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German Pages 189 [190] Year 2022
Transparenz Herausforderung für Demokratie und Privatheit Lea Watzinger
Meiner
Lea Watzinger
Transparenz Herausforderung für Demokratie und Privatheit
Meiner
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über ‹http://portal.dnb.de› abrufbar. ISBN 978-3-7873-4131-3 ISBN eBook 978-3-7873-4132-0
Dissertation an der Universität Passau 2021 (überarbeitete Version). © Felix Meiner Verlag Hamburg 2022. Alle Rechte vorbehalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, s oweit es nicht §§ 53, 54 UrhG ausdrücklich gestatten. Satz: Jens-Sören Mann. Druck und Bindung: Stückle, Ettenheim. Gedruckt auf alterungsbeständigem Werkdruckpapier, hergestellt aus 100% chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany.
Inhalt 1. Transparenz als neuer Schlüsselbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 2. Medien und Medienwandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Das philosophische Interesse an Medien 11 Platon diskutiert die Gefahren neuer Medien 13 Platon und die Folgen 19
3. Zeitdiagnose Digitalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Stellenwert der Digitalisierung für Mensch und Gesellschaft 23 Digitalisierung und Transparenz 27
4. Architektur als materiale Manifestation von Transparenz . 31 5. Transparenzdiskurse in der Architektur . . . . . . . . . . . . . . . . 35 Theoretische Diskussionen 36 Gebaute Transparenz 38 Ohne Glas, zur Überwachung: Benthams Panoptikum 40 Bauen und Demokratie 42
6. Begrifflichkeiten der Transparenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 Ordnung paralleler Begrifflichkeiten 46 Diachronie der semantischen Entwicklungen 48
7. Die Reichweite des Transparenzbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 Transparenz als Metapher 54 Transparenz als Ideologie 57
8. Transparenz als Gegenbegriff zur Geheimhaltung . . . . . . . . 61 Geheimhaltung als absichtliches Verbergen 63 Politische Geheimhaltung 65
9. Zwei widerstreitende Prinzipien: Geheimhaltung und Veröffentlichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 Historischer Rückgriff: Arkanpolitik – Arcana Imperii 68 Geheimhaltung in der Demokratie 71 Gegen demokratische Geheimhaltung: Whistleblowing und Leaks 74
10. Vorläuferbegriff ›Publizität‹: Entstehung und Bedeutung einer Idee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 ›Publizität‹ bei Kant 78 Mit Kant zu Demokratie und Liberalismus 82
11. Öffentlichkeit als demokratische Sphäre . . . . . . . . . . . . . . . 85 Habermas’ Weiterentwicklung der ›veröffentlichbaren Vernunft‹ 86 Ein digitaler Strukturwandel? Transparenz und Digitalisierung 93
12. Öffentlichkeit als Handlungsraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 Arendts politische Philosophie des Handelns 97 Digitale Transparenz im öffentlichen Handeln 102
13. Transparenz-Paradox und Pseudotransparenz . . . . . . . . . . 105 14. Der Begriff des Individuums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 15. Der gläserne Mensch: zwischen Überwachung und (Selbst-)Entblößung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 Welchen Erkenntniswert haben Daten? 118 Das Sprachbild der ›Gläsernheit‹ 120
16. Privatheit als ethisch-sozialer Gegenbegriff . . . . . . . . . . . . . 123 Dimensionen des Privaten 126 Der gesellschaftliche Wert von Privatheit 130 Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung 134
17. Digitale Privatheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 Überwachung, Kontrolle, Manipulation: Begrifflichkeiten 138 Transparenz und Überwachung – ein wechselseitiges Verhältnis 139
18. Verlustszenarien von Privatheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 Dimensionen individueller digitaler Transparenz 144 Problemfelder – Spannung der Freiwilligkeit 147
19. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 6 | Inhalt
1. Transparenz als neuer Schlüsselbegriff
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ransparenz ist ein Schlüsselbegriff des 21. Jahrhunderts. Wie ich zu zeigen versuche, ist er überraschend vielschichtig, polyvalent und zugleich problematisch: Transparenz ist mehrfach dichotom, erweist sich jedoch trotzdem als philosophisch nutzbar und anschlussfähig in unterschiedlichen Bedeutungssphären und Anwendungsbereichen. Um dies zu zeigen, werde ich Elemente aus der Ideengeschichte, der Politischen Philosophie und der Medienethik miteinander verbinden. In einer Zeit, die geprägt ist von einem – drohenden – digitalen Kontrollverlust in Bezug auf Daten und in der Fragen der Geheimhaltung und der Privatsphäre vehement umkämpft sind, steht ›Transparenz‹ als zukunftsweisende und Freiheit versprechende Norm auf den Agenden von Demokratie-AktivistInnen, PolitikerInnen, InternetnutzerInnen, aber auch der demokratischen Gesellschaft als Ganzer. Ich möchte zu einer Neusortierung des Begriffsfelds beitragen, zu dem neben Transparenz auch Öffentlichkeit, Geheimnis und Privatheit gehören. Deshalb verstehe ich Transparenz nicht allein im Sinne von Lobbykontrolle und Korruptionsbekämpfung. Vielmehr gehe ich dem Begriff selbst und seinen Bedeutungsdimensionen auf den Grund. Die ubiquitäre Verbreitung des Transparenzbegriffs im 21. Jahrhundert ist dabei eine Folge des digitalen Wandels. Transparenz hat sich zum Erfordernis entwickelt, dem zu entsprechen Anspruch einer als modern verstandenen Politik und Gesellschaft, aber auch des Individuums ist. Der Staat, Unternehmen, Organisationen, aber auch Personen sollen transparent(er) werden, damit einerseits Korruption und andere Defizite im Bereich der Politik verhindert und bekämpft sowie andererseits die Demokratie gestärkt werde. Seit den 1980er Jahren taucht der Begriff in zahlreichen Dokumenten zur Reform öffentlicher Institutionen auf,1 mit dem Bimillennium entwickelt er sodann eine Eigendynamik, in deren Zuge zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen, Vereine und Plattformen entstehen, die Transparenz von Seiten des Staates, aber auch von Un 7
ternehmen einfordern, wobei den prominenten Anfang Transparency International bereits 1993 machte.2 Öffentlichkeitswirksame Veröffentlichungen wie etwa durch WhistleblowerInnen weisen in diese Richtung und fordern Transparenz. Ihnen geht es in der Regel um die Aufdeckung von Skandalen, darum, eine (vermeintlich) bessere Demokratie zu forcieren und die bürgerliche Mitbestimmung zu stärken. Auch Politik und Gesetzgebung bemühen sich zunehmend um Offenheit, Transparenz und Kontrolle und höhlen so die Regelgeheimhaltung als grundlegendes politisches Prinzip aus: Transparenz wird dabei als Lösung gegenüber undemokratischen Tendenzen in der Politik eingefordert. Dabei tritt Transparenz immer wieder von zwei sehr unterschiedlichen Seiten auf den Plan. Einerseits als Forderung und Streben nach ›mehr Demokratie‹: So gilt das Transparent-Machen von als geheim eingestuften Dokumenten und Informationen zum Beispiel durch WhistleblowerInnen oder Rechercheverbünde als legitim, ja sogar notwendig, um in einer globalisierten und ökonomisierten Welt demokratische Teilhaberechte geltend zu machen. Transparenz wird in diesem Kontext verstanden als positives Sichtbarmachen, als Nachvollziehbarmachen, das den legitimen Zugang zu politischen Vorgängen freilegt und vereinfacht. Transparenz macht Informationen zugänglich und ermöglicht damit die Kontrolle demokratisch legitimierter Politik.3 Dabei wird sie in einem solchen Kontext gleichgesetzt mit Information, worauf (scheinbar) ein Recht besteht: Strukturen sollen transparent sein, also sichtbar, einsehbar, nachvollziehbar. So steht Transparenz im Zusammenhang mit dem Kampf gegen Lobbyismus und Korruption.4 Andererseits betrifft Transparenz auch das Individuum, so meine These in diesem Buch: JedeR Einzelne wird zunehmend transparent, durchsichtig und nachverfolgbar durch die Datenspuren, die wir nicht nur im Netz, sondern auch im öffentlichen Raum hinterlassen. Liberale Theorien gehen jedoch davon aus, dass zur Teilnahme am politischen Prozess die Trennung von Öffentlichem von Privatem zentral sei. Wenn jedeR transparent wird, geht das Private verloren und die Bedingung der Möglichkeit einer entsprechenden Trennung existiert nicht mehr. Von analytischem, philosophischem Interesse ist die Dynamik, der das Verhältnis von öffentlicher und privater Sphäre ausgesetzt ist, da das 8 | Transparenz als neuer Schlüsselbegriff
sozial und kulturell divergierende Verständnis von Privatheit und ihrem Schutz stetigem Wandel unterliegt. Menschen geben nicht nur freiwillig Informationen über sich preis, sondern diese werden auch systematisch von verschiedener Seite aufgezeichnet, gesammelt, miteinander verknüpft und ausgewertet: zum einen von Unternehmen, zum anderen von staatlicher Seite, da mithilfe genauer virtueller Profile immer mehr Vorhersagen über das Verhalten von Personen getroffen werden können. Der öffentliche Raum wird der ständigen Überwachung preisgegeben. Die liberale Grundfreiheit, nach eigenen Überzeugungen zu leben und zu handeln, wird bedrängt, wenn durch digitale Technologien die Privatheit der Lebensführung abhandenkommt. Eine solche Durchsichtigkeit und Transparenz der Einzelnen und des Privaten vertragen sich aus einer liberalen Perspektive nicht mit der Freiheit demokratischer BürgerInnen. Die Privatsphäre als Rückzugsraum des Individuums ist vonnöten für ein demokratisches Zusammenleben freier Menschen, da sie die Autonomie des Individuums aufrechterhält und schützt. Die wichtigsten Akteure in Bezug auf eine »Transparentisierung«5 des Individuums sind – neben diesen selbst – Internetkonzerne und Plattformen, die gleichwohl im eigenen Interesse agieren: Für die Unternehmen steht die Transparenz der gläsernen KonsumentInnen im Zentrum und so etablieren Digitalunternehmen und Plattformbetreiber im Rahmen einer digitalen Medienlogik Transparenz als individuellen und gesellschaftlichen Wert. Hieraus entspringt die normative Folgerung, wer nichts zu verbergen habe, müsse auch nichts für sich behalten, die sich jedoch als Trugschluss erweist.6 Der Schutz des Privaten gerät so unter Druck und wird verdächtig. Dieser Druck auf die Privatsphäre und hin zur Transparenz kommt also aus verschiedenen, auf den ersten Blick kaum miteinander verbundenen Richtungen: von Digitalunternehmen, deren Geschäftsmodell das Sammeln, Verbinden und Auswerten von Daten ist und die die Transparenz des Individuums forcieren; WhistleblowerInnen, die Staat und Demokratie zu mehr Offenheit zwingen wollen; und von den BürgerInnen selbst, die ihre Daten freiwillig teilen. Transparenz scheint zu einer Selbstverständlichkeit und Ideologie, der man kaum ausweichen kann, geworden zu sein. Transparenz als neuer Schlüsselbegriff | 9
Die rasante Zunahme des Begriffsgebrauchs unterstreicht, dass der Transparenzbegriff sowohl gesellschaftlich wirkmächtig als auch für die Wissenschaft und die Philosophie relevant ist. Dabei erweist sich die Erkenntnis als ergiebig, dass es sich um einen breiten und paradox anmutenden Begriff handelt, der gleichzeitig im Alltag geläufig ist und in wissenschaftlichen sowie politischen Debatten eine wesentliche Rolle spielt. Die populären wie ubiquitären Forderungen nach Transparenz sowie das Nachdenken darüber hängen dabei mit dem digitalen Medienwandel zusammen und lassen sich gleichzeitig ideengeschichtlich – in all ihrer Ambivalenz – bis in die Aufklärung zurückverfolgen.
10 | Transparenz als neuer Schlüsselbegriff
2. Medien und Medienwandel
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unächst stellt sich die Frage, ob die Digitalisierung überhaupt ein philosophisches Problem darstellt und inwiefern mediale Veränderungen für die Philosophie – und nicht allein für die Kommunikations- und Medienwissenschaft – von Interesse sind: Doch verhandeln gerade philosophische Überlegungen seit der Antike Medien und Medienwandel als zentrale Themen der Weltwahrnehmung, da veränderte Medien auch einen gesellschaftlichen Wandel mit sich bringen. Die Digitalisierung wirkt sich auf das menschliche Zusammenleben und damit auch zunehmend auf das Menschliche selbst aus. Die Frage, was das genuin Menschliche – in Differenz zur Maschine, zum Programm, zur Künstlichen Intelligenz – ist, stellt sich aufs Neue, wenn die Körperlichkeit der Analogkommunikation in den Hintergrund tritt, die immerhin eine der Grund bedingungen des Menschen darstellt. Die jeweiligen Reaktionen auf Veränderungen des Medialen und die entsprechend geäußerten Kritikpunkte sind dabei überraschenderweise durchaus unabhängig von ihrer historischen Einbettung miteinander vergleichbar.7 Das Interesse der Philosophie für die Medien spiegelt sich in der Disziplin der Medienphilosophie, die sich der grundlegenden Reflexion des Medialen aus einer Vielzahl von Perspektiven an nähert.8
Das philosophische Interesse an Medien Grundannahme der Medienphilosophie ist, dass Medien unseren Weltzugang und unsere Reflexions-, Vernetzungs- und Austauschmöglichkeiten mit anderen Menschen prägen. Medien machen das Absente präsent und vergegenwärtigen es, sie überwinden Distanz. Von einem philosophischen Standpunkt aus interessieren Medien, da sie zwar zum einen etwas sichtbar machen, dabei aber selbst unsichtbar bleiben. Zum anderen verweisen sie auf das Übermittelte. Das Medium selbst bleibt unsichtbar, solange es sei 11
nen vermittelnden Dienst tut. Erst durch Dysfunktionalität oder Bedienungsschwierigkeiten rückt in aller Regel das Medium selbst ins Zentrum der Aufmerksamkeit und wird als solches offenkundig. Solche Überlegungen bilden nun nicht nur eine theoretische Grundlage für die gegenwärtigen Digitalisierungsprozesse, sondern wohnen, transhistorisch gefasst, den Medien selbst inne. Die medienphilosophische Unterscheidung zwischen Wahrnehmung und Vermittlung wurzelt in Aristoteles’ theoretischen Auseinandersetzungen mit der ›Diaphanität‹9, also der Durchsichtigkeit, des Mediums selbst und der Frage nach den Möglichkeiten des Wahrnehmens. Sybille Krämer zufolge beschreibt Aristoteles den Wahrnehmungsraum zwischen Auge und Objekt nicht als leer, sondern als medial vermittelt. Sehen sei nur durch mediale Übertragung möglich, insofern nämlich, als die Medien durchscheinend seien.10 Dabei sind letztere nicht lediglich als Gegenstände zu verstehen, sondern als »Dimension, die unserem Weltverhältnis implizit ist«.11 Krämer fragt hier nach dem Stellenwert und dem Status von Medien für die menschliche Existenz in der Welt sowie deren Erkenntnismöglichkeiten und warnt einerseits vor einer Überschätzung der Wirkmächtigkeit von Medien auf gesellschaftlichen Wandel wie auch auf die Wahrnehmungsmöglichkeit der Welt, betont jedoch andererseits, dass es kaum Erfahrung und Kommunikation ohne Medialität gebe.12 Medien selbst liefern also keine alleinigen Begründungen für gesellschaftliche Veränderungen, jedoch verändern sie unsere Welt und deren Wahrnehmung. Sie stellen eine mögliche Ursache des Wandels dar und können als Beschleuniger für ebensolchen Wandel dienen. Da Medien somit den Zugang zur Welt ermöglichen und unsere Wahrnehmung steuern, sind sie von einem genuinen philosophischen Interesse. Wenn sich die Grundlagen des Medialen verändern, berührt dies einige Grundlagen des menschlichen Daseins in der Welt. Tan gieren Fragen nach Medium und Medialität prinzipiell Fragen der Erkenntnistheorie und Ontologie, stehen bei der Beschäftigung mit dem Wandel von Medien in erster Linie historische Entwicklungen im Zentrum des Interesses. Aufgrund ihres großen Einflusses auf Menschen und Gesellschaft wirken sich mediale Veränderungen direkt auf dieselben aus. Dabei lassen sich in historischer Perspektive einige grundlegende mediale Epochen differenzieren. 12 | Medien und Medienwandel
Von philosophischer Relevanz ist weniger die Implementierung eines neuen Mediums als vielmehr die damit einhergehenden strukturellen Auswirkungen, von denen sich insgesamt nur einzelne ausmachen lassen. Als epochenprägende mediale Veränderungen versteht Dirk Baecker dabei jeweils die Einführung von Sprache, Schrift und Buchdruck und zieht diese daher als Vergleichsfolien für die Digitalisierung heran.13 Walter Ongs besonderer Fokus liegt auf der Entwicklung und Tradierung von Sprache. Er betrachtet – darin mit Baecker vergleichbar – als Meilensteine der medialen Entwicklung die Schrift, den Druck und die Computertechnologie, die allesamt die gesprochene Sprache beziehungsweise Worte verarbeitet hätten und diese durch die jeweils neuen medialen Möglichkeiten austauschbar, übermittelbar und vor allem aufbewahrbar werden ließen.14
Platon diskutiert die Gefahren neuer Medien Die Reflexion über den sowie gleichzeitig die Kritik am medialen Wandel beginnt bei Platon, der sich bereits mit dem Übergang von der mündlichen Überlieferung zur Schrift auseinandersetzt – die für seine Zeit paradigmatische und entsprechend diskutierte Medienrevolution. Durch seine Kritik am Schriftmedium wird deutlich, dass auch das scheinbar Selbstverständliche hinterfragbar ist und dass mediale Veränderungen durchaus von kritischer philosophischer Reflexion begleitet werden können. Zudem ist bemerkenswert, dass einige Kritikmuster Platons an der Schrift heutigen Einwänden zur Digitalisierung nicht unähnlich sind. Einige der Überlegungen, die Platon hier anstellt, sind auf die digitale Welt übertragbar. Entsprechend lohnt es sich, die von ihm angeführten Argumente nachzuvollziehen und ernst zu nehmen. Von einer höheren Warte aus betrachtet können die Platonischen Überlegungen zur Schrift nämlich auch auf andere mediale Inhalte bezogen werden – ob Texte, Bilder oder Filmmaterial. Charakteristisch für den digitalen Bereich ist hier wiederum die Verschmelzung von Mediengrenzen, sodass es für diese Überlegungen kaum sinnvoll ist, zwischen geschriebenem Text, Bildern, Filmausschnitten oder Musik zu unterscheiden. Ich erörtere im Folgenden die wesentli Platon diskutiert die Gefahren neuer Medien | 13
chen Argumente gegen das Schreiben, die Platon in seinem Dialog Phaidros vorbringt. Der Sprecher des in Dialogform gehaltenen Texts ist stets Sokrates, der sich mit dem Gesprächspartner Phai dros unterhält. Mit der Möglichkeit, etwas schriftlich zu fixieren, sieht Platon die Fähigkeit, sich Dinge und vor allem Texte (quasi) wörtlich zu merken, im Schwinden begriffen. Dies führe zu einer Vernachlässigung des Gedächtnisses, da das Geschriebene stets verfügbar sei und nicht mehr auswendig rezitiert werden müsse. So verlören die LeserInnen die Fähigkeit, sich selbst aus sich heraus an bestimmte Inhalte oder Aussagen zu erinnern: Die Möglichkeiten des Schreibens würden nämlich das Vermögen vernachlässigen, Gesänge oder Reden zu memorieren, und damit Vergesslichkeit bewirken. Diejenigen, die sich ›früher‹ lange Texte und Zusammenhänge gemerkt und auswendig gekonnt hätten, würden diese Fähigkeit abbauen, wenn sie sich doch auf Niederschriften verlassen zu können glauben. Die Schrift sei daher, so Platon, »keine Medizin für das Gedächtnis, sondern für die Erinnerung […].«15 Platon wirft dem (als fiktive Einzelperson vorgestellten) ›Erfinder der Schrift‹ vor, dass das Schreiben es unnötig mache, Wissen sowie Texte im Kopf zu haben, und man sich an nichts mehr erinnern müsse, wenn es einmal aufgeschrieben sei. Vor der Erfindung und Verwendung von Schrift wurden ›Texte‹, etwa die homerischen Epen, frei aus dem Gedächtnis vorgetragen und mündlich überliefert und waren gerade nicht schriftlich fixiert. Hierbei halfen den aufführenden Rhapsoden etwa das hexametrische Versmaß sowie eine artifizielle Sprache mit wiederholt auftretenden Formelversen bei der Memorierung der Gesänge. In Platons Dialog wird über die Verschriftlichung von Reden und Vorträgen (griech. λόγος/lógos) debattiert. Da jedoch das Halten von Reden aus dem Gedächtnis heute keinen lebensweltlichen Bezugspunkt mehr hat, halte ich es für sinnvoll, in aktualisierter Form von ›Texten‹ zu sprechen, wo Platon (und seine Übersetzer) von ›Reden‹ sprechen. Diese begriffliche Problematik erweist sich mit Blick auf Internet und Digitalisierung als erstaunlich aktuell: So akkumuliert das Netz zwar Informationen in unvorstellbarer und nie dagewesener Menge und Größenordnung. Gleichzeitig verlagert sich der Fokus von Bildungsanstrengungen hin zur Ausbildung von Kompetenzen und Fertigkeiten, mit dem Medium, aber auch der Masse an Informationen umzugehen, und 14 | Medien und Medienwandel
entfernt sich von einem – altmodisch anmutenden – Leitbild inhaltlichen (Fakten-)Wissens. Das Ziel von Prüfungen in der kompetenzorientierten Lehre ist entsprechend, abzuprüfen, was die Prüflinge können, anstatt offenzulegen – und negativ zu bewerten –, was sie nicht können. Neue Medienformen lassen alte Fähigkeiten an Relevanz verlieren und machen neue Fähigkeiten notwendig. Als zweites Argument gegen die Schrift bringt Platon vor, dass man sich durch das Lesen von Texten kein tatsächliches Wissen aneigne, sondern lediglich Scheinwissen. Die lesende Person vollziehe das Gelesene eben nicht eigenständig nach und es werde nicht die ganze Person von den Wissensinhalten affiziert. »Du verschaffst den Schülern (nur) den Anschein von Weisheit, nicht die wirkliche Weisheit. Denn da sie Vielhörer ohne (mündliche) Unterweisung geworden sind, werden sie glauben, viel zu wissen, obwohl sie doch größtenteils unwissend sind, und sie werden schwierig im Umgang sein, weil sie Scheinweise anstelle von wirklich Weisen geworden sind.«16
Geschriebenes vermittle also nicht Wahrheit, ja nicht einmal echte Weisheit, sondern nur angelesenes Scheinwissen. Jemand, der lese, sich also des Schriftmediums bediene, sei demnach nicht wirklich, sondern nur scheinbar weise (griech. δοξόσοφος/doxósophos). Die folgenreiche und gefährliche Verwechslung von Schein und Sein durchzieht Platons Werk und taucht in verschiedenen seiner Dialoge auf.17 Bis heute unterscheidet die Alltagssprache zwischen ›belesen‹ und ›klug‹/›weise‹. Bei Platon kommt der Belesenheit (griech. πολυμαθία/polymathía = »Vielwisserei«) jedoch kein hohes Ansehen zu, da es ihm letztlich um die Bildung der Seele geht. Einer solchen Auffassung liegt ein ganzheitliches Verständnis von Bildung zu Grunde. Der Konflikt zwischen Scheinbildung und wahrer Bildung oder zwischen formalem Wissen und Weisheit ist dabei als Dichotomie bis heute aktuell und stellt sich gerade auch im Angesicht des Digitalen unvermindert. Des Weiteren wird der Schrift im Phaidros angelastet, starr und fixiert zu sein und keine individuellen Fragen beantworten zu können; sie sei also anfällig für Fehlinterpretationen, da ein Dialog mit ihr unmöglich sei. Die geschriebenen Platon diskutiert die Gefahren neuer Medien | 15
»Erzeugnisse stehen da, als wären sie lebendig, fragt man sie aber etwas, dann schweigen sie ganz bedeutungsvoll. Genauso verhält es sich auch mit den (geschriebenen) Reden. Man könnte meinen, sie redete, als hätten sie Verstand. Fragt man aber nach, weil man etwas über das Gesagte hinaus lernen will, dann antworten sie immer nur ein und dasselbe.«18
Texte oder Rhetorik können ein Thema oder einen Sachverhalt detailliert und ausführlich beschreiben, doch kann ein Text naturgemäß nicht auf seine LeserInnen eingehen. Er bleibt also ›stumm‹ gegenüber Lob, Kritik und Verständnisfragen. Der Text selbst kann nicht sprechen, er antwortet nicht auf individuelle Fragen – »[w] enn man dennoch meint, von Büchern eine Antwort zu bekommen, dann hat man sie sich vermutlich selbst gegeben«.19 Antworten ergeben sich höchstens insofern aus dem Text, als die lesende Person – dies die Position der Rezeptionsästhetik – sie sich selbst zu erarbeiten und zu geben in der Lage ist. Dieser Effekt tritt deutlich zu Tage, wenn man das Lexikon in Druckform mit digitalen Nachschlagewerken vergleicht, möglicherweise sogar mit dem Internet als dem Informationsmedium schlechthin. Hier scheint die Digitalisierung möglicherweise Abhilfe zu schaffen. Das Internet ermöglicht den Zugriff auf teils hochspezialisierte, gezielt durchsuchbare Ergebnisse in kaum überschaubarer Zahl, wodurch konkrete individuelle Fragen (scheinbar) individuell beantwortet werden können. Digitale Nachschlagewerke arbeiten mit Vernetzung und Verlinkung, bieten einen im Prinzip ubiquitären Zugriff sowie eine Bündelung und Akkumulation von Wissen durch sogenannte kollektive ›Intelligenz‹. Der klassische Lexikonartikel freilich präsentiert einerseits durch die Auswahl des Lemmas bereits ausgesuchtes Wissen und selektiert andererseits die Informationen – nimmt dabei jedoch auch eine Qualitätssicherung vor und überlässt diese Aufgabe gerade nicht den RezipientInnen. Platon hält der Schrift zudem vor, dass sie sich ihre LeserInnen nicht aussuchen könne, also ihre Rezeption kaum steuerbar sei. Einmal geschrieben, einmal veröffentlicht, könne ein Schriftstück von jedem gelesen werden, sowohl von »denen, die sie [die Rede/ den Text, LW] verstehen, und genauso [von, LW] denen, für die sie
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gar nicht gedacht ist, und sie weiß nicht, zu welchen sie sprechen soll und zu welchen nicht«.20 So kann ein Text auch von Personen rezipiert werden, die diesen nicht richtig verstehen können oder wollen, den Kontext nicht (aner-)kennen oder zu jung, nicht in angemessener Verfassung, böswillig oder dergleichen sind. Ein geschriebener Text könne seine LeserInnen nämlich nicht selbst unterscheiden und entsprechend sich ihnen gegenüber entsprechend nicht verschließen oder wiederum darbieten. Ein Text sucht sich seine RezipientInnen nicht aus, sondern umgekehrt. Diesem von Platon angesprochenen Sachverhalt kann – sofern die Einschränkung der Zugänglichkeit tatsächlich erwünscht ist – mit einer Einschränkung der Verfügbarmachung begegnet werden: historisch über das Fehlen der notwendigen Bildung und Lesefähigkeit oder aber die beschränkte Verfügbarkeit von (physischen) Exemplaren. Gegenwärtig bemühen sich freiwillige Selbstkontrollinstitutionen darum, mediale Inhalte rezipientInnengerecht zu markieren und zu verbreiten. Die Möglichkeiten zur Begrenzung der Verbreitung von Inhalten sind im Internet jedoch massiv eingeschränkt und ihr Zugang kann kaum kontrolliert werden. So ist es kaum möglich einzuhegen, was einmal im Netz kursiert. Gleichzeitig enthält es ein demokratisches Potential sowohl von Geschriebenem im Allgemeinen als auch von digitalen Medien im Besonderen dar, dass beides auch Menschen erreicht, die nicht primär adressiert wurden (was Platon sicherlich nicht im Sinn hatte). Fest steht, dass die Rezeption eines einmal veröffentlichten Texts nur noch schwer zu kontrollieren ist. Es können sich, da sich der Text nicht gegen die ihn Lesenden wehren kann, sich nun auch andere, ›fremde‹ Leute eines Textes bemächtigen. Diese Gefahr diskutiert Platon wiederum in seinem Dialog Parmenides.21 Rolf Geiger verweist bezüglich einer solchen Einbuße an Steuerungsmöglichkeiten, die AutorInnen gegenüber ihrer Schrift erleiden, auf den Diebstahl einer Schrift als »besonders handgreifliches Beispiel für den Kontrollverlust […], den das Schreiben mit sich bringt«.22 Einen weiteren Komplex in Bezug auf die digitalen Verbreitungsmöglichkeiten stellen Fragen des Urheberrechts dar, die sich im Internet zahlreich stellen. Einerseits, weil die Zitationskultur Teil der Netzkultur ist, und andererseits, weil sich die Rezeption Platon diskutiert die Gefahren neuer Medien | 17
urheberrechtlich geschützter Inhalte nur mehr schwer einschränken lässt. Hier steht weniger der Schutz bestimmter potentieller RezipientInnen als ein ökonomisches Interesse an der finanziellen Verwertung des Texts beziehungsweise medialen Inhalts im Vordergrund. Die Schrift könne sich außerdem, so Platon, nicht wehren gegen Fehlinterpretation oder Vereinnahmung.23 Ein Text bedarf seines Urhebers oder seiner Autorin, die für ihn einsteht und ihn verteidigt, ansonsten könne er – gewissermaßen wehrlos – falsch verstanden und gedeutet werden. Ein Text spreche nicht für sich selbst, so Platons mahnender Einwand. Diese Frage, ob Texte für sich sprechen oder nicht, stellt einen grundlegenden Streitpunkt auch der modernen Text- und Literaturwissenschaften dar. Dabei ist umstritten, wie viel Kontextwissen und wie viele Erklärungen es zur Interpretation eines Texts bedarf. Im Kontrast zu im direkten Austausch Gesprochenem könne, so Platons Argument, Geschriebenes auch aus dem Zusammenhang gerissen und verdreht werden. Dabei kann das Geschriebene im Digitalen generell auf Gespeichertes übertragen werden – die kaum kontrollierbare Verbreitung und Dekontextualisierung von Text, Bild und Ton sind im Netz der Standard. Einerseits in einem unterhaltenden Sinne im Falle von Memes24 und Satire, doch in problematischer Hinsicht auch im Fall von Falschnachrichten. Diese werden im Netz oftmals in manipulativer Absicht verbreitet, sofern diese die nur teilweise korrekte Darstellung wahrheitsgemäßer Nachrichten betrifft oder wenn eine Äußerung oder ein Text aus dem Kontext gerissen und in einen fremden, irreführenden Kontext gesetzt wird.25 Hier scheint Platons Kritik aktuell wie nie. Platon unterstellt zudem der Schrift, dass sie ohne die dazugehörige Praxis nicht Wahrheit oder Kunst lehren könne. Lesen allein führe zu nichts, zu keiner Tugendhaftigkeit, die das Ziel der Platon’schen Bildungsanstrengungen ist. Es bedürfe zusätzlich des Tuns und der Übung.26 Wer hofft, allein durch Lektüre Wissen zu erwerben, habe demnach einen falschen Begriff von Wissen und Bildung. Bücher könnten ihr Versprechen, Wissen zu lehren, gar nicht halten und zielten laut Platon somit nicht auf die langfristige Wissensvermittlung ab, sondern lediglich auf kurzfristige ›Information‹, die gerade kein eigentliches ›Wissen‹ darstellt.27 Im digitalen Bereich ließe sich an Tutorials, also Erklär18 | Medien und Medienwandel
videos, im Internet denken, die zwar anwendungsbezogen demon strieren, wie eine Sache funktioniert, und oftmals komplexe Themen zusammenfassen, jedoch nicht die selbständige Praxis oder die eigene Einarbeitung in einen Sachverhalt ersetzen können, dazu jedoch oftmals anleiten.
Platon und die Folgen Die Auswirkungen dieses ersten großen Medienwandels auf Individuen wie Gesellschaft, der Übergang von der Oralität zur Schriftlichkeit, den Platon hier kommentiert, kann kaum als bedeutend genug eingeschätzt werden. Walter Ong rekonstruiert, wie sich zum einen Inhalte, Wissen und der menschliche Umgang damit und zum anderen der Mensch selbst und das menschliche Bewusstsein durch Medien verändern.28 Jede Form des Ausdrucks stellt demnach eine Entwicklung dar: Am Anfang steht die Sprache, das gesprochene Wort. Die Schrift ist sodann einerseits technisch induziert, es ergeben sich neue Möglichkeiten, aber andererseits auch ideologisch, man wertete die mündliche Tradition ab. Ong zeigt auf, wie die Entfaltung neuer Technologien, die der Wissensverwaltung und -vermittlung dienten, seit der Zeit Platons stets ähnliche Kritikpunkte hervorbrachte. Platon habe nämlich das Schreiben als eine dem Menschen fremde Technologie gewertet, so wie heute von manchen noch über Phänomene der Digitalisierung geurteilt werde. Doch hätten wir das Schreiben lediglich derart internalisiert und es sei uns derart selbstverständlich geworden, dass wir es kaum mehr in Frage stellten – unvorstellbar aus der Perspektive Platons. »Im Gegensatz zur natürlichen, oralen Rede ist das Schreiben vollkommen künstlich. Man kann nicht ,natürlich‹ schreiben. Die orale Rede ist in dem Sinn natürlich für den Menschen, dass jeder Mensch in jeder Kultur […] sprechen lernt.« 29
Ong betont hier, dass das Sprechen, also der mündliche Austausch und das mündliche Erzählen, das Ursprünglichste und die vortechnologische menschliche Ausdrucksweise darstellen. Die Technologisierung der Kommunikation fängt seiner Ansicht nach mit Platon und die Folgen | 19
dem Schreiben an, wie Platon kritisiert. So gesehen bedeutet die Digitalisierung lediglich einen weiteren Schritt bei der Technologisierung von Ausdrucksformen. Auch hier werden Medien und Infrastruktur benötigt, wenn auch in einem weitaus größeren Umfang. Ein weiterer medialer Meilenstein war im 15. Jahrhundert der Übergang von der Handschrift zum Buchdruck. Dabei gab es freilich auch Zwischenschritte und Hybride: So wurden in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, bevor sich der Buchdruck vollends durchsetzte, sogenannte Inkunabeln hergestellt, die Elemente der Buchmalerei mit solchen der neuentstandenen Drucktechnik verbanden.30 Der Buchdruck machte das bis dahin mühevolle Abschreiben von Texten unnötig, er erlaubte die schnellere und günstigere Vervielfältigung von Texten in größerer Stückzahl. Klösterliche Skriptorien, denen bis dahin quasi ein Monopol bei der Vervielfältigung von Büchern zugekommen war, wurden mit der Erfindung des Buchdrucks weitgehend unnötig. Bücher und das darin gesammelte und aufgeschriebene Wissen wurden für mehr Menschen zugänglich: Diese neue Verfügbarkeit wiederum war ein Grund für die wachsende Alphabetisierung mit dem Resultat, dass nicht mehr nur Mönche lesen konnten, sondern zunehmend auch eine bürgerliche Schicht. Schritt für Schritt konnte sich so eine bürgerliche Öffentlichkeit herausbilden. Für die damit anbrechende und bis ins 20. Jahrhundert und noch heute andauernde Epoche prägte Marshall McLuhan den Begriff der Gutenberg-Galaxis. In seinem gleichnamigen Buch von 1962 (deutsch 1968)31 zeigt McLuhan, dass die Welt vom Buch als Leitmedium bis in das 20. Jahrhundert und die Gegenwart grundlegend geprägt ist und wie dieser mediale Wandel sondergleichen bis heute Folgen zeitigt: Das Buch habe Sprache gewissermaßen transportfähig gemacht, das gedruckte, nicht mehr handschriftlich kopierte Buch die Anzahl der potentiell Lesenden vervielfacht. Dabei stellen die medialen Umbrüche nie glatte Übergänge dar, sondern alte und neue Technologien existieren stets parallel. Die individuelle Wahrnehmung, aber auch der gesellschaftliche Umgang damit passen sich dem verfügbaren Medium Buch an, sodass die Medienrevolution einen Bildungsschub mit sich brachte und zu einer Anhebung des allgemeinen Bildungsniveaus und einer wachsenden Anzahl derer, die lesen können, führte. Eine neue Medialität beeinflusst 20 | Medien und Medienwandel
die Wahrnehmung der Welt, den Zugang zu dieser und damit die Verortung des Menschen in der Gesellschaft. Diese Vorherrschaft des Buches wird jedoch im 20. Jahrhunderts zunehmend in Frage gestellt, als – zuerst mit Radio und Fernsehen und dann durch die ersten Ansätze der Digitalisierung – wiederum völlig neue mediale Formen aufkommen, die eine noch größere Zahl an Menschen erreichen, die bloß rezipieren müssen und trotzdem in Echtzeit an der Welt teilhaben können. Mit der in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einsetzenden und seit dem Bimillennium verstärkten Digitalisierung vermischen sich Kommunikation und ihre mediale Form, es kommt zu einer immer weitergehenden Hybridisierung. Sender und Empfänger verschwimmen. So ist inzwischen eine weitere Stufe der medialen Entwicklung erreicht: eine längst nicht mehr »stille Revolution«32 verändert die Art, wie wir arbeiten, zusammenleben, Politik verstehen und betreiben. Technologische und mediale Entwicklungen sind oft und seit jeher mit Kritik und Sorgen verbunden, wie an der antiken Auseinandersetzung mit der Schrift deutlich wird. Dabei überschneidet sich die platonische Kritik am Schreiben und der Schrift beziehungsweise der schriftlichen Überlieferung in einigen Punkten mit heutiger Kritik. Trotz des technologischen Fortschritts stellen sich immer wieder ähnliche Fragen und Herausforderungen. Diese Problemstellung konnte, worauf Dirk Baecker hinweist, bislang auch die Digitalisierung nicht überwinden: »Die elektronischen Medien variieren das Referenzproblem der Sprache, das Zeitproblem der Schrift und das Kritikproblem des Buchdrucks, aber sie schaffen sie nicht ab.«33
Die kritisierten Probleme der Schrift und später des Buchdrucks bleiben demnach auch im digitalen Bereich virulent. Dem Willen nach Erneuerung stehe nämlich laut Baecker immer Ablehnung gegenüber, diese sei sogar ein Katalysator weiterer Entwicklungen.34 Es kommt dabei stets zu einer Parallelität und Gleichzeitigkeit verschiedener Medien, Kommunikationsformen und gesellschaftlicher Umgänge damit. Entscheidend ist dabei, dass es kein Zurück hinter neue Entwicklungen von Kommunikationsformen geben Platon und die Folgen | 21
kann. Daher muss ein verantwortungsbewusster Gebrauch der medialen Möglichkeiten das Ziel sein.35 Der gegenwärtige Medienwandel – die Digitalisierung – ist grundlegend für die Entwicklung des Transparenzbegriffes. Mit der veränderten und sich verändernden Medialität lässt sich, so meine Annahme, auch die Wirkmächtigkeit und Ideologisierung von Transparenz erklären. Denn daran lässt sich exemplarisch beobachten, wie einerseits Medien und technische Möglichkeiten normative Vorstellungen prägen sowie verstärken – etwa den Ruf nach Transparenz – und sich andererseits der Umgang der Menschen miteinander und die Kommunikation grundlegend verändern. Diese Veränderungen durch digitale Kommunikation und ihre Auswirkungen erscheinen umfassend – auf kultureller, auf zwischenmenschlicher, auf juristischer wie auf politischer Ebene –, was entsprechend grundsätzliche Reflexionen nötig macht.
22 | Medien und Medienwandel
3. Zeitdiagnose Digitalisierung
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ie Anfänge der digitalen Revolution lassen sich historisch bereits in den 1960er Jahren verorten. Die technischen Entwicklungen, vor allem des Computers und der elektronischen Datenverarbeitung, machten den Aufbau eines weltweiten Kommunikationsnetzwerks wie des Internets möglich.36 Digitalisierung und Vernetzung sind inzwischen elementarer Bestandteil des Alltags. Es kommt zu einer immer engeren Verschränkung des Alltags mit digitalen Prozessen, wobei »grundlegende Kräfte der Ordnung von Gesellschaft«37 umgelenkt werden. Die Digitalisierung ist nicht aus dem Alltag wegzudenken und betrifft zunehmend die gesamte Wirklichkeit und Lebenswelt, weil die Welt in Daten übertragen und damit »datafiziert« wird. Es lässt sich kaum mehr zwischen digitalen und nicht-digitalen Lebensbereichen unterscheiden, da beide Sphären miteinander aufs Engste verwoben sind. Damit hat die Digitalisierung Auswirkungen auf das menschliche Zusammenleben, die Gesellschaftsordnung und den Menschen als Individuum.
Stellenwert der Digitalisierung für Mensch und Gesellschaft Das Internet ermöglicht die Vernetzung, technische Ausstattung und Rechenleistung ermöglichen die Datenverarbeitung. Der übergreifende Begriff hierfür ist ›Digitalisierung‹. Er ist als Überbegriff für verschiedene Aspekte und Dynamiken geeignet, da er einen Prozess ausdrückt und eine sich weiter perpetuierende Entwicklung fasst: Immerhin geht es längst nicht mehr nur um die bloße Verarbeitung von Daten, sondern auch um ihre Generierung und ihre automatisierte Verknüpfung mithilfe (sogenannter) künstlicher Intelligenz. Digitalisierung wird dabei verstanden als gesellschaftlicher, nicht nur technischer Umwälzungsprozess, der eine Ersetzung menschlichen Handelns durch Technik und Automatisierung und damit das Verschwimmen der Grenzen zwischen 23
Mensch und Maschine ermöglicht.38 Aus einer zunehmenden Zahl von Alltagstätigkeiten und alltäglichen kommunikativen Akten können digitale Daten gewonnen werden, da jeder Klick im Netz Spuren hinterlässt. In einer vor-digitalen Welt fielen solche Daten nicht in einem derartigen Ausmaß an. Diese Daten werden gespeichert, verarbeitet und zusammengefügt, woraus sich neue Erkenntnisse generieren lassen, was aber auch einen Missbrauch möglich macht, etwa durch das unberechtigte Eindringen in digitale Nutzerkonten. Digitalisierung aus einer philosophischen Perspektive zu reflektieren oder gar zu bewerten ist dabei mit einigen Schwierigkeiten auch erkenntnistheoretischer Art verbunden. Sie stellt einen nicht abgeschlossenen Prozess dar, an dem wir selbst beteiligt sind, was es erschwert, eine kritische Distanzposition einzunehmen. Nichtsdestotrotz wird hierüber eine breite geisteswissenschaftliche und philosophische Debatte geführt, die auf weit tieferliegende Probleme gestoßen ist als nur die Verbreitung digitaler Endgeräte. Welche sind nun Charakteristika des Digitalen und ihre Auswirkungen auf den Menschen, die es erforderlich machen, darüber nachzudenken? Laut Christian Thies stellen die Speicherung, Übermittlung, Miniaturisierung, Virtualisierung und Verdatung der Lebenswelt(en) zentrale Merkmale der Digitalisierung dar. 39 Für Jan-Hindrik Schmidt sind die wichtigsten Aspekte digitaler Kommunikation die dauerhafte Verfügbarkeit, die Kopierbarkeit von Inhalten, die Skalierbarkeit, das heißt die Möglichkeit der Vervielfältigung, ferner die Durchsuchbarkeit.40 Räumliche, zeitliche oder sonstige physische Beschränkungen wie die Gebundenheit des Menschen und seines Tätigseins in der Welt als raum- und zeitgebundenes Gebilde verlieren damit an Relevanz. Die Auflösung von Grenzen, etwa zwischen Mensch und Maschine im Rahmen von digitaler Kommunikation, aber auch grundsätzlich der Grenzen von Raum und Zeit, beeinflussen die Weltwahrnehmung stark, und diese Grenzen werden brüchig durch Digitalisierung und Vernetzung. Alexander Filipović macht an einer simultan verlaufenden Individualisierung und Vernetzung den ethisch-philosophisch relevanten Kern der Digitalisierung für den Menschen aus.41 Bei der Digitalisierung des Alltags gehe es um eine Datafizierung der Welt und die Auswertung enormer Datenmengen. Diese Zusammenhänge 24 | Zeitdiagnose Digitalisierung
firmieren unter dem Stichwort ›Big Data‹. Digitale Medien prägen und beeinflussen schließlich, wie Kristina Steimer und Alexander Filipović zeigen, unser Handeln und die »Praktiken, anhand derer sich unser Selbst- und Weltverhältnis vollzieht«.42 Letzterer sieht die Digitalisierung in ihrer aktuellen Form als besondere Herausforderung und verortet den Einschnitt der hergebrachten Ordnung erst am Beginn des Bimilleniums. Durch die Digitalisierung vollzieht sich ein umfassender Wandel, eine Umwälzung, die Freiheit und Selbstbild des Menschen selbst tangiert und eine tiefgehende Entwicklung auf anthropologischer, kommunikativer sowie technologischer Ebene darstellt.43 Felix Stalder beobachtet gar eine umfassende Kultur der Digitalität, womit er den tiefgreifenden Einfluss des Digitalen sowie die »Hybridisierung und Verfestigung des Digitalen […] jenseits der digitalen Medien«44 meint. Die Veränderungen auf technologischer und medialer Ebene haben Auswirkungen auf weit mehr als nur das Medienverhalten oder mediale Vorgänge, sie stellen darüber hinaus auch das Selbstverständnis des Menschen radikal in Frage. Dies wird besonders deutlich etwa bei Themen wie künstlicher Intelligenz (KI) oder der Reichweite von Algorithmen. Von besonderem Interesse im Rahmen einer philosophischen Betrachtung ist, inwiefern die Digitalisierung die Welt, die Gesellschaft und vor allem den einzelnen Menschen transformiert und wie sie menschliches Denken und den Umgang des Menschen mit der Welt beeinflusst. Zentrales Merkmal von digitaler Kommunikation ist die Dimension der Körperlosigkeit, die mit der potentiellen Transparenz des Einzelnen zusammenhängt. Digitale Kommunikationsmedien lassen etwas oder jemanden ›sichtbar‹ im Sinne von ›nachverfolgbar‹ werden, weil sie Datenspuren hinterlassen. Sie lassen Facetten des Individuums bis ins kleinste Detail der privaten Lebensführung sichtbar werden und ermöglichen eine entsprechende Nachverfolgung. Gleichzeitig verdecken digitale Medien die Körperlichkeit im Bereich der Kommunikation und geben so in bisher ungekanntem Maße Gelegenheit zu einer Steuerung und Manipulation dessen, was gesehen werden soll. Digitaler Kommunikation fehlt ein wesentlicher Gehalt der »Analogkommunikation«45, nämlich die Wahrnehmung des Gegenübers als Körper, in seiner Leiblichkeit, in seiner Präsenz. Sie findet in einem hochgradig anonymen, kör Stellenwert der Digitalisierung für Mensch und Gesellschaft | 25
perlosen Raum statt, in dem nun nicht nur die Identität und der Name eines Gegenübers ausgeblendet werden können, sondern seine gesamte Daseinsform. Dies kann positive wie negative Konsequenzen haben, wie Thorsten Thiel bemerkt. Personen können ihre Identität vor unerwünschter Aufdeckung schützen, sich aber auch der Strafverfolgung entziehen. Unterdrückten kann dies Freiheit bringen, Anonymität ermuntert jedoch mitunter auch zum Ausleben von Polemik und Hass.46 Es fehlt die unmittelbare reziproke Reaktion des Gegenübers, wie sie eigentlich im analogen Bereich charakteristisch ist für menschliche Kommunikation.47 Im Internet entfällt also ein zentrales Charakteristikum zwischenmenschlicher Kommunikation, und zwar der Eindruck der körperlichen Reaktionen des Gegenübers, eigentlich eine »existentielle anthro pologische Daseinsform«48. Dieses Fehlen von Unmittelbarkeit kann zu Aufrichtigkeit und Freiheit führen, etwa weil sich endlich ungezwungen über Themen kommunizieren lässt, oder aber zu Enthemmung, weil die Regulation von Verhalten durch soziale Kontrolle entfällt.49 Die Digitalisierung sorgt nun dafür, dass sich KommunikationspartnerInnen nicht persönlich, das heißt in ihrer physischen Präsenz, gegenüberstehen, was eine enorme kognitivemotionale Herausforderung darstellt und Kommunikation deutlich erschweren kann. Die Wichtigkeit, als Person in Erscheinung zu treten, hebt auch Hannah Arendt, deren Überlegungen im Angesicht der Digitalisierung bemerkenswert aktuell erscheinen, im Zuge ihres Nachdenkens über menschliches Handeln als zutiefst politische Tätigkeit hervor – und ist dabei einer Digitalisierungs-Reflexion noch unverdächtig. So zeige sich eine Person im Handeln: Solches Handeln gehe zwar einher mit dem Akt des Sprechens, sei jedoch nicht darauf zu reduzieren.50 Die Individualität jeder Person und das kommunikative Tätigsein stehen für Arendt im Zentrum und machen menschliches Leben aus. Politisches Handeln ohne persönlichen Kontakt lässt sich aus einer Arendt’schen Perspektive entsprechend nur schwer verstehen. In ihrem Werk Vita activa fragt sie danach, wie es dazu gekommen sei, dass sich die Welt in eine derart automatisierte und – aus ihrer Sicht – entfremdete Umgebung entwickeln konnte und zeigt, dass die Gesellschaft und die Welt, in der wir leben, gleichwohl Produkte menschlichen Tuns sind. Die zu 26 | Zeitdiagnose Digitalisierung
Arendts Lebzeiten bis in die 1960er Jahre voranschreitende Automatisierung und, komplementär dazu aus heutiger Sicht, die immer weiter fortschreitende Digitalisierung verändern den menschlichen Handlungsspielraum. Arendts Denken bleibt auf einer abstrakten Ebene mit Fragenstellungen und Phänomenen verbunden, die durch Digitalisierung und Vernetzung neue Relevanz erfahren, weswegen es zu einer regen Verbindung von Arendts Denken mit Themen der Digitalisierung kommt.51 Der digitale Medienwandel lässt sich also, wie bis hierhin deutlich wurde, nicht auf die Ausbreitung von Netzwerken und leistungsstarken Computern beschränken, sondern birgt umfassende Konsequenzen für den Menschen, seine Kommunikation und sein Zusammenleben mit anderen. Harald Seubert spricht deshalb von einer Revolution von Gemeinschaft (Polis) und Seele, mit der grundlegende »Selbstverständlichkeiten der Weltorientierung in Frage gestellt«52 würden. Dabei setzt er den Begriff der ›Seele‹ als ebenso traditionsreichen wie auch gehaltvollen philosophischen Grundbegriff der zunehmenden Beschleunigung des technologischen Wandels entgegen. Dabei zeigt Seubert das Umwälzungspotential der Digitalisierung für den Menschen auf. Medien und Technologien betreffen in hohem Maße sowohl den politischen Raum als auch die Individuen.53 Damit stellt die Digitalisierung als rezente gesellschaftliche Entwicklung mit dem Potential, die Form politischer Vergemeinschaftung und politischen Handelns zu verändern, ein zentrales Interesse einer Politischen Philosophie dar, die sich von der Aktualität anleiten lässt und sich für veränderte gesellschaftliche Umstände sowie für die Demokratie grundlegende Sphären der Öffentlichkeit und der Privatsphäre interessiert. Die Digitalisierung verändert damit zentrale Begriffe des Politischen.
Digitalisierung und Transparenz Aus dem Verhältnis von Digitalisierung und Demokratie wie auch aus dem Verhältnis von Digitalisierung und Individuum erwachsen Transparenzpraktiken wie -forderungen. Solche Transparenzpraktiken sind seit der Jahrtausendwende verstärkt zu beobachten. Transparenz stellt ein normatives Konzept dar, das erst durch Digitalisierung und Transparenz | 27
seine technische Umsetzbarkeit derart populär werden konnte. Sie wird umfänglich möglich durch die Charakteristika digitaler und vernetzter Technologien, und zwar so, konstatiert Max-Otto Baumann, als »gelte es, eine bis in die Antike zurückreichende Vision besserer Politik nun mit den Mitteln des Internets endlich praktisch werden zu lassen«.54 Baumann beobachtet eine große zeitgenössische Zahl an Organisationen, welche die Forderung, gerechte, nahbare Politik ohne Täuschung zu betreiben, sowie diejenige nach Transparenz zum Ziel haben. Das moderne, vernetzte Internet sieht Baumann hier als zentrale Voraussetzung und Ermöglichungsbedingung solcher zivilgesellschaftlicher Transparenz- und Demokratiebestrebungen.55 Die Generierung, Übermittlung und Veröffentlichung von Daten sowie eine körperlose, Distanz und Verzögerung neutralisierende Kommunikation sind die beiden wesentlichen Eigenschaften der Digitalisierung, die für die Entstehung und die Durchschlagkraft von Transparenz als Norm somit maßgeblich sind. Die Gesellschaft reagiert damit begrifflich wie normativ auf Veränderungen auf technischer wie auf sozialer Ebene. Transparenz wird positiv verstanden und beschreibt nicht nur, sondern wertet auch, wobei der Begriff selbst sich als komplex erweist und undeutlich in seinen Sinngehalten verbleibt. Es handelt sich um einen mehrschichtigen Terminus, welcher Verantwortlichkeit suggeriert, indem er Verantwortlichkeiten offenlegt. Er bedarf jedoch stets einer medialen Herstellung; daher wird er stets in einem übertragenen Sinn auf gesellschaftliche Fragen und Phänomene angewendet. Letztere sind nicht schon transparent verfasst, sondern werden transparent gemacht. Medien und Transparenz gehören daher zusammen.56 Mit den Medien verändert sich die Öffentlichkeit auf struktureller Ebene, sie nimmt neue Formen an und funktioniert nach neuen Logiken.57 Gleichzeitig geht der Wandel mit einer deutlichen Ambivalenz und Janusköpfigkeit einher. So entsteht einerseits ein kritisches weltumspannendes Publikum und das Veröffentlichen wird einfacher und schneller, andererseits scheinen digitale Medien Partizipation auch zu erschweren. Das Verhältnis von Geheimhaltung und Demokratie präsentiert sich entsprechend als widersprüchlich, brüchig und umkämpft, ebenso wie das Verhältnis von digitaler Privatheit und digitaler Öffentlichkeit.58 Die medialen 28 | Zeitdiagnose Digitalisierung
Veränderungen, die sich durch Digitalisierung und ständige Vernetzung ergeben, stoßen somit ein tieferes und allgemeines Nachdenken über das Verhältnis von Öffentlichkeit, Transparenz und Demokratie an. Durch das Internet ist es nun – etwa für zivilgesellschaftliche AkteurInnen, Organisationen, WhistleblowerInnen und dergleichen – einfacher geworden, Transparenz herzustellen und zu fordern: Dokumente sind für jedeN EinzelneN unkompliziert kopierbar, vervielfältigbar und durchsuchbar. Rechercheergebnisse lassen sich, wenn nötig, mit relativ geringem Aufwand publizieren. JedeR kann – sofern digital bewandert – teilhaben an einer technologisch verbundenen digitalen Gemeinschaft und in deren Rahmen in Kontakt mit anderen treten. Diese Entwicklung kann eine bessere demokratische Kontrolle politischer Vorgänge und Entscheidungen ermöglichen, weil die Politik sich leichter an die WählerInnen rückkoppeln lässt. Gleichzeitig ergibt sich dadurch oft überhaupt erst die Basis für eine kritische Auseinandersetzung mit politischem Handeln.59 Transparenz stellt also ein technischdigital induziertes Phänomen dar; das Aufkommen von Forderungen nach Transparenz kann mit dem stattfindenden Medien- und Wertewandel erklärt werden. Die bessere technische Machbarkeit ermöglicht Transparenz, gleichzeitig bewirken ein erhöhtes Partizipationsbewusstsein und das Bestreben, den Staat von BürgerInnenseite aus zu kontrollieren, Interesse an staatlicher Transparenz. Die Digitalisierung lässt Transparenz also zu einer der Gesellschaft inhärenten Logik werden. Eng mit dem digitalen Wandel hängt auch die Ökonomisierung weiter Lebensbereiche und Teile der Gesellschaft zusammen. Beide globale Entwicklungen zusammen verändern die Kommunikation. So entsteht die Erwartungshaltung, immer, überall, (fast) jede Information zu erhalten und diese teilen und vervielfältigen zu können. Machtverhältnisse bröckeln und verändern sich, etwa zwischen Staat und BürgerInnen, zwischen Staat und Unternehmen und zwischen Unternehmen und BürgerInnen beziehungsweise KonsumentInnen. Private kollektive Akteure erlangen eine nie dagewesene Deutungsmacht und prägen mit ihrer ökonomischen Ausrichtung das Verständnis von Transparenz als Wert für Politik, Gesellschaft und Individuum. Dies entspricht einer eigenen Digitalisierung und Transparenz | 29
Medienlogik des Internets,60 in der Transparenz und Effizienz eng verknüpft sind.61 Einen neuen Aspekt stellt die einfache Verarbeitung von Daten dar, die unkompliziert und schnell kopierbar, dauerhaft und platzsparend speicherbar, spurenlos durchsuchbar und automatisiert bearbeitbar sind. Transparenz wird zur Norm und zur Ideologie, die sich nicht (mehr) nur auf den Staat bezieht, sondern auch auf das Individuum, Unternehmen und weite Gesellschaftsbereiche, da der Aufwand, Transparenz herzustellen, sich stark reduziert hat und die Digitalisierung in quasi alle Lebensbereiche hineinwirkt. Die Forderung nach Transparenz wie auch das Nachdenken darüber hängen also eng mit dem Medienwandel und seinen gesellschaftlichen Auswirkungen zusammen. Der digitale Wandel stellt damit eine Medienrevolution dar, die weit mehr als das bloße Medienverhalten transformiert. Die ständige Vernetzung und der beinahe hardwarelose Transfer von Daten beeinflussen Aktivitäten in der und die Wahrnehmung von Realität, den Zugang zu dieser und damit die Verortung des Menschen in der Welt und der Gesellschaft. Pointiert ausgedrückt können Transparenz und ihre Ideologisierung also als ein Produkt von Technik und Zeitgeist verstanden werden. Dabei stellen sich die folgenden Fragen: Kann das Internet eine Demokratisierung der Medienentwicklung bewirken oder reproduziert es lediglich vorhandene Strukturen der politischen Öffentlichkeit? Oder steht gar zu befürchten, dass es demokratieabträgliche Folgen zeitigt? Diese Fragen lassen sich kaum abschließend beantworten: Die Positionen zu unterschiedlichen Auswirkungen von Digitalisierung, Internet und verändertem Medienverhalten auf Demokratie, Partizipation und Individuum sind vielfältig und werden in der Politischen Theorie und angrenzenden Disziplinen mit großem Interesse diskutiert.62
30 | Zeitdiagnose Digitalisierung
4. Architektur als materiale Manifestation von Transparenz
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ie zahlreichen materialen, normativen wie auch politischen Dimensionen des Transparenzbegriffs zeigen sich auch im Bereich der Architektur und Architekturtheorie. Der Zusammenhang des Transparenzdiskurses mit Debatten über Demokratie, Öffentlichkeit, Sichtbarkeit und Partizipation wird auch und gerade im Bereich des Bauens manifest, denn demokratische Ideale und Architektur beeinflussen sich gegenseitig intensiv: Transparenz spielt – sowohl als bauliche Eigenschaft als auch als demokratische Norm – für die Debatte innerhalb der Architekturtheorie eine wichtige Rolle. Einerseits wird die faszinierende Materialität von Glas, das seit Beginn der Moderne auf Grund der neuen technischen Möglichkeiten verstärkt verwendet wird, häufig thematisiert. Andererseits steht auf einer sozio-politischen Ebene transparentes Bauen für demokratisches Bauen: So kommt in der Architektur die Verbindung der verschiedenen, materialen wie metaphorischen Bedeutungsebenen des Transparenzbegriffes besonders deutlich zum Tragen. Die Philosophie hat ein genuines Interesse an der Architektur, da diese eine materielle Manifestation realer Weltlichkeit darstellt und von einer langen Beständigkeit ist, wodurch sie einerseits klar in ihrer Zeit verortbar ist, andererseits durch die Massivität von gebauten Monumenten verschiedene Epochen überdauert. Die Verbindung von gesellschaftlich-politischen und individuellen Bedürfnissen zeigt sich an ihr in aller Deutlichkeit. Wie eine Gesellschaft baut, sagt viel über dieselbe aus. Dabei umfasst ›Architektur‹ nicht nur konkrete Bauwerke, sondern auch das Miteinander aller Bauten, in denen verschiedene Eindrücke, praktische Erwägungen und ästhetische Urteile miteinander verschmelzen. Überlegungen zur Architektur gehen daher über das bloße Errichten individueller Bauten hinaus und behalten das große Ganze im Blick. Durch das Errichten von Gebäuden verändert der Mensch die gegebene Welt um sich herum und unterwirft sie seinen Zwecken und Inten 31
tionen: Architektur strukturiert und prägt dabei den Raum und macht ihn nutzbar.63 Sie changiert in diesem fundamentalen Weltzugriff stets zwischen ihrem Charakter als Handwerk und ihrem Charakter als Kunst. Sie stellt eine Verbindung von Natur und Kultur in der menschlichen Lebensweise dar. In der stetigen Spannung zwischen diesen beiden Polen liegt ihre eigentliche Dynamik, zwischen Bauen und Entwerfen, zwischen ästhetischen und pragmatischen Ansprüchen, zwischen Form und Nutzen beziehungsweise Funktion. Dieses Verhältnis von Kunst und Architektur wird bereits seit den Anfängen der Architekturtheorie von dem römischen Architekturtheoretiker Vitruv diskutiert, der im ersten vorchristlichen Jahrhundert das Gründungswerk der Architektur und Architekturtheorie verfasste, in dem er als grundlegende Prinzipien des Bauens Festigkeit, Nützlichkeit und Schönheit aufstellt, die es in jedem Gebäude zu verbinden gelte. In seinen Zehn Büchern über die Architektur gibt Vitruv einen breiten Überblick unter anderem über die verschiedenen Disziplinen der Baukunst, notwendige Fertigkeiten von Bauenden, technisch-mechanisches Wissen sowie Grundlagen der Ästhetik.64 Die Architekturtheorie reflektiert über Praxis und Prinzipien des Bauens. Sie versucht – in ihrem jeweiligen historischen Kontext – nach zeitgenössischen Formen zu suchen und eine zeitgemäße Formensprache zu finden. Die Architekturphilosophie will demgegenüber komplementär eine externe Perspektive eröffnen und mit »größerer intellektueller Strenge und größerer Neutralität gegenüber konkreten Arten des Bauens«65, als dies eine fachinterne Perspektive zulässt, auf dieses blicken. Sie reflektiert die Grund lagen sowie die Bedingungen der Architektur und sieht diese nicht nur als Baukunst, sondern vielmehr als generelle Gestaltungsform der Welt.66 Bauen wie auch jegliches Nachdenken darüber finden dabei stets in einem gesellschaftlichen und politischen Kontext statt: In Gebäuden spiegeln sich par excellence Machtverhältnisse. Einen weiteren Aspekt, in dem die Architektur mit der Philosophie vergleichbar ist, stellt die gegenseitige Bezugnahme des Neuen auf das Alte – und vice versa – dar. Die Philosophie zielt auf begriffliche Unterscheidungen und auf eine sorgfältige Differenzierung verschiedener Phänomene, während die Architektur stets die sichtbare Unterscheidung eines vorherigen von einem nachfolgenden 32 | Architektur als materiale Manifestation von Transparenz
Zustand – der Umwelt eines Bauwerks, Innenraum vom Außenraum – ermöglicht. Architektur nimmt deshalb die Trennung oder auch Verbindung von öffentlicher und privater Sphäre sowie deren Übergänge in den Blick. Bauen kann insofern als Manifestation einer Gesellschaft und ihres Zeitgeists in der Materie verstanden werden. Die Art, wie gebaut wird, die Formen, die die Architektur findet, verweisen dabei stets auf gesellschaftliche Strukturen und umgekehrt. Beide nämlich befinden sich entsprechend in wechselseitiger Abhängigkeit. So diskutiert etwa Ludger Schwarte in seiner Philosophie der Architektur67 den Zusammenhang von Bauweise, Raumgestaltung und Gesellschaft am Beispiel der Französischen Revolution. Doch lässt sich dieser Zusammenhang von baulichen Manifestationen und sozialen Umständen auch anhand anderer Bereiche illustrieren, etwa der Verteilung von Räumen und ihrer Zugänglichkeit für Fremde, also gewissermaßen der Verteilung von ›öffentlichen‹ und privaten Räumen in einem Wohnhaus und die Grade an Privatheit, die verschiedenen Räumen zukommt. So spiegelt sich die Genese der bürgerlichen Familie, die mit der Abschottung der Privatsphäre und der Entwicklung einer bürgerlichen Öffentlichkeit einhergeht, in Bauweise und Raumaufteilung bürgerlicher Häuser und Villen im 19. Jahrhundert wider, wie Katharina Weresch in ihrer Studie zu Wohnungsbau im Wandel der Wohnzivilisierung und Genderverhältnisse68 zeigt. Jede Epoche entwickelt daher eine Art zu bauen, die verbunden ist mit der Art zu leben, zu denken und auf die Welt zu blicken. So wird ›Transparenz‹ zum architektonisch-baulichen Ziel, als sich im 20. Jahrhundert einerseits die technischen Möglichkeiten einer Glasbauweise entwickeln und andererseits der Wunsch nach Modernität und politischer Offenheit und Demokratie aufkommt. Ein sich neu entwickelnder demokratischer Zeitgeist und ebenso verfasste Gesellschaften verlangten – vor allem in Deutschland – nach entsprechenden Ausdrucksformen. Die Philosophie strukturiert also das Denken so wie Architektur den Raum. Beide, Philosophie wie Architektur, verkörpern in hohem Maße Ideale und Überzeugungen ihrer Zeit und sind dabei nie ideologieneutral. Sie gehen Hand in Hand und beeinflussen sich gegenseitig. ArchitektInnen ließen sich über alle Zeit hinweg nicht nur von reiner Funktion und Technologie leiten, sondern gehen in Architektur als materiale Manifestation von Transparenz | 33
spiriert von Philosophie, Psychologie und Kunst stets auch darü ber hinaus, wobei nicht selten auch religiöse oder metaphysische Aspekte in Projekte miteinfließen. Das Bauen berührt demnach grundlegende Fragen des menschlichen Lebens.69 Die Architektur ist daher eng mit den sozialen Bedingungen, Strukturen und Umständen verbunden, innerhalb derer und mit denen gebaut wird, da sie gesellschaftlichen Werten, Maßstäben und Beziehungen eine materielle Form gibt. Sie ist somit das »Medium zwischen Mensch und Natur«,70 das die Gestaltung von Räumen ermöglicht. Der Architektur kommt damit eine politische Dimension zu, da sie sozialer Interaktion ebenso wie politischem Geschehen in einem buchstäblichen Sinne ›Raum‹ bietet. In jeder Gesellschaft, an jedem Ort strukturiert Architektur den Raum. Sie ermöglicht Verhalten, lädt zu spezifischen Formen des Handelns ein oder verhindert andere Verhaltensweisen, ist und macht zugänglich oder verhindert Zugänglichkeit. Durch Architektur wird menschliches Verhalten und Interaktion ermöglicht und vereinfacht oder auch unterbunden. Gesellschaft und Architektur wirken aufeinander und greifen ineinander: Es hat erhebliche soziale und individuelle Auswirkungen, in welchem Rahmen gebaut wird und wer Bauten für wen in Auftrag gibt. Architektur zeigt Machtverhältnisse und Status an, womit ihr eine wichtige repräsentative Funktion zukommt, in der oftmals mit Licht und Schatten, mit Blickachsen und Sichtbarkeit gespielt wird. Daher kann ihr – wie auch jedem einzelnen Bauwerk – eine politische wie intellektuelle Bedeutung beigemessen werden. Architektur kann insofern auch demokratische Ansprüche an Politik manifest werden lassen, wobei der Zusammenhang von Architektur und Demokratie nicht nur auf intellektuell-theoretischer Ebene wirkt, sondern auch auf der Ebene des Bauens selbst.
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5. Transparenzdiskurse in der Architektur
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ransparentes Bauen spielt für Praxis und Theorie des Bauens eine große Rolle, wobei es gesellschaftliche Entwicklungen flankiert, spiegelt oder ihnen sogar vorgreift. Durch Entwicklungen auf technischer und materialer Ebene und die damit einhergehende Verfügbarkeit transparenter Baustoffe wird im 20. Jahrhundert Transparenz nicht nur zum Leitmotiv der Moderne im Allgemeinen, sondern auch der modernen Architektur im Besonderen. Dietrich Erben verortet den »Siegeszug der [klassischen, LW] Moderne«71 in Kunst und Architektur in den 1910er Jahren, in denen wichtige Begriffe und Konzepte der Architekturtheorie in den allgemeinen Kulturkanon eingesickert seien. Für die moderne Architektur(theorie) ist das Miteinander von technischen und gesellschaftlichen Entwicklungen zentral. Das ›Neue‹ als »Epochenbegriff der Moderne«72 sowie Fortschritt und Industrialisierung sollen sich baulich – der Gesellschaft entsprechend – manifestieren. Bauen und Design sind mehr als Ästhetik, der Anspruch ist, damit die Gesellschaft und den Menschen zu verbessern. Architektur stellt Sichtachsen her. Das Spiel mit und das Verhältnis von Sicht und Gemäuer, Sehen und Verdecken ist elementar für die Baukunst. Transparenz bildet bereits seit Anfang des 20. Jahrhunderts ein Phänomen, das durch eine Verknüpfung neu artiger technischer Möglichkeiten mit einer starken metaphorischen Dimension zum architektonischen wie gesellschaftlichen Ideal wird. Seit Ende des 19. Jahrhunderts stellt die Materialität und die etwa durch Glas erzeugbare Transparenz ein Faszinosum dar. So gilt Ludwig Mies van der Rohes Glaspavillon von 1929 heute als eine Ikone der Architekturgeschichte und als Inbegriff der Moderne, obwohl dem Pavillon kein demokratisches, nicht einmal ein wirklich politisches Potential innewohnt.73 Derartige Glasanlagen waren bereits seit dem 19. Jahrhundert schwer in Mode.
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Theoretische Diskussionen Als Begründer einer kritischen architektonischen Theorie der Transparenz können die beiden Architekturtheoretiker Robert Slutzky und Colin Rowe gelten. In ihrem 1963 erschienenen, wegweisenden Essay Transparency: Literal and Phenomenal74 entwickeln sie eine Begriffsunterscheidung von Transparenz als zugleich materiell und intellektuell. Damit begreifen sie Transparenz nicht allein in einem wörtlichen Sinne als materiale Eigenschaft, sondern auch als ›phänomenale‹, das heißt scheinbare oder übertragene. Grundlegend für Rowe und Slutzky ist die Unterscheidung zwischen einer dem Material innewohnenden Eigenschaft – wie etwa im Falle einer gläsernen Wand – und einer Organisationen innewohnenden Eigenschaft.75 Dabei wird die nicht unproblematische Vielschichtigkeit des Begriffs deutlich: Die Bedeutungsebenen des Wortes ›transparent‹ changieren zwischen physischer Materialeigenschaft, kritischer Auszeichnung und normativer Forderung. Transparenz hat sich zu einem mehrdeutigen Terminus gewandelt, der eben nicht mehr nur Glas beschreibt. Rowe und Slutzky beobachten im architektonischen Diskurs eine über das rein Materiale hinausreichende Bedeutungsebene, nämlich eine den Gebäuden oder diese nutzenden Institutionen innewohnende Qualität. Für die beiden Architekturtheoretiker entsteht damit eine neue Ordnung des Raumes, aber auch eine veränderte Wahrnehmung und Bewertung desselben. Die Umsetzung von literal transparency, also buchstäblicher Transparenz, versucht die stoffliche Beschränktheit des Bauens aufzuheben und dabei Grenzen – etwa zwischen Innenraum und Außenraum – zu verwischen.76 Dabei wird Transparenz in der Architektur durch Material und Technik hergestellt. Die phänomenale Transparenz überträgt nun dieses Verschieben und Auflösen von Grenzen in die Wahrnehmung der BetrachterInnen, indem sie es etwa ermöglicht, zu Grunde liegende räumliche Strukturen auszumachen. Transparenz gewinnt damit peu à peu eine normative Bedeutung. Transparent zu bauen wird zu einem Inbegriff modernen Bauens, ein Zeichen von institutioneller Modernität. Transparenz stellt ein weithin sichtbares Attribut und Symbol für Modernität dar und soll eine offene und demokratische Gesellschaft widerspiegeln. 36 | Architektur als materiale Manifestation von Transparenz
Sigfried Giedion kritisiert die Analyse von Rowe und Slutzky und begreift Transparenz dagegen weniger statisch und material, sondern stattdessen als ›Bewusstseinszustand‹, als Phänomen einer Gleichzeitigkeit von Innen und Außen und damit als ein sich ereignendes räumliches Phänomen, wie Matthias Loebermann darstellt. Transparenz gerate zu einer Grenzüberschreitung, gar zum Übergang von einem Pol zum gegenüberliegenden. Der Kern der Transparenz liegt somit in der Erfahrung und Wahrnehmung der Veränderung eines Ortes und sei entsprechend auch ein gesellschaftliches Phänomen. Loebermann betont den Ereignis- bzw. Prozesscharakter von Transparenz als räumlichem Phänomen, das sich mithilfe von durchlässigen und beweglichen Wänden und ›Raumhüllen‹ ›ereignet‹ und solche begrenzenden Elemente gleichzeitig auflöst und verändert. Eine solche operative Transparenz ermögliche eine Anpassung gegebener Strukturen an individuelle Bedürfnisse.77 Damit bemüht er sich um eine zeitgemäße Herangehensweise an das Phänomen der Transparenz in der Architektur, indem er diese nicht als rein räumliches Konzept versteht: Transparenz entsteht stattdessen prozesshaft-performativ und umrahmt so den Übergang von innen nach außen. Wenn BewohnerInnen eines Gebäudes diese Übergänge sowie die von öffentlichem und privatem Raum selbst markieren und ihren Bedürfnissen entsprechend anpassen, handelt es sich um eine prinzipiell handlungsorientierte Transparenz, die auf einer Aneignung des (baulich strukturierten) Raumes durch die BewohnerInnen beruht, und weniger um den Versuch einer Auflösung der gebauten Struktur und einer Negierung der materialisierten Erscheinung. Transparenz stellt so verstanden nicht nur ein ästhetisches, sondern auch ein gesellschaftliches Phänomen und damit eine ebensolche soziale Herausforderung dar. Sie ermöglicht und verdeutlicht entsprechend die Verbindung baulich-materialer und sozialer Ansprüche an Architektur.78 Transparente Architektur muss und will also die Teilung des Raumes in Innen und Außen, in Privatsphäre und Öffentlichkeit, aufweichen. Transparenz in der Architektur ist damit der Versuch einer Überwindung von Materialität und materialer Beschränkung. Ein scheinbar widersprüchliches Unterfangen, schafft doch die Architektur erst die Grenzen, welche sie durch eine transparente Bauweise wieder aufzulösen versucht. Zudem ist ein zentra Theoretische Diskussionen | 37
ler Zweck eines Gebäudes, einen Schutzraum vor der Außenwelt zu bieten. Der architekturphilosophische Diskurs kreist nun genau um diese Widersprüchlichkeiten, die sich aus Materialität und Transparenz ergeben, und verweist deutlich auf sozio-politische Dimensionen von Architektur wie Transparenz.
Gebaute Transparenz Architektonische Transparenz kann also in verschiedener Weise realisiert werden.79 Deborah A. Barnstone erinnert daran, dass Glas nicht das einzige Material ist, mit dem transparent gebaut werden kann. Zwar stellt es das naheliegendste Material dar, doch auch Gewebe, Stoffe oder Gitterstrukturen können solche Effekte erzielen.80 So etwa die zur ›Auflösung‹ der materialen Hülle eines Gebäudes, was Einsicht ermöglicht, zur Schaffung einer offenen Form oder – in einem abstrahierten Sinne – beim Zusammenfluss von Form und Bedeutung. So löst sich beispielsweise der Unterschied zwischen einer Wand und einem Fenster langsam auf, wenn Wände aus Glas konstruiert werden. Glas ist der paradigmatische Baustoff der Transparenz, weil es Dahinterliegendes sichtbar machen kann. Dies verweist direkt auf die Wortgeschichte des Begriffs. Stehen am Anfang transparenten Bauens noch Glaspavillons und Gewächshäuser, bei denen die materialen Konsequenzen, wie etwa die Erwärmung des Innenraumes, erwünscht waren, ist transparentes Bauen im 21. Jahrhundert in alle Bereiche und Anwendungsgebiete übergegangen. Öffentliche Gebäude, häufig repräsentativer Natur, Firmenzentralen, aber auch Privathäuser werden verglast und transparent, wobei nicht unbedingt die materialen Effekte im Vordergrund stehen, sondern eine Ideologie, die mit Hilfe der Bauweise repräsentiert und visualisiert wird, selbst wenn sich materialbedingt negative Konsequenzen hieraus ergeben, wie etwa starke Hitzeentwicklung oder übermäßige Einsehbarkeit.81 Dabei verbinden sich Vorstellungen von Transparenz und Demokratie derart, dass sogar der Repräsentation dienende Flagship-Stores von Firmen auf Glas als hauptsächliches Baumaterial setzen, wobei es wohl weniger um die politische Dimension als den Anschein von Fortschrittlichkeit und Modernität geht.82 Transparenz scheint da38 | Architektur als materiale Manifestation von Transparenz
mit zu einer Ideologie in der Architektur, aber auch in der Gesellschaft geworden zu sein. Der Aspekt der demokratischen Zugänglichkeit tritt erst im Laufe des 20. Jahrhunderts und dann vor allem in der Nachkriegszeit in der transparenten Architektur deutlich zu Tage. Dabei handelt es sich um zwei Entwicklungen – gläsernes, modernes Bauen auf der einen und der Wunsch nach gesellschaftlicher Modernität (und Demokratie) unter dem Schock der Kriege auf der anderen Seite –, die sich geschickt miteinander verbinden und politisch verwerten lassen, die aber zunächst voneinander unabhängig existieren. Denn Modernität muss nicht unbedingt zu Aufklärung und Freiheit führen – dies wird beispielsweise deutlich, wenn man Formensprache und ästhetische Prinzipien diktatorischer Gesellschaften und Regimes betrachtet. So stellte – auf Deutschland bezogen – der Berliner Palast der Republik sicherlich eines der prominentesten Beispiele gläserner, moderner Architektur in der DDR dar und wurde ebenfalls mit dem normativen Anspruch, Modernität und Fortschritt zu symbolisieren, aufgeladen. Glas kommt »eine eigentümliche Vermittlerstellung zwischen naturwissenschaftlichen Entdeckungen, industriellen Entwicklungen und soziopolitischer Steuerung«83 zu. Als populärster Werkstoff transparenter Bauweise zeigt es zugleich seine Ambivalenz, denn dort, wo man hinausblicken kann, kann sich der Blick auch nach innen wenden. Glasarchitektur ist zudem nicht immer transparent und einsehbar, das hängt auch von weiteren Faktoren wie der Beleuchtung ab. Vom Dunkeln ins Helle zu blicken ist möglich, umgekehrt jedoch nicht, zudem kommt es zu Spiegeleffekten. Deshalb lässt sich an Glas und Gläsernheit auch eine reichhaltige Meta phorik von Transparenz anschließen, in der das Spezifikum des Glases seine Überwindung von Materie darstellt. Vincent August macht hierin den Unterschied zur einfachen Lichtmetaphorik aus: So zähle nicht die Veränderung des Lichts oder dessen Menge, sondern die Veränderung des Körpers selbst.84 Emmanuel Alloa führt aus, dass die Paradoxie von Glasbauweise in der Gleichzeitigkeit von Materialität und Entkörperung, von Eigenständigkeit und Durchlässigkeit liege. Mal blicke man durch das Glas hindurch, mal hinein.85 Glasgebäude stellen einerseits Transparenz her und entwickeln andererseits paradoxe Eigenschaften, die sich gelegentlich Gebaute Transparenz | 39
gegen die Menschen wenden, etwa wenn in einen privaten Raum oder gar in den Menschen selbst, wie beim ›gläsernen Menschen‹, hineingesehen wird. Zugleich symbolisieren Glasgebäude Transparenz und die damit verbundenen normativen Implikationen, doch auch die gläserne Architektur kann die trennende Eigenschaft des Bauens, das durch die Aufteilung des Raumes in innen und außen Grenzen errichtet, nicht aufheben. Glasarchitektur kann als Manifestation einer Öffentlichkeit begriffen werden, die sich auf Transparenz ausrichtet.86
Ohne Glas, zur Überwachung: Benthams Panoptikum In historischer Perspektive ist Transparenz in der Architektur, im Sinne gebauter Transparenz ohne Fixierung auf den Baustoff Glas, wiederum mit Jeremy Bentham verbunden, der als utilitaristischer Denker und politisch engagierter Reformer im 18. Jahrhundert die Verbesserung staatlicher und öffentlicher Institutionen mittels der Schaffung der Möglichkeit zur Beobachtung der darin befindlichen Personen vorschlug. Bentham glaubte an eine sittlich-moralische Verbesserung des Menschen durch Überwachung mit Hilfe einer entsprechend angepassten Bauweise. Konkret handelte es sich bei Benthams Projekt um die Regelung der Lebensverhältnisse von und den Umgang mit den InsassInnen von verschiedenen sogenannten ›Besserungsanstalten‹, aber auch von Fabriken, die er menschenwürdig(er) gestalten wollte. Einige seiner Vorschläge erscheinen aus heutiger Perspektive eher ab- und erschreckend, aber sie stellten vor dem Hintergrund der Verhältnisse zu seiner Zeit sicher einen sozialreformerischen Fortschritt dar. Bentham dreht – ganz der Aufklärung verbunden – die Logik von Licht und Dunkel um, indem er dem Licht im Panoptikum eine große Rolle zumisst und dieses zur Überwachung einsetzt, anstatt die gesellschaftlich Prekären dem Schutz wie dem Schrecken der Dunkelheit preiszugeben. In Benthams Vorschlag ist das panoptische Gebäude so gestaltet, dass es allzeit den Blick auf die Individuen ermöglicht. Transparenz stellt sich dabei durch die Anlage des Gebäudes und die Ausrichtung der Sichtachsen zur Beobachtung und Überwachung her. Zudem zeigt sich hier die Verwoben40 | Architektur als materiale Manifestation von Transparenz
heit einer Metapher des Lichts und des Sehens mit der Vorstellung von Erkenntnis und Tugendhaftigkeit – sowie ihren Gegenteilen der Dunkelheit mit Schlechtigkeit. Diese metaphorischen Verbindungen entwickelten in der Aufklärung Popularität.87 Bentham richtete seine Überlegungen nicht nur auf das Kontrollgebäude von Gefängnissen, sondern auch auf Regierungsgebäude und dergleichen. Der Entwurf des Panoptikums oder auch ›Kontrollhauses‹ ist dabei geeignet für »jedwede Einrichtung, in der Personen jeder Art unterzubringen oder zu kontrollieren sind; was im Besonderen gilt für Besserungsanstalten[,] Gefängnisse, Armenhäuser, Lazarette, Fabriken, Manufakturen, Hospitäler Arbeitshäuser, Irrenhäuser und Schulen«.88 Die Kontrolle von Beschäftigten im kapitalistischen Arbeitsalltag ist hier ebenso angelegt wie die Sorge für Kranke oder die Überwachung von DelinquentInnen. Vincent August zeigt, wie Reinheit und Rationalität im utilitaristischen Denken zusammenhängen und wie Bentham Wirkungsweisen aus der Physik auf die Politik überträgt: So ersetzte er Publizität durch Transparenz, schuf also Öffentlichkeit durch Formalisierung. Bei Bentham ist das panoptische Gebäude so gestaltet, dass es den Blick auf die Individuen in seinem Inneren ermöglicht. Dies soll zur Selbstkontrolle und Anpassung führen.89 Der Kernpunkt hierbei ist, dass Überwachung zwar stattfindet, aber vor allem in ihrer Potentialität wirkt, das heißt, dass man im Inneren jederzeit überwacht werden könnte, ohne dass dies auch notwendigerweise der Fall sein muss. Benthams Entwurf eines panoptischen Gefängnisses ist somit als Versuch eines sozialreformerischen Philosophen zu verstehen, mehrere gesellschaftliche Probleme auf einen Schlag zu lösen. Mit Hilfe der Transparenz, die hier für die Möglichkeit der Beobachtung der InsassInnen sorgt, sollten etwa Gefängnisse von Kerkern in Besserungsanstalten verwandelt werden, und zwar insofern auch in einem physischen Sinne, als sie der Gesundheit der Gefangenen zugutekommen sollte durch saubere Einzelzellen statt dunkler und feuchter Verliese, in denen viele Menschen umgeben von Ungeziefer hausten. Die Privatsphäre der InsassInnen wird zugunsten der stets möglichen unbemerkten Beobachtung und Überwachung vollständig aufgegeben. Benthams Ziel ist die Besserung der Gefangenen durch Erziehung zur Moral: Aufgrund der ständigen Sichtbarkeit und Möglichkeit des Beobachtetwerdens sollten Benthams Panoptikum | 41
die InsassInnen zu besserem Handeln aus freien Stücken gebracht werden. So wird bei Bentham die Verbindung von Transparenz, Überwachung und moralischem Anspruch manifest.90
Bauen und Demokratie Aktuelle Beispiele für öffentliche, der Demokratie verpflichtete Gebäude, die ganz der Idee der Transparenz verpflichtet sind, sind etwa das Berliner Reichstagsgebäude mit seiner gläsernen Kuppel oder das Paul-Löbe-Haus, in dem die Abgeordneten des Deutschen Bundestags ihre Büros haben.91 Transparenz wird hier durch die gläsernen Außenwände in Material umgesetzt. Schon von weitem soll BesucherInnen Offenheit und Zugänglichkeit signalisiert werden. Als Ort der politischen Bildung stehen beide Gebäude Besuchergruppen offen und heißen sie willkommen. Sie sind nicht nur Repräsentationsbauten, aus denen heraus die dort Arbeitenden eine weite Sicht haben, sondern die Büros im Paul-Löbe-Haus sind auch von außen her einsehbar, wodurch die BürgerInnen einen Einblick in die Arbeit der VolksvertreterInnen gewinnen können. Transparenz und Einsehbarkeit werden hier auf engste verknüpft, architektonisch inszeniert und manifestieren die Verbindung zwischen Transparenz und Demokratie. Transparentes Bauen wird aufgeladen mit dem Versprechen, die Demokratie zugänglich zu machen und ihre Zugänglichkeit zu repräsentieren, indem »das Versprechen demokratischer Offenheit hier unmittelbar mit einem Bild- und Materialprogramm verschmilzt«.92 Es handelt sich um einen Versuch, mithilfe transparenter Architektur gesellschaftliche Ziele – Demokratie und Zugänglichkeit – zu erreichen und herzustellen. Die Schlagkraft von Transparenzforderungen ist eng verbunden mit Demokratiemetaphern, welche Lösungen anschaulich und greifbar machen. Vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg hat in Deutschland die Verbindung von Demokratie, Bauen und Transparenz eine neue Dynamik erhalten, wie Deborah A. Barnstone in ihrem Buch The Transparent State zeigt, aber auch kritisiert.93 Gerade im westdeutschen Architekturdiskurs gebe es die Unterscheidung zwischen einer demokratischen, transparenten Bau42 | Architektur als materiale Manifestation von Transparenz
weise und einer undemokratischen Bauweise, anhand derer davon auszugehen sei, dass Sichtbarkeit Kontrolle ermögliche, so etwa bei Regierungs-, Parlaments- und Verwaltungsgebäuden. Als ein zeitgenössisches Beispiel für ein architektonisches Transparenzparadox kann zum Beispiel der Neubau des Bundesnachrichtendienstes in Berlin aus den 2010er Jahren gelten, in dem sich zum einen die Spannung aus Geheimhaltung und Demokratie sowie Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit und zum anderen gebaute Pseudotransparenz manifestiert. Der enorm große und wuchtige Bau steht sichtbar, offen und mit vielen Fenstern im Zentrum der Stadt, gleichzeitig ist er jedoch – seiner Funktion als Geheimdienstzentrale entsprechend – unzugänglich, abweisend, hochgesichert und muss dies seiner Logik nach auch sein. Barnstone bezeichnet Transparenz als Metapher für Demokratie – als ob die parlamentarischen Vorgänge zugänglicher wären, wenn das Gebäude einsehbarer ist. Dabei unterscheidet sie in der Architektur zwischen ästhetischer und ideologischer Transparenz. Erstere begeistert sich für die Möglichkeiten der modernen Materialien wie Glas, Kunststoffe, Plexiglas und viele mehr oder für das Spiel mit Licht, Schatten und Sichtachsen. In ideologischer Hinsicht gilt hingegen: Wer mit demokratischem Anspruch bauen will, muss transparent bauen und somit Zugänglichkeit ausdrücken. Barnstone bezeichnet das transparente Bauen als Mythos der Bundesrepublik in der Nachkriegszeit und diskutiert die Beispiele der drei westdeutschen Parlamentsgebäude nach dem zweiten Weltkrieg.94 Als bis heute prominente Positiv-Beispiele für transparent gestaltete Gebäude der Demokratie können demnach das Bundeshaus von Günther Behnisch, das in Bonn als Parlamentsgebäude errichtet worden war,95 ferner das von Norman Foster renovierte Berliner Reichstagsgebäude96 sowie schließlich die Abgeordnetenhäuser97 und das Bundeskanzleramt98 in Berlin gelten. Diese exemplarischen Gebäude stammen aus unterschiedlichen Phasen der (west-)deutschen Demokratiegeschichte und zeigen die kontinuierlichen metaphorischen Verknüpfungen und Querbezüge von demokratischen Idealen, Transparenz und durchscheinender Bauweise. Barnstone hält die derart enge Verwobenheit der verschiedenen Bedeutungsebenen in der Bundesrepublik für historisch besonders ausgeprägt. Dass, wer transparent baut, zugleich demokratisch baut, sei eine gerade in (West-)Deutschland Bauen und Demokratie | 43
eine bis heute äußerst populäre Überzeugung. Damit wird jedoch mehr ein Ziel ausgedrückt als ein erreichter Zustand. Im 21. Jahrhundert entfaltet diese ideologische Verbindung nun nicht mehr nur in Westdeutschland ihre Wirkung, doch hat der Diskurs hier eine besondere Tiefe. Barnstone erklärt den hohen Stellenwert, den Transparenz in Westdeutschland erlangen konnte, mit der Identitätsbildung nach dem Zweiten Weltkrieg. Dem Begriff der Transparenz kommt hier eine metaphorische Bedeutung zu, Transparenz steht für mehr als durchsichtige oder lichtdurchlässige Baustoffe: Sie steht für eine Einstellung, eine Ideologie, ein Image. ›Transparent‹ wird hier in einem metaphorischen und normativen Sinne benutzt. Durch das Bauen gläserner Gebäude drückt sich die Hoffnung aus, dass die Politik zugänglich und Demokratie lebbar wird. Hinzu kommt der Aspekt einer einfach zu verstehenden Formensprache, die selbst demokratisch, da dechiffrierbar und zugänglich ist. Architektonische Transparenz kann in diesem Sinne als performativ verstanden werden, als räumliches Konzept, das über die reine Materialität hinausgeht. Sie besteht dann in der Aneignung von Gebäuden durch die jeweiligen NutzerInnen. Das ästhetische Ideal der Transparenz ist eng verbunden mit einem erkenntnistheoretischen Ideal, da Sichtbarkeit mit Lesbarkeit und Verständlichkeit einhergehend gedacht wird: So wirkt die Transparenz-Ideologie in der Architektur als Metapher für intakte Demokratie mit ungebrochener Wirksamkeit. Der Architekturdiskurs bündelt also wie in einer Brennlinse die wichtigsten Aspekte und Dimensionen des Transparenzbegriffes und verdeutlicht damit bereits seinen ideologischen Charakter.
44 | Architektur als materiale Manifestation von Transparenz
6. Begrifflichkeiten der Transparenz
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ransparenz hat sich zu einem gesellschaftlich-politischen Konsensbegriff von beinahe universaler Geltung entwickelt, der zwar starke materiale Bezüge aufweist und deshalb in der Architektur eine zentrale Rolle spielt, aber auch einen wesentlichen Beitrag zur Selbstverständigung moderner Gesellschaften leisten kann. Die breite Einigkeit gegenüber Forderungen nach Transparenz verwischt jedoch möglicherweise die Bedeutung des Begriffs – also ob Transparenz etwa eine Eigenschaft, ein Zustand oder ein Prozess ist und was eigentlich damit ausgedrückt werden soll.99 Obwohl der Begriff in zahlreichen Disziplinen und Zusammenhängen gebräuchlich ist, hinkt die theoretische Diskussion hinterher. Dabei alterniert der Begriff in aller Regel zwischen reiner Beschreibung und normativem Anspruch. Der Transparenzbegriff erweist sich als mehrfach dichotom und fungiert sowohl als deskriptiver als auch als normativer Begriff. Dabei lässt sich Transparenz als Forderung eines offenen und liberalen Staates demokratietheoretisch herleiten und begründen und stärkt dabei die BürgerInnen als Souveräne, wie es etwa die gläserne Bauweise symbolisieren soll. Als normativ und metaphorisch anschlussfähige Ideologie betrifft Transparenz jedoch auch das Individuum und erhält eine weitere Bedeutungsebene: Sie bezieht sich auf ein Individuum, welches gegenüber ihm übergeordneten Institutionen wie dem Staat, aber auch Unternehmen sowie anderen Personen transparent und durchschaubar sein soll. Als breites Konzept ohne konkreten Gegenbegriff – oder besser gesagt, mit verschiedenen Gegenbegriffen, wie im Folgenden anhand von ›Geheimhaltung‹ und ›Privatheit‹ gezeigt wird – kann Transparenz unterschiedlich kontextualisiert werden.100
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Ordnung paralleler Begrifflichkeiten Von Reinhart Koselleck stammt die für die Begriffs-, Sozial- und Ideengeschichte einflussreiche Unterscheidung zwischen ›Wort‹ und ›Begriff‹. Laut Koselleck kann der Übergang zwischen beiden zwar kaum trennscharf sein, trotzdem ließen sich die meisten ›Wörter‹, die im gesellschaftlich-politischen Spektrum angesiedelt sind, von solchen unterscheiden, die er als ›Begriffe‹ beziehungsweise ›geschichtliche Grundbegriffe‹ bezeichnet: »Der Übergang mag gleitend sein, denn beide, Worte und Begriffe, sind immer mehrdeutig, was ihre geschichtliche Qualität ausmacht, aber sie sind es auf verschiedene Weise. Die Bedeutung eines Wortes verweist immer auf das Bedeutete, sei es ein Gedanke, sei es eine Sache. Dabei haftet die Bedeutung zwar am Wort, aber sie speist sich ebenso aus dem gedanklich intendierten Inhalt, aus dem gesprochenen oder geschriebenen Kontext, aus der gesellschaftlichen Situation. […] Der Begriff haftet zwar am Wort, ist aber zugleich mehr als das Wort.«101
Koselleck unterscheidet also zwischen konkreten Worten, die genau auf das verweisen, was sie bezeichnen, also einen Gegenstand oder auch einen Gedanken – das ›Bedeutete‹ – und Begriffen: Ausdrücken, die über den konkreten Bedeutungsgehalt hinausweisen, sei es, dass ein Begriff sozio-kulturell aufgeladen ist, oder aber, dass Dimensionen damit bezeichnet werden, die über den konkreten Gegenstand hinausgehen. Aus einem Wort wird, so Koselleck, ein Begriff, wenn sich die Bandbreite seiner politischen und gesellschaftlichen Bedeutungsdimensionen und die Kontexte, in denen es fungiert, in ihm vereinen.102 Elementar für eine solche Unterscheidung zwischen Wort und Begriff ist das Hinausweisen des letzteren über seine rein lexikalische Bedeutung. Begriffe evozieren nach einem solchen Verständnis ein kaum definierbares Hintergrundwissen, in dem sich eine Vielfalt von Erfahrungen widerspiegelt. Eine der zentralen Annahmen, die dem Koselleck’schen Projekt zu Grunde liegen, ist die einer ›Sattelzeit‹: Diese bezeichnet die Epochenschwelle zwischen Früher Neuzeit und Moderne, die sich historisch zwischen Aufklärung und Französischer Revolu46 | Begrifflichkeiten der Transparenz
tion verorten lässt. Zusammen mit den damit verbundenen tiefgreifenden politischen wie sozialen Veränderungen wandelten, so die Beobachtung, auch wesentliche Begriffe grundlegend ihren Bedeutungsgehalt: Die Vielfalt geschichtlicher Erfahrung vergangener oder auch aktueller Zeiten habe sich immer schon in Begriffen niedergeschlagen.103 Maßgeblich dabei ist, dass sich Begriffe zu Zukunftsbegriffen entwickeln und von einer Ausrichtung auf das Futurische geleitet werden. Koselleck beobachtet eine Ambivalenz solcher Begriffe, je nachdem, ob sie historisierend oder aktualisierend verwendet würden. Dabei würden sich rückwärtsgewandte Bedeutungsebenen verlieren und nur die emanzipierenden Sinngehalte erklärbar bleiben. Begriffe in diesem Sinne sind daher auch leicht zu ideologisieren und insgesamt ambivalent. Die Diagnose, dass sich seit Mitte des 18. Jahrhunderts ein tiefgreifender Bedeutungswandel zahlreicher Begriffe vollzogen hat, wodurch neue Sinngehalte entstanden, trifft auch auf Transparenz zu. Ursprünglich stammt der Transparenzbegriff aus dem Bereich der neuzeitlichen optischen Forschung, entfaltet jedoch rasch ein metaphorisches Potential, das mit Licht und Sehen verbunden ist. Seine breite Verwendung, gewissermaßen als Nachfolgebegriff von Publizität und Öffentlichkeit und als Gegenkonzept zu Geheimhaltung und dann auch Privatheit, entwickelt sich jedoch erst später, als sich die sozialen und historischen Voraussetzungen und Erfahrungen in Sprache und Begrifflichkeiten niederschlagen: Mit der Jahrtausendwende und der rapide fortschreitenden Digitalisierung entfaltet der Begriff seine Durchschlagskraft. Transparenz stellt nun einen Begriff – im Gegensatz zum Wort – dar, da sie als eine Ideologie im 21. Jahrhundert auf die Gesellschaft als Ganze abhebt, was mit den politisch-gesellschaftlichen Umständen zusammenhängt. Die Wurzeln des Transparenzbegriffs verweisen somit auf Aufklärung und Sattelzeit, zum Schlüsselbegriff ist er aber erst rezent geworden. Stellt nun das 20. Jahrhundert eine erneute Epochenschwelle dar, in der es zu vergleichbaren Begriffsveränderungen und Umsemantisierungen wie bereits zur ersten Sattelzeit kam, ausgelöst durch grundlegende weltweite gesellschaftliche und politische Umwälzungen? Dafür argumentiert Christian Geulen: Es ließen sich übergreifende Merkmale eines semantischen Strukturwandels der Ordnung paralleler Begrifflichkeiten | 47
politisch-sozialen Selbstreflexion im 20. Jahrhundert beobachten – Verwissenschaftlichung, Popularisierung, Verräumlichung sowie die Verflüssigung der Begrifflichkeiten.104 In der Konsequenz werden zunehmend Begriffe, die im 20. Jahrhundert wirkmächtig wurden, theoretisiert.105 Für eine solche These von einer erneuten begrifflichen Schwellenzeit spricht, dass sich im 20. Jahrhundert nicht nur, aber auch durch die Digitalisierung eine weitgehende Globalisierung und Vernetzung ergeben hat, die nationale wie auch kulturelle Grenzen porös werden ließ, wesentliche gesellschaftliche Verhältnisse verändert und sich entsprechend auf Sprache auswirkt. Andererseits muss beim Ausrufen der eigenen Epoche zur umwälzenden und grundlegend neuen Zeit stets eine gewisse Vorsicht walten, da hier eine kritische Distanz nur schwer einzunehmen ist. Dies bringt auch Schwierigkeiten hinsichtlich der Analyse von Transparenz als Ideologie des Bimillenniums mit sich, da die historische Distanz noch fehlt. Die historische Reichweite und die begrifflichen und ideengeschichtlichen Zusammenhänge lassen sich jedoch sehr wohl rekonstruieren106 und so wird ersichtlich, dass und inwiefern Transparenz begrifflich mehrdimensional ist. So treffen bei der Transparenz ideologische Vorstellungen von Reinheit, Offenheit und Vernünftigkeit auf eine digitale Medienlogik, also die Möglichkeiten und Zwänge von Digitalisierung und Datafizierung.
Diachronie der semantischen Entwicklungen Um den Begriff der Transparenz besser zu verstehen, soll im Folgenden zunächst seinen etymologischen Wurzeln nachgegangen werden, bevor ich die metaphorischen Gehalte, die sich maßgeblich aus dem Bereich der Optik speisen, nachzeichne. Sowohl Etymologie als auch Metaphorik kreisen um die Verbindungen von Licht mit Erkenntnis und wiederum mit Moral, die an den Transparenzbegriff weitergegeben wurden. Insofern gerät besonders die übertragene Bedeutung von Transparenz in den Blick. Das Wörterbuch Brisante Wörter von Agitation bis Zeitgeist listet Transparenz im Bereich der kulturellen und bildungsbezogenen Wörter auf. Die AutorInnen begreifen Transparenz als ›brisantes Wort‹, um dessen 48 | Begrifflichkeiten der Transparenz
Konfliktträchtigkeit und das damit verbundene Missverständnispotential zu verdeutlichen.107 An dem Artikel wird der Stellenwert von Transparenz als einem ambivalenten Schlagwort deutlich, der sich in den 1970er Jahren abzuzeichnen beginnt. ›Transparent‹ soll dabei aus Sicht der Wörterbuch-AutorInnen nicht einfach übersetzt werden, sondern als Begriff der deutschen Sprache anerkannt und behandelt werden. Gleichwohl ist die entsprechende Begriffsgeschichte miteinzubeziehen. Da es sich um keinen genuin philosophischen Begriff handelt, scheint es prinzipiell vonnöten, den Transparenzbegriff über Umwege herzuleiten. Denn es fand nicht nur im Laufe der Zeit ein Bedeutungswandel statt, sondern es gab auch vielfache Übertragungen, die eng mit einem metaphorischen Gebrauch verbunden sind. In diesem Sinne können als eine erste Bedeutung von Transparenz zunächst einmal »Durchsichtigkeit« und »Lichtdurchlässigkeit« genannt werden. Der Gegenbegriff in der Optik ist Opazität, was entsprechend »Undurchsichtigkeit« und »Lichtundurchlässigkeit« bedeutet. Opazität beschreibt die Verdunkelung und das Verschwimmen von Konturen durch Eintrübung oder Verdichtung. Dabei ist dies der ältere Begriff des Gegensatzpaares Transparenz/ Opazität, spielt jedoch in gesellschaftlichen und ideengeschichtlichen Zusammenhängen eine bei weitem geringere Rolle und ist kein derart populäres Schlagwort wie Transparenz. Trotzdem taucht der Begriff gelegentlich auch in einem übertragenen Sinn auf.108 Opakes bleibt undurchschaubar, nicht erkennbar, unklar, nebulös. Jürgen Habermas bezeichnet etwa die Religion als opak, da sie letzten Endes nicht von der Vernunft durchschaut werden könne.109 Emmanuel Alloa führt demgegenüber den Begriff der Transparenz auf das 12. Jahrhundert zurück, in dem das griechische diaphanés (διαφανής) in transparens übersetzt wird und Vorgänge des Sehens und Wahrnehmens beschreibt. Ein bereits in der griechischen Antike verankerter Vorläuferbegriff zur Transparenz ist entsprechend Diaphanität, was ebenfalls »Durchsichtigkeit«, jedoch noch nicht in einem übertragenen intellektuellen Sinne, bedeutet, sich lediglich auf Lichtstrahlen bezieht und daher zu einem Fachbegriff in der Meteorologie geworden ist.110 Im Falle von Transparenz wurde ein spezifischer Fachbegriff aus der Optik verallgemeinert, was die besondere Anschlussfähigkeit an Metaphern von Licht, Er Diachronie der semantischen Entwicklungen | 49
kenntnis und Moral nahelegt, die den Begriff wiederum erst derart attraktiv macht. Das deutsche Adjektiv transparent wurde als Lehnwort aus dem Französischen transparent Anfang des 18. Jahrhunderts ins Deutsche übernommen.111 Zunächst bedeutet es »durch-sichtig« in Bezug auf durchsichtige Materialien, wie etwa Glas, Stoffe oder Ähnliches, die den Blick auf eine dahinter befindliche Sache freigeben. Sodann erweiterte sich der Bedeutungsumfang auch für perforierte Gegenstände, die also »durchschaubar« sind. Das französische Wort selbst hat seine Wurzeln wiederum im Mittellateinischen: transparēre, was mit »durchscheinen, durchsichtig sein« übersetzt werden kann und sich zusammensetzt aus dem Verbum parēre (»erscheinen, sichtbar sein, sich zeigen, gehorchen«) und dem Präfix trans- (»über, durch«). Das Substantiv ›Transparenz‹ im Sinne einer transparenten Beschaffenheit lässt sich erst etwa Anfang des 19. Jahrhunderts im Deutschen nachweisen, als Ableitung vom Adjektiv ›transparent‹, Dabei verweist Transparenz nur noch vereinzelt auf materielle Erscheinungen im Sinne einer Lichtdurchlässigkeit, sondern wird meist übertragen im Sinne von »Klarheit«, »Deutlichkeit« oder »Verständlichkeit« gebraucht.112 Der Begriff hat zusammen mit seinem physikalischen Gegenteil, der Opazität, seine Wurzeln in der Optik und fungiert zunächst als physikalischer Fachbegriff zur Beschreibung von Materialien und Körpern, z. B. Stoffen, Prismen oder Kristallen, und deren Verhältnis zu Licht. Mit ›Transparenz‹ sind also zuerst einmal Materialeigenschaften gemeint. Dem Wort Transparenz beziehungsweise transparency selbst bescheren indes in der Neuzeit naturwissenschaftliche Versuche zur Beschaffenheit von Licht erste Popularität:113 Isaac Newton schreibt in seinem Grundlagenwerk Opticks: or, a treatise of the reflections, refractions, inflections and colours of light114 über die Brechung der Strahlen in einem transparenten Medium oder Körper. Um Lichtstrahlen zu beobachten und zu lenken, dienten ihm durchsichtige Stoffe, wie etwa Glas oder Wasser. Dabei leitete er auch einen Lichtstrahl durch ein Prisma, um das Licht so in seine Farbbestandteile zu brechen. Durch seine Versuche mit Lichtstrahlen und Prismen entwickelt er eine einschlägige Theorie zur Beschaffenheit von Licht und Farben und entdeckt, dass weißes Licht die Summe aller Farben ist und dass die Empfindung und 50 | Begrifflichkeiten der Transparenz
Wahrnehmung von Farben mit solchen Lichtbrechungen zusammenhängt.115 Erst im 18. Jahrhundert vollzieht sich die Übertragung des Transparenzbegriffs, bis er im 19. Jahrhundert eine abstrakte Bedeutung mit Bezug auf Nicht-Gegenständliches erhält. Bis dahin wurde der Begriff fast ausschließlich für die Beschreibung von Materialien und Körpern verwendet – für Glas, Licht, aber auch durchsichtige Insekten oder Fische. Die gegenwärtige, moralisch-normative Bedeutung von Transparenz wiederum ist ein Ergebnis der metaphorischen Übertragung in den Bereich der Sozial- und Geisteswissenschaften und ihrer Themenfelder. So konnte der Transparenzbegriff die Grenzen der Optik überwinden und sich sowohl auf Politik und Wirtschaft als auch das Individuum beziehen.116
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7. Die Reichweite des Transparenzbegriffs
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ransparenz verweist, wie bis hier bereits deutlich wurde, auf mehr als eine bloße Zustandsbeschreibung. Der Begriff wurde aus historischen wie sozialen Gründen wirkmächtig und inzwischen in vielen, ganz unterschiedlichen Zusammenhängen gebraucht, sodass es kaum möglich erscheint, sich seiner Wirkung zu entziehen. Für diese umfassenden Bezugspunkte sprechen auch Veröffentlichungen etwa über die Transparenzgesellschaft117 oder den Transparenztraum118, denen ein Verständnis von Transparenz als einem gesellschaftsstrukturierenden Element gemeinsam ist, welches bestens in eine digitale und ökonomisch ausgerichtete Welt passt und damit auf die Individuen rückwirkt. Welche Reichweiten entwickelt der Begriff? Ich beschäftige mich hier vor allem mit seinem metaphorischen und ideologischen Potential. Im Mittelpunkt steht für mich dabei die Frage, ob es sich um einen deskriptiven oder einen normativen Begriff beziehungsweise ein entsprechendes Phänomen handelt. Bisher zeigte sich: Transparenz ist ein komplexes Gebilde. Einerseits beschreibt der Begriff einen Zustand der Durchsichtigkeit oder Durchschaubarkeit, andererseits gerät er zur Metapher, da in einem übertragenen, nicht mehr rein visuellen Sinn Durchschaubarkeit gemeint ist. In der Folge entwickelt sich Transparenz zur Ideologie. Im Zentrum solcher Transparenzbemühungen steht die Idee einer Nachvollziehbarkeit, etwa von Vorgängen oder Handlungen, welche rasch in Überwachung und Kontrolle münden kann. Der Begriff verbindet sich mit einer bis in die Antike reichenden Metaphorik von Licht, Sehen, Erkennen und Tugendhaftigkeit, was sich in Visualisierungen, baulichen Manifestationen und einem daran anschließenden Bildprogramm niederschlägt. Der Begriff oszilliert insofern stets zwischen Deskription und Metaphorik und entwickelt sogar eine ideologische Dynamik, da er kaum hinterfragbar scheint und, gerade und noch verstärkt im digitalen Zeitalter, auf alle Gesellschaftsbereiche verweist.
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Transparenz als Metapher Mit der Aufklärung, welche die Epoche der sich rasant entwickelnden Naturwissenschaften und damit auch Forschungen über das Licht begleitet, kommt es zu einer Moralisierung von Transparenz und Publizität. Damit einhergehend entsteht eine Metaphorik von hell und dunkel, von ›sichtbar‹, ›rein‹, ›wahr‹ und im Gegensatz dazu stehend ›unsichtbar‹, ›verwegen‹ und ›betrügerisch‹: »Das helle Licht der Vernunft, das Tageslicht der öffentlichen Auseinandersetzung, der freien Aussprache in privaten wie in öffentlichen Angelegenheiten avancierte im Laufe dieser Auseinandersetzungen zum Wert an sich.«119
Die bildhafte Verbindung der Vernunft, Öffentlichkeit, Erkenntnis und Licht verselbstständigte sich in der Epoche der Aufklärung in zunehmendem Maße. Nach und nach erhält der Transparenzbegriff eine abstrakte Bedeutung mit Bezug auf Nicht-Gegenständliches. Das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache macht den metaphorischen Gebrauch im Sinne von ›klar‹, ›deutlich‹, ›einleuchtend‹ und ›verständlich‹ am Ausgang des 18. Jahrhunderts fest: Populär wird ›etwas transparent machen‹ im Sinne von ›einsehbar, durchschaubar machen‹ im 20. Jahrhundert.120 Der Transparenzbegriff überträgt sich gewissermaßen aus der Physik auf die Sozial- und Geisteswissenschaften. Dabei sind sowohl etymologische als auch metaphorische Bedeutung eng mit dem Licht verzahnt – eine Verbindung, die bis in die Antike reicht, in der Sehen und Licht von Platon mit der Erkenntnis des Wahren und der Ideen verbunden wurden.121 Mit der Aufklärung reaktiviert sich diese Metaphorik in Abgrenzung zum vermeintlich ›dunklen Mittelalter‹.122 Es kommt zu einer Verherrlichung des Hellen, Lichten und zugleich Wahrhaftigen sowie zu einer Abwertung des Verborgenen, Dunklen, Geheimen und Bösen. Das Geheime erhält den Anschein des Sinistren und wird moralisch diskreditiert.123 Sichtbarkeit und Licht werden so zu Sinnbildern von Erkenntnis und Moralität. Die Licht-Metapher unterscheidet sich dabei jedoch, wie Byung-Chul Han zu bedenken gibt, in einem wichtigen Punkt von Transparenz – nämlich in ihrer Wirkungsrichtung. Transparenz sei kein erhellendes Licht, 54 | Die Reichweite des Transparenzbegriffs
sondern eine Art »lichtlose Strahlung«124, die Dinge durchdringe und durchsichtig mache. In der Licht-Metapher ist der Schatten stets präsent – in der Metaphorik der Transparenz verschwindet er jedoch. Transparenz lässt die Objekte, Institutionen oder Personen selbst gleichzeitig sichtbar wie auch durchsichtig werden. So verweist sie einerseits auf das Durchlässige und damit das sichtbar Machende und andererseits auf das unsichtbar Machende. Wo Sichtbarkeit herrscht, entsteht gleichwohl an anderer Stelle Unsichtbarkeit. Hierzu passt die Eigenschaft des Lichts, zugleich Welle und Teilchen zu sein und damit vermeintliche Gegensätze in sich zu vereinen. Ist von Transparenz die Rede, steht der Aspekt der Sichtbarkeit im Mittelpunkt sowie Metaphern des Sehens und des Visuellen. Transparenz beschreibt nicht den direkten und unverstellten Blick, sondern einen Mechanismus zur Sichtbarmachung, der moralisch aufgeladen wird. Der Diskurs über Glas und seine materialen Eigenschaften, die einerseits durchsichtig sind und andererseits spiegeln und damit – etwa im Dunkeln – nicht unbedingt sichtbar machen, schließt hieran an. Das Verhältnis von Unsichtbarkeit, Opazität und Transparenz verweist auf die Komplexität dieser Begriffe, ihrer zahlreichen Bedeutungsebenen und ihrer Zusammenhänge. Im alltäglichen Sprachgebrauch meint ›transparent‹ allerdings nicht allein das Gegenteil von Unsichtbarkeit: Es geht um Sichtbarkeit in einem übertragenen, abstrahierten Sinn. Dabei verschwindet das Medium, welches eigentlich Sichtbarkeit ermöglicht, selbst in der Unsichtbarkeit. Dabei muss unterschieden werden, ob Transparenz oder Sichtbarkeit angestrebt wird. Armando Menéndez-Viso bezeichnet diese beiden Begriffe sogar als Gegenteile:125 Durch die Übertragung des Transparenzbegriffs auf soziale Sachverhalte verwandle er sich zu einer moralischen Metapher. Das Sprechen von Transparenz überträgt damit Sichtbarkeits-Annahmen auf Politik und Demokratie, wobei es stets zwischen bildlicher und abstrakter Bedeutung changiert. Das Versprechen demokratischer Öffentlichkeit verschmilzt mit der Bildlichkeit und Materialität von Transparenz. Menéndez-Viso verdeutlicht den metaphorischen Stellenwert für Optimierung und Zukunftsorientierung, für demokratische Kontrolle und Verantwortung. Transparenz ist daher ein positiv besetzter Begriff – eine gute, vertrauenswürdige Institution müsse Transparenz als Metapher | 55
transparent sein, um Geltungsansprüche vertreten zu können. Er macht jedoch die Forderung nach transparenten Institutionen als metaphorischen Gebrauch des Begriffs aus, der jedoch selbst wiederum kaum transparent erscheint.126 So ist, wie etwa Max-Otto Baumann diagnostiziert, »Transparenz […] eine merkwürdige Metapher: Der transparente Körper wird, insofern er durchsichtig ist, selbst unsichtbar. Er verschwindet im Blick des Betrachters. Genau dies könnte die praktische Wirkung von Transparenz in der Politik sein. […] Je schärfer ein Detail betrachtet wird, desto mehr geraten die Strukturen aus dem Blick.«127
Da Transparenz im Sinne von Durchsichtigkeit auch ein Verschwinden von Strukturen zur Folge haben kann, verleitet der Begriff gewissermaßen dazu, die Grenze zwischen Sichtbarmachen und Unsichtbarmachen zu verunklaren. Positiv besetzt erscheint sie als Erfordernis von Gesellschaften, die sich als liberal, demokratisch, aber auch formalisiert verstehen. Anhand der Verwurzelung in der Metaphorik von Sehen und Unsichtbarkeit zeigt sich, dass Transparenz kein bloß beschreibender Begriff ist, sondern ein normativ aufgeladenes Phänomen sowie ein ›dichtes‹ Konzept. Dichte Begriffe verbinden deskriptive und normative Elemente: Der Terminus wurde von Bernard Williams auf die Ethik übertragen und bezeichnet Begriffe, die – wie Transparenz – bewertende, beschreibende und kulturell geprägte Dimensionen mittransportieren, in denen also normative und deskriptive Aspekte untrennbar verbunden sind.128 Wenn von Transparenz die Rede ist, handelt es sich um eine aus der Wahrnehmung transparenter Phänomene abstrahierte Vorstellung, die nicht ausschließlich beschreibender Begriff oder normatives Phänomen ist und sich so mit einem äußerst weiten Bedeutungs- und Konnotationsspektrum durchaus anschlussfähig zeigt für eine große Bandbreite an Disziplinen.
56 | Die Reichweite des Transparenzbegriffs
Transparenz als Ideologie Der Transparenzbegriff beschreibt nicht nur digitale Öffentlichkeiten oder den Verlust der Privatsphäre, er ist auch nicht einmal nur eine Metapher für Moralität und Demokratie, sondern er trägt, so meine Argumentation, ideologischen Charakter. Der gegenwärtige Medienwandel lässt Transparenz zur Ideologie einer Zeit werden, die sich selbst gerne als post-ideologisch begreift: Transparenz nimmt dabei für sich in Anspruch, Neutralität zu verkörpern.129 Wenn ich Transparenz als Ideologie bezeichne, die ja mitunter zwischen politisch-alltagssprachlichem Schlagwort und wissenschaftlichem Analysebegriff pendelt, so meine ich eine gemeinschaftliche Überzeugung über die Welt, die normative Orientierung gibt und kaum hinterfragbar ist. Der Ideologiebegriff fasst so ein gesellschaftliches System von Überzeugungen zusammen, mit dem Machtverhältnisse legitimiert und reproduziert werden (können). Harald Homann beschreibt ›Ideologie‹ als Bezeichnung von Ideen, Ideensystemen und Weltanschauungswissen, das ein von den Mitgliedern einer Gruppe – etwa einer Gesellschaft – geteiltes System von Überzeugungen darstellt, welches mit absoluten Wahrheitsansprüchen auftrete.130 Beate Rössler gibt zu bedenken, dass Ideologien ein potentiell repressiver Charakter innewohnt.131 Byung-Chul Han hebt diesen Charakter in Bezug auf Transparenz sogar – durchaus polemisch – hervor.132 Zumindest wird im Begriff der Transparenz eine Ambivalenz deutlich. Zunehmend gewinnt eine gesellschaftliche Norm an Boden, nach der Informationen transparent zu machen und zu teilen sind sowie auf Privatsphäre zu verzichten ist. Dieses Verhalten ist praktisch bereits fester Bestandteil eines digitalen Alltags, wodurch sich eine gesamtgesellschaftliche Ausrichtung auf Transparenz vollzieht. Letztere stellt damit eine Grundlage sozialen wie kommunikativen Handelns im Internet dar.133 So entwickelt sich allgemein die Annahme, jedeR dürfe alles von Anderen wissen – und dies bringt einen grundlegenden gesellschaftlich-normativen Wandel mit sich. Die digitale Medienlogik forciert eine Transparenzideologie und implementiert diese bis in den privaten Bereich. Insgesamt ist Transparenz als gesellschaftliche Ideologie daher prägend für moderne Lebenswelten und kann dabei zudem nur schwer hinterfragt werden: Emmanuel Transparenz als Ideologie | 57
Alloa bezeichnet Transparenz als breiten gesellschaftlichen Konsens, als magisches Konzept (dabei ihren normativen Charakter verdeutlichend) und sogar als unausweichliche Ideologie.134 Transparenz alterniere ständig zwischen einer Zustandsbeschreibung und einer Anforderung an die Zukunft, einem Ausdruck aus der Optik und einer metaphorischen Versprechung.135 Ganz im Sinne eines deus ex machina des antiken Bühnenapparats, der am Ende einer Tragödie den Gott hereinschweben lässt, damit dieser durch seine Worte die verworrenen menschlichen Intrigen schlichte, verspricht der Begriff der Transparenz, relevante gesellschaftliche Probleme und Dilemmata zu lösen, wobei er zwar positiv konnotiert ist, dabei jedoch hochgradig abstrakt bleibt. Dies erschwert es folglich enorm, sich dagegen zu positionieren. Gleichzeitig sei, so Alloa, solchen magischen Begriffen eine gewisse Unbestimmtheit eigen, was sie dafür anfällig mache, zu pauschalen gesellschaftlichen Schlagworten zu werden. Als weitere derartige Begriffe nennt er neben Transparenz etwa Netzwerk, Innovation oder governance, wobei bei letzterem Begriff der Schlagwortcharakter schon daran deutlich wird, dass es keine überzeugende Übertragung des Begriffs ins Deutsche gibt, er aber trotzdem äußerst einflussreich in den Politikwissenschaften sowie darüber hinaus wurde. Governance bezeichnet in einem breiteren Sinne Konstellationen aus staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren, die regierende und regulierende Funktionen erfüllen. Der Begriff führt demnach weg von einer ausschließlichen Fokussierung auf staatliches Handeln und ermöglicht es, internationale Organisationen oder zivilgesellschaftliche Akteure in politikwissenschaftliche Analysen zu integrieren.136 Solche Schlagworte sind gleichermaßen attraktiv und anschlussfähig für wissenschaftliche wie politischgesellschaftliche Diskurse. Dem Transparenzbegriff diagnostiziert Alloa eine bereits vollzogene Mutation zum ideologischen Begriff, da er breit, normativ attraktiv und vermarktbar sei, auf große Zustimmung treffe und Modernität, Optimierung und Zukunft assoziieren lasse.137 Doch wenn Forderungen nach mehr Transparenz nicht auf ihre Motivationen und Zielrichtungen hinterfragt werden, verbleibt paradoxerweise die Transparenz selbst im Opaken. Durch ihren umfassenden, ideologischen Charakter greifen Transparenzforderungen über auf (fast) alle Lebensbereiche: Die Meta58 | Die Reichweite des Transparenzbegriffs
pher enthält zugleich das Ideal wie die Lösung von Problemen moderner, demokratischer und digitaler Gesellschaften. In beiden Bezugssystemen einer Transparenzideologie – bezogen auf den Staat wie auf das Individuum – erhält sie eine umfassende Eigendynamik, die schwer zurückzuweisen ist. Sobald sich Transparenz in eine Ideologie der Selbst- und Fremdüberwachung und -kontrolle entwickelt, droht sie totalitär, also umfassend, zu werden: Byung-Chul Han bezeichnet Transparenz als »systemische[n] Zwang, der alle gesellschaftlichen Vorgänge erfasst und sie einer tiefgreifenden Veränderung unterwirft«.138 Er sieht in einem Zwang zur Transparenz die weit fortgeschrittene Manifestation ihrer Ideologisierung. Sie beinhaltet dann eben nicht nur die demokratische Grundforderung zur Offenlegung staatlicher Geheimhaltung, sondern umfasst die Gesellschaft als Ganze. Drohende Enttäuschung angesichts eines derart aufgeladenen Begriffs scheint dabei vorprogrammiert, wenn Transparenz als materiale Metapher an Institutionen, Organisationen, Personen und Verhaltensweisen anknüpft, die per definitionem nicht transparent sein können. Transparenz verkörpert damit mehr als eine bloße Beschreibung von gesellschaftlichen Forderungen oder demokratischen Strukturen. Sie versucht, zugleich Leitbild und Ideologie einer modernen digitalen demokratischen Gesellschaft zu sein. Dafür ist die Metapher der Transparenz besser geeignet als die Vorstellungen von Öffentlichkeit oder Publizität beziehungsweise von publicity, wie Sandrine Baume zeigt.139 So ermöglicht Transparenz eine vielseitige Anwendbarkeit auf die verschiedensten Bereiche und Bedeutungszusammenhänge im Digitalen. Die als Ideologie verstandene Transparenznorm befindet sich ideen- und sozialgeschichtlich insofern in einem Zwiespalt zwischen der Ablehnung des Geheimnisses zum einen und der Forderung nach staatlicher Offenheit zum anderen. Sie dient, bezogen auf den Staat, zu dessen Kontrolle und ist dabei durchaus ambivalent zu bewerten: Transparenz scheint zu einem bedeutenden Instrument bestimmter AkteurInnen geworden zu sein, das Richtige und Gute für sich in Anspruch zu nehmen, stellt jedoch keinen Wert an sich dar. So verbergen sich teilweise andere Werte hinter der Transparenz – wie etwa Ehrlichkeit, Fairness, Effizienz oder Partizipation. Der Kern der Demokratie liegt jedoch nicht im bloßen Sehen, sondern im ge Transparenz als Ideologie | 59
samtgesellschaftlichen Austausch sowie im öffentlichen Räsonne ment. Derweil entwickelt sich die informationelle Selbstentblößung zur Norm und zum Charakteristikum vernetzter Lebensweisen. Transparenz als Ideologie zeichnet sich demnach aus durch die Verbindung eines demokratischen common sense der institutionellen Transparenz mit einer digitalen Medienlogik und einer freiwilligen Selbstvermessung, -entblößung und Datenpreisgabe. Interessant ist hierbei, dass zahlreiche AutorInnen die Wirkweise von Transparenz mit metaphysischen, über den Menschen hinausweisenden Erläuterungen zu fassen versuchen und sich selbst ziemlich metaphorisch ausdrücken. So erhält Transparenz eine neue Nähe zum Heiligen, quasi-Religiösen und Magischen, sie steht als Heilmittel oder Zauberformel da. Diese geheimnisvoll-irrationale Überhöhung unterstreicht meines Erachtens klar ihren Ideologiecharakter.
60 | Die Reichweite des Transparenzbegriffs
8. Transparenz als Gegenbegriff zur Geheimhaltung
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ie Idee der Transparenz in Bezug auf den Staat ist eng mit dem ideengeschichtlichen Übergang zur Demokratie verbunden. Da Transparenz jedoch kein feststehender Begriff der (politischen) Philosophietradition ist, muss zuerst die zugrundeliegende Denkbewegung rekonstruiert werden, die weiter zurückreicht, als der Begriffsgebrauch vermuten lässt.140 Hierbei spielt ein zentraler Gegenbegriff zu Transparenz eine wichtige Rolle: die Geheimhaltung beziehungsweise das Staatsgeheimnis. Die Denkbewegung der Transparenz entwickelt sich nämlich aus ihrem Antagonismus zur Geheimhaltung – ihr Ursprung liegt im Prinzip der Publizität bei Kant, das in der Folge umfangreich weiterentwickelt werden sollte. Der kantische Begriff der Publizität stellt das theoretische Scharnier zwischen dem absoluten Staat, der Geheimhaltung als Staatsdoktrin behandelte, und den entstehenden liberalen Demokratien dar. Insofern bildet die Publizität einen Vorläuferbegriff der Öffentlichkeit. Dieser Begriff wiederum entstand im Deutschen eigenständig seit dem 18. Jahrhundert. Publizität entwickelte sich über verschiedene Konzeptionen von ›Öffentlichkeit‹ zur Transparenz weiter, wobei mit letzterem Begriff andere Aspekte als zuvor hervorgehoben und ein anderer und neuer Fokus gesetzt wird. Allen Konzeptionen gemeinsam ist die Ablehnung von staatlicher Geheimhaltung. Diese zurückzuweisen und vom Staat Öffentlichkeit und Publizität zu fordern, war ein Meilenstein des politischen Denkens. Mit dem Publizitätsprinzip ist das Fundament für eine Demokratietheorie des Staates gelegt, die sich sodann im Zuge der Aufklärung als Idee und Praxis formierte und auch verwirklichte. Die Rechtfertigungspflicht der Politik gegenüber den BürgerInnen stellt aus dieser Tradition heraus ein Kernelement liberaler Demokratien dar. Gleichwohl muss stets die »Balance zwischen Diskretion und Transparenz, Offenheit und Vertraulichkeit«141 gewahrt bleiben. Lucian Hölscher zeigt in seiner begriffsgeschichtlichen Untersuchung, wie sich der Gegensatz zwischen Öffentlichkeit und 61
Geheimhaltung historisch verändert hat.142 Er beobachtet dabei eine Verschiebung der antithetischen Gegenbegriffe Öffentlichkeit und Geheimnis hin zum Antagonismus Öffentlichkeit – Privatheit. Dieser Beobachtung Hölschers folgend untersuche ich das Spannungsverhältnis zwischen Transparenz und Geheimnis und zwischen Transparenz und Privatheit. ›Geheimhaltung/Geheimnis‹ fungiert aus dieser Perspektive als angemessener Gegenbegriff zu einem Transparenzbegriff, der sich aus dem Begriff der ›Öffentlichkeit‹ entwickelt hat. Privatheit hingegen fungiert als Gegenbegriff zu einer Transparenz des Individuums. Der Gegensatz zwischen Geheimhaltung und Öffentlichkeit beziehungsweise Transparenz rührt aus der strukturellen Intransparenz des Staates her, deren Ursprung im Nationalstaat des absolutistischen Europas zu suchen ist. Die Entwicklung großflächiger Nationalstaaten aus den Ständegesellschaften des Mittelalters sorgte dafür, dass Geheimhaltung auf staatlicher Ebene eine zentrale Rolle für die Theorie und Praxis des Regierens spielte und dem Staat noch bis heute in Teilen zu eigen ist.143 Der jahrhundertelange Erfolg und die Wirkmächtigkeit des Konzepts der politischen Geheimhaltung sind vor allem mit drei Gründen zu erklären: erstens mit einer Konzeption von Geheimhaltung als politischer Klugheit, die – zweitens – mit einer religiösen Dimension verschränkt wurde. So wurde die Macht der Herrschenden auf theoretischer Ebene dadurch legitimiert, dass sie im Geheimen, Arkanen und Heiligen stattfand. Drittens bestand (noch) keine Vorstellung von einer Rechtfertigungspflicht der Herrschenden gegenüber den BürgerInnen als UntertanInnen, wodurch die Geheimhaltung politischer Vorgänge kaum in Frage gestellt wurde. In der absolutistischen »Blütezeit des Staatsgeheimnisses«144 wurde die Geheimhaltung in der Politik zur Staatslehre. Dies änderte sich erst mit einem demokratischen Staatsverständnis, welches mit einem solchen Konzept von Staatlichkeit in Konflikt steht. Allein die ideologisch-religiös abgesicherte Dominanz der Geheimhaltung lässt das Staats- und Verwaltungsgeheimnis bis heute als Norm fortwirken, da auch in der Demokratie Politik noch als strategisches Handeln verstanden werden kann, das die Geheimhaltung bis zu einem gewissen Grad benötigt.
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Geheimhaltung als absichtliches Verbergen Zunächst zu den Begriffen der Geheimhaltung und des Staatsgeheimnisses: Sissela Bok bemüht sich in ihrem Buch Secrets. On the Ethics of Concealment and Revelation (1983) um eine Definition von secret und secrecy, also des Geheimnisses und der Geheimhaltung, sowie um eine umfassende Verortung derselben in fast allen Lebensbereichen. Bok führt aus, welche unterschiedlichen Bedeutungsfacetten dem Geheimnis und der Geheimhaltung sowie secret/secrecy innewohnen. Dabei stellt sie fest, dass das Geheimnis eng verbunden ist mit Vorwürfen, Verdächtigungen oder Täuschung, weshalb Bok an einer neutralen Definition von secrecy als ›absichtlichem Verbergen‹ gelegen ist.145 Ein populäres zeitgenössisches Verständnis verbinde teilweise das Geheime mit dem Bösen und mache es so verdächtig. Das Geheimnis – auf staatlicher wie auf persönlicher Ebene – habe sich daher zu etwas Negativem gewandelt. Dabei werde Transparenz hingegen als ein Mechanismus gegen Geheimhaltung begriffen. Als Kerneigenschaft des Geheimen macht Bok das »intentional concealment«146, also ein bewusstes Verbergen einer Information oder eines Sachverhaltes vor anderen, aus. In einem ersten Schritt schlüsselt sie die etymologischen Wurzeln auf. Das englische secret/ secrecy lasse sich auf das lateinische secernere zurückführen, was »absondern, trennen, unterscheiden« heißt. Das Verbergen und Geheimhalten sei ein trennender Vorgang zwischen dem Geheimen und Nicht-Geheimen, den Bescheid-Wissenden und den Nicht- Bescheid-Wissenden. Dem Geheimnis wohne auch immer die Mög lichkeit inne, entdeckt oder aufgedeckt zu werden, sich also vom Geheimnis zum Nicht-mehr-Geheimen zu wandeln. Dieses Trennen zwischen zwei Bereichen macht für Bok die Geheimhaltung zu einem Akt bewussten Handelns.147 Im deutschen Wort der Geheimhaltung wird dies deutlich, da es ein aktives Tun beschreibt; etwas muss durch ein gewisses Zutun geheim gehalten werden. Die deutsche Sprachwurzel des Geheimnisses/der Geheimhaltung verweist auf das ›Heim‹ und hängt mit ›Heimlichkeit‹ zusammen.148 Bok verfolgt diese Etymologie bis ins Indogermanische.149 Das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache definiert das Geheimnis als »etw[as], was nur wenigen Geheimhaltung als absichtliches Verbergen | 63
oder niemandem bekannt werden darf«150. Erst im 17. Jahrhundert entwickelt es sich zum Gegenbegriff des Öffentlichen. Weitere Dimensionen und Aspekte, die dem Geheimnis innewohnen, sind die des Heiligen, Intimen, Privaten, des Schweigens, des Verbotenen, Heimlichen und der Täuschung.151 Diese zahlreichen, sich teils ergänzenden, teils widersprechenden Aspekte zeigen sich in den Begriffen für Geheimnis/Geheimhaltung und secret/secrecy selbst, wie Bok die enge historische Verbundenheit und etymologische Verwandtschaft des Geheimen mit dem Heiligen (lat. arcanum) beschreibt. Zudem sei auch die Verbindung des Geheimen mit der Täuschung eng, was das Geheimnis und die Geheimhaltung entweder zu einem positiven, heiligen oder negativ konnotierten, gefährlichen Begriff habe werden lassen. Interessanterweise lassen sich ähnliche normative Aufladungen von Begriffen auch in Bezug auf Transparenz oder das Private beobachten. Bok bemüht sich um eine neutrale Definition, die keinen der Bedeutungsaspekte überbetont, jedoch auch keinen außen vorlässt. Die ausführliche Abwägung der verschiedenen Bedeutungsdimensionen führt sie zusammenfassend zu einer knappen Definition des Geheimnisses als intentional concealment. Mit diesem ›absichtlichen Verbergen‹ betont Bok keinen der verschiedenen Bedeutungsaspekte übermäßig und verhindert so eine falsche Engführung des Begriffs hin zu Privatheit, Täuschung oder Scham, die zwar häufig, aber eben nicht immer mit Geheimhaltung einhergehen. Nur mit einer wertneutralen Definition könnten nämlich die moralischen Fragen, die sich an Geheimnis und Geheimhaltung anschließen, angegangen werden, da beide äußerst normative Begriffe sind und verschiedene Bedeutungsebenen und -konnotationen in sich vereinen. Je nach Kontext, Sprachgebrauch und gegebenenfalls SprecherIn vermischen und überlappen sich diese. Einer solchen Normativität muss im Sprachgebrauch Rechnung getragen werden. Außerdem spielen Geheimnis und Geheimhaltung auch in Bezug auf das Individuum eine große Rolle. Geheimhaltung entwickelte sich nicht nur zum politischen Gebot, sondern Verschwiegenheit wurde auch im Privaten als Tugend und kluges Verhalten aufgefasst. So entstand ein Ideal der strategischen individuellen Kommunikation, gegen das sich etwa Jean-Jacques Rousseau richtet, wenn er sich mit der Transparenz des Einzelnen beschäftigt. 64 | Transparenz als Gegenbegriff zur Geheimhaltung
Rousseau entwickelt die Vorstellung einer Transparenz des Individuums, die sehr zeitverbunden als Gegenentwurf zu einer Geheimhaltung auf persönlicher Ebene zu verstehen ist. Vincent Rzepka führt den Zusammenhang von Sichtbarkeit und Tugend auf Rousseau zurück, bei dem bereits die Bipolarität des Transparenzbegriffs in einer individuellen und einer politischen Dimension angelegt ist.152 Ein weiterer wichtiger Autor, der über das individuelle Geheimnis und seine gesellschaftlichen Funktionen geschrieben hat, ist Georg Simmel: Für Simmel stellt das Geheimhalten vor Anderen eine Grundlage des menschlichen Zusammenlebens dar, eine Errungenschaft, die ein vielschichtiges Leben und Miteinander ermögliche. Auch im historischen Rückblick erkennt er ein stetes gesellschaftliches Aushandeln dessen, was geheim zu sein habe.153 Geheimhaltung stellt ein gängiges Phänomen dar, sowohl im zwischenmenschlichen Bereich als auch demjenigen von Institutionen und Verwaltungen. Ziel der Geheimhaltung, also des absichtlichen Verbergens, ist der Schutz von sensiblen Informationen aus dem Interesse heraus, sie einem Anderen vorzuenthalten. Ich möchte mich an dieser Stelle jedoch auf das Geheimnis im staatlich-politischen Sinne konzentrieren.
Politische Geheimhaltung Die staatliche Geheimhaltung154 bildet den Gegenpol zu Transparenz und Öffentlichkeit. Auch im demokratischen Staatsverständnis gibt es allerdings noch immer Elemente staatlicher Geheimhaltung.155 Gerade in einer Demokratie ist es äußerst umstritten, ob Geheimhaltung den Normalfall oder die Ausnahme darstellt oder darstellen soll und ob sie als notwendig oder verwerflich anzusehen ist. Indessen lässt sich die Entwicklung politischer Geheimhaltung vom Absolutismus zur Demokratie und von einer ideologischen zu einer instrumentellen Geheimhaltung nachzeichnen. Staatliche Informationen, und zwar solche über den Staat wie auch solche des Staates über seine BürgerInnen, waren seit der Entstehung des Nationalstaats über Jahrhunderte selbstverständlich geheim.156 Die Herrschenden und das Politische im Ganzen waren unzugänglich, weswegen zwischen ihnen und dem Volk keine Verbindung be Politische Geheimhaltung | 65
stand. Somit bestand auch keine Rechenschaftspflicht vonseiten der Herrschenden gegenüber dem Volk. Ideengeschichtlich, meint der italienische Philosoph Remo Bodei, sei »[s]ecrecy […] a defining element in the politics of reasons of state«.157 Die Geheimhaltung sei also ein zentrales Element der Staatsräson und damit einer – so verstandenen – Kunst des Regierens.
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9. Zwei widerstreitende Prinzipien: Geheimhaltung und Veröffentlichung
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urück zum Begriff der Transparenz: ›Geheimhaltung‹ bildet im politisch-philosophischen Sinne also den Gegenbegriff zur Transparenz, selbst wenn beide Begriffe, wie Dorothee Riese zu bedenken gibt, vielleicht keinen idealen Antagonismus darstellen. Trotzdem »steht Geheimhaltung doch in einem grundsätzlichen Spannungsverhältnis zu demokratisch begründeten Transparenzforderungen«.158 Dabei lässt sich eine »staatsmetaphysische Bedeutung des Geheimnisses«159 feststellen, das insofern historisch positiv konnotiert war, als es um die Sicherung des Staates und einer stabilen Regierung ging. Dies stellt einen fundamentalen Unterschied zur heutigen Per spektive auf das Geheimnis dar. Und doch besteht auch in Demokratien ein ständiges Spannungsverhältnis zwischen Veröffentlichung, Transparenz und Geheimhaltung. Demokratietheoretisch muss für Zugänglichkeit und Veröffentlichung argumentiert werden, staatstheoretisch eher für Geheimhaltung. Gegenwärtige Transparenzbestrebungen berühren genau dieses Spannungsfeld, in dem sich demokratische Staaten auf philosophisch-theoretischer Ebene befinden. Sie sind in einer staatstheoretischen Tradition des Staatsgeheimnisses verwurzelt, sollen aber als Demokratien, in denen die BürgerInnen Souverän sind, offen, nachvollziehbar und zugänglich sein. Die normative Ambivalenz zwischen Transparenz und Geheimhaltung ist somit nicht auflösbar, sondern muss beständig verhandelt werden. Das Schlagwort der Transparenz bündelt diese mehrdeutigen Anforderungen und wird zum Gegenbegriff zur Geheimhaltung. Politik war historisch als geheim verstanden worden und erst mit der Entstehung liberaler Ideen entwickelten sich konkrete Demokratiebestrebungen und damit die Denkbewegung der ›Publizität‹ aus der Ablehnung von Geheimhaltung als Praxis und als theoretischem Konzept. Die Sakralisierung eines eine bestimmte Ideologie verfolgenden Begriffes und seine Überhöhung sind dabei eine Strategie, die nichts 67
an Aktualität eingebüßt hat und die nicht nur die Herrschenden von Gottes Gnaden legitimierte, sondern bis heute funktioniert. So erhielt mit der Aufklärung der Begriff der ›Öffentlichkeit‹ sowie der der ›Publizität‹ eine vergleichbare normativ-metaphorische Überhöhung wie vormals das Geheimnis, wie Lucian Hölscher betont: ›Geheimnis‹ und ›Öffentlichkeit‹ seien mit austauschbaren und schwammigen Bedeutungen aufgeladen. Dies führe dazu, dass sie zu Schlagwörtern mutierten, die mit der Aufklärung bisherige Bewertungsmaßstäbe in ihre Gegenteile verkehrten. So wurde das Geheimnis massiv abgewertet und negativ mit Elend, Dunkelheit und moralischem Verfall konnotiert, während die Öffentlichkeit zum moralischen Vorbild stilisiert wurde, das Tugendhaftigkeit, Freiheit und Reichtum fördere.160 Für Hölscher setzt diese Entwicklung vor allem in der Spätaufklärung zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein. Aus dieser Tradition der Begriffsdeutung und -bewertung der Aufklärung heraus lässt sich bis heute beobachten, dass sich auch der Transparenzbegriff zu einem normativen, überhöhten Begriff wandelt, der mit Rechtschaffenheit, Demokratie und Rationalität verbunden ist.
Historischer Rückgriff: Arkanpolitik – Arcana Imperii Geheimnisse und Geheimhaltung auf staatlicher Ebene spielten über Jahrhunderte eine zentrale Rolle für Regierungspraxis wie -theorie. Für das Mittelalter werden Herrschaftsausübung und -legi timation oftmals als erfahrbar und nachvollziehbar beschrieben, als gewissermaßen öffentlich in einer frühen, wenn auch anachronistischen Form, da der Begriff der ›Öffentlichkeit‹ selbst noch unbekannt beziehungsweise ungebräuchlich war und erst in der Neuzeit aufkam. Umberto Eco beschreibt in seiner Abhandlung zu Kunst und Schönheit im Mittelalter dieses als Zeitalter der »symbolisch-allegorischen Weltbetrachtung«161, in dem die Welt voll von Symbolen und doppeltem Sinn gewesen sei. Er sieht diese Bedeutungsaufladung und Symbolik als Reaktion auf ein Krisen- und Bedrohungsgefühl, welches im Mittelalter, vor allem um die Jahrtausendwende (um 1000 n. Chr.), bestanden habe. Herrschaft wurde, so Eco, mit68 | Geheimhaltung und Veröffentlichung
hilfe allgemein verständlicher und dechiffrierbarer Symbole ausgeübt. Malerei habe gewissermaßen als ›Literatur für Laien‹ die Aufgabe erfüllt, komplexe Welt- und Glaubenszusammenhänge durch symbolische Zuordnung zu veranschaulichen. Durch diese ubiquitäre Symbolik sei die Welt daher eine doppelte gewesen – nämlich eine Welt des Sichtbaren und des Unsichtbaren, in der gewissermaßen Gott mit der Welt sprechen und Hoffnung als Antwort auf das Krisengefühl vermitteln konnte.162 In Dingen und Gegenständen habe sich stets das Göttliche manifestiert, wodurch allerdings der Bezug zur Realität deformiert wurde, weil sich so die Unterscheidung zwischen Dingen und Erkenntnis verunklart habe. Eco spricht insofern von einer »primitiven Mentalität«163 des Mittel alters. Das Mittelalter kann daher als Epoche der Sichtbarkeit begriffen werden, in der Geheimhaltung als politisch-religiöse Praxis noch keine Rolle spielte. Das Arkanum der Macht, also der Geheimbereich des Regierens, gilt als eine Entwicklung der Neuzeit, als aus den Ständegesellschaften des Mittelalters großflächige Nationalstaaten entstanden. Zu einem positiven, dezidiert politischen Begriff der Regierungslehre entwickelten sich Geheimnis und Geheimhaltung also mit der Genese des absolutistischen Nationalstaats. Mit der Herausbildung der Nationalstaaten und des Absolutismus als Herrschaftsform in Europa rückten Herrschaft, Gerichtsbarkeit und politische Macht aus dem Blickfeld des Volks heraus ins Verborgene.164 Bis ins 18. Jahrhundert hinein, in welchem sich erst langsam und Schritt für Schritt der frühe liberale Rechtsstaat etablierte, waren staatliche Informationen stets geheim. Die Verbindung von Herrschaft und Geheimnis wird so mit dem Absolutismus zum zentralen Thema der politischen Theorie und Reflexion. Das Geheimnis entwickelte sich zum Zeichen und Inbegriff zeitgemäßer politischer Klugheit. Zugleich legitimierte dieses Denken auch die Täuschung als angemessenes Mittel von Politik. Hierzu leisteten Denker des 15. und 16. Jahrhunderts wie Niccolò Machiavelli oder Arnoldus Clapmarius maßgebliche theoretische Grundlagen: Bei Machiavelli vermischt sich die Geheimhaltungslehre mit dem unbedingten Ziel des Staats- und Machterhalts. Dabei betont er die Wichtigkeit und Nützlichkeit des Geheimnisses für die Herrschenden.165 In den deutschsprachigen Arkanpolitik – Arcana Imperii | 69
Raum implementierte hingegen Clapmarius die politische Lehre der Staatsräson und begründete damit in der Folge eine umfangreiche theoretische Auseinandersetzung.166 Staatsgeheimnisse stellten für ihn ein probates, notwendiges Instrument von Politik und Herrschaft dar, um öffentliche Ordnung und Stabilität zu gewährleisten.167 Herrschaft wurde aufgefasst und formuliert als die Aufgabe eines Einzelnen und seiner Vertrauten, wobei eine Vermittlung zwischen Herrschaft und Beherrschten kaum stattfand. Im Absolutismus waren politische Entscheidungen allein in Fürstenhand und damit geheim; Politik fand im arcanum von Macht und Herrschaft statt.168 Mit der Entstehung des absolutistischen Staates wurde Geheimhaltung jedoch nicht nur zu einer politischen Praxis, sondern auch zu einer Ideologie und zur Staatsdoktrin. Zusammen mit den Begriffen der ›Souveränität‹ und der ›Staatsräson‹ wurden die arcana imperii zum zentralen theoretischen Begriff der Staatslehre und der politischen Theorie.169 Die Lehre von der Geheimhaltung des ›Innersten‹ des Staates wurde zu Beginn der Neuzeit zur Lehre vom geschickten und erfolgreichen Regieren. Die geheime Herrschaft wurde zu einer Ideologie, zur Versicherung ihres eigenen Funktionierens und zum Synonym für politische Klugheit – darauf verweist noch der ›Geheimrat‹, eine Amtsbezeichnung, die »ihren Träger als Teilhaber eines Geheimnisses aus[zeichnete], das die Sphäre politischer Herrschaft bis zum Ende des 18. Jahrhunderts selbstverständlich umgab«.170 Zudem diente die Betonung des Geheimnisvollen und Unzugänglichen in der Neuzeit auch einer Überhöhung und göttlichen Absicherung der Herrschaft und der Herrschenden. Es kommt daher zu einer Verflechtung des Arkanen mit dem Sakralen, des Geheimen also mit dem Heiligen. Geheimhaltung wurde daher zu einem Merkmal politischer Klugheit und sie unterstrich zudem die gottgegebene und dadurch legitimierte Macht weltlicher HerrscherInnen. Geheimhaltung sicherte die Regierung im Verbund mit göttlicher Legitimation.
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Geheimhaltung in der Demokratie Mit der Aufklärung und dem damit verbundenen allmählichen Aufkommen liberalen und demokratischen Gedankenguts ändern sich wiederum der Stellenwert der Geheimhaltung und ihre Bewertung. Als politische Begriffe verloren Geheimnis und Geheimhaltung massiv an Bedeutung, stellt Lucian Hölscher fest, da sie einer »universale[n] Kritik«171 unterworfen wurden. Er zeigt detailliert auf, in welchem begriffs- und sozialgeschichtlichen Spannungsverhältnis Geheimhaltung, Veröffentlichung und Öffentlichkeit stehen. Eine neu aufkommende Geschichtsphilosophie, die Staatlichkeit und Öffentlichkeit zusammen denkt und Geheimhaltung als ihr Gegenteil begreift, verfolgte dabei das Ziel der Demokratisierung und wertete zudem ›Öffentlichkeit‹ um als moralisch gut und metaphorisch mit dem Licht verbunden. Gleichzeitig wurde in diesem Zuge Geheimhaltung als etwas moralisch Schlechtes verstanden sowie metaphorisch mit Dunkelheit und Finsternis verknüpft. Dieser Umdeutungsprozess vollendete sich im 19. Jahrhundert. Politik und Staatlichkeit veränderten sich im Zuge der Aufklärung ideengeschichtlich massiv und wurden gewissermaßen auf den Kopf gestellt. Als ›Pathologie des Politischen‹ steht die nun zunehmend pejorativ verstandene Geheimhaltung im Gegensatz zur Demokratie, ja sie wirkt sogar womöglich ›demokratiezersetzend‹, gibt Dorothee Riese zu bedenken.172 Insofern stellt sich durchaus die Frage, ob und wie Geheimhaltung in einer liberalen Demokratie begründet werden kann, deren Legitimation auf öffentlicher Willensbildung und der Partizipation der BürgerInnen beruht, und wie weit Staatsgeheimnisse in politisch-philosophischer Perspektive, die von einem widersprüchlichen Verhältnis von Demokratie und Geheimnis ausgeht, ja dieses Verhältnis gar als »ein nicht aufzulösendes Paradox […]«173 ansieht, reichen dürfen. Das Staatsgeheimnis bleibt – auch in einem demokratischen System – derjenige Bereich staatlicher Gewalt, der sich der öffentlichen Kontrolle und dem öffentlichen Räsonnement zu entziehen versucht. Ein gewisser Grad an Geheimhaltung bleibt jedoch auch für Demokratien funktional und legitim. Dorothee Riese unterscheidet dabei zwischen instrumenteller und prozeduraler Legitimation demokratischer Geheimhaltung. Erstere ergebe sich gewis Geheimhaltung in der Demokratie | 71
sermaßen aus der Sache selbst und sei für die Funktionsfähigkeit von Regierungshandeln und politischem System notwendig: Als Geheimhaltungsgründe in Demokratien nennt sie hier etwa die Staatssicherheit, den Datenschutz beziehungsweise den Schutz der Privatsphäre oder die Effektivität des Regierungshandelns, wobei der letzte Punkt, wie Riese betont, durchaus umstritten ist.174 Riese differenziert dementsprechend zwischen einer Geheimhaltung, die die BürgerInnen schützen soll (z. B. im Kriegsfall oder gegen äußere oder innere Angriffe), und einer solchen, die zum Selbsterhalt von Machtstrukturen dient und die entsprechend zur Vertuschung von Machtmissbrauch oder Verfehlungen führen kann. Auf den ersten Blick kann hierbei die erste Art von Staatsgeheimnissen auch in einer Demokratie als legitim, mitunter sogar notwendig, angesehen werden, die zweite Art jedoch als illegitim. Auch in einer demokratischen Gesellschaft lässt sich also für die Notwendigkeit von Geheimnissen im staatlichen und politischen Bereich argumentieren. Gleichzeitig verspricht die Abkehr vom staatlichen Geheimnis und von der staatlichen Geheimhaltung jedoch Demokratisierung. Es muss also letztendlich im demokratischen Prozess ausgehandelt werden, wie weit Geheimhaltung gehen darf. In einer Demokratie dürfen Geheimnisse – aus einer liberal inspirierten politisch-philosophischen Perspektive – lediglich die Ausnahme darstellen. Geheimhaltung muss zeitlich begrenzt und auf einen spezifischen Gegenstand festgelegt sein. Sie sei, laut Jörn Knobloch, als eine Art ›fließendes Konzept‹ zu verstehen, das nicht mehr »bestimmte Bereiche dauerhaft aus der Öffentlichkeit ausschließt«.175 Damit ähneln sich Geheimhaltung und Transparenz in ihrer begrifflichen Struktur insofern, als beide prozesshaften Charakter besitzen und ihnen ein aktives Element innewohnt. Die Grenzen der Geheimhaltung müssen dabei aus demokratietheoretischer Sicht stets veränderbar sein: Geheime Regierungsbereiche darf es in einem umfassenden Sinne kaum mehr geben, denn Geheimpolitik als solche ist unvereinbar mit demokratischen Prin zipien. Staatsgeheimnisse, sogenannte arcana imperii, passen nicht mehr ins heutige Verständnis von Demokratie, die umfänglich zugänglich für alle BürgerInnen sein soll. Nichtsdestotrotz stellt die administrative Geheimhaltung und damit Nichtöffentlichkeit für 72 | Geheimhaltung und Veröffentlichung
weite Bereiche der Verwaltung bis heute eine Grundregel des Verwaltungsrechts dar. Jürgen Habermas sieht dies allerdings weniger in dem Umstand begründet, dass »bestimmte Vorgänge gerade im öffentlichen Interesse der Geheimhaltung unterworfen wären, sondern vor allem natürlich deshalb, weil die Bürokratie neben der Armee das einzige im Absolutismus ausgebildete Machtmittel in der Hand des Fürsten gegen die Interessen der bürgerlichen Gesellschaft darstellte«.176
Geheimhaltung bedeutet also Macht und ist oftmals nicht inhaltlich begründet, sondern mit Machtsicherung zu erklären. Anhand des Konflikts zwischen Geheimhaltung und Veröffentlichung spiegelt sich, wie bei Habermas deutlich wird, ein fortdauernder Machtkampf zwischen Wissenden und Nicht-Wissenden – hier sei an die weiter oben erläuterte etymologische Herkunft von secrecy, also Geheimhaltung, erinnert, die sich von lat. secernere = »trennen« herleiten lässt.177 So präsentiert sich das Staatsgeheimnis als ein starker und wirkmächtiger Gegenbegriff zu Transparenz. Die Erwartungen weitgehender Transparenz bleiben unerfüllt gegenüber bestehenden Praktiken der Geheimhaltung.178 In der Demokratie stehen letztere jedoch unter Rechtfertigungsdruck, denn sie scheinen einer demokratischen Logik zu widersprechen. So entsteht ein Widerstreit aus unterschiedlichen Traditionen und Perspektiven auf Demokratie, Staatlichkeit und Regierungshandeln. Insofern kann Geheimhaltung aus demokratischer Blickrichtung als eine Art notwendiges Übel angesehen werden, das darauf zurückzuführen ist, dass auch demokratische Staaten noch einen intransparenten Kern staatlicher Verwaltung besitzen, der zwar in der Zeit des Absolutismus wurzelt, aber weiterhin präsent ist, kontinuierlich wirkt und prinzipiell zum Wesen demokratischer Verfasstheit konträr ist. Rechtfertigungsbedürftig ist aus einer solchen Perspektive nicht die Geheimhaltung administrativer Vorgänge, sondern das Verlangen nach ihrer ausnahmsweisen Offenlegung.179
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Gegen demokratische Geheimhaltung: Whistleblowing und Leaks Gerade weil demokratische Geheimhaltung derart umstritten ist, wird sie von verschiedenen Seiten kritisiert und bekämpft. Dabei nehmen diejenigen AkteurInnen eine Schlüsselrolle ein, die durch Veröffentlichung Transparenz herstellen – wie etwa JournalistInnen, zivilgesellschaftliche Organisationen und AktivistInnen, aber auch WhistleblowerInnen, die Geheimhaltung mit in einigen Fällen durchaus problematischen Mitteln bekämpfen und als grundsätzlich illegitim ansehen. Whistleblowing, auf Deutsch »Alarmschlagen« oder »Hinweisgeben«,180 beschreibt den Vorgang, dass eine Person ihr durch interne Informationen bekannte Missstände öffentlich macht. Damit publiziert sie Informationen, die zwar beispielsweise betrieblichen Geheimhaltungs- oder Loyalitätspflichten unterliegen, die jedoch Vorgänge betreffen, die illegal oder moralisch unvertretbar sind oder zumindest der aufdeckenden Person als solche erscheinen.181 JournalistInnen und WhistleblowerInnen stellen jeweils Öffentlichkeit beziehungsweise Transparenz her, doch auf verschiedene Weise und vor allem mit unterschiedlicher Legitimation. Dabei ist eine der Kernfragen, in welchem Kontext und bis zu welchem Grad das Transparent-Machen von als geheim eingestuften Informationen zu rechtfertigen ist. Ein kritischer, investigativer Journalismus ist von hoher Relevanz für die Demokratie und fungiert als viel beschworene ›vierte Gewalt‹. Diese Relevanz spiegelt sich in besonderen Rechten, die JournalistInnen etwa vor Gericht haben.182 Im Gegensatz dazu hinkt die Gesetzgebung im Bereich des Whistleblowings hinterher und es wird nach wie vor eine verbindliche, die hinweisgebenden Personen schützende Rechtslage gefordert.183 Der (Qualitäts-)Journalismus zielt auf eine informierte Öffentlichkeit und nimmt eine elementare Rolle in der Demokratie ein, da Aufklärung und Information zentral für die Partizipationsmöglichkeiten der BürgerInnen sind. Whistleblowing hingegen setzt das politische System als Ganzes unter Druck. Eine trennscharfe Unterscheidung beider Tätigkeiten und Vorgänge ist dabei nicht immer möglich, da JournalistInnen einerseits auf InformantInnen 74 | Geheimhaltung und Veröffentlichung
angewiesen sind und andererseits WhistleblowerInnen mit klassischen Medien kooperieren, um ihre Daten professionell aufbereiten zu lassen. Auch die Motivationen verschwimmen mitunter und »[m]anche Journalisten ziehen […] den Schluss, dass […] Akten in jedem Fall öffentlich gemacht werden sollten. Digitale Bürgerrechtler, etwa die Anhänger von Wikileaks oder vergleichbarer Enthüllungsplattformen, feiern diese totale Transparenz als Selbstverteidigung gegen das ›unethische Verhalten‹ der eigenen Regierung. Alles ist erlaubt im digitalen Freiheitskampf, so scheint das Motto zu lauten. Staatsgeheimnisse gibt es nicht mehr.«184
Die Herstellung von Öffentlichkeit betrifft ein Kerngeschäft des Journalismus, gleichwohl stellt sich die äußerst umstrittene Frage nach potentiellen Grenzen. Der klassische Journalismus regelt Konflikte, die sich für die einzelnen JournalistInnen und ihre Medien ergeben können, in einem Ethik-Kodex: In Deutschland überwacht der Presserat die Einhaltung der berufsethischen Standards, die im Pressekodex festgeschrieben sind.185 Transparenz spielt als ethischer Standard und Orientierungsmaßstab für den Qualitätsjournalismus weltweit eine zentrale Rolle: Claudia Paganini macht sie als ersten von fünf Werten eines moralischen Kernbestands aus, vor Fairness, Respekt, Verantwortung und Kompetenz.186 WhistleblowerInnen verfügen über keine derartige kodifizierte ethische Orientierung, was zum einen daran liegt, dass es sich um keinen Berufsstand handelt, und zum anderen, dass es sich jeweils um äußerst individuell getroffene Entscheidungen, (vermeintliche) Missstände offenzulegen, handelt. Die betroffenen Personen haben in aller Regel ein starkes Werteempfinden und die Überzeugung, das Richtige zu tun. Die Vorstellung, für eine größere Sache zu handeln, spielt in den meisten Fällen eine wesentliche Rolle bei der Entscheidung, sein Wissen zu teilen und sich damit massiven Schwierigkeiten und negativen Konsequenzen auszusetzen. Das Fehlen einer institutionellen Rückbindung an einen professionellen Ethikkodex liegt dabei gewissermaßen in der Natur der Sache: WhistleblowerInnen stellen sich gegen die Institution, der sie angehören und stellen gegebenenfalls eine Schicksalsgemeinschaft, aber keine Berufsgruppe dar. Whistleblowing und Leaks | 75
Vorausgesetzt scheint stets zu werden, dass das demokratische Publikum ein Recht darauf und ein Interesse daran hat, informiert zu werden: Transparenz- und Veröffentlichungsforderungen an den Staat können, wie wir sehen konnten, aus einer demokratietheoretischen Sicht positiv bewertet werden, weswegen Whistle blowing einerseits als aufklärerisch verstanden werden kann.187 Der zwingende Charakter sowie die Fokussierung auf den Skandal können jedoch andererseits langfristig zu einem Vertrauensverlust in die Demokratie führen. Eine philosophische Bewertung von Whistleblowing stellt sich als komplexer dar, als es auf den ersten Blick erscheinen mag, und fällt entsprechend ambivalent aus. Meist schwankt die Bewertung zwischen der Beurteilung als HeldInnen, die zivilen Ungehorsam ausüben und der Demokratie dienen, und als VerräterInnen, die Geheimnisverrat begehen.188 Das Phänomen Whistleblowing ist also eng verknüpft mit dem Phänomen der Transparenz als demokratietheoretischem Begriff, der ebenfalls zwischen diesen beiden normativen Polen der demokratischen Offenheit und dem staatlichen Geheimnis changiert.
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10. Vorläuferbegriff ›Publizität‹: Entstehung und Bedeutung einer Idee
I
m vorhergehenden Kapitel wurden Transparenz und Öffentlichkeit weitgehend synonym verwendet. Der Begriff der Öffentlichkeit wurde jedoch im historischen Verlauf nicht vollständig durch Transparenz abgelöst, selbst wenn Transparenz durch die medialen Veränderungen und die Digitalisierung über eine besondere Wirkmächtigkeit verfügt. Für die Ideengeschichte der Transparenz ist zusätzlich der Begriff der Publizität maßgeblich, weil mit ihm die zu Grunde liegende Denkbewegung ihren Anfang nimmt. Die Ideologie der staatlichen Geheimhaltung wurde durch die Aufklärung herausgefordert. Mit der Aufklärungszeit kamen Forderungen nach einer stärkeren Vermittlung zwischen Politik und Volk auf und damit die Forderung nach Rechtfertigung politischen Handelns gegenüber den BürgerInnen – wobei diese als Teilhabende am politischen Prozess sich ebenfalls historisch erst herausbildeten. Die Entwicklung von der Geheimhaltung zur Publizität beschreibt Remo Bodei dabei als kleinschrittig: Von Politik als Geheimkunst, die im engen Kreis einiger Vertrauter rund um den Herrscher oder (seltener) die Herrscherin stattfand, kommt es also zu einer Dynamik, die über Aufklärung, Liberalismus und die Französische Revolution zu einer grundlegenden Demokratisierung führt. In dieser müssen die Regierungsgeschäfte zumindest zum Teil der Allgemeinheit zugänglich sein, wie in einem Glashaus dem prüfenden Blick der Öffentlichkeit genügen und dem Urteil einer kritischen öffentlichen Meinung unterliegen.189 Im Zuge der Aufklärung und einer zunehmenden Erforschung und Begründung der Welt durch Wissenschaft und Vernunft verliert das Geheimnis seinen Status als Staatsdoktrin. Ideengeschichtlich kann allen voran Immanuel Kant als derjenige gelten, auf dessen Schriften das Prinzip der Publizität beruht. Kants Entwurf im Sinne eines allgemeinen Vernunftgebrauchs stellt dabei bei weitem nicht die einzige Formulierung dar, sondern es gab zahlreiche Vorläufer liberalen Gedankenguts. Jeremy Ben 77
tham etwa blickt aus einer liberal-pragmatischen, utilitaristischen Perspektive auf politische und administrative Strukturen und zielt dabei auf den Zusammenhang von Licht, Sehen, Sichtbarkeit und Durchsichtigkeit ab (siehe oben). Bentham schreibt von publicity, kann aber auch als Denker der Transparenz verstanden werden. Bentham wandte das Publizitätsprinzip auf konkrete Institutionen, staatliche Verwaltungen, aber auch Individuen an,190 was an seinem Entwurf zum Panoptikum besonders deutlich wird. Die Abkehr von der Geheimhaltung ist also nicht lediglich ein technisches, rechtliches sowie staatstheoretisches Problem, sondern stellt vielmehr einen Paradigmenwechsel dar, im Zuge dessen sich grundlegende Bewertungen und Interpretationen von Politik veränderten.
›Publizität‹ bei Kant Grundlage der frühliberalen Staatstheorie ist das Prinzip der Publizität. Laut Kant vollzieht sich Aufklärung durch Selbstdenken und Lautdenken. Die Freiheit der BürgerInnen manifestiert sich im öffentlichen Vernunftgebrauch. So schreibt Kant: »Selbstdenken heißt den obersten Probirstein der Wahrheit in sich selbst (d. i. in seiner eigenen Vernunft) suchen; und die Maxime, jederzeit selbst zu denken, ist die Aufklärung.«191
Kant kann als der Philosoph eines fortschreitenden Denkens gelten, das sich in der Sphäre der Öffentlichkeit vollzieht. Es geht ihm nicht so sehr darum, durch Reflexion als Individuum Erkenntnis zu erlangen. Kant regt vielmehr dazu an, sich nicht auf das zu verlassen, was gemeinhin oder von Autoritäten als wahr bezeichnet wird, sondern auf sich selbst und das eigene Denken. Ins Politische (im Abstrakten) gewendet, münden diese Grundüberlegungen in das von ihm formulierte Publizitätsprinzip, welches die Grundlage des liberal motivierten Nachdenkens über Öffentlichkeit darstellt. Seine einschlägigen Äußerungen hierzu sind vor allem im Anhang zur 1795 veröffentlichten Schrift Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf zu finden. Dort sucht er nach Gesetzmäßigkeiten 78 | Vorläuferbegriff ›Publizität‹
für eine Politik, die moralischen Überlegungen Genüge tun könne, also einer Verbindung von Politik und Moral: »Wenn ich von aller Materie des öffentlichen Rechts […] abstra hire, so bleibt mir noch die Form der Publicität übrig, deren Möglichkeit ein jeder Rechtsanspruch in sich enthält, weil ohne jene es keine Gerechtigkeit (die nur als öffentlich kundbar gedacht werden kann), […] geben würde. Diese Fähigkeit der Publicität muß jeder Rechtsanspruch haben, und sie kann also […] ein leicht zu brauchendes, a priori in der Vernunft anzutreffendes Kriterium abgeben, […] gleichsam durch ein Experiment der reinen Vernunft sofort zu erkennen.«192
In diesem Passus wird Kants besonderes Interesse an rechtstheoretischen und politisch-philosophischen Fragen deutlich. Mit der Suche nach den Grundlagen von Politik und Moral steht er im Gegensatz etwa zu Niccolò Machiavelli, dessen Überlegungen in der Frühen Neuzeit einschlägig und bis dahin prägend für die Politische Theorie und Staatslehre waren, bevor sie von der aufklärerisch-liberalen Wende abgelöst wurden. Kants Publizitätsdenken und -prinzip stellen eine grundlegende Veränderung in der politischen Theorie dar: Wenn beide Sphären – die der Politik und die der Moral – derselben normativen Orientierung folgen sollen, müssen sie dem Prinzip einer ›Veröffentlichbarkeit‹ entsprechen. Moral und Politik bilden eine »Sphäre gemeinsamen Wissens«193 und müssen allen Menschen gleichermaßen zur Kenntnis gelangen können und zugänglich sein. Sowohl Recht als auch Moral bedürfen somit einer Offenheit für das Publikum: Publizität. Diese besteht im öffentlichen Gebrauch der Vernunft. Deren objektive Erkenntnisse sollen mitteilbar und verstehbar sein. Allein wenn das eigene Denken nicht nur für die eigene Person gilt, sondern diese davon ausgehen kann, dass es auch für alle anderen gilt, kann etwas als vernünftig erachtet werden. »Nach einer solchen Abstraction von allem Empirischen, was der Begriff des Staats- und Völkerrechts enthält (dergleichen das Bösartige der menschlichen Natur ist, welches den Zwang nothwendig macht), kann man folgenden Satz die transscendentale Formel des ›Publizität‹ bei Kant | 79
öffentlichen Rechts nennen: ›Alle auf das Recht anderer Menschen bezogene Handlungen, deren Maxime sich nicht mit der Publicität verträgt, sind Unrecht.‹«194
Politik – Kant meint damit das Verhältnis der Staaten untereinander, etwa die Verträge über Krieg und Frieden – soll also dem Prinzip der Publizität unterliegen. Das bedeutet, dass solche Verträge nicht mehr im Geheimen unter Fürsten ausgehandelt und geschlossen werden sollen, damit sie auf das Interesse der Gemeinschaft ausgerichtet werden und nicht auf die (Privat-)Interessen der Herrschenden. Die Notwendigkeit von Publizität geht einher mit einer Infragestellung absoluter Autorität und einem Widerstand gegen diese, die ihre Macht zu großen Teilen auch aus den arcana imperii, also aus Geheimhaltung und dem Herrschaftswissen weniger, bezog.195 Im Verständnis Kants und der Aufklärung soll Politik nun intellektuell klar und verständlich sein, also öffentlich nachvollziehbar, da, wie Volker Gerhardt schreibt, nicht dasjenige Recht sein könne, was dem Kriterium der Publizität nicht genüge.196 Zentral für das Kant’sche Publizitätsprinzip ist demnach die theoretische Verallgemeinerbarkeit von rechtlichen (und moralischen) Gesetzen. Publizität ist damit eine »notwendige Bedingung des Rechts«197. Kein Recht dürfe der Vernunft widersprechen, sonst sei es nicht Recht. Die Publizität ist das Kriterium für die Vernünftigkeit von Recht, die Politik auf Moralität überprüfbar macht. Eine solche Konzeption löst den Einzelherrscher ab, der im Geheimen agiert und in seiner Machtausübung niemandem gegenüber rechenschaftspflichtig ist; als Konsequenz sind Staat (als Gebilde) und Herrschende (als Individuen) nicht mehr identisch. Das Publizitätsprinzip wiederum macht die Herrschenden und den Staat als Entität gegenüber seinen BürgerInnen verantwortlich. Mit der Aufklärung wird Publizität so zur »Waffe in der Auseinandersetzung mit dem Macht- und Geheimhaltungsanspruch des absolutistischen Staates«198. Die BürgerInnen unterstehen in einem solchen Verständnis dem Staat nicht mehr bloß als UntertanInnen, sondern haben die Möglichkeit, vernünftigerweise das staatliche Handeln nachzuvollziehen, sich ein Bild zu machen und sich eine Meinung zu bilden. Darin wird bereits die spätere und bis heute maßgebliche liberale Idee einer Rechtfertigungspflicht staat80 | Vorläuferbegriff ›Publizität‹
lichen Handelns gegenüber den BürgerInnen deutlich, welche voraussetzt, dass allein die BürgerInnen der Souverän sind und nicht eine – wenn auch göttlich legitimierte – individuelle Einzelperson. Öffentlichkeit verwirklicht sich nach Kants Verständnis im öffentlichen Gebrauch der Vernunft aller. Dies ist das demokratische Element der Gleichheit bei Kant und dieser Denkbewegung: Zentral ist nicht, wer jemand ist, sondern was jemand sagt. Hieran wird deutlich, dass aus einer solchen, an Kant anschließenden Perspektive Publizität, Zugänglichkeit und Demokratie sehr eng miteinander verwoben sind und eine (schrittweise) Demokratisierung in diesem Zuge folgerichtig erscheint. Kant wendet den Kategorischen Imperativ auf das Politische an und argumentiert damit gegen staatliche Geheimhaltung. Er kritisiert jedoch nicht die konkreten politischen Umstände seiner Zeit, das heißt die vorherrschenden staatlichen Geheimstrukturen Preußens oder die Französische Revolution, auch wenn dies aus heutiger Perspektive ein naheliegender Gedanke sein mag.199 Dabei hat er keine revolutionär-aufwieglerischen Ambitionen, sondern vielmehr publizistisch-reformerische. Ziel ist für ihn der Fortschritt eines Volkes zum Besseren bei gleichzeitiger Stabilität des Staates.200 Es handelt sich um eine entschieden philosophische Theorie des Politischen, nicht um ein Handbuch zur Politikberatung, das Kant verfasst hat. Publizität wirkt als politische Veröffentlichungspflicht, die politisches Handeln legitimiert und rationalisiert, wie auch als »Instanz der Informationsgenerierung für ein nicht mehr unfehlbares Staatsoberhaupt«201. Die Einsicht in die Richtigkeit einer Norm stellt für ihn die zentrale Motivation dar, moralisch zu handeln. Eine Handlungsnorm zu erkennen hätte seinem Verständnis nach zur Folge, ihr gemäß auch handeln zu wollen. Der öffentliche Gebrauch der Vernunft hilft dabei, gewaltlos zugleich das Rechte wie das Richtige zu bestimmen. Das Prinzip der Publizität im Sinne von Rationalität löst also in seiner Konzeption die Herrschaft des Arkanen ab, wobei das Richtige mit dem Gerechten konvergiert.202
›Publizität‹ bei Kant | 81
Mit Kant zu Demokratie und Liberalismus Die Entwicklung und Formulierung von Publizität durch Kant als Prinzip der Politik entsteht als expliziter Gegenbegriff zum Staatsgeheimnis und stellt sich autoritärer Politik entgegen, so wie es dem Zeitgeist der Aufklärung entsprach. Mit der Aufklärung kommt es zu einer ideologisch-normativen Umwertung von Publizität und Geheimnis, in deren Zuge Publizität zum Ideal wird. Kant postuliert das Heraustreten aus der Unmündigkeit und die Überwindung dogmatischen Denkens. Dabei konzeptualisiert er das Öffentliche als das Vernünftige, da nur das, was auf allgemeine Zustimmung hoffen könne sowie in der Öffentlichkeit Bestand habe, vernünftig sein könne. Als vernünftig wiederum könne nur dasjenige gelten, dem alle zustimmen könnten. Publizität ist demnach eine Denkbewegung, die als eine Form des Bewusstseins wirkt, wie Volker Gerhardt ausführt 203, sowie zugleich als politisches Programm der Aufklärung. Dabei ist festzuhalten, dass Publizität keine Sphäre konkreten Austauschs darstellt, sondern die Art und Weise, in der sich Aufklärung vollzieht. Sie ist ein normatives Kriterium für Moral in der Politik und für Öffentlichkeit.204 Sandrine Baume versteht Transparenz derweil als einen A spekt von publicity, wobei letztere das umfassendere Konzept sei. Publicity meine den tatsächlichen Zugang zu Informationen, nicht nur deren potentielle Verfügbarkeit.205 Kants Publizitätsprinzip zielt dabei noch nicht primär auf die Kontrolle des Staatshandelns, sondern zuerst auf eine Neuausrichtung des Blicks auf Politik sowie das Verhältnis von BürgerInnen und Staat. Der Vernunftgebrauch markiert indessen das zentrale Element in Kants Philosophie sowie insbesondere für sein Prinzip der Publizität. Dieses rekurriert gerade nicht nur auf das denkende Individuum, sondern prinzipiell auf Sachverhalte der Moral und der Politik. Die gesamte Denkbewegung der Publizität bewirkte, dass sich aus ihr das liberale Menschen- und Gesellschaftsbild entwickeln konnte.206 Barbara Zehnpfennig verweist auf den Zusammenhang der Kantischen Staatstheorie mit Demokratisierungstendenzen: Diese seien zwar nicht identisch, doch die Philosophie Kants und der Aufklärung lege den Grundstein für eine liberale, demokratische Theoriebildung, in der wiederum die philosophischen Grundlagen des mo82 | Vorläuferbegriff ›Publizität‹
dernen Rechtsstaates sowie vieler im weiteren wie im engeren Sinne liberaler Politik- und Gesellschaftskonzeptionen wurzeln.207 Sie begünstigt damit ein Demokratieverständnis, das bis heute äußerst einflussreich ist. Liberale Demokratietheorien sind in der politischen Realität verankert und haben eine ausgeprägte empirische Dimension. Sie sind nicht nur in der Disziplin der Politischen Theorie und akademischen Diskursen wirkmächtig, sondern auch in der politischen Realität, was ihnen einen besonderen Stellenwert einräumt. Hier wird erneut die Parallelität theoretisch-begrifflicher wie gesellschaftlicher Entwicklungen deutlich, die stets nur schwer auseinanderzuhalten sind und doch – in einer begrifflich-philosophischen Untersuchung – getrennt betrachtet werden wollen. Den Kant in der Denkfigur der Publizität folgenden Ansätzen ist gemeinsam, dass sie diese sowie Nachfolgebegriffe wie Öffentlichkeit und Transparenz als Bedingung für politische Entscheidungen und deren Rechtfertigung konzeptualisieren. Für solche im weiteren Sinne liberalen DenkerInnen steht die Suche nach einer gerechten, stabilen öffentlichen Ordnung im Zentrum ihres Denkens, wie Seyla Benhabib es als »legalistisch«208 bezeichnet und dabei den Fokus auf die Gerechtigkeit der Verfahren lenkt. Im Zentrum liberalen Denkens sowie der liberalen Theorien steht dabei prinzipiell die Legitimität politischer Verfahren.209 Regiert wird für das Volk, der Schutz der BürgerInnen vor dem Staat ist dessen Existenzgrundlage. Damit einher geht die Aufgabe des Staates, Öffentlichkeit und Privatsphäre zu trennen und diese Trennung sicherzustellen. Das Denken der Aufklärung brachte eine Umkehrung derjeni gen Prinzipien, welche der Staatlichkeit und Politik zu Grunde liegen. Daraus entwickelte sich Schritt für Schritt das liberale Denken, das einerseits maßgeblich an Kant anknüpft, aber dieses längst weiterentwickelt hat. Aus einer Kant’schen Perspektive ist somit weniger die Transparenz ein wesentlicher Wert, sondern eben die Publizität.
Mit Kant zu Demokratie und Liberalismus | 83
11. Öffentlichkeit als demokratische Sphäre
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inen wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung von Kants Publi zitätsdenken leistet Jürgen Habermas, der die Genese und den Verfall der bürgerlichen Öffentlichkeit historisch rekonstruiert und im Anschluss ein Konzept von Öffentlichkeit als Demokratieform entwickelt hat. Publizität dient laut Habermas historisch betrachtet der Durchsetzung einer auf Vernunft aufbauenden Gesetzgebung. In der Tradition Kants stellt die Publizität von Politik auch bei Habermas ein Kennzeichen ihrer Moralität dar, als Prinzip, das »die Einhelligkeit der Politik mit der Moral verbürgen«210 kann. Die Rationalität der Herrschaft des Gesetzes ermögliche die Konvergenz des Richtigen mit dem Gerechten. Habermas grenzt sich allerdings explizit von Kant ab und entwickelt dessen Position insofern weiter, als er Öffentlichkeit im Rahmen eines Diskursmodells fasst.211 Vom Begriff der Publizität in einem kantischen, gewissermaßen ›protoliberalen‹ Sinn kann auf den Begriff der Öffentlichkeit geschlossen werden. Dieser terminus technicus wurde stark von Habermas geprägt, allerdings nicht nur von ihm.212 Habermas’ Überlegungen wiederum wurden sehr breit rezipiert. Dabei stellt ›Öffentlichkeit‹ sprachlich betrachtet ein deutsches Spezifikum dar. Tanjev Schultz zeigt auf, welche Bedeutungsebenen der Begriff entsprechend im Deutschen besitzt, 213 was auch an seinen verschiedenen Antonymen deutlich wird: dem Geheimen und dem Privaten.214 Begriffshistorisch ändert sich im 17. bis 18. Jahrhundert der allgemeine Sprachgebrauch und es werden publicus und ›öffentlich‹ »zu einem semantischen Feld zusammengezogen«215, das sich gegen Zensur und Geheimpolitik richtete. Sobald von Öffentlichkeit gesprochen wurde, vollzog sich allerdings laut Schultz ein nicht unerheblicher Bedeutungswandel: Ab dem 19. Jahrhundert wurde nämlich Öffentlichkeit zu einem Kampfbegriff für die Meinungsfreiheit und bezeichnete den ungehinderten Zugang zu einem unzensierten Kommunikationsraum.216 Das DWDS unterscheidet zwischen Öffentlichkeit als Allgemeinheit und einem ›Öffentlichsein‹,217 welches ein mögliches Publikum miteinbezieht. 85
Für Habermas bildet die Öffentlichkeit die Sphäre eines vernünftigen Austauschs von Argumenten zu Themen von allgemeinem Interesse und allgemeiner Relevanz. Durch die Publizität eines Gedankens entsteht Austausch, eine breite Sphäre mit einem räsonierenden Publikum. Insoweit fungiert für ihn – trotz durchaus zu beobachtender Zerfallstendenzen – die Öffentlichkeit als ein Organisationsprinzip der politischen Ordnung des liberalen Rechtstaats.218 Der Einfluss der Habermas’schen Begrifflichkeiten kann dabei kaum überschätzt werden. So schließen sich zahlreiche kritische Diskussionen an seine Positionen an, die auch und gerade das Private in den Blick nehmen oder im Hinblick auf Herausforderungen durch die Digitalisierung in einen Dialog einzutreten versuchen.219 So habe »Habermas’ Öffentlichkeitsbegriff einen ähnlichen Rang wie eine naturwissenschaftliche Entdeckung«220 eingenommen, konstatiert Nancy Fraser. Für die vorliegende Untersuchung ist es von Interesse, inwieweit sich ein solcher Öffentlichkeitsbegriff in der Tradition von Habermas in die Genese einer Transparenznorm einfügt. Zentral ist dabei die Änderung der Zielrichtung, die Habermas im Vergleich zu Kant vornimmt: Jener rekonstruiert und begründet, wie die Öffentlichkeit zur Sphäre wurde, während dieser Publizität erst einmal als grundlegendes Prinzip der Vernunft etabliert.
Habermas’ Weiterentwicklung der ›veröffentlichbaren Vernunft‹ Habermas zeigt in seinem Buch Strukturwandel der Öffentlichkeit die Entwicklung des Prinzips der Publizität und seine Überschneidungen mit dem Begriff der Öffentlichkeit auf. Anhand einer historischen Analyse zeichnet er darin Aufstieg und Niedergang der Öffentlichkeit aus dem Blickwinkel des Demokratisierungsprozesses nach, der mit der Aufklärung und dem wachsenden politischen Geltungsanspruch des Bürgertums begonnen habe. Er beschreibt, wie sich das demokratische Prinzip der Publizität mit der Aufklärung entwickelt und gegenüber staatlicher Geheimpolitik durchsetzt. Die absolutistische Phase der Geheimpolitik war nach Habermas von einer Herrschaft durch Repräsentation geprägt, in der 86 | Öffentlichkeit als demokratische Sphäre
Macht und Herrschaft durch die Zurschaustellung von Pracht und Inszenierung bekräftigt wurden. In der repräsentativen Öffentlichkeit stellten sich die Herrschenden nicht als Teil des Volkes dar, da sie nicht das Volk repräsentierten, sondern sich als Vorangestellte verstanden, die sich und ihre Herrschaft dem Volk schlicht präsentierten.221 Die Sozialgeschichte der Öffentlichkeit beschreibt Habermas dabei als Szenario eines Niedergangs. Er kontrastiert die bürgerliche Sphäre des Räsonnements mit einer verkürzten, durch Massenmedien hergestellten Öffentlichkeit der 1960er Jahre. Die massenmediale Struktur und Vermachtung der Öffentlichkeit im 20. Jahrhundert führte aus Habermas’ Perspektive zu einer Erschlaffung des demokratischen Diskurses und Meinungsbildungsprozesses. Durch die Massenmedien und eine mit diesen einhergehende Kommerzialisierung wird das öffentliche Räsonnement ebenfalls erschwert. Dem steht die normative Konzeption von Öffentlichkeit und herrschaftsfreiem Diskurs gegenüber. Ist das Prinzip der Publizität noch das Prinzip der ›Veröffentlichbarkeit‹ und dessen Prüfkriterium die Vernunft, entsteht laut Habermas in der Folge der Aufklärung innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft die Vorstellung einer öffentlichen Sphäre, in der sich das Bürgertum selbst mit Politik und Gesellschaft beschäftigt und darüber austauscht.222 Er beschreibt die Entwicklung und Auflösung dieser sozialen Dynamiken, wobei er von einem Ideal des vernünftigen Diskurses ausgeht, in dem alle TeilnehmerInnen unter Ausklammerung von Machtverhältnissen und Abhängigkeiten dem überzeugenderen, vernünftigen Argument folgen. Habermas zeigt, wie sich die Öffentlichkeit von einer repräsentativen absolutistischen Sphäre mit der Aufklärung zu einer bürgerlichen und damit zugänglichen veränderte. Orte der Zusammenkunft des Bürgertums waren im 17. und 18. Jahrhundert Kaffeehäuser und Salons im städtischen Milieu, zu denen der Zugang nicht standesrechtlich geregelt wurde, sondern frei für jeden war, der eine Tasse Kaffee bezahlen konnte. Zudem waren gerade die Kaffeehäuser geprägt von einer ungewohnten Zwanglosigkeit und Nüchternheit, denn der Kaffee verringerte und ersetzte peu a peu den Alkoholkonsum und seine Rituale wie das Trinkgelage und wirkte stattdessen wie ein ›Befreier des Geistes‹. Wenn auch die Kaffeehäuser (anders als die Salons) Orte der männlichen Bürger waren, war doch die Ab Habermas’ Weiterentwicklung der ›veröffentlichbaren Vernunft‹ | 87
kehr vom alkoholischen Trinkgelage und die Hinwendung zum Kaffee ein wesentlicher Schritt auf dem Weg zur Emanzipation der Frauen, da er zu einer Vergeistigung und Pazifizierung des Umgangs führte, von dem Frauen in besonderem Maße profitieren konnten.223 Die so ausgelöste Individualisierung beim Kaffeetrinken lenkte den Fokus nach und nach auf die Einzelnen und ihre Vernunft(-fähigkeit). Als Orte des Bürgertums, welches sich sowohl vom Adel als auch vom Proletariat abgrenzte, ermöglichten Kaffeehäuser jenen Austausch unter Gleichen, den Habermas als maßgeblich für die bürgerliche Öffentlichkeit versteht. Habermas verortet sodann den Beginn dieser aus der Bevölkerung entstehenden Öffentlichkeit in solchen Salons und Kaffeehäusern als ursprünglich unpolitischen Orten, in denen sich das Ideal einer bürgerlichen Öffentlichkeit manifestierte. Historisch neuartig in dieser Form entstanden so – in den Städten Englands, Frankreichs und auch Deutschlands – Sphären literarischen, bürgerlichen Austausches und Räsonnements.224 Auch für Lucian Hölscher ist die rationalisierende Funktion des öffentlichen Austausches für den Aufklärungsprozess zentral: »Für das Verständnis der Aufklärung war die literarische Öffentlichkeit nicht nur der Ort, an dem sich kollektive Meinungen und Urteile bildeten, sondern auch das Medium, in dem sie transparent und jedermann verständlich werden sollten.«225
Er schreibt der literarischen Öffentlichkeit Relevanz für die bürgerliche Meinungsbildung und damit eine demokratisierende Funktion zu, da sie einen Ort der Verständigung für alle gebildet habe. Habermas wiederum stellt dabei die Kantische Frage nach einem kritischen öffentlichen Vernunftgebrauch und dem vernünftigen Miteinander neu. Der von Habermas wie von Hölscher beschriebene, seit dem 17. Jahrhundert einflussreiche Strukturwandel bewirkt die Herausbildung einer bürgerlichen, nicht-privaten Sphäre, in der die BürgerInnen über gemeinsame Themen und Anliegen miteinander verbunden sind. Diese neue, bürgerliche Öffentlichkeit lässt sich insofern als Sphäre der Privatleute begreifen, die sich vermittels öffentlichen Räsonnements über universell relevante Themen aus88 | Öffentlichkeit als demokratische Sphäre
einandersetzen und so Politik betreiben. Sie sei das verbindende Element der verschiedenen Ebenen des politischen Systems, so Habermas: »Die Publizität der Parlamentsverhandlungen sichert der öffentlichen Meinung ihren Einfluß, sichert den Zusammenhang zwischen Abgeordneten und Wählern als Teilen ein und desselben Publikums.«226
Auf diese Weise ergebe sich »Öffentlichkeit als organisatorisches Prinzip«, 227 das sich auf die BürgerInnen beziehe, aus denen es selbst bestehe. Die Öffentlichkeit »steht und fällt mit dem Prinzip des allgemeinen Zugangs […]. Jenes Publikum, das als Subjekt des bürgerlichen Rechtsstaats gelten darf, versteht denn auch seine Sphäre als eine öffentliche […]; es antizipiert in seinen Erwägungen die Zugehörigkeit prinzipiell a ller Menschen.«228
Hieraus speist sich die Notwendigkeit, die Habermas’sche Öffentlichkeit als alle BürgerInnen einschließende Sphäre zu denken, die auf diese Weise Legitimität erzeugt. Nach einem solchen Demokratieverständnis benötigt die Demokratie den öffentlichen Raum zur Meinungsäußerung und kommunikativen Verhandlung verschiedener Positionen und Argumente, die öffentlich akzeptabel sein und verständlich begründet sein müssen. Die Entwicklung einer öffentlichen Sphäre ist daher nicht nur historisch, sondern für Habermas’ Theorie inhaltlich von zentraler Bedeutung. Der ›Diskurs‹ stellt dabei eine spezielle Kommunikationsform dar: Habermas verbindet die Öffentlichkeit mit dieser anspruchsvollen Form der Kommunikation, die vernünftig, rational, inklusiv und frei von Machtverhältnissen sein soll. Unter normativen Gesichtspunkten betont er in seiner Geschichte der Öffentlichkeit daher die kritische Wirkung und das emanzipatorische Potential derselben. So sollen die modernen, aus Privatleuten bestehenden Öffentlichkeiten einen vernünftigen Konsens über Fragen der Gesellschaft herstellen und so zu einer ›öffentlichen Meinung‹ kommen. Diese steht am Ende eines Deliberationsprozesses, der allen BürgerInnen zugänglich Habermas’ Weiterentwicklung der ›veröffentlichbaren Vernunft‹ | 89
ist und in dem Argumente vernünftig und gleichberechtigt ausgetauscht werden. Dieser diskursive Prozess ist insofern herrschaftsfrei, als Statusunterschiede, Machtverhältnisse oder persönliche Befindlichkeiten nicht mit einfließen und keine Rolle darin spielen. Lediglich die Kraft logisch nachvollziehbarer Argumente zeichnet diese Form des Diskurses aus, in dessen Rahmen Rechtfertigungsgründe einen ›zwanglosen Zwang‹ entwickeln.229 Diskurs und Öffentlichkeit dienen der Legitimation einer politischen Ordnung, der alle BürgerInnen zustimmen können. Das Medium der Sprache ermögliche, so Habermas, Rationalität. Das moralisch Richtige im Sinne einer universellen Geltung werde durch kommunikatives Handeln ermittelt, das heißt über den gegenseitigen Austausch von Gründen durch die DiskursteilnehmerInnen. Das kennzeichnende Element der Habermas’schen Demokratietheorie ist somit der Aushandlungsprozess als Weg der Entscheidungsfindung, welcher so gestaltet ist, dass jedeR daran teilhaben kann. Diskurse sollen dabei als kommunikative Macht wirken.230 Hier kommt ein von Hannah Arendt entworfener Begriff von Macht zum Tragen. Dabei wird das kommunikative Element selbst wirksam und vollzieht sich sodann entsprechend nicht als Zwang oder Gewalt zur Interessendurchsetzung, sondern überzeugend und als autorisierende Kraft, welche vernünftige Einsicht generiert. Sprache und Kommunikation spielen damit eine zentrale Rolle in Habermas’ Theorie der Öffentlichkeit. Bereits Kant betont die Relevanz des Wortes und bereitet so die Hinwendung zur Sprache als Medium der Vernunft vor. Habermas’ intellektuelle Verwurzelung in der Kantischen Tradition, dem liberalen Denken, aber auch in der kommunikationsorientiert-republikanischen Tradition Hannah Arendts tritt hier deutlich zu Tage. Sein Anliegen ist eine Emanzipation der BürgerInnen, nicht nur die Verengung auf die Frage nach legitimen Institutionen. Hierin, in dieser normativ-partizipatorischen Ausrichtung, unterscheidet er sich von ›klassischen‹ Liberalen, für die die Frage nach der Legitimität der Verfahren quasi unangefochten im Zentrum steht. Dabei muss betont werden, dass der Habermas’sche Diskurs ein Gedankenexperiment darstellt und deutlich idealisiert erscheint. Festzuhalten ist jedoch der dezidierte Fokus auf das Verhandeln und Argumentieren mit Hilfe der Sprache sowie des Vernunft90 | Öffentlichkeit als demokratische Sphäre
gebrauchs und damit sein prozesshafter Charakter. Hier schließt Habermas an Arendts Analyse von Macht und Gewalt an, indem er beobachtet, wie sich gesellschaftliche Macht in gesellschaftlichen Kommunikationsprozessen entwickelt. Dabei betont er die offene, gemeinsame Meinungsbildung, denn nur wenn es solche Kommunikationsformen gebe, könne eine demokratische Öffentlichkeit entstehen.231 Mithilfe seiner kommunikativen Vernunft sei der Mensch – aus Habermas’ Perspektive – fähig, nicht nur seinen eigenen Nutzen und seine Interessen ins Zentrum zu rücken, sondern nach Lösungen im Verbund mit seinen Mitmenschen zu suchen und darum zu streiten. Der Rechtsstaat schützt dabei nicht nur diese kommunikativen Freiheiten, sondern er bringt sie zur Geltung, ohne die Gegebenheit von Recht und Institutionen zu übersehen. So ist, wie Dannica Fleuß kommentiert, »die normative Legitimität politischer Entscheidungen sowohl von der Inklusivität und Fairness des Prozesses als auch von der ›objektiven‹ Qualität des Verfahrensergebnisses […] abhängig«.232
Die Rechtmäßigkeit und die moralische Angemessenheit der deliberativ getroffenen Entscheidungen sind dabei von besonderer Wichtigkeit, nicht allein die prozedurale Legitimität. Politische Verfahren sind für Habermas nur dann legitim, wenn sowohl der Prozess zugänglich und inklusiv als auch das Resultat vernünftig, angemessen und zustimmungsfähig ist. Sein Diskursmodell von Öffentlichkeit stellt damit eine alle Gesellschaftsbereiche umfassende Moraltheorie dar. Unter dem Begriff ›gerecht‹ versteht er ›moralisch richtig‹ und ›allgemein anerkannt‹, wie Alexander Filipović betont: Habermas verbinde Fragen der Öffentlichkeit als demokratische Infrastruktur mit grundlegenden ethischen Fragen und einer Theorie der Demokratie.233 Die Demokratie stellt also eine vernünftige Praxis zur politischen Gestaltung dar, da in ihr normative Grundsätze kommunikativ gewonnen und realisiert werden können. In seinem Buch Faktizität und Geltung entfernt sich Habermas von der historischen Darstellung von Öffentlichkeit und verortet sie in einer […] Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats – so der Untertitel. Das Werk rückt die Legitimität von Habermas’ Weiterentwicklung der ›veröffentlichbaren Vernunft‹ | 91
Politik und Rechtsordnung in den Vordergrund, womit er sich in Kantischer Tradition befindet. Diese Legitimität schöpft sich aus der öffentlichen Meinungs- und Willensbildung im politischen Diskurs. So entwickelt er einen Idealtypus der ›deliberativen Öffentlichkeit‹: Um politische Entscheidungen treffen zu können, müssen diese unter den Souveränen, in der Demokratie innerhalb des Volkes, ausgehandelt werden. Alle Positionen und Argumente müssen vernünftig sein, damit eine gemeinsame Gesprächsebene erreichbar wird, auf der alle dieselbe Sprache sprechen. Diese gemeinsame Sprache ist eine Sprache der Vernunft, da diese allen Menschen prinzipiell zu eigen ist und zur Verfügung steht. Diesen Prozess bezeichnet Habermas als Diskurs, in dem sich das vernünftigste Argument durchsetzen wird. So sei die Öffentlichkeit ein »Resonanzboden für Probleme […], die vom politischen System bearbeitet werden müssen, weil sie andernorts nicht gelöst werden«.234
Habermas begreift die Öffentlichkeit als die Sphäre, die in Rückkopplung mit dem politischen Apparat stehen muss und im Sinne eines Netzwerks für Kommunikation verschiedene Positionen und Meinungen hervorbringt, bündelt und verdichtet. Was vernünftig ist, entwickelt sich aus dem öffentlichen Austausch von Argumenten. Die Öffentlichkeit reproduziert sich entsprechend über kommunikatives Handeln, wodurch ein sozialer Raum gemeinsamer Interaktion entsteht.235 Das von Habermas entwickelte Verständnis von Öffentlichkeit als deliberativem Raum schließt dabei an das liberale Öffentlichkeitsmodell an. Das auf Kant zurückgehende Element des öffentlichen Vernunftgebrauchs wiederum bildet den Kern liberaler Demokratien, die es verlangen, alle Themen zur Sprache zu bringen, die auf dem Prüfstand eines rationalen Verständigungsprozesses bestehen können. So zielt dieser öffentliche Vernunftgebrauch auf die rationale Begründung gesellschaftlicher Prinzipien des Zusammenlebens und auf die Bewährung von Traditionen allein unter der Bedingung des Räsonnements. Fragen, die diesen Kriterien der Verallgemeinerbarkeit, Intersubjektivität und Rationalität nicht entsprechen, spielen daher aus einer theoretischen Perspektive im 92 | Öffentlichkeit als demokratische Sphäre
öffentlichen, politischen Bereich keine Rolle. Solche Themen gehören unter diesem Blickwinkel dem privaten Bereich an, der daher als vom öffentlichen getrennt aufgefasst wird. Die breite Kritik an liberalen Öffentlichkeitsmodellen im Allgemeinen und der theoretischen Trennung von Öffentlichkeit und Privatsphäre im Besonderen thematisiert vor allem die Abstraktion des Individuums als einem vernünftigen Einzelnen und die theoretisch-ideologische Trennung der öffentlichen von der privaten Sphäre, die exkludierend wirke.236 Die daraus resultierende Zweisphärigkeit und damit Dichotomie von öffentlichem und privatem Raum bildet jedoch die Grundlage klassischer liberaler Demokratiekonzeptionen.
Ein digitaler Strukturwandel? Transparenz und Digitalisierung Im 21. Jahrhundert findet erneut ein, diesmal digitaler, Strukturwandel statt, 237 der die öffentliche Sphäre und die Grenzen zwischen Öffentlichem und Privatem verändert. Insofern bleibt zum Abschluss der Diskussion von Habermas’ Öffentlichkeitskonzeption zu fragen, ob es Konvergenzen wie auch Divergenzen mit neuen digitalen Formen von Öffentlichkeit gibt und inwiefern ein an Habermas orientierter, normativer Öffentlichkeitsbegriff mit dem Begriff der Transparenz in Verbindung gebracht werden kann. Dieser ist nämlich aufgeladen mit einer Vielzahl anspruchsvoller demokratierelevanter Erwartungen,238 wie auch der Begriff der Öffentlichkeit; beide zehren von einem breiten metaphorischen Gehalt. Ob mit der Habermas’schen Theorie die Digitalisierung der öffentlichen Sphäre angemessen beschrieben werden kann, wird jedoch unterschiedlich diskutiert. Habermas selbst blickt kritisch auf die Veränderungen der Öffentlichkeit, die er nichtsdestotrotz grundlegend versteht, jedoch nicht mehr selbst analysiert: »Mit dem erst seit den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts verbreiteten digitalen Medium ist […] die Verstetigung, die soziale Reichweite, das Tempo und die Dichte der kommunikativen Verständigung zum dritten Mal revolutioniert worden – nach der Einführung der Schrift […] und nach der Einführung des Buchdrucks Transparenz und Digitalisierung | 93
zu Beginn der gesellschaftlichen Moderne. Der Buchdruck hat alle Nutzer zu potenziellen Lesern gemacht, […]. Nun haben die sogenannten ›neuen Medien‹ alle Nutzer zu potenziellen Autoren gemacht […].«239 (Hervorhebungen im Original)
Habermas verweist hier auf die Geschichte des mehrfachen Medienwandels und sieht die Digitalisierung als ähnlich umwälzende Entwicklung wie die Entstehung der Schrift und des Buchdrucks, auf gesellschaftlicher wie auch auf individueller Ebene. Dabei gesteht er dem Internet und der Digitalisierung durchaus emanzipatorische Potentiale zu, da die Menschen nicht mehr nur lesen und rezipieren, sondern selbst schreiben und aktiv beitragen können. Kritisch bewertet Habermas dabei jedoch, dass die dezentrale Struktur des Internets zwar befreiendes Potential berge, jedoch gleichzeitig Gefahr laufe, ihren inklusiven Charakter zu verlieren. Dabei attestiert er den digitalen Öffentlichkeitsformaten Fliehkräfte, welche eine Fragmentierung vorantreiben, anstatt Gemeinsamkeiten zu stärken. Die Wirkung digitaler dezentraler Öffentlichkeitsausprägungen sei so von einer Zersplitterung sowie einem gleichzeitigen Auseinander und Nebeneinander gekennzeichnet. Habermas’ eigenes Modell der bürgerlichen, demokratischen Öffentlichkeit stellt jedoch die Inklusivität und Zugänglichkeit für alle BürgerInnen auf theoretischer Ebene in den Mittelpunkt. Eine Einschränkung des Diskurses und eine Verengung der Themen und Meinungen, die geäußert werden, sei eine mit der Struktur losigkeit digitaler Öffentlichkeiten einhergehende Gefahr: »Sobald die zentrifugalen Kräfte dieser ›Blasen‹ bildenden Kommunikationsstruktur die Sogwirkung der inklusiven Öffentlichkeit aufwiegen, dürften sich konkurrierende öffentliche Meinungen, die für die Bevölkerung im Ganzen repräsentativ sind, nicht mehr ausbilden können. Die digitalen Öffentlichkeiten würden sich dann auf Kosten einer gemeinsamen und diskursiv gefilterten politischen Meinungs- und Willensbildung entwickeln.«240 (Hervorhebungen im Original)
Habermas warnt also vor der Bildung sogenannter kommunikativ und diskursiv abgeschlossener Teilsphären und einem Ende 94 | Öffentlichkeit als demokratische Sphäre
des Austausches zwischen verschiedenen Teilöffentlichkeiten, wenn eine gemeinsame Gesprächsbasis und -sphäre zunehmend schrumpfe. Das Internet beschleunige einen Prozess der Enträumlichung, aufgrund dessen die öffentliche Sphäre in Gefahr gerate, auseinanderzubrechen und in einzelne, kaum miteinander kommunizierende Teilbereiche zu zerfallen. Dies steht allerdings einem demokratischen Diskurs und der politischen Meinungs- und Willensbildung entgegen, die grundlegend sind für eine deliberative Demokratie. Veränderungen, die durch die Digitalisierung beschleunigt werden, wie etwa kommunikative Abschottungs- und Radikalisierungstendenzen, erschweren das diskursive Miteinander und die Annäherung an ein von Habermas vorgestelltes, deliberatives Modell. Einige zentrale Annahmen und Kerngedanken seines Modells, etwa die allgemeine Zugänglichkeit, die sachliche Argumentation und die Vernunftorientierung sowie die Einigung auf einen Konsens, werden im Digitalen kaum befördert, eher sogar verhindert oder unterwandet. Filipović hält das »diskursethisch grundierte und gesellschaftstheoretisch entfaltete deliberative Demokratiemodell«241 von Habermas jedenfalls auch angesichts digitaler Kommunikationsformen, Social-Media und Datafizierung für orientierend und wertvoll, und zwar als Vergleichsfolie gegenüber den negativen Entwicklungen des digitalen Strukturwandels – wie zum Beispiel Hate Speech, Aggression, Exklusivität oder Polemiken. Für praktisch relevante Antworten auf Fragen der Digitalisierung und der digitalen Kommunikation zieht Filipović jedoch – in Erweiterung von Habermas’ Position – Alternativen zu dessen politisch-ethischem Entwurf heran, um damit »empirisch aktuell und (medien-)technisch sensibel«242 arbeiten zu können. Als Zwischenfazit bleibt festzuhalten, dass die Verbindung der Begriffe ›Transparenz‹ und ›Öffentlichkeit‹ mehrschichtig ist: In Bezug auf Öffentlichkeit im Sinne von Publikum und öffentlicher Meinung stellt Transparenz durchaus einen ermöglichenden Faktor dar, da die Herstellung von Transparenz ein Publikum schaffen oder vergrößern kann. Für Öffentlichkeit im Sinne von Zugänglichkeit fungiert Transparenz hingegen als eine Art Synonym. Die Öffentlichkeit politischer Entscheidungen schafft Transparenz, da Ergebnisse und Entscheidungen nachvollzogen werden können. Für Öffentlichkeit in einem stärkeren, an Habermas anschließen Transparenz und Digitalisierung | 95
den Sinne, als Sphäre des vernünftigen Diskurses, bildet Transparenz jedoch kein geeignetes Synonym. Zudem verwischen im Digitalen die Grenzen zwischen lesendem Publikum und verfassenden AutorInnen: Die Herstellung von Transparenz stellt entsprechend nicht sicher, dass veröffentlichtes Material auch rezipiert wird oder überhaupt Reaktionen hervorruft. Was einem dermaßen konzeptualisierten Transparenzbegriff demnach fehlt, ist das – auf Kant zurückgehende – Kriterium der Vernunft als ›Prüfstein‹. Auch Habermas entwickelt sein Konzept der deliberativen Öffentlichkeit aus einem solchen Denken heraus und verdeutlicht die Normativität von Öffentlichkeit für die moderne Demokratie. Die »Forderung nach Publizität [wirkte] sich langfristig demokratisierend aus […], weil Informationen nicht mehr monopolisiert werden konnten und die öffentliche Diskussion die Ansprechbarkeit aller suggerierte«.243 Der Zusammenhang von Demokratie und Öffentlichkeit ist also eng, da demokratisches staatliches Handeln rechtfertigungsbedürftig gegenüber den BürgerInnen ist. Im 21. Jahrhundert und vor allem einhergehend mit den Möglichkeiten der Digitalisierung wird diese Forderung nach staatlicher Rechtfertigung und Kon trolle unter das Schlagwort der Transparenz gestellt und weitestmöglich durchgesetzt. Diese vereinfacht die Herstellung der für die Demokratie notwendigen Öffentlichkeit, stellt dabei allerdings eine Art vorgelagerten Zustand beziehungsweise eine grundlegende Eigenschaft dar, welche Öffentlichkeit erst ermöglicht.244
96 | Öffentlichkeit als demokratische Sphäre
12. Öffentlichkeit als Handlungsraum
E
ine dritte Position zur ideengeschichtlichen Verortung der Transparenz neben Publizität und Öffentlichkeit als diskursiver Sphäre ist der von Hannah Arendt ausgearbeitete Öffentlichkeitsbegriff, welcher das Miteinander-Handeln und Kommunizieren, das Gemeinsame der BürgerInnen, betont. Arendt wird dabei häufig als Autorin eines republikanischen Demokratie- und Öffentlichkeitsverständnisses gelesen, auch Habermas rezipiert sie so.245 Gleichzeitig steht Arendts Werk auf gewisse Art quer zu der oben rekonstruierten ideengeschichtlichen Verbindung von Kant zu Habermas, da sie nicht auf die Legitimität und Vernünftigkeit des Verfahrens blickt, sondern vielmehr auf die Einbindung der Individuen. Sie denkt Politik vom Menschen aus, nicht vom Verfahren her. Arendts Ansatz stellt neben dem Kants denjenigen dar, zu dem sich Habermas explizit und ausführlich in Beziehung setzt und von dem er sich klar abgrenzt.
Arendts politische Philosophie des Handelns Der Zusammenhang von Öffentlichkeit und Demokratie ist bei Arendt ein anderer als bei Habermas, denn sie schließt keine Ethikkonzeption daran an. Sie rückt stattdessen kommunikative und gemeinschaftliche Aspekte des Menschseins in den Mittelpunkt.246 Den Kern menschlicher Existenz stellt in ihrer Konzeption das ›Handeln‹ (griech. πρᾶξις/prāxis) dar, welches als Kooperation zu verstehen ist, als Miteinander-in-Verbindung-Treten. Dabei macht sie mehrere Bedingungen menschlicher Existenz aus, die für sie die condition humaine im Ganzen bilden: Lebendigkeit, Weltlichkeit und Pluralität. Diesen drei Bedingungen des Menschseins entsprechen drei Formen der Tätigkeit. Erstens die Arbeit, die der Lebendigkeit des Menschen entspringt und die das Leben des Menschen als Einzelnem wie auch als Gattung sicherstellt. Zweitens das Herstellen, das der Weltlichkeit des Menschen Rechnung trägt und das 97
über die schiere Notwendigkeit des physischen Überlebens hinausweist und sich auf die Verortung des Menschen in der Welt, in welcher der Mensch als homo faber seine Welt und ihre Dinge erschafft, richtet. Sowie drittens das Handeln, das der Pluralität des Menschen entspricht und eine Manifestation grundlegender menschlicher Freiheit ist. Letztere Tätigkeitsform komme, so A rendt, als einzige ohne Materie aus, da das Handeln kein greifbares, physisches Produkt hinterlasse. Gleichzeitig sei dieses die einzige Tätigkeit, die dem Menschen zu eigen und nicht auf seine biologische Existenz oder sein Leben in der Welt bezogen sei.247 Hier wird die politische Dimension der menschlichen Bedingtheit deutlich, denn das Handeln ist sowohl Inhalt und Charakteristikum von Politik als auch Sinn des menschlichen Daseins, da der Mensch nur im Handeln frei sein könne. Dabei ist die Pluralität der Menschen eine zentrale Bedingung dieser potentiellen Freiheit. Gerade weil Menschen einerseits gleich und andererseits verschieden seien, müssen sie nach Arendts Verständnis politisch sein: »Das Handeln bedarf einer Pluralität, in der zwar alle dasselbe sind, nämlich Menschen, aber dies auf die merkwürdige Art und Weise, dass keiner dieser Menschen je einem anderen gleicht, der einmal gelebt hat oder lebt oder leben wird.«248
Ein Verständnis von und eine Verbindung zu anderen Menschen ist also möglich, aber nicht selbstverständlich. Genau dies ist für Arendt der Kern des menschlichen Daseins. Was den Menschen ausmache, sei an Bedingungen gebunden, wobei die fragilste die der Pluralität sei, die sich als Gleichheit sowie als Verschiedenheit darstelle: »Ohne Gleichartigkeit gäbe es keine Verständigung unter Lebenden, kein Verstehen der Toten und kein Planen für die Welt, die nicht mehr von uns, aber doch immer noch von unseresgleichen bevölkert sein wird. Ohne Verschiedenheit, das absolute Unterschiedensein einer Person von jeder anderen, die ist, war, oder sein wird, bedürfte es weder der Sprache noch des Handelns für eine Verständigung; eine Zeichen- und Lautsprache wäre hinreichend, um einander im Notfall die allen gleichen, immer identisch bleibenden Bedürfnisse und Notdürfte anzuzeigen.«249 98 | Öffentlichkeit als Handlungsraum
Die Grundbedingung der Pluralität, also gleichzeitig als Menschen gleich und als Individuen verschieden zu sein, besitzt für Arendt zwei Seiten, wie ihre Worte verdeutlichen. Einerseits ermögliche sie eine Kontinuität von Geschichte und Verständigung zwischen Individuen sowie über Zivilisationen und Epochen hinweg. Andererseits mache sie differenzierten Austausch und komplexe Sprache notwendig, da jede Person einzigartig und damit unterschiedlich zu anderen ist. Diese Bedingungen menschlicher Existenz könnten laut Arendt zwar nicht das Wesen des Menschen oder den Menschen an sich erklären,250 aber den Raum und die Situation, in der er sich befindet und tätig ist. Der Ort des Handelns, des Politischen, befinde sich in der Öffentlichkeit, welche sie als Raum der Freiheit definiert, der im Gegensatz zum Privaten stehe, das für Arendt einen Raum der Notwendigkeit und des Zwangs darstellt.251 Die ›Öffentlichkeit‹ ist für ihr Denken und ihre Überlegungen zu Politik und Handeln daher zentral. Dort verbinden sich zwei Phänomene: Zum einen ist dasjenige öffentlich, was für alle sichtbar und hörbar, das heißt in der Welt ist. Öffentlichkeit besteht in der Gegenwart anderer und »versichert uns der Realität der Welt«.252 Der öffentliche Raum ist zum anderen der Raum des Gemeinsamen, des Politischen, des Miteinanders. Hier spielt es eine Rolle, präsent zu sein und sich in die anderen einzufühlen und hineinzudenken, er ist also der Raum des Aufeinander-Eingehens, gleichzeitig der Ort der Pluralität. Öffentlich ist die den Menschen gemeinsame Welt. Mit der ›Welt selbst‹ bezeichnet Arendt das, was zwischen den Menschen besteht und durch Handeln entsteht, die Verbindung der Menschen, die zwar nicht materiell greifbar, aber prinzipiell vorhanden ist. Sie ist das Gemeinsame, gewissermaßen der Zwischenraum, der verbindet und in dem verschiedene Perspektiven auf dieselben Dinge eingebracht werden können. Erst die Welt als öffentlicher Erscheinungsraum und gemeinsame Sphäre ermöglicht das Miteinander der Menschen und überdauert die Einzelnen. Welche Rolle spielt nun die Erkennbarkeit einer Person im Handeln für das öffentliche Miteinander? Arendt ist der Ansicht, dass sich die Menschen in der Öffentlichkeit nicht verstecken könnten. Sie offenbarten sich stets, da Personen sich im Handeln und im Sprechen enthüllten: Handeln und Sprechen seien entsprechend die beiden Tätigkeiten, in denen sich die Einzigartigkeit des Menschen Arendts politische Philosophie des Handelns | 99
darstelle, denn darin unterscheiden sich Menschen aktiv voneinander, anstatt bloß unterschiedlich zu sein. Im Modus des Handelns und Sprechens offenbare sich demnach das Menschsein selbst.253 Durch sein Sprechen teile der Mensch sich selbst mit, nicht nur die Sache, über die er spricht, sondern auch seine Identität und Persönlichkeit, seine Menschlichkeit. Niemand könne sich dieser Verbindung entziehen. Form und Inhalt liefen gewissermaßen parallel und es könne nicht eines ohne das andere sein. »Erst durch das gesprochene Wort fügt sich die Tat in einen Bedeutungszusammenhang, weil das Wort den Täter identifiziert und verkündet, dass er es ist, der handelt, nämlich jemand, der sich auf andere Taten und Entschlüsse berufen kann und sagen, was er weiter zu tun beabsichtigt.«254
Taten müssen aus dieser Perspektive kontextualisiert und somit erklärt werden. Durch die sprachliche Einbettung von Handlungen in ein menschliches Miteinander werden diese bestimmten Personen zugeschrieben. So entstehe ein »Bezugsgewebe menschlicher Angelegenheiten«255 und langfristig Geschichte in einem individuellen wie auch kollektiven Sinn. Vorgeben, jemand anders zu sein, sei für Handelnde und Sprechende unmöglich. Im Gegensatz zu den jeweiligen Eigenschaften oder Merkmalen einer Person, die anzeigen, was einer ist, sei »das eigentlich personale Wer-jemandjeweilig-ist unserer Kontrolle darum entzogen, weil es sich unwillkürlich in allem mitoffenbart, was wir sagen oder tun«.256 Jeder Satz oder jedes Tun gebe Aufschluss darüber, wer jemand sei. Merkmale (›was‹) teilten Menschen jedoch stets mit anderen. Insofern sei anonymes Handeln sinnlos und austauschbar. Zudem wäre es nur noch Mittel zum Zweck, welches nicht mehr von anderen gegenstandsgebundenen Leistungen unterscheidbar wäre. Die ›Selbst-Offenbarung‹ einer Person im Handeln und Sprechen ist für Arendt daher zentral. Zentral ist zu erfahren, ›wer‹ jemand ist, nicht lediglich, wie jemand heißt. Anonymität im Sinne einer Nicht-Erkennbarkeit stellt für Arendt dementsprechend ein Problem dar: Die Möglichkeit, in der Masse aufzugehen und im Anonymen zu handeln, sieht sie insofern kritisch. Sie denkt den öffentlichen Raum nicht von der Vernunft und dem Veröffentlichungs-Prinzip her, wie Kant und die 100 | Öffentlichkeit als Handlungsraum
an ihn anschließende Tradition, sondern setzt die antike Polis als einen historischen Bezugspunkt, in der das gemeinsame öffentliche Handeln und der Austausch auf dem Marktplatz (griech. ἀγορά/ agorá) im Zentrum standen. Die Sphärendimension von Öffentlichkeit ist hierbei zentral, Arendt stellt jedoch als Voraussetzung nicht das Kriterium der Vernunft auf, sondern die Bereitschaft der Menschen, zu handeln und miteinander zu sprechen. Dabei trennt sie auf theoretischer Ebene – der klassischen griechischen Tradition folgend – den öffentlichen vom privaten Raum, wobei ihrem Verständnis nach Freiheit nur in der Öffentlichkeit möglich sei. Der private Raum hingegen sei der Raum der biologischen Notwendigkeit und des Zwangs, aber nicht der Regeneration für die Öffentlichkeit, sondern einfach als andere Sphäre, die dem Menschen ebenfalls eigen ist. Da Arendt allerdings die öffentliche, politische Sphäre höher schätzt, wertet sie das Private gering: Im Privaten lebt der Mensch nicht seine genuin menschliche Eigenart der Kommunikation, des Handelns und der Freiheit, sondern unterliegt seinen Bedürfnissen und den Zwängen der Natur.257 Seyla Benhabib unterscheidet bei Arendt einen agonistischen und einen assoziativen Begriff von Öffentlichkeit, womit Arendt an die griechisch-antiken Vorstellungen von Politik anschließt, die jedoch quer zu modernen Konzeptionen stehen. In einem agonistischen Sinn lasse sich der öffentliche Raum als Bühne verstehen, auf der um politische Anerkennung gestritten werde. Wenn hingegen gemeinsam politisch gehandelt wird und das gemeinsame Ziel im Mittelpunkt steht, spricht Benhabib in Bezug auf Arendt vom Assoziationsmodell der Öffentlichkeit, welches für eine moderne Konzeption von öffentlicher Teilhabe anschlussfähiger sei.258 Mit diesem Assoziationsmodell habe Arendt ein am Prozess orientiertes Verständnis des öffentlichen Raumes entworfen. Zentral sei darin der Weg zu Übereinkünften, nicht so sehr, was Thema der Auseinandersetzungen sei.259 Bei Arendt stützt sich der Raumbegriff also auf ein Handeln als solches, nicht auf den Ort dieses Handelns. Arendts Raumbegriff ist also operational, nicht lokal. Für Arendt stellt die öffentliche Sphäre in einem agonistischen Sinn somit eine Art Bühne dar, auf der Tugenden praktiziert, »moralische und politische Größe, heldenhaftes, herausragendes Verhalten ›aufgeführt‹, öffentlich gemacht werden«.260 Arendts politische Philosophie des Handelns | 101
Öffentlichkeit als Assoziationsraum entsteht wiederum jeweils, wenn und wo Menschen in Übereinstimmung agieren und gemeinsam handeln. Dies ist sodann der Raum, in dem Freiheit entstehen kann. Politik ist, so auch Benhabib, für Arendt gekennzeichnet durch die Beteiligung und die Kooperation von BürgerInnen, die dadurch kollektive Macht erlangen. Die Öffentlichkeit ist der Ort des Handelns und der Freiheit, des Miteinanders, das heißt der Realisierung des Menschseins.
Digitale Transparenz im öffentlichen Handeln Arendt zielt auf die Sichtbarkeit und Erkennbarkeit der Sprechenden und Handelnden im Politischen. Und zwar sowohl im wörtlichen Sinne einer physischen Präsenz als auch im übertragenen Sinne der Erkennbarkeit. Allerdings möchte ich ›Sichtbarkeit‹ und ›Erkennbarkeit‹ an dieser Stelle abgrenzen von ›Transparenz‹. In Vita activa liegt Arendts Fokus auf dem Individuum, auf den BürgerInnen und deren Handeln und In-Erscheinung-Treten, was diese sichtbar, aber nicht transparent macht. Aus einer solchen Perspektive besteht die Gefahr, dass die BürgerInnen ›gläsern‹ werden, dass sie also als Personen transparent und damit nachverfolgbar werden. Das birgt ein hohes Überwachungspotential, welches Freiheit und Privatheit erheblich einschränken kann. Da Arendt zwar politische Theoretikerin ist, jedoch keine Staats theorie betreibt, liegt die Transparenz des Staates nicht in ihrem Fokus, also das Verhältnis des Staates zu seinen BürgerInnen, sondern wie die BürgerInnen politisch agieren. Politisches Handeln wird dabei laut Arendt möglich und nötig, da die Menschen gleich und doch verschieden sind. Dabei sei es höchst relevant, dass sich die Menschen im Politischen zeigten und identifizierbar machten. Ein Abtauchen in eine (Menschen-)Masse und in die Anonymität und somit ein Verlust individueller Merkmale bedeuten aus ihrer Sicht zugleich das Ende der Öffentlichkeit. Gerade im Zusammenhang mit digitalen Medien stellen sich Fragen nach Sichtbarkeit und Entblößung, die wiederum das je individuelle Kommunikationsverhalten beeinflussen. Die Möglichkeiten der anonymen Kommunikation sind dabei ambivalent. 102 | Öffentlichkeit als Handlungsraum
Überwachung, die die Privatheit der BürgerInnen aushöhlt, stellt für Arendt ein Merkmal totalitärer Herrschaft dar. Julia Maria Mönig zufolge ist die gegenwärtige gesamtgesellschaftliche Ausweitung von Überwachungstendenzen aus einer an Arendt orientierten Perspektive somit äußerst kritisch zu bewerten. In gesellschaftlichen Debatten über informationelle Privatheit stelle sich die Frage, was durch ständige Datenaufzeichnung und deren Auswertung erfasst werden könne, da das Wesenhafte einer Person schwer zu fassen sei, sich anderen jedoch durchaus zeige.261 Doch können die Menschen das Bild, das sich andere von ihnen machen, nicht immer selbst kontrollieren. Deswegen ist das massenhafte Sammeln und Akkumulieren von persönlichen Daten problematisch. Solche Daten ermöglichen nicht nur Aufschluss darüber, was einer ist, sondern eben auch, wer einer ist.262 Im digitalen Raum können sich Menschen also kommunizierend offenbaren. Das Bezugsgewebe, das sich im digitalen Zeitalter spinne, sei jedoch weniger deutlich und weniger dicht als das im direkten interpersonalen Kontakt geknüpfte, da das Gegenüber oftmals unbekannt und opak bleibe. Man weiß auf diese Weise nicht, mit wem man es zu tun hat. Dabei ist gerade dieses Wissen, das durch die Sichtbarkeit des Einzelnen entsteht, elementar und Anonymität ausgeschlossen.263 Arendt schwebt dabei keine Gesellschaft transparenter, gläserner Individuen vor, in der alle alles über die anderen wissen. Lediglich auf der Bühne der Öffentlichkeit muss jedeR erkennbar sein. Nach einem an Arendt orientierten Verständnis von Öffentlichkeit und Demokratie brauchen BürgerInnen also nicht mehr Transparenz und Information, sondern vor allem die Freiheit, handeln zu können.
Digitale Transparenz im öffentlichen Handeln | 103
13. Transparenz-Paradox und Pseudotransparenz
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ransparenz läuft stets Gefahr, sich selbst auszuhebeln und lediglich ›Pseudotransparenz‹ zu bewirken. Sie kann paradoxe Konsequenzen zeitigen, wenn zwar Transparenz besteht, aber dies aber keine positiven Folgen für die Demokratie hat. Ein wesentliches Augenmerk muss daher auf dem richtigen Maß an Öffentlichkeit und Offenlegung liegen. Die Transparenznorm konfligiert dabei sowohl mit Geheimhaltung als auch mit Privatheit: diese können Transparenz, aber auch ein Zuviel verhindern. Von einem Übermaß an Transparenz kann gesprochen werden, wenn transparente Prozesse zwar in einem prinzipiell demokratischen Sinne Missstände offenlegen, anschließend jedoch keine praktischen Folgen nach sich ziehen. Hieran schließt sich die Frage an, ob Transparenz um ihrer selbst willen erstrebenswert ist oder ob sie lediglich eine Praxis oder ein Mechanismus ist, der ein normatives Konzept von Demokratie und Teilhabe verfolgt. So wird Transparenz paradox, wenn sie zu einem Übermaß gerät. Denn, wie August bildlich verdeutlicht: »Wenn die Transparenzpraktiken mehr und mehr Informationen generieren, verschwindet die angestrebte Transparenz wieder. Statt nach dem gut kaschierten Geheimversteck sucht man nun nach der Nadel im Heuhaufen. Politik wird also durch mehr und mehr Informationen eher opaker und unsicherer.«264
So können die ubiquitäre Herstellung von Transparenz und die übermäßige Preisgabe von Informationen dazu führen, dass erstere sich selbst wirkungslos macht. August versteht Transparenz als einen Mechanismus, der Unsicherheit eher schafft, statt sie zu überwinden, gleichzeitig jedoch, dazu gegensätzlich, vorgibt, Sicherheit und Kontrolle zu generieren. Eine digitale Form der Vernebelung stellt zudem die sogenannte obfuscation dar, also die absichtliche Übermittlung verwirrender, falscher oder fehlleitender Informationen zum Zwecke der Störung möglicher Überwachungs- und 105
Datensammlungspraktiken.265 Hieran schließt das Problem einer Pseudotransparenz an: Alles ist in einem solchen Fall zwar verfügbar, doch das eigentlich demokratiefördernde Element, nämlich dass eine wachsame Öffentlichkeit über Inhalte diskutiert und sich mit ihnen auseinandersetzt, bleibt aus. Relevante Informationen könnten in einer schieren Flut an veröffentlichtem, insofern ›transparentem‹ Material verborgen werden. Durch ein Zuviel an Transparenz kann also – beabsichtigt oder unbeabsichtigt –Schaden angerichtet werden.266 Insofern produziert Transparenz statt Klarheit und Offenheit Intransparenz und Unzugänglichkeit.267 Als Ergebnis lässt sich in der Folge eine Idealisierung »irrsinniger Sichtbarkeit«268 ausmachen, welche rasch zu einem sogenannten information overload führen kann. Information overload ist ein Begriff, den der Zukunftsforscher Alvin Toffler in seinem 1970 erschienenen Buch Future Shock prägte, in dem er die technologische Durchschlagskraft einer solchen Datenflut beschreibt und damit einhergehende soziopsychologische Konsequenzen diagnostiziert. 269 Die Informationsüberflutung sei dabei ein wesentliches Element, das es den Menschen erschwere, mit den Veränderungen zurechtzukommen. Dadurch wird – paradoxerweise – mehr verfügbar und doch weniger sichtbar. Hierbei kommt die widersinnig erscheinende Eigenschaft von Transparenz zum Tragen, dass sie sich in ihr eigenes Gegenteil verwandeln kann, nämlich in Unsichtbarkeit. Armando Menéndez-Viso führt das Problem der Hypertransparenz auf das Internet und die Digitalisierung zurück, da die digitalen Technologien eine unendlich erscheinende Flut an Informationen bereitstellen und damit eine fast perfekte, jedoch lediglich vermeintliche Transparenz schaffen. Insofern sei Transparenz eine Frage der Wahrnehmung dieser Datenfülle. So ist eine Institution nur dann transparent, wenn sie als solche auch wahrgenommen wird. Im Zentrum steht dann nicht der Blick hindurch, sondern der Blick hinein, etwa in eine Institution, die ›transparent‹ zu sein vorgibt – und damit Sichtbarkeit. Da Transparenz im Sinne von Durchsichtigkeit auch ein Verschwinden von Strukturen zur Folge haben kann, verleitet der Begriff dazu, die Grenze zwischen Sichtbarmachen und Unsichtbarmachen, zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit zu verunklaren, da mit der Sichtbarkeit und Transparenz des einen stets etwas anderes aus dem Blick gerät. Im 106 | Transparenz-Paradox und Pseudotransparenz
Digitalen kann dabei eine Illusion von Transparenz entstehen, da zwar theoretisch alles zugänglich oder verfügbar ist oder gemacht werden könnte, aber die zentrale Frage ist dann, ob dies auch passiert. Menéndez-Viso bemerkt, dass Transparenz ihre moralische Macht verliert, wenn Ehrlichkeit, Integrität und öffentliches Interesse fehlen. Etwas transparent zu machen, sei in diesem Sinne gerade nicht dasselbe wie etwas öffentlich zu machen. Letzteres impliziert ein öffentliches Interesse sowie öffentlichen Vernunftgebrauch. Transparente Strukturen allein könnten auch Fehlverhalten sichtbar werden lassen, doch wenn sich niemand darum kümmert, zeitigt eine solche Transparenz keine Effekte.270 Hieraus speist sich die Überzeugung, dass eine intakte Öffentlichkeit von großer Relevanz ist, in der Enthüllungen nicht verpuffen: »Misslingt Transparenz nämlich in dem Sinne, dass sie folgenlos bleibt, so kann sich ihre Wirkung, was die normativ-demokratische Zielsetzung anbelangt, in ihr Gegenteil verkehren. Dies geschieht etwa, wenn folgenlose Transparenz eine Dynamik der Enttabuisierung oder gar des Nihilismus nach sich zieht – eine Tendenz, wie sie derzeit in Reaktion auf die oftmals folgenlosen Enthüllungen durch Wikileaks zu beobachten ist.«271
Paula Helm warnt hier vor einer zu weit gehenden und anschließend ins Leere laufenden Sichtbarmachung und damit möglicherweise einhergehender gesellschaftlicher Ignoranz. Deshalb sollte Transparenz strenggenommen nur dann gefordert und umgesetzt werden, wenn auch eine hinreichende Bereitschaft besteht, sich mit dem, was sichtbar gemacht wird, kritisch auseinanderzusetzen. Ansonsten fungiert Transparenz als bloßes ›Aushängeschild‹ und als leeres metaphorisch-normativ aufgeladenes Schlagwort. Transparenz per se ist dann eben nicht »jenes Heilmittel, welches die (Rest-)Mängel der Demokratie beseitigt und diese durch direktdemokratische Elemente belebt«.272 Im Gegenteil kann eine demokratische Überforderung der BürgerInnen und eine mediale Überforderung von PolitikerInnen die Folge sein, was ein professionelles Transparenzmanagement durch organisierte Akteure begünstigt – etwa Verbände oder Lobbyorganisationen.273 Dieses Problem und Paradox, dass Öffentlichkeit sich in ihr Gegenteil verkehrt werden Transparenz-Paradox und Pseudotransparenz | 107
und zu einer Pseudo-Öffentlichkeit mutieren kann, erkennt bereits Habermas, wenn er die strategische Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit kritisiert. Er diskutiert einen anderen und doch verwandten Aspekt von Pseudotransparenz, wenn er zeigt, wie Öffentlichkeitsarbeit lediglich Repräsentation entfaltet statt eigentlicher Partizipation: Er schreibt von einem »umfunktionierte[n] Prinzip der Publizität«274 und beobachtet einen Wandel von Publizität als Prinzip der Kritik hin zu einem Prinzip der durch handlungsmächtige Akteure und deren strategische Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit »gesteuerten Integration«275, welche bloße Repräsentation verwirklichten anstatt aktiver Teilhabe. So setzt Habermas sich mit dem richtigen Maß an Öffentlichkeit kritisch auseinander. Er tut dies am Beispiel der Berichterstattung aus dem Gerichtssaal und ihrer möglichen Wirkung auf ein an sich unbeteiligtes, konsumierendes Publikum. Sowohl Öffentlichkeit als auch Transparenz können also im Übermaß vorhanden sein und benötigen daher eine kritische Revision, welche wiederum auf das seit Kant zentrale Prüfkriterium der Vernunft rückführbar sein muss. Ein solches Prüfkriterium scheint jedoch bei einer Transparenz, die ideologisch verfährt und kaum an Inhalte gekoppelt ist, gegenüber einem Leitbild der Sichtbarkeit an praktischer Relevanz zu verlieren und ist gleichzeitig aus einer normativen Perspektive nach wie vor unabdingbar. Aufgrund der Komplexität der begrifflichen und ideellen Zusammenhänge lässt sich nicht definieren, was Transparenz in Bezug auf den Staat genau ist, sondern über den normativ ambivalenten Transparenz begriff nur reflektieren. Weil Öffentlichkeit ein äußerst vielfältiges Phänomen ist, erscheint auch eine genaue Fassung des Transparenzbegriffs als schwierig. Öffentlichkeit ist historisch und soziokulturell wandelbar und unterliegt je eigenen zeit- und raumgebundenen Normen und Logiken, einhergehend »mit spezifischen Institutionen und Sichtbarkeitsarrangements, Erwartungshaltungen und Handlungsrationalitäten«276. August spricht daher von verschiedenen Regimes der Öffentlichkeit und hält die Gleichsetzung von Öffentlichkeit und Transparenz für durchaus problematisch. Transparenz kann dabei verstanden werden als der Zugang zu Informationen, während Publizität – in klassisch Kant’schem Verständnis – auch das Verständnis sowie den Austausch über 108 | Transparenz-Paradox und Pseudotransparenz
diese Informationen beinhaltet. Transparenz stellt keine eigentliche Sphäre dar, sondern verengt vielmehr die Perspektive auf bloße Sichtbarkeit. Insofern entbehrt Transparenz der zentralen normativen und demokratischen Komponente eines interessierten und gegebenenfalls engagierten Publikums. Sie wirkt in nur eine Richtung und setzt die Veröffentlichung sowie Sichtbarmachung absolut, während sie mögliche Konsequenzen und sich aus der Sichtbarkeit von Informationen ergebende, weitere Handlungsimperative und -normen ausblendet. Das Paradox der Transparenz besteht darin, dass Sichtbarkeit durch ein Übermaß an Informationen zu faktischer Pseudotransparenz werden kann und die Transparenz damit in ihr Gegenteil umschlägt.
Transparenz-Paradox und Pseudotransparenz | 109
14. Der Begriff des Individuums
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ransparenz als Forderung an einen demokratischen Staat lässt sich, wie im vorangegangenen Kapitel gezeigt wurde, demokratietheoretisch rekonstruieren und begründen: Transparenz stärkt die Rolle der BürgerInnen als Souveräne gegenüber dem Staat. Die Transparenzforderung wird jedoch nicht nur gegenüber dem Staat, sondern auch gegenüber dem Individuum erhoben. Dabei wird Transparenz zu einer regelrechten Ideologie und als Patentrezept 277 und magische Formel278 für Aufklärung und Offenheit in der modernen Gesellschaft gehandelt. Im Rahmen von Digitalisierung und Datafizierung kommt es zunehmend zu einem Ende der Informationskontrolle279 und damit zur vollständigen Transparenz des Individuums. Wenn es – wie hier – um dateninduzierte Transparenz geht, also um das verdatete Individuum, dann ist oft vom ›gläsernen Menschen‹ die Rede. Vom ›transparenten Menschen‹ zu sprechen (im Gegensatz zur Transparenz des Staates), ist – im Deutschen – nicht gängig. Dabei handelt es sich meines Erachtens lediglich um eine andere Begrifflichkeit für dasselbe Phänomen. Der gläserne Mensch ist ein populäres Schlagwort im Diskurs um Datenschutz, Technologie und Privatsphäre und verbunden mit der negativen Konnotation der Bedrohung des Einzelnen. Der Ausdruck insinuiert Überwachung und den Verlust der Privatsphäre. Das Private ist also auf das Individuum bezogen der Gegenbegriff zur Transparenz. Anhand verschiedener Verlustszenarien von Privatheit wird deutlich, inwiefern die Einzelnen ›sichtbar‹ und ihr digitales Verhalten rekonstruierbar werden. Dabei wirkt Transparenz sowohl faktisch als auch normativ. Faktisch, weil durch die Digitalisierung der Einzelne nachverfolgbar – also transparent – wird. Normativ, weil die Datenabgabe zwar zumeist freiwillig erfolgt, allerdings im Zusammenhang mit einem bestehenden Imperativ280 und im Einklang mit einer gesellschaftlichen Norm. Damit unterwirft sich das Individuum letztlich einem entsprechenden Transparenzzwang281. 111
Der in diesem Abschnitt behandelte Transparenzbegriff zielt also nicht auf Strukturen, sondern auf das Individuum. Transparenz wird gewissermaßen zur Anforderung an den Einzelnen, nichts zu verbergen und in einer zunehmend digitalisierten (Lebens-)Welt einer Einschränkung der Privatsphäre zuzustimmen. Als Ideologie verstanden, die Zwang auf Menschen ausübt, lässt Transparenz Überwachung und Selbstüberwachung ineinander übergehen. Byung-Chul Han thematisiert vor allem die Freiwilligkeit und damit die besondere Wirkmächtigkeit von Transparenz: Der »Transparenzzwang nivelliert den Menschen selbst zu einem funktionellen Element eines Systems. Darin besteht die Gewalt der Transparenz.«282 Han sieht den Menschen als Element eines Systems, in dem Transparenz zur Norm und zum Zwang geworden sei, der wiederum eine gleichschaltende Wirkung auf die Gesellschaft und das Individuum habe. Nach Hans Verständnis werden dadurch Unterschiede und Ambivalenzen, wie sie der zwischenmenschlichen Kommunikation eigentlich innewohnen, nivelliert. Dabei sieht er den Zwang zur Transparenz als systemisch an, wodurch sich diesem niemand entziehen könne. Diese Einschätzung Hans ist von einem deutlichen Pessimismus geprägt und folgt stilistisch einem alarmistischen, von negativ konnotierten Begriffen wie ›Kontrolle‹ oder ›Zwang‹ geprägten Duktus. Hier ist seine Position trotzdem interessant, weil er Transparenz nicht mehr nur als Gegenmittel gegen staatliche Geheimhaltung und Korruption begreift, sondern vielmehr als eine Ideologie mit umfassender gesellschaftlicher Tragweite. Menschen als leibliche und zugleich bewusstseinsfähige Wesen sind einander intransparent. Gedanken und Innenleben einer Person bilden den eigentlichen Kern ihrer Privatheit, da sie für andere Menschen nicht offensichtlich und auch nicht zweifelsfrei lesbar sind. Beate Rössler bezeichnet diese Privatheit der Gedanken und mentalen Zustände als Teil der ›informationellen Privatheit‹.283 Die Subjektivität und die Intransparenz des Individuums können als Grundlagen des menschlichen Miteinanders gelten, da sie Geheimnisse vor anderen Menschen und damit eine Steuerung des eigenen Selbstbildes nach außen ermöglichen. Personen sind grundsätzlich dazu in der Lage, Informationen zurückzuhalten und nicht alles 112 | Der Begriff des Individuums
von sich preiszugeben, wodurch sich Beziehungen überhaupt erst konstituieren können.284 Individuelle Autonomie benötigt hingegen keine vollständige Transparenz sich selbst gegenüber, sondern kann auch bestehen, wenn das Individuum die eigenen Verstricktheiten und Einbettungen in soziale Kontexte nicht durchschaut.285 Vincent Rzepka macht die Übertragung des Begriffs ›transparent‹ auf Seele, Charakter und Personen im Englischen und Französischen bereits im 16. und 17. Jahrhundert fest. Die Vorstellung der »Offenheit eines Charakters […], der nichts zu verstecken habe […]«286, passe in die Zeit der wissenschaftlichen Erkundung von Mensch, Seele und Natur, in deren Zuge Wahrheit, Geständnis und Selbst-Offenbarung en vogue wurden. Ein bereits erwähnter Autor, der sich in dieser Epoche mit der Transparenz des Individuums auseinandersetzt, ist Jean-Jacques Rousseau. Er begreift die Transparenz des Einzelnen als Gegenentwurf zur Geheimhaltung auf persönlicher Ebene. Transparenz ist für ihn gewissermaßen die natürliche Daseinsform des Menschen, er sieht in der einem Kristall gleichenden Transparenz des Herzens den Ausdruck für moralische Integrität und die Ehrlichkeit des Charakters: »Ehe noch die Kunst unser äußerliches Wesen geformt und unseren Leidenschaften eine gekünstelte Sprache in den Mund gelegt hatte, waren unsere Sitten zwar bäurisch, aber natürlich […]. Die menschliche Natur war im Grunde nicht besser, aber die Menschen fanden ihre Sicherheit in der Leichtigkeit, mit der sie sich wechselseitig durchschauten […].«287
In einem vormaligen, idealisierten natürlichen Zustand waren nach Rousseaus Vorstellung äußere Erscheinung, Handeln und Worte eines Menschen miteinander identisch und damit offensichtlich, klar und verständlich und kaum interpretationsbedürftig. Erst durch Kultur und Zivilisierung verschwand nach Rousseaus Deszendenz-Modell die natürliche gegenseitige zwischenmenschliche Transparenz und wurde dadurch deformiert. Transparenz und Einblick in Herzen und Köpfe anderer Menschen hingegen würden Unehrlichkeit und Heuchelei verunmöglichen, so Rousseaus Annahme. Sein Ziel ist eine (neue) Offenheit, die er als Gegenbild zur Verstellung und Intrige versteht. So spricht er sich sogar gegen die Der Begriff des Individuums | 113
Einrichtung von Theatern aus, da dort die Kunst der Täuschung, des Scheins und der Rolleneinnahme eingeübt und gefeiert werde und gerade nicht Ehrlichkeit, Authentizität und Transparenz.288 Das durchschaubare Herz wiederum, das nichts verbergen könne, fungiert bei ihm als Metapher für Moral und integren Charakter. Transparenz ist bei Rousseau daher ein auf das Individuum bezogener, positiver Begriff, mit dem er Durchsichtigkeit, Reinheit und Moralität verbindet.289 Damit steht Rousseau am Anfang einer historischen Hinwendung zur Authentizität, die im 18. Jahrhundert eine grundlegende intellektuelle Wende einleiten sollte, war doch bislang nicht nur im Politischen, sondern im gesamten zwischenmenschlichen Umgang das Spielen von Rollen, Masken und Schein wesentlicher Teil einer höfischen Kultur.290 Rousseau rebelliert gegen in seinen Augen verlogene gesellschaftliche Werte, was ihn Hannah Arendt zufolge zum »Entdecker und […] Theoretiker des Intimen« 291 macht. Geheimhaltung und Verschwiegenheit galten nicht nur als politische, sondern auch als private Tugenden. Es entstand so ein Ideal der strategischen individuellen Kommunikation, gegen das sich Rousseau entschieden richtet, wenn er Transparenz als moralische Forderung an das Individuum stellt. Han sieht seine Vorstellungen transparenter Individuen allerdings äußerst kritisch, da diese Auffassung nicht zu Aufrichtigkeit, sondern geradewegs zu Kontrolle und Zwang führe. Die Moral totaler Transparenz schlage dabei in Tyrannei um.292 In Rousseaus Denken ist neben dem Zusammenhang von Sichtbarkeit und individueller Moral bereits die Ambivalenz des Transparenzbegriffs angelegt, dem sowohl eine individuelle als auch eine politische Schlagrichtung innewohnt. Der Begriff entfaltet erst mit Jeremy Bentham seine explizit politische Dimension, wie wir oben gesehen haben.293 Vincent Rzepka bezeichnet Rousseaus individualistische Konzeptualisierung von Transparenz als einen unpolitischen Vorläuferbegriff, der zwar auf den späteren politischen Gehalt von Transparenz vorausweise, damit aber keinesfalls parallel zu setzen sei.294 Intransparenz und Opazität sind für das zwischenmenschliche Miteinander zentral und finden ihre Entsprechung in dem, was Arendt mit ›Verschiedenheit‹ bezeichnet: Diese ist dadurch gekennzeichnet, dass Personen zwar als Menschen gleich und doch als In114 | Der Begriff des Individuums
dividuen verschieden sind. Einerseits können sie sich in ihren gleichen oder zumindest ähnlichen Bedürfnissen verstehen: Insofern ist Kommunikation sinnvoll und notwendig. Andererseits seien die Menschen individuell, aber auch verschieden, weswegen sie überhaupt miteinander sprechen müssten und nicht bereits vorab alles voneinander wüssten. Aus dieser Perspektive betrachtet ist zwischenmenschliche Kommunikation grundlegend und strukturell von Intransparenz geprägt. Da die Menschen voreinander also opak sind, müssen sie überhaupt erst kommunizieren und handeln. Dies mache laut Arendt sogar das Menschsein im Ganzen aus295 und unterscheide Menschen zudem von Maschinen, die vollkommen transparent und durchschaubar sind, wie auch Han bemerkt: »Die menschliche Seele braucht offenbar Sphären, in denen sie bei sich sein kann ohne den Blick des Anderen. […] Transparent ist nur die Maschine. Spontaneität, Ereignishaftigkeit und Freiheit, die das Leben überhaupt ausmachen, lassen keine Transparenz zu.«296 (Hervorhebungen im Original)
Menschen unterscheiden sich von Maschinen durch ihr Bewusstsein, welches sich durch Intransparenz und Opazität auszeichnet. Diese Eigenschaften ermöglichen es Menschen, Geheimnisse vor anderen zu haben, und befähigen sie auch zur Lüge, mit der sie ihre Freiheit lebten, wie Hannah Arendt in ihrem Essay Die Lüge in der Politik ausführt. So hingen die Fähigkeit zu lügen und die Fähigkeit, zu handeln und damit die Welt zu verändern, zusammen.297 Zwischenmenschliche Interaktion lebt nun davon, dass man etwas verbergen kann. Das Hinterlassen von Datenspuren als ständiger »(Neben-)Effekt der Digitalisierung«298 und als ihr Charakteristikum führt nun dazu, dass individuelle Präferenzen in immer extensiverem Ausmaß nachvollziehbar und durchschaubar werden. Durch solche Formen der Verdatung entstehen transparente digitale Abbilder von Personen. Entwicklungen im Bereich von künstlicher Intelligenz und weitreichende gesellschaftliche Reflexionen darüber verdeutlichen, dass hier die menschliche Freiheit unter Druck gerät.
Der Begriff des Individuums | 115
15. Der gläserne Mensch: zwischen Überwachung und (Selbst-)Entblößung
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er ›gläserne Mensch‹ wurde mit dem Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts (1983)299 und den damit zusammenhängenden Debatten um den Datenschutz zu einem politischen Schlagwort, mit dem die Gefahren durch staatliche Daten sammlung und Überwachung metaphorisch gefasst wurden. Inzwischen kommen die gewaltigen Ausmaße der Datensammlung durch privatwirtschaftliche Akteure wie kommerzielle Unternehmen in der Diskussion hinzu.300 Das Phänomen der individuellen Transparenz weitet sich also insofern aus, als es nicht mehr nur um Auskünfte gegenüber dem Staat geht, sondern auch gegenüber Unternehmen. Georg Weidacher beobachtet, dass der Begriff ›gläsern‹ im allgemeinen Sprachgebrauch eher auf das Individuum bezogen wird, während ›transparent‹ eher auf Staat und Institutionen fokussiert. Beide beschreiben aber letztlich das gleiche Phänomen. Mit dieser begrifflichen Zweiteilung geht nämlich auch eine Bewertung einher, wobei ›transparent‹ häufig positiv, ›gläsern‹ negativ konnotiert ist. Beide Ausdrücke seien, so Weidacher, jedoch sprachliche Verwirklichungen desselben Konzepts, die sich überlagern, dabei deutlich normativ wirken und den Diskurs steuern und ihn nicht nur beschreiben: Transparenz decke dabei etwas auf, das ungerechtfertigterweise verschwiegen werde, ›Gläsernheit‹ wiederum mache das Individuum auf semantischer Ebene verletzlich und hänge mit Überwachung zusammen.301 Beide Begrifflichkeiten zielen jedoch auf dasselbe, nämlich eine Sichtbarwerdung sowie Sichtbarmachung gegenüber anderen: gewissermaßen also auf eine »Transparentisierung«302 , die Transparenz als etwas Prozedurales begreift. Die Forderung nach staatlicher Transparenz wird wiederum metaphorisch auf das Individuum bezogen und verlangt damit auch dessen digitale Sichtbarkeit, während das Sprachbild vom gläsernen Individuum eine ungerechtfertigte und unfreiwillige Sichtbarkeit und Wehrlosigkeit unterstellt. Transparenz enthält demnach von der Konnotation 117
her einen gewissen aktiven, einen Handlungsanteil, Gläsernheit nicht.
Welchen Erkenntniswert haben Daten? Hieran schließt sich die Frage an, was durch Daten überhaupt sichtbar werden kann und, ganz grundlegend, welchen erkenntnistheoretischen Status Daten innehaben. Daten geben einerseits Auskunft über Wünsche, Gedankenwelt und Verhalten einer Person: Durch eine gezielte Auswertung können so individuelle Profile erstellt werden und (über Algorithmen) passgenaue Angebote gemacht werden. Damit können gegebenenfalls Verhaltensweisen und unter Umständen sogar Gedanken gesteuert und beeinflusst werden, ohne dass der/die Einzelne dies bemerkt. Die Gedankenfreiheit geriete so in Gefahr, die innerste und elementarste Freiheit, die auch durch äußeren Zwang kaum einzuhegen ist und die Grundlage des freiheitlichen, aufgeklärten Menschseins darstellt. Die Daten, welche die Einzelnen hinterlassen, geben Aufschluss über das ›Innerste‹, also über das, was eine Person als Individuum ausmacht und von anderen unterscheidet.303 Andererseits, so gibt etwa Thilo Hagendorff zu bedenken, darf trotzdem nie der Umstand aus den Augen verloren werden, dass personenbezogene Daten eben keine eindeutigen Repräsentationen von Personen und ihren Eigenschaften abbilden, sondern lediglich »eine virtuelle Doublette, aus welcher stückhaft imaginiert werden kann, wer eine Person ist, welche Interessen sie besitzt, welche Handlungen sie plant et cetera«.304 Daten über eine Person oder auch ein mögliches digitales Profil einer Person entsprächen eben nicht genau der Person selbst, sondern böten nur ein lückenhaftes Abbild, das interpretationsbedürftig sei und nur Hinweise auf Ausschnitte der Realität geben könne. Und doch sei »durch das Paradigma der Big Data eine Art digitaler Positivismus entstanden […], in welchem Daten beziehungsweise Datenauswertungen so interpretiert werden, als würden sie Realität abbilden und transparent machen. Dass es eine algorithmische Produktion von Realität gibt, welche mit anderen Wirklichkeitskonstruktionen 118 | Der gläserne Mensch
kontrastiert werden muss und welche nicht allein für sich stehen darf, wird selten reflektiert.«305
Durch Big Data, also die Speicherung riesiger Datenmengen und deren automatisierte Verarbeitung, ist es möglich geworden, Daten miteinander zu verknüpfen und Zusammenhänge herzustellen, die bislang nicht offenkundig waren. Die Möglichkeiten solcher neuen Technologien verändern auch den Blick auf die Welt. In Bezug auf den Umgang mit und die Interpretation von Daten setzt sich allerdings, so Hagendorff, eine positivistische Lesart durch, also eine, die Daten und Datenmengen als getreue Abbildungen der Realität begreift und kaum Raum lässt für andere Interpretationen. Daher gibt der Medienethiker warnend zu bedenken, dass der Blick sich nicht auf die bloßen Daten verengen dürfe. Eine algorithmische Perspektive auf die Wirklichkeit, ein datafizierter Blick, darf nicht unhinterfragt bleiben und zur einzig geltenden Perspektive werden. Datenbestände sind stets lückenhaft und damit verzerrt, weshalb eine vollständige Identität der Daten mit der Realität kaum möglich und realisierbar ist. Digitale Überwachung bedeutet Aufzeichnung und Nachverfolgbarkeit, die Auswertung großer Datenmengen und darüber die Erkennbarmachung von Auffälligkeiten oder Unregelmäßigkeiten. Wichtig zu betonen ist dabei die Alltäglichkeit und Ubiquität technologisch gestützter, automatisierter Überwachungspraktiken, die die individuelle Selbstbestimmung aushöhlen, ohne dass dies bemerkt wird. Das Problem ergibt sich immer dann, wenn die Technologie nicht allein ihren AnwenderInnen zur Verfügung steht, sondern auch Datenverarbeitern dient und wenn die Generierung von Daten zur Weiterverarbeitung das eigentliche Ziel ist. Das Überwachungspotential solcher Technologien liegt auf der Hand. Praktiken der Überwachung können dabei von verschiedenen Akteuren ausgehen, etwa von übergeordneten Instanzen, aber auch vom Individuum selbst. Im Zentrum steht durch die schiere Menge an Material nicht mehr die konkrete Überwachung Einzelner, sondern das automatisierte Herausfiltern statistisch signifikanter Auffälligkeiten sowie von Netzwerken und Verbindungen, die im Rahmen der Datenverarbeitung zutage treten. Mit dieser Allgegenwart der Überwachung und emanzipativen Strategien, damit umzugehen, Welchen Erkenntniswert haben Daten? | 119
beschäftigen sich die surveillance studies. Diese verstehen Überwachung als Phänomen, das in jedem Lebens- und Gesellschafts bereich praktiziert wird und durch digitale Medien noch präsenter und zugleich steuerbarer ist.306
Das Sprachbild der ›Gläsernheit‹ Die metaphorische und an Materialität gebundene Bedeutung des Transparenzbegriffes wird im Ausdruck des gläsernen Menschen besonders deutlich. Dabei lässt sich diese Denkfigur anders rekonstruieren als die der Transparenz im Sinne von Publizität: Das Sprachbild der Gläsernheit steht für das Machtungleichgewicht zwischen BürgerInnen und Staat oder Unternehmen. Es gewinnt neue Dimensionen und weitere Relevanz, da sich im Digitalen Machtverhältnisse ändern und sich ein erheblicher Normenwandel bezüglich der Privatsphäre vollzieht, sodass Transparenz zur Ideologie wird, die sich in der Rede vom gläsernen Menschen deutlich manifestiert. Anne-Kathrin Lück rekonstruiert das Sprachbild historisch und zeigt auf, dass es aus der Medizin kommt: Der gläserne Mensch war ein anatomisches Modell auf der Internationalen Hygiene Ausstellung in Dresden des Jahres 1930.307 Anhand einer lebensgroßen Plastik aus Kunststoff und Draht wurde der Blick ins Innere des Körpers ermöglicht, indem die Haut, die beim echten Menschen den Blick nach innen verhindert, aus durchsichtigem Kunststoff gestaltet wurde. Ein solches Modell war Ausdruck einer als modern verstandenen Weltsicht, die Vernunft und Wissenschaft folgt. Dabei verschieben sich in der Konsequenz stetig die Grenzen dessen, was transparent wird und werden kann. Der Begriff des gläsernen Menschen schlug einen ähnlichen Weg ein wie der Begriff der Transparenz. Den Naturwissenschaften entstammend, wurden beide Begriffe bei gleichzeitiger Transformation von einem materialbezogenen in einen metaphorischen Begriff jeweils in den geistes- und sozialwissenschaftlichen Bereich übertragen. Das Interesse für Gläsernheit wie für Transparenz geht also ursprünglich einher mit dem Erkenntnisinteresse und den Erkenntnismöglichkeiten der neuzeitlichen Naturwissenschaften. 120 | Der gläserne Mensch
Lück betont jedoch, dass der Ausdruck inzwischen in einem völlig anderen als dem ursprünglichen Zusammenhang gebraucht wird. Im Fokus stehen nicht mehr körperliche Prozesse, sondern Verhalten, Vorlieben und das Individuum selbst – das heißt, was, wie und wer der Mensch sei.308 Diejenigen, die den Menschen transparent machen, sind entsprechend nicht mehr Forschende, sondern vorrangig gewinnorientierte Unternehmen. Der Ausdruck des ›gläsernen Menschen‹ macht erneut deutlich, wie metaphorisch die Rede von Glas ist und wie diese mit Sichtbarkeit, Durchschaubarkeit und Fortschritt assoziiert wird. Die Metapher der Gläsernheit beschreibt dabei die Sphäre zwischen Unsichtbarem und Sichtbarem, wobei die Grenze stets auszuhandeln ist (vgl. oben den Architektur-Abschnitt). Das Adjektiv ›gläsern‹ transportiert semantisch die besondere Materialität von Glas, weswegen ›gläsern‹ konkreter ist als ›transparent‹: Bei ›transparent‹ ist das materiale Medium unbestimmt, austauschbar, es geht gerade um das vollständige oder partielle Zurücktreten eines Körpers und die Sichtbarmachung von dahinter Liegendem, ungeachtet des Materials. Erst im Zuge ihrer Metaphorisierung werden beide Begriffe zu Synonymen, da Glas – nach modernen Bearbeitungsverfahren – einen fast vollständigen Durchblick ermöglichen kann und als materialer, vermittelnder Körper selbst dahinter zurücktritt. Mit der Ausrichtung des Fokus auf das Potential digitaler Daten entfernt sich der Begriff der Gläsernheit von seinem Ursprung aus dem naturwissenschaftlich-medizinischen Bereich und wird vollends zur sozialen Metapher. Die Rede von der ›Transparenz des Individuums‹ sowie vom digitalen und datafizierten ›gläsernen Menschen‹ in Bezug auf seine Daten trägt ein enormes normatives und ideologisches Potential in sich. Das Bild vom gläsernen Menschen stellt im digitalen Zeitalter Tatsachenbeschreibung, Wunschvorstellung und Schreckgespenst gleichermaßen dar.309 Mit dem gläsernen Menschen verbinden sich somit die verschiedensten Bedeutungen, Assoziationen und ambivalenten Konnotationen. Das Bewusstsein der eigenen Gläsernheit und die Unberechenbarkeit des AdressatInnenkreises verursachten, so Lück, zudem diffuse Gefühle wie Angst, Unbehagen und Scham.310 Gleichzeitig wollten die meisten Menschen von anderen gesehen werden, solange sie in der Lage sind zu kontrollieren, wer welche Inhalte und Aspekte rezipieren kann. Das Sprachbild der ›Gläsernheit‹ | 121
Gläsern wie transparent stellen also zwei mit sehr breiter Bedeutung aufgeladene Schlagworte dar. Georg Weidacher konstatiert entsprechend, dass Transparenz derart positiv konnotiert sei, dass sie – um negative Gehalte überhaupt ausdrücken zu können – häufig umbenannt werde: Daher werde der Begriff ›gläsern‹ benutzt, was Weidacher als begrifflichen ›Trampelpfad‹ bezeichnet.311 Im Zusammenhang mit dem Individuum ist insofern weniger die Rede vom transparenten als vom gläsernen Menschen. Letztlich sind jedoch beide Begriffe als synonym zu verstehen und bilden lediglich unterschiedliche Seiten derselben Metapher ab.
122 | Der gläserne Mensch
16. Privatheit als ethisch-sozialer Gegenbegriff
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rivatheit‹ stellt im Deutschen eine relativ junge Wortschöpfung dar, während die Unterscheidung zwischen ›privat‹ und ›öffentlich‹ die europäische Geistes- wie Sozialgeschichte durchzieht, auch weil die sozialen Verhältnisse mit theoretischen Überlegungen stets unzertrennlich verbunden waren. Ein Blick auf die Begriffsentwicklung zeigt, dass das deutsche Adjektiv ›privat‹ bis heute mehrere Bedeutungsebenen hat, die kaum voneinander abgrenzbar sind. Es kann ›persönlich‹, aber auch ›nicht-staatlich‹, ›nicht-öffentlich‹ und ›nicht-amtlich‹ bedeuten. Die etymologischen Wurzeln liegen im Lateinischen:312 privare bedeutet »berauben, befreien, absondern« – im Sinne von »etwas oder jemand seiner Amtsmacht berauben« oder »befreien von der Amtlichkeit«. Das lateinische Adjektiv privatus/a/um bedeutet dementsprechend »der Amtsgewalt beraubt sein« oder »vom Staat und der Öffentlichkeit abgesondert sein«. Dem Wort kommt demnach eine verneinende Bedeutung zu, es entfaltet seinen Gehalt lediglich ex negativo. Begriffsgeschichtlich interessant ist dabei, dass im Bereich des Privaten nur das eine, lateinische Wort gebräuchlich ist, während sich im Bereich der Öffentlichkeit mit Publizität und Transparenz noch weitere Wortstränge entwickelt und etabliert haben. Auch die Erforschung des Privaten fiel lange hinter die Theoretisierung des Öffentlichen zurück, auch wenn sich dies inzwischen ausgeglichen hat. Die meisten theoretischen Positionen zum Bereich des Öffentlichen wie des Privaten verstehen und behandeln Zweiteres als Gegenteil des Ersteren, was bereits auf die Antike zurückgeht: So trifft Aristoteles in seiner Politik die Unterscheidung zwischen Stadt beziehungsweise Staat (griech. πόλις/ pólis) und Haus (griech. οἶκος/oíkos). Er versteht die Stadt als Ort für die politischen Belange der Gemeinschaft und das Haus als Ort der Verwaltung des Lebens und seiner Notwendigkeiten. In der aristotelischen Theorie werden grundlegende Unterscheidungen und Zuordnungen getroffen, die das theoretische Verhältnis von Öffentlichkeit und Privatsphäre bis in die heutige Philosophie 123
inein prägen. Gerade auch für moderne liberale Demokratien ist h die Trennung beider Sphären von erheblicher normativer wie praktischer Bedeutung. Der liberale Rechtsstaat baut auf der Trennung beider Sphären auf, indem er der staatlichen Gewalt untersagt, in die Privatsphäre der BürgerInnen einzugreifen. Die Sicherung individueller Freiheiten gegenüber dem Staat, das heißt der Schutz der Privatsphäre vor staatlichen Eingriffen, ist daher ein zentrales Anliegen liberaler Theorien. »[V]on Anfang an ist der Öffentlichkeitsbegriff also mit einer Ambivalenz behaftet, die sich geschichtlich durchhält […]: Die Öffentlichkeit des Politischen ist gekoppelt mit einer Privatisierung von Individualrechten; die Aufhebung des Arcanum der Herrschaft ist verbunden mit der Inanspruchnahme des Arcanum seitens der Beherrschten […].«313
Der Begriff der Privatheit bildet neben demjenigen der Geheimhaltung den zweiten großen Gegensatz zu Öffentlichkeit und entsprechend zu Transparenz. Dadurch dass das Individuum zunehmend transparent wird und sich selbst transparent macht, wird die Privatsphäre normativ wie faktisch in Frage gestellt. Der Transparenzbegriff steht hierbei in einer direkten Nachfolge zu Öffentlichkeit und Veröffentlichung und damit in einer liberalen Tradition, in der die Sphären des Öffentlichen und des Privaten stets als gegenteilig, dichotom getrennt und normativ verschieden gesehen wurden und werden: Transparenz in Bezug auf das Individuum muss entsprechend als Herausforderung verstanden und problematisiert werden. Die Forderung eines Rechts auf Privatheit und die damit verbundene explizite Theoretisierung der Privatsphäre entspringt verschiedenen Motivationen und Denkmustern. Der Aufsatz The Right to Privacy (1890)314 von Samuel Warren und Louis Brandeis wird allgemein als Ursprung einer theoretischen Begründung von Privatheit im Sinne eines Rechts, allein gelassen zu werden, zitiert. Die beiden US-amerikanischen Juristen begründen in ihrem Text das Recht auf eine Privatsphäre, das jedoch bis dato nicht als solches kodifiziert ist – weder im US-amerikanischen noch im deutschen Recht. Dies führt dazu, dass ein solches Recht auf Privatsphäre und 124 | Privatheit als ethisch-sozialer Gegenbegriff
Selbstbestimmung aus unterschiedlichen Quellen hergeleitet und konstruiert wird und werden muss.315 Das Private wird hier konzeptualisiert als Rückzugs- und Schutzraum des Individuums gegenüber der Öffentlichkeit. Dieses Denken prägte in der Folge den einflussreichen liberalen Diskurs über die Privatsphäre. Gemäß einer solchen liberalen Perspektive, wie sie auch Warren und Brandeis vertreten, müssen die Einzelnen frei von Beobachtung, das heißt frei von ständiger Öffentlichkeit, sein, da jeder Mensch Bereiche im Leben habe, die nicht in die Öffentlichkeit gehörten und dieser entzogen sein sollten. Im Privaten sei der Mensch daher geschützt vor Staat und Gesellschaft. Diese sehr allgemeine, liberale Definition eines right to be let alone dient als Abwehrrecht und beschreibt eine Freiheit von Beobachtung. Eine solche negativ verstandene Freiheit steht damit einer freiwilligen Herausgabe von Daten, Bildern oder Informationen geradezu konträr gegenüber.316 Transparenz als eine ständig vorhandene, sich in das Verhalten der Einzelnen einschreibende Öffentlichkeit, die sich auf das Individuum erstreckt, gefährdet dessen Privatsphäre nicht nur, sondern eliminiert diese gänzlich. Sie befindet sich also im Widerspruch zu einem Personenkonzept, gemäß dem Personen selbst über Sichtbarkeit oder Unsichtbarkeit ihres Lebens gegenüber anderen entscheiden. Wenn jedeR Einzelne transparent ist, wird die individuelle Privatsphäre ausgehöhlt, denn je transparenter die BürgerInnen sind, desto weniger Privatheit haben sie.317 Bezogen auf das Individuum bedeutet Transparenz somit nicht nur Öffentlichkeit, sondern auch Beobachtung und Überwachung, das heißt die Unmöglichkeit, sich vollständig oder partiell zu verbergen. Wer oder was transparent ist, ist durch-sichtig, nachvollziehbar und damit bekannt. Die Forderung nach sowie die Entwicklung von individueller Transparenz steht damit im Widerspruch zu einem liberalen Recht auf Privatheit. Wenn Transparenz Offenlegung sowie Sichtbarmachen bedeutet, dann steht sie konträr zu einer Privatsphäre, die ein Unsichtbarbleiben ermöglichen sollte. Der digitale Strukturwandel hat somit vor allem in Bezug auf die informationelle Privatheit und den Zugriff auf die Auswertung von Daten Veränderungen im Verhältnis von öffentlich und privat hervorgebracht. Durch eine kaum hinterfragte Ideologisierung von Transparenz gerät die Privatsphäre so im Zuge der ubiquitä Privatheit als ethisch-sozialer Gegenbegriff | 125
ren Technologisierung der Lebenswelt zum scheinbar verzichtbaren Schutzraum, denn »[d]ie Forderung nach mehr Transparenz muss folglich nicht mehr notwendigerweise mit der Förderung anderer Werte begründet werden. Transparenz bildet dadurch den in vielen Kontexten unhinterfragten Kern der Transparenzideologie. Dieser steht jedoch z. B. im Widerspruch zum Wert der Privatheit.«318
Die Differenzierung von Öffentlichkeit und Privatheit bewegt sich stets im Bereich der Aushandlung von Grenzen zwischen Staat und Individuum sowie den Rechten der Gemeinschaft im Gegensatz zu Freiheiten der Einzelnen. Letztlich stellt sie die Frage nach gesellschaftlichen Machtverhältnissen. Diskussionen über die Grenzen des Privaten und über Szenarien eines Verlusts von Privatheit im digitalen Raum – also über die Privatsphäreeinschränkungen durch Datafizierung – gehen somit einher mit einer Transparenz des Individuums. Durch das Verschwinden der Privatsphäre entsteht ein nie dagewesenes Szenario, das in explizite oder implizite Kontrolle und Überwachung münden kann.319
Dimensionen des Privaten Beate Rössler theoretisiert Privatheit aus einer dezidiert liberalen Perspektive und leitet damit eine Neuerung in der liberalen Theorietradition ein, welche meist den Fokus auf das Öffentliche legt. Wichtig ist zu betonen, dass kaum inhaltlich definiert werden kann, was privat ist, da die Einschätzung darüber individuell, kulturell sowie historisch höchst unterschiedlich und wandelbar ist. Rössler entwickelt dementsprechend eine Theorie des Privaten, in der sie den Wert des Privaten nicht inhaltlich, sondern in seinem Stellenwert für Individuum und Demokratie begründet. Somit legt sie eine Definition vor, welche die Breite des Begriffs abzubilden versucht, ohne gleich die normativen Dimensionen von Privatheit in den Blick zu nehmen. Sie grenzt das Wort »privat‹ insbesondere von ›intim‹ ab: Das Intime stelle zwar einen Kernbereich des Privaten dar, jedoch gehe das Private deutlich über das Intime 126 | Privatheit als ethisch-sozialer Gegenbegriff
hinaus. Eine zweite Abgrenzung des Privatheitsbegriffs nimmt Rössler gegenüber dem Geheimen vor, mit dem es ebenfalls Überschneidungen, jedoch keine absolute Deckungsgleichheit gebe.320 Geheimhaltung und Geheimnis umfassen gerade nicht nur private Inhalte, sondern auch öffentliche. Geheimhaltung und Privatheit sind daher nicht identisch, stehen jedoch miteinander in enger Verbindung. Rössler definiert das Private über die Zugangskontrolle, also die Möglichkeit, einem anderen Menschen den Zugang zum eigenen Leben zu verwehren, wobei ›Zugang‹ in einem weiten und übertragenen Sinn zu verstehen ist. So gilt »als privat […] etwas dann, wenn man selbst den Zugang zu diesem ›etwas‹ kontrollieren kann. Umgekehrt bedeutet der Schutz von Privatheit dann einen Schutz vor unerwünschtem Zutritt anderer.«321
Für zentral hält sie ferner die kritische Einsicht, dass das Private kein natürlicher Raum ist und daher keine natürlich gegebene Privatheit existiert, sondern diese Einschätzung ausschließlich auf sozialen Normen und Festsetzungen beruht. Eine solche Definition verweist einerseits auf die räumliche Sphäre, etwa einer privaten Wohnung, andererseits lässt sich das Private auch in einem allgemeinen Sinn verstehen als geschützter Bereich, der dem Zugriff und der unerwünschten Intervention anderer entzogen ist: Privatheit realisiert sich, wie an diesem Zitat deutlich wird, nicht als Zustand, sondern als die Fähigkeit, selbstständig den Zugang zu etwas zu kontrollieren. Rössler bezeichnet als dezisionale Ebene der Privatheit, dass jede Person in ihren Handlungs- und Entscheidungsspielräumen frei von der Einmischung anderer sein müsse, um die eigene Meinung und Persönlichkeit auszubilden. Dabei bezieht sich der Zugang erstens metaphorisch auf den Zugang zur Psyche eines Menschen, das heißt, ob jemand in der Lage ist, Einfluss auf Verhalten und Entscheidungen eines anderen Menschen zu nehmen. Zweitens bezieht er sich darauf, wer tatsächlich in den privaten Bereich einer anderen Person, etwa ihre Wohnung, eintreten kann (lokale Dimension). Drittens bezieht sich der Zugang, ebenfalls in einem übertragenen Sinn, darauf, was jemand über eine andere Person weiß (informationelle Dimension). Pri Dimensionen des Privaten | 127
vat können dementsprechend Handlungen, Situationen, Orte oder auch mentale Zustände sein. Rössler arbeitet also insgesamt drei Grundbezugspunkte – Dimensionen – des Privaten heraus, die sie als dezisionale, lokale und informationelle Dimension differenziert. Dabei verortet sie sich selbst im liberalen Diskurs, für den Freiheit, Gleichheit, staatliche Neutralität und ein demokratisches politisches System Grundpfeiler bilden, außerdem die Unterscheidung zwischen dem Öffentlichen und dem Privaten sowie der Schutz der Einzelnen vor dem Staat. Sie erarbeitet mit ihrer Theorie eine »normative Konzeption von Privatheit für und in modernen liberalen Gesellschaften«322. Dabei sei die widersprüchliche Herausforderung einer liberalen Theorie des Privaten, dass sie zwei konträre Seiten hat: Einerseits konzeptualisiere der Liberalismus das Private als eine quasi-natürliche, häusliche – und damit weiblich kodierte – Sphäre. Andererseits sei das Private jedoch auch ein rechtlich-konventioneller Begriff, der zur Abgrenzung gegenüber dem Staat und anderen Personen diene und das Private somit als individuellen Rückzugsraum begreife.323 Die Privatsphäre im Sinne eines Rückzugsraumes kann sodann ein Ort der Offenheit sein, durch die Authentizität möglich ist. Aus einem solchen Verständnis heraus können Menschen ihre Persönlichkeit nur in einer Sphäre des Rückzugs ohne den unerwünschten Zugriff anderer frei entfalten, eigene Entscheidungen treffen und sie selbst sein. Verkürzt gefasst ermöglicht somit allein die Freiheit von Beobachtung und fremdem Zugang individuelle Autonomie. Rössler zeigt, wie sich durch derartige Doppel- und Mehrfachbedeutungen des Privatheitsbegriffs tiefreichende normative und soziale Bewertungen anschließen. Sie hält trotzdem an der Unterscheidung zwischen öffentlicher und privater Sphäre fest, kritisiert allerdings die geschlechtsspezifische und freiheitseinschränkende Konnotation und Chiffrierung dieser Dichotomie.324 Als informationelle Privatheit bezeichnet sie die Kontrolle darüber, was andere über eine Person wissen, also die Kontrolle über Informationen, welche die eigene Person betreffen. Dies beinhaltet die Kontrolle des Zugangs zu personenbezogenen Daten, die grundsätzlich beim Individuum selbst verbleiben sollte. Dabei legt Rössler den Fokus auf Beobachtung, Datenübermittlung und -erhebung sowie problematische Auswirkungen für das je128 | Privatheit als ethisch-sozialer Gegenbegriff
weilige Individuum.325 Eine Verletzung der informationellen Privatheit einer Person ist demnach ein Verlust der Kontrolle darüber, was andere über diese wissen, und kann interpretiert werden als eine enttäuschte Erwartung hinsichtlich des Wissens darüber, wer was über jemanden weiß, und damit einer bestimmten Haltung von KommunikationspartnerInnen einer Person gegenüber. Dabei muss die informationelle Privatheit nicht notwendigerweise mit Medien oder gar digitalen Medien zu tun haben – diese Ebene der Privatsphäre wird lediglich im Digitalen besonders virulent. Als klassische nicht-digitale Fälle einer Verletzung informationeller Privatheit nennt Rössler Voyeurismus oder Indiskretionen wie Tratsch und Lästereien. Die informationelle Privatheit rekurriert also auf die Kontrolle über die Selbstdarstellung einer Person.326 Entsprechend einer solchen liberalen Tradition fungiert Privatheit als Grundlage für Freiheit und Autonomie des Individuums und daher als für den Menschen notwendige Sphäre der Persönlichkeitsentfaltung. Erst eine intakte und geschützte Privatsphäre ermöglicht es dem Individuum, autonom und frei zu sein, aktiv zu handeln, eine eigene Meinung sowie ein eigenes Selbstbild zu entwickeln und damit am demokratischen Gemeinwesen teilzuhaben. Im Privaten kann jede Person so sein, wie sie wirklich ist, und wird nicht gezwungen, den Anforderungen der Öffentlichkeit zu entsprechen. Privatheit schützt demnach die individuelle Autonomie, »die eigentliche Realisierung von Freiheit, nämlich autonome Lebensführung, [ist] nur möglich […] unter Bedingungen geschützter Privatheit; bestimmte Foren des praktischen Selbstverhältnisses […] sind als gelungene nur zu entwickeln, wenn es geschützte private Bereiche und Dimensionen des Lebens gibt.«327
Das Private und die Privatsphäre sind also eng verknüpft mit Schutz und Rückzug aus dem Öffentlichen. Entscheidend ist dabei nicht inhaltlich, welche Informationen jemand für privat hält, sondern ob er oder sie die Kontrolle darüber hat, diese preiszugeben oder zurückzuhalten. Rössler steht mit dieser Position in der Tradition von Warren und Brandeis: In beiden Ansätzen stellt die negative Freiheit, allein gelassen zu werden, ein zentrales Element der Pri Dimensionen des Privaten | 129
vatsphäre dar, welches wiederum die Ausbildung von individueller Autonomie ermöglicht. Mit Blick auf die digitalen Veränderungen und die Transparenz des Individuums im Kontext der Digitalisierung sind vor allem informationelle und dezisionale Privatheit von Bedeutung: die informationelle Dimension, da bei ihr Daten und Informationen über das Individuum im Zentrum stehen, welche die Einzelnen transparent werden lassen; die dezisionale, da sie der Kern und die Grundlage von Rösslers Theorie ist: Die Entscheidungsautonomie droht demnach durch den Verlust der informationellen Privatheit in Folge weitreichender Datafizierungstendenzen eingeschränkt zu werden.
Der gesellschaftliche Wert von Privatheit Sandra Seubert erweitert die liberale Perspektive, indem sie Privatheit als gesellschaftlichen und nicht allein als individuellen Wert begreift. Die Trennung von öffentlichem und privatem Raum liege modernen, liberalen Gesellschaften zwar zu Grunde, werde jedoch kontrovers beurteilt. Ihrer Ansicht nach verkürzt sich der Blick auf Privatheit, wenn diese aus liberaler Perspektive lediglich als individueller Rückzugsraum gegenüber dem Staat begriffen wird. Zwar ist Privatheit als Voraussetzung für individuelle Autonomie unabdingbar, Seubert hebt jedoch besonders hervor, dass Fragen der Privatheit stets eine gesellschaftliche Dimension haben. Aus einer allein auf das Individuum konzentrierten Perspektive werde Privatheit zu einem lediglich negativen Freiheitsrecht, allerdings sei ihre Bedeutung für die Gesellschaft und die Demokratie nicht von der Hand zu weisen. Seubert möchte Privatheit anders konzeptualisieren, um dem Rechnung zu tragen, dass Individuen nicht isoliert von ihren sozialen Bedingungen betrachtet werden können.328 Sie versteht Privatheit als ein soziales Phänomen, denn was privat sei, habe auch stets Konsequenzen für die Allgemeinheit. So schärft sie den Blick auf Privatheit als ein Konzept zur Formulierung und Konkretisierung sozialer Konflikte:
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»Privatheit stellt sich aus dieser Perspektive weniger als rein abstrakte, negative Freiheit dar, deren Kern darin besteht, andere außen vor zu lassen, sondern eher als eine Art von sozialer Freiheit: ein Gefühl von Selbstbestimmtheit, das Personen mit Bezug auf die Verhaltenserwartungen und Handlungen anderer haben können […].«329
Klassischerweise wird Privatheit als negative Freiheit, das heißt als Freiheit von Überwachung und als Abgrenzung nach außen verstanden. Privatheit als soziale, insofern positive Freiheit zu gemeinschaftlichem Handeln zu begreifen, steht hingegen konträr zur geistesgeschichtlichen Tradition seit der Antike. Die Unterscheidung von negativen und positiven politischen Freiheiten geht auf Isaiah Berlin zurück, der damit die verschiedenen Begriffe von Freiheit innerhalb der Tradition des politischen Denkens fasst.330 Negative Freiheiten zielen dabei auf die Abwesenheit von Beschränkungen oder Einmischungen, verdeutlichen sich also als ›Freiheit von‹, während positive Freiheiten das Ermöglichungspotential für Individuen in den Blick nehmen und als ›Freiheit zu‹ in Erscheinung treten.331 Die erste Perspektive versteht Freiheit als Nichtvorhandensein von Beschränkungen und Behinderungen und ist für das klassisch liberale Denken maßgeblich. Die zweite Perspektive ist normativ voraussetzungsreicher, denn sie versteht Freiheit als Ermöglichung und muss den Begriff mit Inhalt füllen. Damit ist sie jedoch auch attraktiver für Konzeptionen, die der Gemeinschaft gegenüber dem Individuum einen zentralen Stellenwert einräumen, was der Liberalismus ablehnt. Hierfür bietet Beate Rössler eine Lösung und plädiert dafür, dass negative und positive Freiheitsbegriffe aufeinander verweisen. Sie versucht, beide Konzeptionen zu vereinen, da wir zwar »frei sein wollen, bestimmte Dinge zu tun«, aber auch erklären können wollen, »was wir meinen, wenn wir von Freiheit […] und ihrem Wert für uns sprechen«.332 Im Falle der Privatheit werden beide Dimensionen ersichtlich: Privatheit als negative Freiheit versteht dieselbe als Abwehrrecht etwa gegenüber dem Staat. Als positive Freiheit verstanden schafft sie vorpolitische, kommunikative Räume, in denen politische Willensbildung und zivilgesellschaftliches Engagement gedeihen Der gesellschaftliche Wert von Privatheit | 131
können, wie Seubert es beschreibt. Privatheit muss also gewährleistet sein, etwa durch die Absenz von Überwachung, sie muss aber auch individuell gelebt werden können. Gerade durch die sich verändernden digitalen Kommunikationsstrukturen wandeln sich auch Einschätzungen und Dimensionen des Privaten, wobei »der Zusammenhang zwischen dem Schutz von Privatheit und gesellschaftlichen Praktiken der Demokratie in den Vordergrund rückt«.333 Seubert versteht Privatheit nicht als Schutzanspruch von Individuen in einem abstrakten, beziehungslosen Raum, sondern als soziales Phänomen, das grundlegend für die Konstitution und Regulierung sozialer Beziehungen sei. Privatheit trage dazu bei, dass sich Gemeinschaften erst herausbildeten.334 Der Schutz des Privaten ermögliche damit die Entstehung von kommunikativen Räumen, in denen selbstbestimmter Austausch, Reflexion und Meinungsbildung eingeübt werden können, da diese Praktiken elementar für die Verwirklichung demokratischer Praxis und einer demokratischen Lebensform seien. »[Der] Schutz des Privaten verhindert nicht nur […], er ermöglicht auch etwas: einen Kommunikationsraum – für den inneren Dialog des Individuum [sic] mit sich selbst, aber auch für den Dialog mit jenen anderen, die man bewusst hinein lässt […]: private ›Räume‹ sind Voraussetzung für die Kommunikation mit besonderen anderen Personen, mit denen der Kontakt selbst gewählt ist und mit denen einen besondere Wertschätzung, gemeinsame soziale oder politische Interessen oder auch nur funktionale Zweckbeziehungen verbinden.«335
Solche privaten und gleichzeitig sozialen Räume dienen als voröffentliche Räume der persönlichen, individuellen Willensbildung. Gleichzeitig bergen sie jedoch die Gefahr der Entstehung sogenannter kommunikativer Filterblasen und Echokammern. Privatheit würde dann dazu führen, dass man sich aus einem größeren sozialen Zusammenhang zurückzieht, um im geschützten Rahmen und kontrollierten Umfeld Meinungsbildung zu betreiben sowie (fast) nur noch Gleichgesinnte zu treffen. Seubert betont jedoch die positiven und demokratieförderlichen Aspekte, wenn
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»Privatheit nicht einfach das Andere demokratischer Praxis ist, sondern deren Ermöglichungsbedingung. Dazu bedarf es eines Demokratieverständnisses, in dessen Rahmen Privatheit als konstitutiv für die sozialen Bedingungen der Möglichkeit selbstbestimmten Handelns betrachtet werden kann.«336
In der ubiquitären Überwachung etwa von Kommunikationsdaten sieht Seubert dementsprechend eine enorme Gefahr. Eine solche Überwachung gefährde und zerstöre potentiell die Grundlagen der Zivilgesellschaft, indem sie diejenigen kommunikativen Infrastrukturen verletze, auf welche Demokratien zur Verwirklichung individueller und kollektiver Selbstbestimmung angewiesen seien.337 Für die Idee einer demokratischen Gesellschaft ist es ein Problem, wenn BürgerInnen sich selbst in ihrem Verhalten einschränken, um (vermeintlich) konform zu sein. Insofern warnt Seubert vor digitaler (Dauer-)überwachung, da Räume der freien Entfaltung und des vorpolitischen Austausches dadurch beengt und begrenzt würden. Die Einzelnen passten ihr Verhalten zunehmend antizipierten gesellschaftlichen Erwartungen an und agierten eben nicht mehr frei.338 Zusammenfassend stellt das Private sowohl für Rössler als auch für Seubert einen Raum der Freiheit dar, womit beide der wirkmächtigen Tradition der politischen Theorie, die zwischen Privat sphäre und Öffentlichkeit trennt, einen eigenen Zugang entgegensetzen. In Rösslers liberalem Ansatz erscheint das Private als ein Raum des Schutzes vor unerwünschtem Zugriff sowie als Raum individueller Autonomie, der den Fokus auf eine selbstbestimmte Zugangskontrolle legt. In Seuberts Entwurf hingegen steht die gemeinschaftliche Realisierung kommunikativer und sozialer Freiheiten im Vordergrund. Beide Autorinnen warnen vor der Einschränkung und Beengung der Privatheit im Zuge nahezu ubiquitärer Aufzeichnungspraktiken durch Digitalisierung und Datafizierung, da diese zu einer Anpassung und damit Unfreiheit des Verhaltens Einzelner führen können.
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Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dient dem notwendigen Schutz der Privatsphäre. Es wurde bereits 1983 vom Bun desverfassungsgericht im Rahmen der Diskussion über die geplante Volkszählung formuliert, 339 als die Digitalisierung noch längst nicht im Alltag angekommen war und ihre Auswirkungen kaum vorstellbar erschienen. Das Gericht stellte damals fest, dass die informationelle Selbstbestimmung Grundlage einer freien Gesellschaft sein müsse, in der BürgerInnen sich politisch beteiligen können sollten, was auch mit einer Kritik an staatlichen Institutionen verbunden sein könne. Eine potentielle systematische Datenaufzeichnung könne dabei jedoch zu einer Selbstzensur bürgerschaftlichen Engagements führen, wenn die BürgerInnen befürchten müssten, mit datentechnischen Mitteln erfasst zu werden. Zentral für die Formulierung des Urteils war, dass der Einzelne die Kontrolle über seine eigenen Daten innehaben und über die Preisgabe und Verwendung selbst bestimmen können muss. Gerade der letztgenannte Aspekt stellt auch in der Gegenwart des 21. Jahrhunderts eine der großen Herausforderungen digitaler Datenverarbeitungen dar. Trotzdem ist die informationelle Selbstbestimmung nicht explizit, sondern lediglich über juristische Umwege grundrechtlich geschützt. Es handelt sich um eine Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, welches aus dem Grundgesetz Art. 2, Abs. 1, der die freie Entfaltung der Persönlichkeit sicherstellt, in Verbindung mit Art. 1, Abs. 1, der die Menschenwürde schützt, abgeleitet wird. In zahlreichen Verfahren und Urteilen wurde das allgemeine Persönlichkeitsrecht ausgearbeitet und konkretisiert.340 Für das deutsche Datenschutzrecht und -verständnis besitzen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sowie das allgemeine Persönlichkeitsrecht inzwischen eine zentrale Bedeutung. Kai von Lewinski verweist darauf, dass diese spezifische, an das deutsche Grundgesetz rückgebundene Konzeption in Zukunft allerdings durch die Europäisierung des Datenschutzes abgelöst und zu einem allgemeineren Recht auf Datenschutz umformuliert werde.341
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17. Digitale Privatheit
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igitale Kommunikationsmedien stellen eine enorme Herausforderung für die Privatsphäre dar, da sie deren Verletzung durch Exponierung des Individuums als Geschäftsmodell nutzen und zudem grundlegend auf Datenaustausch basieren. Die Entblößung und damit Transparenz des Individuums ist dem Internet und Social-Media-Kanälen somit direkt eingeschrieben. Eine besondere Paradoxie der digitalen Privatheit stellt dabei gerade die Spannung zwischen Freiwilligkeit und digitaler Ohnmacht dar. Die Grenzen zwischen öffentlichem und privatem Raum verschwimmen auch und gerade durch digitale Medien, was es in besonderem Maße verunmöglicht zu bestimmen, ob überhaupt und welche Inhalte privat sein sollten.342 Was jedoch konkret als privat angesehen wird, wandelt und verändert sich gesellschaftlich wie historisch. Digitale Privatheit wiederum entfernt sich immer weiter von der Vorstellung eines (lokalen) Raumes, zu dem der Zugang kontrolliert werden kann. Indem sie sich zunehmend auf Daten bezieht, berührt die digitale in besonderem Maße die informationelle Privatheit. Auch im Internet stellt sich daher die Frage, inwieweit jemand die Kontrolle über seine Daten innehat und wer dazu Zugang erhält (oder nicht). Der Schutz einer als Zugangskontrolle über Daten verstandenen Privatheit stellt für die Einzelnen eine Bedingung für Freiheit dar. Gerade hieraus erwächst der grundlegende Stellenwert, den die Privatsphäre in demokratischen Gesellschaften und Staaten im 21. Jahrhundert einnimmt. Einige technische wie soziale Charakteristika von Digitalisierung, Internet und Social Media erschweren digitale Privatheit jedoch deutlich. Die Herausforderungen durch Digitalisierung und Vernetzung liegen dabei in den enormen Datenmengen, ihrer kaum zu leistenden Kontrollierbarkeit sowie der Verknüpfung verschiedener Datenströme. Unter dem Stichwort Big Data erfolgen technische Entwicklungen rund um Digitalität und Internet, die neue Formen der Datenerhebung und -verarbeitung und damit auch der Privatsphäreverletzung ermöglichen. Bei den meisten Anwendungen ist jedoch der Privat 135
sphäre- und Datenschutz nicht standardmäßig voreingestellt. Dies verstärkt die Tendenz, dass sich Transparenz in einem ideologischen Maße verselbstständigt. Die Kontrolle über ihre Daten entgleitet den Individuen zunehmend: eine solche unkontrollierte, dateninduzierte Transparenz des Individuums stellt insofern auch eine Gefahr für die Demokratie dar. Die Folgen für zukünftige Entwicklungen sind kaum abzusehen. Somit wird es zunehmend komplexer, die Privatsphäre im Digitalen überhaupt zu schützen. Im Zuge einer weitreichenden Vernetzung und Digitalisierung werde der Verlust von Privatsphäre und Handlungsautonomie zum Regelfall, führt Thilo Hagendorff aus. Auch er folgt – wie Beate Rössler – einem Privatsphäreverständnis im Sinne einer Zugangskontrolle, wobei diese Kontrolle verlorengehe oder sogar bereits verloren sei. Er sieht das Ende der Informationskontrolle als »eine zentrale Eigenschaft moderner Informationsgesellschaften«.343 Wenn man selbst darüber entscheiden kann, wann man persönliche Informationen und Daten freigibt oder zurückhält, behält man die Kontrolle darüber, in welchen Lebensbereichen man welchen Aspekt zulassen möchte, und damit über verschiedene Grade der Freizügigkeit, Intimität und Geheimhaltung. Hagendorff zeigt zudem, dass es, sobald dies nicht (mehr) möglich sei, zu irritierenden Konsequenzen für die Menschen komme und sogar deren Persönlichkeitsbildung beeinträchtige. Trotzdem entspräche ein solcher Verlust von Kontrolle über die Privatsphäre der Realität eines digitalen Zeitalters: »Während die informationelle Privatheit über die Kontrolle definiert wird, welche eine Person darüber ausübt, wer Zugriff auf personenbezogene Daten und Informationen hat und wie diese verbreitet werden dürfen, so hat sich diese Kontrolle sukzessive aufgelöst.«344
Hagendorff plädiert dafür, dass sich die Konzeption von Privatheit grundlegend verändern müsse, eben weil sie einem ständigen technologischen und gesellschaftlichen Wandel unterliegt. Die gegenwärtigen Konflikte um die Verletzung der Privatsphäre entstehen durch die veränderten technischen Möglichkeiten und durch gesellschaftliche Werte, die daran nicht angepasst sind. Er warnt 136 | Digitale Privatheit
daher vor einer Tabuisierung durch Privatisierung und stattdessen gerade für eine höhere Transparenz und breitere Sichtbarkeit. Dabei hebt er deren positive Effekte in Bezug auf Individuen hervor und betont ihr moralisches gesellschaftliches Potential. Die Antwort auf den Verlust der digitalen Privatheit müsse sein, Strategien der Resilienz, also der individuellen Widerstandskraft gegen Privatsphäreverletzungen, zu entwickeln. Dazu zählt Hagendorff die Einsicht, dass das Private im Digitalen kaum zu schützen sei.345 Er sieht darin allerdings die Chance, dass sich der gesellschaftliche Umgang mit tabuisierten und dabei häufig als privat bezeichneten Themen verändert und im besten Fall liberalisiert. Als privat werde nämlich das zu Verbergende bezeichnet, worüber dann kaum mehr gesprochen werde; stattdessen sollte dies entweder aufgedeckt oder enttabuisiert werden: »Erst die Aufhebung der schützenden, bemäntelnden Wirkung des Privaten kann verdrängte, tabuisierte, diskriminierte oder normverletzende Sachverhalte in die Öffentlichkeit, in gesellschaftliche Diskussionsforen und politische Aushandlungsprozesse bringen.«346
Eine solche Sicht auf Privatheit als das dem öffentlichen Raum Entzogene teilt wiederum mit der feministischen Kritik die Ansicht, dass die Unsichtbarkeit und Intransparenz des Privaten zu einer Tabuisierung führe und notwendige negative Konsequenzen zeitige. Die Veröffentlichung des Privaten könne somit als emanzipativer Schritt verstanden werden. Demokratie benötigt jedoch die Freiheit von Beobachtung, denn eine massenhafte Aufzeichnung jeglicher Kommunikation erschwert eine »ungezwungene, spontane, unter Umständen anarchische Interaktion«, 347 welche wiederum die Grundlage einer kritischen, partizipatorischen und innovativen Zivilgesellschaft darstellt. Es kann entsprechend als eine Hauptaufgabe der demokratischen Gesellschaft angesehen werden, auch im digitalen Raum eine Balance zwischen Überwachung und Freiheit sowie zwischen Einflussnahme und Achtung von Grundrechten wie beispielsweise der Freiheit der individuellen Entfaltung zu finden. Digitale Anwendungen beeinflussen die individuelle Freiheit in erheblichem Maße, da sie moderne (Alltags-)Kommunikation Digitale Privatheit | 137
strukturieren und den Rahmen dafür bieten. Die Art, wie der digitale Raum Begegnungen ermöglicht, hängt von der Gestaltung der Kommunikationsumfelder ab, das heißt wie Programme, Apps und Plattformen programmiert sind, welche Algorithmen ihnen zugrunde liegen und dergleichen.
Überwachung, Kontrolle, Manipulation: Begrifflichkeiten Überwachung bezeichnet die gezielte, absichtliche Beobachtung einer Person oder eines Sachverhalts.348 Ziel der Überwachung ist es, Vorgänge und Verhaltensweisen festzustellen und zu beobachten. Sie geht dabei ungerichtet und unspezifisch vor. Mögliche Überwachungsobjekte sind ihr ausgeliefert.349 Zudem besteht ein enger Zusammenhang zwischen Sichtbarkeit und visueller Beobachtung. Im Unterschied zur bloßen Beobachtung setzt Überwachung eine übergeordnete Instanz voraus, findet also entlang einer vertikalen Achse statt. Kontrolle dagegen ist spezifischer und zielgerichteter als Überwachung, da erstere auf letztere zurückgreifen kann. Die digitale Transparenz des Individuums vereinfacht die Überwachung, aus welcher dann Kontrolle resultiert, der ein Anlass zu Grunde liegt, eine Überprüfung mit einem spezifischen Ziel. Beide gehen jedoch Hand in Hand. Michel Foucault beschreibt in seinen Überlegungen zum Panoptismus350, dass allein der Umstand, beobachtet zu werden, bei den Beobachteten dazu führt, dass sie ihr Verhalten selbst kontrollieren und sich somit selbst disziplinieren. In einer solchen Dynamik stellt Selbstzensur das Ergebnis von Überwachung und Beobachtung dar, da diese derart inter nalisiert werden, dass es letztendlich weniger darauf ankommt, ob eine Person wirklich oder nur potentiell beobachtet wird. Kontrolle entsteht bereits dann, wenn die Überwachung zu Verhaltens anpassungen und -veränderungen führt. Selbst- oder Fremdkon trolle können somit eine Konsequenz aus Überwachungspraktiken und -strukturen sein. Das Individuum wird manipulierbar und in seiner Fähigkeit eingeschränkt, eigene Entscheidungen zu treffen, da die manipulierende Instanz die Kontrolle über Abwägungsprozesse, Wünsche und Gefühle für seine Zwecke nutzen kann.351 138 | Digitale Privatheit
Digitale Überwachung beschreibt Hagendorff wiederum dabei als besonders ungerichtet und dezentral.352 Sie sei gekennzeichnet durch viele verschiedene Informations- und Datenströme, auch weil sich die Akteure gerade im digitalen Bereich stark ausdifferenziert haben. Die im Panoptikum einen baulichen Ausdruck findende Vorstellung eines alles sehenden Auges verliert somit im digitalen Bereich zunehmend ihre Bedeutung, da hier die Augen, um im Bild zu bleiben, enorm zahlreich sind. Der Überwachungscharakter digitaler Medien bringt also philosophisch-medienethische Perspektive eine deutliche Einschränkung der Freiheit mit sich.
Transparenz und Überwachung – ein wechselseitiges Verhältnis Dateninduzierte Transparenz erhöht also die Nachverfolgbarkeit, Überwachung und Kontrolle des Einzelnen im digitalen Kontext, sie macht sichtbar und beobachtbar. Transparenz bedeutet bezogen auf den Staat Sichtbarkeit und Offenlegung, in Bezug auf das Individuum aber tendenziell Überwachung und Kontrolle. Vincent August spricht von einer »eng verwandte[n] Logik von Transparenz und Überwachung«,353 die am Übergang von privater und öffentlicher Sphäre Transparenz in Überwachung kippen lasse: »Die semantische und normative Unterscheidung zwischen Transparenz und Überwachung wird im liberalen Theoriekontext durch eine Sphärenzuordnung ermöglicht: An der Schwelle des Privathauses kippt die positive Semantik der Transparenz in die negative Semantik der Überwachung.«354
Transparenz und Überwachung bedingen sich damit gegenseitig. Denn überwacht und beobachtet werden kann nur das Sichtbare. Gleichzeitig verursachen Sichtbarkeit und Transparenz wiederum Beobachtbarkeit und Überwachung. Materiell manifest wird diese Ambiguität in der Glasarchitektur und im Panoptikum. Kontrolle kann also als eine Folge von Überwachung begriffen werden und beide sind mögliche Konsequenzen einer digitalen Transparenz des Individuums. Digitale Medien sowie Kommuni Transparenz und Überwachung | 139
kation machen Kontrolle und Überwachung zu einer kaum mehr wegzudenkenden Eigenschaft der modernen Welt: »Eine besondere Rolle spielen in dieser Hinsicht die neuen Medien, im Besonderen das Internet und dessen ihm eigene Medienlogik, die den Grad von Transparenz und somit der Überwachungsmöglichkeiten nicht nur tendenziell heben, sondern zugleich unsere Einstellung ihr gegenüber verändern.«355
Durch die Digitalisierung hat sich demensprechend nicht nur die Selbstverständlichkeit und Ubiquität von Transparenz und Überwachung verändert und gesteigert, sondern auch der Umgang mit diesen Phänomenen. Folglich handelt es sich auch bei individueller Transparenz nicht lediglich um ein technisch induziertes Phänomen, sondern vielmehr um eine gesellschaftlich gestützte Ideologie – entsprechend sei, so Hagendorff, ein Rückgängigmachen weder technisch noch gesellschaftlich eine Option: »Der Umstand, dass eine gigantische, global ausgedehnte digitale Überwachungsarchitektur besteht, welche auf der Omnipräsenz informationstechnischer Systeme aufbaut und vom informationellen Kontrollverlust der digitalen Welt profitiert, lässt sich […] nicht abändern.«356
Eine technisch hochgerüstete Überwachungsinfrastruktur umfasst bereits große Teile des Alltags, welcher ohne digitale Dienste und Geräte kaum mehr vorstellbar ist – Überwachung und Vorhersage sind einfach und zugleich präsent und zudem ein fester Bestandteil der Lebenswelt geworden. Riesige Datenmengen und deren automatisierte Verarbeitungsprozesse lassen Individuen zu berechenbaren numerischen Einheiten werden, deren Verhalten Algorithmen kalkulierbar und vorhersagbar ist.357 Ein digitaler Kontrollverlust scheint ob einer solchen Infrastruktur kaum mehr abwendbar. Hagendorff schlägt dementsprechend vor, pragmatisch mit der Überwachung umzugehen, um eine gewisse Resilienz zu gewinnen, sie also zu akzeptieren, statt aktiv gegen dagegen vorzugehen. Den Versuch einer Einschränkung oder grundlegenden Neustrukturierung des digitalen Raums beurteilt er skeptisch und 140 | Digitale Privatheit
hält unter den gegebenen Umständen den vollständigen Verzicht auf digitale Telekommunikationsmedien zwar für am sichersten, aber kaum mehr zu realisieren.358 Individuelle Transparenz gestaltet sich, so betrachtet, als ein Mechanismus der Überwachung. Die Welt wird zum digitalen Panoptikum, wobei die NutzerInnen die Daten, durch die sie transparent werden, selbst erzeugen und so am Bau des Panoptikums mitwirken.359 So wird der Zwang, der dem klassischen Panoptikum (Bentham) zu Grunde liegt, transformiert zu dem Bedürfnis, sich selbst zu entblößen und transparent zu machen. Angesichts dieser Umkehrung diagnostiziert Byung-Chul Han eine Verdrehung von Begriffen wie Freiheit und Überwachung: Im derart aperspektivischen digitalen Panoptikum, in dem jedeR sich selbst zeige und seine Daten hinterlasse, verschwinde das Bewusstsein für die ständige Präsenz der Überwachung und damit der Manipulation. Sie werde stattdessen gar mit Freiheit verwechselt.360 Obwohl sich im Digitalen also die Blickrichtung der panoptischen Struktur auflöst und sich die Beobachtungspraktiken in zunehmendem Maße entgrenzen, geht damit jedoch noch keine Demokratisierung einher. Mit dem Fortschritt der Überwachungstechnologien führt ein unaufhaltsamer Weg in die Richtung einer Kontroll- und Transparenzgesellschaft, die sich letztlich als inhuman erweist. Alexander Filipović warnt vor dem danach folgenden Schritt, demjenigen von der Überwachung hin zur Vorhersage: »Wir befinden uns nicht nur in einem System der Überwachung, sondern erleben, wie sich die beschriebenen Strukturen zu Infrastrukturen der Vorhersage […] wandeln, die unser aller Freiheit in großem Ausmaß bedrohen.«361
Solche bereits bestehenden Vorhersagemöglichkeiten drohen, die freie Gesellschaft zu unterminieren. Daher fordert Filipović – im Gegensatz zu Hagendorff –, den digitalen Wandel politisch neu zu gestalten, um ein solches Bedrohungsszenario zu verhindern. Aus einer medienethischen Perspektive stellt die Entstehung derartiger Infrastrukturen im Zusammenhang mit der gigantischen Datenökonomie eine alarmierende Herausforderung dar, da diese nicht weniger als die Autonomie des Menschen bedrohen.362 Die Transparenz und Überwachung | 141
Struktur kommunikativer Architekturen hat für die freie Entfaltung individueller Autonomie eine zentrale Bedeutung. Ihre rechtliche und politische Gestaltung und damit die des öffentlichen Raumes ist eine genuine Aufgabe zivilgesellschaftlichen Handelns und demokratischer Politik. Wichtig sind dabei, wie auch MaxOtto Baumann hinzufügt, verbindliche Regeln, um die Freiheiten der verschiedenen gesellschaftlichen Akteure (von Unternehmen, Individuen und der Gesellschaft als Ganzer) auszugleichen. Diese Regeln zu verhandeln, zu etablieren und durchzusetzen, stellt dabei eine genuin staatliche Aufgabe dar.363
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18. Verlustszenarien von Privatheit
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ndividuelle Transparenz besteht nun erstens, wie wir gesehen haben, auf einer vertikalen Ebene sowohl gegenüber dem Staat als auch gegenüber Unternehmen und zweitens auf einer horizontalen Ebene gegenüber anderen Personen. Gegenwärtige Verlustszenarien von Privatheit sind also vielschichtig und zahlreich. Dabei wirken nicht wenige Menschen selbst an ihrer dateninduzierten Transparenz mit, was auf ein Spannungsfeld zwischen möglichen Konsequenzen individueller Transparenz und der zumindest teilweisen Freiwilligkeit von Praktiken der Selbstentblößung, die sich mit Phänomenen wie quantified self und self-tracking beschreiben lassen, verweist. Es entsteht ein sogenanntes privacy paradox, nachdem NutzerInnen zwar ein Bewusstsein für Privatsphäre-Problematiken im Internet besitzen, sich das Nutzungsverhalten aber kaum danach ausrichtet. So stimmen viele Menschen zwar Maßnahmen zum Schutz der Privatsphäre zu und lehnen die völlige Transparenz des Individuums ab – andererseits existiert aber eine große Bereitschaft, datenintensive digitale Dienste zu nutzen. Dieses Verhalten kann man mit mangelnder Medienbildung und der Komplexität des digitalen Datenschutzes erklären, aber auch mit einer hohen Bequemlichkeit und Faszination für die Potentiale und Erleichterungen im Alltag, die viele Dienste ermöglichen. Ein weiterer Punkt könnte jedoch auch in einer gewissen, so empfundenen Aussichtslosigkeit bestehen.364 Denn der Privatsphäreschutz entfaltet im Alltag nur relativ abstrakte Relevanz. Viele NutzerInnen kapitulieren schlicht und einfach und verdrängen mögliche Gefahren des Privatsphäreverlustes und der zunehmenden individuellen Transparenz. Gleichwohl steht das Bestreben, die eigene Privatsphäre zu schützen, mit der bereitwilligen Preisgabe persönlicher Daten nur scheinbar in Widerspruch: Zentral ist, ob die Herausgabe der Daten als freiwillig empfunden wird und das Individuum den Kontext und AdressatInnenkreis selbst bestimmen kann und ob eine Kontrolle über die Preisgabe und ihre Kontexte besteht. Der Konflikt zwischen Transparenz und Privatheit bleibt jedoch 143
bestehen. Aus einer medienethischen Perspektive abzulehnen ist in jedem Falle eine unfreiwillige Transparenz – gegenüber staatlichen Institutionen, aber auch Unternehmen oder anderen NutzerInnen. Den Einzelnen davor zu schützen ist dabei wohl eine politische, aber auch eine gesellschaftliche Aufgabe, die auf jedeN EinzelneN zurückfällt.
Dimensionen individueller digitaler Transparenz Transparenz bezogen auf die Einzelnen kann Kontroll-Mechanismen in Gang setzen, wobei unterschieden werden sollte, wem gegenüber das Individuum jeweils transparent ist, denn durch die Daten, die über eine Person verfügbar sind, wird der Einzelne auf verschiedenen Ebenen transparent. In Anlehnung an Thorsten Thiel, der Anonymität auf zwei Niveaus differenziert,365 unterscheide ich analog dazu zwischen horizontaler und vertikaler Transparenz des Individuums. Transparenz gegenüber anderen Personen – also horizontale Transparenz – entsteht etwa zwischen den NutzerInnen sozialer Netzwerke. Vertikale Transparenz hingegen entsteht gegenüber übergeordneten Akteuren wie dem Staat oder Unternehmen. Letztere erhalten dadurch eine neue, demokratietheoretisch relevant werdende Rolle. Individuelle vertikale Transparenz kann eine Gefahr für die (politische) Freiheit darstellen, wie bereits im Rahmen des Volkszählungsurteils hervorgehoben wurde. Sie ist damit in letzter Konsequenz undemokratisch. Einen relativ neuen Aspekt stellt die Ansammlung, Auswertung und Weiterleitung von Daten durch und an Unternehmen dar, wodurch diese gewissermaßen mitlesen können.366 Die NutzerInnen werden somit gegenüber Unternehmen transparent, weil die Unternehmen ihre Daten besitzen, aber die NutzerInnen nicht wissen, was mit diesen Daten geschieht und welche Daten überhaupt anfallen. Digitale Dienste bieten in der Regel die Möglichkeit, von sich im Internet eingestellte Informationen nur festgelegten Kreisen anderer NutzerInnen zur Verfügung zu stellen. Diese Einstellungsmöglichkeiten werden dabei zwar häufig ›Privatsphäreeinstellungen‹ genannt. Das bedeutet jedoch nicht, dass der Dienstanbieter selbst nicht trotzdem auf diese Informationen zugreifen und diese auch verwerten kann. 144 | Verlustszenarien von Privatheit
Aufgrund eines Ungleichgewichts der Transparenz zwischen NutzerInnen und Unternehmen entsteht ein Über- beziehungsweise Unterordnungsverhältnis zwischen Anbietern und NutzerInnen bezüglich der Einsicht in die Datenverarbeitungsprozesse. Insofern möchte ich in diesem Zusammenhang von einer vertikalen Ebene der Transparenz der Einzelnen sprechen. Die Unternehmen wiederum sind gegenüber den Nutzenden in der Regel intransparent. Sie akkumulieren umfassende Datensätze über eine Vielzahl von Menschen und stellen insofern eine Herausforderung für die Demokratie dar, als sie zumeist nach keiner politischen Logik handeln, sondern nach einer ökonomischen.367 Der digitale Raum bildet also nicht nur einen durch nationale demokratische Gesetzgebungs- und Diskussionsprozesse geprägten Raum, sondern ebenso eine von internationalen Akteuren nach unternehmerischem Kalkül gestaltete Sphäre. Social-MediaKonzerne geben vielerorts die Diskursbedingungen vor.368 Die Digitalisierung hat damit auch in diesem Bereich der Öffentlichkeit neue Machtchancen und -räume eröffnet und damit Kräfteverhältnisse geschaffen, die einen Rückbau der demokratischen Kultur zur Folge haben können. Beide Dimensionen individueller Transparenz – die horizontale wie die vertikale – haben unterschiedliche Auswirkungen. Die horizontale Transparenz lässt eine Transformation in eine kontrollierende und möglicherweise totalitär anmutende Gesellschaft als bedrohliches Szenario erscheinen. So wird das Individuum – durch die Verfügbarkeit von Daten im Internet und sozialen Medien – auf einer horizontalen Ebene transparent gegenüber anderen NutzerInnen. Dabei wird es jedoch nicht nur (digital) transparent, sondern macht sich durch die weitgehend freiwillige Abgabe von Daten auch selbst sichtbar. Vertikale individuelle Transparenz wiederum kann zu einem totalitären Regime der Daten und zu Überwachung führen. Das Individuum wird vertikal transparent gegenüber Institutionen, welche jedoch selbst jeweils unterschiedlich motivierte Interessen verfolgen. Durch die individuelle Datenabgabe erhalten nicht nur Staat und Unternehmen Einblicke in die Privatsphäre der Menschen, sondern auch andere NutzerInnen – dies stellt immerhin einen wesentlichen Aspekt der Geschäftsmodelle von SocialMedia-Plattformen und digitalen Anwendungen dar. Hier lässt sich Dimensionen individueller digitaler Transparenz | 145
ein normativer Wandel des Zeitgeists konstatieren: Transparenz als Ideologie lässt die digitale Datenpreisgabe als selbstverständlich erscheinen. Die meisten Personen verletzen zwar selbst ihre Privatsphäre durch Datenpreisgabe und Social-Media-Nutzung. Gleichwohl bestehen vehemente ökonomische wie staatliche Interessen an einem solchen Wandel und einem allgemein akzeptierten Verschwinden der Privatsphäre. Dabei lassen sich Machtverschiebungen weg vom Staat hin zu Konzernen beobachten, die durch ihren technologischen Vorsprung ein Machtvakuum ausfüllen, das staatliche In stitutionen hinterlassen, die oftmals mit dem rasanten technologischen Wandel überfordert scheinen. Die Digital-Unternehmen sind in Bezug auf ihren Umgang mit individuellen NutzerInnendaten bislang zwar zunehmend, aber noch immer wenig reguliert, zudem erhalten sie mitunter Kompetenzen, die eigentlich staatliche Hoheitsaufgaben wären, etwa die Herstellung und Strukturierung öffentlicher Räume sowie die Grenzziehung zwischen Meinungsfreiheit und Beleidigung. Solche Bewertungen werden Firmen überlassen, obwohl die Verhinderung, Einschränkung und Verfolgung beleidigender oder hetzender Inhalte eine politische, genuin staatliche Aufgabe darstellt. Die Verpflichtung von Kommunikationsnetzwerken, zwischen Meinungsäußerung und Hetze zu differenzieren und unter Umständen unangemessene Inhalte zu löschen, delegiert normative und hoheitliche Kompetenzen, was im Umkehrschluss zu einem Verlust an staatlichen Kompetenzen führen kann.369 Man denke zudem an Regierungsverlautbarungen oder Äußerungen staatlicher Behörden, etwa der Polizei, über populäre Social-Media-Kanäle. Diese dienen dazu, möglichst viele Menschen zu adressieren, folglich nutzen auch Staat und Politik digitale Medien und Plattformen für ihre Zwecke. Das stärkt jedoch deren Einfluss, da sie in diesem Zuge zu semi-offiziellen Sprachrohren transformiert werden. Um einen gangbaren, demokratischen Weg der Handhabe und Kontrolle wird derweil vor allem in Europa gerungen. Gleichzeitig verschwimmen Verantwortlichkeiten und Machtverhältnisse verschieben sich oder kehren sich ganz um: einerseits aus Perspektive der BürgerInnen, die nicht mehr nur dem Staat gegenüber, sondern eben auch Unternehmen gegenüber transparent werden. Andererseits verschiebt sich auch das Verhält146 | Verlustszenarien von Privatheit
nis zwischen Politik und Technologieunternehmen, und zwar eher zugunsten letzterer, denn nicht die Politik oder das Recht treten als gesellschaftliche Taktgeber auf, sondern Firmen und deren Technologien. Sie sind es, die elementare Bereiche des kulturellen und gesellschaftlichen Wandels durch ihre Entwicklungen und Vorstöße antreiben. Durch technische Innovationen provozieren Unternehmen Politik und Recht dazu, auf die damit verbundenen Problemlagen zu reagieren.370 Der politische Apparat kann darauf jedoch nur gemäß seiner eigenen, politisch-juristischen Logik reagieren.
Problemfelder – Spannung der Freiwilligkeit Als hauptsächliche Akteure, die individuelle dateninduzierte Transparenz herstellen, sind im Zuge der Digitalisierung also vor allem der Staat und Unternehmen zu nennen, aber auch die Gesellschaft und die Menschen selbst. Beate Rössler identifiziert drei Formen der Gefährdung der informationellen Privatheit und unterscheidet entsprechend erstens Überwachung durch den Staat, zweitens eine ›Konsumentenüberwachung‹, das heißt die Sammlung und Auswertung von persönlichen Daten durch Unternehmen, sowie drittens die freiwillige Herausgabe von Daten durch die Individuen selbst – etwa durch das Teilen von Informationen auf Social-MediaPlattformen. Laut Rössler machen die Kombination und das Zusammenspiel dieser verschiedenen Akteursebenen die Bedrohung der Privatheit derart umfassend und komplex.371 Der Blick auf das Individuum ist dabei, wie Anne-Kathrin Lück bemerkt, kein naturwissenschaftlicher mehr, sondern der digitale Blick professioneller DatenanalystInnen – allen voran staatliche Stellen sowie Unternehmen.372 Auch Dietmar Kammerer unterscheidet drei Akteursgruppen,373 die in digitalisierten Welten das Individuum durchleuchten und damit auch überwachen können. Allen voran sieht auch er staatliche, hoheitliche Institutionen als gewissermaßen älteste Akteure, die Interesse an der Beobachtung ihrer BürgerInnen haben. Außerdem macht Kammerer als zentrale Akteure Konzerne aus, die Datenhandel und -auswertung als Geschäftsmodell praktizieren, sowie soziale Netzwerke, denen die Selbstentblößung der Problemfelder – Spannung der Freiwilligkeit | 147
NutzerInnen als Funktionslogik zu Grunde liegt. Er unterscheidet des Weiteren zwischen technischer Überwachung, die Signale und Daten ohne direkten Personenbezug aufzeichnet, und gezielter Überwachung, die konkrete Personen und Gruppen ins Visier nimmt. Dabei hebt er die Alltäglichkeit von Überwachung hervor, die auch darin besteht, »dass eine große Zahl von Menschen ohne Zwang und in hinreichendem Bewusstsein Technologien nutzt, die ihre Überwachung möglich oder wahrscheinlich machen.«374 Kammerer diagnostiziert, dass Überwachungstechnologien und -praktiken derart ubiquitär sind und derart attraktiv erscheinen, sodass Menschen sie freiwillig nutzen. Aus einer medienethischen Perspektive löst seiner Ansicht nach eine solche freiwillige Selbstpreisgabe zwar Verwunderung aus, sollte jedoch respektiert werden. Dabei ist die Anerkennung und Beurteilung der Freiwilligkeit elementar. Wenn die Nutzung von Technologien quasi alternativlos werde, kann zum Beispiel nicht mehr von echter Zustimmung gesprochen werden. Die dateninduzierte Transparenz des Individuums macht die selbstständige Preisgabe von Daten zum Normalfall und individuelle digitale Transparenz wird in diesem Zuge zu einer Ideologie, in der die Preisgabe zwar freiwillig, jedoch kaum hinterfragbar erscheint. Tim Wambach analysiert die Entwicklung des digitalen Datenhandels und des damit einhergehenden Privatheitsverlusts seit der Jahrtausendwende.375 Dabei untersucht er am Beispiel populärer Internetanwendungen sogenannte tracker (engl. to track = »nachverfolgen, aufspüren«), das heißt Anwendungen auf Webseiten, die die Erstellung individualisierter NutzerInnen-Profile ermöglichen. In diesem Bereich, so sein Ergebnis, sei ein undurchsichtiges Netz an Drittanbietern entstanden, da neben dem eigentlich erwünschten Onlinedienst inzwischen jederzeit Daten an Dritte weitergeleitet würden, was jedoch für die NutzerInnen meist nicht offensichtlich sei. Ein zentrales Anwendungsfeld der digitalen tracker stellt die Personalisierung von Werbung dar. Die Personalisierung von Inhalten hat auch das Potential, Personen immer weiter in sogenannte Filterblasen hineingeraten zu lassen. Ein weiterer Aspekt ist, dass Daten stets auch für die Neu- und Weiterentwicklung datenverarbeitender Prozesse und Algorithmen genutzt werden, aber noch kaum absehbar ist, wozu sie in Zukunft genutzt werden kön148 | Verlustszenarien von Privatheit
nen.376 Datensätze lassen sich dementsprechend mühelos einzelnen Personen zuordnen und es lasse sich nicht sicherstellen, wie diese in Zukunft verwendet werden. Eine Zweckentfremdung ist nie auszuschließen. Wambach beschreibt weiter, wie eine entsprechende Nachverfolgung der NutzerInnen über verschiedene Internet domänen hinweg funktioniert, etwa mittels der Verknüpfung verschiedener Tätigkeiten im Netz mit Nutzerkonten unterschiedlicher Plattformen. Aus technischer Sicht ist zwischen Einbettungen, die die Funktionalität von Webseiten sicherstellen, und tracking zu unterscheiden, welches den Abfluss von Daten für Werbezwecke beschreibt. Letzteres stellt einerseits eine wesentliche Geschäftsgrundlage solcher vermeintlich ›kostenloser‹ Internetangebote dar, die zwar kein Geld kosten, jedoch sozusagen mit persönlichen Daten bezahlt werden. Andererseits kann tracking auch politische Dimensionen zeitigen, wenn dadurch Meinungsbildungsprozesse gezielt beeinflusst werden. Eine solche digitale Transparenz des Individuums findet somit auf einer vertikalen Ebene statt und droht, die Menschen zu kategorisieren und Mustern sozialer Klassifizierungen zu unterwerfen, wobei die Tatsache, dass diese Prozesse maßgeblich von privatwirtschaftlichen Interessensträgern wie Unternehmen gesteuert werden, undemokratisch ist.377 Die entstehenden Datenprofile besitzen neben einer ökonomischen auch eine politische Seite, wenn etwa politisches Verhalten mit ihrer Hilfe manipuliert wird.378 In einem solchen Fall betrifft die personalisierte Werbung nicht nur den Einzelnen und sein Konsumverhalten, sondern die Gesellschaft insgesamt. Rössler kritisiert eine Kommodifizierung durch Datafizierung, also dass der Einzelne selbst zur Ware wird, wenn er durch die Verfügbarkeit von Daten über sich durchschaubar und manipulierbar wird. Die Entfremdung, die so in immer weitere Lebensbereiche eintritt, könnte das Menschsein sehr grundlegend verändern und normative Vorstellungen von Freiheit, Gleichheit oder Autonomie aus hebeln.379 Einen weiteren Bereich der Datenerfassung durch digitale Anwendungen bildet neben einem tracking durch Drittanbieter die Selbstvermessung der NutzerInnen und die freiwillige Inanspruchnahme datenintensiver Dienste. Das transparente Individuum wird hier sowohl auf vertikaler als auch auf horizontaler Ebene Problemfelder – Spannung der Freiwilligkeit | 149
transparent. Im Bereich der horizontalen Transparenz manifestiert sich ein gewisser informationeller Exhibitionismus, ein Bedürfnis, sich zu zeigen und gesehen zu werden.380 In diesen Zusammenhang gehören Phänomene der Selbstüberwachung (etwa das sogenannte self-tracking beziehungsweise quantified self )381 mancher NutzerInnen zum Zweck einer Selbst- oder Verhaltensoptimierung und eines Vergleichs mit anderen. Self-tracking bezeichnet die Praxis, aus eigenem Antrieb Daten über sich selbst zu erheben, meist mit dem Ziel einer Optimierung des eigenen Verhaltens. Internationale, über das Internet organisierte Gemeinschaften tauschen sich unter dem Namen quantified self aus, um die Ergebnisse solcher selbstvermessenden Praktiken miteinander zu teilen. Self-tracking bedeutet wörtlich ›Selbst-Nachverfolgung‹, Petra Grimm und Nadine Hammele schreiben von Selbstvermessung oder Selbst optimierung. Oftmals wird self-tracking jedoch auch direkt und unübersetzt in den deutschen Sprachgebrauch übernommen. Im Zentrum solcher individueller Datenerhebungen steht der Wunsch nach numerischer und verdateter Selbsterkenntnis, die einerseits das Wissen über den eigenen Körper oder die eigenen Gewohnheiten vergrößern und andererseits eine Steigerung der eigenen ›Effizienz‹, Gesundheit oder Fitness ermöglichen soll: Self-tracking wird beworben als self-knowledge through numbers, also als Methode, sich selbst aufgrund von Zahlen besser kennenzulernen.382 Hinter den Praktiken des self-tracking steht ein modernes, einer digitalen Medienlogik entsprechendes Glücksversprechen, das auf einer Objektivierung des Individuums sowie einer numerischen Vergleichbarkeit beruht und gerade nicht auf introspektiver Selbstreflexion und einer Selbsterkenntnis der Seele, Methoden, die beide noch zu den klassischen philosophischen Überlegungen zum glücklichen Leben gehören. Marjolein Lanzing beschäftigt sich mit dem Widerspruch, dass solche Selbstvermessungstechnologien einerseits die Selbstbestimmung fördern sollen, aber andererseits die Privatsphäre aushöhlen, die wiederum Grundlage für Autonomie und Selbstbestimmung ist. So ist eine dem self-tracking zu Grunde liegende Motivation, durch immer mehr Daten immer mehr Aufschluss über sich selbst zu erhalten und damit sich selbst transparent zu werden. Die Möglichkeiten des self-tracking und der Selbstvermessung vereinfachen, 150 | Verlustszenarien von Privatheit
ermöglichen und unterstützen ferner auch die Selbstentblößung gegenüber einer unkalkulierbaren Anzahl von RezipientInnen. Selftracking schaffe, so Lanzing, aber gerade kein Bewusstsein und unterstütze nicht die Selbstreflexion, sondern zeichne lediglich auf. Verbunden mit einer Vernetzung setze es auf Mechanismen der Beobachtung, dabei mit einem Panoptikum vergleichbar. Hier liegt ein ähnliches Menschenbild wie bei Benthams Konzeption zu Grunde, nämlich, dass es der Beobachtung durch andere bedürfe, um sich selbst und sein Verhalten zu überwinden. Die Vernetzung mit Gleichgesinnten sowie das Teilen und Vergleichen zahlreicher Daten führt über die reine Selbstvermessung hinaus und ermöglicht Vergleich und Wettbewerb. Dabei wird eine Dekontextualisierung und Verletzung von Kontextgrenzen durch das diesen Praktiken inhärente Teilen der Daten vereinfacht. Gerade die Bewahrung verschiedener Kontexte sowie die eigene Entscheidungsgewalt, wem der Zugang zu welchen Daten zu gewähren sei, lasse sich häufig kaum gewährleisten. Breite Transparenz konfligiere entsprechend mit der informationellen Privatheit, die essentiell ist für individuelle Autonomie.383 Die Selbstvermessungspraktiken drohen so, in Selbstvermessenheit auszuarten. Stefanie Duttweiler und Jan-Hendrik Passoth diagnostizieren ferner in Anlehnung an Michel Foucault einen ›klinischen Blick‹, den jedeR durch die Möglichkeiten des self-tracking auf sich selbst entwickeln könne. Die Vermessung und Optimierung des Körpers ist entsprechend als zentrales Projekt der Moderne zu verstehen. Erklärte Ziele seien zwar Selbsterkenntnis und Freiheit, um mit mehr Wissen eine bessere Entscheidungsgrundlage zu erreichen. Allerdings wohnt derlei Technologien und Praktiken die Gefahr eines Kontrollverlusts an die Geräte inne und geht mit einer Ent individualisierung durch Datafizierung des Einzelnen einher: »Die Sichtbarkeit, die als unmittelbares Feedback auf eigene Verhaltensweisen und Zustände gedeutet wird, ist dabei eng mit den modernen Vorstellungen von Kontrolle und Selbstführung durch ein Mehr an Wissen verknüpft – also mit der Idee, dass durch das Aufdecken bislang unbekannter Aspekte unseres Körpers und unseres Lebens ein Mehr an Kontrolle über Körper und Leben entsteht […].«384 Problemfelder – Spannung der Freiwilligkeit | 151
Die AutorInnen zeigen, dass das Messen selbst schon voraussetzungsreich ist und dass in Bezug auf Praktiken der Selbstvermessung Sichtbarkeit generiert wird, die wiederum die AnwenderInnen als erstrebenswert empfinden, da durch Informationen über den eigenen Körper mehr (vermeintliches) ›Wissen‹ über diesen entsteht. Wichtig sei zudem die Beobachtung, dass Daten, Kurven oder Statistiken für sich selbst als aussagekräftig und die Realität wahrheitsgetreu abbildend verstanden würden. 385 Dieses könne dann in konkrete kontrollierende Handlungen umgesetzt werden. Dabei werden diese körperbezogenen Daten auf die ganze Person übertragen und Schlüsse daraus gezogen. In diesem Zuge soll konsequenterweise nicht nur der Körper optimiert werden, sondern der gesamte Charakter, der gesamte Mensch. Die erhöhte Sichtbarkeit der Körperdaten hat entsprechend einen umfassenden Anspruch und appelliert an die Eigenverantwortlichkeit. Sie verfolgt das Ziel, das Individuum als Ganzes zu verbessern. Insgesamt ergeben sich jedoch erhebliche Spannungen zwischen der durch self-tracking hergestellten individuellen Transparenz und Privatheit, denn »there is tension between the idea that one should disclose personal information in order to gain more self-control and the informational privacy one needs to live an autonomous life«.386
Zwischen der Idee, mehr Kontrolle über sich selbst durch die Preisgabe persönlicher Daten zu gewinnen, und der Tatsache, dass für ein unabhängiges Leben der Schutz der Privatsphäre vonnöten ist, besteht ein Widerspruch. Aus der Perspektive der Privatheit erweisen sich Datensammlung und Selbstenthüllung als insofern überaus problematisch, als durch Aufzeichnungspraktiken die Grenzen der Privatsphäre aufgelöst werden, die eigentlich eine autonome Selbstdarstellung in unterschiedlichen sozialen Kontexten ermöglichen.387 Der ›gläserne Mensch‹ wird hier auf der Ebene seines Körpers zum Thema, doch sind bei dieser Praxis die Individuen selbst die Beobachtenden – und keine äußere Instanz. Generiert werden digitale Daten, der Einblick in diese erfolgt insofern, wenngleich direkt auf den Körper bezogen, in einem übertragenen Sinn. Solche Anwendun152 | Verlustszenarien von Privatheit
gen werden von DatenschützerInnen zwar kritisiert und als pro blematisch erachtet, sind aber nichtsdestotrotz populär. Sie funktionieren dabei nur, wenn große Datenmengen eingespeist und die Selbstvermessung dauerhaft praktiziert werden. Für eine medienethische Analyse erweist sich als zentral, dass die Anwendungen freiwillig genutzt werden und die Nutzenden sich ›selbst transparent machen‹ und keineswegs dazu gezwungen werden. Von philosophischem Interesse für die vorliegende Untersuchung ist zudem die Vermischung vertikaler und horizontaler Transparenz durch die freiwillige aktive Mitwirkung an einem digitalen Panoptikum. Beate Rössler kritisiert, dass die Selbstbeobachtung durch selftracking gleichgesetzt werde mit Selbsterkenntnis, was jedoch bedenklich sei. Selbsterkenntnis stellt, wie sie zeigen kann, eine zentrale Voraussetzung für die individuelle Autonomie dar, doch sie beinhaltet die Selbstreflexion und damit einhergehend auch die Möglichkeit, zu vergessen oder das eigene Leben, Entscheidungen und Vergangenheit umzudeuten. Durch die Datafizierung der Selbstbeobachtung wird aber gerade die Selbstreflexion unterbunden, da lediglich anfallende Daten gesammelt und gemessen werden, aber gerade kein innerlicher Prozess angestoßen werde. Statt Selbsterkenntnis werde der Einzelne objektiviziert und mache sich selbst zum zu beobachtenden Objekt. Damit entfremden sich die Einzelnen vielmehr von sich selbst, da das digitale Selbst eben nicht das ganze Selbst abbildet, sondern eine auf Daten, Zahlen und Schablonen verkürzte Version. Rössler sieht mit einer solchen Verdinglichung des Selbst normativ-praktische menschliche Konzepte in Gefahr, wie Freiheit, Autonomie, Handlungsfähigkeit, Privatsphäre oder Demokratie. Echte Selbsterkenntnis sei notwendig für die Selbstbestimmung; Wenn die Selbsterkenntnis eingeschränkt ist, werde demnach auch die Autonomie eingeschränkt. Technologien sind daher zu kritisieren, weil oder wenn sie bestimmte Handlungen oder Praktiken gefährden, die zentral sind für das gute menschliche Leben. Manche datenintensiven digitalen Technologien greifen Rösslers Ansicht nach derart in das menschliche Miteinander ein, dass sie damit die grundlegendsten normativen Prinzipien oder Werte einschränken, verletzen oder sogar zerstören, ohne die es nicht möglich ist, gut zu leben.388 Problemfelder – Spannung der Freiwilligkeit | 153
Durch Praktiken des self-tracking wird Privatsphäre normativ wie faktisch ausgehöhlt und scheinbar verzichtbar: Zumindest erzeugen zahlreiche Debatten und Appelle zum Schutz der Privatsphäre im Internet kaum Resonanz und ziehen keine grundlegenden Änderungen im NutzerInnenverhalten oder im allgemeinen Umgang mit entsprechenden Technologien nach sich. Ein Rückzug oder eine gewisse Skepsis gegenüber digitalen Medien oder Anwendungen lässt sich gesamtgesellschaftlich kaum beobachten. Im Gegenteil: Es gibt die Position, im Angesicht der als umfassend empfundenen Datafizierung eine Überwindung der Privatsphäre eher zu forcieren. Das Stichwort hierfür lautet post privacy389, die Relevanz von Privatsphäre wird grundsätzlich in Frage gestellt. Die VertreterInnen einer solchen Position fordern eine umfassende gegenseitige horizontale Transparenz und nehmen an, dass sie zu einer gerechteren, moralischeren Gesellschaft führt. Das Beharren auf dem Schutz der Privatsphäre wird aus einer solchen Perspektive abgelehnt, Privatheit als Raum der Vertuschung und des Verbergens diskreditiert. Kritisiert wird (auch unter Berufung auf die feministische Privatheitskritik) die liberale Grundannahme, dass das autonome Subjekt den privaten Raum zum Rückzug und zur Ausbildung seiner Autonomie brauche. Die Unzugänglichkeit des Privaten diene aus einer solchen Perspektive lediglich dazu, Machtverhältnisse zu stabilisieren. In einem solchen Rahmen wird individuelle Transparenz zur positiven Ideologie. Dabei korrespondiert die Kritik am Festhalten an der Privatsphäre mit deren grundsätzlicher Ambiguität, die auch ein Problem feministischer Herangehensweisen darstellt: dass nämlich die Privatsphäre zwischen einem Schutz- und Rückzugsraum einerseits und einem heimlichen Machtraum andererseits changiert. Die verbreitete Durchsetzung individueller Transparenz rührt daher, dass Transparenz erstens insgesamt derart positiv konnotiert, zweitens technisch möglich ist und drittens viele MediennutzerInnen von sich aus eine große Menge persönlicher Daten veröffentlichen. In Bezug auf die Privatsphäre hat sich nicht nur die Technologie verändert, das heißt nicht nur die Digitalisierung macht die Reflexion über und einen Ausgleich von Daten und Privatsphäre zu einer Herausforderung. Ein veränderter Umgang mit persönlichen Daten und veränderte Einschätzungen zum Wert 154 | Verlustszenarien von Privatheit
digitaler Privatheit spielen ebenso eine große Rolle. Die Ambivalenz, die Anne-Kathrin Lück mit der Lust, ein sichtbarer, und der Angst, ein gläserner Mensch zu sein, beschreibt390, offenbart die Janusköpfigkeit des gegenwärtigen digitalen Privatsphäreverlustes. Dieser ereignet sich nicht nur, sondern wird von den Menschen, Individuen, BürgerInnen und KonsumentInnen (mehr oder weniger aktiv) mitgetragen. »Die Alltäglichkeit der Überwachung besteht jedoch auch darin, dass eine große Zahl von Menschen ohne Zwang und in hinreichendem Bewusstsein Technologien nutzt, die ihre Überwachung möglich oder wahrscheinlich machen. Überwacht zu werden wird vielfach in Kauf genommen oder sogar aktiv betrieben (Lifelogging). Ethische Einreden gegen Überwachung müssen solche Entscheidungen zur Selbstpreisgabe respektieren, wollen sie nicht Gefahr laufen, als Moralismus abgelehnt zu werden.«391
Dietmar Kammerer beobachtet insofern aufseiten der NutzerInnen solcher datenaufzeichnender Dienste, dass die eigene Überwachung mehr oder weniger bewusst in Kauf genommen werde. Dies stelle die Medien- und Digitalisierungsethik vor die Herausforderung, eine entsprechende Technologienutzung nicht nur zu kritisieren, sondern als prinzipiell gegeben anzunehmen und auf der Basis einer solchen derart verbreiteten Einstellung zu arbeiten und zu reflektieren, warum die NutzerInnen trotz allem bereit sind, Privatsphäre aufzugeben. Welche Konsequenzen hat es, wenn UserInnen ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung dazu nutzen, Privatsphäre auszuhöhlen? Dies scheint im digitalen Raum ständig zu passieren, obwohl es einen breiten gesellschaftlichen Diskurs über Gefahren gibt. Dabei kommt es zum bereits oben diskutierten Paradox der Privatheit, wonach der Schutz der Privatsphäre zwar als Wert proklamiert wird, aber die BürgerInnen wenig für den tatsächlichen Schutz ihrer Privatsphäre unternehmen. Kritisch zum Privatheitsparadox äußert sich Daniel Solove, der dieses gerade nicht als Paradox verstanden wissen will, sondern es in kleinteilige, jeweils vernünftige Entscheidungen untergliedert. Die eigene digitale Privatsphäre zu schützen und zu verwalten, sei eine komplexe und voraussetzungsreiche Angelegenheit, weswegen Problemfelder – Spannung der Freiwilligkeit | 155
er weniger das (nur scheinbar) inkohärente NutzerInnen-Verhalten in den Blick nimmt als vielmehr die Strukturen der jeweiligen Anwendungen. Der Schlüssel zu dem wichtigen Anliegen eines verbesserten Privatsphäreschutzes im Internet liege weniger in einer Erweiterung der Möglichkeiten, solche Einstellungen selbstständig nutzerInnenseitig zu ändern, als in einer Regulierung der Softwarearchitekturen, die Informationen nutzen, speichern und übertragen. Daher argumentiert Solove für einen strukturellen Ansatz und für eine Regulierung.392
156 | Verlustszenarien von Privatheit
19. Fazit
D
er Begriff der Transparenz hat sich im Laufe der Zeit von einer Zustandsbeschreibung zu einem metaphorisch-normativen Ausdruck von geradezu ideologischem Charakter entwickelt: So ist ›Transparenz‹ zu einem Moralversprechen sowohl für Institutionen wie für Personen mutiert, mit der fast ausschließlich positive Bedeutungen verbunden sind. Transparenz erscheint als unparteiisch, neutral, demokratisch und fortschrittlich und verspricht daher Stabilität.393 Die Critical Transparency Studies stellen ein breit angelegtes, neues und interdisziplinäres Forschungsfeld dar, welches sich darum bemüht, nicht bei einer reinen Begriffsanalyse zu verharren, sondern gerade auch das gesellschaftliche Phänomen der Transparenz zu fassen und diese zwischen und innerhalb der verschiedenen Disziplinen zu verorten und zu verankern. Die beiden Transparenzbegriffe des Staates und des Individuums wurzeln in unterschiedlichen ideengeschichtlichen Traditionen, die ich oben zu rekonstruieren und freizulegen versucht habe. Transparenz als Ideologie beschreibt dabei eine Entwicklung, die den normativen Bezug auf den Staat wie auf das Individuum hervorhebt und dazu führt, dass sich die Einzelnen in den sozialen Medien entblößen und den Schutz ihrer Privatsphäre eben nicht (mehr) als vorrangiges Anliegen begreifen. Der Verlust der Privatsphäre wird jedoch flankiert von Überwachung und Kontrolle und damit individueller Unfreiheit. Transparenz kann sich dabei auch ins Übermaß wenden: Bezüglich des Staates kann dann von Pseudotransparenz gesprochen werden, die aus einer demokratietheoretischen Sicht insofern unproduktiv erscheinen muss, als zu viel Transparenz nicht automatisch zu mehr Beteiligung und demokratischer Zugänglichkeit führt. Bezüglich des Individuums führt ein Übermaß an digitaler Transparenz zu Entblößung und Überwachung, was sie bedrohlich macht, da sie die individuelle Autonomie und die Privatheit gefährdet. Transparenz stellt eine Weiterentwicklung von Veröffentlichungs bestrebungen in den neuen digitalen Räumen dar. Ihre Herstellung mittels digitaler Möglichkeiten der Publikation und Sichtbarma 157
chung scheint somit einem Zeitgeist zu entsprechen, der Reinheit und Integrität durch Offenlegung und Öffentlichkeit verspricht. Dabei kann die Transparenz zwar als eine Konsequenz aus fortschreitender Digitalisierung und Vernetzung verstanden werden, doch handelt es sich weder um eine notwendige noch um die einzig mögliche Konsequenz. Denn tatsächlich zeitigen Internet und Digitalisierung äußerst vielseitige und widersprüchliche Folgen, so wie das Internet beispielsweise in besonderem Maße Anonymität, gleichzeitig jedoch auch Transparenz herzustellen vermag.394 Die Logik des Internets präsentiert sich als entsprechend ambivalent. Dabei bleibt aus einer philosophisch-medienethischen Perspektive die Frage nach der Verantwortung der Einzelnen wie der Gesellschaft im Digitalen. Verantwortlichkeiten müssen sich einerseits in Bezug auf einen möglichen normativen Wandel des Privaten artikulieren und anderseits mit der Forderung nach Medienkompetenz verbinden lassen. Wie oben gezeigt, changiert der Begriff der Transparenz zwischen einer deskriptiven und einer normativen Bedeutungsebene sowie zwischen einem metaphorischen und einem sachlich-materialen Bedeutungsgehalt. Zudem hat er zwei maßgebliche Bezugsrichtungen, nämlich den Staat und das Individuum. Dabei erweist sich die philosophische Begriffsanalyse als eng verschränkt mit der Architekturtheorie, wie wir gesehen haben: ›Hindurchsehen‹ macht dabei eine Quintessenz von Transparenz aus – sowohl in einem materialen wie in einem übertragenen, ideologischen Sinn. Das Hindurch-Sehen durchdringt alle Bedeutungsgehalte und Verwendungsweisen von ›transparent‹.395 Darüber hinaus zeigt sich, dass der Transparenzbegriff mehrfach dichotom und eng verbunden mit Phänomenen und Effekten der Digitalisierung ist. Eine philosophische Reflexion des Digitalen sowie seiner Phänomene und Begriffe – wie dies eben im Falle von ›Transparenz‹ deutlich wird – muss dabei methodisch bereits von einer ausgeprägten Ambivalenz als Prinzip des Digitalen ausgehen: Nicht nur die (von uns geschaffenen) Begriffe, sondern auch die Phänomene des Digitalen selbst erscheinen als janusköpfig, das heißt, sie entfalten einander zuwiderlaufende Effekte und Dimensionen. Zwei Arten der Transparenz sind dabei zu unterscheiden: zum einen im Sinne der Forderung von BürgerInnen nach Transparenz 158 | Fazit
gegenüber dem Staat und anderen Institutionen, zum anderen im Sinne eines gesellschaftlichen Zwangs zur Transparenz gegenüber dem Individuum. Des Weiteren changiert der Begriff der Transparenz zwischen einer beschreibenden und einer normativen Dimension und zugleich zwischen einer Ebene des Sprachlichen und einer Ebene des Phänomenalen. Transparenz stellt also einerseits einen Schlüsselbegriff dar, der deskriptiv wie normativ gebraucht wird, andererseits aber auch ein Phänomen und eine Praxis, welche sich beispielsweise im Bereich der Architektur besonders deutlich manifestiert, aber auch, wenn etwa Dokumente zugänglich gemacht werden. Durch die Verbindung dieser verschiedenen Dimensionen erhält Transparenz eine ideologische Qualität, wenn die zugrunde liegenden Denkmuster sich widerstandslos in einen modernen, digital geprägten Zeitgeist einfügen. Dabei besteht die Gefahr, dass der Transparenzbegriff zum modischen Schlagwort und bloßen Symbol wird, weswegen man ihn als eine Art ›Platzhalterbegriff‹ für andere Werte ablehnen könnte, welcher je nach Bedarf mit Bedeutung gefüllt werden kann. Es muss also aus einer kritischen Perspektive heraus beurteilt werden, ob Transparenz jeweils einen sinnvollen und anschlussfähigen Begriff darstellt, wenn sie zwei derart unterschiedliche Bezugspunkte hat, die zudem aus äußerst konträren Richtungen unter Druck geraten – etwa durch WhistleblowerInnen (im Bereich des Staates) oder durch Social-Media-Konzerne (im Bereich des Individuums). Beide Akteursgruppen besitzen das Potential, wesentliche demokratische Grundsätze wanken zu lassen, wenn sie dazu beitragen, Transparenz als Inbegriff und Verwirklichung von Freiheit darzustellen. Dabei fokussieren WhistleblowerInnen und deren MitstreiterInnen auf den ›gläsernen Staat‹, die Digital-Unternehmen jedoch auf das ›gläserne Individuum‹. So kann das Sprechen von und über Transparenz kritisiert werden, gerade weil der Begriff deutungsoffen ist und zugleich ausgeprägte normative Implikationen besitzt und mit einer Metaphorik des Sehens und des Lichts sowie mit der Ambivalenz aus Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit verbunden ist, welche seine Uneindeutigkeit maßgeblich mitauslösen und veranlassen. Transparenz verweist einerseits auf das Durchlässige und damit das Sichtbarmachende und andererseits auf das Unsichtbarmachende. Wo Sichtbarkeit herrscht, entsteht gleichwohl an ande Fazit | 159
rer Stelle Unsichtbarkeit. Es handelt sich also um ein begriffliches Kaleidoskop, zu dem es keine richtige und falsche Interpretation gibt, sondern nur verschiedene Perspektiven und Dimensionen. Aus der vorangegangenen kritischen Betrachtung und Analyse wird deutlich, dass eine umfassende Theorie der Transparenz kaum gelingen kann, da sich in einem philosophischen Sinn Transparenz nicht definieren, sondern lediglich multiperspektivisch betrachten und beschreiben lässt. So stellt sich Transparenz als eine kaum mehr abkömmliche politische Norm dar,396 welche auf die Reduktion von Unsicherheit ausgerichtet ist, Dabei lässt sich beobachten, dass das Prüfkriterium einer öffentlichen Vernunft an Relevanz zu verlieren scheint gegenüber einem Ideal der Sichtbarkeit und Verfügbarkeit vermittelter Daten. Diese Verfügbarkeit großer Datenmengen kann wiederum rasch eine Informationsüberflutung bewirken. Somit führt ein solches Ideal zwar einerseits zu mehr Daten, Informationen oder Dokumenten, jedoch andererseits – paradoxerweise – zu verringerter Klarheit und eingeschränkter Orientierung innerhalb der Datenflut. Daher kann von einem demokratietheoretischen Standpunkt das Prinzip der allgemeinen Vernünftigkeit und des öffentlichen Räsonnements weiter als zentral gelten – was eher zu einem Begriff der ›Publizität‹ führt als zu ›Transparenz‹. Als elementar stellt sich nicht schlichtweg Sichtbarkeit dar, sondern die Abwägung vernünftiger Argumente. Der Kern der Demokratie liegt nicht im Sehen, sondern im Austausch, also nicht in bloßer Datenkontrolle und dem Umgang mit Informationen, sondern in der kritischen Diskussion. Individuelle Selbst-Zurschaustellung und die Kontrolle des Individuums gehen ineinander über. Das Internet verwandelt Transparenz in eine universale Logik – des Politischen, der Gesellschaft sowie des Individuums. Diese dem Internet eigene Medienlogik verändert die Art und die Formen der Kommunikation und lässt eine Erwartungshaltung entstehen, stets und ubiquitär (fast) jede Information zu erhalten und diese vervielfältigen zu können. Dieselbe mediale Funktionsweise lässt auch Machtverhältnisse bröckeln und wirkt auf bestehende Verhältnisse verändernd ein, etwa auf das Verhältnis zwischen Staat und BürgerInnen, zwischen Staat und Unternehmen und zwischen Unternehmen und BürgerInnen wie KonsumentInnen. Firmen erlangen in diesem Zuge oftmals 160 | Fazit
eine enorme Deutungsmacht und prägen mit ihrer ökonomischen und ideologisch-politischen Ausrichtung das Verständnis von Transparenz als einer kaum hinterfragbaren, allzeit gültigen Norm. Nur wenn der Transparenz-Begriff insgesamt kritischer reflektiert wird, lässt sich gewinnbringend damit arbeiten. Abschließend kann daher festgehalten werden, dass eine kritische Debatte darü ber nötig ist, inwieweit Transparenz als positiv zu bewerten ist, da sie, wie gezeigt wurde, nicht unbedingt um ihrer selbst willen wünschenswert ist und bisweilen gar totalitäre Züge anzunehmen droht. Dieser instrumentelle Charakter von Transparenz zur Erreichung fernerliegender, sekundärer Ziele und Interessen sollte nicht übersehen werden, wenn ›Transparenz‹ als vermeintlich intrinsisch wertvoll verstanden wird.
Fazit | 161
Danksagung
D
ieses Buch stellt die überarbeitete und gekürzte Fassung meiner im Wintersemester 2020 an der Philosophischen Fakultät der Universität Passau eingereichten und im Sommersemester 2021 verteidigten Dissertation dar. Auf dem Weg bis zum Abschluss dieses Projekts haben mich zahlreiche Personen aus dem universitären Kontext wie aus meinem privaten Umfeld unterstützt, von denen ich nur einige hervorheben kann. Gedankt sei allen, die stets an meiner Seite waren und bis heute sind. Zuerst danke ich aus vollem Herzen meinen beiden Gutachtern, Prof. Dr. Christian Thies in Passau und Prof. Dr. Alexander Filipović in Wien, für die jahrelange konstruktive, ermutigende und unterstützende Begleitung und Betreuung meines Projekts. Die gemeinsame Zusammenarbeit begann bereits 2014 und so entwickelte sich frühzeitig die Basis für ein vertrauensvolles Betreuungsverhältnis. An der Universität Passau ermöglichte es mir das DFG-Graduiertenkolleg 1681/2 »Privatheit und Digitalisierung«, in einem in spirierenden und interdisziplinären Verbund zu arbeiten. Dank gebührt Prof. Dr. Kai von Lewinski, Prof. Dr. Meinhard Schröder und Prof. Dr. Rüdiger Harnisch für stets kritische, zum Nachdenken anregende Nachfragen und Motivationen. Stellvertretend für alle Weggefährtinnen und -gefährten am Graduiertenkolleg danke ich Dr. Anne Deremetz und Patrick Herget für ihre Freundschaft, Solidarität und ihr Engagement als SprecherInnen der KollegiatInnen. Prof. Dr. Andrea M. Esser und Prof. Dr. Beate Rössler haben mich explizit wie auch implizit motiviert, stets weiterzumachen. Zudem danke ich Prof. Dr. Mariska Leunissen dafür, mich bei einem Forschungsaufenthalt in Chapel Hill (North Carolina) willkommen geheißen und mir unkompliziert ermöglicht zu haben, an meiner Dissertation zu schreiben. Für unzählige Diskussionen über kleinere und größere Textpassagen sowie unermüdliche Korrekturarbeiten und insgesamt den unverbrüchlichen Glauben an dieses Projekt danke ich Dr. 163
Markus Hafner und Dr. Johanna Sedlmeir. Marcel Simon-Gadhof danke ich für die Betreuung von Seiten des Meiner Verlages und die Unterstützung, aus dem Text ein Buch zu machen. Für die langjährige mentale Unterstützung seit dem Leistungskurs danke ich Amelie Binder, die stets zum Vorbild taugt. Danke zudem an Ana Siglinde Knapp, Eva Korte, Dr. Polly Lohmann, Linda und Dr. Roland Immler, Leonie Funke, Ayelén Baracat sowie Dr. Fabiana Bisaro für Ablenkungen, offene Ohren und Motivationen. Nicht zuletzt gebührt größter Dank meiner Familie, für alles. Danke Ihnen und Euch allen.
164 | Danksagung
Anmerkungen Anmerkungen 1 Vgl. Hood 2006: S. 3.
2 Vgl. z. B. Wewer 2014: S. 4; Baumann 2014: S. 398; Website von Transpa-
rency International: https://www.transparency.de (Zugriff: 19.04.2022). 3 Für eine umfassende rechtswissenschaftliche Perspektive auf das Phänomen der Transparenz vgl. Ostermann 2019. 4 Vgl. Hastedt 2020. 5 Heibges 2018. 6 Vgl. Solove 2011. 7 Vgl. z. B. Baecker 2017; Ong 2016: S. 74. 8 Vgl. für einen einführenden Überblick: Schweppenhäuser 2018. 9 Vgl. ›Diaphanität‹, in: DWDS; auch Alloa 2018. 10 Vgl. Krämer 2008: S. 29 f. 11 K rämer 2019: S. 834. 12 Vgl. Krämer 2019: S. 834. 13 Vgl. Baecker 2017. 14 Vgl. Ong 2016: S. 75. 15 Platon: Phaidros: 275a (Paulsen/Rehn 2019: S. 71). 16 Platon: Phaidros: 275a–b (Paulsen/Rehn 2019: S. 71). 17 Prominent ist hier das Höhlengleichnis zu nennen, welches die Überwindung von Scheinwissen und die Erlangung von wahrer Erkenntnis beschreibt. Vgl. Platon: Staat: 514a–518b. 18 Platon: Phaidros: 275d (Paulsen/Rehn 2019: S. 72). 19 Geiger 2017: S. 390. 20 Platon: Phaidros: 275d–e (Paulsen/Rehn 2019: S. 72). 21 Vgl. Platon: Parmenides: 128d–e. 22 Geiger 2017: S. 390. 23 Platon: Phaidros: 275e. 24 Vgl. Shifman 2014; Bülow/Johann 2019. 25 Vgl. für einen Überblick z. B. Limbourg/Grätz 2018. 26 Platon: Phaidros: 276e–277a. 27 Vgl. Geiger 2017: S. 390 f. 28 Vgl. Ong 2016. 29 Ong 2016: S. 76. 30 Vgl. ›Inkunabel‹, in: Rautenberg 2015: S. 209. 31 Vgl. McLuhan 1968. 32 Bunz 2017. 33 Baecker 2017: S. 8 f. 34 Vgl. Baecker 2017: S. 6 f. 165
35 Vgl. z. B. Filipović 2015.
36 Vgl. z. B. Baumeister/Schwärzel 2019: v. a. Kapitel 1. 37 Jacob/Thiel 2017a: S. 10.
38 Vgl. Baecker 2017: S. 18. 39 Vgl. Thies 2018: S. 138.
40 Vgl. Schmidt 2013: S. 35. 41 Vgl. Filipović 2013.
42 Steimer/Filipović 2019: S. 125. 43 Vgl. Filipović 2015. 44 Stalder 2016: S. 20. 45 Baecker 2017: S. 4. 46 Vgl. Thiel 2016.
47 Vgl. Lück 2013: S. 138 f. 48 Lück 2013: S. 149. 49 Vgl. Thiel 2017.
50 Vgl. Arendt 2002: S. 213 ff.
51 Vgl. Watzinger 2021: S. 245 f. 52 Seubert 2019: S. 7.
53 Vgl. Seubert 2019.
54 Baumann 2014: S. 398.
55 Vgl. Baumann 2014: S. 399. 56 Vgl. Kilian 2015: S. 61.
57 Vgl. z. B. Bedford-Strohm et al. 2019a. 58 Vgl. Bieber 2019: S. 152.
59 Vgl. ähnlich auch Baumann 2014. 60 Vgl. Weidacher 2019.
61 Vgl. z. B. August 2018b.
62 Vgl. z. B. Jacob/Thiel 2017b; Kneuer 2013; Baumann 2016. 63 Vgl. Schäfers 2003: S. 169–185. 64 Vgl. Erben 2017: Kapitel 2. 65 Warkus 2018: S. 803.
66 Vgl. Schwarte 2009: Kap. 1.1. 67 Vgl. Schwarte 2009.
68 Vgl. Weresch 2005: Kapitel 3. 69 Vgl. Feuerstein 2013: S. 229. 70 Schwarte 2009: S. 19. 71 Erben 2017: S. 82. 72 Erben 2017: 84.
73 Vgl. Bauhaus Kooperation: Barcelona Pavillon: https://www.bauhaus-
kooperation.de/wissen/das-bauhaus/werke/architektur/barcelonapavillon/ (Zugriff: 20.09.2021). 74 Vgl. Rowe/Slutzky 1963. 75 Vgl. Rowe/Slutzky 1963: S. 45 f. 166 | Anmerkungen
76 Daran arbeiteten auch – um bekannte Namen zu nennen – das Bau-
haus oder Le Corbusier: Vgl. Feuerstein 2013: S. 107 ff. 77 Vgl. Loebermann 1998: S. 100. 78 Vgl. Loebermann 1998: S. 102. 79 Vgl. Barnstone 2003: S. 3. 80 Barnstone 2005: xii (Vorwort). Günther Feuerstein zeigt in seinem Buch the open space zahlreiche funktional geordnete Beispiele für unterschiedliche historische und technische Arten, Transparenz im Bauen herzustellen. Vgl. Feuerstein 2013. 81 Vgl. Lobe 09.02.2017. 82 Vgl. Alloa 19.03.2016. 83 August 2018a: S. 128. 84 Vgl. August 2018a: S. 144. 85 Vgl. Alloa 2016. 86 Vgl. August 2019: S. 204. 87 Vgl. Wegener 2006: S. 126 ff. 88 Bentham 2013: S. 7. 89 Vgl. August 2018a: S. 127. 90 Vgl. Rzepka 2013. 91 Vgl. Architektur des Paul-Löbe-Hauses: https://www.bundestag.de/ besuche/architektur/loebehaus (Zugriff: 19.11.2020). 92 August 2018a: S. 117. 93 Vgl. Barnstone 2005. 94 Vgl. Barnstone 2005: S. 26.; vgl. auch Schäfers 2003: S. 173 ff. 95 Vgl. Bundeshaus Bonn: https://www.bundestag.de/parlament/geschichte/schauplaetze/altes_wasserwerk/altes_wasserwerk-199658 (Zugriff: 19.11.2020). 96 Vgl. Reichstagsgebäude: https://www.bundestag.de/besuche/architektur/reichstag/reichstag-198820 (Zugriff: 19.11.2020). 97 Vgl. z. B. Architektur des Paul-Löbe-Hauses: https://www.bundestag. de/besuche/architektur/loebehaus (Zugriff: 19.11.2020). 98 Vgl. Bundeskanzleramt: https://www.bundesregierung.de/breg-de/ themen/geschichte-und-architektur-des-kanzleramts-475344 (Zugriff: 20.09.2021). 99 Vgl. Alloa 2018: S. 30. 100 Vgl. Watzinger 2022. 101 Koselleck 1972–1997: S. XXII. 102 Vgl. Koselleck 1972–1997: S. XII. 103 Vgl. Koselleck 1972–1997: S. XIII. 104 Vgl. Geulen 2010. 105 Vgl. Müller 2019. 106 Vgl. z. B. Honneth 2018, der dies am Beispiel der ›Anerkennung‹ expliziert. Anmerkungen | 167
107 Vgl. »Transparenz/transparent«, in: Strauß/Haß/Harras 1989: S. 722–
725. 108 Vgl. ›opak‹, in: DWDS. 109 Vgl. Habermas 2009: S. 406 f. 110 Vgl. Alloa 2018: S. 34; Vgl. ›Diaphanität‹, in: DWDS. 111 Vgl. ›transparent‹, in: DWDS. 112 Vgl. ›Transparenz‹, in: DWDS. 113 Vgl. Rzepka 2013. 114 Vgl. Newton 1730. 115 Vgl. Dazu: Hecht 2009: S. 4; Rzepka 2013: S. 120 f. 116 Vgl. Menéndez-Viso 2009: S. 157. 117 Han 2013. 118 Schneider 2013. 119 Wegener 2006: S. 123. 120 Vgl. ›Transparenz‹, in: DWDS. 121 Vgl. Platon: Staat. ›Idee‹ (gr. ἰδέα/idéa) leitet sich von ›sehen‹ (ἰδεῖν/ ideín) her. Vgl. auch Arendt 2002: S. 286 f. 122 Vgl. Wegener 2006: vor allem Kap. 2. 123 Vgl. z. B. Wegener 2006: S. 13; Bok 1982. 124 Han 2013: S. 66. 125 Vgl. Menéndez-Viso 2009: S. 161. 126 Vgl. Ménendez-Viso 2009: S. 155 f. 127 Baumann 2014: S. 405. 128 Vgl. Williams 1999; Väyrynen 2019. 129 Vgl. Alloa 2018: S. 37 f. 130 Vgl. Homann 2008. 131 Vgl. Rössler 2019: S. 337 ff. 132 Vgl. Han 2013. 133 Vgl. Weidacher 2019. 134 Vgl. Alloa 2018: S. 28 f. 135 So Alloa 2018: S. 25. 136 Vgl. Stykow 2007. 137 Vgl. Alloa 2016: S. 68 f. 138 Han 2013: S. 6. 139 Vgl. Baume 2018: S. 221. 140 Vgl. Watzinger 2020. 141 Wewer 2014: S. 6. 142 Hölscher 1979. 143 Vgl. Wegener 2006. 144 Wegener 2006: S. 32. 145 Vgl. Bok 1982: S. 14/Kapitel 1. 146 Bok 1982: S. 5. 147 Vgl. Bok 1982: S. 6. 168 | Anmerkungen
148 Vgl. ›geheim‹, in: Kluge 2002: S. 339.
149 Vgl. die Endnote 7 zu Kapitel 1, Bok 1982: S. 286. 150 ›Geheimnis‹, in: DWDS. 151 Vgl. Bok 1982: S. 6.
152 Vgl. Rzepka 2013: S. 40 f.
153 Vgl. Simmel 2013: S. 267–317.
154 Vgl. Voigt 2017; vgl. Knobloch 2019. 155 Vgl. Wegener 2006.
156 Vgl. Wegener 2006: Kapitel II.; Gestrich 1994: S. 34 f. 157 Bodei 2011: S. 893. 158 R iese 2019: S. 100.
159 Wegener 2006: S. 58.
160 Vgl. Hölscher 1979: S. 129. 161 E co 1991: S. 79.
162 Vgl. Eco 1991: S. 81 ff. 163 E co 1991: S. 80.
164 Vgl. Wegener 2006. 165 Vgl. Zantke 2019.
166 Vgl. Hölscher 1979: S. 133.
167 Vgl. Arnoldus Clapmarius 1605: De arcanis rerum publicarum, in der
Übersetzung von Hölscher 1979: S. 133. 168 Vgl. Zehnpfennig 2013: S. 37. 169 Vgl. Hölscher 1979: S. 131 f.; Wegener 2006: S. 42 f. 170 Hölscher 1979: S. 131. 171 Hölscher 1979: S. 7. 172 Vgl. Riese 2019: S. 100. 173 K nobloch 2017: S. 205. 174 Vgl. Riese 2019: S. 101 f. 175 K nobloch 2017: S. 212. 176 Habermas 1990: S. 155. 177 Vgl. Bok 1982. 178 Vgl. Riese 2019: S. 100. 179 Vgl. Wegener 2006: S. 4 f. 180 Zur Begrifflichkeit vgl. Herold 2016: Kap. 2. 181 Vgl. Dörr/Diersch 2017: S. 268 f.; eine richtiggehende Definition bietet, in Anlehnung an Peter B. Jubb, Hahn 2016: S. 319. 182 Vgl. z. B. Fricke 2010. 183 Vgl. zur aktuellen Situation in Deutschland: Deutscher Bundestag 2019: Die Rechtslage der Whistleblower in Deutschland. Aktuelle Gesetzeslage. https://www.bundestag.de/resource/blob/627146/eab85 7927bc04b531 f15 f8c29a6 f6904/WD-6-142-18-pdf-data.pdf (Zugriff: 18. November 2020). 184 Seils 2015. Anmerkungen | 169
185 Vgl. Deutscher Presserat 2020. 186 Vgl. Paganini 2018.
187 Vgl. Joerden 2011. Der Autor setzt sich mit der Frage auseinander, ob
Whistleblowing mit Kants Publizitätsprinzip vereinbar sei. 188 Vgl. Dörr/Diersch 2017: S. 471. 189 Vgl. Bodei 2011: S. 893. 190 Vgl. Bentham 2013; Baume 2018; Rzepka 2013. 191 Kant 1786: S. 146. 192 Kant 1795: S. 381. 193 Gerhardt 1999: S. 188. 194 Kant 1795: S. 381. 195 Vgl. Baume 2018: S. 214. 196 Vgl. Gerhardt 1999: S. 198. 197 R zepka 2013: S. 51. 198 Wegener 2006: S. 121. 199 Vgl. Joerden 2011: S. 232. 200 Zum Fortschrittsdenken bei Kant vgl. Rzepka 2013: S. 57; Irrlitz 2015: S. 17. 201 R zepka 2013: S. 61. 202 Vgl. z. B. Habermas 1990: S. 118. 203 Vgl. Gerhardt 2012. 204 Vgl. Esser 2016: S. 75. 205 Vgl. Baume 2018: S. 220. 206 Vgl. Höffe 2008. 207 Vgl. Zehnpfennig 2013: S. 38 f. 208 Benhabib 1995a: S. 96. 209 Vgl. Habermas 1996b; Benhabib 1995a. 210 Habermas 1990: S. 180. 211 Vgl. Habermas 1990: S. 178–195. 212 Vgl. z. B. Peters 2007. 213 Vgl. Schultz 2008. 214 Vgl. hierzu Hölscher 1979. 215 Schultz 2008: S. 926. 216 Vgl. Schultz 2008. 217 Vgl. ›Öffentlichkeit‹, in: DWDS. 218 Vgl. Habermas 1990: S. 57. 219 Für eine rezente Auseinandersetzung mit der Aktualität Habermas’ vgl. z. B. Celikates 2016; Filipović 2019; Fleuß 2019. Habermas selbst arbeitet die veränderte Weltsituation der Digitalisierung nicht mehr explizit und ausführlich in sein Werk ein, nennt aber grundlegende Herausforderungen, die es zu erforschen gelte. Vgl. Habermas 2020; vgl. hierzu auch Schloemann 2020. 220 Fraser 2009: S. 148. 170 | Anmerkungen
221 Vgl. Habermas 1990: S. 58–67.
222 Zur bürgerlichen Gesellschaft, ihrer Entstehung, Distinktion und
Charakterisierung vgl. auch: Schäfers 2017: v. a. Kapitel 2. 223 Vgl. Spode 1991. 224 Vgl. Habermas 1990: S. 90–107. 225 Hölscher 1979: S. 103. 226 Habermas 1990: S. 154. 227 Habermas 1990: S. 154. 228 Habermas 1990: S. 156. 229 Vgl. Günther 2009. 230 Vgl. Habermas 1992: S. 182–187. 231 Vgl. Möllers 2009: S. 260. 232 Fleuß 2019: S. 120. 233 Vgl. Filipović 2019: S. 222. 234 Habermas 1992: S. 435. 235 Vgl. Habermas 1992: S. 436. 236 Vgl. z. B. Klaus/Drüeke 2010. Bezogen auf Habermas’ Theorie bietet etwa Amy Baehr einen Überblick über konstruktive Ergänzungen aus feministischer Perspektive. Vgl. Baehr 2009; Meehan 1995. 237 Vgl. Bedford-Strohm et al. 2019b. 238 Vgl. Riese 2019: S. 100. 239 Habermas 2020: S. 26 f. 240 Habermas 2020: S. 28. 241 Filipović 2019: S. 220. 242 Filipović 2019: S. 222. 243 Z ehnpfennig 2013: S. 43. 244 Vgl. hierzu auch tiefergehend Schäfer 2019. 245 Vgl. Habermas 1996b. 246 Vgl. Arendt 2017: S. 86 ff. 247 Vgl. Arendt 2002: S. 16 f. 248 A rendt 2002: S. 17. 249 A rendt 2002: S. 213. 250 Vgl. Arendt 2002: S. 21. 251 Vgl. vor allem Arendt 2002: S. 62 ff. 252 A rendt 2002: S. 63. 253 Vgl. Arendt 2002: S. 214. 254 A rendt 2002: S. 218. 255 A rendt 2002: S. 222 ff. 256 A rendt 2002: S. 219. 257 Vgl. vor allem Arendt 2002: 62 ff. Zum Privaten bei Arendt vgl. auch Mönig 2015. 258 Vgl. Benhabib 1995a: S. 102. 259 Vgl. Benhabib 1995a: S. 104. Anmerkungen | 171
260 Benhabib 1995a: S. 101.
261 Vgl. Mönig 2015: S. 103.
262 Vgl. Mönig 2015: S. 105.
263 Vgl. Benhabib 1995a: S. 102. 264 August 2018a: S. 143.
265 Vgl. Brunton/Nissenbaum 2015. 266 Vgl. August 2018b: S. 141.
267 Vgl. August 2019: S. 206 ff. 268 Wüschner 2013: S. 104. 269 Vgl. Toffler 1970.
270 Vgl. Menéndez-Viso 2009: S. 161. 271 Helm 2017: S. 148.
272 Baumann 2014: S. 416.
273 Vgl. August 2018b: v. a. S. 143 ff. 274 Habermas 1990: S. 293. 275 Habermas 1990: S. 307. 276 August 2019: S. 192.
277 Vgl. Hood/Heald 2006a: S. x/Vorwort. 278 Vgl. Alloa 2018.
279 Vgl. Hagendorff 2017: S. 17. 280 Vgl. August/Osrecki 2019. 281 Vgl. Han 2013. 282 Han 2013: S. 8.
283 Vgl. Rössler 2001: S. 224.
284 Vgl. Rössler 2001: S. 236. 285 Vgl. Rössler 2019: S. 61. 286 R zepka 2013: S. 38.
287 Rousseau 1978: S. 35.
288 Vgl. Han zu Rousseau: Han 2013: S. 69–73. 289 Vgl. Starobinski 1988: S. 12–14; S. 66–68. 290 Vgl. Han 2013: S. 70 f. 291 A rendt 2002: S. 49.
292 Vgl. Han 2013: S. 72.
293 Vgl. Rzepka 2013: S. 40 f.
294 Dies wendet auch Jonathan Marks entgegen Lesarten etwa von Jean
Starobinski oder Michael Sandel ein. Vgl. Marks 2001. 295 Vgl. Arendt 2002. 296 Han 2013: S. 8. 297 Vgl. Arendt 1987: hier S. 9. 298 Lück 2013: S. 15. 299 Vgl. Bundesverfassungsgericht: Urteil vom 15.12.1983; Simitis 1984. 300 Vgl. z. B. Stiftung Datenschutz 2016. 301 Vgl. Weidacher 2019: S. 102. 172 | Anmerkungen
302 Heibges 2018.
303 Vgl. Richter 2016.
304 Hagendorff 2017: S. 182. 305 Hagendorff 2017: S. 183.
306 Vgl. Kammerer 2016: S. 191.
307 Vgl. Website des Deutschen Hygienemuseums Dresden: https://www.
dhmd.de/ueber-uns/das-museum/geschichte/ (Zugriff: 20.08.2021). 308 Vgl. Lück 2013: S. 17. 309 Vgl. Lück 2013: S. 152. 310 Vgl. Lück 2013: S. 169. 311 Vgl. Weidacher 2019: S. 101. 312 Vgl. ,privat‹, in: DWDS. 313 Z ehnpfennig 2013: S. 37. 314 Vgl. Warren/Brandeis 1890. 315 Zur unterschiedlichen Ausrichtung der Privatheitsverständnisse vgl. ausführlich Rössler 2001: S. 144–179. 316 Vgl. Warren/Brandeis 1890. 317 Vgl. Menéndez-Viso 2009: S. 160. 318 Weidacher 2019: S. 111 f. 319 Vgl. Bentham 2013; Foucault 1977; Kammerer 2016. 320 Vgl. Rössler 2001: S. 17. 321 Rössler 2001: S. 23. 322 Rössler 2001: S. 33. 323 Vgl. Rössler 2001: S. 45 f. 324 Vgl. Rössler 2001: v. a. 2. Kapitel. 325 Vgl. Rössler 2001: S. 217. 326 Vgl. Rössler 2001: 205–209. 327 Rössler 2001: S. 137. 328 Vgl. Seubert 2017: S. 126. 329 Seubert 2012: S. 103. 330 Vgl. Berlin 1995. 331 Vgl. Pauer-Studer 2008. 332 Rössler 2019: 39. 333 Becker/Seubert 2016: S. 73. 334 Vgl. Seubert 2017: S. 126. 335 Becker/Seubert 2016: S. 75 f. 336 Seubert 2017: S. 126. 337 Vgl. Seubert 2017: S. 130. 338 Vgl. Seubert 2012: S. 104. 339 Vgl. Bundesverfassungsgericht: Urteil vom 15.12.1983. 340 Vgl. Epping 2007: S. 261–274. 341 Vgl. von Lewinski 2016. 342 Vgl. Grimm/Krah 2016: S. 179. Anmerkungen | 173
343 Hagendorff 2017: S. 8.
344 Hagendorff 2017: S. 130.
345 Vgl. Hagendorff 2017: S. 146. 346 Hagendorff 2017: S. 131. 347 Seubert 2017: S. 130.
348 Vgl. ›Überwachung‹, in: DWDS. 349 Vgl. Hagendorff 2017: S. 206.
350 Vgl. Foucault 1977: S. 251–294. 351 Vgl. Rössler 2020: S. 214.
352 Vgl. Hagendorff 2017: Kapitel 12. 353 August 2019: S. 210.
354 August 2019: S. 209.
355 Weidacher 2019: S. 103.
356 Hagendorff 2017: S. 199. 357 Vgl. Degeling 2014.
358 Vgl. Hagendorff 2017: Kap. 12. 359 Han 2013: S. 76.
360 Vgl. Han 2013: S. 76. 361 Filipović 2015: S. 11. 362 Vgl. Filipović 2015.
363 Vgl. Baumann 2016: S. 6.
364 Vgl. z. B. Taddicken 2014; Athey et al. 2017. 365 Vgl. Thiel 2017.
366 Vgl. Wambach 2017; Degeling 2014. 367 Vgl. Sobala/Watzinger 2019: S. 5 f. 368 Vgl. z. B. Filipović 2013.
369 Vgl. Eifert/Gostomzyk 2018. 370 Vgl. Hagendorff 2017: S. 94. 371 Vgl. Rössler 2019: S. 293 f. 372 Vgl. Lück 2013: S. 17.
373 Vgl. Kammerer 2016.
374 Kammerer 2016: S. 191. 375 Vgl. Wambach 2017.
376 Vgl. Wambach 2017: S. 168.
377 Vgl. Kuhnert/Wagner 2019: S. 66 f. 378 Vgl. Rössler 2020: S. 214 f. 379 Vgl. Rössler 2020: S. 218. 380 Vgl. Lück 2013.
381 Vgl. Grimm et al. 2019: S. 245 f. (Glossar). 382 Vgl. Lanzing 2016: S. 9.
383 Vgl. Lanzing 2016: S. 15.
384 Duttweiler/Passoth 2016: S. 13.
385 Vgl. Duttweiler/Passoth 2016: S. 14–17.
174 | Anmerkungen
386 L anzing 2016: S. 9.
387 Vgl. Lanzing 2016: S. 10.
388 Vgl. Rössler 2019: S. 174 f.
389 Vgl. Heller 2011; Schramm 2016. 390 Vgl. Lück 2013: S. 152 ff. 391 Kammerer 2016: S. 191. 392 Vgl. Solove 2021. 393 A lloa 2018: S. 30.
394 Vgl. Watzinger 2021.
395 Vgl. Barnstone 2005: S. 31. 396 Vgl. August 2018a: S. 119.
Anmerkungen | 175
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