Umkehr der Sinneshierarchie: Herder und die Aufwertung des Tastsinns seit der Frühen Neuzeit [Reprint 2012 ed.] 9783110936315, 9783484630222

This volume examines the reasons for Herder's foregrounding of the sense of touch. As such it fills in a significan

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German Pages 342 [344] Year 2000

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Table of contents :
Vorwort
I. Einleitung
1. Herders Beitrag zur Aufwertung des Tastsinns im Urteil der Forschung
2. Postmoderne und neue Leiblichkeit
3. Herders Konzeption des Tastsinns im Urteil der Forschung
3.1. Tastsinn
3.2. Kraft
3.3. Gefühl
3.4. Zusammenfassung
4. Gründe für Herders Aufwertung des Tastsinns im Urteil der Forschung
5. Methode, Anlage und Ziel der Arbeit
ERSTER TEIL. Umkehr der Sinneshierarchie. Von den primären und sekundären Qualitäten zur Ausdehnung
II. Thomas von Aquins Lehre von den primären und sekundären Qualitäten
1. Zur Lehre von den Qualitäten
1.1. Qualität selbst
1.2. Qualitative Bestimmungen am Gegenstand
1.3. Qualitative Bestimmungen in den Sinnen
2. Wahrnehmung
2.1. Aufgabe des Sinnesorgans
2.2. Aufgabe des Sinnesvermögens
3. Zur Stellung von Auge und Tastsinn
3.1. Unterschied von Auge und Tastsinn: das Medium
3.2. Unterschied von Auge und Tastsinn: das Organ
3.3. Unterschied von Auge und Tastsinn: die qualitativen Bestimmungen
3.4. Die Bedeutung des Tastsinns
3.5. Tastsinn und sensus communis
4. Richtigkeit sinnlicher Erkenntnis
4.1. Unmittelbarkeit der primären Qualitäten
4.2. Täuschbarkeit in bezug auf sekundäre Qualitäten
4.3. Täuschbarkeit in bezug auf akzidentielle Wahrnehmung
4.4. Bedeutung akzidentieller Wahrnehmung
5. Zusammenfassung
III. Der Zweifel an der Gewißheit sinnlicher Erkenntnis seit Ockham und die Folgen: Umkehr der Sinneshierarchie und Ausdehnung als objektive Qualität
1. Von den species sensibiles in medio zum unmittelbaren Wirken von Quantitäten
1.1. Ockhams genius malignus
1.2. Roger Bacon oder die reale Vervielfältigung der Qualitäten im Raum
1.3. Olivis Annahme unmittelbaren kausalen Wirkens von Qualität
1.4. Zur intensiven Größe bei Heinrich von Gent
2. Veränderter Status der primären Qualitäten
2.1. Irrelevanz der primären Qualitäten für Einsicht in wahrnehmbare Welt (Leibniz, Mendelssohn)
2.2. Da Cingolis Ableitung flüchtigerer Qualitäten aus konstanteren Qualitäten
2.3. Hobbes’ Zentralperspektive und die Verlagerung vom Inhalt zur Bedingung des Sehaktes
3. Zur Objektivität der sekundären Qualitäten
3.1. Gemeinsamkeiten zwischen Empiristen (Boyle) und Idealisten (Cudworth)
3.2. Sekundäre Qualität als der Materie immanente Wesensform oder eingeborene Idee (Leibniz)
3.3. Sekundäre Qualität als Vorstellungsmodus des Subjekts (Mendelssohn)
4. Reduktion der sekundären Qualitäten auf Ausdehnung
4.1. Der fundamentale Zweifel bei Gianfrancesco Pico della Mirandola, Berkeley und Hume
4.2. Descartes’ Wesensbestimmung des Körpers als Ausdehnung
4.3. Nur Tastsinn erkennt Dreidimensionales (More)
4.4. Auge erkennt Licht und Farbe (Berkeley) oder nur Farbe (Goethe)
4.5. Korpuskulartheorie (Gassendi, Leibniz) und sensorium commune
5. Zusammenfassung
IV. Herder oder die Bedeutung des Tastsinns für die Erkenntnis
1. Herders Kritik an der optischen Wahrnehmung
1.1. Distinktheit
1.2. Zerstreutheit
1.3. Täuschbarkeit
1.4. Erkennen mit Bewußtsein
2. Die Leistung des Tastsinns für die Erkenntnis
2.1. Unbewußtes Urteilen
2.2. Vollständigkeit
2.3. Objektive Gewißheit
2.4. Problem der Mitteilbarkeit
3. Unzulänglichkeit sinnlicher Erkenntnis
3.1. Oberflächenwahrnehmung
3.2. Sinneserkenntnis – eine Wahrheit lediglich für uns
4. Einheit zwischen den einzelnen Wahrnehmungen stiftende Instanz
4.1. Das Eine: Gefühl oder Seele?
4.2. Sinneswahrnehmung als Modifikation des Gefühls
4.3. Die Seele als Einheit von Reiz, Sinn und Denken
4.4. Das Eine: Gefühl und Seele
5. Welches Vermögen erfaßt die Substanz (= Seele) selbst?
5.1. Bestimmung der Substanz
5.2. Selbstwahrnehmung des Blinden
5.3. Lesen als vermittelte Selbstempfindung
5.4. Fühlen menschlicher Schönheit als Begegnung mit dem Inbegriff seiner selbst
5.5. Vom Selbstgefühl zur Gegenstandserkenntnis
6. Zusammenfassung
ZWEITER TEIL. Menschliche Schönheit – Inbegriff alles Wißbaren. Von der Proportion zur Ruhe in der Bewegung
V. Von der Proportion zum je ne sais quoi oder die Subjektivierung der Schönheitserfahrung
1. Erkennbarkeit der Schönheit eines menschlichen Körpers (Thomas von Aquin)
1.1. Erkennbarkeit im Urteil der Forschung
1.2. Proportionsbegriff im Urteil der Forschung
1.3. Erfahrung von Widersprüchlichkeit als Ausgangspunkt für Thomas von Aquin
1.4. Widerspruchsaxiom
1.5. Beurteilung von einzelnem Schönen mit Hilfe des Begriffs
2. Bestimmung der Schönheit des menschlichen Körpers (Thomas von Aquin)
2.1. proportio membrorum
2.2. proportio colorum
2.3. Verschiedenheit in der Verwirklichung von Proportion
2.4. Ist körperliche Versehrtheit Ausdruck seelischer Schlechtigkeit?
3. Ficinos Erhöhung des Auges zum geistigen Vermögen
3.1. Ficinos Urteil über den Tastsinn
3.2. Rezeptivität sinnlicher Wahrnehmung
3.3. Auge sieht Licht selbst
3.4. Angleichung von Auge und Ratio
3.5. Folgen dieser Angleichung
4. Wettstreit der Künste – Vorrang des Tastsinns im 16. Jahrhundert
4.1. Beurteilung des Tastsinns in den Lettere di artisti
4.2. Varchis ambivalenter Schiedsspruch
5. Ficinos Bestimmung menschlicher Schönheit
5.1. Ablehnung der proportio membrorum
5.2. Schönheit als das eine, in allem erstrahlende Licht
5.3. Angleichung von körperlicher und seelischer Schönheit
5.4. Menschlicher Körper als Offenbarungsort göttlichen Lichts
6. Varchi oder: Grazie ist das Wesen menschlicher Schönheit
6.1. Favorisierung der Grazie
6.2. Grazie inhaltlich unbestimmt
6.3. Weitere Gründe für die Ablehnung der Proportion
6.4. Was sich der Berechenbarkeit entzieht, ist schön
6.5. Alternative Schönheitsbestimmungen des menschlichen Körpers vor 1600
7. Zusammenfassung
VI. Grazie als Ausdruck seelischer Schönheit im 18. Jahrhundert
1. Suche nach geistiger Einheit in körperlicher Mannigfaltigkeit seit der Renaissance
2. Schönheitslinie im 18. Jahrhundert
2.1. Hogarths line of grace
2.2. Linie als Ausdruck seelischer Gleichförmigkeit (Mengs)
2.3. Linie als Ausdruck körperlicher Einförmigkeit (Winckelmann)
2.4. Einheit der Linie – gestiftet durch das Gefühl (Sulzer)
2.5. Linie als Ausdruck körperlicher wie seelischer Schönheit (Schiller)
3. Bestimmung seelischer Schönheit im 18. Jahrhundert
3.1. Geschlechtsspezifisch differenzierte einzelne Bestimmungen (Sulzer)
3.2. Seelische Schönheit: Ruhe in der Bewegung (Goethe vs. Winckelmann)
3.3. Moralische Seelenregung (Schiller)
3.4. Gleichmäßige Bewegtheit des Betrachters (Lessing)
3.5. In Auflösung begriffene Einzelseele (Moritz)
4. Herders Schönheitsbestimmung im ideengeschichtlichen Kontext
4.1. Antike Plastik als idealer Gegenstand der Schönheitserfahrung
4.2. Seelische Schönheit: Zustand zwischen Ruhe und Bewegung
4.3. Selbstempfindung garantiert Objektivität der Schönheit
4.4. Elliptische Linie bzw. Ausdehnung
5. Zusammenfassung
VII. Authentisches Fühlen und das Problem sprachlicher Explikation des Gefühlten
1. Bedeutung des Traums für die Explikation der Seele
1.1. Herder
1.2. Traum als Initiation in Novalis’ Heinrich von Ofterdingen
2. Herders Einbildungskraft
2.1. Novalis’ Zuordnung der Poesie zum Gefühl
2.2. Bedingungen für die Wirksamkeit der Einbildungskraft in E. T. A. Hoffmanns Goldenem Topf
3. Herders Begriff der Synästhesie
3.1. Synästhesie in Novalis’ Lehrlingen zu Sais als »eine neue Art von Wahrnehmungen«
3.2. Synästhesie in E. T. A. Hoffmanns Goldenem Topf als eine andere Art von Wahrnehmung
4. Herders »Ton der Empfindung«
4.1. Ton als Stimmung in Novalis’ Lehrlingen zu Sais
4.2. Ton als Auflösung von Dissonanzen in Hölderlins Hyperion
5. Herders Forderung, »das sympathetische Geschöpf in denselben Ton« zu versetzen
5.1. Nichtverstehenwollen als Bedingung für Verstehen in Goethes Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten
5.2. Unergründbarkeit des Selbstgefühls in Kleists Marquise von O
5.3. Vom Leser erwartete Einfühlung in E. T. A. Hoffmanns Goldenem Topf
6. Zusammenfassung
VIII. Zusammenfassung
IX. Literaturverzeichnis
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Umkehr der Sinneshierarchie: Herder und die Aufwertung des Tastsinns seit der Frühen Neuzeit [Reprint 2012 ed.]
 9783110936315, 9783484630222

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B-*22

Studien zur europäischen Literatur- und Kulturgeschichte Herausgegeben von Fritz Nies und Wilhelm Voßkamp unter Mitwirkung von Yves Chevrel und Reinhart Koselleck

Ulrike Zeuch

Umkehr der Sinneshierarchie Herder und die Aufwertung des Tastsinns seit der frühen Neuzeit

Max Niemeyer Verlag Tübingen 2000

Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Für Mirjam

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Zeuch, Ulrike: Umkehr der Sinneshierarchie : Herder und die Aufwertung des Tastsinns seit der frühen Neuzeit / Ulrike Zeuch. - Tübingen: Niemeyer, 2000 (Communicatio ; Bd. 22) Zugl.: Habil.-Schr. ISBN 3-484-63022-1

ISSN 0941-1704

© Max Niemeyer Verlag GmbH, Tübingen 2000 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten Einband: Buchbinderei Geiger, Ammerbuch

Inhaltsverzeichnis

Vorwort I.

XI

Einleitung 1.

Herders Beitrag zur Aufwertung des Tastsinns im Urteil der Forschung

2.

Postmoderne und neue Leiblichkeit

3.

Herders Konzeption des Tastsinns im Urteil der Forschung

1 4 17

3.1.

Tastsinn

21

3.2.

Kraft

27

3.3.

Gefühl

30

3.4.

Zusammenfassung

31

4.

Gründe für Herders Aufwertung des Tastsinns im Urteil der Forschung

32

5.

Methode, Anlage und Ziel der Arbeit

35

E R S T E R TEIL Umkehr der Sinneshierarchie Von den primären und sekundären Qualitäten zur Ausdehnung II.

Thomas von Aquins Lehre von den primären und sekundären Qualitäten

43

1.

43

2.

3.

Zur Lehre von den Qualitäten 1.1.

Qualität selbst

46

1.2.

Qualitative Bestimmungen am Gegenstand

47

1.3.

Qualitative Bestimmungen in den Sinnen

49

Wahrnehmung

50

2.1.

Aufgabe des Sinnesorgans

50

2.2.

Aufgabe des Sinnesvermögens

52

Zur Stellung von Auge und Tastsinn

53

3.1.

Unterschied von Auge und Tastsinn: das Medium . . .

53

3.2.

Unterschied von Auge und Tastsinn: das Organ . . . .

55

3.3.

Unterschied von Auge und Tastsinn: die qualitativen Bestimmungen

55

3.4.

Die Bedeutung des Tastsinns

56

3.5.

Tastsinn und sensus communis

59

Inhaltsverzeichnis

VI 4.

5. III.

Richtigkeit sinnlicher Erkenntnis

60

4.1.

Unmittelbarkeit der primären Qualitäten

4.2.

Täuschbarkeit in bezug auf sekundäre Qualitäten

60

4.3.

Täuschbarkeit in bezug auf akzidentielle W a h r n e h m u n g

63

4.4.

Bedeutung akzidentieller W a h r n e h m u n g

65

. . .

Zusammenfassung

62

66

Der Zweifel an der Gewißheit sinnlicher Erkenntnis seit O c k h a m u n d die Folgen: U m k e h r der Sinneshierarchie und Ausdehnung als objektive Qualität 1.

71

Von den species sensibiles in medio z u m unmittelbaren W i r k e n von Quantitäten

73

1.1. Ockhams genius malignas

74

1.2.

Roger Bacon oder die reale Vervielfältigung der Qualitäten im R a u m

75

1.3. Olivis A n n a h m e unmittelbaren kausalen Wirkens von Qualität 2.

76

1.4. Z u r intensiven Größe bei Heinrich von G e n t

78

Veränderter Status der primären Qualitäten

79

2.1.

Irrelevanz der primären Qualitäten für Einsicht in wahrnehmbare Welt (Leibniz, Mendelssohn)

2.2.

79

Da Cingolis Ableitung flüchtigerer Qualitäten aus konstanteren Qualitäten

2.3.

82

Hobbes' Zentralperspektive und die Verlagerung vom Inhalt zur Bedingung des Sehaktes

3.

83

Z u r Objektivität der sekundären Qualitäten 3.1.

Gemeinsamkeiten

zwischen

Empiristen

86 (Boyle)

und

Idealisten (Cudworth) 3.2.

88

Sekundäre Qualität als der Materie i m m a n e n t e Wesensform oder eingeborene Idee (Leibniz)

3.3.

94

Sekundäre Qualität als Vorstellungsmodus des Subjekts (Mendelssohn)

4.

Reduktion der sekundären Qualitäten auf Ausdehnung

96 . . .

100

4.1.

Der fundamentale Zweifel bei Gianfrancesco Pico della

4.2.

Descartes' Wesensbestimmung des Körpers als Ausdehnung

103

4.3.

N u r Tastsinn erkennt Dreidimensionales (More) . . . .

105

4.4.

Auge erkennt Licht und Farbe (Berkeley) oder nur Farbe

Mirandola, Berkeley und H u m e

(Goethe) 4.5.

100

108

Korpuskulartheorie (Gassendi, Leibniz) u n d sensorium commune

112

Inhaltsverzeichnis

IV.

VII

5. Zusammenfassung

118

Herder oder die Bedeutung des Tastsinns für die Erkenntnis 1. Herders Kritik an der optischen Wahrnehmung 1.1. Distinktheit 1.2. Zerstreutheit 1.3. Täuschbarkeit 1.4. Erkennen mit Bewußtsein 2. Die Leistung des Tastsinns für die Erkenntnis 2.1. Unbewußtes Urteilen 2.2. Vollständigkeit 2.3. Objektive Gewißheit 2.4. Problem der Mitteilbarkeit 3. Unzulänglichkeit sinnlicher Erkenntnis 3.1. Oberflächenwahrnehmung 3.2. Sinneserkenntnis - eine Wahrheit lediglich für uns . . 4. Einheit zwischen den einzelnen Wahrnehmungen stiftende Instanz 4.1. Das Eine: Gefühl oder Seele? 4.2. Sinneswahrnehmung als Modifikation des Gefühls . . . 4.3. Die Seele als Einheit von Reiz, Sinn und Denken . . . 4.4. Das Eine: Gefühl und Seele 5. Welches Vermögen erfaßt die Substanz (= Seele) selbst? . . . 5.1. Bestimmung der Substanz 5.2. Selbstwahrnehmung des Blinden 5.3. Lesen als vermittelte Selbstempfindung 5.4. Fühlen menschlicher Schönheit als Begegnung mit dem Inbegriff seiner selbst 5.5. Vom Selbstgefühl zur Gegenstandserkenntnis 6. Zusammenfassung

123 125 126 127 129 131 133 133 136 136 137 139 139 140 142 143 143 144 146 148 149 152 154 156 161 162

ZWEITER TEIL Menschliche Schönheit — Inbegriff alles Wißbaren Von der Proportion zur Ruhe in der Bewegung V.

Von der Proportion zum je ne sais quoi oder die Subjektivierung der Schönheitserfahrung 1. Erkennbarkeit der Schönheit eines menschlichen Körpers (Thomas von Aquin)

169 170

Vili

Inhaltsverzeichnis

2.

3.

4.

5.

6.

7. VI.

1.1. Erkennbarkeit im Urteil der Forschung 1.2. Proportionsbegriff im Urteil der Forschung 1.3. Erfahrung von Widersprüchlichkeit als Ausgangspunkt für Thomas von Aquin 1.4. Widerspruchsaxiom 1.5. Beurteilung von einzelnem Schönen mit Hilfe des Begriffs Bestimmung der Schönheit des menschlichen Körpers (Thomas von Aquin) 2.1. proportio membrorum 2.2. proportio colorum 2.3. Verschiedenheit in der Verwirklichung von Proportion 2.4. Ist körperliche Versehrtheit Ausdruck seelischer Schlechtigkeit? Ficinos Erhöhung des ^Vuges zum geistigen Vermögen . . . 3.1. Ficinos Urteil über den Tastsinn 3.2. Rezeptivität sinnlicher Wahrnehmung 3.3. Auge sieht Licht selbst 3.4. Angleichung von Auge und Ratio 3.5. Folgen dieser Angleichung Wettstreit der Künste - Vorrang des Tastsinns im 16. Jahrhundert 4.1. Beurteilung des Tastsinns in den Lettere di artisti . . . . 4.2. Varchis ambivalenter Schiedsspruch Ficinos Bestimmung menschlicher Schönheit 5.1. Ablehnung der proportio membrorum 5.2. Schönheit als das eine, in allem erstrahlende Licht . . . 5.3. Angleichung von körperlicher und seelischer Schönheit 5.4. Menschlicher Körper als Offenbarungsort göttlichen Lichts Varchi oder: Grazie ist das Wesen menschlicher Schönheit 6.1. Favorisierung der Grazie 6.2. Grazie inhaltlich unbestimmt 6.3. Weitere Gründe für die Ablehnung der Proportion . . 6.4. Was sich der Berechenbarkeit entzieht, ist schön . . . 6.5. Alternative Schönheitsbestimmungen des menschlichen Körpers vor 1600 Zusammenfassung

Grazie als Ausdruck seelischer Schönheit im 18. Jahrhundert . . 1. Suche nach geistiger Einheit in körperlicher Mannigfaltigkeit seit der Renaissance

170 172 174 175 176 177 179 181 182 183 183 185 186 187 189 190 196 196 197 199 201 204 204 208 209 210 211 213 215 217 219 225 226

Inhaltsverzeichnis 2.

3.

4.

5.

VII.

Schönheitslinie im 18. Jahrhundert 2.1. Hogarths line of grace 2.2. Linie als Ausdruck seelischer Gleichförmigkeit (Mengs) 2.3. Linie als Ausdruck körperlicher Einförmigkeit (Winckelmann) 2.4. Einheit der Linie — gestiftet durch das Gefühl (Sulzer) 2.5. Linie als Ausdruck körperlicher wie seelischer Schönheit (Schiller) Bestimmung seelischer Schönheit im 18. Jahrhundert . . . . 3.1. Geschlechtsspezifisch differenzierte einzelne Bestimmungen (Sulzer) 3.2. Seelische Schönheit: Ruhe in der Bewegung (Goethe vs. Winckelmann) 3.3. Moralische Seelenregung (Schiller) 3.4. Gleichmäßige Bewegtheit des Betrachters (Lessing) . . 3.5. In Auflösung begriffene Einzelseele (Moritz) Herders Schönheitsbestimmung im ideengeschichtlichen Kontext 4.1. Antike Plastik als idealer Gegenstand der Schönheitserfahrung 4.2. Seelische Schönheit: Zustand zwischen Ruhe und Bewegung 4.3. Selbstempfindung garantiert Objektivität der Schönheit 4.4. Elliptische Linie bzw. Ausdehnung Zusammenfassung

IX

229 230 233 234 235 237 239 239 241 245 248 251 254 255 257 258 260 262

Authentisches Fühlen und das Problem sprachlicher Explikation des Gefühlten 1. Bedeutung des Traums für die Explikation der Seele . . . . 1.1. Herder 1.2. Traum als Initiation in Novalis' Heinrich von Ofterdingen 2. Herders Einbildungskraft 2.1. Novalis' Zuordnung der Poesie zum Gefühl 2.2. Bedingungen für die Wirksamkeit der Einbildungskraft in E. T. A. Hoffmanns Goldenem Topf

275

3.

278

Herders Begriff der Synästhesie 3.1. Synästhesie in Novalis' Lehrlingen zu Sais als »eine neue Art von Wahrnehmungen« 3.2. Synästhesie in E. T. A. Hoffmanns Goldenem Topf als eine andere Art von Wahrnehmung

267 267 268 271 273 273

281 282

χ

Inhaltsverzeichnis

4.

Herders »Ton der Empfindung« 4.1. Ton als Stimmung in Novalis' Lehrlingen zu Sais . . . . 4.2. Ton als Auflösung von Dissonanzen in Hölderlins Hyperion 5. Herders Forderung, »das sympathetische Geschöpf in denselben Ton« zu versetzen 5.1. Nichtverstehenwollen als Bedingung für Verstehen in Goethes Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten . . . . 5.2. Unergriindbarkeit des Selbstgefühls in Kleists Marquise von 0 5.3. Vom Leser erwartete Einfühlung in E. T. A. Hoffmanns Goldenem Topf 6. Zusammenfassung

283 284 286 290 291 293 296 299

VIII. Zusammenfassung

303

IX.

315

Literaturverzeichnis

Vorwort

Allen sei herzlich gedankt, die das Zustandekommen vorliegender Arbeit wesentlich befördert haben, an erster Stelle Prof. Dr. Arbogast Schmitt für die Anregung, die Veränderung in der Lehre von den primae et secundae qualitates seit der frühen Neuzeit und ihre Bedeutung für die Wahrnehmungstheorie im 18. Jahrhundert unter ideengeschichtlichem wie systematischem Gesichtspunkt zu erforschen; seine Forschungen zur Rezeption und Umformung des Platonismus (Ideenlehre, Schönheitsbegriff) in der frühen Neuzeit, zur antiken und neuzeitlichen Erkenntnisbegründung sowie zum Allgemeinbegriff bei Aristoteles und im Spätmittelalter bilden den sachlichen Begründungszusammenhang und die Grundlage für die Darstellung dieser Veränderung. Danken möchte ich ebenso Prof. Dr. Jörg Schönert für die Annahme meiner Arbeit als Habilitation, ihre kritische Begutachtung, die wertvollen Vorschläge zur Verbesserung der Anlage der Arbeit und zur Präzisierung ihrer Ergebnisse, vor allem aber für die fachlich wie menschlich vorbildliche Betreuung während des Habilitationsverfahrens. Prof. Dr. Helwig Schmidt-Glintzer bin ich dankbar für die Möglichkeit, meine Arbeit an der Herzog August Bibliothek mit ihren hilfsbereiten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und mit ihrer Infrastruktur fertigstellen zu können, Regina Zimpel für die Texterfassung und die Hilfe bei der Überarbeitung für den Druck, Barbara Plötze für die Durchsicht auf philologische Korrektheit und insbesondere meinem Mann, Dr. Markus Schmitz, für die Durchsicht auf sachliche Korrektheit, Stringenz und für seine Anteilnahme und Geduld. Für die Aufnahme meiner Arbeit in die Reihe »Communicatio« im Max Niemeyer Verlag danke ich den Herausgebern, Prof. Dr. Fritz Nies und Prof. Dr. Wilhelm Voßkamp, für die Anregungen seitens des Verlages, die Lesbarkeit zu verbessern, Annette Söll und Birgitta Zeller-Ebert. Ohne den großzügigen Druckkostenzuschuß der DFG hätte die Arbeit in der vorliegenden Form nicht erscheinen können. Ihr gilt mein abschließender Dank. Ulrike Zeuch Wolfenbüttel, im Frühjahr 1999

I. Einleitung

Leiblichkeit spielt in der theoretischen Begründung postmoderner Ästhetik eine zentrale Rolle. Der Leib wird zum Wirklichkeit konstituierenden Sinn schlechthin. Beim Versuch, die eigene Position historisch zu bestimmen, richtet sich die Aufmerksamkeit auf den Beginn der Moderne, als deren Antithese sich die Postmoderne — nicht im engeren Sinn einer Schule, sondern einer allgemeinen Tendenz — in ihrer Kritik an Rationalität generell versteht. Mehrheitlich wird der Beginn in der Aufklärung angesetzt. 1 Im Nachvollzug der Genese des modernen Selbstverständnisses soll das sichtbar werden, wogegen die Aufklärung sich allererst gewandt habe: das Andere zur Vernunft. Man kann geradezu von einer (Wieder-)Entdeckung eines anderen Gesichts der Aufklärung sprechen. Daß es jetzt entdeckt werde, wird m i t der Krise der Moderne, die wesentlich geprägt sei durch die Vorherrschaft der Vernunft in jedem Erkenntnisvollzug, erklärt. Die Hochschätzung haptischer Erkenntnis legt nahe, das Verhältnis des Tastsinns zu den übrigen Sinnen neu zu definieren. So ist die im 18. Jahrhundert lebhaft geführte Diskussion um die Hierarchie der Sinne neuerdings ins Blickfeld der Forschung getreten. Hierbei handelt es sich um eine Kritik an der Erkenntnisleistung des Auges und eine Umwertung der einzelnen Sinne in ihrer Bedeutung für die Erkenntnis der wahrnehmbaren W e l t und speziell im ästhetischen Bereich für das Erfassen von Schönheit im Kunstwerk. 2 Sie führt zur Aufwertung des bis dahin mehrheitlich als niedrig angesehenen Tastsinns gegenüber den höheren Sinnen: Auge und Ohr. Geruch und Geschmack bleiben aus dem System der Ästhetik weiterhin ausgeschlossen.

1. Herders Beitrag zur Aufwertung des Tastsinns im Urteil der Forschung Bei der Aufwertung des Tastsinns wird Johann Gottfried Herder eine Schlüsselrolle zugesprochen. Unter diesem Vorzeichen erfährt er eine Renaissance. Her-

1 2

Frank, Zwei Jahrhunderte Rationalitätskritik, Utz, Das Auge, und Weisrock, Götterblick.

99—121.

I. Einleitung

2

vorgehoben wird an ihm die dunkle Seite der Aufklärung. 3 Das gewachsene Interesse an diesem Thema dokumentieren die in den letzten Jahren erschienenen Arbeiten nicht nur zu Herders Tastsinn selbst, 4 seiner Ästhetik 5 u. a. im Zusammenhang mit seiner Gedächtnistheorie, 6 seinem Beitrag zur Bildenden Kunst 7 und den Voraussetzungen für die Ausbildung seines Gefühlsbegriffs bei Leibniz, Wolff, Baumgarten 8 und Sulzer, 9 sondern auch zur Neukonzipierung der Sinneshierarchie 10 und Anthropologie im 18. Jahrhundert allgemein. 1 1 Exkurs Ein neues Interesse an Herder und an dem Thema der Sinnlichkeit im 18. Jahrhundert ist seit den 80er Jahren erkennbar. In dem Sammelband Johann Gottfried Herder von 1982 ist dieser Aspekt noch nicht thematisiert. Allerdings merkt Irmscher bereits an, daß Herder mehr noch als im Vierten kritischen Wäldchen »in den Studien zur Plastik aus den Jahren 1769 bis 78 die herkömmliche Hierarchie der Sinnesbereiche auf den Kopf stellen und die Spitzenstellung fur das in der Dunkelheit tastende Gefühl reklamieren« (.Zur Ästhetik des jungen Herder, 66) werde. Bereits früher spricht Irmscher von einer »Umkehrung in der Bewertung der Sinne, mit deren Hilfe sich geradezu Epochenunterschiede in der deutschen Literatur des 18. Jhdts. gewinnen ließen« (Pro-

3

4 5 6 7 8

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Aber schon Stamm, Herder and the Außlärung, 203: »Herder inveighs specifically against the Leibnizian pattern of abstract intellectualism. He will invert the very order of the pattern. He will not thin himself out to fine, abstract distinctness. He will return to the lower, darker, and confused ideas of the whole living senses and passions«. Herder wende sich gegen »the [...] Rationalistic abstraction of mind from the life of sensation and passion« (ebd.). Irmscher, Ästhetik, 62f. u. 75f.; Adler, Prägnanz, 1 0 1 - 1 2 5 . Irmscher, Ästhetik; Adler, Prägnanz, 8 8 - 1 4 9 . Simon, Das Gedächtnis der Interpretation, 227ff. Spemann, Plastisches Gestalten, 2 0 - 4 4 . Adler, Prägnanz, zu Leibniz 2 - 1 1 , Wolff 1 1 - 2 6 , Baumgarten 2 6 - 4 8 ; Solms, Disciplina aesthetica, zu Baumgarten, Leibniz und Wolff, 37ff., zu Baumgarten und Herder, 103f. Riedel, Erkennen und Empfinden, 4 1 0 - 4 3 9 Irmscher, Ästhetik, nennt als mögliche Quellen für Herders »in jener Zeit [ . . . ] singulare Psychologie« die »Tradition des Empirismus von Bacon und Locke bis hin zum Sensualismus eines Condillac« (63); aus den Schriften Bacons habe Herder exzerpiert, Lockes Essay Concerning Human Understanding von 1690 werde er zumindest aus Kants Vorlesungen gekannt haben (ebd.); ausdrücklich nennt Irmscher Berkeleys Essay towards a New Theory of Vision von 1709, Diderots Lettre sur les aveugles à l'usage de ceux qui voient von 1749 sowie der Lettre sur les sourds et muets von 1751, Condillacs Traité des sensations von 1754 — eine Schrift, von der nicht erwiesen sei, ob Herder sie 1769, zur Zeit der Abfassung seines Vierten kritischen Wäldchens, schon gekannt habe (64f.), sowie Rousseaus Emile ou de l'éducation von 1762 (65). Die Bedeutung der von Irmscher genannten Schriften für Herders Neukonzipierung der Sinneshierarchie, bes. die Diderots, ist in der Forschung immer wieder hervorgehoben worden; hierzu Immerwahr, Diderot. Zum Molyneux-Problem, an das Herder »mit seiner Theorie der Sinne« (56) anknüpfe, und zum diesbezüglichen Thema bei Locke, Diderot, Berkeley u.a. Heinz, Sensualistischer Idealismus, 57Í. Laut Häfner, Herder und Morelly, verdankt Herder Morelly »bestimmte inhaltliche und, was die Dominanz des Gefühlssinns betrifft, auch systematische Anregungen, die in seine psychologischen Studien um 1770 Eingang gefunden haben« (346); auch Häfner, Johann Gottfried Herders Kulturentstehungslehre, 133-137. In dem Sammelband Leib-Zeichen.

1. Herders Beitrag zur Aufwertung des Tastsinns im Urteil der Forschung

3

bleme der Herder-Forschung, 284). Zu derselben Feststellung kommen Weisrock (Götterblick, 32), Trabant (Herder's Discovery, 357f.), Riedel (Anthropologie und Literatur, 123f. u. I48f.) und Mülder-Bach, der zufolge Herder »in der deutschen Tradition [...] der erste [ist], der die sensualistische >Kritik der Sinne< nicht allein zur Kenntnis nimmt, sondern theoretisch verarbeitet und fortfuhrt« (Eine »neue Logik für den Liebhaber«, 352). Trabant bestätigt zwar, daß Herder »eine Hierarchisierung der Sinne, vor allem die Höherstellung des Auges«, ablehne, hebt dann aber die besondere Stellung hervor, die Herder dem Ohr zuweist: »Das Ohr, in der europäischen Tradition vorwiegend als soziales, ethisches, kommunikatives Organ angesehen, wird bei Herder ein welterschließendes, erkennendes, kognitives Organ« (Der akroamatische Leibniz, 65); laut Trabant hat Leibniz, indem er die petites perceptions - Grundlage des Erkennens - als »im wesentlichen akustische Eindrücke« (ebd., 67f.) versteht, Herders Hochschätzung des Ohrs sachlich entscheidend vorbereitet. Ähnlich argumentiert auch Utz: »Herders Aufwertung des Ohrs ist [...] die kritische Reaktion auf eines der fundamentalen Defizite des Sinnesdiskurses [...]: den Verlust als Wahrnehmungstotalität. Gleichzeitig ist sie aber auch, wie sein Plädoyer für den Tastsinn im Aufsatz über Plastik, eine Polemik gegen das Auge« (Das Auge, 23). Schon Solms bestätigt zwar die allgemeine Überzeugung, daß Herder die Sinne (Disciplina aesthetica, 138), vor allem den Tastsinn »als Erkenntnisorgan der eigenen Leiblichkeit und der einzigen Quelle der Gewißheit humaner Existenz« (194) rehabilitiere, betont dann aber die Vorrangstellung des Ohrs innerhalb Herders Hierarchie der Sinne; das Ohr werde bei ihm zum »Paradigma sinnlicher Wahrnehmung« (212); Herders, im Vierten kritischen Wäldchen dargelegte Hörtheorie stehe jedenfalls »in ihrer Bedeutung in nichts dem nach, was in der >Plastik< über den Tastsinn entwickelt ist« (233). Doch auch Solms hält die »Unmittelbarkeit des sinnlichen Kontakts mit dem wahrzunehmenden Gegenstand« (142) fur das Kriterium, an dem sich Herder bei der Neukonstituierung der Sinneshierarchie orientiert; auf der Unmittelbarkeit beruhe seine zentrale Bedeutung. Adler betont neben der wahrnehmungstheoretischen Bedeutung des Tastsinns, »dem Dunklen zu seinem Recht zu verhelfen« (Prägnanz, 103) - das laut Adler zentrale Anliegen von Herder (Herders Holismus, 37) - , dessen ästhetische Bedeutung: Da »der haptische Sinn der erste, den anderen zugrundeliegende« sei, müsse auch der aus diesem entwickelte »Schönheitsbegriff fiir die anderen Sinne und Künste in gewisser Weise grundlegend sein« (Prägnanz, 112); allerdings sei ihm der Nachweis nicht ganz überzeugend gelungen (111 u. 115); auch Utz sieht Mängel: Herder versäume, »mit seinem auf den Tastsinn gegründeten Schönheitsbegriff eine Ästhetik des ganzen Körpers anzustreben. Stattdessen postuliert er für Auge, Ohr und Hand je separate Schönheitsbegriffe und legitimiert damit ästhetisch die naturwissenschaftliche Zersplitterung des Sinne« (Das Auge, 21). Wie Adler betont Pfotenhauer die zentrale Bedeutung des Tastsinns für Herders Anthropologie und Ästhetik (Um 1800, 85ff. u. 210ff.). Laut Braungart finden sich in Herders Auffassung von der »Konstituierung des Subjektes aus der Taktilität« (Leibhafter Sinn, 70) gar »Ansätze einer den Körper ernst nehmenden voridealistischen Subjektphilosophie, deren Konsequenzen, wie es scheint, noch kaum ausgedeutet sind« (72); ähnlich urteilt Heinz; sie sieht Herders Originalität vor allem in seinen »philosophischen Systemprogrammen, deren zentrale Thematik der Versuch einer Synthese von Sensualismus und Idealismus darstellt« (Sensualistischer Idealismus, XV). Dabei erfahre die äußere Sinnlichkeit gegenüber Leibniz eine »entscheidende Aufwertung: Die externen Relationen sind zu den Faktoren geworden, die den Status des Inneren bestimmen« (49)·

I.

4

Einleitung

In Herder scheint demnach ein sachlicher Vorläufer postmoderner Leiblichkeit gefunden. Nicht jedoch ist damit eine Antwort gegeben auf die Frage - und sie betrifft Herders Ästhetik wie die der Postmoderne als allgemeiner antirationalistischer Tendenz gleichermaßen —, was die historischen Voraussetzungen hierfür sind· 1 2 Eine Klärung der Voraussetzungen scheint deshalb notwendig, da sie Inkonsistenzen in Herders Konzeption des Tastsinns zu erhellen verspricht, die bislang ungelöst sind; vor allem gilt dies für Herders Gefühlsbegriff. 1 3 Der Grund dafür, daß diese Frage bis heute noch nicht eingehend untersucht worden ist, scheint mir im Ansatz der Postmoderne wie der Forschung zu Herder selbst zu liegen, da er den Blick auf historische Determinanten erschwert. Dies sei im folgenden kurz erläutert.

2. Postmoderne und neue Leiblichkeit Das Interesse an der dunklen Seite der Aufklärung steht im Zusammenhang mit einer seit den 80er Jahren lebhaft geführten Diskussion über Möglichkeiten ganzheitlichen Erfahrens in der heutigen Zeit. 1 4 Gesucht wird nach einem un12

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Irmscher, Ästhetik, sieht hierin in den 80er Jahren noch ein Desiderat der Forschung: »Die persönlichen Bedingungen, unter denen sich bei Herder diese Gedanken (sc. einer Erweiterung des Tastsinns »zum universellen Organ der Erfassung nicht nur der Schönheit, sondern gestalthaften Seins schlechthin« [75]) entfalten konnten, lassen sich umschreiben. Schwieriger ist es, die objektiven, historischen Voraussetzungen anzugeben, unter denen sie sich bilden [ . . . ] Hier muß die weitere Forschung ansetzen« (76). Dieses Desiderat ist fur Herders unmittelbare Vorläufer zwar behoben, nicht jedoch für den historisch weiter zurückreichenden Wirkungszusammenhang. Auch Adler geht es nicht vorrangig um die »Provenienz von Elementen Herderschen Denkens [. . .], sondern seine Konsistenz im Ausgangspunkt und in der beharrlichen Beibehaltung« (Prägnanz, X). Auf einen sachlichen Vorläufer von Herders Plastik hat Schräder, Sinne und Sinnesverknüpfung, zumindest aufmerksam gemacht, auf Benedetto Varchis Lezzione nella quale si disputa della maggioranza delle arti e qual sia più nobile, la scultura o la pittura von 1547 und dessen Aufwertung des Tastsinns zum eigentlichen Kunstsinn (205f.). Pfotenhauer, Um 1800, weist ebenfalls auf diese Schrift von Varchi und den durch sie ausgelösten Disput hin, 86, Anm. 15, und schreibt dazu: »Schon im Cinquecento gab es den paragone der bildenden Künste; und der Vorrang der Bildhauerei vor der Malerei wurde schon damals, ähnlich wie dann bei Herder, damit begründet, daß die Skulptur, im Gegensatz zum bloßen Schein, zur täuschenden Evokation von Räumen und Körpern in der Malerei, sich selbst repräsentiere, und daß man sie anfassen könne, daß sie greifbare Realität sei« (85f.). Häfner, Herders Kulturentstehungslehre, 125f., erwähnt Tommaso Campanellas Schrift De sensu rerum et magia von 1620 als mögliche Quelle. Laut Heinz, Sensualistischer Idealismus, 49, Anm. 24, gibt es »zum Begriff des Gefühls in der deutschen Philosophie und Psychologie des 18. Jahrhunderts [ . . . ] keine zusammenfassende Darstellung. >Gefühl< wird weitgehend, jedoch nicht ausschließlich synonym mit lateinisch tactus gebraucht«. Im weiteren Sinne stehe dieser Begriff fur verschiedene Weisen der Empfindung (50, Anm. 24). So Schipperges, Kosmos: »Erst in unseren Tagen haben wir wieder ein Gespür bekommen für das grandiose Szenarium menschlicher Leibhaftigkeit und auch Leidensfahigkeit [ . . . ] Wir finden ein überraschend geschlossenes Netzwerk von anthropologischen Bezügen, die wiederum als heuristisches Muster dienen könnten fur einen weitgehend

2. Postmoderne und neue Leiblichkeit

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mittelbar und ungeteilt wahrnehmenden Sinn. 1 5 Leisten soll dieser Sinn die geforderte Ganzheitlichkeit als Zentrum synästhetischer Wahrnehmungen in einem (noch) ungeschiedenen Zugleich sämtlicher Wahrnehmungen der fünf

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verdrängten Zugang zum Leibe, zur Leiblichkeit als der zentralen Kategorie menschlicher Wirklichkeit [...]« (471), und Hoffmann-Axthelm, Sinnesarbeit·. »Zutreffendes Wahrnehmen setzte Gelöstheit und Öffnung zwischen mir und dem Wahrgenommenen voraus, ein Zusammengehören« (13)· Doch so nehmen wir laut Hoffmann-Axthelm heute nicht wahr. »Was immer wir wahrnehmen, nehmen wir durch einen Abbruch der Beziehungen hindurch wahr, der vor uns da ist, als gesellschaftliche Bedingung. Der Bruch liegt zwischen mir und den anderen, zwischen mir und der Natur, mir und meinem Körper [...]« (14). Dennoch sei »die Fiktion der einheitlichen Anwesenheit meiner selbst und entsprechend einer einheitlichen Wirklichkeit [...] aber da und wird nicht fallengelassen, obwohl ständig widerlegt. Es existiert das Bedürfnis nach Wahrnehmungsganzheit« (16). Auch Utz, Das Auge, meint: »Die Widersprüche der eigenen Wahrnehmung werden zum Anlaß historischer und ästhetischer Reflexion, heute wie in der Goethezeit. Im Eisenbahnwagen [...] werde ich mir bewußt, daß Glaswände nicht nur zwischen mir und dem anderen stehen. Sie stehen nicht nur außen, sondern auch innen, zwischen meinen eigenen Sinnen« (11). Utz benutzt, wie schon Hoffmann-Axthelm, Sinnesarbeit, 59f-, die Glaswand als Metapher für die Entfremdung der Wahrnehmung, insbesondere des Auges, vom Gegenstand (d.h. eigentlich: vom eigenen Selbst). Peper, Postmodernismus, zeigt, daß die Suche nach Möglichkeiten einer »unitary sensibility als Ausdruck einer postmodernistischen Totalwirklichkeit« (204) sich keineswegs auf den Bereich der Kunst beschränkt, sondern gerade darin eines ihrer Ziele sieht, auch die Spaltungen zwischen Kunst und Leben (185 und 206 u.a.) in gesellschaftspolitischer Hinsicht zu überwinden; Dezentralisierung, Egalisierung, Emanzipation, Demokratisierung (192, 195 u.a.) sind die Stichwörter; es gehe um den »Abbau der klassischen Erkenntnispyramide« zugunsten der Sinne (185f.), innerhalb der Sinneshierarchie zugunsten des Tastsinns gegen ein verdinglichendes perspektivisches Sehen (194f.), gegen lineares, sukzessives Sehen bzw. Hören zugunsten eines simultan wahrnehmenden; Sinnesreize sollten beliebig kombinierbar sein — um einer totalen Erfassung des Menschen willen (190). Kritisch merkt Peper hierzu an, das diesen Forderungen zugrundeliegende Menschenbild sei »post-individualistisch, genauer: sub-individualistisch« (191), es handele sich hierbei um einen »Regressionsprozeß [...] in Richtung auf eine Körper-Id-Einheit« (199), und er sieht darin eine Gefahr: »Eine im Namen der Selbstverwirklichung zunehmend von Ich und Uber-Ich emanzipierte Irrationalität verlangt nicht nur, sondern ermöglicht zuallererst ihre zunehmend effiziente Kontrolle durch die technische Rationalität« (218). Peper bezieht sich in seinem Aufsatz auf Publikationen vor 1975. Die Forderung nach einem ganzheitlich wahrnehmenden Sinn hat in der Nachfolgezeit nichts an Aktualität eingebüßt, vielmehr noch zugenommen. Hoffmann-Axthelm zufolge, Sinnesarbeit', ist Wahrnehmen »unzweideutig körperlich« (18), wobei mit >körperlich wahrnehmen< >ganzheitlich, ungeteilt, unmittelbar sich selbst und die Außenwelt wahrnehmen< gemeint ist (409). Aber, so wendet Hoffmann-Axthelm ein, »im Wahrnehmungsgebrauch verschwindet der Körper, er ist im Normalfall abgeblendetes Instrument« (18). Es gelte, sein Verschwinden rückgängig zu machen: »Daß die Gegenstände blaß bleiben, unplastisch, nur in ihren Merkmalen der Befriedigung vorhanden, das sagt nichts anderes, als daß sie unkörperlich bleiben: daß es mir nicht oder nur zu spät oder nur in gebrochener Form gelingt, meine Wünsche in ihnen verkörpert zu finden und damit mich selbst wahrnehmend in ihnen zu verkörpern. Und das ist es doch eigentlich, was ich, wahrnehmend, will« (19). Mit HoffmannAxthelm halten die einen den Körper dazu befähigt, ganzheitlich wahrzunehmen, die anderen vorzugsweise das Auge, so etwa H. Böhme, Sinne und Blick, 27—62; um ganzheitlich wahrnehmen zu können, müsse der Mensch sein von anderem abgegrenztes Selbst aufgeben zugunsten eines »kontinuierlichen Gleitenfs], [das] die

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1. Einleitung

Sinne, 1 6 oder indem er so sieht und hört, wie der Körper f ü h l t . 1 7 Damit wird beiden, dem Körper als einer A r t Gemeinsinn wie dem Tastsinn, dieselbe Leistung — dieses Wort wird kritisch beanstandet mit dem Hinweis auf die totalitären Strukturen der heutigen Leistungsgesellschaft — 18 zugesprochen.

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Dinge und Lebewesen aneinanderffüge]. Was ist, ist nicht In-dividuum, sondern Übergang, nicht Hiatus, sondern Durchweichung. Will man die Seinsart der Dinge erfassen, fuhrt unser Wahrnehmen und Denken in die Irre, das kompakte und diskrete Einheiten schafft und Zusammenhang erst durch hinzutretende Kausalität vermittelt« (28f.); Starobinski, Das Leben der Augen·. Sich auf das Wesen der Sinne zu besinnen sei hinreichend, den Verlust an Ganzheitlichkeit wieder gut zu machen: »Der Wille zur Abgrenzung, zur Geometrisierung, zur Fixierung stabiler Verhältnisse läßt sich nicht ohne eine zusätzliche Gewalttat im Verhältnis zur natürlichen Erfahrung der Blicke durchsetzen. [ . . . ] Nur mit Mühe hält sich der Blick an die reine Feststellung der Erscheinungen. Es liegt in seinem Wesen selbst, mehr zu verlangen. Tatsächlich wohnt eine solche Ungeduld in allen Sinnen. Jenseits der üblichen Synästhesien strebt ein jeder Sinn danach, seine Kraft auszutauschen« (7). Ein derartiges Sehen geht laut Starobinski mit der »Abdankung unseres Willens« (6) einher. So entwirft Mattenklott, Auge, ein Bild dieses Zugleichs, wie es einmal in der Archaik, »in den Mysterien und Ritualen der Alten und in den Naturreligionen« (235) bestanden habe; er meint zwar, daß diese nicht mehr wiederzubeleben seien, ist jedoch zuversichtlich, daß es auch heute noch möglich sei, »mit allen Sinnen selbst aktiv werden« (239) zu können. Auch Hoffmann-Axthelm, Sinnesarbeit, gilt »die Herstellung einer umhüllenden Ganzheit, in der alles eingeordnet ist, seinen Platz hat, oder findet«, die »Einheit wahrgenommener Wirklichkeit« als erstrebenswert, selbst wenn diese erst einmal unerfüllt bleibe und sich bislang nur herstelle in wechselnden Bildern »gegeneinander abgeschütteter Wahrnehmungstätigkeiten« (16). Boehm, Bildsinn, fordert eine Sehfähigkeit, die, »aus der starren Funktion des Konstatierens und des Überblickens befreit« (125), zu keinen fixierbaren Sehergebnissen komme, sondern versuche, »das Potential einer Sinnesvielfalt in den Blick zu nehmen, die von den Bedingungen ihres sinnlichen Erscheinens prinzipiell nicht abzulösen ist [ . . . ] « (126). Hierzu müsse das Sehen — an dieser Stelle beruft sich Boehm (126f.) auf Fiedler (Schriften zur Kunst, Bd. 1, 183ff.) - umschlagen in eine Tätigkeit der Hand, die das Gesehene fortschreibe, noch ehe das Gesehene vergegenständlicht worden sei (127). Dieser Umschlag impliziere letztlich »einen Kern von Blindheit«: »Was die gestaltende Hand schöpferisch >ertastetSinn der M i t t e s geübt wird und die dauernde unbewußte Rückkopplung des weitgehend exzentrischen Sehens zu dem zentrischen, auf den engen Körperraum bezogenen Tasten noch funktioniert« (43). Hoffmann-Axthelm, Sinnesarbeit, 29ff. u. 177f.

2. Postmoderne und neue Leiblichkeit

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Verbunden mit dem Ruf nach Unmittelbarkeit der Wahrnehmung ist die Klage über die Entfremdung der Sinne vom Objekt der Wahrnehmung - auch vom eigenen Körper — im allgemeinen, 1 9 des Auges im besonderen. 20 Verursacht sei die Entfremdung durch eine Hierarchisierung und Aufspaltung der Sinne in einzelne Kompetenzbereiche 21 und die Bevorzugung des Auges vor den übrigen, die damit verbundene Vereinseitigung und Einschränkung des Wahrnehmungsfeldes auf die sichtbare Welt unter Hintansetzung des Ohrs, 2 2 des Tastsinns 23 bzw. der Restsinne, 24 die Spiritualisierung des Sehsinnes, die mit einer Tabuisierung der dunkleren Sinne einhergegangen sei, 25 und schließlich: die Selbsterhe-

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Sammelbände Die Wiederkehr des Körpers und Das Schwinden der Sinne; Schipperges, Kosmos, 19; Spemann, Plastisches Gestalten, 176f.; Hoffmann-Axthelm, Sinnesarbeit, meint, daß der gesellschaftlichen Objektivität, wie sie sich heute darstelle, »enorme Isolierungsprozesse zugrundeliegen«; jeder Mensch sei nun »für sich auf die wahrzunehmende Objektivität bezogen«; dem entspreche eine »Isolierung der Sinnestätigkeit gegenüber dem Wahrnehmungsganzen« (31). Boehm, Bildsinn·. Das Auge habe eine »unabwendbare Tendenz zum Begriff« (120); es »objektiviert und theoretisiert von sich aus, insofern es dahin tendiert, die Entwicklung seiner Wahrnehmungen von allen Schlacken motorischer Herkunft zu reinigen« (122); es werde, seiner »eigenen Dynamik der Sinndarstellung« (119), die in »einer genuinen, aus Begriff und Verstand nicht abzuleitenden Sinnesleistung« (ebd.), in einem Wechselspiel zwischen Simultaneität und Sukzessivität bestehe (128ff.), beraubt, zur Kamera, die die Gegenstände auf Distanz halte (119); es lasse »aus dem Fluß der sinnlichen Erscheinungen die fixen und meßbaren Aspekte zu einem Gerüst der Gegebenheit erstarren« (123). Auch Kamper und Wulf, Parabel, konstatieren eine Entfremdung des Auges von seinem Gegenstand; diese habe eine lange Geschichte. Der nachmittelalterliche Zivilisationsprozeß (12f.) habe zur Distanzierung des Menschen von seinem eigenen Körper, aber auch von anderen Menschen geführt: »Die Nahsinne verkümmerten, die Fernsinne (besonders das Auge) wurden bevorzugt« (13); auch Kamper, Transzendenz der Sinne, 352. Zum Vorwurf, das Auge sei heute distanziert und kalt, instrumentalisiere, kontrolliere, sei mittelbar, ohne Bezug zu den Bildern, die es sehe, Mattenklott, Auge, 224 und 227f., H. Böhme, Sinne, 40, Wulf, Das gefährdete Auge, 22, 24, 27ff. u. 4 0 - 4 2 , HoffmannAxthelm, Sinnesarbeit, 34, 36 u. f., sowie Utz, Das Auge, 7f. Kamper, Transzendenz der Sinne: Die Sinne arbeiteten nur dann »sinnvoll [...], wenn sie isoliert« seien; deshalb steuerten »die Strategien des Subjekts auf Trennung« (345f.), und Utz, Das Auge: »Wo sie (sc. die menschliche Wahrnehmung) in fünf Sinne arbeitsteilig parzelliert wird, zerfällt nicht nur der wahrnehmende, sondern auch der wahrgenommene Körper in seine Teile« (15). Die Folge sei eine »manifeste Verhärtung der Sinnesgrenzen« (202). Schuhmacher-Chilla, Wenn das Auge, 45; das Auge habe alle Sinne, an erster Stelle jedoch das Ohr »übertrumpft«. Manthey, Wenn Blicke zeugen könnten'. » Wir denken bei der Erwähnung des >AugeHand-Feldes< gewiß zuerst an die anthropologischen Determinanten eines ursprünglich als gleichgewichtig anzunehmenden Verhältnisses, das sich historisch zugunsten des Auges, des Sehens, verschoben hat« (203). Diese Vorherrschaft des Auges ist, so Hoffmann-Axthelm, Sinnesarbeit, gewalttätig; das Auge »[...] beruhigt sich keineswegs zu einem selbstverständlichen Zustand - schon deshalb nicht, weil das Sehen das nie einlösen kann, was es sich, um zur Herrschaft zu kommen, vorher abgeschnitten hat. Die Schnitte bleiben spürbar und aktualisieren sich fortwährend. Vor allem die Trennung von Sehen und Anfassen« (58). Mattenklott, Auge, 235f., und Wulf, Das gefährdete Auge, 22ff. Kamper und Wulf, Blickwende, l l f .

I. Einleitung

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bung der Vernunft über die Sinne; erst diese habe, indem sie alles nicht zu ihr Gehörende ausgegrenzt und entwertet habe, die Sinne zu etwas Irrationalem, Dämonischem, Dunklem gemacht. 2 6 Der Vorwurf, die Dominanz der Vernunft über die Sinne sei eine Form von Gewalt 2 7 und von Totalitarismus, kulminiert in der Feststellung: »Unser Dualismus zwischen einer nur noch gedachten Instanz Mensch und einem nur noch körperlichen Tierreich ist eine historische Grundverirrung nach dem Modell der Segregation. Und Segregation ist immer schon ein Beginn von >AuschwitzHaut< steht für >Tastsinnleistungsbezogenen< Sehen - davon unterschieden wird ein >anschaulichesGefuhl< im Sinne von Gemütsbewegung« (180); auch 190. Anders jedoch als Haym sieht Markwardt in der Plastik von 1778, »mehr erweitert als vertieft, im Wesentlichen das Ergebnis des vierten Wäldchens festgehalten« (185). Schon Stöcker, Kunstanschauung, meint, Herders spätere Schriften, vor allem die Plastik, würden »sich im wesentlichen mit dem >vierten Kritischen Wäldchen< gegen Riedel« decken (54). Haym beurteilt diesen Fortschritt negativ, als einen erschlichenen, weil Herder die zwei Bedeutungen nicht klar voneinander unterscheide (Herder, Bd. 2, 70). »Unvermerkt wird dem tastenden Finger die tastende Seele untergeschoben und, statt einfach von dem Körper, als unmittelbarem Gegenstand des Gefühls, von dem >lebendigen< Körper gesprochen« (ebd.). An anderer Stelle (Bd. 1, 349) fällt das Urteil wesentlich milder aus: Herder gehe »in beachtenswerthem Fortschritt über das im Vierten Wäldchen Entwickelte« hinaus, indem er den »sensualistischen Gesichtspunkt« mit einem idealistischen - das Schöne als Ausdruck eines Geistigen - verbinde. Mit Haym stimmt Widmaier, Ansichten, darin überein, daß im Vierten kritischen Wäldchen der Tastsinn ein sensuelles Vermögen sei (64); anders jedoch als Haym sieht Widmaier die Plastik (1778) »noch ganz im Schatten des Kritischen Wäldchens« (143); »die allzu starke physiologische Tendenz« im Vierten kritischen Wäldchen mäßige sich erst in späteren Werken (147). »Das Ideelle, das wir im IV. Kr.W. noch zu sehr vermissten, tritt in den Vordergrund, die Aesthetik der Kalligone ist in geistigere Höhen hinaufgeführt worden« (ebd.). Etwas weiter jedoch spricht Widmaier von »eine[r] innerlich doch sehr bedeutsamefn] Weiterbildung« zwischen dem Wäldchen und der Plastik (149f ); »[· · ·] so sehr Herder auch in der Plastik an der sensualistischen Grundidee festhält, so rückt er das Ziel der Bildhauerkunst doch höher, in dem er jetzt verlangt, daß sie die Schönheit der Seele darzustellen habe. Der allzu sinnlich grobe Tastgenuss gleitet allmählich ins geistig Schöne hinüber, der Finger ertastet sich nicht mehr blos (sie) ein formvollendetes Bündel Muskeln, sondern erfühlt sich die lebendige Seele aus der schönen Form« (150). Widmaier spricht in diesem Zusammenhang von einer »Vermengung sensualistisch-physischer und metaphysischer Tendenzen« (ebd.).

3. Herders Konzeption des Tastsinns im Urteil der Forschung

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keit und [ . . . ] allzu geistigen Fühlbarkeit«. 73 Daß Herders Gefühlsbegriff zweideutig sei, gilt seit Haym lange als unbestritten, 74 so etwa bei May, 75 Küntzel, 7 6 Schweitzer 77 und von Wiese. 7 8 Noch Solms spricht von Ambivalenz in bezug auf Herders Gefühlsbegriff, der einerseits »die ausgebildete Fähigkeit

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Haym, Herder, Bd. 2, 70. Haym fuhrt in diesem Zusammenhang Herders Äußerung Lavater gegenüber an, daß er ein »flüchtiges Auge und ein ungewisses inneres Fassungsvermögen für Gestalten« habe, und schließt daraus: »Darum eben [...] steifte er sich einerseits auf die Gründlichkeit und Körperlichkeit des Tastsinns, verwandelte er andrerseits diese Körperlichkeit in die sublimste Innerlichkeit« (ebd.). Adler, Prägnanz, weist Hayms psychologisches Argument zurück. Festzustellen sei nur, »daß Herder theoretische Probleme hat, einige Elemente der Bildhauerei rigoros dem Tastsinn zuzuordnen« (111). Chrobok, Grundgedanken. Herder spiele in der Plastik das »Uebergewicht des Gefühls beim Tasten, das er aus den Qualitäten raumkörperlicher Wahrnehmung des Tastsinns erst zu beweisen suchte, jetzt selber als Grund fur die höhere Bewertung des Tastsinns« aus; der in der Sprache gegebene »Doppelsinn« habe das Seinige zur »Theorie Herders« hinzugetan: »Teils sind ihm Gefühle nur Tastempfindungen, teils Elemente der Gemütsbewegung. Dadurch aber, daß das Wort in diesem letzten Sinne zum Ausdruck der Gemütselemente geworden ist, andererseits aber auch seine Bedeutung als Tastempfindung behalten hat, wird durch Herder sehr leicht das erstere für das letztere ausgespielt. Führt er diesen Ausdruck irgendwo in der Beweisführung zur Bezeichnung der Tastempfindung ein, gleich schlüpft auch die Bedeutung als Gemütselement mit unter und fungiert zum Beweise als ein ursprünglich nur mit dem Tastsinn verbundenes Ferment« (36). Die Ursache für die begriffliche Ungenauigkeit sieht Chrobok in Herders Persönlichkeit begründet: Herder könne »nicht anders denken, als er fühlt, und er fühlt, daß das >Erkennen und Empfinden« nur Eines ist. So braucht man es mit den Worten nicht genau zu nehmen [...] Er hat bei Weitem mehr zu sagen, als er auszudrücken vermag, darum das Gleiten der Worte, die Beweglichkeit der Begriffe. Das spekulative Sezieren von Wort und Begriff war nicht seine Sache [...]« (15). Götz, Herder als Psycholog, konstatiert lediglich, Herder sei nicht konsequent im Gebrauch der Begriffe >Gefühl< und >EmpfindungGefühl< nennen, bezeichnete er sehr oft als >EmpfindungGefiihl Tastsinn« als >GefuhlssinnPlastik>, setzt den Wandel allerdings, anders als Haym, zwischen den beiden Abfassungen der Plastik von 1770 und 1778 an. Clark, Herder, fuhrt diesen Unterschied in den beiden Fassungen der Plastik von 1770 bzw. 1778 auf die dazwischenliegende Lektüre von Albrecht von Haller zurück (218); Salmony, Philosophie, hingegen meint, daß die Plastik »in der definitiven Fassung von 1778 überhaupt keinen wesentlichen Gedanken bringt, der nicht schon in den Aufsätzen von 1768-1770 steht« (200). Sie könne »überhaupt kein Dokument der Entwicklung Herders von 1769 bis 1778, kein Ausdruck der Wandlung in Herders Anschauung sein« (ebd.); in Salmonys Sinne schon Widmaier, Ansichten: Die Plastik von 1770 habe »in den späteren Jahren nur mehr eine formelle Redaktion in Bückeburg und Weimar gefunden« (148). Wiese, Herder, 59.

/. Einleitung

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der Hand als Tastsinn«, andererseits Wahrnehmung der eigenen Leiblichkeit 79

meine. Laut Berger liegt weder ein Wandel noch eine Ambivalenz vor. 8 0 Zwar unterscheidet auch er zunächst zwei Sinne, den Tastsinn, der »die äußere Berührung« vermittle, und das »>Gefühl< im weiteren Sinn«, das hindeute »auf die innere Umgreifung und Erspürung bedeutsamer Gehalte«; allerdings seien die Grenzen zwischen beiden Gefuhlsarten fließend, weil Herder »bei beiden Sinnen wechselweise auch den Ausdruck >empfinden< verwendet«. 8 1 So kommt Berget trotz seiner Unterscheidung in zwei Sinne zu dem Schluß, Herders >Gefühl< sei »jenes totale Vermögen der Seele, durch das die unbewußte Berührung von Seele und Welt vor sich geht, ohne daß eine Differenzierung im Bereich der äußeren Sinne noch in dem der inneren, geistigen Sinnrichtungen vor sich gegangen ist«,82

Ähnlich

urteilt auch Fugate, indem er direkt auf Berger Bezug n i m m t . 8 3 Weder Berger noch Fugate fragen sich allerdings, weshalb Herder anscheinend zunächst zwischen äußerer und innerer Wahrnehmung begrifflich wie sachlich unterschieden hat. Salmony zieht den nach Berger durchaus naheliegenden Schluß, Tastsinn und Gefühl seien Synonyma. 8 4 Das Problem scheint damit gelöst: Herders Gefühl ist ein Vermögen mit zwei verschiedenen Aspekten. In diesem Sinne argumentieren Irmscher, Adler 8 5 und Heinz. 8 6 Zwar schwankt, so Irmscher, in Herders Sprachgebrauch »das Wort >Gefühl< [ . . . ] zwischen der Bedeutung von innerer Empfindung und Tastsinn (dem Sinn für die Realität)«, aber nur des19 80 81

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Solms, Disciplina aesthetica, 194. Berger, Menschenbild, 86. Berger, Menschenbild, ebd.; auch Chrobok, Grundgedanken·. »Kein Wort ist bei Herder so schwankender Bedeutung ausgesetzt, wie die Ausdrücke >EmpfindungGefühIouter feeling< (äussere Gefühl). But in the broad sense feeling (Gefühl) refers to an internal comprehension [ . . . ] Feeling for Herder [...] becomes an all-inclusive concept, embracing both the inner and outer activity of the soul« (40). Fugate spricht auch davon, daß es »no dichotomy between the >outer< and the >innerGefiihl< zumeist den Tastsinn«. Adler, Prägnanz, 116, weist Hayms These von der Ambivalenz entschieden zurück. Stattdessen betont er, daß »die Bedingung des Tastens [ . . . ] die Kooperation von äußerem und innerem Sinn« sei; im Tasten konvergierten »Eindruck und dunkle Erkenntnis des Eindrucks«. Heinz, Sensualistischer Idealismus, 101: Sowohl den tastenden Sinn wie das Sich-selbstEmpfinden als tastenden Körper bezeichne Herder als >GefuhlGetastGefühl< bezeichnet Herder ja nicht allein den zu besonderer Feinheit ausgebildeten Tastsinn der Hand, sondern darüber hinaus auch die Art und Weise, wie der Mensch seinen Körper als den je eigenen, als ein Stück im Widerstand sich meldender Realität, aber auch als von ihm erfüllte und beherrschte Leiblichkeit unmittelbar innehat. Gefühl ist bei ihm der zum Erkenntnisorgan erhobene Sinn für die eigene Leiblichkeit« (32f.). Diese »Erfahrung der eigenen Leiblichkeit« werde zum »einzig verläßlichen Ursprung der Selbst- und Welterkenntnis« (33); Irmscher, Johann Gottfried Herder, 528: Die im eigenen Körper durch das Gefühl »erschlossene Körperlichkeit ist gleichsam das Apriori jeder Erfahrung von Wirklichkeit«. Irmscher, Ästhetik, 75. Irmscher, Herder-Forschung, 285; schon Haym, Herder, Bd. 1, 349: Herder sei, »durch die reicheren Anschauungen, die Paris ihm bot, dazu angeregt«, der Frage genauer nachgegangen, worin der Unterschied zwischen »der Kunst fürs Gefühl und der Kunst fürs Auge« bestehe und »was für die Eigenthümlichkeit der Sculptur als der fürs Gefühl bestimmten Kunst« sich hieraus ergebe. Diese reicheren Anschauungen führten, so Haym, zur Veränderung des Gefühlsbegriffs (ebd.); Küntzel, Johann Gottfried Herder, 24, führt den Wandel im Gefühlsbegriff ebenfalls auf die Reise nach Paris zurück. Heinz, Sensualistischer Idealismus, 102; auch 105f. Adler, Prägnanz, 102; Adler verweist hier (ebd., Anm. 74) auf Irmschers Arbeiten, ferner auf Chrobok, Grundgedanken. Als bedingt ergiebig wegen ihrer existenzphilosophischen Perspektive sieht Adler die Arbeit von Küntzel, Johann Gottfried Herder, an. Zu Küntzel mit Recht kritisch Salmony, Philosophie, 196, Anm. 2: Küntzel gehe völlig unhistorisch an die Frage heran, ob Herder ein Vorgänger Martin Heideggers sei, und »zwingt die Heideggerschen Gedanken ebenso gewaltsam Herder auf, wie er in Heidegger Herdersche Gedanken hineininterpretiert«, wobei er zudem noch Herders Sprache »in die Heideggersche Terminologie« umforme.

22

I. Einleitung

Haym spricht von »Gefühl im engeren Sinne des Verstandes« und der ihm »nachgerühmten Solidität«, ohne dies näher zu spezifizieren, 92 Siegel hebt hervor, daß der Tastsinn Körper in ihrer Dreidimensionalität, und zwar ihre Teile in- und beieinander erkenne, 93 Götz, daß die Vorstellungen von »Entfernung, Bewegung und Undurchdringlichkeit« dem Tastsinn zu verdanken seien. 94 Während Berger eine ganze Reihe tastbarer Qualitäten anführt, neben »Größe, Entfernung, Schwere, Dichte und körperlicher Haltung« 9 5 auch Härte, Glätte, Schwere, Leichtigkeit, 96 spricht Lehwalder von Sinnesdaten, so auch denen des Tastsinns, ganz allgemein. 97 Dewey bringt, so weit ich sehe, als einziger Undurchdringlichkeit, Farbe und Gestalt bzw. Größe, Entfernung und Breite mit »the familiar reasoning with regard to the >primary< and >secondary< qualities of reality« in Verbindung, ohne hierzu Näheres auszuführen. 98 Probst nennt als Erkenntnisleistung des Gefühls zwar »Figur, Gestalt, Größe, Entfernung«, 9 9 an anderer Stelle »Undurchdringlichkeit, Härte, Weichheit, Glätte, Form, Gestalt, Rundheit«, 1 0 0 er ordnet die genannten Qualitäten dem Tastsinn aber nicht ausdrücklich zu. Das sei angesichts des Ineinanderwirkens der verschiedenen Vermögen des Menschen auch nicht möglich. 1 0 1 Immer sei ein Zusammenwirken aller Sinne nötig, »um zum Begriff einer Sache zu kommen«. 1 0 2 Indem Probst die Aufmerksamkeit von dem, was der Tastsinn leisten soll, auf das in allen Akten selbige Gefühl verlagert, fördert er eine Tendenz, die sich bei Litt 1 0 3 - sie hat ihre Entsprechung in der zeitgenössischen Psychologie —104 und in der Forschung nach 1945 fortsetzt. So sieht Adler die Bedeutung 92 93

94 95

96

97 98 99 100 101 102 103

104

Haym, Herder, Bd. 2, 70. Siegel, Herder als Philosoph, 29f.; Götz, Herder als Psycholog, 60f.; Wiese, Herder, 59; Irmscher, Ästhetik, 63; Adler, Prägnanz, 103 u. 109. Götz, Herder als Psycholog, 61. Berger, Menschenbild, 83. Berger nennt auch »erhabene Gestalten, greifbare Formen und Gebilde, körperliche R u n d u n g und Oberflächengestaltung« (ebd.). Berger, Menschenbild, 84. Ähnlich, in direkter Bezugnahme auf Berger, auch Fugate, Herder's Aesthetics: »In addition to the sense of touch, whose primary organ is the hand, we speak of specific pressure, heat, cold, and pain sensations, or of muscle, energy, local, and motor sensations. All of these come together under the general concept of feeling for Herder [...]« (39). Lehwalder, Herders Lehre vom Empfinden, 67. Dewey, Herder's Relation, 77. Probst, Herder als Psychologe, 67f. Probst, Herder als Psychologe, 82; auch Adler, Prägnanz, 103. Probst, Herder als Psychologe, 81. Probst, Herder als Psychologe, 82. Litt, Kant und Herder, spricht nur von Gefühl und Empfindung. Auf die einzelnen Sinne geht er nicht ein. Sander, Gefühlslehre, 33f- u. 40. Die Rezeption Herders in der Zwischenkriegszeit ist nicht zuletzt verursacht durch ein zentrales Interesse der damaligen Psychologie an Gefühl und taktilem Erleben, wie die Untersuchungen etwa von Katz, Auflau der Tasttvelt, und Hippius, Erkennendes Tasten, belegen; zu weiteren damals einschlägigen Publikationen im Literaturverzeichnis bei Hippius, ebd., 161 - 1 6 3 , das auch Herders Schriften Vom Erkennen und Empfinden und die Abhandlung über den Ursprung der Sprache aufführt. Das Fortwirken der Herderschen Tastsinnkonzeption ist, u m das im folgen-

3. Herders Konzeption des Tastsinns im Urteil der Forschung

23

von Herders Tastsinn vorrangig in dessen A u t h e n t i z i t ä t . 1 0 5 D e r Tastsinn allein gebe eine »authentische Vorstellung von K ö r p e r n « , 1 0 6 hingegen bezahle das A u g e seine Schnelligkeit m i t d e m »Verlust an A u t h e n t i z i t ä t der E r f a h r u n g « . 1 0 7 Z w a r führt Adler auch die laut H e r d e r tastbaren Qualitäten an, doch die A u thentizität beruht ihm zufolge darauf, wie

der Tastsinn erkenne:

langsam,

gründlich, vor allem aber d u n k e l . 1 0 8 In bezug auf die Frage, ob die w a h r g e n o m m e n e n Tastqualitäten eine E n t sprechung im Gegenstand haben, k o m m t G ö t z z u m Schluß, H e r d e r vermeide die naive und zugleich irrtümliche M e i n u n g , derzufolge die wahrnehmbaren Qualitäten wie W a r m s e i n oder Kaltsein auf Eigenschaften des Gegenstandes schließen ließen. Sie seien lediglich sinnliche E m p f i n d u n g e n in uns.109

Probst

hingegen vermißt an H e r d e r eine befriedigende Erklärung, »wie ein G e g e n stand ausser uns zu einer Vorstellung in uns« werde; d a m i t setzt er, anders als G ö t z , voraus, daß dies überhaupt m ö g l i c h sei. Probst erklärt den Mangel m i t

den in bezug auf Herder noch Auszuführende an dieser Stelle verkürzt vorwegzunehmen, darin zu sehen, daß Hippius die Tasterfahrung im Unterschied zur visuellen als »Perspektivelosigkeit, innere Nabe, Substanzialität« (37), Allseitigkeit (38) und je nach Komplexität des Gegenstandes relative Ganzheitlichkeit (40), stärkeres »gefühlsmäßige[s] Beteiligtsein« (29) charakterisiert und der »Bewegungsgestalt« eine »tragende Rolle im Tasterlebnis« (63) zuweist, weil dabei eine »unübersehbare Fülle von Qualitäten erlebt werden kann« (23). Bewegungsgestalt meint die durch Eigenbewegung der Hand (21), d.h. die spezifische Tastweise (»längs der Konturlinie des Gegenstandes« [64] entlang streichend [21]), hervorgerufene Sensation, deren Besonderheit im Unterschied zur ruhenden bzw. greifenden Hand in der Ganzheitlichkeit des Eindrucks, im Fehlen bewußter Zielgerichtetheit (70) liege. Im Akt dieser Tasterfahrung sei nicht die Hand allein, sondern der ganze Mensch, der Körper als ganzer beteiligt (23). Der Tastende verschmelze mit dem Ertasteten magisch (29f.), so daß nicht mehr entscheidbar sei, ob man selbst berühre oder berührt werde (44); das Hervortreten (= Bewußtwerden [60 u. 70]) einzelner Qualitäten des Objekts (»kaltwarm, weich-hart«, ferner »rauh-glatt, spitz-breit« sowie Ausdehnung von spezifischer Form [22]) aus der »Gesamtqualität« (65) erklärt Hippius mit dem »Anwachsen des Bedürfnisses, das Ertastete zu visualisieren« (50). Hippius thematisiert das Erkenntnisproblem des sich verändernden Gegenstandes eher am Rande und unter gleichzeitiger stillschweigender Voraussetzung der Richtigkeit der Wahrnehmung in bezug auf die einzelnen Qualitäten; Veränderlichkeit des Gegenstandes rufe Bestürzung hervor (25). Die vorausgesetzte Richtigkeit der Wahrnehmung in bezug auf die einzelnen Qualitäten spielt bei der Überwindung dieses Gefühls der Bestürzung jedoch keine Rolle, meint Hippius doch, daß nur die Ganzheitlichkeit der Erfahrung, die zugleich Einheitlichkeit (49) und »Invarianz der Gesamtqualität« (81) bedeute, Gewißheit garantieren könne. Auch wenn ein Gegenstand noch nicht vollständig ertastet sei, schlössen sich doch »selbst dürftige Tastfragmente [ . . . ] schon vorgreiflich zu einem Ganzen« (39), und zwar trotz der Sukzessivität des Tastens (40). 105

106 107 108 109

Adler, Prägnanz·. Herder sehe »in der Tasterfahrung den Modus der dem Menschen unmittelbarsten Weltvergegenwärtigung«, dieser gewährleiste ein »Maximum an Authentizität in der Präsenz« (102). Adler spricht von »Authentizität der Haptik« (103). Adler, Prägnanz, 103; der Tastsinn erfasse »Realität authentisch« (105). Adler, Prägnanz, 120. Adler, Prägnanz, 103. Götz, Herder als Psycholog, 52.

24

I. Einleitung

Herders fehlendem Interesse an den »physikalisch-physiologischen Vorgängefn] der sinnlichen W a h r n e h m u n g « . 1 1 0 Adler sieht hierin keinen Mangel, sondern Absicht. H e r d e r wolle keine »>Anatomie< des T a s t s i n n s « ; 1 1 1 vielmehr ersetze er »Deutlichkeit durch die subjektive G e w i ß h e i t « g e m ä ß seiner »anticartesianische[n] T h e s e « , nämlich »den Sinnen zu trauen und sie als B e d i n g u n g der Erfahrung anzunehmen und zu u n t e r s u c h e n « . 1 1 2 W a r u m aber — so der E i n wand anderer — führt H e r d e r das Stab-Beispiel (der ins Wasser g e t a u c h t e Stab erscheine, obwohl an sich gerade, d e m A u g e k r u m m ) a n 1 1 3 und spricht i m m e r wieder v o m B e t r u g des A u g e s wie auch, obwohl seltener, von d e m des Ohres? H e r d e r halte, so Adler, das nachträgliche U r t e i l über bereits W a h r g e n o m m e n e s für die Ursache von T ä u s c h u n g . 1 1 4 Weshalb aber n i m m t H e r d e r nur den Tastsinn v o m V o r w u r f der Täuschbarkeit aus? Adler m e i n t , er sei g e w i ß aufgrund der » G a n z h e i t der V o r s t e l l u n g « , 1 1 5 wobei er m i t H e r d e r voraussetzt, daß ein Gegenstand, wenn er ganz,

auch richtig

erkannt sei. Infolge der Dunkelheit läßt

sich aber weder verifizieren, o b die Erkenntnis vollständig und in Herders Sinne wahr,116

noch ob das E r k a n n t e objektiv im Sinne empirischer Nachweisbar-

' 1 0 Probst, Herder als Psychologe, 78; dagegen Herz, Dunkler Spiegel, 147f.: Herder entwikkele »eine auf die neuesten physiologischen und psychologischen Erkenntnisse gestützte umfassende Theorie der sinnlichen Erkenntnis«. 1 1 1 Adler, Prägnanz, 115. 1 1 2 Adler, Prägnanz, 105 u. f. 1 1 3 Immerwahr, Diderot, 92, Anm. 26, verweist auf Gerold, Herder und Diderot. Gerold meint, Herder habe das Stab-Beispiel Rousseaus Emile entnommen (75); schon Widmaier, Ansichten, 50. Allerdings wird dieses Beispiel seit der Antike immer wieder angeführt, wobei es sowohl für die Richtigkeit des Auges (das Auge täuscht nicht, es ist die Ratio, welche die verschiedenen Medien, Wasser und Luft, nicht beachtet, in denen sich der Stab befindet) wie auch für dessen Täuschbarkeit angeführt wird. Schweitzer, Herders >Plastikdunklen< Indifferenzpunkt von Zeichen und Bezeichnetem« und sei deshalb wahr.

3. Herders Konzeption des Tastsinns im Urteil der Forschung keit — laut Adler erfaßt der Tastsinn Realität

25 — 1 1 7 ist. Herders Wahrneh-

mungstheorie als »objektivefn] I d e a l i s m u s « 1 1 8 zu verstehen, löst nicht die Inkonsistenzen, sondern integriert sie nur in ein System. U n e i n i g ist m a n sich auch in der Frage, o b der Tastsinn i m Bereich der Kunst insgesamt als m a r g i n a l 1 1 9 oder zentral 1 2 0 zu bewerten oder erst im Spätwerk, in der Kalligone marginalisiert ist. 1 2 1 Anstelle des Tastsinns wird auf die B e d e u t u n g der Einfühlung, also die Leistung des Gefühls i m weiteren Sinne, verwiesen, und zwar sowohl in der Plastik122 117

118 119

120

121

122

123

w i e der Kalligone,123

N i c h t minder

Adler, Prägnanz, 105; aber 101: Herder zufolge seien »die Dinge für die menschliche Erfahrung nur als wahrnehmbare gegeben«. Heinz, Sensualistischer Idealismus, 73. Salmony, Philosophie'. Herders Sprachphilosophie sei »die Grundlage seines gesamten Philosophierens« (111), die Dichtung Zentrum seiner Ästhetik (l48ff.); Trabant, Herder's Discovery, argumentiert: »If it is language which makes man human, and if the ear is the organ of that human thing, then the ear is the human sense par excellence« (359; auch 357f.); Siegel, Herder als Philosoph, 199, Fugate, Herder's Aesthetics, 144, und Solms, Disciplina aesthetica, 191, bezweifeln die durchgängige Bedeutung des Tastsinns für Herders Ästhetik: Die Musik bzw. die Poesie gewinne Vorrang vor der Plastik. Im Vierten kritischen Wäldchen habe die Dichtung, so May, Lessing und Herder, 55f., und Wiese, Herders Weltbild, 57, die zentrale Stellung zugunsten der Plastik eingebüßt. Jacoby, Herders und Kants Ästhetik, 80, zufolge spielt der Tastsinn für den Schönheitsbegriff in der Kalligone keine Rolle mehr; Widmeier, Ansichten, meint, Herder nehme in der Kalligone lediglich die frühere Überschätzung des Tastsinns zurück. In der Kalligone weiche »die einseitige Ueberschätzung der Skulptur als der Kunst des physischen Tastgefühls einer ruhigeren und vorsichtigeren Wertung [...], die es von vornherein vermeidet, dieser Frage allzu grosse Aufmerksamkeit zu schenken« (150); Markwardt, Herders kritische Wälder, vertritt die Ansicht, in der Kalligone trete »die Erörterung des Tastsinns trotz gelegentlicher Betonung seiner Eigenheit und Ausbaufähigkeit doch im ganzen merklich zurück, so daß er mehr und mehr von dem Gesicht als dem herrschenden Sinn in den Hintergrund gedrängt wird« (185), Jacoby (zu Herders und Kants Ästhetik, 79f.) beipflichtend. Norton, Herder's Aesthetics, zufolge stellt die Kalligone keinen theoretischen Fortschritt gegenüber den ein Vierteljahrhundert zuvor entwickelten Ideen dar, »and in some cases, as with his decision to lessen the importance of the sense of touch in the evaluation of sculptural beauty, it actually marks a retreat or regression from his previous stance« (234); Will, Intelligible Beauty, hingegen sieht die Kalligone als Herders reifstes Werk an (142); Herder unterlasse jedoch zu sagen, wie Schönheit erkannt werde. Daß sie durch die »obscure and antirational senses of hearing and touch« erkannt werde, schließt Will aus (175). So kommt Will zu der mit seinem allgemeinen Urteil eigentlich unvereinbaren Einschätzung: »Herder seems to have phrased a focal problem about how beauty could give knowledge and then never solved it« (ebd.). Deshalb sei Herders »psychology of limited value on the question of whether and how beauty can give knowledge« (173). Norton, Herder's Aesthetics, 234, und Adler, Prägnanz, 88, gehen bei der Erörterung der ihrer Meinung nach für Herders Ästhetik relevanten Schriften auf die Kalligone nicht ein. In bezug auf das Moment des Sicheinfühlens in der Plastik Haym, Herder, Bd. 2, 70; Irmscher, Herders Hermeneutik, 32f.; Adler, Prägnanz, 103 u. 110. Haym, Herder, Bd. 2, 704; Siegel, Herder als Philosoph·. »Dieses Verstehen ist eben kein eigentlich verstandesmäßig vermitteltes, sondern ein unmittelbar sich vollziehendes, gefühlsmäßiges Erfassen«, ein »sympathisches Mitfühlen oder vielmehr Insichfühlen«, ein »Sichhineinversetzen und Sichherausfiihlen« (207); Jacoby, Herders und Kants Ästhetik, l l 6 f f . u. 328; Wiese, Herder, 60ff. Begenau, Grundzüge, geht auf den Tast-

26

I. Einleitung

geteilt sind die Ansichten hinsichtlich der Frage, für welchen Bereich, die Kunst oder die Erkenntnis allgemein, der Tastsinn zentral sei. Während Immerwahr hervorhebt, Herders Kriterien für den Vorrang des Tastsinns vor dem Auge seien anders als bei Diderot »more aesthetic than epistemological or metaphysical«, 1 2 4 gilt Adler zufolge Herders primäres Anliegen in der Plastik

der

»Gnoseologie der Haptik«, nicht der Ästhetik im engeren Sinne. 1 2 5 Hält er diese auch füt präzise, 1 2 6 so muß er doch Inkonsistenzen feststellen: Nicht nur gerate Herder in »einige Aporien, [ . . . ] bei seinem Versuch, die Bildhauerkunst aus dem haptischen Sinn zu erklären«, 1 2 7 sondern infolge der »bis ins Detail versuchten, experimentellen Isolation des Tastsinnes« überdehne Herder »die Grenzen des Einzelsinnes, der nur im Verbund mit den anderen äußeren Sinnen, dem inneren Sinn und dem analogon rationis seinen spezifischen Beitrag zu einer Erkenntnis leisten k a n n « 1 2 8 -

eine Feststellung, die schon Haym

trifft. 1 2 9 Haym spricht sogar von einer »einseitigefn] Ueberschätzung« 1 3 0 des

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125

126 127

128 129

130

sinn nicht ein; Fugate, Herder's Aesthetics, hat entsprechend kritisch vermerkt, daß Begenau das für den Tastsinn wichtige Vierte kritische Wäldchen nicht behandle (134), wie vor ihm schon Irmscher in seiner eingehenden wie durchweg kritischen Rezension von Begenaus Buch (Buchbesprechung, 212). Immerwahr, Diderot, 90f. Schon Haym sieht den Grundgedanken der Plastik in der »Ableitung des Wesens der verschiedenen Künste aus den verschiedenen Sinnen« (Herder, Bd. 2, 69). Adler, Prägnanz, 103, auch 119; Salmony, Philosophie, zufolge hat Herder die Absicht, den »Wesensunterschied zwischen Malerei und Bildhauerei« darzulegen (205), aber sie werde »von den Untersuchungen der Sinne, in den Hintergrund gedrängt«, so daß »die Haptik, die Lehre vom Primat des Tastsinns vor allen anderen Sinnen«, zum Hauptinhalt der Plastik avanciere (ebd.). Adler, Prägnanz, 51. Adler, Prägnanz, 115; Herder habe »theoretische Probleme [...], einige Elemente der Bildhauerei rigoros dem Tastsinn zuzuordnen« (111). Adler, Prägnanz, 115. Haym, Herder: Bei der Annahme, »daß einzig das Gefühl das Organ aller Empfindung anderer Körper sei«, übersehe Herder, »daß die Isolirung (sie) des Gefühls selbst wieder eine Abstraction ist, der in der Wirklichkeit das Zusammenwirken und die Wechselbelehrung des einen durch den anderen Sinn widerspricht« (Bd. 1, 254f.). Haym, Herder, Bd. 1, 254. Auch Götz, Herder als Psycholog, spricht von einer Überschätzung des Tastsinns in seiner Bedeutung »für die Entstehung räumlicher Vorstellungen« (62). Herder sei der »irrigen Meinung«, das Auge erkenne nur in Ruhe Befindliches angemessen (63). Anders als Herder hält Götz den Tastsinn nicht für den »Vater feinerer Empfindungen« im Vergleich mit dem Gesichtssinn. »Eben weil H. das Auge nicht als feinen Bewegungsapparat kennt, ist es ihm auch entgangen, dass es zur Aufnahme continuierlich verlaufender Eindrücke vorzüglich geeignet ist, der Tastsinn dagegen mehr zur Wahrnehmung diskreter Punkte« (63). Widmaier, Ansichten, teilt Hayms Urteil, formuliert es noch schärfer: »Mit der nachdrücklichsten Heftigkeit, ja Hartnäckigkeit, die seine Entdeckerfreude unverhohlen zeigt, macht er (sc. Herder) sich daran, das Gefühl als die dritte ästhetische Sinnesmacht mit einer derartigen Rücksichtslosigkeit gegen die anderen Sinne abzusperren, dass er in den entgegengesetzten Fehler der zu starken Verinselung seines Sinnes fallt« (52); dies hält Widmaier für einen »Truggedanken« (149); Markwardt, Herders kritische Wälder, meint, man werde »die einseitige Bevorzugung des Tastsinns bei völliger Ausschaltung des Auges [ . . . ] nicht mitmachen können« (186), schließt aber die Möglichkeit »einer weitgehenden Ausbildung des Tastsinns auch als Vermittler ästhetischer

3. Herders Konzeption des Tastsinns im Urteil der Forschung

27

Tastsinns, dessen Konzeption »anfechtbar« 131 sei. Adler erklärt die Mängel mit dem Hinweis auf Herders »übergeordnete These, daß die im Menschen wirkende Kraft nur Eins« sei. 1 3 2

3.2. Kraft Nun sind Inkonsistenzen innerhalb der Konzeption des Tastsinns nicht mit dem Hinweis auf ein übergeordnetes Vermögen aufzulösen. Aber auch Herders Annahme nur einer im Menschen wirkenden Kraft wird als problematisch beurteilt. So meint Salmony, Herders Kraftbegriff sei dunkel, »und alle Versuche Herders, diesen Begriff durch andere Begriffe zu umschreiben, ändern nichts an der Dunkelheit«. 1 3 3 Er versucht selbst, das Dunkel aufzuhellen, und kommt zu dem Schluß, das Wesen dieser Kraft bestehe darin, eine Vielheit einheitlich zu fassen. 134 Allerdings befriedigt (nicht nur) ihn dieses Ergebnis keineswegs. 1 3 5 Auch hält er es für »höchst bedenklich«, wolle Herder doch »die menschliche Seele durch den Begriff der Kraft, dessen Unerklärbarkeit er betont, erklären«. 136 Nisbet hält Herders Begriff der Kraft gar für einen »Lückenbüßerfs]«; Herder führe ihn ein, um sich nicht »mit der schwierigen Frage« befassen zu müssen, wie es überhaupt möglich sei, »durch die Erfahrung zu einer sicheren Erkenntnis zu gelangen, oder was für Grenzen einer so gewonnenen Erkenntnis zu setzen seien«. 137 In bezug auf die Wirkweise der Poesie

131

Werte« ( 1 8 8 ) mit Hinweis auf Ausführungen Hohenemsers (Wendet sich die Plastik an den Tastsinn?) nicht aus (ebd.); Will, Intelligible Beauty, spricht ganz offen von »absurdities« (174), wenn Herder Gesehenes als Traum, Gefühltes als Wahrheit deklariere. Herder sehe auch nicht, »that illusion enters into sculpture as much as into painting« (175). Haym, Herder, Bd. 1, 2 5 5 . Herders Behauptung, daß die Plastik nur durch den Tastsinn erkannt werde, sei »voreilig« (ebd.).

132

Adler, Prägnanz, 111.

133

Salmony, Philosophie, 140. Einschränkend fügt Salmony hinzu, die beklagte Dunkelheit des Begriffs sei dort am Platz, wo er der Dichtung des Sturm und Drang gelte, »die selbst dunkel ist und die Dunkelheit will« (171). In Herders »Dichtungsästhetik« ( 1 6 9 ) sei er richtig; er entspreche der »Dunkelheit der Sache, um die es geht« (ebd.). Salmony, Philosophie, l 4 0 f .

134

135

Salmony, Philosophie, 169.

136

Salmony, Philosophie, ebd. Probst, Herder als Psychologe, wendet ein, daß »mit der Annahme jener >Einen Grundkraft< noch keine einzige psychische Erscheinung voll erklärt« (68f.) sei; dies habe Herder jedoch geleistet durch die zweite Annahme, daß Umweltfaktoren (geographische, klimatische Besonderheiten etc.) »einen wesentlichen Einfluss auf den Ablauf der psychischen Funktionen« hätten (73). Nisbet, Revision, 110. Nisbet fuhrt einen »große[n] Teil der Verschwommenheit und Widersprüchlichkeit« von Herders Denken auf die »Unbestimmtheit« des KraftBegriffs »mit seinen vielen unvereinbaren Bedeutungen« zurück (ebd.); Markwardt, Herders kritische Wälder, läßt die »analytische Untersuchungsart der Aufklärung« ( 4 3 ) nur für die frühen Schriften bis einschließlich dem Vierten kritischen Wäldchen gelten (43ff.); Lehwalder, Herders Lehre vom Empfinden, kommt zwar auf diese eine im Menschen wirkende Kraft zu sprechen (73, 8 2 u. 88.), referiert Herders Schrift Vom Erkennen und Empfinden aber nur, so daß seine Ausführungen nichts zur Klärung dieses

137

28

I. Einleitung

hingegen hält Solms Kraft in ihrer »systematischen Funktion« für präzise unterschieden von den übrigen Künsten, ohne näher auszuführen, worin sie besteht. 138 Norton sagt zwar, Herder verwende den Kraft-Begriff präzise; er sei jedoch nicht definierbar. Norton unterläßt auch ausdrücklich den Versuch, diesen Begriff zu klären, mit der Begründung, hierbei seien schon »the best minds of the eighteenth century« 139 gescheitert. Es sei viel wichtiger, ihre Funktion zu bestimmen; Kraft wirke als Medium, welches erlaube, die Bedeutung eines Zeichens - gesagt wird dies in bezug auf die Dichtung - unmittelbar zu verstehen, und zwar materiefrei. 140 Mit der Angabe, daß Kraft ein Medium sei, an dem sich Veränderung vollziehe, »establishing a causal relation in which something is communicated from one body to another«, 141 ist jedoch mitnichten etwas über ihre Funktion gesagt. Denn ein Medium zeichnet sich dadurch aus, daß sich durch bzw. in diesem eine Funktion vollzieht. Die fehlende Unterscheidung zwischen Medium und Funktion gibt jedoch einen ersten Hinweis darauf, weshalb eine Klärung der Funktion von Herders Kraft-Begriff in der Forschung offensichtlich so große Schwierigkeiten bereitet: Es scheint sich bei dieser Kraft gar nicht um ein bestimmtes Vermögen mit einer spezifischen Leistung, die es zu eruieren gelte, zu handeln, sondern Kraft ist das unbestimmte Medium verschiedener seelischer Vermögen des Menschen mit dem Anspruch, eine Funktion zu haben. Als problematisch erweist sich Kraft noch in anderer Hinsicht. Kraft steht für die Einheit der Seele. Darin ist man sich einig, daß Herder diese Einheit betonen möchte. Aber welche der angenommenen Grundkräfte: Körper und

138 139 140 141

Begriffs beitragen; laut Fugate, Herder's Aesthetics, ist die Kraft das geistige Band zwischen Wahrnehmung und Empfindung: »This bond, which is the essential factor of psychical unity, also becomes the integrating factor of both the physical and mental functions« (42). Aber auch Fugate stellt fest: »The name which Herder gives to this bond is Kraft, and he conceives of this Kraft as an inexplicable absolute. Herder makes no attempt to explain Kraft. He only wants to point out its existence« (ebd.). Zur Kraft als spiritual bond< stellt Clark, Herder, lakonisch fest: »Such a statement is, of course, purely metaphysical« (225); Clarks dreizehn Jahre früher geschriebener Aufsatz Herder's Concept of >Kraft< unternimmt trotz der Feststellung, Herder »admits frankly the impossibility of defining his favorite term. Suffice is to say that for him >Kraft< is an absolute« (745), den Versuch einer näheren Bestimmung: »In the first Kritisches Wäldchen (1768) [ . . . ] Herder uses the term Kraft in a metaphysical sense, though he later uses it in a purely physiological one« (743). Aber es bleibt beim Versuch; das der einmal als metaphysisch, einmal als physiologisch ausgegebenen Kraft Eigentümliche bleibt unbestimmt. Clark enthebt sich schließlich der Verantwortung, die Konsistenz bzw. Nicht-Konsistenz von Herders Kraft-Begriff zu überprüfen: »[. . .] whether Herder's conception of >Kraft< is an acceptable one or not must be left to the trained philosopher. If it is purely metaphysical, then most modern physics is also metaphysical« (752). Solms, Disciplina aesthetica, 190. Norton, Herder's Aesthetics, 148. Norton, Herder's Aesthetics, l48f. Norton, Herder's Aesthetics, 148.

3. Herders Konzeption des Tastsinns im Urteil der Forschung

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Seele, 1 4 2 Körper und G e i s t , 1 4 3 Körper, Seele und G e i s t , 1 4 4 g e e i n t sind und durch welche Instanz, scheint äußerst schwierig zu b e s t i m m e n . 1 4 5 Dementsprechend unklar bleibt, worin die jeweilige Einheit der begrifflich noch unterschiedenen Kräfte bestehen soll; die Forschung m e i n t bei Herder lediglich graduelle Unterschiede in der B e w u ß t h e i t der jeweiligen Einheit feststellen zu k ö n n e n . 1 4 6 In m e i n e n Ausführungen zu Herder wird sich zeigen, daß nicht die Forschung versäumt, genauer auf Herders Unterscheidungen zu achten, sondern dieser selbst nicht hinreichend unterschieden h a t . 1 4 7 Von d e m sachlichen U n 142

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Götz, Herder als Psycholog, 22 (Anm.); Probst, Herder als Psychologe, 37f.; Fugate, Herder's Aesthetics, 35; Lehwalder, Herders Lehre vom Empfinden, 73. Interessant ist der Grund, den Probst für die von Herder behauptete Einheit von Körper und Seele angibt, weil er damit einen ersten Anhaltspunkt gibt, weshalb Herder so nachdrücklich die eine im Menschen wirkende Kraft betont, nämlich der Zweifel an der Sicherheit der Erkenntnis angesichts einer ständig in Wandlung begriffenen Welt. N u r wenn die in der Natur wirkenden Kräfte »für den Menschen erfassbare, konstante, nicht sich willkürlich verändernde Grössen darstellten, blieb auch die Aussicht auf Erkenntnis bestehen. U m diese Eindeutigkeit beizubehalten, musste darum Physisches und Psychisches in einer unteilbaren Einheit zusammengesehen werden können« (37); in diesem Sinn auch Solms, Disciplina aesthetica, 201; Braungart, Leibhafter Sinn, 91: Herder sei weder Anhänger des Monismus bzw. Spiritualismus noch des Materialismus, sondern »der Lehre von der Wechselwirkung zwischen Körper und Seele« (92); Heinz, Sensualistischer Idealismus, 128 u. 178. Siegel, Herder als Philosoph, 129; Probst, Herder als Psychologe, 59. Kronenberg, Herder's Philosophie, 38; Probst, Herder als Psychologe, 60f. u. 76; Berger, Menschenbild, VII; Rasch, Herder, 109; Wiese, Herders Weltbild, 60 u. 131; Lehwalder, Herders Lehre vom Empfinden, 77 u. 104; Thiele, Herders Theorie, 5. Versteht Jacoby, Herders und Kants Ästhetik, diese Einheit im Sinne einer Unterordnung des Gefühls und Willens unter den Verstand (338), so Dobbek, J. G. Herders Weltbild, als Vorrang der »seelischen und geistigen Kräfte gegenüber den nur körperlichen« (90). Zwar sagt Dobbek an einer Stelle: »Herders >Kraft< ist eine Idee, kein festumrissener Begriff« (61), aber anderen Ortes kommt er zu dem Schluß, das, was die Einheit stifte, sei die Vernunft (19f-, 90 u. 92); Pfotenhauer, Um 1800, hingegen begreift diese Einheit als einen »Konnex von äußeren Sinnesdaten, ihrer Wahrnehmung und intellektuellen Verarbeitung [...] Für Herder geht es um Begreifen in dem unitaristischen Sinne, daß der unmittelbare Zugriff im Bereich des Sinnlichen und der geistige Aufbau der Welt eins« (210) seien. Diesen Gedanken vollzieht die Forschung vornehmlich anhand von Herders Schrift Vom Erkennen und Empfinden nach: Haym, Herder, Bd. 1, 670ff.; Siegel, Herder als Philosoph, 5Iff.; Götz, Herder als Psycholog, 39ff.; Probst, Herder als Psychologe, 67f. u. 77ff.; Knorr, Problem, 41fF.; Salmony, Philosophie, l 4 l f f . ; Lehwalder, Herders Lehre vom Empfinden, 70ff. u. 79f. Die Forschung hat dies als unzulänglich moniert. Haym merkt im Zusammenhang mit Herders Schrift Vom Erkennen und Empfinden ironisch an, nach Herders »System ist Alles so einfach - all' die psychologischen Haarspaltereien, Begriffs- und Wortklaubereien so überflüssig!« (Herder, Bd. 1, 677f.); Tumarkin, Herder und Kant, sieht als Kantianerin in Herders »Streben nach einer monistischen Weltanschauung« einen »Fehler seines Denkens« (55). »Unter vielen geistigen Kräften, nicht einmal von den übrigen streng abgesondert, steht das menschliche Denken; Reiz, Empfindung, Denken, Fühlen, Wollen, das alles sind gleiche geistige Kräfte [...] Sogar der Unterschied zwischen der Kraft des Denkens und der der Krystalisation ist bloss ein gradueller, nicht die Kräfte selbst, sondern nur ihre Richtungen sind in beiden Fällen verschieden« (ebd.); Kronenberg, Herder's Philosophie, 113; Litt, Kant und Herder: Herder ebne den Unterschied zwischen sinnlicher Wahrnehmung und Verstand völlig

I. Einleitung

30

terschied ist durch die Bewußtheit der Einheit aber noch nichts erkannt. Angesichts der offensichtlichen Schwierigkeiten, Herders Kraft inhaltlich zu bestimmen, 1 4 8 stellt sich die Frage, was die nicht näher bestimmte Grundkraft von sich aus dazu befähigt, Unterschiede zu erfassen oder sachlich Zusammengehörendes als Einheit zu begreifen.

3.3. Gefühl Haym beschreibt das Gefühl im weiteren Sinn als tiefer und geistiger im Vergleich zum Sinnlichen des Tastsinns, als »tastende Seele« anstelle des »tastenden Finger[s]«, als »tiefdringende Innigkeit eines geistigen Gefühls«. 1 4 9 Teilt die Forschung auch nicht die Konsequenzen, die Haym aus Herders Wendung zum >Geistigen< zieht, 1 5 0 so ist man sich mit ihm doch einig, dieses Gefühl fühle nichts Äußeres; deshalb betone Herder den Aspekt des Sichfühlens und Mitfühlens, Sicheinfühlens; 151 Gefühl sei »körperliches Selbstgefühl«, 1 5 2 »innere Empfindung« und »Innesein des Leibes«. 1 5 3 O b das Sichfühlen vor der Ausfaltung in die einzelnen Sinne anders ist als das Sichfühlen danach, ist der Forschung nicht eindeutig entnehmbar. 154 Gesagt wird nur, das Gefühl sei die »gemeinsame Wurzel der verschiedenen Sinne« und vermittle als das »noch nicht differenzierte Gefühl [ . . . ] die dunkle Erkenntnis des bloßen Seins«, 1 5 5 es

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ein (77f.); Herder werfe Kant »nicht ohne Grund« vor, die Einheit der menschlichen Erkenntnis zerstört zu haben, aber er selbst hat, so Litt, »in umgekehrter Richtung des Guten zu viel getan [...] Die Einheit der Seele und des Menschen, die Einheit der Welt, als deren Anwalt er sich fühlt, drohen bei ihm zu einem konturlosen Einerlei zu verschwimmen« (81). Thiele, Herders Theorie, hingegen verstärkt noch die von der Forschung monierte Verwischung der Kompetenzbereiche der einzelnen Vermögen zugunsten der einen Grundkraft dahingehend, daß er selbst annimmt, die »sich gattenden« Sinne sorgten »für die Einheit des Wahrgenommenen, gleich welcher Sinn einzelne Wahrnehmungen beigetragen habe« (5). Der Mensch verfüge über »unspezialisierte Organe« (Nachwort). Probst, Herder als Psychologe, 68, wiederholt lediglich Herders Behauptung, daß die eine Grundkraft fortschreitend bestimmter werde, ohne dies zu überprüfen. Haym, Herder, Bd. 2, 70. Herders »Sensualismus läuft wieder zurück in die Wolff-Baumgartensche Metaphysik« (Haym, Herder, Bd. 1, 349). Haym, Herder, Bd. 1, 671, u. Bd. 2, 70; Chrobok, Grundgedanken, 2%, 48ff.; Litt, Kant und Herder, 68; Gillies, Herder, 121; Schweitzer, Herders >PlastikPlastikPlastikzuriick auf Kant< sich in der Philosophie zu einem >hinaus über Kant< verwandelt, so wird der Fortschrittsweg der meisten wohl über Herdersche Ideengänge fuhren müssen« (144). Laut Knorr, Problem, hat »der Rationalismus der beginnenden Neuzeit und vor allem die Aufklärung [ . . . ] ihr (sc. der emotionalen Sphäre der Seele) innerhalb der philosophischen Fragestellung nicht den ihr gebührenden Platz eingeräumt, ja ihre philosophische Relevanz überhaupt geleugnet« (58); dieses »hoch bedeutsamefs] Fragengebiet der philosophischen Arbeit« erschließe Herder neu (ebd.; auch 6 0 , Anm. 165). Berger, Menschenbild, betont, bereits im Geist nationalistischer Ideologie, Herders Aktualität (»deutsche Auffassung vom Wesen des Menschen« [VII f.]); Litt, Kant und Herder, sieht gerade in der Unabgeschlossenheit von Herders >System< die besondere Qualität (13). Diese bestehe in Herders Überzeugung von der »unteilbarefn] Einheit und Ganzheit des menschlichen Wesens« gegen Kants Menschenbild, das »in ein Vielfaches mechanisch abgetrennter Fähigkeiten und Fertigkeiten« (50) auseinanderfalle, bei dem die Sinne, dem Denken untergeordnet, ihre Eigenständigkeit verlören (72f.), was eine Entseelung der Welt und eine Entpersönlichung des Ichs zur Folge habe (73). Durch das Primat der Sinnlichkeit erweist sich laut Schweitzer, Herders 'Plastik', Herders Aktualität (126f.), laut Lehwalder, Herders Lehre vom Empfinden, durch dessen Empfindungsbegriff (170), laut Thiele, Herders Theorie, durch dessen Annahme einer Ganzheitlichkeit der Wahrnehmung (5 u. Nachwort), laut Adler, Prägnanz, durch die »holistische[n] Ausrichtung seines Denkens« (89), laut Braungart, Leibhafter Sinn, 2, durch die »Idee des erscheinenden und nicht ins Unendliche aufgeschobenen Sinnes«, dessen Ort der Leib sei (2f.). In der Haym verpflichteten Forschung wird das Fehlen einer Systematik negativ verzeichnet und auch zum Kriterium für die abwertende Beurteilung einzelner Werke Herders gemacht; so etwa Haym beim Vergleichen des Vierten kritischen Wäldchens mit der Kalligone (Herder, Bd. 1, 2 5 9 f ) . Zum gegenteiligen Urteil in bezug auf diese beiden Schriften kommt Jacoby, Herders und Kants Ästhetik, 76f.; Tumarkin, Herder und Kant, vermißt im Vergleich mit Kant an Herders gesamter Philosophie, nicht nur einem einzelnen Werk, die Systematik (48ff.), ebenfalls Dobbek, Herders Weltbild, 19 u. 9 1 . Ansonsten wird betont, Herders Werk liege ein einheitlicher Gedanke zugrunde: Siegel, Herder als Philosoph, IV; Schütze, Fundamental Ideas, 65ff.; Probst, Herder als Psychologe, 8 u. 7 6 ; Irmscher, Herder, 5 2 8 ; W i l l , Intelligible Beauty, l 6 0 f .

4. Gründe für Herders Aufwertung des Tastsinns im Urteil der Forschung

33

entgegnet dem Vorwurf des Unsystematischen, »die prinzipielle, von Herder immer wieder begründete, systematische Verbindung von gnoseologischer, ästhetischer und geschichtsphilosophischer Reflexionsebene ist ein roter Faden durch das gesamte Werk«. 1 6 5 Er erklärt »die Schwierigkeiten im Umgang mit dem >unsystematischen< [ . . . ] Philosophen Herder« mit der wissenschaftlichen Erwartungshaltung, die bei jemandem wie Herder, »der doch gerade die vor jeder Erfahrung installierte Systematik als Kardinalfehler der Philosophie kritisierte«, verfehlt sei. 1 6 6 Allerdings fehlt es keineswegs an Würdigungen Herders, gerade in der Zwischenkriegszeit, ebensowenig an Verständnis für das Fehlen einer Systematik. Wenn Adler als einen der Gründe, in seiner Arbeit nicht »die Forschungsliteratur Revue passieren zu lassen«, angibt, daß Herder in der Wissenschaftsgeschichte immer im »Lichte der Kritischen Philosophie und ihrer Nachfolger« betrachtet und marginalisiert worden sei, weil er nie als »Theoretiker strikter Observanz« gegolten habe, 1 6 7 trifft dies nur bedingt zu. Aus der Kritik am Rationalismus der Aufklärung, in der man sich mit Herder einig sieht, erklärt sich das Bemühen, Herders Primat des Sinnlichen als gleichwertig zu legitimieren und die rationale Struktur im Irrationalen selbst aufzudecken; 168 dabei bleiben die Oppositionen >sinnlich - bewußt< und irrational - rational< als begriffliche Unterscheidungen unbefragt gültig. Aus dem Nachweis, daß Herder einen einheitlichen Grundgedanken in seinen verschiedenen Werken verfolge und die Gültigkeit der Rationalität nicht negiere, sondern nur einschränke, läßt sich jedoch nicht die Konsistenz seiner Konzeption ableiten. 1 6 9

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Das von Probst (76) vorgebrachte Argument, Herder habe, da er empirisch vorgehe, erst die entsprechenden Data sammeln müssen, um aus diesen einen systematischen Zusammenhang bilden zu können, ist in der Forschung häufiger anzutreffen.' Tumarkin, Herder und Kant, 56 u. 109; Markwardt, Herders kritische Wälder, 184; Knorr, Problem, geht von einem einheitlichen Grundgedanken in Herders Werk aus (73); aber dieser sei so gefaßt, »daß wir heute erst mit der systematischen Durcharbeitung der Zusammenhänge beginnen« (22). Die Einheitlichkeit stifte erst die Forschung; in diesem Sinn auch Wiese, Herder, 5f. Einige wenige sehen gerade im Mangel der Systematik den im Vergleich mit Kant ebenbürtigen Wert von Herders Werk: Pfleiderer, Herder, 28; zum Vorteil fehlendet Systematik Lehwalder, Herders Lehre vom Empfinden, 1; gleichwohl macht Lehwalder zum Gegenstand seiner Dissertation eine Schrift, in der Herders psychologische Einsichten, könne man bei Herder auch »nicht von einem System der Psychologie [ . . . ] sprechen«, doch »gleichsam zusammengefasst und in mehr wissenschaftlicher Weise, d. h. mit einem Zug zum Systematischen hin ausgebreitet werden« (3); Staiger, Der neue Geist, bescheinigt Herder eine »schwankende Systematik« (75), bewertet sie aber positiv (106). Adler, Prägnanz, XI. Adler, Prägnanz, 88. Adler, Prägnanz, XI. Knorr, Problem, 63 u. 75; Dobbek, Herders Weltbild, 19; Irmscher, Einleitung, 168; Nisbet, Revision, 107; Gaier, Gegenaufklärung', mit Hamann weise Herder »dem rationalen Diskurs einen bestimmten Zuständigkeitsbereich und eingeschränkte Funktionen zu« (270); Adler, Prägnanz, 54, 58 und 124; Schaller, Herder und Comenius, 51. So aber Schütze, Fundamental Ideas, 67; Adler, Prägnanz, X ; Heinz, Sensualistischer Idealismus, XIV; Heinz will explizit den Vorwurf fehlender Systematik widerlegen:

I. Einleitung

34

In e i n e m w e s e n t l i c h e n P u n k t s t i m m e n K a n t u n d Herder z u d e m überein, daß sinnliche W a h r n e h m u n g zwar konfus, aber Q u e l l e unserer V o r s t e l l u n g e n sei. D a ß laut H e r d e r die cognitio confusa eine durch d i e Sinne bereits g e s t i f t e t e , w e n n auch begriffslose Einheit besitzt, unterscheidet sie von K a n t s E m p f i n d u n g s d a t u m . D o c h das ist ein U n t e r s c h i e d i m D e t a i l ; 1 7 0 d e n n auch ein noch so u n e i n heitliches Sinnenmaterial m u ß erst e i n m a l durch die e i n z e l n e n Sinne w a h r g e n o m m e n werden. A u f diesen U n t e r s c h i e d haben m a n c h e in der Forschung abgehoben.171 D e r U n t e r s c h i e d kann also nur in der B e w e r t u n g der cognitio confusa

lie-

g e n . 1 7 2 Herders Ü b e r z e u g u n g , daß sie in ihrer U n e r k e n n b a r k e i t von höchster Relevanz für die Erkenntnis sei, wird v o n der Forschung nicht kritisch geprüft; auch sieht m a n sie nicht i m W i d e r s p r u c h dazu, daß H e r d e r einzelne, auch tastbare Q u a l i t ä t e n n e n n t . 1 7 3 U m zu erklären, w e s h a l b gerade der Tastsinn g a n z h e i t l i c h erkennen soll, u n d dies, o b w o h l er z u g l e i c h einzelne Eigenschaften, w i e die Forschung selbst anmerkt, unterscheidend erfaßt, wird auf Herders p h y l o g e n e t i s c h e s S c h e m a einer schrittweisen E n t w i c k l u n g der einzelnen Sinne aus einem G e f ü h l sowie der höheren Sinne A u g e u n d O h r aus d e m Tastsinn v e r w i e s e n . 1 7 4 D a m i t ü b e r n i m m t die Forschung aber Herders Sichtweise, die e n g m i t s e i n e m g e s c h i c h t s p h i l o s o p h i s c h e n K o n z e p t z u s a m m e n h ä n g t . Sie selbst

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»[...] zwar lag es nicht in Herders Absicht, ein fertig ausgearbeitetes philosophisches System vorzulegen, aber er hat die philosophischen Grundlagen, von denen her er seinem Selbstverständnis als Lehrer der Menschheit entsprechend in seine Zeit hinein wirkte, in kontinuierlicher Entwicklung konsistenter und gründlicher durchgeklärt, als es bisher sichtbar war« (XIV f.). Aus der von Heinz nachdrücklich betonten kontinuierlichen Entwicklung (ebd.) und aus dem von ihr behaupteten genetischen Zusammenhang zwischen Herder, Kant, Mendelssohn und Sulzer ergibt sich nicht zwingend die Konsistenz von Herders System. Zeuch, SENTIO, ERGO SUM, I46ff. Knorr, Problem, 95; Litt, Kant und Herder, 56; Knorr wie Litt interpretieren Herder im Sinne der zeitgenössischen Gestaltpsychologie; hierzu Sander, Gefühlslehre, 27ff.; Dobbek, Herders Weltbild, 68; Irmscher, Herders Hermeneutik'. Herder versuche, die Welt »von der Erfahrung der eigenen Leiblichkeit her zu verstehen und damit als ausdruckshaltige Gestalt anzuschauen« (33). Adler, Prägnanz·. »Haptische Obskurität verwandelt sich so bei Herder zu gnoseologischer Luzidität, intellektualistische Luzidität verwandelt sich in dieser Perspektive zu gnoseologischer Obskurität« (105); Pfotenhauer, Um 1800: Bei Herder sei das Dunkle »in paradoxer, bewußter Verwirrung alter Begriffe das Klare« (89). Heinz, Sensualistischer Idealismus, stößt bei ihrem »Versuch, die Leitmocive von Herders Erkenntnistheorie und Metaphysik in ihrer Herkunft, ihrem Zusammenhang und ihrer Entwicklung zu bestimmen« (XV), wegen ihrer rein historisch verfahrendenden Rekonstruktion nicht zur Frage vor, ob Herders Konzeption konsistent ist. Adler, Prägnanz, 106. Braungart, Leibhafter Sinn, 73, weist immerhin auf einen Widerspruch hin: »Die These, der Tastsinn liefere die Urform der Sinneswahrnehmung, aus der sich die anderen Formen entwickelten, steht bis zu einem gewissen Grad im Konflikt mit der durch Herder von Berkeley und Condillac übernommenen Auffassung von der prinzipiellen Heterogenität der verschiedenen Sinneswahrnehmungen. [ . . . ] Genau genommen, zeigt Herder auch nicht, wo sich etwa der Sehsinn aus dem Tastsinn wirklich entwickle«.

35

5. Methode, Anlage und Ziel der Arbeit

vertritt nun die Ü b e r z e u g u n g , die behauptete Einheit von Denken und Fühlen restituiere lediglich einen Zustand, den erst die Abstraktionsleistung der Vernunft, das Denken in Begriffen, kurz: K a n t zerstört h a b e . 1 7 5 D e r Vorrang des Tastsinns vor d e m A u g e wird entweder m i t Herders A u g e n l e i d e n 1 7 6 bzw. »seiner persönlichen Affinität z u m H ö r b a r e n « 1 7 7 erklärt

-

Diderot und Condillac k o m m e n aber z u m gleichen Ergebnis — oder historisch a b g e l e i t e t . 1 7 8 D i e A n n a h m e , der Tastsinn sei im Laufe von zweitausend J a h r e n abendländischer W a h r n e h m u n g s w e i s e schrittweise v e r k ü m m e r t , wird nicht belegt durch eine entsprechende Position in der griechischen Antike. Von stungshandlung

Entla-

des Auges zu sprechen hat nur unter der Voraussetzung Sinn,

daß der Tastsinn durch das A u g e ersetzt worden und -

wenn auch mangel-

haft — ersetzbar sei. Dann aber wären die Sinne austauschbar, ihr Erkenntnisgegenstand wäre identisch, eine Unterscheidung sinnlos. Der G r u n d für den Vorrang des Auges läge in einer Erweiterung seiner K o m p e t e n z , nicht in einer Veränderung der B e s t i m m u n g seiner F u n k t i o n als optischen V e r m ö g e n s . 1 7 9

5. Methode, Anlage und Ziel der Arbeit Eine beachtliche Anzahl neuerer Arbeiten b e m ü h t sich u m eine theoretische B e g r ü n d u n g postmoderner Ästhetik, innerhalb welcher der Leiblichkeit, d e m 175

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Rasch, Herder: Herder stelle »die Einheit von Körper, Seele und Geist« wieder her, indem er »jene verselbständigte Ratio« entthrone (109). Kant erst hat, so Litt, Kant und Herder, zwischen Verstand und Gefühl scharf unterschieden, das Gefühl völlig entwertet und dem Verstand unterworfen, wobei die Scheidung zwischen beiden sich aus der »Verselbständigung des Verstandes« (72) erkläre. Haym, Herder, Bd. 2, 70; Chrobok, Grundgedanken, 37; Markwardt, Herders kritische Wälder, 184, Anm. 1. Solms, Disciplina aesthetica, 2 1 1 ; Solms führt als weiteres Argument Herders »überdurchschnittliche musikalische Begabung« (212) an; schon Keferstein, Herder in Beziehung auf Musik, 274f. u. 283ff. ; Günther, Herders Stellung zur Musik, 9ff. Hierbei wird Herders Annahme unkommentiert wiedergegeben (Haym, Herder, Bd. 1, 2 5 4 , mit Bezug auf Rousseau; Schweitzer, Herders >Plastikblau-hart< auf die Unterschiede in der Erkenntnis der einzelnen Sinne zurückzuführen. Aus der Tatsache, daß zwei der Sinne, Auge und Tastsinn, alle sekundären Qualitäten erkennen würden, die übrigen Sinne nur

manche,

schließt Thomas m i t Aristoteles, daß die Sinne die sekundären Qualitäten durch sich selbst, ohne Hilfe eines anderen Erkenntnisvermögens erfaßten. 1 2 4 Gäbe es für die sekundären Qualitäten ein eigenes Wahrnehmungsvermögen, dann wären diese für die übrigen Sinne jeweils nur akzidentiell wahrnehmbar. 1 2 5 D a das akzidentiell Wahrnehmbare als selbst nicht Wahrnehmbares bzw. nicht aktual Wahrgenommenes m i t einem Wahrnehmbaren lediglich eine Einheit bilde, würde Farbiges von bestimmter Gestalt ebenso wahrgenommen wie Farbiges, das mithilfe der Erinnerung m i t Süßem in Verbindung gebracht werde. Bei den sekundären Qualitäten handelt es sich jedoch nach Thomas wie bei den primären u m eine tatsächliche Bewegung des Organs im Sinne eines Erleidens, 1 2 6 nicht nur u m eine erinnerte. D a es sich dabei u m eine Bewegung handelt, reicht bei den sekundären Qualitäten ein einzelner Sinn, u m sie zu erkennen, bei der akzidentiellen W a h r n e h m u n g können auch zwei oder noch mehr Sinne beteiligt sein.

4.2. Täuschbarkeit in bezug auf sekundäre Qualitäten Als Beispiele für Täuschungen im Bereich der sekundären Qualitäten, welche nach Thomas am häufigsten stattfinden, 1 2 7 f ü h r t er folgende an: Man täuscht sich in bezug auf Farbiges, das sich bewegt oder ausgedehnt ist, weil das Urteil je nach Entfernung schwankt; als kleiner erscheint, was von Ferne gesehen wird. So täuscht m a n sich in bezug auf Bewegung: das Ufer scheint sich zu bewegen, dabei ist es das Schiff, auf d e m m a n steht, in bezug auf Größe: die Sonne erscheint klein, dabei ist sie groß, in bezug auf Gestalt: ein an sich eckiger Turm erscheint, weil weit entfernt, als rund, in bezug auf Zahl:

man

meint, einen roten Fleck zu sehen, dabei ist es eine Fläche unzähliger kleiner roter Punkte, sowie in bezug auf Ruhe: m a n hält die Fixsterne für unbeweglich,

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126 127

Comm. in De anima, η. 582: »Si enim esset solus sensus visus; cum ipse coloris tantum sit, et color et magnitudo se consequantur, quia simul cum colore immutatur sensus a magnitudine; inter colorerà non possemus discernere et magnitudinem, sed viderentur esse idem«. Comm. in De anima, n. 386. Comm. in De anima, n. 578: »Manifestum etiam quod unusquisque sensus per se cognoscit unum, ut immutatus ab uno obiecto. Unde manifestum est, quod ista sensibilia communia sentiuntur per se, et non per accidens. Unde ex hoc concluditur, quod impossibile est esse proprium sensum alicuius horum«. Comm. in De anima, n. 577, n. 581. Comm. in De anima, n. 663.

4. Richtigkeit sinnlicher Erkenntnis

63

dabei bewegen sie sich. Korrigieren lassen sich Thomas zufolge diese Wahrnehmungen wahrnehmungsimmanent nicht. Auch lernen die Sinne aus der Erfahrung nicht hinzu: Das Auge hält die Sonne immer für klein, den eckigen Turm aus der Entfernung stets für rund. Anders als im Falle der primären Qualitäten müssen, so Thomas weiter, über die Dimension der Wahrnehmung hinausgehend die jeweilige Entfernung, die Bewegtheit des eigenen Standortes sowie die unterschiedlichen Medien wie Luft und Wasser berücksichtigt werden. Dies angemessen zu berücksichtigen leistet die Ratio in Verbindung mit der sinnlichen Erfahrung; man bedarf vielfältiger Erfahrungen, Entfernungen richtig einzuschätzen. Für Thomas gilt als evident, daß der optische Sinn in weiterer Entfernung befindliche Gegenstände kleiner einschätzt als die in der N ä h e . 1 2 8 Bei derartigen Urteilen handelt es sich auch nur bedingt um sinnliche

Täuschungen. Es geht vielmehr um die

richtige Zuordnung eines an sich zutreffend Wahrgenommenen. Nicht der Turm ist rund, sondern man n i m m t infolge der Entfernung etwas Rundes wahr. Im Fall des Schiffes bewegt sich tatsächlich etwas, nur nicht das Ufer, sondern man selbst. Im Fall des Stabes, der gerade und krumm zugleich erscheint, führt der Eintritt in ein anderes Medium, das des Wassers, zur Wahrnehmung des Gekrümmtseins. Da sich das Auge wie auch die übrigen Sinne in bezug auf die sekundären Qualitäten nicht korrigieren lassen, würde man die jeweilige Täuschung nicht feststellen, wenn auch der Maßstab, an dem man etwas als klein oder groß, nah oder fern, gerade oder krumm, bewegt oder unbewegt beurteilt, ein immer wieder anderer wäre, daß etwa Großsein das ist, was anderes überragt, Fernsein Entferntsein des Gegenstandes vom Wahrnehmenden ist usf.

4 . 3 . Täuschbarkeit in bezug auf akzidentielle Wahrnehmung Auch hinsichtlich der akzidentiellen Wahrnehmung hält Thomas Täuschungen für möglich. Er unterscheidet hierbei zwei Weisen akzidentieller Wahrnehmung: Z u m einen beziehe sie sich innerhalb des sensus communis darauf, daß ein spezifisch Wahrnehmbares mit erfaßt, nur nicht momentan aktual erkannt, sondern mit erinnert werde; das Sehvermögen erkenne das Schmeckbare nur insofern, als es bei der Wahrnehmung eines bestimmten Farbigen ein bestimmtes Schmeckbares mit erinnere, etwa gelb und s ü ß ; 1 2 9 der Tastsinn erkenne Tastqualitäten als sein eigenes O b j e k t , die Qualitäten der anderen Sinne lediglich per Akzidens; so empfinde er bei einer bestimmten Konsistenz einer Speise aufgrund der Erinnerung einen bestimmten Geschmack oder Geruch m i t . 1 3 0 128

Comm. in De Metaphys., n. 694.

129

Comm. in De anima, η. 391: »[• · ·] hoc quod est per se sensibile uni sensuum exteriorum, est per accidens sensibile respectu alterius: sicut dulce est per accidens visibile«.

130

Comm. in De anima, η. 581.

64

II. Thomas von Aquins Lehre von den primären und sekundären Qualitäten

Zum anderen bezieht sich der Begriff der akzidentiellen Wahrnehmung darauf, daß ein als es selbst nicht Wahrnehmbares mit erfaßt werde, etwa Honig aufgrund der Wahrnehmung eines Gelben und zugleich Süßen. Denn >Honig< gilt Thomas als etwas, das nicht in den Bereich des Wahrnehmbaren fällt, mithin ideeller Natur ist. 131 Wenn die akzidentielle Wahrnehmung sich täuscht, schließt sie nach Thomas entweder von der aktual wahrgenommenen primären Qualität auf das Vorhandensein einer nur akzidentiell wahrnehmbaren oder von einem spezifisch Wahrnehmbaren auf etwas nicht mehr Wahrnehmbares. 132 Als Beispiel führt er die Cholera an: Sie wird sowohl vom Geschmack wahrgenommen, insofern sie bitter ist, als auch vom Auge, insofern sie zur hochroten Färbung führt. Bei nochmaliger Wahrnehmung ähnlicher Röte empfinde das Auge über die Vermittlung des sensus communis das Bittere akzidentiell mit. Diese Röte kann aber auch, wenn durch etwas anderes verursacht, ohne das Bittere auftreten, und von der Wahrnehmung der Röte ist nicht mit Notwendigkeit darauf zu schließen, daß es sich um Cholera handelt. 133 Als weiteres Beispiel nennt Thomas die Wahrnehmung von etwas Weißem, welches man fur Schnee hält. Darin, Weißes zu sehen, könne sich das Auge nicht täuschen. Nur ob das Weiße Mehl oder Schnee sei, in dem quid also, könne es sich täuschen; vor allem bei der Beurteilung von Dingen in größerer Entfernung komme dies häufig vor. 134 So sei auf Entfernung nicht auszumachen, ob es sich bei einem als weiß Wahrgenommenen um Mehl oder Schnee handelt. 135 >Mehl< oder >Schnee< sind Thomas zufolge keine Gegenstände, deren Erkenntnis in den Bereich der Wahrnehmung fällt, 136 sondern die begriffliche Einheit, auf die Wahrgenommenes als das diesem Begriff Zugehörige hin geordnet wird — eine Leistung, welche die Sinne selbst nicht erbringen. Erläuternd ließe sich hier ergänzen: Das Weiße kommt dem Mehl nicht wesensmäßig zu; es gibt auch dunkles Mehl. Mehl unterscheidet sich von Schnee aber dahingehend, daß es sich aufgrund seiner spezifischen Konsistenz unter Hitzeeinwirkung anders verhält als Schnee. 131 132

133 134 135 136

Comm. in De anima, η. 554. Comm. in De anima, ebd.: »Sentiunt enim sensus propria sensibilia adinvicem secundum accidens, ut puta visus sensibile auditus, et e converso. [...] quia visus non percipit illud quod est gustus, nisi per accidens, frequenter in talibus decipitur sensus, et iudicamus quod si aliquid sit rubeum, quod sit cholera«. Comm. in De anima, ebd. Comm. in De anima, n. 662. Dies sind die von Thomas von Aquin gewählten Beispiele, Comm. in De anima, ebd. Comm. in De anima, η. 554: »[...] sensus patitur a sensibili habente colorem aut humorem, idest saporem aut sonum, sed non inquantum unumquodque illorum dicitur, idest non patitur a lapide colorato inquantum lapis, ñeque a melle dulci inquantum mei: quia in sensu non fit similis dispositio ad formam quae est in subiectis illis, sed patitur ab eis inquantum huiusmodi, vel inquantum coloratum, vel saporosum, vel secundum rationem, idest secundum formam. Assimilatur enim sensus sensibili secundum formam, sed non secundum dispositionem materiae«.

4. Richtigkeit sinnlicher Erkenntnis

65

4.4. Bedeutung akzidentieller Wahrnehmung A m Beispiel des Weißen, welches man für Schnee hält, wird einsichtig, daß man sich im Fall akzidentieller Wahrnehmung zwar leicht täuscht, diese aber um einer schnellen Orientierung willen wichtig ist. Es kommt auch nicht häufig vor, daß statt Mehl auf dem Küchenboden Schnee liegt; von anderen Essensresten läßt sich Mehl aufgrund seiner Farbigkeit und Form gut unterscheiden. Evident ist die Notwendigkeit, sich schnell zu orientieren, wenn man in einer Menschenmenge jemanden sucht. Das aktual Wahrgenommene — etwas Farbiges von bestimmter Ausdehnung — wird auf etwas bezogen, dem dieses Wahrgenommene nicht wesensmäßig zukommt: dem Menschen bzw. diesem Menschen. 1 3 7 Käme dem Menschen das in den Bereich der Wahrnehmung Fallende wesenmäßig zu, dann wäre der weiße, d.h. weiß gekleidete, ebenso dieser Mensch wie der grüne, was zum Widerspruch und der Erfahrung eines immer wieder Anderen führen würde. Davon abgesehen kommt das Weißsein auch vielen Menschen zu. Für eine erste Orientierung aber, um mit einem Gruß auf die zufällige Begegnung mit einer bekannten Person zu reagieren, reicht die akzidentielle Wahrnehmung in den meisten Fällen. Dieser Mensch aber wie >der< Mensch überhaupt gehen, wie Thomas betont, im Sichtbaren nicht auf, 1 3 8 so als machte alles Sichtbare dieses Menschen oder gar >des< Menschen akkumuliert 1 3 9 den Begriff von ihm aus. 1 4 0

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Comm. in De anima, η. 395: »Sciendum est igitur, quod ad hoc quod aliquid sit sensibile per accidens, primo requiritur quod accidat ei quod per se est sensibile, sicut accidit albo esse hominem, et accidit ei esse dulce. Secundo requiritur, quod sit apprehensum a sentiente: si enim accideret sensibili, quod lateret sentientem, non diceretur per accidens sentiri«. Comm. in De anima, η. 396. De anima, q. 1, a. 11, c.: »f...] ex diversis actu existentibus non fit aliquid unum per se. Quia si de aliquo subiecto praedicentur aliqua secundum diversas formas per se, unum illorum praedicatur de altero per accidens. Sicut de Socrate dicitur album secundum albedinem, et musicum secundum musicam; unde musicum de albo secundum accidens praedicatur. [...] Ex pluribus enim actu existentibus non fit unum simpliciter, nisi sit aliquid uniens et aliquo modo ligans ea ad invicem. Sic ergo, si secundum diversas formas Socrates esset animal et rationale, indigerent haec duo, ad hoc quod unirentur simpliciter, aliquo quod faceret ea unum. Unde, cum hoc non sit assignare, remanebit quod homo non erit unum nisi aggregatione«. Comm. in De anima, η. 379: »[· · ·] si ab homine albo separatem albedinem hoc modo, quod intelligerem eum non esse album: esset enim tunc apprehensio falsa. Si autem sic separarem albedinem ab homine, quod apprehenderem hominem nihil apprehendendo de albedine eius, non esset apprehensio falsa. Non enim exigitur ad veritatem apprehensionis, ut quia apprehendit rem aliquam, apprehendat omnia quae insunt ei«; auch ebd., η. 396: »Si vero apprehendatur in singulari, utputa cum video coloratura, percipio hunc hominem vel hoc animai, huiusmodi quidem apprehensio in homine fit per vim cogitativam, quae dicitur etiam ratio particulars, eo quod est, collativa intentionum individualium [...]«.

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II. Thomas von Aquins Lehre von den primären und sekundären Qualitäten

5. Zusammenfassung Thomas entfaltet in seinen Kommentaren zu Aristoteles' De anima, De sensu et sensato sowie anderen Schriften eine Wahrnehmungstheorie, die in der Nachfolge durch die Suche nach der Konstanz in der Erscheinung, die dadurch gewandelte Auffassung von dem Anwendungsbereich des Widerspruchsaxioms sowie die Annahme materiehafter Kausalwirkung der Qualitäten aufgegeben worden ist. Durch die Verlagerung von der Begründung der Richtigkeit sinnlicher Erkenntnis zur Gewißheit seit Ockham fallen Unterscheidungen fort, welche Thomas innerhalb seiner Lehre von den primären und sekundären Qualitäten vornimmt, wodurch sich wahrnehmungstheoretische Probleme ergeben, welche die nachfolgende Diskussion bis zu Herder nachhaltig bestimmen. Als primäre Qualitäten gelten in Thomas' Deutung der aristotelischen Wahrnehmungstheorie die den Sinnen jeweils spezifischen Wahrnehmungsgegenstände, also Farbe für das Auge, Drucknachgiebigkeit für den Tastsinn, Ton für das Ohr. Hinsichtlich dieser Qualitäten täuschen sich die Sinne nicht. Sie erkennen Farbiges, Hartes, Weiches, Tonhaftes. Mit >spezifisch< ist gemeint, daß nur das Auge Farbe erkennt, kein anderer der Sinne, der Tastsinn nur Drucknachgiebigkeiten. Die Sicherheit, mit der Thomas davon ausgeht, daß die Sinne, wenn sie die primären Qualitäten erfassen, richtig erkennen, leitet er aus der Anwendung des Widerspruchsaxioms ab. Die Sinne nehmen, wenn sie die primären Qualitäten erfassen, nicht etwas von bestimmter Beschaffenheit und zugleich etwas in derselben Hinsicht Widersprechendes wahr. Wenn die Zunge süß schmeckt, schmeckt sie nicht zugleich bitter. Dem jede Erkenntnis leitenden Prinzip des Widerspruchsaxioms zufolge, daß etwas unmöglich in derselben Hinsicht zugleich es selbst und nicht es selbst sein kann und dieses >es selbst Seiende< etwas Bestimmtes und als etwas Bestimmtes wahr ist, erkennen die Sinne, wenn sie etwas Bestimmtes wahrnehmen, auch etwas Wahres. Mit der Wahrnehmung des Süßen hat die Zunge tatsächlich etwas Bestimmtes erkannt — nicht aber in dem Sinne, daß die Zunge die Süße selbst erfaßte, so als sei diese im Wein anwesend. Irregeleitet kann die Erfahrung abgesehen vom Defekt des Organs dann sein, wenn ein bitterer Nachgeschmack von etwas zuvor Geschmecktem die Süße des Weingeschmacks abschwächt oder man unmittelbar nach dem süßen eine bitterere Weinsorte kostet. Hinsichtlich der Süße selbst urteilt der Geschmackssinn aber zutreffend und immer auf dieselbe Weise. Täuschen können sich die Sinne allerdings hinsichtlich der sekundären Qualitäten Ruhe, Bewegung, Zahl, Größe und Gestalt. U m etwa eine bestimmte (z.B. farbige) Gestalt oder eine bestimmte (z.B. drucknachgiebige) Ausdehnung bzw. Größe zu erkennen, müssen mehrere primäre Qualitäten miteinander verbunden werden; dieses Urteil kann anders als beim unmittelbaren Erfassen der primären Qualitäten falsch sein, da man etwas für identisch hält, was

5. Zusammenfassung

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nicht zusammengehört. Gemeinsam sind die sekundären Qualitäten allen fünf Sinnen in dem Sinne, daß sowohl Auge, Ohr als auch Tastsinn Bewegung erkennen, es also kein eigenes Sinnesvermögen für das Erkennen von Bewegung gibt. Unterschieden sind sie dahingehend, daß das Auge farbige Bewegung, das O h r tonhafte, der Tastsinn Bewegung von bestimmter Drucknachgiebigkeit erkennt. D a sich die Wahrnehmung, so Thomas, immer auf Einzelnes richtet, erkennen die Sinne nur Ausgedehntes von bestimmter Gestalt, eine bestimmte Weichheit usf. Folglich ist aus der Wahrnehmung von bestimmter Qualität als Erfahrungswert kein Kriterium ableitbar, was Größe oder Weichheit für sich selbst sind. Besonders bei den Relationsbegriffen (Größe = was anderes überragt, Weichheit = was im Vergleich m i t anderem stärker dem Druck nachgibt) ist evident, daß unter ausschließlicher Bezugnahme auf die Sinneserfahrung der Maßstab ständig schwankt. Denn dasselbe ist in der einen Hinsicht klein, in der anderen groß, sowohl hart als auch weich. Thomas unterscheidet in bezug auf Qualität die bestimmte Qualität an sich von ihren einzelnen Realisierungen, also W ä r m e selbst von den einzelnen Weisen, warm zu sein. Der Inbegriff von W ä r m e enthält auf implikative Weise alle Möglichkeiten, warm zu sein. Wenn ein Gegenstand seine Beschaffenheit ändert, ändert sich nicht das Wesen der Qualität. Die Qualität selbst ist nicht entweder warm oder kalt; sie ist schon gar nicht mal wärmer, mal weniger warm. Vielmehr hat der jeweilige Gegenstand mal mehr oder mal weniger an ihr im Verhältnis zu anderen Realisierungen des Warmen teil. Durch die Teilhabe erklärt sich, wie etwas, das sich nicht ständig wandelt, dennoch Ursache fur die Mannigfaltigkeit im sinnlich Wahrnehmbaren sowie dessen Veränderungen ist. Durch die Teilhabe erklärt sich ferner, daß das Wesen der Qualität in der Materie selbst sich nie auffinden und demzufolge nachweisen läßt. Weder die Qualität selbst noch ihre einzelnen Realisierungen sind materieller Art. Die Verwirklichung einer bestimmten Qualität ist zu verstehen als einzelne, aber immaterielle Bestimmung der Materie; die Materie wird durch die Teilhabe in dieser spezifischen Hinsicht bestimmt. Unterschiede innerhalb der Materie kommen zustande durch ihre jeweils unterschiedliche Disposition für bestimmte Realisierungen einer bestimmten Qualität. Thomas unterscheidet in bezug auf den Akt der Wahrnehmung zwischen Medium einerseits, Sinnesorgan und im Organ unterscheidend tätigem Sinnesvermögen andererseits. Die Sinne erkennen nicht, was die Qualität an sich ist. Sie setzen wesenhafte Unterschiede zwischen Härte und W ä r m e und Farbigkeit vielmehr voraus und erkennen durch Härte und Weiche einen bestimmten Grad des Hartseins im Unterschied zu einem bestimmten Grad des Weichseins. Sie unterscheiden ein bestimmtes Rotsein von einem bestimmten Gelbsein usf. Das Medium dient als Träger der immateriellen Qualität, beim Auge das Transparente, beim O h r die Luft, beim Tastsinn der Körper. Nur scheinbar, auf den ersten Blick fallt bei dem menschlichen Körper Medium und Organ in eins,

68

II. Thomas von Aquins Lehre von den primären und sekundären Qualitäten

da der Tastsinn anders als Auge und O h r kein Medium außerhalb seiner selbst hat und Medium und Sinnesorgan zugleich bewegt werden. Dieses Zugleich im Bewegtwerden ist jedoch nur zufällig, führt nicht zu einem Unterschied in der Weise der Wahrnehmung im Sinne größerer Unmittelbarkeit. W ä r e das Warmwerden des Körpers bei Berührung durch ein Warmes identisch mit der Wahrnehmung von Warmem, würde der Tastsinn stets nur sein eigenes W a r m werden erkennen, nicht aber das eines äußeren Gegenstandes. Vom Medium in seiner Funktion zu unterscheiden ist das Sinnesorgan. Das Medium wie die Luft ist Träger einer Vielzahl verschiedenster Bewegungen, die sich durchaus der Erkennbarkeit entziehen. Das Sinnes organ — wie auch die durch eine bestimmte Qualität zu bestimmende Materie — hat die entsprechende Disposition, durch bestimmte Bewegungen bewegt zu werden. Sonst wären die Sinnesorgane austauschbar und durch beliebige Bewegung aktivierbar. Ein Zuviel oder Zuwenig an Bewegung jedoch zerstört das Sinnesorgan. Im Sinnesorgan sind sämtliche Realisierungen der jeweiligen Qualität bzw. Qualitäten, die das einzelne Sinnesvermögen erkennt, der Möglichkeit nach vorhanden; sie sind nicht an Materie gebunden. Im Fall des sinnlich Wahrnehmbaren hingegen sind an einem bestimmten Gegenstand nur einzelne Realisierungen der Qualitäten der Möglichkeit nach und auch tatsächlich an diesem erfahrbar. Während das Sinnesorgan die generelle Disposition aufweist, durch sämtliche, der Art wie dem Grad nach spezifische Bewegungen bewegt zu werden, erkennt das in ihm unterscheidend tätige Vermögen die einzelne Realisierung der Qualität. Thomas unterscheidet innerhalb der Qualitäten zwischen primären und sekundären Qualitäten sowie dem akzidentiell Wahrnehmbaren. Die primären Qualitäten werden unmittelbar und in einem einzigen Akt erkannt: Farbe durch das Auge, Ton durch das Ohr, Drucknachgiebigkeit u.a. durch den Tastsinn usf. Kein Sinn erkennt Wesenhaftes, sondern nur Akzidentien. Das heißt aber nicht, daß die Erkenntnis der Akzidentien nichts zur Erkenntnis der wahrnehmbaren W e l t beitrügen, im Gegenteil, sie sind deren unabdingbare Voraussetzung. Es heißt auch nicht, daß die Sinne lediglich Materielles erkennen würden; sie erkennen an der Materie etwas Immaterielles, jedoch nicht ohne Materie. An der Materie etwas Immaterielles zu erkennen bedeutet eine aktive, zur Unterscheidung der dem jeweiligen Sinn spezifischen qualitates

vom

nicht dazu Gehörigen fähige Wahrnehmungsleistung der Sinne. Bezüglich des Auges, das in der Folgezeit die wohl grundlegendste Veränderung erfahren hat, heißt das: Weder das Farbige noch die Lichtstrahlen sind materieller Art; das Auge erkennt nicht das Licht selbst, sondern durch das Licht dessen Abglanz; in diesem Abglanz k o m m t nicht ein Ideelles zur Erscheinung oder, wie Ficino dann annimmt, etwas Göttliches, sondern einzelnes Farbiges. 1 4 1

141

De div. nom., η. 319f.

5. Zusammenfassung

69

Für das Erkennen der sekundären Qualitäten, also Ruhe, Bewegung, Zahl, Größe und Gestalt, ist eine Synthesis aus bereits als primäre erkannten Qualitäten erforderlich: Ein farbiges Ausgedehntes durch Zusammensetzen einer Vielzahl von Einzelmomenten identischer bzw. unterschiedlicher Farbigkeit von bestimmter Größe und Form, ein farbiges Sichbewegendes durch Zusammensetzen einer Vielzahl einzelner farbiger, in Bewegung befindlicher Momente. Im Falle der akzidentiellen Wahrnehmung wird entweder etwas bereits einmal Wahrgenommenes >mit< erinnert und insofern >mit< erfaßt, oder es wird von etwas sinnlich Wahrnehmbarem auf etwas geschlossen, das nicht in den Kompetenzbereich der Sinne fällt. Täuschen können sich die Sinne nur in bezug auf die sekundären Qualitäten wie das akzidentiell Wahrnehmbare. Diese Täuschungen sind jedoch nicht aporetisch, sondern auflösbar, allerdings nicht wahrnehmungsimmanent, sondern mit Hilfe der Ratio und des diese wie alle anderen Erkenntnisvermögen leitenden Erkenntnisprinzips des Widerspruchsaxioms. So führt die Erfahrung des mal Größeren, mal Kleineren, mal Schöneren, mal Häßlicheren nicht wie in der Folgezeit zu dem Schluß, auch der Begriff des Großseins, des Schönseins selbst würde schwanken, da sich im Empirischen nichts Festes nachweisen läßt. Die nach Thomas so wichtig werdende Frage, ob die Qualitäten subjektimmanente Ideen oder objektive Eigenschaften der Gegenstandswelt sind, erörtert ihm zufolge falsche Alternativen. Die Wahrnehmung der Qualitäten ist weder subjektiv in dem Sinne, daß das Subjekt aus sich bestimmte Anschauungsformen hervorbrächte oder gar verschiedene Subjekte verschiedene Anschauungsformen, noch objektiv derart, daß sich die einzelnen Realisierungen von Qualität empirisch nachweisen ließen und materiell vorhanden wären. Wahrnehmung ist dahingehend subjektiv, daß der Wahrnehmende eine bestimmte Disposition aufweist, um die Qualitäten zu erkennen, und seine Aufmerksamkeit auf Wahrnehmbares richten muß; ansonsten bliebe dieses unbemerkt. Sie ist dahingehend objektiv, daß die Bestimmbarkeit des Materiellen nicht beliebig ist. Wenn das Auge eine bestimmte Farbigkeit erfaßt, ist tatsächlich etwas erfaßt, und dieses ist für jeden Betrachter dieselbe. Weil das Auge im Vergleich mit dem Tastsinn mehr Unterschiede und für die Erkenntnis der Gegenstandswelt relevantere, zudem auf materiefreieste Weise erkennt, nimmt das Auge innerhalb der Hierarchie der Sinne die oberste Stelle ein. Von einer Leibfeindlichkeit kann jedoch nicht die Rede sein. Der Tastsinn spielt vielmehr eine entscheidende Rolle sowohl für die Kultivierung sinnlicher Lust wie für die Entfaltung der intellektuellen Vermögen des Menschen. Er erkennt das aktual Heiße bzw. Kalte, während sich das Organ in Möglichkeit zu diesen gegensätzlichen Qualitäten befindet. Anders als das Auge, das nicht farbig ist, hat das Organ des Tastsinnes sowohl Warmes und Kaltes als auch Trockenes und Feuchtes in sich. Die spezifische Balance des Gegensätzlichen verleiht dem Tastsinn aber ebenso wie dem Auge die Fähig-

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II. Thomas von Aquins Lehre von den primären und sekundären Qualitäten

keit, statt seiner selbst und dem einseitigen Bestimmtsein durch Kaltes oder Warmes die haptischen Beschaffenheiten von etwas außerhalb seiner selbst wahrzunehmen. Nicht jedoch fällt in die Kompetenz des Tastsinns, von verschiedenen Sinnen wahrgenommene Qualitäten zusammen zu erfassen. Das leistet der sensus communis, der erst durch die Mißachtung sowohl der für den Tastsinn spezifischen haptischen Qualitäten als auch des Unterschieds zwischen fleischlicher Einheit und dem einen Wahrnehmungsvermögen mit dem Körper und dem Tastsinn zu einer ununterscheidbaren Einheit verschmilzt. Daß die Sinne nichts Wesenhaftes, sondern immer nur Akzidentien erkennen, gilt auch für das Wesen des Menschen. Das Auge sieht, wenn es einen menschlichen Körper erblickt, lediglich bestimmtes Farbiges von bestimmter begrenzter Größe und Form. In bezug auf das Spezifische dieses einzelnen Menschen ist das dem Auge Erkennbare nur akzidentieller Natur. Sein Wesen ist wahrnehmungsimmanent nicht erkennbar. Vielmehr wird von einem bestimmten Farbigen darauf geschlossen, es müsse sich um diesen oder jenen Menschen handeln. Analoges gilt für die Wahrnehmung eines Ausgedehnten bestimmter Größe und Form. Im folgenden Kapitel zeige ich, weshalb die Plausibilität der Lehre von den primären und sekundären Qualitäten nach Thomas zunehmend in Zweifel gezogen, der Wahrnehmungsvorgang materiell umgedeutet und in welcher Weise diese Umdeutung für das 18. Jahrhundert bestimmend wird.

III. Der Zweifel an der Gewißheit sinnlicher Erkenntnis seit Ockham und die Folgen: Umkehr der Sinneshierarchie und Ausdehnung als objektive Qualität

Seit dem Spätmittelalter wird die Frage nach der Richtigkeit sinnlicher Erkenntnis neu gestellt. Den Zweifel erörtert man in erster Linie im Zusammenhang mit der visuellen Wahrnehmung und überträgt ihn dann auf die übrigen Sinne. Er hat zur Ursache, daß an ein und demselben Gegenstand unterschiedliche, ja gegensätzliche Wahrnehmungen erfahrbar werden: Das Wasser erscheint der einen Hand kalt, der anderen warm, ein und derselbe Turm sieht aus der Ferne rund aus, ist aber eckig, ein und dieselbe menschliche Gestalt hält man in der einen Hinsicht für groß, in der anderen für klein. Diese Widersprüchlichkeit in der Feststellung des Wahrgenommenen, die noch bei Herder für die Aufwertung des Tastsinns als Kontradiktorisches einheitlich erfassenden Sinnes verantwortlich ist, versucht man seit dem Spätmittelalter auf andere Weise aufzulösen. Während für Thomas die Bestimmtheit der Erkenntnis Garant für deren Richtigkeit und diese Bestimmtheit sowohl extramentales als auch übersubjektives Kriterium zur Überprüfung der Richtigkeit der Erkenntnis ist, verlagert sich die Aufmerksamkeit von der Richtigkeit und deren Überprüfbarkeit durch Erkenntnisprinzipien wie das Widerspruchsaxiom auf subjektive Gewißheit. Subjektive Gewißheit gilt dann als garantiert, wenn man eine einheitliche, d. h. widerspruchsfreie Wahrnehmung nachweisen kann; einer solchen einheitlichen Wahrnehmung bzw. deren subjektiver Vorstellung allein meint man seine Zustimmung geben zu können; ein solches als Einheit Erfaßtes soll dem Gegenstand objektiv zu kommen, d. h. wirklich sein, existieren. Die Wirklichkeitsrelevanz sinnlicher Wahrnehmung gilt es nunmehr unter Beweis zu stellen. In beiden Fällen, sowohl von der Seite des Subjektes wie der des Gegenstandes her, ist entscheidend, daß man im Bereich des empirisch Einzelnen, ob disparater Wahrnehmungen, ob widersprüchlicher Vorstellungen, auf etwas stößt, was sich im Wandel der Erscheinungen als fest erweist, was sich nicht im Widerspruch zur nächsten Wahrnehmung des Gegenstandes bzw. dessen Vorstellung befindet, was mithin mit der subjektiven Vorstellung übereinstimmt. In der Erwartung, im empirisch Einzelnen auf ein solches Bleibendes zu stoßen, soll das Widerspruchsaxiom dazu dienen, sich eines als Eines Wahr-

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Der Zweifel an der Gewißheit sinnlicher Erkenntnis seit Ockham und die Folgen

g e n o m m e n e n auch als Einheit zu vergewissern. 1 O b in dieser Einheit alles tatsächlich der Sache Z u k o m m e n d e und nur dieses enthalten ist, kann mittels des so verstandenen A x i o m s nicht eruiert werden, das lediglich die Z u s t i m m u n g des Subjektes erheischt zu etwas nicht m e h r H i n t e r f r a g t e m ; denn vorausgesetzt ist bei der Suche nach der Konstanz in der Erfahrung, daß es sich bei d e m den verschiedenen W a h r n e h m u n g e n wie Vorstellungen Zugrundeliegenden u m e i n e n Gegenstand handelt, an d e m verschiedene, ja widersprüchliche

Eigen-

schaften b e m e r k t werden. U n t e r dieser Voraussetzung ist die Widersprüchlichkeit nur auflösbar durch ein Absehen von den jeweils unterschiedlichen B e s t i m m u n g e n . Ü b r i g bleibt eine sämtlicher B e s t i m m u n g e n ledige Vorstellung eines äußeren, realen Gegenstandes. 2 Dabei werden seit der A n t i k e die Fragen diskutiert, wie die Sinne erkennen, was sie erkennen, wie sicher dieses E r k a n n t e ist, welche Auskunft es über die Beschaffenheit der äußeren W e l t g i b t . D a ß die Sinne sich täuschen, ist die Rede spätestens seit der griechischen Sophistik. 3 N e u ist der Zweifel an der R i c h t i g keit sinnlicher W a h r n e h m u n g im Spätmittelalter also nicht. Eher handelt es 1

2

3

Zum Begründungszusammenhang A. Schmitt, Anschauung und Denken bei Duns Scotus', Schmitt zeigt, daß die Gewißheit sinnlicher Erfahrung durch Duns Scotus gegenüber Aristoteles und den antiken und mittelalterlichen Aristoteles-Kommentatoren, Thomas von Aquin eingeschlossen, insofern anders begründet wird, als »das Einzelding [ . . . ] eine neue Dignität« bekommt; es ist nicht nurmehr »der methodische Anfang, sondern auch [ . . . ] die sachliche Grundlage der Erkenntnis« (9); diese Neubegründung bzw. Angleichung der Aristotelischen Erkenntnisauffassung an die der hellenistisch-römischen Stoa (8) durch Duns Scotus hat zur Folge, daß das Einzelding zugleich das Wesen einer Sache, d. i. sämtliche Merkmale der begrifflichen Sacheinheit, aufweisen (12) soll. Erkenntnis wird dabei im Vergleich mit der Aristotelischen Konzeption auf zwei Grundakte reduziert: passive Rezeption des Einzeldings und nachgeordnetes begriffliches Urteilen über das bereits Aufgenommene (23); das Urteil im Nachtrag kommt aufgrund der Wahrnehmungs- bzw. Vorstellungsimmanenz nicht über die Dimension der Vorstellung hinaus, die mitnichten die bestimmenden Momente einer (begrifflichen) Sacheinheit aufweist und Aristoteles zufolge auch fehlerhaft sowie widersprüchlich sein kann (23f. u. 26). Der im Sinne von Duns Scotus' Erkenntniskonzeption Urteilende ist nicht in der Lage zu unterscheiden, was zur Sache selbst gehört und was lediglich akzidentiell ist, weil Duns Scotus eine Orientierung des Denkens an einem Subjekt- und erfahrungsunabhängigen »Begriff als Auswahlkriterium« (15) ausschließt und die Kriterien mißachtet, die nach Aristoteles erlauben, die Subjektivität des Erkennens zu Beginn des Erkenntnisprozesses zu erkennen und diese im fortschreitenden, am Begriff der sachlichen Einheit orientierten Differenzierungsprozeß zu überwinden (33). Stattdessen besteht die Leistung des Verstandes nach Duns Scotus lediglich in einer »nach den eigenen Bedingungen des Denkens hergestellten Ordnung unter Sinnesdaten, d. h. in der Herstellung von Vorstellungseinheiten, in die die Sinnesdaten als >Merkmale< eingegangen sind« (24). Zum Axiom, daß nur Seiendes erkennbar ist, als Prinzip und Kriterium sicherer Erkenntnis und unabhängig von Erfahrung gültigem Urteilsmaßstab des Denkens bei Piaton im Unterschied zur Begründung gewisser Erkenntnis aus dem Selbstbewußtsein bei Descartes Α. Schmitt, Neuzeitliches Selbstverständnis und Deutung der Antike, 1 9 5 f f ; A. Schmitt, Anschauung und Denken bei Duns Scotus, 14ff. Zu den wesentlichen Positionen der antiken Skeptiker Natorp, Forschungen·, zur Aktualität der von den Skeptikern erörterten Probleme Annas u. Barnes, The Modes of Scepticism.

1. Von den species sensibiles in medio zum unmittelbaren Wirken von Quantitäten 73 sich um ein Wiederaktualisieren längst bekannter Zweifel. N e u ist auch nicht die Annahme materiehafter Unmittelbarkeit, mit der die Gegenstände im Sinnesorgan Eindrücke hinterlassen sollen. N e u ist jedoch die Vehemenz, mit der die durch die scholastischen Aristoteles-Kommentare vermittelte Lehre der primae et secundae qualitates in Frage gestellt wird, und die Nachdrücklichkeit, mit der die Probleme entfaltet und diskutiert werden, die sich aus der für voraussetzungslos gehaltenen Wendung zum empirisch Einzelnen ergeben.

1. Von den species sensibiles in medio zum unmittelbaren Wirken von Quantitäten Den Zweifel an der subjektiven Gewißheit sinnlicher Wahrnehmung kleidet William Ockham in eine Frage, die zunächst nicht die Sinneserkenntnis selbst zu berühren scheint, nämlich ob es auch möglich sei, daß Gott in uns den Eindruck einer Wahrnehmung verursachen könne, obwohl dem nichts in der Wirklichkeit entspreche. 4 Ockham diskutiert die Frage im Zusammenhang mit der optischen Wahrnehmung; mit der vornehmlich auf Beispiele aus dem Bereich der Optik konzentrierten Erörterung wahrnehmungstheoretischer Probleme fördert er eine zu seiner Zeit bereits bestehende Tendenz, das Auge als »prototypical sense« zu behandeln. 5 Ockham bejaht die Frage und stimmt in dieser Hinsicht gegen Johannes Duns Scotus 6 mit Johannes Bassolis und Petrus Aureolis überein; letzterer geht sogar über Ockham hinaus und sagt, es gebe auch nicht von Gott verursachte Sinneseindrücke ohne Entsprechung im realen Objekt, im Traum etwa. 7 Nicolaus von Autrecourt hält dieser skeptischen Position in der Zuspitzung, welche sie durch Johannes Buridan, aber auch Bernard von Arezzo erfährt, die sie auf die Akte des Denkens selbst ausweiten, 8 entgegen, daß wir uns weder über die Objekte der Sinneswahrnehmung noch die eigenen Denkakte täuschten. Über

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Maier, Evidenz, 368ff.; Hochstetter, Studien, 58ff.; Maurer, Francis of Meyronnes< Defense, 31 Iff. In der Nachfolge wird dies zum Standardzweifel an der Gewißheit sinnlicher Erkenntnis: Lambert, Organon, Bd. 2, 221: »[...] die Begriffe, die wir sonst durch die Empfindung einer wirklich außer uns vorhandenen Sache erlangen, können auch in uns erweckt werden, ohne daß die Sache vorhanden sey, oder in die Sinnen wirke«. Tachau, Vision and Certitude, 3; im Zusammenhang mit der optischen Wahrnehmung (zu Ockham, 130ff.) werden allgemeine Schwierigkeiten, Gewißheit sinnlicher Erkenntnis sowie den Gegenstandsbezug plausibel zu erklären, im 13. Jahrhundert etwa von Roger Bacon, John Pecham, Witelo und anderen erörtert und auf die übrigen Sinne übertragen (3, Anm. 2). Zur Bedeutung der notifia intuitiva als Garant einer über jeden skeptischen Einwand erhabenen Gewißheit fur Duns Scotus Tachau, Vision and Certitude, 75f. Maier, Evidenz, 371f., Anm. 8. Maier, Evidenz, 402.

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Der Zweifel an der Gewißheit sinnlicher Erkenntnis seit Ockham und die folgen

die Objekte sinnlicher Wahrnehmung könne sogar m i t relativer Wahrscheinlichkeit geurteilt werden, wenn sich das Wahrgenommene mehreren Sinnen in gleicher Weise zeige. 9 Buridan hingegen sieht keinen Grund, in bezug auf die primae qualitates der Sinne eine Ausnahme zu machen; das jedoch hätte, so Johannes von Mirecourt, zur Folge, daß wir über nichts außerhalb unserer selbst Gewißheit hätten. 1 0

1.1. Ockhams genius malignus Ockham sieht gerade in der Wendung zur seiner Meinung nach voraussetzungslosen Empirie die Möglichkeit, sinnliche Gewißheit zu garantieren, und zwar Gewißheit dahingehend, daß das, was man wahrnimmt, auch tatsächlich objektiv ist, d . h . existiert. Keine natürliche Macht, G o t t ausgenommen, kann, so Ockham, bewirken, daß eine hinreichend gesicherte Wahrnehmung nicht der Wirklichkeit entspricht; denn hierzu bedürfe es der Zustimmung des wahrnehmenden Subjekts, und diese würde, dem Widerspruchsaxiom zufolge, daß etwas in derselben Hinsicht nicht zugleich sein und nicht sein könne, ausbleiben. 1 1 Die Zustimmung — assentio — des Subjektes wird anstelle extramentaler, übersubjektiver Kriterien zur Überprüfung der Richtigkeit der Erkenntnis seit Ockham zum ausschließlichen Kriterium, es mit in diesem Sinne objektiven Erkenntnissen zu tun zu haben. Und zwar soll die Zustimmung dann erfolgen, wenn man auf etwas stößt, das sich im Wandel der Erscheinungen bzw. deren Vorstellungen als fest, als konstant und damit als nicht im Widerspruch zum nächsten Zustand des Gegenstandes bzw. der Vorstellung von diesem befindlich

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Maier, Evidenz, 377f. u. 390. Zur Auseinandersetzung Autrecourts bezüglich dieser Frage mit Bernard von Arezzo's Position Tachau, Vision and Certitude, 340ff.; noch Meier, Anfangsgründe, Bd. 2, 216: »Man muß dasjenige, was man erfahren will, durch so viele Sinne zu empfinden suchen, als möglich ist. Die Erfahrung wird dadurch nicht nur lebhafter und gewisser, sondern auch richtiger«. So Mirecourt (zitiert nach Maier, Evidenz, 409, Anm. 78): »si sensatio exterior causaretur obiecto non causante vel non existente, perirei omnis certitudo de existentia sensibilis et conditionibus eius sensibilibus concurrentibus«. Tachau, Vision and Certitude, 116; Maier, Evidenz, 375 (in bezug auf Ockham) u. 399f. (in bezug auf Buridan); zu Ockham Hochstetter, Studien, 56ff. Maier, Evidenz, 384, hebt hervor, daß sich sicher zu sein, sich nichts anderes gewiß zu sein als dessen, dessen man sich gewiß ist »eine rein formale Überlegung« sei, »bei der offen bleibt, auf was die certitudo sich bezieht, von der vorausgesetzt wird, daß ich sie habe«. Fraglich ist allerdings, ob allein durch Autrecourts' Behauptung, »daß nur die Gewißheit, die sich auf den Satz des Widerspruchs zurückführen läßt, den Charakter der Evidenz hat [...], die Grundlagen der scholastischen Wissenschaft in Frage gestellt« (386) worden sind. Eher ist die alleinige Berücksichtigung subjektiver Gewißheit dafür verantwortlich zu machen; denn in letzter Konsequenz bleibt angesichts dieses Verfahrens nur Selbstgewißheit: Descartes' ragi/o-Argument. Zur Analogie der SelbstEvidenz des menschlichen Geistes, wie sie sich bereits bei Wilhelm von Auvergne findet und durch diesen an Duns Scotus und Ockham vermittelt, mit Descartes' cogito-Begriff Jüssen, Wilhelm von Auvergne, 160 u. f.

1. Von den species sensibiles in medio zum unmittelbaren Wirken von Quantitäten

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erweist. Auf diese Weise sollen die Beschaffenheiten ermittelbar sein, die dem Gegenstand schlechterdings entweder zukommen oder nicht zukommen und damit dessen Wesen ausmachen. 12 Die Evidenz der unmittelbaren Erfahrungserkenntnis bleibt allerdings Postulat, wird nicht bewiesen. 13 Ockham geht jedoch nicht so weit, aus der Annahme, daß einer Wahrnehmung kein äußeres Objekt entsprechen müsse, den Schluß zu ziehen, daß das, was man wahrzunehmen meine, vielleicht gar nicht existiere. 14

1.2. Roger Bacon oder die reale Vervielfältigung der Qualitäten im Raum Dem Zweifel, daß der Vorstellung von etwas Wahrgenommenem eine wirkliche Qualität im Objekt entspricht, versuchen Roger Bacon15 und andere im Anschluß an Robert Grosseteste 16 durch die Annahme zu begegnen, daß es eine unmittelbare Beziehung zwischen Subjekt und Objekt gebe, indem sich die Qualitäten selbst real im Medium durch Vervielfältigung fortsetzten. 17 Hierdurch soll ein subjektunabhängiger Status der Qualitäten garantiert sein. 18 Sie bedeutet zugleich eine Zurückweisung der Auffassung, wie sie Albertus Magnus, Thomas von Aquin und Aegidius Romanus vertreten, derzufolge zeitliche wie räumliche Sukzessivität aufgrund der angenommenen Immaterialität der Qualitäten ausgeschlossen ist. 19 Allerdings bleibt Bacons These nicht unangefochten. Die Simultaneität des visuellen Eindrucks sei nicht vereinbar mit der infolge der angenommenen Materialität notwendigen räumlichen wie zeitlichen Aufeinanderfolge. Bacon hält dem entgegen, daß diese zwar bestehe, aber nicht wahrgenommen werde. 20 Eingewendet wird ferner, daß nicht entscheidbar sei, ob der im Sinn entstehende Eindruck einen tatsächlich existierenden Gegenstand repräsentiere oder ob es sich dabei nur um einen bestehen gebliebenen Eindruck von etwas handele, das längst nicht mehr existiere. 21 Hiermit hängt die Frage nach dem 12

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In diesem Sinne z.B. Mendelssohn, Schriften zur Philosophie, Bd. 1, 64; Mendelssohn bezieht sich häufig auf den Widerspruchssatz in diesem Sinne (49, 59, 73 u. 331). Maier, Evidenz, 415. Maier, Evidenz, 368. Tachau, Vision and Certitude, 8ff. u. I6f. Tachau, Vision and Certitude, 7; Maier, species sensibiles, 420; Vogl, Roger Bacons Lehre, 205-227. Bei dieser Annahme wird auf die griechische Atomistik der Antike als Erklärungsmuster zurückgegriffen, so Crombie, Science, Optics and Music, 68 u. 78. Tachau, Vision and Certitude, 12. Allerdings, so Maier, species sensibiles, 421, haben die Genannten »die Wirkweise der Bewegungskräfte [...] nie wirklich geklärt [...], und im Grunde auch nicht die der Qualitäten«. Zur Frage, ob Maiers Urteil zutrifft, meine Ausführungen Teil 1, Kapitel II, 1.2. —1.3.; zu Ockhams Argumenten, die Speziestheorie abzulehnen, Hochstetten Studien, 34ff. Tachau, Vision and Certitude, 20. Tachau, Vision and Certitude, 23.

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Der Zweifel an der Gewißheit sinnlicher Erkenntnis seit Ockham und die Folgen

Status zusammen, welcher der Repräsentation der Qualität zugesprochen wird. W e n n die Qualität, so Peter Olivi, im Kausalprozeß ständig neu erzeugt wird, ist das letzte Glied in diesem Prozeß eher Produkt des vorhergehenden als eine tatsächliche Repräsentation der Ausgangsqualität am Gegenstand; unmittelbarer Kontakt bestünde also nicht zwischen Gegenstand u n d Betrachter, sondern nur zwischen diesem letzten Glied in der durch Kausalprozeß vermittelten K e t t e von Repräsentationen. 2 2 D e m ebenfalls von Olivi erhobenen Einwand, daß im Fall der Farbe auch die Luft und das Auge farbig werden m ü ß t e n , 2 3 entgegnet Durandus von St. Pourçain, der sich Bacons These von der realen Fortsetzung der Qualitäten im M e d i u m anschließt, daß jede Farbe etwas Lichthaftes an sich habe. 2 4 Durch die Analogie zwischen der Qualität der Farbe u n d d e m Licht ist die Identifizierung von Farbe m i t Licht angelegt, wie sie in der Nachfolgezeit vollzogen wird. Sie ist ein Beleg für die Verlagerung der Aufmerksamkeit von dem Inhalt der W a h r n e h m u n g auf die Bedingungen, unter denen etwas d e m Auge sichtbar wird. 2 5 Das materielle Fortwirken der Qualitäten im M e d i u m in Gestalt eines Kausalprozesses vorausgesetzt, sind Olivi zufolge aber auch O r t und Entfernung des Gegenstandes nicht erkennbar, 2 6 denn diese könnten als Quanten keine Repräsentationen erzeugen, da sie kein Akzidens des Gegenstandes, höchstens des Mediums seien. 2 7 Gesetzt jedoch, die Qualitäten sind nicht materieller, sondern geistiger N a t u r , so ist nicht erklärbar, wie sie physikalische Änderungen bewirken können; denn Fortwirken im Körperhaften, wie es die Sukzession im Räumlichen erfordert, betreffe nur Ausgedehntes. 2 8

1.3. Olivis A n n a h m e unmittelbaren kausalen Wirkens von Qualität Infolge der genannten Einwände wird die Lehre von den species sensibiles in medio, ihre Materialität vorausgesetzt, abgelehnt. 2 9 Peter Olivi schlägt als Lösung vor,

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Tachau, Vision and Certitude, 44. Tachau, Vision and Certitude, 45. Maier, species sensibiles, 431. Etwa bei William Ockham, Durandus und Nicolaus von Oresme, so Maier, species sensibiles, 440 u. 449. Zu diesen Bedingungen zählen neben dem Licht die physiologische Beschaffenheit des Sinnesorgans sowie die Perspektive; bei der Perspektive ist am offensichtlichsten, wie die Bedingung sinnlicher Wahrnehmung durch die Auffassung von der Materiehaftigkeit des Wahrnehmungsvorganges zum eigentlichen Akt avanciert; hierzu genauer in diesem Kapitel, 2.3. Zur immer detaillierteren Analyse des physiologischen Sehapparates sowie des je nach Medium unterschiedlichen Verhaltens der Lichtstrahlen von den arabischen Quellen im Mittelalter bis ins 17. Jahrhundert Crombie, Science, Optics and Music, 175-284. Tachau, Vision and Certitude, 42. Tachau, Vision and Certitude, 43. Tachau, Vision and Certitude, 46. Laut Tachau, Vision and Certitude, 44f., sind vor allem die Einwände Peter Olivis für die Nachfolgezeit von zentraler Bedeutung.

1. Von den species sensibiles in medio zum unmittelbaren Wirken von Quantitäten

77

daß durch die Hinwendung des Betrachters auf den sichtbaren Gegenstand dieser unmittelbar, ohne Erzeugung von species sensibiles in medio, erfaßt werde. 30 Da eine solche Hinwendung ohne die Existenz eines Gegenstandes nicht statt hätte, hält er dessen reales Sein für gesichert. 31 Der Betrachtende bringe in sich Qualitäten als Entsprechungen des Gesehenen hervor. 32 Die angenommene Unmittelbarkeit soll garantieren, daß es sich dabei um eine tatsächliche, nicht nur eingebildete Entsprechung handelt. 33 Im Unterschied zu Olivi vertritt Ockham die Auffassung, daß die Qualitäten zwar ohne Träger als Mittler zwischen Objekt und affiziertem Sinn, aber in Entfernung wirken. 34 Gleichwohl geht auch er von einer Unmittelbarkeit kausalen Wirkens zwischen Gegenstand und wahrnehmendem Subjekt aus, welche die »ursprüngliche Grundlage der objektiven Gültigkeit unserer Erkenntnis der Außenwelt« 3 5 wiederherstellen soll; sie wird dabei zum Garanten für die Wahrnehmung eines individuellen Wirklichen; Täuschung soll hierbei ausgeschlossen sein. 3 6 Sachlich stützt Ockham die Auffassung von der direkten Kontaktwirkung jedoch, indem er annimmt, daß die Farbe bzw. das Licht 3 7 im Medium zwischen Objekt und Sinn sich real fortsetzen. Durch Bacons Annahme, daß die Qualitäten selbst sich im Medium ausbreiten, ist eine für die Nachfolgezeit wesentliche Veränderung in der Wahrnehmungstheorie angelegt: Die Qualitäten sind nicht, wie Thomas von Aquin und andere annehmen, am Gegenstand der Möglichkeit nach vorhanden und werden durch die Wahrnehmung aktual, sondern sie sind materielle Beschaffenheiten

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Tachau, Vision and Certitude, 48f. Tachau, Vision and Certitude, 51. Tachau, Vision and Certitude, 50. Tachau, Vision and Certitude, 51. Maier, species sensibiles, 433 u. 444; Hochstetten Studien, 37f. Hochstetter, Studien, 38. Zu den Beispielen der Sinnestäuschung Maier, Evidenz, 396, Anm. 57. Hochstetter, Studien, wendet gegen diese »Fundierung der Erkenntnis« zu Recht ein, daß »die in der Abbildtheorie vorliegende Schwierigkeit der Unnachprüfbarkeit der Übereinstimmung zwischen der Erkenntnis und ihrem unbekannten Objekt durch die Hinzufügung des Kausalnexus nicht behoben wird« (48). Maier, species sensibiles, 438ff.; Maier, Mechanisierung, 20. Auch Hobbes, Opera philosophica, Bd. 2, 7: »Lumen autem et color ita figuratus imago dicitur«. Die Tendenz in der Wahrnehmungstheorie des Spätmittelalters, Farbe mit Licht gleichzusetzen, ja die Aufmerksamkeit von der Farbe auf das Licht als deren Inbegriff zu verlagern, ist durchaus in Zusammenhang zu sehen mit der Tendenz in der Tafelmalerei des 14. Jahrhunderts, »nun das Licht selbst zu einem Gegenstand der Darstellung vermittels der auf die undurchdringliche, feste Malfläche aufgetragenen Farbe« zu machen. Die Farbe »steigt auf zum Licht, versinkt ins Dunkel, ist Übergang im Spannungsbogen zwischen beiden, erscheint somit, zum ersten Mal in der Geschichte der Malerei, als eine Funktion des Helldunkels« (Dittmann, Farbgestaltung und Farbtheorie, 24). Hierher rührt auch das besondere Interesse der Malerei in der Renaissance, zunächst in Italien, »sich mit der Reaktion des Lichtes auf verschiedenartigen Oberflächen« sowie der »Darstellung von Glanz« allgemein zu befassen (Gombrich, Licht, Form und Oberfläche, 34).

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Der Zweifel an der Gewißheit sinnlicher Erkenntnis seit Ockham und die Folgen

der Dinge selbst. Indem nicht differenziert wird zwischen den Dingen und dem, was man von ihnen erfassen kann, wird das Wahrgenommene als objektive Eigenschaft des Gegenstandes verstanden. Da dieser sich jedoch ständig wandelt, liefert sich die Wahrnehmung dem Fluß der ständig in Veränderung begriffenen Materie und damit widersprüchlicher Erfahrung aus.

1.4. Zur intensiven Größe bei Heinrich von Gent Scheint die Frage nach der Korrespondenz zwischen Wahrnehmung und Objekt durch die Annahme einer unmittelbaren Fernwirkung von etwas Materiellem auf etwas Materielles trotz vielfältiger und berechtigter Einwände auch gelöst, so ergibt sich hiermit ein neues Problem, nämlich was der Träger unterschiedlicher Intensitätsgrade der Qualitäten ist. 38 Wenn die Qualitäten materiehaft sind, müssen sie es sein, die eine Zunahme bzw. Abnahme und variable Intensivierbarkeit erfahren, wie bereits Heinrich von Gent annimmt. 39 Möglich ist dies nur unter der Voraussetzung, daß die Qualitäten eine gewisse Unbestimmtheit, ja Unendlichkeit aufweisen — eine Annahme, welche neben Heinrich von Gent auch Hervaeus Natalis teilt. 40 In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wie man sich die Zu- bzw. Abnahme der Intensität vorzustellen hat: durch Addition der Formen, wie Duns Scotus und in dessen Nachfolge auch Ockham schließen, 41 oder durch Sukzession der Formen, wie Walter Burley und andere meinen. 42 Durch die Annahme, daß Qualitäten am Gegenstand materiell nachweisbar sind und als sie selbst Zu- bzw. Abnahme erfahren, ist naheliegend, qualitative Veränderung als numerisch erfaßbare Quanten zu verstehen 4 3 So spricht Durandus von unitas continuitatis.44 >Qualität< ist in beiden Fällen die im Prozeß der Veränderung sich gleichbleibende abstrakte Einheit; deren spezifische Beschaffenheit gerät dabei aus dem Blick, da die Aufmerksamkeit auf Bewegung als das im Prozeß der Veränderung Gleichbleibende konzentriert ist. Will man trotz des ständigen Wandels der Materie etwas von der wahrnehmbaren Welt erkennen, ist der notwendige Schluß, daß Farbigkeit oder Drucknachgiebigkeit nur dann richtig erfaßt sind, wenn die für einen bestimmten Gegenstand spezifische Intensitätsbreite der jeweiligen Qualität mit wahrgenommen ist. 45 Da die Sinne aber nur eine Beschaffenheit zu einem Zeitpunkt 38 39

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Maier, Zwei Grundprobleme, zu Thomas 22ff., zu Duns Scotus 5Iff. u. 59ff· Maier, Zwei Grundprobleme, 30f.; Clagett, Richard Swineshead, 134f.; Schönberger, Realität und Differenz, 101. Maier, Zwei Grundprobleme, 32f. Maier, Zwei Grundprobleme, 59 u. 74. Maier, Zwei Grundprobleme, 6 6 - 6 8 u. 3 1 5 - 3 5 2 ; Clagett, Richard Swineshead, 136ff. Crombie, Science, Optics and Music, 69; Maier, Zwei Grundprobleme, 79ff. Maier, Zwei Grundprobleme, 71. Maier, Zwei Grundprobleme, 32f.

2. Veränderter Status der primären Qualitäten

79

wahrnehmen können, fallt das Erfassen der Modifikationen eines Gegenstandes sowie der Verlaufsform der Veränderung nicht in den Bereich sinnlicher Wahrnehmung. Folglich gilt >Qualität< für Nicolaus von Oresme als Gegenstand nicht sinnlicher Erkenntnis, sondern quantitativer Messung, ohne daß er allerdings hierfür ein plausibles Verfahren anzugeben wüßte; 4 6 dies ist der Grund, weshalb in bezug auf Oresme und seine Zeitgenossen eher von quantitativer Prozedur zu sprechen ist als von tatsächlicher empirischer Messung. 4 7 Gleichwohl ist vorausgesetzt, nur über die Erfahrung Kenntnis darüber erlangen zu können, was Qualität als sie selbst ist: nämlich die Summe vielfältigster, ja sämtlicher Intensitätsgrade einer Qualität; erst deren Totalität soll die Fülle der Erscheinungsweisen in angemessener Weise repräsentieren können. Aufgrund der Gegensätzlichkeit selbst innerhalb einer Qualität, etwa des Warmen und Kalten, ist eine derartige summative Zusammenfassung zum Begriff von >Qualität< im Vergleich mit der Einzelwahrnehmung allerdings notwendig unbestimmter.

2. Veränderter Status der primären Qualitäten Die Diskussion um die intensio et remissio formarum

ist für die Nachfolgezeit

implikationsreich. Aus der Widersprüchlichkeit der Erfahrung wird der Schluß gezogen, daß das von den Sinnen Wahrgenommene, da es sich ständig wandle, keine Entsprechung im Gegenstand und nur das Konstante, die Bewegung, Bestand und damit Objektivität habe. Hierdurch verlagert sich die Aufmerksamkeit von dem, was die Sinne jeweils erkennen, darauf, ob sich deren Erkenntnis in allen Veränderungen des Gegenstandes durchhält. Wenn nur das konstant sich Durchhaltende Erkenntnis objektiver Wirklichkeit ist, alles übrige subjektive Empfindung, dann spielt das Erkennen von Farbe, von Drucknachgiebigkeit, kurz: das Erfassen der primären Qualitäten, keine Rolle bei der Einsicht in die Beschaffenheit der gegenständlichen Welt.

2.1. Irrelevanz der primären Qualitäten für Einsicht in wahrnehmbare Welt (Leibniz, Mendelssohn) Leibniz bezieht sich auf die seit dem Spätmittelalter neuerlich ins Blickfeld der Kritik geratenen Problemfälle der Färb- und Wärmewahrnehmung. 4 8 Ihm 46

Molland, Nicole Oresme, 212 u. 220; Maier, Zwei Grundprobleme, 89.

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Crombie, Science, Optics and Music, 7 8 u. 80; zu Robert Grosseteste u. Roger Bacon I48ff. Leibniz zur Täuschung des Auges, welchem Eckiges, weil entfernt, rund erscheine (Philosophische Schriften, Bd. 3 / 1 , 122), welches gemalte Körper für authentisch halte (Bd. 3 / 1 , 156).

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Der Zweifel an der Gewißheit sinnlicher Erkenntnis seit Ockham und die Folgen

zufolge lassen Farbübergänge eine eindeutige Bestimmung, eine spezifische Farbe zu sehen, nicht zu. 4 9 Leibniz referiert sogar eines der Standardbeispiele, daß dasselbe Wasser der einen Hand kalt, der anderen warm erscheint, zieht unter der Voraussetzung, daß nur eine Qualität einem Gegenstand im absoluten Sinne zukommen könne, 5 0 aber den Schluß, daß die offensichtliche Widersprüchlichkeit ihre Ursache in der Wahrnehmung selbst habe: 5 1 Die Eigentemperatur der Hand wertet er als Vermischung mit und Veränderung der an sich objektiv gegebenen Eigenschaft des Gegenstandes 52 bzw. als Abweichung von der üblichen Erfahrung. 5 3 So kommt er zu dem Ergebnis, daß aufgrund der Unterschiedlichkeit der taktilen Wahrnehmung in bezug auf ein und denselben Gegenstand zwar »un rapport assés exact« 5 4 zwischen dem Wahrnehmungsinhalt und dem diesen verursachenden Gegenstand angenommen werden könne; diese Beziehung sei jedoch nicht deutlich. Im Fall der Farbe wie der W ä r m e entscheidet Leibniz sich für die Annahme von Intensitätsgraden der entsprechenden Qualitäten 5 5 und bestätigt den bereits durch die Vorgänger vollzogenen Schluß, daß weder Farbe noch W ä r m e Aufschluß über die Welt der Gegenstände erlaubten; 5 6 das sei vielmehr ein Strom von Sichveränderndem, wobei 49 50

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Leibniz, Philosophische Schriften, Bd. 3/1, 122 u. 452. Folgendermaßen versucht Hobbes, das Dilemma zu lösen, das sich durch die Annahme ergibt, Wahrnehmung sei passive Rezeption von zwischen Träger und Wahrnehmendem intermittierenden materiehaften Teilchen; dann könnten nämlich nie mehrere Beschaffenheiten gleichzeitig wahrgenommen werden: »Neque vero permittit natura sensionis, ut plures res simul sentiantur; cum enim natura sensionis consistât in motu, dum organa sentiendi ab uno aliquo objecto occupantur, ab alio it moveri non possunt [...]« (Hobbes, Opera philosophica, Bd. 1, 321). Gleichwohl ist die sachliche Darstellung zutreffend: »[...] quand nostre main est fort chaude, la chaleur mediocre de l'eau ne se fait point sentir« (Leibniz, Philosophische Schriften, Bd. 3/1, 150). Bezüglich der Frage, ob Farbe eine Realität sei: »[...] la couleur jaune ne laisse pas destre une realité comme l'arc en ciel« (Philosophische Schriften, Bd. 3/1, 366); so bezeichnet er die Ideen der sinnlichen Qualitäten wie die Farbe und den Geschmack als »phantömes« (Bd. 3/2, 318); »[...] les sentimens que nous avons de la couleur et de la chaleur, ne ressemblent à aucun original ou archetype« (Bd. 3/1, 474). »[...] la denomination se fait par le plus ordinaire: et il demeure cependant vray, que lorsque l'organe et le milieu sont constitués comme il faut, les mouvemens internes et les idées [ . . . ] resemblent aux mouvemens de l'object qui causent la couleur, la chaleur [...]« (Philosophische Schriften, Bd. 3/1, 150). Lambert, Organon, Bd. 2, argumentiert identisch in bezug auf die jeweils verschiedene Eigenwärme des Körpers als Grund für unterschiedliche Kälte- und Hitzeempfindungen (222, 241 u. 249), in bezug auf den Sinnentrug als »Anomalie« (247). Leibniz, Philosophische Schriften, Bd. 3/1, 150; deutlich sei sie deshalb nicht, »parceque nous ne saurions démêler cette multitude de petites impressions ny dans nostre ame ny dans nostre corps ny dans ce qui est dehors« (ebd.). Und doch meint Leibniz, es gebe einen »rapport exact à l'égard des secondes aussi bien qu'à l'égard des premieres qualités«, denn »il est bien raisonnable que l'effect réponde à sa cause« (148). Dennoch spricht Leibniz von »la perception de la lumiere ou de la couleur« bezüglich des Auges (Philosophische Schriften, Bd. 3/1, 154); aber Licht wie Farbe bestehen aus einer »quantité de petites perceptions, dont nous ne nous appercevons pas« (ebd.). Zwar legt Leibniz den Gedanken nahe, daß das auch auf die anderen Sinne zutreffe, führt ihn aber nicht aus; so wird nur gesagt, Farbintensitäten seien Modifikationen

2. Veränderter Status der primären Qualitäten

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die Spezifik der jeweiligen Wahrnehmung von bestimmter Farbigkeit und W ä r m e auch hier zugunsten des Gemeinsamen, der Bewegung, aus dem Blick g e r ä t . 5 7 Dieses Sichbewegende gehöre zu den »perceptions insensibles«, 5 8 es befinde sich »hors de la portée de nos sens«. 5 9 Ein nachweisbarer Reflex der Diskussion um die intensive Größe findet sich auch bei Mendelssohn. 6 0 Als >intensiv< versteht Mendelssohn Qualitäten, die eine Vermehrung bzw. Verminderung erfahren und nur durch Messen der Grade der Veränderung sowie das Vergleichen zweier bzw. mehrerer Werte m i t einander erkannt werden könnten. 6 1 Die Grade ihrer Veränderung sind, so Mendelssohn, jedoch so unendlich klein, daß sie sich einer solchen Erfassung zumindest mit den bloßen Sinnen entziehen, da sie nicht quantitativ ausgedehnt seien. 6 2 Mendelssohn zieht hieraus den bereits vertrauten Schluß: Die intensiven Größen gehören nicht zur körperhaften Gegenstandswelt und sind für deren Erkenntnis irrelevant. 6 3

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der Farbe, »sans parler des saveurs et odeurs« (Philosophische Schriften, Bd. 3/1, 216). Leibniz möchte statt von Härte oder Weichheit lieber von Graden der Kohäsion sprechen (134) — seiner Meinung nach eine angemessenere Bezeichung fur Unterschiede der Drucknachgiebigkeit, wie er auch in bezug auf unterschiedliche Nuancen ein und derselben Farbe auf die Bezeichnung von Graden zurückgreift (214). Zur Verworrenheit der thomistisch primären Qualitäten: » [ . . . ] la confusion qui regne dans les Idées, pourra estre exemte de blâme, estant une imperfection de nostre nature: car nous ne saurions discerner les causes par exemple des odeurs et des saveurs, ny ce que renferment ces qualités« (454). » [ . . . ] le sentiment de la chaleur ou de la lumière resuite de quantité de petits mouvemens, qui expriment ceux des objects [ . . . ] et n'en diffèrent qu'en apparence et parceque nous ne nous appercevons pas de cette analyse« (Philosophische Schriften, Bd. 3/1, 232). Gleichzeitig hält Leibniz Licht und Farbe für die eigentlichen Objekte des Auges (124 u. 162), nennt auch detailliert »qualités tactiles« wie »le poli ou rude, et le dur ou mol«, die ihm als Modifikationen »de la resistence ou de la solidité« gelten (126). Philosophische Schriften, Bd. 3/1, X X V I . Philosophische Schriften, Bd. 3/1, X X V I I I . Zu den intensiven Größen zählt Mendelssohn »Farbe, Geschmack, Geruch, Hunger, Schmerz« (Schriften zur Philosophie, Bd. 2, 241). Zu den intensiven Größen zählt er aber auch Bewegung, Geschwindigkeit, Wärme und Licht (Schriften zur Philosophie, Bd. 1, 54) bzw. Bewegung, Größe, Licht, Ausdehnung sowie seelische Regungen (63); intensive Größen könnten »an und fiir sich nicht ausgemessen« (241) und damit auch nicht erkannt werden (57); das gelte vor allem fiir »Licht, Wärme, Farbe, Härte usw.« (ebd.) - also abgesehen vom Licht vorwiegend fiir die von Thomas als primäre bezeichneten Qualitäten; Mendelssohn nennt sie auch qualitates sensibiles (57 u. 64) oder Quantitäten, insofern sie »einem Dinge mehr oder weniger zukommen« (63). Schriften zur Philosophie, Bd. 1, 63. Schriften zur Philosophie, Bd. 1, 94. Diese, von Mendelssohn auch qualitates sensibiles genannt, seien »ausser uns nicht so« anzutreffen, »wie sie uns, vermöge unserer sinnlichen eingeschränkten Erkenntniss scheinen«; sie hätten deshalb auch keine Realität (Schriften zur Philosophie, Bd. 1, 85).

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Der Zweifel an der Gewißheit sinnlicher Erkenntnis seit Ockham und die Folgen

2.2. Da Cingolis Ableitung flüchtigerer Qualitäten aus konstanteren Qualitäten N o c h in anderer Hinsicht ebnet die A b w e r t u n g der primären Qualitäten der U m k e h r der Sinneshierarchie den Weg. D a zunehmend aus dem Blick gerät, was die Sinne in bezug auf die primären Qualitäten erkennen, werden die sekundären Qualitäten nicht mehr als Synthesis aus den für die einzelnen Sinne jeweils spezifischen W a h r n e h m u n g e n (als farbiges Sichbewegendes, Ruhendes von bestimmter Drucknachgiebigkeit) verstanden, sondern als unspezifische W a h r n e h m u n g von Sichbewegendem, R u h e n d e m , Einfachem. D a jedoch - so die durch Thomas an die Nachfolgezeit vermittelte M e i n u n g - mehrere bzw. alle Sinne die sekundären Qualitäten gleichermaßen wahrnehmen, liegt die Annahme nahe, dieses >gleichermaßen< bedeute: das Gleiche wahrnehmen, also gesehene oder gefühlte Bewegung, weil Bewegung, für identisch zu halten. 6 4 W e n n jedoch alle Sinne in gleicher Weise Veränderung wahrnehmen, erscheint es ratsam, auf denjenigen der Sinne am ehesten zu vertrauen, der am sichersten gilt: den Tastsinn. 6 5 Da Cingolis Frage, ob die species sensibiles die Fähigkeit haben, den Körper zu erwärmen bzw. abzukühlen, ist in diesem Z u s a m m e n h a n g symptomatisch. U m unmittelbare Kausalität zwischen W a h r n e h m e n d e m und wahrzunehmendem Gegenstand durch eine einzige und kontinuierliche, zudem einfachste und einförmigste B e w e g u n g 6 6 zu gewährleisten, versteht da Cingoli die species sensibiles der den übrigen Sinnen zugeordneten spezifischen Qualitäten als Mischungen aus tastbaren Qualitäten. 6 7 Alle, auch die Qualitäten des Sehsinnes, haben ihm zufolge in Analogie zu den tastbaren Qualitäten ein reales Sein, existieren tatsächlich; 6 8 welcher Art dieses reale Sein sein soll, wird allerdings nicht präzisiert. 6 9 D a die Einfachheit der Kausalwirkung, selbst wenn alle qualitativen Bes t i m m u n g e n durch nurmehr vier verschiedene Tastqualitäten, die prima sensibilia?° generiert sind, keineswegs gewährleistet ist, schränkt da Cingoli in diesem Sinne konsequent die Wirkweise sämtlicher Qualitäten auf zwei: Erkalten 64

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Laut Frömmichen, Briefe, 105, ist »die Folge der Dinge auf einander, der beständige Wechsel der Veränderungen, aus welchen die Welt bestehet, [...] ein Gegenstand der Sinnen«. Mendelssohn, Schriften zur Philosophie, Bd. 1, 242, zufolge sind Ausdehnung und Bewegung ausschließlich Gegenstand des Tastsinns. Mendelssohn wendet sich kritisch gegen die Gleichsetzung, »daß die bewegte Materie der Stoff und der Vorwurf aller sinnlichen Empfindung sei«. Da Cingoli, species sensibilis, 71: »unus, [...] simplicissimus et uniformis et continuus«. species sensibilis, 85: »[...] omnes qualitates sensibiles generantur ex mixtione primarum qualitatum sensibilium, que sunt qualitates tangibiles sicut calidum frigidum siccum humidum. Unde colores, odores et sapores ex primis quattuor qualitatibus tangibilibus causantur. Similiter et sonus causatur ex primis quattuor qualitatibus.« species sensibilis, 86: »[...] non intelligo, quod species sensibilis solum habeat esse intentionale, immo esse reale habet aliquo modo«. species sensibilis, 86. species sensibilis, 75.

2. Veränderter Status der primären Qualitäten

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bzw. Erwärmen, ein. 7 1 Indem er die Qualitäten der übrigen Sinne als Mischungen aus tastbaren begreift, vereinfacht er nicht nur die Komplexität innerhalb der Qualitäten, sondern ebenso den Vorgang der Wahrnehmung. Wahrnehmen bedeutet, daß der Körper, und zwar dessen zentrales Organ, das Herz, 7 2 warm oder kalt wird infolge der Vervielfältigung der species.7i Wahrnehmung ist folglich nichts anderes als physiologische Veränderung eines mehr oder minder intensiven Wärmezustandes. 74 Da das Herz als Ort dieser Veränderung da Cingoli zugleich als Ursprung der Gefühle gilt, sollen mit dieser physiologischen Veränderung auch bestimmte Gefühlszustände ausgelöst sein, die da Cingoli kurzerhand mit ersteren gleichsetzt. Kälte sei Furcht, Hitze sei Zorn. 7 5 Da Cingolis Position ist auch insofern symptomatisch, als er unter >primären< Qualitäten solche versteht, welche sich als die konstanteren erwiesen, aus denen sich die übrigen, sekundären, ableiten Hessen. Nicht nur der Sache nach, sondern auch begrifflich ist damit eine Umdeutung vorbereitet, wie sie sich erst später allgemein durchsetzt und mit Locke und Leibniz zur vorherrschenden Meinung wird, ohne daß man noch um die Umdeutung wüßte. 7 6

2.3. Hobbes' Zentralperspektive und die Verlagerung vom Inhalt zur Bedingung des Sehaktes Noch in einer weiteren Hinsicht führt Ockhams Zweifel zur Umkehr der Sinneshierarchie. Wenn nur über Empirie, und zwar vermeintlich voraussetzungslose, etwas über die Beschaffenheit der Gegenstände in Erfahrung zu bringen ist, dann muß das Auge nicht nur Farbiges von bestimmter Ausdehnung und Form, sondern auch Größe und Entfernung von Gegenständen erfassen können. In bezug auf Größe und Entfernung ist die optische Wahrnehmung aber nicht minder widersprüchlich als im Fall der Farbigkeit; denn was im Vergleich mit dem einen Gegenstand groß erscheint, ist im Vergleich mit einem anderen klein; auch wandelt sich die >Größe< des Wahrgenommenen je nach Entfernung des Betrachters vom Gegenstand. Bei der Feststellung vielfacher Widersprüchlichkeit, die als Fehlurteil des Auges hinsichtlich von Größe und Entfernung ausgelegt wird, gerät aus dem Blick, daß man sich bei dem Urteil über diese 71

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species sensibilis, ebd.: »Non solum autem prima sensibilia possunt alterare ad caliditatem et frigiditatem, sed etiam omnia alia sensibilia«. species sensibilis, 87: »Omne movens oportet, quod fixionem habeat ad aliquid, verum est et dico, quod species affigitur ipsi cordi, immo non habet virtutem movendi sensus nisi in virtute primi sensitivi, quod est cor. Unde ad ipsum terminantur omnes alterationes sensuum particularium. Ideo in corde eius fixionem habet«. species sensibilis, 8 6 : » [ . . . ] species sensibilis multiplicat suam speciem in organo et ipsum Organum alterat et Organum alteratum alterat partum (sic!) organi sibi propinquam et sic totum corpus ab illa specie alteratur«.

species sensibilis, 71f. species sensibilis, 70f.

Hierzu dieses Kapitel, 4.2.

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immer schon auf etwas durch das Auge Wahrgenommenes stützt: Farbiges von bestimmter Ausdehnung. Wäre aber nicht tatsächlich etwas wahrgenommen worden, könnte es nicht mit anderem verglichen oder mit der Entfernung in Verbindung gebracht und dementsprechend Kleinsein oder Großsein angemessen beurteilt werden. Es gerät aber auch aus dem Blick, wie überhaupt ein solches Urteil zustande kommt, wenn der Begriff etwa des Großseins nur aus der Erfahrung abzuleiten, mithin widersprüchlich, da selbst einmal groß, einmal klein ist. Hobbes verknüpft den zu seiner Zeit bereits als communis opinio geltenden Zweifel an der Objektivität der primären Qualität des Auges — Licht bzw. Farbe seien »non objectorum accidentia, sed phantasmata nostra« - mit dem Vorwurf, dem Auge erscheine ein und dasselbe Objekt »modo majus, modo minus, modo proprius, modo longinquius«. 7 7 Die Widersprüchlichkeit der Erfahrung gilt Hobbes zufolge auch für Größe und Entfernung. Die Täuschungen seiner Meinung nach des Auges versucht Hobbes durch vielfältige Beispiele zu belegen. Er schlägt eine Lösung vor, die schon zur Abwertung der primären Qualitäten geführt hat, nämlich von den einzelnen, weil ständig in Wandlung begriffenen Größen- und Abstandsverhältnissen abzusehen, um zu der in allen Wandlungen sich gleichbleibenden Konstante, welche er Idee nennt, vorzustoßen. Diese Konstante gilt ihm zugleich als Maßstab des Denkens. 7 8 Die aus verschiedenen Erfahrungen abgeleitete Konstante gerät dabei unversehens zum Begriff (= Idee), so als ließe sich erfahrungsimmanent begreifen, was Größe selbst ist. Die Perspektivik ist für Hobbes der zentrale Grund für die Täuschbarkeit des Auges. 7 9 Durch die Konstruktion einer Zentralperspektive, welche Größenrelationen von Gegenständen quantitativ festzuschreiben versucht, soll die Wahrnehmung von Großem oder Kleinem auf >die< richtige und damit objek77

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Hobbes, Operaphilosophica, Bd. 2, 7. Daß das durch das Auge Wahrgenommene lediglich den Status subjektiver Einbildung habe, überträgt Hobbes auf die primären Qualitäten der übrigen Sinne: »lux enim et color, et calor, et s onus, et caeterae qualitates, quae sensibiles vocari soient, objecta non sunt, sed sentientium phantasmata. Phantasma enim est sentiendi actus« (Opera philosophica, Bd. 1, 319; auch 329 u. f.). Opera philosophica, Bd. 2, 33: »Similium enim, in quantum similia sunt, una tantum est idea, quemadmodum per totum diem eandem rem intuentes eandem ejus semper habemus imaginem. Excitari autem ab aspectu simplicis trianguli ideam porticus in iis, qui assueverunt rerum apparentias cum veris earundem figuris comparare, difficile non est, puta in pletore, cujus animus perpetuo per istiusmodi objecta circumvolitat«. Ahnlich verfährt Lambert: Er zählt zur Optik die Gesetze der Lichtbrechung, die quantitativ anzugebende Verhältnismäßigkeit zwischen Entfernung des Betrachters vom Gegenstand und der entsprechenden Größe und Schärfe des Umrisses, »die genaue Ausmessung der Helligkeit und Farbe« (Organon, Bd. 2, 258), um nach Abzug aller dieser zufälligen Bedingungen den Gegenstand in seiner wahren Farbbeschaffenheit, Größe und vielansichtigen Dreidimensionalität vor sich zu haben (23 lf. u. 270). Hobbes, Opera philosophica, Bd. 2, cap. De linea visuali, et percepitone motus (7ff.), De objecti loco apparente, sive [...] de loco imaginis per visionerà directam [..] (18ff.), De repraesentatione objecti in perspectiva, 29ff.

2. Veränderter Status der primären

Qualitäten

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tive Relation festgelegt sowie eine d e m Gegenstand absolut z u k o m m e n d e B e s t i m m u n g nachgewiesen w e r d e n . 8 0 D a hierbei jedoch nicht die Dimension der W a h r n e h m u n g verlassen wird, die sich, wie Hobbes selbst sieht, nicht korrigieren läßt, g e n ü g t auch sie d e m Anspruch eines g ü l t i g e n Maßstabs zur Beurteilung von sich verändernden Größenverhältnissen nicht. Dasselbe trifft auch auf alle weiteren Versuche zu, die seit der Antike i m m e r wieder angeführten, angeblich optischen T ä u s c h u n g e n zu korrigieren (die Sonne erscheine, obwohl g r o ß , d e m A u g e klein, ein eckiger T u r m aus der Ferne als r u n d , 8 1 auf einem fahrenden Schiff die B ä u m e a m Ufer als b e w e g t 8 2 ) : D u r c h W i e d e r h o l u n g ein und derselben optischen Erfahrung, d u r c h Hinzuziehen anderer S i n n e ,

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durch E i n ü b u n g

>richtigen