliche Vorschriften vermögen aber nur dann dieses Auffanggrundrecht wirksam einzuschränken, wenn sie in materieller Hinsicht insbesondere das Verhältnismäßigkeitsprinzip wahren und den jeweiligen grundrechtlichen Wesensgehalt gemäß Art. 19 Abs. 2 GG nicht antasten sowie in formeller Hinsicht mit den kompetenzrechtlichen Vorgaben der Verfassung vereinbar sind 1 2 6 . a) Fehlen der Gesetzgebungskompetenz des Bundes Die Kompetenz des Bundesgesetzgebers für die Normierung eines solch weitreichenden „Ausgleichs der Risikostrukturen" stößt bereits auf schwerwiegende Einwände. Dem Bundesgesetzgeber könnte eine diesbezügliche 123
R. Scholz, AöR 100 (1975), S. 80 (124 f.). Siehe zu deren Diskussion H. Sodan (Fn. 117), S. 23 ff. 125 Ygi e t w a β Jäkel, Voraussetzungen und Grenzen der Zwangsmitgliedschaft in öffentlich-rechtlichen Körperschaften, DVB1. 1983, S. 1133 (1136); H. Sodan (Fn. 105), S. 327. 124
126
Vgl. etwa BVerfGE 6, 32 (37 f.); 19, 253 (257); 29, 402 (408); 50, 256 (262); 80, 137 (153); R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 3. Aufl., 1996, S. 347 ff.; M. Sachs, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 1996, vor Art. 1 Rn. 109; B. Pieroth/B. Schlink, (Fn. 48), Rn. 277.
3. Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs
51
Zuständigkeit innerhalb der konkurrierenden Gesetzgebung aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG zukommen. Die „Sozialversicherung" als Regelungsgegenstand dient dem Schutz des Einzelnen vor elementaren Lebensrisiken wie Unfall, Krankheit, Arbeitslosigkeit oder Alter. Die schwere A b s e t z barkeit und Abdeckbarkeit dieser Risiken hat zu einer entsprechenden Solidargemeinschaft der Schutzbedürftigen geführt. Diese ursprüngliche Rechtfertigung ist allerdings faktisch verlorengegangen. Die Tendenz zur Einheits- bzw. Volksversicherung ist unübersehbar, aber verfassungsrechtlich bedenklich. 127 Zum Teil wird die Erforderlichkeit der GKV grundsätzlich in Frage gestellt. 128 Diese Sozialversicherung ist durch die Prinzipien der Äquivalenz von Beitrag und Leistung sowie durch das Sozial(staats)prinz i p 1 2 9 gekennzeichnet. Die grundrechtlich gebotene hinreichende Äquivalenz 1 3 0 darf nicht unzumutbar verletzt werden. Keinesfalls aber ist das Sozial(staats)prinzip - auf verfassungsrechtlicher Ebene lediglich adjektivisch in den Art. 20 Abs. 1, Art. 23 Abs. 1 und Art. 28 Abs. 1 GG verankert - allein maßgeblich. Dies würde auch dem Gedanken der Eigenverantwortung des § 1 SGB V widersprechen, welche in einer Wirtschafts- und Sozialverfassung der sozialen Marktwirtschaft 131 tragender Grundsatz bleiben muß. 1 3 2 Das entscheidende Kriterium der Schutzbedürftigkeit als Legitimation für sozialstaatliche Eingriffe in die Rechte Dritter wird zudem meist verkannt. Die Beiträge zur Sozialversicherung richten sich nach der Leistungsfähigkeit. 1 3 3 Die Sozial Versicherungsbeiträge sind finanzrechtliche Sonderlasten, nicht aber allgemein und gleichmäßig belastende Steuern im Sinne der Regelungen der Art. 105 ff. G G . 1 3 4 Solche Sonderlasten müssen ihre Legitimation aber gerade vor der Verfassung nachweisen, zumal sich eine ungleichmäßige Auferlegung von Geldleistungspflichten an Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 14 Abs. 1 bzw. Art. 2 Abs. 1 G G 1 3 5 messen lassen 127
(268).
Vgl. dazu H. Sodan (Fn. 105), S. 323 ff.; ders./O.
Gast, NZS 1999, S. 265
128 Siehe etwa B. Schulin, in: Schulin HS-KV, § 6 Rn. 37; vgl. insb. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 1992/93, BT-Drucks. 12/3774, Ziff. 388. 129 Vgl. zum Sozial(staats)prinzip etwa Κ. A. Schachtschneider, Das Sozialprinzip, 1974, passim; D. Merten, Verfassungsrechtliche Grundlagen, in: Schulin HSKV, § 5 Rn. 114; M. Sachs, Kommentierung des Art. 20, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 2. Aufl., 1999. 130 Vgl. zum Hälftigkeitsgrundsatz S. 108 ff. 131 Siehe dazu näher H. Sodan, Vorrang der Privatheit als Prinzip der Wirtschaftsverfassung, DÖV 2000, S. 361 ff. 132 Siehe //. Sodan/O. Gast, NZS 1998, S. 497 (505). 133 Vgl. etwa D. Merten, in: Schulin HS-KV, § 5 Rn. 114. 134 Siehe näher H. Sodan, NZS 1999, S. 105 (109 ff.). 4*
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IV. Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit
muß. Der Bund darf hinsichtlich des Gegenstandes Sozialversicherung keine inhaltliche Verschiebung dieses Regelungsbereiches vornehmen. Zu Recht verlangt das Bundesverfassungsgericht den „verfassungsrechtlichen Gattungsbegriff 4 der Sozialversicherung, indem wesentliche Strukturelemente dem Bild entsprechen müssen, „das durch die »klassische' Sozialversicherung geprägt i s t " 1 3 6 . Insofern müßten die Merkmale der Versicherung, des Schutzes in individuellen Notlagen und der Versorgung erfüllt sein. Insbesondere das Prinzip der Versicherung wird jedoch verletzt, weil das versicherungswesentliche Äquivalenzprinzip durch den RSA noch weitgehender als bisher ausgehöhlt wird. Dies ist für den Durchschnitt der Versicherten etwa der B K K B M W gezeigt worden; danach beträgt die Belastung durch den RSA im Jahre 1997 43,14% (West) bzw. 62,08% (Ost). Für einzelne Mitglieder erreicht die entsprechende Belastung durch die nicht geeigneten, nicht gerechtfertigten Finanztransfers eine erheblich größere Höhe. Auch hier ist der die Äquivalenz einer „Versicherung" zumindest zu 50% wahrende Hälftigkeitsgrundsatz 137 verletzt. Der Schutz in individuellen Notlagen wird durch die Einführung von Finanztransfers zudem nicht berührt. Vielmehr dürfte durch das Ausscheiden wettbewerbsfähiger Krankenkassen infolge des RSA die Wirtschaftlichkeit der GKV nicht gerade zunehmen. Der Vorbehalt finanzieller Stabilität dieses sozialen Systems 138 ist damit jedoch verletzt, zumal auch die Wettbewerbsverzerrungen durch den RSA der Wirtschaftlichkeit entgegenwirken. Ebenso wird das Merkmal der Versorgung nicht durch einen RSA erfüllt. Dieser dient lediglich der Schaffung einer Volksversicherung und einer Einheitskasse, welche sich finanziell selbst trägt. Zu diesem Zweck werden nicht schutzbedürftige „Besserverdienende" zwangssolidarisiert. Der Staat, welcher die GKV gemäß Art. 120 Abs. 1 Satz 4 GG subsidiär finanzieren müßte, entzieht sich somit seiner finanziellen Verantwortung. Staatliche, allgemeine Aufgaben wie der Sozialstaat und das Solidarprinzip müssen der Natur der Sache nach jedoch subsidiär staatlich und allgemein, also über Steuern, finanziert werden. 139 Allgemeine Aufgaben sind gleichheitlich grundsätzlich allgemein zu finanzieren. Dem entsprechen auch die grundrechtlichen Intentionen des Grundgesetzes. Letztlich ist festzuhalten, daß
135
Dazu näher S. 96 ff. BVerfGE 75, 108 (146); vgl. auch BVerfGE 11, 105 (111 ff.); 62, 354 (366); 63, 1 (35); 81, 156 (185). 137 Siehe dazu insb. S. 108 ff. 138 Vgl. BVerfGE 68, 193 (218); BVerfG, Pharma Recht 1991, S. 121 (122 f.); BVerfG (Kammerbeschluß), DVB1. 1992, S. 276 (278). 139 Vgl. dazu H. Sodan/O. Gast, NZS 1998, S. 497 (498 f.). 136
3. Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs
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die Regelung des RSA formell-rechtlich der kompetentiellen Zuständigkeit des Bundes ermangelt. Überdies ist nach Art. 72 Abs. 2 GG die bundeseinheitliche sozialgesetzliche Regelung eines RSA nicht erforderlich. Der Bundesgesetzgeber darf nämlich die „Sozialversicherung" nur regeln, soweit dies nach der Kompetenzausübungsschranke des Art. 72 Abs. 2 GG für die „Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechtsund Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse" erforderlich ist. Diese Erforderlichkeitsklausel ist strenger als die allzu offene Bedürfnisformel des Art. 72 Abs. 2 GG a . F . 1 4 0 Im Hinblick auf die Grundsätze der Solidarität, der Gruppen-Homogenität und der Subsidiarität im Rahmen einer Wirtschaftsverfassung der sozialen Marktwirtschaft ist eher eine regionale oder sogar nur kassenartübergreifende Solidargemeinschaft erforderlich. Die subsidiäre Zuständigkeit des Bundes, Zuschüsse zur Sozialversicherung zu leisten, ist nach Art. 120 Abs. 1 Satz 4 GG ohnehin gesichert. Eine hinreichende Beitragssatzangleichung, die höhere Wirtschaftlichkeit sowie die Wettbewerbsstärkung sind auf Länderebene oder auf Kassenartebene ebenso, wenn nicht sogar besser zu erreichen. Der föderale Bundesstaat lebt gerade vom Wettbewerb der Körperschaften sowie Korporationen und sichert dadurch maßgeblich das Gemeinwohl. Grundrechts vorbehält, Vorrang der Privatheit und Subsidiarität der Lebensgestaltung erfordern die weitgehende Dezentralität im Sinne eines echten, pluralen Föderalismus. Das Subsidiaritätsprinzip ist nicht nur durch Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG, sondern auch durch Art. 2 Abs. 2 EUV sowie Art. 6 Abs. 2 EGV verfassungsrechtlich verbindlich gemacht. Schon die entsprechende bundesgesetzliche Regelung eines Länderfinanzausgleichs stößt auf vergleichbare verfassungsrechtliche Bedenken. 141 Angesichts der haushaltsrechtlichen Kriterien des Europäischen Gemeinschaftsrechts (Art. 104 EGV), aber auch im Hinblick auf Art. 110 und 115 GG müssen gerade durch Wettbewerb Wirtschaftlichkeitsreserven - vor allem in den Systemen der sozialen Sicherung - aktiviert werden. Eine Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse ist zwar auch durch Transfers und Finanzausgleiche möglich, aber im Sinne systematischer Auslegung der Verfassung nicht geboten. Erforderlich ist vielmehr die einheitliche Erreichung auch der anderen Ziele des Gemeinwohls, etwa des Art. 109 Abs. 2 GG i.V.m. § 1 des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft. Danach sind wirtschaftliche Entwicklung, hohe Beschäftigung, Preisniveaustabilität und außenwirtschaftliches Gleichgewicht zu för140
Siehe dazu C. Degenhart, in: M. Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 2. Aufl., 1999, Art. 72 Rn. 10. 141 Siehe H. P. Bull, Finanzausgleich im „Wettbewerbsstaat", DÖV 1999, S. 269 (270 ff.).
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IV. Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit
dem. Insoweit ist nur eine verfassungsgemäß marktwirtschaftliche, also dezentrale und grundrechtsgemäße Erreichung der Ziele des RSA erforderlich, aber keine zentralistische, bundeseinheitliche Transfer-Lösung des RSA. Angesichts der noch darzulegenden Ungeeignetheit von Intentionen und Mitteln des Bundesgesetzgebers muß die wie auch immer verortete Erforderlichkeit ohnehin in Frage stehen. Wenn legitime Zwecke des Gesetzgebers fehlen, kann auch die bloße, demnach inhaltlich zwecklose Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse die notwendige Erforderlichkeit nicht sicherstellen. Erforderlichkeit mißt sich schließlich immer am rechtsstaatlich unabdingbaren Strukturprinzip Verhältnismäßigkeit. Eine an sich rechtlich wie auch sachlich unverhältnismäßige Maßnahme ist kein rechtliches formelles Gesetz mehr, so daß die kompetenzrechtliche formelle Zuständigkeit für eine solche Maßnahme nicht mehr bejaht werden kann. Diese Zuständigkeit kann jedoch auf keinen Fall mehr erforderlich sein, um den Kriterien bundeseinheitlicher Rechts- und Wirtschaftseinheit gemäß Art. 72 Abs. 2 GG gerecht zu werden. b) Widersprüchlichkeit
der Intentionen und Mittel
Art. 2 Abs. 1 GG ist ferner materiell-rechtlich dadurch verletzt, daß das rechtsstaatlich wie auch bundesstaatlich gebotene Prinzip der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung 142 vom Gesetzgeber mißachtet wurde. Mit dem Aufgreifen dieser rechtssystematischen Idee in zwei Urteilen vom 07.05.1998 143 erregte das Bundesverfassungsgericht große Aufmerksamkeit. Das Gericht 1 4 4 führte im sog. Verpackungsteuer-Urteil aus: „Die Verpflichtung zur Beachtung der bundesstaatlichen Kompetenzgrenzen und zur Ausübung der Kompetenz in wechselseitiger bundesstaatlicher Rücksichtnahme ... wird durch das Rechtsstaatsprinzip in ihrem Inhalt verdeutlicht und in ihrem Anwendungsbereich erweitert. Das Rechtsstaatsprinzip verpflichtet alle rechtsetzenden Organe des Bundes und der Länder, die Regelungen jeweils so aufeinander abzustimmen, daß den Normadressaten nicht gegenläufige Regelungen erreichen, die die Rechtsordnung widersprüchlich machen. Welche der einen Widerspruch begründenden Regelungen zu weichen hat, bestimmt sich grundsätzlich nach dem Rang, der Zeitenfolge und der Spezialität der Regelungen. ... Diese rechtsstaatlichen Vorgaben begründen im Rahmen der bundesstaatlichen Ordnung der Gesetzgebungskompetenzen zu142
Siehe dazu näher H. Sodan, JZ 1999, S. 864 ff. BVerfGE 98, 83 ff. - Landesabfallabgabengesetze; 98, 106 ff. - kommunale Verpackungsteuer. Vgl. bereits BVerfGE 1, 14 (45); 17, 306 (314 f.); 25, 216 (227); 36, 342 (365 f.). 144 BVerfGE 98, 106 (118 f.). 143
3. Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs
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gleich Schranken der Kompetenzausübung." Sehr ähnlich äußerte sich das Bundesverfassungsgericht auch in den Urteilen zu den Landesabfallabgabengesetzen 145 und zum Bayerischen Schwangerenhilfeergänzungsgesetz 146. Somit verfestigt sich in der Verfassungsrechtsprechung das Prinzip, in jeder Hinsicht Normen-Widersprüche auszuschließen. Insofern wird die Bedeutung der systematischen und auch der verfassungskonformen Auslegung unterstrichen. Die Regelungen zum RSA weisen jedoch vielfältige Widersprüche auf. An dieser Stelle soll nur auf die verfassungsrechtlichen, nicht aber auf die später zu erörternden einfachgesetzlichen System Widrigkeiten 147 eingegangen werden. Die Intention des Gesetzgebers, die Leistungsfähigkeit der GKV zu stärk e n 1 4 8 , läuft den dargestellten Wirkungen des Mittels, also des RSA, diametral entgegen. Es widersprechen sich das Mittel und einer der Zwecke, welche vom Gesetzgeber verfolgt werden. Zugleich widerspricht der Zweck gerechterer Beitragssätze der Versicherten dem Mittel des RSA. Die Gerechtigkeit der Beitragssätze müßte sich nämlich allein nach der verfassungsmäßigen Ordnung bestimmen, nicht aber nach nicht näher gerechtfertigten Ideen einer Einheitskrankenkasse mit homogenem Beitragssatz. Insofern ergibt sich zugleich ein Widerspruch mit der Verfassung, wobei vor allem die umfängliche Ungeeignetheit des Mittels zu betonen ist. Die unausgesprochene Intention des Gesetzgebers, die Finanzierung der GKV, letztlich aber der staatlichen Aufgabe des Sozialstaats und der Solidarität, von bestimmten, sonderbelasteten Krankenkassen bzw. Versicherten leisten zu lassen, widerspricht der Verfassung hinsichtlich des Art. 120 Abs. 1 Satz 4 i. V.m. Art. 3 Abs. 1 GG. Aber auch der grundrechtlich gewährleistete Vorrang der privaten Lebensbewältigung 149 gebietet, Private und deren Vereinigungen nicht unverhältnismäßig zu belasten. Eine schwerwiegend ungeeignete, ungerechtfertigte Finanzierung nicht mehr wettbewerbsfähiger Krankenkassen mittels widerum existenzgefährdender Finanztransfers anderer Krankenkassen muß demnach ausscheiden. Dem steht eine subsidiär staatliche Finanzierung solcher nicht mehr wettbewerbsfähigen Kassen gemäß Art. 120 Abs. 1 Satz 4 GG nicht entgegen. Der Widerspruch der Bestimmungen des RSA mit den sachlich zugrundeliegenden Daten, Verfahren und relevanten Sachverhalten führt zudem zur 145
BVerfGE 98, 83 (97). BVerfGE 98, 265 (301). 147 Vgl. dazu S. 142 ff. 148 Siehe BT-Drucks. 12/3608, S. 74 ff. 149 Siehe dazu näher H. Sodan (Fn. 105), S. 306 ff.; ders., DÖV 2000, S. 361 ff.; ders./O. Gast, NZS 1998, S. 497 (505); dies., NZS 1999, S. 265 (270); Κ. A. Schachtschneider/O. Gast, Sozialistische Schulden nach der Revolution, 1996, S. 102 ff., 109 ff. 146
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IV. Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit
Sachwidrigkeit. Diese stellt sich als Unexekutierbarkeit und Willkürlichkeit dar. Das Rechtsstaatsprinzip gebietet, der Natur der Sache entsprechend zu regeln. Ein der Natur der Sache 150 gemäßes Recht schließt Spielräume bei der Auslegung und Anwendung des Rechts nicht aus. Die rechtliche Bewertung der Sachverhalte muß aber so vorgenommen worden sein, daß sich sachrichtige Typisierungen ergeben. Dies hat der Gesetzgeber mit seiner willkürlichen Selektion der Risikofaktoren verkannt. Er hätte dies zumindest ex post bereinigen müssen, als die eklatanten systematischen Fehler und Korrekturbedarfe offenkundig wurden. Die sachgemäße Typisierung und Pauschalisierung führt notwendig zum Sachlichkeitsgebot bzw. zum Objektivitätsgebot, das wesentlich aus dem noch zu erörternden allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG folgt. Wie bereits Paul Kirchhof formuliert hat, fordert nämlich der Gleichheitssatz eine „sachgerechte" Bestimmung des rechtserheblich Ähnlichen und Verschiedenen, eine der „Natur der Sache" entsprechende Regelung. 151 Das Mittel des RSA widerspricht zuletzt auch dem Zweck, Wettbewerbsverzerrungen abzubauen. Die vielmehr durch die willkürliche Risikofaktorenselektion des RSA hervorgerufenen Wettbewerbsverzerrungen widersprechen zugleich der gemeinschaftsrechtlichen Dienstleistungsfreiheit der Art. 49 ff. EGV sowie den Wettbewerbsregeln der Art. 81 ff. EGV. Anders sieht die wettbewerblichen Auswirkungen allerdings ein von Dieter Cassel, Jürgen Wasem und dem Institut für Gesundheits- und Sozialforschung, Berlin (IGES), erstelltes Gutachten vom 15. Februar 2001: „Zur Wirkung des Risikostrukturausgleichs in der gesetzlichen Krankenversicherung, Eine Untersuchung im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit, Endbericht". Hier werden sogar die wettbewerbssichernden Funktionen des RSA herausgestellt (S. 17 ff.) und im Ergebnis die Ausweitung zu einem RSA mit direkter Morbiditätsorientierung gefordert (S. 69 ff.). Der Entwickung der Sozialgesetzgebung mit Wirkung vom 1.1.2002 wird entsprochen, indem ein die gesamte GKV umfassender Hochrisiko-Pool installiert werden soll (S. 96 f., 113 ff.). Der Ausgleich der Finanzkraft soll ausgeweitet werden (S. 133 ff.), so daß diesem Gutachten zufolge der RSA letztlich zu einer völligen Homogenisierung der Kassenlandschaft führen dürfte ein Wettbewerb angesichts homogenisierter Wettbewerbs-Faktoren und vollständiger Ausgleiche der Risiken des Wettbewerbs widerspräche aber dem intendierten Ziel „Wettbewerb" sowie einer Erhöhung der Wirtschaftlichkeit noch mehr als der RSA bis zum Jahre 2001.
150 Siehe zur Vermittlung von Normgerechtigkeit und Sachgerechtigkeit A. Kaufmann, Analogie und „Natur der Sache", 2. Aufl., 1982, S. 44 ff. 151 Vgl. P. Kirchhof, HStR V, § 124 Rn. 209.
3. Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs
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Die genannten Verstöße des RSA - unbeachtlich der Erweiterung um Morbiditäts-Komponenten und einen Hochrisiko-Ausgleich - gegen das Rechtsstaatsprinzip, also gegen eine „Schranken-Schranke" des Art. 2 Abs. 1 bzw. Art. 9 Abs. 1 GG, könnten nur durch eine die Widersprüche aufhebende, also die Rechtseinheit wahrende Auslegung beseitigt werden. Über die Grenze des Wortlauts hinaus muß die den Widerspruch begründende Norm nach den klassischen Derogationsregeln verdrängt werden. Sind Widersprüche insoweit nicht auszuräumen, wie dies hinsichtlich der Bestimmungen des RSA der Fall ist, so sind diese Regelungen rechtswidrig bzw. nichtig. c) Ungeeignetheit von Intentionen und Mitteln des RSA Im Falle von Grundrechtseingriffen ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Dieses Prinzip erfordert, daß die jeweilige Regelung durch hinreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt ist, das gewählte Mittel zur Erreichung des verfolgten Zwecks geeignet sowie erforderlich ist und daß bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs sowie dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt i s t . 1 5 2 Der gesetzliche Eingriff in die Rechte der Krankenkassen bzw. mittelbar von deren Mitgliedern müßte danach zuerst einmal geeignet sein, die gesetzlich intendierten Ziele der Regelung auch erreichen zu können. Nach der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts ist ein gesetzgeberisches Mittel insoweit geeignet, wenn mit seiner Hilfe der gewünschte Erfolg gefördert werden kann. 1 5 3 Zwar steht dem Gericht zufolge eine grundsätzlich nicht nachprüfbare Prognosefreiheit bzw. eine Einschätzungsprärogative hinsichtlich der gesetzlichen Wirkungen zu. Aber das Bundesverfassungsgericht hat doch immerhin die Möglichkeit, die Geeignetheit der Maßnahme mittels einer Evidenzkontrolle 154 , einer Vertretbarkeitskontrolle 155 oder auch einer weitergehenden inhaltlichen Kontrolle 1 5 6 zu prüfen. Der ange152
Vgl. etwa BVerfGE 7, 377 (405 f.); 8, 71 (80); 9, 73 (79); 18, 121 (132); 30, 292 (316); 42, 263 (295); 50, 290 (341); 54, 301 (313); 61, 291 (312); 62, 169 (183); 68, 272 (282); 70, 101 (111); 72, 9 (23); 81, 29 (31 f.); 85, 360 (375 ff.); 86, 28 (41 ff.); 93, 362 (369). Vgl. aus dem Schrifttum etwa P. Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, 1961; E. Grabitz, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, AöR 98 (1973), S. 568 ff.; A. Bleckmann, Begründung und Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips, JuS 1994, S. 177 ff. 153 Siehe BVerfGE 30, 292 (316); 33, 171 (187); 90, 145 (172). 154 Vgl. BVerfGE 37, 1 (20); 40, 196 (223). 155 Siehe etwa BVerfGE 25, 1 (12 ff.); 30, 250 (263); 39, 210 (225 f.); 50, 290 (333 f.); 77, 84 (106).
IV. Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit
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strebte Erfolg der Maßnahme muß bei einer ex-ante-Betrachtung zumindest als möglich erscheinen. 157 Der Gesetzgeber muß sich demnach sachgerecht informiert haben, sich auf eine entsprechende Datenlage stützen und so die Wirkungen überhaupt abschätzen können. 1 5 8 Die Anforderungen an die sachliche und informationelle Geeignetheit steigen mit der Intensität der Freiheitsbeschränkung. 159 Nach diesen Maßstäben ist die existenzgefährdende, die finanziellen Selbstverwaltungskompetenzen der Krankenkassen letztlich aufhebende Regelung des RSA in den §§ 266, 267 und 313 a SGB V nicht geeignet. Der Sozialgesetzgeber beabsichtigte ausweislich der Begründung zu § 266 Abs. 1 SGB V einen finanziellen Ausgleich der verschiedenen Risikostrukturen der Krankenkassen. 160 Schon dies ist ihm evident nicht gelungen. Die Kriterien für den Ausgleich stützen sich hierbei auf willkürlich selektierte Risikomerkmale, nämlich Alter, Geschlecht und Anzahl der Familienmitversicherten. Durch Ausschluß anderer wesentlicher Risikomerkmale wie der regionalen Morbiditätsunterschiede, aber etwa auch der Unterschiede im Nachfrageverhalten der Versicherten oder der verschiedenen medizinischen Versorgungsdichte 161 , hat der Gesetzgeber wesentliche Risikostrukturen nicht ausgeglichen. Der Gesetzgeber begründete dies damit, die Kassen dadurch zu einem kostenbewußteren Verhalten anzuregen. 162 Das könnte dann überzeugen, wenn die für den RSA maßgeblichen Risikofaktoren zu einer solchen, von den Kassen beeinflußbaren Kostenreduzierung führen würden. Eine Beeinflußbarkeit etwa der regionalen Nachfragesituation oder der Morbiditätsstrukturen und Schwersterkrankungsfälle ist jedoch nicht ersichtlich. Die Wirtschaftlichkeit der GKV, welche als gesetzliche Maßgabe hinter der Intention des Gesetzgebers steht, ist durch diese Selektion der Risiken nicht zu erhöhen. Allerdings scheidet auch ein weitgehender Ausschluß jeder Selektion von Risiken aus - dies wäre im Ergebnis ein Ausschluß des Prinzips Versicherung - als der Gewichtung und Bewertung von Risiken. Gerade das Gutachten von Lauterbach und Wille mit dem Titel „Modell eines fairen Wettbewerbs durch den Risikostrukturausgleich, Sofortprogramm ,Wechslerkomponente und solidarische Rückversicherung 4 unter Berücksichtigung der Morbidität, Gutachten im Auftrag des Verbandes der Angestellten-Krankenkassen e.V. (VdAK), des Arbeiter-Ersatzkassen-Verbandes e.V. (AEV), des AOK-Bundesverbandes (AOK-BV) 156 157 158 159 160 161 162
Vgl. etwa BVerfGE 7, 377 (415); 17, 269 (276 ff.); 45, 187 (237 ff.). Vgl. BVerfGE 25, 1 (12 f.); 30, 250 (263). In diesem Sinne etwa BVerfGE 50, 290 (333 f.); 90, 145 (173). So etwa SG München, SGb. 1996, S. 134 (135). Vgl. die amtliche Begründung, BT-Drucks. 12/3608. Vgl. zur entsprechenden Kritik U. Ramsauer, NJW 1998, S. 481 (483 ff.). Vgl. die amtliche Begründung, BT-Drucks. 12/3608, S. 75.
3. Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs
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und des IKK-BundesVerbandes (IKK-BV), Abschlußbericht, aus dem Februar 2001, will aber letztlich jede Risikoselektion unterbinden. Pointiert werden sogar Riskoselektion und Effizienz bzw. Wirtschaftlichkeit der GKV als Widersprüche gegenübergestellt (S. 226 ff.). Ein weitestgehender Ausgleich aller Risikofaktoren einschließlich Morbiditäts-, Schwersterkrankungs- und Regional-Risiken wird vorgeschlagen, ebenso wie im Gutachten von Cassel/Wasem/IGES eine GKV-weite Rückversicherung bzw. ein Hochrisikopool gefordert (Lauterbach/Wille, S. 231 ff.). Dies führt aber im Ergebnis zur Aufhebung der Grundsätze einer „Versicherung" und aller wettbewerblich differenzierenden Elemente. Die Risiko-Prognose sowie »Bewertung und deren Berücksichtigung in der entsprechenden Risiko-Abdeckung werden letztlich außerhalb wirtschaftlicher Kriterien gestellt. Die empirisch hinlänglich erwiesene überlegene Effizienz wettbewerbswirtschaftlichen Handelns wird vollständig einer umfassenden staatlichen Einheits-„Versicherung" geopfert. Dem ist jedoch nicht zu folgen, sollen gerade die Kriterien der „Wirtschaftlichkeit" der §§ 2 Abs. 1 und 4 sowie § 12 SGB V umgesetzt werden. Vielmehr muß die Auswahl und Berücksichtigung, letztlich möglichst genaue Prognose der verschiendenen Risiken unabdingbares Grundmoment jeder Versicherung - auch einer GKV - sein. Eine GKV ohne Maßgabe wesentlicher wirtschaftlicher Kriterien einer Versicherung kann systematisch nicht wirtschaftlich sein. Ohne wirtschaftliche, wettbewerbliche Maßstäbe gibt es keine Wirtschaftlichkeit. Nur eine wirtschaftlich auf angemessener Risiko-Schätzung und RisikoAbdeckung fußende Krankenkasse kann zugleich solidarischen und wirtschaftlich die Versorgung sicherstellen. Die Eröffnung von Wettbewerb muß konsequent mit den maßgeblichen Kriterien der (wettbewerblich wirtschaftenden) Versicherung verbunden sein. Ein Ausschluß und völliger Ausgleich des Prinzips gruppensolidarischer Risiko-Absicherung muß zum Ende einer wirtschaftlichen Solidar-Versicherung führen. Eine Kompetenz zu einer Nicht-Sozial- Versicherung hätte der Bundesgesetzgeber gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG aber gar nicht. Eine Herstellung eines Widerspruchs von sozialer Versicherung und Risiko-Auswahl und Risiko-Bewertung führt zum Ende des Prinzips der Versicherung - als Vorsorge gegen eben diese Risiken. Die Wirtschaftlichkeit der GKV muß sinken, wenn durch den RSA gruppenhomogen solidarische, damit versicherungstypische, also wirtschaftliche und wettbewerbsstarke Kassen ausscheiden würden. Zugleich sinken durch unüberschaubare Finanztransfers alle Motivationen und Maßgaben, einnahmenseitig oder ausgabenseitig die Wirtschaftlichkeit zu erhöhen. Der Sozialgesetzgeber hat aber nicht nur gegen die Intention des vermeintlichen „Ausgleichs der Risikostrukturen" verstoßen. Vielmehr soll der
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IV. Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit
Gesetzesbegründung zufolge mit dem Ausgleich der verschiedenen Risiken eine „gerechtere Beitragsbelastung der Versicherten" erreicht werden. 163 Angesichts erheblicher Unterschiede in den Beitragssätzen vor Einführung des RSA soll anscheinend eine gewisse Angleichung der Beitragssätze erreicht werden. Fraglich ist jedoch, weshalb eine bundesweit homogenere Beitragssatzstruktur gerechter sein sollte. Der Gesetzgeber verkennt augenscheinlich, daß seine Gesetzgebung ohnehin nur dem Ziel (rechtlich allein verbindlicher) Gerechtigkeit zu dienen hat. Demgegenüber ist bereits dargestellt worden, daß ein Kriterium der Gerechtigkeit bzw. des Rechts nicht etwa die Homogenität von Beitragssätzen sein darf, sondern allein die Verwirklichung verfassungsmäßiger Rechte. Wird jedoch eine Krankenkasse bzw. ein bei dieser Versicherter weit über die erhaltenen Leistungen hinaus mit inäquivalenten Beitragssätzen belastet, so kann dies ohne Rechtfertigung keinesfalls die Gerechtigkeit der Beitragsbelastung erhöhen. Vielmehr sind Grundrechtsverstöße eklatante Verletzungen der Gerechtigkeit bzw. des Rechts. Zumindest hätte eine absolute Schranke der Belastung durch solidarische Zwecke des Sozialstaats - wie der Hälftigkeitsgrundsatz und die vorgeschriebene Rücklagen- und Betriebsmittelsumme - beachtet werden müssen. Dies nimmt der Gesetzgeber jedoch nicht in den Blick. Insofern ist auch diese Intention, durch ungeeigneten Finanzausgleich angeblich gerechtere Beitragssätze zu erreichen, offenkundig verfehlt. Illegitime Zwecke darf der Gesetzgeber jedoch ohnehin nicht verfolgen. Sein Gestaltungsspielraum umfaßt nämlich keine verfassungswidrigen Ziele oder Mittel. Das Mittel willkürlich ausgewählter Risikomerkmale ist also allein schon mangels eines legitimen Zwecks ungeeignet. Aber vor allem der ebenfalls vom Sozialgesetzgeber genannte Zweck, „Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Krankenkassen" abzubauen 164 , kann nicht erreicht werden. Wie schon im Falle der willkürlichen Selektion von bestimmten Risikomerkmalen soll mit diesem evident ungeeigneten und sachwidrigen Mittel eine höhere Wettbewerblichkeit der Versicherungsträger angestrebt werden. Durch sachwidrige und die vielfältigen Wettbewerbsfaktoren verkennende Finanztransfers insbesondere zu meist wettbewerbsgefährdeten Krankenkassen wie den A O K wird der Wettbewerb vielmehr verzerrt. Eine sehr beitragsstarke Kasse wie die B K K BMW, welche ohne die unverhältnismäßig hohen Belastungen des RSA im besten Sinne wettbewerbsfähig wäre, wird demgegenüber existenziell belastet. Das Solidarprinzip findet seine Grenzen in der rechtsstaatlich wie auch speziell grundrechtlich verankerten Zumutbarkeit. Jedenfalls ist der Solidar163 Siehe BT-Drucks. 12/3608, S. 117; vgl. ferner KassKomm-Peters, § 266 SGB V Rn. 2. 164 Siehe BT-Drucks. 12/3608, S. 117.
3. Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs
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gedanke nicht das maßgebliche oder vorrangige Prinzip. Es steht vielmehr unter Vorbehalt verfassungsfester Prinzipien, vor allem des Verhältnismäßigkeitsprinzips und der Grundrechtsbindung aller staatlichen Gewalt, hier betreffend die Grundrechte der Krankenkassen aus den Art. 2 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG. Hierbei ist auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Verbot der Umkehr der Finanzkraftreihenfolge bei Finanzausgleichen hinzuweisen. 165 Für den bundesstaatlichen Solidargedanken kann hierbei grundsätzlich nichts anderes gelten als für die Solidarität zwischen den gesetzlichen Krankenkassen. Das Verfahren zum RSA ist zudem mit solch hohen rückwirkenden Korrekturen verbunden, daß keine solide Haushaltsplanung möglich ist. Das Verhältnis der Abschlagszahlungen aller Betriebskrankenkassen zu den tatsächlichen Jahresausgleichsforderungen betrug etwa im Jahre 1995 für die Bereiche Ost und West zusammen 558 Millionen gegenüber 1408 Millionen DM, die dann tatsächlich insgesamt als RSA zu zahlen waren. Wenn also im Jahresverlauf 1995 558 Millionen an RSA-Zahlungen geplant werden konnten, so kam etwa im Februar 1996 eine Nachforderung von etwa 850 Millionen D M vom BVA. Im Jahre 1996 betrugen die vergleichbaren Werte 684 Millionen D M und 1493 Millionen DM. Dies ergibt keine hinreichende Haushaltsgrundlage mehr. Die auf eine durchschnittliche Monatsausgabe begrenzte Rücklagenhöhe im Falle etwa der B K K B M W ist zu gering, solcherart Belastungsschwankungen im jeweiligen Februar des übernächsten Jahres auszugleichen. Die Abweichungen durch das vielfältig unsachgemäße und fehlerhafte Verfahren - insbesondere der Datenerhebung 166 zum RSA betragen also 1995 252% und 1996 218% der nach den Abschlägen erwartbaren Summen. Eine finanzielle Selbstverwaltung ist somit im Bereich der Betriebskrankenkassen nicht möglich. Dieses Beispiel sollte darstellen, daß gerade an sich wirtschaftlich gesunde Krankenkassen, wie es die Betriebskrankenkassen in der Regel sind, durch den RSA zum Ausscheiden aus dem „Wettbewerb" gezwungen werden können. Im Ergebnis findet gerade durch den RSA und seine Beschränkung der Risikofaktoren eine Verzerrung des Kassenwettbewerbs statt. 1 6 7 Aus äußerst finanzkraftstarken und wettbewerbsfähigen Kassen werden latent insolvente und fast rücklagenlose Kassen. Dies verstößt gegen das Nivellierungsverbot sowie das Verbot der Verkehrung der Finanzkraft bzw. Leistungsfähigkeit, 165
Vgl. BVerfGE 72, 330 (418 f.); 86, 148 (250); 101, 158 (222). Siehe dazu ausführlich S. 127 ff. 166 Diese Fehler und Ungenauigkeiten werden vom BVA eingeräumt und führen fortlaufend zu Berichtigungen und Korrekturen. Vgl. Schreiben des BVA vom 25.07.1996 an alle bundesunmittelbaren Versicherungsträger. Siehe auch U. Ramsauer, NJW 1998, S. 481 (483); W. Rogalski, BKK 1997, S. 472 (473 ff.). 167 Vgl. insb. U. Ramsauer, NJW 1998, S. 481 (484).
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IV. Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit
wie sie das Bundesverfassungsgericht zuletzt im Urteil zum Finanzausgleich der Länder ausgesprochen hat 1 6 8 . Damit ist nicht nur das Mittel der (unverhältnismäßigen) Finanzausgleiche an sich fragwürdig. Vielmehr ist der Zweck der gerechteren Beitragssatzstruktur nicht legitim und ohne verfassungsrechtliche Rechtfertigung. Das Mittel entbehrt schon deshalb eines legitimierenden Zwecks und ist daher evident ungeeignet. Zwar darf der Gesetzgeber unter tatbestandlich relevanten Kriterien auswählen, aber er darf doch nicht so selektieren, daß der Zweck der Maßnahme nicht nur nicht erreicht wird, sondern sogar das Gegenteil eintritt. Der Gesetzgeber hat nach Art und Gewicht Differenzierungskriterien auszuwählen, welche eine sachgerechte und verhältnismäßige Regelung von Sachbereichen im Hinblick auf den Regelungszweck gewährleisten. Darauf wird im Rahmen der Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG zurückzukommen sein. Die datenmäßige Verfahrensweise zum RSA gemäß § 267 SGB V und §§ 2 ff. RSAV ist als Mittel zur Erreichung der genannten Zwecke nicht geeignet. Das nähere Verfahren zum RSA ist demnach nicht nur ohne Legitimationsgrundlage, was angesichts der existentiellen Grundrechtseingriffe um so schwerer wiegt. Die Rechtsnormen des Verfahrens zum RSA sind sachlich nicht rechtssicher bzw. rechtskräftig und verläßlich exekutierbar; sie können daher keinen rechtlich achtbaren Imperativ darstellen. Das Verfahren ist insoweit als willkürlich zu bezeichnen und stellt einen Verstoß gegen das rechtsstaatliche Objektivitätsgebot dar. Die sachliche Unzulänglichkeit und Unklarheit sowie Unzuverlässigkeit des Verfahrens verletzen zudem das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot und das Rückwirkungsverbot. Das rechtsstaatliche Verbot echter („retroaktiver") Rückwirkungen 1 6 9 soll mit der Rechtssicherheit auch die Haushaltsautonomie sowie die dauerhafte und planbare finanzielle Existenz der Krankenkassen sichern. Die insofern rückwirkend korrigierten Fehlerabweichungen hinsichtlich der Abschläge und des Gesamtausgleichs von über 200% wurden bereits dargestellt. Zudem stehen auch diese Berechnungen unter dem stetigen Vorbehalt der jahrelang möglichen - und erfahrungsgemäß zu erwartenden - Neuberechnung. Noch Jahre nach Beginn des RSA werden Korrekturen für die Jahresausgleiche der Jahre 1994 ff. vorbehalten und durchgeführt. Die Ungeeignetheit des RSA im Hinblick auf seine Ziele erhellt schon aufgrund 168
Siehe dazu genau S. 127 ff. Dabei liegt echte Rückwirkung vor, wenn mittels neuer Rechtsfolgen nachträglich in bereits in der Vergangenheit begonnene sowie abgeschlossene Tatbestände eingegriffen wird. Die echte Rückwirkung ist grundsätzlich verboten. Vgl. dazu BVerfGE 72, 200 (241 ff.); 76, 256 (345 ff.); H. Maurer, Kontinuitätsgewähr und Vertrauensschutz, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HStR III, 1988, § 60 Rn. 11 ff.; B. Pieroth, Rückwirkung und Übergangsrecht, 1981. 169
3. Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs
63
seines Verstoßes insbesondere gegen das Verbot echter Rückwirkung. Ein verfassungswidriges Mittel kann aber schlechterdings nicht geeignet sein. Die bereits dargelegten Dimensionen der Selbstverwaltungsautonomie sind durch das ungeeignete, also unverhältnismäßige Mittel RSA aber maßgeblich ausgehöhlt. Vor allem ist auf die Aufhebung der Konstitutions-, Finanz- und Haushalts- sowie Beitragssatzautonomie hinzuweisen. Eine irgendwie hinreichende Rechtssicherheit für die Krankenkassen, betreffend etwa die Hälfte ihrer Finanzkraft, ist entgegen diesem wesentlichen Prinzip der Rechtsstaatlichkeit nicht ersichtlich. Freilich kann nur ein bestimmt, klar und exekutierbar geregeltes Verfahren eines Finanzausgleichs diese Rechtssicherheit herstellen. Da die Regelung des Gesetzgebers keine ausreichende Rechtsklarheit bzw. Verfahrensklarheit gewährleisten konnte, mußte die Exekutive das Verfahren im Verordnungs- bzw. Bekanntmachungswege regeln. Dies verletzt das Prinzip der Gewaltenteilung bzw. den Parlamentsvorbehalt. Bei der Regelung von Umfang und Verfahren des RSA handelt es sich sozialstaatlich wie wirtschaftsverfassungsrechtlich um eine sehr wesentliche Problematik 1 7 0 , welche der parlamentarische Gesetzgeber selbst hätte entscheiden müssen. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Judikatur schon früh 1 7 1 zum Bestimmtheitsprinzip ausgeführt: „Die Grundsätze des Rechtsstaates fordern, daß auch Ermächtigungen der Exekutive zur Vornahme belastender Verwaltungsakte durch das ermächtigende Gesetz nach Inhalt, Gegenstand, Zweck und Ausmaß hinreichend bestimmt und begrenzt sind, so daß die Eingriffe meßbar und in gewissem Umfang für den Staatsbürger voraussehbar und berechenbar werden". Die Voraussehbarkeit ist bei Fehlerquoten von über 200% jedoch ebensowenig gegeben wie die Meßbarkeit der Eingriffe, da die Begrenztheit der Eingriffsermächtigung mangels ihrer Bestimmtheit fehlt. d) Fehlende Eignung des RSA-Verfahrens Das aufgezeigte Fehlen der Eignung des RSA im Hinblick auf die Zwecke des Gesetzgebers wird durch seine verfahrensmäßige Ungeeignetheit unterstrichen. Insbesondere werden durch den näheren Vollzug die Ziele der Wirtschaftlichkeitserhöhung, aber auch der Beitragssatzangleichung verfehlt. Tatsächlich sind vielmehr neue Beitragssatzverwerfungen 170 Dies wird allein durch den Umfang des RSA deutlich. Die Höhe der bundesweiten Transfers beläuft sich mittlerweile auf etwa 24 Milliarden DM p.a., wovon den AOK netto etwa 85% zufließen. 171 Siehe BVerfGE 8, 274 (325); vgl. ferner BVerfGE 13, 153 (160); 17, 306 (314); 21, 72 (79); 31, 255 (264); 37, 132 (142); 52, 1 (41); 54, 237 (247); 56, 1 (12); 78, 214 (226 f.); VGH Mannheim, NVwZ 1987, S. 431 (434).
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IV. Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit
festzustellen, was die Ungeeignetheit in tatsächlicher Hinsicht unterstreicht und zugleich das Ziel der Minderung von Wettbewerbsverzerrungen konterkariert. Die fortlaufenden rückwirkenden Korrekturen hinsichtlich der Fehler der Satzart 40 sowie der Verhältniswerte zeigen die Ungeeignetheit des Verfahrens und verstoßen gegen das Verbot echter Rückwirkung. Die systematische Unzulänglichkeit, Fehlerhaftigkeit, Undurchführbarkeit und zugleich UnWirtschaftlichkeit des Verfahrens des RSA ergeben im Ergebnis eine rechtliche Undurchführbarkeit des RSA. Strukturprinzipien des Grundgesetzes wie das Rückwirkungsverbot oder der Bestimmtheitsgrundsatz und das Gewaltenteilungsprinzip werden dadurch verletzt. Die faktische Undurchführbarkeit des RSA zieht jedoch die rechtliche Ungeeignetheit nach sich. Die Vorschriften zum RSA sind mangels Exekutierbarkeit aber rechtlich nicht zu achten; denn undurchführbare Imperative („Normen") besitzen keine Rechtsgeltung. Die sachliche Ungeeignetheit des Verfahrens zum RSA soll im folgenden näher dargelegt werden. 1. Die Datenerhebung zum RSA ist völlig unzureichend. Die Datenbasis von etwa 2 Millionen Versichertendatensätzen bzw. höchstens 10% aller in der GKV Versicherten (§ 267 Abs. 3 Satz 4 SGB V) ist nicht repräsentativ genug, um die maßgeblichen Daten Finanzkraft, Leistungsausgaben und Versichertenzeiten hinreichend genau feststellen zu können. Hinsichtlich der Finanzkraft (§266 Abs. 3 SGB V, § 12 RSAV) kann zumindest auf vorhandene Statistiken zurückgegriffen werden. 172 Die Versichertenzeiten sind eine entscheidende Datengrundlage für den RSA. Hierbei stehen dem B V A jedoch verschiedene Verfahren zur Verfügung, welche die Datensicherheit und Datenvergleichbarkeit nicht sicherstellen. Dazu gehören Verfahren der „Berechnungsvereinfachung" nach § 13 Abs. 2 Nr. 1 RSAV, aber auch die Zugrundelegung von Versichertentagen statt Versichertenjahren (§ 13 Abs. 2 Nr. 2 RSAV). 2. Die Prüfungs- und Kontroll verfahren 173 der Krankenkassen, ihrer Spitzenverbände bzw. des B V A können eine hinreichende Datenvalidität nicht sicherstellen. Dies beweisen die zum Teil auf 2 bis 3 Millionen bezifferten sog. „Karteileichen". Die Summe der Versichertenzeiten in der Satzart 40 soll danach die Bevölkerungszahl der Bundesrepublik Deutschland übertreffen. Demnach ist, wie hoch die Fehlerquote tatsächlich auch sein sollte, ein sehr wahrscheinlich um Millionen Versichertenjahre zu hoher allgemeiner Beitragsbedarf gemeldet. Fehler in den standardisierten Leistungsausgaben der Versichertengruppen nach Alter und Geschlecht sind noch gar nicht berücksichtigt. Das B V A hat selbst bereits etwa 900.000 „Karteileichen" zugegeben. 174 Insbesondere Kassen mit vorrangig jüngeren Versicherten wie 172 173
Vgl. W. Rogalski, BKK 1997, S. 472. Siehe dazu W. Rogalski, BKK 1997, S. 472 f.
3. Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs
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die B K K BMW müssen infolgedessen jedoch mit erheblichen belastenden Korrekturen rechnen, die sich in Nachzahlungen und fortlaufenden Nachberechnungen niederschlagen. Von daher sind das Rückwirkungsverbot, aber vor allem das Verhältnismäßigkeitsprinzip berührt. Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt der RSA jedoch nicht, wie nicht nur die oben genannten Fehlberechnungen zeigen. Vielmehr belegt etwa auch eine Aufstellung des Bayerischen ΒKK-LandesVerbandes vom 13.11.1998 175 , daß trotz abnehmender Mitgliederzahlen in Bayern die Anzahl der mitversicherten Familienangehörigen konstant bleibt. Bei statistisch durchschnittlich abnehmender Quote mitversicherter Familienversicherter in der Bundesrepublik Deutschland müßte die Zahl der Familienmitversicherten aber potenziert abnehmen. Da dies den Stichprobenerhebungen nach nicht der Fall ist, läßt das auf einen erheblichen Fehler schließen. Auf das systematische Problem der Manipulierbarkeit der Datenerhebung und Stichprobenselektion, Datenmeldung, Datenverarbeitung und zuletzt Datenprüfung durch an einem hohen RSA interessierte Krankenkassen wird noch näher einzugehen sein. Krankenkassen, die entsprechende Daten melden, können dabei, ohne daß tatsächliche Leistungsausgaben entstehen, einen höheren Beitragsbedarf deklarieren. Mit diesem muß die einzelne Krankenkasse im Falle dennoch überschießender Finanzkraft entweder weniger Ausgleichszählungen leisten, oder aber sie erhält als finanzkraftschwache Kasse einen erheblich höheren RSA. Der Feststellung von Wolfgang Rogalski ist zuzustimmen: „ W i l l man über die Qualität der Daten sprechen, muß man ihre Herkunft in die Betrachtungen einbeziehen." 176 3. Die Prüfungs- und Kontroll verfahren leiden vor allem unter dem systematischen Fehler, daß die an bestimmten Datenlagen interessierten Kassen und Kassenverbände ihre eigenen Datenbestände prüfen. Die Daten der Satzart 40 (Versichertendaten) gehen danach beim Spitzenverband der Krankenkasse ein, ebenso die der Satzart 41 bzw. 42 (Leistungsausgaben außer Krankengeld bzw. Krankengeld). Beim Spitzenverband werden diese Daten gemäß § 5 Abs. 4 Satz 2 RSAV einer Vollständigkeits- und Plausibilitätsprüfung unterzogen und danach an das B V A weitergemeldet. Im übrigen ist auf diesem Datenwege eine systematische Manipulation, insbesondere der stark interessierten Kassen und Kassenverbände, nicht auszuschließen. Dies zeigen die beispielhaften Fälle der A O K Magdeburg und Halle sowie der I K K Berlin, welche noch näher dargestellt werden. Eine hinreichende und erforderliche Neutralität und Objektivität ist insofern nicht zu erwarten. Der Gesetzgeber ist auch hier sachwidrig davon ausgegangen, daß 174
Siehe DER SPIEGEL vom 30.11.1998. BKK Landesverband Bayern, Marketing-News, Sitzung des Verwaltungsrates vom 02./03.07.1998, S. 5, 8, 9. 176 W; Rogalski, BKK 1997, S. 472 (473). 175
5 Sodan/Gast
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IV. Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit
die öffentlich-rechtlichen Körperschaften von sich aus richtige Zahlen liefern würden. 1 7 7 Dies steht aber der Natur der interessierten, nämlich auch privat-funktionalen Krankenkassen entgegen. Dies gilt zumal, wenn mit dem zunehmenden Wettbewerb und erheblichen Wanderungsbewegungen der Mitglieder vor allem zu den B K K 1 7 8 bestimmte Kassen und Kassenarten aus existentiellen Gründen systematisch zu Einnahmen-Manipulationen über den RSA verführt werden. Das ist naturgemäß grundsätzlich für Krankenkassen anzunehmen, die in erheblichem Umfang Pflichtmitglieder verloren. Demgegenüber hatten die B K K durchschnittliche Zuwächse an Pflichtmitgliedern von 11,6% (Bereich West). 1 7 9 Besonders RSA-interessierten Krankenkassen und ihren Spitzenverbänden allerdings die maßgeblichen Prüfungen zu übertragen ist nicht nur sachwidrig, sondern vor allem eine Grundrechtsbeeinträchtigung für wettbewerblich und wirtschaftlich besser stehende Kassen, insbesondere nicht datenmanipulierende Kassen. Die B K K B M W etwa hatte dabei, zu ihrem Schaden, laut Prüfbericht des B V A bezüglich der Familienmitversicherten eine Fehlerquote von 0 , 0 % . 1 8 0 Damit konnte diese B K K im Gegensatz zu Krankenkassen mit Fehlerquoten von bis zu 13% keinen höheren Beitragsbedarf geltend machen. Auf diese Weise entstand ihr in ordnungsgemäßer Wahrnehmung ihrer Selbstverwaltungspflichten ein erheblicher Nachteil. Dieser beziffert sich hinsichtlich der Familienmitversicherten auf den durchschnittlichen Fehler aller (geprüften) Kassen in Höhe von 4,89% 1 8 1 , da die B K K B M W genau nur 0,0% Fehler aufweist. Allein durch eine datenmäßige bewußte Nichtbereinigung von 5000 „Phantom"-Mitgliedern bzw. 5,3% Fehlerquote bei 94.000 Versicherten bei der I K K B e r l i n 1 8 2 entsteht, wie unten näher darzustellen ist, ein von den Geberkassen des RSA - wie der Krankenkassen - zu tragender RSA-Bedarf von etwa 15 Millionen D M p.a. 4. Die systematischen Datenfehlbestände, die zu niedrige Stichprobenhöhe von höchstens insgesamt 10% gemäß § 267 Abs. 3 Satz 4 SGB V und die ineffizienten Datenbereinigungen sowie Prüfungen auf Vollständigkeit und Plausibilität (§ 5 Abs. 3, 4 RSAV) führen zu durchschnittlich hö177
Vgl. U. Ramsauer, NJW 1998, S. 481 (483). Vgl. J. Müller/W. Schneider, Arbeit und Sozialpolitik 1998, S. 10 (15, 25 f.). 179 Siehe J. Müller/W. Schneider, a.a.O., S. 10 (25). 180 Prüfbericht, Prüfung der BKK BMW aufgrund § 274 SGB V für das Jahr 1997, Prüfdienst Krankenversicherung, Az.: Κ 7 - 59221.79/97 - S. 27. 181 Vgl. dazu die 2. Schwerpunktprüfung zum RSA der Prüfdienste des BVA, Abschlußbericht mit der Zusammenstellung der Ergebnisse durch das LVA NW; Ärzte-Zeitung vom 03.02.1999, S.4 mit Bezug auf die Prüfberichte des BVA für die Jahre 1997 und 1998. 182 Vgl. Focus 12/1999, S. 378. 178
3. Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs
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heren Beitragsbedarfen. Demgemäß ist der ermittelte Beitragsbedarfssatz der gesamten GKV zu hoch. Wirtschaftliche Beitragsbedarfssätze sind danach nicht zu bestimmen. Ein maßgebliches Ziel des Gesetzgebers ist damit jedoch verfehlt. Infolgedessen ist die gesamte Berechnung des RSA verzerrt. Dies führt auch nach Meinung der bayerischen Gesundheitsministerin zu einem insgesamt rechtlich fragwürdigen, leistungsfeindlichen und wettbewerbswidrigen R S A . 1 8 3 5. Diese „Datenfehler" wirken sich zugunsten derjenigen Krankenkassen aus, welche einen über dem Durchschnitt liegenden begünstigenden Fehler geltend machen. 184 Dies gilt für die Angaben der Familienmitversicherten, der Berufsunfähigkeits- und Erwerbsunfähigkeits-Rentner (BU/EU-Rentner) oder verstorbener oder abgemeldeter Versicherter. Gerade in dieser Hinsicht sind systematische Fehler mangels Objektivität der Datenermittlung zu unterstellen. 185 Diese manipulierten oder zumindest nicht bereinigten Fehler wirken zudem potenziert, da sie über die Ermittlung der standardisierten Leistungsausgaben zugleich den Grundlohnsummenausgleich wie auch den Morbiditätsausgleich beeinflussen. Die Ungeeignetheit des RSA-Verfahrens soll exemplarisch an Krankenkassen des Landes Berlin gezeigt werden. Nach Unregelmäßigkeiten bei der AOK sowie der B K K des Landes Berlin ermittelte 186 die Staatsanwaltschaft gegen die I K K Berlin. So soll durch die bewußte Nichtbereinigung von 5000 „Phantom"-Mitgliedern ein durchschnittlicher RSA pro Mitglied von etwa 3000,-DM manipuliert worden sein, zusammen also etwa 15 Millionen D M p.a. In der Folge habe die Berliner Aufsichtsbehörde 59 Millionen D M zu Unrecht erhaltener RSABeträge zurückgefordert. Zudem seien erhebliche Mängel der Finanzverwaltung der I K K festgestellt worden. Ein Einnahmen- und Ausgabenmanagement sowie ein betriebswirtschaftliches Controlling würden nicht existieren. Zur datenmäßigen Verschleierung werde, wie schon im Falle der A O K Magdeburg und Halle, eine Fusion mit der I K K Brandenburg angestrebt. 187 6. Allein die technische Sicherstellung der Datenerhebung und Datenweiterleitung erscheint nicht als gewährleistet. Insbesondere sind die notwendi183 Siehe dazu Süddeutsche Zeitung vom 27.01.1999, S. L 8; vgl. auch ÄrzteZeitung vom 02.02.1999, S. 6. 184 Zur Maßgeblichkeit der Relation, nicht der absoluten Höhe der Fehlerquoten W; Rogalski, BKK 1997, S. 472 (473 f.). 185 Die Mitteldeutsche Zeitung vom 12.11.1998 berichtet etwa von erheblichen und bewußten Manipulationen der AOK Magdeburg im Vorfeld ihrer Fusion mit der AOK Halle. So sei bewußt mit falschen Mitgliederzahlen operiert worden. 14.377 Abmeldungen in 8 Monaten seien bewußt nicht registriert worden. Der geschätzte Schaden allein für diese Monate betrage etwa 8 Millionen DM. Auffällig ist, daß die Prüfungen und Kontrollen solche schwerwiegenden Fehler nicht ermittelten. 186 Vgl. Focus 12/1999, S. 378, 380. 187 Vgl. Focus 12/1999, S. 378, 380. 5*
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IV. Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit
gen Einrichtungen wie Hardware und Software, Datenfernübertragungstechnik oder Datenträger und die statistischen Prüfprogramme nicht immer vorhanden und schon gar nicht homogen auf dem notwendigen Stand. Zur Sicherstellung technischer und softwareseitiger Homogenität, also Sachlichkeit und Gleichheit des Verfahrens, reicht die Bestimmung des § 267 Abs. 4 SGB V nicht aus, wonach die Ergebnisse der Datenerhebung „auf maschinell verwertbaren Datenträgern" vorzulegen sind. Es kommt vielmehr auf die eigentliche Technik der Datenverwertung und Datenpflege an. Dies gilt einerseits für die Prüfungen auf Vollständigkeit und Plausibilität auf der Ebene der Spitzenverbände der Krankenkassen gemäß § 5 Abs. 4 Satz 2 RSAV, aber andererseits auch für die weitere Datenverarbeitung beim BVA. Allein die daten- und softwaretechnisch sowie durch besondere statistische Verfahren und letztlich auch durch Manipulationen auftretenden qualitativen Unterschiede müssen in Verbindung mit der nicht unterstellbaren Objektivität und Neutralität zu einer hohen systematischen Fehlerquote führen. Diese geht zu Lasten einzelner Kassen, verteuert aber insgesamt die Leistungserbringung in der GKV. Die entsprechenden Verwaltungskosten bezüglich der Datenerhebung und -prüfung tragen nicht zur Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung bzw. zu sozialer Gerechtigkeit bei. Auch das Ziel „gerechter Beitragssätze" wird verfehlt. Von daher ist das Verfahren zur Durchführung des RSA sachlich ungeeignet, die Ziele des Gesetzgebers zu erreichen sowie dem Wirtschaftlichkeitsgebot von § 2 Abs. 1 und 4, § 4 Abs. 3 und 4, § 12 Abs. 1 und § 70 Abs. 1 SGB V zu dienen. 7. Die Möglichkeiten der Fehler sind über die bereits genannten hinaus erheblich. So treten nicht nur Datenfehler bezüglich der Versichertenzeiten und der Leistungsausgaben auf, sondern auch im Hinblick auf den Status der Versicherten, der Krankengeldausgaben oder der Morbiditätsauswirkungen der Fehler in den Versichertenzeiten und dem Versichertenstatus. 188 Hierbei ist das grundsätzliche Problem der mangelnden Repräsentativität der diesbezüglichen Stichproben noch nicht berücksichtigt. 8. Zugleich tritt eine Potenzierung der Fehlerwirkung auf, da die verschiedenen Daten miteinander verbunden sind. Mangels einer logischen Abhängigkeit von Daten sind auch die Datenabweichungen, also die jeweiligen Abbildungsgenauigkeiten, nicht voneinander unabhängig. Eine Verbindung von Abweichungen führt jedoch zu Potenzierungen. So sind etwa die standardisierten Leistungsausgaben, welche als solche auch erst aus dem Risikoprofil der Stichprobe zu bestimmen sind und insofern bereits vielfältige Fehler enthalten, zugleich für die Bestimmung des Ausgleichsbedarfssatzes und auch des Beitragsbedarfes maßgeblich. Die Elemente Grundlohnsummenausgleich und Morbiditätsausgleich des RSA sind demnach beide 188
Siehe zu letzterem W. Rogalski, BKK 1997, S. 472 (474).
3. Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs
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an die standardisierten Leistungsausgaben bzw. deren Summe gekoppelt. Diesbezüglich unvermeidliche Fehler führen also mindestens zu einer Doppelwirkung, welche keine lineare, sondern eine exponentielle ist. Eine Fehlerquote von 10%, wie sie das B V A im Falle von Familien-Mitversicherten-Prüfungen ohne Nachprüfung toleriert, würde bezüglich der standardisierten Leistungsausgaben zu einer potenzierten Fehlerquote von 21% führen, wenn die Wirkung auf Grundlohnsummenausgleich wie Morbiditätsausgleich gleichgewichtig angenommen wird. 9. Hinzu kommt, daß einmal ermittelte Größen wie die standardisierten Leistungsausgaben angesichts einer hohen Dynamik der tatsächlichen Entwicklung sehr schnell überholt sind. Gerade diese Schlüsseldaten des RSA sind besonders fehleranfällig, weil sie sich aus vielen wiederum fehlerhaften Zwischendaten speisen. Die Versicherungszahl-Dynamik bei den EU/ BU-Rentnern betrug etwa plus 12,4% netto bzw. plus 18,2% brutto in einem einzigen Jahr (1995). Dabei handelt es sich absolut um brutto 226.000 Versichertenzugänge. 189 10. Das Verfahren des RSA leidet unter so schwerwiegenden Fehlern, daß fortlaufende Korrekturen und Neuberechnungen notwendig sind. Die RSA-Zahlungsverpflichtungen stehen insofern unter dem Vorbehalt weiterer Neuberechnungen. In den Folgejahren wie etwa im Jahre 2005 sind Ausgleichsbeträge für 1999, 2000, 2001 usw. zu erwarten. So enthalten explizit auch Bescheide für die Jahre 1999 und 2000 Korrekturen des Beitragsbedarfs der Vorjahre. Diese Beträge gehen wiederum in die Jahresausgleiche der Folgejahre mit ein. In späteren Jahren sind dann nicht nur die für das jeweilige Kalenderjahr unmittelbar fälligen Ausgleichszahlungen zu leisten, sondern auch Korrekturzahlungen für die Vorjahre. Die Korrekturverpflichtungen potenzieren sich demnach, je länger der RSA durchgeführt wird. So sind etwa im Jahre 2001 noch Restzahlungen als Korrektur für 1994 bis 1996 zu zahlen. Hinzu kommen Korrekturzahlungen für die Jahre 1998, 1999 und 2000. Diese sind entgegen jeder buchhalterischen Zurechenbarkeit und haushaltsrechtlichen Planbarkeit in ihrer Fälligkeit auf die Folgejahre verteilt. 11. Die Repräsentativität der Stichproben steht in Frage. Eine sachgerechte, zudem der tatsächlichen Dynamik folgende, fehlersensitive Abbildungsgenauigkeit ist mit einer Stichprobenhöhe von maximal 10% nicht zu erreichen. 190 Auch hier zeigt sich die sachliche Ungeeignetheit, welche im Falle höherer Stichproben zu noch höheren Kosten führen würde. Der RSA verfehlt auch insofern Ziele des Gesetzgebers und leistet keinerlei Beitrag zur eigentlichen Finanzierung der GKV. Insgesamt wird ein der 189 190
Zu den Zahlen W. Rogalski, BKK 1997, S. 472 (476). Vgl. bereits Nr. 1; siehe auch W. Rogalski, BKK 1997, S. 472 (477 f.).
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IV. Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit
Versichertenstruktur nicht abbildungsgenau angemessener „Beitragsbedarf 4 konstruiert. Die mangelnde Repräsentativst der Stichproben wird eigens in dem Gutachten „Repräsentativität der Stichprobenerhebung im Risikostrukturausgleich" kritisiert. 191 Nicht nur die Stichprobe selbst, sondern auch das Hochrechnungsverfahren ist zu beanstanden. 192 Gleiches gilt für die Korrekturfaktoren nach Kassenarten und Hauptleistungsbereichen. Diese Korrekturfaktoren führt das Gutachten im einzelnen auf. 1 9 3 Die hochgerechneten Stichprobendaten werden im Verfahren zum RSA zudem noch geglättet, so daß neue Fehlerquellen hinzutreten bei dem Bemühen, „Extremwerte" und insofern „Fehler" zu glätten bzw. zu beseitigen. Auf das komplizierte Glättungs-Verfahren kann hier nicht eingegangen werden. Zusammenfassend kommt das Gutachten zu folgenden Schlüssen 194 : a) Das Verfahren zum RSA ist zu kompliziert und zu unübersichtlich; die Gutachter stellen Konzeptionsmängel fest. b) Der Stichprobenumfang ist generell zu niedrig. c) Von daher bestehen keine hinreichende Genauigkeit und keine Repräsentativität. d) Festzustellen sind erhebliche finanzielle Auswirkungen einer anderen Auswahl und Stichprobenhöhe. e) Statt einer Stichprobenhöhe von etwa 10% ist eher eine Vollerhebung notwendig. f) Informationen über die Geburtstags-Auswahl der Stichprobe fehlen. g) Festzustellen sind erhebliche Streuungen und Zufallsabweichungen, aber auch systematische Fehler. h) Die Meldungen der Krankenkassen bzw. ihrer Verbände gingen nicht oder nur teilweise ein, was Fehler der Stichprobe nach sich zieht. i) Damit treten potenzierte Fehler bei den standardisierten Leistungsausgaben und demnach bei den Transfers des RSA auf. j)
Systematische Fehler erfordern unabhängige institutionelle Kontrollen.
k) Anzustreben ist eine höhere Genauigkeit durch weitere Schichtung. Insoweit müßte eine verbesserte Hochrechnung stattfinden.
191 Siehe M. Kricke/L. Männer, Repräsentativität der Stichprobenerhebung im Risikostrukturausgleich, Gutachten, 1998, S. 13 ff., 32 ff., mit Thesen auf S. 50 ff. 192 Vgl. M. Kricke/L. Männer (Fn. 191), S. 36 ff. 193 M. Kricke/L. Männer (Fn. 191), S. 43. 194 M. Kricke/L. Männer (Fn. 191), insb. S. 50 ff.
3. Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs
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1) Im Ergebnis ist keine Repräsentativität der Stichprobe wegen ihres Umfangs, wegen der vielfältigen Fehler und wegen fehlerhafter Abgrenzung festzustellen. m) Insofern wäre eine Bereinigung der Verfälschungen durch Nichtmeldungen zu gewährleisten. n) Die Glättungen müßten mit und ohne Krankengeld-Einbeziehung getrennt durchgeführt werden. o) Eine Potenzierung der Fehler der Datenerhebung in Korrekturfaktoren, Verhältniswerten und standardisierten Leistungsausgaben müßte ausgeschlossen werden. p) Es bestehen Erfordernisse hinreichend sachgerechter Datenerhebung für den RSA, so einer Vollerhebung und einer verbesserten Genauigkeit der Meldungen der Krankenkassen bzw. der Verbände; insofern sind zu geringe Kontrollmöglichkeiten der Kassen gegeben. Die Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP führen in der Begündung zum Entwurf des später beschlossenen GSG betreffend das Verfahren zur Datenerhebung gemäß § 267 SGB V aus: „Ziel dieser Erhebung ist, für den Risikostrukturausgleich nach § 266 gesicherte Daten und Rechenwerte zu erhalten. ... Risikoausgleiche können für den Beitragszahler, für die einzelne Kasse und für die betroffene Region erhebliche finanzielle Auswirkungen haben ... Die Durchführung des Risikoausgleichs erfordert deshalb eine möglichst tief nach Versichertengruppen gegliederte solide Datenbasis. Andererseits ist aber auch der finanzielle Aufwand der Datenerfassung zu berücksichtigen." 195 Der Gesetzgeber hat im Ergebnis ersichtlich und in Kenntnis der finanziellen Auswirkungen für einzelne Kassen die Datenerhebung faktisch unsachgemäß und damit ungeeignet geregelt. Die Wirkungen der vielfältigen, sich zum Teil potenzierenden Fehler sind aber insbesondere für nur unterdurchschnittliche Fehlerquoten aufweisende Krankenkassen unzumutbar. e) Nichterforderlichkeit
und Unzumutbarkeit
des RSA
Jedenfalls ist der RSA wegen fehlender Erforderlichkeit, zumindest aber wegen Unzumutbarkeit für Krankenkassen unverhältnismäßig. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip verlangt nämlich nicht nur die Geeignetheit der Mittel des Gesetzgebers im Hinblick auf die verfolgten Zwecke. Vielmehr müssen die Mittel auch erforderlich sein. Zuletzt muß die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne gegeben sein: Dies ist der Fall, wenn bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht sowie der 195
BT-Drucks. 12/3608.
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IV. Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit
Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt ist. Der RSA ist nicht erforderlich, um die Zwecke der Beitragssatzangleichung, der Wirtschaftlichkeitserhöhung sowie der Wettbewerbsstärkung zu erreichen. Im Hinblick auf die (ungeeigneten) Eingriffe in das Prinzip der Globaläquivalenz der betriebs-solidarischen Krankenkassen mußte die globaläquivalente Verbindung von versicherungsmäßiger individueller Äquivalenz mit der gruppenhomogenen Solidarität etwa innerhalb der B K K B M W nicht mittels des RSA verletzt werden, um die genannten Ziele zu erreichen. Hierbei werden beliebige Eingriffe in die Selbstverwaltungsautonomie solcher gruppenhomogener Solidargemeinschaften in der Regel mit dem Sozialstaatsprinzip begründet. Dieses würde letztlich eine bundesweite, kassenartübergreifende Solidargemeinschaft erzwingen, welche im Bereich der GKV zu bundesweiten Finanztransfers führen müßte. Dieser Ideologie unitarischer Sozialstaatlichkeit zufolge wird eine ungegliederte, voll staatlich inkorporierte Einheitskasse 196 angestrebt. Dieses nur noch formell gegliederte Kassensystem sichert über eine möglichst hohe Beitragssatzhomogenität allerdings keine Wirtschaftlichkeit und Effizienz, vor allem aber keinen Abbau von Wettbewerbs Verzerrungen. Vielmehr wird damit der Wettbewerb völlig aufgehoben zugunsten eines umfassenden Sozialvorbehalts. Hinsichtlich der Erforderlichkeit eines RSA, welcher immanent unitarische, rein sozialstaatliche Ziele verfolgt, muß jedoch auf die Relativität des Staatsziels „Sozialstaat" 197 bzw. bundesweiter Solidarität hingewiesen werden. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip soll mittels der Bedingung der Erforderlichkeit der Maßnahme die Grundrechte und insoweit die soziale Marktwirtschaft als das credo der grundgesetzlichen Wirtschaftsverfassung 1 9 8 verteidigen. Demgemäß darf nur durch jeweils mildeste Mittel mit zumindest gleichem Erfolg in die grundrechtlich gesicherte vorrangige Privatheit eingegriffen werden. Lediglich eine verfassungsmäßig zugunsten privater Freiheit und Wettbewerblichkeit begrenzte bundesweite Solidargemeinschaft ist mit den Grundrechten vereinbar. Das Solidarprinzip ist wirtschaftlich, wettbewerblich sowie beitragssatzhomogen ganz vorrangig in gruppenhomogenen, eher überschaubaren Gemeinschaften zu verwirklichen. Hier ist effiziente Selbstverwaltung sachnah und kostentransparent leistbar. Die unitarische, auf Datenerhebungen und statistische Planverfahren gestützte Zentralverwaltungs- bzw. Planwirtschaft sollte letztlich die Ungeeignetheit und freiheitliche Nichterforderlichkeit eines solchen „Solidar"- bzw. Sozial(ismus)196
Siehe vor allem R. Pitschas, NZS 1996, S. 266 ff. Siehe insb. H. Sodan/O. Gast, NZS 1998, S. 497 (505); dies., NZS 1999, S. 265 (273). 198 Siehe dazu näher H. Sodan, DÖV 2000, S. 361 ff. 197
3. Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs
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Prinzips bewiesen haben. Solidargemeinschaften sind über ein gruppenhomogen überschaubares Maß hinaus nicht mehr solidarisch, zumal nicht mehr wirtschaftlich. Sie entwickeln sich regelmäßig zu ineffizienten, nicht mehr steuerbaren Umverteilungs- und Finanztransfers-Mechanismen. Die Prinzipien der leistbaren, wirklichen Solidarität und der Eigenverantwortung müssen demgegenüber konkordant verwirklicht werden, was einen erheblichen Vorrang des Solidarprinzips ausschließt. Ein solcher käme einem weitgehenden Sozial(ismus)vorbehalt gleich, nicht aber einem einzig rechtlichen Grundrechtsvorbehalt und dem entsprechenden Prinzip des Vorrangs privater Lebensgestaltung. 199 Die grundgesetzliche und europäische Wirtschaftsverfassung ist jedoch die der sozialen Marktwirtschaft, nicht die der sozialen Solidar-, Versorgungs- oder Planwirtschaft. 200 Das Sozialstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 1, Art. 23 Abs. 1 und Art. 28 Abs. 1 GG gebietet zwar um des verfassungsmäßig geordneten Rechtsfriedens willen eine „Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit und sozialer Sicherheit" und in diesem Sinne „Sozialleistungen einschließlich sozialer ... Hilfen", wie es § 1 Abs. 1 Satz 1 SGB I als allgemeine 201 Grundnorm des Sozialgesetzbuchs konkretisiert. 202 Aber auch die nach Art. 1 Abs. 1 GG unantastbare und staatlich zu schützende Menschenwürde gebietet eine allerdings nur subsidiäre - Daseinsvorsorge und soziale Absicherung menschlicher Existenz und Freiheit durch den Staat. 203 Nach § 1 Abs. 1 Satz 2 SGB I ist der Sozialgesetzgebung die entsprechende staatliche Aufgabe zugewiesen. Dem entspricht die spezifische Regelung für die GKV gemäß § 1 SGB V, welche die Prinzipien der Eigenverantwortung und der Solidarität miteinander verbindet 204 . Nach Maßgabe der sozialstaatlichen Versorgungsaufgabe, aber auch der grundrechtswahrenden Erforderlichkeit staatlicher Maßnahmen besteht das Gebot der wirtschaftlichen Leistungserbringung im eben nur qualitativ gebotenen, ausreichenden und notwendigen Umfange. Der 199 Siehe H Sodan/O. Gast, NZS 1998, S. 497 (505). 200 Ygi κ a. Schachtschneider/O. Gast, Sozialistische Schulden nach der Revolution, S. 102 ff., 109 ff. 201 Die speziellen Bestimmungen des SGB V zur GKV schließen die Geltung allgemeiner Grundsätze über die allgemeinen Vorschriften (§§ 1 bis 4) des SGB V hinaus nicht aus. 202 Zu den verfassungsrechtlichen Implikationen des Sozialstaatsprinzips D. Merten, Schulin HS-KV, § 5 Rn. 35 ff. 203 Zur Daseinsvorsorge und Wohlfahrtspflege als staatlicher Aufgaben W. Rüfner, Daseinsvorsorge und soziale Sicherheit, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HStR III, 1988, § 80 Rn. 1 ff., 28 ff.; so auch R. Herzog, Ziele, Vorbehalte und Grenzen der Staatstätigkeit, HStR III, § 58 Rn. 54 ff. 204 Vgl. zu diesem untrennbaren Zusammenhang KassKomm-Peters, § 1 SGB V Rn. 4, 7.
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IV. Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit
Grundsatz der Wirtschaftlichkeit wird durch § 2 Abs. 1 und 4, § 4 Abs. 3 und 4, § 12 Abs. 1 sowie § 72 Abs. 2 SGB V mehrfach verbindlich gemacht. Die Ausgestaltung der Finanzierung der die staatliche Aufgabe sozialer Daseinsvorsorge vollziehenden GKV richtet sich nach deren Organisationsform. Die Versicherungsträger sind als sich selbst verwaltende Körperschaften des öffentlichen Rechts im Rahmen der mittelbaren Staatsverwaltung organisiert. Der gesetzlich vorgeschriebene Leistungsumfang sowie der aufzunehmende Versichertenkreis determinieren jedoch die Ausgabenstruktur der Kassen in erheblichem Maße. Die Finanzierung wird dabei, wie bereits dargestellt, ebenfalls umfassend geregelt, und zwar nach dem Prinzip der genannten Globaläquivalenz. Hierbei wird in Nähe zu den privatrechtlichen Versicherungsgrundsätzen „eine gewisse Äquivalenz zwischen Beiträgen und Leistungen der gesamten Versichertengemeinschaft" 205 zugrundegelegt, welche durch den sozialversicherungstypischen Grundsatz des sozialen Ausgleichs modifiziert wird. Wesentlich ist jedoch die Definition der Versichertengemeinschaft. Eine solche Gemeinschaft muß sich nach dem Versicherungsprinzip richten, insofern also hinreichende individuelle Äquivalenz der Versicherung mit der Globaläquivalenz der gruppenhomogen vereinigten Gemeinschaft verbinden. Solidarität muß zugleich wirklich leistbar sein, wirtschaftlich bleiben, Risiken solidarisch verteilen und vor allem die grundrechtliche Subsidiarität wahren. Diesen Anforderungen wird eine gesetzlich institutionalisierte, aber innerhalb dieses Rahmens privat-korporative Solidargemeinschaft etwa auf betrieblicher Ebene am besten gerecht. Dem folgen weitgehende Selbstverwaltungsautonomien, wie sie bereits dargestellt wurden. Die wesentliche Rolle im Hinblick auf das Mittel des RSA spielen hier aber die Finanz- und Haushaltsautonomie. Gerade diesbezüglich müßte sich der RSA als erforderlich erweisen. Nach überwiegender Auffassung ist aufgrund der Eigenschaft der Versicherungsträger als bundesmittelbarer (oder landesmittelbarer) öffentlichrechtlicher Körperschaften im Sinne des Art. 87 Abs. 2 GG i.V.m. der sozialversicherungsrechtlichen Kompetenzgrundlage des Bundes im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG die Eigenfinanzierung als rechtlich zulässige Finanzierungsform anerkannt. 206 Die Sozialversicherungsbeiträge sind jedoch finanzrechtliche Sonderlasten, welche ihre Legitimation vor der Verfassung nachweisen müssen. Erforderlichkeitsgebot, Wirtschaftlichkeitsgrundsatz sowie der grundrechtlich ge205
F. E. Schnapp, Schulin HS-KV § 49 Rn. 48. Siehe dazu BVerfGE 63, 1 (35); 75, 108 (147); 76, 256 (299); 78, 249 (267); 81, 156 (185). 206
3. Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs
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sicherte freiheitliche Vorrang der privaten Lebensgestaltung 207 erzwingen aber das genannte Gebot des (wirtschaftlich) mildesten Grundrechtseingriffs. Eine existenzgefährdende Einschränkung der körperschaftlichen finanziellen Selbstverwaltungsautonomie und Handlungsfreiheit der Krankenkassen stellt sich jedoch nicht als mildes oder gar mildestes Mittel dar, um die genannten Ziele der GKV zu erreichen. Ein solcher Eingriff ist vielmehr nicht erforderlich. Dies wiegt um so schwerer, als es sich hierbei um einen existentiellen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit handelt. Die Wirtschaftlichkeitserhöhung, die Einführung von Wettbewerb sowie das Ziel der Angleichung der Beitragssätze sind mittels einer existenzgefährdenden Sonderbelastung noch nicht einmal geeignet durchzuführen. Schon von daher kann das Mittel des RSA nicht das mildeste Mittel zur Zielerreichung sein, da es die genannten Ziele überhaupt nicht erreicht. Ungeeignete Mittel können nicht erforderlich sein. Nach den dargestellten Maßgaben einer wirklich solidarischen, sachnah und kostentransparent wirtschaftlichen sowie zugleich grundrechtskonformen und hinreichend wettbewerblichen Gemeinschaft der Krankenversicherung ergeben sich ersichtlich mildere Mittel als der RSA: 1. In Betracht kommen nicht so stark in Grundrechtspositionen eingreifende Wege, etwa eine sogenannte „Korridorlösung". 208 Danach werden die Berechnungen der Ausgleichszahlungen mit einer Pufferzone versehen. In einem bestimmten mittleren Bereich von Finanzkraft bzw. Beitragsbedarf wird danach kein Ausgleich durchgeführt. Hier wird vielmehr von einer hinreichenden Homogenität hinsichtlich der Ausgleichsfaktoren ausgegangen. Letztlich würde sich der gesamte RSA-Transfer beachtlich reduzieren und die Tendenz zur Einheitskasse immerhin etwas abgebremst. Den grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken wird diese Lösung jëdoch nicht gerecht. Insbesondere sind noch mildere Mittel hinsichtlich der drei genannten Ziele denkbar. 2. Besondere Härten des RSA, im Falle der B K K B M W (Bereich Ost, 1997) mit einer Durchschnittsbelastung der Finanzkraft von 62,9%, könnten durch absolute Grenzen der Belastung vermieden werden. Entsprechend dem Hälftigkeitsgrundsatz des Bundesverfassungsgerichts 209 zur Abgrenzung von Privatheit und Staatlichkeit dürfte etwa kein individuelles Versicherungsverhältnis über dieses Maß hinaus verletzt werden. Das Versicherungsprinzip ist demnach individuell hinreichend, nämlich zumindest hälftig zu wahren. Das gruppenmäßige Äquivalenz- bzw. Versicherungsprinzip ist zudem ebenso - als Globaläquivalenz - mindestens hälftig einzuhalten. Nur 207 Siehe H. Sodan (Fn. 105), S. 306 ff.; ders., DÖV 2000, S. 361 ff.; dersJ O. Gast, NZS 1998, S. 497 (505). 208 Vgl. U. Ramsauer, NJW 1998, S. 481 (486 f.). 209 Siehe dazu S. 108 ff.
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IV. Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit
insofern würde das Solidarprinzip in dargestellter sozialer, wirtschaftlicher, wettbewerblicher sowie vor allem grundrechtlicher Konkordanz erfüllt. Solidarität und entsprechende gemeinschaftliche Globaläquivalenz setzen unabdingbar bestimmte Kriterien hinreichender Homogenität voraus. Die Grand-Homogenität innerhalb einer GKV ist einzig und allein die Schutzbedürftigkeit. Anderenfalls wäre jede gesetzliche Zwangssolidarisierung an sich schon nicht mehr erforderlich. Ein nicht Schutzbedürftiger ist nicht erforderlich sozial zu schützen. Die Finanzierung der Solidarität der Schutzbedürftigen ist jedoch, wie noch auszuführen ist, nicht durch Sonderbelastungen einzelner, sondern durch allgemein-staatliche Finanzierung zu leisten. Bei Einhaltung der zweigestuften Hälftigkeits- bzw. Äquivalenzgrenze auf individueller wie gruppenhomogener Ebene scheidet jedoch eine kassendurchschnittliche Belastung von etwa über 25% der Sollerträge aus 2 1 0 , sofern sie zu individuellen UnVerhältnismäßigkeiten führt. Dies kann in Einzelfällen ermittelt werden. Angesichts des Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG wäre jedoch eine bundeseinheitliche absolute Grenze der Kassenbelastung von etwa 20% bis 25% der Sollerträge denkbar. Die darüber hinausgehenden notwendigen Leistungen müßten durch staatliche Zuschüsse gemäß Art. 120 Abs. 1 Satz 4 GG finanziert werden. Eine solche Lösung wäre zugleich konform mit den drei Zielen des RSA, vor allem aber wäre sie verfassungsgemäß im Hinblick auf die allgemeine Handlungsfreiheit der Krankenkassen bzw. (mittelbar) ihrer Mitglieder. Die existentielle Bedrohung etwa der wettbewerbsfähigen, gruppen-homogen solidarischen B K K B M W durch willkürliche, ungeeignete sowie nicht erforderliche RSA-Verpflichtungen wäre abgewendet. Durch den milderen Eingriff ließen sich zugleich wettbewerbsverzerrende, damit aber effizienzsenkende Wirkungen vermeiden; damit wäre die Finanzierung des Systems der GKV in verfassungsmäßiger Weise sichergestellt. 3. Das denkbar mildeste Mittel zur gleichzeitigen Erreichung der Wirtschaftlichkeit, Wettbewerblichkeit sowie Beitragssatzhomogenisierung wäre jedoch das völlige Unterlassen von staatlichen Umverteilungen und Wettbewerbseingriffen, also die völlige Aufhebung des RSA. Ein zeitlich gestuftes Zurückfahren des RSA ist insoweit sachdienlich. Dies ließe sich - wie schon ausgeführt - mit subsidiären staatlichen Zuschüssen gemäß Art. 120 Abs. 1 Satz 4 GG verbinden. Im Rahmen staatlich ordnender Wirtschaftsverfassung gewährleisten Wettbewerb und soziale Marktwirtschaft allein die optimale Wirtschaftlichkeit und Homogenität der Versicherungspreise bzw. -beiträge - im Gleichklang mit dem Sozial(staats)prinzip. Sozialstaatlichkeit ist ohnehin nur durch Wirtschaftlichkeit des entsprechenden sozialen Systems, etwa der GKV, finanziell stabil und geeignet zu gewährleisten. 210
Siehe näher S. 108 ff.
3. Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs
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Durch staatliche Eingriffsverwaltung, kassenartübergreifende Transfers sowie willkürliche Selektion ausgleichsfähiger Risikofaktoren wird demgegenüber nicht nur der Wettbewerb verfälscht bzw. aufgehoben, sondern die Wirtschaftlichkeit erheblich gesenkt. Wirtschaftlichkeitsanreize gehen im Maße der Verdrängung der Finanzhoheit der Krankenkassen und der Einbuße an Transparenz verloren. Eine Subventionsmentalität führt immer zu Wirtschaftlichkeitsverlust. Gleiches gilt für nicht mehr sachnah eigenverantwortete Einnahmen- und Ausgabenstrukturen. Nur eine marktliche Transparenz ermöglicht die Effizienzkontrolle von Einnahmen- und Ausgabenrelationen. Statt effizienter Einnahmen- und Ausgabenpolitik der Kassen im Sinne der Mitglieder sowie des gesamten Sozialversicherungssystems dominiert mittels bundesweiter Finanztransfers eine unkontrollierte Ausweitung der Ausgaben. Diese werden durch Transfers ausgeglichen, welche durch Datenmanipulationen oder unterbleibendes Datenmanagement erreicht werden können. Datenmanipulationen und fehlende Datenpflege werden systematisch durch Transfers belohnt. Sie können aber zumindest nicht in weitem Umfange verhindert werden, wie die hohen Fehlerquoten in den Prüfberichten des B V A und die ständigen Nachbesserungen des RSA zeigen. Zwingend einsetzende Prüfverfahren sind selbst wieder kostentreibend, zugleich aber nicht hinreichend zur Wirtschaftlichkeitserhöhung. Die Erfahrungen mit dem RSA zeigen einen kostenintensiven Prüfaufwand, welcher nach mehreren Jahren dennoch nicht zu einem geeigneten, irgendwie verläßlichen Verfahren geführt hat. Erhebliche Wettbewerbsverzerrungen können zudem grundsätzlich nicht eine Wirtschaftlichkeitserhöhung bewirken. Statt einer Beitragssatzangleichung sind vielmehr wettbewerbsverzerrende neue Beitragssatzverwerfungen erreicht worden. 211 Die auch im Ergebnis des RSA gesunkene Wirtschaftlichkeit der GKV wird zudem durch gestiegene durchschnittliche Beitragssätze 212 bestätigt. Die höchste Wirtschaftlichkeit und zugleich Wettbewerblichkeit erreicht demgegenüber die transferlose, marktliche Eigenfinanzierung eigenverantwortlicher, selbstverwalteter Solidargemeinschaften, welche nur zurückhaltend-subsidiär vom Staat gestützt werden. Der Staat finanziert damit subsidiär die Sozialstaatlichkeit nach der Maßgabe der grundrechtsgebotenen Erforderlichkeit des mildesten Eingriffs, auch hinsichtlich des noch auszuführenden allgemeinen Gleichheitssatzes. 213 Die staatliche Aufgabe sozialer Absicherung ist allgemein-staatlich und gleichheitssatzgemäß über Steuermittel zu finanzieren. Jedenfalls ist das ohnehin ungeeignete Mittel RSA als eine die Krankenkassen diskriminierende, grundrechtsverletzende Maßnahme keinesfalls erforderlich, um die genann211 212 213
Siehe dazu W. Schneider, DOK 1993, S. 49 (53). Siehe 7. Müller/W. Schneider, Arbeit und Sozialpolitik 1998, S. 10 (11 f.). Vgl. dazu S. 117 ff.
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IV. Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit
ten Ziele zu erreichen. Hinsichtlich der zieladäquaten Finanzierung der GKV ist vielmehr Art. 120 Abs. 1 Satz 4 GG anzuwenden, wonach der Bund die Zuschüsse zu den Kosten der Sozialversicherung zu tragen hat. Auch für diesen Fall des mildesten, also einzig verfassungsmäßigen Eingriffs im Sinne der drei intendierten Ziele des RSA wird der Hälftigkeitsgrundsatz auf individueller wie auf gruppenhomogener Ebene gewahrt. Zudem wird nur so das Versicherungsprinzip der „SozialVersicherung" verwirklicht. Die Unzumutbarkeit des RSA bzw. seine UnVerhältnismäßigkeit im engeren Sinne folgen aus der mangelnden hinreichenden Rechtfertigung des schwerwiegenden Eingriffs in die Selbstverwaltungsautonomie bzw. allgemeine Handlungsfreiheit der Krankenkassen. Die drei genannten Ziele können auch im Hinblick auf das Sozial(staats)prinzip nur eine geeignete, vor allem aber mildeste Regelung rechtfertigen. Jede härtere Regelung, vor allem aber die existenzgefährdende und die Haushaltsautonomie aufhebende Verfahrensweise des RSA, sind jedoch nicht mehr zu legitimieren. Ein Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit ohne verhältnismäßige Legitimation ist eine Verletzung des Art. 2 Abs. 1 GG. Zugleich sind die körperschaftlich vereinigten Mitglieder unzumutbar in ihrer korporativen Handlungsfreiheit verletzt. Das Mittel RSA ist zur Erreichung einer höheren Wirtschaftlichkeit, Wettbewerblichkeit und Beitragssatzhomogenität in der gegliederten GKV nicht nur ungeeignet, sondern auch ein unzumutbar hartes, nicht erforderliches Mittel ohne hinreichende Rechtfertigung durch Gründe des Gemeinwohls. Zudem wird eine betroffene Krankenkasse wie die B K K B M W mittelbar über den Arbeitgeber - als Errichter und maßgeblicher Finanzier dieser Solidargemeinschaft - verletzt, wenn dieser durch ungeeignete, nicht erforderliche und nicht zu rechtfertigende Belastungen in Höhe von 43,14% (West) bzw. 62,08% (Ost) der äquivalenten Gegenleistung belastet wird. Hinsichtlich der allgemeinen Handlungsfreiheit der Krankenkassen bzw. mittelbar ihrer Mitglieder erweist sich der RSA im Ergebnis als umfassend unverhältnismäßig, also verfassungswidrig. f) Grenze der Belastbarkeit
im Wesensgehaltsschutz
Das Verhältnismäßigkeitsprinzip findet seine materielle Ergänzung und Grenze in der grundrechtlichen Wesensgehaltsgarantie. Selbst bei hinreichender Rechtfertigung eines Grundrechtseingriffs soll der Kern der allgemeinen Handlungsfreiheit Eingriffen des Gesetzgebers entzogen bleiben. Eine ausschließliche Prüfung des Verhältnismäßigkeitsprinzips würde den grundrechtlichen, änderungsfesten Verfassungskern entgegen Art. 79 Abs. 3 i.V.m. Art. 19 Abs. 2 GG aufgeben. Bereits im grundlegenden sogenannten
3. Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs
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Elfes-Urteil formulierte das Bundesverfassungsgericht: „Vor allem dürfen die Gesetze ... die geistige, politische und wirtschaftliche Freiheit des Menschen nicht so einschränken, daß sie in ihrem Wesensgehalt angetastet würde (Art. 19 Abs. 2, Art. 1 Abs. 3, Art. 2 Abs. 1 GG). Hieraus ergibt sich, daß dem einzelnen Bürger eine Sphäre privater Lebensgestaltung verfassungskräftig vorbehalten ist, also ein letzter unantastbarer Bereich menschlicher Freiheit besteht, der der Einwirkung der gesamten öffentlichen Gewalt entzogen ist. Ein Gesetz, das in ihn eingreifen würde, könnte nie Bestandteil der »verfassungsmäßigen Ordnung 4 sein; es müßte durch das Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärt werden." 2 1 4 Die Wesensgehaltsgarantie wahrt letztlich die unaufgebbare 215 materielle Werteordnung 216 im Sinne vorpositiver Menschen- und Bürgerrechte. Die Unverletzlichkeit und Unveräußerlichkeit der Menschenrechte „als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt" deklariert Art. 1 Abs. 2 GG. Ein zumindest wesensgehaltlicher Grundrechtsschutz der Krankenkassen, mittelbar auch über deren Mitglieder, muß jedenfalls den Kernbereich der oben dargestellten Bereiche der Selbstverwaliungsautonomie der Körperschaft unberührt lassen. Der grundrechtliche Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit der juristischen Person einer Krankenkasse bzw. der natürlichen Personen ihrer Mitglieder durch die disfunktionale und ungeeignete sowie unzumutbare RSA-Belastung erweist den RSA aber nicht nur als unverhältnismäßig, sondern auch als Verletzung der Wesensgehaltsgarantie der allgemeinen Handlungsfreiheit. Die Auferlegung von Geldleistungspflichten etwa zu Lasten der B K K B M W in der Höhe von 43,14% (West) bzw. 62,08% (Ost) der Beitragseinnahmen gefährdet die körperschaftliche Handlungsfreiheit dieser Krankenkasse in ihrem Kern, nämlich in ihrer Existenz. Die Wesensgehaltsgarantie der allgemeinen Handlungsfreiheit muß zumindest die Existenz der Grundrechtsgeschützten als Voraussetzung allen Handelns wahren. Krankenkassen bzw. ihre Mitglieder haben insbesondere ein Recht aus Art. 2 Abs. 1 bzw. Art. 9 Abs. 1 GG auf die funktionale Verwendung ihrer Beiträge. Beiträge müssen dem Begriffe nach auch tatsächlich noch Beiträge sein. 2 1 7 Hierbei ist in Nähe zu den privatrechtlichen Versicherungsgrundsätzen „eine gewisse Äquivalenz zwischen Beiträgen und Leistungen 214 BVerfGE 6, 32 (41). Vgl. ferner etwa BVerfGE 6, 389 (433); 7, 198 (220 f.); 27, 1 (6); 27, 344 (350 f.); 32, 373 (378 f.); 33, 367 (376 f.); 34, 238 (245); 35, 35 (39); 35, 202 (220, 232); 39, 1 (42). 215 Vgl. insb. G. Dürig, Zur Bedeutung und Tragweite des Art. 79 Abs. III des Grundgesetzes, in: ders., Gesammelte Schriften 1952-1984, 1984, S. 343 ff. 216 Vgl. dazu insb. BVerfGE 7, 198 (204 ff.). 217 Siehe dazu H. Sodan, NZS 1999, S. 105 (110 f.).
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IV. Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit
der gesamten Versichertengemeinschaft" 218 zugrundezulegen. Allerdings wird diese grundlegende Äquivalenz von Beiträgen und Leistungen durch den sozialversicherungstypischen Grundsatz des sozialen Ausgleichs modifiziert. Diese Solidarität schlägt sich jedoch bereits in der Globaläquivalenz innerhalb der Krankenkasse selbst nieder. So ist ein junger Versicherter ohne Vorerkrankungen und mitversicherte Familienmitglieder bei weitem nicht äquivalent versichert, was innerhalb seiner Krankenkasse unter solidarischen Gesichtspunkten als sinnvoll erscheint. Die Globaläquivalenz innerhalb der gruppenhomogenen Solidargemeinschaft einer B K K ist in vielerlei Hinsicht gewahrt: betrieblich, weitgehend beruflich bzw. branchenspezifisch sowie regional. Hinzu kommt die übergreifende sog. Schutzbedürftigkeit, welche als Idee und Kriterium der GKV rechtens zugrundeliegen sollte. 2 1 9 Insofern ist das grundlegende Äquivalenzprinzip bereits erheblich durch die kasseninterne und auch kassenartinterne Solidarität modifiziert, so daß sich an dieser Eingriffsintensität weitergehende Solidarverpflichtungen messen lassen müssen. Dies gilt besonders für die ohnehin schon stark inäquivalent versicherten Mitglieder etwa der B K K BMW. Bei einer durchschnittlichen Belastung durch den RSA von 43,14% (West) bzw. 62,08% (Ost) läßt sich eine Belastung einzelner Mitglieder von weit über diesem Betrag unterstellen. 220 Damit jedoch ist die Äquivalenz so weit überschritten, daß der vom Bundesverfassungsgericht postulierte Hälftigkeitsgrundsatz für das Verhältnis privater und staatlicher Inanspruchnahme 221 einschlägig ist. Die zumindest hälftige leistungsmäßige Funktionsgerechtigkeit der Beiträge muß die Grenze der Belastbarkeit durch das Solidarprinzip bilden. Dies gilt auf individueller wie auf gruppen-homogener Versicherungsebene. Um wieviel mehr jedoch muß eine Belastung hinsichtlich der Wesensgehaltsgarantie der allgemeinen Handlungsfreiheit fraglich werden, wenn sie sich aus einem Solidarausgleich herleitet, welcher keinen Bezug zu den dargestellten Kriterien tatsächlicher, effizienter, gruppen-homogener und sachnaher Solidarität besitzt. Weil der Wesensgehalt der Grundrechte zwar angesichts des Umstandes, daß den Grundrechtsmaterien und ihren Kernen naturgemäß eine bestimmte Dynamik eignet, immer umstritten bleiben wird, bietet sich der genannte Grundsatz der höchstens hälftigen staatlichen Inanspruchnahme eigentlich privater Handlungs- und Nutzungsbefugnisse als absolute Grenze für staatliche Eingriffe an. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip als bloßer Abwägungsgrundsatz 222 vermag eine solche absolute Grenze zugunsten der allgemei218
F. E. Schnapp, in: Schulin HS-KV, § 49 Rn. 48. Vgl. dazu H. Sodan (Fn. 105), S. 323 ff. 220 Vgl. dazu genau S. 110 ff. 221 BVerfGE 93, 121 (137); siehe dazu W. Leisner, Steuer- und Eigentumswende - die Einheitswertbeschlüsse des Bundesverfassungsgerichts, NJW 1995, S. 2591 ff. 219
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nen Handlungsfreiheit der Krankenkassen bzw. mittelbar ihrer korporierten Mitglieder nicht zu ziehen. Zumutbar und wesensgehaltswahrend kann insofern also nur eine individuelle Belastung jedes Mitglieds der Krankenkassen wie auch eine gruppen-homogene Belastung der Krankenkassen im ganzen sein, welche mehr als hälftig das versicherungstypische Äquivalenzprinzip wahrt. Danach müssen 1. für jedes Mitglied und 2. für eine Krankenkasse die Beiträge mindestens hälftig den Leistungsausgaben einschließlich einer Rücklagenund Vermögensbildung zugute kommen. Die individuelle Hälftigkeitsgrenze schützt vor kasseninternen oder kassenartinternen Finanztransfers zuungunsten des Äquivalenz- bzw. Versicherungsprinzips. Das hier wesentliche Hälftigkeitsprinzip zugunsten der Krankenkassen soll aber insbesondere vor kassenartübergreifenden, zumal unzumutbaren Finanzausgleichen schützen. Dies allein wahrt den Wesensgehalt der ganz vorrangig und allgemein alles personale und korporative Handeln schützenden Freiheitsrechts des Art. 2 Abs. 1 GG. In jedem Falle ist eine Krankenkasse durch die ungeeignete, nicht erforderliche, unzumutbare und vor allem wesensgehaltsverletzende Regelung des RSA, und sei es mittelbar über ihre Mitglieder, in ihrem Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit verletzt. g) Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht Eine erheblich an Bedeutung gewinnende Schranke für die nationalen Gesetzgebungen bildet das europäische Gemeinschaftsrecht. Die gemeinschaftsrechtliche Binnenmarkt- und Wettbewerbsordnung steht objektivrechtlich widersprechendem nationalen Recht entgegen. Dazu führt der Europäische Gerichtshof in der Rechtssache „van Gend & L o o s " 2 2 3 aus: „Das Ziel des EWG-Vertrages ist die Schaffung eines gemeinsamen Marktes, dessen Funktionieren die der Gemeinschaft angehörenden Einzelnen unmittelbar betrifft; damit ist zugleich gesagt, daß dieser Vertrag mehr ist als ein Abkommen, das nur wechselseitige Verpflichtungen zwischen den vertragsschließenden Staaten begründet." Mithin kann auch nicht nur von einer rein zwischenstaatlichen und begrenzt wirkenden Geltung des Gemeinschaftsrechts ausgegangen werden. Vielmehr schafft der EGV, insbesondere nach den Verträgen von Maastricht und Amsterdam, eine umfassende Rechtsordnung des Binnenmarktes, welche objektiv-rechtlich alles diesbezügliche mitgliedstaatliche und individuelle Handeln bindet. Insofern bestimmt Art. 2 EGV als Aufgabe der Gemeinschaft, einen Gemeinsamen Markt sowie eine Wirtschafts- und Währungsunion zu errichten. Die Tätigkeit der Mitglied222 223
Vgl. dazu umfassend W. Leisner, Der Abwägungsstaat, 1997. EuGH Urt. v. 05.02.1963 - Rs. 26/62, Slg. 1963, 1 (24).
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IV. Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit
Staaten und der Gemeinschaft ist gemäß Art. 4 Abs. 1 EGV umfassend an den Grundsatz der „offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb" gebunden. Dies bestätigen die Art. 4 Abs. 2, Art. 98 und Art. 105 Abs. 1 Satz 3 EGV. Demnach gilt objektiv-rechtlich umfassend in der Gemeinschaft, nicht also nur zwischenstaatlich, der grundrechtlich in Deutschland ohnehin verbindliche Vorrang privater, marktlicher und demnach wettbewerblicher Lebensgestaltung. Die näher zu erörternde unmittelbare Geltung, zum Teil auch Anwendbarkeit 2 2 4 des Gemeinschaftsrechts führt zu Schranken der mitgliedstaatlichen Kompetenzausübung. Ausnahmen von der im Grundsatz marktlichen Binnenmarkts-Rechtsordnung haben sich vor einem im Gemeinschaftsrecht strengeren Verhältnismäßigkeitsprinzip zu rechtfertigen. Dies zeigen zur Warenverkehrsfreiheit die Art. 28 und 30 EGV sowie zur Niederlassungsfreiheit die Art. 43 und 45 f. EGV. Der allgemeine ordre-public-Vorbehalt zugunsten staatlicher Sonderregelungen entgegen dem Binnenmarkt- und Wettbewerbsgrundsatz wird also durch ein strengeres Rechtfertigungserfordernis relativiert. Insoweit haben sich die nationalen Gesetzgebungen gemeinschaftsrechtskonform in die Rechtsordnung der Europäischen Gemeinschaft einzufügen. Demgemäß sind die europäischen Primärrechtstexte durch die grundgesetzliche Inkorporation 225 nach Art. 23 Abs. 1 GG letztlich deutsches Verfassungsrecht. Demnach hat eine einfachgesetzliche RSA-Regelung nicht nur das genuine deutsche Verfassungsrecht zu achten, sondern auch die inkorporierten gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten und Binnenmarktprinzipien. Dem entspricht das Prinzip des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts, soweit dem nicht existentielle Verfassungsvorbehalte der Mitgliedstaaten entgegenstehen226. Art. 10 EGV regelt die entsprechenden Pflichten der Mitgliedstaaten zum gemeinschaftstreuen Verhalten. Das Gemeinschaftsrecht entfaltet - unter Verfassungsvorbehalt - unmittelbare Geltung in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten. Als unmittelbar geltend werden völkerrechtliche Verträge bezeichnet, welche ohne staatlichen Transformationsakt unmittelbar mit Vertragsabschluß Geltung entfalten. 227 Eine solche unmittelbare Geltung stützt sich auf die sog. monistische Lehre des Völkerrechts 228 , wonach nationales Recht und Völkerrecht Teile einer einheit224
Siehe dazu M. Schweitzer/W. Hummer, Europarecht, 5. Aufl., 1996, Rn. 846. Zum (begrenzten) Vorrang des Gemeinschaftsrechts kraft - begrenzter - verfassungsmäßiger Ermächtigung vor allem BVerfGE 58, 1 (40); 73, 339 (375); 89, 155 (182 ff.); etwa von einer „Verzahnung" von Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht spricht R. Streinz, Europarecht, Rn. 175 ff., zum Vorrang des Gemeinschaftsrechts Rn. 180 ff. 226 Vgl. zum Vorrang der nationalen Verfassungskerne BVerfGE 89, 155 (182 ff.). 227 Vgl. etwa M. Schweitzer/W. Hummer (Fn. 224), Rn. 845 ff. 225
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liehen Rechtsordnung sind. Der Europäische Gerichtshof führt in der Rechtssache „Costa/ENEL" 2 2 9 aus: „Zum Unterschied von gewöhnlichen internationalen Verträgen hat der EWG-Vertrag eine eigene Rechtsordnung geschaffen, die bei seinem Inkrafttreten in die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten aufgenommen worden und von ihren Gerichten anzuwenden ist." Insofern hätten mit der begrenzten Übertragung von Hoheitsrechten gemäß Art. 24 Abs. 1 GG „die Mitgliedstaaten, wenn auch nur auf einem begrenzten Gebiet, ihre Souveränitätsrechte beschränkt und so einen Rechtskörper geschaffen, der für ihre Angehörigen und sie selbst verbindlich ist." Nach der Maßgabe unmittelbarer Geltung der gemeinschaftsrechtlichen Binnenmarkt- und Wettbewerbsordnung müssen die Grundfreiheiten der Art. 28 ff. EGV sowie die Wettbewerbsregelungen der Art. 81 ff. E G V 2 3 0 für jede mitgliedstaatliche Maßnahme Verbindlichkeit besitzen. Sind die Auslegung und die inhaltliche Verbindlichkeit von Bestimmungen des EGV für ein staatliches Gericht fraglich, „so kann es (sc. das Gericht) diese Frage dem Gerichtshof zur Entscheidung vorlegen", wie Art. 234 Abs. 2 EGV bestimmt. 231 Im Wege der Vorabentscheidung muß ein staatliches Gericht sogar dem Europäischen Gerichtshof vorlegen, wenn es letztinstanzlich entscheidet (Art. 234 Abs. 3 E G V ) . 2 3 2 Bezüglich der Regelung eines RSA im Rahmen einer (staatlich monopolistischen) GKV sind insoweit insbesondere die Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 49 ff. EGV sowie das Verbot wettbewerbsbeschränkender Maßnahmen des Art. 81 EGV zu beachten. Bezüglich des Verbots von Wettbewerbsbeschränkungen ist zudem Art. 86 Abs. 1 EGV maßgeblich, wonach die Mitgliedstaaten bezüglich öffentlicher oder monopolartiger Unternehmen keine den Art. 12 und 81 ff. EGV widersprechenden Maßnahmen treffen dürfen. Für Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betraut sind, gilt gemäß Art. 86 Abs. 2 EGV Entsprechendes unter einem allgemeinem ordre-public-Vorbehalt. 233 Monopolartige Unternehmen sind nach Art. 86 Abs. 1 EGV Unternehmen, denen die
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Siehe Λ. Verdross, Völkerrecht, 5. Aufl., 1964, S. 111 ff.; O. Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, 6. Aufl., 1997, S. 239 ff. 229 EuGH Urt. v. 15.07.1964 - Rs. 6/64, Slg. 1964, 1251 (1269). 230 Vgl. dazu umfassend etwa H. Schröter, in: H. v. d. Groben/J. Thiesing/C.-D. Ehlermann (Hrsg.), Kommentar zum EU-/EG-Vertrag, Bd. 2/1, 5. Aufl., 1999, Art. 85 EGV Rn. 1 ff., 16 ff. 231 Vgl. 7. Wohlfahrt, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), Kommentar zur Europäischen Union, Bd. II, Art. 137-248 EGV, Stand: Juli 2000, § 177 EGV Rn. 15 ff. 232 Vgl. J. Wohlfahrt (Fn. 231), § 177 EGV Rn. 52 ff. 233 Siehe dazu /. Pernice, in: E. Grabitz/M. Hilf (Hrsg.), Kommentar zur Europäischen Union, Bd. I, Art. l-136a EGV, Stand: Mai 1998, Art. 90 Rn. 30 ff. 6*
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IV. Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit
Mitgliedstaaten „besondere oder ausschließliche Rechte gewähren". 234 Dies trifft für die Versicherungsträger der GKV in Deutschland als öffentlichrechtlichen Körperschaften zu, sofern sich die Unternehmenseigenschaft der Krankenkassen bejahen läßt. Dies wird etwa für die British Telecommunication bzw. das United Kingdom Post Office 2 3 5 , die britische öffentliche Rundfunk- und Fernsehanstalt B B C 2 3 6 , die Deutsche Bundespost 237 , die Bundesanstalt für Arbeit und die Treuhandanstalt bejaht. 2 3 8 Günter Püttner führt zum Unternehmensbegriff aus: „Unternehmer ist, wer ,etwas unternimmt 4 ; Aktivität und Wagnis bestimmt das Unternehmerische. So bezeichnet Otto Mayer als öffentliche Unternehmen 4 ... ein abgegrenztes Stück Verwaltung 4, das einer bestimmten Aufgabe dient 4 4 . 2 3 9 Dies ist hinsichtlich der Dienstleistungs-Unternehmenstätigkeit etwa der B K K B M W zu bejahen. „Die Schaffung von öffentlichen Unternehmen, in der Regel durch Verstaatlichung oder die Mehrheitsbeteiligung an privaten Unternehmen und die Gewährung von besonderen oder ausschließlichen Rechten an private Unternehmen stellen grundsätzlich eigenständige staatliche Maßnahmen dar, durch die erst Unternehmen ... geschaffen werden. Sie sind eine Tatbestandsvoraussetzung für die Anwendung der Vorschrift. 44240 Zu den staatlich gewährten ausschließlichen Rechten gehört inbesondere die Gewährung eines Dienstleistungsmonopols. 241 „Das Unternehmen erlangt durch die Übertragung ausschließlicher Rechte in der Regel gleichzeitig eine marktbeherrschende Stellung und unterliegt, wenn es nicht durch die Ausgestaltung des Rechts dazu gezwungen ist, sondern autonom handelt, insbesondere Artikel 86" EGV a. F . 2 4 2 bzw. Art. 82 EGV n.F. Die Möglichkeiten der Gewährung ausschließlicher Rechte, hier betreffend das Dienstleistungsmonopol der gesetzlichen Krankenkassen, sind demnach eingeschränkt. Sie bemessen sich insbesondere nach den einzelnen Vorschriften des Art. 86 Abs. 1 E G V 2 4 3 , aber auch nach der Dienstleistungsfreiheit und der allge234
Vgl. dazu /. Pernice (Fn. 233), Art. 90 Rn. 24 ff. Entscheidung der Kommission v. 14.12.1982 zu Art. 86, ABl. 1982 L 360/36. 236 Vgl. 6. Wettbewerbsbericht, Ziffer 163. 237 Vgl. etwa /. Pernice (Fn. 233), Art. 90 EGV Rn. 22. 238 Siehe dazu /. Pernice (Fn. 233), Art. 90 EGV Rn. 14 ff., 22. 239 G. Püttner; Der Begriff des „Unternehmens" und des „öffentlichen Unternehmens" als Ansatzpunkt einer rechtswissenschaftlichen Unternehmenstheorie, ZögU, Beiheft 11, 1992, S. 98 (99). 240 /. F. Hochbaum, in: H. v. d. Groeben/J. Thiesing/C.-D. Ehlermann (Hrsg.), Kommentar zum EU-/EG-Vertrag, Bd. 2/II, Art. 88-102 EGV, 5. Aufl., 1999, Art. 90 Rn. 20. 241 Vgl. etwa /. F. Hochbaum (Fn. 240), Art. 90 Rn. 21, 33 ff. 242 /. F. Hochbaum (Fn. 240), Art. 90 Rn. 21. 243 Vgl. EuGH - Frankreich/Kommission, C - 202/88, Slg. 1991,1 - 1223, 1263. 235
3. Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs
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meinen Schranken-Schranke, dem Verhältnismäßigkeitsprinzip. Objektivrechtlich ist das allgemeine Ziel, einen Binnenmarkt ohne Grenzen zu schaffen, in die Abwägung einzubeziehen. 244 Öffentliche Unternehmen fallen nur dann nicht in den Anwendungsbereich des Art. 86 Abs. 1 EGV, wenn und soweit sie genuin hoheitliche Aufgaben wahrnehmen. „Für ihre sonstige wirtschaftliche Tätigkeit unterliegen sie uneingeschränkt den Vorschriften des Vertrages. ... Der fehlende Erwerbszweck führt nicht zur Unanwendbarkeit" von Artikel 86 Absatz 1 EGV; anderenfalls könnten Mitgliedstaaten durch Gewinnverzicht „gemeinnützige" Unternehmen der Anwendung von Artikel 86 EGV entziehen. 2 4 5 Hinsichtlich des Kriteriums der Wirtschaftlichkeit ist auf die beitragseinnahmenorientierte, am Markt um Mitglieder konkurrierende 246 , jetzt geöffnete deutsche GKV abzustellen. Krankenkassen sind wesentlich funktional wirtschaftlich, zumal das Versicherungsprinzip nur solidarisch modifiziert, keinesfalls aber aufgehoben ist. Hierzu ist auf die einzig verfassungsgemäße individuelle wie auch gruppenhomogene Hälftigkeitslösung abzustellen, wonach das Versicherungsprinzip auf jeder Ebene zumindest hälftig zu wahren ist. Zudem betrifft Art. 86 Abs. 1 EGV besonders öffentliche Unternehmen, welche aufgrund von staatlichen Dienstleistungsmonopolen - so Versicherungsmonopolen 247 - bestehen. 248 Der allgemeine ordre-public-Vorbehalt des Art. 86 Abs. 2 EGV kommt nicht zur Anwendung, da sich der RSA als nicht verhältnismäßiger Eingriff in den freien DienstleistungsMarkt erweist. Ein gemeinschaftlich grenzüberschreitender freier Dienstleistungsverkehr im Krankenversicherungssektor des Binnenmarktes ist durch die deutsche Regelung des Systems der GKV, zudem aber den weitergehenden und wettbewerbsverzerrenden RSA, fast unmöglich gemacht. Insofern trifft auch das Kriterium der Zwischenstaatlichkeit des marktlichen Verkehrs zu. Im Maße der zunehmend versicherungsgeprägten wirtschaftlichen Dienstleistungstätigkeit von Krankenkassen sind also die Dienstleistungsfreiheit sowie die Wettbewerbsregeln des Binnenmarktes anwendbar. „Die Mitgliedstaaten dürfen insoweit besondere oder ausschließliche Rechte nur 244
Siehe dazu Art. 14 Abs. 2 EGV (Art. 7 a EGV a.F.); vgl. ferner /. F. Hochbaum (Fn. 240), Art. 90 Rn. 27. 245 /. F. Hochbaum (Fn. 240), Art. 90 Rn. 14, 16. 246 Vgl. U. Ramsauer, NJW 1998, S. 481 (484). 247 Vgl. die 1. Richtlinie des Rats v. 24.07.1973 zur Koordinierung der Rechtsund Verwaltungsvorschriften betreffend die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Direktversicherung (mit Ausnahme der Lebensversicherung), ABl. 1973 Nr. L 228 S. 3. Diesbezüglich sind die Art. 59 ff. EGV a.F. zur Dienstleistungsfreiheit von der Europäischen Kommission für einschlägig gehalten worden. 248 Vgl. /. F. Hochbaum (Fn. 240), Art. 90 Rn. 33.
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IV. Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit
dann gewähren, ... wenn dies im öffentlichen Interesse aus nicht wirtschaftlichen Erwägungen geschieht. Aus den Vorschriften der Dienstleistungsfreiheit ergeben sich Beschränkungen für die Mitgliedstaaten, insoweit ausschließliche Rechte gewähren zu können." 2 4 9 Auf die Dienstleistungsfreiheit der somit unmittelbar anwendbaren Art. 49 ff. EGV ist im folgenden näher einzugehen. Die Geltung der Wettbewerbsvorschriften ist auch wegen der allgemeinen, objektiv-rechtlichen Geltung der Rechtsordnung des Binnenmarkts für jede Wirtschaftstätigkeit zu bejahen. Dies wird bezüglich der Geltung der Dienstleistungs- und Warenverkehrsfreiheit im folgenden umfassend ausgeführt. Die Wettbewerbsregeln sind jedoch auch aufgrund der einheitlichen Geltung des Wettbewerbsrechts 250 für private und hoheitliche Wirtschaftstätigkeit verbindlich. Allerdings sind diesbezüglich die Ausnahmebestimmungen im Sinne des allgemeinen ordre-public-Vorbehalts zu beachten. Das Wettbewerbsrecht ist aber vor allem nach der Lehre von der Doppelqualifizierung hoheitlicher Wirtschaftstätigkeit auch für institutionell hoheitliche Wirtschaftssubjekte anwendbar. Das Wettbewerbsrecht dient nämlich dem Zweck, Eingriffe in die „Funktion des Wettbewerbs" zu unterbinden. 251 Auf die rechtliche, etwa öffentlich-rechtliche Institutionalität des eingreifenden Wirtschaftssubjekts kann es nicht primär ankommen. Vielmehr ist die tatsächliche und funktionale Berührung der gemeinschaftsstaatlich intendierten Zwecke eines wirksamen 252 Wettbewerbs entscheidend. „Der Zweck der Wettbewerbsregeln besteht darin, auf dem Gemeinsamen Markt einen freien, redlichen, unverfälschten und gleichzeitig wirksamen Wettbewerb zu gewährleisten. Deshalb unterliegen Eingriffe in den Marktmechanismus gleichgültig ob von privater oder öffentlicher Hand - dem Verbotsprinzip, soweit sie den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen oder dem Interesse der Gemeinschaft zuwiderlaufen. Ausnahmen gestattet der Vertrag nur unter eng umschriebenen Voraussetzungen. ... Der Eingriff muß verhältnismäßig sein. Er darf nach Art und Intensität nicht das zur Erreichung seiner positiven Ziele unerläßliche Maß überschreiten (Grundsatz des Interventionsminimums). In jedem Fall müssen Fortbestand oder Entwicklung wirksamen Wettbewerbs gesichert sein. Nicht einmal im Bereich der Landwirtschaft, für den der Vertrag eine Regulierung der Märkte mit admi-
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/. F. Hochbaum (Fn. 241), Art. 90 Rn. 36 f. Vgl. zur Diskussion W. Brohm, Wirtschaftstätigkeit der öffentlichen Hand und Wettbewerb, NJW 1994, S. 281 (286 f.). 251 Siehe dazu E.-J. Mestmäcker, Die Abgrenzung von öffentlich-rechtlichem und privatrechtlichem Handeln im Wettbewerbsrecht, NJW 1969, S. 1 (3 f.); vgl. W. Brohm, NJW 1994, S. 281 (287). 252 Vgl. EuGH - Rs. Continental Can. 6/72, Slg. 1973, 214, 244; Rs. Metro/Saba I, 26/76, Slg. 1977, 1875, 1905. 250
3. Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs
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nistrativen Mitteln zuläßt, ist es der Gemeinschaft erlaubt, auf Wettbewerb ganz zu verzichten". 253 Objektiv-rechtlich kommt es also lediglich auf den Eingriff in den Wettbewerb im gesamten, nicht nur zwischenstaatlichen Binnenmarkt an. Zugleich muß sich eine Verstärkung des deutschen Dienstleistungsmonopols im Bereich der GKV durch den RSA als verhältnismäßig rechtfertigen. Hinsichtlich des Verhältnismäßigkeitsprinzips bezeichnet der Grundsatz des Interventionsminimums 254 zugleich das Kriterium der Erforderlichkeit gemäß dem Prüfungsschema im deutschen öffentlichen Recht. Wird die Geltung des Wettbewerbsrechts auf hoheitliche Institutionen jedoch verneint, ist zumindest die Anwendbarkeit auf die teilweise privaten Funktionen der Betriebskrankenkassen im deutschen GKV-System zu berücksichtigen. Hinsichtlich der Krankenkassen gilt, daß die zunehmende Einführung von Wettbewerb und Wahlfreiheit der Mitglieder 2 5 5 die vorrangige funktionale Privatheit und eben nicht mehr Staatlichkeit bedeutet. Dazu ist auf die Argumentation zur entsprechenden Grundrechtsfähigkeit von Krankenkassen zu verweisen. 256 Insoweit aber diese Krankenkassen funktional privat tätig sind, müssen sie dem Wettbewerbsrecht des EGV unterliegen. Auch insoweit ist die Unternehmenseigenschaft dieser Krankenkassen zu bejahen, so daß Art. 81 und Art. 86 Abs. 1 EGV durch die Regelung des RSA im Rahmen des monopolartig geregelten Systems der GKV verletzt sind. Hinsichtlich eines Verstoßes gegen die wettbewerbswahrenden Grundfreiheiten soll im folgenden die Verbindlichkeit der Dienstleistungsfreiheit der Art. 49 ff. EGV für die Regelung eines RSA untersucht werden. Allerdings wird die Geltung der Grundfreiheiten für bestimmte Bereiche vorrangig oder ausschließlich mitgliedstaatlicher Regelungsbefugnis teilweise bestritten. Insofern kommt es bezüglich der Dienstleistungsfreiheit darauf an, ob diese auch für die staatlich geregelten Systeme sozialer Sicherung Geltung besitzt. Diese Systeme sind mangels einer kompetentiell ausgebauten europäischen Sozialunion (noch) weitestgehend den nationalen Rechtsetzungen überlassen. Insofern sind gerade die Grundfreiheiten wie die Warenverkehrsfreiheit der Art. 28 ff. EGV oder die Dienstleistungsfreiheit der 253 H. Schröter; in: H. v. d. Groeben/J. Thiesing/C.-D. Ehlermann (Hrsg.), Kommentar zum EU-/EG-Vertrag, Bd. 2/1, Art. 85-87 EGV, 5. Aufl., 1999, Vorbem. zu den Art. 85 bis 94, Rn. 8. 254 Siehe dazu EuGH - Rs. Cooperative Stremsel- en Kleurselfabriek (Lab), 61/ 80, Slg. 1981, 851, 868. Vgl. Schröter (Fn. 230), Art. 85 Rn. 902 ff.; vgl. bezüglich Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betraut sind, /. F. Hochbaum (Fn. 240), Art. 90 Rn. 33 ff. 255 Vgl. U. Ramsauer, NJW 1998, S. 481 (483 f.). 256 Vgl. S. 25 ff., 38 ff.
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IV. Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit
Art. 49 ff. EGV strikt zu achten. Jedoch verschwimmen zunehmend die Grenzen, welche der Gemeinschaft kompetentiell aufgrund der grundsätzlich nationalen Sozialpolitiken gezogen waren 2 5 7 , sich aber gerade als binnenmarkterheblich und oft ungerechtfertigt grundfreiheitenwidrig erweisen. Die nationalen Regelungen vorbehaltenen Systeme der sozialen Sicherheit dürfen nur gerechtfertigt bzw. nicht diskriminierend und unverhältnismäßig in die objektiv-rechtlich zu wahrenden Grundfreiheiten eingreifen, wie etwa die Ausnahmebestimmungen des Art. 30 EGV zum freien Warenverkehr deklarieren. In den wegweisenden Urteilen des Europäischen Gerichtshofs vom 28.04.1998 in den Rechtssachen K o h l l 2 5 8 und Decker 2 5 9 wird diese strikte Beachtlichkeit der Grundfreiheiten judiziert. Im Fall Decker wird eine nationale Regelung, welche einen Brillenkauf mit pauschaler Kostenerstattung in einem anderen Mitgliedstaat von einer vorherigen Genehmigung der Krankenkasse des Inlandes abhängig macht, für unvereinbar mit den Art. 30 und 36 EGV a.F. erklärt. Der Conseil arbitral des assurances hat diese Frage dem Gerichtshof nach Art. 177 EGV a.F. zur Vorabentscheidung 260 vorgelegt. Dabei ist nach ständiger Rechtsprechung „die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten zur Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit unberührt (EuGH, Slg. 1984, 523 = NJW 1985, 542 Tz. 16 - Duphar u.a.; EuGH. Slg. I 1997, 3395 = EuZW 1998, 124 Tz. 15 - Sodemare u.a.)" 2 6 1 . Dies ergäbe sich schon aus der Ermangelung der diesbezüglichen Harmonisierung des Sozialrechts. „Gleichwohl müssen die Mitgliedstaaten ... bei der Ausübung dieser Befugnis das Gemeinschaftsrecht beachten. ... So unterliegen Maßnahmen der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit, die sich auf den Absatz medizinischer Erzeugnisse und mittelbar auf deren Einfuhrmöglichkeiten auswirken können, den Vorschriften des EG-Vertrags über den freien Warenverkehr (Urteil Duphar u.a., Randnr. 18). ... Daß die streitige Regelung zum Bereich der sozialen Sicherheit gehört, schließt daher die Anwendung des Artikels 30 EG-Vertrag nicht aus." 2 6 2 Dem stünden auch nicht Bestimmungen des Art. 22 der Verord257
Zum Problem etwa C. Rolfs, Europarechtliche Grenzen für die Monopole der Sozialversicherungsträger?, SGb. 1998, S. 202 (203). 258 EuGH Slg. 1998,1-1931 ff., Rs. C-158/96 (Raymond Kohll/Union des caisses de maladie). Siehe dazu die ausführliche Anmerloing von H. Sodan, JZ 1998, S. 1168 ff. 259 EuGH Slg. 1998, 1-1831 ff., Rs. C-120/95 (Nicolaus Decker/Caisse de maladie des employés privés). 260 Dazu genau H. Krück, in: H. v. d. Groeben/J. Thiesing/C.-D. Ehlermann (Hrsg.), Kommentar zum EU-/EG-Vertrag, Bd. 4, Art. 137-209a, 5. Aufl., 1997, Art. 177 Rn. 1 ff. 261 EuGH Slg. 1998,1-1831, Tz. 21. 262 EuGH Slg. 1998, 1-1831, Tz. 23 bis 25.
3. Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs
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nung (EWG) Nr. 1408/71 entgegen. Somit sind Regelungen der Mitgliedstaaten, welche unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell den innergemeinschaftlichen Handelsverkehr einschränken 263 , auf ihre Rechtfertigung hin zu prüfen, weil sie sonst gegen Art. 30 EGV a.F. bzw. Art. 28 EGV n.F. verstoßen. 264 Die Genehmigungsregelungen stellen aber ein Hindernis für den freien Warenverkehr dar. Sie sind geeignet, die freie Einfuhr von in anderen Mitgliedstaaten angepaßten Brillen zu hemmen. Die Verbindlichkeit der Grundfreiheiten hinsichtlich der mitgliedstaatlichen Zuständigkeiten im Bereich der sozialen Sicherungssysteme hat der Europäische Gerichtshof auch in neuen Urteilen vom 12. Juli 2001 betont. Unbeachtlich dieser Zuständigkeit und mangels einer entsprechenden gemeinschaftsrechtlichen Harmonisierung wäre das Gemeinschaftsrecht zu beachten. 265 Auch die Besonderheit mancher Dienstleistungen etwa im Krankenhausbereich könne nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs nicht dazu führen, daß „diese nicht unter den elementaren Grundsatz des freien Verkehrs fallen" 2 6 6 . Ein Eingriff in eine Grundfreiheit wie die Dienstleistungsfreiheit darf wiederum nur aus zwingenden Gründen des Gemeinwohls eines Mitgliedstaates stattfinden, etwa aus Gründen einer erheblichen Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit. 267 Im Falle des fraglichen RSA ist jedoch eine solche Rechtfertigungsmöglichkeit einer Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs nach bzw. aus Deutschland und innerhalb Deutschlands - wenn auch mit Außenwirkung - nicht gegeben. Vielmehr wird die finanzielle Stabilität des GKVSystems durch die unwirtschaftliche Umverteilung durch den RSA gefährdet; eine schrittweise und teilweise Öffnung des KrankenversicherungsMarktes würde nach der Erfahrung anderer Dienstleistungsmärkte wie des Telekommunikations- oder Strommarktes zu einem massiven Anstieg der Wirtschaftlichkeit führen, also weitaus besser der finanziellen Stabilität eines Systems sozialen Krankenversicherung dienen. Ein solcher quasimonopolistischer Eingriff im Bereich der GKV kann also nicht als Rechtfertigungsgrund dienen; vielmehr widerspricht gerade ein solcher Eingriff, welcher Wirtschaftlichkeit und finanzielle Systemstabilität senkt, zugleich der 263
Vgl. EuGH Slg. 1974, 837 = NJW 1975, 515 Tz. 5 - Dassonville; in der Rechtssache Decker EuGH Slg. 1998,1-1831, Tz. 31. 264 Vgl. H. Sodan, JZ 1998, S. 1168 (1170 ff.). 265 EuGH, Urt. v. 12.7.2001 - Rs. C-157/99, Tz. 44 ff. - Smits u.a. 266 EuGH, Urt. v. 12.7.2001 - Rs. C-157/99, Tz. 54; so schon EuGH Slg. 1981, 3305 Rdn. 10 - Webb. 267 So EuGH, Urt. v. 12.7.2001 - Rs. C-157/99, Tz. 72 - Smits u.a.; EuGH, Urt. v. 12.7.2001 - Rs. C-368/98, Tz. 47 - Vanbreakel u.a.; siehe schon EuGH Slg. 1998,1-1931 ff., Rs. C-158/96 - Tz. 41 - Kohll.
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IV. Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit
Dienstleistungsfreiheit wie auch deutschen einfachgesetzlichen Vorschriften wie § 2 Abs. 1 und 4 sowie § 12 SGB V. Subsidiäre staatliche Hilfen aus sozialen Gründen wären durch die Grundfreiheiten nicht ausgeschlossen, sofern sie im Rahmen des ordrepublic-Vorbehaltes aus Gründen des sozialen Schutzniveaus in Deutschland erforderlich wären. Dagegen scheidet auch nach diesen neuen sog. „Klinik"-Urteilen des Europäischen Gerichtshofs 268 jede nicht erforderliche und insoweit mitgliedstaatlich gerechtfertigte Behinderung des freien Verkehrs zwischen den Mitgliedstaaten aus. Dies gilt konsequent auch für eine Behinderung des freien Verkehrs von Dienstleistungen im Gesundheitsbereich durch (scheinbar) rein innerdeutsche Regelungen im Sinne einer Monopolisierung großer Teile dieses Marktes in der GKV. Eine weitere Verstärkung dieser Monopolisierung auf dem GKV-B ereich durch den Trend zur Einheitskasse mittels der Umverteilungen durch den RSA behindert jedenfalls jeden freien Marktzutritt für nichtdeutsche EU-Bürger und Versicherungs-Unternehmen, aber auch jeden grenzüberschreitenden Verkehr aus Deutschland heraus. Ein Europäischer Binnenmarkt im Sozialversicherungsbereich ist so jedenfalls nicht zu leisten; eine Anwendung der Grundfreiheiten auf scheinbar rein zwischenstaatliche Sachverhalte wird der Wechselwirkung von innerstaatlichem Monopol und Behinderung des zwischenstaatlichen Verkehrs nicht gerecht. Diese konsequente und mittlerweile gefestigte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs hinsichtlich des Status' der Grundfreiheiten im Bereich der Sozialversicherung ist im Ergebnis auf die staatlich geregelte GKV in Deutschland - einschließlich des RSA - anwendbar. Der RSA soll ja gerade eine Beitragssatzangleichung sowie Wirtschaftlichkeit und Wettbewerblichkeit erreichen, so daß er sich schon von daher den wettbewerblichen Regeln des Binnenmarkts unterstellt, insbesondere aber dem elementaren Grundsatz des freien Verkehrs - unmittelbar wie (innerstaatlich) mittelbar - und konkretisiert der Dienstleistungsfreiheit genügen müßte. Ein Eingriff durch den RSA in die allgemeine Handlungsfreiheit der Krankenkassen, indem der RSA gegen die gemeinschaftsrechtlich zu beachtende Dienstleistungsfreiheit der Art. 49 ff. EGV verstößt, stellt sich demnach als Verletzung einer Schranken-Schranke des Art. 2 Abs. 1 GG dar. Unter den binnenmarktlichen Krankenversicherungsanbietern ist demnach eine betroffene Krankenkasse durch die Regelung des RSA innerhalb der GKV erheblich benachteiligt und letztlich diskriminiert. Die Grundfreiheiten sollen aber gerade dem marktlich wie wettbewerblich unabdingbaren allgemeinen Diskriminierungsverbot des Art. 12 EGV genügen. Die Dienstleistungsfrei-
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EuGH, Urt. v. 12.7.2001 - Rs. C-157/99 - Smits u.a.; EuGH, Urt. v. 12.7.2001 - Rs. C-368/98 - Vanbraekel u.a.
3. Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs
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heit stellt sich als lex specialis des allgemeinen Diskriminierungsverbots dar. Staatliche Eingriffe sind ausnahmsweise jedoch rechtens, soweit sie verhältnismäßig, insbesondere erforderlich sind. Allerdings sind Rechtfertigungen in der Rechtssache Decker vom Europäischen Gerichtshof nicht zu erkennen. „Rein wirtschaftliche Gründe können eine Beschränkung des elementaren Grundsatzes des freien Warenverkehrs nicht rechtfertigen. Jedoch kann eine erhebliche Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstellen, der eine solche Beschränkung rechtfertigen kann. ... Wie die luxemburgische Regierung ... anerkannt hat, hat die Pauschalerstattung für in anderen Mitgliedstaaten gekaufte Brillen und Korrekturgläser keine Auswirkungen auf die Finanzierung oder das Gleichgewicht des Systems der sozialen Sicherung". 269 Ebensowenig könne die nationale Regelung - in Abweichung vom elementaren Grundsatz des freien Verkehrs - mit Gründen der qualitativ differenzierten bzw. nicht kontrollierbaren Versorgung gerechtfertigt werden. Vielmehr stellten die nationale ärztliche Verschreibung wie auch die mitgliedstaatliche Berufsregelung für die Augenoptiker Garantien dar, welche die Qualität der Versorgung sicherstellen würden. Als Ergebnis formuliert der Europäische Gerichtshof: „Zu antworten ist daher, daß eine nationale Regelung, nach der ein Träger der sozialen Sicherheit eines Mitgliedstaats einem Versicherten die pauschale Kostenerstattung für eine Brille mit Korrekturgläsern, die dieser bei einem Optiker in einem anderen Mitgliedstaat gekauft hat, mit der Begründung versagt, daß der Erwerb medizinischer Erzeugnisse im Ausland der vorherigen Genehmigung bedarf, gegen die Artikel 30 und 36 EG-Vertrag verstößt." 270 Im ähnlich gelagerten Fall Kohll hat der luxemburgische Cour de Cassation dem Gerichtshof gemäß Art. 177 EGV a.F. (Art. 234 EGV n.F.) eine die Auslegung der Art. 59 und 60 EGV a.F. (Art. 49 und 50 EGV n.F.) betreffende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt. Hierbei geht es um eine nationale Regelung, welche die Kostenerstattung für eine in einem anderen Mitgliedstaat ausgeführte Zahnarztbehandlung von einer vorherigen Genehmigung des Trägers der sozialen Sicherheit abhängig macht. Vergleichbar dem obigen Fall Decker dürfen die unberührten nationalen Kompetenzen für die Systeme der sozialen Sicherheit nicht gegen das Gemeinschaftsrecht verstoßen. „So hat der Gerichtshof festgestellt, daß die Besonderheiten bestimmter Dienstleistungen nicht dazu führten, daß diese nicht unter den elementaren Grundsatz des freien Verkehrs fielen (Urteil vom 269 270
EuGH Slg. 1998,1-1831, Tz. 39 f. EuGH Slg. 1998,1-1831, Tz. 46.
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IV. Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit
17. Dezember 1981 in der Rechtssache 279/80, Webb, Slg. 1981, 3305, Randnr. 10). ... Daß die streitige Regelung zum Bereich der sozialen Sicherheit gehört, schließt daher die Anwendung der Artikel 59 und 60 EGVertrag nicht aus." 2 7 1 Ebenso stünde dem die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 nicht entgegen. „Zwar hindert die streitige Regelung die Versicherten nicht daran, sich an einen Dienstleistungserbringer in einem anderen Mitgliedstaat zu wenden. Sie macht aber die Erstattung von Kosten, die in diesem Mitgliedstaat angefallen sind, von einer vorherigen Genehmigung abhängig, und versagt sie den Versicherten, die keine Genehmigung haben. Kosten, die im Versicherungsstaat anfallen, unterliegen hingegen keiner solchen Genehmigung. ... Daher hält eine solche Regelung die Sozialversicherten davon ab, sich an ärztliche Dienstleistungserbringer in einem anderen Mitgliedstaat zu wenden, und stellt sowohl für diese wie für ihre Patienten eine Behinderung des freien DienstleistungsVerkehrs dar (Urteile vom 31. Januar 1984 in den Rechtssachen 286/82 und 26/83, Luisi und Carbone, Slg. 1984, 377, Randnr. 16, und vom 28. Januar 1992 in der Rechtssache C-204/90, Bachmann, Slg. 1992, 1-249, Randnr. 31)." Gleiches wie im Falle Decker gilt für die Rechtfertigung dieser Eingriffe in die Dienstleistungsfreiheit. Die Analogie zur RSA-Regelung, welche die Dienstleistungsfreiheit von Versicherungsträgern entsprechend berührt, ist offenkundig. Auf die objektiv-rechtliche, unmittelbare Geltung wettbewerbswahrender Grundfreiheiten ist bereits hingewiesen worden. Auch im Fall Decker seien hinsichtlich der Dienstleistungsfreiheit dem Gerichtshof zufolge rein wirtschaftliche Gründe als Rechtfertigung ausgeschlossen, Gründe der erheblichen Gefährdung der finanziellen Stabilität der Systeme der sozialen Sicherung zudem nicht ersichtlich. Zugleich wird der in den Art. 55 f. und 66 EGV a.F. (Art. 45 f. und 55 EGV n.F.) spezifizierte ordre-public-Vorbehalt ausgeschlossen: „Die Mitgliedstaaten können den freien Dienstleistungsverkehr nach den Artikeln 56 und 66 EG-Vertrag aus Gründen der öffentlichen Gesundheit beschränken. ... Das erlaubt ihnen jedoch nicht, den Gesundheitssektor als Wirtschaftssektor hinsichtlich des freien Dienstleistungsverkehrs vom elementaren Grundsatz des freien Verkehrs auszunehmen (siehe Urteil vom 7. Mai 1986 in der Rechtssache 131/85, Gül, Slg. 1986, 1573, Randnr. 17)." 2 7 2 Die oben genannten Qualifizierungs- und Qualitätsvorbehalte würden gleichfalls nicht einschlägig sein. Vielmehr wurde die Erforderlichkeit der nationalen Regelung im Hinblick auf Qualität und Niveau der gesundheitlichen Versorgung nicht dargelegt. Eine Rechtfertigung eines Eingriffs in 271 272
EuGH Slg. 1998,1-1931, Tz. 20 f. EuGH Slg. 1998, 1-1931, Tz. 45 f.
3. Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs
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die Dienstleistungsfreiheit des Binnenmarkts schiede aus Gründen des Gesundheitsschutzes demnach aus. 2 7 3 Zur Vorlagefrage bezüglich der Auslegung der Art. 59 und 60 EGV a.F. (Art. 49 und 50 EGV n.F.) führt das Gericht aus: „Daher ist zu antworten, daß eine nationale Regelung, die die Erstattung der Kosten für Zahnbehandlung durch einen Zahnarzt in einem anderen Mitgliedstaat nach den Tarifen des Versicherungsstaats von der Genehmigung des Trägers der sozialen Sicherheit des Versicherten abhängig macht, gegen die Artikel 59 und 60 EG-Vertrag verstößt." In diesem Sinne judiziert der Europäische Gerichtshof auch in der Rechtssache Molenaar 274 . Von daher ergeben sich nicht nur grundrechtliche und rechtsstaatliche, sondern auch binnenmarktliche und wettbewerbliche Grenzen 275 für die nationalen gesetzlichen Krankenversicherungs- bzw. Zwangssolidargemeinschaften. 276 Insbesondere durch dieses marktliche Prinzip des freien Verkehrs, welches objektiv-rechtlich auch für die nationalen Krankenversicherungssysteme gelten muß, werden der Vorrang privater Lebensgestaltung und das entsprechende Subsidiaritätsprinzip des Art. 23 Abs. 1 GG sowie des Art. 5 Abs. 2 E G V 2 7 7 gestärkt. Die Unverhältnismäßigkeit der Regelung des RSA wurde bereits umfassend dargelegt. Dabei kann nach den strengeren gemeinschaftsrechtlichen Erfordernissen nicht nur nichts anderes gelten, sondern die UnVerhältnismäßigkeit des RSA muß eindeutig bejaht werden. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der gemeinschaftsrechtlich verbindlichen Grundsätze von freier Marktwirtschaft und offenem Wettbewerb (vgl. Art. 4 Abs. 1 und 2, Art. 98 Satz 2, Art. 105 Abs. 1 Satz 3 EGV). Mit dem Wettbewerbsprinzip untrennbar verbunden ist die Dienstleistungsfreiheit. Diese ist hinsichtlich der Regelung der GKV verletzt, rechtfertigende Ausnahmen sind jedoch nicht ersichtlich. Bezüglich der anzuwendenden Prüfungsmaßstäbe für die Rechtfertigung von Grundfreiheitseingriffen ist auf die Ausführungen zu den Rechtssachen Decker und Kohll zu verweisen. Der RSA verstößt demnach als un verhältnismäßige, nicht zu rechtfertigende Regelung trotz des gerade im Bereich der sozialen Sicherungssysteme eingeräumten ordre-public-Vorbehalts gegen die gemeinschaftsrechtlich konstituierte Schranken-Schranke des Art. 2 Abs. 1 GG. Wegen der grundgesetzlichen Inkorporierung des Gemeinschaftsrechts über
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Vgl. //. Sodan, JZ 1998, S. 1168 (1171). EuGH, Urteil v. 5. März 1998, Rs. C-160/96 (Manfred Molenaar u. Barbara Fath-Molenaar/AOK Baden-Württemberg). 275 Vgl. etwa C. Rolfs, SGb 1998, S. 202 ff. 276 Siehe dazu H. Sodan, JZ 1998, S. 1168 (1172). 277 Dazu genau M. Zuleeg, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann (Hrsg.), Kommentar zum EU-/EG-Vertrag, Bd. 1, Art. A-F EUV, Art. 1-84 EGV, 5. Aufl., 1997, Art. 3 b EGV (a.F.) Rn. 17 ff. 274
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IV. Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit
Art. 23 Abs. 1 GG verstößt der RSA aber zugleich objektiv-rechtlich gegen die insoweit verfassungsrechtliche Dienstleistungsfreiheit, aber auch die Wettbewerbsbestimmungen der Art. 86 Abs. 1 und 2 i. V.m. Art. 81 EGV. 4. Verletzung der Strukturprinzipien im Falle der Verwehrung des Grundrechtsschutzes Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat in einer - aufgrund eines Aussetzungs- und Vorlagebeschlusses des Sozialgerichts München ergangenen - Entscheidung aus dem Jahre 1982 zu einer Kassenärztlichen Vereinigung 278 nach einer Versagung des Grundrechtsschutzes noch geprüft, ob das Rechtsstaatsprinzip durch die Willkür der gerügten Maßnahme, einer Übertragung einer weiteren Pflichtaufgabe, verletzt sei. Die Prüfung eines tragenden objektiv-rechtlichen Strukturprinzips des Grundgesetzes wurde nicht auf die grundrechtliche Prüfung und die entsprechende Grundrechtsberechtigung gestützt. Zugleich wurde die Zuständigkeit des Gesetzgebers für diese Aufgabenzuweisung geprüft, wiederum ohne Verankerung in subjektiven Rechten der Kassenärztlichen Vereinigung. Auch die Sozialgerichtsbarkeit ist insoweit zur Wahrung der objektiv-rechtlichen verfassungsmäßigen Ordnung verpflichtet. Zu dieser gehört neben den einfachgesetzlichen Regelungen des Sozialrechts vor allem die Verfassung. Durch Vorlage der Instanzgerichte nach Art. 100 Abs. 1 GG (konkrete Normenkontrolle) können objektive Rechtsverletzungen insbesondere bezüglich der verfassungsrechtlichen Strukturprinzipien zur Prüfung gestellt werden. Dies gilt auch für die Vorlage an den Europäischen Gerichtshof nach Art. 177 EGV a.F. bzw. Art. 234 EGV n. F. nach dem sog. Vorabentscheidungsverfahren hinsichtlich der aufgeworfenen europarechtlichen Fragen. 279 Die Gerichte sind zur Prüfung der nachkonstitutionellen, formellen Gesetze regelrecht verpflichtet 280, soweit dies entscheidungserheblich ist. „Die Vorlage hat bei »Entscheidungen4 im Sinne des Art. 100 GG zu erfolgen; das sind nicht notwendig den Rechtsstreit beendende Urteile und Beschlüsse. ... Der Normtext des Art. 100 Abs. 1 GG erlaubt die Gültigkeitsfrage nicht ,ohne Not 4 aufzuwerfen. 4428 1 Bezüglich der Beschwer bzw. der rechtlichen „Not 44 der Krankenkassen kommt es auf die Rechtsverletzungen im Hinblick auf objektiv-rechtliche Normen des Grundgesetzes an, wenn 278
BVerfGE 62, 354 (370). Siehe dazu S. 147 ff. 280 Vg L e t w a BVerfGE 1, 184 (188 ff.); 68, 319 (326); 70, 126 (129); W. Löwer, Zuständigkeiten und Verfahren des Bundesverfassungsgerichts, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HStR II, Demokratische Willensbildung - Die Staatsorgane des Bundes, 1987, § 56 Rn. 49 ff., insb. Rn. 68 ff. 279
281
W; Löwer, HStR II, § 56 Rn. 69.
4. Verletzung der Strukturprinzipien
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denn die Grundrechtsfähigkeit verneint werden sollte. Insoweit ist an dieser Stelle auf die vielfältigen dargelegten objektiven Rechtsverletzungen hinzuweisen. Der die subjektiven Grundrechte betreffende Verstoß gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip hinsichtlich der Ungeeignetheit des RSA ist zugleich eine Verletzung des objektiv-rechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzips. Rechtsstaatlich ist zudem auf die Verstöße gegen das Bestimmtheitsprinzip, den Parlamentsvorbehalt sowie das Rückwirkungsverbot hinzuweisen.
V. Verletzung der Eigentumsgarantie 1. Vermögensschutz durch das Bundesverfassungsgericht In Betracht kommt hier ferner der Grundrechtsschutz durch die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG. Dieses Grundrecht schützt gegen ungerechtfertigt auferlegte Geldleistungspflichten. Das Bundesverfassungsgericht führt in seinem „Einheitswert-Beschluß" dazu aus: Die Vermögensteuer „greift in die in der Verfügungsgewalt und Nutzungsbefugnis über ein Vermögen angelegte allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) gerade in deren Ausprägung als persönliche Entfaltung im vermögensrechtlichen Bereich ein (Art. 14 GG). Das bedeutet, daß das geschützte Freiheitsrecht nur so weit beschränkt werden darf, daß dem Steuerpflichtigen ein Kernbestand des Erfolges eigener Betätigung im wirtschaftlichen Bereich als Ausdruck der grundsätzlichen Privatnützigkeit des Erworbenen und der grundsätzlichen Verfügungsbefugnis über die geschaffenen Vermögenswerten Rechtspositionen erhalten wird ... Die Zuordnung der Vermögenswerten Rechtsposition zum Eigentümer und die Substanz des Eigentums müssen gewahrt bleiben ... Die Vermögensteuer darf nur so bemessen werden, daß sie in ihrem Zusammenwirken mit den sonstigen Steuerbelastungen die Substanz des Vermögens, den Vermögensstamm, unberührt läßt .. , " 2 8 2 Damit ist nach Jahrzehnten eine Wende in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vollzogen: Öffentlich-rechtliche Geldleistungspflichten berühren die Eigentumsgarantie. 283 Eine übermäßige vermögensmäßige Belastung bzw. eine Erdrosselungswirkung des Eingriffs 2 8 4 ist nach dieser Judikatur nicht mehr erforderlich, um einen Grundrechtsschutz durch Art. 14 Abs. 1 GG bejahen zu können. 285 Insoweit greift die Sozialgesetzgebung mit dem RSA in die Vermögenswerten Rechte der Krankenkassen, vor allem aber der vorrangig hinter dieser stehenden Mitglieder ein. Die Geldleistungspflicht hinsichtlich der abzuführenden hohen Anteile am Beitragsaufkommen der Krankenkassen bzw. der Mitglieder ist eine eigenständige Belastung. Zwar spricht das Bundesverfassungsgericht öffentlich-rechtlichen Körperschaften auch hinsichtlich der Eigentumsgarantie die Grundrechtsfähigkeit grundsätzlich ab. 2 8 6 Im Sinne einer Grundrechtsfähigkeit der Kran282 283 284 285
BVerfGE 93, 121 (137). W. Leisner, NJW 1995, S. 2591 (2594). So aber noch BVerfGE 30, 250 (272). Siehe W. Leisner, NJW 1995, S. 2591 (2592).
1. Vermögensschutz durch das BVerfG
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kenkassen bezüglich Art. 14 Abs. 1 GG, insoweit ihre spezifisch durch dieses Grundrecht geschützten privaten und mitgliedschaftlichen, nicht aber die staatlichen Lebensbereiche geschützt sind, ist auf die Darlegungen zur Grundrechtsfähigkeit der Krankenkassen zu verweisen. 287 Die Auferlegung von Geldleistungspflichten betrifft insbesondere die finanzielle, vorrangig mitgliedschaftliche Selbstverwaltungsautonomie der Krankenkassen. Entscheidend sind auch hier die maßgeblich mitgliedschaftlichen Funktionen, die im Falle der B K K B M W von der disfunktionalen Beitragseinnahmenverwendung in Höhe von 43,14% (West) bzw. 62,08% (Ost) durch den RSA betroffen sind. Bezüglich dieser Geldleistungspflichten ist die grundrechtliche Betroffenheit der privaten Mitglieder und von deren Beitragszahlungen entscheidend. Hinter der Krankenkassen stehen auch hinsichtlich der an Art. 14 Abs. 1 GG zu messenden Geldleistungspflichten ganz vorrangig die privaten Mitglieder, nicht der Staat. Auch in bezug auf die Eigentumsgarantie ist das personale Substrat zu schützen. Die Eigentumsgarantie soll zwar vor allem die vorrangige Privatnützigkeit des Eigentums schützen. Diese entspricht der staatsabwehrenden, den Vorrang der Privatheit wahrenden Funktion der Grundrechte, dem status negativus. Gemäß Art. 19 Abs. 2 GG darf der Wesensgehalt der Grundrechte in keinem Falle verletzt werden. Diese Gewährleistung setzt auch dem Abwägungsgebot des Verhältnismäßigkeitsprinzips eine Grenze. Insofern ist auf die wesensgehaltlich entscheidenden sog. Einheitswert-Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts 288 hinzuweisen. Danach darf die Privatnützigkeit des Eigentums letztlich nur bis zur absoluten Grenze einer maximal hälftigen staatlichen Belastung relativiert werden. Zwar ist dem Gesetzgeber gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG ausdrücklich die Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums überlassen. Im Falle des RSA handelt es sich um eine allgemeine und abstrakte Regelung, welche insofern nicht dem Enteignungstatbestand des Art. 14 Abs. 3 GG unterliegt. Jede Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums muß sich jedoch als verhältnismäßig erweisen. Die Ungeeignetheit des RSA, die angestrebten Ziele des Gesetzgebers zu erreichen, ist bereits ausführlich dargelegt. Auch hinsichtlich des spezifischen Schutzbereichs der Eigentumsgarantie ist diese Ungeeignetheit zu bejahen. Aufgrund der vielfältigen Widersprüchlichkeit konnten legitime Zwecke mit hinreichender Bestimmtheit höchstens insoweit festgestellt
286 V g l e t w a BVerfGE 35, 263 (271); 38, 175 (184); 61, 82 (105 ff.); H.-J. Papier, Unternehmen und Unternehmer in der verfassungsrechtlichen Ordnung der Wirtschaft, VVDStRL 35 (1977), S. 79 ff. 287 Siehe oben S. 22 ff. 288 BVerfGE 93, 121 ff.; 93, 165 ff. 7 Sodan/Gast
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V. Verletzung der Eigentumsgarantie
werden, als die Wirtschaftlichkeit des Systems der GKV erhöht werden soll und Wettbewerbsverzerrungen abzubauen sind. Insofern kann es auf die ohnehin bereits bestrittene Erforderlichkeit und Zumutbarkeit des RSA eigentlich nicht mehr ankommen. Gerade aber der dargelegte Hälftigkeitsgrundsatz verbietet im Falle der B K K B M W die durchschnittlich 43,14% (West) bzw. 62,08% (Ost) hohe Belastung durch die Geldleistungspflichten des RSA, da diese Belastung sehr viele Mitglieder mit weit über 50% betrifft. 2 8 9 Die Vermögenswerten Rechte der Krankenkassen selbst werden substantiell berührt, so daß die wirtschaftliche Existenz etwa der B K K B M W in Frage steht. Besonders die Rücklagen in Höhe von 100% der durchschnittlichen Monatsausgaben, welche sich aus Beiträgen der Mitglieder speisen, werden durch die Belastungshöhe des RSA unabdingbar aufgezehrt. Dabei betragen die Geldleistungspflichten aus dem RSA für nur ein Jahr (1997) bei der B K K B M W über 400% dieser Rücklagen. Da die Rücklagen die wirtschaftliche Existenz bei Betriebsmittel-Schwankungen oder Nichtausgleich von Einnahmen und Ausgaben sichern sollen, ist durch den jährlichen Mittelentzug in Höhe von 43,14% (West) bzw. 62,08% (Ost) die Leistungsfähigkeit der B K K B M W nicht mehr gesichert. Eine solche Belastung ist unzumutbar und verletzt den Wesensgehalt des Art. 14 Abs. 1 GG, weil sie sich nicht durch hinreichend gewichtige Gründe des Gemeinwohls rechtfertigen läßt. Vor allem aber wegen der offensichtlichen Ungeeignetheit ist der RSA im Hinblick auf Art. 14 Abs. 1 GG unverhältnismäßig und daher verfassungswidrig. Hinsichtlich der Nicht-Erforderlichkeit bzw. der Unzumutbarkeit des RSA ist auf die Ausführungen zu Art. 2 Abs. 1 GG zu verweisen. 290 Gleiches gilt für die materielle Schranke der Grundrechtsbeeinträchtigung, welche über das Verhältnismäßigkeitsprinzip hinaus die Wesensgehaltsgarantie (Art. 19 Abs. 2 GG) zieht. Sollte jedoch die Grundrechtsfähigkeit der Krankenkassen unmittelbar bzw. mittelbar über ihre Mitglieder verneint werden, so kommt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 291 auch hier eine Prüfung objektiv-rechtlicher Rechtsverletzungen, vor allem des Rechtsstaatsprinzips, in Frage. Das jeweils zuständige Gericht in der Sozialgerichtsbarkeit hätte im Wege der konkreten Normenkontrolle (Art. 100 Abs. 1 GG) dem Bundesverfassungsgericht bzw. zur Auslegung des berührten Gemeinschaftsrechts dem Europäischen Gerichtshof (Art. 177 EGV a.F. bzw. Art. 234 EGV n.F.) vorzulegen. Bundesverfassungsgericht wie auch den Fachgerichten (vgl. Art. 20 Abs. 3 GG) kommt die maßgebliche Funktion als Hüter 289 290 291
Siehe näher S. 110 ff. Vgl. S. 71 ff. Vgl. BVerfGE 62, 354 (370).
2. Die Einheitswert-Beschlüsse des BVerfG
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der objektiven verfassungsmäßigen Ordnung unter dem Grundgesetz zu. Der subjektive Grundrechtsschutz hat - mit anderer Perspektive - nur die Funktion, die objektive Rechtsordnung zu aktualisieren bzw. zu wahren. „Erst in dieser Aktualisierung ... kann die von der Verfassung konstituierte freiheitliche Ordnung des Gemeinwesens Leben gewinnen". 2 9 2 Hinsichtlich des Rechtsstaatsprinzips ist vor allem auf die der Eigentumsgarantie objektiv zurechenbaren Belastungen der Krankenkassen abzustellen. Insofern ist das rechtsstaatliche Verhältnismäßigkeitsprinzip auch hier zu prüfen. Entsprechend den zu Art. 2 Abs. 1 GG angestellten Überlegungen ist der RSA zur Erreichung der gesetzgeberischen Zwecke ungeeignet. Ebenso ist die rechtsstaatliche Widerspruchsfreiheit nach Intentionen und Mitteln der gesetzlichen Regelung des RSA verletzt. Das Willkürverbot bzw. das Sachlichkeitsprinzip sind ebenso wie das Bestimmtheitsprinzip durch die sachferne, zudem objektiv rechtsverletzende Verfahrensregelung, insbesondere der Datenerhebung nach § 267 SGB V, verletzt. Die mangelnde sachliche und rechtliche Bestimmtheit führt zugleich zu Verstößen gegen den rechtsstaatlichen Gewaltenteilungsgrundsatz und den damit verbundenen Parlamentsvorbehalt, weil die dem Parlament vorbehaltenen wesentlichen Sachregelungen durch immer neue Verordnungen und Bekanntmachungen sowie Urteile zum RSA infragegestellt werden. Zudem sind die gemeinschaftsrechtlichen Schranken-Schranken verletzt. 2. Die Einheitswert-Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts Die Grenze maximal hälftiger Sollertrags-Belastung des Vermögens Der für die Krankenkassen und ihren Vermögensschutz maßgebliche Hälftigkeitsgrundsatz soll im Folgenden näher erläutert werden. In den wegweisenden Einheitswert-Beschlüssen aus dem Jahre 1995, von denen hier der Vermögensteuer-Beschluß maßgeblich i s t 2 9 3 , hat das Bundesverfassungsgericht erstmals eine absolute, justitiable Grenze für Eingriffe staatlicher Organe in die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG postuliert. Diese Rechtsprechung ist seither heftig umstritten und wurde vom Bundesfinanzhof fälschlich für unverbindlich im Sinne von § 31 Abs. 1 BVerfGG erklärt. 2 9 4 Hierzu ist jedoch auf die obigen Ausführungen zur formellen und materiellen Bindungswirkung der Entscheidungen des Bundesverfassungs292
K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 288. 293 Hier wird lediglich auf den Vermögensteuer-Beschluß, BVerfGE 93, 121 ff., Bezug genommen. Der Erbschaftsteuer-Beschluß, BVerfGE 93, 165 ff., folgt einer vergleichbaren Dogmatik. 294 Siehe etwa Β FH, Urt. v. 11.08.1999 - XI R 77/97, Leitsätze in http:// www.beck.de/rsw/zeitschr/njw/Archiv/Heft50_99/Aktuell/aktul5.htm . τ
100
V. Verletzung der Eigentumsgarantie
gerichts 295 zu verweisen. Der Bundesfinanzhof verkennt den verfassungsrechtlichen Status des Bundesverfassungsgerichts, insbesondere aber die aus diesem folgende Verbindlichkeit der verfassungsgerichtlichen Entscheidungen gemäß § 31 BVerfGG. Materiell-rechtlich mißachtet der Bundesfinanzhof die inhaltliche Bindungswirkung der abstrakten, grundrechtsdogmatischen Ausführungen zur Eigentumsgarantie. § 31 Abs. 1 BVerfGG bestimmt: „Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts binden die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden." Die Einheitswert-Beschlüsse sind mit ihrer Entscheidungsformel demgemäß und folgerichtig auch im Bundesgesetzblatt abgedruckt. 296 Dies sieht im Sinne einer formellen Bestätigung der Bindungswirkung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts auch § 31 Abs. 2 Satz 3 BVerfGG v o r . 2 9 7 Die verbindlichen Entscheidungsgründe zum Hälftigkeitsbzw. Halbteilungsgrundsatz sollen im Folgenden dargelegt werden. Das Bundesverfassungsgericht stellt zuerst einmal zutreffend fest, daß die Gleichmäßigkeit der Besteuerung eine gleichmäßige, sachgerecht 298 die Ertragsfähigkeit der zu besteuernden wirtschaftlichen Einheiten zugrundelegende Bewertung erfordert. 299 Dies führt zu einer gleichmäßigen und sachgerechten Bemessungsgrundlage der Steuern. Wirtschaftliche Einheiten dürfen demgemäß nicht willkürlich verschieden bewertet werden. 3 0 0 Zugleich beschränken die verfassungsrechtlichen Grenzen der Besteuerung diesen steuerlichen Zugriff auf die Ertragsfähigkeit. „ A n dieser Grenze der Gesamtbelastung des Vermögens haben sich die gleichheitsrechtlich gebotenen Differenzierungen auszurichten" 301 , wie das Bundesverfassungsgericht klarstellt. Daraus folgt bereits die erste und absolute Grenze der Gesamtbelastung privaten bzw. (zwangs-)vereinigt privaten Vermögens. Diese wird auf jeden Fall auf die Ertragsfähigkeit dieses Vermögens begrenzt. Dabei meint die Ertragsfähigkeit nicht den tatsächlichen Ertrag des Vermögens, sondern eine Bandbreite bzw. ein Spektrum möglicher Erträge aus dem Vermögen. Das Bundesverfassungsgericht grenzt dieses bisher kaum justitiable Spektrum der Erträge auf den sogenannten Sollertrag des Vermögens ein. Dieser wird als Ergebnis einer typisierenden Betrachtung der Einnahmen, abziehbaren Aufwendungen und sonstigen Entlastungen beschrieben. Er wird vom 295 296 297 298 299 300 301
Vgl. dazu S. 17 ff. BGBl. I 1995 S. 1191. Vgl. auch BStBl. II 1995 S. 655. Vgl. dazu K. Schlaich/S. Korioth (Fn. 23), Rn. 470 ff. Vgl. BVerfGE 93, 121 (148). Dazu eingehend BVerfGE 93, 121 (142 ff.). Siehe BVerfGE 93, 121 (Ls. 1, 134, 142 ff.). BVerfGE 93, 121 (Ls. 2, Satz 2).
2. Die Einheitswert-Beschlüsse des BVerfG
101
Gericht näher definiert als die „üblicherweise zu erwartenden, möglichen Erträge (Sollerträge)". Die Idee der Sollertragsteuer richtet die steuerliche Belastung aus nach dem „typischerweise möglichen Ertrag - ohne Rücksicht auf den tatsächlich erzielten Gewinn oder Ertrag". 3 0 2 Anderenfalls, so im Falle der Substanzsteuer bzw. beliebig hoher Ertragsbelastung, führte eine steuerliche Belastung ,4m Ergebnis zu einer schrittweisen Konfiskation, die den Steuerpflichtigen dadurch übermäßig belasten und seine Vermögensverhältnisse grundlegend beeinträchtigen würde". 3 0 3 Demnach kann es einerseits nur um die Netto-Erträge als EinnahmenAusgaben-Überschuß gehen, zusätzlich bereinigt um sonstige Entlastungen. Jedoch bleibt noch zu klären, inwieweit sonstige Entlastungen typisiert in die Berechnung der Sollerträge einfließen. Demnach dürften in einer ersten Stufe der Betrachtung nur die typisierten Nettoerträge nach abziehbaren Aufwendungen und Entlastungen überhaupt staatlich belastet werden. Eine Belastung von Vermögenswerten als solchen scheidet demnach aus, soweit sie zumindest einen typischen Ertrag, einen Sollertrag, abwerfen. Insoweit wäre sogar noch ein Substanzeingriff in das Vermögen als solches zulässig. Bemessungsgrundlage für staatliche Steuerzugriffe dürfen aber - und das ist zu Recht eine völlige Wende 3 0 4 vor allem der Eigentumsdogmatik - verfassungsrechtlich nur die (typischen) Erträge aus Vermögenswerten sein. Die Sollertragsteuer knüpft hierbei nicht an tatsächliche Erträge an, „sondern muß für den Zweck der Besteuerung einen erwarteten Ertrag unterstellen. Deshalb ist das die Ertragserwartung begründende Wirtschaftsgut in seiner Ertragsfähigkeit zu bewerten. Die Ermittlung der Sollerträge setzt grundsätzlich am Tatbestand der Ertragsfähigkeit eines Wirtschaftsgutes an, mag aber auch an dessen Verkehrswert anknüpfen, sofern die im Steuersatz bestimmte Belastung gewährleistet, daß die Vermögensteuer lediglich anteilig auf die Erträge zugreift, die aus der in Verkehrswerten erfaßten wirtschaftlichen Einheit typischerweise erwartet werden. Erfaßt die Bemessungsgrundlage nicht den vermuteten Ertrag, sondern den Veräußerungswert eines Wirtschaftsgutes, so kommt dem Steuersatz die Aufgabe zu, anknüpfend an einen aus dem Veräußerungswert abgeleiteten Sollertrag den steuer-
302
BVerfGE 93, 121 (140). BVerfGE 93, 121 (137), unter Verweis auf die st.Rspr., insbesondere BVerfGE 14, 221 (241); 82, 159 (190). 304 Vgl. vor allem W. Leisner, NJW 1995, S. 2591 ff.; auch ders., Verfassungsschranken der Unternehmensbelastungen. Personalzusatzkosten und „finanzielle Leistungsfähigkeit" (BVerfG), NJW 1996, S. 1511 ff.; K. Vogel, Vom Eigentums- zum Vermögensschutz - eine Erwiderung, NJW 1996, S. 1257 ff.; A.A. //. P. Bull, Vom Eigentums- zum Vermögensschutz - ein Irrweg, NJW 1996, S. 281 ff. 303
102
V. Verletzung der Eigentumsgarantie
liehen Zugriff auf diesen angemessen und gleichheitsrechtlich zu begrenzen." 3 0 5 Hiermit ist der wesentliche Grundsatz der Grenze des steuerlichen Zugriffs - in jedem Falle - auf die typische Ertragsfähigkeit vom Bundesverfassungsgericht klar herausgestellt worden. Es würde gegen den gleichheitsrechtlichen Grundsatz gleichmäßiger sachgerechter Besteuerung verstoßen, wenn einerseits bestimmte Vermögen in ihrem Sollertrag, andere Vermögen aber etwa in ihrem Verkehrs- oder Veräußerungswert besteuert würden. Hinsichtlich der völlig ungleichmäßigen Besteuerung von einheitswertgebundenen und anderen Vermögen hat das Gericht demgemäß die entsprechenden Vorschriften des § 10 VStG für mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar erklärt. Diese Bestimmungen wären nur noch für eine Übergangszeit weiter anwendbar. 306 Demnach dürfen Bemessungsgrundlage staatlichen Zugriffs nur die typischen Erträge bzw. Gewinne sein. Bloße Einnahmen oder Vermögenszuflüsse sind demgemäß lediglich als Bemessungsgrundlage tauglich, wenn im Ergebnis die Belastung dennoch nur (gleichheitsrechtlich) auf den Sollertrag abstellt. Damit kommt es auf die Belastungs-Grenze des Sollertrags an, ohne daß hier bereits näher auf die Modifikationen durch Hälftigkeitsgrundsatz, Entlastungen oder staatliche Notfälle einzugehen ist. Schon an dieser Stelle ist fraglich, inwieweit die sozialversicherungsrechtlichen Positionen der Mitglieder der Krankenkassen überhaupt völlig losgelöst von Sollerträgen oder Soll-Überschüssen belastet werden dürfen. Die einzelnen Vermögensgegenstände der Vermögenstypen - so als landwirtschaftliches Vermögen, Betriebs- oder Grundvermögen - sollen dabei zu Gesamtvermögen zusammengefaßt werden. Erst von diesem soll der Steuergesetzgeber dann eine Sollertragsteuer erheben: „Wenn auf dieser Grundlage ein Gesamtvermögen ermittelt ist, wird nach dem Gedanken der Sollertragsteuer dieses Vermögen nach dem typischerweise möglichen Ertrag ... besteuert." 307 Damit entfaltet der Steuergesetzgeber zulässige 308 Lenkungswirkungen, da ein ertragsloses, etwa ungenutztes oder nicht typisch effektiv genutztes Vermögen belastet werden darf bis zur Höhe des typischen Ertrags - alles noch vorbehaltlich des Hälftigkeitsgrundsatzes. Es bestünde somit eine Lenkungswirkung, ein Vermögen zumindest ertragstypisch einzusetzen bzw. zu nutzen. Besonders effektiv, also über-typisch ertragreiche Vermögen - so durch besondere Leistungen mittels des Vermögens im Rahmen der Ausübung der speziellen wirtschaftlichen Grundrechte - würden nur bis zur 305 306 307 308
BVerfGE 93, 121 (140). Siehe BVerfGE 93, 121 (142 ff.). BVerfGE 93, 121 (140). Siehe BVerfGE 93, 121 (148).
2. Die Einheitswert-Beschlüsse des BVerfG
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Höhe des typischen Ertrages überhaupt belastet werden dürfen. Jeder übertypische Ertrag, also quasi der Mehrertrag bzw. „Mehrwert", würde unbelastet bleiben. Damit wird einerseits die grundsätzliche Privatnützigkeit 309 insbesondere durch die Eigentumsgarantie geschützter Vermögenswerte gewahrt. Andererseits wäre der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gewahrt, soweit natürlich die verschiedenen Vermögenstypen hinreichend gleichmäßig in die Bemessungsgrundlagen eingingen. Vor allem aber würde untertypisch erträgliches Vermögen zu effektivem Einsatz umgelenkt oder aber in der Substanz aufgezehrt. Auch dies gilt freilich vorbehaltlich der Dogmatisierung der engeren Eingriffsgrenze des Hälftigkeitsgrundsatzes sowie spezieller Entlastungen, etwa zugunsten eines belastungsfreien Existenzminimums 3 1 0 . Die verfassungsrechtlich unproblematische Lenkungswirkung zugunsten effizienterer Vermögensnutzung - weg von effizienz- und leistungswidriger Substanz- und Leistungsbelastung - entspricht auch den inzwischen verfassungsfesten, integrierten (Art. 23 Abs. 1 GG) gemeinschaftsrechtlichen Prinzipien von Marktwirtschaft und freiem Wettbewerb, wie sie insbesondere Art. 4 Abs. 1 und 2, 14, 98 und 105 Abs. 1 EGV verbindlich machen. Untypisch unter dem typischen Durchschnitt ertragende Vermögen werden gemäß dem „Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb" verdrängt bzw. letztlich sanktioniert. Der Nachsatz der Art. 98 und 105 Abs. 1 EGV gewinnt daher insofern einen substantiellen Sinn, als er die Marktwirtschaft und den Wettbewerb normiert, „wodurch ein effizienter Einsatz der Ressourcen gefördert wird." So entfaltet die Logik der Einheitswert-Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts eine gemeinschaftsrechts- und zugleich grundrechtskonforme, nämlich vor allem den Vorrang der marktlichen Privatnützigkeit fördernde rechtliche Wirkung. So wäre der Sollertrag etwa als 5% des Vermögens ermittelbar 311 , der faktische Ertrag jedoch als nur 2% denkbar, so daß die Belastungsgrenze vorbehaltlich des Hälftigkeitsgrundsatzes bei 5% des Vermögens läge, der Belastete im Ergebnis aber einen negativen Ertrag von 3% des Vermögens verbuchen würde. Im Falle eines weit über-typischen faktischen Ertrags von z.B. 15% würde sich (ohne engere Hälftigkeits-Grenze und ohne besondere Entlastungen) eine maximale Belastbarkeit von 5 % ergeben, dem Belasteten also 10% Nettoertrag verbleiben. Es stünde also einem Vermögen verzehr von 3% ein Vermögenszuwachs - rein nominell - von 10% gegenüber. 309
Vgl. H. Sodan (Fn. 105), S. 255, mit umfangreichen Nachw. in Fn. 232. Vgl. dazu BVerfGE 93, 121 (138, 140 ff.). So schon BVerfGE 82, 60 ff. 311 Vgl. BVerfG, Urt. v. 29.09.1998, 2 BvL 64/93, Rn. 50, unter Verweis auf volkswirtschaftliche und steuerliche Datenerhebungen. 310
104
V. Verletzung der Eigentumsgarantie
In einem weiteren Schritt der Definition einer substantiellen und justitiablen kumulativen Belastungsgrenze von Vermögenswerten stellt das Bundesverfassungsgericht fest, daß die steuerliche Gesamtbelastung dieses Sollertrages, die ohnehin nur maximal die Höhe dieses Sollertrages erreichen darf, „in der Nähe einer hälftigen Teilung zwischen privater und öffentlicher Hand verbleibt." 3 1 2 Auch dieser Leitsatz ist für alle Behörden und Gerichte sowie Verfassungsorgane von Bund und Ländern verbindlich. Die Herleitung dieser nicht unumstrittenen Hälftigkeit verdient nähere Aufmerksamkeit. Angesichts steuerlicher Eingriffe in die Verfügungsgewalt und Nutzungsbefugnis über ein privatnütziges Vermögen sind einerseits die allgemeine Handlungsfreiheit und anderseits die Eigentumsgarantie berührt. Art. 2 Abs. 1 GG schützt insofern die freie Entfaltung der Persönlichkeit, Art. 14 Abs. 1 GG die speziell vermögensrechtlich gewährleistete und gestützte Freiheit. „Das bedeutet, daß das geschützte Freiheitsrecht nur so weit beschränkt werden darf, daß dem Steuerpflichtigen ein Kernbestand des Erfolges eigener Betätigung im wirtschaftlichen Bereich als Ausdruck der grundsätzlichen Privatnützigkeit des Erworbenen und der grundsätzlichen Verfügungsbefugnis über die geschaffenen Vermögenswerten Rechtspositionen erhalten wird ... Die Zuordnung der Vermögenswerten Rechtspositionen zum Eigentümer und die Substanz des Eigentums müssen gewahrt bleiben." 3 1 3 Schon von daher wird die zuvor hergeleitete weite Grenze staatlicher Belastung im Maße des Sollertrags enger definiert, um die private Verfügungsbefugnis und Nützigkeit freiheitlich essentieller und vermögensrechtlicher Positionen unangetastet zu lassen bzw. Kern und Substanz des Eigentums zu schützen. Auch diese Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts sind im Maße ihrer allgemeinen, aber doch materiell-rechtlichen Anwendbarkeit gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG verbindlich. Sie sind letztlich verfassungsauslegende und dadurch verfassungskonkretisierende Materialisierung der Eigentumsgarantie wie auch der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Maßgabe ihrer Schranken-Schranken, insbesondere ihres Wesensgehalts. Damit verwirklicht das Bundesverfassungsgericht - als Hüter der Verfassung - die verfassungsfeste (Art. 79 Abs. 3 GG) Garantie unverletzlicher, vor allem im Kernbereich unantastbarer Grundrechte, wie dies Art. 1 Abs. 3, 19 Abs. 2 GG vorschreibt. Angesichts umfangreicher Belastungen des Vermögens und insoweit der freien Entfaltung der Persönlichkeit verbleibt einer weiteren, ergänzenden Belastung des Vermögens von Verfassungs wegen nur noch ein sehr enger 3,2 313
(341).
BVerfGE 93, 121 (Ls. 3, 138). BVerfGE 93, 121 (137), unter Verweis auf BVerfGE 42, 263 (295); 50, 290
2. Die Einheitswert-Beschlüsse des BVerfG
105
Spielraum. Vor allem ist schon durch die bisherigen Urteilsgründe ein substantiierter Bestandsschutz vermögenswerter Rechte konstituiert. Anders können Privatnützigkeit des Eigentums, Substanzschutz des Vermögens und Verbot übermäßiger Belastung ohnehin nicht wirksam gewahrt werden. Erst mit dieser Dogmatik nähert sich das Bundesverfassungsgericht einer echten, justitiablen Wahrung der Eigentumsgarantie und insbesondere des Wesensgehaltes dieses Grundrechts, indem über das tragende verfassungsmäßige System 1. gleichmäßiger Belastung 2. maximal des Sollertrags
sowie
3. einer verbleibenden Privatnützigkeit
dieses Sollertrags
ein wirksamer Bestandsschutz bzw. eine echte Substanzwahrung des Eigentums in Reichweite scheinen. Seit Bestehen des Grundgesetzes hingegen wurde das Eigentum als Vermögen (substantiell) nicht geschützt - fußend auf der „unhaltbaren Behauptung, Abgaben könnten das Eigentum nicht verletzen, weil sie vom Steuerschuldner nicht aus dem steuer-tatbestandlichen Wirtschaftsgut, sondern aus seinem Vermögen zu erfüllen seien. Dieses Vermögen sei als solches durch Art. 14 I GG nicht geschützt". 314 Die rechtswissenschaftliche Literatur hat in langer dogmatischer Argumentation immerhin den Erfolg verbuchen können, daß das Bundesverfassungsgericht den durch abgabenmäßige Geldleistungspflichten übermäßig Belasteten ausnahmsweise einen Eigentumsschutz zubilligte, nämlich im Falle einer sog. Erdrosselungswirkung 315 bzw. grundlegenden Beeinträchtigung der Vermögensverhältnisse 316. Jedoch blieb diese Dogmatik ohne rechtliche Wirksamkeit 3 1 7 und selbst ohne Begründung 318 , so daß in der Rechtspraxis gegenüber dem Abgabengesetzgeber die Eigentumsgarantie letztlich leerlief. Auch aus dem Postulat der Substanzwahrung wurde bis zu den Einheitswert-Beschlüssen vom Bundesverfassungsgericht keine rechtlich wirksame Folgerung abgeleitet. Man kann diesbezüglich von einem grundrechtsfreien Raum sprechen. 319 Mit den Einheitswert-Beschlüssen hat das Bundesverfassungsgericht diese offene Flanke des Art. 14 Abs. 1 GG geschlossen. Als weitere Schrankenkonkretisierung der Eigentumsgarantie zu den bereits genannten drei 314 W. Leisner, NJW 1995, S. 2591 (2592), unter Verweis auf etwa BVerfGE 30, 250 (271 f.); 45, 272 (296); 65, 196 (209); 74, 129 (148). 315 Vgl. BVerfGE 30, 250 (272). 316 Vgl. BVerfGE 14, 221 (241); 76, 130 (141); 82, 159 (190). 317 Siehe W. Leisner, NJW 1995, S. 2591 (2592). 318 Siehe etwa R. Wendt, in: M. Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 2. Aufl., 1999, Art. 14 Rn. 39. 319 Vgl. W. Leisner, NJW 1995, S. 2591 (2592).
106
V. Verletzung der Eigentumsgarantie
Grenzen der Belastung leitet es aus der Privatnützigkeit und „zugleich" Gemeinnützigkeit des Eigentums, wie sie Art. 14 Abs. 2 Satz 2 GG postuliert, den genannten Hälftigkeitsgrundsatz her. „Nach Art. 14 Abs. 2 GG dient der Eigentumsgebrauch zugleich dem privaten Nutzen und dem Wohl der Allgemeinheit. Deshalb ist der Vermögensertrag einerseits für die steuerliche Gemeinlast zugänglich, andererseits muß dem Berechtigten ein privater Ertragsnutzen verbleiben. Die Vermögensteuer darf deshalb zu den übrigen Steuern auf den Ertrag nur hinzutreten, soweit die steuerliche Gesamtbelastung des Sollertrags bei typisierender Betrachtung von Einnahmen, abziehbaren Aufwendungen und sonstigen Entlastungen in der Nähe einer hälftigen Teilung zwischen privater und öffentlicher Hand verbleibt und dabei insgesamt auch Belastungsergebnisse vermeidet, die einer vom Gleichheitssatz gebotenen Lastenverteilung nach Maßgabe finanzieller Leistungsfähigkeit zuwiderlaufen." 320 Jedenfalls kommt dem Hälftigkeitsgrundsatz im Leitsatz 3 des Beschlusses gemäß § 31 Abs. 2 BVerfGG Gesetzeskraft zu. Zudem stützen die tragenden Entscheidungsgründe die unmittelbare normative Wirkung dieses Prinzips. Vor allem spricht für diesen Gundsatz das „zugleich" in Art. 14 Abs. 2 GG. Danach soll das Eigentum zugleich dem privaten Nutzen wie auch dem Wohl der Allgemeinheit dienen. 321 Hierzu ist anzumerken, daß das Gemeinwohl sich ganz vorrangig als Grundrechtsverwirklichung und Wahrung individueller Freiheit darstellt. Freilich muß sich diese individuelle Freiheit der Entfaltung der Persönlichkeiten aller Grundrechtsberechtigten als verfassungsmäßige Ordnung vereinigen lassen. Aber nur diese verhältnismäßig und demnach möglichst zurückhaltend zu ziehende Schranke drängt den grundsätzlichen Vorrang privater Lebensbewältigung zurück auf eine Hälftigkeit von Privatheit und Verfassungsgemeinschaftlichkeit. Im Grundsatz muß vielmehr von einer starken Privatnützigkeit auch im Maßstab des „Gemeinwohls" ausgegangen werden. Nur nach Maßgabe der SchrankenSchranken der Grundrechtseingriffe in das Eigentum darf innerhalb des Gemeinwohl-Maßstabs überhaupt von einer reinen Gemeinwohl-Orientierung ausgegangen werden. Vielmehr beinhaltet der Maßstab „Gemeinwohl" selbst schon vorrangige Privatnützigkeits-Komponenten, nämlich Grundrechts Verwirklichungen. Somit führt die „zugleich"-Auslegung nur im äußersten Falle zu einer (maximal) hälftigen Teilung zwischen staatlicher und privater Hand. Im Regelfall muß eher von einer vorrangig privaten Nützigkeit gerade des Eigentums ausgegangen werden. Dies betont das Bundesverfassungsgericht auch im hiermit endlich wirksam judizierten Bestandsschutz. 322 320 321 322
BVerfGE 93, 121 (138). Vgl. BVerfGE 93, 121 (138). Siehe BVerfGE 93, 121 (137 f.).
2. Die Einheitswert-Beschlüsse des BVerfG
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Diese Herleitung und Begründung des Hälftigkeitsgrundsatzes als maximaler Eingriffsgrenze für das Eigentum stützt sich auch auf die teleologische Verfassungsauslegung, welche primär die Privatnützigkeit des Eigentums betont. Welcher Sinn und Zweck könnte schließlich einer verfassungsgebenden Vereinigung von Bürgern unterstellt werden, als derjenige der liberalen Wahrung von Freiheit und Eigentum? Könnte etwa ein Wille zu einer Verfassung zugrundegelegt werden, der ein mehr als hälftig staatliches, nicht mehr bürgerliches und privatgenutztes Eigentum will? Wäre ein Wille des verfassungsgebenden Souveräns denkbar, welcher die Substanz von Eigentum und damit substantiierter Freiheit durch überhälftige Belastung der Erträge massiv belasten würde? Aus Art. 104 a Abs. 3 Satz 2 GG kann zudem geschlossen werden, daß bei einer Zurechnung über eine Hälfte hinaus von vollständiger Zurechnung zum entsprechenden Rechtssubjekt auszugehen ist. Angewandt auf die Eigentumsgarantie bedeutet dies ein (privates, eigenes) Eigentum nur, sofern dieses Eigentum in Nutzen und Ertrag noch mehr als hälftig privat ist. Eine systematische Auslegung etwa mit der tragenden Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG führt zu keinem anderen Ergebnis als dem des grundrechtlich gestützten Vorranges der Privatheit 323 , also der mehr als hälftigen privaten Nutzung und Freiheitlichkeit des Handelns. Demnach ist der Hälftigkeitsgrundsatz als wesensgehaltliche, letzte Eingriffs-Schranke grundsätzlich im Auffanggrundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG verankert. Art. 23 Abs. 1 GG macht demgemäß das Subsidiaritätsprinzip verbindlich, welches Privatheits- und Dezentralitäts-Vorrang stützt. Dies wird durch die gemeinschaftsrechtlichen Auslegungsmaßstäbe des nationalen Verfassungsrechts bestätigt, so die Grundsätze der offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb der Art. 98 und 105 Abs. 1 EGV sowie der Subsidiarität gemäß Art. 5 Abs. 2 EGV. Zuletzt aber wird die typische, maximal hälftige Sollertrags-Grenze noch durch spezifische Entlastungen modifiziert. Das Bundesverfassungsgericht führt dazu aus, daß die Hälftigkeitsgrenze erst nach abziehbaren Aufwendungen und sonstigen Entlastungen gilt, mithin als letztendliche Grenze der Belastung des bereinigten Nettoertrags. Dies genügt auch dem Grundsatz der gleichheitlichen „Lastenverteilung nach Maßgabe finanzieller Leistungsfähigkeit." 3 2 4 Leitsatz 4 des Vermögensteuer-Beschlusses macht für alle Gerichte und Behörden von Bund und Ländern unmittelbar verbindlich: „Unter Berücksichtigung der steuerlichen Vorbelastung des Vermögens muß der Steuergesetzgeber jedenfalls die wirtschaftliche Grundlage persönlicher Lebensführung gegen eine Sollertragsteuer abschirmen." 325 323 324
Vgl. dazu H. Sodan (Fn. 105), S. 306; ders., DÖV 2000, S. 361 ff. BVerfGE 93, 121 (138).
108
V. Verletzung der Eigentumsgarantie
Hinzu tritt die Abschirmung weiterer, verfassungsgeschützter wirtschaftlicher Lebensbereiche, so aus Art. 6 Abs. 1 GG zugunsten des Schutzes von klassischer Ehe und Familie. Das Bundesverfassungsgericht führt im ebenfalls gesetzeskräftigen, unmittelbar anwendbaren Leitsatz 5 seines Vermögensteuer-Beschlusses aus, daß der Gesetzgeber insoweit die gemeinsame, erhöhte ökonomische Grundlage individueller Lebensgestaltung einer Familie bzw. Ehegemeinschaft zu wahren habe. Zudem ist die „Kontinuität dieses Ehe- und Familiengutes" 326 zu achten. Demnach ist der verfassungsmäßige Schutz des Erbrechts besonders hervorgehoben, aber auch der Bestandsschutz auf höherem Niveau sowie in zeitlich-kontinuierlicher Hinsicht betont. Diese Entlastungen persönlicher Lebensführungserträge, spezifischer Entlastungen ohne nähere Nennung, die aber der Gesetzgeber gestalten kann, sowie der Entlastungen zugunsten von Ehe, Familie und Erbrecht führen zu einer noch unter der Hälftigkeit anzusiedelnden Grenze der Eingriffe in die Sollerträge des Eigentums. 3. Justitiable Schranken-Schranken der Eigentumsgarantie - maximal hälftige Belastung der typischen Erträge nach Aufwendungen, persönlichen und sonstigen Freibeträgen des Ertrags Im Ergebnis ist festzuhalten, daß die Eigentumsgarantie mithin gesetzeskräftig bindende, unmittelbar anwendbare Inhalts- und Schrankenbestimmungen (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG) besitzt. Diese schlagen sich als wesensgehaltswahrende Schranken-Schranken der Eigentumsgarantie nieder: 1. Die maximale Belastungsgrenze des Eigentums ist, als gleichheitlich anzusetzende Bemessungsgrundlage jeder Eigentumsbelastung, der typische Sollertrag, also der typische Ertrag nach abziehbaren Aufwendungen. Dies gewährleistet wirksamen Bestands- und Vermögensschutz. 2. Die engere, maximale Belastungsgrenze ist die Hälftigkeit des Sollertrags. Diese wird zur maßgeblichen Grenze, da sie spezifischer als die bloße Sollertragsgrenze ist, die den reinen gleichheitlichen Bemessungsmaßstab klarstellt. 3. Hinzu tritt die Freistellung der wirtschaftlichen Grundlage persönlicher Lebensführung, was die Hälftigkeitsgrenze weiter verschiebt. Dies ist individuell gleichheitlich als Sollertrags-Freibetrag zu bestimmen und läuft konform mit der Idee des Sollertrags nach abziehbaren Aufwendungen.
325 326
BVerfGE 93, 121 (Ls. 4). BVerfGE 93, 121 (Ls. 5).
4. Hälftigkeitsgrundsatz und Eigentumsgarantie der Krankenkassen
109
4. Zuletzt sind verfassungsmäßige Entlastungen, so zugunsten der wirtschaftlichen, höheren Lebensgrundlage von Ehe und Familie sowie etwa deren erbrechtlicher Kontinuität, von der individuellen Hälftigkeitsgrenze abzuziehen. Dies ergibt eine weit unter-hälftige maximale Belastungsgrenze der Sollerträge des Eigentums als seiner typischen Erträge nach abziehbaren Aufwendungen und Entlastungen. Dieser gesetzeskräftigen Verfassungsauslegung zufolge ist jedes entgegenstehende gesetzliche und untergesetzliche Recht verfassungswidrig. 4. Hälftigkeitsgrundsatz und Eigentunisgarantie der Krankenkassen als Solidargemeinschaft ihrer Versicherten Jedenfalls ist diese Argumentation des Bundesverfassungsgerichts auch auf andere staatliche Belastungen als die durch Steuern übertragbar und anwendbar, insoweit aber verbindlich. Der RSA belastet die Krankenkassen und mithin deren Mitglieder ungeachtet typischer Erträge oder Überschüsse, im Falle der B K K B M W durchschnittlich mit 43% der gesamten Finanzkraft. Bei knapp ausgeglichenem Haushalt der Krankenkassen nach den Abführungen zum RSA würde dies bedeuten, daß ohne RSA und ungeachtet satzungsrechtlicher Vorschriften zu Überschüssen oder Rücklagenhöhen diese B K K etwa 43% Überschuß erzielen würde. Diese 43% ihrer Finanzkraft könnten jedenfalls, wenn überhaupt, als Ertrag qualifiziert werden. Dieser wird durch den RSA zu 100% entzogen. Die Grenzen des Sollertrags, etwa im Vergleich mit typischen gesetzlichen Krankenkassen oder auch privaten Krankenversicherungsträgern, sind demnach mißachtet. Der Hälftigkeitsgrundsatz ist - als hinzutretende engere Grenze des Belastungszugriffs - überdies deutlich verletzt. Dabei bleiben Entlastungserwägungen, etwa zugunsten einer Belastungs-Freistellung eines die finanzielle und wirtschaftliche Existenz dieser Selbstverwaltungskörperschaft sichernden Rücklage oder eines bestimmten Überschusses, noch unberücksichtigt. Diese würden zu einer weiteren Verletzung der Belastungsgrenzen gegenüber jedem staatlichen, auch sozialstaatlichen Zugriff führen. Gerade der Sozialstaat in Form der Finanzausgleiche des RSA findet seine Grenzen in den Grundrechten der Kassenmitglieder, insoweit auch (mittelbar gemäß Art. 19 Abs. 3 GG) der Krankenkassen selbst. Zudem ist die absolute Belastungsgrenze der rechtlichen Rücklage zuzüglich der Betriebsmittel zu wahren. Dies ist zugleich der unantastbare, freizustellende Betrag nach dem Prinzip der Freistellung der Grundlage wirtschaftlicher Tätigkeit. Insofern besteht Substanzschutz des Vermögens der Krankenkassen. Dieser ist zugleich Existenz- und Eigenständigkeitsschutz der Solidargemeinschaft aller Versicherten der Krankenkassen. Die Größe
110
V. Verletzung der Eigentumsgarantie
„Sollertrag" muß freilich kassentypisch ermittelt werden. Zur relativen Hälftigkeitsgrenze tritt nun die absolute des existenzsichernden Freibetrags in Höhe der rechtlichen Rücklage zuzüglich der typisch notwendigen Betriebsmittel hinzu. 5. Hälftigkeitsgrundsatz und Eigentumsgarantie der Mitglieder insgesamt Die B K K B M W etwa hat ein Mitglied auf 0,8 beitragsfrei Versicherte krankenversichert. Bei einer durchschnittlichen Belastung der Finanzkraft der gesamten Versichertengemeinschaft dieser Krankenkasse von 43,14% (West) bzw. 62,08% (Ost) im Jahre 1997 - vorbehaltlich weiterer Korrekturen - sind demnach in Relation durchschnittlich ein Mitglied plus 0,8 beitragsfrei Versicherte, also zusammen durchschnittlich 1,8 Versicherte mit 43,14% (West) bzw. 62,08% (Ost) RSA belastet. Daraus folgen im Bereich West für jedes Mitglied im Durchschnitt RSA-Lasten von 77,65% (1,8 χ 43,14%) der durchschnittlichen Finanzkraft pro Mitglied. Im Bereich Ost ist jedes Mitglied angesichts von 62,08% RSA-Abführung noch höher belastet. Die durchschnittliche Gegenleistung an Leistungsausgaben und Verwaltungskosten pro Mitglied beträgt demnach maximal - vorbehaltlich Rücklagen und Überschüsse - im Bereich West 22,35% der Finanzkraft bzw. Beitragszahlungen. Im Bereich Ost ist diese Relation noch nachteiliger für die entsprechenden Mitglieder der BKK. Damit erhält ein durchschnittliches Mitglied der Krankenkassen weniger als ein Viertel seiner Finanzkraft bzw. Beitragszahlungen als Krankenversicherungsgegenwert bzw. eigentlich intendierte Dienstleistung. Diese unzumutbare Überdehnung des Solidarprinzips auf Kosten des Versicherungsprinzips und dessen Äquivalenzprinzips ist verfassungsrechtlich noch nicht hinreichend gewürdigt. Bisher wurde lediglich die Belastung der Krankenkassen im ganzen betrachtet. Dies wird jedoch der grundrechtlichen Teleologie des Individualrechtsschutzes nicht gerecht. Demnach ist bezüglich der Grundrechtsverletzungen der Krankenkassen auf deren korporierte Mitglieder abzustellen. Alle zur Grundrechtsverletzung der Krankenkassen dargelegten Argumente finden in dieser Eingriffsintensität von 77,65% für die Mitglieder - anstelle von 43,14% (West) bzw. 62,08% (Ost) betreffend alle Versicherten - eine massive Verstärkung. Dies ist insbesondere hinsichtlich der Prüfung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne zu berücksichtigen. Angesichts der oben dargelegten Maßstäbe aus den Einheitswert-Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts ist hier aber ohnehin nicht auf die bloße Finanzkraft respektive die Einnahmen der Krankenkassen bzw. ihrer Mitglieder abzustellen. Vielmehr muß die Größe „Sollertrag" ermittelt
5. Hälftigkeitsgrundsatz und Eigentumsgarantie der Mitglieder insgesamt 111 werden. Hierzu sind für die Mitglieder im Durchschnitt die echten Überschüsse nach abziehbaren Aufwendungen zu ermitteln, also die Überschüsse nach Leistungsausgaben, Verwaltungskosten und Liquiditätsreserve. Sonstige Entlastungen sind auch hier nicht berücksichtigt. Jedenfalls ist (maximal) ein typischer Einnahmenüberschuß von etwa 10% der gesamten Einnahmen denkbar. Hierbei würde ohne RSA ein völlig anderer, niedrigerer Beitragssatz festgelegt werden müssen, da die Rücklagenhöhe begrenzt ist. Werden diese grob geschätzten 10% Einnahmenüberschuß zugrundegelegt und keine Entlastungen unterstellt, so dürfte ein staatlicher Eingriff in Form eines RSA maximal 5 % dieses „Sollertrages" beanspruchen. Werden die gesetzlich und satzungsmäßig vorgeschriebenen Rücklagen und Betriebsmittel im Sinne wirtschaftlicher und finanzieller Existenzfähigkeit sowie Solvenz der Krankenkassen als Grundbetrag auch von RSA-Belastungen freigestellt, so darf ausschließlich der diesen Betrag übersteigende Überschuß durch den RSA belastet werden. Hierzu wäre eine nähere Analyse nötig. Jedenfalls dürfte rechtens der RSA die vorgeschriebenen Rücklagen sowie Betriebsmittel nicht und zu keinem Zeitpunkt aufzehren. Im Falle der B K K B M W dürfte demnach in keinem Fall die Liquiditätsreserve von 60 Millionen D M angetastet werden. Monatliche Abschlagszahlungen und Jahresausgleichszahlungen stünden demnach unter dem höherrangigen, verfassungsrechtlich verbürgten Vorbehalt der wirtschaftlichen Existenz und Eigenständigkeit der Krankenkassen, also einem Vorbehalt eines unantastbaren Grundbetrags. Daneben bleibt die Hälftigkeit als Grenze der maximalen Belastbarkeit des Sollertrags unberührt. Demnach haben das BVA bzw. alle staatlichen Institutionen einerseits die absolute Grenze eines Freibetrags (in Höhe der gesetzlichen Rücklagen und Betriebsmittel für die Krankenkassen), andererseits die relative Grenze von 50% des typischen Einnahmenüberschusses zu achten. Bei diesen Betrachtungen ist freilich der Sollertrag pro durchschnittliches Mitglied Maßstab, da nur die Mitglieder durch Sozialversicherungsbeiträge begründete Eigentumspositionen gemäß Art. 14 Abs. 1 GG besitzen. Demgemäß muß der typische Sollertrag pro Mitglied ermittelt werden und von diesem dann nach Entlastungen eine Hälftigkeitsgrenze der maximalen Belastung. Dabei muß der RSA anderen Belastungen hinzuaddiert werden, etwa versteckten weiteren Solidarlasten, z.B. im Bundesverband der Betriebskrankenkassen. Hinsichtlich der Mitglieder der Krankenkassen im ganzen ist der RSA jedenfalls wegen Verletzung der Eigentumsgarantie verfassungswidrig.
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V. Verletzung der Eigentumsgarantie 6. Hälftigkeitsgrundsatz und Eigentumsgarantie einzelner Mitgliedergruppen
Über die Überlegungen hinaus, welche bereits zu den Belastungen der Mitglieder der Krankenkassen im Durchschnitt angestellt wurden, gilt der gesetzeskräftige Hälftigkeitsgrundsatz aber auch für jedes einzelne Mitglied. Jedenfalls können einzelne Mitglieder der Krankenkassen über deren Grundrechtsschutz aus Art. 14 Abs. 1 GG beanspruchen, nicht unzumutbar, vor allem nicht wider die Wesensgehaltsgarantie, in ihrer Eigentumsgarantie verletzt zu werden. Die durchschnittliche Mitgliederbelastung durch den RSA beträgt 77,65% der jeweiligen durchschnittlichen Finanzkraft pro Mitglied. Werden bestimmte Mitgliedergruppen analysiert, so die Gruppe der männlichen Versicherten bei der Technikerkrankenkasse im Jahre 1994, einerseits der 28-jährigen, andererseits der 58-jährigen, so gelangt man bei gleichem Beitragssatz, wenn auch verschiedenen durchschnittlichen Einkommen, auf Verhältniswerte von etwa 70 zu etwa 240. Dies spiegelt die entsprechenden standardisierten Leistungsausgaben für männliche Mitglieder im Alter von 28 bzw. 58 als Verhältnis von 70 zu 240 wider, mithin als 1:3,42. Bei unterstelltem gleichen Beitragssatz und bei gleicher Finanzkraft 3 2 7 pro Mitglied ergäbe diese Modellrechnung Leistungsausgaben für den 28-jährigen von etwa einem Drittel bis einem Viertel derjenigen für den 58-jährigen. Bei einem durchschnittlichen Verhältniswert von 100 und durchschnittlichen Mitgliederleistungsausgaben von etwa 22% der Finanzkraft ergeben sich etwa 15,4% 3 2 8 Leistungsausgaben für den 28-jährigen, bezogen auf seine Finanzkraft. Das völlig unzumutbare Mißverhältnis von Leistung und Gegenleistung ist demnach für beispielhaft herausgegriffene Mitgliedergruppen einer typischen, sehr breitgestreuten Krankenkasse wie der TKK, welche deijenigen der Krankenkassen etwa vergleichbar sein dürfte, hinreichend dargetan. Die RSA-Belastungen für die Gruppe der männlichen 28-jährigen Mitglieder umfaßte demnach 84,6%, nämlich den Rest der 15,4% Leistungsausgaben zu 100% Finanzkraft. Die etwa 3% an Verwaltungskosten bei der Krankenkassen sind hierbei nicht eingerechnet, aber ohnehin verschwindend gering. Die Hälftigkeitsgenze bezüglich des Sollertrags, nicht freilich der gesamten Finanzkraft, ist jedenfalls mehr als 10-fach überschritten. Statt einer maximal etwa 5%igen RSA-Belastung bei angenommenen typischen 327 Dies kann mangels näherer Daten wohl unterstellt werden, da viele besserverdienende Mitglieder im Alter von 58 Jahren ohnehin aus dem Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung herausgefallen sein dürften. 328 Ermittelt als Verhältniswert 70 χ durchschnittliche Leistungsausgabenquote von etwa 22% der Finanzkraft pro Mitglied: 70 χ 22% = 15,4%.
8. Anwendbarkeit des Mieter-Urteils des BVerfG vom 26.05.1993
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Soll-Überschüssen einer B K K von etwa 10% besteht eine Mitglieder-Gruppen-Belastung junger, wenig ausgabenintensiver, männlicher Mitglieder von weit über 80% der Finanzkraft bzw. der Beitragszahlungen. 7. Zur Bundeskompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG und zur Anwendbarkeit von Art. 120 Abs. 1 Satz 4 GG Dieses offenkundige Mißverhältnis widerspricht im übrigen sogar der Bundeskompetenz nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG, einen RSA unter dem Titel „Sozialversicherung" überhaupt bundesgesetzlich regeln zu dürfen. Sozialversicherung meint schließlich eine sozial modifizierte, nicht aber zu fast 100% sozial bestimmte, beinahe gegenleistungsfreie „Versicherung". Grundsätzlich, wohl etwa hälftig, muß das Prinzip Versicherung gewahrt bleiben. Anderenfalls werden auch keine Beiträge erhoben, sondern letztlich gegenleistungslose Abgaben. Diese jedoch müßten allgemein und gleichheitlich erhoben werden und sich zudem nach einer eigenen Finanzverfassung richten, wie sie in Art. 104 a ff. GG vorgegeben ist. Der Bundesgesetzgeber darf aber einen in der Intensität fast stewerrechtlichen Eingriff, der zudem gleichheitswidrig ist, nicht unter Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG als „Sozialversicherung" fehldeklarieren. Anderenfalls stünde die gesamte bundesstaatliche Kompetenzordnung Mißbräuchen und Umgehungen offen. Allgemeine sozialstaatliche (Solidar-)Lasten müßte der Bund vielmehr formell-rechtlich durch Steuern finanzieren und den im Wettbewerb der Kassen etwa benachteiligten Krankenkassen gemäß Art. 120 Abs. 1 Satz 4 GG Bundeszuschüsse aus diesen Mitteln gewähren. Jedenfalls eröffnet Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG keinen beliebig auslegbaren und ausdehnbaren Gesetzgebungsspielraum „Sozialversicherung". 8. Anwendbarkeit des Mieter-Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 26.05.1993 auf die Rechte der Krankenkassen bzw. ihrer Mitglieder aus Art. 14 Abs. 1 G G Die Mitglieder der Krankenkassen haben durch ihre Beitragszahlungen quasi sozialversicherungsrechtliche Eigenleistungen erbracht, welche unter die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG fallen. 3 2 9 Jedenfalls müssen Krankenkassen zumindest insoweit auch von diesem Grundrechtsschutz erfaßt werden, als sie Treuhänderinnen dieser sozialversicherungsrechtlichen Rechtspositionen ihrer Mitglieder sind. Anderenfalls würde das verfassungsrechtliche Gebot eines wirksamen, effektiven Grundrechtsschutzes 329 Vgl. BVerfGE 69, 272 (300); 72, 9 (19); 76, 220 (235); BayLSG v. 13.02.1998, L 4 Β 431/97.Kr-VR. 8 Sodan/Gast
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V. Verletzung der Eigentumsgarantie
nach Art. 19 Abs. 4 GG im Hinblick auf die Eigentumsgarantie der Mitglieder der Krankenkassen leerlaufen. Jedenfalls dürfen die Mitglieder der Krankenkassen nicht schlechter gestellt werden als etwa die bloße Besitzrechte innehabenden Mieter einer Wohnung. Die von den Mitgliedern eingebrachten erheblichen regelmäßigen Beitragszahlungen dürfen schon im Hinblick auf das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG nicht willkürlich schlechter behandelt werden als die bloßen Mieter einer Wohnung. Auf keinen Fall aber darf den Innehabern sozialversicherungsrechtlicher Rechtspositionen aus Eigenleistung der Grundrechtsschutz (mittelbar über denjenigen ihrer Treuhänderin, der Krankenkasse) verwehrt werden, den Mietern dagegen pauschal zugesprochen sein. Das Bundesverfassungsgericht mißt in einem Urteil vom 26.05.1993 nämlich dem Mieter über sein Besitzrecht an der gemieteten Wohnung den Eigentumsschutz aus Art. 14 Abs. 1 GG z u . 3 3 0 So führt das Gericht im 1. Leitsatz aus: „Das Besitzrecht des Mieters an der gemieteten Wohnung ist Eigentum im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG." Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG „verpflichtet den Gesetzgeber, bei der Ordnung des Mietrechts die Belange des Mieters angemessen zu berücksichtigen" 331 . Hierbei wird dem Mieter vom Bundesverfassungsgericht der Schutzbereich der Eigentumsgarantie eröffnet, indem es die Merkmale der Privatnützigkeit 332 und eigenen Verfügbarkeit betont. Insbesondere aber die Privatnützigkeit des Eigentums gehört nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum „Kernbereich der Eigentumsgarantie", der nicht ausgehöhlt werden darf. Auch dies gilt für die Mitglieder der Krankenkassen, also zumindest mittelbar auch für diese, viel stärker als für die bloßen Mieter von Wohnraum. Das Bundesverfassungsgericht streicht in seinem Mieter-Urteil die Unabdingbarkeit des geschützten Eigentums für die Freiheit bzw. die freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) heraus: „Die Eigentumsgarantie soll dem Grundrechtsträger einen Freiraum im vermögensrechtlichen Bereich erhalten und dem Einzelnen damit die Entfaltung und eigenverantwortliche Gestaltung seines Lebens ermöglichen." 333 Dies wird vom Gericht sogar für den Mieter einer Wohnung bejaht - um wieviel mehr muß dies dann für Krankenkassen als Treuhänderinnen ihrer beitragszahlenden Mitglieder gelten, um die eigentumsrechtlichen Positionen der Mitglie330
BVerfGE 89, 1 ff. BVerfGE 89, 1 (5); vgl. auch BVerfGE 37, 132 (140 f.). 332 Siehe BVerfGE 89, 1 (6); 93, 121 (137); vgl. bereits BVerfGE 24, 367 (389); 30, 292 (334); 42, 64 (76); 50, 290 (339); 53, 257 (290); 68, 193 (222); 69, 272 (300); 83, 201 (208); 87, 153 (169); 91, 294 (307); vgl. O. Kimminich, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 14 Rn. 18 ff. (Stand der Kommentierung: August 1992); H. Sodan (Fn. 105), S. 255, 274, 306, 310. 333 BVerfGE 89, 1 (6). 331
8. Anwendbarkeit des Mieter-Urteils des BVerfG vom 26.05.1993
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der überhaupt grundrechtlich zu schützen? Auch hier ist auf die letzte Eingriffsschranke der Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG sowie die Ewigkeitsklausel des Art. 79 Abs. 3 GG zu verweisen, die zumindest insoweit einen Kernbereichsschutz des Mitgliedereigentums der Krankenkassen verlangen. Dieser Kernbereich bzw. unverletzliche Wesensgehalt ist aber mit dem oben näher ausgeführten Hälftigkeitsgrundsatz konkretisiert. Jedenfalls darf eine unverletzliche Wesensgehaltsgarantie nicht völlig leerlaufen, sondern bedarf der näheren und vor allem justitiablen Materialisierung durch den Gesetzgeber oder aber die Rechtsprechung, wie dies das Bundesverfassungsgericht mit dem Hälftigkeitsgrundsatz verbindlich machte. Ohne solche materiellen Grenzen staatlicher Eingriffe in die vor allem privaten bzw. korporativen Eigentumspositionen der Mitglieder der Krankenkassen ist deren wirtschaftliche Freiheit in Gefahr, denn: „Eigentum ist Freiheit." 3 3 4 Auch mit der sozialen Bindung der beitragsgespeisten Eigentumspositionen der Mitglieder der Krankenkassen kann nicht gegen deren (mittelbaren) Grundrechtsschutz aus Art. 14 Abs. 1 GG argumentiert werden. Denn auch bezüglich der Mieter betont das Bundesverfassungsgericht, daß „die Einschränkung der Verfügungsbefugnis des Mieters ... einer Anerkennung seines Besitzrechts als Eigentum im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG nicht entgegen" stehe. „Voraussetzung des Eigentumsschutzes ist es nicht, daß über die Rechte uneingeschränkt verfügt werden kann." 3 3 5 Die formalinstitutionelle Inkorporierung der Mitglieder der Krankenkassen und die entsprechenden Sozialbindungen ihres Eigentums können demgemäß einem verfassungsrechtlichen Eigentumsschutz ihrer zum (mindestens noch hälftigen) Teil privatnützigen Beitragszahlungen nicht entgegenstehen. Auch insofern ist eine mittelbare Grundrechtsfähigkeit der Krankenkassen um dieser Rechte ihrer Mitglieder willen unabdingbar. Jedenfalls stellen sich diese Vermögenswerten Rechtspositionen deutlich besser dar als die vom Bundesverfassungsgericht über die Eigentumsgarantie geschützen Mieter-Besitz-Positionen. In Analogie zu diesen Mieter-Eigentumsrechten ist mit dem Bundesverfassungsgericht zu schließen: „Es besteht kein sachlicher Grund, derart ausgestaltete Rechte vom Schutz der Eigentumsgarantie auszunehmen." 336
334 G. Dürig, Der Staat und die Vermögenswerten öffentlich-rechtlichen Berechtigungen seiner Bürger, in: Festschrift W. Apelt (80.), 1958, S. 13 (31); W. Leisner, Eigentum, in: J. Isensee/P. Kichhof (Hrsg.), HStR, Bd. VI, 1989, § 149 Rn. 21; Κ. A. Schachtschneider/O. Gast (Fn. 200), S. 165; H. Sodan (Fn. 105), S. 255; vgl. etwa BVerfGE 79, 292 (304); 81, 29 (34). 335 BVerfGE 89, 1 (7). 336 BVerfGE 89, 1 (7), mit Verweis auf BVerfGE 83, 201 (209). 8*
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V. Verletzung der Eigentumsgarantie
Darüber hinaus müßten die Mitglieder der Krankenkassen einen intensiveren Eigentumsschutz als ein Mieter beanspruchen können, da das Bundesverfassungsgericht den Schutz vorhandener Positionen betont 3 3 7 , diejenige des Mieters aber mit der Kündigung des Mietverhältnisses endet. Zudem haben Mieter keine originäre, sondern nur eine abgeleitete Beziehung und Nutzungsposition zum gemieteten Wohnraum 338 . Auch insofern darf eine Krankenkasse als Treuhänderin der Eigentumspositionen ihrer Mitglieder, zudem auch der hälftig die Beiträge leistenden B M W AG als Arbeitgeber, nicht schlechter oder gar völlig grundrechtsfrei gestellt werden als die Mieter von Wohnraum nach diesem wegweisenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts.
337 Siehe BVerfGE 89, 1 (7); vgl. bereits BVerfGE 20, 31 (34); 28, 119 (141 f.); 45, 142 (179); 68, 193 (222). 338 Vgl. BVerfGE 89, 1 (8).
VI. Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes 1. Grundrechtsfähigkeit der Krankenkassen und Verletzung des Art. 3 Abs. 1 G G Zur Beantwortung der Frage nach der Grundrechtsfähigkeit der Krankenkassen bezüglich eines Schutzes aus Art. 3 Abs. 1 GG ist auf die grundsätzlichen Ausführungen zu verweisen. 339 Für den sachlichen Schutzbereich kann nichts anderes gelten. Das Gleichheitsrecht des Art. 3 Abs. 1 GG soll vielmehr komplementär zu Art. 2 Abs. 1 GG willkürliche, ungleich belastende Eingriffe abwehren. Diese sind jedoch gerade im Falle der B K K B M W bzw. ihrer Mitglieder offenkundig gegeben, da die Belastung sich als unzumutbar existenzgefährdend und ungleich darstellt. Ebenso wie im Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 bzw. Art. 9 Abs. I GG ist hier die maßgebliche funktionale Privatheit der Krankenkassen zu bejahen. Insoweit Mitglieder einer Krankenkasse innerhalb des gleichheitsrechtlichen Schutzbereichs spezifisch, nämlich ungleich und willkürlich, durch den RSA beschwert sind, insoweit kommt der Krankenkasse bzw. ihren Mitgliedern der entsprechende Grundrechtsschutz zu. Dies ist umsomehr zu bejahen, als die zunehmende Wettbewerblichkeit und privatheitliche Konkurrenz der Krankenkassen für die funktionale Privatheit spricht. Schon deshalb darf der Grundrechtsschutz nicht versagt werden. 340 Insoweit ist auf Art. 19 Abs. 3 GG zu verweisen, wonach juristischen Personen ein vergleichbarer Grundrechtsschutz zu gewähren ist, „soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind". Zumindest aber den Mitgliedern muß wegen Art. 19 Abs. 4 GG ein effektiver Rechtsschutz hinsichtlich des Art. 3 Abs. 1 GG gewährt werden. Zudem darf ein Grundrecht gemäß Art. 19 Abs. 2 GG „in keinen Falle ... in seinem Wesensgehalt angetastet werden." Demnach ist hinsichtlich der öffentlich-rechtlichen Auferlegung von Geldleistungspflichten durch den RSA zu Lasten der Krankenkassen der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zu beachten. „Der Gleichheitssatz trifft eine Aussage über den Spielraum des Staates, eine vorgefundene Wirklichkeit umgestalten zu dürfen oder zu müssen." 341
339 340 341
Siehe oben S. 22 ff. Vgl. dezidiert U. Ramsauer, NJW 1998, S. 481 (484). P. Kirchhof, HStR V, § 124 Rn. 195.
118
VI. Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes
Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 342 ist Art. 3 Abs. 1 GG verletzt, wenn der Staat eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten. Es genügt nach dieser Judikatur also für die Verfassungsmäßigkeit einer Regelung nicht, daß sich irgendein sachlicher Gesichtspunkt für die rechtliche Differenzierung finden läßt. 3 4 3 Welche SachVerhaltselemente so wichtig sind, daß ihre Verschiedenheit eine Ungleichbehandlung rechtfertigt, hat zwar regelmäßig der Gesetzgeber zu entscheiden; sein Spielraum endet aber dort, wo die ungleiche Behandlung nicht mehr mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise vereinbar i s t . 3 4 4 Auch das Sozial(staats)prinzip „ermächtigt nicht zu beliebiger Sozialgestaltung, die das Gebot der Gleichheit auflösen würde". 3 4 5 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 346 zum Gleichheitssatz sind „dem gesetzgeberischen Gestaltungsraum dort enge Grenzen gezogen ..., wo es sich um Regelungen handelt, die Auswirkungen auf die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Freiheit der beruflichen Tätigkeit haben". Danach ist nicht nur der Maßstab des Willkürverbots zu berücksichtigen. Angesichts der wettbewerbsverzerrenden Selektion von ausgleichsfähigen Risikofaktoren 347 ist jedoch auch eine Krankenkasse im dargestellten Umfange in ihren Grundrechten, zumindest des Art. 2 Abs. 1 GG, verletzt. Im Sinne einer gestuften Kontrolldichte müssen also besonders strenge Maßstäbe hinsichtlich des allgemeinen Gleichheitssatzes angelegt werden, weil sich die Typisierungen des RSA auf die Grundrechte der Krankenkasse nachteilig auswirken. Zudem ist diese als mitgliedschaftliche Personengruppe existentiell betroffen, also - etwa gegenüber Mitgliedern einer A O K - diskriminiert. Die, wie bereits dargelegt 348 , nicht durch legitime Zwecke zu rechtfertigende, ungeeignete Sonderbelastung der Krankenkassen bzw. ihrer Mitglieder durch die Zahlungsbescheide zum RSA (West und Ost) zeigt, daß der Staat im Bereich der GKV in wesentlichen Bereichen seine Fähigkeit verlo342 Siehe BVerfGE 55, 72 (88); 58, 369 (373 f.); 60, 329 (346); 62, 256 (274); 64, 229 (239); 65, 104 (112 f.); 73, 301 (321); 82, 60 (86). 343 Κ Hesse, Der Gleichheitssatz in der neueren deutschen Verfassungsentwicklung, AöR 109 (1984), S. 174 (189). Vgl. ferner P. Kirchhof, HStR V, § 124 Rn. 194 ff.; ders., Gleichmaß und Übermaß, in: Festschrift für P. Lerche zum 65. Geburtstag, hrsg. von P. Badura und R. Scholz, 1993, S. 133 (141 ff.); H.-M. v. Heinz, Allgemeiner Gleichheitssatz des Grundgesetzes, NZS 1995, S. 436 (438 f.). 344 BVerfGE 60, 123 (134). 345 BVerfGE 12, 354 (367). 346 BVerfGE 60, 123 (134); vgl. auch BVerfGE 62, 256 (274). 347 Vgl. insb. U. Ramsauer, NJW 1998, S. 481 (484). 348 Siehe bereits S. 54 ff.
1. Grundrechtsfähigkeit der Krankenkassen
119
ren hat, durch Objektivität und Neutralität seiner Gesetze wirtschaftliche Konflikte des Gemeinwesens befriedend - nämlich gleichheitlich, nicht diskriminierend und grundrechtswahrend - zu regeln 3 4 9 . Die Widersprüchlichkeit und Ungeeignetheit ist bereits dargestellt. Hinsichtlich des Art. 3 Abs. 1 GG ist vor allem auf die - besonders wettbewerbsfähige Krankenkassen diskriminierende - Unzumutbarkeit der Belastungen hinzuweisen. Schon die Durchschnittsbelastung etwa der B K K B M W ist unzumutbar, weil sie die Existenz und den normalen Geschäftsbetrieb gefährdet. Die Belastung durch den RSA beträgt im Bereich Ost sogar 62,08% der Finanzkraft (1997). Der B K K B M W verbleiben danach im Bereich Ost lediglich 37,92% ihrer Finanzkraft für die laufenden Ausgaben, die Vermögens- und Rücklagenbildung. Durchschnittsbelastungen von 50 bis 60% sind kein Einzelfall. 3 5 0 Auf die Unzumutbarkeit der weit über diesem 43,14%igen bzw. 62,08 %igen Belastungsdurchschnitt liegenden Einzelbelastungen von Mitgliedern der B K K B M W ist insoweit hinzuweisen. Die Ungeeignetheit der RSA-Regelung führt zudem zu ständigen Nachberechnungen und Rückwirkungen, welche eine geordnete Haushaltsführung, Rücklagenbildung und die Selbstverwaltung der Krankenkassen unmöglich machen. Demgegenüber sind die Aufgaben des Sozialstaats (subsidiär) staatlich, nicht aber durch ungerechtfertigte Sonderbelastungen zu finanzieren. Die ungeeignete Regelung des RSA erweist sich im Hinblick auf die mit ihm verfolgten Ziele auch als nicht erforderliches Mittel. Hinsichtlich der Ziele der Wirtschaftlichkeitserhöhung sowie des Abbaus von Wettbewerbverzerrungen, welche vom Sozialgesetzgeber verfolgt werden, stellt sich die weitgehende Einführung von Wettbewerb zugunsten der Effizienz und der Versicherungsprämienanpassung als das bei weitem mildeste Mittel zur Erreichung dieser Ziele dar. Die verbleibenden, sozialstaatlich zu tragenden Restversicherungsrisiken - insbesondere im Hinblick auf geringe Grundlohnsummen und hohe Morbiditätsrisiken - sind gemäß Art. 120 Abs. 1 Satz 4 GG vom Bund zu tragen. Staatliche Aufgaben der sozialen Sicherung sind jedenfalls nicht durch gleichheitssatzwidrige Mittel zu erreichen. Hinsichtlich des allgemeinen Gleichheitssatzes und seiner strengen Kriterien im Falle diskriminierender und grundrechtsberührender Eingriffe ist keine Sonderbelastung der Krankenkassen mehr zu rechtfertigen. In bezug auf die nähere Begründung der Geeignetheit und Milde dieses Mittels wettbewerblich effizienter, nur subsidiär staatlich finanzierter Krankenversicherung ist auf die Ausführungen zur Erforderlichkeit bezüglich des Eingriffs in Art. 2 Abs. 1 GG zu verweisen.
349 350
Vgl. dazu H. Sodan (Fn. 105), S. 280. Siehe J. Müller/W. Schneider, Arbeit und Sozialpolitik 1998, S. 10 (17).
120
VI. Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes
Die Unzumutbarkeit des RSA bzw. dessen UnVerhältnismäßigkeit im engeren Sinne wird zudem bereits aus der Schwere und Existenzialität des Grundrechtseingriffs deutlich, welcher nicht durch hinreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt werden kann. Vielmehr sind einerseits die Ungeeignetheit, andererseits aber die Nicht-Erforderlichkeit des RSA im Hinblick auf die genannten Ziele des Gesetzgebers bereits dargelegt worden. Zudem sind die gemeinschaftsrechtlichen Wettbewerbsregeln sowie die Dienstleistungsfreiheit - als objektives Verfasungsrecht sowie als Schranken-Schranke - verletzt. Insgesamt erscheint der RSA also als unverhältnismäßig, mithin als Verletzung des Grundrechts aus Art. 3 Abs. 1 GG. 2. Die bundesverfassungsgerichtlichen Forderungen einer gleichmäßigen faktischen Vollziehbarkeit der Gesetze Die formelle wie materielle ΒindungsWirkung der Urteile der Senate des Bundesverfassungsgerichts im Umfang des Entscheidungstenors und der wesentlichen Entscheidungsgründe wurde bereits zu den Hälftigkeits-Beschlüssen vom 22.06.1995 und dem Länderfinanzausgleichs-Urteil vom 11.11.1999 dargelegt. Auch hinsichtlich des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zur Gleichheitssatzwidrigkeit steuergesetzlicher faktischer Ungleichbelastung 351 besteht die Bindungswirkung gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG. Darüber hinaus entfaltet das Urteil auch Gesetzeskraft, also unmittelbare normative Wirkung, gemäß § 31 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG, da es sich um einen Fall des § 13 Nr. 8 a BVerfGG (Verfassungsbeschwerde) handelt. Auch bezüglich dieses Urteils ist festzustellen, daß Bindungswirkung und Gesetzeskraft sich auf die materiell-rechtlich vergleichbaren Fälle beziehen. Insofern wird bezüglich der RSA-Bestimmungen nur auf die materiell-rechtlich abstrakten Leitsätze bzw. wesentlichen Gründe des Urteils abgestellt. Die zugrundliegenden Verfassungsbeschwerden betrafen „die Frage, ob ein Steuerpflichtiger aus seinem Grundrecht nach Art. 3 Abs. 1 GG steuerliche Belastungen aufgrund von Regelungen abwehren kann, die Einkünfte aus Kapitalvermögen zwar der Einkommensteuer unterwerfen, wegen der Vorschriften über die Steuererhebung aber zu einer unvollständigen und ungleichmäßigen Besteuerung dieser Einkünfte führen." 3 5 2 Bestimmte Kapitaleinkünfte würden nämlich systematisch nicht hinreichend von den einkommensteuerrechtlichen Regelungen erfaßt, insbesondere durch Kontroll- und Vollzugsdefizite. Schon das vorgängige Finanzgericht Baden-Württemberg hatte festgestellt 353 : Den Beschwerdeführern sei darin zuzustimmen, daß 351 352
BVerfGE 84, 239 ff. BVerfGE 84, 239 (240).
2. Forderungen einer gleichmäßigen faktischen Vollziehbarkeit der Gesetze 121 die Ermittlungs- und Erhebungspraxis der Finanzverwaltung bei der Besteuerung von Zinserträgen aus Guthaben bei Kreditinstituten und aus festverzinslichen Wertpapieren im Ergebnis das Gleichgewicht in der steuerlichen Lastenverteilung in einem unerträglichen Maß störe. Das Finanzgericht spricht denn auch deutlich von einem „Vollzugsdefizit", ohne jedoch den strittigen § 20 EStG in seiner rechtlichen Geltung in Frage zu stellen. In der Revision der Beschwerdeführer räumte der Bundesfinanzhof 354 ein, daß die Erfassung der Zinseinkünfte nicht ausreichend gewährleistet sei. Der Gesetzgeber sei angesichts der Feststellung von Vollzugsdefiziten durch den Bundesrechnungshof verpflichtet, „geeignete Maßnahmen für eine bessere Erfassung dieser Kapitalerträge zu ergreifen" 355 ; die nähere Regelung sei jedoch der Entscheidung des Gesetzgebers überlassen. Dem Bundesfinanzhof nach 3 5 6 dürften die Zinseinkünfte der Beschwerdeführer selbst dann zur Einkommensteuer herangezogen werden, wenn andere Steuerpflichtige nicht mit dieser Steuer belastet würden. Der Gleichheitssatz durchbreche nicht die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an die Gesetze nach Art. 20 Abs. 3 GG. Dies fordere „Gleichheit vor dem Gesetz, also Gleichheit im Recht. Eine Gleichheit im Gesetzesbruch könne es nicht geben." 3 5 7 Demgegenüber rügten die Beschwerdeführer, daß der Gesetzgeber um die systematisch angelegten Möglichkeiten der Steuerhinterziehung hätte wissen müssen. Dementsprechend hätte er Vorkehrungen zur gleichmäßigen Belastung der Zinseinkünfte treffen müssen, so mittels der Erfassung der Einkünfte an der Quelle oder durch die Verpflichtung der Banken zu Kontrollmitteilungen an die Finanzbehörden. 358 Auch einige Länder, aber insbesondere der Bundesrechnungshof und die Deutsche Bundesbank monierten ein „erhebliches Vollzugsdefizit" bzw. die „mangelnde Ordnungsmäßigkeit der Besteuerung". Neuere Prüfungen des Bundesrechnungshofs belegten sogar ein „unvertretbares Vollzugsdefizit. Die Maßnahmen der Bundesregierung würden diese Mängel auf Dauer nicht beheben." 359 Die Deutsche Bundesbank gab jedoch die erheblichen Kosten einer höheren, den Vollzug eher sicherstellenden Kontrolle zu bedenken, zudem die volkswirtschaftlichen Auswirkungen im internationalen Zusammenhang der Kapitalmärkte. 360
353 354 355 356 357 358 359 360
Vgl. Urt. v. 05.06.1986, EFG 1986, S. 451 ff. Β FH, Urt. v. 20.06.1989, BStBl. II S. 836 ff. Siehe BVerfGE 84, 239 (255). BVerfGE 84, 239 (255). Siehe BVerfGE 84, 239 (255 f.). BVerfGE 84, 239 (256). BVerfGE 84, 239 (256). BVerfGE 84, 239 (266). Siehe BVerfGE 84, 239 (266 f.).
122
VI. Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes
Das Bundesverfassungsgericht spricht in seinem Urteil von erheblich ungleichen Belastungen der Beschwerdeführer „infolge mangelhafter Gestaltung des ErhebungsVerfahrens". 361 Das Gericht führt schon im gesetzeskräftigen Leitsatz 1 näher aus: „Der Gleichheitssatz verlangt für das Steuerrecht, daß die Steuerpflichtigen durch ein Steuergesetz rechtlich und tatsächlich gleich belastet werden. Die Besteuerungsgleichheit hat mithin als ihre Komponenten die Gleichheit der normativen Steuerpflicht ebenso wie die Gleichheit bei deren Durchsetzung in der Steuererhebung. Daraus folgt, daß das materielle Steuergesetz in ein normatives Umfeld eingebettet sein muß, welches die Gleichheit der Belastung auch hinsichtlich des tatsächlichen Erfolgs prinzipiell gewährleistet." 362 Das Bundesverfassungsgericht erläutert dies in den nur auslegungserheblichen, also zumindest mittelbar gesetzeskräftigen Urteilsgründen näher: „Wird die Gleichheit im Belastungserfolg durch die rechtliche Gestaltung des Erhebungsverfahrens prinzipiell verfehlt, so kann dies die Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Besteuerungsgrundlage nach sich ziehen und die Steuerpflichtigen in ihrem Grundrecht auf Besteuerungsgleichheit verletzen." 3 6 3 Hierbei ist vor allem auf das Grundrecht auf Besteuerungsgleichheit hinzuweisen. Dieses Grundrecht ergibt sich bereits aus dem Wesen der Steuer als Gemeinlast zur allgemeinen Finanzierung der Staatstätigkeit. Der Grundsatz der „Gleichheit der Lastenzuteilung" 364 rechtfertigt die Eingriffe in die Vermögens- und Rechtssphäre der Steuerpflichtigen. Aus diesem Gebot möglichst gleichmäßiger Belastung folgert das Bundesverfassungsgericht, der Gesetzgeber habe eine einmal getroffene Entscheidung des Steuersatzes und -systems folgerichtig umzusetzen: Insbesondere muß das Besteuerungsverfahren sicherstellen, „daß jede Bemessungsgrundlage möglichst vollständig festgestellt und die Steuer deshalb gleichmäßig erhoben werden kann." 3 6 5 Auch hier sind die Parallelen zum Verfahren der Datenerhebung zum RSA - quasi als Ausgleichs-Bemessungsgrundlage - offenkundig. Diesem Analogieschluß steht die Unterschiedlichkeit von Steuern und Beiträgen bzw. Steuern und Transferzahlungen nicht entgegen. Vielmehr kommt es auf die einen gleichheitssatzgemäßen Gesetzesvollzug hinreichend sicherstellenden Verfahrensnormen an. Der allgemeine Gleichheitssatz erstreckt seinen Geltungsbereich nicht nur auf die Besteuerung und deren Verfahren, sondern grundsätzlich allgemein auf alle privaten und selbst körperschaftlichen Handlungsbereiche. Letztlich verlangt Art. 3 Abs. 1 GG vor allem die 361 362 363 364 365
BVerfGE BVerfGE BVerfGE BVerfGE BVerfGE
84, 239 84, 239 84, 239 84, 239 84, 239
(268). (Ls. 1, auch S. 268). (268). (269). (271).
2. Forderungen einer gleichmäßigen faktischen Vollziehbarkeit der Gesetze 123 normative Gleichheit sowie die wirkungsmäßige, faktische DurchsetzungsGleichheit vor dem Gesetz. Das Bundesverfassungsgericht führt dazu aus: „Die Besteuerungsgleichheit hat mithin als ihre Komponenten die Gleichheit der normativen Steuerpflicht ebenso wie die Gleichheit bei deren Durchsetzung in der Steuererhebung. Im Rahmen einer gewaltenteilenden Verfassungsordnung regelt der Gesetzgeber den Maßstab der gleichen Lastenzuteilung und verpflichtet die mit dem Vollzug dieses Gesetzes beauftragte Finanzverwaltung, diese Besteuerungsvorgaben in strikter Legalität (vgl. BVerfGE 13, 318 [328]) umzusetzen und so Belastungsgleichheit zu gewährleisten. Art. 3 Abs. 1 GG verbietet eine Regelung der Steuererhebung, welche die Gleichheit des Belastungserfolgs prinzipiell verfehlt." 3 6 6 Auch hinsichtlich dieser näheren, auslegungserheblichen Urteilsgründe ist auf die Gesetzeskraft des entsprechenden Leitsatzes 1 des Urteils hinzuweisen. Im Hinblick auf einen durchschnittlich äußerst geringen Vollzugserfolg der Steuererhebung 367 im Sinne seiner normativen Grundlage muß von der Verfassungswidrigkeit des § 20 EStG bezüglich Art. 3 Abs. 1 GG gesprochen werden, was das Gericht jedoch durch eine dogmatisch fragwürdige bloße Unvereinbarkeits-Erklärung 368 umgeht. Auch diese führt dem Gesetzeswortlaut 369 nach bereits zur Unanwendbarkeit des verfassungswidrigen Rechts. Schon diese Rechtsfolge müßte das zuständige Gericht der Sozialgerichtsbarkeit zur Vorlage gemäß Art. 100 Abs. 1 GG zwingen. Hinsichtlich der verfassungsgebotenen Anforderungen der normativen faktischen Anwendungsgleichheit eines Gesetzes ist zu bezweifeln, ob die RSA-Bestimmungen dem genügen. Der RSA ist nicht faktisch gleichheitlich durchführbar. Dies gilt auch dann, wenn die Vollzugsdefizite im Falle des RSA nicht dasselbe unerträgliche Ausmaß erreichen wie beim Vollzug der fraglichen einkommensteuerrechtlichen Bestimmungen. Das Bundesverfassungsgericht erläutert dazu: „Die steuerliche Lastengleichheit fordert mithin, daß das materielle Steuergesetz die Gewähr seiner regelmäßigen Durchsetzbarkeit so weit wie möglich in sich selbst trägt. Der Gesetzgeber hat demgemäß die Besteuerungstatbestände und die ihnen entsprechenden Erhebungsregelungen aufeinander abzustimmen." 370 Dabei kommt es darauf an, inwieweit der ungleichmäßige Vollzug der Gesetze dem Gesetzgeber zuzurechnen ist. Insofern hat dieser hinreichend sachrichtige Prognosen über die Vollziehbarkeit seiner Normen zugrundezulegen. Insoweit ist die „regelmäßige Durchsetzbarkeit" einer Norm maßgebend. „Drängt sich ein struktureller Erhebungsmangel dem Gesetzgeber erst nach366 367 368 369 370
BVerfGE 84, 239 (271). Vgl. BVerfGE 84, 239 (260 ff.). Zum Problem etwa K. Schlaich/S. Korioth (Fn. 23), Rn. 382 ff. Vgl. etwa § 76 Abs. 1 Nr. 2 BVerfGG. BVerfGE 84, 239 (271 f.).
124
VI. Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes
träglich auf, so trifft ihn die verfassungsrechtliche Pflicht, diesen Mangel binnen angemessener Frist zu beseitigen." 371 Im Hinblick auf den RSA kann nach den ausführlichen Darlegungen hierzu 3 7 2 jedenfalls von strukturellen Erhebungsmängeln ausgegangen werden. Diese sind vom Gesetzgeber auch nicht nach inzwischen 8 Jahren RSA-Durchführung beseitigt worden. Die systematisch in den gesetzlichen Grundlagen der §§ 266, 267, 313 a SGB V sowie der fortlaufend geänderten RSAV angelegten Erhebungs- und Verfahrensmängel sind dem Gesetzgeber zuzurechnen. Dieser hat zugleich seine Pflicht der gesetzlichen Mängelbeseitigung verletzt. Hinsichtlich der umfänglich kritisierten Datenerhebung zum RSA hat der Gesetzgeber vor allem auf die Datenmeldungen der Krankenkassen bzw. ihrer Verbände an das B V A vertraut. Die eine regelmäßige, datenmäßig hinreichend richtige Vollziehung des RSA nicht sicherstellende systematische Fehleranfälligkeit und Manipulierbarkeit des Erhebungsverfahrens sind dargelegt worden. Das Bundesverfassungsgericht fordert zu Recht vom Gesetzgeber Kontrollen der Durchführung der Gesetze, vor allem aber in der Sache durchführungsfähige Gesetze, welche die grundsätzliche Vollziehbarkeit eben weitgehend in sich selbst tragen. Jedenfalls darf die Gesetzgebung nicht „nahezu allein auf der Erklärungsbereitschaft" 373 der Erklärungspflichtigen beruhen, was beim RSA die Datenmeldungen der Krankenkassen betrifft, aber auch die Datenbereinigungspflichten. Die Prüfungen durch das B V A sind dementsprechend unzureichend, zumal sie angekündigt und auf geringe Datenbestände bestimmter Krankenkassen begrenzt sind. Das Bundesverfassungsgericht führt im Leitsatz 2, welchem Gesetzeskraft zukommt, aus: „Hängt die Festsetzung einer Steuer von der Erklärung des Steuerschuldners ab, werden erhöhte Anforderungen an die Steuerehrlichkeit des Steuerpflichtigen gestellt. Der Gesetzgeber muß die Steuerehrlichkeit deshalb durch hinreichende, die steuerliche Belastungsgleichheit gewährleistende Kontrollmöglichkeiten abstützen." 374 Entscheidend ist jedoch vor allem die gesetzeskräftige und (unmittelbar) alle staatlichen Behörden und Gerichte bindende Feststellung, das Deklarationsprinzip müsse durch das Verifikationsprinzip ergänzt werden. Hier folgt das Gericht der grundlegenden Idee des Rechts als des Richtigen 3 7 5 , welches sich vor allem auf Wahrheit und Sachgemäßheit gründet, gemäß dem klassischen „veritas, non auctoritas facit legem". 3 7 6 371
BVerfGE 84, 239 (272). Vgl. S. 57 ff., 63 ff. 373 BVerfGE 84, 239 (273). 374 BVerfGE 84, 239 (Ls. 2). 375 Siehe K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl., 1991, S. 89 ff. 372
3. Bindungswirkung des Länderfinanzausgleichs-Urteils des BVerfG
125
Im Ergebnis führt der strukturelle Vollzugsmangel zum Gleichheitsverstoß. Soweit dieser dem Gesetzgeber zuzurechnen ist, „führt die dadurch bewirkte Gleichheitswidrigkeit zur Verfassungswidrigkeit", wie im gesetzeskräftigen Leitsatz 4 3 7 7 festgestellt wird. Dem stehen auch gesamtwirtschaftliche 378 sowie etwa finanzpolitische und finanztechnische Erfordernisse nicht entgegen. Angesichts eines volkswirtschaftlich sehr bedenklichen Kontrollaufwands, wie ihn die Deutsche Bundesbank im Hinblick auf die Kontrolle der Besteuerung der Kapitaleinkünfte zu bedenken gab, kann bezüglich des RSA nur auf dessen grundsätzliche Fragwürdigkeit hingewiesen werden, zumal in diesem unzumutbaren Umfange von teilweise über 80% der Beiträge aller Mitglieder der Krankenkassen. Allein die Kombination der strukturellen Vollzugsmängel, unvertretbarer 379 weiterer Kontrollkosten und der UnVerhältnismäßigkeit dieses Ausgleiches, zumal in diesem Umfang von über 24 Milliarden D M p.a., zwingen zu dem Schluß der bereits dargelegten grundsätzlichen Verfassungswidrigkeit des RSA. Materiell-rechtlich ist bereits mit der Feststellung der Unvereinbarkeit einer Norm mit der Verfassung von deren Verfassungswidrigkeit und insoweit auch grundsätzlich Unanwendbarkeit auszugehen. Grundsätzlich besteht eine Anwendungssperre verfassungswidrigen Rechts 3 8 0 , wie dies auch § 31 Abs. 2 BVerfGG normiert. § 78 BVerfGG spricht zutreffend von der Nichtigkeit von mit dem Grundgesetz unvereinbaren Bundesrecht. Jedenfalls hat das zuständige Gericht der Sozialgerichtsbarkeit zur Klärung der Rechtslage bezüglich des RSA die Pflicht der Vorlage vor dem Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG. 3. Bindungswirkung des Länderfinanzausgleichs-Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 11.11.1999 Die Anwendbarkeit der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts erstreckt sich materiell-rechtlich auf die unter Urteilstenor und tragende Urteilsgründe subsumiblen Fälle. Demnach ist zu prüfen, inwieweit Analogien bestimmter Entscheidungen mit Gesetzeskraft zu RSA-Bestimmungen bestehen. 376
Vgl. dazu W. Leisner, Die Staatswahrheit. Macht zwischen Willen und Erkenntnis, 1999, S. 94 ff. 377 BVerfGE 84, 239 (Ls. 4). 378 Vgl. BVerfGE 84, 239 (Ls. 3, S. 273 f., 282). 379 So ist auf gesamtwirtschaftliche Erfordernisse etwa des Art. 109 Abs. 2 GG, aber auch auf den Grundsatz der Beitragssatzstabilität nach § 71 Abs. 1 und § 141 Abs. 2 SGB V abzustellen. 380 V g l e t w a BVerfGE 91, 389 (404).
126
VI. Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes a) Vergleichbarkeit des Finanzausgleichs der Länder mit dem Finanzausgleich der Sozialversicherungsträger
Hinsichtlich der Entsprechungen der Finanzausgleiche verschiedener juristischer Personen des öffentlichen Rechts kann es nicht allein auf die institutionelle Ausgestaltung dieser Rechtssubjekte ankommen. Jedenfalls ist nicht einzusehen, weshalb ein ansonsten auf gleichen Tatbestandsmerkmalen (Finanzkraft, Finanzbedarf) und gleichen Ideen (Angleichung der Finanzkraft, Ausgabendeckung) beruhender Finanzausgleich unterschiedlich behandelt werden sollte. Jedenfalls fallen die erheblichen Entsprechungen des RSA als horizontalen Kassen-Ausgleichs zum horizontalen Finanzausgleich der Länder sehr viel stärker ins Gewicht als etwaige Unterschiede. Die institutionelle Differenzierung kann eine Nichtberücksichtigung analoger Rechtsprechung im Ergebnis nicht rechtfertigen. Die Analogie des RSA zur wegweisenden Länderfinanzausgleich-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist gegenüber funktionellen Unterschieden weit überwiegend. Es handelt sich in beiden Fällen um juristische Personen des öffentlichen Rechts. Die föderal angelegte Eigenständigkeit und originäre Staatlichkeit der Länder des Bundes begründet keinen so existentiellen Unterschied zu selbständig gestellten öffentlich-rechtlichen Körperschaften im Rahmen mittelbarer Staatsverwaltung wie derjenigen der Krankenkassen, als daß eine Ungleichbehandlung gerechtfertigt wäre. Die zugrundeliegende Idee der Wahrung finanzieller Eigenständigkeit dieser juristischen Personen ist jedenfalls identisch. Die tragenden Verfahren und Datenerhebungen, so zur Finanzkraft und zum Ausgleichsbedarf, aber auch zu den durchschnittlichen Standardausgaben oder -einnahmen pro Kopf, sind sehr ähnlich. Dies folgt schon aus der vergleichbaren Systemforderung eines horizontalen Finanzausgleichs. Insofern ist ein Analogieschluß von einem Finanzausgleich auf den anderen auch ein Erfordernis der Systemgerechtigkeit, Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln; dies normiert der allgemeine Gleichheitssatz verfassungsrechtlich verbindlich. 3 8 1 Körperschaften der mittelbaren Staatsverwaltung und Ländern liegt gleichermaßen die Idee der auch finanziellen Eigenständigkeit und institutionellen Eigenverantwortung zugrunde. Jedenfalls sind auch die Länder funktionell und kompetentiell so weitgehend in die unitarische Gesetzes- und Vollzugsordnung des Bundes inkorporiert, daß zwischen Krankenkassen und Ländern insoweit keine prinzipiellen Unterschiede aus der angeblichen völ-
381
Vgl. grundsätzlich P. Kirchhof,
HStR V, § 124 Rn. 209.
3. Bindungswirkung des Länderfinanzausgleichs-Urteils des BVerfG
127
ligen Andersartigkeit der Länder als souveräner juristischer Personen hergeleitet werden können. Zumindest dürfen die Krankenkassen mit ähnlich institutionalisierter Selbstverwaltung und ähnlicher Abgrenzung von der unmittelbaren Staatsverwaltung des Bundes nicht entschieden schlechtergestellt werden als die Länder, wenn es um Maßstäbe ihrer finanziellen Eigenständigkeit geht. Die Länder sowie Bund und Gemeinden finden ihre Finanzverfassung in den Art. 104 a ff. GG geregelt. Dem stehen ähnliche, einfachgesetzlich geregelte Maßstäbe einer körperschaftlichen finanziellen Selbstverwaltung jedoch nicht nach. Vielmehr dürften weitgehende Parallelen mit der Finanzverfassung der Gemeinden und deren Selbstverwaltungsgarantie aus Art. 28 Abs. 2 GG zu ziehen sein. Andererseits steht den Krankenkassen auch die korporative, im institutionell staatlich bestimmten Rahmen materiell vorrangig privat bestimmte Selbstverwaltung zu. Damit gilt mittelbar über Art. 2 Abs. 1 bzw. 9 Abs. 1 GG die Selbstverwaltungsgarantie in finanzieller Hinsicht, wenn auch nicht explizit wie in Art. 28 Abs. 2 GG für die Gemeinden. Dem folgen zugunsten der finanziellen Autonomie der Krankenkassen auch die entsprechenden sozialgesetzlichen und satzungsmäßigen Vorschrif. „ 382
ten. Die vom Bundesverfassungsgericht herausgestellten allgemeinen Grundsätze der Nichtbenachteiligung der Geber bei Finanzausgleichen oder der langfristigen Planbarkeit und zuverlässigen Exekutierbarkeit gesetzlicher Bestimmungen zu Finanzausgleichen sind jedenfalls analog anwendbar. Dabei sind im Länderfinanzausgleichs-Urteil des Bundesverfassungsgerichts der Tenor sowie die tragenden Gründe, soweit für die Verfassungsauslegung relevant, verbindlich gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG. Darüber hinaus handelt es sich um Verfahren nach § 13 Nr. 6 BVerfGG, nämlich Verfahren der abstrakten Normenkontrolle, so daß für Tenor und wesentliche Urteilsgründe die Gesetzeskraft gemäß § 31 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG gilt. Insoweit ist die unmittelbare Geltung und Anwendbarkeit dieses Urteils des Bundesverfassungsgerichts zum Finanzausgleich juristischer Personen zu bejahen. Einer Analogie-Anwendung auf den RSA entgegenstehende Gründe sind bezüglich der allgemein gehaltenen Urteilsformel nicht ersichtlich. b) Für den RSA verbindliche und gesetzeskräftige Entscheidungsgründe aus dem Länderfinanzausgleichs-Urteil des Bundesverfassungsgerichts Das im Ergebnis und den Gründen wegweisende LänderfinanzausgleichsUrteil des Bundesverfassungsgerichts vom 11.11.1999 bietet in vielfältiger Hinsicht materiell-rechtliche Parallelen: 382
Siehe dazu S. 25 ff., 29 ff.
128
VI. Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes
Zuerst einmal wird der Gesetzgeber ganz allgemein zur Konkretisierung verfassungsrechtlicher Prinzipien verpflichtet. Auf die Vorgaben einer Verfassung oder einer Finanzverfassung kommt es insofern nicht speziell an, als dem Gesetzgeber nur die Pflicht zur Verfassungsmaterialisierung aufgegeben wird. Dies ist ohnehin dogmatisch nicht anders haltbar und mußte vom Gericht sicherlich nicht kreiert werden. Es handelt sich um eine rein deklaratorische Formel, welche das Verhältnis der verfassungsgebenden, verfassungsauslegenden und gesetzgebenden Gewalten funktional beschreibt. Dieses Verhältnis ist das des Allgemeinen zum Besonderen, das der verfassungsrechtlichen, offenen Prinzipien zur fortschreitenden Materialisierung und Maßstabsbildung. Dieses rechtseinheitliche System stützt sich auf die Hierarchie dreier Rechtserkenntnisquellen: 1. der Verfassung, 2. des Maßstäbe-Gesetzes mit langfristiger Geltung und 3. des spezielleren, ausführungsnahen Gesetzes. 383 Das Bundesverfassungsgericht verlangt dabei nicht nur Konkretisierung, und zwar durch Bestimmtheit und Richtigkeit faktisch vollziehbare. Es verpflichtet den Gesetzgeber auch auf ihn selbst bindende, dauerhafte Maßstabsbildung. Der Gesetzesbegriff verlangt ohnehin Allgemeinheit in jeder Hinsicht, so auch in zeitlicher - als dauerhafte, verläßliche und zeitlich gleichmäßige Anwendbarkeit justitiabler Maßstäbe der Gesetze. Das Gericht führt im Leitsatz 1 gesetzeskräftig und allgemein anwendbar aus: „Die Finanzverfassung verpflichtet den Gesetzgeber, das verfassungsrechtlich nur in unbestimmten Begriffen festgelegte Steuerverteilungs- und Ausgleichssystem durch anwendbare, allgemeine, ihn selbst bindende Maßstäbe gesetzlich zu konkretisieren und zu ergänzen." 384 Vor allem ist die langfristige, zeitlich universale Geltung der maßstabsetzenden Gesetze zu betonen. Auch dieser tragende Urteilsgrund ist ohne weiteres auf die RSA-Gesetzesbestimmungen übertragbar und entfaltet materiell-rechtlich gesetzliche Wirkung. Im Falle der Normkollision werden die RSA-Bestimmungen allerdings von der formell-rechtlich höherstehenden Bindungswirkung des bundesverfassungsgerichtlichen Urteilstenors verdrängt. Auch diese entscheidungserhebliche Rechtsgeltungsfrage erzwingt nach Maßgabe des Art. 100 Abs. 1 GG die entsprechende Vorlage der gesetzlichen RSA-Bestimmungen durch das zuständige Gericht der Sozialgerichtsbarkeit. Die rechtsstaatlich und gleichheitssatzgemäß gebotene Geltungs- und Anwendungsgleichheit von Gesetzen verlangt zudem dauerhafte, bestimmte und einheitlich anwendbare sowie faktisch angewandte Maßstäbe der ver383 384
Vgl. BVerfGE 101, 158 (216 f.). BVerfGE 101, 158 (158).
3.
indungsirkung des Länderfinanzausgleichs-Urteils des BVerfG
129
fassungsmaterialisierenden Gesetze. Dies sichert zugleich langfristige haushaltwirtschaftliche Planbarkeit, an der es im RSA-Verfahren so sehr mangelt. Letztlich stehen die Finanzautonomie und wirtschaftliche Selbständigkeit sowie die Existenz der Krankenkassen und ihrer Mitglieder auf dem Spiel. Vor allem aber fehlt einer betroffenen Krankenkasse angesichts der großen Schwankungen und Unvorhersehbarkeiten sowie Korrekturbedarfe für Vorjahre ein dauerhafter Planungshorizont. Ein die finanzielle Eigenständigkeit und Selbstverwaltung sichernder, planbarer gesetzlicher Maßstab ist jedoch nicht vorhanden. Angesichts des Leitsatzes 2 des Urteils des Bundesverfassungsgerichts werden die kollidierenden RSA-Vorschriften verfassungswidrig. Das Gericht führt mit diesem tragenden Urteilsgrund und Leitsatz gesetzeskräftig aus: „Mit auf langfristige Geltung angelegten, fortschreibungsfähigen Maßstäben stellt der Gesetzgeber sicher, daß der Bund und alle Länder die verfassungsrechtlich vorgegebenen Ausgangstatbestände in gleicher Weise interpretieren, ihnen dieselben Indikatoren zugrundelegen, die haushaltswirtschaftliche Planbarkeit und Vorhersehbarkeit der finanzwirtschaftlichen Grundlagen gewährleisten und die Mittelverteilung transparent machen."385 Leitsatz 3 entspricht dem Anspruch objektiv richtiger, nicht durch temporäre subjektive Interessen willkürlicher Gesetze. Damit erhebt das Bundesverfassungsgericht zutreffend die Forderung universaler, sachlich-objektiver Richtigkeit der zukunftsgestaltenden Gesetze: „Die Finanzverfassung verlangt eine gesetzliche Maßstabgebung, die den rechtsstaatlichen Auftrag eines gesetzlichen Vorgriffs in die Zukunft in der Weise erfüllt, daß die Maßstäbe der Steuerzuteilung und des Finanzausgleichs bereits gebildet sind, bevor deren spätere Wirkungen konkret bekannt werden." 386 Grundlegend für den materialisierenden Gesetzgeber sind dabei die systematisch in der Verfassung vorgegebenen Prinzipien. Diese sind zwar offen und insofern dynamisch, aber eben nicht beliebig. Insofern findet ihre gesetzliche Ausgestaltung einen weiten, aber festen Rahmen. Das Bundesverfassungsgericht spricht in den Urteilsgründen, die zur Verfassungsauslegung dienen und demgemäß (gesetzeskräftig) verbindlich sind, von einem verfassungsrechtlich normierten Gefüge. 387 „Das Grundgesetz beauftragt den Gesetzgeber, die verfassungsrechtlichen Maßstäbe zu konkretisieren und zu ergänzen". Diese sind langfristig anzulegen - auch insofern können die „Maßstäbe" des RSA verfassungsrechtlich nicht standhalten.
385 386 387 388 389
BVerfGE 101, BVerfGE 101, Vgl. BVerfGE BVerfGE 101, BVerfGE 101,
9 Sodan/Gast
158 (158). 158 (158). 101, 158 (214, 219); vgl. schon BVerfGE 72, 330 (383). 158 (214). 158 (215, 217).
130
VI. Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes
Das Bundesverfassungsgericht fordert die rechtsstaatliche Bestimmtheit, um den dauerhaften, verläßlichen und vor allem durchführbaren Vollzug der Gesetze sicherzustellen. So sind die maßstabsbildenden gesetzlichen Tatbestandsmerkmale wie „laufende Einnahmen" oder „laufende Ausgaben" hinreichend genau, nämlich exekutierbar zu bestimmen. 390 Insbesondere entfaltet das verfassungsmäßige Gesetz zentrale Begriffe wie die durchschnittliche Finanzkraft gemäß Art. 107 GG. Vor allem muß der gestaltungsbedürftige, aber nicht beliebig ausformbare Begriff des „angemessenen Ausgleichs" einen verfassungsmäßigen horizontalen Finanzausgleich maßstäblich regeln. Immer wieder aber betont das Bundesverfassungsgericht die Handhabbarkeit, Durchführbarkeit und Überprüfbarkeit der gesetzlichen Maßstabsbildung. 391 Dem RSA mangelt es jedoch nicht nur an der Durchführbarkeit, sondern an wirksamer Prüfbarkeit durch das BVA. Auch das Erfordernis gesetzlich zu sichernder Planbarkeit wird so sehr herausgestellt 392 , daß im Ergebnis von einem in Leitsatz 2 bereits betonten Prinzip der Maßstäbe-Gesetzgebung gesprochen werden kann. Diesem kommt verfassungsauslegender, also übergesetzlicher, alle Gerichte und Behörden bindender Rang zu. Bei Schwankungsbreiten von teilweise über 15% der RSA-Abschlagszahlungen zu den endgültigen RSA-Verpflichtungen kann von Planbarkeit und rechtsstaatlicher Verläßlichkeit nicht mehr gesprochen werden. Dies gilt um so mehr bei einem insgesamt die Hälfte der Finanzkraft erfassenden Volumen des RSA. Auch die vom Bundesverfassungsgericht geforderte objektive, willkürfreie Allgemeinheit 3 9 3 liegt im Falle des RSA nicht vor. Die durch den RSA begünstigten Krankenkassen stellen vielmehr eine erhebliche gesundheitspolitische Lobby dar, wie die fast vollständig zugunsten der A O K umverteilenden RSA-Zahlungsströme beweisen. Demgegenüber ist der die gesetzliche Objektivität sichernde Rawls' sehe „Schleier des Nichtwissens" gefordert. 394 Bei allen gesetzlichen Konkretisierungen hat sich der Gesetzgeber an die verfassungsrechtlich festen Vorgaben zu halten. Dies gilt insbesondere für den Grundsatz der Haushaltsautonomie des Art. 109 Abs. 1 G G . 3 9 5 Gleichwohl unterliegt diese Finanzhoheit Einschränkungen durch die übergeordneten Finanzausgleichsbestimmungen der Art. 105 bis 107 G G . 3 9 6 Jedoch 390
Siehe BVerfGE 101, 158 (215 f.). So etwa BVerfGE 101, 158 (216). 392 Vgl. BVerfGE 101, 158 (217, 219 f.). 393 Siehe dazu BVerfGE 101, 158 (217 f.). 394 Vgl. BVerfGE 101, 158 (218), unter Verweis auf J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1975, S. 29 ff., 159 ff. 395 Vgl. BVerfGE 101, 158 (219 f.). 391
3. Bindungswirkung des Länderfinanzausgleichs-Urteils des BVerfG
131
muß das Erfordernis eines „billigen Ausgleichs" gewahrt werden, so daß der Finanzausgleich seine Grenzen im Grundsatz der Haushaltsautonomie finden muß. Hinsichtlich des RSA verdienen die Ausführungen zum horizontalen Finanzausgleich der Länder besondere Beachtung. Das Bundesverfassungsgericht streicht nämlich die Eigenstaatlichkeit der Länder heraus. Ein Finanzausgleich darf den bundesstaatlichen Gedanken der Solidarität dabei nicht übergewichten. Insbesondere judiziert das Bundesverfassungsgericht ein für den RSA entscheidendes Nivellierungsverbot: „Dieser Finanzausgleich soll die Finanzkraftunterschiede unter den Ländern verringern, aber nicht beseitigen" 3 9 7 . Dies entspricht auch der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. 398 Der Gesetzgeber hat danach „die richtige Mitte zu finden zwischen der Selbständigkeit, Eigenverantwortlichkeit und Bewahrung der Individualität der Länder auf der einen und der solidargemeinschaftlichen Mitverantwortung für die Existenz und Eigenständigkeit der Bundesgenossen auf der anderen Seite." 3 9 9 So ist ein gesetzliches System des Finanzausgleichs ausgeschlossen, welches vorwiegend auf die finanzielle Gleichstellung der Länder hinausläuft. Vielmehr ist nur eine Annäherung der Finanzkraft der Länder dem grundgesetzlichen System gemäß. 400 Insofern hat der Gesetzgeber die Konkordanz bzw. Balance zwischen Eigenstaatlichkeit und Solidarprinzip zu finden. Auch dieses allgemeine Prinzip, das Maß zwischen freiheitlicher Autonomie und Sozialstaatsprinzip zu finden, ist für die RSA-Belastungen der Krankenkassen anwendbar. Auch hier ist dem Bundesverfassungsgericht zu folgen: „Die Balance zwischen Eigenstaatlichkeit der Länder und bundesstaatlicher Solidargemeinschaft wäre insbesondere verfehlt, wenn die Maßstäbe des horizontalen Finanzausgleichs oder ihre Befolgung die Leistungsfähigkeit der gebenden Länder entscheidend schwächen oder zu einer Nivellierung der Länderfinanzen führen würden. ... Das Gebot, die unterschiedliche Finanzkraft der Länder nur angemessen und ohne Nivellierung auszugleichen, verbietet außerdem eine Verkehrung der Finanzkraftreihenfolge unter den Ländern". 4 0 1 Das Nivellierungsverbot 402 sowie das Verbot einer Verkehrung der Finanzkraftrela-
396 397 398 399 400 401
Siehe BVerfGE 101, 158 (219 f.); vgl. schon BVerfGE 1, 117 (131). BVerfGE 101, 158 (221 f.). Vgl. etwa BVerfGE 1, 117 (132); 72, 330 (386); 86, 148 (215). BVerfGE 101, 158 (222); unter Verweis auf BVerfGE 72, 330 (398). Siehe BVerfGE 101, 158 (222). BVerfGE 101, 158 (222); unter Verweis auf BVerfGE 1, 117 (131); 72, 330
(398). 402
9*
Siehe auch BVerfGE 101, 158 (224).
132
VI. Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes
tion hat das Gericht in seiner Rechtsprechung zum Länderfinanzausgleich kontinuierlich judiziert. 4 0 3 Hinsichtlich des RSA ist auf die Nivellierungswirkung ebenso hinzuweisen wie auf die zu untersuchende Verkehrung der Finanzkraftreihenfolge der Krankenkassen. Da auf eine bundeseinheitliche gleiche Finanzkraft sowie gleiche standardisierte Leistungsausgaben pro Kopf abgestellt wird, ist das gesetzeskräftige, die Entscheidung tragende Nivellierungsverbot durchbrochen. Vielmehr zielt der RSA entgegen der Eigenständigkeit und Selbstverwaltungsautonomie der Krankenkassen als Sachwalterin vor allem ihrer Mitglieder gerade auf völlige Nivellierung, so auf eine bundeseinheitlich stardardisierte Finanzkraft pro Kopf. Alle Standardisierungen sind Nivellierungen. Im Ergebnis werden systematisch manipulierende oder einfach den RSA datenmäßig nicht konsequent vollziehende Kassen erheblich bessergestellt, da ihnen ungerechtfertigte RSA-Transfers zufließen für fiktive „Mitglieder" ohne echte Leistungsausgaben. Der ungleichmäßige, insofern willkürliche Vollzug des RSA führt jedenfalls über die Nivellierung hinaus zu willkürlicher Verkehrung der Finanzkraftreihenfolge. Insoweit ist auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bezüglich des GleichheitsVerstoßes strukturell ungleichmäßigen Gesetzesvollzugs zu verweisen. 404 Im Hinblick auf den RSA sind auch die Ausführungen zur Finanzkraft analog anwendbar: Der Gesetzgeber muß „verläßliche, das Volumen der Finanzkraft zuverlässig erfassende Tatbestände bilden, die für alle mit der Gestaltung und der Kontrolle des Finanzausgleichs beauftragten Organe in Bund und Ländern verständlich und nachvollziehbar sind." 4 0 5 Das Verbot der Nivellierung sowie der Verkehrung der Finanzkraftreihenfolge, letztlich das Verbot der Aufhebung oder starken Einschränkung der finanziellen Leistungsfähigkeit, sind jedoch bezüglich der unverhältnismäßigen RSA-Belastungen etwa der B K K B M W in Höhe von durchschnittlich 43,14% (West) bzw. 62,08% (Ost) der Finanzkraft (1997) deutlich durchbrochen. Insofern ist auf die mehrstufigen Verletzungen des ebenfalls gesetzeskräftigen Hälftigkeitsgrundsatzes - als Wesensgehaltsgarantie der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG - zu verweisen. 406
403 404 405 406
Vgl. BVerfGE 72, 330 (418 f.); 86, 148 (250). Siehe dazu S. 121 ff. BVerfGE 101, 158 (223). Siehe näher S. 108 ff.
3. Bindungswirkung des Länderfinanzausgleichs-Urteils des BVerfG
133
c) Statt eines unzumutbaren RSA: Bundeszuschüsse im Sinne des vertikalen Finanzausgleichs gemäß Art. 120 Abs. 1 Satz 4 GG Das Grundgesetz ermächtigt den Bund gemäß Art. 120 Abs. 1 Satz 4 GG zu Zuschüssen zur Sozialversicherung. Damit sind die Bundeszuweisungen an die Länder im Falle von deren Leistungsschwäche sehr wohl vergleichbar. Dies würde wie im Verfahren des Länderfinanzausgleichs auch für den RSA einen Vergleich von Finanzkraft und Ausgabenaufkommen implizieren. Jedenfalls sind mittels dieser finanziellen Bundesintervention die grundrechtswidrigen Belastungen der Krankenkassen im Sinne eines von Verfassungs wegen ohnehin angelegten vertikalen Finanzausgleichs zugunsten wettbewerbsschwacher Krankenkassen zu vermeiden. Die Bundeszuschüsse gemäß Art. 120 Abs. 1 Satz 4 GG würden analog zum vertikalen Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern ein milderes Mittel darstellen und den Zweck der finanziellen, zudem wettbewerbskonformen Stabilität des Systems der GKV besser erfüllen. Zusätzlich würde sich das Problem einer fehlenden Bundeskompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG für einen RSA dieses Umfangs dann nicht mehr stellen. Auch durch Bundeszuweisungen dürfen im übrigen die Verbote der Nivellierung sowie der Verkehrung der Finanzkraftreihenfolge nicht verletzt werden. 407 d) Verfassungsgebotene
Notwendigkeit
eines Maßstäbegesetzes
Um die aufgezeigte Verfassungswidrigkeit der Vorschriften des RSA zu beseitigen, müßten Regelungen geschaffen werden, welche den Vorgaben des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 11.11.1999 zum Finanzausgleich der Länder entsprechen. Gemäß diesen Anforderungen hat der Bundesgesetzgeber das Gesetz über verfassungskonkretisierende allgemeine Maßstäbe für die Verteilung des Umsatzsteueraufkommens, für den Finanzausgleich unter den Ländern sowie für die Gewährung von Bundesergänzungszuweisungen (Maßstäbegesetz - MaßstG) vom 09.09.2001 408 beschlossen. „Dieses Gesetz benennt Maßstäbe ... für die Voraussetzungen und die Höhe der Ausgleichsansprüche und Ausgleichsverbindlichkeiten (Länderfinanzausgleich)" (§ 1 Abs. 1 MaßstG). „Die Maßstäbe konkretisieren ... Normen des Grundgesetzes. Die Anwendung der Maßstäbe stellt sicher, dass Bund und Länder die verfassungsrechtlich vorgegebenen Ausgangstatbestände in gleicher Weise interpretieren und ihnen dieselben Indi-
407 408
Kraft.
Siehe BVerfGE 101, 158 (223 f.); vgl. schon BVerfGE 72, 330 (404). BGBl. I S. 2302 ff. Dieses Gesetz trat nach § 14 MaßstG am 13.09.2001 in
134
VI. Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes
katoren zugrunde legen. Sie gewährleistet auch haushaltwirtschaftliche Planbarkeit und Voraussehbarkeit der finanzwirtschaftlichen Grundlagen sowie Transparenz der Mittelverteilung" (§ 1 Abs. 2 MaßstG). Es ist nach dem Ausgeführten nicht ersichtlich, weshalb rechtsstaatliche Maßstäbe zugunsten einer Eigenständigkeit und Selbstverwaltungsautonomie der Länder nicht auch für andere juristische Personen des öffentlichen Rechts gelten sollten. Öffentlich-rechtlichen Körperschaften sind staatliche Aufgaben zugewiesen, welche sie mehr oder weniger eigenverantwortlich erfüllen sollen. Die einen wie die anderen juristischen Personen des öffentlichen Rechts nehmen staatliche Aufgaben wahr und dürfen allein insoweit - ohne daß die Länder oder auch nur Krankenkassen völlig selbständig und souverän konstituiert sein müßten - eine gewisse Eigenständigkeit und Rechtssicherheit beanspruchen. Der Rechtsstaat macht vor den gesetzlichen Krankenkassen nicht halt. Finanzielle Selbstverwaltungsautonomie auch im Namen der Versicherten als Grundrechtsträger ist mit einer hinreichenden Haushaltsplanbarkeit untrennbar verbunden. Eine Ausnahme von Rechtsstaat, Planbarkeit und Transparenz der Mittelverteilung bezüglich der Krankenkassen ist jedenfalls insoweit nicht begründbar. Insbesondere wäre für den RSA eine Regelung notwendig, welche dem § 2 Abs. 2 MaßstG entspräche: Danach sind durch ein Finanzausgleichgesetz finanzwirtschaftliche Verhältnisse zu berücksichtigen. Dies deutet bereits auf finanzielle Leistungsfähigkeit als Grenze der Belastbarkeit hin, wie es das Bundesverfassungsgericht im Urteil zum Hälftigkeitsgrundsatz ableitete. Zugleich wird in § 2 Abs. 3 MaßstG auf „Normenklarheit und Nomenverständlichkeit" abgestellt. Dabei handelt es sich um einen bereits aus dem allgemeinen Rechtsstaatsprinzip folgenden Grundsatz, welcher unbestimmte, im Ergebnis unexekutierbare Regelungen ausschließt. Eine Belastungsgrenze zementiert vor allem § 3 MaßstG, demzufolge etwa bei überdurchschnittlichen Einnahmen ein Eigenbehalt verbleiben muß. Daraus folgt, daß bei Einnahmen über dem Durchschnitt in keinem Falle diese höhere Finanzkraft durch Umverteilung beseitigt werden darf. Aus höherer Finanzkraft muß trotz Umverteilung ein positiver Effekt verbleiben, nämlich ein positiver Saldo über dem Durchschnitt, ein „Eigenbehalt". Dies schließt eine Nivellierung und Homogenisierung der Finanzkraft aus. Auch hier ist nicht ersichtlich, weshalb für die einen juristischen Personen des öffentlichen Rechts anderes gelten soll als für die anderen. Ein Eigenbehalt meint zugleich nicht einen völlig unerheblichen Teil der überdurchschnittlichen Einnahmen bzw. der Finanzkraft. Bei Einnahmen pro Kopf bzw. Mitglied, die etwa 30% über dem Finanzkraft-Durchschnitt betreffender Körperschaften liegen, darf der Maßstab „Eigenbehalt" nicht zu
3. Bindungswirkung des Länderfinanzausgleichs-Urteils des BVerfG
135
einer Abschöpfung bis auf z.B. 5% führen. Vielmehr ist eher an eine wesentliche Belassung dieser überdurchschnittlichen Finanzkraft bei den Erbringern bzw. Trägern zu denken. Der „Eigenbehalt" in Umverteilungen muß jedenfalls einen wesentlichen Anteil der überdurchschnittlichen Finanzkraft bewahren. Gleiches gilt nach § 3 MaßstG auch für Fälle unterdurchschnittlicher Finanzkraft bzw. Einnahmen. Ein etwa um 30% unter dem Durchschnitt der Finanzkraft liegendes Land darf rechtens keine Umverteilung mehr beanspruchen, welche diesen Rückstand voll ausgleicht. Um den Sinn der Vorschrift zu wahren, ist im Umkehrschluß zum Falle überdurchschnittlicher Finanzkraft pro Kopf nun auf keinen Fall dieser Finanzkraft-Rückstand wesentlich zu beseitigen. Vielmehr soll auch hier eine Annäherung erreicht werden, jedoch (wesentlich) ein eigener Rückstand zum Durchschnitt bleiben, also ein „Eigenbehalt". Im Ergebnis führt dies gleichermaßen zum absoluten Nivellierungsverbot; denn eine Nivellierung würde jeden Eigenbehalt, also Vorsprung oder Rückstand in der Finanzkraft, völlig ausgleichen. Der Maßstab des „Eigenbehalts" mit wesentlicher Qualität führt demnach zum absoluten Verbot einer Nivellierung, darüber hinaus aber zum Gebot der wesentlichen Beibehaltung von Vorsprüngen oder Rückständen in der Finanzkraft. Dies ist zugleich eine grundrechtskonforme Auslegung im Hinblick auf die Mittelerbringer, von denen alle Staatsgewalt ausgeht, von denen sie aber (finanzhoheitlich) nicht nivellierend abgezogen werden darf. Zugleich führt § 3 MaßstG eine zeitliche Dimension für den Eigenbehalt ein: Steigen die Einnahmen bzw. die Finanzkraft, so müssen auch davon Anteile der einnehmenden Körperschaft verbleiben. Steigen also die Einnahmen einer Körperschaft im Zeitverlauf, sei es eines Landes oder anderer juristischer Personen des öffentlichen Rechts, so müssen davon wesentliche Teile im Eigenbehalt verbleiben. Auch insofern ist also eine weitgehende Umverteilung ausgeschlossen. Gleiches gilt für rückläufige Entwicklungen. Als Ergebnis dieses wesentlichen § 3 MaßstG bleibt festzuhalten: Einnahmen- und Finanzkraftstatus sind wesentlich beizubehalten. Ein überdurchschnittlicher Status muß wesentlich ein solcher bleiben, ein Wachstum der Finanzkraft im Zeitverlauf muß ein Wachstum bleiben. Gleiches gilt für einen unterdurchschnittlichen oder sinkenden Status. § 6 MaßstG verstärkt dieses Ergebnis noch systematisch: Der Finanzausgleich soll nur der Annäherung der Finanzkraft dienen. Von völligem Ausgleich oder von Homogenisierung ist nicht die Rede. Vielmehr verlangt Satz 2 in § 6 MaßstG eine zu findende Konkordanz zwischen Eigenstaatlichkeit der Länder einerseits und Einbindung in die bundesstaatliche Solidargemeinschaft andererseits. Somit ist auch für insoweit entsprechende
136
VI. Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes
Körperschaften in Abwägung ein Gleichgewicht zwischen den Prinzipien Solidarität und Selbständigkeit bzw. Selbstverwaltung zu finden. Selbst wenn Krankenkassen keinesfalls ein Länderstatus zukommen kann, so sind sie doch gesetzeskräftig und mittelbar durch das verfassungsmäßige Sozialstaatsprinzip verpflichtet, wirtschaftliche und letztlich dezentral solidarische, etwa betriebliche Solidargemeinschaften, zu bilden. Zugleich stehen die Grundrechte der Mitglieder und hälftig beitragszahlenden Arbeitgeber einer Aufhebung des Versicherungs- und Eigenverantwortungs-Prinzips entgegen. Das Verhältnis zwischen Solidarität und Eigenständigkeit bezüglich der Länder und Krankenkassen ist nicht gleich, aber allemal vergleichbar. Jedenfalls überwiegen Ähnlichkeiten und indizieren insoweit eine Übertragung der Maßstäbe dieses grundsätzlichen Gesetzes auf einen Finanzausgleich der Krankenkassen. Zudem stellt § 7 Abs. 1 Satz 3 MaßstG bestimmte Einnahmen, die eigene Leistungen entgelten, vom Ausgleich frei. Solcherart Einnahmen sind nicht ausgleichserheblich und fließen nicht in die Finanzkraft nach § 7 Abs. 1 Satz 1 MaßstG ein. Strukturelle Eigenarten der Länder, etwa von Flächenstaaten und Stadtstaaten, welche Mehr- oder Minderbedarfe im Finanzausgleich rechtfertigen würden, dürften allerdings im Finanzausgleich der Krankenkassen keine Entsprechung finden. Solche Strukturunterschiede scheiden insbesondere nach den Jahren der Kassenwahlfreiheit und der Annäherung in der Mitglieder- und Risikenstruktur weitgehend aus. Übertragbar dürfte hingegen § 10 MaßstG sein. Danach kann der Bund durch Ergänzungszuweisungen - allgemeiner Art oder für Sonderlasten die Finanzkraft leistungsschwacher Länder anheben. Dabei stellt § 10 Abs. 3 MaßstG auf die Subsidiarität dieser Bundesergänzungszahlungen ab. A l l dies ist jedenfalls der Regelung des Art. 120 Abs. 1 Satz 4 GG vergleichbar, wonach der Bund (subsidiär) die Sozialversicherung mitfinanziert. Diese Bundeszuschüsse sind näher in den §§ 11 und 12 MaßstG geregelt und lassen zumindest die weitgehende Parallelität mit der Regelung für die Finanzierung der Sozialversicherung erkennen. Wenn Länder und auch gesetzliche Krankenkassen gleichermaßen staatliche Aufgaben, etwa der sozialen Sicherung sowie der damit einhergehenden Rechtseinheit und Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse, wahrnehmen, so muß subsidiär der Bund als übergeordnete Einheit diese Aufgabenerfüllung tragen. Im Ergebnis bestätigt und verstärkt das Maßstäbegesetz vom 09.09.2001 die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts: Es regelt Selbstverwaltung, finanzielle Eigenständigkeit und haushaltswirtschaftliche Planbarkeit, verläßliche und klar bestimmte Verteilungsmaßstäbe, vor allem aber ein absolutes Nivellierungsverbot sowie ein Verbot der Änderung der Relation der Finanzkraft zwischen Körperschaften. Eine Umverteilung durch Finanzausgleich darf nicht zu einer wesentlichen Änderung des relativen finanziellen
3. Bindungswirkung des Länderfinanzausgleichs-Urteils des BVerfG
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Status führen, schon gar nicht eine Homogenisierung oder gar eine Umkehr der Finanzkraft-Verhältnisse bewirken. Daran gemessen scheidet der RSA weitestgehend als Umverteilungsinstrument aus, da er die Finanzkraft-Relationen völlig verkehrt, keinen Eigenbehalt vorsieht, die Planungssicherheit auch 7-8 Jahre nach Zahlungsbescheiden nicht herstellt und aus finanzstarken selbständigen solidarischen Einheiten solche macht, die insolvenzgefährdet sind.
V I I . Verletzung der Berufsfreiheit Zugleich sind Krankenkassen mittelbar über ihre Mitglieder in ihrem Grundrecht der Berufsfreiheit verletzt. Das Bundesverfassungsgericht hat in mehreren Fällen eine Idealkonkurrenz zwischen den Grundrechten der Berufsfreiheit und der Eigentumsgarantie angenommen 409 . Im sogenannten Mitbestimmungs-Urteil stellte das Bundesverfassungsgericht 410 ausdrücklich klar, Art. 12 Abs. 1 werde durch Art. 14 Abs. 1 GG nicht verdrängt; beide Normen seien zwar „funktionell aufeinander bezogen", hätten „jedoch selbständige Bedeutung". Auch im Zusammenhang mit der Erörterung sog. mittelbarer Beeinträchtigungen ist anerkannt, daß im konkreten Fall beide Grundrechtsnormen einschlägig sein können. 4 1 1 Bezüglich der Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG kommt nur die mittelbare Grundrechtsfähigkeit der Krankenkassen über ihre Mitglieder in Betracht. Eine unmittelbare Beeinträchtigung des Schutzbereichs der Berufsfreiheit ist nicht ersichtlich. Die vielfältigen Berufsbilder der Mitglieder etwa der B K K B M W innerhalb der branchenspezifischen, gruppenhomogenen Solidargemeinschaft werden aber zumindest mittelbar durch die Regelungen des RSA betroffen. Das Bundesverfassungsgericht hat schon f r ü h 4 1 2 entschieden, daß der Schutz des einzelnen durch Art. 12 Abs. 1 GG „nur unvollkommen" gewährleistet sei, wenn man lediglich solche Vorschriften am Maßstab dieser Grundrechtsbestimmung prüfen wollte, welche die be409
Siehe etwa BVerfGE 8, 71 (79 ff.); 21, 150 (154 f., 160); 50, 290 (339 ff., 361 ff., 365); vgl. ferner W. Leisner, Eigentümer als Beruf, JZ 1972, S. 33 (36 f.). Die in BVerfGE 30, 292 (334 f.) formulierte Abgrenzungsformel, die Berufsfreiheit sei einschlägig, soweit „ein Akt der öffentlichen Gewalt eher in die Freiheit der individuellen Erwerbs- und Leistungstätigkeit" eingreife, während der Schutzbereich der Eigentumsgarantie berührt sei, wenn „er mehr die Innehabung und Verwendung vorhandener Vermögensgüter" beschränke, darf also nicht im Sinne eines stets gegebenen gegenseitigen Ausschlußverhältnisses mißverstanden werden. 410 BVerfGE 50, 290 (361 f.). 411 Siehe etwa OVG Berlin, Pharma Recht 1988, S. 144 (146 ff.); F. Ossenbühl, Umweltpflege durch behördliche Warnungen und Empfehlungen, 1986, S. 43 ff.; H. Sodan, Gesundheitsbehördliche Informationstätigkeit und Grundrechtsschutz, DÖV 1987, S. 858 (861 ff.); M. Schulte, Informales Verwaltungshandeln als Mittel staatlicher Umwelt- und Gesundheitspflege, DVB1. 1988, S. 512 (515 f.); M. Kloepfer, Produkthinweispflichten bei Tabakwaren als Verfassungsfrage, 1991, S. 47, 55 f.; A. Roth, Verwaltungshandeln mit Drittbetroffenheit und Gesetzesvorbehalt, 1991, S. 199 f. 412 BVerfGE 13, 181 (185 f.); vgl. auch BVerfGE 22, 380 (384).
VII. Verletzung der Berufsfreiheit
139
rufliche Betätigung „unmittelbar zum Gegenstand" hätten; Art. 12 Abs. 1 GG könne daher auch durch Normen berührt werden, die „infolge ihrer tatsächlichen Auswirkungen geeignet" seien, die Berufsfreiheit „mittelbar" zu beeinträchtigen, obwohl sie „keinen unmittelbar berufsregelnden Charakter" aufwiesen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 4 1 3 kann Art. 12 Abs. 1 GG also auch im Falle von Bestimmungen einschlägig sein, welche sich zwar nicht unmittelbar auf die berufliche Betätigung beziehen, die aber „in Folge ihrer Gestaltung in einem engen Zusammenhang mit der Ausübung eines Berufes stehen und objektiv eine berufsregelnde Tendenz deutlich erkennen lassen". Diese Judikatur ist beispielsweise auch durch das Bundessozialgericht 414 und das Bundesverwaltungsgericht 415 zur Entscheidung von Fällen in Bezug genommen worden, in denen es um den Grundrechtsschutz gegen sogenannte mittelbare Beeinträchtigungen g i n g . 4 1 6 Maßgeblich ist letztlich der grundrechtswidrige
Effekt
417
Insoweit sind hinsichtlich der Mitglieder der Krankenkassen zuerst einmal Regelungen der Berufsausübung gemäß Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG in Betracht zu ziehen. Diese kommen aber in ihrer Wirkung Eingriffen in die freie Berufs wähl nahe. Zur Berufswahl zählt nämlich nicht nur die Entscheidung, einen bestimmten Beruf zu ergreifen, sondern auch diejenige, den einmal ergriffenen Beruf fortzusetzen oder freiwillig aufzugeben. 418 Durch die Gefährdung der Existenz einer Krankenkasse wie der B K K B M W als öffentlich-rechtlicher Körperschaft durch die unzumutbar hohe Zahlungsverpflichtung zum RSA werden mittelbar die personalen, subjektiven Rechte der Versicherten im Hinblick auf die Berufsfreiheit des Art. 12 GG verletzt. Die Mitglieder als die solidarisch und sehr gruppenhomogen in der B K K „ihrer" B M W AG Korporierten sind durch die eigene Belastung mit durchschnittlich 43,14% (West) bzw. 62,08% (Ost) ihrer Beitragszahlungen (1997) zugunsten des RSA in ihrer Berufsausübung betrof-
413 Siehe BVerfGE 13, 181 (186); 16, 147 (162); 33, 171 (182 ff.); 38, 61 (79); 42, 374 (384); 47, 1 (21); 49, 24 (47); 52, 42 (54); 70, 191 (214); 75, 108 (153 f.); vgl. auch BVerfGE 82, 209 (223 f.); BVerfG, Pharma Recht 1991, S. 121 (122). 414 BSGE 67, 251 (255); BSG, Die Pharmazeutische Industrie 1991, S. 348 (350). 415 BVerwGE 71, 183 (191); 75, 109 (115). 416 Siehe zur einschlägigen Rechtsprechung und Literatur ausführlich H. Sodan, Leistungsausschlüsse im System der gesetzlichen Krankenversicherung und Grundrechtsschutz von Leistungsanbietern, SGb. 1992, S. 200 (201 ff.); dens. (Fn. 113), § 42 Rn. 386 ff.; M. Hoffmann, Staatliche Wirtschaftsregulierung und grundrechtlicher Schutz der Unternehmensfreiheit durch Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG, BB 1995, S. 53 (54). 417 H Sodan, DÖV 1987, S. 858 (863); vgl. auch bereits K. H. Friauf, Zur Rolle der Grundrechte im Interventions- und Leistungsstaat, DVB1. 1971, S. 674 (681). 418 Vgl. etwa BVerfGE 7, 377 (401); 17, 269 (276); 58, 358 (364 f.).
140
VII. Verletzung der Berufsfreiheit
fen. Zugleich ist die Berufsausübung der Mitglieder dieser Krankenkasse durch die ebenso hohe, nicht durch Leistungsausgaben bedingte Belastung des Arbeitgebers durch die Zahlungen zum RSA berührt. Angesichts der extrem hohen Lohnzusatzkosten in der deutschen verarbeitenden Industrie 4 1 9 ist die summarische Mehrbelastung von zwei mal 43,14% pro Versichertem (West) bei einem durchschnittlichen Beitragssatz von ca. 13,0% eine erhebliche Determinante von Personalentscheidungen, Personalausbau oder -abbau, damit aber der Berufsausübung und Berufswahl von Mitgliedern der B K K der B M W AG. Diese kumulative Mehrbelastung durch die Bescheide des B V A zum RSA (1997) beläuft sich auf insgesamt 43,14% (West) bzw. 62,08% (Ost) von dem etwa 13%igen Beitragssatz. Dies sind ca. 5,6% (West) bzw. sogar 8,07% (Ost) des beitragspflichtigen Einkommens pro Mitglied. Ein solcher Betrag allein im Hinblick auf die Krankenversicherung ohne Berücksichtigung anderer Belastungen durch inäquivalente Sozialversicherungszahlungen und deren Fremdleistungen besitzt jedenfalls Entscheidungserheblichkeit hinsichtlich der Berufsfreiheit der Mitglieder der Krankenkassen. Hinsichtlich der für die Mitglieder beruflich existentiellen Determination von Berufsausübung und Berufswahl ist auf die enge Verbindung von Berufsausübungs- und Berufswahlfreiheit hinzuweisen: „Die Freiheit der Berufswahl umfaßt nicht nur die Entscheidung über den Eintritt in den Beruf, sondern auch die Entscheidung, ob und wie lange jemand, der einen bestimmten Beruf hat, weiter in ihm verbleiben, d. h. weiter in ihm tätig sein will; die Freiheit der Berufswahl wird also nicht nur vor und bei der Berufsaufnahme ausgeübt, sondern auch bei der Entscheidung über die Berufsbeendigung" 4 2 0 Hierbei ist ein Betrag von 5,3% bzw. 6,1% der beitragspflichtigen Einkommen kein marginaler, etwa unerheblicher oder schlicht hinzunehmender Betrag. Dieser erreicht vielmehr etwa die zehnfache Höhe von Maßnahmen des Gesetzgebers zur dringend notwendigen Senkung der viel zu hohen, beschäftigungsbegrenzenden Lohnzusatzkosten. Die nicht nur berufsfreiheitliche, sondern zugleich gesamtwirtschaftliche Relevanz der 5,3% durchschnittlicher Mehrbelastung jedes Mitgliedes der B K K B M W läuft der grundgesetzlichen Wirtschaftsverfassung der sozialen Marktwirtschaft mit dem Vorrang der Privatheit und Eigenverantwortung, zudem der analogen europarechtlichen Binnenmarktlichkeit zuwider. Das zumutbare und auch erforderliche Maß der durch den RSA einschränkbaren Berufsfreiheit der
419
Vgl. W. Leisner, Fremdlasten der Sozialversicherung - ein schwerwiegender Verfassungsverstoß, NZS 1996, S. 97 m.w.N. 420 BVerfGE 9, 338 (344 f.); vgl. ferner BVerfGE 7, 377 (401); 17, 269 (276); 25, 88 (101); 39, 128 (141); 44, 105 (117); 58, 358 (364 f.); 84, 133 (147 f.).
VII. Verletzung der Berufsfreiheit
141
Mitglieder einer Krankenkasse muß sich objektiv-rechtlich gerade nach den Prinzipien der deutschen und europäischen Wirtschaftsverfassung richten. Zur UnVerhältnismäßigkeit des Eingriffs des RSA in die Berufsfreiheit ist auf die bisherigen Ausführungen, insbesondere zur allgemeinen Handlungsfreiheit, zu verweisen. Hierbei ist angesichts der Intensität des Eingriffs in die Freiheit der Berufsausübung bzw. - bezüglich der Berufsbeendigung der Berufswahl das Erfordernis der strengen Verhältnismäßigkeit im Sinne der Dreistufentheorie des Bundesverfassungsgerichts in den Blick zu nehmen. Ein erheblicher, besonders wichtiger Gemeinwohlgrund bzw. eine entsprechend dringliche Gefahrenabwehr ist jedoch als Rechtfertigungsgrund eines solch intensiven Eingriffs nicht ersichtlich. Zudem sind gerade hinsichtlich der Berufsfreiheit - die gemeinschaftsrechtliche Dienstleistungsfreiheit sowie die binnenmarktlichen Wettbewerbsregeln verletzt.
V i l i . Verletzung einfachgesetzlicher Grundsätze Das BVA hätte zumindest die systematische, gesetzeskonforme Auslegung innerhalb der sozialrechtlichen Vorschriften des SGB IV und V leisten müssen. Anderenfalls treten bei der Anwendung der Vorschriften zum RSA unabdingbar Widersprüche auf. Gelingt eine widerspruchsfreie, systematische Auslegung der Bestimmungen zum RSA bis zu deren Wortlautgrenze nicht, so sind diese insoweit nicht anwendbar. Die Bescheide des B V A würden sich insofern der Rechtsgrundlage entbehren und mangels Kompetenz des B V A rechtswidrig sein. Die auf verfassungsrechtlicher Ebene nicht mehr zu beseitigenden Widersprüche wurden bereits aufgezeigt. Die rechtsstaatlich gebotene Einheit der Rechtsordnung verlangt jedoch eine alle Rechtsnormen, also die verfassungsmäßige Ordnung umfassende Widerspruchsfreiheit 421 . Insofern sind widersprechende Normen entweder horizontal und vertikal systematisch rechtskonform auszulegen oder aber im Falle des Überschreitens der Wortlautgrenze für rechtswidrig bzw. nichtig zu erklären. Keinesfalls jedoch hätte das B V A die schon als verfassungsrechtlich widersprüchlich erwiesenen Bestimmungen anwenden dürfen. Aber schon auf einfachgesetzlicher Ebene treten zahlreiche Widersprüche auf. So verstößt die massive Verletzung des Äquivalenzprinzips und des Versicherungsprinzips gegen die grundlegenden Prinzipien der GKV. Auch in dieser sind entsprechende Eingriffe in die vorrangig private Lebensgestaltung 422 verfassungsgemäß verhältnismäßig zu gestalten. Insbesondere gegen das entsprechende Prinzip der Eigenverantwortung gemäß § 1 SGB V ist damit verstoßen. Diese dem Subsidiaritätsprinzip verpflichteten Prinzipien werden zwar durch Elemente des sozialen Ausgleichs modifiziert. 4 2 3 Von daher wird eine solidarische Krankenversicherung im Sinne des § 3 SGB V konstituiert, welche die Familienmitglieder beitragsfrei mitversichert (vgl. § 10 SGB V). Aber Umfang und Höhe des RSA heben, wie bereits dargelegt, die in § 4 und den §§ 143 ff. SGB V sowie § 29 SGB IV geregelte Selbstverwaltungsautonomie auf. Diese ist zwar verfassungsmäßig nicht grundsätzlich ausdrücklich eingeräumt, wenn man etwa von der kommunalen Selbstverwaltung absieht. Aber die grundrechtliche Gewährlei421 422 423
Siehe dazu im einzelnen H. Sodan, JZ 1999, S. 864 ff. Vgl. //. Sodan (Fn. 105), S. 306 ff. Siehe etwa KassKomm-/^ter.y, Vor § 1 SGB V Rn. 24.
VIII. Verletzung einfachgesetzlicher Grundsätze
143
stung einer vorrangig privaten oder korporativen Lebensgestaltung führt zusammen mit dem vertikalen Gewaltenteilungsgrundsatz zu einer Garantie weitgehender Eröffnung privater Funktionen. Diese haben sich freilich immer im Rahmen der staatlichen Gesetze zu bewegen. Insofern konstituiert aber das SGB IV bzw. SGB V rechtsfähige, selbständige Verwaltungseinheiten und Rechtsträger der mittelbaren Staatsverwaltung. Auch dazu ist auf die bisherigen Ausführungen zu verweisen. Ein RSA, welcher nach der dargestellten Intensität des Eingriffs die Selbstverwaltung bzw. die Finanzautonomie aufhebt, würde jedoch auch den Maßgaben zur Satzungsautonomie der §§ 34 SGB IV i.V.m. § 194 SGB V oder zu den Satzungsleistungen und Ermessensleistungen zuwiderlaufen. Die Haushaltsautonomie ist etwa durch die systematischen Fehlberechnungen des RSA einschließlich seiner jahrelangen Rückwirkungen im Ergebnis ebenso aufgehoben wie die nur noch fiktive Beitragssatzautonomie. Eine Rücklagenbildung im Sinne von § 82 SGB IV ist entsprechend nicht möglich. Damit ist aber auch die konstitutive Autonomie einer Krankenkasse im Sinne der Gründungs- und Schließungsautonomie aufgehoben, da ohne hinreichende Rücklage und verläßliche Haushaltsplanungsgrundlagen keine dauerhafte Sicherung der Leistungsfähigkeit im Sinne von § 153 SGB V und § 82 SGB IV möglich ist. Ebenso wird gegen § 80 SGB IV verstoßen, wonach die Mittel der Krankenkassen so zu verwalten sind, daß „eine ausreichende Liquidität gewährleistet ist". Vielmehr ist durch den RSA, vor allem durch seine ständigen retroaktiv rückwirkenden Neuberechnungen für Vorjahre, eine finanziell solide Verwaltungstätigkeit nicht möglich. Eine ausreichende (dauerhafte) Liquidität im Sinne eines sicheren Ausschlusses von Insolvenz 4 2 4 (oder Überschuldung) ist nicht dauerhaft gesichert. Eine systematische Auslegung, welche zugleich die verfassungsmäßigen Darlegungen berücksichtigt, müßte demgemäß zumindest versuchen, den RSA rechtskonform auszulegen. Daß dies nicht gelingen kann, hat bereits die verfassungsrechtliche Systematik gezeigt. Die Tendenz zur Einheitskasse, welche der RSA bewirkt, läuft überdies dem Gliederungsprinzip der Versicherungsträger zuwider. Die Solidargemeinschaft insbesondere einer geschlossenen Krankenkasse entspricht zudem den grundsätzlichen Kriterien der Gruppenhomogenität. Diese eigenverantwortliche Solidargemeinschaft wird durch die existentiellen Belastungen durch den RSA aber aufgehoben. Eine solche Solidargemeinschaft ist zudem durch Transparenz von Einnahmen und Kosten wirtschaftlicher. 424 Siehe zum Begriff nach der neuen Insolvenzordnung M. Lutter, Zahlungseinstellung und Überschuldung unter der neuen Insolvenzordnung, ZIP 1999, S. 641 (642).
VIII. Verletzung einfachgesetzlicher Grundsätze Die vielfältigen Verstöße gegen das Gebot der Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung in der GKV nach den §§ 2, 4, § 12 Abs. 1 und § 70 Abs. 1 SGB V sind bereits dargelegt. Insbesondere die Wettbewerbsverzerrungen sowie der erhebliche und dennoch ungeeignete Aufwand für die Datenerhebungen, Prüfungen und Kontrollen können nur zu einer Verminderung der Wirtschaftlichkeit und Effizienz führen. Die vielfältigen, systematisch angelegten Mißbräuche einer im RSA angelegten Subventionsmentalität führen hierbei ebenso zu einer intransparenten, wettbewerbsunfähigen und nicht mehr finanzierbaren gesetzlichen Einheitskasse. Aber auch der (allerdings relative 4 2 5 ) Grundsatz der Beitragssatzstabilität gemäß § 71 Abs. 1, § 85 Abs. 2 Satz 2 und § 141 Abs. 2 Satz 3 SGB V wird verletzt. Danach sind Beitragssatzerhöhungen grundsätzlich, wenngleich unter Vorbehalt der erforderlichen medizinischen Versorgung 426 , zu vermeiden. Angesichts der unwirtschaftlichen, wettbewerbsverzerrenden Bestimmungen des RSA steigen die Beitragssätze jedoch bundesdurchschnittl i c h 4 2 7 . Dies wird auch durch die damit wachsende Ineffizienz des Systems der GKV verursacht. Wirtschaftlichkeit und Beitragssatzstabilität als maßgebliche Grundsätze des SGB V sind demgegenüber mittels der dargestellten, geeigneten und milderen Wege einer Korridorlösung, der Wahrung des Hälftigkeitsgrundsatzes bzw. durch verfassungsgemäße Beendigung des RSA überhaupt erreichbar. Diese Grundsätze sind durch dezentrale, wirklich solidarische gruppen-homogene Gemeinschaften zu erreichen, da Sachnähe, Kostentransparenz sowie Kassen- und Dienstleistungs-Wettbewerb die Wirtschaftlichkeit erhöhen und die Beitragssätze senken.
425 426 427
Siehe dazu H. Sodan/O. Gast, NZS 1998, S. 497 ff. H. Sodan/O. Gast, NZS 1998, S. 497 (499 ff.). Siehe J. Müller/W. Schneider, Arbeit und Sozialpolitik 1998, S. 10 (11 f., 24).
IX. Vorlagepflicht nach Art. 100 Abs. 1 GG bzw. Art. 234 Abs. 2 EGV 1. Vorlagepflicht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG Nach den vorangegangenen Darlegungen ist gemäß Art. 100 Abs. 1 GG die Vorlage der §§ 266, 267, 313 a SGB V beim Bundesverfassungsgericht durch die zuständigen Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit erforderlich. Entscheidungserheblich ist wesentlich die Gültigkeit der gesetzlichen Grundlage. Ohne diese gesetzliche Normierung eines RSA sowie die entsprechende Verordnungsermächtigung des Bundesministeriums für Gesundheit in § 266 Abs. 7 SGB V verliert auch die RSAV ihre rechtliche Geltung. Gleiches gilt für die Durchführung des RSA und für die Bekanntmachungen durch das B V A gemäß § 266 Abs. 5, 6 SGB V. Insbesondere die Bescheide des B V A verlören dann ihre formelle wie materielle Rechtsgeltung. Ebenso wären die Datenerhebungen zum RSA nach §§ 267, 313 a SGB V, ohne welche ein RSA überhaupt nicht vollzogen werden könnte, ohne rechtliche Verbindlichkeit, sofern sie mit den genannten Verfassungsnormen von Art. 2 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG kollidierten. Das Bundesverfassungsgericht entscheidet in diesem Falle konkreter Normenkontrolle nach Maßgabe seiner Zuständigkeit gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. Art. 100 Abs. 1 GG und § 13 Nr. 11 sowie §§80, 81 BVerfGG. Dabei sind die Voraussetzungen des Art. 100 Abs. 1 GG erfüllt, so daß nach § 80 Abs. 1 BVerfGG das jeweilige Gericht „unmittelbar die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts" einzuholen hat. Die konkrete Normenkontrolle erfaßt hierbei nach § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG die verfassungsgerichtliche Prüfung der Geltung der §§ 266, 267, 313 a SGB V, soweit diese gegen Art. 2 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG verstoßen. Das Bundesverfassungsgericht ist allerdings nicht Superrevisionsinstanz 428 , sondern entscheidet gemäß § 81 BVerfGG „nur über die Rechtsfrage". Den Verfassungsrichtern ist die Entscheidung darüber vorbehalten, ob und inwieweit formelle und nachkonstitutionelle gesetzliche Vorschriften verfassungswidrig sind und welche Rechtsfolgen sich daraus ableiten. 429
428
Vgl. dazu R. Herzog, Das Bundesverfassungsgericht und die Anwendung einfachen Gesetzesrechts, in: H. Maurer (Hrsg.), Festschrift G. Dürig (70.), 1990, S. 431 ff. 10 Sodan/Gast
146
IX. Vorlagepflicht
Dies gebietet die Bindung der gewaltenteilig unabhängigen Rechtsprechung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG), eben nicht Gesetz allein. Legalität beinhaltet nicht automatisch Legitimität. Anderenfalls liefe diese Funktion der Judikative leer; vor allem würde Art. 100 Abs. 1 GG funktionslos. Die Frage der Anwendbarkeit einer vom Bundesverfassungsgericht nicht für nichtig, aber für verfassungswidrig erklärten formell-gesetzlichen Norm ist umstritten. 430 Allerdings ist der Fachrichter in seiner Funktion fallweiser Rechtserkenntnis ganz vorrangig dem Recht in seiner hierarchischen Ordnung verpflichtet, zuerst also der Verfassung. Die widerspruchsfreie Einheit der Rechtsordnung unter der Verfassung ist im Normenkollisionsfalle immer zugunsten der höherrangigen Normen herzustellen. Dies hat schon das Reichsgericht in seiner richtungweisenden Entscheidung vom 04.11.1925 erkannt 431 , in der es das richterliche Prüfungsrecht gegenüber einfachen Reichsgesetzen beanspruchte und der verfassungsrichterlichen Normenkontrolle im Falle von Normenkollisionen den Weg bahnte. 432 Allein der Gesetzeswortlaut des § 76 Abs. 1 Nr. 2 BVerfGG weist bereits auf die Unanwendbarkeit einer mit dem Grundgesetz unvereinbaren Norm hin. Richtiger klärt legaliter § 78 BVerfGG, daß ein mit dem Verfassungsrecht unvereinbares „Bundesrecht" nichtig ist. Diese Nichtigkeit ist in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts festzustellen. Dem jeweiligen Gericht der Sozialgerichtsbarkeit kommt diesbezüglich also kein Ermessen zu. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG für alle staatlichen Organe verbindlich. Die Fachgerichtsbarkeit hat im Ergebnis die Normprüfungspflicht einschließlich der Vorlagepflicht im Verfassungskollisionsfalle 433 , da es wesentliche Vorgaben des Gesetzgebers nicht selbständig abweichend entscheiden darf, will es die Wider-
429
Siehe dazu Κ. A. Bettermann, Die konkrete Normenkontrolle und sonstige Gerichtsvorlagen, in: C. Starck (Hrsg.), Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Festgabe 25 Jahre Bundesverfassungsgericht, Bd. I, 1976, S. 323 ff.; W. Löwer, HStR II, § 56 Rn. 66 ff.; Κ Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, 1980, S. 988 ff. 430 Dazu etwa W. Löwer, HStR II, § 56, S. 789 f., 804 ff.; K. Stern, GG, Bonner Kommentar, Zweitbearbeitung 1967, Rn. 139 ff. zu Art. 100. Κ Schlaich/S. Korioth (Fn.), Rn. 383, weist hinsichtlich der Unvereinbarkeitserklärung darauf hin, daß es sich um eine „Erfindung des BVerfG" handele. Zu den Rechtsfolgen der Unvereinbarkeitserklärung etwa C. Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, v.a. § 20 Rn. 94 ff., 125 f., 129 ff. 431 RGZ 111, 320 (322 f.). 432 Siehe dazu C. Schmitt, Das Reichsgericht als Hüter der Verfassung, 1929; ders., Der Hüter der Verfassung, 1931, 3. Aufl., 1985, S. 14 ff.; Κ Λ. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 903 f. 433 Siehe auch Κ Α. Schachtschneider/O. Gast (Fn. 200), S. 9 ff.
2. Zum Verstoß gegen europäisches Gemeinschaftsrecht
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spruchsfreiheit der Rechtsordnung sowie die rechtsstaatliche Gewaltenteilung wahren. 2. Zum Verstoß gegen europäisches Gemeinschaftsrecht und zur Vorlagepflicht gemäß Art. 234 Abs. 2 E G V Nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs besteht im Kollisionsfalle von nationalem Recht, hier den RSA-Bestimmungen, und Gemeinschaftsrecht, also etwa der Dienstleistungsfreiheit, ein Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts 434. Hierbei gilt der Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts nicht nur gegenüber nationalen abstrakt-generellen Regelungen, sondern auch gegenüber Verwaltungsakten, wie der Europäische Gerichtshof auf ein Vorabentscheidungsersuchen des Österreichische Verfassungsgerichtshofs erst kürzlich klargestellt hat. 4 3 5 Dies wirft im Hinblick auf die gesetzlichen Grundlagen in den §§ 266, 267, 313 a SGB V zum RSA, aber auch der RSAV sowie der Bekanntmachungen und RSA-Bescheide des B V A seit 1994 erhebliche Rechtsprobleme auf. A l l dies müßte durch Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs in dieser wirtschaftlich und (gemeinschafts-)rechtlich bedeutenden Frage des RSA geklärt werden. Wettbewerbsrechtsverstöße wie im VW-Subventionsfalle erreichen demgegenüber noch nicht einmal 1 % der wirtschaftlichen Bedeutung auch nur eines RSA-Jahresausgleichs. Auf die vom Europäischen Gerichtshof im Jahre 1998 richtungweisend gegen markt- und wettbewerbswidrige nationale Krankenversicherungsregelungen entschiedenen Fälle Kohll, Decker, Vanbreakel und Smits aus den Jahren 1998 und 2001 ist bereits eingegangen worden. 4 3 6 Der Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts hat rechtsdogmatisch jedoch weitere Konsequenzen. Ein Zustandekommen neuer staatlicher Gesetzgebungsakte wird nämlich insoweit verhindert, als diese mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar sind. Jedoch führt dies nur insoweit zur Nichtigkeit der kollidierenden Normen des nationalen Rechts, als keine Möglichkeit der gemeinschaftsrechtskonformen Anwendung dieser Normen besteht. In diesem Rahmen haben nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs nationale Behörden oder Gerichte immerhin die Wahl, „unter mehreren nach der innerstaatlichen Rechtsordnung in Betracht kommenden Wegen diejenigen zu wählen, die zum Schutz der durch das Gemeinschafts434 Vgl. etwa EuGHE 1991, 1-297 (321) - Nimz, Rn. 19; ferner EuGH NJW 1999, S. 2355 - Erich Ciola/Land Vorarlberg; BVerwGE 87, 154 (158 f.). 435 EuGH NJW 1999, S. 2355 - Erich Ciola/Land Vorarlberg. 436 Siehe dazu S. 88 ff. 10*
148
IX. Vorlagepflicht
recht gewährten Rechte geeignet erscheinen." 437 Dies impliziert, daß die kollidierenden nationalen Vorschriften noch auf irgendeine (rechtsmethodologisch vertretbare) Weise gemeinschaftsrechtskonform auslegbar sein und tatsächlich auch ausgelegt werden müssen. Wenn dies objektiv oder durch faktische Rechtsanwendung nicht der Fall ist, muß demnach von der Nichtigkeit bzw. zumindest Nichtanwendbarkeit der entsprechenden nationalen Rechtsvorschriften ausgegangen werden. Davon ist angesichts der bereits dargelegten Verstöße gegen die Dienstleistungsfreiheit, die Markt-Prinzipien, das Diskriminierungsverbot und die Wettbewerbsvorschriften des EGV im Falle des RSA auszugehen. Rechtfertigungsgründe für diese Gemeinschaftsrechtsverstöße sind nicht ersichtlich. Das deutsche Sozialversicherungssystem steht hierbei nicht außerhalb des Gemeinschaftsrechts 438 , auch wenn die Gemeinschaft in weiten Bereichen keine genuine sozialpolitische Kompetenz besitzt. 439
x
Auf die grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Vorbehalte zugunsten eines unverletzlichen Kernbereichsschutzes nationaler Grundrechte und elementarer Interessen sowie verbleibender existentieller Gesetzgebungskompetenzen 440 , wie sie insbesondere das sog. Maastricht-Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Recht deklariert 441 , ist hier nicht näher einzugehen. Jedenfalls stellen die RSA-Regelungen bzw. der deutsche, Wettbewerbs- und grundfreiheitenwidrige Sonderweg des Finanzausgleichs in der GKV keinen solchen Vorbehalt dar. Vielmehr verletzen die RSA-Bestimmungen selbst grundrechtliche Wesensgehalte, insbesondere den des Art. 14 Abs. 1 GG, soweit der den Wesensgehalt der Eigentumsgarantie konkretisierende Hälftigkeitsgrundsatz des Bundesverfassungsgerichts 442 für einige Mitgliedergruppen bzw. viele einzelne Mitglieder verletzt wird. Der insoweit nicht durch Verfassungsessentialia behinderte Anwendungsvorrang des (primären) Gemeinschaftsrechts verursachte aber schon zum
437
EuGH, JZ 1999, 196 (197), unter Verweis auf EuGHE 1968, 364 - Lück. Vgl. EuGH Slg. 1998, 1-1931 ff. - Kohll; mit Anm. Κ Sodan, JZ 1998, S. 1168 ff.; siehe auch EuGH Slg. 1998, 1-1831 ff. - Decker; EuGH, Urt. v. 12.7.2001 - Rs. C-157/99, Tz. 44 - Smits u.a. 439 Vgl. dazu H. Sodan/O. Gast, NZS 1998, S. 497 (505 f.). 440 Vgl. insb. zu den unverletzlichen Verfassungsessentialia P. Kirchhof, Der deutsche Staat im Prozeß der europäischen Integration, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VII, Normativität und Schutz der Verfassung - Internationale Beziehungen, 1992, § 183, Rn. 59. 441 BVerfGE 89, 155 (182 ff.); vgl. im Sinne der Einheit der nationalen Rechtsordnung unter der Verfassung H. Sodan, JZ 1999, S. 864 (869 ff.). 442 Vgl. BVerfGE 93, 121 (138). Siehe dazu W. Leisner, NJW 1995, S. 2591 ff. A.A. Η. P. Bull, NJW 1996, S. 281 ff. 438
2. Zum Verstoß gegen europäisches Gemeinschaftsrecht
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Zeitpunkt der Einführung des RSA die Kollision bzw. Widersprüchlichkeit von RSA-Vorschriften und Gemeinschaftsrecht. Insofern hätte ein deutsches Gericht gemäß Art. 234 EGV dem Europäischen Gerichtshof vorlegen können bzw. zur Wahrung anwendungsgleicher Rechtseinheit im Europäischen Binnenmarkt sogar müssen. Bei letztinstanzlichen nationalen Entscheidungen hätte ein nationales Gericht gemäß Art. 234 Abs. 3 EGV sogar auf jeden Fall vorlegen müssen. Jedenfalls gilt dies für Fälle offensichtlicher Kollision der RSA-Regelungen mit dem Gemeinschaftsrecht, insbesondere mit der Dienstleistungsfreiheit, den Marktgrundsätzen und dem Diskriminierungsverbot sowie den Wettbewerbsregeln, da die widerspruchsfreie Auslegung des EGV durch den Europäischen Gerichtshof insofern entscheidungserheblich ist. Seit Einführung des RSA im Jahre 1994 bzw. 1995 haben deutsche Sozialgerichte versäumt, dem Europäischen Gerichtshof die Rechtsfrage zur Vorabentscheidung vorzulegen. Dies ändert jedoch nichts an der Rechtsfolge der Unwirksamkeit der RSA-Bestimmungen seit ihrer Einführung, soweit diese objektiv-rechtlich in keiner Weise mehr gemeinschaftsrechtskonform auslegbar sind. Jeder deutsche Richter der Sozialgerichtsbarkeit hätte insofern angesichts objektiv offenkundiger Zweifel an der Gemeinschaftsrechtskonformität der RSA-Regelungen seine Rechtsklärungspflicht erfüllen müssen, da er gemäß Art. 20 Abs. 3 GG an Recht und Gesetz gebunden ist, also per Zustimmungsgesetz und Art. 23 Abs. 1 GG auch an EUV und EGV. Gleiches gilt freilich für die Vorlagepflicht bezüglich der Grundrechtsverstöße gemäß Art. 100 Abs. 1 GG vor dem Bundesverfassungsgericht. Der Europäische Gerichtshof ist grundsätzlich für die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung des EGV zuständig (Art. 220 EGV). Im Verfahren der Vorabentscheidung entscheidet der Gerichtshof insbesondere über die Auslegung des Vertrags (Art. 234 Abs. 1 lit. a EGV), freilich nur, soweit diese Entscheidung für die fachgerichtliche Fallentscheidung erforderlich ist. Insofern wahrt der Europäische Gerichtshof ebenso wie das Bundesverfassungsgericht auf Bundesebene die gemeinschaftsrechtliche Rechtseinheit. Hinsichtlich der Verletzung der objektiv-rechtlichen Prinzipien des Binnenmarktes und des gemeinschaftsweiten Wettbewerbs sowie insbesondere der Dienstleistungsfreiheit der Krankenkassen durch die Regelungen des RSA kommt es für die kollisionsfreie Auslegung und Anwendung des Gemeinschaftsrechts wie auch des deutschen Sozialversicherungsrechts des RSA auf die verbindliche Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs an. Insoweit ist der Europäische Gerichtshof in Kooperation 443 zum Bundesverfassungsgericht gesetzlicher Richter. Auch der Europäische Gerichtshof ist nicht Superrevisionsinstanz, sondern entscheidet nur die (vorgelegte) Rechtsfrage. Vor allem ist die Frage zu klären, ob und inwie443
Siehe zum Kooperationsverhältnis BVerfGE 89, 155 (175); 102, 147 (163).
150
IX. Vorlagepflicht
weit die gemeinschaftsrechtlichen Prinzipien der Marktwirtschaft, des Wettbewerbs und der Nichtdiskriminierung (auch der Inländer) auf die mitgliedstaatlichen Bereiche der sozialen Sicherung anwendbar sind. Der Europäische Gerichtshof hat zwar die grundsätzliche mitgliedstaatliche Regelungskompetenz in diesen Bereichen bestätigt, aber die Verbindlichkeit des Gemeinschaftsrechts zu Recht betont. 4 4 4 Vor allem ist das vom Europäischen Gerichtshof bereits 1956 im Urteil Fédechar 445 angewandte 446 gemeinschaftsrechtliche Verhältnismäßigkeitsprinzip 4 4 7 - auch nach Maßgabe der Art. 8-11 E M R K 4 4 8 - zu beachten, wenn objektiv-rechtliche Grundsätze des Gemeinschaftsrechts durch deutsche Regelungen eines RSA verletzt werden. Ungeachtet der gefestigten Rechtsprechnung des Europäischen Gerichtshofs zum Verhältnismäßigkeitsprinzip seit etwa 1970 gilt seit dem Maastricht-Vertrag dieses Prinzip auch primärrechtlich gemäß Art. 5 Abs. 3 EGV. Vor diesem Prinzip bzw. Grundsatz mit Verfassungsrang in der EG-Rechtsordnung 449 haben sich jedoch gemeinschaftliche wie mitgliedstaatliche Maßnahmen gleichermaßen zu rechtfertigen. Diesem Maßstab genügt der RSA nicht. Gleiches gilt für die Verbindlichkeit der Grundfreiheiten im gesamten Binnenmarkt, welche auch in den mitgliedstaatlichen Regelungsbereichen rechtliche Wirkung entfalten. Insoweit kommt es nach Maßgabe der aufgeführten gemeinschaftsrechtswidrigen RSA-Bestimmungen auf die Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs zur Frage der Gültigkeit dieser niederrangigen RSA-Vorschriften an. Im Falle einer fraglichen Kollision von RSA-Regelungen mit dem Gemeinschaftsrecht müßte das zuständige Gericht der Sozialgerichtsbarkeit demnach dem Europäischen Gerichtshof vorlegen, wenn denn die widerspruchsfreie Rechtsanwendung im europäischen Binnenmarkt gewahrt werden soll. Dies gebietet allein schon der
444 Vgl. EuGH Slg. 1998, 1-1931 Ls. 1 und Rn. 16 ff. - Kohll; mit Anm. H. Sodan, JZ 1998, S. 1168 ff. 445 EuGHE 1955/56, 297 (311) - Fédération Charbonnière de Belgique/Hohe Behörde. 446 Vgl. Kutscher, in: ders./G. Ress u.a. (Hrsg.), Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in europäischen Rechtsordnungen, 1985, S. 89; E. Pache, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der Rechtsprechung der Gerichte der Europäischen Gemeinschaften, NVwZ 1999, S. 1033 (1034); A. Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Direktive und Schranke der EG-Rechtsetzung, 2000, passim. 447 Siehe dazu J. Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, Bd. Π, 1988, S. 686 ff.; E. Pache, NVwZ 1999, S. 1033 ff. 448 Siehe dazu etwa J. Schwarze a.a.O.; Jacobs/White, The European Convention on Human Rights, 2. Aufl. 1996, S. 172 ff. 449 So etwa T. Oppermann, Europarecht, 1991, Rn. 410; E. Pache, NVwZ 1999, S. 1033 (1035).
2. Zum Verstoß gegen europäisches Gemeinschaftsrecht
151
allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, welcher im Verbot der Inländerdiskriminierung des Art. 12 EGV seine gemeinschaftsrechtliche Ausformung und Ergänzung findet. Anderenfalls würden deutsche gesetzlich Krankenversicherte, aber auch deutsche öffentlich-rechtliche Versicherungsträger erheblich gegenüber ihren ausländischen Mit„wettbewerbern" benachteiligt. Das allgemeine Diskriminierungsverbot des Art. 12 EGV als „Magna Charta" des Gemeinschaftsrechts konkretisiert der Europäische Gerichtshof zunehmend als Verbot der Inländer-Diskriminierung 450 . Ein ausländischer Versicherter - etwa ein bei Peugeot beschäftigter Arbeitnehmer - muß eben nicht 43 % in einen RSA zahlen wie ein bei B M W in Deutschland tätiger Arbeitnehmer. Schon gar nicht aber hat ein ausländisches Mitglied einer solchen Versicherung weit mehr als durchschnittlich 80% seines Beitrags als reine Solidarleistung für kassenfremde Versicherte zu entrichten. Gleiches gilt für die diskriminierende Schlechterstellung deutscher Versicherungsträger. Auch inländische Arbeitgeber sind insoweit durch die RSA-Regelungen diskriminiert. So ist die B M W AG, welche grundsätzlich die Hälfte der Kranken Versicherungsbeiträge ihrer in der B K K Versicherten zu tragen hat, um durchschnittlich 43% schlechter gestellt als ein entsprechender ausländischer Arbeitgeber. Insoweit verwehrt der RSA die gemeinschaftsrechtlich normierte marktliche Selbständigkeit wirtschaftlichen Handelns, da bei einer fast hälftigen Abführung aller Einnahmen durch den RSA und die fortlaufenden Neuberechnungen und Rückwirkungen keine auf Dauer angelegte Haushaltsführung möglich ist. Zudem ist den Krankenkassen die gemeinschaftsrechtliche Dienstleistungs- und auch Niederlassungsfreiheit verwehrt, da marktlich freie Leistungserbringung wie auch Niederlassung im Ausland durch den deutschen Sonderweg der kartellierten GKV und die Tendenz zur Einheitskasse mittels des RSA faktisch unmöglich werden. Auch insofern ist eine Klärung der Rechtsfrage der Einheit von Gemeinschaftsrecht und RSA-Vorschriften durch Vorabentscheidung seitens des Europäischen Gerichtshofs erforderlich. Das deutsche Krankenversicherungsrecht völlig außerhalb des Schutzbereichs des europäischen Wettbewerbsrechts zu sehen widerspricht diametral der Idee des einheitlichen und systematisch widerspruchsfreien Gemeinschaftsrechts sowie nationalen Rechts im Gemeinsamen Binnenmarkt. 451 Je-
450
Vgl. EuGHE 1992, 1-4265 ff., Rs. C-370/90. Siehe ferner M. Schweitzer/W. Hummer (Fn. 224), Rn. 1053 ff. 451 Zur insofern maßgeblichen Idee der europäischen Rechtseinheit M. Zuleeg, Die Rolle der rechtsprechenden Gewalt in der europäischen Integration, JZ 1994, S. 1 ff.
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IX. Vorlagepflicht
denfalls dürfen die gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten ebenso wie das Wettbewerbs- und Kartellrecht in der Gemeinschaftsrechtsordnung nicht ohne Begründung der jeweiligen nationalen Sozialgesetzgeber leerlaufen. Die notwendige „Konkordanz des RSA-Systems mit europäischem Wettbewerbsrecht" ist insbesondere in systematischer Hinsicht herzustellen. Entsprechend sind Vorlagen der mitgliedstaatlichen Fachgerichte vor dem Europäischen Gerichtshof erforderlich.
X. Zusammenfassung in Leitsätzen Der jährlich über 24 Milliarden D M umverteilende RSA führt zunehmend zu ruinösen, teilweise über 50% ihrer Einnahmen umfassenden Zahlungsverpflichtungen vieler Krankenkassen. Die Umverteilung durch den RSA berücksichtigt dabei nur willkürlich herausgegriffene Faktoren. Dies gilt auch für den gesamtdeutschen RSA nach § 313 a SGB V. Verfahren und Datenerhebung zum RSA sind sachlich wie rechtlich ungeeignet. Dies führt zu fortlaufenden Neuberechnungen. Betroffenen Krankenkassen wird eine solide Haushaltsplanung unmöglich. Intransparente, ruinöse Umverteilungen heben den Wettbewerb auf, führen tendenziell zur Einheitskasse und senken die Wirtschaftlichkeit der GKV. Das wegweisende Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 11.11.1999 zum vergleichbaren Länderfinanzausgleich verpflichtet den Gesetzgeber aber allgemein auf Maßstäbe eines nicht unangemessenen Ausgleichs und der haushaltswirtschaftlichen Planbarkeit. Ein solches Maßstäbegesetz, wie es für den Länderfinanzausgleich im September 2001 in Kraft getreten ist, fehlt bislang. Eine nivellierende Umverteilung ist von vornherein ausgeschlossen. Neuere Urteile des Europäischen Gerichtshofs aus den Jahren 1998 und 2001 zeigen zudem die Rechtswidrigkeit marktwidriger Sonderwege mancher Mitgliedstaaten hinsichtlich der Sozialversicherungen.
7. Ungeeignetheit des RSA hinsichtlich des Kassen-Wettbewerbs Das rechtsstaatliche Verhältnismäßigkeitsprinzip verpflichtet den Sozialgesetzgeber, angestrebte Ziele nur durch geeignete Mittel zu verfolgen. Der RSA-Gesetzgeber hat jedoch die Maßstäbe sachgerechter Prognose der Zielerreichung verfehlt, wie die erheblichen, fortlaufenden Datenfehler und Korrekturbedarfe bezüglich des RSA zeigen. Der RSA erweist sich im Ergebnis als unexekutierbar. Die Auswahl nur bestimmter ausgleichsfähiger Risiken führt im Ergebnis zur Verfehlung, ja sogar Negierung eines wesentlichen Ziels des RSA, Wettbewerbsverzerrungen auszugleichen. Vielmehr führt der RSA zu neuen Wettbewerbsverwerfungen.
154
X. Zusammenfassung in Leitsätzen
2. Ungeeignetheit wegen sinkender Wirtschaftlichkeit und Widersprüchlichkeit Das gesetzgeberische Ziel der Erhöhung der Wirtschaftlichkeit der GKV wird schon durch die Aufhebung des Wettbewerbs verfehlt. Effizienz und geordneter Wettbewerb sind erfahrungs- wie theoriegemäß korrespondierend - zuletzt mit finanziell stabilen sozialen Sicherungssystemen. Die teuren Datenerhebungs- und Kontrollverfahren der RSA-Umverteilung sowie die kostentreibenden Manipulationsmöglichkeiten jedes planwirtschaftlichen Verfahrens senken jedoch die Wirtschaftlichkeit. Die Intransparenz des bundesdurchschnittlich ausgerichteten Verfahrens und die Demotivation der Zahler-Kassen indizieren eine geringe Effizienz. Die Geeignetheit des RSA verlangt zudem die rechtsstaatlich wie bundesstaatlich gebotene Widerspruchsfreiheit aller Ziele und Mittel des Gesetzgebers. Wer den Wettbewerb in der GKV einführen bzw. stärken will, darf ihn aber nicht offenkundig abschaffen und nicht durch planwirtschaftliche Umverteilung quasi eine Einheitskasse fördern - auch entgegen den Prinzipien Selbstverwaltung und Eigen Verantwortung. 3. Illegitimer Zweck „gerechterer " (gleicher) Beitragssätze Das Gebot der Widerspruchsfreiheit verlangt aber auch, daß die Ziele als solche eine Einheit bilden. „Gerechte" Beitragssätze müssen sich demnach als wirtschaftlich und wettbewerblich zugleich erweisen. Das Ziel, „gerechtere" als annähernd gleiche Beitragssätze zu erreichen, ist als solches schon fragwürdig. Bundeseinheitlich durch Umverteilungen angeglichene Beitragssätze sind im Zusammenhang mit dem Ziel der Einführung von Wettbewerb kaum „gerechter". Vielmehr sind wettbewerbliche, also grundsätzlich niedrigere Beitragssätze „gerecht", nämlich grundrechtskonform und wirtschaftlich. „Gerecht" sind nach Wirtschaftlichkeit und Solidargemeinschaftsgefüge differenzierte Beitragssätze der Kassen, zumal Wahlfreiheit besteht. „Gerechte" Beitragssätze unverschuldet teurer Kassen wären einzig durch Bundeszuschüsse zu erreichen. Dies gilt auch für Ausweitungen des RSA etwa auf teure Behandlungsfälle und chronisch Kranke 4 5 2 . Nach der übertragbaren Länderfinanzausgleichs-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht sind jedoch nivellierende oder die Empfänger sogar besserstellende Umverteilungen ausgeschlossen.
452 Vgl. den von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Risikostrukturausgleichs in der gesetzlichen Krankenversicherung, BT-Drucks. 14/6432, S. 3 ff.
X. Zusammenfassung in Leitsätzen 4. Sachliche Ungeeignetheit der Datenprüfung Die Prüfungs- und Kontrollverfahren können auch nach 7 Jahren RSA eine hinreichende Datengrundlage nicht sicherstellen. Dies belegen die rückwirkenden Nachberechnungen für die Jahre seit 1994. Datenprüfungen durch das zuständige B V A werden 3 Monate vorher angekündigt. Fehlerquoten von 10% werden akzeptiert, was angesichts des RSA-Volumens von über 24 Mrd. D M p.a. als nicht geeignet erscheint. Durch Krankenkassen unterlassene Datenbereinigungen führen lediglich zu pauschalen Sicherheitsabzügen. Fehler-Schätzungen belaufen sich auf einen um Millionen Versichertenjahre zu hohen Beitrags-, also Ausgabenbedarf. Das B V A hat selbst Fehler der Datenerhebung eingeräumt. Für die Qualität der Daten zum RSA ist jedoch deren Herkunft maßgeblich. Die Kassen melden und prüfen aber ihre Daten weitgehend selbst. Schlechter wirtschaftende oder letztlich schlicht interessierte Kassen können systematisch Daten selektieren, nicht melden, nicht bereinigen oder selektiv bzw. gar nicht prüfen. Sanktionen sind unzulänglich. Der Gesetzgeber hat unterstellt, daß die Kassen von sich aus richtige Daten liefern würden. Insgesamt negiert die Ungeeignetheit der Datenprüfung sowie das manipulationsoffene Verfahren die Ziele der Wirtschaftlichkeit, Wettbewerblichkeit und der insoweit „gerechten" Beitragssätze.
5. Ungeeignetheit wegen unzureichender Datenerhebung Die Datenbasis zum RSA ist nicht repräsentativ und aktuell genug. Die Stichprobenhöhe von 10% aller GKV-Versicherten ist, wie auch gutachtlich bestätigt wurde, nicht ausreichend. Da höhere Stichproben aber zu höheren Kosten führen würden und die Ziele der Wirtschaftlichkeit und insoweit gerechter Beitragssätze maßgeblich sind, steht das zentralistisch-planwirtschaftliche Verfahren des RSA als solches in Frage. Weitere Fehler entstehen durch Hochrechnungen von dieser zu geringen Datenbasis aus. Zudem ist das gesamte Berechnungsverfahren zum RSA zu komplex und intransparent, was nur durch eine (unwirtschaftliche) Vollerhebung der Daten aller Versicherten vermieden würde.
6. Ungeeignetheit wegen Potenzierung der Datenfehler Da die grundlegenden Daten des RSA wie Finanzkraft und Beitragsbedarf miteinander verknüpft sind, potenzieren sich die Fehler der Datenerhebung. Dies ist wegen der zu geringen, zudem hochgerechneten und vielfältig bereinigten Datenbasis noch bedenklicher. Die Daten„fehler" durch Fehlmeldungen und -Kontrollen der interessierten Kassen potenzieren sich demnach, und zwar zuungunsten der Zahler-Kassen. Hinzu kommen poten-
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X. Zusammenfassung in Leitsätzen
zierte Datenfehler aufgrund dynamischer Entwicklung der Mitgliederdaten, Leistungskosten und Beitragseinnahmen, so daß alte Daten schnell völlig überholt sind. 7. Verletzung des Rückwirkungsverbots jeder Planungssicherheit
- Aufhebung
Das ungeeignete RSA-Verfahren führt zu intensiven Rückwirkungen. So sind nach den Zahlungsbescheiden für das Jahr 1997, welche erst im Februar 1999 ergingen, sogar im Jahre 2001 noch Restzahlungen als Korrektur für 1994 bis 1996 zu zahlen. Hinzu kommen im Jahre 2001 Korrekturzahlungen für die Jahre 1997 bis 2000. Eine haushaltswirtschaftliche Planungssicherheit ist damit schlechterdings nicht gegeben, wird aber durch das Bundesverfassungsgericht sowie § 1 Abs. 2 des Maßstäbegesetzes vom 9. September 2001 für den Finanzausgleich der Länder gefordert. Die Finanzautonomie der Krankenkassen ist angesichts der teils immensen Höhe des RSA und der Korrekturzahlungen stark eingeschränkt. Das Bundesverfassungsgericht hat im Länderfinanzausgleichs-Urteil den Gesetzgeber ganz allgemein auf bestimmte, langfristig voraussehbare Maßstäbe haushaltswirtschaftlicher Planbarkeit festgelegt. Danach muß die Mittelverteilung transparent werden. Dem folgte der Gesetzgeber mit dem Maßstäbegesetz. Im übrigen legt auch das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot den Gesetzgeber auf vertrauenschützende, planungssichere Bestimmungen fest. Das BVerfG fordert anwendbare, voraussehbare und auf langfristige Geltung angelegte Maßstäbe. Auch danach scheidet der RSA verfahrensmäßig aus bzw. ist grundlegend zu reformieren. 8. Nichterforderlichkeit
des RSA - auch europarechtlich
Das rechtsstaatliche Verhältnismäßigkeitsprinzip erfordert nach der Geeignetheit der Mittel deren Erforderlichkeit. Die genannten Ziele des RSA wären aber mit besserem Ergebnis durch Wettbewerbs- und marktkonforme Mittel erreichbar gewesen. „Gerechtigkeitslücken" hätte der Bund durch Zuschüsse zu füllen. Ähnlich gibt es auch im Länderfinanzausgleich Bundesergänzungszuweisungen. Im Ergebnis ist der RSA aufgrund seiner Ungeeignetheit und Nichterforderlichkeit sowie Gemeinschaftsrechtswidrigkeit zu beenden, zumindest aber schrittweise zurückzuführen. Die mildere, widerspruchsfreie und marktliche Erreichung der Ziele des RSA entspräche ferner der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu den auch im nationalen Sozialversicherungsrecht anwendbaren Grundfreiheiten. Eine in einem Europäischen Binnenmarkt nicht wegzudenkende Dienstleistungsfreiheit darf auch vor den Sozialversicherungen der
X. Zusammenfassung in Leitsätzen Mitgliedstaaten nicht haltmachen. Jedenfalls ist hinsichtlich des deutschen Sonderweges des RSA keine hinreichende Rechtfertigung ersichtlich. Der RSA scheidet schon aus Gründen der Inländerdiskriminierung als Mittel auf dem sich entwickelnden europäischen Sozialversicherungsmarkt aus. Gerade vor diesem zunehmend wirkungsmächtigen Hintergrund der Europäischen Binnenmarkt-Verfassung steht der RSA als solcher in Frage. 9. Unzumutbarkeit
des RSA, Belastungsgrenzen und Nivellierungsverbot
Die auch europarechtlich zu fordernde Verhältnismäßigkeit des RSA verlangt zuletzt dessen Zumutbarkeit. Die erheblichen, teilweise existentiellen Zahlungspflichten betroffener Kassen stellen jedoch einen unverhältnismäßigen Eingriff in deren Rechte bzw. die Rechte der Mitglieder dar. Wenn etwa die B K K der B M W AG durchschnittlich 50% der Finanzkraft als RSA abführt, so ist für die eigentlichen Mitglieder dieser Kasse die annähernde Äquivalenz von Beitrag und Versicherungsleistung offenkundig verletzt. In Einzelfällen ist bei vergleichbaren Kassen von Leistung-Gegenleistungsverhältnissen von 1 zu 4 oder schlechter auszugehen. Die solidarische Belastbarkeit betroffener Krankenkassen findet jedoch ebenso Grenzen wie diejenige ihrer Mitglieder. Das Bundesverfassungsgericht hat im grundlegenden Einheitswert-Beschluß die Grenze der staatlichen Belastbarkeit bezüglich des Eigentums in der Nähe der Hälftigkeit festgemacht. Danach dürfen die gesamten solidarischen Belastungen auf Kassenebene, für Mitgliedergruppen und einzelne Mitglieder keineswegs 50% übersteigen. Ansonsten wäre auch das Versicherungs- bzw. Äquivalenzprinzip verletzt; eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die „SozialVersicherung" gar wäre insoweit nicht vorhanden. Jedenfalls findet das sozialstaatliche Solidarprinzip seine Schranken im grundrechtlich wie grundfreiheitlich verankerten und rechtsstaatlich gebotenen Verhältnismäßigkeitsprinzip. Das Grundgesetz wie auch das Europäische Gemeinschaftsrecht normieren eine wettbewerbliche, grundrechtliche Wirtschaftsverfassung der Marktwirtschaft, nicht umverteilender Zentralverwaltungswirtschaft. Das Bundesverfassungsgericht und der Gesetzgeber mit seinem Maßstäbegesetz vom 09.09.2001 erkennen bezüglich des vergleichbaren Finanzausgleichs der Länder die Grenzen des Solidarprinzips in der Eigenständigkeit und Handlungsfähigkeit der betroffenen öffentlich-rechtlichen Institutionen. Insbesondere darf eine unterschiedliche Finanzkraft nicht unangemessen, etwa nivellierend ausgeglichen werden. Das Bundesverfassungsgericht und der Bundesgesetzgeber deklarieren neben dem Nivellierungsverbot das Verbot der Umkehr der Finanzkraftreihenfolge. Damit bestehen neben dem Hälftigkeitsgrundsatz wesentliche Grenzen für Umverteilungen durch Finanztransfers - auch im Sinne einer sich solidarisch selbstverwaltenden, wirtschaftlichen und finanziell stabilen GKV.
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arverzeichnis Abbildungsgenauigkeit, -en 68, 69 abstrakte Normenkontrolle 127 Abwägungsgebot des Verhältnismäßigkeitsprinzips 97 Abwehrrecht, der Mitglieder 45 allgemein-staatliche Finanzierung 76 Allgemeinheit 128 Analogie-Anwendung, des Länderfinanzausgleichs-Urteils 127 Annäherung der Finanzkraft, keine Nivellierung 135 Anstalten 27 Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts 82 Anwendung der Grundfreiheiten 90 Äquivalenz 74 - Negation durch RSA 112 - zwischen Beiträgen und Leistungen 79 Äquivalenzprinzip 47, 110, 142 - und Hälftigkeitsgrundsatz 81 Auffanggrundrecht, Art. 2 Abs. 1 GG 48 Aufgaben, staatliche 27 Aufgabenzuweisungsdichte 35 Ausgabendeckung 126 Ausgleichsbedarf 126 Ausgleichsbedarfssatz 15 Auslegungsmethoden 20 Autonomie, finanzielle 127 Bedürfnisformel, des Art. 72 Abs. 2 GG 53 Behinderung des freien Dienstleistungsverkehrs 92 Beiträge, Begriff 79 Beiträge zur Sozialversicherung 51 Beitragsbedarfssatz 67 Beitragseinnahmenverwendung 97
Beitragssatzangleichung 63 Beitragssatzautonomie 33, 143 Beitragssätze - gerechte 154 - ungerechte durch RSA 68 Beitragssatzerhöhungen 144 Beitragssatzstabilität, Grundsatz der 144 Beitragssatzverwerfungen, durch RSA 77 Belastungsgleichheit 123 Belastungsgrenze 109 Beliehene 27 Bemessungsgrundlage 122 - im Ertrag 101 Berufsausübung 139 Berufsfreiheit 138 berufsregelnde Tendenz 139 Berufswahl 139 Beschränkung des elementaren Grundsatzes des freien Warenverkehrs 91 Bestands- und Vermögensschutz 108 Bestandsschutz 105, 106 Besteuerung von Zinserträgen 121 Bestimmtheit, rechtsstaatliche 130 Bestimmtheitsgebot 62, 156 Bestimmtheitsprinzip 63, 95, 99 Betriebskrankenkassen, geschlossene 35 Betriebsmittel, Schutz der 110 Betriebsmittel und Rücklagen 32 Bindungswirkung 17, 128 - materielle 19 Bindungswirkung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts 100 Bindungswirkung der Entscheidungsgründe 20 Binnenmarkt 149, 150, 156 - und RSA 85, 93
168
arverzeichnis
Binnenmarkt im Sozialversicherungsbereich 90 Binnenmarkt- und Wettbewerbsordnung 81, 83 Β innenmarkt-Verfassung 157 Binnenmarktlichkeit 140 Bundesergänzungszuweisungen 156 Bundesfinanzhof, und Hälftigkeit 99 Bundesgesetzgeber, Kompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG 59 Bundesintervention, und Bundeszuschüsse 133 Bundeskompetenz, aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG 113 Bundesstaat, föderaler 42, 44 bundesstaatliche Rücksichtnahme 54 Bundesverfassungsgericht - Hüter der Verfassung 17 - Stellung 17 Bundeszuschüsse 119 - nach Art. 120 Abs. 1 Satz 4 GG 113 - und Art. 120 Abs. 1 Satz 4 GG 136 Controlling, Notwendigkeit des 67 Daseinsvorsorge 73 Dassonville-Urteil 89 Daten, Qualität 65 Datenbasis 71, 155 Datenbereinigungen 155 Datenerhebung, -en 64, 99, 144, 155 - Fehler 61 - Unzulänglichkeit der 67 Datenfehlbestände 66 Datenfehler 67 Datenmanipulationen 77 Datenmeldungen 124 Datenprüfung, -en 65, 155 Deckelungen, im gesamtdeutschen RSA 15 Decker 89, 92 Deklarationsprinzip 124 Derogationsregeln 57 Dienstleistungen 83
Dienstleistungsfreiheit 56, 87, 89, 148, 149 - Anwendbarkeit auf RSA 86 - und RSA 85 Dienstleistungsmonopol 84 Differenzierungskriterien 62 Diskriminierungsverbot 148 - und Dienstleistungsfreiheit 91 Doppelwirkung, und Fehlerpotenzierung 69 Dreistufentheorie 141 Durchführbarkeit, gesetzlicher Maßstäbe 130 Durchschnittsbelastung, der BKK BMW 119 Durchsetzbarkeit, der Gesetze 123 Durchsetzungs-Gleichheit vor dem Gesetz 123 Dynamik, der Grunddaten des RSA 69 effektiver Grundrechtsschutz 113 effektiver Rechtsschutz, und Grundrechtsschutz der Mitglieder 117 effizienter Einsatz der Ressourcen 103 Effizienz 59, 72, 119, 144, 154 Effizienzkontrolle 77 Eigenbehalt 134, 135 Eigenständigkeit 134 - finanzielle 129 Eigentum ist Freiheit 115 Eigentumsdogmatik, Wende 101 Eigentumsgarantie 96, 99, 104 - Belastungsgrenzen 105 - justitiable Schranken-Schranke 99 Eigentumspositionen, soziale Bindung 115 Eigentumsschutz 105 Eigenverantwortlichkeit, als Grenze der Umverteilung 131 Eigen Verantwortung 47,51,73, 140, 142 Eingriffsermächtigung 63 Einheit der Rechtsordnung 18, 146 Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse,
primär durch Wettbewerb 53
Sachwortverzeichnis Einheitskasse 52, 75, 143 Einheitskrankenkasse 55 Einheitswert-Beschluß des BVerfG 96, 157 Einheitswert-Beschlüsse 17, 100, 105 Einnahmen- und Finanzkraftstatus, Beibehaltung des 135 Einnahmen-Manipulationen über den RSA 66 Einschätzungsprärogative 57 elementarer Grundsatz des freien Verkehrs 91 Elfes-Urteil 48,79 Entlastungen 101, 102 Entlastungen persönlicher Lebensführungserträge 108 Erdrosselungswirkung 96, 105 Erforderlichkeit 73, 77 Erhebungs- und Verfahrensmängel 124 Ertragsfähigkeit 100, 101, 102 Erwerbsunfähigkeits-Rentner 67 europäische Sozialunion 87 europäische Wirtschaftsverfassung 73 faktische Durchsetzungs-Gleichheit vor dem Gesetz 123 Fallnorm 19 Familien-Mitversicherten-Prüfungen, und Fehlerquote 69 Familienmitglieder, beitragsfreie Mitversicherung 142 Familienmitversicherte, Fehlberechnungen 65 Familienmitversicherten, Fehlerquote 66 Fehlberechnungen 143 Fehler, potenzierte 70 Fehler der Datenerhebung, Potenzierung 155 Fehlerquote 66 - und Potenzierung 69 Fehlerquoten 63, 77, 155 Fehlerwirkung, Potenzierung 68 Finanzausgleich 62
169
- der Länder und der Krankenkassen 136 Finanzausgleich der Länder, und RSA 126 Finanzautonomie 32, 34 Finanzhoheit 130 - und RSA 77 finanzielle Leistungsfähigkeit als Grenze der Belastbarkeit 134 finanzielle Stabilität des GKV-Systems 89 Finanzierung, der GKV durch Steuern 78 Finanzierung der Sozialversicherung 136 Finanzierung des Systems der GKV 76 Finanzkraft 15, 63, 109, 126, 130, 132, 134 - d e r BKK BMW 119 - pro Mitglied und Belastung durch RSA 112 Finanzkraft-Relationen 137 Finanzkraftunterschiede 131 Finanztransfers - und Intransparenz 59 - und UnWirtschaftlichkeit 59 Finanzverfassung 44, 128, 129 Freibetrag, und Substanzschutz 110 freie Entfaltung der Persönlichkeit, und Eigentum 114 Freiheit privatautonomer Selbstorganisation 50 Freiheit und Eigentum 107 Funktion der Grundrechte, abwehrrechtliche 43 funktionale Betrachtung 37 Funktionenordnung, gewaltenteilige 28 funktionsbezogener Grundrechtsschutz 23 - mittelbarer Staatsverwaltung 23 Funktionsgerechtigkeit der Beiträge 80 Geeignetheit 58 Gegenleistung 110 Geldleistungspflicht, -en 96, 97, 98, 105 gemeinnützige Unternehmen 85
170
arverzeichnis
Gemeinnützigkeit des Eigentums 106 Gemeinschaftsrechtskonformität 149 gerechtere Beitragsbelastung der Versicherten? 60 Gerechtigkeit 60 - soziale 73 Gesamtbelastung des Sollertrags, maximal hälftig 106 gesamtdeutscher Finanzausgleich 15 Gesetzesbegriff 128 Gesetzgebung, verfassungsgebundene 17 Gesetzgebungskompetenz 157 Gestaltungsspielraum 60 Gewaltenteilung 26 Gewaltenteilungsprinzip 64 Gewichtungsfaktor, nach § 313a Abs. 1 Nr. 7 SGB V 15 GKV, subsidiär staatliche Finanzierung 52 Glättungen, der Hochrechnungen 71 Gleichbehandlungsgebot 114 Gleichheit der Belastung 122 Gleichheit im Belastungserfolg 122 Gleichheit vor dem Gesetz 121 Gleichheitssatz 56,117 - und Eigentumsbelastung 106 Gleichheitswidrigkeit 125 gleichmäßige und sachgerechte Bemessungsgrundlage 100 Gliederungsprinzip 36, 143 Globaläquivalenz 32, 46, 74, 76, 80 Grenze der Belastbarkeit durch das Solidarprinzip 80 Grenze der Gesamtbelastung des Vermögens 100 Grenzen des Sollertrags 109 Grenzen des Solidarprinzips 33, 157 Grundlohnsummenausgleich 67, 68 Grundrechte - Funktion 23 - vorrangig individuell 38 Grundrechtsbindung 61 Grundrechtsfähigkeit - der AOK 24
- der Universitäten 23 - einer BKK, soweit funktional privat 42 - funktionell differenziert 39 - juristischer Personen 38 - und DJT 1984 45 - und EuGH-Vorlage 95 Grundrechtsfähigkeit der Krankenkassen 97, 117 Grundrechtsfähigkeit einer Betriebskrankenkasse, BayLSG 41 Grundrechtsschutz 99 - der Krankenkassen 39 - effektiver 30, 45 - für personale Handlungsbereiche 40 - gegen Zwangsvereinigung 48 - im Maße privater Funktion 25 - juristischer Personen 23 - und Eigenleistung 114 Grundrechtsschutz von Körperschaften 22 Grundrechtsunfähigkeit aller staatlichen Institutionen? 22 Grundsatz der gleichheitlichen „Lastenverteilung nach Maßgabe finanzieller Leistungsfähigkeit" 107 Grundsatz der „offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb" 82, 103 Grundsatz des Interventionsminimums 86 Grundsatz des sozialen Ausgleichs 74, 80 Gruppen-Homogenität 34, 53 Gruppenbildung, freie soziale 50 gruppenhomogene Kassen 59 Gruppenhomogenität, vieler BKKs 35 Gutachten Cassel/Wasem/IGES 56 Gutachten Kricke/Männer 70 Gutachten Lauterbach/Wille 58 Hälftigkeit 104, 111 - als Belastungsgrenze 157 Hälftigkeit, Stufenschema 108 Hälftigkeitsgrenze 103, 107, 108, 110
Sachwortverzeichnis Hälftigkeitsgrundsatz 33, 60, 80, 99, 102, 106, 115, 132, 134, 144, 148, 157 Hälftigkeitslösung 85 Hälftigkeitsprinzip 81 Harmonisierung, und deutsche GKV 89 Haushaltsautonomie 32, 63, 74, 130, 143 Haushaltsplan 32 Haushaltsplanung 153 haushaltswirtschaftliche Planbarkeit 129, 134,136 Hochrechnung, -en 70, 155 Hochrisiko-Ausgleich 57 Hochrisikopool 59 Homogenisierung der Kassenlandschaft 56 Homogenität 76 Individualgrundrechtsschutz 40 Inhalt und Schranken des Eigentums 97 Inkorporation, des Gemeinschaftsrechts 82 Inkorporierung des Gemeinschaftsrechts 93 Inländerdiskriminierung 157 Insoweit-Formel, des BVerfG 37 institutionelle Differenzierung, und Analogie 126 institutionelle Garantien 42 Institutionen und Funktionen 28 Interessenvollzug, privater 28 juristische Personen, personales Substrat 24 Karteileichen 64 Kassenbelastung 76 Kassen wahlfreiheit 36 Kassen Wettbewerb, Verzerrung 61 Kern und Substanz des Eigentums 104 Kernbereich, der Eigentumsgarantie 114 Kernbereichsschutz 115 Kohll und Decker, Urteile des EuGH 88
171
Kohll, Decker, Vanbreakel und Smits 147 kollisionsfreie Auslegung und Anwendung des Gemeinschaftsrechts 149 Kommunen, Selbstverwaltung 42 Kompetenzverteilung 44 Konkordanz des RSA-Systems mit europäischem Wettbewerbsrecht? 152 konkrete Normenkontrolle 94, 145 Kontrolldichte 118 Kontrolle des Finanzausgleichs 132 Kontrollen, der RSA-Daten 144 Kontrollen der Durchführung der Gesetze 124 Kontrollmöglichkeiten 71 Kontroll verfahren 64, 154 Kooperation, BVerfG und EuGH 149 Körperschaft des öffentlichen Rechts 27 Körperschaften - personales Substrat 37 - Sachwalter der Einzelnen 23 korporative Funktionen 28 Korrekturen, rückwirkende 61 Korrekturfaktoren 70 Korridorlösung 75 Kosten, der Stichprobenerhebung 69 Kostenerstattung 91 Kostentransparenz 144 Krankenkasse als »Sachwalterin4 des Einzelnen 24 Krankenkasse als Treuhänderin sozialversicherungsrechtlicher Rechtspositionen 41 Krankenkasse als Treuhänderin und Sachwalterin 39 Kranken Versicherungssektor, und Binnenmarkt 85 Länderfinanzausgleich 133, 153 Länderfinanzausgleichs-Urteil 120, 127 Lebensverhältnisse, gleichwertige 54 Legitimität 146 Leistung und Gegenleistung, Mißverhältnis 112
172
arverzeichnis
Leistungsausgaben 132, 140 Leistungsautonomie 35 Leistungsfähigkeit 61 - als Grenze der Umverteilung 131 - der Kassen und RSA 98 - finanzielle, als Grenze des RSA 132 - Sicherung der finanziellen 143 Leistungsfähigkeit als Grenze der Belastbarkeit 134 Leistungsfähigkeit der GKV 55 Leistungsumfang, der GKV 74 lex-posterior-Regel 21 liberaler Verfassungswille 107 Liberalismus 28 Liquiditätsreserve, als Freibetrag 111 Lohnzusatzkosten 140 Maastricht-Urteil 148 Maßgeblichkeit der Funktionen 29 Maßstäbe des horizontalen Finanzausgleichs 131 Maßstäbegesetz 133, 136, 153 Maßstabsbildung, durch Maßstäbegesetz 128 Magna Charta, des Gemeinschaftsrechts 151 Manipulation 65 marktbeherrschende Stellung 84 Marktwirtschaft 53, 72, 103, 140, 150 - soziale 51 Materialisierung der Eigentumsgarantie 104 Menschenrechte 79 Methodenlehre 124 Mieter-Urteil des BVerfG 114 mildere Mittel 75 Mitbestimmungs-Urteil 138 Mitgliederbelastung, durchschnittliche 112 Mitgliedergruppen, und Belastung durch nRSA 112 mittelbare Beeinträchtigungen 139 Mittelverteilung 129 monistische Lehre des Völkerrechts 82
Monopolisierung, in der GKV 90 Morbiditätsausgleich 67, 68 Morbiditätsorientierung 56 Morbiditätsrisiken 59 Nachberechnungen 65 Nachbesserungen 77 Natur der Sache 56 Netto-Erträge 101 Nichtdiskriminierung 150 Nichtigerklärung von Gesetzen 20 Niederlassungsfreiheit 151 Nivellierungsverbot 61, 131, 135, 154, 157 Ni veli ierungs Wirkung 132 Normenklarheit 134 Normenkollisionen 146 Normkollision 128 Normprüfungspflicht, der Fachgerichtsbarkeit 146 Nutzungsbefugnis 104 objektiv-rechtliche Dimension der Grundrechte 41 objektiv-rechtliche Grundsätze des Gemeinschaftsrechts 150 objektive Wertordnung 41, 43 Objektivität, und Schleier des Nichtwissens 130 Objektivitätsgebot 56 öffentliche Unternehmen 84 ordre-public-Vorbehalt 82, 86, 92 Parlamentsvorbehalt 63, 95, 99 Personalentscheidungen 140 Pflichtaufgabe 94 Pflichten der Mitgliedstaaten zum gemeinschaftstreuen Verhalten 82 Pflichtleistungskatalog 33 Planbarkeit 129, 134 - langfristige 129 Planungshorizont 129 Planungssicherheit 137 Planwirtschaft 72
Sachwortverzeichnis Plausibilitätsprüfung 65 Potenzierung, der Fehler 68 Preisniveaustabilität 53 Prinzip des Vorrangs privater Lebensgestaltung 73 Privatheits- und Dezentralitäts-Vorrang 107 Privatnützigkeit 96, 103, 106, 107 - und Mieter-Urteil des BVerfG 114 Privatnützigkeit dieses Sollertrags 105 Prüfbarkeit, und Gesetzesvollzug 130 Prüfungen durch das BVA 124 Qualifizierungshalte 92
und
Qualitätsvorbe-
Rechtfertigung von Eingriffen in die Dienstleistungsfreiheit 92, 93 Rechtfertigungsgrund 141 Rechtfertigungsgründe, bei Gemeinschaftsrechtsverstoß 148 Rechtsaufsicht 26, 29 Rechtseinheit 57 - europäische 149 Rechtsklarheit 63 Rechtskraft, inter partes 19 Rechtsordnung, der Gemeinschaft 83 Rechtsordnung des Binnenmarktes, Schranke für RSA 81 Rechtsprechung, Bindung an Recht und Gesetz 146 Rechtsschutz, effektiver 43 Rechtssicherheit 134 Rechtssicherheit, für Krankenkassen 63 Rechtsstaat, institutionell gewaltengeteilter 42 Regional-Risiken 59 Repräsentativität, der Stichprobenhöhe 68 Repräsentativität der Stichprobe 69, 71 Richtigkeit 128 Risikostrukturen, Ausgleich 59 Riskoselektion 59 RSA, Verfahren 14
173
RSA-Belastungen, für Mitglieder-Gruppen 112 Rücklagen 98 Rücklagen- und Vermögensbildung, Schutz der 81 Rücklagenauffüllung 32 Rücklagenhöhe 32 Rücklagenhöhen, von Krankenkassen 109 Rückversicherung 59 - solidarische 14 Rückwirkungen 156 -durch RSA 151 - Verbot retroaktiver 62 Rückwirkungsverbot 62, 65, 95 sachlicher Gesichtspunkt für die rechtliche Differenzierung 118 Sachlichkeit 62 Sachlichkeitsgebot 56 Sachlichkeitsprinzip 99 Sachwalterin, des Einzelnen, BKK als 37 Satzart 40 64, 65 Satzart 41 bzw. 42 65 Satzungsautonomie 31, 143 Schranken der mitgliedstaatlichen Kompetenzausübung 82 Schranken-Schranke, durch Dienstleistungsfreiheit 85 Schranken-Schranken, des Gemeinschaftsrechts 99 Schutzbedürftigkeit 76 Schwangerenhilfeergänzungsgesetz 55 Schwankungsbreiten, und RSA-Vollzugsmängel 130 Schwersterkrankungsrisiken 59 Selbständigkeit, der Körperschaften 32 Selbstverwaltung 129, 136 - der Gemeinden 44 - finanzielle 61 - kommunale 36, 142 - Maßgeblichkeit 37 - unantastbare 47
174
arverzeichnis
- und funktionale Privatheit 40 Selbstverwaltungsautonomie 72, 79, 134 - der BKK 37 - Dimensionen 29 - finanzielle 34 - gemindert durch RSA 36 - konstitutive 30 - leistungsmäßig 35 Selbstverwaltungsautonomie 25 Selbstverwaltungsprinzip 29 Selektion ausgleichsfähiger Risikofaktoren 77 Solidargemeinschaft 47, 51 - betriebliche 33 - der BKKs und der RSA 78 - der Kassen und der GKV 143 - einer Krankenkasse 34 - und Eigenständigkeit 131, 135 Solidarität 73 - effiziente und sachnahe 80 - gruppenhomogener Kassen 72 - und Selbstverwaltung 136 Solidarität der Schutzbedürftigen 76 Solidarität, Grenzen in Haushaltsautonomie 131 Solidarprinzip 72 - Grenzen 33, 60 Sollertrag, -erträge 76, 101, 103, 110, 111 Sollertrag, Schutz 108 Sollertragsteuer 101, 102, 107 Sonderbelastung, der Kassen durch RSA 75 Sonderbelastung der Krankenkassen 119 Sonderbelastungen 76 Sozialstaat - a l s Strukturprinzip 46 - und Art. 120 Abs. 1 Satz 4 GG 52 Sozialstaatsprinzip 72 Sozialversicherung - Gattungsbegriff 52 - und Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG 51 - und Bundeskompetenz 113
Sozialversicherungsbeiträge 51, 74 Sparkassen-Beschluß, des BVerfG 39 Staat und Gesellschaft 27 staatliche Aufgabe 73 Staatlichkeit nach Maß staatlicher Funktionen 29 Staatsorganisation 44 Staatsverwaltung, mittelbare 26, 43 Staatsverwaltung und Selbstverwaltung 26 Staats Wahrheit 125 Stabilität des Systems der GKV, wettbewerbskonform 133 standardisierte Leistungsausgaben 15, 132 Standardisierungen, als Nivellierungen 132 status negativus 25 Steuer, Begriff 122 Steuerbelastungen 96 steuerliche Lastengleichheit 123 Stichprobendaten 70 Stichprobenhöhe 66, 69, 155 Stichprobenumfang 70 Stiftungen 27 Streuungen, der Stichproben 70 subjektiv-rechtlicher Kern der Grundrechte 43 Subsidiarität 74, 136 Subsidiaritätsprinzip 53, 107, 142 Substanz des Eigentums 96, 104 Substanz des Vermögens 96 Substanz von Eigentum und damit substantiierter Freiheit 107 Substanzschutz des Vermögens der Krankenkassen 109 Substanzsteuer 101 Substanzwahrung 105 Summe der beitragspflichtigen Einnahmen 15 Superrevisionsinstanz 145, 149 systematische Fehler, der Stichproben 70 Systemgerechtigkeit 126 Systemwidrigkeiten 55
Sachwortverzeichnis Transformationsakt 82 Transparenz, und RSA 77 Transparenz der Mittelverteilung 134 Transparenz von Einnahmen und Kosten, und Wirtschaftlichkeit 143 typischer Einnahmenüberschuß, als Belastungsmaßstab 111 über-typisch ertragreiche Vermögen, Belastung 102 Überdehnung des Solidarprinzips 110 Überprüfbarkeit, gesetzlicher Maßstäbe 130 Übertragung von Hoheitsrechten 83 Umverteilung, Grenzen 33 Undurchführbarkeit, des RSA 64 Unexekutierbarkeit 56 Ungeeignetheit - des RSA 55, 97 - des RSA-Verfahrens 64 - und Eigentumsgarantie 98 Ungleichbehandlung 118 unmittelbare Geltung wettbewerbswahrender Grundfreiheiten 92 Unternehmen, und Gemeinschaftsrecht 83 Unternehmensbegriff 84 Unternehmenseigenschaft der Krankenkassen 84 Unvereinbarkeits-Erklärung 123 UnVerhältnismäßigkeit, des RSA und Gemeinschaftsrecht 93 UnWirtschaftlichkeit, des RSA 64 Unzumutbarkeit 119 - des RSA 71, 98 Urteile Kohll und Decker 88 Urteilstenor, Verbindlichkeit 125 Verbindlichkeit der Dienstleistungsfreiheit 87 Verbindlichkeit der Urteilsformel 21 Verbindlichkeit des Gemeinschaftsrechts, auch im Bereich der GKV 150 Verbindung von Berufsausübungs- und Berufswahlfreiheit 140
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Verbot der Inländerdiskriminierung 151 Verbot der Nivellierung 132 Verbot der Umkehr der Finanzkraftreihenfolge 61, 157 Verbot einer Nivellierung 135 Verbot einer Verkehrung der Finanzkraftrelation 132 Verbot wettbewerbsbeschränkender Maßnahmen 83 Vereinigungsfreiheit - negative 49 - und Handlungsfreiheit 48 Verfahrensklarheit 63 Verfassungsvorbehalt 82 Verfügungsgewalt 104 Verhältnismäßigkeit 57 - im engeren Sinne 71 - und Beitragsverwendung 46 Verhältnismäßigkeitsprinzip 44, 78 - gemeinschaftsrechtlich 150 - und Gemeinschaftsrecht 82, 85 Verifikationsprinzip 124 Veritas, non auctoritas facit legem 124 Verkehrs wert 101 Verkehrung der Finanzkraftreihenfolge, Verbot der 133 Verletzung der Eigentumsgarantie, durch RSA 111 Vermögenstypen 103 Verpackungsteuer-Urteil des BVerfG 54 Versichertenkreis 74 Versichertenzeiten 64 Versicherung, Grundsätze einer 59 Versicherung, Ende des Prinzips durch RSA 59 Versicherung, Prinzip 113 Versicherungsprinzip 74, 75, 78, 85, 142 Versicherungszahl-Dynamik 69 Verstärkung des deutschen Dienstleistungsmonopols im Bereich der GKV durch den RSA 87 Verwaltungskosten 111 - durch RSA 68
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arverzeichnis
Volksversicherung 51, 52 Vollerhebung 71, 155 Vollständigkeit - Prüfung der Daten auf 68 Vollzug der Gesetze 123 Vollzugsdefizit 121 Vollzugsmängel 125 vom Eigentums- zum Vermögensschutz 101 Vorabentscheidung 83, 149, 151 - Urteile des EuGH Kohll und Decker 88 Vorabentscheidungsverfahren 94 Vorhersehbarkeit 129 Vorlage - nach Art. 100 Abs. 1 GG 123, 125, 145 - vor dem EuGH 94 Vorlagepflicht 98, 146 - vor dem EuGH 150 Vorrang der Privatheit 97, 107, 140 Vorrang privater, marktlicher und demnach wettbewerblicher Lebensgestaltung 82 Wahlfreiheit 87 Warenverkehr, freier 88 Werteordnung 79 Wesensgehalt 117,148 - Eigentum 105 Wesensgehalt der Eigentumsgarantie 104 Wesensgehalt der Grundrechte 97 wesensgehaltlicher Grundrechtsschutz der Krankenkassen 79 Wesensgehaltsgarantie 79, 80, 112, 115, 132 Wettbewerb 75, 150, 154 - Einführung von 119 - Negierung durch RSA 61 Wettbewerblichkeit 78, 90 - zunehmende in der GKV 117 Wettbewerbsrecht 86, 151 Wettbewerbsregeln 149
Wettbewerbsstärkung, und RSA ? 53 Wettbewerbsverzerrungen 60, 72, 153 - durch RSA 56 Widerspruchsfreiheit 99, 142, 147, 154 Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung 18, 54 Willkürverbot 99, 118 wirtschaftliche Freiheit 115 wirtschaftliche Freiheit des Menschen 79 Wirtschaftlichkeit 59, 72, 76, 89, 144, 154 - der GKV 52 - des GKV-Systems 98 - und Wettbewerb 59 - Verminderung durch RSA 68 Wirtschaftlichkeitsanreize 77 Wirtschaftlichkeitserhöhung 63, 75, 119 - durch RSA? 72 Wirtschaftlichkeitsgrundsatz 74 Wirtschaftseinheit - und Art. 72 Abs. 2 GG 54 - und Erforderlichkeit 53 Wirtschaftsverfassung 72, 140, 141, 157 Wohl der Allgemeinheit, und Eigentum 106 Zentralverwaltungswirtschaft 72 Zielerreichung, und Geeignetheit 75 Zufallsabweichungen 70 Zumutbarkeit 60 Zurückfahren des RSA 76 Zuschüsse zur Sozialversicherung 133 Zuständigkeit der Mitgliedstaaten zur Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit 88 Zustimmungsgesetz 149 Zwangsmitgliedschaft 49 Zwangssolidarisierung 76 Zweck der Wettbewerbsregeln 86 Zwischenstaatlichkeit 85