Treitschke und Schleswig-Holstein: Der Liberalismus und die Politik Bismarcks in der schleswig-holsteinschen Frage [Reprint 2019 ed.] 9783486757101, 9783486757088


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German Pages 271 [280] Year 1929

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Table of contents :
VORWORT
INHALT
ABKÜRZUNGEN
I. DER DÄNISCHE GESAMTSTAAT
II. HEINRICH VON TREITSCHKE
III. DER „SCHANDFLECK" DEUTSCHLANDS
IV. LEGITIMITÄT UND INTERESSE
V. DER ÜBERGANG ZUM ANNEXIONSGEDANKEN
VI. BUSCH, FREYTAG UND TREITSCHKE
VII. DIE HALTUNG DES NATIONALVEREINS
VIII. FORTWÄHRENDER KAMPF FÜR DEN ANNEXIONSGEDANKEN
IX. „NEUE SITTLICHE MASSSTÄBE"
X. UNTER DEN „NORMALMENSCHEN"
BEILAGEN
Personenregister
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Treitschke und Schleswig-Holstein: Der Liberalismus und die Politik Bismarcks in der schleswig-holsteinschen Frage [Reprint 2019 ed.]
 9783486757101, 9783486757088

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UND

TREITS CHKE SCHLESWIG-HOLSTEIN

Der Liberalismus und die Politik Bismarcks in der schleswig-holsteinischen Frage

TREITSCHKE UND

SCHLESWIG-HOLSTEIN Der Liberalismus und die Politik Bismarcks in der schleswig-holsteinischen Frage von

HOLGER

HJELHOLT

„Die Bahn der Macht lit die einzige, die den gärenden Freiheitstrieb befriedigen und sättigen wird, der sich bisher selbst nicht erkannt hat. Denn es ist nicht bloB die Freiheit, die er meint, es ist zur größeren Hälfte die Macht, die ihm bisher versagte, nach der es ihm gelüstet." Aus Dahlmanns Rede 23. Jan. 1849 Frankfurter Parlament

MÜNCHEN UND BERLIN 1929 V E R L A G V O N R. O L D E N B O U R G

VORWORT Der Name H e i n r i c h von T r e i t s c h k e s hatte während des Weltkrieges ein aktuelleres Gepräge als jetzt. Von Seiten der Entente wollte man durch Auszüge aus seinen Schriften beweisen, daß das, was das deutsche Kaiserreich kennzeichnete, eine rücksichtslose Anbetung der Macht sei, eine Anbetung des Grundsatzes, daß Macht und Recht gleichbedeutende Begriffe seien. Umgekehrt stärkten große Teile des deutschen Volkes sich während des Krieges durch eine Vertiefung in die leidenschaftlichen patriotischen Schriften Treitschkes. Mein erster Gedanke, eine Schilderung von Treitschke und seiner Bedeutung für das Geistesgepräge des deutschen Kaiserreiches zu geben, stammt auch aus der Zeit des Weltkrieges. Als ich nun wieder meine Beschäftigung mit Treitschke und seiner Ideenwelt aufnahm, schien es mir aber rätlich, die Aufgabe zu begrenzen — vielleicht wird es als eine starke Begrenzung bezeichnet werden müssen. Die jetzige Arbeit hat als Hauptgegenstand die Stellung Treitschkes zur schleswigholsteinischen Frage bis zu dem Jahre 1867, in welchem sein Interesse für sie fast ganz aufhört. Auf der anderen Seite habe ich aber eine Erweiterung des Themas vorgenommen, so daß ich gemeint habe, den Untertitel hinzufügen zu können: Der Liberalismus und die Politik Bismarcks in der schleswig-holsteinischen Frage. Am ausführlichsten ist die Haltung G u s t a v F r e y t a g s behandelt, danach die Haltung der Männer, welche dem Kreise der Preußischen Jahrbücher angehören, Max Duncker, Wehrenpfennig, Rudolf Haym, weiter die Haltung des Nationalvereins und Rudolf Bennigsens, und zuletzt ist auch die Haltung der Historiker Sybel, Droysen und Mommsen — wenn auch nur flüchtig — berührt. Mir persönlich ist die Vertiefung in die Schriften Treitschkes und in die Zeit, die hier behandelt ist, eine große Bereicherung gewesen. Mein Wunsch ist, daß historisch interessierte Leser auch einige Freude an der jetzigen Arbeit haben werden durch den Beitrag, den sie, hoffe ich, gibt zum Verständnis einer hochbegabten Persönlichkeit, eines sehr bedeutungsV

vollen Zeitraumes der modernen europäischen Geschichte und einiger der schicksalsschweren Probleme, mit welchen Historiker und Politiker sich beschäftigen. Außer der gedruckten Literatur habe ich zu meiner Arbeit ein großes ungedrucktes Material verwendet. Während eines Studienaufenthaltes in Berlin im Sommer 1927 arbeitete ich den Nachlaß Treitschkes durch, insoweit er die schleswigholsteinische Frage betraf. Für die Erlaubnis zur Durchsicht des Treitschkeschen Nachlasses spreche ich seiner Tochter, Fräulein Maria von T r e i t s c h k e , meinen ehrerbietigsten Dank aus. Gleichfalls danke ich herzlichst Herrn Professor F r i e d r i c h Meinecke für sein großes Entgegenkommen während des genannten Studienaufenthaltes und für das Interesse, das er meiner Arbeit entgegengebracht hat. Mehrere Verbesserungen in meiner Arbeit verdanke ich auch ihm. Im Sommer 1927 hatte ich Gelegenheit, einigen Seminarübungen beizuwohnen, welche er über verschiedene Schriften Treitschkes hielt. Die Bekanntschaft, die ich während dieser Übungen mit seinem umfassenden Wissen, seiner Gleichmäßigkeit in der Abschätzung und seiner Vorsicht im Urteil machte, wird immer zu meinen allerbesten Studienerinnerungen gehören. Eine dänische Ausgabe dieses Buches ist im Herbst 1928 erschienen, mit der die vorliegende deutsche in allem Wesentlichen übereinstimmt. Die Übersetzung ins Deutsche habe ich selbst besorgt, sie ist aber einer umfassenden Revision von Herrn Dr. Th. O. Achelis, Hadersleben, unterzogen, und ich danke ihm herzlich für seine bereitwillige und gute Hilfe. Die Korrektur hat Herr stud. phil. W. P h i l i p p s t e i n , Berlin, mitgelesen. Dem dänischen Rask-Örsted-Fond bringe ich meinen ehrerbietigen Dank für seine Unterstützung bei der vorliegenden Ausgabe. Kopenhagen, im April 1929. Holger H j e l h o l t

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INHALT Vorwort V Abkürzungen VIII I. Der dänische Gesamtstaat 1 II. Heinrich von Treitschke 13 III. Der „Schandfleck" Deutschlands 26 IV. Legitimität und Interesse 50 V. Der Übergang zum Annexionsgedanken 68 VI. Busch, Frey tag und Treitschke 91 VII. Die Haltung des Nationalvereins 124 VIII. Fortwährender Kampf für den Annexionsgedanken . . . 136 IX. „Neue sittliche Maßstäbe" 165 X. Unter den „Normalmenschen" 196 Beilagen: Die Rede Treitschkes über die Geschichte Schleswig-Holsteins am 18. Dezember 1863 (?) in Freiburg i. B 229 Wiedergabe 232 Referat 241 Die Behandlung der schleswig-holsteinischen Frage in Treitschkes deutscher Geschichte 251 Personenregister 260 Bildtafeln: Heinrich von Treitschke zwischen Seite 12 und 13 Die Handschrift Treitschkes

zwischen Seite 230 und 231

VII

ABKÜRZUNGEN Briefe I—III = Heinrich von Treitschkes Briefe. Herausgegeben von Max Cornicelius. I—II: zweite Auflage, 1914. III: 1920. Aufsätze I—IV = Historische und Politische Aufsätze von Heinrich von Treitschke. I—II: achte Auflage, 1920/21. III: siebente Auflage, 1915. IV: zweite Auflage, 1920. Deutsche Geschichte I—V = Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert von Heinrich von Treitschke. I: zehnte Auflage, 1918. II: achte Auflage, 1917. III: siebente Auflage, 1913. IV: siebente Auflage, 1919. V: sechste Auflage, 1914. Politik I—II = Politik. Vorlesungen, gehalten an der Universität zu Berlin von Heinrich von Treitschke. Herausgegeben von Max Cornicelius. I. Band, zweite Auflage, 1899. II. Band, 1898. Deutscher Liberalismus I = Deutscher Liberalismus im Zeitalter Bismarcks. Eine politische Briefsammlung. I. Band: Die Sturmjahre der preußisch-deutschen Einigung. 1859—70. Herausgegeben von Julius Heyderhoff. 1925. Duncker: Briefwechsel = Max Duncker: Politischer Briefwechsel aus seinem Nachlaß. Herausgegeben von Johs. Schultze. 1923. Briefe an Treitschke, die ohne nähere Angabe angeführt werden, befinden sich — entweder im Original oder in Abschrift — im Nachlaß Treitschkes in der Staatsbibliothek in Berlin. Briefe von Treitschke, welche in der Ausgabe von Cornicelius gedruckt sind, werden in der Regel nur mit ihren Daten angeführt ohne Hinweis auf Band- oder Seitenzahl der Ausgabe. Die ungedruckten Briefe von Treitschke, die benutzt sind, befinden sich gleichfalls in seinem Nachlaß in der Berliner Staatsbibliothek.

VIII

I. D E R D Ä N I S C H E

GESAMTSTAAT

Das Gebiet des dänischen Gesamtstaates bestand nach dem Vertrag von 1773 mit Rußland, durch den dieses den gottorpischen Anteil von Holstein gegen die Grafschaften Oldenburg und Delmenhorst austauschte, aus den Königreichen Norwegen und Dänemark, aus dem dänischen Herzogtum Schleswig und dem deutschen Herzogtum Holstein. Wegen des Anschlusses an Napoleon wurde Dänemark 1814 Norwegen an Schweden abzutreten gezwungen. Als eine Art Entschädigung empfing es von Schweden Schwedisch Pommern und Rügen, die aber schon im folgenden Jahre an Preußen für das Herzogtum Lauenburg und eine Geldsumme überlassen wurden. Im Jahre 1806 hatte Dänemark die Auflösung des römischen Reiches deutscher Nation dazu benutzt, die Inkorporation Holsteins in Dänemark und die „ungetrennte" Verbindung mit diesem zu proklamieren. Als der Deutsche Bund 1815 geschaffen wurde, der aus 38 (später 39) souveränen Staaten bestand, trat Dänemark ihm für die Herzogtümer Holstein und Lauenburg bei. Als Repräsentant für diese bekam ein dänischer Gesandter Sitz und Stimme in dem aus Gesandten der Bundesstaaten gebildeten Bundestag in Frankfurt am Main. Das dänische Herzogtum Schleswig verblieb nach wie vor ohne jede Verbindung mit Deutschland. Dänemarks Stellung zum deutschen Bunde wurde dieselbe wie die der Niederlande, die für das Großherzogtum Luxemburg Mitglied des Bundes waren, oder die Englands, das für das Königreich Hannover gleichfalls Bundesmitglied war. Weder Preußen noch Österreich hatten ja übrigens alle ihre Länder in den Bund aufgenommen. Von Preußen gehörten West- und Ostpreußen samt Posen, von Österreich die ungarischen Lande, die Lombardei, Venetien und Dalmatien nicht zum Bunde. Die im Jahre 1773 an Rußland abgetretenen Lande Oldenburg und Delmenhorst waren die Stammlande des regieren1

den dänischen Königsgeschlechts. Seit der Wahl Christians I. 1448 herrschte das oldenburgische Geschlecht als Könige in Dänemark-Norwegen und von 1460 an zugleich als Herzöge von Schleswig und Holstein. Von den oldenburgischen Königen heißt es bei Heinrich von Treitschke an einer Stelle, daß man sie nur daran unterscheiden kann, daß immer auf den höheren Christian der niedrigere Friedrich folgt: „Nur der vierte Christian vermochte der Muse die Lippen zu lösen und lebt fort im dauernden Gedächtnis seines Volks. Er ist der, von dem das Nationallied singt: ,König Christian stand am hohen Mast.' Trotzdem war die Dynastie in allen Generationen beliebt. Sie hatten nichts Abstoßendes in all ihrer einförmigen Mittelmäßigkeit." (Politik II S. 57 f.) Mit Christian I. waren, wie gesagt, Dänemark-Norwegen und Schleswig und Holstein unter demselben Herrscher vereinigt worden. Die zwei Herzogtümer wurden indessen bald Gegenstand von Teilungen innerhalb des Königsgeschlechts und dazu benutzt, die jüngeren Linien damit abzufinden. Ohne hier auf diese Teilungen näher einzugehen, die eine deutliche Illustration zu dem 1460 gegebenen Versprechen, daß die Herzogtümer „up ewig ungedeelt" zusammen bleiben sollten, ausmachen, soll hier nur bemerkt werden, daß schließlich der regierende König einen Teil von Schleswig und einen Teil von Holstein behielt, während eine jüngere Linie, die Gottorper, einen anderen Teil bekam. Um sich den Königen gegenüber zu behaupten, suchte und fand das gottorpische Herzogsgeschlecht Beistand bei Schweden, dem damaligen „Erbfeind" Dänemarks. Nach vielen und aufreibenden Kämpfen gelang es doch zuletzt Dänemark, mit „der Schlange im eigenen Busen", wie Christian der Fünfte sich ausdrückte, fertig zu werden. Als Ergebnis des großen nordischen Krieges wurde im Jahre 1721 der gottorpische Teil von Schleswig inkorporiert, und durch gütliche Übereinkunft wurde der gottorpische Teil von Holstein durch die Verträge von 1767 und 1773 erworben. In der Zwischenzeit hatten ja die Gottorper den Thron Rußlands bestiegen. 2

Dänemark-Norwegen, Schleswig und Holstein waren also aufs neue vereinigt, verhängnisvoll aber war es, daß die Erbfolge in den verschiedenen Landen des Gesamtstaates nicht dieselbe blieb. Für Dänemark-Norwegen war nach der Einführung des Absolutismus im Jahre 1660 die weibliche Erbfolge eingeführt worden. Sie galt aber nicht für den königlichen Teil von Schleswig, wo der König schon im Jahre 1658 die Alleingewalt bekommen hatte, während der Herzog gleichzeitig für seinen Teil dieselbe Gewalt errang. Als der gottorpische Teil von Schleswig 1721 inkorporiert wurde, heißt es in dem Inkorporationspatent, daß er in den königlichen Teil inkorporiert werde; aber für diesen galt ja nur die männliche Erbfolge. Dagegen heißt es in dem Erbhuldigungseide, der gleichzeitig abgefordert wurde, daß der Schwörende gelobe, dem König treu und hold zu sein als seinem einzigen souveränen Landesherrn und allen seinen königlichen ErbBuccessoren secundum tenorem legis regiae. Wenn zum Beispiel Treitschke diesen Erbhuldigungseid als vieldeutig bezeichnet, so ist dies nicht begründet. (Deutsche Geschichte V S. 576.) Die Vieldeutigkeit entstand aber dadurch, daß man übersah, daß die weibliche Erbfolge im königlichen Teil nicht eingeführt war. Es war unzweifelhaft die Absicht Friedrichs des Vierten im Jahre 1721, Schleswig und Dänemark-Norwegen auf denselben Fuß zu stellen. Der Tauschvertrag von 1773 war ein Resultat der Bernstorffischen Staatskunst. In Holstein, das zum Deutschen Reich gehörte, galt aber nur die männliche Erbfolge. Um nun einer möglichen Teilung des Gesamtstaates vorzubeugen, suchte Bernstorff eine Fusion zu bewirken zwischen den beiden zu den verschiedenen Teilen des Gesamtstaates erbberechtigten Linien, der königlichen und der augustenburgischen, die nach dem Erbverzicht der Gottorper die nächstberechtigte männliche Linie war. Im Jahre 1786 wurde die Ehe zwischen der dänischen Prinzessin Louise Augusta und dem augustenburgischen Prinzen Friedrich Christian vollzogen. Diese den Augustenburgern i«

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freundlich gesinnte Politik dänischerseits wurde indessen bald von einer anderen abgelöst, welche die Erbrechte der Augustenburger zu beseitigen suchte. Das Inkorporationspatent von 1806 konnte Friedrich Christian, der nach dem Tode des Vaters 1794 den Herzogstitel erhalten hatte, nur als ein Attentat auf seine Erbrechte auffassen, und die Haltung seines Schwagers, des Königs Friedrich VI., während der zweiten schwedischen Thronfolgewahl 1810 rief bei ihm eine tiefe, dauernde Mißstimmung hervor. Ein Zeugnis dafür kann man unter anderem auch darin finden, daß, als der Enkel im Jahre 1863 als Prätendent auftrat, die Ereignisse von 1810 als Beweise für die schändliche Behandlung angeführt werden, die dänischerseits deh Augustenburgern zuteil geworden sei.1 Weder Friedrich Christian noch sein Sohn Christian August gaben aber ganz den Gedanken auf, daß ihr Geschlecht einmal den dänischen Thron besteigen könnte. Sie zogen aber das Sichere dem Unsicheren vor. Während sie nach ihrer Meinung ihre Erbrechte auf die beiden Herzogtümer Schleswig und Holstein festhielten und vertieften, schielten sie, wenn man so sagen darf, auf die Möglichkeit, daß man dänischerseits, um die Trennung des Gesamtstaates zu hindern, Anknüpfung an sie suchen würde. Zu dieser dynastischen Möglichkeit einer Trennung des Gesamtstaates trat nun ungefähr von Anfang des neunzehnten Jahrhunderts an der nationale Gegensatz im Gesamtstaate. Durch die Ungunst der Geschichte war der Schwerpunkt des Staates nach Süden verschoben worden. 1660 verlor Dänemark die alten dänischen Landschaften östlich des Sundes, und im Jahre 1814 wurde Norwegen, wo übrigens der Drang nach Selbständigkeit sich schon früher bemerkbar gemacht hatte, verloren. Als Entschädigung hatte Dänemark ein paar deutsche Landschaften erworben. Es erging aber Dänemark umgekehrt wie dem jütischen Ritter Erfand Kalv. Dieser hatte 1 Der Artikel „Der neue Herzog von Schleswig-Holstein" in den Grenzboten 1863 II. Semester IV. Band S. 350.

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vom König Waldemar Atterdag ein Schloß als Lehen empfangen, ging dann aber zu dem holsteinischen Grafen über und bekam von diesem noch ein Schloß; als er nun im folgenden Jahre zum König zurückkehrte, sagte dieser von ihm: „Kalv ist eine gute Kuh, vorm Jahr ging er als Kalb weg, jetzt kommt er als eine Kuh mit zwei Kälbern zurück." Als in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts dänisches und deutsches Nationalgefühl aufeinanderprallten, wollte Holstein nicht von der Verbindung lassen, die es durch die Entwicklung der letzten Jahrhunderte mit Schleswig bekommen hatte. Auf dänischer Seite waren die Nationalen eigentlich an und für sich geneigt, Holstein seine eigenen Wege gehen zu lassen, und damit einverstanden, es zu Deutschland zurückkehren zu lassen, zu dem es ja doch in nationaler Beziehung gehörte. Holstein wollte aber nicht freiwillig gehen. Konnte es nicht länger seinen Einfluß auf den Gesamtstaat, in welchem der holsteinische Adel eine so große Rolle gespielt hatte, bewahren, so wollte es jedenfalls, daß Schleswig seine Lage teilte. Diese Uneinigkeit und die für den dänischen Staat daraus sich ergebenden verhängnisvollen Kämpfe führten dazu, daß jetzt in Dänemark Deutschland statt Schweden als der „Erbfeind" bezeichnet wurde, und daß das Wort: „All unser Verdruß ist deutsch", das übrigens schon am Schlüsse des achtzehnten Jahrhunderts geprägt war, seine relative Berechtigung erhielt. Schleswig also wurde der Gegenstand des Kampfes. „Ein Kampfpreis ist deine Schönheit worden", wie der dänische Dichter später sang. Der Schleswig-Holsteinismus und die Eiderpolitik waren die Brautwerber: der eine kam von Süden, der andere von Norden. Von Dänemark wurde die Erweckung der Bevölkerung Schleswigs zum dänischen Nationalbewußtsein unterstützt, diese umfaßte aber vor 1848 im großen und ganzen nur Flensburg und Nordschleswig. Von Deutschland wurde der Schleswig-Holsteinismus unterstützt. Als der liberale Historiker, Professor Ludwig Häusser in Heidelberg, im Jahre 1846 seine Broschüre „Schleswig-Holstein, Dänemark und Deutschland. Kurze 5

Darstellung ihres geschichtlichen Verhältnisses" herausgab, setzte er als Motto ein Gedicht von Uhland, in dem es heißt: „Und wie man aus versunknen Städten Erhabne Götterbilder gräbt, So ist manch heilig Recht zu retten, Das unter wüsten Trümmern lebt."

Wie erhabene Götterbilder erschienen den nationalen und liberalen Kreisen in Deutschland die schleswig-holsteinischen Theorien: männliche Erbfolge in den beiden Herzogtümern, die Unteilbarkeit dieser Herzogtümer und die Anschauung, daß ihre Verbindung mit Dänemark eine bloße Personalunion sei. Wie früher die Gottorper verband sich jetzt die dänische Königslinie, die Augustenburger, mit den Feinden Dänemarks: dem Schleswig-Holsteinismus und Deutschland. Schon vor dem Aussterben des dänischen Mannesstammes, das zwei Jahrzehnte später erfolgt ist, bewirkte „die Exaltation" im Jahre 1848, daß der in dem Gesamtstaate aufgesammelte Sprengstoff in hellen Flammen sich entlud. Zu gleicher Zeit errangen die Führer der Eiderpolitik Einfluß auf die Regierung in Kopenhagen, und erhoben die Schleswig-Holsteiner zu Kiel die Fahne der Erhebung unter dem Vorgeben, daß ihr „Königherzog" „unfrei" sei. In Berlin erklärte der von der Märzbewegung gedemütigte König Friedrich Wilhelm IV., sich an die Spitze der deutschen Bewegung stellen zu wollen, und dazu stimmte es durchaus, daß er in einem Schreiben vom 24. März an den Herzog Christian August seine Anerkennung der schleswig-holsteinischen Theorien aussprach. Die nach Frankfurt einberufene, vom Volk gewählte Nationalversammlung, die den alten Bundestag beiseiteschob und sich das Ziel setzte, eine neue Verfassung für Deutschland zu schaffen, beschloß, die provisorische Regierung der Herzogtümer anzuerkennen, und ohne jede Rücksicht auf Dänemark wurde beschlossen, Schleswig als Glied in den Bund aufzunehmen. Das Heer Preußens wurde in den Kampf gegen Dänemark eingesetzt, wie auch das von den Schleswig-Holsteinern 6

selbst gebildete Heer durch zahlreiche Freiwillige aus ganz Deutschland verstärkt wurde. Im Krieg entscheidet aber nicht allein das rein Technische, sondern vor allem die Politik, die den Krieg leitet, wie Treitschke an einer Stelle sagt. 1 Als Beispiel führt er an, daß die Generäle Wrangel und Prittwitz in den Jahren 1848 und 1849 mit den Dänen wohl hätten fertig werden können, daß aber Friedrich Wilhelm IV., der einen gewissen Schauder vor der revolutionären Bewegung hatte und sich außerdem vor Rußland fürchtete, selber nicht wußte, was er wollte. Rußland legte sein schweres Gewicht in die Wagschale zugunsten der Aufrechterhaltung des dänischen Gesamtstaates. Am 26. August 1848 wurde zu Malmö ein Waffenstillstand zwischen Preußen und Dänemark abgeschlossen. Dieser bekam, wie bekannt, eine große Bedeutung in der deutschen nationalen Bewegung dadurch, daß durch ihn offenbar wurde, wie wenige Machtmittel der vom Volke gewählten Nationalversammlung in Frankfurt und der aus ihr hervorgegangenen Reichsregierung zu Gebote standen. Dahlmann stellte in der Versammlung den Antrag, den abgeschlossenen Vertrag zu verwerfen. Als der erste hatte ja Dahlmann als Professor in Kiel und Sekretär der schleswig-holsteinischen Ritterschaft die Forderungen des Schleswig-Holsteinismus formuliert. 1829 war er von Kiel als Professor nach Göttingen gegangen und 1842 wurde er Professor in Bonn. Im Jahre 1848 wurde er in die Nationalversammlung gewählt, und in dieser bekam er eine große Bedeutting als Mitglied der Partei, die Deutschlands Einheit unter der Führung Preußens erstrebte. Der Antrag auf Verwerfung des Malmöer Vertrages wurde nun zwar angenommen. Als aber Dahlmann vor die Konsequenz gestellt wurde, eine Regierung, die den gefaßten Entschluß ausführen sollte, zu bilden, zeigte dies sich als unmöglich. Die gestürzte Regierung kehrte wieder zurück; und die Nationalversammlung erlitt die Demütigung, das beschließen zu müs1

Politik II S. 363.

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sen, was sie eben kurz vorher verworfen hatte. Insoweit war es ein bezeichnendes Schulbeispiel dafür, daß man mit Parlamentsbeschlüssen nicht zu schießen vermag. Wenn das Heer Preußens nicht länger der Versammlung zu Gebote stand, war sie ohnmächtig. Um die eigenen Worte Dahlmanns, die in einer etwas anderen Verbindung ausgesprochen sind, zu gebrauchen, sollten nach dieser Niederlage die Männer der Ideen in Deutschland nicht wieder ihre stolzen Häupter erheben. Das Schicksal, das dem Antrag Dahlmanns zuteil wurde, war gleichsam ein Vorspiel des Schicksals, das das deutsche Einheitswerk selbst erleben sollte. In der Nationalversammlung gelang es, eine Mehrzahl für die sogenannte kleindeutsche Lösung der deutschen Frage, das heißt die Ausschließung Österreichs und die engere Zusammenschließimg des übrigen Deutschland unter Preußens Führung zuwege zu bringen. Als aber König Friedrich Wilhelm IV. im Frühling 1849 die ihm dargebotene erbliche Kaiserwürde ausschlug und auch die angenommene Reichsverfassung ablehnte, bedeutete dies in der Tat den Schiffbruch der nationalen und liberalen Einheitsbewegung. Die Nationalversammlung löste sich kurz nachher von selbst auf. Nach seiner Abweisung machte nun Friedrich Wilhelm doch den Versuch, auf einer etwas anderen Grundlage den Gedanken einer engeren preußisch-deutschen Union zu verwirklichen, und eine große Zahl von Deputierten der Nationalversammlung, welche Ende Juni zu Gotha zusammentraten, forderte alle deutschen Patrioten zur Unterstützung dieser preußischen Bestrebungen auf. Nach dieser Zusammenkunft zu Gotha bekamen die Anhänger der preußischen Führung den Parteinamen „Gothaer". Die Pläne Preußens scheiterten aber an dem Widerstände Österreichs. Am Ende des Jahres 1850 gab Preußen den Forderungen Österreichs nach, und es kam zu dem für Preußen demütigenden Vertrag von Olmütz. Im folgenden Jahre wurde der alte Bundestag zu Frankfurt wieder hergestellt. Zur selben Zeit, als die deutschen Patrioten ihre stolzen Hoffnungen auf ein einiges und mächtiges Deutschland in 8

Trümmer fallen sahen, erlebten sie auch, daß die Sache, der sie sich mit so großer Leidenschaft und Begeisterung angenommen hatten, der Kampf der Schleswig-Holsteiner gegen Dänemark, von Preußen aufgegeben wurde. Wenig nützte es, daß der Präsident der Nationalversammlung, Heinrich von Gagern, nach der Auflösung der Versammlung nach Kiel eilte, um der Statthalterschaft sein Schwert anzubieten. Oder daß der Historiker Max Duncker von der Wirksamkeit, die er mit der Feder für die schleswig-holsteinische Sache ausübte, konstatierte, daß Deutschland ohne diese Wirksamkeit noch tiefer geschlafen hätte, als es in der Tat der Fall war.1 Am 2. Juli 1850 schloß Preußen Frieden mit Dänemark, und durch die Schlacht bei Idstedt am 25. Juli wurden die Schleswig-Holsteiner aus Schleswig vertrieben. Durch Vereinbarungen wurde im folgenden Jahre und im Frühling des Jahres 1852 bestimmt, daß Preußen und Österreich gegen das schleswig-holsteinische Heer in Holstein einschreiten und dieses deutsche Bundesland wieder dem König von Dänemark übergeben sollten. Dänemark seinerseits gab in bezug auf die Verwaltung der Herzogtümer den beiden deutschen Mächten verschiedene Zusagen, und durch die „Allerhöchste Bekanntmachung" vom 28. Januar 1852 wurde der Gesamtstaat, die Verbindimg der einzelnen Lande der Monarchie zu einem „wohlgeordneten Ganzen", als das Programm der dänischen Regierung proklamiert. Ein konservatives Gesamtstaatsministerium trat an die Stelle des früheren nationalen und liberalen. In Dänemark wie in Deutschland kehrten die Verhältnisse also in vielen Beziehungen wieder in den Zustand zurück, der vor der Märzbewegung geherrscht hatte. Etwas später gelang es auch der dänischen Regierung durch den Londoner Vertrag vom 8. Mai 1852, die Anerkennung der Großmächte zu einer neuen Erbfolgeordnung zu erreichen, welche der Möglichkeit der Auflösung des Gesamtstaates bei dem bevorstehenden Aussterben des oldenburgischen Mannes1

R. Haym, Das Leben Max Dunckers, 1891, S. 126 f.

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Btammes vorbeugen sollte. Mit der Ausschließung der AuguBtenburger, die Teilnehmer an der schleswig-holsteinischen Erhebung gewesen waren, wurde durch die neue Ordnung das Erbfolgerecht nach dem Aussterben der königlichen Manneslinie auf den Prinzen Christian von Glücksburg und dessen männliche Erben übertragen. Ende des Jahres 1852 wurde ein Vertrag mit dem Herzog von Augustenburg abgeschlossen, der für zehn Millionen Kronen seine Güter in Schleswig an den dänischen Staat abtrat und außerdem für sich und seine Familie „bei fürstlichen Worten und Ehren" der Erbfolgeordnung in keiner Weise entgegentreten zu wollen gelobte. Wie gesagt wurde der Londoner Vertrag von den Großmächten — unter diesen also von Österreich und Preußen — und außerdem noch von Schweden-Norwegen unterschrieben. Dagegen suchte Dänemark nicht die Anerkennung der neuen Erbfolgeordnung durch den deutschen Bund nach. Viele der anderen Mitglieder des Bundes traten übrigens später dem Vertrag bei, so z. B. Württemberg, Sachsen, Oldenburg, Kurhessen, Hannover, Bayern, Baden usw. Die konservativen Kräfte hatten über die revolutionären gesiegt, aber natürlich waren trotz dieser Niederlage die Ideen von 1848 nicht vollkommen ausgerottet. In einem der politischen Artikel Gustav Freytags vom Anfang des Jahres 1849 heißt es, daß alle Besseren des deutschen Volkes das Völkerparlament von 1848 tief im Herzen tragen wollen, dann erst recht, wenn es untergegangen sein wird im Kampf gegen die Diplomaten.1 Man kann wohl sagen, daß es der schleswigholsteinischen Sache ebenso erging. Eng verknüpft mit der Bewegung von 1848 unterlag auch diese im Kampfe gegen die Diplomaten. Daß Preußen ihr seine Stütze entzog, erschien den Führern von 1848 wie eine Preisgabe. Weil man, wie Dahlmann es ausdrückte, vor allem nach Macht strebte, 2 wurde es um so demütigender gefühlt, daß es nicht gelungen 1

G. Freytag, Politische Aufsätze, 1888, S. 146. A. Springer, Fr. Chr. Dahlmann, II. 1872, S. 457 (die Rede Dahlmanns 22. Januar 1849 über die Oberhauptfrage Deutschlands). 1

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war, seinen Willen dem kleinen nördlichen Nachbarstaat gegenüber durchzusetzen. Ganz unhistorisch war es aber, wenn man in patriotischer Erhitzung davon sprach, daß es Dänemark war, das in den Jahren 1848 und 1849 das Glück gehabt hätte, sich zweier deutscher Landschaften zu bemächtigen. Es war aber ein Zeugnis dafür, eine wie brennende Wunde der Ausgang der schleswig-holsteinischen Sache im deutschen Volksbewußtsein hervorrief. Dänemark seinerseits trug nun dazu bei, daß diese Wunde offengehalten wurde. In der Zeit zwischen der Schlacht bei Idstedt und dem Antritt des konservativen Gesamtstaatsministerium wurden in Schleswig eine Reihe von Sprachreformen vorgenommen, deren Hauptzweck eine Redanisierung Mittelschleswigs war. Obschon die Bevölkerung hier ganz überwiegend dänischsprechend war, betrachtete sie doch die neuen Reformen mit großem Unwillen. Als sie nun auch unter dem konservativen Ministerium aufrechterhalten blieben, war hier der Kampf zwischen Bevölkerung und Regierung gegeben, und ein günstiger Boden für deutsche Einmischung war entstanden. Außerdem gelang es den Konservativen nicht, die versprochene Verbindung der einzelnen Teile der Monarchie zu einem wohlgeordneten Ganzen durchzuführen. Das konservative Ministerium wurde gezwungen, im Dezember 1854 abzugehen, und ein liberales Ministerium schuf die Gesamtstaatsverfassung von 1855. Als diese aber ein volkstümlicheres Gepräge bekam als es von den Konservativen geplant war, war die Folge, daß das zahlreichere dänische Element das Ubergewicht über das deutsche erhielt. Hierein wollten die Holsteiner, die früher so großen Einfluß in Kopenhagen gehabt hatten, sich nicht finden, und der Widerstand Holsteins gegen die Gesamtstaatsverfassung bewirkte, daß die Verhältnisse der dänischen Monarchie nicht zur Ruhe kommen konnten. In Deutschland selbst waren es nun, um einen Ausdruck Freytags zu gebrauchen, nicht nur „alle Besseren", welche die schleswig-holsteinische Sache tief im Herzen trugen. Dazu, daß sie nicht in Vergessenheit gell

riet, trug eine Reihe von in der schleswig-holsteinischen Erhebung führenden Männern bei, die nach der Niederlage nach Deutschland gegangen waren und hier Anstellung in teilweise sehr einflußreichen Ämtern gefunden hatten. Es waren zahlreiche Geistliche, die an der Erhebung hervorragenden Anteil genommen, später den Hirtenstab fortgelegt hatten und nach Deutschland gegangen waren. Männer wie der von der sogenannten „provisorischen" Regierung ernannte Superintendent N. J. E. Nielsen, der später Oberhofprediger in Oldenburg wurde, oder der Pastor M. Baumgarten, der Professor der Theologie zu Rostock ward. Es waren Mitglieder der provisorischen Regierung wie Wilhelm Beseler und Karl Francke. Letzterer wurde als Regierungspräsident vom Herzog Ernst zu Sachsen-Koburg-Gotha angestellt, in dem die nationalen und liberalen Kreise einen fürstlichen Protektor fanden. Nach Koburg ging auch der für die schleswig-holsteinische Sache so tätige Publizist Karl Samwer, der von Herzog Ernst zum Bibliothekar und später zum Mitglied des Staatsrates ernannt wurde. Endlich fanden sich natürlich auch viele weniger hervorragende Männer, von denen einige von der dänischen Amnestie ausgeschlossen waren, zahlreiche andere unter den veränderten Verhältnissen aus freien Stücken das Land verlassen hatten. Es waren also genug Männer da, die, wenn die Flut der Reaktion von Ebbe abgelöst und die Zeiten wieder günstig wurden, eifrig bemüht waren, die Erinnerung an den „Schandfleck auf der Ehre Deutschlands" aufzufrischen. Einen hervorragenden, kampfesfrohen Mitstreiter fand die schleswig-holsteinische Sache in einem Manne, der eben die Arena des öffentlichen Lebens betrat, als die liberalen und nationalen Bestrebungen wieder Wind in ihre Segel bekamen: dieser Mann war Heinrich von Treitschke.

Heinrich von T r e i t s d i k c ( N a d i einem Gemälde von E. Teschendorf} 1 8 6 2 )

II. H E I N R I C H VON T R E I T S C H K E Heinrich von Treitschke war am 15. September 1834 in Dresden geboren. Sein Vater, Eduard von Treitschke, war damals Premierleutnant und Brigadeadjutant, avancierte später auf der militärischen Stufenleiter bis zum General und wurde zuletzt Kommandant der Felsenfestung Königstein, ein Posten, nach welchem, wie der Sohn einmal schreibt, die alten sächsischen Generale geizten.1 Eduard von Treitschke war mit dem sächsischen Königshaus eng verbunden, und die späteren leidenschaftlichen Angriffe des Sohnes auf dieses wie auf den sächsischen Staat, welchem er seine Dienste gewidmet hatte, bereiteten ihm wohl den größten Kummer seines Lebens. Heinrich war das älteste Kind der Ehe, es folgten später noch drei Kinder, zwei Töchter und ein Sohn. Daß Heinrich von Treitschke im Gegensatz zu dem Vater und dem jüngeren Bruder nicht die militärische Laufbahn wählte, daran war gewiß eine früh entwickelte starke Schwerhörigkeit Schuld. Die Schwerhörigkeit steigerte sich im Laufe der Jahre zu vollkommener Taubheit. Ergreifend ist es, seine Klagen zu lesen, wie die Schwerhörigkeit ihn in seinem lebendigen Drange nach intimem Umgang mit Menschen hemmt. Auf der anderen Seite wurde in ihm wohl, wie er selbst sagt, der Ehrgeiz, etwas auszurichten, gesteigert, das gewissermaßen das körperliche Gebrechen, mit dem er sein Leben lang behaftet war, aufwiegen konnte. Niemals sieht man aber diesen Ehrgeiz einen unsympathischen Ausdruck annehmen. Nach dem Schulbesuch in Dresden ging er 1851 als Student nach Bonn, wo er das Studium der Geschichte und der Staatswissenschaften sich erwählte. Als Lehrer hatte er hier namentlich Dahlmann, dessen Persönlichkeit einen großen Eindruck auf ihn machte. Später studierte er an verschiedenen anderen Universitäten, in Leipzig, Tübingen, Heidelberg und Göttingen, und Ende des Jahres 1858 habilitierte er sich in Leipzig. Als Privat1

Brief an W. Nokk 15. 6.1859.

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dozent wirkte er hier mit Ausnahme eines Jahres, das er seiner Studien wegen in München verlebte, bis er im Herbst 1863 alB außerordentlicher Professor nach Freiburg im Breisgau ging. In Treitschkes Jugendjahren stand die Wissenschaft in großer Gefahr, bei ihm von der Dichtkunst verdrängt zu werden. Er empfand diesen Zwiespalt lange Zeit sehr schmerz* lieh. Lange nach dem Beginne seiner Dozentenwirksamkeit und mitten in einer forcierten wissenschaftlichen Arbeit hegt er den Gedanken, zum dichterischen Schaffen zurückzukehren. In den späteren Vorlesungen über Politik sagt er an einer Stelle (I 225), daß, wer in Heidelberg oder in Bonn nicht poetisch gestimmt werde, der sei für die Poesie überhaupt verloren. Er selbst war während seines Aufenthaltes in den beiden schönen Universitätsstädten poetisch gestimmt, und in vollen Zügen hatte er das freie, frohe Studentenleben im Umgang mit gleichgeBinnten Kameraden genossen. Als er im Sommer 1852 Bonn verläßt, schreibt er am 3. August seinem Vater: „Nächsten Donnerstag Abend denkt an mich; dann stehe ich oben auf dem Rolandsbogen und sehe zum letzten Male den Kölner Dom und die Bonner Rhenana im Abendrothe flimmern, höre zum letzten Male des Rheines Wellen an der buschigen Klosterinsel anschlagen, während fern die Königin der Eifel, die Olbrücker Burg, im nächtigen Nebelblau versinket — zum letzten Male werde ich es sehen, und jede frohe Stunde, die ich hier durchschwärmt, jedes wackere Wort, das mir hier je aus eines Freundes Munde getönt, jeder Gedanke an mein großeB Vaterland, den mir je der deutsche Strom erweckt, wird vor mich treten, wenn ich gierigen Auges das geliebte Landschaftsbild einsauge — und noch in fernen Jahren soll mich von bösen und trüben Gedanken die Erinnerung retten an den Rhein. — Ja, der Rhein, der Rhein, das sei der Schluß des letzten Briefes, den ich Euch von Bonn aus sende." Bei Treitschke war die poetische Gestimmtheit doch mehr als ein Gefühl, von dem wohl beinahe jeder junge Mensch in Bonn oder Heidelberg, um mit Treitschke zu reden, er14

griffen werden kann. Die Poesie ging bei ihm tiefer. Sie trug auch Frucht in ein paar kleineren Gedichtsammlungen, in den im Jahre 1856 herausgegebenen „Vaterländischen Gedichten" und in den im folgenden Jahre erschienenen „Studien". Zu seiner ersten literarischen Wirksamkeit gehört auch eine Reihe herrlicher Dichtermonographien, über Heinrich von Kleist, Otto Ludwig, Gottfried Keller und Hebbel; mit welchem Verständnis und welcher Feinheit ist nicht auch später eine Schilderung wie die vom Dichterleben zu Weimar in der „Deutschen Geschichte" geschrieben! Seine größeren dichterischen Pläne — er beschäftigte sich z. B. lange mit dramatischen Entwürfen — blieben dagegen unvollendet. Die eben gemachte Bemerkung von dem Zwiespalt zwischen Wissenschaft und Poesie in der Seele Treitschkes ist zu einem gewissen Grade nicht ganz korrekt. Was bei ihm den Gedanken an seinen Dichterberuf verdrängte, war nicht ein unwiderstehlicher Drang nach wissenschaftlicher Wahrheitserkenntnis. Es war seine politische Leidenschaft. In einem Brief vom 11. September 1863 heißt es von dem Plane, die Geschichte des deutschen Bundes zu schreiben, daß er andere, d. h. poetische Pläne, die ihm teurer sind, zurückgestellt hat wegen der politischen Aufgaben, welche er als die wichtigsten für sich Belbst und Männer seiner Farbe betrachtet. Zuweilen heißt es bei ihm, daß die politische Leidenschaft der Mehrzahl seiner Generation eigentümlich sei, zu anderen Zeiten findet er sie doch bei sich selbst in einem ganz anderen Grade entwickelt als bei seinen Zeitgenossen, bei denen er eine Halbheit und Schlaffheit, die ihn aufs tiefste empört, findet. Während des Münchener Aufenthaltes im Jahre 1861 schreibt er z. B. (8. Juli), daß er sich mit den dortigen literarischen Kreisen (Geibel, Heyse u. a.) nicht recht befreunden kann: „Die Leute sind politisch so apathisch und mir zuckt das deutsche Elend in allen Gliedern." Bezeichnend für ihn ist es, wie frühe und starke Zeugnisse eines ungeduldigen Dranges, mit der rezeptiven Arbeit fertig zu werden, um zur produzierenden übergehen 15

zu können, man bei ihm findet. Schon in seinem ersten Studentensemester spricht er von dem Tatendurst, der jedem angeboren ist, und den er vorläufig nicht zufriedenstellen kann; er muß sich mit dem Ersatz begnügen, den das innere Streben und Ringen gibt. (Brief vom 3. Juni 1851.) Später finden sich häufige Zeugnisse für seinen Drang, mit dem ewigen Lesen fertig zu werden, um endlich BelbBt zum Produzieren zu kommen und auf Menschen zu wirken. Aus solchen Äußerungen darf man indessen nicht schließen, daß seine eigene Produktion nicht auf umfassenden Vorstudien beruht. Es scheint, daß seine bewunderungswürdige Arbeitskraft wie im Spiele das gemeistert hat, was langsamen Naturen erst in schwerer und aufreibender Arbeit zuwächst. Für den Drang nach Wirksamkeit bekam er ein Betätigungsfeld teils als Dozent, wo zahlreiche Zuhörer sich um ihn scharten, und teils durch eine publizistische und halb journalistische Wirksamkeit. Die Fächer, welche er sich gewählt hatte, Geschichte und Politik, ermöglichten es ihm ja, sich über die brennenden Tagesfragen zu äußern. In einem Briefe, der auch schon aus dem ersten Studentensemester (17. Mai 1851) stammt, hatte er gefordert, daß die Geschichte scharf und kühn mit der Gegenwart in Beziehung gesetzt werde. Seine Wahl von Stoffen geschah natürlicherweise auch aus solchen Gesichtspunkten heraus. Welches war denn der Gegenstand seiner politischen Leidenschaft ? In dem oben angeführten Abschiedsbrief aus Bonn nennt er „jeden Gedanken an mein großes Vaterland, den mir je der deutsche Strom erweckt". Sein großes Vaterland — bei dieser Äußerung dachte er ja nicht an sein Heimatland Sachsen, sondern an das Deutschland, von dem die Männer von 1848 geredet und für welches sie gekämpft hatten. Der deutsche Einheitsgedanke stammt bei Treitschke also aus seinen ersten Jugendjahren, ja man begegnet ihm schon in den Jahren 1848 und 1849 selber, in welchen er, der da noch auf der Schulbank in Dresden saß, sich in Briefen an seinen Vater für die vom Frankfurter Parlament angenommene Verfassung für ein einiges Deutschland unter der Führung Preu16

Bens ausspricht. In einem Vortrag, den er in der Schule im letzten Schuljahr hielt, redete er auch dieser Lösung der deutschen Frage das Wort. 1 Wenn man nach einer Erklärung sucht, wie er — in scharfem Gegensatz zu seiner Familie, vielleicht mit Ausnahme seiner Mutter — zu diesem politischen Standpunkt gelangt ist, kann man wohl eine Äußerung in einem Briefe vom 14. August 1862 an seine Freundin Gustava von Haselberg heranziehen: „Kennten Sie das Elend dieses Hofadels unsrer kleinen Staaten, ich glaube, Sie würden sich noch erwärmen für die Idee des deutschen Staates." Die Annahme liegt nahe, daß er mit dieser Äußerung an sich selbst, der ja eben durch seine Familie und ihren Umgangskreis auf den sächsischen Hofadel angewiesen war, gedacht habe. Seine kräftige Natur hat sich gegen die kleinlichen Verhältnisse empört, und da er eine Laufbahn wählte, die in diesen Kreisen nicht als standesgemäß angesehen wurde, ist er hierdurch in einen weiteren Gegensatz zu diesen Kreisen gebracht worden. Vom Anfang an war er, wie er selbst an einer Stelle bemerkt (Brief vom 20. November 1860), durch reine Gefühlspolitik auf den preußischen Standpunkt gelangt, und erst allmählich hatte er sich durch Nachdenken darin befestigt — eine ja übrigens nicht ungewöhnliche Entwicklung. Die Äußerung darf wohl so verstanden werden, daß es der Eindruck der großen Geschichte Preußens und des zersplitterten, „von der Welt" verachteten Deutschland gewesen ist, der ihm seine Anschauung beigebracht hat. Immer wieder begegnet man bei ihm Äußerungen, die davon zeugen, in welchem Grade er es als eine Herabwürdigung empfunden hat, daß es kein deutsches Reich gab, daß die deutsche Nation, als Staat betrachtet, nicht den ihr gebührenden geachteten Platz unter den Mächten einnahm. Genug I Die Ideen von dem Deutschland des Jahres 1848 hatten in seinem empfänglichen Gemüt gezündet. Seine politische und patriotische Leidenschaft wurde Herr über alle 1

Th. Schiemann, Heinrich von Treitschkes Lehr- und Wanderjahre, 2. Aufl., 1898, S. 42. Treltscbke 2

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anderen Interessen, und sie gibt namentlich seinen späteren Äußerungen etwas Hartes und Stereotypes. Man neigt dazu, diese Entwicklung nicht ganz gerechtfertigt zu finden durch die unerbittlichen Forderungen des Lebens, welche — wie von ihm selbst hervorgehoben — einen Menschen zwingen, einige Seelenkräfte verkümmern zu lassen, damit andere zu voller Kraft und Blüte gelangen können. Sehr schnell und radikal entfernt er sich von der im Elternhause herrschenden Frömmigkeit und verwirft das Christentum mit seinen — wie er bezeichnenderweise sagt — „passiven Tugenden". Die Begeisterung für die Dichtkunst und fürs Vaterland wird ihm alles, und wie schon gesagt, muß auch die Poesie später das Feld räumen. Es bleibt das Vaterland: Deutschland und Preußen. Die Größe Deutschlands, der hohe Beruf Preußens, das wird der Inhalt seines Lebens. In der Geschichte findet er die Bestätigung dafür, und immer wieder stößt man bei ihm auf Äußerungen, daß, wenn Preußen und Deutschland nicht eine herrliche Zukunft bereitet ist, dann lebt kein Gott im Himmel mehr, oder dann hat für ihn das Leben seinen Reiz verloren. Hier soll nur, als Beispiel, eine einzelne Äußerung angeführt werden — aus einem Brief vom 11. Äugust 1860: „ . . . eine tiefe Ändacht hat mich oft durchschauert, wenn ich in der großen Tragödie der deutschen Geschichte jene höhere Fügung handgreiflich vor Äugen sah, die uns nicht sinken lassen wird, wenn ich über dem Staube menschlicher Torheit und Sünde das erhabene Lächeln einer göttlichen Macht erkannte, welche weiß, daß sie uns zum Ziele führen wird. Wahrlich, dies Volk ist wunderbar geführt worden; wäre dieser Werdegang unserer Nation nur eine Kette wüster Zufälle — dann hätte das Leben für mich keinen Reiz mehr." Das politische Vermächtnis des Frankfurter Parlaments war j a die „kleindeutsche" Lösung, ein deutscher Bundesstaat unter der Führung Preußens und mit Äusschließung Österreichs. Dieses Programm war das Gothaer Programm, und dessen Änhänger waren „die Gothaer". Dies war ebenfalls, obschon nicht öffentlich eingestanden, das Programm des im

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Jahre 1859 gestifteten deutschen Nationalvereins. Es scheint auch, daß Treitschke sich diesem Programm von Anfang an ohne viel Kritik angeschlossen hat. Der Keim seiner späteren scharf ausgeprägten Ansichten von Deutschland als Einheitsstaat, nicht Bundesstaat, muß vermutlich in seiner früh hervorgetretenen leidenschaftlichen Verachtung der Kleinstaaten gesucht werden. Schon als der Student nach Bonn geht, spricht er ironisch von seiner Reise durch vier. deutsche „Großmächte", deren jede einem anderen Zollgebiet angehört (Brief vom 30. Juni 1851). Späterhin bilden die deutschen Kleinstaaten immer ein brauchbares Ziel seineB Spottes, dem er stets neuen Ausdruck gibt. Seine Wanderlust und sein Bestreben, alle Gegenden Deutschlands kennen zu lernen, verschaffen ihm auch hierfür reiches Material. In einem Brief vom 20. Juni 1854 von einem Ausflug ins Donautal heißt es, daß er und seine Reisegefährten selten länger als eine Stunde auf demselben Gebiete gegangen sind, obgleich sie nur durch dreier Herren Länder kamen (Preußen, Württemberg und Baden), in dem Grade waren die verschiedenen Gebiete ineinander gefiltert. Im folgenden Jahr (Brief vom 2. Januar 1855) schildert er das Glück, das er gehabt hat, die gesamte homburgische Kriegsmacht unter Waffen zu Behen und ihre wunderbaren Mützen und Feuerschloßgewehre anzustaunen. Aus Äußerungen der späteren Jahre kann zum Beispiel angeführt werden, was er in einem Briefe vom 11. September 1862 von Schwarzburg aus schreibt: „Dieser deutschen Reichshauptstadt, welche nach meiner Schätzung außer einem Hofmarschall, der sein schriftstellerisches Talent an jeder Wegecke des hochfürstlichen Wildparks getummelt hat, noch etwa 100 Seelen umschließen mag." Das Ländchen ist, bemerkt er weiter, gar nicht so klein. Beim Durchwandern hat man vollkommen Zeit, ganz und gar durchnäßt zu werden. Es ist keine Übertreibung, er hatte es selbst erfahren 1 Von einem Besuch Wernigerodes im folgenden Jahre heißt es (Brief vom 8. Juni), daß Graf Stolberg im Vollgefühle seiner beinahe wieder errungenen Souveränität das alte Schloß sehr «•

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stattlich herstellen läßt. Er muß indessen beklagen, daß er die zwölf Mann Löffelgarde, die der Graf in eine ähnliche Uniform wie die Garde du Corps in Berlin gesteckt hat, leider nicht gesehen hat. Zu welcher Zeit fand nun der Übergang Treitschkes zu den von ihm später mit so gewaltiger Leidenschaft verfochtenen Ansichten von Deutschland als Einheitsstaat statt ? Ja, man darf in gewissem Sinne vielleicht behaupten, daß diese Ansichten immer die seinigen gewesen sind, obgleich anfangs nicht klar bewußt. In einem längeren Briefe vom 19. November 1854 an seinen radikaleren Freund, den philosophisch veranlagten H. Bachmann, schreibt er, daß er in Bonn (während seines zweiten Aufenthaltes im Wintersemester 1853—54) ihm gegenüber, um ihn mit seinem Radikalismus zu necken, vielleicht zu sehr den Gothaer gespielt habe: „In Wahrheit ist es nicht so schlimm damit. Vor allen Dingen bin ich g a n z r a d i k a l e r U n i t a r i e r . (Von mir hervorgehoben). Ich halte die Freiheit etc. für reine Phrasen, so lange kein Volk vorhanden ist, die einzige Grundlage jeder staatlichen Entwicklung. Der Weg, der am raschesten zu dieser nationalen Einigung führt, ist mir der liebste, und sollte es der Despotismus sein." Er hielt sich deshalb an die Partei, bei der er den meisten nationalen Eifer fand, und das waren trotz allem in seinen Augen die Gothaer. Diese standen seinen Ansichten am nächsten, und er hielt es für seine Pflicht, Partei zu nehmen. Von ähnlichen Betrachtungen ging er vermutlich aus, als er bei der Gründung des Nationalvereins 1859 diesen willkommen hieß und dazu geneigt schien, sich ihm anzuschließen. In einem Brief vom 1. Januar 1860 heißt es, daß es ihm das Richtigste scheine, daß alle ehrlichen Patrioten sich auf den Rechtsboden der Reichsverfassung von 1849 stellen. Die Eisenacher, d. h. die Männer des Nationalvereins, brauchen, meint er, ja doch die Sprache nur, um ihre Gedanken zu verbergen. Während der Nationalverein später eben dieses Programm aufnahm, war Treitschke zu dieser Zeit, wo er es empfiehlt, eigentlich schon darüber hinausgekommen, und er ging un20

gefähr in dieser Zeit dazu über, offen den Einheitsstaat, die vollkommene Vernichtung der Kleinstaaten, als die einzige vernünftige Lösung zu bekennen. Mit deutlicher Beziehung auf sein eigenes „Vaterland" Sachsen hatte er bereits in einem Briefe vom 25. Mai 1854 ausgesprochen, daß der deutsche Kleinstaat, als Staat betrachtet, nur ein Phantom sei. Sein Vater, der zuerst die Einheitsbegeisterung des Sohnes als eine verzeihliche und vorübergehende Jugendschwärmerei ansah, sollte im Laufe der Jahre erleben, daß ihre Ansichten immer mehr auseinandergingen, und daß der Sohn namentlich Sachsen sich zum Gegenstand seines Spottes über die Kleinstaaterei erwählte. Es ist verständlich, wenn Treitschke im Einklang mit dieser Entwicklung feststellen muß, wie fremd seine lieben Landsleute ihm geworden sind (Brief vom 9. April 1857). Als er zu Weihnachten 1859 sich bei seiner Familie auf dem Königstein aufhielt, schreibt er am 28. Dezember einem Freunde, daß er am 31. Dezember in diesem königlich Bächsischen Burgverließ frech genug sein werde, ein Glas auf den d e u t s c h e n E i n h e i t s s t a a t zu trinken. Dies ist, soweit man sieht, das erste Mal, wo der Einheitsstaat von ihm als das Ziel offen proklamiert wird. Gleich im Anfang des neuen Jahres (Brief vom 3. Februar) entwickelt er seine Meinung ausführlicher: „Nicht bloß ein Staatenbund mit Österreich und Preußen, nein, auch ein Bundesstaat von Monarchien ist ein Unding." Mit der ihm eigentümlichen Unbedingtheit bemerkt er, daß ein Kind es fassen mag: „Nur ein Heil gibt es: Ein Staat, ein monarchisches Deutschland unter der Dynastie Hohenzollern. Vertreibung der Fürstenhäuser, Annexion an Preußen — das ist rund und nett mein Programm." Es gilt, diesen Gedanken zu verstehen und zu verbreiten. Dieser erhabenen Idee gegenüber scheint ihm sein eigenes Leben keinen Schilling wert. Der Gedanke des Einheitsstaates scheint von nun an bei ihm festgestanden zu haben. Die Vernichtung der Kleinstaaten wiederholt er immer wieder, und Sachsen und die anderen kleinen Staaten nennt er „den Raubstaat" und die „34 oder 35 Raubstaaten". Mit welcher 21

anderen Begründung als der ihres kleinen Umfanges sie bei Treitschke im Gegensatz zu Preußen mit dieser Bezeichnung versehen werden, ist nicht ersichtlich. Radikaler EinheitBpolitiker nennt er sich häufig, und z. B. in einem Brief vom 29. März 1862 bemerkt er, daß er zu jenen Ketzern gehört, welche in der deutschen Frage das unitarische Programm ohne die föderalistische Maske predigen. Erst in der großen 1864 geschriebenen Abhandlung „Bundesstaat und Einheitsstaat" begründet er ausführlich, weshalb er einen Bundesstaat als unvernünftig ansieht, und er entwickelt seine eigenen Ansichten vom Einheitsstaat als dem Ziel der politischen Entwicklung der deutschen Nation. Die Ideen von 1848 waren ja nicht nur national, sie waren zugleich liberal und demokratisch. Die Männer des Frankfurter Parlaments wollten einen engeren staatlichen Zusammenschluß der deutschen Nation, auf die neue Staatsform sollte aber das „Volk" entscheidenden Einfluß ausüben. Mit den nationalen Ideen hatte Treitschke sich nun auch die liberalen angeeignet, was in Betracht ihrer engen Verknüpfung verständlich genug ist. Zu seinen ersten publizistischen Arbeiten gehört eine Besprechung der großen Arbeit Gneists über das englische Verwaltungs- und Verfassungsrecht und eine Lobpreisung des englischen Selfgovernments. Die bestimmter auftretenden demokratischen Parteien zogen zeitweise seine kräftige Natur stärker an als die Gothaer oder die Altliberalen. In der Frage, wie es wohl gelingen sollte, das Ziel der nationalen Sehnsucht zu verwirklichen, darf man indessen sagen, daß er ungefähr von Anfang an einen nicht liberalen Standpunkt wählte. An dem Felsen der Realitäten war 1849 das mit Ideen schwer geladene Schiff des Frankfurter Parlaments gescheitert. Es hatte sich als unmöglich erwiesen, das Schiff allein mit Hilfe der Windstärke der öffentlichen Meinung in den Hafen zu manövrieren. Diese Lehre übte natürlich ihre Wirkung aus, die Männer des Nationalvereins wählten aber trotzdem 1859 die alten Methoden. Wenn Treitschke, dessen Werkzeuge doch auch das Wort und 22

die Feder waren, sich gleich in Gegensatz hierzu stellte, dann darf die Ursache wohl in verschiedenen Umständen gesucht werden. Sein Soldatenblut verwies ihn an und für sich auf das Schwert, und seine Ungeduld hinderte ihn daran, eine Lösung zu akzeptieren, die in einer unermüdlichen Beeinflussung der öffentlichen Meinung bestand, damit diese stark genug werde, um einen hinreichenden Druck auf die Regierungsmächte auszuüben. In seinen historischen und staatswissenschaftlichen Studien fand er außerdem eine Schätzung der realpolitischen Faktoren, die bei ihm Widerklang fand. In einem Briefe vom 4. März 1856 schreibt er von seiner Lektüre Machiavellis: „Das ist sicher ein ,praktischer' Staatsmann, mehr als irgendeiner geeignet, den Wahn zu zerstören, als ob man die Welt reformieren könne mit Kanonen, die nur mit Rechts- und WahrheitB -1 d e e n geladen sind.1" Seine Abneigung gegen Kanonen mit Wahrheitsideen bekundet er übrigens bereits in einem Brief vom 17. Februar. Machiavelli, bemerkt er in einem etwas späteren Brief (29. April), ist ihm ein Lieblingsschriftsteller geworden wegen seiner „rücksichtslosen Tatkraft und glühenden Vaterlandsliebe". Ungefähr zur selben Zeit scheint er mit den von A. L. von Rochau 1853 herausgegebenen Grundsätzen der Realpolitik bekannt geworden zu sein. Er bemerkt (Brief vom 8. Juni 1856) von diesem Buche, daß es für die Wissenschaft mehr Brauchbares enthalte als ein dickes Lehrbuch der Politik: „Ich wüßte kein Buch, das vorgefaßte Illusionen mit schneidenderer Logik zerstörte." Von dem starken Eindruck, den das Buch und seine Hervorhebung des Staates als Macht auf ihn hatte, erzählt er selbst in seinem Nekrolog über Rochau.1 Eine Bemerkung wie die von Rochau, daß man Unrecht hat, der Wahrheit und dem Rechte eine ihnen innewohnende selbständige Kraft zuzuschreiben, welche ihnen im Kampfe mit dem I r r t u m und dem Unrecht den endlichen Sieg verbürge,2 stimmt genau zu 1

Historische und politische Aufsätze IV S. 245 f. Rochau, Grundsätze der Realpolitik. Neue mit einer Einleitung vermehrte Ausgabe, 1859, S. 28; vgl. S. 153. 1

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der eben genannten Äußerung Treitschkes vom Versuche, die Welt mit Kanonen, die mit Recht- und Wahrheitsideen geladen sind, zu reformieren. Was Rochau1 als das wichtigste Mittel der Einheitspolitik bezeichnete: die Steigerung des Selbstbewußtseins der Nation, die Hebung ihres Stolzes, die Befriedigung ihres rechtmäßigen Ehrgeizes, die Pflege der Erinnerungen an die Taten der Vorzeit, wurde gleichsam das Programm für die Wirksamkeit Treitschkes. Am Ende seines Buches hatte Rochau von der Lösung der deutschen Frage geschrieben: „So gewiß das gesprochene oder geschriebene Wort nichts über die leibhaftige Tatsache vermag, so gewiß die Tatsache nur der Tatsache weicht, so gewiß wird weder ein Prinzip noch eine Idee noch ein Vertrag die zersplitterten deutschen Kräfte einigen, sondern nur eine überlegene K r a f t , welche die übrigen verschlingt."* Treitschke sagt von dieser Äußerung, welche er in seinem Nekrologe teilweise anführt: „Das ließ sich hören, und so viel leuchtete selbst einem Jünglingsverstande ein, daß nur Preußens Bataillone diese überlegene Kraft sein konnten." In einem Brief vom 4. Oktober 1859 heißt es, daß es ihm immer klarer wird, daß Deutschland von Preußen erobert werden muß, p h y s i s c h erobert. Er unterstreicht das Wort physisch. Der Prinzregent von Preußen hatte ein Jahr vorher in einer Rede vom 8. November von den moralischen Eroberungen gesprochen, die Preußen in Deutschland machen wolle, und diese moralischen Eroberungen waren eB, welche der Nationalverein durch seine Wirksamkeit stärken wollte. Treitschke war mehr realistisch veranlagt, er behauptet auch (Brief vom 25. März 1862), daß er nie gemeint hat, die Einheit werde durch das Parlament kommen; gewiß würde sie nur kommen durch das Schwert Preußens. Wenn man bedenkt, wie verwirrt und geteilt die Ansichten von der praktischen Lösung der deutschen Frage im Frankfurter Parlament lange waren, und wie späterhin das Programm des Nationalvereins auch die großdeutsche neben der kleindeutschen Möglichkeit offen ließ, so kann die Frage wohl 1

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1. c. S. 224.

« I. c. S. 67.

berechtigt sein, ob die preußische Lösung für Treitschke immer und unbedingt als die gegebene dagestanden hat. In dem vorher erwähnten Brief an den Freund Bachmann vom 19. November 1854 heißt es: „So viel scheint mir sicher, daß, wenn einer der gegenwärtigen Staaten lebensfähig genug ist, unsere Zukunft zu verbürgen, dies nur Preußen sein kann. Die Frage ist aber eben: Ob? . . . " Mit seinen liberalen Ansichten mußte Treitschke selbstverständlich an sehr vielem in dem Preußen der Reaktionszeit Anstoß nehmen. Anders stand es ja mit Beginn der neuen Ära nach der Übernahme der Regentschaft durch den Prinzen Wilhelm im Oktober 1858, aber auch die Männer der neuen Ära enttäuschten bald ihre Anhänger. Im Frühling 1862 wurden sie von einer konservativen Regierung abgelöst, und im September trat Bismarck an ihre Spitze. Die Stimmung Treitschkes dem herrschenden System in Preußen gegenüber wurde infolgedessen auch sehr schwankend, und der leidenschaftliche Mann prägte drastische Ausdrücke. Seine Ansicht, daß der Staat Preußen zum Führer zu Deutschlands Einheit berufen sei, scheint aber eigentlich unerschüttert geblieben zu sein. Den Zweifel, der in der aus dem Briefe an Bachmann angeführten Äußerung zu Worte kommt, darf man vielleicht nicht beachten, wenn man an seine zahlreichen Zornesausbrüche gegen die seiner Zeitgenossen denkt, die die große und herrliche Zukunft des deutschen Volkes zu bezweifeln sich erlauben. Ihm als Historiker mußte es auch leichter fallen, von den herrschenden Zuständen zu abstrahieren als z. B. den Tagespolitikern. Nur ein einziges Mal, heißt es in einem seiner Briefe, hat er Stolz über die Geschichte Sachsens empfunden, nämlich als er auf einer Wanderung an die Stätte kam, wo Moritz von Sachsen 1552 Karl V. beinahe gefangen genommen hätte. Wie ganz anders wurde er nicht von der großartigen Geschichte Preußens erfüllt, von den Erinnerungen an die Freiheitskriege, von der Begeisterung für den alten Fritz oder von der Geschichte des Deutschen Ordens, welche den Gegenstand einer seiner ersten größeren und schönsten historischen Essays bildete. 25

III. D E R „ S C H A N D F L E C K " D E U T S C H L A N D S Die christlichen „passiven" Tugenden stimmten, wie oben gesagt, nicht zu Treitschkes Natur. Er konnte sich weder mit mangelndem Ehrgeiz oder mangelnder Selbstbehauptung noch mit dem Hange, sich in Kränkungen und Leiden zu schicken, vertragen. Von einem Besuch in Herrnhut schreibt er (20. Mai 1853), daß man dort recht einsehen lernt, daß das Christentum wohl gute, aber nicht große Menschen bilden kann: „Die Begriffe von Ehre und Selbstachtung sind ihm fremd; und doch darf ein Mann, der mächtig wirken will, nicht im allgemeinen verschwinden; er muß seine Individualität so schroff in die Welt hereinrücken, daß sich das Gemeine und Alltägliche die Stirn daran einrenne." Wenig christlich war auch seine Verherrlichung des Hasses, des vaterländischen Hasses, des Hasses gegen die Unterdrücker der Freiheit, gegen die, welche die deutsche Nation von der Macht und Herrlichkeit, die ihr gebührte, fernhielten. Er bemerkt an einer Stelle (Brief vom 5. Februar 1855), daß er nicht imstande sei, einem Manne, welcher nicht die volle Fähigkeit herzlich zu hassen und zu lieben besitzt, näherzutreten. Es ist auffallend, mit welch lobenden Bezeichnungen der Haß bei ihm immer versehen wird. Er spricht (Brief vom 25. Mai 1856) davon, daß ein gesunder Haß und Zorn ein ganz schätzenswertes Angebinde ist in einer Zeit, wo auch über dem Haupte des Lebhaftesten und Feurigsten die gefühllose Gleichgültigkeit wie ein Schreckgespenst schwebt. An einer anderen Stelle (8. Juni 1856) heißt es, daß ein fröhlicher Haß eine recht brauchbare Mitgift in dieser Welt ist, besonders für Leute, die, wie er selbst, ihren Gott nicht im Himmel, sondern in der Geschichte und dem Berufe ihres Volkes suchen. Diesen heiligen brennenden Haß ließ er von Anfang an bei seiner Beschäftigung mit der schleswig-holsteinischen Frage auflodern. Der Kampf für die Einheit Deutschlands und der Kampf für den Schleswig-Holsteinismus waren ja in den Jahren 26

1848—49 in eine sehr enge Verbindung miteinander getreten. Es war deshalb verständlich genug, daß Treitschke mit den Einheitsideen sich auch die nationale und liberale Auffassung der schleswig-holsteinischen Frage aneignete. Dazu kam, daß Treitschke, wenn man so sagen darf, eine persönliche Beziehung zu der Frage hatte. Sein Vater war im Jahre 1849 als Ratgeber dem Herzog Ernst von Koburg-Gotha gefolgt, dem von der Zentralgewalt in Frankfurt das Kommando einer Reichstruppenbrigade in Schleswig-Holstein übertragen war. Er nahm hier mit den schleswig-holsteinischen Küstenbatterien zusammen am Gefecht von Eckernförde (5. April) teil, in dem Dänemark das Linienschiff „Christian VIII." und die Fregatte „Gefion" verlor. Dieses Ergebnis des Gefechtes erregte in ganz Deutschland stürmischen Jubel, und bei Treitschke ließ es sowohl sein deutsches als auch sein Sohnesherz höher schlagen. Auch der in Deutschland ohne allzu viele Ursache gefeierte sogenannte Sturm auf die Düppeler Schanzen am 13. April, an welchem sächsische Truppen teilgenommen hatten, erregte bei ihm große Freude (Brief vom 20. April 1849). Ungefähr zehn Jahre später nennt er in einem Brief das Gefecht bei Eckernförde „beinah den einzigen Tag deutschen Kriegsruhmes in einem halben Jahrhundert" (5. April 1860). In demselben Brief, der während eines Aufenthaltes zu Hause geschrieben ist, erwähnt er weiter, daß an der Wand ein von seinem Vater bei Eckernförde erbeuteter dänischer Säbel hängt. Dieser Säbel ist jetzt im Besitz seiner Tochter, des Fräuleins Maria von Treitschke. — Die letzte historische Schilderung, welche aus der Hand Treitschkes stammt, ist die in der Historischen Zeitschrift 1896 veröffentlichte Abhandlung „Das Gefecht von Eckernförde", welche zum wesentlichen Teil auf den Aufzeichnungen seines Vaters beruht. Was der Gegenstand der ersten politischen Interessen Treitschkes gewesen war, das sollte ihn also auch am Ende seines Lebens beschäftigen. Man mag hier an die Verse in C. F. Meyers „Hutten" denken: 27

„Der Reigen, der die Wiege mir umfing, hallt wieder hell und schließt den Schicksalsring."

Während aber an Huttens Ohren das Herdenläuten bei der Ahnen Burg wie am letzten Zufluchtsorte klingt, sind es bei Treitschke der Klang der Streittrompeten und der Donner der Kanonen. Zwei kräftige und einseitige Kampfnaturen waren sie ja beide. In wie hohem Grade Treitschke von Zorn über den endlichen Ausgang der schleswig-holsteinischen Erhebung erfüllt wurde, ersehen wir aus einer Reihe von Äußerungen in den Briefen seiner Studentenzeit. In diesen Jahren scheint er auch mit Vorliebe Umgang mit deutschgesinnten schleswigschen und holsteinischen Studienkameraden gesucht zu haben, und er erwähnt mehrere, mit welchen er Freundschaft geschlossen hat. In Bonn hatte er ja überdies als Lehrer den theoretischen Fürsprecher der schleswig-holsteinischen Bewegung, der u. a. über skandinavische Geschichte las. Von einer Bekanntschaft mit einem Holsteiner heißt es in einem Briefe Treitschkes vom 9. Juli 1851: „Besonders gefällt mir sein Benehmen, wenn die Rede von seiner Heimat ist; er wirft dann nie mit leeren Phrasen um sich, sondern schweigt, aber man sieht es ihm an seinem ganzen Wesen an, was er denkt und fühlt." Treitschke selbst lag das Schweigen nicht am nächsten. In scharfen Ausdrücken erwähnt er „den großen Schandfleck auf unserer neuesten Geschichte" (Brief vom 14. Juli 1852), dieses empörende Verhältnis, daß nicht nur alles, was uns die Fremden geraubt, in ihren Händen geblieben, sondern daß ein ohnmächtiger Feind (Dänemark) nach einem schmachvollen Kriege den Deutschen zwei ihrer schönsten Lande entrissen (Brief vom 28. April 1856). Sein patriotischer Zorn hierüber lodert gleichfalls in verschiedenen seiner 1856 herausgegebenen „Vaterländischen Gedichte". Von den in dieser Sammlung aufgenommenen Gedichten stammen einzelne aus seinen ersten Studienjahren in Bonn, ja ein einzelnes geht in seinem ersten Entwurf zurück in 28

seine Dresdener Schuljahre. Als Motto hat er bezeichnenderweise der Sammlung einen Vers Machiavellis vorangestellt: „Der Wahn, Gott werde Wunderwerk verrichten an uns, derweil wir faul die Kniee beugen, muß Reich und Staaten gar zugrunde richten . . . "

Wie er's an einer anderen Stelle ausdrückt (Brief vom 1. März 1857), begriff er den Gelehrten nicht, der eiskalt genug war, „die staatlichen Verhältnisse unsrer ^ gärenden Zeit historisch zu betrachten"; wer mitten im Feuer stand, der sollte nicht über die Notwendigkeit des Unheils nachdenken, sondern die Hände regen und die Leidenschaft seines Herzens für die Abhilfe des Übels einsetzen. So handelte er selbst. E r wollte dem deutschen Volke die früheren großen Zeiten ins Gedächtnis zurückrufen, er wollte es an die Schmach der Gegenwart erinnern und es zur Tat erwecken. Seine Gedichtsammlung sollte ein Weckruf sein. Den Wert seiner vaterländischen Gedichte findet er darin, daß sie die Teilnahme des Publikums auf die traurigen deutschen Zustände, auf die Schwäche nach außen, richten sollen — „ein Punkt, der so ziemlich aus dem Gedächtnis unsres Volkes verschwunden zu sein scheint; denn über unserer Rübenzuckerfabrikation und anderen geisterhebenden Beschäftigungen und über unserer harmlosen Freude, daß der ,CravaU' zu Ende i s t . . . , haben wir so ziemlich vergessen, daß der deutsche Name allüberall zum Spott geworden und daß die schleswig-holsteinische Geschichte nicht um ein Haar besser ist als weiland die Inkorporation Straßburgs, also Deutschlands schmachvollste Zeit" (Brief vom 8. März 1853). „Es sind namenlose Zustände", heißt es in einem anderen Briefe. „Jedes Wort, das heute an unsere Schmach mahnt, ist gesegnet", und er ist deshalb sehr zufrieden damit, daß er selbst seine Schriftstellerlaufbahn mit den vaterländischen Gedichten eröffnet (17. Februar 1856). Namentlich auf den Ausgang der „schleswig-holsteinischen Geschichte" wollte Treitschke also die Aufmerksamkeit seiner Leser richten. Hierhin zielte das große Gedicht „Die Dith29

marschen", dessen Ursprung in sein letztes Schuljahr zurückgeht.1 Es verherrlichte den heldenmütigen Kampf der Dithmarscher gegen den dänischen König und ihren Sieg in der Schlacht bei Hemmingstedt im Jahre 1500. Von der Erwähnung dieser Heldentat der Vorzeit ging es hinab zur Unterdrückung der schleswig-holsteinischen Erhebung: „Hier sank ein Volk von Helden, gefällt im falschen Streit — und seine Mörder treiben Gespött mit seinem Leid."

Den Wahn, daß solche Wunden allgemach verharschen würden, fand der Dichter töricht: Nichts ist ewig wie eines Volkes Schmach, und er mahnte die deutsche Nation dereinst bereit zu sein, „die wilde Schmach zu tilgen mit wildem Rächerschwert". Und Zukunft kündend heißt es: „Ja tobt nur, tobt, ihr Wogen, schlagt wild an unsern Kiel, wir bringen's doch zu Ende, wir kommen doch zum Ziel 1"

Das Gedicht Treitschkes geht wohl auf seine Lektüre von Dahlmanns Dänischer Geschichte zurück. Ein paar Gedichte wie „Jürgen Wullenweber" und „Die Siebenundsiebzig" verherrlichen die Glanzzeit der Hansestädte und ihren Einfluß auf Dänemarks politische Verhältnisse. Sie verkünden, wie es in dem letzten Gedicht heißt, „der Dänen Lug und Schande, der Deutschen Herrlichkeit". Wenn Treitschke (im Briefe vom 18. Januar 1854) der Ansicht iBt, daß die Dänenkönige Jahrhunderte hindurch sich von dem deutschen Städtebunde in ihrer Würde bestätigen lassen mußten, so ist dies eine kräftige jungendliche Ubertreibung.1 Das Gedicht endet wie „Die Dithmarschen" damit, 1

Th. Schiemann, H. von Treitschkes Lehr- und Wanderjahre S. 43. * Treitschke denkt an den 1370 in Stralsund zwischen dem dänischen Reichsrat und den Hansestädten geschlossenen Friedensvertrag. In diesem heißt es, daß wenn König Waldemar bei seinem Reiche bleiben wolle, solle er den Vertrag mit seinem großen Siegel besiegeln. Will Waldemar zu seinen Lebzeiten das Reich an einen anderen ab-

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die stolze Vorzeit im Gegensatz zur trüben Gegenwart hervorzuheben : „Die Lust ist Weh geworden im trüben Zeitenlauf. Mit Stolz hab ich begonnen, mit Tränen hör ich auf."

Der Dichter hegt den Wunsch, daß sein Sohn einst sänge „das Lied voll Stolz und Glanz — von seiner Väter Größe, von u n s r e r Waffen Tanz", und daß der Tag tagen müsse, wo die Deutschen als Sieger wieder an Seelands Ufer landen: „Kein Volk hat Gott verlassen, das sich nicht selbst verließ." Dieses Vertrauen, daß der Gang der Geschichte sich wenden werde, fand Treitschke durch einen im Spätsommer 1856 vorgenommenen Ausflug nach Kiel, wohl den lehrreichsten Ausflug, den er je gemacht, wie er sagt, bestätigt. Er freute sich in Holstein herzlich „an dem durch alle Stände gehenden grimmigen Dänenhasse und der ruhigen, unerschütterlichen Zuversicht von jedem, daß der jetzige Zustand nicht dauern kann" (Brief vom 1. September 1856). Die nächste Gedichtsammlung Treitschkes, die „Studien", die im folgenden Jahre herauskam, enthält nur einzelne Gedichte politischen Inhalts. Indessen waren, wie er selbst bemerkt (Brief vom 18. Oktober 1857 an Klee), diese bitterer als die früheren, weil sie mehr auf die Gegenwart eingingen. Von einem der Gedichte, dem „Legionär", heißt es, daß es den Vorgang schildert, den er selbst an einem sehr edlen treten, so soll der Reichsrat hierin nicht einwilligen ohne den Rat der Hansestädte und ohne daß der Betreffende die Privilegien der Städte bestätigt. Auf dieselbe Weise soll man sich verhalten bei dem eventuellen Tode des Königs. In der Wiedergabe des Friedensvertrages bei Dahlmann, Dänische Geschichte 2. Bd. S. 39, heißt es hiernach in gesperrtem Druck: „desgleichen sollen wir keinen Herrn empfangen, es sei denn mit dem Rate der S t ä d t e . . . " Auch wenn Dahlmanns Auffassung des Vertrags richtig wäre, was sehr zweifelhaft scheint, dann muß doch bemerkt werden, daß die Königswahl nach dem Tode Waldemars — die Wahl des jungen Königs Oluf — nicht auf diese Weise vor sich ging, und daß der Artikel von der Königswahl ausgenommen wurde, als die Städte 1379 den Stralsunder Vertrag anerkannt und mit dem großen Siegel des Königs versehen bekamen.

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Menschen mit angesehen: wie die Trostlosigkeit der nationalen Verhältnisse den sittlichen Mut des einzelnen bricht. Der Legionär hat seinerzeit als Freiwilliger am Kampfe gegen Dänemark teilgenommen, ist aber nach dessen unglücklichem Ausgang in fremden Kriegsdienst gegangen und hier moralisch zusammengebrochen: „Er Ist nicht mehr, der seine Hand freiwillig bot dem deutschen Recht, im Kugelregen lachend stand der Schreck des Dänen im Gefecht."

Er verweilt nun bei dem Gedanken, daß der Trommelschlag ihn wieder in die Dänenschlacht hineinwerfe, wo er von allen Sünden gereinigt werden kann. Der Kampf gegen Dänemark ist auch der Gegenstand des Gedichtes „Eine Soldatengeschichte", welches in eine Verherrlichung des Hasses wegen der herrschenden schändlichen Zustände ausmündet. „Wir leben", schreibt Treitschke mit Beziehung auf dieses Gedicht, in dem eben angeführten Briefe, „in Zeiten, wo es kein Frevel mehr ist, die Macht der ewigen Liebe zu bitten: Erhalte mir den Mut zu hassen und zu grollen." Das Gedicht „Das Weib im Moor" hat gleichfalls den Dänenkampf zum Gegenstand. Es schildert den Sieg der Dänen durch den Verrat eines Weibes und das furchtbare Schicksal, durch das es gestraft wird. Mit der Gedichtsammlung „Studien" endete Treitschkes poetische Laufbahn. Wie oben gesagt, verweilte er noch lange nachher bei dem Gedanken, sie wieder zu betreten. In den Jahren um die Herausgabe der zwei Gedichtsammlungen hegte er Pläne für eine journalistische Wirksamkeit, um ökonomisch unabhängig zu werden und um gleichzeitig nach eigener Meinung sich dem Dichterberufe widmen zu können. Journalistische Tätigkeit, sagt er während dieser Erwägungen, ist doch eine ehrenwerte Tätigkeit für eine gute Sache (17. Februar 1856). Seine Pläne wurden unterstützt, wenn auch nicht gebilligt, von seinem Freunde L. K. Aegidi, der schon im Jahre 1848 im Dienste der nationalen Sache tätig gewesen 32

war. Treitschkes alter Rektor in Dresden, Julius Klee, trieb dagegen seinen Schüler kräftig zur Habilitation. Dies wurde, wie oben gesagt, auch das Ergebnis, und vom Jahre 1859 an begann Treitschke seine Vorlesungen als Privatdozent an der Universität Leipzig. Er erlangte als Redner schnell eine außerordentliche Beliebtheit, und Studenten und „Philister" füllten sein Auditorium, so daß es gedrängt voll war. Durch die Wahl der Gegenstände: die Geschichte Preußens und die des Deutschen Bundes legte er seine nationale Gesinnung deutlich an den Tag, und seine Vorlesungstätigkeit erregte bei dem Vater, dem königlich sächsischen General, starke Gemütsbewegungen. Daß er in Anbetracht seiner ausgeprägt preußischen Ansichten keine größere Gunst in sächsischen Regierungskreisen finden konnte, ist verständlich genug. Ungefähr ein Jahr, bevor Treitschke die akademische Laufbahn betrat, hatte er eine literarische Tätigkeit begonnen, die zwar nicht rein journalistisch war, aber doch ihm erlaubte, als Publizist recht regelmäßig für „die gute Sache" zu wirken. Neujahr 1858 wurde eine neue Zeitschrift, die später so bekannten „Preußischen Jahrbücher" ins Leben gerufen. Sie diente als Organ der sogenannten „altliberalen Partei" in Preußen, der Männer, die durch die neue Ära im November desselben Jahres Einfluß auf die Regierimg bekamen. Der Historiker Max Duncker war für die politische Haltung des Blattes bestimmend, und sein naher Freund, Rudolf Haym, der damals Privatdozent in Halle war, leitete das Blatt in enger Übereinstimmung mit Dunckers Ansichten. Haym nennt sich einen Schüler Dunckers „in politischen Dingen" und sagt in seinen Erinnerungen, daß er sich dessen reinem und gesundem Urteil ruhig anvertraute. 1 Die Zeitschrift hatte die westeuropäischen Revuen zum Vorbild, und die leitende Idee war die Verbindung des Wissenschaftlichen und des Politischen. Die Wissenschaft sollte im Dienste der nationalen Sache tätig sein. Die Beiträge waren in den ersten Jahren 1

Aus meinem Leben. Erinnerungen von Rud. Haym, 1902, S. 277.

Treitschke

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anonym — bis ungefähr 1863, und der Redakteur formte sie nach den Grundideen der Zeitschrift. Eine Hauptpflicht der Redaktion, schreibt Haym in einem Briefe vom 27. Februar 1859 an Treitschke, ist's, den einheitlichen Geist in den Jahrbüchern zu erhalten. Von einem der Artikel Treitschkes, einer Besprechung, welche doch auch in hohem Grade von Haym umgeformt wurde, bemerkt Aegidi, der Treitschke als denVerfasser nicht hatte erraten können: Sie war gewiß wie Roß und Reiter, „und Haym hat gesorgt, daß du abstiegst und daß dein Rößlein fein in den Stall geführt wurde. . . . Haym hat wirklich das Talent, verschiedene deutsche Individuen gewissermaßen zu Preußischen Jahrbüchlern einzukleiden wie einjährige Freiwillige, so daß man in der Uniform seine Freunde nicht auskennt." 1 In den Artikeln Treitschkes wurden die kräftigen Ausbrüche seiner preußischen Gesinnung bei mehreren Gelegenheiten von Haym schlimm mitgenommen und die starken Töne gedämpft. Die leitende Idee der Preußischen Jahrbücher stimmte mit den Ansichten, denen Treitschke huldigte, daß der Historiker und der Wissenschaftler tätig in die gärenden Verhältnisse eingreifen sollten, ausgezeichnet überein. Eine ernste Zeit, sagt er an einer Stelle (Brief vom 2. August 1857), wird kommen, die auch den einseitigsten Fachmann mit Rutenstreichen herantreiben wird, mitzuwirken an dem Fortbau des öffentlichen Wesens. Mit andern und auf andre zu wirken ist, heißt es in einem anderen Briefe (2. November 1857), jedes tätigen Menschen Bedürfnis. Als Haym im Herbst 1857 Treitschke, der ihm warm empfohlen war, aufsuchte, um ihn als Mitarbeiter für die Jahrbücher zu gewinnen, sagteTreitschke sogleich zu. „Das war", schreibt Haym später, „eben der Mitarbeiter, den ich suchte, das war eben das Feld schriftstellerischer Tätigkeit, wie er es sich wünschte — hier fand seine national-politische Gesinnung, sein historisch-literarisches Interesse, sein Drang, auf seine Zeitgenossen rednerisch ein1

Aegidi an Treitschke 14. 3.1859. Vgl. Haym an Treitschke 27. 2. 1859.

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zuwirken, die schönste Gelegenheit. Er machte die Sache der Jahrbücher zu seiner eigenen Angelegenheit."1 Haym, der 1848 Mitglied des Frankfurter Parlaments gewesen war, hatte nach dessen Auflösung die Constitutionelle Zeitung zu Berlin, das Organ der nationalen und konstitutionellen Kreise redigiert. Er hatte hier namentlich für die schleswig-holsteinische Sache gewirkt und hatte großen Stolz darüber empfunden, daß er von der schleswig-holsteinischen Regierung ein Anerkennungsschreiben für diese seine Tätigkeit empfing. In seinem neuen Organ war ihm gleichfalls viel daran gelegen, die schleswig-holsteinische Frage in den Vordergrund zu stellen. In einem Briefe vom 16. November 1857 an Treitschke sagte er, daß es ihm unerläßlich erscheint, „die große Nationalfrage Schleswig-Holstein sogleich im ersten Heft sachvoll, würdig, drängend und doch maßvoll zu besprechen." Seine Anfrage, ob Treitschke dazu willig sei, beantwortet dieser sogleich zustimmend. Es wurde indessen doch ein anderer, der die Frage zu behandeln bekam.2 Die Beiträge Treitschkes für die Jahrbücher wurden im Anfang durch seine damalige Beschäftigung mit ästhetischen Studien und Plänen stark bestimmt. In den ersten Jahrgängen wurden so seine schöne Abhandlung über Heinrich von Kleist und unter dem gemeinsamen Titel „Zeitgenössische Dichter" die Essays über Otto Ludwig, Gottfried Keller und Hebbel veröffentlicht. In den folgenden Jahrgängen überwogen seine historischen und historisch-politischen Beiträge. Als er am Ende des Jahres 1860 mit dem Verleger S. Hirzel in Leipzig einen Vertrag, die Geschichte des Deutschen Bundes von 1814 an zu schreiben abschloß, meldete Haym sich als Abnehmer der „im Laufe Ihrer Studien sich ergebenden Abfälle".5 Als Vorstudien erscheinen auch die in den Jahrbüchern aufgenommenen Abhandlungen über Karl AuguBt Wangenheim und Hans von Gagern. Von der Bedeutung Treitschkes als Mit1 1

Haym, Aus meinem Leben S. 269. Haym an Treitschke 18.11.1857. * Haym an Treitschke 28.12.1860.

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arbeiter zeugt es, daß Haym im Jahre 1860 ihn zur Übernahme der Redaktion zu bewegen suchte, aber das lehnte Treitschke ab. „Sie sind viel kenntnisreicher und rühriger und vielmehr politisch interessiert (als ich). Sie sind Historiker und Politiker von F a c h . . . " , schreibt Haym an ihn (14. 8. 1860). Uber die Beiträge Treitschkes äußert Haym sich auch stets voll überströmenden Lobes. Diejenige deutsche Revue, die aus lauter solchen Aufsätzen wie Treitschkes bestünde, würde er für die beste der Welt halten, und er getraute sich mit einem halben Dutzend Schriftsteller wie Treitschke alle ähnlichen Unternehmungen auszustechen.1 Wie verlockend die Aufgabe auch sein könnte, die Mitarbeiterschaft Treitschkes an den Preußischen Jahrbüchern in diesen Jahren näher zu behandeln, lasse ich doch diese Aufgabe hier ungelöst. Sie liegt ja außerhalb des Gegenstandes, der hier untersucht werden soll. Ich will nur noch bemerken, daß trotz der häufigen brieflichen Versicherungen Hayms von der Ubereinstimmung der politischen Anschauungen der Zeitschrift mit der Treitschkes, doch früh ein Gradunterschied hervortritt. Die kräftige Natur Treitschkes konnte sich nicht mit dem etwas verzagten Auftreten der Minister der. neuen Ära oder mit dem Wahlspruch ihrer Freunde versöhnen: „Nicht drängen", um die Stellung der Minister beim Könige nicht zu schwächen. Er fühlte sich mehr angesprochen von dem bestimmteren Auftreten der preußischen Fortschrittspartei, die auch bei den Wahlen im Dezember 1861 über die Altliberalen siegte. Als das liberale Ministerium im Frühling 1862 von einem konservativen (Hohenlohe -Jngelfingen) abgelöst wurde, verschwanden diese Gegensätze bis zu einem gewissen Grade, da beide Richtungen jetzt in die Opposition traten. Haym arbeitete an einem Arrangement, „wonach Häusser, Sybel, Twesten die Autorität ihrer Namen und den Nachdruck ihrer etwas frischeren politischen Denkweise den Jahrbüchern und damit der alten konstitutionellen 1

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Haym an Treitschke 8. 2.1863.

Partei leihen würden". 1 Daß Treitschke diesem Arrangement zustimmen würde, konnte er als sicher voraussetzen, über die Twesten-Sybelsche Linie — also den rechten Flügel der Fortschrittspartei — wollte er aber nicht hinausgehen. Mit der „spezifischen Demokratie" wollte er nichts zu tun haben.* Seit dem Jahre 1848 bis jetzt, behauptet er, haben die sogenannten Demokraten Bich allemal dadurch ausgezeichnet, „daß sie durch unpolitische Tendenz- und Prinzipienpolitik die reale Förderung unserer nationalen und unserer Freiheitsinteressen erschwerten".3 Trotz der Bestrebungen Hayms, den Jahrbüchern „frischere politische Denkweise" zuzuführen, sollten die Gegensätze im Temperament doch einen Bruoh zwischen ihm und Treitschke bewirken. Als Bismarck, der am 23. September 1862 an die Spitze des Ministeriums getreten war, am 1. Juni 1863 seine provisorischen Presseverordnungen erließ, wollte Treitschke die Fahne der Revolution erheben. Die abwartende Haltung, welche die Preußischen Jahrbücher den Verordnungen gegenüber einnahmen, empörte ihn aufs tiefste und trieb ihn dazu, in einem anderen liberalen Blatte, den etwas demokratischeren Grenzboten zu Leipzig, sich öffentlich von den Jahrbüchern loszusagen. Nach diesem kurzen Ausblick auf das Verhältnis Treitschkes zu den Preußischen Jahrbüchern in der Zeit vor 1864 wenden wir uns wieder seinen Artikeln über die schleswig-holsteinische Frage zu. In ihr bezeichnet das Jahr 1858 einen Wendepunkt. Vor dem Widerstande, der von holsteinischer Seite gegen die dänische Gesamtstaatsverfassung vom 2. Oktober 1855 erhoben und von Deutschland unterstützt wurde, wich die dänische Regierung zurück. Durch Patent vom 6. November 1858 wurde die Gesamtstaatsverfassung für Holstein und Lauenburg außer Kraft gesetzt. Zugleich verkündete die Regierung, den holsteinischen Ständen neue Vorlagen zur Ordnung des Verhältnisses zwischen den verschiedenen Tei1

Haym an Treitschke 17. 10.1862. Haym an Treitschke 4.11.1862. * Haym an Treitschke 21. 9.1861. s

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len der Monarchie auf der Grundlage der Bekanntmachung vom 28. Januar 1852 machen zu wollen. Gleichzeitig mit dem Rückzüge der dänischen Regierung geschah der Systemwechsel in Preußen, der in den liberalen und nationalen deutschen Kreisen die Erwartung erweckte, größeren Widerklang für ihre Wünsche und Pläne eines aggressiven Auftretens in der dänischen Frage zu finden. Zeugnissen solcher Erwartungen begegnen wir auch in den gleichzeitigen Briefen Hayms und Treitschkes. Am 10. November schreibt Treitschke, daß die großen Nachrichten aus Preußen und Dänemark allgemeine Sensation erregt haben. Über die Ernennung des Geheimrats von Gruner zum Staatssekretär im Ministerium des Auswärtigen äußert er seine große Freude, namentlich weil er aus seinem eigenen Munde weiß, „wie ernst er und der Minister Schleinitz die Sache Schleswig-Holsteins auffassen. Da wird hoffentlich endlich ein Schritt geschehen, der Deutschland würdig ist." Zwei Tage danach heißt es in einem Briefe Hayms an Treitschke, daß dieser vielleicht in den neuesten Ereignissen in Preußen und Kopenhagen einen Anlaß zu längeren oder kürzeren Herzenserleichterungen finde. Haym hatte früher (23. Februar) Treitschke um Besprechungen neu erschienener politischer Broschüren gebeten. Er hatte hinzugefügt, daß die Manier und die politische Anschauung Treitschkes so sehr in die Haltung der Jahrbücher paßten, daß dergleichen fast immer Aufnahme finden würde. Treitschke nahm nun Haym beim Wort und schrieb eine Besprechung der von W. Beseler herausgegebenen Broschüre: „Zur schleswig-holsteinischen Sache im November 1858." Diese Broschüre war die Fortsetzung mehrerer früheren, von Beseler verfaßten, der es als seine Aufgabe betrachtete, „die schleswig-holsteinische Wunde offen zu halten". 1 Die Besprechung Treitschkes erschien indessen nicht in den Jahrbüchern, weil Haym selbst vorher eine Rezension geschrieben hatte. 8 In einer etwas veränderten Form wurden auf Momm1

Gertrud Schweickhardt, Wilhelm Beseler als Politiker, 1927, S. 250. * Haym an Treitschke 23. 12. 1858.

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sens Veranlassung seine „Herzenserleichterungen" „zur schleswig-holsteinischen Frage" am Ende des Jahres in der Vossischen Zeitung (23.—25. Dezember) veröffentlicht. Treitschke nennt es (19. Januar 1859) „einen von Beseler organisierten Zeitungslärm, um durch lautes Aussprechen der öffentlichen Meinung in einer Menge von Blättern die holsteinischen Stände, denen man damals nicht recht traute, zum Ausharren zu bewegen". Der Hauptgesichtspunkt in der Broschüre Beselers war, daß man von den aus der Reaktionszeit stammenden Verabredungen zwischen Dänemark und Deutschland, welche ihren Ausdruck in der Bekanntmachung vom 28. Januar 1852 gefunden hatten, fortkommen solle. Er forderte von den holsteinischen Ständen, daß sie ein Eingehen auf Regierungsvorlagen, welche ihnen auf dieser Grundlage vorgelegt wurden, abwiesen. Die Stände sollten dagegen den status quo vor dem Jahre 1848 fordern, und dieser Zustand sollte nach der Ansicht Beselers mit der Personalunion zwischen den Herzogtümern Schleswig und Holstein und dem Königreich Dänemark gleichbedeutend sein. Weil die Repräsentativversammlungen beschließende Macht bekommen hatten, behauptete Beseler außerdem, daß es notwendig sei, daß die Versammlungen der zwei Herzogtümer vereinigt würden. Sonst wäre es ja denkbar, daß ein Unterschied zwischen ihrer Gesetzgebung und Regierung entstände, und das würde der früheren Gemeinschaft nicht entsprechen. Insofern in der Tat eine Möglichkeit bestände, daß Dänen und Deutsche in einem Staat zusammenleben könnten, müßte es unter einer Personalunion sein. Der Deutsche in den Herzogtümern mußte, wenn er nicht alles National-, Freiheits- und Ehrgefühl abgestreift hatte, das stets von neuem aufgestachelte Verlangen tragen, von der dänischen Herrschaft befreit zu werden. Mit pathetischen Worten mahnte Beseler schließlich die holsteinischen Ständemitglieder, nicht auf einen schwächlichen Kompromiß, der ihnen vielleicht augenblicklich eine kleine Erleichterung verschaffen möchte, einzugehen. In diesem Fall 39

würden sie „dem lebendigen Geist ihrer an guten und rühmlichen Taten reichen Geschichte, der lauten Mahnung einer unerbittlichen Gegenwart, dem unbeugsamen Geist des alten Sachsenstammes den Rücken wenden, . . . die Ruhe ihrer Toten stören..., über denen auf den Schlachtfeldern von Schleswig kaum der Rasen grün geworden". Wenn man die Broschüre Beselers liest, fragt man sich, ob es möglich sei, den Ton gegen Dänemark schärfer und feindlicher zu stimmen. Treitschke vermag es, wenn man auch den Eindruck bekommt, daß bei ihm die Stimme zuweilen sich überschlägt. Die Broschüre Beselers wird übrigens in den Artikeln Treitschkes gar nicht erwähnt, obschon ihr Inhalt ganz überwiegend aus der Broschüre geschöpft ist und die Äußerungen oft beinahe wörtlich mit denen Beselers übereinstimmen. Eine bezeichnende Änderung erfahren die Bemerkungen Beselers doch bei Treitschke. Sie werden kräftiger, persönlicher, malender und außerdem von seiner heißen patriotischen Leidenschaft durchzogen. Wenn es z. B. bei Beseler in bezug auf die Bekanntmachung vom 28. Januar heißt: „Niemand" wird leugnen wollen, „daß ein Territorium mit gemeinschaftlicher Regierung und repräsentativer Verfassung, mit gemeinschaftlicher Gesetzgebung und Verwaltung ein Staat sei", so wird bei Treitschke „Niemand" durch „Kein vernünftiger Mensch" ersetzt. Beseler erwähnt, daß die genannte Bekanntmachung als ein Zeugnis des gerechten und versöhnlichen Geistes des dänischen Königs von der Bundesversammlung anerkannt wurde, Treitschke dagegen setzt an Stelle der Bundesversammlung vielmehr Manteuffel, den Staatsmann von Olmütz, eine nach seiner Ansicht angemessen beißende Bezeichnung. Wenn Beseler sagt, daß das Patent vom 6. November 1858 u. a. seine Erklärung darin finden kann, daß eine Bundesexekution der dänischen Regierung unbequem und den Gefühlen des dänischen Volkes ein Greuel gewesen wäre, so heißt es bei Treitschke, daß „der Kopenhagener Übermut" diese „Verletzung des dänischen Gebietes" kaum ertragen hätte. Was Beseler von den Hunderten von 40

Dänen, meistens Söhnen angesehener Familien Kopenhagens, die in Holstein in der Armee und der bürgerlichen Verwaltung angestellt sind, berichtet, wird bei Treitschke in die ungeheuerliche Behauptung verwandelt, daß in der tonangebenden Hauptstadt des Inselreichs fast jede Familie persönlich daran interessiert ist, daß die Überschwemmung der deutschen Lande mit dänischen Beamten fortdauert. Die patriotische Leidenschaft Treitschkes zeigt sich in Äußerungen wie der, daß Schleswig-Holstein das böse Gewissen der deutschen Nation geworden ist: „in unzähligen Herzen, die noch nicht gelernt haben, ihre eigene Ehre von der Ehre ihres Landes zu unterscheiden, brennt das beschämende Bewußtsein, daß Deutschland in diesen zehnjährigen Wirren nicht einen Tag erlebt hat, auf den es mit Selbstzufriedenheit blicken könnte, daß aller Ruhm und alle Ehre ausschließlich auf die Seite der mutigen Dulder und Streiter in den Herzogtümern selbst fällt." Dieses beschämende Bewußtsein treibt, wie es in dem letzten Artikel heißt, das Blut in die Wangen und bricht fast das Herz. Wenn man solche Äußerungen liest, empfindet man, daß sie Ausbrüche einer Feuerseele sind, die weit verschieden ist von den meisten anderen Menschenseelen. In den Artikeln Treitschkes hört man verständlich genug einen Widerklang seiner früheren patriotischen, schleswig-holsteinischen Gedichte. Er zitiert selbst eine Zeile wie diese: „Kein Volk hat Gott verlassen, das sich nicht selbst verließ." Gleich im ersten Artikel wird Dänemark als „der sieglose Sieger" im dreijährigen Kriege 1848—50 vorgestellt, und wir hören von dem jungen Manne in den Herzogtümern, welcher in diesem Kriege mit den Preußen zusammen focht und sich das Ehrenkreuz erwarb, das er weder in den Herzogtümern noch in Preußen tragen darf. Auch in dem Gedicht: „Eine Soldatengeschichte" war Dänemark als „der sieglose Sieger" bezeichnet, und der junge Mann, der nach dem unglücklichen Ausgange des Kampfes nach Deutschland floh, mußte sein Kreuz vor deutschem Späherblick verstecken. 41

Auch Beseler will in seiner besprochenen Broschüre nichts von dänischen militärischen Siegen wissen. Die Schlacht bei Idstedt wird als die von den Schleswig-Holsteinern gewonnene Schlacht bei Idstedt, welcher der für sie verderbliche Ausgang gegeben wird, erwähnt. Sowohl der tatsächliche Inhalt der Artikel Treitschkes ist derselbe wie bei Beseler, aber außerdem ist, wie schoif erwähnt, auch der Hauptgesichtspunkt der gleiche. Die Pflicht der holsteinischen Stände ist's, von der vertragsmäßigen Grundlage des dänischen Gesamtstaates abzugehen, sie haben, wie es bei Treitschke heißt, Zeugnis abzulegen für die hohe politische Begabung des transalbingischen Volkes. Dagegen tritt ein charakteristischer Unterschied hervor in der Behandlung der Stellung Deutschlands zu Schleswig-Holstein, und in dieser Behandlung begegnen wir der preußischen und unitarischen Einstellung Treitschkes. Beseler sucht in längerer Entwicklung zu zeigen, daß es nicht nötig sei, die Hoffnung aufzugeben, daß selbst Österreich sich der Sache der Herzogtümer gegen Dänemark annehmen werde. Dies lehnt Treitschke ganz und gar ab: „Es iBt töricht zu erwarten, daß eine Regierung, welche selbst ein buntes Völkergemisch zentralisierend zu lenken unternimmt, für Nationalitätsfragen lebhafte Sympathien hegen sollte; noch törichter zu meinen, Österreich werde sehr eifrig sein in einer Angelegenheit, worin die norddeutsche Großmacht schon ihrer Lage nach notwendig die Vorhand haben muß." Derselben realpolitischen Betrachtung begegnen wir in Treitschkes Stellung zu den deutschen Mittelstaaten: „Von den Mittelstaaten redet kein Einsichtiger mehr, wo es sich um Machtfragen handelt." Von der Parteinahme Hannovers für Schleswig-Holstein heißt es u. a.: „Wer gibt einem Mittelstaate die Macht, in internationalen Fragen ein gewichtiges Wort zu sprechen?" Daß auch der Bundestag keine Gnade vor Treitschke findet, ist eine Selbstverständlichkeit. Von der Auffassung, daß das Patent vom 6. November 1858 ein dänisches Zugeständnis an Deutschland sei, schreibt er, daß wer die Geschichte des Bundestages 42

kennt, der wisse, daß es den Grundsätzen dieser hohen Körperschaft schnurstracks zuwiderläuft, einer fremden Macht etwas abzutrotzen. Die holsteinische Sache, die zurzeit beim Bundestage schwebt, wird, wenn dieser seinen Traditionen treu bleibt, wiederum nach geraumer Zeit verschoben werden oder an dem Widerspruche Kurhessens oder Waldecks scheitern. In der Frage Schleswig-Holstein und Deutschland bleibt also für Treitschke nur Preußen: „Preußen und SchleswigHolstein. In diesen Worten faßt sich die ganze deutsche Geschichte, der ganze deutsche Jammer, die ganze deutsche Hoffnung zusammen." Angesichts des Umschwungs, der vor kurzem in der preußischen Regierung erfolgt war, steht es jetzt zu erwarten, daß Preußen sich auch dessen bewußt werde, daß die Lösung der deutsch-dänischen Frage eine unumgängliche Voraussetzung für eine kräftige preußische auswärtige Politik ist. Wie diese Lösung im einzelnen zu denken ist, darüber äußert Treitschke sich nicht, obschon er andeutet, daß das beste offenbar die Erwerbung der Herzogtümer durch Preußen sei. Diese gehören, schreibt er, „zu Preußen wie der Anker zum Schiff. Preußen kann seine nationale, merkantile, religiöse und politische Stellung nicht ausfüllen ohne mittelbar oder unmittelbar in den Herzogtümern das entscheidende Wort zu sprechen; und man fühlt das so gut unter dem Strohdach des dithmarsischen Bauern wie in den Kabinetten der Diplomatie. Das eben ist ja der ganze Kern der Sache, daß der Ausgang der schleswig-holsteinischen Sache nichts war als die Vernichtung des Werkes Friedrichs des Großen, die Unterwerfung Preußens unter das, was die Diplomaten europäische Eintracht zu nennen gewohnt sind, und was die Geschichte einmal nennen wird: die Teilung Europas unter Beseitigung der deutschen Nation." Ein augenblickliches Eingreifen in der schleswig-holsteinischen Sache wird vom Ministerium Hohenzollern in den Artikeln nicht gefordert. Dazu ist, heißt es, die Frage in der verlaufenen Zeit gar zu verwickelt geworden. Die Vorposten 43

dürfen deshalb nicht die Hilfe zu rasch erwarten. Man kann aber dem neuen Ministerium in dieser Frage getrost vertrauen, und in der nächsten Sitzung der preußischen Kammern darf das bisherige Schweigesystem nicht fortgesetzt werden, sondern die Kammern müssen sich über die schleswig-holsteinische Frage ernstlich aussprechen. Das Vertrauen zu dem neuen Ministerium hatte Treitschke ja auch in seinen Briefen ausgesprochen, mit Rücksicht auf seine ungeduldige Natur erscheint es aber doch ein wenig merkwürdig, daß er nicht sogleich „eine selbständige entschiedene Stellung in der deutsch-dänischen Sache" forderte. Inwieweit man annehmen darf, daß die betreffenden Äußerungen Treitschkes von der Redaktion der Zeitung etwas geändert seien, müssen wir dahingestellt sein lassen. Die Möglichkeit redaktioneller Änderungen und Zusätze in Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln ist ja immer vorhanden, und ein wenig Vorsicht in betreff der einzelnen Äußerungen ist daher notwendig. Äuf die Praxis, welche die Redaktion der Preußischen Jahrbücher ausübte, ist oben aufmerksam gemacht worden. Es sei nun wie es sei mit den genannten Äußerungen, die Geduld dauerte bei Treitschke jedenfalls nicht lange. Im Frühling 1859 brach der Krieg zwischen Österreich einerseits und Sardinien und Frankreich andererseits aus, und Treitschke war wie die meisten Deutschen der Ansicht, daß Preußen das Schwert gegen Frankreich ziehen sollte. Seine Motive hierfür wichen aber ziemlich stark von denen der für Österreich begeisterten Süddeutschen ab. Begeistert dafür, mitzuhelfen, um die Unterdrückung Italiens durch das ihm verhaßte Österreich aufrechtzuerhalten, war er nicht. Wenn er behauptet, daß Preußen Österreich unterstützen soll, fordert er zugleich, daß es dieses gewissermaßen in Schach halten und selbst eigene Vorteile aus der Situation ziehen soll. Seine Erwägungen scheinen in diesem Falle eigentlich wenig realpolitisch zu sein. Man kann sich von dem Eindrucke nicht frei machen, daß er etwas zu stark seinen Standpunkt von dem vorherr-schenden deutschen „Kriegsgeheul" gegen Frankreich hat 44

bestimmen lassen. Unter den Vorteilen, die Preußen seiner Ansicht nach aus der Situation ziehen soll, steht SchleswigHolstein an erster Stelle. Er nennt in einem Briefe vom 30. Mai dieses den einzig möglichen Siegespreis, „den wir vernünftigerweise erwarten können", und er klagt, daß die Befreiung Schleswig-Holsteins in Berlin vergessen zu sein scheine. Unter seinen Parteigenossen in Berlin, die der neuen Ära nahestanden, war dies doch nicht der Fall, und man beratschlagte über einen „dänischen Krieg".1 Max Duncker äußert (1. Juni), daß Preußen einen Frieden, welcher u. a. den Rechtszustand in Schleswig-Holstein „herzustellen" helfe,8 erstreben solle. Duncker hatte indessen kein Glück mit seinen Bestrebungen, die preußische Regierung zu deutlichem Reden zu bringen,3 und sowohl Österreich als Frankreich beeilten sich, Frieden zu schließen (12. Juli). Der Friede zu Villafranca löste die italienische Frage nicht endgültig. Österreich trat die Lombardei ab, behielt aber Venetien, und neuer Kampf um dieses Land war vorauszusehen. Sollten Preußen und Deutschland nun in einem solchen Kampfe Österreich unterstützen? Treitschke war jedenfalls wenig dazu geneigt. Er wollte, daß Preußen in der Auseinandersetzung mit Napoleon III., die nach seiner Ansicht kommen mußte, die Frage Schleswig-Holsteins in den Vordergrund stellen sollte. Er entwickelte dies näher am Ende des Jahres 1860 in einem Artikel der „Süddeutschen Zeitung", einer Zeitung, die in München gegründet war zu dem Zwecke, in Süddeutschland Propaganda für den preußischen Standpunkt zu machen. In dem betreffenden Artikel „Die Aufgabe der preußischen Politik", 4 dem Leitartikel der Ausgabe vom 13. Dezember, ist der Hauptgesichtspunkt, den er auch in gleichzeitigen Briefen betont: Schleswig-Holstein ist das 1

Duncker, Briefwechsel S. 232. 1. c. S. 127. » 1. c. S. 144. 4 Siehe Karl Alexander v. Müller, Treitschke als Journalist (Historische Zeitschrift Bd. 135 Heft 3, 1927, S. 400ff.), wo der Artikel abgedruckt ist. 1

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einzig mögliche Objekt für eine positive preußische Politik in der nächsten Zukunft. Preußen soll die Initiative in dieser Sache ergreifen selbst auf die Gefahr eines Krieges mit Frankreich hin. Wenn infolgedessen der Krieg zum Ausbruch kommt, „so hat Preußen mit glücklichem Griffe die schlechterdings einzige politische Frage erfaßt, über welche ganz Deutschland, Süd und Nord, Linke und Rechte, wirklich eines Sinnes ist". Ein Bund mit Österreich in dieser Sache erscheint hier Treitschke nicht ausgeschlossen, und die deutschen Mittelstaaten und Kleinstaaten werden, wenn die Nation einig ist, sich nicht widersetzen können. Einen Anlaß zum Eingreifen für Preußen findet er darin, daß der Berliner Friede in allen wesentlichen Punkten von Dänemark gebrochen sei, darum müsse Preußen seinerseits von seinen übernommenen Verpflichtungen frei sein. Übereinstimmend mit dem, was er in den Artikeln der Vossischen Zeitung befürwortet hatte, will er, daß Preußen auf den alten Rechtsboden der Herzogtümer „dat se bliven ewichlich tosamende ungedeelt" zurückgreife. Preußen muß Schleswig in die Debatte einbeziehen. Nach Treitschkes Ansicht verdankt Deutschland den Kniffen der Diplomaten, daß an die Stelle des guten schleswig-holsteinischen Rechtes die Farce der holstein-lauenburgischen Frage getreten ist. Dieses hat bewirkt, daß der schlichte Bürger kein Wort vom Ganzen versteht, und daß so viele wünschen, daß „der unselige Streit" in Vergessenheit gerate. Zusammen mit der Forderung, daß Preußen für die Untrennbarkeit der Herzogtümer eintrete, stellt Treitschke jetzt die neue Forderung auf, daß es für das legitime Erbrecht des hohen Hauses Augustenburg sich einsetzen solle. Diese neue Forderung steht vermutlich in Zusammenhang mit der Erklärung des Erbprinzen Friedrich von Augustenburg vom 15. Januar 1859, daß er trotz des Versprechens seines Vaters im Jahre 1852 sich seine Erbansprüche vorbehalte. Diese Erklärung muß auf dem Hintergrunde der neuen Ära in Preußen und des dänischen Patentes vom 6. November 1858 gesehen werden. In seinem Artikel berührt 46

Treitschke übrigens gar nicht die Stellung Preußens zu dem von ihm selbst unterschriebenen Londoner Protokoll. Wie gesagt sieht Treitschke die Möglichkeit eines Krieges mit Frankreich, wenn Deutschland aktiv in der schleswigholsteinischen Frage vorgeht, voraus. Von der Stellung Rußlands in einem solchen Kriege schreibt er nichts Näheres, er nennt es aber doch als einen Gegner der Machterweiterung Deutschlands, und wie seine liberalen Parteigenossen betrachtet er Rußland als den Urheber der deutschen Schmach: „Die Knechtung Schleswig-Holsteins ist das traurigste Erbteil jener bösen Tage, wo eine verblendete Reaktion die Herrschaft Rußlands in Deutschland nahezu vollendet hatte . . ." Zu der liberalen Politik gehörte es außerdem, Anschluß an das liberale England zu suchen, es gelang aber nicht, dies zur Einnahme einer Deutschland günstigen Haltung in der schleswig-holsteinischen Frage zu bewegen. Die liberalen Politiker, die eine Annäherung zwischen Preußen und England befürworteten, erlebten hier eine große Enttäuschung nach der anderen. In diesem Punkte scheint Treitschke keine größere Illusion gehegt zu haben, er meint aber, daß England sich vor einem bestimmten preußischen Auftreten beugen werde. Im schlimmsten Falle wird es einem solchen kaum etwas anderes entgegenstellen als „Neutralität und diplomatische Kniffe". Daß England in seinem Widerstande gegen „das deutsche Recht" sich von juristischen Bedenken leiten lasse, sieht Treitschke als ausgeschlossen an; darum würden seiner Meinung nach auch die nachdrücklichsten Rechtsbelehrungen zwecklos sein. Sein Widerstand wird erst dann gebrochen werden, wenn es erkennt, daß dem festen Willen der schwachen dänischen Macht gegenüber ein fester Wille der starken deutschen Macht steht. Die Auffassung Treitschkes von England stimmt mit der von Beseler in seiner oben erwähnten Schrift geltend gemachten, überein. Bezeichnend für den Artikel Treitschkes sind selbstverständlich die starke patriotische Leidenschaft und die ungestümen Worte. Die dänische Regierung in Schleswig, deren 47

nationales Hauptziel es war, die noch ganz überwiegend däniscbredenden Bewohner Mittelschleswigs durch dänischen Schulunterricht zu bewußten Dänen zu erziehen, stempelt er als einen raffinierten Völkermord, „der den Deutschen des Nordens das Heiligste, was wir besitzen, das Einzige, was uns eint, unsere Sprache, rauben will". Die Danisierungsversuche scheitern doch an „der eisernen Kraft dieser Stämme". Kein Volk der Welt außer dem deutschen, äußert er, würde so lange eine solche Verhöhnung seines Rechtes geduldet haben. Nur einmal vorher in der deutschen Geschichte, nämlich im Jahre 1813, war der deutschen Politik ihre Aufgabe so deutlich vorgezeichnet. „Alle Gründe des Rechtes, die heiligsten Güter unserer Nation, die Begeisterung des Jünglings und die kühle Berechnung des Staatsmannes treffen hier in einem Punkte zusammen." Es gelang weder Treitschke noch seinen Parteigenossen durchzusetzen, daß Preußen in der schleswig-holsteinischen Frage mit anderen Mitteln als mit drohenden Noten auftrat. Erst das Aussterben des Oldenburgischen Königsgeschlechtes im November 1863 und Bismarck, der in der Tat die eiserne Kraft besaß, gaben den Anlaß zu einer Entscheidung mit dem Schwerte. Von dem Verhältnis Treitschkes zu Schleswig-Holstein, bevor diese entscheidenden Ereignisse eintrafen, soll noch erwähnt werden, daß im Sommer 1862 Verhandlungen mit ihm wegen einer Professur der Geschichte an der Universität Kiel gepflogen wurden. Woran der Gedanke eigentlich scheiterte, sieht man nicht. Treitschke erklärte sich bereit, da, wie er schreibt (27. Juni), der „Diensteid nichts enthält, was ein guter Deutscher nicht beschwören könnte und die Dänen bekanntlich den Holsteinern ganz freie Hand lassen und ihre Tyrannei auf Schleswig beschränken". In einem anderen Briefe vom 2. August bemerkt er, daß es ihm herzlich lieb wäre, „in diese neue Welt und in das sehr angenehme gesellige Leben der Kieler Gelehrten zu kommen". Der Däne sollte ihm doch leid tun, „wenn er sich so in Unschuld den Hecht in den Karpfenteich setzte" (7. Juli), und 48

da die Aussicht geringer und geringer wurde, meint er (14. August), daß der Däne doch zu töricht wäre, gerade ihn zu wählen. Treitschke mußte also vorläufig sein Dasein als Privatdozent in Leipzig fortsetzen und sich mit den Studien zur Geschichte des Deutschen Bundes seit 1814 beschäftigen. In Verbindung mit diesen Studien stand es u. a., daß er im Sommersemester 1863 über europäische Geschichte in den Jahren 1848—50 las; in diesen Vorlesungen standen die deutsche Revolution und die Frankfurter Nationalversammlung im Vordergrund. Auch die Geschichte Schleswig-Holsteins wurde hier wegen ihrer engen Verbindung mit der damaligen deutschen nationalen und liberalen Bewegung ausführlicher behandelt. Es scheint, daß er die Gelegenheit benutzt hat, einen Ausblick über die ganze Entwicklung der schleswig-holsteinischen Frage von den ältesten Zeiten ab zu geben. Dieselbe Vorlesung hielt er übrigens wiederholt in den folgenden Jahren. In demselben Sommer erlangte er endlich die gewünschte Ernennung zum Professor, indem er außerordentlicher Professor in Freiburg i. B. wurde. Er begann hier seine Tätigkeit im Wintersemester, und wenige Monate später trat die deutsch-dänische Frage in die entscheidende Phase.

IV. L E G I T I M I T Ä T U N D

INTERESSE

Die dänische nationalliberale Regierung tat im Jahre 1863 den entscheidenden Schritt zur Eiderpolitik hinüber. Die Versuche, eine Gesamtstaatsverfassung zu schaffen, mit der sowohl das dänische wie das deutsche Element sich zufriedengeben wollten, waren gescheitert. Der Zusammenhang der Monarchie wurde gesprengt sowohl durch die weitgehenden holsteinischen Forderungen, die die beständige Einmischung des deutschen Bundes hervorriefen» als durch die herrschende Volksstimmimg im Königreiche, die verlangte, daß der hier im Jahre 1848 gepflanzte Freiheitsbaum (d. h. die freie demokratische Verfassung) seinen segensreichen Schatten auch über Schleswig ausbreiten sollte. Durch die Bekanntmachung vom 30. März 1863 wurde die Gesamtstaatsverfassung endgültig für Holstein und Lauenburg aufgehoben. Da sie indessen für das Königreich und Schleswig in Kraft blieb, trat unleugbar ein Zustand ein, der den Verabredungen zwischen Dänemark und den deutschen Großmächten von 1851 —52 nicht entsprach. Die dänische Regierung konnte sich wohl damit entschuldigen, daß sie von Deutschland selbst gezwungen war, diesen Weg zu betreten, sie ging aber auf diesem Wege weiter. Am 13. November wurde eine neue gemeinsame Verfassung für das Königreich und Schleswig mit einem „Volksting" und „Landsting" für die gemeinsamen Angelegenheiten beschlossen, während Schleswig einen Landtag für seine besonderen Angelegenheiten haben sollte. Die Verhandlungen im Reichsrate wegen der neuen Verfassung endigten mit dem bewegten Ausruf eines der Führer der dänischen nationalliberalen Krieger: „Wir wollen uns des alten Wortes erinnern: fortissima concilia saepe tutissima, das heißt: wer nichts wagt, gewinnt nichts, aber frisch gewagt ist halb gewonnen." Schon zwei Tage nachher starb König Friedrich VII., und der sogenannte „Protokollprinz" bestieg den dänischen Thron als König Christian IX. Nach einer Be50

denkzeit von einigen Tagen unterschrieb er am 18. November die neue Verfassung. Das Aussterben des oldenburgischen Mannesstammes und die Annahme der Novemberverfassung kündete die entscheidende Phase in dem deutsch-dänischen Verhältnis an. Schon in einer vom 16. November datierten Proklamation erklärte Erbprinz Friedrich von Augustenburg, zu dessen Gunsten sein Vater eine Verzichtsurkunde unterzeichnete, sich als den rechtmäßigen Erben Friedrichs VII. in den Herzogtümern.1 Von Lauenburg sprach die Proklamation etwas dunkel, die Meinung war aber natürlich, daß „das schöne Land" am liebsten den zwei anderen Herzogtümern folgen sollte. Die Proklamation schloß damit, daß das Recht des Augustenburgers die Rettung der Herzogtümer wäre: „mein Recht ist eure Rettung", und sie enthielt eine Anerkennung des im Jahre 1848 angenommenen demokratischen schleswig-holsteinischen Staatsgrundgesetzes. Die Proklamation des Erbprinzen Friedrich wurde von Gotha, wo Herzog Ernst von Koburg-Gotha den Prätendenten und dessen Regierung aufgenommen hatte, ausgeschickt. Zu der Regierung des Prätendenten gingen auch aus dem Dienste des Herzogs Ernst zwei Schleswig-Holsteiner, Karl Samwer und Francke, über. Eine Presseagitation wurde organisiert und Geld für die Zwecke der neuen Regierung und zur eventuellen Ausrüstung eines Freiwilligenheeres eingesammelt. Baden gestattete, daß sein Bundestagsgesandter, der berühmte Nationalökonom Robert von Mohl, auch die Interessen des Augustenburgers am Bundestage vertrat und seine Anerkennung als rechtmäßigen Herrscher in Holstein zu erwirken suchte. Hinter dem Augustenburger stand — um Bismarcks Ausdruck zu gebrauchen — das ganze „KoburgDeutschland", d. h. die nationale und liberale Bewegung. Überall in Deutschland setzte diese ihre Kräfte für den 1 Die Proklamation ist erst am 18. gedruckt, und ist, obschon Dölzig datiert, in Gotha ausgearbeitet, wohin der Erbprinz am Morgen des 17. kam. Jansen-Samwer, Schleswig-Holsteins Befreiung S. 114 f.

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Thronprätendenten ein. Zahllose Volksversammlungen wurden abgehalten, Geld gesammelt, Adressen angenommen, und in den Abgeordnetenhäusern der deutschen Einzelstaaten versuchte man, die Regierungen der Heimatstaaten zur Anerkennung des Prätendenten und zur Tätigkeit für seine Sache zu veranlassen. „Koburg-Deutschland" sollte indessen seinen Meister in dem preußischen Landjunker, der seit 1862 den Staat Friedrichs des Großen leitete, finden. Bismarck machte zum Ausgangspunkt seiner Politik das Londoner Protokoll, das alle Großmächte unterschrieben hatten. Gleichzeitig behauptete er aber, daß Dänemark durch die Bekanntmachung vom 30. März und durch die Novemberverfassung die Vereinbarungen mit den deutschen Großmächten von 1851—52 gebrochen habe. Auf Preußens und Österreichs Antrag beschloß der Bundestag am 7. Dezember die schon früher angekündigte Bundesexekution, um Dänemark zur Erfüllung der eingegangenen Verabredungen zu zwingen. Die Annahme der Bundesexekution kam ja indirekt einer Anerkennung Christians IX. als rechtmäßigen Herzogs in Holstein gleich. Der betreffende Antrag war deshalb auch auf starken Widerstand gestoßen, obschon Österreich und Preußen anerkannten, daß durch die Ausführung dieser Maßregeln „den vom Deutschen Bund innerhalb seiner Kompetenz zu fassenden Entschließungen über die Erbfolgefrage nicht präjudiziert" werde. Die zwei Großmächte hatten aber ihren Willen durchgesetzt. In der letzten Woche des Jahres besetzten deutsche Bundestruppen, aus Kontingenten von Österreich, Preußen, Sachsen und Hannover bestehend, die beiden Bundeslande Lauenburg und Holstein, welche Lande die dänischen Truppen ohne Schwertschlag räumten. Am 30. Dezember traf Erbprinz Friedrich ohne Wissen und Willen der deutschen Großmächte in Kiel ein. Er richtete hier eine Art inoffizieller Regierung ein neben den zur Regierung des Landes eingesetzten Bundeskommissaren, und von allen Gegenden des Landes wurden Deputationen an ihn geschickt, die ihm als dem rechtmäßigen Herrscher Holsteins, Herzog Friedrich VIII., huldigten. 52

Um einen weiteren Druck auf Dänemark auszuüben, schlugen Österreich und Preußen im Januar 1864 dem Bundestage vor, daß man auf der Grundlage der Vereinbarungen von 1851—52 Schleswig in Pfand nehme und die dänische Regierung auffordere, in kürzester Frist die Novemberverfassung aufzuheben. Da dieser Antrag abgelehnt wurde, erklärten Österreich und Preußen, daß sie die Sache in ihre eigenen Hände nehmen wollten und unterzeichneten am 16. Januar eine Vereinbarung betreffend ein gemeinsames Vorgehen. An demselben Tage übergaben ihre Gesandten in Kopenhagen der dänischen Regierung das Ultimatum, die Novemberverfassung binnen 48 Stunden zurückzuziehen, da Österreich und Preußen widrigenfalls die ihnen zu Gebote stehenden Mittel anwenden würden, um Schleswig gegen die Vereinigung mit Dänemark zu sichern. Die dänische Regierung meinte, nicht bedingungslos die deutschen Forderungen erfüllen zu können, und am 1. Februar überschritten die Truppen Österreichs und Preußens die Eider. In der Nacht vom 5. zum 6. Februar räumte das dänische Heer das Danewerk und ging zu der verschanzten Stellung bei Düppel zurück. Die Ereignisse im November 1863 setzten natürlich Treitschke in hohem Grade in Erregung und drängten bei ihm die Gedanken an alles andere in den Hintergrund. Vorläufig fand er indessen nur wenig Gelegenheit, seinen Tätigkeitsdrang zu befriedigen. Sein Freund Gustav Freytag, der die Presse durch eine autographierte Korrespondenz von Gotha aus mit augustenburgischem Stoffe versah, wird von ihm beneidet, weil er, Freytag, doch jedenfalls etwas ausrichtet. In einem Brief vom 5. Dezember an den Verleger S. Hirzel bittet Treitschke diesen, dem Redakteur der Grenzboten, Dr. Moritz Busch, zu sagen, daß er ihm seine Befehle schicken möge, wenn er seine Feder gebrauchen könne. Gleichzeitig bemerkt er aber, bis jetzt wisse er nichts darüber zu sagen, was nicht jeder Schulbub auch sagen könne. An sich war es eine unnütze Arbeit, die öffentliche Meinung in einer Frage, die klar war wie der Tag, aufzuklären. Nicht an der Einsicht gebrach 53

es, sondern den Schlechten an Willen, den Guten an Macht. Wenn Treitschke die Frage klar wie den Tag findet, so beruht dies auf dem Zusammentreffen seiner Ansichten mit denen seiner nationalen und liberalen Parteigenossen. Wie wir oben gesehen haben, hatte er nach dem Protest des Erbprinzen Friedrich 1859 das Wort zugunsten der Erbansprüche des Augustenburgers ergriffen, und jetzt bezeichnet er Christian IX. als einen Usurpator (Brief an den Vater, 29. November 1863). Ein Hauptpunkt für den Anschluß an den Prätendenten war selbstverständlich, daß dessen Recht die „Rettung" der Herzogtümer, d. h. ihre Trennung von Dänemark und Verbindung mit Deutschland, bedeute. Dieses war ein Hauptpunkt für Treitschke wie für seine Parteigenossen, denn natürlich war es keine rein platonische Schwärmerei für Recht und Legitimität, die in Deutschland herrschte. In dem Briefe vom 29. November an seinen Vater betont Treitschke, daß das legitime Recht des Fürsten in dieser Frage mit den heiligsten Interessen der deutschen Nation zusammenfällt. Sowohl diese Betrachtung als sein Hinweis auf die Folgen für die deutschen Dynastien selbst, wenn sie daB legitime Recht eines StandesgenosBen mißachteten, finden sich in einem Artikel der Grenzboten: „Der Tod des Königs von Dänemark" (Grenzboten, 2. Semester, IV. Bd. S. 316 ff.), in dem es heißt: „. . . wenn sie (die Fürsten) in dieser Angelegenheit, in welcher Legitimität und nationale Forderungen so eng verbunden sind, die Interessen des deutschen Volkes nicht vertreten wollten, wie ihnen geziemt, so wird zuverlässig von der Nation ihr eigenes legitimes Recht ebenso geschätzt werden, wie sie das Recht ihres Standesgenossen mißachten. Unsere Fürsten können nicht verlangen, daß die öffentliche Meinung den Rechtsgrund, auf welchen sie sich stützen, höher achte, als sie ihn selbst achten." In wie hohem Grade Treitschke bereit war, für den Augustenburger einzutreten, zeigt sich u. a. aus einem Brief an Freytag vom 29. Dezember, in welchem er das Anerbieten 54

macht, eventuell seine Professur in Freiburg niederzulegen, um in den Dienst des Prätendenten zu treten. „Wenn Sie glauben," schreibt er, „daß man mich in Gotha brauchen kann (natürlich in einer Sache, wofür sich kein anderer ebenso brauchbarer Mann findet), so bin ich jeden Augenblick bereit, meine Professur niederzulegen." Als der Augustenburger eine freiwillige Anleihe proklamierte, beteiligte er sich trotz seiner nicht besonders glänzenden wirtschaftlichen Lage auch daran mit einem größeren Beitrag. Bei der Erwähnung dieser Beteiligung gegen den Vater (31. Dezember), von dem er noch immer unterstützt wurde, bemerkt er, daß er nicht zu den kläglichen Gesellen gehören mag, die, mit den Lippen freigebig, mit dem Beutel kargen. Der Vater wird vielleicht den Beitrag etwas hoch finden, aber, schreibt er, „mit dieser Sache ist mir'a bittrer Ernst". Außer dem Geldbeutel mußte Treitschke natürlich auch seine Stimme in den Dienst der guten Sache stellen. Ein in Freiburg gebildetes Komitee für Schleswig-Holstein berief am Sonntag den 29. November eine Versammlung ein, in der auch Treitschke redete. In dem Aufruf des Komitees hieß es, daß es sich jetzt um Sein oder Nichtsein für Deutschland handelte. Jetzt würde das deutsche Volk entweder mächtig, gewaltig und hochgeehrt oder ehrlos, ausgestoßen aus dem Rate der Völker. Die Versammlung war von 3000—4000 Menschen besucht, und die Rede Treitschkes wurde mit mächtigem Beifallssturm begrüßt. Ganz und gar trat er in die Schranken für das Recht des Augustenburgers, indem er mit einer Erwähnung der in dem Briefe Friedrich Wilhelms vom 24. März 1848 ausgesprochenen Anerkennung der schleswig-holsteinischen Behauptungen begann. Am Ende der Rede hieß es, daß deutsche Bundestruppen den deutschen Herzog Friedrich VIII. in seine Lande einsetzen müßten: „Sei Deutschland nicht imstande, diese Pflicht zu erfüllen, so werde eine unheilbare Verbitterung eintreten, kein deutscher Fürst werde sich ferner auf sein legitimes Recht berufen können, und die Deutschen könnten dann dem Vorwurf kaum entgehen, daß 55

sie ein Haufen gelehrter Feiglinge seien, nur dazu gut, um als Geiger, Maler und Schulmeister in fremdem Brote zu stehen." 1 — Einige Wochen später hielt Treitschke wieder einen Vortrag über Schleswig-Holstein in einer von dem „Verein für öffentliche Interessen" veranstalteten Sitzung am 18. Dezember. Der Titel des Vortrages war „Die historische Entwicklung der schleswig-holsteinischen Frage", und in einem Referate heißt es, daß er besonders die geschichtliche und diplomatische Seite derselben behandelte. Der Vortrag dauerte ungefähr 21ji Stunden und „enthielt Momente einer wahrhaft großartigen Beredsamkeit. Namentlich zeigte der brillante Schluß wieder aufs neue, daß Herr von Treitschke ein Redner im echten Sinne des Wortes ist". 2 Wie die Haltung Treitschkes dem Augustenburger gegenüber mit der seiner Parteigenossen übereinstimmte, so war er gleichfalls zuerst mit diesen einig in ihrer Verdammung der Politik Bismarcks in der schleswig-holsteinischen Frage, deren erste Phasen oben erwähnt sind. Die Politik Bismarcks wanderte ja hier auf stark „gewundenen Pfaden" — ein Ausdruck, der von Nationalliberalen, die sich später mit ihr versöhnten, gebraucht wurde. Der Historiker Fr. Meinecke schreibt, daß Bismarck es selbst als sein höchstes diplomatisches Meisterstück ansah, daß es ihm gelang, gegen den Willen und Wunsch Europas sogar im Bunde mit dem nächsten und stärksten Nebenbuhler Preußens die Herzogtümer Schleswig und Holstein von Dänemark loszureißen und ihre Gewinnung für Preußen vorzubereiten. 3 Diesen Erfolg schreibt Meinecke dem ungewöhnlich feinen Sinne Bismarcks für das Mögliche und Erreichbare zu: „Wurde heute zum Verdrusse der national Empfindenden aus den europäischen Verträgen der Reaktionszeit alles herausgeholt, was die Aktion gegen Däne1

Freiburger Zeitung 1.12.1863 (Nr. 283), vgl. Breisgauer Zeitung 1.12.1863 (Nr. 283). 1 Oberrheinischer Courier 20.12.1863 Nr. 300. ' Fr. Meinecke, Grundzüge unserer nationalen Entwicklung bis zur Aufrichtung des neuen Reiches, Internationale Monatsschrift für Wissenschaft, Kunst und Technik, 10. Jahrgang 1915—16 S. 1083 f.

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mark erleichtern konnte, so war morgen der Augenblick schon da, die Schläuche des Äolus zu öffnen und die Kraft der Volksbewegung für ein Stück Weges in Bewegung zu setzen, der am folgenden Tage vielleicht schon wieder eine ganz andere, konträre Triebkraft erforderte. Das allgemeine Ziel war, die Herzogtümer irgendwie in den Machtbereich Preußens zu bringen, aber ob durch volle Einverleibung, ob durch Schaffung eines von Preußen abhängigen augustenburgischen Mittelstaates, entschied sich dem geschmeidigen Staatsmann erst dann, als der steile, gefährliche Weg zur vollen Einverleibung gangbar wurde." Die ersten Phasen der Politik Bismarcks waren ja indessen der Anschluß an die europäischen Verträge der Reaktionszeit, und für die nationalen und liberalen Kreise war es natürlich schwierig, hinter diesem Anschluß das allgemeine Ziel zu erblicken. Weiter waren die Augen der Liberalen geblendet durch den scharfen innerpolitischen Gegensatz, den Kampf Bismarcks gegen das preußische Abgeordnetenhaus und die Fortschrittspartei. Im Jahre 1863 war „Junker Bismarck" wöhl der bestgehaßte Mann in ganz Deutschland, und er hatte ganz die Losung verstummen lassen, die bei der neuen Ära von den Nationalen ausgegeben wurde: Preußens Kampf für die Hegemonie in Deutschland durch moralische Eroberungen. Nun heißt es bei den Liberalen: jedenfalls keine nationale Einheit durch die unreinen Hände Bismarcks. Als ein Zeugnis der herrschenden Stimmung soll hier erwähnt werden, daß, als der Deputierte H. von Sybel, der Historiker, im Sommer 1863 seine Wähler fragte, ob er ein Mißtrauensvotum erhalten werde, wenn er im Falle einer französischen Überschwemmung des linken Rheinufers einem Ministerium Bismarck Anleihe oder Kriegssteuer zu bewilligen verweigerte, er die ihm genügende einstimmige Antwort empfing, daß er im Gegenteil ein tausendstimmiges Mißtrauensvotum erhalten werde, wenn er unter irgendwelchen Umständen dem Ministerium das Geringste bewilligte. 1 Nur ein paar Jahre später 1

Deutscher Liberalismus I S. 156. Sybel an Baumgarten 17.6.1863.

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hatten die Verhältnisse sich in dem Grade geändert, daß der •der Fortschrittspartei angehörende Abgeordnete Freese den Namen eines Landesverräters für einen ziemlich ähnlichen Standpunkt davontrug. Mit dem Namen Landesverräter ist man ja aber auch zuweilen etwas freigebig. Das vorläufige Festhalten Bismarcks an den Londoner Vertrag führte in Verbindung mit der Erinnerung daran, was 1850 geschehen war, dazu, daß die Nationalen und Liberalen Preußen beschuldigten, mit Österreich zusammen wieder die Rolle des „Verräters" spielen zu wollen. Man beschuldigte es, die Herzogtümer dem dänischen Schreckensregiment ausliefern zu wollen gegen einige nichtssagende Zusagen dänischerseits, welche Dänemark selbstverständlich sofort wieder brechen werde — wie es nach deutscher Ansicht der Fall nach 1852 gewesen war. Solche Stimmungen scheinen auch zuerst Treitschke, dessen Feindschaft gegen Bismarck ihn ja im Vorsommer 1863 zum Bruche mit der Leitung der Preußischen Jahrbücher getrieben hatte, beherrscht zu haben. In einem Briefe an den Vater vom 19. Dezember heißt es von dem Entschluß des Erbprinzen Friedrich, nach Holstein zu gehen, und von der Möglichkeit, der er dadurch ausgesetzt werde, von deutschen Truppen verjagt zu werden: „Es wäre entsetzlich, wenn es dahin käme, daß Herr von Bismarck unsrer Nation wider ihren Willen die Schamröte ins Gesicht jagen dürfte . . . " Und in einem Briefe vom 20. Januar 1864, in welchem er bei dem strengen Winter und seinen stetigen Gedanken, wie leicht sich der köstliche Frost benutzen ließe, um Schleswig zu erobern, verweilt, schreibt er, leider fingen seine finstren Erwartungen in dieser teuren Angelegenheit an sich zu erfüllen, und in wenigen Tagen würden die Herzogtümer dem nackten Verrat anheimgefallen sein.1 Als ein solcher wurde ja das eigenmächtige militärische Vorgehen Preußens und Österreichs betrachtet, das seinen Ausgangspunkt vom Londoner Vertrag nahm. 1

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Briefe II S. 316, vgl. Anm. 1.

Wie im Jahre 1658, als der Frost eine Brücke über den Belt schlug und Dänemark den Verlust der Provinzen östlich des Sundes brachte, so sollte der von Treitschke verherrlichte Winter nun Dänemark den Verlust der südlichen Provinzen bringen. Die Hoffnung war umsonst, welcher der Leiter der schleswigschen Danisierungspolitik, A. Regenburg, in einem Briefe vom 28. Januar 1864 Ausdruck gab: „Am 2. April 1801 behaupteten ungeübte Leute auf schlechten Blockschiffen sich gegenüber den tapfersten Seeleuten Englands unter ihrem ersten Admiral auf einer siegesgewohnten Flotte. Weshalb sollte es denn unmöglich sein, Wrangel und seine Bande mit blutiger Stirn aus Dänemark zu verjagen ? Doch die Sache liegt in der Hand Gottes." 1 In der Nacht zwischen dem 5. und 6. Februar räumte daB dänische Heer, wie oben erwähnt, die Danewerksteilung, die durch das Zufrieren des überschwemmten Umlandes einer Umgehung ausgesetzt war, und ging auf die Düppeler Schanzen zurück. Das deutsche Heer folgte, rückte im März in Jütland ein, und am 18. April wurden die Düppeler Schanzen gestürmt und unter schweren Verlusten für die Verteidiger eingenommen. Die militärischen Operationen wurden danach vorläufig eingestellt, und in London pflogen die Diplomaten Verhandlungen. An der Konferenz, die am 25. April eröffnet wurde, nahmen außer den Staaten, die den Londoner Vertrag unterschrieben hatten, auch der Deutsche Bund teil, durch den sächsischen Minister Grafen von Beust vertreten. Die Teilnehmer der Konferenz traten prinzipiell dem Gedanken, den deutsch-dänischen Streit durch eine Teilung Schleswigs zu lösen, bei; über die Teilungslinie konnten Dänemark, Österreich und Preußen sich aber nicht einig werden. Daher endigte die Konferenz am 25. Juni ohne Ergebnis. Der Kampf wurde wieder eröffnet, und kurz darauf gingen die deutschen Truppen nach Aken hinüber. Der Gedanke des dänischen Ministers Monrad, 1 Abschrift eines Briefes an Aleth Hansen in der Sammlung von Hansens Briefen an Regenburg im Kopenhagener Reichsarchiv.

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den Krieg weiterzuführen, bis Kopenhagen eingenommen sei, fand bei der Masse der Bevölkerung keinen Widerklang; sein Ministerium trat zurück und wurde durch ein konservatives Gesamtstaatsministerium abgelöst. Am 1. August wurde ein Waffenstillstand geschlossen, und als Friedenspräliminarien wurden festgesetzt, daß König Christian IX. zugunsten Österreichs und Preußens auf alle seine Rechte auf die Herzogtümer Schleswig, Holstein und Lauenburg verzichtete. Die Herzogtümer sollten von den dänischen Gesamtstaatsschulden einen ihrer Bevölkerungszahl entsprechenden Teil und außerdem die Kriegskosten Österreichs und Preußens übernehmen. Auf dieser Grundlage wurde der endliche Friede zu Wien am 30. Oktober unterzeichnet. Diese militärischen und außenpolitischen Erfolge der Politik Bismarcks übten, wie sie nach und nach erreicht wurden, naturnotwendig ihren Einfluß auf die Auffassung der schleswig-holsteinischen Frage und ihrer Lösung aus. Der Augustenburger, der untätig in Kiel saß und sich hauptsächlich damit begnügen mußte, Reibungen zwischen der augustenburgisch gesinnten Bevölkerung und den Kommissaren der Großmächte zu hindern, oder dem König Wilhelm Dankschreiben für die Siege des preußischen Heeres zu schicken in der etwas ungewissen Hoffnung, daß diese ihm selbst zugute kommen würden, konnte keine Lorbeeren aus dieser Entwicklung ernten. Zusammen mit dem energischen militärischen Vorgehen Preußens verstummte natürlich das Gerede, daß es die Rolle des „Verräters" spielen und an Dänemark die Herzogtümer zurückgeben werde, und statt dessen tauchte der Gedanke auf, daß es Ersatz für die militärischen Opfer fordern wolle oder solle. Schon im Februar hatte Sybel unter den Bedenklichkeiten, die ihn abhielten, eine Broschüre über Schleswig-Holstein zu schreiben, das Risiko hervorgehoben, das darin lag, daß man Bismarcks Absichten in einer Weise auffaßte und darstellte, die dieser während des Druckes der Broschüre Lügen strafte. Er hielt es deshalb für richtiger, noch etwas zu warten, bis man über die Ziele der preußischen 60

Regierung klarer sähe.1 Man kann wohl sagen, daß nach der Entwicklung, welche die Verhältnisse im Laufe der Zeit genommen hatten, die Wahrscheinlichkeit gewachsen war, daß Preußen für seine Leistungen Gegenleistungen fordern werde. Als Großherzog Peter von Oldenburg sich auch in der schleswig-holsteinischen Erbfolgefrage zu rühren begann, schrieb Sybel am 19. Juni an Droysen, daß er, wie diesem bekannt, nie auf die Personenfrage als solche Gewicht gelegt habe; ihm war Peter oder Paul ebenso recht wie Fritz oder Franz, „vorausgesetzt, daß sein Erscheinen die Befreiung der Herzogtümer und die Interessen Preußens sicher gewährleistet".2 Es sind hier etwas andere Töne als in der von Sybel mitunterschriebenen Erklärung einer großen Zahl deutscher Volksvertreter, die am 8. Mai der Londoner Konferenz übergeben wurde, und in der es hieß: „Das klare Recht und der ausgesprochene Volkswille beruft den Prinzen F r i e d r i c h von A u g u s t e n b u r g zur Erbfolge in den unzertrennlich verbundenen Herzogtümern." 3 Die Interessen Preußens fangen an, sich hier stärker geltend zu machen als das Recht und die Legitimität. Mit den sehr variierenden Mitteln Bismarcks kann Sybel in dem Briefe an Droysen sich doch noch nicht völlig versöhnen. Er spricht von dem gänzlichen Mangel politischer Moralität und Konsistenz, worin die preußischen Machthaber exzellieren, und meint, daß solches doch auf alle Fälle Preußen diskreditieren und isolieren müsse. Wie stellte Treitschke sich nun zu diesen Begebenheiten, die mit der Räumung des Danewerks eingeleitet wurden, und wie stellte er sich zu dem auftauchenden Gedanken, daß man von Preußen vermuten könnte, daß es eventuell die Herzogtümer selbst behalten wolle ? Als die Bismarckschen provisorischen Erlasse vom 1. Juni 1863 Treitschke in die schärfste Opposition gegen die herr1

Deutscher Liberalismus I S. 217. Sybel an Oneist 9. 2.1864. « 1. c. I S. 224 ff. 1 1. c. S. 221 Anm. 6. Sybel hätte doch lieber den Prinzen Friedrich in der Erklärung nicht ausdrücklich genannt gesehen.

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sehende preußische Regierung trieben, und als im November sein Anschluß an die Haltung der Nationalen und Liberalen dem Augustenburger gegenüber weiter den Gegensatz zu der offiziellen Politik Preußens unterstrich, geriet Treitschke in sehr schlechte Gesellschaft. Er kam in die Gesellschaft der von ihm so verhöhnten Diplomaten der Mittelstaaten, die augustenburgisch auftraten, und denen der Gegensatz der herrschenden Volksstimmung gegen die Politik der deutschen Großmächte nicht unlieb sein konnte. Er sah sich plötzlich an die Seite eines Mannes wie des Ministers seines engeren Vaterlandes Sachsen, des Grafen von Beust, gestellt, welcher auf der Londoner Konferenz das sogenannte reine Deutschland, d. h. die Klein- und Mittelstaaten, repräsentierte. Es konnte nicht anders sein, als daß eine solche Gesellschaft bei ihm sehr geteilte Empfindungen hervorrief, und denen gibt er auch Ausdruck. Soweit sind wir also, schreibt er am 29. Dezember 1863 an Freytag, daß diese Beust und Schrenck (der Minister Bayerns) an der Spitze Deutschlands stehen — „Menschen, denen die heilige Sache im besten Falle nur ein Mittel ist, um ihren verrotteten Dynastien ein paar Jahre länger das armselige Dasein zu fristen". Freytag könne sich denken, schreibt er weiter, wie augenblicklich ein guter Preuße im Süden sich befindet, trotz alledem könnte er aber selbst jetzt Preußen nicht aufgeben. An diesen Staat war er mit aller Leidenschaft, deren sein Blut fähig war, gekettet. Gewiß empörte ihn die Geduld der Preußen Bismarck gegenüber, er wußte aber nur zu wohl, daß seine heißblütigen und großmäuligen Badener im gleichen Falle auch nicht Manns genug wären, um zum Rechte des Widerstandes zu greifen. Treitschke konnte, trotzdem Bismarck die Macht hatte, seinen Glauben, daß Preußen vom Schicksal bestimmt sei, die deutsche Einheit und Größe zu schaffen, nicht aufgeben, und als die Nachrichten von den preußischen Siegen einzulaufen begannen, machten sie auf seine Soldatennatur den stärksten Eindruck. Aus voller Seele freute er sich des Übergangs über die Schlei, und er fand es heilsam, wenn die Welt 62

erführe, daß Preußen trotz alledem das beste Heer in Deutschland habe und daß die Bedeutung der Macht in der Politik klar gezeigt werde. Gleichzeitig mit diesen Äußerungen, die sich in einem Briefe vom 14. Februar 1864 an S. Hirzel befinden, benutzte er die Gelegenheit zu einem Ausfall gegen die früher preußisch Gesinnten, die „nach ein paar gleißnerischen Redensarten des Herrn von Beust sich Hals über Kopf in den Kot des Rheinbunds stürzen". Sein eigenes Preußentum wurde täglich stärker, da er deutlich sah, daß sich hinter all dem gesinnungstüchtigen Schimpfen auf Bismarck nichts weiter verbarg als der gemeinste Preußenhaß. Der Sturm auf Düppel erweckte selbstverständlich auch die größte Freude bei ihm. Er freute sich wie ein Kind und schreibt, daß, obschon er alles, was man an der Sache bekritteln könne, wisse, beschaue er doch andächtiglich alle die dummen Bilder von den heldenmütigen preußischen Füsilieren in den illustrierten Blättern. 1 Die Frage seines Freundes Oppenheim (in einem Briefe vom 23. Juli), ob er sich wirklich an den Waffentaten der Armee gegen einen zehnfach kleineren Feind begeistern könnte, fand bei ihm offenbar keinen Widerklang. Als man das Endergebnis des Kampfes als sicher ansehen konnte, bemerkt er in einem Briefe vom 30. August an den Vater, daß die beiden Lande durch ehrlichen Kampf wieder deutsch geworden seien, „das ist der größte Erfolg, den unsere auswärtige Politik seit 50 Jahren errungen hat. Nach meinem Gefühle haben wir allen Grund, uns dessen zu freuen; alle anderen Fragen erscheinen mir als untergeordnet..." Gleichzeitig mit seiner großen Freude über die preußischen Waffentaten und die Aussicht, daß der schlafende kriegerische Ehrgeiz des preußischen Volkes erwachen werde, hat er gewiß nur Schadenfreude empfunden über die Rolle, welche die sächsischen und hannoverschen Bundestruppen spielten. In dem Krieg in Schleswig bekamen sie ja nichts zu tun, und man kann kaum an den Emst des in einem Briefe an den 1

Treitschke an S. Hirzel 19. 5.1864.

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Vater (9. Februar) geäußerten Mitleides mit den sächsischen Truppen glauben, die tatenlos beim Schleiübergang zusehen mußten. Gewiß hat er sich in seinem Innersten über die Demütigung gefreut, welche die Preußen am 21. Juli den Sachsen und den anderen Bundestruppen bereiteten, indem sie sie zur Räumung der Festung Rendsburg zwangen. In einem Brief an S. Hirzel vom 21. August bemerkt er, daß er von einem gemeinsamen Bekannten einen „ganz unsinnig leidenschaftlichen Brief über die Rendsburger Affäre" empfangen habe, und höhnend fügt er hinzu, daß seine liebe Vaterstadt sich wieder ein neues Blatt in ihren Ehrenkranz geflochten habe. Mit der Freude und dem Stolz Treitschkes über die Trefflichkeit des preußischen Heeres verband sich bezeichnenderweise sofort der Gedanke, daß dieses Heer auch gegen andere als auswärtige Feinde gebraucht werden könne. Die physische Eroberung war ja, wie früher erwähnt, für Treitschke die wahrscheinlichste Form, in welcher die deutsche Einheit unter Preußen Zustandekommen würde. Nach der Erstürmung der Düppeler Schanzen bemerkt er (Brief an W. Nokk vom 21. April): Mögen wir die Zeit noch erleben, wo der preußische kriegerische Ehrgeiz sich gegen die lieben deutschen Bundesgenossen wendet. Im Briefe vom 19. Mai an S. Hirzel heißt es im Anschluß an dieselben Begebenheiten: „Es ist nun doch so: jeder Fußbreit Erde, der je seit 200 Jahren für Deutschland erobert ward, ist durch Preußen erobert. Glauben Sie mir: die Geschichte eines solchen Staats kann nicht in schnödem Unsinn endigen, sie wird erst recht anfangen, wenn all die kleinen Neider und Luftpolitiker ringsum von denen, die immer und immer allein für unB gehandelt haben, endgültig verspeist sind." Er will die Stunde segnen, heißt es in einem anderen Brief (10. Juni), da die gezogenen Kanonen Preußens der deutschen Kleinstaaterei ein Ende machen, und in Briefen vom November schwelgt seine Phantasie in einer Ausmalung dieses „notwendigen Bürgerkrieges", in welchem die Adler von Hohenfriedberg und Leuthen noch 64

einmal fliegen müssen.1 Das Schicksal Deutschlands wird, behauptet er, durch eine Eroberung rund und nett entschieden werden. Für seine Gedanken über die Lösung der deutschen Frage wählte Treitschke natürlich nicht ganz so drastische Ausdrücke, wie es in seinen Privatbriefen der Fall ist, in der großen Abhandlung „Bundesstaat und Einheitsstaat", die er eben um diese Zeit ausarbeitete und die in seiner im Herbste 1864 herausgegebenen Essaysammlung „Historische und politische Aufsätze vornehmlich zur neuesten deutschen Geschichte" aufgenommen wurde. Er vertiefte und begründete in dieser bedeutungsvollen Abhandlung ausführlich seine Ansicht, daß die Entwicklung Deutschlands als Ziel den Einheitsstaat unter der Führung Preußens habe. Daß dieses Ziel erreicht werden könne durch eine freiwillige Zusammenschließung, wie man das im Jahre 1848 gehofft hatte, oder auf der Grundlage moralischer Eroberungen, wie die Männer der neuen Ära es sich dachten, erschien ihm wenig wahrscheinlich. Preußen war, behauptete er, das Land der Eroberungen, und mit Eroberungen würde es fortfahren. Wenn man sich diese Ansichten Treitschkes vor Augen hält, kann man also sagen, daß er im November 1863 wollte, daß die Legitimität des Augustenburgers dazu gebraucht werden sollte, um die Herzogtümer von Dänemark zu trennen, und nachher hatte der Augustenburger, wenn die Zeit reif war, sich von Preußen verschlucken zu lassen — genau wie die anderen verrotteten Dynastien. Ob solches eigentlich für den Augustenburger eine sehr beneidenswerte Rolle war, soll hier nicht untersucht werden. Wenn aber nun Preußen die Herzogtümer in der Tat selbst erobern wollte, was hinderte dann daran, dieses augustenburgische Zwischenstadium zu überspringen? Zu dieser Frage nimmt Treitschke Stellung in einem Privatbriefe an S. Hirzel schon vom 14. Februar und in einigen Äußerungen in der genannten Abhandlung „Bun1

Brief vom 16. November an Alfred von Gutschmid und vom 23. November an Gustav von Haselberg, Treltichke 5

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desstaat und Einheitsstaat", die im Juli geschrieben sein sollen.1 Aus dem Briefe an Hirzel sind oben seine Ausfälle gegen die nationalen Parteigenossen angeführt, die infolge der Verhältnisse sich dazu hergaben, die sogenannten Triasideen zu predigen, und sein Stolz auf das preußische Heer ist gleichfalls erwähnt. Er fährt danach fort: „Wollten die Götter, S.-Holstein würde preußisch, wie unsere Philister hier winselnd versichern. Ich sehe wenig Aussichten dazu, und wenn es doch geschähe, so müßte der Erwerb erkauft werden durch selbstmörderische Zugeständnisse an Österreich, wovor uns der Himmel bewahre." In den für die Öffentlichkeit bestimmten Äußerungen in „Bundesstaat und Einheitsstaat" 2 konstatiert er zuerst, daß solange die große Frage der deutschen Zukunft nicht entschieden sei, werde jede Einzelfrage deutscher Politik schief und falsch gestellt erscheinen: „Welch ein unnatürliches Verhältnis, daß eine große Nation, die ihrer Zersplitterung müde ist, heute mit bester Kraft ringt und ringen muß, um einen neuen Herzogsthron zu vielen anderen zu schaffen! Wir begreifen, daß in solcher Lage in Berlin die mißmutige Frage laut wird: wozu die Opfer für Deutschland, wenn sie nie vergolten werden?" Mit verschiedenen seiner minder lobenden Adjektive weist er indessen den Gedanken der Annexion der Herzogtümer durch Preußen ab. Er spricht von den „kleinlichen Annexionsgelüsten" in Berlin, von der armseligen Begehrlichkeit und dem kleinen Ehrgeiz. Preußen soll den großen Ehrgeiz hegen, das ganze Deutschland unter seiner Herrschaft zu vereinigen, und zu solcher kühnen nationalen Politik darf es auch auf ganz andere gewaltige sittliche Kräfte rechnen wie bei der Annexion nur eines Teils von Deutschland. Weder in dem Briefe noch hier in der Abhandlung wird ein Wort davon gesagt, daß die Legitimität des Augustenburgers ein Hindernis für die Annexion sein 1 Siehe den Artikel „Die Lösung der schleswig-holsteinischen Frage". Preußische Jahrbücher 1865 S. 169. * Historische und politische Aufsätze. 1. Ausgabe S. 570 f.

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könne. In dem Briefe sind es die Bande, welche die Bundesgenossenschaft mit Österreich Preußen auferlegt, die als das Hindernis erscheinen; in der Abhandlung tritt noch die Erwägung hinzu, daß Preußen, wenn man so sagen darf, durch Verschlucken eines Bissens von Deutschland seinen Appetit auf das Ganze vergessen könne. Wie die Zeit gelehrt hat, rechnete Treitschke ja hier ganz verkehrt in der Beurteilung von Bismarcks Appetit. In den jetzt zitierten Äußerungen steht, wie gesagt, nichts von dem Augustenburger. Eine Bemerkung wie die in einem Briefe vom 5. Juli gebrauchte über einen Redakteur, der übrigens der kleindeutschen Partei angehörte, daß er durch „Augustenburgerei" in der letzten Zeit schwer gesündigt habe, deutet doch darauf, wohin die Auffassung Treitschkes von dem Prätendenten tendierte. Als er im Herbste ein Exemplar seiner „Historischen und politischen Aufsätze" seinem Freunde Alfred von Gutschmid, der ein Jahr vorher außerordentlicher Professor der Geschichte an der Kieler Universität geworden war, übersandte, kommen in dem Geleitbriefe verschiedene wenig schmeichelhafte Bemerkungen über holsteinischen Partikularismus vor. Er fürchtet, schreibt er, daß dieser auch ein deutscher Kleinkönig ist, und daß er, einmal auf dem Throne, alle Untugenden dieser gemeingefährlichen Art entfalten werde. Es waren unleugbar andere Töne, die jetzt erklangen als im November 1863, da der edle deutsche und legitime Fürst Friedrich VIII. von der nationalen und liberalen Partei Deutschlands auf den Schild erhoben wurde. Wo war jetzt die Begeisterung für „das klare Recht" ? Es zeigte sich, daß der Ausdruck des Redakteurs der Kölnischen Zeitung, daß das Recht des Augustenburgers wohl der Titel des Buches, aber nicht sein Inhalt sei, den Nagel auf den Kopf traf. 1 Legitimität und Interessen erschienen nicht länger so identisch, wie es im November 1863 der Fall gewesen war. Wir blättern nun ein wenig weiter im Buche, um uns dessen Inhalt näher anzusehen. 1

5*

Deutscher Liberalismus I S. 189.

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V. D E R Ü B E R G A N G ZUM A N N E X I O N S G E D A N K E N Nur kurze Zeit, nachdemTreitschke seine „Historischen und politischen Aufsätze" veröffentlicht hatte, in denen er vom Annexionsgedanken Abstand nimmt, trat bei ihm der Umschlag, das offene Bekenntnis zum Annexionsgedanken, ein. In der Folgezeit wurde er einer der bedeutendsten Verfechter des Annexionsgedankens. Ein bestimmtes Datum für diesen Umschlag lä&t sich schwerlich angeben, und man kann auch nicht Ereignisse oder Einwirkungen anführen, die für den Umschlag allein entscheidend gewesen sind. Verschiedenes, das zu dem Umschlag gewiß beigetragen hat, soll doch im folgenden erwähnt werden, gleichzeitig muß aber betont werden, daß der Schritt von dem früheren zu dem späteren Standpunkt genauer besehen kein großer war. Als Antwort auf den oben genannten Brief Treitschkes an Gutschmid vom 16. November schickte dieser ihm am Ende desselben Monats eine ausführliche Schilderung der Verhältnisse in Holstein mit starker Betonung, daß die Einverleibung der Herzogtümer in Preußen die einzig vernünftige Lösung sei.1 Auf diesen Brief Gutschmids werde ich später zurückkommen und hier vorläufig nur bemerken, daß es ganz sicher ist, daß er einen starken Eindruck auf Treitschke gemacht hat. Noch am 3. Dezember äußerte dieser bei einer Erwähnung von Gutschmids Standpunkt, daß seine eigenen Hoffnungen nicht so hoch fliegen, und daß er zufrieden sein will, wenn ein gutes bindendes Abkommen zwischen Kiel und Berlin geschlossen wird, dieses aber findet er auch unerläßlich. Außer dem Briefe Gutschmids hat gewiß auch ein ungefähr eine Woche später geschriebener Brief des damaligen Redakteurs der Preußischen Jahrbücher, W. Weh1 Der Brief ist teilweise gedruckt bei M. Liepmann: Von Kieler Professoren. Briefe aus drei Jahrhunderten zur Geschichte der Universität Kiel, 1916, S.341 lt.

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renpfennig, das seinige zu Treitschkes Umschlag beigetragen. Soweit ich sehe, redet er in der Antwort (14. Dezember) auf diesen Brief zum erstenmal dem Annexionsgedanken das Wort. Bevor ich diesen Briefwechsel bespreche, will ich noch ein paar Bemerkungen darüber einschalten, wie die Verbindung Treitschkes mit den Preußischen Jahrbüchern geknüpft wurde. Wie vorher erwähnt, hatte Treitschke im Sommer 1863 mit der Leitung der Jahrbücher gebrochen; dazu war er veranlaßt worden durch seine von der des Redakteurs stark abweichende Ansicht über die Haltung, die man der Preßverordnung Bismarcks vom 1. Juni 1863 gegenüber einschlagen sollte. In dem Organ Gustav Freytags, den Grenzboten, hatte er den scharfen Artikel:' Das Schweigen der Presse in Preußen veröffentlicht, in dem er sich von der Haltung der Jahrbücher lossagte. Der Bruch war von dem damaligen Redakteur, Rudolf Haym, äußerst schmerzlich empfunden worden. Die Initiative zu einer Aussöhnung wurde nun im Sommer 1864 von Treitschke ergriffen, der dem Worte Cavours, in der Politik sei nichts abgeschmackter als der Groll, huldigte. Als Anlaß zur Aussöhnung benutzte er die bevorstehende Essaysammlung, indem er in einem leider verlorenen Brief an Haym anfragte, ob von seiten des Verlags der Jahrbücher etwas gegen die Aufnahme der bereits gedruckten Essays in die neue Sammlung einzuwenden sei. Er benutzte die Gelegenheit, Haym um Entschuldigung zu bitten, wenn sein Auftreten im vorigen Sommer für diesen persönlich kränkend gewesen wäre. Dieser Brief Treitschkes wurde von Haym und gewiß mit vollem Rechte als ein Versöhnungsversuch betrachtet, und in einem längeren Brief vom 7. August suchte er Treitschke zu bewegen, wieder in die Reihe der Mitarbeiter der Jahrbücher einzutreten. Er teilte gleichzeitig mit, daß er selbst formell aus der Redaktion ausgeschieden sei. Er verweilte bei der siebenjährigen Mitarbeiterschaft Treitschkes an den Jahrbüchern, welche zu dem Erfreulichsten gehört habe, was die oft unerfreuliche Redaktionsarbeit mit sich brachte. Das einzig nachhaltige Bittere dabei sei der vor69

jährige Angriff Treitschkes gewesen. Keinen Augenblick aber hatte Haym die Achtung vor der Reinheit seiner Absichten verloren, und er hatte stets die herzlichste Zuneigung zu ihm bewahrt. Seit der Kontroverse waren sie hundertmal wieder einig gewesen und sie waren es auch in der schleswig-holsteinischen Frage. Es war ein Mißverständnis, daß er, Haym, sich Treitschke in mittelstaatlichen Enthusiasmus verstrickt vorgestellt haben sollte. „Dazu kenne ich Sie denn doch zu gut, kenne nicht bloß Ihr lebhaftes Empfinden, sondern auch Ihren guten und konsequenten Verstand. Ich erinnerte mich sehr deutlich, daß Sie stets die Herzogtümerfrage als die entscheidende angesehen, und als nun diese Frage in Fluß kam, da hätte ich gern Ihre patriotische Freude und Erregung gesehen und die meinige mit Ihnen ausgetauscht." Schließlich ging Haym auf die Möglichkeit ein, Treitschke wieder als Mitarbeiter an den Jahrbüchern aufzunehmen, was, wie er ein wenig bitter meinte, dadurch erleichtert würde, daß sein Name nicht länger auf dem Titel der Zeitschrift stand. Ein solches Wiedereintreten würde er ihm hoch anrechnen und herzlich danken. Dieser Brief Hayms bewirkte doch noch nicht, daß die zerrissenen Fäden wieder angeknüpft wurden. Im Oktober aber griff der jetzige eigentliche Leiter der Zeitschrift, W. Wehrenpfennig, bisher Treitschke persönlich unbekannt, selbst ein. In einem Brief vom 19. Oktober teilte er Treitschke mit, daß er seit etwa einem Jahre gemeinsam mit Haym, doch anonym, die Jahrbücher geleitet habe, und daß Haym jetzt mehr und mehr danach strebte, sich für seine Studien ganz frei zu machen und deshalb wünschte, ihm die Fortsetzung der Verbindungen der Jahrbücher zu überlassen. „Von diesen Verbindungen liegt uns — ich sage die einfache ehrliche Wahrheit — aber keine mehr am Herzen, keine ist den Jahrbüchern wünschenswerter und nützlicher als die mit Ihnen. Wir waren daher hier alle sehr erfreut, als S. Hirzel uns in diesem Sommer erzählte, Sie fühlten sich mit der Haltung der Jahrbücher nicht mehr in Differenz, und als Haym mir später schrieb, daß wir, wenn auch auf keinen Essay, 70

doch auf eine politische Korrespondenz von Ihnen einige Aussicht hätten." Wehrenpfennig wünschte nun sehr eine solche für das Dezemberheft. Es lag der Redaktion viel daran, daß das Jahr nicht hinging, ohne daß die unglückselige Differenz vom letzten Jahre auch vor den Augen des Publikums ausgeglichen wurde. Obschon der Wunsch Wehrenpfennigs, einen Artikel für das Dezemberheft zu bekommen, nicht in Erfüllung ging, zeigte Treitschke sich doch jetzt für seine Person sehr willig, daran mitzuwirken, daß die zerrissenen Fäden wieder angeknüpft würden. Im Laufe des Sommers hatte er der Redaktion der Grenzboten die Antrittsvorlesung angeboten, die er in Freiburg über die Geschichte der Niederlande gehalten hatte, und nun bat er um Erlaubnis, dieses Anerbieten zurücknehmen zu dürfen, um sie den Preußischen Jahrbüchern als einen äußeren Ausdruck der Aussöhnung schenken zu können.1 Für diesen schönen Zweck trat die Redaktion der Grenzboten auch ihr Erstrecht ab. Das Versprechen dieser Vorlesimg, welche indessen erst im Jahre 1869 erschienen ist, rief selbstverständlich bei Wehrenpfennig die größte Freude hervor. „So ist denn also", schrieb er, „jede Spur der Differenz zwischen uns und Ihnen verwischt." (Brief vom 8. Dezember.) „Zwischen dem Juli 1863 und heute", fährt er fort, „liegt ja auch eine Welt von Begebenheiten, und von Begebenheiten, durch welche alle bisherigen Gegensätze wesentlich auf den Einen: Preußisch oder Nichtpreußisch, Deutsch oder Nichtdeutsch reduziert wurden." Dieser Gegensatz, glaubt er, würde in der nächsten Zeit noch schroffer werden, und er war der Ansicht, daß man sich täuschte, wenn man die Chancen des Augustenburgers als gut betrachtete. Die preußische Politik würde mehr und mehr annexionistisch werden, wenn es Bismarck gelänge, den König nach seinen Ansichten so gut wie bisher zu führen. Wenn es nun gelingen würde, allmählich einen Kern der Bevölkerung in Schleswig-Holstein für diesen Weg zu gewinnen, sollte man sich dann dennoch aus Prinzipienreiterei 1

Treitschke an G. Freytag 13.11.1864.

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dem Annexionsgedanken entgegenstellen ? „Ich werfe dies nur als eine offene Frage auf; vielleicht kommen die Tatsachen doch anders, als ich denke, und machen es überflüssig, die Antwort zu überlegen. Aber irre ich mich nicht, so gehören Sie zu den Männern, denen es gleichgültig ist, unter welchem Titel — ob als ein schrittweise sich erweiterndes Großpreußen oder wie sonst — Deutschland zu einem Ganzen heranwächst." Die hier ausgesprocheneVermutung Wehrenpfennigs stimmte eigentlich schlecht zu dem, was Treitschke in der eben herausgegebenen Abhandlung „Bundesstaat und Einheitsstaat" entwickelt hatte. In dieser Abhandlung hatte er ja die kleinlichen Annexionsgelüste in Berlin verhöhnt, und er hatte geschrieben: „Braunschweig oder Schleswig-Holstein oder Dresden, Preußens natürliche Festung gegen Süden, ist heute für Preußen zu keinem geringeren Preise feil als die Herrschaft über ganz Deutschland." 1 Es zeigte sich aber jetzt, daß Treitschke völlig bereit war, diesen Standpunkt aufzugeben. Er ging dazu über, für die Annexion zu kämpfen mit einer gewaltigen Leidenschaft, wovon schon seine Antwort an Wehrenpfennig vom 14. Dezember zeugt: „Aber wofür halten Sie mich, geehrtester Herr, daß Sie mir die Annexion als eine .offene Frage' vorlegen — diese schönste und gerechteste Tat der deutschen Politik seit der Gründung des Zollvereins ?" Vor wenigen Wochen noch, schreibt er, hatte er sie für unausführbar gehalten — dies tut er ja noch in dem Briefe vom 3.. Dezember (siehe oben) —, und infolgedessen hatte er dagegen gesprochen, um nicht den Partikularismus ohne Not zu reizen. Obgleich er noch nicht begreift, wie man den Österreicher wegmanövrieren kann, kann jetzt, wo sich ein Schimmer von Hoffnung zeigt, keine Rede davon sein, diesen „herrlichen Plan" von der Hand zu weisen. Mögliche Rücksichten auf die Pergamente des Augustenburgers — um einen seiner späteren Ausdrücke zu gebrauchen — oder auf die öffentliche Meinung in den Herzogtümern weist er mit einigen höhnischen Bemerkungen über diese beiden Faktoren ab. 1

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Historische und politische Aufsätze, 1. Ausg. S. 570 f.

Weil der Annexionsgedanke jetzt Treitschke als ein „herrlicher Plan" erschien, welcher, ausgeführt, die „schönste und gerechteste Tat der deutschen Politik seit der Gründung des Zollvereins" bilden würde, mußte er es doppelt beklagen, daß er kürzlich öffentlich dagegen aufgetreten war. Während andere sich vielleicht durch solche frühere Äußerungen gebunden gefühlt hätten, hat dieses offenbar Treitschkes Natur fern gelegen, ja am ehesten könnte man sich denken, daß sein vorhergehendes Auftreten ihn nur noch mehr dazu angespornt habe, offen für seinen neuen Standpunkt in die Schranke zu treten. Hierzu kam, daß seine früheren Äußerungen in einem Artikel in dem Januarheft der Preußischen Jahrbücher „Sylvesterbetrachtungen aus Süddeutschland" von dem angesehenen, preußisch gesinnten liberalen Historiker Ludwig Häusser in Heidelberg verwendet wurden. Häusser war bereits 1846, durch den offenen Brief veranlaßt, in der schleswig-holsteinischen Frage aufgetreten für das behauptete Recht der Herzogtümer auf Ungetrenntheit und Selbständigkeit, das nach seiner Meinung durch „Pergamente und Siegel" seit Jahrhunderten zugesichert war (die Broschüre „Schleswig-Holstein, Dänemark und Deutschland"). In dem Artikel der Jahrbücher, der einen Rückblick auf die Entwicklung der Frage seit November 1863 enthielt, rechnete er jetzt scharf mit der Politik Bismarcks ab. Er erkannte vollauf an, daß die Lostrennung der Herzogtümer von Dänemark das größte Ergebnis der deutschen Politik der letzten fünfzig Jahre war und er betonte gleichfalls das Recht Preußens, „eine engere staatsrechtliche Verbindung" zwischen sich und den Herzogtümern zu fordern. Abgesehen hiervon wollte er aber die Selbständigkeit der Herzogtümer anerkannt sehen. Sein und seiner Freunde Ziel war der Bundesstaat unter preußischer Führung, nicht die Erweiterung Preußens durch Annexionen, die als Endergebnis nur die Mainlinie, die Teilung Deutschlands unter die zwei Großmächte hervorrufen würde. Um diese Betrachtung zu verstärken, führte er an, was „einer der wärmsten Freunde preußischer Führung in Deutschland, 73

Treitschke," hierüber geäußert hatte, nämlich die zitierteÄußerung, daß Braunschweig, Schleswig-Holstein oder Dresden für Preußen zu keinem geringeren Preise als die Herrschaft über ganz Deutschland feil seien. Wie man u. a. aus dem Briefe Wehrenpfennigs an Treitschke vom 8. Dezember sieht, fielen die von Häusser in seinen Silvesterbetrachtungen entwickelten Ansichten mit denen Wehrenpfennigs nicht zusammen. Wehrenpfennig hielt es auch für nötig, in einer Anmerkung der Redaktion die Nichtübereinstimmungen hervorzuheben und zu betonen, daß er den „engsten Anschluß" der Herzogtümer an Preußen für die vollkommenste Lösung der immer noch schwebenden Frage ansehen würde — vorausgesetzt, hieß es mit gesperrtem Druck, „daß die Schleswig-Holsteiner, deren Selbstbestimmungsrecht wir achten, für diese Lösung zu gewinnen seien". Treitschke gegenüber begründete Wehrenpfennig die Aufnahme des Artikels Häussers damit, daß sie verabredet war, bevor die Annexion eine praktische Frage würde, und daß den Jahrbüchern viel daran gelegen war, den Namen Häussers unter den Mitarbeitern anführen zu können.1 Übrigens hatte er auch in Briefen an Häusser auf diesen in annexionistischer Richtung einzuwirken versucht.2 Er hatte hervorgehoben, wie man in Berlin mit allen Segeln der Annexion zusteuerte, und erzählt, daß viele von den ruhigsten und nüchternsten Köpfen anfingen, die Annexion für das Wahrscheinlichste zu halten. Nicht nur schien also der Annexionsgedanke sich gut mit Ruhe und Nüchternheit vertragen zu können, auch von Seiten der Moral war offenbar nichts dagegen einzuwenden. „Der moralische Haym", teilte Wehrenpfennig mit, dachte annexionistisch. Über Treitschkes geänderte Ansichten hatte er gleichfalls Häusser aufgeklärt. Natürlich war es bedauerlich, daß er einräumen mußte, daß ein Liberaler kein unbedingter Annexionist sein konnte, sondern stets von der Voraussetzung 1

Wehrenpfennig an Treitschke 30.12.1864. * Wehrenpfennig an Häusser 8.12. und 28.12.1864. Deutscher Liberalismus I S. 232 ff.

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ausgehen mußte, daß es gelingen konnte, „den Kern der Schleswig-Holsteiner" für die vernünftige Lösung zu gewinnen. In dem Briefe an Treitschke hieß es ja etwas unbestimmter „ein Kern", und mit Rücksicht auf die Herzensmeinung Wehrenpfennigs wäre es natürlich kleidsamer gewesen, die Achtung vor dem Selbstbestimmungsrecht nicht in feierlichem typographischen Anzug auftreten zu lassen. Wehrenpfennigs Mitteilung von den geänderten Ansichten Treitschkes hatte HäusBer unberücksichtigt gelassen. Wehrenpfennig bezeichnet ihn deshalb Treitschke gegenüber als den „Schalk" und Treitschke selbst äußert, daß diese „kleine Perfidie" Häussers ihn in die Arena brachte. 1 Im Januar 1865 schrieb er den Artikel, der im Februarheft der Jahrbücher erschien: „Die Lösung der schleswig-holsteinischen F r a g e . Eine E r w i d e r u n g . " Der Artikel bekam eine wesentliche Bedeutung für die Stellung der öffentlichen Meinung zum Annexionsgedanken und machte seinen Verfasser in ganz Deutschland bekannt und in aller Leute Mund zu einer „Berühmtheit". Wehrenpfennig hatte vor dem Empfang des Artikels geäußert, daß er ein ganz uneingeschränktes Auftreten für den Annexionsgedanken für geboten halten würde, wenn er sicher wäre, daß Bismarck den ursprünglich augustenburgischen König im Sack und die Legitimation hätte, Osterreich um der Annexion willen die Kriegsfrage zu stellen.2 Nachdem er den Artikel bekommen hatte, schrieb er: „Natürlich würde ein Preuße nicht so unumwunden haben reden können, aber Sie können es, und diese Unumwundenheit ist eben die siegende Macht des Aufsatzes."8 Seinen Ausgangspunkt nahm Treitschke von dem Zitat Häussers aus der Abhandlung „Bundesstaat und Einheitsstaat". Er bemerkte, gewiß klänge das Lob Häussers wohltuend, dennoch fühle er sich verpflichtet zu gestehen, daß 1

Treitschke an S. Hirzel 11.2.1865. Wehrenpfennig an Treitschke 5.1. 1865. Deutscher Liberalismus I S. 238. * Wehrenpfennig an Treitschke 19.1.1865. 1

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die angeführten Äußerungen zu den wenigen Stellen seines Buches gehörten, die er schon jetzt als falsch erkannt habe. Sie seien im Monat Juli 1864 geschrieben — zu einer Zeit, wo er gleich vielen besser Unterrichteten die Einverleibung Schleswig-Holsteins in Preußen zwar für sehr wünschenswert, aber für unausführbar hielt. Die Lage sei indessen eine ganz andere und die Annexion eine praktische Frage geworden. Nach diesen einleitenden Worten ging er dazu über, die Frage vom positiven Recht zu behandeln. Ein Zweifel an den Erbansprüchen des Augustenburgers, der Kampfdevise der nationalen und liberalen Partei in dem eben geendeten Kriege mit Dänemark, trat noch nicht bei ihm hervor. Die Erbansprüche erschienen ihm so wohlbegründet, als dies irgend möglich war bei Rechten, die in entlegene Jahrhunderte zurückreichten. Indem er aber kräftig betonte, daß die Herzogtümer durch das Schwert Deutschlands erobert waren, warf er die Frage auf, wie sie in der Zukunft am besten für Deutschland zu sichern seien. Dieses schon zeigte deutlich genug, wohin er wollte, und dasselbe war auch aus seiner Frage zu erkennen, ob das Blut auf Alsen und den Düppeler Schanzen darum geflossen sei, „damit dieser deutsche Krieg mit einem partikularistischen Possenspiel endige" ? Hatten die deutschen Klein- und Mittelstaaten in den Augen Treitschkes keine Aussicht, sich in der Staatengesellschaft dauerhaft zu behaupten, wie viel mehr galt dies dann auch von dem eventuellen neuen Staat an der Nordgrenze Deutschlands ? Um es klar zu machen, ein wie unsicheres Dasein dieser, allein auf sich selbst angewiesen, fristen würde, dafür wies er in seinem Artikel auf die große Staatsschuld hin, die er zu übernehmen hatte, namentlich aber befaßte er sich eindringlich mit dem dänisch gesinnten Teil der Bevölkerung Schleswigs. Er bekannte sich zu dem „ketzerischen Glauben", daß die Erwerbung Nordschleswigs ein zweifelhafter Gewinn für Deutschland sei, und er sprach aus, daß er beklagt habe, daß Preußens Antrag auf der Londoner Konferenz, das dänische Nordschleswig von Deutschland zu trennen, nicht durch76

ging. Zu dieser Äußerung hatte Wehrenpfennig übrigens die kritische Bemerkung gemacht, daß Preußen bloß die Linie Apenrade-Tondern vorgeschlagen, die Deutschland immerhin noch ein Drittel der Dänen ließ.1 Er hatte anheimgestellt, den Vorschlag nicht als preußisch zu bezeichnen, doch legte er, wie er schrieb, darauf durchaus keinen Wert, und sein Vorschlag wurde auch nicht befolgt. — Trotz des ketzerischen Glaubens Treitschkes, die Erwerbung Nordschleswigs sei ein zweifelhafter Gewinn für Deutschland, hatte Nordschleswig doch nach seiner Ansicht jetzt bei Deutschland zu bleiben und sollte von diesem festgehalten werden. Der murrende Widerstand der Bevölkerung gegen das neue Wesen kam ihm insofern sehr erwünscht als Argument gegen einen selbständigen Staat Schleswig-Holstein. Ein solcher Staat würde ganz außerstande sein, Nordschleswig mit dem deutschen Leben zu versöhnen, und dieses war das Erste und Wichtigste, was Deutschland von ihm fordern mußte. Welche Kräfte hatte weiter ein solcher Staat gegen eventuelle neue Gefahren dänischerseits einzusetzen ? Nordschleswig mußte sich im Besitze eines Staates befinden, dessen Macht jeden Gedanken an einen Abfall verbot. Sonst würde Dänemark nicht aufhören, das Nationalgefühl der Nordschleswiger aufzuregen und zu agitieren. Die Nordschleswiger waren, äußerte er, dänischen Blutes und Sinnes, und spöttisch fügte er hinzu: „was auch die Staatsweisen unserer Volksversammlungen sagen mögen". Der einzige Weg, diese „Mark" für Deutschland zu sichern, war, dem fremden Stamme das Bewußtsein zu geben, einem mächtigen und geachteten Staat anzugehören, der die materiellen Interessen vollauf zu befriedigen vermöchte. „Nordschleswig wird wohl oder übel der unwiderruflichen Ordnung der Dinge sich fügen und erfahren, daß Preußen im Norden wie im Osten die schwere Kunst versteht, ohne Rechtsverletzung zu germanisieren." „Gerecht und mild", heißt es an einer anderen Stelle in dem Artikel, soll man gegen die besiegte Nationali1

Wehrenpfennig an Treitschke 25.1. 1865.

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tfit verfahren — obschon es ja gilt zu germanisieren und die dänischen Sympathien zu ersticken. Etwas mehr realpolitisch als diese allgemein gehaltenen Äußerungen Treitschkes zeichnete der Redakteur der Kölnischen Zeitung, Dr. Kruse, das Bild der kommenden Zustände Schleswigs, wenn er äußerte: „Die 150 000 Dänen sind und bleiben auf Menschenalter hinaus ,Landesverräter'1 Und müssen also von ,allen Ämtern und Würden, geistlichen und weltlichen, ausgeschlossen bleiben 1' Müssen als völlige Heloten behandelt werden 1" Nach diesen Bemerkungen über die wahrscheinlichen künftigen Zustände Nordschleswigs fährt Kruse aber fort: „Tyrannei demoralisiert den, der sie ausübt, ebensosehr, wie den, der sie erduldet, und ich wenigstens kann und will die Politik nicht von der Ethik trennen." 1 Die Erbansprüche des Äugustenburgers standen, folgerte Treitschke, in direktem Widerspruch zu den wichtigsten Interessen Deutschlands, und um diese wahrzunehmen, blieb nur übrig, einen „im guten Sinne revolutionären Entschluß" zu fassen. Man mußte den Rechtsboden verlassen. Von einer Ordnung, wodurch ein herzogliches Schleswig-Holstein unter preußischer Vormundschaft geschaffen wurde, äußerte er, daß sie vom Standpunkte des deutschen Bundesrechtes gesehen ebenso widerrechtlich wie die vollkommene Einverleibung sei, und er konnte sie nicht als eine dauerhafte oder eine für Deutschland heilsame Ordnung ansehen. Ganz wies er sie doch nicht von der Hand. Nicht ihm oder seinen Parteigenossen, die ja Deutschlands Einheit wollten, stand es an, das Erbrecht der kleinen Dynastien als ein unantastbares Dogma aufrechtzuerhalten, und warum sollte das Erbrecht des Hauses Augustenburg heiliger sein als das Recht des deutschen Bundes ? „Nicht für das Recht eines herzoglichen Hauses haben seit einem Menschenalter unsere Patrioten mit Schwert und Feder gefochten. Den hohen Sinn des Kampfes hat schon in den Tagen des Offenen Briefes ein Dichter in den schlichten Worten ausgesprochen: 1

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Heinrich Kruse an Sybel 1.5.1865. Deutscher Liberalismus I S. 249.

,Wir wollen keine Dänen sein, wir wollen Deutsche bleiben'." 1

Die Geschichte, auch die des Hauses Augustenburgs, bot, bemerkte er weiter, so manches Beispiel von Prätendenten, die zum Heile ihres Landes gegen eine Geldsumme oder eine harmlose Erbstatthalterwürde auf ihr Erbrecht verzichteten. Wenn es Preußen gelang, den Augustenburger zu solchem Verzicht zu bewegen, war die für Deutschland heilsamste Lösung gefunden. Sonst blieb offenbar nichts anderes übrig, als daß die Nation, wie er in einem Briefe schrieb, sich zu dem heilsamen Jesuitismus entschließen sollte, mit einem Fußtritte den unbequemen Mann zu beseitigen.8 Von einem dänischen Standpunkt wäre man zu fragen geneigt, ob Treitschke sich nicht denken könnte, daß dieselben Betrachtungen über den Augustenburger und dessen Erbansprüche, die er hier anstellte, auch zugunsten der Aufrechterhaltung der dänischen Monarchie, zu deren Königsgeschlecht das Augustenburgische Haus gehörte, geltend gemacht werden könnten Weiter wäre man geneigt zu fragen, ob er sich nicht denken könnte, daß man deutscherseits klüger gehandelt hätte, wenn man in der Zeit vor 1864 ein wenig minder pathetisch von dem „heiligen Recht" gesprochen und nicht die ganze deutsche Wissenschaft im Kampfe für das Legitimitätsprinzip mobilisiert hätte. Indessen lag es Treitschke nicht, zurückzuschauen und auch nicht, ein Problem allseitig und gleichmäßig zu behandeln. Die leidenschaftliche Einseitigkeit war seine Stärke, wie es dies ja für die Männer der Tat überhaupt ist. Trotzdem er während seines Auftretens in der schleswig-holsteinischen Frage in den nächsten Jahren nach dem Kriege so ungeheuer viel verwarf von dem, was früher auf deutscher Seite zum Agitationsgebrauch gegen Dänemark gute Münze gewesen war, sieht man nicht, daß er jemals ein einziges tadelndes Wort darüber ausgesprochen hätte, daß es in Anwendung gebracht war, um das deut1 J

Der Refrain in Geibels Protestlied für Schleswig-Holstein. Treitschke an S. Hirzel 11.2.1865.

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sehe Nationalgefühl gegen den kleinen nördlichen Nachbar aufzuhetzen. Die Verwendung des Legitimitätsprinzips von deutscher nationaler und liberaler Seite im Kampfe gegen D&nemark hatte als Voraussetzung, daß es mit „Deutschlands heiligsten Interessen", wie Treitschke sagte, zusammenfiel. Selbstverständlich hatte er ganz recht, daß es ihm und seinen Freunden, den Einheitspolitikern, etwas fern liegen müßte, das Legitimitätsprinzip als ein unantastbares Dogma aufrecht zu erhalten. Wie stand es nun aber mit dem Selbstbestimmungsprinzip, mit der Achtung, die Wehrenpfennig vorgab, für das Selbstbestimmungsrecht der Schleswig-Holsteiner zu hegen ? Treitschke nennt dieses „ein sehr ernstes, von trefflichen Männern erhobenes Bedenken", das darin besteht, daß man als Liberaler es nicht unterlassen darf, Rücksicht auf das Selbstbestimmungsrecht des Volkes zu nehmen. Was er, um dieses Bedenken zu beseitigen, hervorhebt, ist im wesentlichen die Ansicht, daß die Schleswig-Holsteiner keine selbständige Nation, sondern ein Teil des deutschen Volkes seien, und als solcher könnten sie kein unbeschränktes Selbstbestimmungsrecht haben. Eigentlich sollte eine deutsche Zentralgewalt in dieser Sache zu Gericht sitzen; da man aber den Bundestag für eine solche nicht ansehen könnte, müßte Preußen an dessen Stelle treten als der Staat, dessen Lage ihn zwingt, „für Macht und Wohl des ganzen Vaterlandes" zu sorgen. Übrigens wurden ja, bemerkt er, die Bewohner Schleswig-Holsteins über die ungleich wichtigere Frage: „deutsch oder dänisch ?" auch nicht zur Entscheidung berufen. Mit seiner Ablehnung des Selbstbestimmungsprinzipes stimmt es gut überein, wenn er an einer Stelle in dem Artikel erklärt, daß er von dem Werte und der Reife der öffentlichen Meinung viel niedriger denke als Häusser. Von den Bewohnern Schleswig-Holsteins äußert er, daß er sehr hoch von ihrer zähen Festigkeit denke, er sieht sie aber doch nicht für unbelehrbar an: „Aus loyalen dänischen Untertanen, die sie waren, wurden sie in wenigen Jahren gute Schleswig-Holsteiner; warum soll es 80

einer gerechten, einsichtigen Regierung nicht gelingen, sie zu treuen preußischen Bürgern zu erziehen?" Wenn Treitschke schreibt, daß ein Liberaler — und zu den Liberalen rechnete er sich selbst — sich nicht leicht zu dem Urteil entschlösse, daß Preußen sich erst über die weiteren Folgen der vollzogenen Einverleibung mit dem Landtage Schleswig-Holsteins zu verständigen hätte, so muß man betonen, daß er auch nicht meinte, daß sein Ziel: Deutschlands Einheit, auf dem Wege der Verständigung erreicht werden könne. Sein politisches Verlangen ging ja darauf aus, daß Preußen seine Waffen auch gegen die lieben Genossen im Deutschen Bunde, u. a. gegen seine eigenen engeren Landsleute wenden sollte. Dem Freunde Gutschmid schreibt er am 16. November 1864, während seines Freiburger Aufenthaltes, inmitten des scheußlichen süddeutschen Partikularismus sei es ihm vollkommen klar geworden, daß die deutsche Frage sich durch eine Eroberung rund und nett entscheiden werde. „Wenn es sich handelt um die Machterweiterung des einzigen Staates, der das Vaterland schützen kann, um einen mächtigen Schritt vorwärts zu dem Ziele der Einheit Deutschlands," heißt es in dem Artikel, „dann sollen wir die Überlieferungen der Partei geringer achten als die Macht des Vaterlandes." Um zur Einheit zu gelangen, war er bereit, „jedes andere politische Gut" zu opfern, und in dieser einen Frage rühmte seine Partei sich radikaler zu sein als alle anderen Parteien. Mit dieser sehr einfachen Formulierung fegte er insofern alle Prinzipienerwägungen beiseite. Im Verhältnis zur Macht und Einheit des Vaterlandes wurde alles andere klein. Bei solchen Ansichten war es nicht zu verwundern, daß er sich bereit erklärte, den ihm von Wehrenpfennig gezeigten Weg: schrittweise vorgehende Erweiterung Preußens, zu akzeptieren. Seine früheren Ansichten, die Häußer angeführt hatte, erschienen ihm jetzt als Reminiszenzen an „romantische Jugendideale", Erinnerungen an die Zustände in den Jahren 1848—50, und es galt, sich von diesen loszumachen. Bis die Kleinstaaten aus Angst vor dem norddeutschen Eroberer freiwillig ihre Treitschke 6

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Militärhoheit abtreten, mußte man die „auswärtige Politik jeder preußischen Regierung . . w e l c h e tatkräftig die Macht ihres Staates zu vergrößern strebt", unterstützen. Und ganz wie Wehrenpfennig schrieb er: „Deutsch oder nicht deutsch, preußisch oder partikularistisch ?" — dies wird, wenn nicht alle Zeichen trügen, in der nächsten Zeit die höchste aller deutschen Fragen sein. Der Partei aber, welche am treuesten zu Preußens Fahne hält, gehört die Zukunft." Die sehr einfache Formulierung Treitschkes von dem Verhältnis zwischen Prinzipien und der Macht und Einheit des Vaterlandes beruhte auf seiner brennenden politischen und patriotischen Leidenschaft. Es muß auch hervorgehoben werden, daß es Teile des deutschen Volkes waren, die sich nach seiner Ansicht von Preußen wohl oder übel erobern zu lassen hatten. Nordschleswig war hiervon eine Ausnahme. Wenn er wollte, daß auch dieses ein Objekt der Germanisierung werden sollte, eröffnete er hier eine prinzipielle Möglichkeit für das Berechtigte einer Eroberimg fremder Volksstämme, wenn diese sich nur von Preußen verdauen ließen, an Kultur oder politischer Kraft ihm unterlegen waren. „Verdaulich" sollten sie aber natürlich sein. Er erklärt, daß er auch die Annexion Schleswig-Holsteins für ruchlos halten würde, wenn er nicht so fest von Preußens staatsbildender Kraft überzeugt wäre. Diese mußte ja die leichtesten Aufgaben finden, wo es andere deutsche Stämme waren, die einverleibt wurden. — Mit Rücksicht auf seine Willigkeit, jedes andere politische Gut dem großen Ziel: der Einheit des Vaterlandes, zu opfern, soll weiter noch bemerkt werden, daß, wenn dieses Ziel erreicht war, die anderen politischen Güter ja wieder ihre gebührende Berücksichtigung finden konnten. Als ein Übergangsstadium war er willig, den Cäsarismus zu akzeptieren. Die Forderungen des Liberalismus waren, um den Ausdruck Freytags zu gebrauchen, wie eine geballte Faust, 1 die in die Tasche gesteckt wurde, 1 In dem Artikel „Die Pflichten eines Mitgliedes der liberalen preußischen Partei". Grenzboten 1866 Nr. 11, Abgedruckt in den Politischen Aufsätzen S. 275 f.

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um su besserer Zeit sieb hervorzuwagen. Mit welcher Kraft sie dann geführt werden konnte, ist eine andere Frage. Aus den jetzt erwähnten mehr prinzipiellen Erwägungen der deutschen und der schleswig-holsteinischen Frage geht hervor, in wie hohem Grade Treitschke die Ansichten Wehrenpfennigs und Gutschmids zu den seinigen macht. Man muß staunen, wenn man sieht, wie dieselben Ausdrücke aus den Briefen dieser Männer bei Treitschke in dem Artikel oder in seinen gleichzeitigen Briefen wiederkehren. Dies ist der Fall mit der Betrachtung Wehrenpfennigs selbst von dem Wege zu Deutschlands Einheit: einem schrittweise sich erweiternden Preußen, und mit seiner Bemerkung, was in der nächsten Zeit die wichtigste politische Lösung werden wird: deutsch oder nicht deutsch, preußisch oder nicht preußisch. Zu der Betonung Gutschmids, daß ein Patriot jede tüchtig auftretende preußische Regierung unterstützen müsse, stimmt die Ansicht Treitschkes, welche Haltung man jeder preußischen Regierung gegenüber, welche tatkräftig die Macht des Staates zu vergrößern strebt, einzunehmen hat. Wenn GutBchmid den Annexionsgedanken „die gerechteste und schönste Tat unsres Jahrhunderts" benennt, so finden wir diesen Ausdruck wieder in dem Briefe Treitschkes vom 14. Dezember an Wehrenpfennig (siehe oben), und die Ansicht Gutschmids, daß die schleswig-holsteinische Sache ein rechtes Kriterium für Unitarier und Kyffhäuserdeutsche geworden ist, finden wir in dem Briefe Treitschkes vom 14. Februar 1865 an den Verleger der Jahrbücher, G. Reimer, als „einen rechten Prüfstein für die guten Preußen und die Kyf fhäuser-Phrasenhelden". Noch stärker als in der prinzipiellen Behandlung benutzt Treitschke verständlich genug den Brief Gutschmids bei den in dem Artikel eingestreuten Bemerkungen über Stimmungen und Zustände in den Herzogtümern. Es ist nicht zu viel gesagt, wenn Treitschke seine Benutzung als ein Bestehlen bezeichnet.1 Schon ein Vergleich mit dem gedruckten Teil des Briefes Gutschmids und dem Artikel zeigt vollkommen, in 1



Treitschke an Moritz Busch 13.2.1865.

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wie ausgedehntem Grade der Brief in den Artikel aufgegangen ist. Dieser Eindruck wird verstärkt, wenn man auch den ungedruckten Teil des Briefes in die Untersuchung hineinzieht. Als ein Kuriosum mag genannt werden, daß selbst eine stilistische Blüte wie das aus der Poesie der Antike übernommene Bild, daß die Schwüre der Liebenden ins Wasser geschrieben sind, aus dem Gutschmidschen Briefe stammt, wo sie indessen von Samwer gebraucht ist. Man sieht nicht, daß Treitschke Kritik an den Mitteilungen Gutschmids geübt hat, wenn man es nicht als eine solche ansehen will, daß er die ungestümen Ausdrücke abdämpft, die der Freund von den Holsteinern und deren Nationaleigentümlichkeiten gebraucht. Ein paar einzelne Mißverständnisse, die unten erwähnt werden sollen, sind bei der Benutzung untergelaufen. Treitschke nennt auch später seinen Artikel „die rasch hingeworfenen Blätter". 1 Die Ausdrücke Gutschmids von den Holsteinern und deren Nationaleigentümlichkeiten könnten wohl einer Abschwächung bedürfen, und der Brief ist eigentlich schlecht dazu geeignet, in eine Festschrift für die Kieler Universität aufgenommen zu werden. Wie gesagt, ist auch ein wesentlicher Teil ausgeschlossen worden. Kein lobendes Wort hat Gutschmid für seine neue Heimat übrig. Die Holsteiner sind ein Bauernvolk, schreibt er: „Auch Bauern Völker haben ihre Zeit, und es ist etwas Schönes um tüchtige Bauern an dem Orte, wo sie hingehören, nämlich auf dem Lande, und in einer Zeit, wo sie hingehören, nämlich im Mittelalter. Hat aber der Bauer sich überlebt, ist er in die Städte gezogen, dann ist er in meinen Augen etwas ungewöhnlich Scheußliches. Nun wohl, Holstein ist ein Überrest aus dem Mittelalter, die Holsteiner sind als Städter verkleidete Bauern. Es ist ein habgieriges, viehisch gefräßiges, stinkend faules, steifleinenes und kindisch eitles Gesindel, aus dem nur durch jahrelange strenge preußische Zucht noch vielleicht einmal Menschen werden können. . . . " Weil die Professoren an der Universität zu vier 1

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Treitschke an Th. Mommsen 16. 4.1865.

Fünftel Süddeutsche sind, werden sie durch Steuern ausgesogen. Die Handwerker haben eine verschiedene Taxe für Adelige und Bürgerliche, Professoren und Laien, Ausländer und Eingeborene, und Gutschmid, der adelig, Professor und Ausländer ist, wird also mit dreifacher Rute gepeitscht. Die Heuchelei geht über allen Verstand, und noch nie sind die Mädchen den preußischen Soldaten so entgegengekommen wie in Holstein; das ganze Land ist eine einzige große Gebäranstalt. Der einzige Punkt, über den Gutschmid ohne Illusionen nach Kiel kam, war das Koteriewesen der Holsteiner; so arg wie es war, hatte er sich's aber doch nicht gedacht. Das Bier war schlecht und teuer. Allen den abstoßenden Seiten der „Normalmenschen" (d.h. der Holsteiner), so endet Gutschmid, könnte man sich entziehen, aber einem entging man nicht: ihren entsetzlichen Gesellschaften! Der holsteinische Bauerndünkel war weiter durch das angebliche Märtyrertum der Dänenzeit großgezogen worden. Von einem solchen konnte aber nach Gutschmid gar keine Rede sein, denn um Holstein hatten die Dänen sich gar nicht gekümmert: „Hier war so viel und mehr Freiheit als irgend sonst in Deutschland." Die Schleswiger waren die Märtyrer gewesen, und der holsteinische Normalmensch ließ sich dafür bezweckessen. Zwanzig Jahre lang hatten die biederen Holsteiner sich selbst mit einer solchen Schamlosigkeit gelobt, daß die harmlosen Süddeutschen ihnen endlich hatten glauben müssen: Audacter te ipse lauda: Semper aliquid haeret I — Gutschmid berührt durch diese seine Äußerungen einen Zustand, welchen mehrere Länder nach Wiedervereinigung mit abgetrennten Stammesbrüdern kennenzulernen Gelegenheit gehabt haben. Solange die Betreffenden an einen fremden Staat gebunden sind, erscheinen sie, verständlich genug, der Mutternation in einem etwas idealisierten Schimmer, doch nach einer Vereinigung wird leicht eine Reaktion gegen diese Auffassung eintreten. Der Umschlag aber von der in Deutschland vor 1864 herrschenden Auffassung von der Bevölkerung Schleswig-Holsteins als „einem gediegenen, kernigen, echt

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deutschen Menschenschlag"1 zu der Gutschmids war unleugbar groß. Es dürfte doch zu viel verlangt sein, daß dieser Umschlag die Holsteiner angenehm berühren sollte, deren Repräsentanten im Januar 1864 in Frankfurt mit kleidsamer Bescheidenheit und unter großem Beifall ausgesprochen hatten, daß sie nicht der schlechteste Teil an dem großen deutschen Körper waren. 2 Dieses reichliche und volle Maß von Hohn und Verachtungwurde ihnen ja nun obendrein zuteil, weil sie festhielten an den feierlichen Eiden, welche sie kürzlich dem Augustenburger geschworen hatten unter der Betonung seiner legitimen Erbansprüche durch die ganze deutsche Rechtswissenschaft. In seinem Artikel mäßigt Treitschke, wie gesagt, die leidenschaftlichen Ausdrücke, die Gutschmid von den Holsteinern gebraucht, sonst sind aber die Übereinstimmungen schlagend. Auch Treitschke will nicht länger von einem Märtyrertum der Holsteiner in der dänischen Zeit reden hören. Von einem solchen Märtyrertum der Holsteiner in der dänischen Zeit kann unter aufrichtigen Männern nicht gesprochen werden. Die Hand des Dänen hat auf Holstein nur leicht geruht, und er ließ hier alles gehen und liegen, wie es ging und lag. Gutschmid hatte von dem Stolz der Holsteiner gesprochen auf ihr „deutsches China" mit seinen Korporationen, Klostervögten, Bauernvögten, Hardesvögten usw., kurz auf das, was sie ihr Selfgovernment nannten, und er hatte gefunden, daß die Holsteiner mit den Mecklenburgern um die Palme selbstgenügsamer Verkommenheit rangen. Treitschke findet dieselbe Ähnlichkeit zwischen dem „vielgerühmten holsteinischen Selfgovernment" und den Zuständen Mecklenburgs; an diese erinnert es jedenfalls mehr als an die englische Selbstverwaltung, welche Treitschke ja in seinen ersten Arbeiten gepriesen hatte. Der holsteinische Handwerker, der durch seine verschiedene Taxe Gutschmid aufs tiefste empört hatte, findet auch bei Treitschke keine Gnade. Wie Gutschmid sieht er es für gegeben an, daß der Handwerker wegen seines zurück1 1

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Häusser, Schleswig-Holstein, Dänemark und Deutschland S. 5. Jansen-Samwer, Schleswig-Holsteins Befreiung S. 219.

gebliebenen Standpunktes sich der Aufnahme Holsteins in den deutschen Zollverein mit der daraus sich ergebenden größeren Konkurrenz entgegensetzen werde. Die Dänen mußten bisher als Prügelknaben für alles herhalten, was die Süddeutschen in Holstein nicht in Ordnung fanden, schrieb Gutschmid, aber trotzdem der Prügelknabe jetzt Jahr und Tag fortgeschafft war, war nichts von dem, was ihm als dänischer Unfug bezeichnet worden war, abgeschafft. Nun mußte das Interregnum herhalten, und erfolgte ein verständiges Abkommen mit Preußen, dann würde dieses zum Prügelknaben aufrücken. Würde aber, was Allah und alle Engelscharen verhüten wollten, der holsteinische Musterstaat fertig, so würde es aus diesem Augiasstall zum Himmel stinken! Eine ganz so drastische Schilderung finden wir natürlich bei Treitschke nicht, auch dieser aber erwähnt manchen alten Schlendrian, für den die Dänenherrschaft bisher „bald mit, bald ohne Grund" als Entschuldigung herhalten mußte, und gleich Gutschmid meint er, daß Preußen zum Prügelknaben aufrücken wird, wenn die „bundesstaatliche" Unterordnung ins Leben tritt. Den bei Gutschmid so häufig gebrauchten Ausdruck „Normalmensch" finden wir bei Treitschke, wo er schreibt, daß in gewissen schleswig-holsteinischen Zeitungen von der Abtretung der Militärhoheit an Preußen in einem Tone geredet wird, „als sollte ein Mustervolk urgermanischer Normalmenschen einem asiatischen Barbarenstaate untergeordnet werden". Die Bezeichnung „Normalmensch" wird übrigens bei Treitschke in der folgenden Zeit ein stehender Ausdruck. Es kann in Verbindung hiermit erwähnt werden, daß „meerumschlungen", welches vor 1864 mit so vollem Brustton erklang, nun bei Treitschke und seinen Parteigenossen spöttisch gebraucht wird. Man redet von dem „meerumschlungenen Österreich", dem „meerumschlungenen Landtag", „Meerumschlungenheim" usw., ja Karl Mathy spricht sogar von „den meerumschlungenen ungedeelten Schmerzenskindern". 1 1 Treitschke, Briefe II S. 350 Anm. 1, 383 und 394. Busch an Treitschke, undatierter Brief von 1866.

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Treitschke hatte in seinem Artikel die Hoffnung ausgesprochen, daß die Bewohner der Herzogtümer schwerlich unbelehrbar sein würden, und er warf die Frage auf, woher man denn so sicher wüßte, daß die Herzogtümer Augustenburgisch sein und bleiben wollten. Aus dem fernen Süden war es schwierig, genau die wirkliche Stimmung des Landes festzustellen. Die holsteinischen Zeitungen ließ er nicht kurzweg als einen unverfälschten Ausdruck der öffentlichen Meinung gelten, da er wußte (von Gutschmid), daß ein Augustenburgisches Pressebureau bestand, und daß dieses über der holsteinischen und einem Teile der schleswigschen Presse „wie der Geist Gottes über dem Wasser" schwebte. Nach „zuverlässigen Mitteilungen" meinte er behaupten zu dürfen, daß dem Annexionsgedanken gegenüber die Meinung der einzelnen Landesteile wesentliche Unterschiede zeigte. Die zuverlässigen Mitteilungen sind auch hier in der Hauptsache der Brief Gutschmids. Zu den Annexionisten in Holstein zählte er wie Gutschmid den Adel, weil dieser die liberale Verfassung von 1848 haßte, auf deren Boden der Prätendent sich gestellt hatte, und außerdem einen Teil der reichen Bauern, vornehmlich in der „Propstei", 1 welche nach Gutschmid auskalkuliert hatten, daß, wenn sich die Kriegskosten auf ganz Preußen und Holstein verteilten, sie billiger wegkämen, als wenn Holstein sie allein zu tragen hatte. Dieses Motiv trat bei Treitschke auf als „wenig idealistisch, aber achtungswert". Daß die augustenburgische Gesinnung doch in Holstein überwog, räumte er ein. Auf Nordschleswig konnte man, da es dänisch gesinnt war, natürlich keine Rücksicht nehmen; übrigens meinte er, daß die Nordschleswiger aus Berechnimg, um Deutschland zu schwächen, für den Augustenburger stimmen wollten. Es blieb also Südschleswig, und hier herrschte eine für die preußischen Annexionsgedanken viel günstigere Stimmung. Wenn man nun die Stimmung in Südschleswig, in Nordschleswig und in Holstein verglich, war es Treitschke unzweifelhaft, daß die Stimme der Südschleswiger für Deutschland am schwersten ins Ge1

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Die „Propstei" ist ein Teil des Klostergutes Preetz.

wicht fallen mußte. Die Südschleswiger erscheinen ihm insofern als der Kern der Bevölkerung, der nach der Ansicht Wehrenpfennigs gewonnen werden sollte, um die Annexion auch in den Augen der Liberalen zu verteidigen. Es waren die Südschleswiger, schrieb Treitschke, die vierzehn Jahre lang „die Tyrannei der Dänen" mit ungebeugtem Nacken ertragen hatten, und in der harten Schule der Leiden sich mit einem kräftigeren Nationalgefühle durchdrungen hatten als die Holsteiner. Dies hatte sich auch bewährt, als Dänemark den Huldigungseid für Christian IX. forderte. „An den Obergerichten zu Plön und Kiel gaben die geborenen Holsten in großer Zahl dem schmählichen Ansinnen nach, während die aus Schleswig gebürtigen Beamten im ganzen Lande fast ausnahmslos als deutsche Männer handelten; von den Kieler Professoren taten nur fünf ihre Schuldigkeit n i c h t , darunter vier Holsteiner, ein Däne, aber kein Schleswiger usw. —" Diese Bemerkungen Treitschkes von der Stellung zum Huldigungseide waren in mehreren Beziehungen unrichtig. Erstens existierten keine Obergerichte zu Plön und Kiel. In Plön befand sich die im November 1862 errichtete holsteinische Regierung, und in Kiel residierte das Oberappelationsgericht, während die Oberdikasterien in Glückstadt saßen. Sodann hatten die schleswigschen Beamten in Holstein nicht „fast ausnahmslos" den Huldigungseid verweigert. Endlich war die Bemerkung über die Kieler Professoren unrichtig, indem hier schließlich nur die zwei dänischen Professoren den Eid leisteten. Die Quelle der betreffenden Bemerkungen Treitschkes waren Gutschmids „zuverlässige Mitteilungen", teilweise hatte Treitschke sie etwas leichtfertig benutzt, und teilweise waren sie leicht mißzuverstehen und auch nicht ganz zuverlässig. Es heißt in dem Briefe Gutschmids nach der Erwähnung des angeblichen holsteinischen Märtyrertums: „Ist es Zufall, daß in der Krisis, wo von dreißig Professoren nur sechs Holsteiner waren, nur fünf ihre Schuldigkeit n i c h t taten, und daß unter diesen fünf vier Holsteiner waren? Ist es Zufall, daß in Plön und hier am Appellationsgericht, was holsteinisch

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war, en.masse geschworen h a t ? " Ist es Zufall, daß die wegen ihrer größeren Befähigung über ganz Holstein verbreiteten schleswigschen Beamten ohne Ausnahme ihre Schuldigkeit getan haben? — Wie Gutschmid in einem späteren Briefe — vom 5. April — schreibt, hatte Treitschke eine falsche Konjektur vorgenommen, indem Gutschmid mit den genannten Äußerungen nur hatte sagen wollen, daß es fünf waren, die die Absicht gehegt hatten, den Huldigungseid abzulegen. Was die Bemerkung von der Stellung der schleswigschen Beamten betraf, meint Gutschmid, daß sie wohl nicht ganz unrichtig sei, daß aber Treitschke doch klüger getan hätte, nicht auf dieses Verhältnis zu pochen. Unrichtigkeiten wie die eben genannten oder wie die Äußerung Treitschkes, daß die Nordschleswiger daran denken könnten, aus Berechnung für den Augustenburger zu stimmen, konnten die Gegner des Annexionsgedankens natürlich leicht hervorheben. Treitschke hatte indessen ganz recht, wenn er meinte, daß ein Nachweis solcher Unrichtigkeiten an und für sich nichts mit dem Kernpunkt der Sache zu tun hatte. Der Kernpunkt in der „Lösung der schleswig-holsteinischen Frage" war die agitatorische und theoretische Verteidigung der Politik Bismarcks, die alle Mittel im Kampfe für die Machterweiterung Preußens und die Einheit Deutschlands brauchbar fand. An dem Tage, da der Adler Friedrichs des Großen über den friesischen Inseln weht und deutsche Schiffe im deutschen Gewässer — Nordostseekanal — zwischen „unseren beiden Meeren" fahren, an diesem Tage vollzieht sich, so schloß Treitschke seinen Artikel, die größte Tat deutscher Politik seit der Gründung des Zollvereins. In der Ferne erblickte er selbstverständlich, trotz seiner Abwendung von den romantischen Jugendidealen, den Tag, da die Raben den Kaiserberg nicht mehr umkreisen werden und der alte Rotbart seinen Flamberg schwingen wird, oder in Bildern ausgedrückt, welche der stockpreußischen Seele Treitschkes näher lagen, den Tag, da der Adler von Fehrbellin und Hohenfriedberg seine Schwingen von der blauen Kieler Bucht zum lichten Strande des Neckars ausbreitete. 90

VI. B U S C H , F R E Y T A G

UND

TREITSCHKE

Der Artikel: „Die Lösung der schleswig-holsteinischen Frage" erregte ein Aufsehen in Deutschland, von dem weder der Verfasser noch der Verleger noch der Redakteur der Preußischen Jahrbücher geträumt hatten. „Daß die rasch hingeworfenen Blätter solches Aufsehen erregen würden," schreibt Treitschke am 16. April an Mommsen, „ahnte ich nicht im mindesten; sonst hätte ich leicht einige grobe Fehler vermeiden können." In einem Brief vom 16. Februar erzählte der Verleger der Jahrbücher, Georg Reimer, wie der Entschluß Treitschkes, Häusser in den Jahrbüchern entgegenzutreten, für ihn, Reimer, von rechtem Segen gewesen sei. Erstlich hätte dieser Entschluß ja auch nach außen den Bruch zwischen Treitschke und den Jahrbüchern geheilt, zweitens hätte er ihn bekehrt, „denn ich muß gestehen, ich gehörte auch zu denjenigen, die auf das Selbstbestimmungsrecht der Schleswig-Holsteiner zu großen Wert legten und nicht genug einsahen, daß man in der Politik nicht allen gerecht sein kann und mitunter kleine Leute umrennen muß, wenn man große Ziele erreichen soll"; endlich hatte der Aufsatz ihm einen freundlichen Brief Treitschkes eingebracht. Es war zuerst gar nicht Reimers Absicht gewesen, den Artikel in den Buchhandel zu bringen. Weil er ihm so wohl gefiel, hatte er aber hundert Exemplare besonders abdrucken lassen, um diese zu verteilen und an Zeitungen zu verschicken, „um dadurch mehr Rumor darüber zuwege zu bringen, als es den Preußischen Jahrbüchern gelingen konnte, und das ist ja auch glänzend eingeschlagen". 1 Indessen wurde jetzt doch so viel nach dem Artikel gefragt, daß er es der guten Sache wegen für notwendig hielt, ihn nochmals besonders drucken zu lassen — statt, wie seine ursprüngliche Absicht war, den 1 Auch Wehrenpfennig spricht im Briefe vom 19. Januar 1865 an Treitschke davon, daß er einige Exemplare des Artikels an Deputierte zu verteilen gedenke.

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Jahrbüchern das Privilegium auf den Aufsatz vorzubehalten. Mit dem Aufsatz Treitschkes waren die Preußischen Jahrbücher, deren Redaktion noch im Januar übrigens ja etwas gegen die eigene Überzeugung ihre „Achtung" vor dem Selbstbestimmungsrecht der Schleswig-Holsteiner ausgesprochen hatte, offen für den Annexionsgedanken eingetreten. Gleichzeitig mit diesem Ergebnis hoffte Treitschke zu erreichen, daß auch ein anderes liberales Organ, die Grenzboten, denselben Weg betreten würde.1 Von 1848 ab waren die Grenzboten das Organ G u s t a v F r e y t a g s gewesen. In ihnen waren zahlreiche politische Aufsätze von seiner Hand erschienen, und er hatte hier von Leipzig aus für ein einiges Deutschland unter der Führung Preußens gekämpft. Mit Julian Schmidt zusammen war er Besitzer des Blattes, als Redakteure waren im Laufe der Zeit verschiedene Männer angestellt gewesen. Von 1859 an wirkte Dr. Moritz Busch als solcher. Durch seine im Jahre 1856 herausgegebenen Schleswig-Holsteinischen Briefe hatte er von seinem Interesse für die schleswig-holsteinische Sache Zeugnis genug abgelegt und während seiner Redaktion traten die Grenzboten auch äußerst feindlich gegen Dänemark und die dänische Regierung in den Herzogtümern auf. Dieses stimmte insoweit ausgezeichnet zu den Ansichten Freytags, seinemVerhältnis zu Herzog Ernst von Koburg, den schleswig-holsteinischen Interessen des Herzogs und seines Umgangskreises. Wie andere liberale Zeitungen nahmen die Grenzboten nach dem Tode Friedrichs VII. absolut Partei für die Erbansprüche des Augustenburgers und schilderten diesen als das Ideal eines Fürsten. In einem Artikel „Der neue Herzog von SchleswigHolstein" (Grenzboten 1863, 2. Sem., IV. Bd. S. 350) hieß es von ihm: „Vierunddreißig Jahre alt, in der Blüte seiner Kraft, eine stattliche Gestalt, ein ernster Geist, vorzüglich geeignet für Geschäfte, kurz und fest bei den Sachen, kaltblütig, 1

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Treitschke an G. Reimer 14. 2.1865.

Gustav Freytag ( N a c l i l l u f m a o n : G . K r e y t a g als Politiker, Journalist Mensi.

1922

S. 2 4 )

unil

ehrlich, gewissenhaft, die Augen unverrückt auf einen Punkt gerichtet, ist er, soweit menschliches Urteil reicht, genau der Mann, wie die Lage der Dinge ihn erheischt und unsere Nation für diese nationale Sache ihn wünschen muß." Daß Christian IX. nicht gegen eine Bolche Gestalt ankommen könnte, war ja klar, obschon die Grenzboten, so weit man sieht, sich damit begnügten von ihm zu schreiben, er sei offenbar weder ein kluger noch energischer Fürst (Grenzboten, angef. Stelle S.438). Dieses Glanzbild des Augustenburgers rührt doch wohl schwerlich von Freytag her, der jedenfalls privat eine mehr nuancierte Auffassung von dem Thronprätendenten aussprach.1 Die Grenzboten wimmelten in der nächsten bewegten Zeit von Artikeln über die schleswig-holsteinische Sache und zugunsten des Augustenburgers und seiner Erbansprüche. Auch Treitschke hatte ja, wie wir gesehen haben, seine Feder dem Redakteur für diesen Zweck zur Verfügung gestellt. Man sieht aber nicht, daß davon Gebrauch gemacht worden ist. Anfang des Jahres 1864 ging Busch selbst als Korrespondent auf den Kriegsschauplatz und schickte der Zeitschrift mehrere wohlgeschriebene und interessante Berichte über die Begebenheiten und Stimmungen. Er hielt sich auch am Augustenburgischen Hofe auf, und man sprach davon, daß er dauernd an den Hof geknüpft werden sollte.2 Gegen Anfang des Monats Mai kehrte er jedoch nach Leipzig zurück. Er übernahm wieder die Redaktion der grünen Blätter und legte den glatt gebürsteten Zylinder ab, den er am Hofe gebraucht hatte, und mit dem er, wie Hirzel an Treitschke schreibt, zu imponieren dachte.3 Die Grenzboten hielten auch in der folgenden Zeit an ihrer augustenburgischen Haltung fest, unter dem Eindrucke der folgenden Ereignisse wurde aber natürlich genug bei vielen der Freunde des Blattes die Stimmung dem Augustenburger gegenüber eine andere. Vom November 1863 an war er ein leuch1 Deutscher Liberalismus I S. 196 f. Freytag an Mathy 6.12.1863. * Hirzel an Treitschke 4. 3.1864. 1 Hirzel an Treitschke 11. 4. u. 9. 6.1864.

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tendes Panier in dem Kampfe gegen Dänemark gewesen, aber welches Ansehen konnte er sich durch seine Scheinregierung in Kiel erwerben, während daB preußische Heer militärische Lorbeeren erntete ? Als Busch im Herbste 1864 in den Dienst des Prätendenten zu treten beschloß, war dies ein Schritt, der im November 1863 mit Begeisterung begrüßt wäre, der aber jetzt bei seinen Freunden sehr gemischte Gefühle hervorrief. Freytag selbst kam Büschs Entschluß sowohl unerwartet als unbequem. Er brachte ihn in Verlegenheit, einen Nachfolger als Redakteur zu finden, und nötigte ihn, sich mehr für die Leitung des Blattes zu interessieren, als er es aus Rücksicht auf seine literarischen Arbeiten wünschte. 1 Freytag hatte seiner Zeit seinen Redakteur am Gothaischen Hofe eingeführt und ihn Hofsitten gelehrt. Er sowohl wie Büschs andere Freunde sahen offenbar ein wenig ironisch und überlegen auf „den kleinen Busch" und sein Auftreten als Diplomat und Hofmann herab. Hirzel, der über sein Auftreten am Hofe und seinen Zylinder spottete, schreibt am 27. August an Treitschke, daß sie am Sprottenhofe den Narren an ihm gefressen haben, 2 denn sie haben ihm keine Ruhe gelassen und ihn dermaßen zur Beschleunigung seiner Abreise gedrängt, als ob die Anerkennung des Herzogs nur von seiner Ankunft abhinge. Hirzel hatte eine Zeitlang geglaubt, daß die Einreden seiner Freunde den Handel rückgängig machen könnten. Als er aber vor vierzehn Tagen zum ersten Male wieder den schwarzen Zylinder auf seinem Haupte erblickte, wußte er, was die Glocke geschlagen hatte. Busch konnte selbstverständlich nicht erwarten, wegen seiner Tätigkeit am augustenburgischen Hofe von denen seiner Freunde, die entweder schon Annexionisten waren oder auf gutem Wege zu diesem Standpunkte, mit milden Augen betrachtet zu werden. Hirzel fuhr mit seinen spöttischen Be1

S. Hierzel an Treitsche 27. 8.1864. — Freytag an Jordan 10. 8. und 2. 9.1864. Joh. Hotmann, Gustav Freytag als Politiker, Journalist und Mensch (1922) S. 23 f. 2 Vgl. die Exportware Kieler Sprotten.

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merkungen über Büschs erhabene Bestimmung, den Buschdiplomaten, Chevalier Busch und seine geheime politische Mission fort. 1 Treitschke fragte in einem Briefe vom 11. Oktober Hirzel, was Busch in der jetzigen Krisis treiben mochte: „ E r gehört hoffentlich zu den Vernünftigen, die unter a l l e n Umständen Anschluß an Preußen verlangen." 2 Hirzel mußte indessen in seiner Antwort mitteilen, daß man in Leipzig von Busch nichts hörte. Äußerst unzufrieden mit dessen Auftreten äußerte sich auch Gutschmid in dem Briefe vom 28. November an Treitschke. An und für sich wäre es natürlich Gutschmid lieb gewesen, durch Büschs Rückkehr nach Kiel einen vernünftigen Süddeutschen, mit dem er reden konnte, zu haben „unter diesem Viehzeug holsteinischer Normalmenschen". 8 Er hatte aber Busch in Verdacht, daß er es möglicherweise bewirkt hatte, daß Samwer von seinem bisherigen preußenfeindlichen Auftreten, das über kurz oder lang zur Annexion geführt hätte, abgelenkt worden war. Büschs Rückkehr und Samwers Einlenken fielen jedenfalls zusammen. Gutschmid gegenüber hatte Busch als Zweck seiner Tätigkeit bezeichnet „Versöhnung der Gegensätze, Abbringen der Schleswiger von ihren annexionistischen Wegen, die Busch für unpraktisch hält, Bewahren der Umgebung des Herzogs auf dem Pfade der Tugend und Preußenfreundschaft . . . " Wie Treitschke war auch Gutschmid fest überzeugt, daß das Ende vom Liede sein werde, daß Busch reich an Enttäuschungen heimkehrte. 4 Diese Voraussagung Gutschmids traf auch ein. Zu den durch seinen Februarartikel zum Annexionsgedanken Bekehrten meinte Treitschke auch Busch rechnen zu können. 8 Dies S. Hirzel an Treitschke 23. 9., 1 2 . 1 0 . und 3 . 1 1 . 1864. Der Brief ist ungedruckt. s Dieser Ausdruck wird in der Wiedergabe bei M. Liepmann zu „unter diesen holsteinischen Normalmenschen". 4 Vgl. Treitschke an Gutschmid 1 6 . 1 1 . 1 8 6 4 . • Treitschke an Frey tag 13. 2 . 1 8 6 5 . Schon in einem Briefe Wehrenpfennigs an Treitschke vom 19. Januar wird Busch als auf dem Wege zum Annexionisten erwähnt. 1 s

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stimmt jedenfalls teilweise mit dem überein, was Busch selbst am 12. Februar an Treitschke schrieb. Das Lesen des Artikels, sprach Busch hier aus, hätte ihn ganz und durchaus zu dem gemacht, „was ich bei meiner Herkunft im September halb, in den letzten Wochen auf Grund meiner Erfahrungen unter dem Volke und meiner Unterredungen mit dem Herzoge und Samwer zu drei Vierteln war". Er war Annexionist und wollte Kiel verlassen, was er schon vor vier Wochen Hirzel geschrieben hatte. Wenn er noch blieb — bis Ende Februar oder Mitte M&rz —, geschah es lediglich, weil er hoffte wie bisher manches hindern und für die in der Organisation begriffene Partei des engen Anschlusses, d. h. „die notgedrungen vorsichtig auftretenden Annexionisten", wirken zu können. Sehr optimistisch meinte Busch, daß die Mehrzahl sich schon wenige Monate nach erfolgter Annexion beruhigen, und daß der Rest sich im Laufe eines Jahres zufrieden geben würde. Sein Entschluß zu gehen war an und für sich leicht gefaßt, denn er war notwendig. Doch betonte er, daß er damit seiner Überzeugung ein sehr bedeutendes pekuniäres Opfer brachte. Schließlich schrieb er: „Später öffne ich vielleicht zum Besten der guten Sache den Schatz meiner Erfahrungen. Vorläufig sammeln wir noch." — Diese Schlußbemerkungen geben ja kein besonders sympathisches Bild von Busch: ein Mann, der Bich vom Herzog viel Geld bezahlen läßt und trotzdem zugunsten der entgegengesetzten Partei wirkt und Stoff zum Angriff auf den Augustenburger sammelt, Stoff, von welchem er in den nächsten Monaten einen reichlichen Gebrauch machte. Man darf es doch wohl für gegeben ansehen, daß dies Verhältnis bei Büschs Freunden Anstoß erregt hat, obschon kein direktes Bedenken dagegen zu Worte gekommen zu sein scheint. Sehr viel Zeit nach seinem Briefe an Treitschke bekam Busch doch nicht zu „sammeln" Gelegenheit. Schon am nächsten Tage schlugen Samwer und K. Lorenzen dem Herzog vor, Busch zu entlassen, weil er, wie sie behaupteten, seine Stellung im Dienste des Herzogs zu dessen Ungunsten mißbrauchte. Der Herzog wollte indessen hierfür entscheidende 96

Beweise haben. Busch beging nun die Unvorsichtigkeit, in der Nationalzeitung einen gehässigen Artikel zu veröffentlichen, und am 15. Februar bekam er darauf seinen Abschied. Für die plötzliche Lösung des Verhältnisses verlangte Busch 600 Taler.1 Gleichzeitig hiermit waren indessen seine Freunde tätig gewesen, ihm die Redaktionsstellung an den Grenzboten wieder zu verschaffen und den Bruch zwischen ihm und Freytag zu heilen. Treitschke schrieb deswegen am 13. Februar an Freytag und gleichzeitig an Busch, daß er zu den grünen Blättern zurückkehren sollte, und daß die Mißhelligkeiten mit den Leipziger Freunden sich beheben lassen würden. Dies war auch der Fall. Als ein gütiger Christ — um den Ausdruck Hirzeis zu gebrauchen — nahm Freytag sich wieder des verlorenen Sohnes an und ließ ihn „von neuem an den Grenzen Boteq laufen". 2 Vom 1. April an übernahm Busch wieder die Redaktion. Hierdurch ging der Wunsch Treitschkes, die Grenzboten als Annexionsorgan zu sehen, insoweit in Erfüllung, als Busch redaktionell das Blatt in dieser Richtung leitete. Dagegen gelang es aber Treitschke nicht, den eigentlichen Leiter des Blattes, Freytag, für ein unbedingtes Auftreten zugunsten der Annexion zu gewinnen. Als Freytag in der folgenden Zeit in den Grenzboten das Wort zugunsten des Augustenburgers und des Selbstbestimmungsrechtes Schleswig-Holsteins nahm, bekam die Zeitschrift in dieser wichtigen Frage ein Doppelgesicht. Selbstverständlich mußte Treitschke dies sehr mißfallen, namentlich auch, weil er sich gestehen mußte, daß den Artikeln Freytags gegenüber das annexionistische Auftreten Büschs nicht viel bedeutete. Das Publikum bekam, schrieb er an Busch in einem Briefe vom 5. November 1864, in welchem er den Ton Büschs tadelte, den Eindruck, daß in den Grenzboten zwei Leiter wären, ein honetter Mann, der den Augustenburger verteidigte, und ein weniger 1

So ist die Darstellung bei Jansen-Sarawer, Schleswig-Holsteins Befreiung S. 434 f. • S. Hirzel an Treitschke 15. 2.1865, vgl. 25. 2. und 6. 3.1865. — Freytag an Treitschke 17. 2.1865. A. Dove, Freytag und Heinrich von Treitschke im Briefwechsel, 1900. Treitschke 7

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honetter, der Annexionist war. Welch trauriges Verhältnis, schreibt er an anderer Stelle: Freytag auf dem Holzwege und Busch die Vernunft mit unvernünftigen Mitteln verteidigen zu sehen.1 Diesen Widerspruch in der Haltung der Grenzboten wollen wir hier nicht im einzelnen behandeln. Dagegen müssen wir mit ein paar Worten das Auftreten Freytags in der Frage berühren, weil es von großem prinzipiellem Interesse ist. Gleichfalls wollen wir bei den privaten Erwägungen verweilen, die zwischen Freytag und Treitschke stattfanden. Der Unterschied der Ansichten zerstörte doch nicht ihr gegenseitiges Freundschaftsverhältnis. Es ist früher erwähnt, daß Freytag im November 1863 seine Feder in den Dienst der augustenburgischen Partei gestellt hatte. Seine vieljährige Freundschaft mit Samwer, sein Verhältnis zu dem Gothaischen Hofe, an welchem der Augustenburger ein häufiger Gast war, und die ganze Einstellung der liberalen und nationalen Partei zu der Zeit machte sein Auftreten vollkommen verständlich. Daß seine Ansicht von dem Augustenburger als Prätendenten nicht ganz mit dem in den Grenzboten gegebenen Glanzbild zusammenfiel, ist auch oben erwähnt. An seinen Freund Karl Mathy schrieb er am 6. Dezember 1863: „Der neue Herzog, ein ernsthafter Mann, auf einen klugen Kopf von der Natur angelegt, philiströs, mit einem guten Teil fürstlichen Egoismus, kühl, vielleicht dauerhafter Kraft fähig, aber als deutscher Prinz verkümmert, bringt für seine Prätendentenrolle keineswegs irgend genügende Vorbereitung mit, und es fehlt ihm der Vigor, welcher anderen die Kraft vermehrt, gänzlich. Er wird, wenn es auf ihn allein ankommt, ein recht anständiger tüchtiger Prätendent bleiben. Doch ist er allerdings in diesen acht Tagen durch seine Situation gehoben; ob das aushält und sich steigert, weiß ich nicht." — Es scheint, daß Freytag recht schnell eine kritische Auffassung von dem Prätendenten und seiner Umgebung Tätigkeit bekommen habe. Schon am 1

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Treitschke an S. Hirzel 12.11.1865, ungedruckter Brief.

9. Januar 1864 schreibt S. Hirzel an Treitschke von Freytag: „Er ist manchmal wohl über die junge Diplomatie im Augustenburger Palais in gelinder Verzweiflung gewesen." Diese Äußerung geht doch wahrscheinlich auf Mitteilungen Freytags selbst über seine Auffassung zurück. Bereits in einem Artikel um den 1. März 1864: „Die preußische Politik" nahmen die Grenzboten Stellung zu der Frage einer möglichen Eroberung der Herzogtümer zugunsten Preußens. Als den Verfasser des Artikels darf man wohl mit einigem Grund Freytag selbst vermuten. Hier hieß es u. a.: „ . . . wir sind weit preußischer als Herr von Bismarck, und unser ganzer bescheidener Widerspruch gegen seine innere und äußere Politik hat keinen anderen Grund, als daß es seinem Ministerium noch in keinem Augenblick gelungen ist, Preußens Autorität, Macht und Einfluß in Europa zu vergrößern." Der Artikel bezweifelte, daß dieses auf seinem Wege möglich sei: „Wäre es denkbar, die Herzogtümer jetzt mit freiem Willen der Bevölkerung, mit Schonung der Erbansprüche seines Herzogs, welche die öffentliche Meinung Deutschlands anerkannt hat, mit Preußen zu verbinden, so würden wir diesen Erfolg für einen so hohen und segensreichen halten, daß er die größten Opfer rechtfertigte." Vor einigen Jahren — d. h. unter der liberalen Ära — wäre es möglich gewesen, ein solches Ziel zu erreichen; jetzt aber war alle Mühe verloren. Die Ursache suchte der Artikel in dem gegenwärtigen unfertigen inneren Zustand Preußens; die herrschende Regierung war leider die unpopulärste in ganz Europa. Den Gedanken einer engeren Verbindung der Herzogtümer mit Preußen in irgendeiner Zukunft wollte der Artikel doch nicht von sich weisen: „Und es gibt dafür vielleicht auch einen Modus, welcher den Erfolg wahrscheinlich macht, insofern er alle zunächst Beteiligten zufrieden stellt. Aber die Voraussetzung ist ein ganz anderes System in Preußen selbst. Und es ist unnütz, jetzt darüber ein Wort zu verlieren." 1 1

Vgl. mit der in diesem Artikel dargestellten Auffassung den Brief Freytags an Dunker vom 26.1.1861: Duncker, Briefwechsel S. 258.

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Die Auffassung von der Politik Bismarcks, die in dem Artikel hier zu Worte kam, war ja die allgemeine liberale. Die Behauptung, daß es dieser Politik nicht gelingen würde, Preußens „Autorität, Macht und Einfluß" zu vergrößern, wurde indessen im Laufe des Jahres jedenfalls teilweise zuschanden gemacht. Der Umschlag in den Ansichten Treitschkes als Folge der äußeren Ereignisse ist oben behandelt. Gleichzeitig damit, daß Treitschke offen und resolut für die Annexion eintrat, nahm Freytag die Frage der Stellung der Herzogtümer zu Preußen von neuem auf. Ein großer Teil der Liberalen in Preußen war nämlich jetzt für die Annexion gestimmt. Jn den Grenzboten veröffentlichte er im Januar 1865 einen Aufsatz „Annexion oder Anschluß der Herzogtümer" (Grenzboten Nr. 2); auch späterhin fand er diesen Aufsatz noch so bedeutungsvoll, daß er ihn in seine politischen Aufsätze (1888) aufnahm. Möglicherweise ist der Artikel Freytags auch für das Auftreten Treitschkes mitwirkend gewesen. Jedenfalls sind es — übrigens verständlich genug — dieselben Prinzipienfragen, die erwogen werden, und ihre Behandlung ist für den Charakter und das Temperament der beiden Männer sehr bezeichnend. Während Treitschke, wie er sich privat ausdrückte, wollte, daß die deutsche Nation sich zu dem heilsamen Jesuitismus entschließen sollte, mit einem Fußtritte den elenden Prätendenten zu entfernen, für welchen er nur die größte Verachtung empfand, 1 so verstieß ein solches Auftreten gegen die zarteren Empfindungen Freytags. Es war auch nicht mit seinen geschliffenen Hofsitten übereinstimmend, über die seine Bekannten sich zuweilen aufhielten. Die Vergangenheit focht ihn außerdem offenbar ein wenig mehr an, als es bei Treitschke der Fall war. „Wir haben", schrieb er, „das Recht des Herzogs Friedrich von Schleswig-Holstein stark betont, solange dieses Recht der Schutz der Herzogtümer gegen die Herrschaft der Dänen war, wir dürfen dies Recht 1

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Treitschke an S. Hirzel 12. 2. 1865, und an Freytag 1.10.1865.

jetzt nicht als gleichgültig beiseite werfen." Dagegen war es „nach unseren Parteigrundsätzen erlaubt", dem Herzog zuzumuten, daß er selbst sein Recht opfere, wie man jeder anderen deutschen Dynastie Resignation zumuten könnte zugunsten der deutschen Frage. Wenn aber der Herzog sein Recht nicht opfern wollte ? Diese Frage wirft Freytag nicht auf, trotz seiner geschliffenen Ausdrucksweise darf man doch wohl annehmen, daß er davor nicht zurückweichen würde, den Herzog zur Resignation zu zwingen. Größeres Bedenken als das Legitimitätsprinzip erregte bei Freytag augenscheinlich das Prinzip des Selbstbestimmungsrechtes. „In keinem Falle", sprach er aus, „dürfen wir dem Volke von Schleswig-Holstein Zwang oder Gewalt antun lassen, selbst nicht um das zu fördern, was wir für sein bestes Heil halten. In dem Respekt vor dem Volkswillen liegt das letzte Geheimnis unserer Stärke, diese Rücksicht bestimmt und beschränkt auch gebieterisch die Mittel und Wege unserer Politik." Wenn Freytag hier von dem Volkswillen redet, so muß man doch betonen, daß dieser ihm nicht mit einer aus dem allgemeinen Wahlrecht hervorgegangenen Mehrheit gleichbedeutend war. An dem allgemeinen Wahlrecht nahm er, als Bismarck es für den norddeutschen Reichstag einführte, starken Anstoß. 1 Eine demokratische Natur war er nicht. Man kann als Zeugnis hierfür z. B . seinen Aufsatz von 1848 „Die Kunst, ein dauerhafter Minister zu werden" anführen mit seinen ironischen Betrachtungen darüber, wie man sich Volksgunst erwirbt. 2 Oder man kann die Schilderung lesen, wie er sich selbst Volksgunst unter den Wählern verschaffen mußte, um seine Wahl in den norddeutschen Reichstag durchzusetzen. „Ach, dies allgemeine Wahlrecht ruiniert den Charakter, fünfzig Jahre lang habe ich mich um Popularität nicht gekümmert, und jetzt sende ich einen Blumenstrauß an 1 Frey tag an Herzog Ernst 2 1 . 1 . 1 8 6 7 ; Ed. Tempeltey, Gustav Freytag und Herzog Ernst von Coburg im Briefwechsel, 1904, S. 213. ! Politische Aufsätze S. 11 ff.

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eine Wöchnerin, von der ich nicht weiß, ob sie einen Jungen oder ein Mädel taufen läßt, und schüttle hundert guten Freunden die Hand, deren Namen ich nicht weiß und niemals wissen werde. Pfui Bismarck, das war kein Meisterstreich. Und zuletzt wird doch noch irgendein andrer gewählt!" 1 E r nennt weiter seine Wahlagitation „eine Übung in den tiefsten Tönen der Leutseligkeit und in einer Überzeugungstreue, welche die Arme des Wählers öffnet. Diese Wahlen verderben uns den Charakter 1 Wo ist der schöne Stolz der Grenzboten hin ? Menschenverachtung und Zerknirschung der Individuen. — Milch der Liebe muß jetzt massenweise geschenkt werden, und natürliche Größe des deutschen Wählers ist die Losung." 2 Volkswille war für Freytag die Ansicht der wohlhabenden und aufgeklärten Bürgerschaft, aber selbst an dem Respekt vor diesem klebten, das räumte er in dem Aufsatze ein, gewisse Mängel. Diese Mängel bestanden in dem gegebenen Falle, um das Ding beim rechten Namen zu nennen, darin, daß der Volkswille nicht immer wollte, was Freytag und seine Parteigenossen wollten. ,,In manchen Landschaften", schrieb er, „empfindet gerade der Liberalste mit bitterem Schmerz, wie unvollständig in der Mehrzahl seiner Mitbürger das politische Bedürfnis nach einem größeren Staatsbau entwickelt ist, und wie wenig Berechtigung dort die Tagesstimmung der Bevölkerung hat, welche über den Kirchturm der Heimat noch nicht hinausreicht. Solcher Erkenntnis liegt die Auffassung nahe, daß auch der Wert des Volkswillens in der Politik weder ein unveränderlicher noch ein höchster Wert sei, daß eine Schwäche und Beschränktheit des Volkswillens zu gleicher Zeit eine Schwäche und Beschränktheit unserer Partei w i r d . . . . " — Frey tag wollte auch nicht verneinen, daß der Lauf der Dinge sich selten nach den Grund1 Freytag an Herzog Ernst 3 0 . 1 . 1 8 6 7 ; Tempeltey S. 216. — Freytag wurde doch gewählt, sah aber bald ein, daß sein Platz nicht in der politischen Arena war und legte sein Mandat nieder. 2 Freytag an Jordan 9 . 2 . 1 8 6 7 ; Hofmann a . a . O . S. 32.

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Sätzen einer Partei vollzog, oder daß ein offenes Unrecht zu gutem Recht werden könnte. Er gestand weiter zu, daß wenn die herrschende preußische Regierung Mut und Kraft hätte, große Eroberungspolitik zu treiben, für welche er die Verhältnisse nicht ungünstig fand, „so würde ohne Zweifel durch die Schlußergebnisse des Kampfes nicht nur das gegenwärtige System in Preußen sich ändern, es würden auch nach wenig Jahren sehr viele der Unzufriedensten völlig bekehrt sein". Indessen wollte er doch nicht weiter gehen als zuzugestehen, daß er und seine Partei in die Lage kommen könnten, in der Stille erfreut zu sein, daß kühne Gegner taten, was ihnen selbst aus Parteirücksichten durchzusetzen unmöglich war. Eine Parallele zu diesem Gedankengang kann man wohl in seinem Aufsatz „Louis Buonaparte und die öffentliche Meinung" (Grenzboten 1850 Nr. 50) erblicken. 1 Er äußert hier, daß wenn z. B. ein Dachziegel oder ein Übeltäter seinen Feind erschlägt, welcher ihm das Leben sehr verbittert und seinen Verdienst geschädigt hat, so werde er sich der wiedergewonnenen Ruhe und der vermehrten Einnahmen von Herzen erfreuen. Dagegen würde es schlecht gehandelt sein, wenn er in seiner Freude dem Mörder Zuneigung bezeugte oder den Dachziegel in Gold fassen wollte. — Auch nicht in diesem Artikel wollte er das Räsonnement gelten lassen, daß die Zukunft das geschehene Unrecht rechtfertigen würde. „Wir. . . , die Mitlebenden, in dem Augenblick, wo wir die Tat selbst erleben, haben gar kein Recht, dieselbe durch den Hinweis auf ihre wahrscheinlichen Folgen zu beschönigen oder zu verteidigen. Wir sind nicht allwissend und allweise und vermögen die Zukunft nicht zu durchdringen, wir haben einfach und bescheiden die Tat danach zu beurteilen, wie sie sich zu den öffentlichen Grundsätzen unsres gegenwärtigen Lebens verhält. Einen andern Maßstab gibt es für das Gegenwärtige, Geschehende nicht, und alle sogenannten höheren Standpunkte führen nur zu Sophisterei und Trugschlüssen." 1

Die betreffenden Stellen in den Politischen Aufsätzen S. 189 f.

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Man darf wohl fragen, ob nicht schon die stille Freude über den Dachziegel, trotzdem man es unterließ, ihn in Gold zu fassen, einen Schritt auf der Gleitbahn, die vom Liberalismus hinwegführte, bedeutete. Wie weit war es denn eigentlich von der stillen Freude zu dem stillen Wunsch und von diesem zum offenen Geständnis des Wunsches ? Im Jahre 1870, als die Möglichkeit einer Verwerfung des Vertrages Bayerns mit Preußen durch den bayrischen Landtag bestand, wurde es von Liberalen ausgesprochen, daß sie nicht gegen einen möglichen Antikonstitutionalismus zugunsten der Genehmigung des Vertrages opponieren würden. 1 Solches kann schwerlich denjenigen wundern, der gesehen hat, daß Parteigrundsätze gewöhnlich so lange gelten, als sie für das gewünschte Ziel als dienlich gelten. Weiter könnte man aber fragen, ob ein gewünschtes großes Ziel, welches durch den Gebrauch „unsittlicher" oder vom Standpunkte der Partei verwerflicher Mittel erreicht worden ist, in sich selbst Bestand haben werde. Man sieht nicht, daß Freytag diese Frage näher behandelt hat, seine Bemerkungen aber, daß ein Unrecht zum Recht werden kann, muß man wohl dahin deuten, daß er hier keine größeren Schwierigkeiten sah. Abgesehen von der eventuellen stillen Freude wollte Freytag in dem Aufsätze sich nicht mit der Politik Bismarcks befassen. Diese war, und hier hielt er an den von ihm durch die Jahre verfochtenen Ansichten fest, auch gar nicht nötig, um das ersehnte Ziel: die Einheit Deutschlands durch Preußen herbeizuführen. „Die eine Hälfte Deutschlands heißt Preußen, die andere Hälfte ist in vielen wichtigen Beziehungen bereits von dem Leben dieses Staates so abhängig, wie nur ein Klientelstaat sein kann." Freytag denkt hier namentlich an den preußischen Zollverein. Die Einheit war nur eine Frage der Zeit. Die bisherigen Ergebnisse waren nach den Grundsätzen des Liberalismus erreicht worden, und die liberale Partei hatte keine Ursache, ihre Operationen zu ändern, weil die 1

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H. Oncken, R.V.Bennigsen II S. 209.

Chancen für einen kecken Entschluß gestiegen waren. Aber die schleswig-holsteinische Frage, behauptete Freytag wieder, durfte überhaupt nicht nach Zweckmäßigkeitsgründen, sondern nur rein prinzipiell behandelt werden: „Weshalb betonen wir überall das Selbstbestimmungsrecht der Völker? Weil wir darin den edelsten Ausdruck der politischen Freiheit finden, welche wir für uns, wie für andere fordern. Ist es redlich und klug hier liberal zu sein, dort Zwang ausüben zu lassen ? Heute einen großen Grundsatz nachdrücklich auszusprechen, morgen denselben Satz aus Nützlichkeitsgründen gleichgültig preiszugeben ?" Weshalb sollen wir besser als die Schleswig-Holsteiner selbst beurteilen können, was ihnen frommt ? Um ihre Zukunft gehe es doch, und es sei Pflicht der Liberalen zu fordern, daß das schleswig-holsteinische Volk Mitbestimmungsrecht über sein eigenes Schicksal bekomme. Freytag war also, obschon er in dem Aufsatze offen aussprach, daß er es für das beste sowohl für die SchleswigHolsteiner als „für uns" erachtete, daß sie Preußen würden, noch nicht bereit „die leitenden Grundsätze des Liberalismus" zu opfern und mit Bismarck wenigstens in der Stille zufrieden zu sein, falls er nur Kraft zeigte.1 Er konnte doch nicht blind dafür sein, daß die Entwicklung in dieser Richtung ging. Möglicherweise mit Beziehimg auf eine Äußerung Treitschkes in „Bundesstaat und Einheitsstaat" 2 von dem Cäsarismus als einem gewiß schweren aber doch erträglichen Übergangsstadium zum Einheitsstaate schrieb er: „In Deutschland ist manchen feurigen Geistern die Sehnsucht nach stärkerer Konzentration so hoch gesteigert, daß sie auch eine Tyrannis mit Freuden begrüßen würden, welche ihnen die Grundlagen eines großen Staatslebens zu schaffen vermöchte." Wenn die Annexion, ohne die Grundsätze der liberalen Partei zu opfern, durchgesetzt werden konnte, dann, so darf man aus dem Aufsatze folgern, war Freytag Annexionist. 1 2

Freytag an Herzog Ernst 31.12.1864. Tempeltey S. 199. Historische und politische Aufsätze II S. 78.

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Wie früher gezeigt, war er auch bereit, Busch die Redaktion der Grenzboten wieder zu übertragen. Büschs Meinungsänderung muß ihm doch wohl bekannt gewesen sein. Schon bevor Treitschke in seinem Briefe vom 13. Februar zu Büschs Gunsten intervenierte, hatte Freytag ihn aufgefordert, zur Redaktion zurückzukehren. In demselben Briefe forderte Treitschke Freytag kräftig auf, die Grenzboten in der Annexionsfrage Farbe bekennen zu lassen unter Hinweis auf seinen eigenen Aufsatz in den Preußischen Jahrbüchern. „Bei dieser Frage muß sich's zeigen, ob einer ein guter Preuße oder ein Parteifanatiker ist." In Georg Reimers Brief vom 16. Februar an Treitschke heißt es nun, daß Freytag sich sehr einverstanden mit Treitschkes Lösung der schleswig-holsteinischen Frage erklärt habe. Ganz so einfach war seine Haltung aber doch nicht, und bald zeigte sich, daß Treitschke seinen Wunsch, ihn als Annexionisten auftreten zu sehen, aufgeben mußte. Freytag beantwortete die genannte Aufforderung Treitschkes durch einen Brief am 17. Er lobte „die schöne Kraft" der Treitschkeschen Flugschrift, glaubte aber, daß sie eher gegen ihre Absicht wirken würde. Sie würde den trägen Holsteinern die Bewegung zum Anschluß erleichtern, wodurch die Annexion also mißlinge. „Sie selbst können die Annexion nicht feuriger wünchen als ich. Der Unterschied zwischen uns ist nur, daß ich sie nicht einen Augenblick für möglich gehalten habe, seit Bismarck mit Österreich die dänische Beute übernahm." Unter dem herrschenden System in Preußen fand Freytag sogar den Anschluß beinahe unmöglich. — Bismarcks Verzögerung der Sache würde gewiß nicht eine entschiedene Majorität in den Herzogtümern zugunsten der Annexion hervorbringen. Und wenn man auch die Beistimmung der Herzogtümer für entbehrlich hielt, würde durch die Politik der Verschleppung nur in dem Falle etwas gewonnen sein, wenn eine günstige europäische Konstellation eintrete, und eine solche sah Freytag als unwahrscheinlich an. Nach diesen Betrachtungen fuhr Freytag indessen fort: „Das alles hätte 106

mich nicht' gehindert, die Grenzboten vorgehen zu lassen, es möchte gut sein, einmal Fanfare zu blasen. Von den Gründen, welche mich zur Vorsicht genötigt haben, nenne ich Ihnen, bis wir uns sprechen, nur einen: Busch steht noch als Redakteur auf dem Blatt und war b i s E n d e v o r i g e r W o c h e im Solde des Herzogs von Schleswig-Holstein. Durfte ich den armen Jungen ganz zum Lumpen machen?" Während Freytag also nicht selbst zugunsten des Annexionsgedankens auftreten wollte, erklärte er im Briefe, daß die Grenzboten dagegen gerne ihre Spalten der Auffassung Treitschkes öffneten. Eine Veranlassung für ihn, in den Grenzboten seine Auffassung zu entwickeln, sah Freytag in einem Angriffe, den der liberale Historiker, Professor Karl Biedermann in Leipzig, in der von ihm seit 1863 redigierten Deutschen Allgemeinen Zeitung gegen Treitschke gerichtet hatte. Freytag wünschte um so mehr, daß Treitschke Biedermjuin auf das Haupt schlüge, weil dieser gleichfalls in einer in Leipzig abgehaltenen Versammlung des Nationalvereins gegen Treitschke polemisiert hatte. Treitschke ergriff auch den gegebenen Anlaß, obschon er später meinte, daß keine Lorbeeren in einer Polemik gegen Biedermann zu pflücken seien. In einem kurzen Aufsatze „Herr B i e d e r m a n n u n d die A n n e x i o n " , datiert vom 22. Februar und an die Redaktion der Grenzboten gerichtet, beschäftigte er sich in etwas überlegener und ziemlich spöttischer Weise mit Biedermanns Artikeln. Unter den mannigfachen Angriffen, die seine Schrift „Die Lösung der schleswigholsteinischen Frage" hervorgerufen, zeichneten die Artikel Biedermanns, so schrieb er, sich besonders sowohl durch ihren achtunggebietenden Umfang als auch durch einen unverhältnismäßigen Aufwand von sittlicher Entrüstung aus. Keiner seiner Gegner, fand er, hatte die Bedenken widerlegt, welche er gegen die Lebensfähigkeit eines herzoglichen Schleswig-Holsteins unter preußischer Oberhoheit angeführt hatte. Früher oder später würde es von dem größeren Staate verschlungen werden. Wenn Biedermann und Parteigenossen 107

aussprächen, daß es ihre Absicht gar nicht sei, einen dauerhaften Zustand in den Herzogtümern zu begründen, dagegen aber ein Provisorium zu schaffen bis zur endlichen Lösung der deutschen Frage durch Bildung eines deutschen Bundesstaates, so bemerkte Treitschke hierzu, daß die SchleswigHolsteiner sich bei Biedermann für seine schmeichelhafte Meinung bedanken möchten. Er für seine Person könne sich nicht entschließen „einen edlen deutschen Stamm als einen Kadaver zu betrachten, gut genug, um versuchsweise während zweier Menschenalter erbkaiserlich-bundesstaatliche Experimente mit ihm anzustellen". Glücklicherweise begann auch in den Herzogtümern selbst die Einsicht sich zu regen, daß die Nordmark einer endgültigen Regelung ihrer Verhältnisse bedürfe. Während die undeutsche Gesinnung der Partikularisten von Tag zu Tag greller hervortrat, erhob eine tapfere Partei im Lande schon den Ruf: Anschluß an Preußen um jeden Preis! Wie es sich dem Patrioten geziemte, stellte sie die Pflicht gegen Deutschland höher als die Rücksicht auf das deutsche Privatfürstenrecht. „Das sind gute Zeichen, hocherfreuliche Tatsachen." Biedermann hatte die Meinung Treitschkes unklar gefunden, und Treitschke wollte ihm deshalb mit wenigen Worten reinen Wein einschenken. In scharfem Gegensatz zu seinen Äußerungen in „Bundesstaat und Einheitsstaat" verneinte er, daß ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Lösung der schleswig-holsteinischen und der deutschen Frage bestehe. Der wichtigste Fortschritt, den Deutschlands Einheit in den jüngsten zwei Jahrhunderten gemacht hatte, bestand für Treitschke darin, daß Preußen zti einer Großmacht herangewachsen war und verlebte Kleinstaaten seinem kräftigen Körper angegliedert hatte. Preußens Macht zu wahren und zu mehren war die erste Pflicht jedes deutschen Patrioten. Nun schien für Preußen eine Möglichkeit zu bestehen, seine Grenzen zu erweitern, und alle seien verpflichtet, dies preiswürdige Unternehmen zu unterstützen. Diese Ansichten könnte Biedermann gern falsch, ruchlos oder auch „un108

organisch" finden, es schien ihm aber, daß sie an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließen. — Trotz der Äußerung, daß Preußen einige Aussicht auf Erweiterung seiner Grenzen habe, heißt es doch späterhin in dem Artikel, daß der Ausgang des transaLbingischen Handels schwerlich den Hoffnungen der Patrioten entsprechen werde — wegen der Verbindung Preußens mit Österreich und möglicher Eingriffe fremder Mächte. Obschon die Haltung der Presse auf diese Dinge freilich geringen Einfluß ausüben würde, konnte nach Treitschkes Ansicht einem großen Teil der liberalen Zeitungen der Vorwurf nicht erspart werden, daß sie nicht rechtzeitig verstanden hätten, über einer großen nationalen Machtfrage den Groll der Partei zu vergessen. Beim schäumenden Becher wären die Deutschen eine Nation, käme es aber zum Handeln, dann wären es dreiunddreißig. — Eine Bemerkung, daß im Augenblicke ein ähnlicher Gesinnungsterrorismus bestände wie im Jahre 1859, war von der Redaktion der Grenzboten gestrichen worden, und Treitschke war überhaupt etwas ärgerlich über die Weise, in der sein Aufsatz „gezähmt" worden war. „Den gezähmten AntiBiedermann" nennt er den Aufsatz. 1 Die mündliche Erörterung der Annexionsfrage zwischen Freytag und Treitschke fand während eines Besuches von Treitschke in Leipzig Anfang März statt. Von dem, was Freytag in dieser Auseinandersetzung dagegen angeführt hat, selbst als Vorkämpfer der Annexion aufzutreten, darüber können wir nur etwas vermuten auf Grund einiger Äußerungen in einem kurz danach geschriebenen Brief von Treitschke an Freytag. 2 Es heißt darin, daß Treitschke sich die Stimmung des „Kitzing" 3 etwas anders gewünscht hätte, 1 Treitschke an S. Hirzel 6. 3. 1865; vgl. Hirzel an Treitschk6 25.2. u. 6. 3.1865. Es mag erwähnt werden, daß Treitschke im Jahre 1866 sich mit Biedermann versöhnte. Briefe III S. 65. 2 Dieser Brief, vom 16. 3., ist bei A. Dove, G. Freytag und H. v. Treitschke im Briefwechsel, gedruckt. s Bierstube in Leipzig, in der G. Freytags politische Freunde sich zu versammeln pflegten.

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was Freytag einem brutalen Annexionisten zugute halten müßte. „Die Schwierigkeit Ihrer persönlichen Lage habe ich früher nicht genug gewürdigt. Nach den Gothaer Erlebnissen muß es Ihnen unendlich schwer fallen, den Herzog fallen zu lassen; aber ich denke, der Entschluß wird in einigen Monaten doch gefaßt werden müssen, die Verblendung der Augustenburger scheint unheilbar." Mit Anfang des Aprilquartals übernahm Busch, wie oben erwähnt, wieder die Redaktion der Grenzboten. Am 1. März hatte er Treitschke mitgeteilt, daß er zu den Grenzboten zurückgekehrt sei, aber vorläufig vier Wochen Urlaub bekommen habe, die er dazu gebrauchte, das hauptsächlichste seiner Erfahrungen in Kiel zu Papier zu bringen. 1 Sein Abschied von der Kieler Couleur war friedlich gewesen, hatte er gleichzeitig erzählt, und er meinte, daß Treitschke es begrüßen würde, daß er den Herren in Kiel für die nächsten Monate nur ein stummer Gegner, jedenfalls kein Gegner schwarz auf weiß sein wollte. Mündlich hatte er indessen nach Kräften unter den Abgeordneten in Berlin für die Aufklärung gearbeitet, und gleichfalls hatte er Wehrenpfennig einige Weisungen erteilt, wie die zweite Auflage der kleinen Schandschrift Treitschkes mit Erfolg in Holstein und Schleswig unter die Leute zu bringen sei. Weiter hatte er offenbar, was aus einem Briefe Wehrenpfennigs vom 10. März an Treitschke hervorgeht, diesem einen schleswig-holsteinischen Artikel versprochen — ein sehr wertvolles Versprechen nennt Wehrenpfennig es. Dieses Versprechen löste Busch ein durch die in dem Aprilheft der Jahrbücher veröffentlichte Korrespondenz „aus Holstein", „Die Parteien in Schleswig-Holstein", der im Maiheft ein neuer Artikel „Die Zukunft Schleswig-Holsteins" folgte. Die beiden Artikel erschienen anonym, diese Anonymität allein kann doch wohl nicht der Zusage Büschs in dem Briefe an Treitschke Genüge leisten, daß er den Augusten1 Vgl. S. Hirzel an Treitschke 6.3.1865; Freytag an Jordan 27.2. 1865; Johs. Hofmann a. a. O. S. 25.

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burgern ein „stummer Gegner" sein wollte. Es scheint eigentlich auch, daß Treitschke wenig zufrieden mit Wehrenpfennigs Mitteilung von dem Auftreten Büschs gewesen ist, Wehrenpfennig verteidigte sich aber damit, daß es nicht möglich wäre, Busch längere Zeit in Quarantäne zu halten. 1 Die erste Freude des Redakteurs über die Mitarbeiterschaft Büschs wurde doch bald von anderen Empfindungen abgelöst und von Klagen über den persönlichen Ton, der durch die erwähnten Artikel Büschs ging, und der Wehrenpfennig Verdrießlichkeiten bereitete. Die Anonymität wurde außerdem entschleiert, da Samwer erriet, wer der Verfasser war, und von einem seiner Kerls Busch in einer Frankfurter Zeitung züchtigen ließ.2 Von dem Ton in den Artikeln Büschs genügt es wohl, wenn man sagt, daß er dem Gutschmids in der früher erwähnten Schilderung der Holsteiner ähnlich ist. Gutschmid und Busch scheinen auch gegenseitig Gefallen an ihrer Schreibweise gefunden zu haben. Der erste der Aufsätze behandelte ausführlich die Parteistellung in den Herzogtümern, während der andere ein Bild zu geben versuchte von der wahrscheinlichen Zukunft des Landes, wenn ein selbständiges oder zum Teil selbständiges Schleswig-Holstein geschaffen würde. Diese Zukunft wurde in den trübsten Farben gemalt, und die Aufsätze räumten stark auf mit den üblichen Vorstellungen, daß in Schleswig-Holstein eine Elite von Deutschen wohne oder daß die Augustenburger ein besonders auserwähltes Herrscherhaus seien. Namentlich wurde der alte Herzog von Augustenburg schlimm mitgenommen, und es hieß von dessen Ratgebern u. a., daß sie erst augustenburgisch, dann schleswig-holsteinisch und zuletzt erst ein wenig deutsch dächten. Es wurde von dem pergamentnen Sacrosanctum geredet, und daß alle Rechte 1

Dies ist mein Eindruck von dem Briefe Wehrenpfennigs an Treitschke vom 15. 3.1865. * Büschs eigene Ausdrücke in einem undatierten Brief an Treitschke, vgl. Wehrenpfennig an Treitschke 13. 5.1865.

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biegsam seien, nur das alte versteinerte Recht des herzoglichen Hauses nicht. Von dem Vertrag Christian Augusts mit Dänemark im Jahre 1852 hieß es in dem letzten Aufsatz, daß die Behauptung, der Herzog habe die Erbfolge nicht verkauft, er habe nur versprochen, nichts gegen die neue Ordnung des Erbgangs zu tun, eine rabulistische Spitzfindigkeit sei. Dagegen war es vermutlich wohl richtig, daß der Herzog nicht ohne Zustimmung seiner damals bereits majorennen Söhne hätte verzichten können, aber wie sollte man es denn nennen, wenn jemand etwas gegen bare Zahlung weggab, worüber er nicht verfügen konnte ? — Es wimmelte in den Aufsätzen von Spottworten wie Elitemenschen, Mustermenschen, meerumschlungenen Vorurteilen usw., und von der früher hochgepriesenen Zähigkeit wurde nun gesagt, daß sie mehr mit der Trägheit als mit der Tapferkeit verwandt sei. Von dem schleswig-holsteinischen Bauer hieß es, daß er steif an dem Rechte oder an dem, was ihm einmal als solches imponiert hätte, festhielt, „ein Starrsinn, der in unserem Falle den Dänen gegenüber manchen Vorteil bot, aber jetzt, wo es die Befreiung für das Gesamtinteresse Deutschlands nutzbar zu machen gilt, ebenso oft zum Hindernis wird". Dem demokratischen Selbstbestimmungsrechte wurde auch nicht länger eine große Bedeutung zugeschrieben, und es wurde hervorgehoben, wie die Massenkundgebungen zugunsten des Augustenburgers künstlich gemacht würden. Von den Unterschriften auf den augustenburgischen Adressen wurde bemerkt, daß man sie nicht wägen dürfe und noch weniger die Betreffenden fragen, aus welchen Gründen und auf welchem Wege sie ihre Namen gegeben. In Verbindung hiermit kann vielleicht erwähnt werden, was Busch in einem (undatierten) Brief an Treitschke erklärt, wie das augustenburgische Pressebureau in Kiel wirkte (im Jahre 1864 ?). Ein obskurer Skribent des Pressebureaus machte augustenburgische Artikel für ein Hamburger Winkelblatt. Diese Artikel wurden dann als Beispiele der öffentlichen Meinung ausgeschnitten und nach Paris geschickt, wo Leute, die im 112

Solde des Herzogs standen, sie für die dortige Presse übersetzen. Danach wurden sie wieder ausgeschnitten und an das „auswärtige Departement" in Kiel geschickt, welches sie wieder als Ausdruck der Pariser öffentlichen Meinung für deutsche Blätter übersetzte. Ist es nicht allerliebst, äußert Busch, wie die Schlange sich in den Schwanz biß und der Hund sein eigenes Angebrochenes wieder fraß ? Solche Betrachtungen wie die, welche Busch hier anstellt, wie eine öffentliche Meinung und der Volkswille gebildet werden, wirken natürlich in unserer der Demokratie etwas nüchterner gegenüberstehenden Zeit nicht mehr so fremdartig. Etwas wunderlich wirkt es aber natürlich, daß alles, was im Kampfe gegen Dänemark als so heilig und erhaben gegolten hatte, jetzt nach und nach als leer und inhaltlos angesehen wurde. Die Enthüllung von Busch als Verfasser der „Bomben" in den Preußischen Jahrbüchern bewirkte möglicherweise, daß er es nicht nötig fand, sich zukünftig Zwang aufzuerlegen. Jedenfalls wurde jetzt auch in den Grenzboten1 eine Korrespondenz aus Schleswig-Holstein veröffentlicht, die sehr gehässig gegen die herzogliche Familie war. Unter anderem schilderte diese die Wiedererwerbung Grevensteins durch Christian August und seine Ankunft in Grevenstein. Die Demonstrationen der Bevölkerung bei dieser Gelegenheit wurden sehr höhnisch erwähnt: sie kamen aus der bekannten Fabrik solcher Kundgebungen „zur Verstärkung der partikularistischen Gesinnungstüchtigkeit und zur Täuschung der öffentlichen Meinung in Deutschland". Wie man auf Alsen und im Sundewitt früher über den Herzog dachte, war ja bekannt. „Viele haßten ihn sogar und nicht ohne Ursache." Ähnliche Äußerungen waren übrigens in den Aufsätzen der Preußischen Jahrbücher enthalten. Über Bombe Nr. II in diesen hatte Busch sehr gewünscht, Treitschkes Meinung zu erfahren, und in einem Briefe vom 13. Juni dankte Treitschke auch Busch herzlich für „die letzten literarischen Sünden in den grünen und den blauen Blättern", d< h. Grenzboten 1

1. Sem. 2. Bd. S. 436—440.

Treitschke

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und Preußischen Jahrbüchern. Die transalbingischen Bomben Büschs, schrieb er, müßten jeden überzeugen, der nicht blind sein wolle, aber dieses wollte ja leider das souveräne Volk. Der Ton der Artikel war doch, fand er, etwas zu boshaft und persönlich: „das ist ihr einziger Fehler". Wegen des Tons wurde Busch überhaupt in der folgenden Zeit von seinen Freunden oft getadelt, sie fanden, daß sein Aufenthalt in den Herzogtümern ihn moralisch schwer geschädigt habe.1 Bezüglich des Inhalts der Grenzboten vor diesem offenen Angriff auf die herzogliche Familie soll erwähnt werden, daß gleichzeitig das Erbrecht des Prinzen Friedrich andauernd anerkannt wurde und die Zeitschrift die Bedingungen befürwortete, die Preußen am 25. Februar aufgestellt hatte, deren Erfüllung zuerst gesichert werden sollte, bevor es sich überhaupt auf eine Erörterung der Anerkennung der Erbansprüche des Augustenburgers einließe. Diese Bedingungen bedeuteten ein sehr starkes Abhängigkeitsverhältnis der Herzogtümer von Preußen. Weiter kann der mit einem wenig taktvollen Motto versehene Aufsatz „Die Suzeränetät über Schleswig" erwähnt werden, welcher herausfand, daß die Rechte, welche Dänemark durch den Wiener Frieden abtrat, die Lehnshoheit über Schleswig bedeuteten, welcher der Augustenburger — selbst sein Erbrecht vorausgesetzt — ja in jedem Fall unterworfen sein mußte. Diese Lehnshoheit konnte jetzt für Schleswig von Preußen gegen den Prätendenten gebraucht werden und auch für Holstein, da dieses mit Schleswig unzertrennlich verbunden war. Vielleicht würde mancher Leser, hieß es in dem Artikel, fragen, wie es zuging, daß in der ganzen langwierigen Erbfolgeliteratur der letzten Jahre dieser wichtige Punkt gar nicht zur Sprache gekommen war. Dies erkläre sich doch leicht. Bisher hätten die deutschen Publizisten ja gar kein Interesse an diesem Punkt gehabt, jetzt aber sei die schleswig-holsteinische Frage ausschließlich innere Angelegenheit Deutschlands geworden, und die Sache läge deshalb ganz anders. — Gleich1

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S. Hirzel an Treitschke 8.11.1865.

falls soll bemerkt werden, daß die Grenzboten mit Sympathie der Bewegung in den Herzogtümern folgten zugunsten eines „engeren Anschlusses", d. h. den der früheren Äußerung Büschs zufolge vorsichtig auftretenden Annexionisten. Mit diesen unterhielt Busch selbstverständlich fortwährend private Verbindung. Eine Zusammenkunft in Hamburg am 10. August wurde geplant, und es war die Meinung, daß hier die ganze „nationale", d. h. preußische, Partei in den Herzogtümern mit Gleichgesinnten aus Deutschland zusammentreffen solle.1 Treitschke versprach auch Busch, mit ihm zu fahren und für die gute Sache aufzutreten, und die Pläne flogen recht hoch. Busch schrieb am 15. Juni an Treitschke, daß der Zweck vorläufig sei, zunächst Bekanntwerden der Gleichgesinnten miteinander und dann die Organisation des Kerns zu einer preußischen Partei „neben der verfaulenden nationalen, d. h. dem Nationalverein". Kurz bevor die Versammlung abgehalten werden sollte, teilte Treitschke doch mit, daß er nicht kommen werde, die Preußen zogen sich gleichfalls zurück und es endigte damit, daß der Plan ganz aufgegeben wurde. Treitschke hatte beschlossen, in den Ferien nach der Schweiz zu gehen. Hirzel sprach seine Zufriedenheit mit diesem Plane aus und fügte hinzu: „Der Buschmann ist weniger zufrieden. Es ist aber nur heilsam für ihn, wenn er ein Jahr lang nicht in die Herzogtümer kommt."' Busch entschloß sich übrigens nachher, Treitschke auf seiner Reise zu folgen. Aus dem Gegensatz zwischen dem annexionistischen Redakteur der Grenzboten und dem eigentlichen Leiter und Besitzer des Blattes war offener Kampf geworden. Freytag veröffentlichte nach längerem Schweigen im Juli eine Politische Korrespondenz, in welcher er wieder in der schleswigholsteinischen Frage das Wort nahm. Diese Korrespondenz wurde später von noch zwei anderen gefolgt.8 Alle diese 1 Siehe hierüber u. a. Busch an Treitschke 12. 6., 15. 6., 26. 7. und 4. 8. 1865. Wehrenpfennig an Treitschke 28. 7. 1865. Landgraff an Treitschke 27. 7. und 3. 8. 1865. Briefe II S. 401 und Anm. 2. « S. Hirzel an Treitschke 31. 7.1865. * Grenzboten 1865 3 S. 193 ff., 274 ff. und 399 ff.

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Artikel waren kritisch gegen die Politik Bismarcks, und obgleich Freytag aussprach, daß die Erwerbung der Herzogtümer durch Preußen wünschenswert wäre, betonte er in Übereinstimmung mit seinen liberalen Parteigrundsätzen, daß man Rücksicht zu nehmen habe auf den Willen der Bevölkerung. Es heißt z. B. am Ende des letzten dieser Artikel: „Immer wieder nach jedem Umwege wird man darauf zurückkommen müssen, daß ohne den guten Willen der Bevölkerung eine Behauptung dieser Länder auf die Länge nicht wohl möglich ist." — Die erste Korrespondenz versah Busch, welcher Treitschke schrieb, daß er sie leider nicht ablehnen dürfe, mit folgender Anmerkung: „Die Redaktion nimmt diese Korrespondenz auf, bedauert aber, sich nur teilweise zu den darin über Schleswig-Holstein geäußerten Ansichten und Erwartungen bekennen zu können." Auch die zweite Korrespondenz wurde bezüglich einer einzelnen ihrer Bemerkungen von Busch korrigiert.1 Treitschke wurde, wie er am 1. August an Busch schrieb, wahrhaft betäubt durch die unglückliche Freytagsche Arbeit, und es erschien ihm notwendig, eine Antwort zu geben. Er bat deshalb Busch, ihm in der übernächsten Nummer der Grenzboten drei Seiten offen zu lassen für eine Antwort, die kurz und unpersönlich „unsere Hauptmeinungen" zusammenfassen sollte, „daß wir unbedingt und treuer denn je an den preußischen Forderungen festhalten müssen". Für die äußerste Ruhe und Schicklichkeit stand er ein, da es ihm ohnehin sauer genug wurde, gegen Freytag zu schreiben. Übrigens sollte die Antwort auch nicht äußerlich als direkte Polemik gegen Freytag erscheinen. — Aus diesem Plane 1

Der genannte Brief Büschs an Treitschke ist undatiert (vor dem 2. 8. geschrieben). Wenn Busch in diesem Brief findet, daß der Keulenschlag Alfred von Outschmids in dem Artikel „Peter Forchhammer hat gesprochen" (Grenzboten Nr. 32) alles wieder ins Reine bringen würde, sind seine Freunde schwerlich dieser Ansicht gewesen. Der Artikel war zuerst Wehrenpfennig zugeschickt, dieser wünschte ihn aber wegen des persönlichen Tons nicht aufzunehmen. Wehrenpfennig an Treitschke 28. 7.1865.

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wurde aber nichts. Busch bat ihn umgehend (Brief vom 2. August) darum, den Artikel gegen Freytag nicht zu schicken. Er würde ihn wohl nehmen, die Sache sei aber physisch unmöglich, weil er schon aus Rücksicht auf seine bevorstehende Reise die Nummern, welche den 4., 11. und 18. August erscheinen sollten, fertig habe. Wollte Treitschke späterhin, wenn er wieder bei der Redaktion sei, etwas loslassen, so wolle er es natürlich bringen: „auch wenn der Säbel darüber bricht". Treitschke gab danach möglicherweise wohl auch aus Rücksicht auf Büschs Stellung seinen Plan auf, Freytag in den Grenzboten entgegenzutreten. Dagegen nahm er im Oktoberheft der Jahrbücher in einem längeren unten ausführlich zu behandelnden Aufsatz die schleswig-holsteinische Sache wieder auf. Das Auftreten Freytags in der Arena mußte natürlich Busch höchst unwillkommen sein. Er wollte eine Unterredung mit Freytag haben, denn beide Richtungen, fand er, konnten Bich nicht in den Grenzboten vertragen: „heute die realistische, morgen die der Ideologen, die mit Freytag beginnen und mit Freese endigen — mit Freese salva venia."1 Ob er eine solche Unterredung gehabt hat, sieht man nicht, und jedenfalls blieben die Gegensätze bestehen. Am 22. August schreibt er an Treitschke: „Vergiß nicht, daß Du durch einen Brief an Freytags Besserung und Bekehrung arbeiten wolltest. Ich fürchte, er steckt jetzt unter den fürstlichen Schürzen in Koburg und wird von Her Majesty (d.h. die augustenburgisch gesinnte Kronprinzessin) in das Gebet genommen, und da wäre eine Gegenwirkung doppelt erwünscht." Die Grenzboten würden inzwischen auf der alten Bahn fortgehen. Eine Probe war der Artikel über die finanzielle Zukunft der Herzogtümer, welcher der Ansicht Büschs nach 1 Busch an Treitschke 4. 8.1865. — Der preußische Abgeordnete Freese gehörte der Fortschrittspartei an. Er trat äußerst feindlich gegen die Bismarcksche Politik auf und wünschte, daß diese auch außenpolitisch mit einer Niederlage endige. Siehe z. B. Deutscher Liberalismus I S. 260.

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deutlich genug für die Annexion plädierte.1 — Es soll schon hier bemerkt werden, daß eine Übereinstimmung zwischen den politischen Ansichten Büschs und denen Freytags auch in der folgenden Zeit nicht erreicht wurde. Im Juni 1866 mußte Busch die Redaktion niederlegen.' Über Freytag spricht er sich zu dieser Zeit nicht ohne Bitterkeit aus: „Er ist und bleibt ein Hofrat", schreibt er an einer Stelle, und an einer anderen nennt er ihn einen Menschen „ohne Aufrichtigkeit, Wahrheit und Leidenschaft".* Auf die spätere Entwicklung Büschs, wo er dazu überging, der Politik Bismarcks „rückhalts- und bedingungslos" zu dienen,4 wollen wir hier nicht eingehen. Der Brief, durch welchen Treitschke an Freytags Besserung und Bekehrung arbeiten wollte, ist leider verloren. Dagegen ist die sehr lange Antwort Freytags vom 14. September erhalten ; es ist der letzte Brief, in welchem er Treitschke gegenüber ausführlicher auf die schleswig-holsteinische Frage eingeht. Zum Verständnis der Stellung Freytags werden deshalb hier schließlich verschiedene der in dem Briefe enthaltenen Betrachtungen erwähnt. Treitschke hat vermutlich in seinem Briefe ähnliche Äußerungen wie die in dem früheren Briefe vom 16. März über die Gothaer Erlebnisse Freytags angeführt. Freytag bemerkte nämlich, daß es nicht Anstandsrücksichten auf die Augustenburger seien, die ihn von der Weise Bismarcks, die Dinge zu behandeln, trennten. „Ich habe keine anderen Pflichten gegen Friedrich-Samwer® als die der Menschlichkeit." — Bei dieser Äußerung Freytags möchte ich gern einen Augenblick verweilen. Wenn sie auch für „unpolitisch" an1 Der Artikel „Zur Finanzlage des souveränen Schleswig-Holsteins". Grenzboten 1865. 3 S. 281—290. 1 Johs. Hofmann a. a. 0 . S. 14. • Busch an Treitschke 3. 8.1866 und in einem undatierten Brief, vermutlich auch aus dem Jahre 1866. 4 Der eigene Ausdruck Büschs im Briefe an Treitschke 5.11.1867. * Gemeint sind der Augustenburger Herzog und Karl Samwer, der Leiter der Politik des Erbprinzen.

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gesehen werden kann, schlägt sie doch einen Ton an, der in der Brust jedes human Empfindenden Wiederklang findet. Auch nicht der Tod des Augustenburgers im Jahre 1880 ging vorüber, ohne daß Freytag — wenn auch in der Stille — die Pflichten der Menschlichkeit erfüllte. An den Herzog Ernst von Koburg schrieb er von den ernsten Betrachtungen, die der Todesfall zu erregen angetan sei: „Vor 17 Jahren soviel besprochen, für Deutschland so wichtig, denn seinem Prätendententum danken wir Schleswig, und jetzt finde ich in der Presse kein Wort der Teilnahme und einer — wenn auch limitierten — Dankbarkeit." 1 Was Freytag von Bismarck trennte, war ja der Liberalismus. Im Jahre 1848 hatte Freytag-in einem Aufsatze „Preußen und Deutschland" sich einen „Stockpreußen" genannt und ausgesprochen: „Jeder Knabe (in Preußen) weiß zwei Dinge, daß der kleine alte Fritz auf dem Stubenofen Schlesien genommen hat, weil es ihm gelegen war, und daß seine Mutter oder Großmutter ihren Trauring hingab, um den Napoleon aus dem Lande zu jagen." 1 Jetzt schrieb er aber — in dem Briefe an Treitschke: „Wir leben nicht mehr in der Zeit des großen Kurfürsten und des Jahres 1815; wer jetzt etwas durchsetzen will, kann das nur mit Benutzung des Liberalismus tun. Wer dieser Zeitströmung sich entgegenstemmt, wird immer in Gefahr sein, den Boden unter den Füßen zu verlieren, wer sie unehrlich benutzt, in Gefahr, seinen Gewinn zu verlieren. Und es ist lehrreich zu beobachten, wie auch das Talent im Kampfe gegen dies Zeitgemäße seine Kraft verliert." — Diese Schätzung der Macht der liberalen Ideen war, wie die Zeit erweisen sollte, zu hoch. In seiner Beurteilung der preußischen inneren Verhältnisse, einer Beurteilung, welcher auch Treitschke in allem wesentlichen meinte sich anschließen zu können,3 täuschte Freytag sich, und er unterschätzte gänzlich Bismarck, wenn er ihm dauer1

Tempeltey a. a. O. S. 288. Politische Aufsätze S. 85. * Treitschke an Freytag 1.10.1865. 1

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hafte und geniale Kraft absprach. Von den Mitteln der Bismarckschen Politik schrieb er übrigens: „ . . . die Beobachtung deutscher Natur und unserer politischen Verhältnisse hat mir die feste Überzeugung gegeben, daß große Resultate nur durch einfache und naheliegende Mittel gewonnen werden. Dazu rechne ich vor allem feste Redlichkeit, welche Freunden Vertrauen, den Gegnern Achtung einflößt. Die gegenwärtige Politik Preußens hat für mich etwas sehr Widerwärtiges. Zunächst weil sie launisch mit kecken Einfällen operiert, denen jede nachhaltige Kraft fehlt, dann weil sie so erbärmlich und schamlos unehrlich ist." Der Unwille Freytags gegen die Politik Bismarcks wurde ja dadurch nicht vermindert, daß er überzeugt war, daß die Einheit Deutschlands unter Preußen sich auf einem viel liberaleren Wege durchsetzen ließe. Seine Ansichten hierüber sind früher bei der Erwähnung des Artikels „Annexion oder Anschluß" hervorgehoben. Bereits 1848 hatte er sich in teilweisem Gegensatz zur Volksbewegung zum Verfechter ähnlicher Ansichten gemacht. „Das ruhige Fortgehen auf dem Wege, der seit Gründung des Zollvereins eingeschlagen war, schrieb er in dem Aufsatze „Preußens Stellung zu Frankfurt", hätte Deutschland allmählich in einen Staatenbund verwandelt, dessen Präsident der König von Preußen war, der im Ausland durch die preußischen Legationen vertreten wurde, dessen innere Angelegenheiten, die des freien Verkehrs und der materiellen Interessen durch ein Bundesparlament und Kommissarien desselben geordnet wurden. Dieser Weg der Vereinigung hätte vieles Gute gehabt, obgleich er wenig imponiert hätte . . .' l l In dem Briefe an Treitschke bemerkte er jetzt, daß er es zu erleben wünsche, daß Deutschland preußisch würde, und daß er einen sicheren Weg sehe, der in einem Dezenium zu solchem Glück führen könnte. „Mit Trauer und Unwillen sehe ich, daß Preußen einen andern einschlägt, der bei jedem neuen Schritt neue Gefahren heraufbeschwört und 1

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Politische Aufsätze S. 35.

dem die derzeitige Kraft des Staates nicht gewachsen ist. Und wenn ich mich erstaunt frage, wie es möglich ist, daß solcher eigensinnig gewählte Umweg auch bei großem und freiem Urteil, wie das Ihrige ist, Beifall finden kann, so muß ich mir das dahin beantworten: Preußen hat seit 1815 gar keine auswärtige Politik getrieben, jetzt rührt sich ein Wollen, das wir lange ersehnt. Da ist natürlich, daß man in der ersten Freude darüber, daß überhaupt etwas geschieht, die Frage unterdrückt, ob es auch gut geschieht." In dem Briefe dankte Freytag Treitschke sehr für dessen im Septemberheft der Jahrbücher erschienenen Aufsatz „Das erste Kaiserreich", den ersten Teil der Essaysreihe „Der Bonapartismus". 1 Der erste Anstoß zu dieser Arbeit war durch den Wunsch Wehrenpfennigs gekommen, eine Besprechung des Buches Napoleons III. über Cäsar zu erhalten. Mommsen hatte Wehrenpfennig an Treitschke verwiesen,* und Wehrenpfennig versuchte es dann, diesem klarzumachen, daß derjenige, der über die Annexion geschrieben hatte, auch über Louis Napoleon schreiben müßte, um „unsere Sache . . . von dem Vorwurf, dem Verdacht, den die Gegner auf uns wälzen", d. h. dem Vorwurf des Cäsarismus, loszulösen.8 In dem Cäsarismus als Übergangsstadium hatte Treitschke ja auch, wie oben erwähnt, eingewilligt, aber hiervon wollte Freytag nichts wissen. Er nahm auch in der folgenden Zeit das Wort gegen eine solche Betrachtung.* Die Forderung: erst Macht, dann Freiheit, sei gefährlich. Der Liberalismus war nicht ein einzelne? Glied, welches man abhauen konnte oder in die Tasche stecken wie eine geballte Faust. „Er ist unser bestes Leben selbst, und wie die Natur uns zwingt, unablässig Atem zu holen, müssen wir auch unser Freiheits1 In dem 3. Bd. der Historischen und Politischen Aufsätze als „Frankreichs Staatsleben und der Bonapartismus" aufgenommen. ' Briefe II S. 392. * Wehrenpfennig an Treitschke 10. 3. 1865, vgl. 15. 3.1865. 4 Der Artikel: Die Pflichten eines Mitgliedes der liberalen preußischen Partei. Grenzboten 1866 Nr. 11. Die zitierten Stellen in den Politischen Aufsätzen S. 275 f.

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gefühl betätigen, wo wir veranlaßt sind zu reden, zu raten, zu h a n d e l n . . . " Was bedeutete es, wendete man vielleicht ein, für ein Volk, sich fünf oder zehn Jahre, bis die Macht kam, einem Mißregiment zu unterwerfen ? Freytag gab selbst die Antwort: „Das bedeutet ungewöhnliches Vertrauen, wo man daB heftigste Mißtrauen empfindet, das heißt sich Belbst erniedrigen, um eine Anwartschaft auf Stolz zu erhalten, das heißt sich zum Knecht machen, damit unsere Kinder die Möglichkeit erhalten, den Herrn zu spielen." Ohne übrigens hier die Entwicklung der politischen Ansichten Freytags näher verfolgen zu wollen, soll doch noch erwähnt werden, daß auch bei ihm die großen Ereignisse des Jahresl866: der Krieg mit Österreich und die Bildung des norddeutschen Bundesstaates, eine Änderung bewirkten. Busch, der, wie gesagt, die Redakteurstelle an den Grenzboten wegen der politischen Meinungsverschiedenheit hatte aufgeben müssen, schrieb am 3. August an Treitschke, daß in den Grenzboten Freytag sich sehr wesentlich gebessert habe, „und man kann ihn jetzt fast ganz zu uns rechnen". Inwieweit gesagt werden kann, daß Freytag jemals ernstlich den Frieden mit General Bismarck vollzog und ratifizierte, wie sein Mitredakteur Jordan sich ausdrückte, ist eine andere Frage. Auf den Brief Jordans mit dem genannten Ausdruck antwortete er: „Was den Frieden mit Bismarck betrifft, so steht das freilich so so. Meine Meinung über seinen Charakter habe ich nicht sehr geändert. Aber seine Stellung zu uns ist eine andere geworden. Und das wird wohl für eine Weile genügen."1 In seinen „Friedlichen Herbstbetrachtungen im Bundesstaate" (Grenzboten 1866 Nr. 40) drückte Freytag nicht in der Stille, sondern offen seine Freude aus über „diesen großen Fortschritt zu einer Vereinigung deutscher Kraft, obwohl der Weg nicht unser Weg gewesen ist". 2 Einen Mann ohne Leidenschaft nannte Busch Freytag. Stellt man ihn mit TreitBchke zusammen, in dessen Gemüt 1 1

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Hofmann a. a. O. S. 16, 28 u. 30. Politische Aufsätze S. 321.

die Leidenschaft einen so wesentlichen Platz einnahm, wirkt seine Natur selbstverständlich doppelt kühl und kontemplativ. In der Stellung zum Augustenburger und zur Bismarckschen Politik nehmen die drei M&nner: Busch, Freytag und Treitschke jeder seinen charakteristischen Standpunkt ein. Am wenigsten sympathisch als Charakter erscheint ja unleugbar Moritz Busch. Er wirkt im Solde des Augustenburgers zu dessen Schaden und sammelt Waffen gegen ihn, mit deren Anwendung er kaum warten kann. Schon 1867 geht er rückhaltlos ins Bismarcksche Lager über. Viel vornehmer von Charakter ist Treitschke. Sein leidenschaftliches Gemüt erlaubt ihm aber keine Rücksichtnahme auf Standpunkte und Ereignisse, in welchem Verhältnis er auch selbst früher zu ihnen gestanden haben mag. Von der gewaltigen Gärung in seiner Seele zeugt eine solche Äußerung wie die: „wir haben schrecklich schnell gelebt in diesen zwei Jahren". 1 Mit den ausgesuchtesten Sprachblüten, mit einem kolossalen Aufgebot der Ausdrücke Lüge und Unsittlichkeit überschüttet er seine politischen Gegner. Mit einem Fußtritte schüttelt er den Augustenburger und dessen legitime Erbansprüche ab, um niemals später ihnen oder deren Geltendmachung einen Gedanken zu schenken. Noch bleibt aber die innerpolitische Kampfesfront gegen Bismarck einigermaßen aufrecht. Bei Freytag dagegen beobachtet man nicht nur das Fehlen der politischen Leidenschaft und Einseitigkeit Treitschkes, sondern auch in hohem Grade das menschliche Bedürfnis nach Kontinuität und Zusammenhang der Ansichten und Empfindungen. Noch an der Schwelle der Ereignisse des Jahres 1866 kämpft er für seine liberalen Ideen gegen Bismarcks „Blut und Eisen". 1

Treitschke an R. Haym 1.10. 1865.

VII. D I E H A L T U N G D E S

NATIONALVEREINS

Moritz Busch, Treitschke und Gustav Freytag, der Journalist, der politisierende Historiker und der politisierende Dichter, alle waren ja Männer der Feder. Wenn Treitschke von der Bedeutung der öffentlichen Meinung geringschätzig spricht oder davon redet, daß der Einfluß der Presse gleich Null sei, so steht das an und für sich in Widerspruch mit seiner eigenen Tätigkeit. Es ist, als sägt er den Ast ab, auf dem er sitzt, und es wird immer entmutigend und unsympathisch wirken, einen so hervorragenden Mann des Wortes und der Feder sein Vertrauen allein auf Soldaten und Kanonen setzen zu sehen in einer Sache, welche er doch für die der Vernunft und des Fortschritts ansieht. Aber auch nicht Freytag vermochte, wenn er in seinen späteren Jahren und unter dem Eindruck der erfolgreichen, gegen die öffentliche Meinung durchgeführten Realpolitik Bismarcks auf seine eigene publizistische Tätigkeit zurückschallte oder auf das, was er durch seine fürstlichen und diplomatischen Verbindungen hatte ausrichten können — auch nicht Freytag vermochte dann zu finden, daß das so viel zu sagen habe. In dem Lebensbild (1888) seines nahen Freundes, des liberalen badischen Staatsministers Karl Mathy schreibt er von der Zeit vor der Reichsgründung: „Als Herzenssache wurde damals Politik in Privatkreisen verhandelt, die Staatsmänner außer Amt schrieben zahllose vertrauliche Briefe, häufige Zusammenkünfte wurden gehalten von kleineren und größeren Gesellschaften, alle bemüht, das Vaterland zu retten, selten von einem Einfluß, der bis an einen Leiter größerer Geschäfte heranreichte." 1 Das Bild, welches der Historiker Heinrich von Sybel einmal auf sich selbst anwendete, daß er wie ein Blessierter sich im Sande Schlachtpläne zeichnete und sie dann vom Winde verwehen 1

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Freytag, Karl Mathy, S. 383.

ließ,1 wird man auf viele der politisierenden Privatleute jener Zeit anwenden können. Dem Kriegshandwerk nfther als die Männer der Feder standen ja in der Regel die eigentlichen Fachpolitiker, die Abgeordneten im preußischen Landtage oder in den Kammern der übrigen deutschen Staaten. Aber auch ihr Einfluß und ihre Macht waren nicht bedeutend. Wenn die wirklichen Machthaber der Staaten, die Inhaber der Krone, des Beamtenapparates und des Heeres, von dem Mitregieren der liberalen Mehrheit in den Kammern nichts wissen wollten, zu welchen anderen Mitteln konnten diese dann greifen als zu dem der öffentlichen Meinung: Volksversammlungen, Presseäußerungen, Adressen und Entschlüsse ? Und, wie Bismarck realpolitisch bemerkte, schoß man nicht mit öffentlicher Meinung, sondern mit Pulver und Blei.2 Wenn das Volk nicht auf die Barrikaden gehen wollte, um die Männer des Mißregiments wie tolle Hunde totzuschlagen — und Barrikadenkampf war ja zu der Zeit des Zündnadelgewehres ein etwas gefährliches Unterfangen —, so blieb in der Tat kein anderer Ausweg, als sich vor der Macht zu beugen und abzuwarten.® Und der Gebrauch der Worte, Worte und wieder Worte, um seine Opposition auszudrücken, war ein Mittel, welches in sich selbst leicht verächtlich werden konnte, und das bei männlichen, kräftigen Naturen auf keine allzu große Schätzung rechnen durfte. Ein charakteristisches Zeugnis für dieses Verhältnis sehen wir in der Haltung Treitschkes. Im Jahre 1863 hatte er von seiner leidenschaftlichen Empörung über die innere Politik Bismarcks Haym gegenüber gesprochen, man solle, sobald eine Aussicht auf Erfolg der Revolution vorhanden sei, sie wagen; das Königtum von Gottes Gnaden bedürfte einer heilsamen, furchtbar ernsten Züchtigung.4 Nachdem er aber 1

Deutscher Liberalismus I S. 78. Sybel an Baumgarten 19. 2.1862. • H. Oncken, R. v. Bennigsen I S. 704. * Deutscher Liberalismus I S. 151 und 171. Baumgarten an Sybel 22. 5.1863 und Sybel an Baumgarten 11. 9.1863. 4 Treitschke an Haym 27. 6.1863.

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jetzt im Laufe des Jahres 1864 die Überzeugung gewonnen hatte, daß es vor allem gelte, die kräftige Außenpolitik Bismarcks zu unterstützen, fielen dessen liberale Gegner in und außerhalb Preußens seiner vollen, ungeteilten Verachtung anheim. Was waren die Männer, die durch Hilfe der öffentlichen Meinung und der moralischen Eroberungen eines liberalen Preußens Deutschland unter preußischer Hegemonie sämmeln wollten, was waren sie anders als Phrasenhelden, „Kyffhäuserdeutsche", wie Freund Gutschmid sich ausgedrückt hatte? Mit einer wahren Sintflut von Grobheiten hält Treitschke ihnen ihre Machtlosigkeit vor Augen, und trotz der meisterhaften Variationen, zu welchen er, wo es sonst Spott und Verachtung gilt, fähig war, wirken seine Ausdrücke zuweilen etwas ermüdend und einförmig, ja beinahe krankhaft. Die Bezeichnung „Kyffhäuserdeutsche" war auf die Männer des Nationalvereins gemünzt, und wir wollen jetzt ihre Stellung in der schleswig-holsteinischen Frage und das Verhältnis Treitschkes zu ihnen näher betrachten. Der deutsche Nationalverein war im September 1859 gegründet worden, und er hatte, wie andere liberale und nationale Bewegungen in Herzog Ernst von Koburg- Gotha einen fürstlichen Protektor gefunden. Er gehörte insofern zu dem, was Bismarck spöttisch Koburg-Deutschland nannte. Der Verein war ins Leben getreten teils infolge der neuen Ära in Preußen, welche darauf schließen ließ, daß es sich den deutschen Einheitsbestrebungen gegenüber jetzt anders stellen würde als in der Reaktionszeit, und teils infolge der Erregung, die der Kampf zwischen Sardinien-Frankreich einerseits und Österreich andererseits hervorgerufen hatte. Namentlich in Süddeutschland, aber auch in weiten Kreisen Norddeutschlands klang „das Kriegsgeheul" gegen Frankreich, und mit der Aussicht auf einen Krieg gegen dieses empfand man das Bedürfnis nach einer besseren, strafferen Organisation Deutschlands. Weite Kreise befürworteten jetzt wieder, wie in den Jahren der Revolution, daß eine solche Organisation dadurch 126

zustande kommen müsse, daß Preußen größerer Einfluß auf die Leitung des Bundes eingeräumt werde. Auch nachdem der Friede zwischen Österreich und Frankreich geschlossen war, blieben diese Stimmungen bestehen, und auch durch den geschlossenen Frieden war die Spannung nicht ganz ausgelöst. Die Gefahr einer kriegerischen Verwicklung zwischen Frankreich und Deutschland blieb. Der deutsche Nationalverein, welcher eine direkte Nachahmung des italienischen war, hatte also seinen Ursprung in einer Bewegung, zu deren Zielen es gehörte, Österreich Hilfe zu leisten, um Italien in seiner Zersplitterung niederzuhalten. Einen wesentlichen Anteil an der Bildung des deutschen Nationalvereins hatte der liberale hannoversche Politiker Rudolf von Bennigsen (geb. 1824), der auch Wortführer des Vereins wurde.1 Späterhin war er, wie bekannt, Führer der nationalliberalen Partei im norddeutschen Reichstag und im deutschen Reichstag. Sehr bezeichnend für die enge Verbindung zwischen Wissenschaft und Politik in jener Zeit ist es, daß auch Bennigsen ursprünglich daran dachte, über die Wissenschaft als Zwischenstadium zur Politik zu gelangen. Er gab aber diesen Gedanken bald auf und erwählte die juristische Laufbahn und die praktische Verwaltungstätigkeit. Im Jahre 1856 trat er in die zweite Kammer Hannovers ein und wurde hier der Leiter der liberalen Opposition. Von Anfang an hatte er sich außer für die Politik des Heimatstaates für die deutsche nationale Frage interessiert, und mit den Ereignissen des Jahres 1859 wurde diese Frage ja wieder brennend. Der Nationalverein, der ein Werkzeug der Agitation für die Lösung dieser Frage sein sollte, bestand sowohl aus liberalen als auch demokratischen Elementen, und sein Programm wurde ziemlich unbestimmt gehalten, so daß er auch Leute, die Österreichs Ausschließung von dem neuen Deutschland nicht wollten, umfassen konnte. Die füh1 Über Bennigsen s. namentlich die große Biographie Hermann Onckens: Rudolf von Bennigsen. Ein deutscher liberaler Politiker.

I—II, 1910.

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renden Männer des Vereins waren für die kleindeutsche Lösung, einen Bundesstaat unter preußischer Hegemonie und mit Ausschließung Österreichs erstrebten Bie. Später knüpfte der Verein an die Frankfurter Reichsverfassung an und proklamierte den moralischen Anspruch der Nation auf diese.1 Wie gesagt, war der Bundesstaat das Ziel, und Bennigsen konnte auch später, ohne Antwort zu bekommen, seine Gegner auffordern, nachzuweisen, ob er sich jemals zugunsten des Einheitsstaates ausgesprochen habe.2 Im Jahre 1866, gleich vor der Besetzung Hannovers durch Preußen, wünschte Bismarck mit Bennigsen in Verbindung zu treten, wurde aber von diesem abgewiesen. Daher wurde Bennigsen auch von Treitschke hart getadelt, der eben zu derselben Zeit aus voller Seele daran arbeitete, daß Preußen endlich sein eigenes Heimatland Sachsen verschlucke.8 Der Nationalverein erreichte sehr schnell eine bedeutende Zahl von Mitgliedern, und in seiner höchsten Blüte — im Oktober 1862 — zählte er mehr als 25000. Unter dem Einfluß der Bismarckschen Politik ging er aber in der folgenden Zeit stark zurück. Im Oktober 1867 beschloß man, ihn aufzulösen. Als Zeugnis für die veränderten Verhältnisse soll angeführt werden, daß man bei seiner Auflösung beschloß, der Marineverwaltung des Norddeutschen Bundes die Summe der zur Schaffung einer deutschen Flotte eingesammelten Gelder zu überlassen, welche man vom März 1862 ab dem konservativen Ministerium Preußens nicht hatte geben wollen. Als Organ des Nationalvereins wurde ein Wochenblatt „Wochenschrift des Nationalvereins" gegründet, dessen Redakteur A. L. v. Rochau wurde. Bei der Erwähnung der politischen Entwicklung Treitschkes haben wir oben (S. 23 f.) bei dem epochemachenden Werke Rochaus Grundsätze der Realpolitik und seiner Verherrlichung durch Treitschke verweilt. Aber als Redakteur schätzte Treitschke Rochau doch 1

Vgl. die Stellung Treitschkes oben S. 20 f. Oncken II S. 384. » Oncken I S. 732 ff.

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nicht so hoch ein. In seinem Nekrolog auf Rochau heißt es, daß dieser nicht immer seinen eigenen realpolitischen Grundsätzen treu geblieben sei: „ . . . er hielt zwar selber eine leidlich maßvolle Richtung ein; doch unter den Mitarbeitern lärmte der Liberalismus der Phrase." 1 Zum festen Agitationsrepertoire des Nationalvereins gehörte vom Anfang an außer der kurhessischen Frage natürlich genug auch die schleswig-holsteinische, welche ja im Herbste 1858 in eine neue Phase eingetreten war. Auf den Generalversammlungen des Vereins wurden jahraus jahrein Resolutionen vom Rechte Schleswig-Holsteins und Sympathieerklärungen für seinen Widerstand gegen Dänemark angenommen. Der Holsteiner Advokat Theodor Lehmann in Kiel, welcher aber schon im Jahre 1862 starb, gehörte zu den einflußreichsten Mitgliedern des Vereins, und eine voft ihm verfaßte Broschüre über die schleswig-holsteinische Frage wurde als Nr. 2 der Flugschriften des Vereins herausgegeben. Als charakteristisch für die Haltung Rochaus Dänemark gegenüber kann bezeichnet werden, daß er in der zweiten Ausgabe seiner Realpolitik (1859) den Ausdruck gebraucht „eine seltene Stupidität oder eine wahrhaft dänische Niederträchtigkeit".2 In einem einige Jahre nach dem Kriege von 1864 herausgegebenen zweiten Bande der Realpolitik erörtert er an ein paar Stellen den Gedanken, ob Deutschland sich in ein freundschaftlicheres Verhältnis zu Dänemark stellen solle. Er weist ihn aber bestimmt ab: „Von Dänemark läßt sich mit Sicherheit voraussagen, daß es jeden Augenblick zur Bundesgenossenschaft mit Frankreich bereit ist, wie denn auch der, von gewisser Seite bis zum Überdrusse wiederholte Rat, die dänische Neutralität durch ein Stück von Nordschleswig zu erkaufen, auf eine nutzlose Selbsterniedrigung hinauszielt." Um Dänemark möglichst unschädlich zu machen, gebe es kein besseres Mittel, als es zum vollen Bewußtsein seiner 1 8

Historische und politische Aufsätze IV S. 246. Vorrede S . V I I I .

Treitschke 9

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Ohnmacht zu bringen. 1 Es ist mit anderen Worten das römische: oderint dum metuant. Die Bismarcksche Ära in Preußen war ein harter Stoß gewesen für die Männer des Nationalvereins, und ihre Ansicht, daß Preußen durch ein Eintreten für den Liberalismus die Sympathien Deutschlands gewinnen und dadurch die politische Einheit ermöglichen solle. Ebensowenig stimmte die Politik Bismarcks in der schleswig-holsteinischen Frage überein mit der herrschenden Volksstimmung. Im November 1863 war der Nationalverein selbstverständlich zugunsten des Augustenburgers aufgetreten, und in dem Aufruf des Vereins klangen dieselben Töne wie in den Grenzboten oder bei Treitschke. „Wer wird in Zukunft Eure eigne Legitimität achten, wenn Ihr die Rechte eines legitimen Fürsten dem fremden Unterdrücker preisgebt ?" hieß es in dem Aufruf, an die deutschen Fürsten gewandt. Bismarck verachtete indessen gleichermaßen Aufrufe wie Volksversammlungen, ja es scheint beinahe, daß er sich ein besonderes Vergnügen daraus machte, gerade entgegengesetzt zu handeln. Eine solche Auffassung treffen wir z. B. in einem Briefe vom Sommer 1864 von dem Freunde Treitschkes, dem Publizisten L. K. Aegidi, welcher meint, daß die Anerkennung des Augustenburgers durch das ganze schleswig-holsteinische Land und Volk wohl für Bismarck ein Grund mehr sei, den Augustenburger nicht zu wollen. Weiter bemerkt er, daß es Bismarck wohl erwünscht wäre, die Sache siegreich durchzufechten und doch ganz anders, als die deutsche Volksweisheit inklusive Abgeordnetenhaus und Professorenpack sich träumen ließ.2 Die Politik Bismarcks trieb Bennigsen und den Nationalverein in die Arme der Leiter der Mittelstaaten und zu einer Taktik, welche, wie Oncken hervorhebt, eigentlich nicht zu einer realistisch veranlagten Natur wie der Bennigsens paßte. 3 Ein Zeugnis, wie seine Haltung Preußen gegenüber eine andere 1 1 1

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II. Bd. 1869 S. 181 u. 216. Duncker, Briefwechsel S. 380 f. Aegidi an Duncker 28. 6.1864. Oncken I S. 642.

geworden war, bietet eine Äußerung Bennigsens in einem Briefe vom Oktober 1864, in welchem es heißt: „Preußische Spitze unter allen Umständen ist unser Programm nicht, noch weniger diplomatischer und militärischer Anschluß eines Einzelstaates an Preußen unter allen Umständen." 1 Über „die unsinnigen preußischen Annexionspläne" hatte er im Mai gesagt, daß sie eine einfache und rasche Lösung der schleswig-holsteinischen Frage erschwerten und verzögerten.2 Der Nationalverein trat auch mit Resolutionen und Protesten gegen die Politik Preußens und zugunsten des Augustenburgers auf. Da sein Programm der Bundesstaat war, nicht der Einheitsstaat wie das Treitschkes, fand sich ja auch nichts Widersprechendes in dieser Haltung. Im Laufe der Zeit beeinflußte doch die Agitation der Annexionisten und das Glück der Bismarckschen Politik die Stimmung im Lager des Nationalvereins. Einer uneingeschränkten Anerkennung der Ergebnisse der Politik Bismarcks begegnen wir in einer Rede, in der Johs. Miquel, einer der leitenden Männer des Vereins, am 30. Oktober 1864 — am Tage der Abtretung der Herzogtümer durch Dänemark — einen von demokratischer Seite gestellten Antrag bekämpfte, den Punkt des Programms von einer einheitlichen Zentralgewalt zu streichen. Miquel sagte: „Wir (d. h. der Nationalverein) hatten zuerst praktisch zu agitieren um Wiederherstellung der Verfassung in Kurhessen, und wer hat den Ausschlag gegeben und geben müssen ? Bismarck. Wer hat den Zollverein wiederhergestellt ? Es ist unter der Regierung Bismarcks geschehen. Wer hat das österreichische Reformprojekt (von 1863) vereitelt ? Bismarck. Wer hat Schleswig-Holstein befreit? Bismarck." Miquel fuhr danach freilich fort, daß er weit entfernt sei, dem Ministerium Bismarck Lorbeeren zu streuen. Vielleicht hatte Bismarck alles, was hier genannt war, wider Willen getan, aber er habe es im Interesse Preußens zugleich für Deutschland ge1

Oncken I S. 646. Bennigsen an Böhmert 26.10.1864. * Oncken I S. 638. Brief an die Schwester 18. 5.1864.

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tan und tun müssen, „da in allen großen Fragen das deutsche und das preußische Interesse zusammenfällt". 1 Begabt mit dem Sinne für Taktik wie Bennigsen war, konnte er selbstverständlich auch nicht länger verkennen, daß der Wind aus einer anderen Richtung zu wehen begann. Wenn Treitschke davon spricht, wie unglückselig verwirrt die öffentliche Meinung und daß eine Klärung nötig sei, so hatte Treitschke ja selbst in hohem Grade zu dieser Verwirrung beigetragen. Im November 1863 war die öffentliche Meinung Deutschlands klar genug, was die schleswig-holsteinische Frage betraf. Die Verwirrung entstand durch die Politik Bismarcks, und für Treitschke bestand die Klärung darin, daß die öffentliche Meinung sich zu bekehren habe zu den Ansichten, deren Fürsprecher er jetzt wurde. Aus dieser Richtung fing auch der Wind zu wehen an. Bennigsen selbst konstatiert dies in einem Brief vom November 1864 an seinen Freund und Parteigenossen Böhmert, den Sekretär der Handelskammer in Bremen. „Im Norden", schreibt er „nimmt die Bismarcksche Richtung, das ist die Anbetung der militärischen Macht und diplomatischen Erfolge, in erschreckender Weise überhand". 2 Dieses galt übrigens auch namentlich von der Stimmung in Bremen, und dafür war Böhmert selbst ein Beispiel. Kurz vorher hatte er in einem Briefe an Bennigsen geäußert, daß die Einheit Deutschlands ihm lieber sei als ein paar preußische Verfassungsparagraphen. Nach dem Erscheinen von Treitschkes Artikel „Die Lösung der schleswig-holsteinischen Frage" findet er, daß Treitschkes Arbeiten doch eine enorme Wirkung gehabt haben, und er meint, daß das Vaterland ihm höher steht als die Legitimität. „Preußens Vertreter", heißt es in einem anderen Briefe kurz vor der Generalversammlung des Vereins Ende Oktober 1865, „haben im Augenblick tatsächlich größere Plichten gegen die Zukunft ihres Staates, als den bloßen Liberalismus zu pflegen."3 Die 1 Oncken I S. 652. » Oncken I S. 647. 1 Die angeführten Äußerungen Böhmertsbei Oncken I S . 647,655 u. 677.

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Änderung der Anschauungen kommt zum Ausdruck in den Resolutionen über die schleswig-holsteinische Frage, die auf den Generalversammlungen des Vereins im Oktober 1864 und Oktober 1865 angenommen wurden. Beide Resolutionen hielten freilich an dem Selbstbestimmungsrecht der Herzogtümer fest, während aber die erste nur maritime Konzessionen der Herzogtümer an Preußen anerkannt wissen wollte, billigte man in der letzten auch militärische Konzessionen. Auf Bennigsens Veranlassung wurde aber in die letzte eine Verurteilung der zwischen Österreich und Preußen am 14. August in Gastein abgeschlossenen Konvention eingefügt. Von den Stimmungen, die in den oben genannten Briefen Böhmerts zum Ausdruck kamen, hielt sich Bennigsen fern. Zur Beleuchtung seiner Stellung seien einige Äußerungen aus einer Rede angeführt, die er am 2. Mai 1865 in der hannoverschen zweiten Kammer hielt, und aus einer Eröffnungsrede der Generalversammlung des Nationalvereins im Herbste desselben Jahres. 1 In der hannoverschen Kammer erwähnte er zunächst das allgemeine Gefühl der Flauheit in den kleineren politischen Körpern Deutschlands, man habe die Empfindung, daß die Geschicke Deutschlands sich in Berlin und Wien entscheiden würden. „Überhaupt ist die ganze europäische Entwicklung den kleineren Staatsexistenzen nicht günstig, die neuere Zeit weist eine gefährliche Zahl von Beispielen auf, wo kleinere Staaten von der Karte Europas verschwunden sind. Auch in Deutschland nimmt in einer für mich erschreckenden Weise die Anhänglichkeit der einzelnen an ihren Heimatstaat ab. Wenn diese Erscheinung schon in einer Periode zutage tritt, wo in Berlin die Willkür herrscht: wie viel stärker muß sie dann werden, sobald Preußen wahrhaft konstitutionelle Bahnen betritt. Die nationale Partei hat noch den Bundesstaat auf ihre Fahne geschrieben; aber schon werden Stimmen ausgezeichnet begabter Schriftsteller laut — ich erinnere an Treitschke —, welche dem Einheitsstaat das Wort reden. 1

Oncken I S. 664 und 683.

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Ich beklage diese Richtung. Ich glaube allerdings, daß es für Preußen ein leichtes sein würde, durch militärische Gewalt die Mittel- und Kleinstaaten über den Haufen zu werfen. Aber ich würde darin ein Unglück für Deutschland erblicken." Bennigsen schloß, um die Existenz der kleineren Staaten zu retten, sollten die Regierungen Zustände schaffen, die wert wären, verteidigt zu werden. In seinem Munde bedeutete dies ja, daß sie sich zum Liberalismus bekennen sollten. In der Rede auf der Generalversammlung des Nationalvereins nahm er in mehr pathetischen Wendungen Abstand von den politischen Methoden Bismarcks. Er warnte hier stark davor, sich von den Stimmen hinreißen zu lassen, welche ihr Heil suchten „in einem Zuwachs von Macht für den größten reindeutschen Staat auf Kosten der höchsten idealen Güter der Nation". Kein Volk und nach seiner ganzen Natur am wenigsten das deutsche, behauptete er, könnte auf den Zuwachs äußerer Macht hinarbeiten unter Aufhebung des Rechtsgefühls, des Freiheitsgefühls und der sittlichen Güter, ohne die größte Gefahr der Zerstörung seines innersten Kerns. Es soll hier noch bemerkt werden, daß Bennigsen auch nach den großen Erfolgen der Bismarckschen Politik im Jahre 1866 kein unbedingter Anhänger der Methoden dieser Politik wurde. In einem Briefe an seine Frau vom 10. April 1867 bemerkt er, daß die Diplomatie eines der verlogensten Geschäfte sei, „aber wenn sie im deutschen Interesse in einer so großartigen Weise der Täuschung und Energie getrieben ist wie durch Bismarck, kann man ihr eine gewisse Bewunderung nicht versagen". Daß er natürlich mit der größten Freude die Bildung des Norddeutschen Bundes erlebte, ist verständlich; er bezeichnet es als den größten Fortschritt, den Deutschland seit der Reformationszeit gemacht hat. 1 Er wollte auch nicht die liberalen Forderungen an die preußische Krone und den deutschen Richelieu so straff spannen, daß der Bogen barst. Die Nation, sagte er, war 1

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Oncken II S. 61 f.

doch ziemlich unschuldig an der heilsamen Krisis des Jahres 1866.1 Eine Äußerung wie diese letzte könnte vielleicht dazu verleiten, darin eine gewisse Kritik der Stellung des Nationalvereins und Bennigsens selbst während der vorhergehenden Jahre zu erblicken. Man sieht aber sonst nicht, daß er den Stab über diese gebrochen hätte, und solches liegt ja auch nicht den Fachpolitikern am nächsten. Diesen liegt es viel näher zu fragen, ob man in ihren früheren Äußerungen einen Gegensatz zu den später verfochtenen Ansichten finden könne. Eine solche Bemerkung Bennigsens über sein Verhältnis zum Gedanken des Einheitsstaates ist auch oben angeführt worden. Übrigens kann wohl hier mit Recht darauf hingewiesen werden, daß die Haltung des Liberalismus und die Macht der öffentlichen Meinung ja doch ihre Spuren im Werke Bismarcks hinterließen. 1

Oncken II S. 13.

VIII. F O R T W Ä H R E N D E R K A M P F F Ü R ANNEXIONSGEDANKEN

DEN

Aus den im vorhergehenden Abschnitte angeführten Äußerungen Böhmerts und Bennigsens sieht man, daß das Auftreten Treitschkes nicht ohne Einfluß auf die Männer des Nationalvereins gewesen war. Schon in dem Artikel „Die L ö s u n g . . . " hatte er sich mit diesen auseinandergesetzt und von einer möglichen Spaltung der nationalen Partei als Folge der schleswig-holsteinischen Frage gesprochen. Er würde eine zahlenmäßige Schwächung der Partei als eine erfreuliche moralische Kräftigung betrachten, denn „seit langem schauen wir mit Unmut, in welcher höchst gemischten Gesellschaft treffliche, einsichtige Männer wie Rudolf Bennigsen und Miquel sich bewegen . . .". Als er im Herbste wieder in die Arena trat, war er schon dazu gelangt, den Nationalverein der Fahnenflucht und Felonie zu beschuldigen. Wir wollen jetzt seinen im Oktoberheft der Jahrbücher veröffentlichten Aufsatz „Die P a r t e i e n und die H e r z o g t ü m e r " behandeln. Wehrenpfennig, der Redakteur der Jahrbücher, hielt sich in dieser ganzen Zeit in Frankfurt auf, wohin private Verhältnisse ihn geführt hatten, und man mag ihm wohl darin Recht geben, daß dieses nicht der Ort sei, wo man am leichtesten die preußische Politik verfolgen könne. Mehrmals kommt er in den Briefen an Treitschke darauf zurück, wie wenig er und die Jahrbücher in der Sache der Herzogtümer hätten ausrichten können. Im Anfang des Jahres hatte er sich sehr über die Aussicht gefreut, von Busch mit schleswig-holsteinischem Stoffe versehen zu werden, diese Freude hatte aber, wie aus unseren Ausführungen hervorgeht, nur kurze Zeit gedauert. Der Form des letzten Artikels von Busch schrieb er es z. B. zu, daß mehrere seiner liberalen Freunde, darunter Schwerin, daran dachten, öffentlich von dem Standpunkte der Jahrbücher abzurücken, einen „Skandal", welchen zu 136

verhindern ihm nur mit Mühe gelang.1 Auf den Gedanken, Scheel-Plessen zum Auftreten in den Jahrbüchern zu bewegen, verzichtete er wieder, vermutlich auf Abraten Treitschkes.2 In der Tat war, wie er am 28. Juli 1865 an Treitschke schrieb, von seiten der Jahrbücher gar nichts geschehen seit dem Erscheinen von Treitschkes Erwiderung auf Häussers Artikel. Weil die Dinge so standen, mußte es Wehrenpfennig eine besonders frohe Überraschung sein, als er Anfang August von Treitschke das Versprechen empfing, einen politischen Artikel für das Oktoberheft zu bekommen.8 Treitschke hat also gleich nach dem Empfang des Briefes von Busch vom 2. August den Gedanken aufgegeben, in den Grenzboten auf die politische Korrespondenz Freytags zu antworten (vgl. oben S. 117). Da seine Ferienreise bevorstand, mußte sein Gedanke, in den Jahrbüchern einen Artikel zu schreiben, ganz natürlich für das Oktoberheft dieser Zeitschrift gelten. In seinem Dankschreiben äußerte Wehrenpfennig, daß er schon lange einen solchen Wunsch gehegt habe, er hatte es aber für zu anspruchsvoll angesehen, ihn auszusprechen nach dem Februarartikel Treitschkes und nach dem empfangenen ersten Teil des Aufsatzes über den Bonapartismus. Er hatte auch daran gedacht, daß er Unrecht täte, ihn so lange seiner Deutschen Geschichte und der zünftigen Wissenschaft zu entziehen. Danach fuhr er aber bezeichnenderweise fort: „Aber Sie sind eben nicht bloß Gelehrter, sondern Patriot, und Gott sei Dank, daß unter Ihren fischblütigen Genossen doch einige eine heiße Leidenschaft für das Vaterland haben. Freilich kann niemand wie Sie unser Programm aber und abermals mit der Gewißheit, Eindruck zu machen, formulieren. Sie sind durch den Februaraufsatz und die vorhergehende Abhandlung über Bundesstaat und Einheitsstaat das literarische Haupt der liberalen Annexionisten geworden, und Sie verstehen es am besten, den Ernst der Gesinnung 1 2 3

Wehrenpfennig an Treitschke 13. 5. und 28. 7.1865. Wehrenpfennig an Treitschke 10. 3. und 15. 3.1865. Wehrenpfennig an Treitschke 8. 8.1865.

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und den Zusammenhang großer Ideen darzustellen, die uns auf jenen Standpunkt getrieben h a b e n . . . . " Ende September schickte Treitschke an Wehrenpfennig seinen Artikel (datiert den 23. September). Er bedauerte, daß er wesentlich neue Gesichtspunkte in der Auffassung der Frage nicht hätte anführen können. Wehrenpfennig fand, dies sei doch unmöglich, da Treitschke ja schon in dem Februarheft die Grundideen entwickelt habe: „Was ist da zu machen, außer mit Geduld und Zähigkeit diesem harthörigen Geschlecht das Rechte und Wahre, nach den Umständen modifiziert zu wiederholen P"1 Mit dem Artikel war er vollauf zufrieden und wünschte nichts mehr, als Treitschke könnte und wollte die politische Rundschau für die Jahrbücher übernehmen, bis der Erfolg gewonnen sei. Was die Hauptpunkte betraf: die Betrachtung der Legitimität und des Selbstbestimmungsrechtes, so war der Aufsatz selbstverständlich rein prinzipiell im wesentlichen eine Widerholung des Februaraufsatzes. Mit diesem hatte er weiter die Ähnlichkeit, daß ein Teil seines Stoffes aus einem Briefe des Freundes Gutschmid geholt war — einem Briefe vom 8. September, der bei Liepmann: „Von Kieler Professoren" abgedruckt ist. Gutschmid hatte hierin mitgeteilt, daß die augustenburgisch gesinnte akademische Behörde der Kieler Universität als Protest gegen die Politik Preußens es unterlassen wolle, den 200jährigen Geburtstag der Universität, der auf den 5. Oktober fiel, feierlich zu begehen. Diese Mitteilung machte Treitschke zum Ausgangspunkt seines Artikels. „Wem nicht das Herz geschworen ist von kleinlichem Haß und Neide, der wird bekennen, daß die Gnade der Vorsehung Großes getan an diesem Lande und seiner hohen Schule. Der halbtausendjährige Kampf des deutschen und des skandinavischen Wesens in unserer Nordmark ist siegreich beendet. Wo vor zwei Jahren noch der Danebrog flatterte, da weht heute unser Adler auf deutschen Kriegsschiffen." Gilt dies alles nichts, fragte Treitschke pathetisch, 1

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Wehrenpfennig an Treitschke 26. 9.1865.

gegenüber der einen Tatsache, daß die Pergamente des Hauses Augustenburg noch nicht die gebührende Anerkennung gefunden haben ? Der Ausdruck „die augustenburgischen Pergamente" war der Auftakt zu der Behandlung, welche in dem Aufsatze dem Thronprätendenten zuteil wurde. Von dem Augustenburger hatte Deutschland nämlich nach Treitschkes Ansicht das Recht, „einen edlen Entschluß" zu fordern1 oder um die Sache in minder pathetischen und doch klassischen Worten auszudrücken: „Der Mohr hat seine Pflicht getan, der Mohr kann gehen." Spöttisch spricht Treitschke in dem Aufsatze von dem augustenburgischen Stammbaum und davon, daß man als eine „unsoziale Natur" betrachtet wird, wenn man nach größeren Dingen als diesem fragt. Eine große nationale Frage soll nicht mit den Augen des Advokaten angesehen werden. Es gereicht freilich dem Gemüte der deutschen Nation zur Ehre, ihrer politischen Befähigung aber zur Unehre, daß sie politische Fragen nach den Gesichtspunkten des Zivilprozesses zu beurteilen liebt. Treitschke wünscht — obschon, wie er schreibt, ohne größere Hoffnung —, daß die bei den Deutschen herrschende politische Zuchtlosigkeit sich zu der schneidigen Einseitigkeit des Patriotismus erhebe, welche in dem tapferen englischen Worte ausgedrückt ist: „Right or wrong, my country." Das Recht eines Herzogshauses müsse dem höheren Rechte der nationalen Selbsterhaltung weichen. Die Gründe, womit heute das unantastbare Recht des legitimen Augustenburgers verteidigt wird, scheinen ihm wörtlich abgeschrieben aus den Schriften, welche seinerzeit die Männer des Rheinbundes in die Welt schickten zum Besten Friedrich Augusts von Sachsen. Da er es als ein großes Unglück betrachtete, daß Preußen sich damals nicht des ganzen Sachsens bemächtigte, ist es ganz klar, welches Schicksal er dem Augustenburger zudachte. In dem Februaraufsatz hatte Treitschke mit dem Legitimitätsprinzip abgerechnet. Er hatte das Recht der revo1

Vgl. den Brief an Freytag vom 1.10.1865.

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lutionären Entschlüsse verteidigt und betont, daß es nötig sei, daß Vernunft und Wille einmal in dem politischen Naturwuchs rodeten. Zwischen die zwei Artikel fielen nun die Verhandlungen der preußischen Kronsyndici und ihre Verwerfung der Erbansprüche des Augustenburgers auf die Herzogtümer. An und für sich könnte Treitschke also jetzt wieder dem Legitimitätsprinzip gehuldigt haben — selbstverständlich doch in Verbindung mit dem sogenannten Recht der Eroberung. Man sieht indessen nicht, daß er in dieser Beziehung Anfechtungen gehabt hat, und das Legitimitätsprinzip hatte ja auch nicht viel zu tun mit seinen Ansichten, wie Preußen sich unter den Raubstaaten — d. h. den übrigen deutschen Staaten — arrondieren sollte. Die Erklärungen der Kronsyndici waren ihm aber gut genug, um den Gegnern gegenüber gebraucht zu werden, und namentlich wurde der alte Herzog Christian August übel mitgenommen. Er, der sich seinerzeit sein Erbrecht abkaufen ließ, erschien jetzt in den Herzogtümern, um für das Erbrecht der Familie zu agitieren. Durch plumpe Schmeichelei gegen den „Kernstamm aller Kernstämme" hätten legitimistische Demagogen einen Teil der Schleswig-Holsteiner in eine solche Verwirrung aller Begriffe hineingetrieben, daß man jetzt ihn, der das Landesrecht verkauft hatte, als den Vertreter des Rechtes feierte. Auch der Sohn erschien jetzt Treitschke in dieser Frage in keinem schmeichelhaften Lichte. Sittlich bedenklich war es, daß er so viele Jahre hingehen ließ, bevor er gegen die geänderte Erbfolgeordnung protestierte. Und nachdem die Kronjuristen nachgewiesen hatten, daß das Geld, welches der Augustenburger von Dänemark empfangen hatte, mit der Zustimmung der Familie zur Stiftung eines Familienfideikommisses verwendet war, sei die Sache auch juristisch angreifbar. Man müßte, meinte Treitschke, einräumen, daß der Prätendent sowohl das Ding als den Preis — rem et pretium — forderte. Treitschke unterließ auch nicht, ähnlich wie Busch in seinen Artikeln in den Jahrbüchern und den Grenzboten, dabei zu verweilen, wie verhaßt der alte 140

Herzog in den Herzogtümern gewesen sei, und daß deshalb die Erhebung sich an die unfruchtbare juristische Fiktion klammern mußte: „wir kämpfen für den Königherzog gegen den Königherzog" anstatt, was näher gelegen hätte, den Herzog zum Souverän oder zum Regenten auszurufen. Die Haltung der liberalen Presse dem Augustenburger gegenüber hätte nach Treitschkes Ansicht sich nach den Erklärungen der Kronjuristen ändern müssen, dies war aber in großem und ganzem nicht geschehen. Schon in einem Briefe an Hans Blum vom 20. Mai, in welchem er den Eindruck erwähnte, den die Lektüre des Gutachtens von Heffter, einem der Kronjuristen, auf ihn machte, hatte er ausgesprochen, wenn eß sich bestätigte, daß Christian August mit Zustimmung der Familie die dänische Abfindungssumme zum Ankaufe des Familienfideikommisses verwendet habe, müsse die liberale Presse den Augustenburger fallen lassen, wenn sie noch einen Funken von Wahrheitsliebe besäße. Er zweifelte aber, daß selbst ein solches Minimum von Ehrlichkeit bei den partikularistischen Liberalen vorhanden sei. Eine solche Bemerkung übersieht doch selbstverständlich ganz, daß der Liberalismus seinem Programm zufolge ebenso großes Gewicht auf das Selbstbestimmungsrecht des Volkes legen mußte wie auf das positive Recht, und daß dem Augustenburger fortgesetzt der überwiegende Teil der Bevölkerung in den Herzogtümern anhing. In dem Aufsatze beschwerte er sich sehr über die Gewalt, welche Prinz Friedrich infolge der voreilig geleisteten Huldigung über die Gewissen wackerer Männer bekommen habe, und er sah wohl auch die Zahl der Annexionisten in den Herzogtümern für viel größer an, als sie in der Tat war. Samwer behauptet in einem Briefe vom 15. April 1865, daß man von einer Partei der Annexionisten oder Halbannexionisten in den Herzogtümern nicht reden könne; es seien eigentlich nur noch Kliquen, die kaum aus je hundert Leuten beständen. 1 An und für sich war es aber für Treitschke prinzipiell ohne größere Bedeutung, ob die 1

Jansen-Samwer, Schleswig-Holsteins Befreiung, S. 460.

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Zahl der Annexionisten groß oder klein war, denn er wollte von dem Selbstbestimmungsrecht jedes kleinen Stammes nicht reden hören. Das Verhältnis war jetzt, schrieb er am 7. Mai 1865 an S. Hirzel, ganz wie zu der Zeit, wo der gesamte Liberalismus in Flammen stand für das Selbstbestimmungsrecht des kleinen Herzogtums Kothen in seinem Zollkriege mit Preußen; in Kothen waren Volk und Fürst einig in einer souveränen, dem engeren Vaterlande sehr ersprießlichen Schmuggelpolitik. Diese Betrachtung wiederholte er in etwas ähnlicher Form in dem Aufsatze. Nun sehr geneigt dazu, selbst den größeren deutschen Stämmen oder Teilen Selbstbestimmungsrecht einräumen zu wollen, war er ja auch nicht, seine Argumente sahen aber selbstverständlich am besten aus, wenn die Liliputstaaten als Beispiele auftraten. Über das Selbstbestimmungsrecht Schleswig-Holsteins hieß es weiter in dem Aufsatz, indem er stark die von Preußen aufgestellten Februarbedingungen verteidigte: „Wenn ein Land, das bisher nur dem Namen nach zu Deutschland gehörte, durch deutsche Waffen in unseren Staatsverband eingefügt wird, so hat Deutschland das Recht, die Bedingungen dieses Eintritts zu diktieren." Als Vertreter Deutschlands trat ja Preußen auf. Es ist unnötig, das Gekünstelte dieses Gedankenganges näher nachzuweisen. Eine gute Waffe gegen die Rede der Liberalen vori dem Selbstbestimmungsrecht hatte Treitschke in dem Schicksal des Herzogtums Lauenburg bekommen. Daß der Augustenburger in Lauenburg erbberechtigt sei, war etwas schwierig zu beweisen, trotzdem hatte er doch, wie wir gesehen haben, in seinem Aufrufe ein gewisses Recht an das „schöne Land" geltend gemacht. In seinem Aufsatze bemerkt Treitschke hierüber, daß doch kein ehrlicher Mann mehr die lächerliche Behauptung wiederholen werde, daß der Herzog von Augustenburg der Souverän von Lauenburg sei, weil er den Titel führe: Erbe von Norwegen. Die deutschen Soldaten waren im Jahre 1863 in Lauenburg ohne Freude empfangen worden, das Land war aber auch Jansen-Samwer zufolge von „mittelalter142

liehen Überlieferungen" beherrscht, und die Bauernvögte hatten erklärt, unter Dänemark bleiben zu wollen, wo sie es immer so gut gehabt. 1 Im Oktober 1864 — noch vor dem Wiener Frieden — gelang es indessen Preußen, die Mehrzahl der Ritter- und Landschaft Lauenburgs zu bewegen, sich für den Anschluß an Preußen zu erklären, welches seine Geneigtheit ausgesprochen hatte, die lauenburgische Verfassung aufrechtzuhalten und die Kriegskosten fernzuhalten. 2 Durch den Gasteiner Vertrag vom 14. August 1865 trat Österreich Preußen sein Mitbesitzerrecht an Lauenburg gegen eine Geldsumme ab. In Lauenburg waren also, behauptete Treitschke in seinem Aufsatze, die liberalen Grundsätze vom Selbstbestimmungsrecht erfüllt, und trotzdem war die augustenburgische Partei mißvergnügt. Fühlten die Liberalen endlich, fragte er, daß auch der Volkswille das Unvernünftige wollen kann, und ließen sie nur den Volkswillen gelten, wenn er sich gegen Preußen ausspreche ? Über die tatsächlichen Irrtümer, die in dem Februarartikel vorgekommen waren, äußerte Treitschke sich in seinem neuen Aufsatze nicht. In einem Briefe an Busch vom 13. Februar hatte er bemerkt, daß er über diese bereits durch kritische Schulmeister belehrt worden sei, daß aber von dem, „worauf alles ankommt", die Leute natürlich nichts sagten. Nur in einem Punkte erkannte er in dem Oktoberaufsatz an, früher einen Irrtum begangen zu haben, und diesen vermeintlichen Irrtum zu verbessern, bedeutete einen Gewinn für seinen annexionistischen Standpunkt. Es handelte sich da um die Stimmung Nordschleswigs. Daß die Nordschleswiger, wie er früher geschrieben hatte, dänischen Blutes und Sinnes waren und der Erwerb dieses Landesteils ein zweifelhafter Gewinn für Deutschland sei, werde, so meinte er, jetzt von der Mehrzahl anerkannt, während früher nur wenige mit ihm diese Ansichten teilten. Indessen hatte er ja in dem Februaraufsatze sich die Möglichkeit gedacht, daß die Nordschleswiger aus Berech1 2

Jansen-Samwer, Schleswig-Holsteins Befreiung, S. 160. 1. c. S. 383.

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nung für den AuguBtenburger stimmen würden, da Nordschleswig viel leichter von einem Staate Schleswig-Holstein als von Preußen würde getrennt werden. Diese Ansicht erkannte er in dem Oktoberaufsatz als irrig, und privat hatte er es schon in einem Briefe vom 19. Februar an den Vater getan. Aus der Menge leidenschaftlicher Zustimmungen und Entgegnungen, welche sein Artikel hervorgerufen hatte, schrieb er hier, hatte er bisher nur eine tatsächliche Berichtigung geschöpft: „die Stimmung in Nordschleswig ist etwas anders, als ich dachte. Die Nordschleswiger sind nämlich allerdings leider in ihrer Mehrzahl dänisch gesinnt, aber fast noch mehr als den Preußen hassen sie den Augustenburger." So wenigstens wurde ihm aus Schleswig-Holstein geschrieben, und zu dieser Berichtigung eines tatsächlichen Irrtums meinte er verpflichtet zu sein (dem Vater gegenüber?). In dieser geänderten Ansicht hatte ihn auch Gutschmid am 5. April durch einen Brief bestärkt. In diesem hatte Gutschmid zuerst bemerkt, seiner Ansicht nach sollte Treitschke nicht nach dem Frieden sein Bedauern ausgesprochen haben, daß Nordschleswig nicht bei Dänemark geblieben sei. Es sei, behauptete er, wenn das Land preußisch würde, keine Gefahr, daß ähnliche Zustände wie in Posen eintreten würden; dagegen könnten solche Zustände eintreten, wenn der Maharadscha (der Augustenburger) eingesetzt würde. „Die Holsten blicken zwar auf die ,inferiore Rasse' herab und sind durch nichts in Deiner Schrift so geärgert worden, als daß Du ihnen zutrautest, sie würden mit dieser inferioren Rasse nicht fertig werden." Darin hatte aber Treitschke, schrieb Gutschmid, vollkommen recht: Inferior war die dänische Rasse wahrhaftig nicht; sie war nicht ganz so eitel und eigensinnig wie die Holsten, allerdings viel verlogener, hatte aber dafür vor den faulen Holsteinern den ungeheuren Vorzug, arbeitsam zu sein. Es war vollkommen richtig, daß, wie Treitschke gehört hatte, die Nordschleswiger lieber preußisch als augustenburgisch sein wollten, so versicherte Gutschmid auf Grund der „sichersten Erkundigungen", es „ist aber nicht so un144

logisch, wie Du denkst". 1 „Bei der haarsträubenden politischen Unreife, die die Holsteiner in jeder Beziehung an den Tag legen, ist es nur zu gewiß, und die nordschleswigschen Dänen sind davon ebenso überzeugt, wie ich es bin, daß sie nichts Eiligeres zu tun haben werden, als die .inferiore Rasse' mit Skorpionen zu züchtigen und ihr alles, was die Dänen jemals an den deutschen Schleswigern gefrevelt haben, mit Zinsen zurückzugeben. Als Glied eines großen Ganzen wollen die Nordschleswiger Schutz gegen solche grenznachbarliche Rachegelüste suchen." Daß die Nordschleswiger keine so loyalen Preußen wie die Hallenser oder Magdeburger werden, darüber war Gutschmid sich selbstverständlich im klaren. Diese in Gutschmids Briefe genannten Rachegelüste und Unterdrückungen von Seiten augustenburgischgesinnter Beamten gegen das dänische Nordschleswig spielten eben im Frühling 1865 eine gewisse Rolle. Die Bismarcksche Regierung ergriff wohl nicht ungern die Gelegenheit zum Auftreten gegen die augustenburgisch Gesinnten. Ohne übrigens hier darauf näher eingehen zu wollen, soll doch erwähnt werden, daß die Mission des Prinzen Karl von Hohenlohe-Ingelfingen nach Nordschleswig, um die Verhältnisse hier zu untersuchen, in diese Zeit fällt.8 Es wurde auch dem Redakteur der Kölnischen Zeitung, welcher zugunsten der Dänen aufgetreten war, versichert, daß die preußische Regierung den energischen Willen besitze, ohne alle Rücksicht zum Schutz der Bevölkerung auftreten zu wollen.3 In seinem Oktoberaufsatz sieht Treitschke auch die Aufgabe Preußens in Nordschleswig darin, daß es „Gerechtigkeit gegen die Unterdrückten, ohne Schwäche" üben soll. Seine Äußerungen hinsichtlich der Stimmung Nordschleswigs entsprechen übrigens der Schilderung Gutschmids. 1

Der Brief Gutschmids scheint eine Antwort zu sein auf einen Brief Treitschkes, ein solcher befindet sich aber nicht in der Ausgabe seiner Briefe. * Jansen-Samwer, Schleswig-Holsteins Befreiung, S. 475f., 494, 496 und 656. • Dr. Metzler, Berlin, 14. 5.1865 an Dr. Heinrich Kruse. Kruses Nachlaß in der Landes- und Stadtbibliothek zu Düsseldorf. Treitschke 10

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Den Grund zu der vermeintlichen Vorliebe der Nordschleswiger für Preußen kontra den Augustenburger findet er in dem Fanatismus der augustenburgischen Beamten und in der Aussicht, übel behandelt zu werden von dem „Hochmute des Bieglosen Siegers". Der Augustenburger bekommt hier dieselbe Bezeichnung wie Dänemark nach dem Kriege 1848—50. Als Beispiel für die ungerechte Handlungsweise der augustenburgischen Beamten schreibt Treitschke mit Bezug auf ein Verbot des Gebrauchs dänischer Ladenschilde in Hadersleben: „Was würden wir denn sagen, wenn die Franzosen den Elsässern den Gebrauch deutscher Ladenschilde verbieten wollten ?" Der Bürgermeister Haderslebens, P. B. Hansen, protestierte indessen in einem Briefe vom 9. Juli 1866 gegen diese Darstellung. Hansen hatte seinerzeit zusammen mit Treitschke in Tübingen studiert, und der Brief enthält die Mitteilung seiner Hochzeit; gleichzeitig heißt es: „Der in einem vorjährigen Heft der Preußischen Jahrbücher wegen vermeintlichen Verbots dänischer Ladenschilde etwas schlecht behandelte Bürgermeister (Tübingen 1854) empfiehlt Bich bestens mit dem Bemerken, daß das fragliche Verbot von dem damaligen Preußischen Stadtkommandanten Major v. d. Horst erlassen wurde, und daß der Bürgermeister durch eine dem General . . . vorgetragenen Beschwerde die Wiederaufhebung des Verbots veranlaßte." 1 Der Hauptinhalt des Aufsatzes Treitschkes war die Abrechnung mit den Liberalen und namentlich mit den Männern des Nationalvereins. Letztere beschuldigte er, wie gesagt, der Fahnenflucht und Felonie, weil sie nach seiner — nicht ganz korrekten — Ansicht den Programmpunkt von der sogenannten preußischen Spitze, „den einzigen positiven Satz des Programms", hatten fallen lassen. Alle Phrasen wären 1 Bei der Aufnahme des Artikels in der Sammlung „Zehn Jahre deutscher Kämpfe" (1874) hat Treitschke die betreffende Stelle mit folgender Anmerkung versehen: „Falsche Zeitungsnachricht. Ein solches Verbot ist von den deutschen Beamten in Nordschleswig nie erlassen worden."

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dagegen geblieben. Mit den Phrasen im Gegensatz zu den reellen Machtfaktoren geht Treitschke scharf ins Gericht. Er habe, schreibt er, jene Volksversammlungen schauerlichen Andenkens überlebt geglaubt, auf denen das souveräne Volk von Pflaumloch und Bopfingen am Nipf die Londoner Konferenzen für null und nichtig erklärte. Jedes neue Zeitungsblatt belehrte ihn aber, daß die Krankheit noch fortdauerte. Eine für ihn charakteristische und übrigens sehr sympathische Äußerung ist sein Wunsch, daß unter den Hunderten, die an diesen unvernünftigen Volksversammlungsbeschlüssen teilnahmen, nur Einer wirklich toll vor Leidenschaft gewesen wäre. Leider waren sie allesamt die friedfertigsten Leute von der Welt. Trotz der gewaltsamen Beschlüsse am einen Tag würden sie am nächsten Tag ihren Kohl bauen, ihre Steuern zahlen und vor dem Feldjäger den Hut ziehen. Von seinem Gegner, dem augustenburgisch gesinnten Pastor L. Schräder in Kiel, erzählte er, daß dieser, als die Holsten wieder einmal einen Protest beschlossen, ihn zu mild fand: So milde Worte geziemten sich für einen gesetzgebenden Körper mit Verantwortlichkeit, nicht für eine Volksversammlung. „Man debattierte von neuem, man fügte dem Beschlüsse einige Redensarten hinzu, welche in unseren Komplimentierbüchern nicht enthalten sind, und die unverantwortlichen Patrioten zogen fröhlich von dannen." Treitschke sah keinen anderen Weg, aus den Phrasen herauszukommen, als daß sie so riesenhaft anschwollen, daß sie endlich in ihrem eigenen Fett erstickten. Wenn man sah, wie die liberale Presse sich gebärdete, müsse man sich schmerzlich fragen: wo ist sie noch, die deutsche Redlichkeit und Treue ? Jedes noch so durchsichtige Märchen der Augustenburger werde treulich nachgebetet, das Gerede von dem deutschgesinnten Nordschleswig, von der nichtexistierenden Regierung in Kiel usw.1 1

Ein in dieser Hinsicht sehr lehrreicher Aufsatz findet sich in den Grenzboten 1864,1. Bd. S. 391—98: Die Schleswiger in Kiel. Alle Mittel werden hier verwandt, um zu erklären, daß Nordschleswig so wenige Repräsentanten zur Huldigung des Herzogs geschickt hatte: Man hielt

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Mit Phrasen zu wirken, oder wie Treitschke an dieser Stelle schreibt, „mit Worten, Worten, Worten", darauf war auch die Versammlung von Abgeordneten, welche sich am 1. Oktober in Frankfurt a. M. versammelte, angewiesen. Über ihre vermutlichen Ergebnisse schreibt Treitschke, wenn sie beendet wäre, würden „einige Parteiorgane, die noch immer sprechen, als seien wir um zwei Jahre jünger, mit hohem Pathos reden von der erhabenen Kundgebung des Volkswillens, welche den Grafen Bismarck zermalmen müsse; der Nation wird zumute sein, als sei nichts geschehen". Mit einiger Milde sollte man doch solche krampfhaften Versuche eines staatslosen Volkes beurteilen, irgendeinen Anteil an seiner nationalen Politik zu nehmen. Selbst die Einberufung des Abgeordnetentages könnte Treitschke sich denken gebilligt zu haben, wenn nur die Führer den Willen gezeigt hätten, mit einiger Unbefangenheit ans Werk zu gehen. Dies war, wie die Verdammung des Gasteiner Vertrages deutlich zeigte, indessen nicht der Fall. Anstatt ihn zu verdammen, sollte man sich auf diesen Boden gestellt haben, so wie man seinerzeit unbedingt die preußischen Februarbedingungen hätte verteidigen sollen. Die Ohnmacht des Nationalvereins war nach Treitschkes Ansicht nur eine verdiente Strafe. Er glaubte, daß die Zersetzung der nationalen Partei vorderhand andauern würde. Wie bereits im Süden ein extremes demokratisches Element sich ausgeschieden hatte, so meinte er, daß auch ein mehr konservatives Element dies tun würde, das unwandelbar festhalten würde an dem Gedanken: Deutschlands Einheit durch Preußen. Im Süden könnte diese Richtung vorerst nur auf wenige Genossen zählen und auf den Beifall der Menge würde sie lange Jahre verzichten müssen. Die Zukunft würde aber dieser preußischen Partei gehören. sich zurück aus Furcht, daß die deutschen Mächte die Rückkehr der Dänen nicht hindern würden. Man verließ ungern sein Haus, wegen der (deutschen) militärischen Einquartierung. Die Eisenbahnverbindungen waren nicht so gut usw. Über das Sundewitt heißt es aber: „Im Sundewitt gab es einige dänisch Gesinnte...."

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Auch das Verhalten der Liberalen in Preußen fand keine Gnade bei Treitschke, obschon er aussprach, daß er sehr wohl die ungeheuer schwierige Lage einer Volksvertretung zu würdigen verstände, „welche zu gleicher Zeit über einen verhängnisvollen Verfassungskonflikt und über die Schlangenwindungen einer höchst verwickelten auswärtigen Politik zu beraten hat". Es ginge indessen nicht so, wie die Masse der Fortschrittspartei es machte, jedes wichtige politische Ereignis aus dem Gesichtspunkt zu beurteilen, ob es Bismarck nütze oder schade. Gewiß wäre dieser ein sehr interessanter Mann, so interessant wäre er doch nicht, „daß wir über ihm das Vaterland und dessen dauernde Interessen vergessen sollten". Die Opposition war, meinte er, in denselben Fehler verfallen wie die französischen Liberalen, welche Jahre lang in unfruchtbarer Negation verharrten—nur ausÄrger, weil Ludwig Napoleon nicht der beschränkte Kopf war, wofür man ihn gehalten hatte. Auf den Rat der Altliberalen: erst eine gesicherte Verfassung, dann eine tatkräftige auswärtige Politik, könnte man nicht hören, denn in dem schleswig-holsteinischen Handel dränge die Stunde. In angenehmem Gegensatz zu den Negationen der Liberalen standen für Treitschke die Taten der preußischen Diplomatie. Die Betrachtung des Gasteiner Vertrags als eines achtfachen Olmütz bezeichnete er als eine demokratische Grille, und er spottete über den Gedanken, daß Österreich von Altona aus Preußens Sicherheit bedrohen könne. Dieser Gedanke kommt u. a. vor in der Politischen Korrespondenz Freytags: „Nach Gastein", und mehrere der Bemerkungen Treitschkes scheinen polemisch gegen diese gewandt zu sein. Treitschke meinte, daß es gewiß gelingen werde, Österreich weiter auf dem Wege der Zugeständnisse zu bringen. Ein wirkliches Interesse könne es ja nicht an den Herzogtümern haben. Die außenpolitischen Konstellationen schienen ihm auch nicht ganz ungünstig. Er schloß seinen Aufsatz damit, der alma mater in Kiel zum 5. Oktober den besten Glückwunsch, welchen er wußte, zuzurufen: „Ein gesegnetes neues Jahrhundert unter dem Schutze des ersten deutschen Staates 1" 149

Die Auffassung von den Männern des Nationalvereins als Leuten, die Felonie begangen hatten, stimmte ganz mit den Ansichten Wehrenpfennigs überein und war wohl auch nicht unbeeinflußt von diesem. In einem Briefe vom 5. April schreibt Wehrenpfennig, daß das preußische Abgeordnetenhaus fast ein Kadaver wie der Nationalverein ist. Von der Kammer bemerkt er, daß sie in der schleswig-holsteinischen Frage glücklicherweise nichts verderben werde, weil der von der süddeutschen Nationalvereinspartei beeinflußte Teil der Fortschrittler (Schulze-Delitzsch, Franz Duncker usw.) durch die annexionistische Demokratie in Schranken gehalten wird. — In der Polemik Treitschkes gegen den Nationalverein war er, schreibt er in dem früher genannten Briefe vom 26. September, ganz einig und wünschte nicht, daß sie gemildert werde. „Ich finde nicht, daß unser Liberalismus seit 1848 viel gelernt hat; der einzige Unterschied ist, daß es wenigstens eine kleine Zahl liberaler Männer gibt, die den Unsinn frühzeitiger als damals einsehen und ihm den Spiegel vorhalten. Übrigens haben die Leute das volle Bewußtsein ihrer jammervollen Existenz." Sie wollten, wenn es möglich wäre, ihren Verein gern für ein Lustrum nach dem Monde versetzen, hatte ihr Geschäftsführer Wehrenpfennig versichert. Das Ding war ja aber da, und sein Dasein mußte fortgesponnen werden. Seit 1862 (dem Antritt der Bismarckschen Regierung 1) war die Leitung verfehlt, in dem Streben aber, die unwert gewordene Existenz zu konservieren, ließ man sich zu dem Punkte treiben, wo der großdeutsche Reformverein (d. h. die österreichisch Gesinnten) stand. Der Widerstand gegen den Annexionismus reichte ja hinauf bis zum preußischen Königshaus. Nur mit Schwierigkeit gelang es Bismarck, den König, der ursprünglich dem Augustenburger freundlich gesinnt war, zu seinen annexionistischen Ansichten zu bekehren, und mit äußerster Mühe brachte er ihn zum Bruche mit Österreich. Ich habe ihn bis an den Graben, soll Bismark im Frühling 1866 von dem König gesagt haben, aber er will noch nicht hinüber.1 Kronprinz Friedrich Wil1

Deutscher Liberalismus IS. 299. H.Kruse an Heinrich v. Sybel 30.5.1866.

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heim und die Kronprinzessin blieben fortwährend Gegner Bismarcks und Anhänger des Rechtes des Augustenburgers. Auch die Preußischen Jahrbücher bekamen dies zu merken. Unter Erwähnung mehrerer durch die annexionistische Haltung der Jahrbücher hervorgerufenen Absagebriefe bemerkt Wehrenpfennig am 28. Juli an Treitschke: „Die Kronprinzessin hat in sehr demonstrativer Weise die Jahrbücher durch ihren Kabinettssekretär abbestellt (Sie sehen, selbst die politische Lektüre wird da durch die Frau bestimmt)." Treitschke hat danach vermutlich gefragt, ob er in dem nächsten Aufsatz sich erlauben könne, von dieser Mitteilung Gebrauch zu machen, denn am 9. September schreibt Wehrenpfennig: „Machen Sie die kronprinzliche Anspielung ja so stark wie Sie es irgend für gut befinden. Ich meinerseits wenigstens habe einen nicht geringen Grimm gegen eine preußische Prinzessin, die über dem lieben Vetter Friedrich Staat und Krone vergißt, und gegen einen Kronprinzen, der sich von der Frau in diese Vettern- und Basenpolitik hineinreißen läßt." Eine Anspielung auf die Haltung des Kronprinzenpaares war gleichwohl nicht in dem Aufsatze enthalten, obschon Wehrenpfennig in einem neuen Briefe vom 17. September erwähnte, daß die Kronprinzessin gleichfalls während ihres Badeaufenthaltes in Wyck auf Föhr offen das Augustenburgertum zur Schau getragen hatte, mit prominenten Augustenburgern verkehrt, den Erbprinzen „ihren Herzog" genannt und versichert hatte, daß ihr Mann die „Bismarcksche Erbschaft" nicht antreten werde.1 Die annexionistische Haltung der Jahrbücher hatte, wie gesagt, Wehrenpfennig mehrere Absagebriefe eingebracht, und in dem Briefe vom 17. September teilte er mit, daß sie einer großen Gefahr ausgesetzt gewesen seien. Durch den Widerspruch, den ihre Haltung bei angesehenen Mitgliedern und bei dem Gros der Partei erregt hatte, war der Verleger kopfscheu geworden. Der Abfall mancher Abonnenten, das schon lange herrschende Defizit und auch die Abwesenheit Wehrenpfennigs von Berlin, das alles wirkte zusammen, den Verleger 1

Vgl. Wehrenpfennig an Treitschke 26. 9.1865.

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zu dem Entschluß zu bringen, die Zeitschrift zum 1. Januar aufzugeben. Glücklicherweise war es — hauptsächlich durch Max Dunckers Tätigkeit — gelungen, von zwei reichen Altliberalen einen erheblichen Zuschuß auf fünf Jahre zu erhalten. Für diese Zeit war also die Zukunft der Zeitschrift gesichert. — Im Zusammenhang mit dieser Gefahr für die Existenz der Preußischen Jahrbücher soll angeführt werden, daß auch die Jahrbücher ihren Gewinn aus dem Siege der Bismarckschen Politik ernteten. „Nicht durch mein Verdienst," heißt es in den Erinnerungen R. Hayms, „sondern durch den Sieg, den eine überlegene Staatskunst in ungeahnter Weise der von uns vertretenen nationalen Sache verschaffte, und durch das Echo, das nun vor allem Treitschkes Beredsamkeit in unserem Vaterlande weckte, traten die Jahrbücher in eine neue Periode des Gedeihens."1 Im Dezember 1866 konnte der Verleger Georg Reimer vergnügt Treitschke melden, daß der Absatz der Jahrbücher höher gestiegen war als je seit dem Bestehen; fast alle gedruckten 900 Exemplare seien verkauft. Hielt der Absatz sich auf dieser Höhe, würden die Jahrbücher ihm nicht länger ein Defizit aufbürden.* Wie die augustenburgische Partei im Frühling 1865 erreicht hatte, Busch in seiner nicht besonders ansprechenden Doppelstellung zu entlarven, so richtete man im Herbste nach dem zweiten Artikel Treitschkes sein Geschütz auf ein höheres Ziel, gegen einen Mann, dessen Stellung auch nicht ohne eine gewisse Doppelheit war, nämlich gegen Max Duncker. Duncker gehörte der altliberalen Partei an und er war einer der politisierenden Professoren, welche in der Tat sowohl unter der neuen Ära als späterhin ein Wort in der politischen Gesellschaft mitzusprechen bekamen.8 Im Frühling 1859, einige Monate nach dem Antritt des Ministeriums der neuen Ära, wurde er von diesem nach Berlin gerufen und bekam eine 1

R. Haym, Aus meinem Leben S. 280. Georg Reimer an Treitschke 5.12.1866. ' Über Duncker s. R. Haym, Das Leben Max Dunckers (1891) und Duncker, Briefwechsel. 1

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ßewiß etwas unbestimmte, aber doch einflußreiche politische Stellung. Er wurde dem Ministerpräsidenten „attachiert", im auswärtigen Ministerium beschäftigt und mit der Oberleitung der Presse beauftragt. Im Frühling 1859 galt es namentlich, in der Presse die Haltung Preußens in dem aufziehenden Konflikt zwischen Österreich und Frankreich-Sardinien zu verteidigen. Im Vorsommer 1861 verließ er diese Stellung, wurde „Vortragender Rat" bei dem liberal gesinnten Kronprinzen, und diese Stellung behielt er auch, nachdem die Reaktion wieder die Macht in Preußen erlangt hatte. Unter den politischen Fragen, die vom Anfang an das Interesse Dunckers erregt hatten, war die schleswig-holsteinische. Davon zeugt u. a. auch, daß sich in seinem Nachlaß eine besondere Sammlung von Aktenstücken und Briefen über diese Frage befindet. Während der Erhebimg war er nach Kiel gegangen und war hier sehr tätig gewesen, um das Interesse der öffentlichen Meinung für Schleswig-Holstein lebendig zu erhalten. Seiner Ansicht nach war diese Frage die, welche am leichtesten für Deutschland zu lösen war, und da er unter der neuen Ära politischen Einfluß bekam, suchte er die Regierimg zum Einschreiten und Kampf gegen Dänemark zu bewegen. Er betrachtete auch dieses als das einzige Mittel, die Unzufriedenheit über das vermehrte Militärbudget und über die Abneigung des Ministeriums, größere liberale Reformen durchzuführen, zu beseitigen.1 Indessen stieß er hier zunächst auf die bei Schleinitz, dem preußischen auswärtigen Minister von 1858—61, herrschende Unlust zum energischen Auftreten; sodann bestand in seiner eigenen politischen Haltung aber der Widerspruch, daß er ein Zusammengehen Preußens mit England wünschte, während England ein entschiedener Gegner der von Deutschland ersehnten Lösung der schleswig-holsteinischen Frage war. Die Regierung der neuen Ära wurde von ihren liberalen Freunden sowohl wegen ihrer innerpolitischen als ihrer außen1

Duncker, Briefwechsel S. 317 und S. 321.

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politischen Untätigkeit hart getadelt. Man spottete über das herkömmliche Gähnen Schleinitz',1 und Freytag äußerte in einem Briefe an Duncker bissig, wenn man die Regierungskunst des Ministeriums einem Meerschweinchen auf Zucker gäbe, es schliefe ein und wachte nie wieder auf. 1 Duncker selbst wurde auch dazu gebracht, fast ein einiges konservatives Ministerium vorzuziehen „vorausgesetzt, daß dieses seine Spitze nach außen kehrte und das Verlangen nach inneren Reformen durch Befestigung der preußischen Machtstellung beschäftigte und befriedigte, wie dies ein Ministerium Bismarck vermöchte". 3 Eine Äußerung wie diese zeigt, daß es Duncker nicht gar zu schwierig fallen mußte, sich mit der Regierung Bismarcks zu versöhnen, als deren außenpolitische Erfolge begannen. Die Altliberalen vermochten ja bei den fehlenden Resultaten der neuen Ära nicht, die öffentliche Meinung für sich zu bewahren; diese Bprach sich mehr und mehr zugunsten einer kräftigeren Opposition aus und kam deshalb der Fortschrittspartei zugute. Auch ein Organ wie die Jahrbücher, die ja auf die öffentliche Meinung angewiesen waren, hatte diesen Druck empfunden und seinerzeit versucht, das Steuer in eine mehr demokratische Richtung zu legen.4 Hatten aber die Altliberalen nicht das gebührende Verständnis nach unten, so hatten sie dafür — und nicht am wenigsten Max Duncker — einen offenen Blick für die herrschenden realpolitischen Machtfaktoren. In einem Briefe an Roggenbach vom Juli äußert er z. B., daß in Preußen das Königtum die entscheidende Macht ist: zwischen der liberalen und feudalen Partei handelt es sich wesentlich darum, welche von ihnen das Königtum dafür gewinnen kann, auf ihre Seite zu treten. „Der größere Teil der liberalen Partei wird daher immer auch mit einem „insuffizienten" Ministerium seiner Farbe zufrieden sein" und willig sehr erhebliche Konzessionen seiner Prinzipien eintreten lassen, um Duncker, Briefwechsel S. 229. Geffcken an Duncker 5.10.1860. * 1. c. 8. 302. Freytag an Duncker 10.12.1861. * 1. c. S. 322 ff. Duncker an Ernst von Stockmar 10. 3.1862. 4 1. c. S. 326 f. Haym an Duncker 19. 3.1862. Vgl. oben S. 36 f. 1

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ein solches am Ruder zu erhalten.1 Die Lösung der deutschen Frage hatte Duncker schon als Abgeordneter in der Paulskirche als eine Machtfrage angesehen, und ihm galt es vor allem, Deutschlands Macht zu begründen, und diese könnte nur durch Preußen gesichert werden.1 Bei solchen Ansichten ist es verständlich, daß Duncker recht bald das Ziel, welchem Bismarck in der schleswig-holsteinischen Frage zustrebte, billigen mußte. Ein Brief von L. K. Aegidi vom 18. Juni 1864 könnte darauf hindeuten, daß Duncker ihm gegenüber sich in annexionistischer Richtung geäußert hatte* und in einem Brief von Duncker selbst anFrancke vom 6. Mai 1865 heißt es, daß dieser bereits seit März und April 1864 wußte, daß Duncker auch in der engsten Verbindung der Herzogtümer mit Preußen keine „Kreuzigung" derselben erblicke. Er hat den Stolz, daß sein Staat ihm auch für andere gut erscheint; er hat stets das Geschick der kleinen Staaten beklagt — trotz mancher Vorzüge und Bequemlich keiten, und er will nicht mitwirken, Preußen auf die „bundesmäßige" Ration in Schleswig-Holstein zu setzen.4 Der Anschluß Dunckers an die Bismarcksche Politik machte selbstverständlich seine Stellung bei dem augustenburgisch gesinnten Kronprinzenpaar schwierig, und der Gegensatz der Ansichten bewirkte auch, daß er im Juni 1866 seine Stellung aufgeben mußte. Von augustenburgischer Seite hatte man aber bereits nach dem Oktoberartikel Treitschkes versucht, Duncker zu treffen, indem man eine Verbindung zwischen ihm und Treitschke insinuierte. Die Schleswig-Holsteinische Zeitung (Nr. 244) behauptete, die Artikel Treitschkes beruhten auf preußischen Polizei- und Ministerialakten: „Wir kennen auch den oder die Lieferanten. Einen von ihnen bezeichnet der Kronprinz als Bismarcks Spion." In einem anderen Blatte war es ausführlicher entwickelt, daß dieser Spion Duncker 1 Duncker, Briefwechsel S. 284. Brief vom 4. 7.1861. * 1. c. S. 388. Duncker an Francke 6. 5. 1865, vgl. S. 72. Franke an Duncker 14. 2.1858. » 1. c. S. 380 f. 4 1. c. S. 389 f.

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sei.1 Dem Kronprinzen gegenüber konnte Duncker nun gewiß und mit Recht behaupten, daß er in keiner Verbindung mit Treitschke stehe. Dessen Aufsätze beruhten, wie wir gesehen haben, zunächst auf den Briefen von Gutschmid, und die Beschuldigung war also ganz unbegründet. Gleichzeitig kann doch hier hervorgehoben werden, daß Duncker jainbesondersnahem Verhältnis zu den Preußischen Jahrbüchern stand. Während der Redaktion Hayms hatten die politischen Ansichten Dunckers,wie oben erwähnt, ganz die Zeitschrift geprägt. Und wir haben gesehen, daß Duncker während der Redaktion Wehrenpfennigs als der Retter der Jahrbücher auftrat in der Krisis, welche ihre annexionistische Haltung hervorrief. Wehrenpfennig bezeichnet auch an einer Stelle Treitschke gegenüber Duncker als seine beste politische Quelle.2 Man darf daher gewiß davon ausgehen, daß viel politischer Stoff von Duncker durch Wehrenpfennig an Treitschke gekommen ist. Mit der Wirkung, welche auch die zweite annexionistische Brandschrift Treitschkes erreichte, konnte dieser ganz und gar zufrieden sein. In einem Briefe vom 22. Oktober schrieb Wehrenpfennig, daß es ganz offenbar Treitschke gelungen sei, die allgemeine Apathie aufzurütteln: „Die Macht Ihrer Leidenschaft und die Btahlscharfe Schneide Ihrer Gedanken hat also doch bewirkt, was ich kaum noch für möglich hielt." Auch bei den Mitgliedern des Nationalvereinsausschusses hatte der Angriff nach der Ansicht Wehrenpfennigs stark gewirkt, und wenigstens die besseren fühlten, daß sie von ihrem ursprünglichen Ziel fort ungefähr in die entgegengesetzte Richtung gelangt waren. Eine Wirkung der Kritik Treitschkes sah Wehrenpfennig auch darin, daß er von den Nationalvereinsmännern Rochau, Nagel und Metz gebeten worden war, mit ihnen dann und wann zu konferieren, damit sie sich über die Stimmungen der preußischen Liberalen orientieren könnten. 1

Duncker, Briefwechsel S. 399. Duncker an den Kronprinzen Friedrich Wilhelm 16.12.1865. — Wehrenpfennig an Treitschke 19.12.1865 und 7.1.1866. Briefe II S. 450 und Anm. 4. ' Wehrenpfennig an Treitschke 9.9.1865.

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Bei den annexionistischen Freunden in Kiel rief die Schrift selbstverständlich große Freude hervor. Gutschmid bemerkt, daß sie von den Studenten verschlungen werde.1 Auch sonst bekam Treitschke aus den Herzogtümern Zustimmungsschreiben. Der Landkommissar und Gutsbesitzer Steindorff in Grumby bei Schleswig schrieb, daß nachdem der Augustenburger sich unmöglich gezeigt habe, stände er und mit ihm eine große Zahl fest zu dem Programm der Einverleibung der Herzogtümer in Preußen. Er glaubte, daß das entscheidende Moment für das Volk die materielle Stellung sein würde, welche die Herzogtümer in Zukunft als Teil des preußischen Staates bekommen.1 Er berührte hier ein Thema, das sehr in annexionistischen Kreisen erörtert wurde, und welches u. a. den Ausschlag gegeben hatte, daß man sich die Möglichkeit dachte, die Stände der Herzogtümer dadurch zur Annexion zu treiben, daß man sonst „den Freunden des selbständigen Idylls" eine gewaltige Staatsschuld vor die Nase setzte.' In Flensburg wünschte der kleine annexionistische Kreis, als dessen Führer wohl Advokat A. Römer, Redakteur der seit März 1864 herausgegebenen Norddeutschen Zeitung, betrachtet werden kann, eine Sonderausgabe des Aufsatzes Treitschkes zu veranstalten. 4 Es wurden auch 1000 Exemplare gedruckt und zu Agitationszwecken verteilt. Römer hatte, wie er am 24. Januar 1866 an Treitschke schrieb, sich bei dieser Ausgabe einige kleine Änderungen vorzunehmen erlaubt, namentlich in bezug auf Nordschleswig. „Ich habe einen Passus weggelassen und die Äußerung über die Stellung der Nordschleswiger zu dem alten Augustenburger etwas geändert. — Es war das absolut notwendig, weil letztere nicht ganz korrekt war und die Richtung 1

Busch an Treitschke 8.11. 1865 und Gutschmid an Treitschke 27.11. 1865. « Steindorff an Treitschke 19.11.1865. * So Busch in einem undatierten Briefe (vom Vorsommer 1865) an Treitschke. 4 Römer war früher in Elmshorn gewesen und ein Freund des verstorbenen Nationalvereinspolitikers Theodor Lehmann. Grenzboten 1865. 1. Sem. II. Bd. S.56. — Siehe weiter Wehrenpfennig an Treitschke 18.11. und 6.12.1865. Briefe II S. 460 und Anm.

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des Ganzen leicht verfehlt worden wäre, wenn man dem Artikel Irrtümer hätte nachweisen können." Es waren doch nicht nur ein, sondern mehrere Abschnitte, die Römer weggelassen hatte. So war die Bemerkung Treitschkes fortgelassen, daß die Nordschleswiger dänischen Blutes und Sinnes Beien und die Erwerbung Nordschleswigs ein zweifelhafter Gewinn für Deutschland sei. Weggelassen waren ferner die kurz danach folgenden Äußerungen über den Fanatismus und das rücksichtslose Verfahren der augustenburgischen Beamten, Bowie die Betrachtungen über das Verbot dänischer Ladenschilde. Endlich hatte Römer freilich die Bemerkung Treitschkes aufgenommen, daß jedes noch so durchsichtige Märchen der Augustenburger von der liberalen Presse treulich nachgebetet wurde, er hatte aber die hierfür angeführten Beispiele weggelassen, u. a. das von dem deutschgesinnten Nordschleswig.1 Im Vergleich mit diesen bezeichnenden Weglassungen war die Änderung weniger wichtiger, die Römer an der Äußerung über die Stellung der Nordschleswiger zu Herzog Christian August vorgenommen hatte. Während Treitschke ihn als einen unbarmherzigen Grundherrn bezeichnet hatte, sprach Römer nur von einem rücksichtslosen, und des ersteren Äußerung, daß dieselben Nordschleswiger, die ihm einst geflucht, ihm jetzt unter brausendem Jubelruf die Pferde vom Wagen spannten, wurde bei Römer dahin geändert: „in demselben Nordschleswig, das einst . . . usw.2 — Über die herrschende Stimmung bemerkte Römer in dem genannten Briefe, daß außerhalb des 1 Siehe Preußische Jahrbücher 1865. 16. Bd. S. 385 u. 387 verglichen mit dem in Flensburg vorgenommenen Abdruck S. 12 u. 14. Von der Flensburgschen Ausgabe habe ich ein Exemplar aus der Universitätsbibliothek in Kiel benutzt. — Bei der Aufnahme des Artikels in die Sammlung „Zehn Jahre deutscher Kämpfe" (1874) ist Treitschke in bezug auf die genannten Weglassungen Römer gefolgt mit Ausnahme der Bemerkung über den Fanatismus der augustenburgischen Beamten und über die dänischen Ladenschilde, welche letztere indessen mit einer Anmerkung versehen wurde. Siehe S. 146 Anm. 1 Preußische Jahrbücher 1865. 16. Bd. S. 383. Der Flensburgsche Abdruck S. 10. — „Zehn Jahre deutscher Kämpfe" nimmt die Römersche Änderung auf.

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engen Kreises „unserer Freunde" wohl nirgends eine warme Hingabe an die beginnende Verwirklichung der nationalen Einheit herrschte. Es mußte genügen, wenn man anfing, das „Preußisch werden" als eine Notwendigkeit zu begreifen und zu akzeptieren. Von dem Aufsehen, das die annexionistischen Aufsätze Treitschkes erregten, zeugt es gleichfalls, daß der Gesandte Preußens in Baden Treitschke aufsuchte, um ihm zu erzählen, daß Bismarck sich sehr über seine „schleswig-holsteinischen Ketzereien" gefreut habe.1 War Bismarck aber darüber froh, so war ein anderer deutscher Staatsmann, der Staatsminister Sachsens Graf von Beust, weniger erbaut von dem Auftreten und der Tätigkeit Beines Landsmannes. Da Österreich und Preußen gemeinsam bei ihm Klage führten über die feindselige Haltung der sächsischen Presse antwortete er mit einer Gegenklage über die preußischen Zeitungen und führte u. a. an, daß in den Preußischen Jahrbüchern ein „bekannter Schriftsteller" in regelmäßiger Folge ausführte, daß die deutschen Staaten nicht nur Preußen sich unterordnen, nein, daß die deutschen Staaten und Dynastien zu existieren aufhören sollten. Bevor er auf den, der sächsichen Regierung gemachten Vorwurf, daß sie preußischfeindlichen Tendenzen nicht entgegentrete, einging, erwartete er, daß in Preußen die sachsenfeindlichen Tendenzen aufhören würden. Der Ausdruck „ein bekannter Schriftsteller" in Beusts Depesche zielte auf Treitschke, der in der folgenden Zeit in Briefen seiner Freunde scherzhaft als „Lieber bekannter Schriftsteller" angeredet wurde. Treitschkes Beiträge für die Preußischen Jahrbücher hatten aber seit dem Bruche im Sommer 1863 bisher nur in den beiden schleswig-holsteinischen Aufsätzen und in dem Essay über Napoleon I. bestanden, der in dieser Verbindung nicht in Betracht kommen kann. Wenigstens in der Form war der Ausdruck der Depesche von der in regelmäßiger Folge ausgeübten Tätigkeit zugunsten der Ver1

Treitschke an Reinhold Pauli 14.11. 1865.

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nichtung Sachsens also eine Übertreibung. Als Redakteur der Jahrbücher wünschte Wehrenpfennig indessen sehr, daß der Ausdruck der Depesche stimmte, und er schrieb an Treitschke, daß dieser doch nicht Beust Lügen strafen dürfte. Eine Antwort verdiente doch auch Beust.1 Eine solche „ H e r r von B e u s t u n d die P r e u ß i s c h e n J a h r b ü c h e r " schickte Treitschke auch umgehend, und sie wurde von Wehrenpfennig mit größter Anerkennung empfangen.1 Er fand den Humor des Artikels vernichtend und meinte, „der kleine eitle Mann wird außer sich geraten" über die spöttische Bemerkung Treitschkes, er habe seinen Beruf verfehlt, indem er besser zum Journalisten als zum Verfasser von Staatsdepeschen passe. Wehrenpfennig lobte weiter den leichten, spielenden Ton des Aufsatzes; nur hier und da blicke der bittere Ernst durch. Mit dieser Charakteristik des etwaB ausgelassenen Aufsatzes durch Wehrenpfennig wollen wir uns hier begnügen. Doch soll noch kurz wenigstens darauf aufmerksam gemacht werden, daß Treitschke namentlich auch Beust vorwarf, daß dessen schleswig-holsteinische Politik darauf hinausgegangen sei, in Holstein jenen partikularistischen Trotz und Haß auszusäen, welcher jetzt die Versöhnung des unglücklichen Landes mit dem preußischen Staate so sehr erschwerte. „Dieser einzige praktische Erfolg der Beustischen Staatskunst in den Herzogtümern erklärt zur Genüge den unfreundlichen Ton der preußischen Presse gegen Sachsen." Die Äußerung Treitschkes, der widerwärtige Zustand zwischen den beiden Nachbarstaaten Preußen und Sachsen werde sofort aufhören, wenn das letztere einen Minister des Auswärtigen bekäme, der seine Tätigkeit vorwiegend auf die Handelspolitik und die Anzeigen von fürstlichen Ent- und Verbindungen beschränkte — diese Bosheit war ein schlagender Ausdruck seiner Auffassung der deutschen Kleinstaaten. Dasselbe besagte seine Bemerkung, daß in einer Zeit, wo Landkarten in jedermanns Händen wären, es wider1

Wehrenpfennig an Treitschke 15.11.1865. Wehrenpfennig an Treitschke 18.11.1865. Der Artikel Treitschkes ist aber vom 19.11. datiert. 2

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sinnig sei, wie es offenbar die Herzensmeinung Beusts war, daß man in der preußischen Presse die unbehagliche Wahrheit nicht verkünden dürfe, das Königreich Sachsen umfasse nur 272 Geviertmeilen und könne nur 26000 Mann in das Feld stellen. Im Herbst 1865 kam auch, wie oben erwähnt, die zweite Ausgabe der Historischen und Politischen Aufsätze Treitschkes heraus. In der Abhandlung „Bundesstaat und Einheitsstaat" waren die Äußerungen über die Annexionsfrage in Übereinstimmung mit seinem veränderten Standpunkt gebracht. Er wies nicht mehr die schrittweise Erweiterung des preußischen Machtgebietes von sich, und er nahm von dem Gedanken Abstand, daß eine solche zur Teilung Deutschlands zwischen Österreich und Preußen führen könnte. Die Mainlinie, erklärte er hier, habe in gewissem Sinne ihre Berechtigung. Nördlich dieser sollte Preußen sich nämlich durch Eroberimg der anderen Staaten arrondieren, während die verhältnismäßig wohlgeordneten kleinen Staaten Süddeutschlands noch eine Zeit lang kein Feld für preußische Annexionsversuche darböten. Daß ein in Norddeutschland verstärktes Preußen seinen Einfluß auf Süddeutschland aufgeben sollte, betrachtete Treitschke als widersinnig, und der Zollverein verband ja auch Süden und Norden. — Diese Betrachtungen sah Treitschke für so wichtig an, daß er in einem Briefe vom 5. November Büschs Aufmerksamkeit besonders auf sie lenkte: „vielleicht wäre es um der Sache willen gut, wenn diese Stelle in den Grenzboten abgedruckt würde". Er meinte, daß kein Blatt über diesen Punkt sich schon bestimmt und ohne Konfusion geäußert habe. Busch kam der Aufforderung des Freundes nach, und die Stelle wurde in den Grenzboten unter dem Titel „Das Gespenst der Mainlinie" abgedruckt. Der starke Absatz, welchen die Historischen und Politischen Aufsätze fanden, konnte natürlich nur Treitschke in einem Gedanken bestärken, welcher um diese Zeit feste Form bei ihm annahm: einen weiteren Band von Abhandlungen herauszugeben und die Ausgabe der Deutschen Geschichte noch Treitschke

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eine Zeit aufzuschieben. Gewiß war die Deutsche Geschichte ja auch von ihm als eine Schrift geplant, welche politisch wirken sollte; teils erforderte aber ihre Ausgabe längere Zeit, teils mußte es viel leichter sein, in der Form eines Essays sich über die brennendenTagesfragen so zu äußern, wie man es wünschte. Als Wehrenpfennig von Treitschke dessen Plan einer neuen EssayBammlung erfuhr, war er mit ihm über diesen Gedanken ganz einig — auch wenn er von dem Gewinn abstrahierte, den die Jahrbücher haben würden (mehrere der Essays wurden ja zuerst in diesen gedruckt). An Treitschke schrieb er am 5. November, daß dieser den Gedanken verwirklichen solle, wenn er als Patriot und nicht als Professor handeln wollte.1 Namentlich erwartete Wehrenpfennig eine bedeutende Wirkung von einer Schilderung Cavours, welche Treitschke für die neue Sammlung ankündigte. „An ihm könnten wir lernen", schreibt Wehrenpfennig, „was es heißt, die Einheit über Alles zu setzen, wie töricht es ist, fertige Schablonen Uber die Mittel und Wege zur Einheit als Dogma hinzustellen, denn der Prozeß vollzog sich ja sicher ganz anders als er es vorausgesehen, und wie eine nationale Einigung heute nur noch mit einer größeren europäischen Kombination und auf der Basis des militärischen Elements möglich ist. Man muß den einzelnen Gliedern sanften Zwang antun können, und man muß die Feinde ringsum in Europa, die zusammen übermächtig sind, zerteilen, indem man sich nicht scheut, selbst gefährliche Freunde zu erwerben und ihre egoistischen Interessen mit unsern nationalen zu verflechten. Die Impotenz des deutschen Mazzinismus und der deutschen Parlamentspolitik muß aus der Darstellung der Politik Cavours klar hervorgehen." Ungefähr als ein Echo dieser Betrachtungen Wehrenpfennigs wirkt es, wenn Treischke nachher am 13. November Freytag seinen Plan mitteilt und schreibt, in ihm sei der Patriot tausendmal stärker als der Professor, und daß durch eine Dar1 Ähnliche Betrachtungen machte Busch in einem Briefe vom 8.11. geltend, indem er über das Verhältnis zu Hirzel bemerkte, daß Gottesdienst vor Herrendienst ginge.

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Stellung Cavours den Willenlosen und Phantastischen gezeigt werden könne, was geniale Realpolitik sei.1 Da Treitschke den sittlichen und moralischen Zustand der Nation so niederschlagend fand, wie seit langem nicht, sollte nach seiner Meinimg jeder, der noch ein wenig Verstand und Hoffnung in sich fühlte, unmittelbar und bald auf die öffentliche Meinung einwirken. In einem Brief um Neujahr 18662 meint er auch, die Politik wolle ihn noch lange festhalten und im Mittelpunkt seiner nationalen Arbeit stehen. Und da die parlamentarische Tätigkeit ihm verschlossen sei,3 bleibe er auf die Feder angewiesen. Die Äußerung Treitschkes an seinen Verleger, daß der zweite Band Essays im Laufe reichlich eines Jahres fertig werden könnte und die Herausgabe der Deutschen Geschichte nur um ein halbes Jahr verspäten würde, traf doch nicht zu. Der zweite Band kam erst um Neujahr 1870 heraus, und auf ihn soll hier nicht eingegangen werden. Dagegen sei erwähnt, daß Treitschke in den Jahren 1865—1866 sich mit dem Gedanken, ein paar Essays zu schreiben, beschäftigte, es wurde indessen nichts daraus. Er hatte gedacht, in die kommende Essaysammlung eine Darstellung des „Philosophen von Sanssouci" aufzunehmen. Charakteristischerweise hatte Wehrenpfennig darüber geäußert, daß die Schriften des alten Fritz ebenso wie eine Aufzählung der preußischen Schlachten zu dem aufdämmernden Bewußtsein, daß Preußen „eine gewisse Geschichte" hatte, beitragen würde.4 Später gab Treitschke doch diesen Plan auf zugunsten des Gedankens an „eine Darstellung und Kritik des deutschen Liberalismus", der durch die „Zerrüt1 Wenn die Äußerungen Treitschkes als eine Art Echo der Wehrenpfennigs wirken, so muß doch bemerkt werden, daß dies ja auch davon herrühren könnte, daß wir die Briefe Treitschkes an Wehrenpfennig nicht kennen. — Eine schlagende Übereinstimmung findet sich weiter zwischen hier nicht wiedergegebenen Teilen des Briefes Wehrenpfennigs und den Äußerungen Treitschkes an S. Hirzel 28.11.1865. » Treitschke an Franz Overbeck 1.1.1866. 1 Wegen seiner Taubheit. Trotzdem war Treitschke Mitglied des deutschen Reichstages von 1871—88. 4 Wehrenpfennig an Treitschke 5. 11. 1865.

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tung des Liberalismus" hervorgerufen war. 1 Auch hieraus wurde nichts. Baumgarten gab dann 1866 in der Form des Essays die „Selbstkritik des Liberalismus", während man wohl sagen darf, daß Treitschke dagegen später in seiner Deutschen Geschichte die geplante Darstellung und Kritik geliefert hat. Die oben angeführten Äußerungen Wehrenpfennigs über Cavour und den Weg zur deutschen Einheit haben, um einen Ausdruck Hayms zu gebrauchen, ein etwas „gouvernementales" Gepräge, und es ist sehr auffallend, in wie hohem Grade sie mit der Politik Bismarcks zusammenfallen. Bezeichnend für den Gegensatz zwischen Haym und Wehrenpfennig trotz ihrer ja weithin übereinstimmenden Ansichten ist es, daß während Wehrenpfennig Haym als den „moralischen" Haym erwähnt, es in einem Briefe des letzteren an Treitschke vom 5. Oktober 1865 über Wehrenpfennig heißt: „er ist eine sehr harte, pragmatische Natur, die leicht etwas Gouvernementales annimmt". Haym findet, daß Treitschke ihm sehr glücklich zur Seite stehe mit seinem höher hinauffliegenden politischen Pathos. Der Himmel verhüte, schreibt Haym, daß wir je simplement zu einer Partei Bismarcks würden 1 — In dieser Richtung ging ja aber gleichwohl die Bewegung unter den Altliberalen. Mehr und mehr trugen die „gouvernementalen" Gesichtspunkte den Sieg über den moralischen heim. Stand ein Mann wie Max Duncker nicht bereits auf der gouvernementalen Seite und folgte Wehrenpfennig nicht derselben Richtung? Sollte ein Mann wie Haym trotz der „Moralität" nicht bald nachfolgen, und hinderte das hinauffliegende politische Pathos Treitschke daran, die Sache gouvernemental zu betrachten ? 1

Treitschke an S. Hirzel 11. 2.1866.

IX. „NEUE S I T T L I C H E

MASSSTÄBE"

Ende 1865 meinte Treitschke, seine Familie damit beruhigen zu können, daß er keine Veranlassung mehr habe, über die schleswig-holsteinische Frage zu schreiben. Die öffentliche Meinung sei jetzt in einem Umschwung begriffen und täglich mehr Menschen versöhnten sich mit dem Gedanken, daß die Herzogtümer preußisch würden.1 Wie wir oben gesehen, hatte Aegidi sich gedacht, daß es Bismarck eine besondere Befriedigung sein würde, seine Politik den Herzogtümern gegenüber trotz des Widerstandes des Abgeordnetenhauses und „Professorenpacks" durchzusetzen. Diese Befriedigung ließ das Professorenpack ihm doch nicht zuteil werden. Schon in einem Artikel vom 26. April 1865 in der „Neuen Freien Presse": „Deutsche Professoren und die Bismarcksche Politik" klagte der preußische Abgeordnete Frese fünf namhaft gemachte historische Professoren als Verfechter der Annexionspolitik an: Treitschke, Mommsen, Sybel, Droysenund Duncker; alle Männer von angesehenen Namen und deren jeder, wie der letztere bemerkte, ihrem Vaterlande doch etwas geleistet hatte. 2 Zuerst und am schärfsten von diesen Professoren war Treitschke als Verfechter des Annexionsgedankens in die Arena getreten. Als Droysen im Herbst 1865 ihm für die Aufsätze dankte, mit denen er in die Konfusion der Gemüter über die schleswig-holsteinische, d. h. die deutsche Frage einiges Licht gebracht hatte, meinte Treitschke wohl bescheiden, daß er den betreffenden Arbeiten nur das eine Verdienst zugestehen könne, daß sie offen heraussagen, was eine kleine Minderheit im stillen meinte.3 Treitschke gegenüber hatte Droysen bereits am Ende des Jahres 1864 seine Freude über die Energie und Entschlossenheit Bismarcks ausgesprochen, indem er gleichTreitschke an die Schwester Johanna Baronin O'Byrn 1 7 . 1 2 . 1 8 6 5 . Duncker, Briefwechsel S. 388. 8 Droysen an Treitschke 1 2 . 1 2 . 1 8 6 5 , und Treitschke an Droysen 25.1. 1866. 1

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zeitig stark bedauert hatte, daß das Ministerium der neuen Ära nicht im Dezember 1859 Hand auf Schleswig-Holstein legte.1 Kaum ein paar Monate nach dem Februarartikel Treitschkes hatte Mommsen seine Broschüre „Die Annexion SchleswigHolsteins" als ein Sendschreiben an seine Wähler herausgegeben. Er legte hier davon Rechenschaft ab, in welchem Sinne er „Annexionist" sei; als solcher war er schon öfters bezeichnet worden. Für die „partielle Annexion" der Herzogtümer durch Preußen, d. h. den maritimen und militärischen Anschluß, trat er hier unbedingt ein. Dieses war, was Preußen zu fordern ein Recht hatte, darüber hinaus war es Forderungen zu stellen nicht befugt. Aber als geborener Schleswig-Holsteiner befürwortete Mommsen sehr, daß die Schleswig-Holsteiner selbst die vollständige Annexion wünschen sollten, und er malte die schädlichen Folgen einer nur partiellen kräftig aus. Er wollte den Einwand, daß die Schleswig-Holsteiner durch ihren Eid an den Prätendenten gebunden seien, nicht gelten lassen. Auch er selbst hatte im Dezember 1863 sich an feierlichen öffentlichen Erklärungen zugunsten des Augustenburgers beteiligt, die Verhältnisse hatten sich aber geändert. Es stand jedem frei, ihm Inkonsequenz und Abfall vorzuwerfen. Solches vermöchte er zu ertragen, dagegen nicht, daß er sich selbst sagen müßte, er habe, um „den Schein der Konsequenz" zu retten, an dem einmal gesprochenen Wort wider besseres Wissen und Gewissen festgehalten. Obschon er also die vollständige Annexion als die glücklichste Lösung befürwortete, bemerkte er doch, daß er und seine Freunde, so weit es an ihnen läge, das Selbstbestimmungsrecht der Schleswig-Holsteiner achten würden, auch dann, wenn das, was diese beschlossen, ihnen unzweckmäßig erscheinen sollte. Der Ton der Broschüre Mommsens war, wie Treitschke in dem Dankschreiben vom 16. April anerkannte, viel „bescheidener" als der seiner eigenen leidenschaftlichen Schrift. Ob1

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Droysen an Treitschke 15.12.1864.

schon er sie aber sehr lobte und die Hoffnung aussprach, daß sie „uns noch gute Dienste" in den Herzogtümern tun würde, konnte er doch ihre Betrachtungen über das Selbstbestimmungsrecht der Schleswig-Holsteiner nicht teilen. Gewiß sei die gewaltsame Einverleibung ein schweres Unglück, aber doch einem halb souveränen augustenburgischen Staate vorzuziehen. Schärfer äußerte Wehrenpfennig sich über die Broschüre; Mommsens Versuch, die Schleswig-Holsteiner moralisch zu erobern durch eine höfliche Form und durch Grobheiten gegen Bismarck, war nach seiner Ansicht ganz verfehlt. Aus dieser Tendenz, schrieb er am 13. Mai an Treitschke, kam der Ton der Broschüre: Mommsen „sagte mir: wir fuhren nicht schön genug mit den Leuten". Von den annexionistischen Ansichten Max Dunckers ist früher gesprochen worden. Von Sybel haben wir die Äußerung angeführt, ihm sei Peter oder Paul ebenso recht wie Fritz oder Franz, wenn nur das Erscheinen des Betreffenden die Befreiung der Herzogtümer und die Interessen Preußens sicher gewährleistete. Ungefähr gleichzeitig mit Mommsens Broschüre ergriff Sybel auch öffentlich das Wort in der schleswig-holsteinischen Sache durch ein Schreiben, welches am 26. April in die Kölnische Zeitung Nr. 115 aufgenommen wurde: „Heinrich von Sybel über Schleswig-Holstein." Dieses Schreiben war in nur wenig geänderter Form gleichlautend mit einem Schreiben, das Sybel am 26. März dem Sechsunddreißiger Ausschuß geschickt hatte, der von einer Versammlung nationalgesinnter Abgeordneter aus allen deutschen Staaten am Ende des Jahres 1863 in Frankfurt gewählt war, um die Rechte des Augustenburgers und die Rechte Deutschlands geltend zu machen. Sybel befürwortete in dem Schreiben, daß dieser Ausschuß mit allem Nachdruck für die Erfüllung der preußischen Februarbedingungen eintreten solle. Erst wenn diese angenommen seien, könnten im übrigen die inneren Angelegenheiten der Herzogtümer dem berechtigten Fürsten und der gesetzlichen Landesvertretung überlassen werden. Die militärische Sicherung des deutschen Nordens sei der Gesichtspunkt, der alles andere in 167

den Schatten stelle, und Sybel hob — bezeichnend genug, aber kaum völlig erschöpfend — hervor, daß die nationale Partei aus dem Drange nach Bundesreform auf dem militärischen Felde erstanden sei. Für ihn und seine Parteigenossen gab es nur einen Standpunkt: vor allem muß geschehen, was f ü r D e u t s c h l a n d n o t t u t . „Ein strenger Legitimist oder Partikularist mag das anders ansehen." Dieses notwendige, der militärische Anschluß der Herzogtümer an Preußen, mußte geschehen — „hoffentlich und so weit wie möglich in der Form Rechtens. Aber es muß geschehen, sollte sich auch für den Augenblick die Rechtsform nicht finden lassen. Es muß geschehen, weil Deutschland nicht zugrunde gerichtet werden darf, auch nicht unter der Form Rechtens." — An Baumgarten schrieb er in einem Briefe vom 3. Juli 1865, dieser würde gelesen haben, wie er sich zu der Holsteiner Sache stelle: „ich kann zu keinem anderen Resultat kommen, als daß wir uns 1863 nicht für die schönen Augen des Herzogs Friedrich interessiert haben, sondern für seine Erhebung erstens in antidänischem und zweitens in nationalem Sinne, und daß wir also jetzt unser Interesse nur insoweit fortsetzen können, als er die Wehrhaftigkeit des deutschen Nordens und die Durchbrechung des Bundesrechtes an dieser Stelle nicht hindert." Weiter bemerkte er, daß im Abgeordnetenhause Mommsen und der liberale Führer Karl Twesten derselben Ansicht seien, daß aber die Mehrzahl nur den einen Gedanken habe zu tun, was Bismarck unangenehm sei.1 Sybel selbst hatte wegen Krankheit sein Mandat als Abgeordneter im Anfang des Jahres 1864 niedergelegt, und dieses befreite ihn, wie er später bemerkte, davon, sich weiter zu blamieren. Das vorbehaltlose und leidenschaftliche Bekenntnis Treitschkes zum Annexionsgedanken konzentrierte natürlich in erster Reihe das öffentliche Interesse auf sein Auftreten. In seinen Erinnerungen äußert Haym über Treitschke, daß, indem er die Notwendigkeit betonte, um jeden Preis, auch um den Preis jedes anderen politischen Gutes, allererst die Gelegenheit beim 1

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Deutscher Liberalismus 1 S. 248 Anm. 3 und S. 252.

Schöpfe zu ergreifen und um der Herbeiführung der deutschen Einheit willen die Hand auf Schleswig-Holstein zu legen, er der liberalen Partei ihr neues Programm gab, dem diese langsam und allmählich folgte.1 — Als ein weiteres Zeugnis — außer den schon früher angeführten — dafür, wie sehr Treitschkes Artikel im Jahre 1865 besprochen wurden, sollen hier einige Äußerungen seiner Freundin Gustava von Haselberg in einem Briefe vom Ende des Jahres angeführt werden: „ich weiß, daß Sie in Preußen im letzten Jahr einen sehr bedeutenden Namen errungen haben als politischer Schriftsteller, daß jedes meiner Geschwister mir von Berlin, Breslau und Greifswald die Notizen, mündliche oder gedruckte mitteilt, die über Sie gemacht sind, daß Ernst (ihr älterer Bruder) von Ihren Aufsätzen, wie er sie von mir bekommt, sagt, ich habe schon in den Zeitungen darüber gelesen; daß mein jüngster Bruder, der vor medizinischer Arbeit nicht so viel an andern Dingen teilnehmen kann, als er möchte, bei seinem letzten Besuch, als er Ihren Namen hier las, sagte: der Mann ist ja erschrecklich schnell berühmt geworden . . ."* Im Anfang des Jahres war Treitschke durch seine Brandschriften wohl mehr berüchtigt als berühmt, und darüber war er auch selbst sich klar. Nur langsam und allmählich, wie Haym schreibt, folgte die Anerkennung der auswärtigen Politik Bismarcks und der von dieser gebrauchten Methoden durch den Liberalismus. Sowohl aus augustenburgischen als aus liberalen Federn floß viel Polemik gegen die Ansichten Treitschkes. Auf augustenburgischer Seite kann man die verschiedenen Schriften des Kieler Pastors L. Schräder nennen. Nicht ohne Grund fragte dieser, weshalb Preußen und die nationale Partei nicht im Herbste 1863 für das Annexionsprogramm eingetreten seien. Es jetzt durchgeführt zu verlangen, hieß den Holsteinern einen moralischen Selbstmord zuzumuten.8 Es muß auch zu1 R. Haym, Aus meinem Leben S. 271. • Gustava von Haselberg an Treitschke 1 0 . 1 2 . 1 8 6 5 . ' L. Schräder, Kurze Bemerkungen zu H. v. Treitschkes „Die Lösung der schleswig-holsteinischen Frage." Vierter Abdruck Kiell865, 8.17 u.19.

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gestanden werden, daß der Huldigungseid etwas von seiner Heiligkeit verloren haben müsse in den Augen derer, die ihn z. B. erst Christian IX. leisteten, dann erklärten, zur besseren Erkenntnis gekommen zu sein und ihn dem Augustenburger leisteten, um schließlich ihn dem König Wilhelm von Preußen abzulegen. Ein so leichtfertiger Wechsel der Überzeugung werde auf die wenigsten einen angenehmen Eindruck machen. Als Kuriosum kann übrigens angeführt werden, daß Schräder im Jahre 1864 eine Tochter Gutschmids taufte, bei welcher Treitschke Gevatter stand, und daß Treitschke damals ihn als „den braven Pastor Schräder, den ersten Geistlichen im Lande, der sich weigerte, für den Protokollprinzen das Kirchengebet zu halten", bezeichnete.1 Daß die Ansichten Treitschkes über Schräder sich änderten, bedarf keiner weiteren Erklärung. Als Treitschke 1866 nach Kiel ging, bekam er eine Wohnung in demselben Hause wie Schräder und hatte das Vergnügen, ihm manchmal auf der Treppe zu begegnen.2 — Angriffe von liberaler Seite, wie die von Biedermann in Leipzig, oder von der Fortschrittspartei sind früher erwähnt, und selbstverständlich konnte auch nicht das Organ des Nationalvereins die HerausforderungenTreitschkes unbeantwortet lassen.3 Daß Treitschke an Angriffe gewöhnt, so wie er war, sich solche zu Herzen genommen habe, sieht man nicht. Einer Kampfesnatur wie der seinigen mußte es näher liegen, wie er auch selbst an einer Stelle bemerkt, mit Hochgenuß die Beschimpfungen zu lesen, die ihm zuteil wurden.4 Die Jahre 1864 und 1865 wurden für Treitschkes Betrachtung der Politik von entscheidender Bedeutung. Wie schrecklich schnell haben wir nicht in diesen Jahren gelebt, sagte er, und in dem Briefe an Droysen vom 25. Januar 1866 heißt es, daß er gar nicht aussagen kann, wie Vieles und Schweres er in 1

Treitschke an den Vater 9. 2.1864. Die betreffende Stelle des Briefes ist ungedruckt. " Treitschke an S. Hirzel 8. 2.1867 (ungedruckter Brief). * Wochenschrift des Nationalvereins 19.10.1865. Der Artikel „Wider Treitschke". Oncken, R. v. Bennigsen I S. 681. 4 Treitschke an Weech 13. 2.1865 (ungedruckter Brief).

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den zwei Jahren gelernt habe: „Alle Fehler, die ich je in der Politik begangen, stammen daher, daß ich gar nicht ahnte, wie arm an Geist, Mut und Fleiß die große Masse unserer Liberalen ist." Früher hatte er, heißt es in einem anderen Briefe aus ungefähr derselben Zeit, den Stand der politischen Bildung und Tatkraft unter den Deutschen unendlich überschätzt. Seit seine Schriften ihn mit den Parteien in immittelbare Berührung gebracht, hatte er freilich manche politische Belehrung bekommen, sie war aber traurig genug.1 Der eigentliche Grund, daß der Liberalismus in den Jahren 1864—65 plötzlich Treitschke in so unangenehm veränderter Form erschien: phrasenreich und lügenhaft, geistverlassen und unsittlich oder mit welchen wohlklingenden Beinamen er ihn sonst versah, war, daß der Liberalismus der kräftigen auswärtigen Politik mit zugehörigen „unmoralischen Methoden" einer reaktionären Regierung gegenübergestellt teils sich nicht schnell genug dazu bequemte, die innere Opposition als eine geballte Faust in die Tasche zu stecken und teils es als äußerst schwierig empfand, sich mit Methoden zu versöhnen, die nach den Grundsätzen der Partei unzulässig waren. Über alles dies, über jedes andere politische Gut stellte nun Treitschke, um die Worte Hayms zu gebrauchen, die Herbeiführung der Einheit und Macht Deutschlands. In der Abhandlung „Bundesstaat und Einheitsstaat" polemisiert Treitschke in dem Abschnitte „Die Märchenwelt des Partikularismus" gegen das, was er das demokratische Feldgeschrei nennt: „erst Freiheit, dann Einigkeit", und er behauptet, daß dies Unsinn sei, denn es bedeutet: „erst staatliche Rechte, dann ein Staat". 2 Selbstverständlich hat Treitschke recht in dem, was er an derselben Stelle gleich im voraus bemerkt, daß der liberale Unwille gegen die herrschende preußische Regierung von dem Partikularismus ausgebeutet wurde, aber der genannte Satz scheint sonst in keiner Beziehung besonders glücklich geformt. Man sollte jedenfalls 1 2

Treitschke an Franz Overbeck 1.1,1866. Historische und politische Aufsätze I I S . 88.

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nicht meinen, daß dieser Satz auf die Forderung der Liberalen zielen könne, daß Preußen erst selbst ein wirkliches konstitutionelles System einführen sollte, um dadurch Sympathien bei den anderen liberalen deutschen Staaten zu gewinnen. Von einem realpolitischen Standpunkt wird man vielleicht diese Forderung als naiv bezeichnen können, es liegt aber doch an und für sich nichts Widersprechendes in einer solchen Stellungnahme. Das genannte Feldgeschrei kehrte Treitschke jetzt um: erst Einheit und Macht, dann Freiheit. Wie Freytag für seine Person sich zu dieser Parole stellte und zu dem Cäsarismus als Übergangsstadium, ist oben behandelt; es schien ihm unmöglich, seinen Liberalismus für ein Lustrum nach dem Monde zu versetzen. Diese Parole mußte selbstverständlich den praktischen Politikern im preußischen Abgeordnetenhaus sehr viel unangenehmer sein als den nichtpreußischen Publizisten. Es konnte für diese keine so leichte Sache sein, zu scheiden zwischen einer auswärtigen Politik, welche sie unterstützen wollten, und inneren Maßregeln, welche sie angreifen mußten. Als die Abrechnung mit Österreich vor der Tür stand, gewann die Parole: erst Macht, dann Freiheit doch Boden. Unter dieser Parole veranstaltete Haym in Halle eine größere Kundgebung, ein Anfang der späteren nationalliberalen Partei. 1 An Max Duncker schreibt Haym, daß er sich bis aufs äußerste gegen die Parole: erst die Verfassung, dann die Existenz stimmen werde. Die Gesichtspunkte, die er und seine Freunde haben, sind die, daß mit der Macht die Einheit, mit beiden wenn auch in langsamer Entwicklung, die Freiheit kommen werde. Haym räumt aber ein, daß diese historisch-politischen Erwägungen im allgemeinen über die Köpfe der Menge hinweggehen.1 Bei der großen liberalen Masse geschah auch vor dem Kriege mit Österreich kein allgemeiner Umschlag zugunsten der genannten Anschauungen. Baumgarten fand, daß der 1

Oncken, Bennigsen I S. 697. Haym, Aus meinem Leben S. 290. * Haym an Duncker 12. 5. u. 19. 5.1866. Duncker, Briefwechsel S. 407 und 410.

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Liberalismus übel verspielt habe, und daß die Bevölkerung ihm den Rücken kehren werde. „Aber das sind untergeordnete Sorgen. Erst ein großer Staat, dann können wir das andere abwarten." 1 Ein skeptisch veranlagter liberaler Führer wie Karl Twesten schrieb am 10. Juni 1866, die Regierung werde bei schnellem Siege unbedingt Herr der Lage sein: „dann dürfen wir nicht mehr auf dem Trottoir gehen, meinte ein ehrsamer Bürger". Der Absolutismus und die Junker haben alle Chancen für sich, sagte er, und ob Preußen unterlag oder ob es ohne die Mitwirkimg der Liberalen siegte: die Liberalen würden in beiden Fällen die Leidtragenden sein.2 Nach dem Siege über Österreich bekannten natürlich mehr und mehr sich zu dem Satze: erst Einheit und Macht, dann Freiheit, ja Max Duncker drückte ihn sogar so drastisch aus, daß er die Einheit des Zuchthauses der Ohnmacht und Zersplitterung vorziehe.3 Um die Macht und Einheit Deutschlands zu erreichen, war Treitschke bereit, mit allen Kräften die auswärtige Politik Bismarcks zu unterstützen. Mit der inneren Politik der Bismarckschen Regierung wünschte er indessen nicht identifiziert zu werden. Er wollte fortdauernd die konstitutionellen Forderungen an Preußen aufrechterhalten. Eine solche Trennung zwischen der inneren und der äußeren Politik mußte, wie gesagt, an und für sich auch ihm als Nichtpreußen und Publizisten leichter sein als den Fachpolitikern des Abgeordnetenhauses. Dagegen, daß er selbst und seine Freunde wegen ihrer Haltung mit den Anhängern des Cäsarismus verwechselt würden, waren, wie wir gezeigt haben, seine Arbeiten über den Bonapartismus gerichtet. Auf der Schwelle zum Kampfe mit Österreich betonte Treitschke kräftig, daß Bismarck die konstitutionellen Zustände in Preußen wieder einführen müsse, Baumgarten en Sybel 23. 6.1866. Deutscher Liberalismus I S. 315. Deutscher Liberalismus I S. 307. 3 Duncker an Treitschke 6 . 1 2 . 1 8 6 6 . Deutscher Liberalismus I S.355 f. Der Ausdruck Dunckers bezieht sich auf einige Äußerungen in einer Redé Twestens. — Vgl. auch A. L. v. Reyscher an Duncker 10. 4 . 1 8 6 7 : Mir ist selbst der Despotismus recht, wenn er uns zur Einheit führt. Duncker, Briefwechsel S. 439. 1

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lind er schlug es selbst ab, in den Dienst der preußischen Regierung zu treten, um während des Kampfes offiziös für ihr Ziel zu wirken. — Eine Gelegenheit zu noch kräftigerem Auftreten gegen die innere Politik Bismarcks ließ Treitschke aber unbenutzt vorübergehen. Ende Januar 1866 hatte das preußische Obertribunal die Rechtsverfolgung der Abgeordneten Twesten und Frenzel wegen Reden, die sie im Abgeordnetenhaus gehalten hatten, für zulässig erklärt. Dieser Eingriff in die Redefreiheit des Hauses erregte überall bei den Liberalen den größten Zorn. Am 2. Februar schrieb Wehrenpfennig an Treitschke, wie erschüttert er durch diesen Beschluß des Tribunals sei, die Preußischen Jahrbücher müßten auf das entschiedenste auf diese Nichtswürdigkeit antworten. Das Ministerium und Bismarck besonders seien mitverantwortlich. Wehrenpfennig bat Treitschke, ihm zu raten, wer über diese Sache schreiben solle. Treitschke entschloß sich dazu, selbst aufzutreten, was er umgehend Wehrenpfennig mitgeteilt haben muß — zu dessen großer Freude. „Sie sind", schreibt Wehrenpfennig am 7. Februar, „in der Tat der beste Mann, um gegen diesen schlimmsten Akt brutaler und sophistischer Willkür zu schreiben. Sie waren unser Wortführer in der Sache, in welcher wir uns mit dem Ministerium in einer Anschauung zusammenfinden mußten und auch noch zusammenfinden müssen; es schickt sich also am besten, daß gerade Sie den Abgrund darlegen, der uns von dieser Gesellschaft in allen Fragen des inneren Staatsrechtes trennt. Sie werden mit größerer Kraft als ein anderer es darzustellen wissen, daß wahrlich nur ein großer Fonds von Vaterlandsliebe und persönlicher Selbstverleugnung uns fähig macht, auch nur in einem Punkt auf der Seite zu stehen, wo die Individuen stehen, die unsere Justiz korrumpieren."1 Treitschke bedachte sich indessen und änderte seinen Entschluß.2 Von Bismarck war ihm eben in Aussicht gestellt worden, daß er für seine Studien über die Deutsche Geschichte Zutritt zu den preußischen Archiven er1 1

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Deutscher Liberalismus I S. 272. Siehe Wehrenpfennig an Treitschke 9. 2.1866.

langen könne. Er fürchtete, daß ein Auftreten ihm hier Schwierigkeiten bereiten könne, und gab deshalb die Sache auf. Einem Historiker liegt es natürlich fern, die Bedeutung einer solchen Betrachtung unterschätzen zu wollen, bei Treitschke war ja aber nach seiner eigenen Aussage der Patriot tausendmal stärker als der Professor, und eine Betrachtung wie die genannte hat schwerlich bei einer so leidenschaftlichen Natur wie der seinigen den Ausschlag gegeben. Im Jahre 1866 scheute er sich weder vor dem Bruche mit der Familie noch vor der Niederlegung seiner Professur. Sollte dann, darf man fragen, die Rücksicht auf den Gehalt eines künftigen wissenschaftlichen Werkes ihn vom Auftreten für die Sache des Liberalismus haben abhalten können, wenn dieser ihm sehr am Herzen gelegen hätte ? Fiel es dem Liberalismus schwierig, seine innere Opposition wie eine geballte Faust in die Tasche zu stecken, so mußte es ihm doch noch schwieriger fallen, sich zu den Methoden zu bekennen, die Bismarck gebrauchte, um seine Ziele zu erreichen. Über dies alles, über jedes andere politische Gut Btellte aber Treitschke die Gewinnung der Macht und Einheit Deutschlands. Wenn Treitschke behauptete," früher den Stand der politischen Bildung und Tatkraft seiner Landsleute unendlich überschätzt zu haben, so kann man natürlich meinen, daß dieses davon herrühre, daß er nie eine wirkliche innerliche Verbindung mit dem Liberalismus gehabt hat. Die liberale Bewegung war zugleich national geprägt, und nach 1848 hatten ihre meisten Anhänger sich der kleindeutschen Lösung der deutschen Frage angeschlossen. Trotz des Unterschiedes: Bundesstaat oder Einheitsstaat bestand also doch eine große äußere Übereinstimmung zwischen den liberalen Kreisen und Treitschke. Die Tätigkeit des Liberalismus war aber an die öffentliche Meinung geknüpft, und man kann wohl meinen, daß diese die Männer zwang, welche mit ihr arbeiteten, sowohl genauer in der Wahl der Mittel zu sein als nicht gar zu häufig diese zu wechseln. Und der Lebensnerv des Liberalismus war die Forderung der Freiheit für den einzelnen wie für die Völker. 175

Diese Forderung konnte und mußte ihre konsequentesten Anhänger bis zum offenen „Landesverrat" führen. Über die Macht und Einheit Deutschlands wurde die Durchführung der liberalen Prinzipien gestellt. Der Bruch zwischen dem Liberalismus und Treitschke kam, als sich andere Wege zur Herbeiführung der Macht und Einheit Deutschlands wie die von dem Liberalismus angewiesenen zeigten. Es ist selbstverständlich ganz unsinnig, wenn Treitschke den Liberalen vorwirft, daß sie für die Einheit nur mit Phrasen schwärmen und in der Tat diese nie ernsthaft gewollt haben. Das ist nur ein Zeugnis für die Hitze des Kampfes. Man kann natürlich fragen, ob die Einheit durch die vom Liberalismus angewiesenen Mittel erreicht werden konnte, aber man darf nicht leugnen, daß der Liberalismus selbst an diese Mittel glaubte. Da die Politik Bismarcks indessen eine Aussicht zur Macht und Einheit Deutschlands eröffnete, ging Treitschke in sein Lager über. Daß er gerade geglaubt haben sollte, daß die Methoden Bismarcks die einzigen oder die besten seien, darauf deutet nichts. Sie waren aber jedenfalls brauchbar, und zur Erreichung des großen Zieles sollte man nicht gar zu wählerisch mit den Mitteln verfahren. Treitschke wünschte seinen Landsleuten so viel Patriotismus einzuflößen, daß sie, wenn es sich um die Frage Macht und Einheit handelte, nach Recht und Unrecht zu fragen unterließen. Dies sprach er selbst in dem einen seiner schleswig-holsteinischen Aufsätze aus, und das war auch der Ton, der in seiner ganzen Polemik wie in den privaten Äußerungen aus dieser Zeit sich findet. Es ist jetzt, so scheint uns, von nicht geringem Interesse zu sehen, wie Treitschkes Bekannte und Freunde auf diese mit so kräftiger Beredsamkeit und so flammender Leidenschaft verfochtenen Ansichten reagierten. Dies ist von mindestens eben so großem Interesse, wie die für die Öffentlichkeit und in Übereinstimmung mit herkömmlichen Gesichtspunkten zurechtgemachten Angriffe auf ihn zu studieren. In dem folgenden wollen wir deshalb verschiedene Äußerungen dieser Reaktion näher betrachten. 176

Zuerst das Verhältnis Treitschkes zu seinem Vater! Von dem alten königstreuen sächsischen General bekommt man aus den Briefen des Sohnes an ihn ein sehr sympathisches Bild. Man muß unwillkürlich sich fragen, ob der Sohn nicht mitunter ein wenig mehr Rücksicht auf die Stellung und die Empfindungen seines Vaters hätte nehmen können. Jedenfalls sieht man nicht, daß diese dem Sohne irgendeine Zurückhaltung in seinem Auftreten auferlegt haben. Als er Ende Mai 1866 seine Broschüre „Der Krieg und die Bundesreform" herausgab, meint Wehrenpfennig, daß die Besorgnis Treitschkes, nicht durch persönliche Empfindungen influenziert zu werden, ihn eben in den Äußerungen über Beust und Sachsen schroffer als sonst gemacht habe. 1 Schwelgt Treitschke nicht ein wenig in dem Martyrium: dem Verhältnis zur Familie, und empfindet er nicht eben in der Spannung zu dieser etwas wie eine gewisse Auslösung seines Kampfes- und Lebensdranges ? — Wir stellen nur diese Fragen, ohne sie beantworten zu wollen. Mag die Antwort in dem einen oder anderen Sinne ausfallen, so wird natürlich darin in keinem Falle etwas für den Charakter Treitschkes Herabsetzendes enthalten sein. An den Augustenburger hatte Sachsen und sein leitender Staatsmann ja seine Politik geknüpft. Treitschkes Februarartikel mußte deshalb den Vater sehr schmerzlich berühren. Erst in einem Briefe vom 5. Mai und durch einen Angriff auf Treitschke in der Leipziger Zeitung 1 veranlaßt, äußerte er sich indessen dem Sohne gegenüber: „ . . . leider kann ich, dein Vater und bester Freund, ihm (dem Urteil der Leipziger Zeitung) nur zustimmen." Diese seine Ansicht war indessen keine Folge dieses Angriffes, denn schon sogleich nach der Lektüre des Aufsatzes des Sohnes hatte er zu seiner Tochter Josephe gesagt: „Heinrich ist Jesuit geworden; ihm heiligt der nach meiner Ansicht höchst verwerfliche und verderbliche Zweck die Mittel." 1

Deutscher Liberalismus I S. 299. Wehrenpfennig an Treitschke 29. 5.

1866.

1 Siehe Briefe II S.393 und 398 f., wo auch ein kleiner Teil des Briefes des Vaters vom 5. Mai gedruckt ist.

Treitschke 12

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Und im stillen hatte er sich gesagt: „Mich schmerzt es tief, daß mein Sohn sein ihm angeborenes Rechtsgefühl durch seinen Parteifanatismus gänzlich aufgehen läßt." Er fand, daß der Sohn durch sein unberufenes Auftreten sich* selbst einen sehr schlechten Dienst geleistet habe, da er sich nicht als Geschichtsschreiber sondern als Parteimann gezeigt habe. Davor hätte er ihn früher gewarnt, aber freilich, bemerkte er bitter, „der befangene Gesichtskreis deines im alten Herkommen und der Kleinstaaterei versauerten Vaters konnte für dich nicht maßgebend sein". Dem Sohne, meinte er, sei es ganz nützlich, daß er jetzt auch die Stimmen der Gegner zu hören bekomme. Er nannte die Schriften Schräders und anderer: „sie halten sich streng in den Grenzen des Rechtes und sprechen aus, wie man dort (in Holstein) denkt, was man wünscht, verlangt und was man verabscheut." Das tüchtige holsteinische Volk besäße die volle Berechtigung zur Selbständigkeit, und geradezu niederträchtig wäre es, die Welt glauben machen zu wollen, es sei in Holstein der Wunsch nach „Verpreußen" vorherrschend. Der Vater schloß: „Bist du stolz darauf, mit den Herren Mommsen und Sybel zusammengenannt zu werden, nun wohl, so sei es, nimm aber auch dasselbe Urteil hin, welches jetzt von Rechts wegen über diese vom früher laut anerkannten Rechte Abtrünnigen gefällt wird." In einem Briefe, der ungefähr einen Monat später geschrieben ist, äußerte der Vater, daß er bei demjenigen fest stehen bleiben müsse, was er in dem früheren Briefe dem Sohne gesagt habe. Er teilte außerdem mit, daß er den Verleger des Sohnes, S. Hirzel, gebeten habe, seinen Einfluß als Verleger und älterer Freund dahin anzuwenden, daß der Sohn in dem kommenden größeren Buche (Deutsche Geschichte) als Geschichtsschreiber und nicht als Parteimann auftrete. „So lange ich nämlich Recht von Unrecht und Schwarz von Weiß zu unterscheiden weiß, muß ich Preußens jetzige Bestrebungen verwerflich und verderblich meinen, für Deutschland gewiß, für Preußen selbst vielleicht noch mehr, denn wehe dem Staate, der selbstgeständlich um seiner Ehre willen alle rechtlichen Bedenken außer Betracht 178

zu Betzen sich genötigt sehe." Die Art und Weise, wie die Verfeohter Preußens vorzuspiegeln versuchten, daß Preußen ein Recht für sich habe, müsse er unsittlich nennen und deshalb tue es ihm so weh, seinen Sohn unter diesen zu sehen.1 Beide Briefe schloß der Vater dennoch damit, daß der Kummer, den das Auftreten des Sohnes ihm gemacht hatte, vergeben und vergessen sein solle. In einem längeren Briefe vom 22. Mai suchte Treitschke Punkt für Punkt die Auffassungen des Vaters zu widerlegen. Namentlich widersprach er heftig, daß seine Ansicht „unsittlich" sei — es scheint zuweilen, daß er meinte, das Privileg auf den Gebrauch dieses Wortes zu haben zur Charakteristik seiner Gegner —. Was er und seine Parteigenossen behaupteten, sei einfach, daß das positive Recht in dem vorliegenden Falle unvereinbar mit den LebensintereBsen des Vaterlandes sei. Man müsse es also aufheben und den Berechtigten entschädigen. Jeder historische Fortschritt vollziehe sich auf die Weise, daß man das gemeinschädlich gewordene positive Recht aufhebe. Es fromme niemals, betonte Treitschke, sofort politische Meinungen, die man für unrichtig halte, als unsittlich zu verdammen — ein Satz, gegen welchen er selbst sich doch öfters versündigt hat. — An Hirzel hatte Treitschke sogleich nach Empfang des ersten Briefes geschrieben: „was sind das doch für verworrene Zeiten, wo der Sohn vom Vater ein Jesuit genannt wird, weil er an Herrn Samwers Lügen nicht glauben kann!" 2 Die Verwirrung bestand natürlich für Treitschke in der in dem gegnerischen Lager herrschenden Parteiverbitterung, Lügenhaftigkeit und dem Phrasenreichtum. Unwillkürlich erinnert die Bemerkung doch an den eigenen Zorn Treitschkes, daß die Nation sich nicht zu dem heilsamen Jesuitismus entschließen könne, mit einem Fußtritt denAugustenburger mitsamt seinen alten Pergamenten zu entfernen! Wie Treitschkes Februarartikel den Verleger der Preußischen 1 1

12»

Der Vater an Treitschke 9. 6.1865. Treitschke an S. Hirzel 7. 5.1865.

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Jahrbücher zu der Betrachtung bekehrte, daß mau es in der Politik nicht allen gerecht machen könne, und daß man, um große Ziele zu erreichen, mitunter kleine Leute umrennen müsse, ist oben erwähnt (S. 91). Auch die andere Geschäftsverbindung Treitschkes, S. Hirzel in Leipzig, fühlte sich durch dessen Argumente überzeugt. Über den Artikel: „Die Lösung" schrieb er am 15. Februar, ob man wolle oder nicht, sehe man sich während des Lesens Schritt für Schritt auf die Seite Treitschkes hinübermarschieren: „Ich konnte es anfangs nicht erwarten, bis der Passus auf S. 13 kam, der den Einwand, die Annexion dürfe nicht ohne den Willen der Herzogtümer geschehen, bespricht. Diesen mußte ich doch zweimal lesen und hätte auch dann noch wünschen mögen, daß der geehrte Herr Verfasser zur Vernichtung des Einwandes mehr von seinem schweren Geschütz hätte auffahren lassen." Als das Oktoberheft der Jahrbücher mit dem zweiten Artikel Treitschkes kam, warf Hirzel sofort sein Handlangerwerkzeug beiseite, um sich in das Anhören des Treitschkeschen Säkularhymnus auf die Kieler Universität zu vertiefen. „Herr Gott im Himmel," bricht der alte Hirzel aus (Brief vom 9. Oktober), „man kann Ihnen nicht widerstehen. Sie haben eine Art und Weise, darüber man ganz vergessen könnte, daß man doch auch einmal Religionsstunde gehabt hat, und Ihnen durch dick und dünn folgen zu müssen glaubt." Rudolf Hayms Übergang zum Annexionsgedanken scheint nach den vorher wiedergegebenen Äußerungen Wehrenpfennigs schon im Jahre 1864 stattgefunden zu haben. In den „Erinnerungen" äußert Haym, daß seine Bekehrung zu Bismarck langsam und widerwillig geschah, und daß er doch des unpraktischen deutschen Idealismus zu viel in sich gehabt habe, um so rasch umlernen „und mich der Anwendung des Maßstabes für das, was in kleinen Verhältnissen gerecht und edel ist, auf die großen Verhältnisse von Staat zu Staat, von Macht zu Macht so leicht entwöhnen zu können. Der Satz, daß der Zweck die Mittel heilige, ist erst wahr, wenn man der Lauterkeit des Zwecks in Gefühl und Gewissen und in überzeugender 180

Wirklichkeit gewiß geworden ist." 1 Aus einer aolchen, freilich etwas dunkel formuliertenÄußerung sieht man jedenfalls deutlich, daß Haym gern ein wenig unpraktischen Idealismus über die unsittlichen Mittel ausgegossen haben wollte, welche er an und für sich zu akzeptieren bereit war. Dies tritt gleichfalls charakteristisch hervor in einem Briefe vom 5. Oktober 1865 an Treitschke, in welchem er sich u. a. über den in den schleswig-holsteinischen Korrespondenzen der Jahrbücher angeschlagenen Ton beklagt; diesen Ton — meint er — sollte man Bismarck überlassen: „uns ziemt es, den Glauben zu verteidigen, daß das Rechte vielleicht nicht ohne gewaltsame, aber ohne schlechte Mittel durchgesetzt werden kann. Das patriotische und das Schriftstellergewissen muß zarter sein, als das gouvernementale". Haym hätte gern gesehen, daß die schleswig-holsteinische Frage immer mit so reinen Händen wie denen Treitschkes in den Jahrbüchern behandelt wäre, und daß die Jahrbücher Bismarck gegenüber den Standpunkt eingenommen hätten: eine helfende Opposition, und was sie betraf gezeigt hätten, wie man neben der energischen militärischen und diplomatischen Aktion doch auch die Bevölkerung der Herzogtümer positiv gewinnen müsse. Haym freute sich sehr, daß Treitschke auch ferner dafür sorgen wolle, das annexionistische Programm auf der Höhe rein nationaler und liberaler Gesinnung zu erhalten. Eine solche Betrachtung der Tätigkeit Treitschkes in der schleswig-holsteinischen Frage wurde aber nicht geteilt von einem anderen seiner nahen politischen Freunde, dem Publizisten L. K. Aegidi, der seit 1859 als Professor der Geschichte am Akademischen- und Realgymnasium in Hamburg angestellt war. Mit Aegidi war Treitschke viele Jahre hindurch in naher Freundschaft verbunden gewesen, wenn er sich auch gegen den neun Jahre älteren Freund etwas kritisch stellte. Früher ist erwähnt (S. 132), daß Aegidi für Treitschke sehr tätig gewesen war, als dieser in der Mitte der fünfziger Jahre mit Rücksicht auf seine dichterischen Pläne an journalistische 1

R. Haym, Aus meinem Leben S. 286 f.

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Arbeit dachte; er hatte ihn u. a. zum Redakteur des Preußischen Wochenblattes vorgeschlagen.1 Von der Bewunderung und Hingebung Aegidis für Treitschke zeugt auch die Schilderung, die er von ihm in einem Briefe vom 23. August 1859 an Frau Charlotte Duncker gibt: „Aus seinem (Treitschkes) Munde ist vielleicht noch kein unwahres Wort gekommen. Ich sage nicht zuviel: er verspricht eines der bedeutendsten Mitglieder der deutschen Partei zu werden. Außer Ihrem Herrn Gemahl weiß ich nur noch diesen Treitschke, der eine so kriegerische Mannhaftigkeit, einen so politisch militärischen Charakter hat." 1 Wenn man diese warme Bewunderung für Treitschke bedenkt, so ist es von doppeltem Interesse, einige kritische Äußerungen zu lesen, die Aegidi in einem Briefe vom 16. November 1865 an Treitschke selbst über dessen Form von Polemik und über sein Auftreten in der schleswig-holsteinischen Sache vorbringt. 3 Aegidi nimmt seinen Ausgangspunkt von einer Rezension Treitschkes über Aegidis Schrift „Aus der Vorzeit des Zollvereins. Beitrag zur Deutschen Geschichte" (1865). Aegidi hatte hier angedeutet — übrigens, wie wir gesehen haben, in Übereinstimmung mit den Ansichten Freytags —, daß die Methode, durch welche der Zollverein zustande gekommen sei, auch auf andere Zeiten und auf andere nationale Zwecke anwendbar sein müsse. Treitschke hatte indessen eine solche Betrachtung mit einem seiner gewöhnlichen geringschätzigen Beiworte abgefertigt: die deutsche GutmütigkeitI Aegidi schrieb nun hierdurch veranlaßt: „Man darf andrer Meinung sein, aber man darf eine ernste abweichende Meinung mit Achtung behandeln. Dies Letzte, so scheint mir, gewöhnst Du Dir allmählich ab; Du siehst in den Gegnern Deiner Ansichten meistens Elende oder Schwachköpfe." Er führte an, daß Bismarck einen ziemlich ähnlichen Gedanken wie den von ihm angedeuteten gehabt hatte, nämlich den, durch Verträge von Staat 1

Aegidi an Treitschke 17. 9.1856 und Pfingstmontag 1. 6. 1857. Duncker, Briefwechsel S. 171. * Der Brief ist — aber nur teilweise — in Deutscher Liberalismus I S. 263 ff. gedruckt. 1

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zu Staat zunächst das Heerwesen in Deutschland auf preußischen Fuß und unter preußisches Kommando zu bringen. Bismarck könne man doch nicht gerade zu große Gutmütigkeit vorwerfen. — Treitschke wisse, daß er, Aegidi, keinFreund der Annexionspolitik sei. „Vielleicht, weil ich überhaupt kein Politiker bin und nur über eine Moral zu verfügen habe. Es scheint mir übrigens kein gutes Zeichen, daß alle miteinander, die für die Annexion eifern, unwillkürlich in einen hämischen und — verzeih — etwas ordinären Ton verfallen, den sie da nicht anschlagen, wo sie ihrer Sache sicherer sind." Selbst aber vorausgesetzt, der Zweck heilige die Mittel, sind es dann, fragte Aegidi, die zweckmäßigen Mittel? Er meinte, trotz allem werde der Wille der Schleswig-Holsteiner den Ausschlag geben, und man habe gar keinen Grund, sie en canaille zu behandeln, dagegen allen Grund, sie zu gewinnen. „Denn selbst im 18. Jahrhundert und einem Friedrich gegenüber wäre Schlesien nicht preußisch geworden oder wenigstens nicht geblieben, wenn es anders nicht gewollt hätte." „Das ganze Schauspiel, das wir erleben, hat den Anschein, als bewiese es, daß eine Politik nicht so übel sei, welche Volkswillen und ,öffentliche Meinung' aequale beschränkten Untertanenverstand setzt." Aegidi war aber der Ansicht, der Schein trüge, und die Bismarcksche Kraftpolitik sehe, wenn er so sagen dürfe, apodiktisch aus, aber sei hypothetisch. Sie war, bemerkte er treffend, von Napoleon III. abhängig, und, um diese Abhängigkeit los zu werden, würde auf gewisse elementare Kräfte und populäre Faktoren zurückgegriffen werden müssen. — Sehr bezeichnend für den Eindruck, den die Bismarcksche Politik bei den Zeitgenossen hervorrufen mußte, scheint es zu sein, daß Aegidi die genannten Betrachtungen damit schließt, es sei jetzt genug gekannegießert: „Schwimmen kann man nur im Wasser, reiten nur auf einem Pferde, und politisieren eigentlich nur, wenn man im Amte ist. Es ist eitel Geschwätz, was nicht aus dem lebendigen Kontakt mit den Geschäften selbst hervorgeht." Er bat schließlich den Freund, darüber nicht böse zu werden, daß er so geradeheraus geredet habe; er habe ihn von Herzen 183

lieb: „laß in den Preußischen Jahrbüchern Deine Rede nicht den Staub der Gasse aufwühlen.... Wenn Du ernst redest, keine Witze machst, nicht allerhand schmähende Beinamen einflickst, wenn Du so schreibst, wie in Deinem Buche, dann wirst Du Deine geistige Überlegenheit erst fühlbar machen. Dir ist die Sache so heilig; Du bist ihr so leidenschaftlich ergeben. Und manchmal ist mir's, als hörte ich Schelske, wenn er über Blum und Genossen die Zähne fletschte. Hier schadet wirklich nicht das Pathos, sondern die Burleske."1 Was Treitschke auf diese Vorwürfe des Freundes geantwortet hat, sieht man nicht. Es scheint, daß er Bie Wehrenpfennig gegenüber erwähnt habe, denn dieser schreibt in einem Briefe vom 6. Dezember 1865 an Treitschke, „unsere Liberalen" haben alle möglichen Stimmungen — moralische, ästhetische, j uristische usw. —, nur leider selten politische; Aegidi sei auch solch ein fahriges Wesen. In dem Chor derjenigen, die gegen die schleswig-holsteinischen Brandschriften Treitschkes das Wort nahmen, mengte sich auch eine weibliche Stimme, die der Freundin Gustava von Haselberg. Sie war die Tochter eines angesehenen Arztes in Stralsund, der zu den dortigen liberalen Führern gehört hatte. Wie Treitschke litt sie an Schwerhörigkeit, und ein gemeinsamer älterer Freund hatte Ende der fünfziger Jahre die Bekanntschaft zwischen den beiden Leidensgenossen vermittelt. Diese Bekanntschaft hatte ungefähr zehn Jahre lang nur im Briefwechsel bestanden. Sowohl nach dem Erscheinen des Februarartikels als nach dem des Oktoberartikels setzte sie sich in ausführlichen Briefen mit Treitschke über Form und Inhalt dieser Artikel auseinander. In einem Briefe vom 21. Februar gab sie ihrem Wunsche Ausdruck, Treitschke hätte nicht die Antwort an Häusser schreiben sollen. Beinahe könnte es scheinen, als ob sie sowohl in diesem Briefe als in dem späteren nach dem Oktoberartikel 1 Nach wohlwollender Mitteilung der Staatsbibliothek in- Berlin ist Schelske der Ophthalmolog Eduard Rudolf Schelske in Hamburg. Blum ist der demokratische Politiker Robert Blum.

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ein gewisses Gefallen darin gefunden habe, die Punkte hervorzusuchen, wo Treitschkes Auftreten angreifbar erschien. Hat sie indessen hierdurch dem Freunde zeigen wollen, daß auch eine Frau imstande sei, politisch zu denken und Politik zu erörtern, so muß man freilich sagen, daß sie, wie es aus Treitschkes Antwort hervorgeht, ihren Zweck nur schlecht erreichte. — Es war ihr unbehaglich, schrieb sie, daß Treitschke der Ansicht war, man könne das eine Mal das Recht gelten lassen, ein anderes Mal nicht: „Mir dünkt, wir können gar nicht mehr auf das Recht fußen, wenn es nicht unwiderruflich für alles feststeht, und jene andere Ansicht ist doch nur die Moral der Jesuiten, daß der Zweck die Mittel heiligt." Außerdem war sie aber auch dadurch unangenehm berührt, daß Treitschke sich bewogen gefühlt hatte, von dem Richterstuhl des Historikers in das Getriebe der Tagesöchriftsteller herabzusteigen, und der Beifall, welcher ihm jetzt von Freunden und Feinden zuteil wurde, würde aufhören, sobald er einen anderen Mißbrauch der Gewalt bekämpfte und nicht mehr mit der Partei der Eroberer blindlings weiter gehe. „Es mag Ihnen gar komisch klingen, daß ich Ihnen politische Lehren zu geben scheine; doch ist es nicht eben politisch — nur menschlich so gewissenhaft zu empfinden." Am allermeisten hatte aber die Unsicherheit sie beunruhigt, die Treitschkes offenherziges Geständnis des früheren Irrtums seinem Urteil verleihe, und sie fragte, ob es ihm nicht möglich gewesen wäre, etwas länger zu schweigen oder Häusser nur privat zu antworten. Wäre sie sein politischer Gegner gewesen, welche Waffe des Spottes hätte er ihr nicht damit in die Hand gegeben schon jetzt zu widerrufen, was er kaum erst veröffentlicht hatte: „Hütet euch vor dem Bundesgenossen, der, wenn ihr euch auf ihn beruft, sofort sich verwahrt, nun denke er ganz anders." Nach dem Lesen von Treitschkes zweitem schleswig-holsteinischen Aufsatz und seiner Abhandlung über den Bonapartismus meinte Gustava von Haselberg (Brief vom 30. November) feststellen zu können, daß der Freund einerseits einen guten Teil vom Aristokraten in sich habe, der in den Bonapartes nie 185

die Parvenüs vergißt, und andrerseits auch — so gut wie ihr eigener Vater — etwas „Napoleonisches". „Sie wollen so gut wie mein Vater mit Gewalt am liebsten das durchsetzen, was Ihnen recht und vernünftig scheint, und da kommt es denn, daß ,das Recht' aus den Augen gelassen wird. Mir scheint es fast, als ob Sie die einst so hoch gehaltene persönliche Freiheit ganz beiseite setzen in dem heißen Kampf um die Einheit Deutschlands." Mit dieser Bemerkung wird auf die schöne Jugendabhandlung Treitschkes „Die Freiheit" (1861) angespielt. Die Menschen und die Völker, meinte Fräulein von Haselberg, seien nun indessen meist gar nicht gewillt, sich mit Gewalt glücklich machen zu lassen; man wolle auf eigene Art glücklich sein. Erst Freiheit und dann Patriotismus. Wenn sie Schleswig-Holsteinerin wäre, würde sie sich auch wehren gegen „die hochmütigen Herren, die es den Dänen nachtun und dann noch schönstens bedankt sein wollen . . . " Übereinstimmend mit dieser letzten Äußerimg bemerkte sie in einem späteren Briefe (10. Dezember), daß die Pommern mehr als andere mit dem Widerstreben der Schleswig-Holsteiner sympathisieren könnten, weil Pommern sich sehr schwer an die preußische Herrschaft gewöhnt habe. Noch seien ihnen die Preußen etwas Fremdes, halb Widerstrebendes. Nicht Schwedens wegen, das vergessen war, sondern wegen des immer wiederkehrenden Hochmutes, den die Preußen den Pommern zeigten, und wegen der Geringschätzung, mit der die Provinz noch heute behandelt würde. Sie wollte dennoch nicht verneinen, daß es das Beste für alle sei, sie würden preußisch, und sie erklärte, daß sie selbstverständlich für den Augustenburger kein Interesse weiter habe. Auf diese Briefe Gustavavon Haselbergs antwortete Treitschke erst durch einen Brief vom 4. Dezember 1865 und durch einen späteren vom 26. Januar 1866. In Einzelheiten soll seine Antwort auf die Bemerkungen und Einwände der Freundin nicht besprochen werden, da seine Ansichten deutlich aus den vorher referierten Schriften hervorgehen; doch mögen einige Punkte aus den Briefen besonders hervorgehoben werden. 186

Die Äußerung der Freundin, auf seine eigene Art glücklich zu werden, ließ Treitschke für Familienmitglieder gelten: ein Vater könne den ungeratenen Sohn laufen lassen, ohne an seiner Ehre Schaden zu nehmen. „Wenn aber die Aachener morgen französisch werden wollen, so müssen wir sie auf den Kopf schlagen und sie zwingen, deutsch zu bleiben. Und wenn die Schleswig-Holsteiner ihre Pflicht gegen Deutschland nicht erfüllen, so müssen wir sie gleichfalls zwingen." Auf einen Dänen wirkt natürlich eineÄußerung wie diese, „die SchleswigHolsteiner zu zwingen, ihre Pflicht gegen Deutschland zu erfüllen", ein wenig wunderlich —, war doch nur ein gutes Jahr verflossen, seitdem der „kerndeutsche" Stamm vom dänischen Joche „befreit" warl — Von dem Satze: „erst Freiheit, dann Patriotismus" bemerkte Treitschke ebenso, wie er es von dem Satze: „erst Freiheit, dann Einheit" ausgesprochen hatte, es hieße, alle Logik auf den Kopf zu stellen, denn er bedeutete: erst staatliche Rechte, dann erst ein Staat. Vergleicht man diese Äußerungen Treitschkes mit dem, was er in der Abhandlung „Die Freiheit" geschrieben, der Staat müsse sich auf seine Bürger stützen, „in der sittlichen Welt «über stützt nur, was frei ist, was auch widerstehen kann", 1 so kann man schwerlich umhin, mit Gustava von Haselberg zu meinen, daß Treitschke in seinem Kampfe für die Einheit sich ziemlich weit von den in dieser Abhandlung verfochtenen Ansichten entfernt hat.—Von dem Satze: „erst Freiheit, dann Patriotismus" meinte Treitschke weiter, er gebe jedem Schurken das Recht, sich von seinem Vaterlande loszureißen, und in dem zweiten Briefe vom 26. Januar ging er ausführlicher darauf ein. Welche unendliche Macht hätte nicht die Phrase in Deutschland, und wie unheimlich wäre die Parteiverbitterung, die so viele ganz blind mache für die großen Interessen des Vaterlandes, heißt es hier. Weil Preußen ein schlechtes Ministerium habe, dürfte man doch nicht wünschen, es von Fremden gedemütigt zu sehen, und selbst von so flachen Köpfen wie Frese und Ge1

Historische und politische Aufsätze III S. 15.

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nossen verlange er so viel Verstand und Beweglichkeit, daß sie eine ganz veränderte Situation verstehen und einsehen, daß es sich im Norden längst nicht mehr um den Triumph Bismarcks handele, sondern um eine eventuelle Niederlage Preußens, welche den Staat für Jahrzehnte lähmen müsse. „Es gibt wohl Ausnahmefälle, da der Einzelne durch schweres Unrecht ein Recht erlangen mag, sein Vaterland zu verlassen — obgleich solche Fälle vielleicht nur alle Jahrhunderte einmal eintreten." Treitschke äußerte in dem ersten Briefe, er müsse einmal recht ungalant sein und sagen, daß die Briefe der Freundin ihm gezeigt haben, wie schwierig es selbst geistreichen Frauen falle, politisch zu denken. Gleich den meisten anderen Frauen begreife Gustava von Haselberg nicht, „daß öffentliche und private Sittlichkeit zwar durch dieselben Gesetze geregelt werden, aber trotzdem (oder richtiger: eben deshalb) in grundverschiedenen Formen erscheinen. Der Staatsmann verwaltet Gut und Blut seiner Mitbürger; darum ist in der Politik der Egoismus die höchste Tugend, die vollständige Selbstverleugnung. Darum kennt die Politik weder Dankbarkeit noch Großmut, denn auf anderer Leute Kosten darf niemand edelmütig sein." — Auch der Freundin gegenüber erwähnte er den Gedanken, einen neuen Band Essays herauszugeben, in der u. a. eine Abhandlung über Cavour erscheinen sollte, „denn der wunderbare Mann ist ein wahres Rattengift gegen alles Schwächliche und Verschwommene des deutschen Charakters". Die Reihe der Freunde Treitschkes, welche privat seinem jetzigen politischen Auftreten und seiner jetzigen Haltung widersprachen, wollen wir hier mit Alphons von Oppenheim beschließen. Oppenheim, von jüdischer Herkunft, war Treitschkes Freund aus den Studentenjähren und blieb es trotz abweichender politischer Anschauungen sein Leben lang. Die Anschauungen Oppenheims charakterisiert Treitschke als „einen liebenswürdigen Radikalismus, der aus dem Herzen kam, ein ehrlicher Glaube an die Güte und Bildungsfähigkeit der 188

Menschheit."1 In den sechziger Jahren hielt Oppenheim sich in Paris auf, wo er Chemie studierte, und wo er Umgang mit deutschen Radikalen wie L. Bamberger und L. Simon pflegte, welche er gern in Verbindung mit Treitschke gebracht hätte. Die Zeiten waren aber einer Versöhnung der verschiedenen Schattierungen des Liberalismus und der Demokratie wenig günstig. Die Wege trennten sich, und im Jahre 1866 trat Bamberger öffentlich gegen Treitschke auf. 1 Daß Oppenheim Einwände gegen Treitschkes Annexionsprogramm in der schleswig-holsteinischen Frage angeführt habe, sieht man eigentlich nicht. Preußen hat nun einmal Schleswig-Holstein, heißt es in einem Briefe von ihm vom 12. April 1865, und es darf es nicht wieder loslassen, so viel ist sicher. Seine Einwände gehen mehr im allgemeinen auf die ganze Haltung Treitschkes in der deutschen Frage, und teilweise stimmen sie mit dem überein, was Gustava von Haselberg in ihren Briefen berührt hatte. Preußen soll, behauptet er, als Fürsprecher der Freiheit auftreten, Bajonette allein tun's doch nicht. Er weist darauf hin, daß Piemont die kleinen Staaten angezogen habe, weil es ihnen an Freiheit überlegen war, und Preußen werde auch nicht eher seine Anziehungskraft geltend machen können, als bis es darin Piemont nachahme. Vielleicht könne die Einsicht, ein Großstaat sei mehr wert als die Kleinstaaten, die Gebildeten zu Opfern für einen solchen veranlassen, die Massen können aber nur durch den greifbaren Vorteil der Freiheit in Bewegung gesetzt werden. Preußen müsse durch die doppelte Schwerkraft der Macht und der Freiheit wirken.3 Nach dem Siege Preußens über Österreich im Jahre 1866 schreibt er am 21. August: „Wir sehen den Morgen, welcher dem Tage vorhergeht. Aber der Morgen ist neblig und kalt." Das ist unleugbar eine andere Betrachtung 1

Briefe I S. 186. In der Broschüre „Über Rom und Paris nach Gotha oder die Wege des Herrn v. Treitschke", die hauptsächlich gegen die Abhandlung Treitschkes „Der Bonapartismus I" gerichtet war. * Der letzte Satz findet sich in einem Briefe Oppenheims an Treitschke, der am 31. Juli begonnen, aber erst am 7. Dezember abgeschlossen ist. 1

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als der glühende Siegesjubel Treitschkes. Er rühme sich aber auch, fährt Oppenheim fort, der Klasse von Deutschen anzugehören, deren Existenz Treitschke beklagt, „welchen die Freiheit die erste Lebensbedingung, das Kennzeichen und Ziel der Humanität ist. Vor ihr verschwindet mir alles andere. Nationale Größe und Einheit sind nur das Mittel, um die Freiheit der einzelnen in den Staaten aufrecht zu erhalten. Darum schneiden mir Ausdrücke wie die ,monarchische Zucht', der Du uns unterwerfen willst, durch Mark und Bein. Wir sind nicht Kinder, die erzogen oder gezüchtigt werden müssen. Der Monarch ist nicht imstande und nicht berechtigt, unser Erzieher oder Zuchtmeister zu sein, denn er steht an Geist und Charakter meistenteils unter dem Durchschnitt des Volkes. Wir wollen uns selbst erziehen und selbst regieren. Darum glaube ich nicht, daß ,die Strömung des modernen Völkerlebens monarchisch' ist, sondern daß Gervinus recht hat, welcher das Gegenteil behauptet." Er bedauerte, daß die Revolution (1866) von der Krone und der Armee ausgegangen sei, 1848 hätte mehr erreicht werden können, denn damals lagen Einheit und Freiheit in derselben Schale. Wie Aegidi fühlte Oppenheim sich auch mitunter unangenehm berührt durch Treitschkes Behandlung seiner Gegner. An und für sich, schrieb er in dem Briefe vom 12. April 1865 über den Artikel: Die Lösung, wollte er nicht tadeln, daß die Wärme deB Herzens, die Treitschke forderte, zuweilen zur Heftigkeit werde, abgesehen von der Bemerkung über die Phrasendrescher, die aus dem Tempel gepeitscht werden sollten ; diese Bemerkung in Verbindung gesetzt mit dem Namen Bennigsen, wirke peinlich. Und in dem zuletzt zitierten Briefe äußerte er weiter, es tue ihm leid, daß Treitschke allzu freigebig mit BO großen Worten wie Sittlichkeit und Lüge umgehe. Treitschkes 1865 gefaßter Plan einer Biographie Cavours kennzeichnet sich, trotzdem der Essay erst im Jahre 1869 vollendet wurde, als der literarische Ausdruck seines in dem genannten Jahre vollzogenen Übergangs zur Bismarckschen 190

Politik. In dem Briefe vom 5. November 1865, in welchem Webrenpfennig Treitschke in dem Plane bestärkte, einen weiteren Band Essays mit der Schilderung Cavours als Hauptstück herauszugeben, hatte Wehrenpfennig auch hervorgehoben, daß Bismarck schon bei Cavour in die Schule gegangen sei. In Cavour fand Treitschke einen Staatsmann, der ohne kleinliche Rücksichten auf die Mittel aus seiner innersten Leidenschaft die Einheit des Vaterlandes wollte. Treitschke wollte nun, wie man aus der Äußerung an Gustava von Haselberg sieht, ihn als ein Rattengift gebrauchen gegen die Eigenschaften bei seinen Landsleuten, welche sie daran hinderten, die Macht und Einheit Deutschlands zu wollen, ohne nach den Parteigrundsätzen zu schielen. Um die Stellung Treitschkes zu dem Problem: Mittel, Zweck und Staatsmannsmoral zu beleuchten, wird es deshalb natürlich sein, hier ein paar andere Äußerungen von ihm über Cavour zu erwähnen. Die eine Äußerung stammt aus seinem späteren Essay. Schon in der Abhandlung Bundesstaat und Einheitsstaat hatte Treitschke anläßlich der italienischen Einheitsbewegimg den pathetischen Ausruf Cavours angeführt: Mag mein Ruf untergehen, mag mein Name untergehen, wenn nur Italien eine Nation wird! Er hatte bemerkt, dieser Ausruf enthalte mehr reine Mannestugend als ganze Bibliotheken der Theologen.1 Dieselbe Betrachtung wandte er 1866 auf sich selbst an, als er vor die Wahl gestellt war, unmittelbar in den Dienst der Bismarckschen Politik zu treten. An Freytag schrieb er am 12. Juni 1866, daß er das Bismarcksche Anerbieten abgelehnt habe, sich ins Hauptquartier zu begeben, Kriegsmanifeste zu schreiben, für die deutsche Politik der Regierung zu arbeiten usf. Nach seiner politischen Moral sollte man allerdings auch seinen guten Ruf dem Vaterlande zum Opferbringen, „aber auch n u r dem Vaterlande, also nur, wenn man im Besitze der Macht ist und hoffen kann, durch Schritte, die der Menge ruchlos erscheinen, den Staat wirklich zu fördern". Er 1

Historische und politische Aufsätze II S. 214. — Cavours Ausruf wird auch in Treitschkes Politik angeführt: I S. 66 f.

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stehe indessen anders; in dem Augenblick, da er den Ruf eines unabhängigen Mannes verlöre, ginge seiner Feder jede Kraft verloren. In der Ansicht Treitschkes, daß man die Pflicht habe, seinen guten Ruf dem Vaterlande zum Opfer zu bringen, liegt wohl schon die Forderung, daß man es mit den Mitteln nicht zu genau nehmen dürfe. In dem späteren Essay über Cavour spricht er es aus, dem Staatsmann sei nicht wie dem schlichten Bürger gestattet, die fleckenlose Reinheit seines Wandels und seines Rufes als das höchste der sittlichen Güter heilig zu halten: „Er lebt den Lebenszwecken seines Volkes, er soll die Zeichen der Zeit zu deuten wissen, den göttlichen Gedanken herausfinden aus dem Gewirr der Ereignisse und ihn verwirklichen in hartem Kampfe. Dies allein ist politische Wahrhaftigkeit, dies die politische Tugend, die den Frauen und Gemütsmenschen allezeit unfaßbar bleibt. Läßt sich der Widerstand der trägen Welt anders nicht überwinden, so soll der Staatsmann für den Sieg der Idee auch die Mittel der Arglist einsetzen, die der einzelne für die endlichen Zwecke seines Tuns nicht brauchen darf. An den rauchenden Trümmern des Vaterlandes sich die Hände wärmen mit dem behaglichen Selbstlob : ich habe nie gelogen — das ist des Mönches Tugend, nicht des Mannes."1 Ungefähr in derselben Weise drückt Treitschke sich aus in den Vorlesungen über Politik, und H. v. Petersdorff bemerkt in seiner sehr interessanten Besprechung der Gedanken und Erinnerungen Bismarcks und der Politik Treitschkes, dieser kühne Satz werde für alle Zeiten Gültigkeit haben.* Wenn H. v. Petersdorff in dieser Besprechung behauptet, daß man Treitschkes Politik als den besten Schlüssel zum Verständnis der Persönlichkeit und der politischen Tätigkeit Bismarcks betrachten könne, so rührt dies natürlich daher, daß über dieser Treitschkes Politik sozusagen aufgebaut ist. Sie ist die theoretische Verteidigimg der politischen Methoden, die 1 Historische und politische Aufsätze II S. 355. * Bismarck-Jahrbuch VI. Bd. 1898 S. 280.

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vom November 1863 und weiter zu Deutschlands Einheit und Großmachtstellung führten. Es ist selbstverständlich kein Zufall, daß man in den Vorlesungen über Politik gerade denselben Formulierungen begegnet, von denen Treitschke in den Jahren 1865—66 Gebrauch machte als Ausdruck seines Überganges zu Bismarck. Wenn Treitschke gleichsam einen Schleier über die Bismarckschen Methoden wirft durch seine Rede von dem „ehrlichen" Kampfe im Jahre 1864, wodurch die Herzogtümer erobert wurden, oder von dem „rechtschaffenen" Kampf 1866, wodurch Österreich seine Vorherrschaft in Deutschland verlor, BO hindert dies ja doch nicht, daß er schon zu dieser Zeit über den Charakter der Bismarckschen Politik im klaren ist, und daß sie nur von „gröberen" Naturen, politisch veranlagten Naturen, goutiert werden kann. 1 Daher auch seine Betonung, daß Politik nicht für Frauen oder sentimentale Naturen sei, und daß die Züge der Geschichte durchaus hart und männlich seien.2 Durch die Formulierungen des Problems: Politik und Moral, welche Treitschke, wie wir gesehen, gegeben hat, würde er nach der Ansicht H. v. Petersdorffs in seiner Biographie Treitschkes ein Schöpfer neuer sittlichen Maßstäbe, einer neuen Staatsmoral.8 Eine solche Betrachtung können wir doch nicht teilen, und man sieht auch nicht, daß Treitschke selbst der Ansicht gewesen ist, daß er an und für sich etwas Neues geschaffen habe. Die Betrachtungen Treitschkes stimmen überein mit denen, die zu allen Zeiten von Staatsmännern angestellt und von den Theoretikern verteidigt sind, seit den Tagen Machiavellis. Dies wird einem recht klar, wenn man z. B. ein Werk wie Fr. Meineckes „Idee der Staatsräson" liest. Treitschke bekennt ja auch, bei Machiavelli in die Schule gegangen zu sein, und er ist von Rochaus Realpolitik abhängig. 1 Siehe z.B. Treitschke an Louise Brockhaus, 1.10.1865, über Freytag, der sich in der unwahren ränkesüchtigen Politik Bismarcks nicht zurechtfinden kann. „Ich gestehe, ich bin von gröberem Stoff." * Außer den früher angeführten Zitaten s. Politik I S. 30. s Allgemeine deutsche Biographie LV S. 298.

Treitschke

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Auch können wir nicht finden, daß Treitschke in der Begründung seiner Formulierungen etwas Besonderes leistet. Im ganzen muß man von den Schriften Treitschkes bemerken, daß der logische Unterbau der mit so großer Kraft und Leidenschaft verfochtenen Behauptungen oft viel zu wünschen übrig läßt. Ein charakteristisches Zeugnis hierfür ist Gustava von Haselbergs Bemerkung in einem Briefe vom 3. August 1866 über den Satz in der Abhandlung „Der Krieg und die Bundesreform": es sei mit Händen zu greifen, daß Österreich den Krieg beginne: „Ich will es g l a u b e n , " schreibt sie dagegen, „aber ich habe es nicht gelesen, warum es handgreiflich ist. Ist es meine Dummheit ?" Dieselbe Frage stellen gewiß manche Leser Treitschkes bei der Beschäftigimg mit seinen Werken. Erscheint also weder der Inhalt noch die Begründung der „neuen Staatsmoral" Treitschkes besonders aufsehenerregend, so ist es dagegen von um so größerem geschichtlichen und psychologischen Interesse zu sehen, wie Treitschke sie ausformt und anwendet, und wie sie — gleichzeitig mit den Siegen Bismarcks — Einfluß auf das allgemeine Gedankenleben gewinnt. Einen Ausdruck hierfür kann man wohl in dem Vorwurf sehen, der 1867 von einem alten Parteigenossen gegen die Nationalliberalen erhoben wird, der Machtgedanke absorbiere bei ihnen zu sehr alle anderen politischen Zwecke.1 — Daß man zu bedeutenderen Ergebnissen durch eine systematische Zusammenstellung der Äußerungen Treitschkes über Staatsmoral kommen würde, kommt uns wenig wahrscheinlich vor. Was er seine Landsleute lehren wollte, war, daß die Macht Deutschlands über Recht und Unrecht stehe, oder um das alte Wort des mosaischen Gesetzes zu zitieren, daß er selbst in der Politik gebraucht: Gegen den Fremdling magst du wuchern, an dem Bruder sollst du nicht wuchern.8 Die Anbetung des Vaterlandes und seiner Größe nahm bei Treitschke einen ganz ekstatischen Charakter an, der bisweilen fremdartig und geradezu abstoßend auf nüchternere Naturen oder auf Menschen, welche 1 1

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Oncken, R. v. Bennigsen II S. 83 Anm. 1 Rückert an Nagel 28.9.1867. Politik I S. 88.

einer längst zusammengeschlossenen Staatseinheit angehören, wirken muß. Wenn man die Lobpreisung Treitschkes liest auf „jene nachhaltige, fast nervöse Leidenschaft, die im Wachen und im Träumen nur das eine zu denken vermag: „mein Land, mein Land" und immer nur „mein Vaterland", 1 oder wenn man an seine flammende, rhetorische Ausdrucksweise denkt, versteht man die Bemerkung Wehrenpfennigs über das halbe Dutzend Damen, die, nachdem sie einen Vortrag Treitschkes gehört hatten, fast klagend sagten: sie wären in eine solch entsetzliche Aufregimg gebracht worden.2 Der „gouvernementale" Wehrenpfennig selbst äußerte, er kenne niemand, der wie Treitschke durch seine Schriften ihn in die ideale Sphäre nationaler Gesinnungen emporzureißen verstehe.3 Treitschke verstand dies, weil es ihm bitter Ernst mit dieser Sache war. „Vaterlandsliebe ist", wie er an einer Stelle schreibt, „für mich kein schönes Wort, sondern eine heilige Leidenschaft, ja das einzige, was mir das Leben schön und reich erscheinen läßt." 4 Mit seiner ganzen leidenschaftlichen Seele, mit all seinem mächtigen Pathos machte er sich zum Fürsprecher für Deutsch» lands Recht auf Einheit, Macht und Größe. 1

Historische und politische Aufsätze II S. 226. Wehrenpfennig an Treitschke 2.2.1866. 9 Wehrenpfennig an Treitschke 20. 2. 1870. Deutscher Liberalismus I S. 456. ' Briefe II S. 355. 1

X. U N T E R D E N „ N O R M A L M E N S C H E N " Während die Zahl der Annexionisten, wie im vorhergehenden gezeigt, ständig wuchs, verwandelte allmählich unter den Händen Bismarcks die schleswig-holsteinische Frage sich in die deutsche, in die Frage, ob Österreich oder Preußen den Sieg im Kampfe um die Vorherrschaft in Deutschland erfechten würde. Nach der oben (S. 188) angeführten Ansicht Treitschkes handelte es Bich im Norden nicht länger um den Triumph Bismarcks, sondern um die Möglichkeit einer Niederlage für den preußischen Staat, deren Folgen seine Kraft für Jahrzehnte lähmen würden. Es handelte sich darum, ob es Österreich gelingen würde, Preußen ein neues Olmütz zu bereiten. Als ein neues Olmütz war eigentlich in gewissen Kreisen der Gasteiner Vertrag vom 14. August 1865 betrachtet worden. Bekanntlich bedeutete dieser nur eine Vertagung der Abrechnung. Mit Vorbehalt der Rechte beider Mächte an die zwei Herzogtümer wurde die Regierung Schleswigs an Preußen, die Holsteins an Österreich übertragen. Lauenburg erwarb Preußen, wie vorher erwähnt, für eine Geldsumme, und außerdem bekam es das provisorische Kommando und die Polizeigewalt in dem Kieler Hafen, der übrigens Bundeshafen sein sollte, wie Rendsburg Bundesfestung wurde. Preußen bekam weiter das Recht, den Nordostseekanal auch durch Holstein zuführen und dort Eisenbahnen und Telegraphenstationen anzulegen. Über diesen Vertrag heißt es in einem Briefe S. Hirzeis vom 30. August 1865 an Treitschke, daß Samwer über ihn in die Hände klatschte, und daß der Augustenburger seine Aktien über pari schätzte. Obschon Hirzel keine Lust verspürte, augustenburgische Aktien selbst unter pari zu kaufen, fragte er doch Treitschke, woher es komme, daß das Abkommen in der höheren diplomatischen Welt keineswegs als ein Sieg Bismarcks betrachtet werde. Als einen Sieg Bismarcks behandelte Treitschke doch und mit Recht den Vertrag in seinem Oktoberartikel. Wie schon 196

erwähnt, bezeichnete er die Auffassung, der Vertrag sei ein achtfaches Olmütz, als eine demokratische Grille, und er spottete über den Gedanken, daß Österreich von Altona aus Preußens Sicherheit mit einem Heere, das nicht existierte, bedrohen könne! — Dagegen bekam er nicht recht mit seiner Ansicht, Österreich würde sich weiter auf den Weg der Zugeständnisse treiben lassen, um damit zu endigen, für einige weitere Millionen Taler sein Mitbesitzerrecht an der dänischen Kriegsbeute abzutreten. Österreich wollte statt Geld Land haben — ein Stück des verlorenen Schlesiens —, und da Preußen sich hierauf nicht einlassen wollte, mußten die Waffen reden. Mitte Juni 1866 brach der Krieg zwischen Preußen und Österreich aus, und diesem schloß sich die große Mehrzahl der anderen deutschen Staaten an. Ungefähr zu derselben Zeit, als das österreichische Truppenkontingent Holstein verließ, brach auch Prinz Friedrich auf (am 7. Juni), und er sollte das Land nicht wiedersehen, in dem er sich 21/a Jahre aufgehalten hatte, wartend auf die Anerkennung als rechtmäßiger Erbfolger Friedrichs VII. Die Regierung der Herzogtümer-wurde nach dem Abzug der Österreicher selbstverständlich von Preußen übernommen. An Österreich schloß sich auch Baden an, in dem Treitschke sich aufhielt, nachdem es so lange wie möglich versucht hatte, zwischen den streitenden Teilen zu vermitteln. Teils die geographischen Verhältnisse und teils die herrschende Volksstimmung bewirkte diese Parteinahme — trotzdem Großherzog Friedrich ein Schwiegersohn des Königs Wilhelm von Preußen war, und das liberale Ministerium ausgeprägt preußisch gesinnte Mitglieder wie Karl Mathy hatte. Dieser schied aus dem Ministerium aus, das in österreichischem Geiste umgebildet wurde. In den Vorlesungen über Politik (2. Bd. S. 56) sagt Treitschke später, daß damals in Freiburg nur fünf Männer waren, die zu Bismarck hielten. Treitschke selbst zog die Konsequenzen aus seiner preußischen Gesinnung. Nach dem Anschluß Badens an Österreich bei der entscheidenden Abstimmung im Bundestage am 17. Juni reichte er sein Abschieds197

gesuch aus dem badischen Staatsdienste ein. Nachts zwischen dem 3. und 4. Juli traf er in der preußischen Hauptstadt ein, wo er vorläufig die Redaktionsgeschäfte der Preußischen Jahrbücher übernahm. Kurz nach Treitschkes Ankunft in Berlin kam es zur Sprache, ihm eine preußische Professur als Ersatz für die verlorene badische zu verschaffen. Haym konnte in einem Briefe vom 16. Juli Treitschke daran erinnern, daß er schon 1860 ihm vorgeschlagen habe, die Redaktion der Jahrbücher zu übernehmen, und daß gleichfalls damals darüber verhandelt worden war, ihm eine Professur in Preußen zu geben; ersteres war jetzt in Erfüllung gegangen und letzteres im Begriffe, in Erfüllung zu gehen. Haym, der als Redakteur — selbstverständlich oft zum Ärgernis der Mitarbeiter, auch Treitschkes — von seinem Rotstift fleißigen Gebrauch gemacht hatte, erklärte sich willig, sich dem Rotstifte Treitschkes zu unterwerfen, wenn dieser Beiträge von ihm gebrauchen könne. Leider, schrieb er, habe er nach dem Aufgeben der Redakteurstellung sich gerade auf solche Stoffe geworfen, die möglichst weit von den „großen Interessen" ablagen, Stoffe wie Schelling, die Romantiker usw. „Wer läse das jetzt wohl?" Er fand, daß Treitschke viel glücklicher daran sei, indem sein historisch-politisches Wissen, überhaupt sein wissenschaftlicher Beruf, so ganz seinem praktisch-politischen Drange entgegenkomme und in die Hände arbeite. Mit leidenschaftlicher Erregung machte Treitschke sich auch in den folgenden Monaten an die Aufgabe, mit der Feder seinen Beitrag zu leisten, um den Ereignissen die von ihm ersehnte Richtung zu geben und um die öffentliche Meinung zugunsten der Politik Bismarcks zu gewinnen. In den Jahrbüchern schrieb er die politischen Korrespondenzen für Juli, August und September und außerdem veröffentlichte er Ende Juli die Broschüre „Die Zukunft der norddeutschen Mittelstaaten", worin er mit Leidenschaft das Wort ergriff für die Einverleibung von Sachsen, Hannover und Hessen in Preußen. Wie in dem schleswig-holsteinischen Handel, schrieb er, wollte 198

er wieder der Sturmbock sein, auf den alle schimpfen.1 Die Broschüre wurde in Tausenden von Exemplaren verbreitet, sie wurde in Sachsen mit Beschlag belegt, aber wieder freigegeben von den preußischen Behörden, welche die Regierung des besetzten Landes übernommen hatten. — Treitschke hatte geschrieben, daß die Broschüre für den Augenblick seine Familie sehr betrüben würde. Sie rief auch ein scharfes öffentliches Verdammungsurteil des alten Generals hervor, welcher gleichfalls in seinem Tagebuche dem tiefen Schmerz über das Auftreten seines Sohnes Ausdruck gab. Der Bruch zwischen Vater und Sohn blieb doch nicht dauernd. — Im Frühling 1867 starb General Ed. v. Treitschke, dem der Sohn übrigens mehrmals während der Krisis geschrieben hatte, er hätte gewünscht, daß ihm, dem Vater, die Umwälzungen der neuen Zeit zu sehen erspart geblieben wäre. Während also Treitschke seiner Familie neuen und großen Kummer bereitete durch seine Forderung der Vernichtung seines „Vaterlandes" und dessen Aufgehen in Preußen, erwies sich dagegen als stichhaltig seine Erklärung vom Dezember 1865, durch die er geglaubt hatte, seine Familie beruhigen zu können, daß es keinen weiteren Anlaß zum Eintreten für die Annexion der Herzogtümer Schleswig und Holstein geben werde. Mit dem Siege Preußens über Österreich wurde auch diese Frage entschieden übereinstimmend mit dem Wunsche Bismarcks — abgesehen davon, daß auf Veranlassung Napoleons III. die Bestimmung in den Prager Frieden aufgenommen wurde, daß die Bewohner der nördlichen Distrikte Schleswigs die Möglichkeit haben sollten, durch eine Abstimmung an Dänemark zurückzukehren (der Artikel V des Prager Friedens). Die formelle Annexion der Herzogtümer wurde durch das Annexionsgesetz vom 24. Dezember 1866 durchgeführt, das die preußische Verfassimg in den Herzogtümern vom 1. Oktober des folgenden Jahres einführte. Infolge dieser ersehnten Lösung der schleswig-holsteinischen Frage lag die Möglichkeit nahe, daß Treitschkes Interesse für » Briefe III S. 19.

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sie aufhörte. Dies geschah jedoch nicht, da der Versuch, ihm eine preußische Professur zu verschaffen, dazu führte, daß er nach Kiel kam, wo er ein Jahr unter den von ihm und seinem Freunde Gutschmid so verhöhnten Normalmenschen verbringen mußte. Wir wollen nun die Verhandlungen schildern, die zu diesem Ergebnis führten. Schon im Sommer 1862 waren, wie oben (S. 48) erwähnt, Verhandlungen mit Treitschke wegen einer Professur in Kiel gepflogen worden, sie waren aber gescheitert. Im Herbste 1863 war Freund Gutschmid als außerordentlicher Professor der Geschichte, namentlich der Geschichte des Altertums, nach Kiel gekommen. Kurz nach seiner ersten Annexionsschrift schreibt Treitschke am 13. Februar 1865 an Moritz Busch, dieser müsse, bevor er das „meerumschlungene Österreich" verlasse, noch eine gute Tat tun und durchsetzen, daß Gutschmid die Professur von Junghans, Treitschke die von Gutschmid erhalte.1 Etwas Näheres über seine Absichten in dieser Beziehung erfahren wir aber nicht aus den gedruckten Briefen der folgenden Zeit. Gustava von Haselberg bemerkt — nicht besonders freundlich — in dem vorher erwähnten Briefe vom 30. November 1865, daß Treitschkes Ansicht über Preußens Beruf ihm am Ende einen preußischen Lehrstuhl verschaffen würde und damit das Glück, unter Bismarck und dem konservativen Kultusminister Mühler gemaßregelt zu werden. Nach der Ankunft Treitschkes in Berlin im Anfang Juli 1866 suchte die preußische Regierung, wie oben erwähnt, sogleich durch die Tat ihre Anerkennung der Verdienste Treitschkes um den preußischen Staat zu beweisen. Den 15. Juli kann er seiner Braut, Emma von Bodman, mitteilen, es sei entschieden worden, daß er zum 1. Oktober als ordentlicher Professor der Geschichte an der Universität Königsberg angestellt werde. Indessen hat er offenbar mit seiner Braut auch den Plan erörtert, möglicherweise nach Kiel zu kommen, denn eine Woche später schreibt er ihr, es sei ihm lieb, daß ihr 1 W. Junghans, der ordentlicher Professor der Geschichte gewesen war, war im Januar 1865 gestorben.

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Kieler Traum nicht in Erfüllung gegangen sei. Er begründet dies damit, daß die Universität Kiel klein und geistlos sei, und daß die Augustenburgerei an derselben weiter gehe, während im übrigen Lande die Vernunft endlich siege.1 Ungefähr drei Wochen später wurde dennoch Treitschke der Wahl zwischen Kiel und Königsberg gegenübergestellt. Gleichzeitig wurde ihm mitgeteilt, das Ministerium wünsche, er ginge nach Kiel, und daß es ihm dort größere Einnahmen anböte. In einem Briefe vom 16. August benachrichtigt er Beine Braut von dieser neuen Situation und erörtert, was für und wider sprechen könne. Die Verhältnisse in Kiel scheinen ihm jetzt nicht mehr so abschreckend. Gewiß ist die Universität klein, und er kann ihr selbst unter preußischer Herrschaft keine glänzende Zukunft prophezeien. Aber die Parteigehässigkeit fängt an, sich zu legen, seit das Schicksal des Landes entschieden ist. Daß üble Zungen ihm nachsagen werden, er habe zwei Jahre für die Annexion geschrieben in der Hoffnung, eine Kieler Professur zu erlangen, solches ließe ihn natürlich vollkommen kalt. Die Lage wäre reizend, die Entfernung von der Heimat geringer als in Königsberg, es wäre Aussicht, bald wieder fortzukommen, und endlich und vornehmlich geböte die Pflicht, nach Vermögen mitzuhelfen, daß die neuen Provinzen mit den alten verschmolzen würden. Hierin müßten das Heer und die Lehranstalten, namentlich die Universitäten, das Beste tun. — Es schien darum Treitschke, er müsse der Kieler Professur den Vorzug geben, und hierin wurde er sehr bestärkt von seinem Freund Gutschmid, den er um Rat fragte.* Gutschmid meinte u.a., daß Treitschke sehr nützlich zur Verbesserung der Stimmung müsse wirken können, und dieses sei in hohem Grade vonnöten: „die Leute sind nicht nur noch nicht Preußen, sondern noch gar nicht Deutsche: Du kannst nicht glauben, mit welch stupider Gleichgültigkeit der Normalmensch die große Zeit vom AnTreitschke an Emma von Bodman am 23. 7.1866. Gutschmid an Treitschke 18. 8.1866. M. Liepmann, Von Kieler Professoren S. 367 f. 1

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fang Juni an hier durchgemacht hat. Da ist noch alles zu tun. Und dann ist es eine wahre Wohltat, daß eine politische Kapazität in die Herzogtümer kommt.. . . " Bevor die Frage wegen der Kieler Professur endgültig entschieden war, wurde Treitschke noch einer dritten Möglichkeit gegenübergestellt. Er hatte Aussicht, als Nachfolger des unheilbar kranken Professors L. H ausser nach Heidelberg zu kommen. Nach der Niederlage Österreichs wurde das bisherige Ministerium in Baden durch ein preußenfreundliches unter der Leitung Karl Mathys ersetzt, und dies knüpfte Verhandlungen mit Treitschke an, um ihn zu bewegen, wieder in den badischen Staatsdienst zu treten. Dies Anerbieten wirkte offenbar sehr verlockend auf Treitschke, und es ist bezeichnend, daß er unter den Vorzügen Heidelbergs besonders die Gelegenheit hervorhebt, dort eine viel größere Zahl Studenten nach seinen Ansichten bilden zu können. Ein Philister-Publikum komme nur, um sich unterhalten zu lassen und verlasse das Auditorium mit denselben Ansichten, womit es gekommen wäre.1 Schließlich entschied Treitschke sich doch, wenngleich schweren Herzens, dazu, das badische Anerbieten abzulehnen. Zu der Ablehnung scheint u. a. die Rücksicht auf den kranken Häusser, der fortwährend in der Hoffnung lebte, genesen zu können, viel beigetragen zu haben. Als eine wirkliche Mission, für die Verschmelzung der Herzogtümer mit Preußen zu wirken, hat Treitschke trotz seiner oben wiedergegebenen Worte (von der Pflicht) es nicht empfunden. Es ist ihm eine mehr untergeordnete Frage gewesen im Vergleich mit der „deutschen Sache" im allgemeinen. Er schnitt sich durch die Verhandlungen auch nicht die Möglichkeit ab, später nach Heidelberg zu gehen, und er meinte selbst, daß er in einigen Jahren nach Heidelberg gehen werde.2 Es geschah dann schon nach Verlauf eines Jahres. Nach der Ablehnung des Rufes nach Heidelberg dauerte es doch noch einige Zeit, bis die Entscheidung wegen der Kieler 1

Treitschke an Wilhelm Nokk 22. 8.1866. » Treitschke an S. Hirzel 27. 8.1866.

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Professur fiel. „Die frommen Holsten in Kiel", schrieb Treitschke am 27. August an Hirzel, „zögern und beraten, und man will sie vorderhand sanft behandeln." Selbstverständlich konnte Treitschke von den augustenburgisch gesinnten Professoren an der Universität kein besonderes Wohlwollen erwarten, und auch sonst hatte seine wenig schmeichelhafte öffentliche Beurteilung der Holsteiner Unwillen erregt. Der frühere Gesamtstaatsmann Karl Scheel-Plessen, der dazu übergegangen war, für Preußen zu wirken und zum Oberpräsidenten ernannt worden war, war auch nicht gerade von den Äußerungen Treitschkes erbaut gewesen. Noch vor der Ernennung Treitschkes kam es deshalb zu einer Art Zwischenspiel, da man von schleswig-holsteinischer Seite wünschte, daß Treitschke seine früheren Äußerungen widerrufen möchte. Am 23. September richtete Treitschke an den damaligen Dekan der philosophischen Fakultät in Kiel, Professor Karl Weinhold, eine private Anfrage wegen der Ernennimg. Selbstverständlich lag es, schrieb er, weder in des Ministers noch in seiner Absicht, daß er ohne die Zustimmung der Fakultät die Kieler Professur übernehmen solle. Er wünsche indessen jetzt endlich Bescheid; er sehnte sich danach aus der unruhigen publizistischen Tätigkeit der letzten Monate heraus und auf den Lehrstuhl zurückzukommen. 1 Vor Empfang dieser Anfrage hatte Weinhold aber bereits wegen der Lage in Kiel an Treitschke geschrieben, und die zwei Briefe kreuzten sich also. Nach dem Empfang schrieb Weinhold am 26. September einen neuen Brief, in dem er vermutlich teilweise wiederholte, was er in dem früheren mitgeteilt hatte. Am 17. August habe er, schrieb er in diesem Briefe, durch den Oberpräsidenten erfahren, daß man in Berlin an die Berufung Treitschkes nach Kiel denke, und er habe danach sich über Treitschke geäußert. Die Fakultät habe später mit 7 gegen 4 Stimmen sich günstig über Treitschke geäußert. Gestern, also am 25. September, habe Scheel-Plessen mitgeteilt, er sei nun zu der Berufung Treitschkes entschlossen; es scheint, bemerkte Weinhold, daß 1

Einzelne Stellen des Briefes sind gedruckt in Briefe III S. 76 Anm. 1.

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diese Angelegenheiten noch nicht dem Ministerium in Berlin, sondern dem Oberpräsidenten übertragen sind, der „im Allerhöchsten Auftrage" beruft. Scheel-Plessen hatte doch noch Bedenken wegen einiger Äußerungen Treitschkes über die Holsteiner, u. a. wegen seiner Äußerungen über den Huldigungseid für Christian IX. und über die Landsleute Niebuhrs, und er wünschte, Treitschke werde ihm die Zusicherung geben, gelegentlich öffentlich diese Äußerungen nach besserer Einsicht zu berichtigen. Weinhold war der Ansicht, Treitschke solle Scheel-Plessen brieflich eine solche Zusicherung geben, um einen eigentlichen Widerruf handele es sich nicht. Schließlich schrieb Weinhold, wenn Treitschke nach Kiel komme, werde er von der Mehrheit der Fakultät gern aufgenommen werden, und er werde auch unter den übrigen Kollegen einige Freunde finden. „Andere freilich nehmen eine entgegengesetzte Stellung ein. Im Publikum ist der größte Lärm über diese Sache schon vorüber, und vollendete Tatsachen erkennt auch der Holste an." Eine besondere Freude über diesen Versuch, ihm vor der Ernennung eine Erklärung abzufordern, konnte Treitschke natürlich nicht empfinden. Wie er später äußerte, hielt er als ein anderer Galilei seine ketzerischen Meinungen von den Normalmenschen aufrecht. 1 Auf den ersten Brief Weinholds antwortete er am 28. September, er habe gehofft, daß die betreffenden Äußerungen endlich vergessen seien, zwischen ihnen und dem heutigen Tage liege ja nicht nur ein Zeitraum von 1—2 Jahren sondern eine Revolution, die das politische Leben von Grund aus verwandelt habe. Diese Äußerung ist für Treitschke bezeichnend: warum sollte man an Worten kleben, die in der Hitze des Kampfes gefallen waren, alles war neu geworden, und es galt jetzt für die Größe des neuen Deutschlands zu arbeiten. — Die Unrichtigkeit der Äußerungen über 1 Treitschke an Zarncke 30.11.1866 (ungedruckter Brief). Treitschke an Baumgarten 28. 10.1866: „An kleinen akademischen Bosheiten hat es nicht gefehlt; man versuchte, mir eine Erklärung abzupressen, was jedoch noch vor meiner Ankunft fehlschlug..." (Diese Stelle des Briefes ist ungedruckt.)

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den HuldigungBeid gestand Treitschke Weinhold gegenüber willig ein, und er erklärte sich bereit, diesen Punkt zu berichtigen, sobald eine Gelegenheit sich darbiete. Daß er es bisher nicht getan hatte, kam daher, daß alle jene kleinen Unrichtigkeiten sofort von einer Menge von Blättern widerlegt würden, und er hätte ihnen keine größere Bedeutung zumessen können, da er in den schleswig-holsteinischen Händeln immer nur den Wendepunkt der deutschen Politik gesehen habe. Er habe deshalb nicht gewünscht, durch eine öffentliche Zurücknahme der genannten Äußerungen seinen Gegnern eine Freude zu bereiten. Anders wie zu den Äußerungen wegen des Huldigungseides stellte Treitschke sich zu dem, was er über das Auftreten der Holsteiner ausgesprochen hatte. Weinhold gegenüber wies er darauf hin, wie günstig er in der Abhandlung über Dahlmann die Holsteiner beurteilt habe; diese Abhandlung war ja indessen auch geschrieben, bevor die „Normalmenschen" sich Treitschkes Forderung, sich dem Annexionsgedanken anzuschließen, widersetzten! Er müsse aber dabei bleiben, daß vor einem Jahre in Holstein eine beklagenswerte politische Begriffsverwirrung vorherrschte. Die Worte, die er darüber gebraucht hätte, wären „so scharf und hart, wie das in der Aufregung des politischen Streites zu geschehen pflegt; falsch sind sie nicht. Ich meine noch heute, daß Niebuhr sich imy Grabe herumgedreht hätte, wenn er die Äußerungen gewisser holsteinischer Blätter über die Befreier des Landes gelesen hätte. Ich würde heute solche Worte nicht mehr schreiben, da die Stimmung, welcher sie galten, jetzt gottlob nahezu verflogen ist. Zurücknehmen kann ich nichts davon. .." Jene erbitterte Agitation gegen Preußen, die von den schleswig-holsteinischen Vereinen ausgegangen wäre, müsse er noch immer für ein trauriges Blatt in der ehrenreichen Geschichte der Herzogtümer halten. Durch seine Worte habe er vor einem Jahre nur seine Publizistenpflicht erfüllt. Nach dem Empfang des Briefes Weinholds vom 26. September schrieb Treitschke am 30. aufs neue an diesen. Er 205

dankte ihm für die in dem Briefe ausgesprochene wohlwollende Gesinnung, was aber die Sache selbst betraf, hielt er sich im großen und ganzen an das, was er in dem Briefe vom 28. geäußert hatte. Sollte er nach Kiel kommen, würde er wahrscheinlich, sobald er die Verhältnisse näher kennengelernt habe, einmal in den Preußischen Jahrbüchern die Lage des Landes schildern und also Gelegenheit finden, frühere Irrtümer zu berichtigen. Er könne indessen nichts versprechen, denn er sei nicht Publizist von Beruf, und in der Krisis der jüngsten Jahre habe er nur die Feder ergriffen, um über „die nationale Politik" zu schreiben. „Der schleswig-holsteinische Handel war mir immer nur eine Szene in dem nationalen Drama, und da heute andere Fragen im Vordergrunde stehen, so kann ich in der Tat nicht voraussagen, ob ich je wieder über Schleswig-Holstein schreiben werde." Freilich dürfe er nicht auf die Zustimmung aller Parteien rechnen, er glaube aber, daß es ihm in Kiel wie früher in Freiburg gelingen werde, achtungs- und vertrauensvoll mit allen Kollegen zu verkehren, vielleicht eine kleine extreme Partei ausgenommen. Mit den Äußerungen in den Briefen an Weinhold mußten Scheel-Plessen und die gekränkten Professoren in Kiel sich begnügen. Man Bieht nicht, daß Treitschke, wie Weinhold ihm vorgeschlagen, unmittelbar an Scheel-Plessen geschrieben hat. 1 Es soll hier erwähnt werden, daß Treitschke auch später keine Gelegenheit zu öffentlicher Berichtigimg seiner „Irrtümer" in der schleswig-holsteinischen Frage ergriff. Andere und größere Fragen traten, wie er mit Recht bemerkte, in den Vordergrund für die, die von der nationalen Politik erfüllt waren. — Was in augustenburgischen Zeitungen über „Ehrenerklärungen" von Seiten Treitschkes mitgeteilt wurde, waren, wie dieser schrieb, erfundene Lügen.2 Trotz dieser abweichenden Haltung bekam er Anfang Oktober die Ernennung zum ordentlichen 1 Ein solcher Brief wird auch nicht erwähnt in dem Briefe Treitschkes vom 3.10.1866 an Geheimrat Olshausen (ungedruckt), in welchem er sonst die Korrespondenz mit Weinhold erwähnt. 1 Treitschke an S. Hirzel 27.10.1866 (die betreffende Stelle des Briefes ist ungedruckt). Vgl. auch Briefe III S. 102 Anm. 1.

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Professor der Geschichte. Mitte Oktober traf er in Kiel ein, und am 29. hielt er hier seine erste Vorlesung. Die Tätigkeit Treitschkes unter den Normalmenschen ist nur von kurzer Dauer gewesen. Seine Ahnung, daß er nach Heidelberg kommen würde, traf eher ein, als er es selbst gedacht hatte, und in Kiel sollte er nur ein Winter- und ein Sommersemester verbringen. Bereits im März 1867 starb Ludwig Häusser, und unter denen, die zu seinen Nachfolgern vorgeschlagen wurden, befand sich auch Treitschke. Im März 1867 hatte er seine Braut Emma von Bodman geheiratet. Als er am 18. Mai seiner älteren Schwester über die Einrichtung seines Hauses schrieb, erzählte er, daß die letzte Möbelsendung eben aus Berlin angekommen sei, daß er aber die Aussicht habe, in drei Monaten alles wieder einzupacken. Im Juli wurde er zum Professor in Heidelberg ernannt, und Anfang Oktober verließ er die „schlechteste Stadt" des Normallandes — BO bezeichnet er in seinen Briefen Kiel. Da Treitschke keine Gelegenheit fand, aufs neue SchleswigHolstein öffentlich zu behandeln, so ist man darauf angewiesen, in seinen privaten Briefen Zeugnisse darüber zu suchen, wie er die Verhältnisse und Menschen in seinem neuen Wohnorte betrachtete, an dem er nur so kurze Zeit bleiben sollte. Diese Betrachtung fiel, wie wir sehen werden, äußerst ungünstig aus, und es soll darum hier betont werden, daß es sich um Äußerungen in Privatbriefen handelt, und daß rücksichtslose Aufrichtigkeit in Treitschkes Natur lag. Vorsichtige Ausdrucksweise und Umschreibungen kommen zweifellos selten in seinen Schriften vor, obschon er zuweilen äußert, opportunistische Rücksichten hätten seine Schreibweise bestimmt. Wie hemmungslos kühn mußte er sich dann nicht äußern in dem Kreise seiner Freunde oder in Mitteilungen, die nur für diese berechnet waren ? Wenn man liest, was er über die Holsteiner in den Briefen der Kieler Zeit äußert, bekommt man den Eindruck, daß der Hohn und Spott, den er früher in so reichlichem Maße und in so mannigfacher Weise über die Kleinstaaterei ausgeschüttet hatte, jetzt in seinen Bemer207

kungen über das Normalland, das Musterland und dessen Einwohner, die Normalmenschen, sich ergoß. Zuweilen könnte man vielleicht geneigt sein zu glauben, daß er darin einen besonderen Genuß fand, neue höhnische Bezeichnungen auszuklügeln — ohne jeden Gedanken darüber, inwieweit die Bezeichnungen zu der Wirklichkeit stimmten, aber diese — die holsteinischen Zustände und Stimmungen—waren natürlich an und für sich dem preußischen Einheitspolitiker widrig genug. Treitschke hatte, wie wir oben sahen, Weinhold gegenüber betont, daß es weder des Ministers noch seine eigene Absicht war, daß er die Kieler Professur ohne die Zustimmimg der Fakultät annehmen solle. Er wollte nicht der Universität aufgenötigt werden. Daß aber die Mehrzahl der Fakultätsmitglieder sich auch zugunsten seiner Ernennung aussprach, die ja vom Ministerium gewünscht wurde, veranlaßte ihn zu spöttischen Bemerkungen über die Beständigkeit der Überzeugungen der Professoren. An Baumgarten schreibt er am 28. Oktober, die Majorität der Universität habe nach altheiligem Professorenbrauche das Schiff gewendet, seit die Königsgrätzer Brise über die Ostsee blase. — Einen neuen Anlaß zu solchen Betrachtungen gab es, als der Rektor der Universität nach dem Besitzergreifungspatent vom 12. Januar 1867 vorschlug, eine Deputation der Universität nach Berlin zu schikken zur Begrüßung des Königs Wilhelm. Treitschke bezeichnet diesen Vorschlag als „die neueste Prostitution unserer Alma Mater" und findet es wenig geeignet seine Verehrung für „diese aufgeblasenen Normalfeiglinge" zu erhöhen.1 Der Antrag an sich hatte natürlich ganz den Beifall Treitschkes, denn es sei von Bedeutung, daß die Universität nicht von vornherein in eine schiefe Stellung gerate, und sie habe viel wiedergutzumachen! „Aber welch ein Wechseil" ruft Treitschke aus. „Vor l 1 /, Jahren begingen diese Jammerkerle das Jubiläum der Universität als einen Trauertag! In solchen Zeiten ist es nicht leicht, groß von den Menschen zu denken." Der Rektor selbst hatte, bemerkt er, im Sommer 1866 antipreu1

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Treitschke an S. Hirzel 8. 2.1867 (ungedruckt).

ßisehe Adressen kolportiert. — Den Berliner Kollegen gegenüber, welche den Übergang der Kieler Professoren zu preußischer Loyalität etwas plötzlich fanden, verteidigte Treitschke dennoch den Beschluß, eine Deputation zu senden — übrigens darum von dem Rektor gebeten. In einem Briefe vom 28. Februar 1867 an Joh. Gust. Droysen hob er hervor, wie wichtige Gründe für die Absendung der Deputation sprächen. Sie sei dazu geeignet, der unbelehrbaren Provinz öffentlich zu zeigen, daß die Vernunft wenigstens in die akademischen Kreise zurückgekehrt sei. Die Form der Anrede an den König würde außerdem eine solche werden, daß die Demonstration nicht als eine Servilität erscheine. Er für seine Person, gestand er freilich, möchte nicht in der Haut mehrerer seiner Kollegen stecken, und einigen könne er es kaum verzeihen, daß sie, nach allem, was sie früher getan, jetzt preußische Staatsdiener geworden seien; die Betreffenden hatten aber auch gegen den Antrag gestimmt. — Über die Vereidigung, welche am 26. Februar stattfand, äußerte er, für seine Person werde er mit Freude und aus voller Seele das Gelöbnis ablegen, er hoffe aber, es möge der letzte Herrschaftswechsel für die verwahrloste Provinz sein. „Der rasche Wechsel heiliger Gelöbnisse ist für ein so wenig elastisches Volk furchtbar demoralisierend. . . Zusammen mit diesen Betrachtungen über die Elastizität und Unbeständigkeit der Haltung und Überzeugung der Professoren wollen wir einige Äußerungen Treitschkes anführen über das Schicksal, das damals seinem Parteigenossen und Kollegen Professor Pauli in Tübingen traf. Dieser hatte im Augustheft der Preußischen Jahrbücher einen Aufsatz geschrieben, den Treitschke „den schönen boshaften Schwabenspiegel" nannte; 2 der anonyme Artikel hatte die Überschrift „Württemberg und die Bundeskatastrophe". Als er von der württembergischen Regierung verhört wurde, ob er der Verfasser des Artikels sei, bekannte er sich als solchen und wurde 1 2

Treitschke an Emma von Bodman 22. 2.1867. Briefe III S. 109.

Treitschke

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abgesetzt. Gegen diese Behandlung Paulis trat Treitschke freilich in dem Dezemberheft der Preußischen Jahrbücher öffentlich auf, aber privat äußerte er sich etwas reserviert über das Auftreten seines Kollegen.1 Für einen württembergischen Staatsdiener sei der Artikel doch nicht ganz passend. Treitschke würde selbst auch nicht anonym geschrieben haben, und er hätte den „erbärmlichen Kerlen" eine stolzere Antwort gegeben als Pauli und ihnen jedenfalls früher seine Professur vor die Füße geworfen. Er hatte selbstverständlich in Erinnerung, wie er selbst in einem ähnlichen Konflikt in der Krisis 1866 der badischen Regierung gegenüber gehandelt hatte. — Was ihm bei seinen Berufsgenossen fehlte, waren die Eigenschaften, die er auch nicht fand in dem „trostlosen Lande", wohin das Schicksal ihn verschlagen hatte: „Tatkraft und Wahrhaftigkeit." 1 Diese Eigenschaften gehören wohl übrigens weder unter den Holsteinern noch unter anderen Stämmen gerade zu den allgemeinsten, im eigenen Wesen Treitschkes funkeln sie aber beide wie köstliche Perlen. Trotzdem die Majorität der Universität, wie wir sahen, sich für die Anstellung Treitschkes ausgesprochen hatte, war es nicht ganz unberechtigt, wenn seine Freunde von der „wilden Ehe" zwischen ihm und der Kieler Universität sprachen. Treitschke selbst äußerte einige Zeit nach seiner Ankunft in Kiel, daß die Kollegen, welche ihn doch selber berufen hatten, zum Teil lange Gesichter machten, und daß der Empfang so kühl wie möglich gewesen sei. Er erwähnt auch — außer den augustenburgischen Zeitungslügen — die kleinen akademischen Bosheiten seiner Kollegen gegen ihn.3 Dagegen findet er, daß Gutschmid, der überall Intriguen gegen ihn, Treitschke, wittere, gar zu mißtrauisch geworden sei durch den langen Kampf mit den Kollegen. Er habe, schreibt er am 27. Oktober Treitschke an Emma von Bodman 11.11., 21.11. und 29.11.1866. Treitschke an Baumgarten 5. 2.1867. * Treitschke an Zarncke 30.11.1866 (ungedruckt), an S.Hirzel 27.10. 1866 (ungedruckt), an Emma von Bodman 25.10.1866 und an Baumgarten 28.10.1866 (die betreffende Stelle des Briefes ungedruckt vgl. S. 204 Anm.). 1 3

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1867 an S. Hirzel, nur bemerkt, was er schon wisse, daß die Augustenburger ihn zur Hölle wünschen, und daß ScheelPlessenein Fuchs seil Wenn man von solchen Betrachtungen wie den oben angeführten über die Charakterstärke der Kollegen absieht, findet man eigentlich auch nicht in den Briefen aus der Kieler Zeit Äußerungen, die von Zusammenstößen mit den Kollegen melden. Wie Treitschke gleich nach der Ankunft schreibt, fangen diese an zu merken, daß es sich mit ihm leben lasse. In ein näheres Verhältnis zu vielen von ihnen trat er aber während seines Aufenthaltes nicht. Die Tüchtigen unter den Professoren waren nicht gern in Kiel,1 und die Universität sollte nach seiner Ansicht bald möglichst nach „Altona, d. h. nach Hamburg" verlegt werden. Selbst wenn einst die heutige Parteizänkerei vergessen sei, würde Kiel schwerlich ein gesundes akademisches Leben haben. Kiel entwickelte sich mehr und mehr zum großen Kriegshafen, die militärischen und bureaukratischen Elemente drängten sich vor, was eine große Gefahr für die servilen Neigungen des Professorentums sei.2 Zufriedener als mit den Professoren war Treitschke mit den Studenten. Er begann seine Tätigkeit mit öffentlichen Vorlesungen über europäische Geschichte in den Jahren 1848—50, und diese Vorlesungen mußte er wegen überwältigenden Andranges in die Aula der Universität verlegen. Weiter hielt er ein Privatkolleg über Reformationsgeschichte, und zu diesem fanden sich auch so viele ein, als in den Hörsaal hineingehen konnten.8 Anstatt abzunehmen wachse der Besuch seiner Vorlesungen fortwährend, schreibt er, und die Leute begännen einzusehen, daß er anders sei, als die Presse ihn geschildert habe. Die Studenten nennt er fleißiger und gebildeter als z. B. die Freiburger Studenten. Auf die „Philister", die sich in sein Auditorium drängten, gebe er gar nichts. Wie in Freiburg betrachte 1

Treitschke an Baumgarten 28. 8.1867. Treitschke an Emma von Bodman 16.1.1867. * Treitschke an Emma von Bodman 1.11., 16.11., 18.11. und 29.11. 1866. 1

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das Philisterpublikum seine Vorlesungen als eine öffentliche Vergnügungsanstalt, und durch Worte wäre bei „diesen selbstgefälligen Kleinstädtern" nichts auszurichten; das geschehe nur durch vollendete Tatsachen.1 Viel Freude empfand er indessen bald darüber, daß so viele Offiziere sich zu seinen öffentlichen Vorlesungen einfanden. Land- und Seemacht sitzen vollzählig zu meinen Füßen, die Generale voran, schreibt er. Er empfand, daß er hier den rechten Resonanzboden hatte für seinen Stolz darüber, daß der preußische Adler jetzt die blaue Kieler Bucht schirmte. Es kann aber auch bemerkt werden, daß er die Pflicht empfand durch seine Vorlesungen den Offizieren ein wenig Liberalismus beizubringen.2 Ganz natürlich betrachtete Treitschke seine Vorlesungen als das Mittel, wodurch er wesentlich Beine selbst gesetzte Aufgabe erfüllen würde: dem Lande ein starkes deutsches Nationalgefühl beizubringen. An seinen Verleger S. Hirzel hatte er am 6. September geschrieben, er brauche nicht zu befürchten, daß das Kieler Parteileben ihn von der Arbeit an dem zweiten Bande seiner Essays sehr abziehen werde. Mit der vollzogenen Einverleibung sei das Beste geschehen, und er für seine Person könne mehr auf dem Katheder als in Parteiversammlungen dafür wirken, daß die verschlungene Beute auch verdaut werde. — Als er nach Kiel gekommen war, konnte und wollte er es offenbar zunächst nicht unterlassen, das Parteileben zu fördern. Die Wahlen zum konstituierenden norddeutschen Reichstage standen bevor, und Treitschke empfing von mehreren deutschen Wahlkreisen die Aufforderung, sich aufstellen zu lassen. Während er früher den Gedanken an parlamentariche Tätigkeit mit Rücksicht auf seine hochgradige Schwerhörigkeit abgelehnt hatte, schien diese Rücksicht jetzt für ihn nicht mehr entscheidend zu sein; es zeigte sich aber, daß er noch nicht in seinem neuen Vaterland Preußen wählbar war und auch nicht die Wählbarkeit in Sachsen behalten hatte. 1

Treitschke an Zarncke 11. 12. 1866 (ungedruckt) und an Baumgarten 14.12.1866. 1 Treitschke an Baumgarten 14.12.1866.

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Er mußte sich darum auf die Teilnahme an der Wahlagitation in Holstein beschränken. In Anbetracht der Stärke der dänischen Partei in Schleswig und der großen augustenburgischen Partei sollte man eigentlich glauben, daß die Anhänger der Annexion sich von Anfang an hätten sagen können, daß sie gar zu wenige seien, um sich eine Teilung nach den allgemeinen deutschen Parteilinien erlauben zu dürfen. Indessen scheint dies erst allmählich ihnen aufgegangen zu sein, und die Zeit zur Agitation war äußerst kurz, weil die Wahlen schon am 12. Februar 1867 stattfanden. In einem Briefe vom 10. Januar 1867 an Rud. Haym schreibt Treitschke, seine Hoffnung, die dortigen Freunde für den Anschluß an das altliberale Wahlprogramm zu gewinnen, sei gescheitert. „Wir sind hier so schwach, daß wir nur durch eine Koalition aller Preußischgesinnten, auch der Reaktionäre, hoffen können, die Partikularisten in zwei Bezirken zu schlagen. Ob diese Koalition gelingt, steht freilich dahin. Das ganze Land ist ein Nest der widerlichsten persönlichen Stänkereien." •— Auch andere der Anhänger Preußens formulieren den Wahlruf: für oder wider Preußen und sind bestrebt, die Mittelpartei, die sogenannten Blauen zu gewinnen. Dies befürwortet u. a. in einem Briefe vom 16. Januar 1867 A. Römer in Flensburg, der es auch abgelehnt hatte, sich den Altliberalen anzuschließen.1 Es galt eine Verständigung mit den Blauen herbeizuführen trotz allem, was die Professoren Handelmann und Gutschmid dagegen einwandten. Römer freute sich auch darüber, daß Treitschke bereit war, im schlimmsten Falle die Kandidatur Scheel-Plessens anzuerkennen.2 Von der Tätigkeit der Annexionsanhänger soll angeführt werden, daß sie am 9. Dezember eine Versammlung in Rendsburg abhielten, wo Treitschke, der darum gebeten war, einen Programmentwurf auszuarbeiten, auch zugegen war. Er 1

A. Römer an Treitschke 18.12.1866. Dieser wurde auch aufgestellt sowohl bei diesen als auch bei den späteren Wahlen desselben Jahres. Kieler Zeitung, 14.2., 3.9. und 8.11.1867 (Universitätsbibliothek Kiel). 1

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schreibt über diese Versammlung, „unsre kleine Partei war gut vertreten; viel verständige Leute, auch ein paar stattliche schleswigsche Bauern, und zwischen den Genossen ein gutes, treues Verhältnis." Aber, bemerkt er, leider sind wir nicht stark, und rührig ist die Partei auch nicht. 1 Was er hier fehlende Rührigkeit nennt, wird aber zu anderen Zeiten bei ihm mit viel weniger schmeichelhaften Ausdrücken bezeichnet: Die Faulheit bei den Leuten sei gräßlich, die Parteigenossen seien wie alle echten Normalmenschen stinkfaul, unwillig zum Reden usf. In der Ansicht, daß die Faulheit eine der am meisten hervortretenden Nationaleigenschaften der Holsteiner sei, stimmte Treitschke ganz mit Gutschmid überein. Der rührigere und redefertigere Treitschke mußte darum selbstverständlich in der Agitation herhalten. Am 12. Januar 1867 wurde eine neue Sitzung der Parteigenossen abgehalten, diesmal in Kiel. Auf die Sitzung folgte am nächsten Tage eine öffentliche Versammlung, in der Treitschke und Professor Handelmann als Redner auftraten. Die Versammlung war von etwa 5—600 Personen besucht, und die Redner wurden mehrfach durch laute Kundgebungen unterbrochen, so daß die Versammlung nach ein paar Stunden aufgelöst wurde. Handelmann hatte im voraus Treitschke gebeten, in seiner Rede namentlich die Notwendigkeit einer Umbildung der inneren Verhältnisse nach preußischem Muster zu betonen: „Die Hebung der inneren Verhältnisse bildet die beste Handhabe, um das Interesse der Bevölkerung für das Parlament und die preußische Politik im allgemeinen anzuregen, während die allgemeinen nationalen Zwecke unsern guten Landsleuten ferner liegen. Es ist dies eine Tatsache, welche wir bedauern mögen, mit der wir nichtsdestoweniger rechnen müssen . . Nach dem freilich sehr kurzen Bericht in der Kieler Zeitung vom 15. Januar zu urteilen, ging Treitschke trotzdem auf die mehr allgemeinen nationalen Zwecke ein, was ihm ja auch am nächsten liegen mußte. Er motivierte in seiner Rede sein und seiner Partei1 2

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Treitschke an Emma von Bodman 10.12.1866. Handelmann an Treitschke 11.1.1867.

genossen Programm, das darauf hinzielte, die deutsche Politik der Regierung zu unterstützen. Das Streben nach der Reichsverfassung von 1849 würde, behauptete er, ebenso vergeblich wie verderblich sein. Das deutsche Volk habe jetzt die Reife des Mannesalters erreicht und dürfe nicht mehr mit den Puppen aus der Kinderzeit spielen. Weigere das Parlament sich, die Grundlage anzunehmen, welche für die Konstituierung des Norddeutschen Bundes vereinbart war, so würde das Ergebnis nur ein Fürstenbund mit reaktionärer Tendenz ohne Volksvertretung werden.1 Mit dem Ausfall der Wahlen am 12. Februar mußte Treitschke äußerst unzufrieden sein. An seine Braut schreibt er in einem vom 12. Februar datierten Briefe,2 daß er niemals daran gezweifelt habe, das suffrage universel sei für Deutschland Unsinn, dieses sei ihm noch klarer geworden, seit er jetzt mit eigenen Augen den Jammer gesehen habe, Es sei ganz undeutsch, daß der Unverstand, die Unbildung entscheiden solle. „In unserm Ländchen hat sich gestern dieser Unverstand in kolossaler Weise gezeigt; selbst die bescheidene Hoffnung, die ich hegte, daß wir 2 oder 3 vernünftige Männer durchbringen würden, bestätigt sich nicht. Im Norden sind zweiDänen, im übrigen Lande lauter Augustenburger gewählt worden." Nun bedaure er wirklich, nicht wählbar zu sein. Wenn diese Bande anfange, die alten Lügen über Schleswig-Holstein aufzuwärmen, möchte er im Parlamente die anderen Deutschen über dies Mecklenburg aufklären können. Habe der souveräne Unverstand ähnliche Früchte in Hannover und Sachsen getragen, dann gelte es, alle liberalen Bedenken gegen Bismarck zu unterdrücken und die Regierung rücksichtslos zu unterstützen, damit das Haus nur unter Dach komme. — Treitschke hatte übrigens bei den Wahlen weiter das Unglück, daß er seine Stimme nicht abgeben durfte, da sein Name in den Wahl1

Kieler Zeitung, 15.1.1867 (Nr. 699), vgl. 16.1.1867 (Nr. 700) Universitätsbibliothek Kiel. * Da der Brief die Wahlen als gestern vorgenommen erwähnt, müssen jedenfalls die betreffenden Teile des Briefes vom 13. sein.

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listen ausgelassen war. Dasselbe war mehreren anderen bekannten M&nnern seiner Partei widerfahren, was nach seiner Ansicht einen außerordentlichen Grad von Faulheit oder von Schlechtigkeit auf Seiten der Listenanfertiger voraussetzte. „Ich glaube das Letztere", schrieb er, „die Leute sind alle Augustenburger, und die Rechtschaffenheit, die vor 20 Jahren hier allerdings herrschte, ist in dem ungeheuren Lügensysteme der letzten Jahre gründlich besch&digt worden." Nachdem die Verfassung für den Norddeutschen Bund im Sommer 1867 angenommen war, wurden die Wähler am 31. August aufs neue an die Wahlurne gerufen. In der Provinz Schleswig-Holstein fielen die Wahlen ähnlich aus wie im Februar, doch nahm die augustenburgische Partei infolge einer neuen Einteilung der schleswigschen Wahlkreise den Dänen das eine Mandat. In den Briefen Treitschkes findet sich diesmal über die Wahlen nur eine einzigeÄußerung. An Baumgarten schreibt er am 28. August, daß sich die Provinz nätürlich wieder durch aberwitzige Wahlen lächerlich machen werde, selbst wenn man von der Parteistellung der augustenburgischen Kandidaten ganz absehe und sich nur an ihre bodenlose Unwissenheit und Unfähigkeit halte. „Auch die Besseren kranken an dem abgeschmackten Normaldünkel, statt bescheiden zu erkennen, daß unsere Provinz augenblicklich im hintersten Hintertreffen der norddeutschen Bildung steht." Als Beispiel führt er den Kandidaten der eigenen Partei an, welcher „schreibt, er hoffe, die gesunde konservative Gesinnung Schleswig-Holsteins werde sich bald befruchtend über ganz Deutschland ergießen!" Als diese Wahlen stattfanden, stand Treitschke dicht vor dem Aufbruche nach Heidelberg. Die etwas späteren Wahlen am 7. November zum preußischen Abgeordnetenhaus nach der endgültigen Einverleibung der Herzogtümer in Preußen erlebte er nicht mehr in Kiel. Beim Gedanken an seinen Weggang von dort hatte er an S. Hirzel am 12. September geschrieben : „Das deutsche Gemüt ist doch wunderlich. Ich hatte mich so von diesen Normalmenschen weggewünscht, und jetzt überkommt mich oft die Erinnerung an die vielen schönen Stun216

den dieses Sommers, und es wird mir fast schwer zu gehen."1 Im Hinblick auf eine solche Äußerung kann man sich fragen, ob Treitschke in der Tat während seines einjährigen Aufenthaltes in Kiel sich mit den dortigen Verhältnissen und Menschen aussöhnte ? Ob also aus der „wilden Ehe" ein Familienidyll wurde ? „Das deutsche Gemüt ist doch wunderlich." Ja, das ist wohl im allgemeinen das menschliche Gemüt. Der Gedanke an den Abschied von einem Orte, wo man sich längere Zeit aufhielt, wird natürlich die schönen Stunden, die man dort verlebt hat, stark in Erinnerung bringen. Nach Kiel hatte Treitschke ja seine Braut heimgeführt, dort hatte er sein junges Heim gebaut. Wie sollte er da von der Stadt in dumpfem Grolle wegziehen ? Ein Naturschwärmer, wie er es war, mußte sich auch des Anblicks der blauen Föhrde und der schattigen Buchen freuen. Daß sein Herz außerdem jedesmal höher schlug, wenn er die preußischen Kriegsschiffe auf der Bucht sah, ist klar bei einem Manne, der schreibt, wenn er eine solche Erzählung lese wie die, daß die Italiener das preußische Banner küßten, werde er so aufgeregt, daß er alle Kritik verliere." Obschon er in Kiel keinen Umgangskreis wie den Freytagschen in Leipzig fand, verließ er doch auch nicht Kiel ohne dort Freunde gefunden zu haben. Er und seine Frau traten in ein recht nahes Verhältnis zu der Tochter des Professors Hegewisch, Lotte Hegewisch, der holsteinischen Aspasia, wie Gutschmid und nach ihm Treitschke sie nannten; dies Verhältnis dauerte das Leben lang. Trotz allem, was Treitschke viele schöne Stunden in Kiel bereitet haben muß, darf man doch wohl sagen, daß er seine ketzerischen Ansichten über die Normalmenschen völlig aufrecht hielt, und daß diese Ansichten eher noch verschärft wurden. Treitschke spricht an einer Stelle von dem wohlriechenden Rautenkranz, den Busch in einem Artikel in den Grenzboten dem Dresdener Angestammten gewunden habe,3 und ein ebenso duftender Strauß kann aus 1

Briefe III S. 91. » Briefe III S. 121 Anm. 4. ' Treitschke an Moritz Busch 13. 6.1865.

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den Äußerungen Treitschkes während des Kieler Aufenthaltes geflochten werden. Zur Beleuchtung einer gewissen Seite des leidenschaftlichen Charakters Treitschkes soll in dem folgenden ein Teil dieser Äußerungen angeführt werden, außer dem was schon im vorhergehenden erwähnt ist. Die Bezeichnungen das „Normalland" und die „Normalmenschen" sind, wie vorher betont, stehende Ausdrücke. Ab und zu ersetzt Treitschke sie doch durch andere, die dieselbe Ansicht wiedergeben sollen, daß die Holsteiner sich selbst und das ihrige als rechtes Vorbild für alle anderen ansehen. Das Normalland wird durch das Normalnest ersetzt oder durch das Musterland oder das Land der Pharisäer, und in diesem Lande herrscht selbstverständlich Normaldünkel. Das zweite Mecklenburg oder Österreich sind in Treitschkes Munde auch nicht schmeichelhafte Bezeichnungen; man denke z.B. nur an die Rede, die er späterhin im Reichstage über die mecklenburgischen Zustände hielt. 1 Die Normalmenschen werden ersetzt durch Ausdrücke wie Pharisäer oder Chinesen oder durch den „meerumschlungenen" civis Romanus. Ebenso wie Normalmenschen gibt es Normalfeiglinge. Den Normalmenschen entsprechen die viel schrecklicheren Normalweiber,2 oder wie er an einer anderen Stelle sagt, die politisierenden Unterröcke.3 Es kann übrigens hier wieder hervorgehoben werden, daß die Ausdrücke Treitschkes oft ganz mit denen des Freundes Gutschmid übereinstimmen. Begann er aber auch wie dieser damit, die Normalweiber als die schrecklichsten anzusehen, so ließ er sich doch in diesem Punkte bekehren, so daß er den Umgang mit den Frauen seiner Kollegen angenehmer fand als den mit den Kollegen selbst. Dies zeugt ja von einem gewissen Faible für das schöne Geschlecht, und wir wollen hier die Bemerkung einschalten, daß Treitschke in einem Briefe von Wehrenpfennig (2. 2. 1866) als der erklärte Günstling der 1 „Der Konstitutionalismus der einzelnen Bundesstaaten", gehalten am 2 . 1 1 . 1 8 7 1 . Reden von H. v. Treitschke im Deutschen Reichstage, 1871—1884. Hrsg. von Otto Mittelstadt, 1896, S. 25 ff. ' Treitschke an Zarncke 1 1 . 1 2 . 1 8 6 6 (ungedruckt). ' Treitschke an S. Hirzel 3 1 . 1 . 1 8 6 7 (ungedruckt).

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Damen in Freiburg erwähnt wird. Von diesem Punkte abgesehen, sieht man aber unleugbar keine Änderimg in den Ansichten Treitschkes. Frecher sei nie gelogen worden als über dies andere Mecklenburg, schreibt er am 31. Januar 1867 an S. Hirzel: „In 10 Jahren wird es für einen Deutschen wieder möglich sein, hier zu existieren, aber dann hat mich hoffentlich ein gnädiges Geschick wieder hinweggeführt...." Und an seinen Freund W. Nokk schreibt er am 15. Februar 1867, freilich unter dem Eindruck der „ganzen monumentalen Scheußlichkeit", welche der Normalmensch bei den eben stattgefundenen Wahlen gezeigt hat: „Mir werden Land und Leute von Tag zu Tag — ich möchte sagen, von Stunde zu Stunde — widerlicher."1 Selbstverständlich wäre er tausendmal lieber nach Heidelberg gegangen, heißt es in dem oben genannten Brief an Zarncke, und als er vor der Übersiedlung nach Heidelberg stand, bemerkt er, daß er auf keinen Fall dort einer so stupiden Bosheit begegnen werde wie in Kiel, und daß man ihm hier den Abschied sehr leicht mache.2 Baumgarten gegenüber, den er zu seinem Nachfolger vorgeschlagen hatte, äußert er, daß dessen Vorliebe für Kiel an Ort und Stelle bald schwinden werde, denn außer der herrlichen Umgebung biete die Stadt gar nichts, und von schöner Gegend lebe niemand, am wenigsten ein Mann.3 Die letzte Bemerkung zeigt, was Treitschke in Kiel fehlte, und daß der Umgang mit den wenigen Gleichgesinnten ihm nicht im geringsten dasselbe bot, was er im Freytagschen Kreise in dem an Naturschönheit armen Leipzig gefunden hatte. Die politische Richtimg bei der überwältigenden Mehrzahl der Bevölkerung war ihm im höchsten Grade zuwider, wie seine Bemerkungen über die stattgefundenen Wahlen hinreichend gezeigt haben. Über den Zeitpunkt einer zu erwartenden Besserung spricht er sich äußerst verschieden aus. 1

Der Brief ist ungedruckt. Treitschke an Baumgarten 9. 10. 1867 und an Wehrenpfennig 27. 8.1867. 1 Treitschke an Baumgarten 28. 8.1867. 2

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Bald meint er, daß in zwei Jahren die Verhältnisse vielleicht anders sein werden, bald soll ein Dezennium erst hingehen, bevor für einen Deutschen in Kiel zu existieren möglich sein werde, und bald scheint ihm die Besserung langsam vorwärtsschreitend.1 Nach einer kurz vor der Abreise nach Heidelberg vorgenommenen Rundreise im Lande bemerkt er, diese Reise habe freilich seine Zuversicht nicht erschüttert, man brauche aber unendliche Geduld — eine Eigenschaft, welche eben nicht die starke Seite Treitschkes war. „In jeder Stadt", schreibt er, „fand ich alte und neue Freunde; doch die Besseren . . . sind niedergeschlagen, die Roheren unbeschreiblich erbittert. Das ganze Ländchen wimmelt von gefallenen Größen, nur die Zeit kann da helfen.... Schleswig-Holstein und meine unglückliche Heimat werden noch lange die faulen Flecke des Norddeutschen Bundes sein."2 Die Ansicht Treitschkes über die holsteinische Faulheit entspricht, wie wir gesehen haben, ganz der Schilderung Gutschmids, und auch in einem anderen Punkte der Ansicht über das holsteinische Sonderleben, herrscht die genaueste Übereinstimmung zwischen den beiden Freunden. Die Zustände im Handel und Wandel, heißt es an einer Stelle bei Treitschke, sind schauderhaft in diesem Paradiese der Zunftmeister, er hoffe aber, daß das Aufgehen des Landes in Preußen hier große Fortschritte bringen werde.3 Über die Einführung preußischer Einrichtungen in Holstein, bemerkt er ein andermal, in dem Sumpfe der holsteinischen Selbstverwaltung, sei jede preußische Institution, auch die schlechteste, reiner Gewinn.4 Diese Äußerung wirkt ein wenig sonderbar, wenn man sich an die Lobpreisung der Selbstverwaltung in seinen ersten Schriften erinnert. Als der Ausdruck einer gewissen Rücksichtnahme auf die besonderen holsteinischen Verhältnisse galt ja die Ernennung Scheel-Plessens zum Oberpräsi1

Briefe III Treitschke * Briefe III * Briefe III 1

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S. 168 und 171, vgl. auch oben S. 218 Anmerkung 3. an Baumgarten 9. 10. 1867. S. 102. S. 157 Anm. 2.

denten, mit ihm war man aber auch in preußischen Kreisen nicht besonders zufrieden. Treitschke findet auch bei ihm die holsteinische Selbstzufriedenheit, und er hat an seiner nationalen Zuverlässigkeit gezweifelt.1 Einmal bezeichnet er ihn geradezu als den Fluch des Landes und fordert schlechterdings einen p r e u ß i s c h e n Oberpräsidenten.1 Wie gesagt war er doch im Februar 1867 bereit, ihn im schlimmsten Falle als den Kandidaten der Nationalen zu akzeptieren. Man sieht nicht, daß er in ein näheres Verhältnis zu ihm getreten ist. Als er ihm im Juli den bevorstehenden Fortgang von Kiel nach Heidelberg mitteilte, bedauerte Scheel-Plessen in einem Briefe vom 4. August an Treitschke dieses lebhaft. Es heißt hier, Scheel-Plessen fühle sich davon überzeugt, daß Treitschkes belebender Vortrag schon jetzt „einen heilsamen Einfluß ausgeübt, manches Vorurteil verscheucht und einer unbefangeneren Auffassung der Ereignisse neuester Zeit und namentlich der Aufgabe, welche Preußen Bich zu stellen hat, die Bahn gebrochen hat, als wie sie bisher hier leider die vorherrschende gewesen ist. Bei längerem Verbleiben hierselbst würden Sie gewiß immer mehr Terrain gewonnen, würden Ihre heilsamen Lehren immer mehr Eingang in den Herzen der hiesigen Jugend gefunden haben." Er verstehe doch gut, schrieb er, daß Treitschke den größeren Wirkungskreis in Heidelberg dem in Kiel vorziehe, er meinte aber, auch in Heidelberg sei Treitschke nicht den Holsteinern verloren. Kurz vor der Abreise nach Heidelberg fand Treitschke Gelegenheit zu einem kürzeren Ausflug nach dem von Beiner Freundin Gustava von Haselberg gepriesenen „schönen Wunderland" Dänemark. In einem Briefe an seine Frau vom 19. September schilderte er die Eindrücke, die er während des Aufenthalts in Kopenhagen empfing. Das Paris der Dänen schien ihm wenig bedeutend, und wenn er daran denke, daß dies „Käsehändlervolk" so lange die Deutschen verhöhnt habe, müsse er sich schämen: „Doch das ist vorbei, ich sehe 1 1

Briefe III S. 101 und 110. Briefe III S. 125. Vgl. Duncker, Briefwechsel S. 426 und 429.

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mit Genugtuung die Zerrbilder Bismarcks an den Läden. Gottlob, sie fürchten uns wieder." Die Bauwerke Christians IV., u. a. Rosenborg, erschienen ihm aber großartig, und allein die Bekanntschaft mit den Werken Thorwaldsens lohne die Reise, meinte er. Es sei aber eine unbegreifliche Dummheit des Schicksals, Thorwaldsen hier unter „01, Brod, Smor und Kjfld" 1 geboren werden zu lassen. In den Vorlesungen über Politik kehrt er übrigens zu dieser für seine Theorie von der in den Kleinstaaten fehlenden Kultur unangenehmen Tatsache zurück.2 Er schreibt hier, Thorwaldsen sei kein Däne, er sei auf einem Schiffe auf der Reise von Island nach Dänemark geboren — eine ganz unrichtige Behauptimg.3 — An dem Kopenhagener Leben, hieß es weiter, sei nichts großartig als die Vergnügungslust, und „Tivoli" fand bei ihm Anerkennung. Er freute sich aber über die Heimreise, denn es sei nicht angenehm, unter verbissenen Feinden zu sein — es war ja nur drei Jahre nach dem Kriege —, und „die Kerle" stellten sich oft an, als verständen sie kein Deutsch. Treitschke habe einmal sein Abendessen auf Dänisch bestellen müssen, und er versprach, dies einmal seiner Frau vorzumachen. Von den Äußerungen Treitschkes aus seiner Kieler Zeit wollen wir schließlich bei einigen über die nordschleswigsche Frage verweilen. Wie wir sahen, hatte der Artikel 5 des Prager Friedens bestimmt, daß diese Frage in Ubereinstimmung mit den Wünschen der nordschleswigschen Bevölkerung gelöst werden sollte. Da Treitschke sich dahin ausgesprochen hatte, die glücklichste Lösung wäre gewesen, Nordschleswig wäre bei Dänemark geblieben, so sollte man an und für sich glauben, er hätte nicht gegen eine solche Ordnimg einzuwenden. Dies war indessen nicht der Fall, und die jetzigen Ansichten Treitschkes waren wohl schwerlich unbeeinflußt von denen seiner holsteinischen Parteigenossen. Das 1

Bier, Brot, Butter und Fleisch. Politik I S. 47. * Thorwaldsen ist in Kopenhagen am 19. November 1768 geboren; sein Vater war aus Island eingewandert. 1

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Annexionsgesetz war dem preußischen Abgeordnetenhause im September 1866 vorgelegt worden, kam aber erst im Dezember zur Verhandlung. Aus den Monaten November und Dezember liegen nun mehrere Äußerungen Treitschkes vor, durch welche er versucht, auf die Stimmung in der Richtung einer Nichterfüllung des Artikels 5 des Prager Friedens einzuwirken. An Duncker schreibt er so am 11. November, daß er ernsthafte Sorgen hege wegen der Abtretung Nordschleswigs: „Die Leute dort sind freilich unzweifelhaft dänisch gesinnt, doch wir sind jetzt stark genug, sie mit dem norddeutschen Staate zu verschmelzen. Die Abtretung würde hier unter allen deutschen Parteien eine sehr bedenkliche Mißstimmung hervorrufen und die Verschmelzung der Provinz mit Preußen sehr erschweren. Dies muß vermieden werden, wenn die diplomatische Lage es irgend erlaubt." 1 Ähnlich äußert er sich in Briefen vom 21. November an S. Hirzel und vom 14. Dezember an Baumgarten. Am ausführlichsten erörtert er die Sache in einem Briefe vom 26. November an den Redakteur der Kölnischen Zeitung, Dr. Heinrich Kruse, der für die Erfüllung des Artikels 5 eingetreten war.2 Nachdem er Dr. Kruse seine aufrichtige Hochachtung für dessen Zeitung versichert hat, die er fünfzehn Jahre lang täglich gelesen zu haben behauptet, bemerkt er, Dr. Kruse habe vollkommen recht, wenn er verlange, daß Preußen den Prager Frieden ausführe. Es sei auch gewiß, daß die Mehrzahl der Nordschleswiger dänisch sei, und daß die dortigen Deutschen bei einer Abstimmung nach Köpfen unterliegen müssen. Er bitte indessen den Redakteur folgende Punkte zu erwägen: „1. Durch eine ausgedehnte Abtretung im Norden wird die Einverleibung der Herzogtümer in den preußischen Staat ungeheuer erschwert werden. Sie kennen genugsam die Süffisance der SchleswigHolsteiner, aber schwerlich wissen Sie, mit welchem ungerechten Fanatismus alle Deutschen hier diese Frage betrachten. Es ist für Preußen nicht leicht, eine BO bestimmte Volks1 Ungedruckter Brief. * Der Brief ist ungedruckt.

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meinung zu verletzen. 2. Die reine Anwendung des Nationalitätsprinzips im Norden ist unmöglich. Wir können und dürfen das dänische Alsen und die gegenüberliegende Ostküste aus strategischen Gründen niemals aufgeben. 3. Daß im Norden ein deutscnes Venetien entstehen würde, glaube ich nicht. Vielmehr dringt das deutsche Element langsam, aber unwiderstehlich nordwärts; mir scheint sicher, daß unter preußischer Herrschaft jene Distrikte ohne Zwang germanisiert werden können." Die Frage erscheine darum Treitschke keineswegs einfach, und er würde es billigen, wenn Preußen sich damit begnügte, bloß die nördlichsten Distrikte abzutreten. In dem Briefe an Baumgarten vom 14. Dezember sind diese „nördlichsten Distrikte" weiter eingeschrumpft und zu einem „kleinen Distrikt, etwa dem Törning Lehen" geworden, obschon er doch noch hier findet, daß man die Verpflichtung des Friedens nicht kurzweg brechen könne. Daß er aber irgendwelche Bedenken gehegt, wenn die „diplomatische Lage" sich geändert hätte, scheint ganz unwahrscheinlich. Selbst der „kleine Distrikt" wäre dann gewiß dahingeschwunden. Trotz der Friedenspräliminarien von Nikolsburg, welche die Erhaltung des Königreiches Sachsen bestimmten, hatte er ja mit voller Kraft daran gearbeitet, daß Preußen Sachsen annektiere, was voraussetzte, daß Bismarck die eingegangenen Verpflichtungen brechen werde.1 Mit dem Weggang Treitschkes von Kiel hörte auch in allem wesentlichen sein Interesse für die schleswig-holsteinische Frage auf. Als darstellender Historiker kehrte er in seiner Deutschen Geschichte zu ihr zurück, er führte diese aber nur bis zum Jahre 1848. Leider kam er also hier nicht dazu, die Begebenheiten zu schildern, an welchen er selbst so starken Anteil genommen hatte. Daß er selber aber diesen Anteil hoch eingeschätzt hat, geht aus einigen Aufzeichnungen zu Vorlesungen hervor, in welchen er die Entwicklung der Frage bis zum österreichischen Kriege geschildert hat. Hier stoßen 1

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Vgl. Politik II S. 550 f.

wir u. a. auf folgende Ausrufe: „Anfang 65 — ipse contra Häusser" und späterhin offenbar mit Bezug auf den Oktoberartikel: ipse: Phrasen Fett und weiter: Beust—preuß. Jahrbb. 1 Die Teilnahme des Vaters an dem Eckernförder Gefecht behandelte er — es war seine letzte Arbeit — in einem Artikel in der Historischen Zeitschrift. — Die schleswig-holsteinische Frage war, wie er an einer Stelle schrieb, nur eine unter den vielen der nationalen Politik, sie wurde aber freilich die, von welcher die Einigimg Deutschlands unter der Führung Preußens ihren Ausgangspunkt nahm. Mit der vollzogenen Annexion verlor sie das aktuelle Interesse, und die Frage wegen Erfüllung oder Nichterfüllung des Artikels 5 des Prager Friedens vermochte nicht, einen großpolitischen Charakter anzunehmen. Die nationale Politik Deutschlands kehrte sich anderen Aufgaben zu, und es erfolgte die Abrechnung mit Frankreich, welche die ersehnte Einigung des ganzen Deutschland, wenn auch nicht in der von Treitschke gewünschten Form, herbeiführen sollte. — In einem Gedicht, das Treitschke kurz vor dem Aufbruch von Kiel an Lotte Hegewisch schrieb, heißt es, daß der Tag tagen werde, wo der Adler sowohl die blaue Kieler Bucht alB auch den lichten Strand des Neckars schirmte, zu dem er ja jetzt ziehe. Kaum drei Jahre später hörte er in Heidelberg die Schwingen rauschen, als der Adler der Hohenzollern sich erhob, um den „frechen Franken" zu zermalmen und sich auf die letzte blutige Reise nach dem höchsten Siegespreis begab. Er schilderte dieses in dem pompösen Gedicht: Ein Lied vom schwarzen Adler. Sein Parteigenosse Baumgarten schrieb am 2. August 1870 an ihn, wie wenig Bedeutung doch alle Bücher im Vergleich mit dem Leben selber hätten: Einige große Momente erlebt und in ihnen gehandelt zu haben, gehe unendlich über alle literarischen Produktionen.2 Trotz aller Nichtigkeit der Bücher fand er doch, daß die Historiker eigentlich ein beneidenswertes 1 Die betreffenden Aufzeichnungen finden sich in der in Beilage I erwähnten Handschrift. 1 Deutscher Liberalismus I S. 473 f.

Treitschke

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Volk seien: „Oder haben Sie nicht mit wahrer Herzenswonne diesen letzten Akt der Wiedererhebung unserer Nation beginnen sehen, mit einer Wonne, die wir ja auch schon 1866 mehr als andere empfanden, weil uns Grund und Zusammenhang geläufiger war ?" Nicht alle, meinte er, hätten das Gedicht Treitschkes mit solchem Genuß wie er lesen können. Ein dritter der hervorragenden politisierenden Gelehrten der Zeit, Heinrich von Sybel, gab es für eine Zeit auf, seine Schlachtpläne in den Sand zu zeichnen. An Baumgarten schreibt er am 27. Januar 1871,1 daß seine Augen immer übergehen zu dem Extrablatt (mit der Mitteilung des Vertrages vom 26. Januar wegen der Kapitulation von Paris) und daß die Tränen ihm über die Backen fließen: „Wodurch hat man die Gnade Gottes verdient, so große und mächtige Dinge erleben zu dürfen ? Und wie wird man nachher leben ? Was zwanzig Jahre der Inhalt alles Wünschens und Strebens gewesen, das ist nun in so unendlich herrlicher Weise erfüllt! Woher soll man in meinen Lebensjahren noch einen neuen Inhalt für das weitere Leben nehmen ?" So konnte ein Mann von mittlerem Alter wie Sybel fragen, zu derselben Zeit wonneberauscht und doch zugleich durch die geschehene Erfüllung dessen beraubt, was durch sein ganzes Mannesalter den wesentlichen Inhalt seines Lebens ausgemacht hatte. Jüngere Männer wie Treitschke wandten sich nach der Erlangung des nationalen Staates neuen Zielen zu: dem einigen Deutschland einen ihm gebührenden Platz an der Sonne, eine Stellung als Weltgroßmacht zu verschaffen. Politisierende Literaten und Professoren begannen aufs neue, Schlachtpläne in den Sand zu zeichnen. Über die Schlachtpläne hin fuhr der Wind der Geschichte, bald sie verwischend, bald sie aufziehend mit scharfen und harten Umrissen. 1

Deutscher Liberalismus I S. 494.

B E I LAGE N

DIE REDE TREITSCHKES ÜBER DIE GESCHICHTE SCHLESWIG-HOLSTEINS am 18. Dezember 1863 (?) in Freiburg i. B. In Treitschkes Nachlaß auf der Staatsbibliothek in Berlin befinden sich Aufzeichnungen und Notizen zum Gebrauch für die Vorlesungen, die er erst als Dozent, später als Professor hielt. Unter diesen Vorlesungen war, wie früher bemerkt, eine über „Geschichte Europas 1848—50", die er zuerst in Leipzig im Sommer 1863 hielt. Die betreffenden Aufzeichnungen sind mit einem Titelblatt versehen „Geschichte Europas 1848—50 (66). Leipzig 63, Freiburg Winter 64/65, Kiel Winter 66/67, Heidelberg Sommer 69". Aus diesem Titel geht also hervor, in welchen Semestern die Vorlesungen gehalten worden sind. Diese Vorlesungen mußten, wie es auch oben hervorgehoben ist, Treitschke in recht hohem Grade auf die schleswigholsteinische Frage führen durch die Verbindimg dieser Frage mit der allgemeinen deutschen. Sie wird erwähnt auf den Blättern 41 f., 102 ff. und 159 ff. Ich benutze hier die von der Staatsbibliothek wegen der Ausleihe der Handschrift an mich vorgenommene fortlaufende Numerierung. Abgesehen aber von der Behandlung hier in Verbindung mit der allgemeinen Geschichte Deutschlands wird die Geschichte Schleswig-Holsteins behandelt auf den Blättern 164 ff., welche eine alte wohl von Treitschke selbst vorgenommene Numerierung S. I—XIII haben. Diese Seiten sind nach meiner Ansicht die Grundlage des Treitschkeschen 21/sstündigen Vortrages in Freiburg am 18. Dezember 1863 über Schleswig-Holsteins Geschichte. Die Erwähnung