Transnationale Geschichte 3825235351, 9783825235352

Nationale Grenzen prägen heute nicht mehr die Erfahrungswelt der Europäer. Durch diese Tendenz zur Transnationalität ver

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German Pages 188 [200] Year 2011

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Transnationale Geschichte
 3825235351, 9783825235352

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UTB 3535

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GRUNDKURS NEUE GESCHICHTE

Die Bände der Reihe GRUNDKURS NEUE GESCHICHTE eignen sich als Grundlage und Arbeitsmaterial für Veranstaltungen des Studiums der Geschichte und ihrer Nebenfächer. Die Reihe bietet problemorientierte Einführungen in historische Fragestellungen, Epochen, Theorien und Probleme. Ergänzt wird die Darstellung durch Quellen, Zeittafeln und ausführliche, kommentierte Literaturhinweise.

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Herausgegeben von Manfred Hettling, Martin Sabrow und Hans-Ulrich Thamer

Unterrichtsmaterial für Lehrende, zusätzliche Quellen, kommentierte Literaturhinweise und Materialien zum Thema des jeweiligen Buches sind unter www.grundkurs-neue-geschichte.de zu finden.

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Margrit Pernau

Transnationale Geschichte

Vandenhoeck & Ruprecht

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PD Dr. Margrit Pernau ist Senior Researcher im Forschungsbereich Geschichte der Gefühle am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin.

Mit 3 Karten Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2011 Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen/ Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Oakville, CT, U. S. A. www.v-r.de ISBN 978-3-8385-3535-7 (utb-e-book) Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Umschlaggestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart Gesamtherstellung: h Hubert & Co, Göttingen ISBN 978-3-8252-3535-2 (UTB-Bestellnummer)

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Inhalt I.

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 1. Geschichtsschreibung und Nation . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 2. Geschichtsschreibung als nationale Aufgabe . . . . . . . . 9 2.1 Das Beispiel Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 2.2 Das Beispiel Indien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 3. Transnational, translokal, transregional? . . . . . . . . . . 17

II.

Über die Nation hinaus? Forschungstraditionen und Möglichkeiten ihrer Fortentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Von der Außenpolitik zu den internationalen Beziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Imperialismusforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Komparatistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

III. Methodische Zugänge jenseits der Nation . . . . . . . . . . . . 1. Connected History . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Transfergeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Histoire croisée . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verflechtungsgeschichte und New Imperial History . . . . 5. Translokalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Weltgeschichte und Geschichte in globaler Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

20 20 25 30 36 37 43 49 56 67 75

IV. Forschungsfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 1. Moving Actors – Menschen unterwegs . . . . . . . . . . . . . . 86 2. Regionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 2.1 Das Mittelmeer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 2.2 Der Indische Ozean . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 2.3 Zentralasien und die persische Welt . . . . . . . . . . . 111 3. Religion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 V.

Die Sprache der transnationalen Geschichte . . . . . . . . . . 132 1. Sprache und Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134

6

Inhalt

2. Begriffe und ihre Übersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 3. Die Begriffsbildung der Historiker . . . . . . . . . . . . . . . . 143 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148

Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 1. Ortsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 2. Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 3. Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 Das Weitergeben und Kopieren dieses Dokuments ist nicht zulässig.

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Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178

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I. Einleitung

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1. Geschichtsschreibung und Nation Nationale Grenzen prägen heute nicht mehr die Erfahrungswelt der meisten Europäer – umso weniger, je jünger sie sind und je höher ihre Schulbildung ist. Grenzkontrollen sind selten geworden, Urlaub, Praktika und Berufstätigkeit im Ausland sowie der tägliche Kontakt mit Bekannten in anderen Erdteilen über Facebook oder andere soziale Netzwerke dafür umso häufiger. Damit verliert auch die Ausrichtung der Geschichtswissenschaft an der Nation und ihren Grenzen viel von ihrer Selbstverständlichkeit – ob und unter welchen Bedingungen sie dennoch sinnvoll ist, bleibt zu diskutieren. Bestimmten vor einer Generation Veranstaltungen und Bücher zur deutschen, vielleicht auch einmal zur französischen oder britischen, noch seltener zur europäischen Geschichte die meisten Vorlesungs- und Publikationsverzeichnisse, so sehen sich Studierende und historisch Interessierte heute immer häufiger mit Angeboten konfrontiert, die entweder Regionen in den Fokus nehmen, also unterhalb der nationalen Ebene bleiben, oder über den nationalen Rahmen hinausweisen. Diese Entwicklung hat in den letzten Jahren zu einem neuen Blick auf die Vergangenheit geführt, der neue Fragen aufwarf, neue Forschungsfelder erschloss, aber auch Altbekanntes für neue Interpretationen öffnete. Dies alles macht die Geschichtswissenschaft noch spannender, als sie ohnehin schon ist. Transnationale Geschichtsschreibung, Geschichtsschreibung also, die danach strebt, nationale Grenzen empirisch und methodisch zu transzendieren, ist einer der Bereiche der Geschichtswissenschaft, der zurzeit am stärksten expandiert. Zumindest transnationale Bezüge dürfen in keiner anspruchsvollen Arbeit fehlen, so wird häufig gefordert. Zugleich ist sie ein ausnehmend anspruchsvoller Zugang, der hohe Anforderungen an die Selbstreflexion der Historiker stellt.

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I. Einleitung, 9783838535357, 2020

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Einleitung

Hier will diese Einführung Hilfestellungen leisten, einige Schneisen durch das mittlerweile recht unübersichtlich gewordene Theorieangebot schlagen und vor allem zum Weiterdenken einladen. Sie kann nicht die Beschäftigung mit den Originaltexten ersetzen, sondern allenfalls den Weg zu ihnen erleichtern. Dementsprechend liegt das Schwergewicht nicht auf der Vermittlung von Faktenwissen, sondern auf der Erörterung von Problemen. Das einleitende erste Kapitel blickt zurück auf die Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts und zeigt, dass die wissenschaftliche Historiografie und der Aufstieg der Nation zur zentralen Interpretationskategorie nicht nur zeitgleich entstanden, sondern auch in so hohem Maße aufeinander verwiesen, dass eines ohne das andere weder bestehen noch verstanden werden konnte. Nur vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass der Ansatz der transnationalen Geschichte letztlich nichts weniger bedeutet als ein Neudenken der methodischen Grundlagen des Fachs. Das zweite Kapitel wendet sich den Forschungsfeldern zu, in denen traditionell mehr als eine Nation in den Blick genommen wurde: die Geschichte der Außenpolitik und die Diplomatiegeschichte, die Untersuchungen zum Imperialismus und die Komparatistik. Hier zwang der Gegenstand selbst die Forschungen, über nationale Grenzen hinauszugehen; ob und inwieweit sie die Nation als Leitkategorie der Geschichte damit in Frage stellten oder unter Umständen sogar verstärkten, wird zu fragen sein. Das dritte Kapitel widmet sich den aus meiner Sicht wichtigsten Theorieangeboten der letzten Jahre und versucht sie in einem systematischen Zusammenhang darzustellen. Das Ziel ist nicht, einen vollständigen Katalog aller jemals vertretenen Ansätze aufzustellen, sondern Probleme der transnationalen Geschichtsschreibung aufzuzeigen und Lösungsangebote zu vergleichen. Wenn Leserinnen und Leser zu anderen Schlussfolgerungen kommen – umso besser. Die Geschichtswissenschaft lebt von der Diskussion und vom Widerspruch. Das vierte Kapitel stellt exemplarisch ausgewählte Forschungsfelder vor, in denen die Methoden der transnationalen Geschichtsschreibung bereits erprobt wurden – ob sie sich aus-

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Geschichtsschreibung als nationale Aufgabe

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drücklich auf die laufende Diskussion beziehen oder nicht. Auch hier ist das Interesse ausschließlich ein methodisches: Wie lösen Autoren und Autorinnen in ihrer empirischen Arbeit die Probleme, die im vorigen Kapitel theoretisch erörtert wurden? Was können künftige transnationale Historikerinnen und Historiker davon lernen, wo liegen Schwierigkeiten? Ganz ausdrücklich handelt es sich hierbei weder um einen Entwurf für eine transnationale Weltgeschichte noch um Vorschläge, wie man die bisherigen Forschungsfelder von Politik-, Sozial-, Wirtschafts- und Kulturgeschichte in Zukunft systematisch aus transnationaler Sicht umschreiben könnte. Das fünfte Kapitel stellt die Frage, wie transnationale Geschichte mit dem Problem der Vielsprachigkeit umgeht – mit den unterschiedlichen Sprachen der Quellen, aber auch der Frage nach der Übersetzung von Begriffen aus der Quellensprache in die Sprache der Geschichtsschreibung. Ein Wort noch zur Auswahl der Fallbeispiele. Leserinnen und Leser werden sich vielleicht wundern, dass Indien häufiger vorkommt, als sie es in einer Einführung erwartet hätten und sich fragen, warum nicht ein größeres Gleichgewicht zwischen den Regionen angestrebt wurde. Dies hat zum einen subjektive Gründe – der indische Subkontinent ist das Gebiet, in dem ich mich am besten auskenne und über das ich mit der größten Sicherheit schreiben kann. Darüber hinaus aber geht es mir nicht um eine flächendeckende Darstellung der Ergebnisse der Area Studies, wohl aber darum aufzuzeigen, dass Theoriebildung schon lange nicht mehr ausschließlich von Europa aus erfolgt. Dafür ist die indische Geschichtsschreibung – Stichwort Post-colonial Studies – ein eindrucksvolles Beispiel.

2. Geschichtsschreibung als nationale Aufgabe Beeinflusst vor allem durch die fast zeitgleich erschienenen Werke von Benedict Anderson, Imagined Communities (dt.: Die Erfindung der Nation, 1988), Eric Hobsbawm, The Invention of Tradition und Ernest Gellner, Nations and Nationalism (alle drei 1983) hat sich

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Einleitung

Konstruktivismus Wissenschaftstheoretische Richtung, die davon ausgeht, dass menschliche Vorstellungen und Begriffe die Wirklichkeit nicht passiv abbilden, sondern aktiv ordnen und erschaffen. Hierbei handelt es sich nicht um einen individuellen, sondern um einen sozialen Prozess. Das Weitergeben und Kopieren dieses Dokuments ist nicht zulässig.

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heute in der Forschung ein konstruktivistischer Begriff der Nation durchgesetzt. Dies bedeutet zum Ersten, dass die Nation nicht eine vorgegebene, gewissermaßen natürliche Größe ist, die es lediglich zu erkennen gilt, sondern ein Begriff, mit dessen Hilfe Menschen ihre Umwelt ordnen.

Diesen konstruierten Charakter teilt sie mit anderen sozialen Kategorien wie etwa der Klasse oder dem Geschlecht. Zum Zweiten ergibt sich hieraus, dass das Gefühl nationaler Zusammengehörigkeit sich nicht von selbst einstellt, sondern einer Vorstellung von Gemeinsamkeit (Anderson, 1991, S. 7), von geteilten Eigenschaften, bedarf. Dabei werden bestimmte Eigenschaften für bedeutsam erklärt und allen Nationsangehörigen zugeschrieben, andere hingegen als unwesentlich heruntergespielt. Die Vorstellung der Nation beinhaltet also immer einen Akt der Homogenisierung nach innen und der Differenzbildung nach außen. Zum Dritten gewinnen diese Vorstellungen an Überzeugungskraft, indem sie in Praktiken umgesetzt werden. Dies können inszenierte Rituale sein, wie etwa die Sedanfeiern im deutschen Kaiserreich, die Parade und das Feuerwerk zum 14. Juli in Frankreich oder die Last Night of the Proms in England, die mit dem hingebungsvollen gemeinschaftlichen Singen von »Rule, Britannia!« endet. Es können aber auch Institutionen wie der Militärdienst oder die Grenzkontrolle sein oder sogar das Lesen der gleichen Romane oder Zeitungen. Die Nation als Konstrukt, als Vorstellung und als inszenierte Praxis ist nun aber nur begrenzt gleichzusetzen mit ihrer ›Erfindung‹ und noch weniger impliziert es die Idee von der Nation als etwas Irrealem. Insofern ist der Titel von Andersons Werk etwas

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Geschichtsschreibung als nationale Aufgabe

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unglücklich ins Deutsche übersetzt worden. ›Erfindung‹ suggeriert sowohl einen Nullpunkt, gewissermaßen eine Schaffung aus dem Nichts, als auch die Freiheit, sich so oder anders entscheiden zu können. Beides ist im Falle der Hervorbringung der Nation für den einzelnen Akteur oder auch für eine Gemeinschaft von Akteuren nur begrenzt gegeben, da sie nur selten eine Position außerhalb ihrer eigenen Geschichte einnehmen können, in der sie nicht von vorgängigen Konstruktionen und Denkmustern geprägt sind. Dies macht die Nation nicht erneut zu einer vorgegebenen, zu einer objektiven Größe. Was aber vorangegangene Generationen konstruiert und praktiziert haben, ist den Akteuren vorgegeben, ob es die Schulbücher und Erzählungen sind, mit denen sie aufwachsen, die Feiern und Paraden oder eine bestimmte nationale Sprache, die ihr Denken prägt. Hierzu müssen sie sich verhalten – ob sie die Konstruktionen nun in der eigenen Vorstellung aktualisieren und damit gewissermaßen die Nation aufs Neue hervorbringen oder ob sie sie modifizieren, ablehnen und durch andere Vorstellungen von Gemeinschaft ersetzen. Die Vorstellung der Nation war umso wirkmächtiger, je mehr es gelang, ihren Charakter als Vorstellung vergessen zu machen und sie als naturgegeben erscheinen zu lassen. Dabei kam der Geschichtsschreibung von Anfang an eine zentrale Rolle zu, denn sie war das Medium, durch das die Existenz der Nation in die Vergangenheit, ins ›Immer-Schon-Da-Gewesene‹, verlängert werden konnte. Das Interesse der Historiker richtete sich damit gerade nicht auf den Wandel, sondern im Gegenteil auf das, was inmitten aller historischen Veränderung ewig und dem menschlichen Zugriff entzogen schien. Bestand der eine Teil ihrer selbst gesetzten Aufgabe darin, den objektiven Charakter der Nation freizulegen, so richtete sich der andere durch die Darstellung der langen gemeinsamen Geschichte und ihrer Wechselfälle auf die Erzeugung und Verstärkung des subjektiven Gefühls der Zugehörigkeit beim Leser. Dieses Gefühl jedoch war nach Ansicht der Zeitgenossen nicht ins Belieben des Einzelnen gestellt, sondern ihm als Pflicht aufgegeben – er fühlte nicht nur für und mit der Nation, er musste auch so fühlen, wenn er kein ›vaterlandsloser Geselle‹ sein wollte.

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Einleitung

Zugleich war die Historiografie der Ort, an dem verhandelt wurde, welche Eigenschaften die Angehörigen einer Nation vor allen anderen auszeichneten. Wie die Nation selbst, so wurde auch ihr Charakter in seinem Kern als historisch unwandelbar angesehen, daher ließ er sich aus den Taten der Vorfahren besonders klar erkennen. Anhand der nationalen Eigenschaften aber beantworteten die Historiker nicht nur die Frage ›Wer sind wir?‹ (und implizit: ›Wer sind die anderen?‹), sondern im nächsten Schritt auch die Frage ›Wer gehört zu uns?‹ Damit trafen sie Entscheidungen über Inklusion und Exklusion, also über die Grenzen der nationalen Gemeinschaft. Wie sich die Geschichtsschreibung und die Nation gegenseitig hervorbrachten, soll im Folgenden anhand des deutschen und des indischen Fallbeispiels verdeutlicht werden.

2.1 Das Beispiel Deutschland In Deutschland gingen die Professionalisierung der Historiker, die Verwissenschaftlichung der Historiografie und ihre Nationalisierung Hand in Hand. Bereits im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts fand die Geschichtsschreibung ihren Ort an den Universitäten und Akademien. Damit wurden die Historiker zu Staatsbeamten, ihre Ausbildung standardisiert und über die Berufungsverfahren sowohl Qualitätskontrolle als auch Konformitätsdruck ausgeübt. Hinsichtlich der Verwissenschaftlichung der Historiografie sind zwei Ebenen zu unterscheiden (Iggers, 1994). Die Quellenkritik und die Entwicklung der historischen Hilfswissenschaften erlaubten es nicht nur, die Echtheit von Quellen zu überprüfen, sondern auch, sie präzise zu datieren, Lesarten zu bestimmen und philologisch zu interpretieren; dies führte zur Aufdeckung von Fälschungen und zu groß angelegten Editionsprojekten. Der Grund hierzu wurde bereits im 18. Jahrhundert gelegt, vor allem in der Altertumsforschung. Wissenschaftlich weitaus weniger präzise zu fassen war die Ebene der Interpretation der Quellen, ihre Einordnung in einen größeren Kontext und ihre Zusammenführung zu einem kohärenten Narrativ. Es war diese Ebene, auf der sich die

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Geschichtsschreibung als nationale Aufgabe

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Nationalisierung der Geschichtswissenschaft abspielte – zögerlicher als die Verwissenschaftlichung und anfänglich gegen den Widerstand einer Tradition der Universalgeschichtsschreibung, die sich aus dem Gedankengut der Aufklärung speiste, doch auch da, wo sie sich dem Nationalismus verweigerte, die zentrale Rolle der Nation nicht in Frage stellend (Fulda, 1996; Süßmann, 2000). Leopold von Ranke (1798–1876), von vielen als Begründer der Geschichte als Wissenschaft angesehen, betonte, dass Staat und Nation als organische Subjekte der Geschichte dem Historiker vorgegeben seien, sie seien die Konkretisierung von Gottes Idee der Menschheit. Dadurch waren jeder Staat und jede Nation einmalig und von allen anderen unterschieden. Nur durch die Untersuchung ihrer jeweiligen Besonderheit war dem Historiker ein Vordringen zum Allgemeinen möglich. Die Betonung der unhintergehbaren Individualität von historischen Ereignissen unterschied die Geschichtswissenschaft, so Ranke und der Historismus, von den Naturwissenschaften, die stattdessen auf die Bildung von Typen und allgemeinen Gesetzmäßigkeiten abhoben. Von dieser Basis aus war zwar keine transnationale Geschichte denkbar, denn es galt gerade die Besonderheiten der nationalen Entwicklung zu wahren und der Übertragung fremder Ideen und Institutionen zu wehren. Eine Universalgeschichte aber konnte aus dieser Logik durchaus entwickelt werden, denn die ausgeführten Prinzipien galten nicht nur für die deutsche, sondern für jede Nation. In jede Nation hatte der Historiker sich einzufühlen und ihre Eigenheiten herauszuarbeiten, ohne sich dabei von seiner eigenen Herkunft leiten zu lassen. Dieses Bemühen um Objektivität war es, das zu heftigen Angriffen der Vertreter der kleindeutschen Geschichtsschreibung auf Ranke führte, also jener Historiker, die nach den Bismarck’schen Einigungskriegen die Schaffung des deutschen Nationalstaats als Preußens geschichtliche Mission interpretierten. Diesem Nationalstaat hätte die Historiografie zu dienen; er war zugleich die Basis, von der aus eine Interpretation der Geschichte allein für möglich erachtet wurde – nicht das Einfühlen in das Fremde, sondern im Gegenteil, radikale nationale Standortgebundenheit wurde nunmehr vom Historiker gefordert.

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Einleitung

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Kleindeutsche Bewegung Seit 1848 eine politische Richtung, die die Einigung Deutschlands unter Ausschluss Österreichs unter preußischer Führung anstrebte. Sie setzte sich mit den Bismarck’schen Einigungskriegen politisch durch und bestimmte die deutsche Geschichtsschreibung bis zum Ersten Weltkrieg. Sind solchermaßen die Nationalstaaten die eigentlichen Akteure der Geschichte, so folgt jeder von ihnen dem Gesetz seines eigenen Wesens und kann nur aus sich selbst heraus interpretiert werden. Dies bedeutet nicht nur eine Absage an die Untersuchung von Austauschbeziehungen und gegenseitigen Beeinflussungen, sondern auch das Ende eines möglichen Dialogs zwischen Historikern und Historiografien verschiedener Länder. Folgerichtig versuchten die deutschen Geschichtswissenschaftler 1903 das Abhalten des Internationalen Historikerkongresses in der Reichshauptstadt mit dem Argument zu verhindern, es sei keine gemeinsame Grundlage für die Interpretation der Geschichte außerhalb des nationalen Rahmens denkbar (Muhlack, 2000, S. 34). Die Aufgabe der Historiker sei es vielmehr, »der Nation das Bild ihrer selbst zu erarbeiten und vor die Seele zu stellen« (Droysen, zitiert nach Haltern, 1994, S. 75) und in den Deutschen die »Freude an ihrem Vaterland« zu erwecken (Treitschke zitiert nach Muhlack, 2000, S. 38 f.); in die Sprache Andersons und Hobsbawms übersetzt also: ihre Wissenschaft in den Dienst der Konstruktion der eigenen Nation zu stellen. Dieses Denken von der Nation her war dabei keineswegs auf die »Nationalgeschichte« beschränkt, also die Geschichte, die sich das Deutsche Reich oder die deutsche Nation zum Thema nahm. Vielmehr prägte sie auch solche Untersuchungen, für die man sich ganz andere Referenzrahmen vorstellen könnte, etwa die Landesund Regionalgeschichte, die Volks- und Heimatgeschichte, sogar, wenn vielleicht auch in geringerem Maße, die Kulturgeschichte.

Geschichtsschreibung als nationale Aufgabe

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2.2 Das Beispiel Indien Jede Möglichkeit wissenschaftlicher Geschichtsschreibung in Indien wurde im 19. Jahrhundert zunächst von der kolonialen Situation bestimmt – auch da, wo bewusst auf vorkoloniale Formen zurückgegriffen wurde. Wie Edward Said in seinem bahnbrechenden Buch Orientalism (1978) betonte, waren Herrschaft und Produktion von Wissen – das Sammeln von Informationen, die Schaffung von Kategorien, um sie zu ordnen und schließlich ihre Interpretation – untrennbar miteinander verbunden. Dies traf auch für die britische Historiografie über Indien zu. In der Tradition der Aufklärung waren die britischen Historiker und Philologen des ausgehenden 18. Jahrhunderts, die sich mit Indien beschäftigten – in der Indienforschung wegen ihrer Begeisterung für die orientalische Kultur und ihre Sprachen unter dem mittlerweile irreführenden Namen ›Orientalisten‹ bekannt – einem zyklischen Modell von Aufstieg und Verfall großer Reiche verpflichtet. Zwar fanden sie in der indischen Gegenwart wenig Bewundernswertes, doch die Existenz eines vergangenen goldenen Zeitalters garantierte Indien den Status einer Hochkultur und verbürgte die Hoffnung, dass es ihm mit britischer Hilfe gelingen könne, die einstige Größe wiederzuerlangen. Hiergegen wandten sich seit dem ersten Drittel des 19. Jahrhunderts die ›Anglizisten‹ – so benannt, weil sie dem Orientalismus ein klares Bekenntnis zur Universalität der britischen Werte entgegensetzten. Die Vorstellung vom zyklischen Aufstieg und Niedergang großer Reiche wurde abgelöst von der Idee des Fortschritts und Indien in einen zeit- und geschichtslosen Limbus verbannt, aus dem es erst durch die Ankunft der Briten befreit werden konnte. Die indische Geschichte als Geschichte begann nach britischer Vorstellung erst mit der kolonialen Eroberung.

Einleitung

Orientalistik Wissenschaft vom Orient, insbesondere seiner Religionen und Sprachen. Im Gegensatz hierzu bezeichnet der von Edward Said und den postkolonialen Studien als Kampfbegriff verwendete Ausdruck Orientalismus eine bestimmte Sicht auf den Orient, seine Konstruktion als Gegensatz zu Europa (vor allem in den Kategorien zeitlos vs. fortschrittlich; religiös / abergläubisch vs. aufgeklärt / säkularisiert; despotisch vs. demokratisch; weiblich vs. männlich).

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Wie aber gingen die indischen Historiker und Schriftsteller des 19. Jahrhunderts mit diesen Vorstellungen zur eigenen Geschichtslosigkeit um? Ohne Geschichte, ohne eine gemeinsame Vergangenheit, mit der sich die Akteure der Gegenwart identifizieren konnten, konnte es auch in ihrer Gedankenwelt keine Nation geben. So fehlten der Nationalbewegung gewissermaßen ihr Subjekt und ihre Legitimation. Daher rief der bengalische Dichter und Historiker Bankimchandra 1880 aus »Bengal must have her own history. Otherwise there is no hope for Bengal.« (zitiert nach Guha, 1988, S. 1) Sprach Bankimchandra zu diesem Zeitpunkt noch von Bengalen, so war es wenige Jahre später schon unumstritten, dass Indien die Nation sein solle, die es zu schaffen galt – das Denkmuster aber blieb das gleiche. Dieser neuen Historiografie war von Anfang an eine doppelte Ausrichtung zu Eigen. Auf der einen Seite orientierte sie sich an den gleichen Standards der Wissenschaftlichkeit wie die europäische Geschichtsschreibung und übernahm damit nicht nur ihre Quellenkritik, sondern auch ihre Argumentationsmuster und narrativen Strukturen. Auf der anderen Seite betonte sie, dass die neue Geschichte nur von Indern geschrieben werden könne, da nur sie zur Identifikation mit der Vergangenheit in der Lage seien, die die notwendige Grundlage der Interpretation darstelle und das Schreiben der Geschichte als nationaler Geschichte ermögliche. Als Teil der Nationalbewegung übernahmen die indischen Historiker deren Programm einer Reform der Nation und wollten durch ihre Arbeit zu ihrer Renaissance und Regeneration beitra-

Transnational, translokal, transregional?

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»Vergemeinschaftung« Nach Max Weber (1985 [1922], S. 21) »eine soziale Beziehung«, die auf der »subjektiv gefühlten Zusammengehörigkeit der Beteiligten beruht« und in der das Gefühl der Zusammengehörigkeit handlungsleitend wirkt.

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gen; neben der emotionalen Vergemeinschaftung sahen sie ihre Aufgabe darin, dem gegenwärtigen Indien die Vergangenheit, das Goldene Zeitalter, vor Augen zu stellen, an welche es anschließen konnte.

Noch dringlicher als in Deutschland warfen diese Muster und Metaphern die Frage auf, an welche Geschichte angeschlossen werden sollte und wer und welche Epochen zur ›wahren‹ indischen Geschichte dazu gehörten. War das Reich der muslimischen Moguln eine Epoche nationaler Einheit und Machtentfaltung oder eine Zeit islamischer Fremdherrschaft über Indien? Was bedeutete dies für die Stellung der Muslime in der Gegenwart? War Indien eine Nation oder zwei, welche Folgen sollte dies für die politische Struktur des unabhängigen Staates haben? Diese Fragen gewannen ihre Virulenz erst nach dem Ersten, mehr noch nach dem Zweiten Weltkrieg und zur Zeit der Teilung des Subkontinents, angelegt waren sie jedoch schon in der Historiografie des 19. Jahrhunderts.

3. Transnational, translokal, transregional? Vor dem Hintergrund dieser historischen Verzahnung von Geschichte und Nationalismus, in der Historiker es als ihre wichtigste Aufgabe angesehen hatten, durch ihre wissenschaftlichen Forschungen zur Nationsbildung beizutragen, wird erst deutlich, wie viel Sprengstoff die grundlegenden Interpretationskategorien im Programm einer transnationalen Geschichte bergen. Es geht um nichts Geringeres als darum, eine »Geschichtswissenschaft jenseits des Nationalstaates« (Osterhammel, 2001) zu entwerfen.

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Einleitung

Dieses Programm basiert ebenso auf Vorstellungen von der Historizität der Nation wie es auch zu ihrer Historisierung beiträgt. Wenn die Nation keine ›natürliche‹ Größe ist, sondern als Vorstellung zu bestimmbaren Zeiten von bestimmbaren Akteuren hervorgebracht wird, so ist sie auch für die Geschichtswissenschaft nicht Ausgangspunkt, sondern Gegenstand der Untersuchung. Es ist vehement diskutiert worden, ob das Programm einer trans-›nationalen‹ Geschichte weit genug ginge und ob nicht schon die Wahl des Begriffes dazu führe, die Nation, die durch die Vordertür entlassen wurde, durch die Hintertür wieder hereinzulassen. Wie kann man eine transnationale Geschichte für Epochen und Regionen schreiben, denen die Nation als Ordnungsmuster unbekannt war? Wird hiermit nicht wieder ein eurozentrisches Zulaufen der Geschichte auf die Entstehung von Nationalstaaten suggeriert, ihre Abwesenheit als Defizitgeschichte konzipiert? Daher ist vorgeschlagen worden, den Ausdruck ›transnational‹ durch ›translokal‹ (Freitag / von Oppen, 2005; 2010) oder ›transregional‹ (WIKO) zu ersetzen und die Nation dergestalt nur noch als eine Möglichkeit der Raumordnung unter anderen zu betrachten (g Kap. III.5). Diese Überlegungen müssen sehr ernst genommen werden. Wenn im Titel dieser Einführung dennoch von transnationaler und nicht translokaler oder transregionaler Geschichte die Rede ist, so deshalb, weil dem Begriff ›transnational‹ im Gegensatz zu seinen Alternativen eine doppelte Stoßrichtung zu eigen ist, die zu bewahren mir wichtig erscheint. Transnational bezieht sich zum einen auf die Untersuchung von Geschichte, die sich nicht in nationalen Grenzen erfassen lässt, sei es, weil sie sich auf kleinere oder größere Einheiten bezieht, sei es, weil sie sich in einem konzeptionellen Rahmen bewegt, in dem die Nation keine oder zumindest keine wichtige Kategorie darstellt. Das ›trans-‹ der transnationalen Geschichte bezieht sich hier auf eine empirische Erweiterung des Untersuchungsgegenstandes. Zum anderen aber, und das könnte aufs Ganze gesehen sogar noch wichtiger sein, geht es darum, durch transnationale Geschichte die Selbstverständlichkeit der Kategorie der Nation selbst infrage zu stellen.

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Transnational, translokal, transregional?

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Hier bezieht sich das ›trans-‹ auf das Transzendieren der Nation als einer Ordnungskategorie für die Geschichtsschreibung. Die Diskussion, ob und wie weit dies geschieht, wenn man die Nation einfach ignoriert, oder ob es nicht auch darum gehen muss, ihre Deutungsmacht und damit auch das Schwergewicht überlieferter Historiografien direkt und ausdrücklich zu hinterfragen, ist nicht abgeschlossen. Wir brauchen empirische Studien, die flexibel mit ihren Bezugsgrößen umgehen. Welchen Einfluss lokale, translokale, regionale, transregionale, nationale oder transnationale Faktoren hatten, lässt sich ja in den allermeisten Fällen nur erkennen, wenn der Maßstab der Untersuchung groß genug gewählt ist, um sie in Beziehung zueinander setzen zu können. Diese Studien können je nach Erfordernis mit dem Begriff der Nation arbeiten oder nicht. Dies allein aber reicht meines Erachtens nicht aus, um die enge methodische Verbindung zwischen Nation und Historiografie zu sprengen. Hierfür brauchen wir einen Rahmen, in dem diese Studien in Beziehung zu nationalen und kolonialen Meistererzählungen gesetzt werden, deren Beharrungskraft wohl manchmal unterschätzt wird. Diesen Rahmen kann die transnationale Geschichte bieten.

I. Einleitung

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1. Geschichtsschreibung und Nation Nationale Grenzen prägen heute nicht mehr die Erfahrungswelt der meisten Europäer – umso weniger, je jünger sie sind und je höher ihre Schulbildung ist. Grenzkontrollen sind selten geworden, Urlaub, Praktika und Berufstätigkeit im Ausland sowie der tägliche Kontakt mit Bekannten in anderen Erdteilen über Facebook oder andere soziale Netzwerke dafür umso häufiger. Damit verliert auch die Ausrichtung der Geschichtswissenschaft an der Nation und ihren Grenzen viel von ihrer Selbstverständlichkeit – ob und unter welchen Bedingungen sie dennoch sinnvoll ist, bleibt zu diskutieren. Bestimmten vor einer Generation Veranstaltungen und Bücher zur deutschen, vielleicht auch einmal zur französischen oder britischen, noch seltener zur europäischen Geschichte die meisten Vorlesungs- und Publikationsverzeichnisse, so sehen sich Studierende und historisch Interessierte heute immer häufiger mit Angeboten konfrontiert, die entweder Regionen in den Fokus nehmen, also unterhalb der nationalen Ebene bleiben, oder über den nationalen Rahmen hinausweisen. Diese Entwicklung hat in den letzten Jahren zu einem neuen Blick auf die Vergangenheit geführt, der neue Fragen aufwarf, neue Forschungsfelder erschloss, aber auch Altbekanntes für neue Interpretationen öffnete. Dies alles macht die Geschichtswissenschaft noch spannender, als sie ohnehin schon ist. Transnationale Geschichtsschreibung, Geschichtsschreibung also, die danach strebt, nationale Grenzen empirisch und methodisch zu transzendieren, ist einer der Bereiche der Geschichtswissenschaft, der zurzeit am stärksten expandiert. Zumindest transnationale Bezüge dürfen in keiner anspruchsvollen Arbeit fehlen, so wird häufig gefordert. Zugleich ist sie ein ausnehmend anspruchsvoller Zugang, der hohe Anforderungen an die Selbstreflexion der Historiker stellt.

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Einleitung

Hier will diese Einführung Hilfestellungen leisten, einige Schneisen durch das mittlerweile recht unübersichtlich gewordene Theorieangebot schlagen und vor allem zum Weiterdenken einladen. Sie kann nicht die Beschäftigung mit den Originaltexten ersetzen, sondern allenfalls den Weg zu ihnen erleichtern. Dementsprechend liegt das Schwergewicht nicht auf der Vermittlung von Faktenwissen, sondern auf der Erörterung von Problemen. Das einleitende erste Kapitel blickt zurück auf die Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts und zeigt, dass die wissenschaftliche Historiografie und der Aufstieg der Nation zur zentralen Interpretationskategorie nicht nur zeitgleich entstanden, sondern auch in so hohem Maße aufeinander verwiesen, dass eines ohne das andere weder bestehen noch verstanden werden konnte. Nur vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass der Ansatz der transnationalen Geschichte letztlich nichts weniger bedeutet als ein Neudenken der methodischen Grundlagen des Fachs. Das zweite Kapitel wendet sich den Forschungsfeldern zu, in denen traditionell mehr als eine Nation in den Blick genommen wurde: die Geschichte der Außenpolitik und die Diplomatiegeschichte, die Untersuchungen zum Imperialismus und die Komparatistik. Hier zwang der Gegenstand selbst die Forschungen, über nationale Grenzen hinauszugehen; ob und inwieweit sie die Nation als Leitkategorie der Geschichte damit in Frage stellten oder unter Umständen sogar verstärkten, wird zu fragen sein. Das dritte Kapitel widmet sich den aus meiner Sicht wichtigsten Theorieangeboten der letzten Jahre und versucht sie in einem systematischen Zusammenhang darzustellen. Das Ziel ist nicht, einen vollständigen Katalog aller jemals vertretenen Ansätze aufzustellen, sondern Probleme der transnationalen Geschichtsschreibung aufzuzeigen und Lösungsangebote zu vergleichen. Wenn Leserinnen und Leser zu anderen Schlussfolgerungen kommen – umso besser. Die Geschichtswissenschaft lebt von der Diskussion und vom Widerspruch. Das vierte Kapitel stellt exemplarisch ausgewählte Forschungsfelder vor, in denen die Methoden der transnationalen Geschichtsschreibung bereits erprobt wurden – ob sie sich aus-

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Geschichtsschreibung als nationale Aufgabe

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drücklich auf die laufende Diskussion beziehen oder nicht. Auch hier ist das Interesse ausschließlich ein methodisches: Wie lösen Autoren und Autorinnen in ihrer empirischen Arbeit die Probleme, die im vorigen Kapitel theoretisch erörtert wurden? Was können künftige transnationale Historikerinnen und Historiker davon lernen, wo liegen Schwierigkeiten? Ganz ausdrücklich handelt es sich hierbei weder um einen Entwurf für eine transnationale Weltgeschichte noch um Vorschläge, wie man die bisherigen Forschungsfelder von Politik-, Sozial-, Wirtschafts- und Kulturgeschichte in Zukunft systematisch aus transnationaler Sicht umschreiben könnte. Das fünfte Kapitel stellt die Frage, wie transnationale Geschichte mit dem Problem der Vielsprachigkeit umgeht – mit den unterschiedlichen Sprachen der Quellen, aber auch der Frage nach der Übersetzung von Begriffen aus der Quellensprache in die Sprache der Geschichtsschreibung. Ein Wort noch zur Auswahl der Fallbeispiele. Leserinnen und Leser werden sich vielleicht wundern, dass Indien häufiger vorkommt, als sie es in einer Einführung erwartet hätten und sich fragen, warum nicht ein größeres Gleichgewicht zwischen den Regionen angestrebt wurde. Dies hat zum einen subjektive Gründe – der indische Subkontinent ist das Gebiet, in dem ich mich am besten auskenne und über das ich mit der größten Sicherheit schreiben kann. Darüber hinaus aber geht es mir nicht um eine flächendeckende Darstellung der Ergebnisse der Area Studies, wohl aber darum aufzuzeigen, dass Theoriebildung schon lange nicht mehr ausschließlich von Europa aus erfolgt. Dafür ist die indische Geschichtsschreibung – Stichwort Post-colonial Studies – ein eindrucksvolles Beispiel.

2. Geschichtsschreibung als nationale Aufgabe Beeinflusst vor allem durch die fast zeitgleich erschienenen Werke von Benedict Anderson, Imagined Communities (dt.: Die Erfindung der Nation, 1988), Eric Hobsbawm, The Invention of Tradition und Ernest Gellner, Nations and Nationalism (alle drei 1983) hat sich

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Einleitung

Konstruktivismus Wissenschaftstheoretische Richtung, die davon ausgeht, dass menschliche Vorstellungen und Begriffe die Wirklichkeit nicht passiv abbilden, sondern aktiv ordnen und erschaffen. Hierbei handelt es sich nicht um einen individuellen, sondern um einen sozialen Prozess. Das Weitergeben und Kopieren dieses Dokuments ist nicht zulässig.

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heute in der Forschung ein konstruktivistischer Begriff der Nation durchgesetzt. Dies bedeutet zum Ersten, dass die Nation nicht eine vorgegebene, gewissermaßen natürliche Größe ist, die es lediglich zu erkennen gilt, sondern ein Begriff, mit dessen Hilfe Menschen ihre Umwelt ordnen.

Diesen konstruierten Charakter teilt sie mit anderen sozialen Kategorien wie etwa der Klasse oder dem Geschlecht. Zum Zweiten ergibt sich hieraus, dass das Gefühl nationaler Zusammengehörigkeit sich nicht von selbst einstellt, sondern einer Vorstellung von Gemeinsamkeit (Anderson, 1991, S. 7), von geteilten Eigenschaften, bedarf. Dabei werden bestimmte Eigenschaften für bedeutsam erklärt und allen Nationsangehörigen zugeschrieben, andere hingegen als unwesentlich heruntergespielt. Die Vorstellung der Nation beinhaltet also immer einen Akt der Homogenisierung nach innen und der Differenzbildung nach außen. Zum Dritten gewinnen diese Vorstellungen an Überzeugungskraft, indem sie in Praktiken umgesetzt werden. Dies können inszenierte Rituale sein, wie etwa die Sedanfeiern im deutschen Kaiserreich, die Parade und das Feuerwerk zum 14. Juli in Frankreich oder die Last Night of the Proms in England, die mit dem hingebungsvollen gemeinschaftlichen Singen von »Rule, Britannia!« endet. Es können aber auch Institutionen wie der Militärdienst oder die Grenzkontrolle sein oder sogar das Lesen der gleichen Romane oder Zeitungen. Die Nation als Konstrukt, als Vorstellung und als inszenierte Praxis ist nun aber nur begrenzt gleichzusetzen mit ihrer ›Erfindung‹ und noch weniger impliziert es die Idee von der Nation als etwas Irrealem. Insofern ist der Titel von Andersons Werk etwas

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Geschichtsschreibung als nationale Aufgabe

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unglücklich ins Deutsche übersetzt worden. ›Erfindung‹ suggeriert sowohl einen Nullpunkt, gewissermaßen eine Schaffung aus dem Nichts, als auch die Freiheit, sich so oder anders entscheiden zu können. Beides ist im Falle der Hervorbringung der Nation für den einzelnen Akteur oder auch für eine Gemeinschaft von Akteuren nur begrenzt gegeben, da sie nur selten eine Position außerhalb ihrer eigenen Geschichte einnehmen können, in der sie nicht von vorgängigen Konstruktionen und Denkmustern geprägt sind. Dies macht die Nation nicht erneut zu einer vorgegebenen, zu einer objektiven Größe. Was aber vorangegangene Generationen konstruiert und praktiziert haben, ist den Akteuren vorgegeben, ob es die Schulbücher und Erzählungen sind, mit denen sie aufwachsen, die Feiern und Paraden oder eine bestimmte nationale Sprache, die ihr Denken prägt. Hierzu müssen sie sich verhalten – ob sie die Konstruktionen nun in der eigenen Vorstellung aktualisieren und damit gewissermaßen die Nation aufs Neue hervorbringen oder ob sie sie modifizieren, ablehnen und durch andere Vorstellungen von Gemeinschaft ersetzen. Die Vorstellung der Nation war umso wirkmächtiger, je mehr es gelang, ihren Charakter als Vorstellung vergessen zu machen und sie als naturgegeben erscheinen zu lassen. Dabei kam der Geschichtsschreibung von Anfang an eine zentrale Rolle zu, denn sie war das Medium, durch das die Existenz der Nation in die Vergangenheit, ins ›Immer-Schon-Da-Gewesene‹, verlängert werden konnte. Das Interesse der Historiker richtete sich damit gerade nicht auf den Wandel, sondern im Gegenteil auf das, was inmitten aller historischen Veränderung ewig und dem menschlichen Zugriff entzogen schien. Bestand der eine Teil ihrer selbst gesetzten Aufgabe darin, den objektiven Charakter der Nation freizulegen, so richtete sich der andere durch die Darstellung der langen gemeinsamen Geschichte und ihrer Wechselfälle auf die Erzeugung und Verstärkung des subjektiven Gefühls der Zugehörigkeit beim Leser. Dieses Gefühl jedoch war nach Ansicht der Zeitgenossen nicht ins Belieben des Einzelnen gestellt, sondern ihm als Pflicht aufgegeben – er fühlte nicht nur für und mit der Nation, er musste auch so fühlen, wenn er kein ›vaterlandsloser Geselle‹ sein wollte.

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Einleitung

Zugleich war die Historiografie der Ort, an dem verhandelt wurde, welche Eigenschaften die Angehörigen einer Nation vor allen anderen auszeichneten. Wie die Nation selbst, so wurde auch ihr Charakter in seinem Kern als historisch unwandelbar angesehen, daher ließ er sich aus den Taten der Vorfahren besonders klar erkennen. Anhand der nationalen Eigenschaften aber beantworteten die Historiker nicht nur die Frage ›Wer sind wir?‹ (und implizit: ›Wer sind die anderen?‹), sondern im nächsten Schritt auch die Frage ›Wer gehört zu uns?‹ Damit trafen sie Entscheidungen über Inklusion und Exklusion, also über die Grenzen der nationalen Gemeinschaft. Wie sich die Geschichtsschreibung und die Nation gegenseitig hervorbrachten, soll im Folgenden anhand des deutschen und des indischen Fallbeispiels verdeutlicht werden.

2.1 Das Beispiel Deutschland In Deutschland gingen die Professionalisierung der Historiker, die Verwissenschaftlichung der Historiografie und ihre Nationalisierung Hand in Hand. Bereits im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts fand die Geschichtsschreibung ihren Ort an den Universitäten und Akademien. Damit wurden die Historiker zu Staatsbeamten, ihre Ausbildung standardisiert und über die Berufungsverfahren sowohl Qualitätskontrolle als auch Konformitätsdruck ausgeübt. Hinsichtlich der Verwissenschaftlichung der Historiografie sind zwei Ebenen zu unterscheiden (Iggers, 1994). Die Quellenkritik und die Entwicklung der historischen Hilfswissenschaften erlaubten es nicht nur, die Echtheit von Quellen zu überprüfen, sondern auch, sie präzise zu datieren, Lesarten zu bestimmen und philologisch zu interpretieren; dies führte zur Aufdeckung von Fälschungen und zu groß angelegten Editionsprojekten. Der Grund hierzu wurde bereits im 18. Jahrhundert gelegt, vor allem in der Altertumsforschung. Wissenschaftlich weitaus weniger präzise zu fassen war die Ebene der Interpretation der Quellen, ihre Einordnung in einen größeren Kontext und ihre Zusammenführung zu einem kohärenten Narrativ. Es war diese Ebene, auf der sich die

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Geschichtsschreibung als nationale Aufgabe

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Nationalisierung der Geschichtswissenschaft abspielte – zögerlicher als die Verwissenschaftlichung und anfänglich gegen den Widerstand einer Tradition der Universalgeschichtsschreibung, die sich aus dem Gedankengut der Aufklärung speiste, doch auch da, wo sie sich dem Nationalismus verweigerte, die zentrale Rolle der Nation nicht in Frage stellend (Fulda, 1996; Süßmann, 2000). Leopold von Ranke (1798–1876), von vielen als Begründer der Geschichte als Wissenschaft angesehen, betonte, dass Staat und Nation als organische Subjekte der Geschichte dem Historiker vorgegeben seien, sie seien die Konkretisierung von Gottes Idee der Menschheit. Dadurch waren jeder Staat und jede Nation einmalig und von allen anderen unterschieden. Nur durch die Untersuchung ihrer jeweiligen Besonderheit war dem Historiker ein Vordringen zum Allgemeinen möglich. Die Betonung der unhintergehbaren Individualität von historischen Ereignissen unterschied die Geschichtswissenschaft, so Ranke und der Historismus, von den Naturwissenschaften, die stattdessen auf die Bildung von Typen und allgemeinen Gesetzmäßigkeiten abhoben. Von dieser Basis aus war zwar keine transnationale Geschichte denkbar, denn es galt gerade die Besonderheiten der nationalen Entwicklung zu wahren und der Übertragung fremder Ideen und Institutionen zu wehren. Eine Universalgeschichte aber konnte aus dieser Logik durchaus entwickelt werden, denn die ausgeführten Prinzipien galten nicht nur für die deutsche, sondern für jede Nation. In jede Nation hatte der Historiker sich einzufühlen und ihre Eigenheiten herauszuarbeiten, ohne sich dabei von seiner eigenen Herkunft leiten zu lassen. Dieses Bemühen um Objektivität war es, das zu heftigen Angriffen der Vertreter der kleindeutschen Geschichtsschreibung auf Ranke führte, also jener Historiker, die nach den Bismarck’schen Einigungskriegen die Schaffung des deutschen Nationalstaats als Preußens geschichtliche Mission interpretierten. Diesem Nationalstaat hätte die Historiografie zu dienen; er war zugleich die Basis, von der aus eine Interpretation der Geschichte allein für möglich erachtet wurde – nicht das Einfühlen in das Fremde, sondern im Gegenteil, radikale nationale Standortgebundenheit wurde nunmehr vom Historiker gefordert.

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Einleitung

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Kleindeutsche Bewegung Seit 1848 eine politische Richtung, die die Einigung Deutschlands unter Ausschluss Österreichs unter preußischer Führung anstrebte. Sie setzte sich mit den Bismarck’schen Einigungskriegen politisch durch und bestimmte die deutsche Geschichtsschreibung bis zum Ersten Weltkrieg. Sind solchermaßen die Nationalstaaten die eigentlichen Akteure der Geschichte, so folgt jeder von ihnen dem Gesetz seines eigenen Wesens und kann nur aus sich selbst heraus interpretiert werden. Dies bedeutet nicht nur eine Absage an die Untersuchung von Austauschbeziehungen und gegenseitigen Beeinflussungen, sondern auch das Ende eines möglichen Dialogs zwischen Historikern und Historiografien verschiedener Länder. Folgerichtig versuchten die deutschen Geschichtswissenschaftler 1903 das Abhalten des Internationalen Historikerkongresses in der Reichshauptstadt mit dem Argument zu verhindern, es sei keine gemeinsame Grundlage für die Interpretation der Geschichte außerhalb des nationalen Rahmens denkbar (Muhlack, 2000, S. 34). Die Aufgabe der Historiker sei es vielmehr, »der Nation das Bild ihrer selbst zu erarbeiten und vor die Seele zu stellen« (Droysen, zitiert nach Haltern, 1994, S. 75) und in den Deutschen die »Freude an ihrem Vaterland« zu erwecken (Treitschke zitiert nach Muhlack, 2000, S. 38 f.); in die Sprache Andersons und Hobsbawms übersetzt also: ihre Wissenschaft in den Dienst der Konstruktion der eigenen Nation zu stellen. Dieses Denken von der Nation her war dabei keineswegs auf die »Nationalgeschichte« beschränkt, also die Geschichte, die sich das Deutsche Reich oder die deutsche Nation zum Thema nahm. Vielmehr prägte sie auch solche Untersuchungen, für die man sich ganz andere Referenzrahmen vorstellen könnte, etwa die Landesund Regionalgeschichte, die Volks- und Heimatgeschichte, sogar, wenn vielleicht auch in geringerem Maße, die Kulturgeschichte.

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2.2 Das Beispiel Indien Jede Möglichkeit wissenschaftlicher Geschichtsschreibung in Indien wurde im 19. Jahrhundert zunächst von der kolonialen Situation bestimmt – auch da, wo bewusst auf vorkoloniale Formen zurückgegriffen wurde. Wie Edward Said in seinem bahnbrechenden Buch Orientalism (1978) betonte, waren Herrschaft und Produktion von Wissen – das Sammeln von Informationen, die Schaffung von Kategorien, um sie zu ordnen und schließlich ihre Interpretation – untrennbar miteinander verbunden. Dies traf auch für die britische Historiografie über Indien zu. In der Tradition der Aufklärung waren die britischen Historiker und Philologen des ausgehenden 18. Jahrhunderts, die sich mit Indien beschäftigten – in der Indienforschung wegen ihrer Begeisterung für die orientalische Kultur und ihre Sprachen unter dem mittlerweile irreführenden Namen ›Orientalisten‹ bekannt – einem zyklischen Modell von Aufstieg und Verfall großer Reiche verpflichtet. Zwar fanden sie in der indischen Gegenwart wenig Bewundernswertes, doch die Existenz eines vergangenen goldenen Zeitalters garantierte Indien den Status einer Hochkultur und verbürgte die Hoffnung, dass es ihm mit britischer Hilfe gelingen könne, die einstige Größe wiederzuerlangen. Hiergegen wandten sich seit dem ersten Drittel des 19. Jahrhunderts die ›Anglizisten‹ – so benannt, weil sie dem Orientalismus ein klares Bekenntnis zur Universalität der britischen Werte entgegensetzten. Die Vorstellung vom zyklischen Aufstieg und Niedergang großer Reiche wurde abgelöst von der Idee des Fortschritts und Indien in einen zeit- und geschichtslosen Limbus verbannt, aus dem es erst durch die Ankunft der Briten befreit werden konnte. Die indische Geschichte als Geschichte begann nach britischer Vorstellung erst mit der kolonialen Eroberung.

Einleitung

Orientalistik Wissenschaft vom Orient, insbesondere seiner Religionen und Sprachen. Im Gegensatz hierzu bezeichnet der von Edward Said und den postkolonialen Studien als Kampfbegriff verwendete Ausdruck Orientalismus eine bestimmte Sicht auf den Orient, seine Konstruktion als Gegensatz zu Europa (vor allem in den Kategorien zeitlos vs. fortschrittlich; religiös / abergläubisch vs. aufgeklärt / säkularisiert; despotisch vs. demokratisch; weiblich vs. männlich).

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Wie aber gingen die indischen Historiker und Schriftsteller des 19. Jahrhunderts mit diesen Vorstellungen zur eigenen Geschichtslosigkeit um? Ohne Geschichte, ohne eine gemeinsame Vergangenheit, mit der sich die Akteure der Gegenwart identifizieren konnten, konnte es auch in ihrer Gedankenwelt keine Nation geben. So fehlten der Nationalbewegung gewissermaßen ihr Subjekt und ihre Legitimation. Daher rief der bengalische Dichter und Historiker Bankimchandra 1880 aus »Bengal must have her own history. Otherwise there is no hope for Bengal.« (zitiert nach Guha, 1988, S. 1) Sprach Bankimchandra zu diesem Zeitpunkt noch von Bengalen, so war es wenige Jahre später schon unumstritten, dass Indien die Nation sein solle, die es zu schaffen galt – das Denkmuster aber blieb das gleiche. Dieser neuen Historiografie war von Anfang an eine doppelte Ausrichtung zu Eigen. Auf der einen Seite orientierte sie sich an den gleichen Standards der Wissenschaftlichkeit wie die europäische Geschichtsschreibung und übernahm damit nicht nur ihre Quellenkritik, sondern auch ihre Argumentationsmuster und narrativen Strukturen. Auf der anderen Seite betonte sie, dass die neue Geschichte nur von Indern geschrieben werden könne, da nur sie zur Identifikation mit der Vergangenheit in der Lage seien, die die notwendige Grundlage der Interpretation darstelle und das Schreiben der Geschichte als nationaler Geschichte ermögliche. Als Teil der Nationalbewegung übernahmen die indischen Historiker deren Programm einer Reform der Nation und wollten durch ihre Arbeit zu ihrer Renaissance und Regeneration beitra-

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»Vergemeinschaftung« Nach Max Weber (1985 [1922], S. 21) »eine soziale Beziehung«, die auf der »subjektiv gefühlten Zusammengehörigkeit der Beteiligten beruht« und in der das Gefühl der Zusammengehörigkeit handlungsleitend wirkt.

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Noch dringlicher als in Deutschland warfen diese Muster und Metaphern die Frage auf, an welche Geschichte angeschlossen werden sollte und wer und welche Epochen zur ›wahren‹ indischen Geschichte dazu gehörten. War das Reich der muslimischen Moguln eine Epoche nationaler Einheit und Machtentfaltung oder eine Zeit islamischer Fremdherrschaft über Indien? Was bedeutete dies für die Stellung der Muslime in der Gegenwart? War Indien eine Nation oder zwei, welche Folgen sollte dies für die politische Struktur des unabhängigen Staates haben? Diese Fragen gewannen ihre Virulenz erst nach dem Ersten, mehr noch nach dem Zweiten Weltkrieg und zur Zeit der Teilung des Subkontinents, angelegt waren sie jedoch schon in der Historiografie des 19. Jahrhunderts.

3. Transnational, translokal, transregional? Vor dem Hintergrund dieser historischen Verzahnung von Geschichte und Nationalismus, in der Historiker es als ihre wichtigste Aufgabe angesehen hatten, durch ihre wissenschaftlichen Forschungen zur Nationsbildung beizutragen, wird erst deutlich, wie viel Sprengstoff die grundlegenden Interpretationskategorien im Programm einer transnationalen Geschichte bergen. Es geht um nichts Geringeres als darum, eine »Geschichtswissenschaft jenseits des Nationalstaates« (Osterhammel, 2001) zu entwerfen.

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Dieses Programm basiert ebenso auf Vorstellungen von der Historizität der Nation wie es auch zu ihrer Historisierung beiträgt. Wenn die Nation keine ›natürliche‹ Größe ist, sondern als Vorstellung zu bestimmbaren Zeiten von bestimmbaren Akteuren hervorgebracht wird, so ist sie auch für die Geschichtswissenschaft nicht Ausgangspunkt, sondern Gegenstand der Untersuchung. Es ist vehement diskutiert worden, ob das Programm einer trans-›nationalen‹ Geschichte weit genug ginge und ob nicht schon die Wahl des Begriffes dazu führe, die Nation, die durch die Vordertür entlassen wurde, durch die Hintertür wieder hereinzulassen. Wie kann man eine transnationale Geschichte für Epochen und Regionen schreiben, denen die Nation als Ordnungsmuster unbekannt war? Wird hiermit nicht wieder ein eurozentrisches Zulaufen der Geschichte auf die Entstehung von Nationalstaaten suggeriert, ihre Abwesenheit als Defizitgeschichte konzipiert? Daher ist vorgeschlagen worden, den Ausdruck ›transnational‹ durch ›translokal‹ (Freitag / von Oppen, 2005; 2010) oder ›transregional‹ (WIKO) zu ersetzen und die Nation dergestalt nur noch als eine Möglichkeit der Raumordnung unter anderen zu betrachten (g Kap. III.5). Diese Überlegungen müssen sehr ernst genommen werden. Wenn im Titel dieser Einführung dennoch von transnationaler und nicht translokaler oder transregionaler Geschichte die Rede ist, so deshalb, weil dem Begriff ›transnational‹ im Gegensatz zu seinen Alternativen eine doppelte Stoßrichtung zu eigen ist, die zu bewahren mir wichtig erscheint. Transnational bezieht sich zum einen auf die Untersuchung von Geschichte, die sich nicht in nationalen Grenzen erfassen lässt, sei es, weil sie sich auf kleinere oder größere Einheiten bezieht, sei es, weil sie sich in einem konzeptionellen Rahmen bewegt, in dem die Nation keine oder zumindest keine wichtige Kategorie darstellt. Das ›trans-‹ der transnationalen Geschichte bezieht sich hier auf eine empirische Erweiterung des Untersuchungsgegenstandes. Zum anderen aber, und das könnte aufs Ganze gesehen sogar noch wichtiger sein, geht es darum, durch transnationale Geschichte die Selbstverständlichkeit der Kategorie der Nation selbst infrage zu stellen.

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Transnational, translokal, transregional?

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Hier bezieht sich das ›trans-‹ auf das Transzendieren der Nation als einer Ordnungskategorie für die Geschichtsschreibung. Die Diskussion, ob und wie weit dies geschieht, wenn man die Nation einfach ignoriert, oder ob es nicht auch darum gehen muss, ihre Deutungsmacht und damit auch das Schwergewicht überlieferter Historiografien direkt und ausdrücklich zu hinterfragen, ist nicht abgeschlossen. Wir brauchen empirische Studien, die flexibel mit ihren Bezugsgrößen umgehen. Welchen Einfluss lokale, translokale, regionale, transregionale, nationale oder transnationale Faktoren hatten, lässt sich ja in den allermeisten Fällen nur erkennen, wenn der Maßstab der Untersuchung groß genug gewählt ist, um sie in Beziehung zueinander setzen zu können. Diese Studien können je nach Erfordernis mit dem Begriff der Nation arbeiten oder nicht. Dies allein aber reicht meines Erachtens nicht aus, um die enge methodische Verbindung zwischen Nation und Historiografie zu sprengen. Hierfür brauchen wir einen Rahmen, in dem diese Studien in Beziehung zu nationalen und kolonialen Meistererzählungen gesetzt werden, deren Beharrungskraft wohl manchmal unterschätzt wird. Diesen Rahmen kann die transnationale Geschichte bieten.

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1. Geschichtsschreibung und Nation Nationale Grenzen prägen heute nicht mehr die Erfahrungswelt der meisten Europäer – umso weniger, je jünger sie sind und je höher ihre Schulbildung ist. Grenzkontrollen sind selten geworden, Urlaub, Praktika und Berufstätigkeit im Ausland sowie der tägliche Kontakt mit Bekannten in anderen Erdteilen über Facebook oder andere soziale Netzwerke dafür umso häufiger. Damit verliert auch die Ausrichtung der Geschichtswissenschaft an der Nation und ihren Grenzen viel von ihrer Selbstverständlichkeit – ob und unter welchen Bedingungen sie dennoch sinnvoll ist, bleibt zu diskutieren. Bestimmten vor einer Generation Veranstaltungen und Bücher zur deutschen, vielleicht auch einmal zur französischen oder britischen, noch seltener zur europäischen Geschichte die meisten Vorlesungs- und Publikationsverzeichnisse, so sehen sich Studierende und historisch Interessierte heute immer häufiger mit Angeboten konfrontiert, die entweder Regionen in den Fokus nehmen, also unterhalb der nationalen Ebene bleiben, oder über den nationalen Rahmen hinausweisen. Diese Entwicklung hat in den letzten Jahren zu einem neuen Blick auf die Vergangenheit geführt, der neue Fragen aufwarf, neue Forschungsfelder erschloss, aber auch Altbekanntes für neue Interpretationen öffnete. Dies alles macht die Geschichtswissenschaft noch spannender, als sie ohnehin schon ist. Transnationale Geschichtsschreibung, Geschichtsschreibung also, die danach strebt, nationale Grenzen empirisch und methodisch zu transzendieren, ist einer der Bereiche der Geschichtswissenschaft, der zurzeit am stärksten expandiert. Zumindest transnationale Bezüge dürfen in keiner anspruchsvollen Arbeit fehlen, so wird häufig gefordert. Zugleich ist sie ein ausnehmend anspruchsvoller Zugang, der hohe Anforderungen an die Selbstreflexion der Historiker stellt.

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Einleitung

Hier will diese Einführung Hilfestellungen leisten, einige Schneisen durch das mittlerweile recht unübersichtlich gewordene Theorieangebot schlagen und vor allem zum Weiterdenken einladen. Sie kann nicht die Beschäftigung mit den Originaltexten ersetzen, sondern allenfalls den Weg zu ihnen erleichtern. Dementsprechend liegt das Schwergewicht nicht auf der Vermittlung von Faktenwissen, sondern auf der Erörterung von Problemen. Das einleitende erste Kapitel blickt zurück auf die Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts und zeigt, dass die wissenschaftliche Historiografie und der Aufstieg der Nation zur zentralen Interpretationskategorie nicht nur zeitgleich entstanden, sondern auch in so hohem Maße aufeinander verwiesen, dass eines ohne das andere weder bestehen noch verstanden werden konnte. Nur vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass der Ansatz der transnationalen Geschichte letztlich nichts weniger bedeutet als ein Neudenken der methodischen Grundlagen des Fachs. Das zweite Kapitel wendet sich den Forschungsfeldern zu, in denen traditionell mehr als eine Nation in den Blick genommen wurde: die Geschichte der Außenpolitik und die Diplomatiegeschichte, die Untersuchungen zum Imperialismus und die Komparatistik. Hier zwang der Gegenstand selbst die Forschungen, über nationale Grenzen hinauszugehen; ob und inwieweit sie die Nation als Leitkategorie der Geschichte damit in Frage stellten oder unter Umständen sogar verstärkten, wird zu fragen sein. Das dritte Kapitel widmet sich den aus meiner Sicht wichtigsten Theorieangeboten der letzten Jahre und versucht sie in einem systematischen Zusammenhang darzustellen. Das Ziel ist nicht, einen vollständigen Katalog aller jemals vertretenen Ansätze aufzustellen, sondern Probleme der transnationalen Geschichtsschreibung aufzuzeigen und Lösungsangebote zu vergleichen. Wenn Leserinnen und Leser zu anderen Schlussfolgerungen kommen – umso besser. Die Geschichtswissenschaft lebt von der Diskussion und vom Widerspruch. Das vierte Kapitel stellt exemplarisch ausgewählte Forschungsfelder vor, in denen die Methoden der transnationalen Geschichtsschreibung bereits erprobt wurden – ob sie sich aus-

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Geschichtsschreibung als nationale Aufgabe

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drücklich auf die laufende Diskussion beziehen oder nicht. Auch hier ist das Interesse ausschließlich ein methodisches: Wie lösen Autoren und Autorinnen in ihrer empirischen Arbeit die Probleme, die im vorigen Kapitel theoretisch erörtert wurden? Was können künftige transnationale Historikerinnen und Historiker davon lernen, wo liegen Schwierigkeiten? Ganz ausdrücklich handelt es sich hierbei weder um einen Entwurf für eine transnationale Weltgeschichte noch um Vorschläge, wie man die bisherigen Forschungsfelder von Politik-, Sozial-, Wirtschafts- und Kulturgeschichte in Zukunft systematisch aus transnationaler Sicht umschreiben könnte. Das fünfte Kapitel stellt die Frage, wie transnationale Geschichte mit dem Problem der Vielsprachigkeit umgeht – mit den unterschiedlichen Sprachen der Quellen, aber auch der Frage nach der Übersetzung von Begriffen aus der Quellensprache in die Sprache der Geschichtsschreibung. Ein Wort noch zur Auswahl der Fallbeispiele. Leserinnen und Leser werden sich vielleicht wundern, dass Indien häufiger vorkommt, als sie es in einer Einführung erwartet hätten und sich fragen, warum nicht ein größeres Gleichgewicht zwischen den Regionen angestrebt wurde. Dies hat zum einen subjektive Gründe – der indische Subkontinent ist das Gebiet, in dem ich mich am besten auskenne und über das ich mit der größten Sicherheit schreiben kann. Darüber hinaus aber geht es mir nicht um eine flächendeckende Darstellung der Ergebnisse der Area Studies, wohl aber darum aufzuzeigen, dass Theoriebildung schon lange nicht mehr ausschließlich von Europa aus erfolgt. Dafür ist die indische Geschichtsschreibung – Stichwort Post-colonial Studies – ein eindrucksvolles Beispiel.

2. Geschichtsschreibung als nationale Aufgabe Beeinflusst vor allem durch die fast zeitgleich erschienenen Werke von Benedict Anderson, Imagined Communities (dt.: Die Erfindung der Nation, 1988), Eric Hobsbawm, The Invention of Tradition und Ernest Gellner, Nations and Nationalism (alle drei 1983) hat sich

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Einleitung

Konstruktivismus Wissenschaftstheoretische Richtung, die davon ausgeht, dass menschliche Vorstellungen und Begriffe die Wirklichkeit nicht passiv abbilden, sondern aktiv ordnen und erschaffen. Hierbei handelt es sich nicht um einen individuellen, sondern um einen sozialen Prozess. Das Weitergeben und Kopieren dieses Dokuments ist nicht zulässig.

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heute in der Forschung ein konstruktivistischer Begriff der Nation durchgesetzt. Dies bedeutet zum Ersten, dass die Nation nicht eine vorgegebene, gewissermaßen natürliche Größe ist, die es lediglich zu erkennen gilt, sondern ein Begriff, mit dessen Hilfe Menschen ihre Umwelt ordnen.

Diesen konstruierten Charakter teilt sie mit anderen sozialen Kategorien wie etwa der Klasse oder dem Geschlecht. Zum Zweiten ergibt sich hieraus, dass das Gefühl nationaler Zusammengehörigkeit sich nicht von selbst einstellt, sondern einer Vorstellung von Gemeinsamkeit (Anderson, 1991, S. 7), von geteilten Eigenschaften, bedarf. Dabei werden bestimmte Eigenschaften für bedeutsam erklärt und allen Nationsangehörigen zugeschrieben, andere hingegen als unwesentlich heruntergespielt. Die Vorstellung der Nation beinhaltet also immer einen Akt der Homogenisierung nach innen und der Differenzbildung nach außen. Zum Dritten gewinnen diese Vorstellungen an Überzeugungskraft, indem sie in Praktiken umgesetzt werden. Dies können inszenierte Rituale sein, wie etwa die Sedanfeiern im deutschen Kaiserreich, die Parade und das Feuerwerk zum 14. Juli in Frankreich oder die Last Night of the Proms in England, die mit dem hingebungsvollen gemeinschaftlichen Singen von »Rule, Britannia!« endet. Es können aber auch Institutionen wie der Militärdienst oder die Grenzkontrolle sein oder sogar das Lesen der gleichen Romane oder Zeitungen. Die Nation als Konstrukt, als Vorstellung und als inszenierte Praxis ist nun aber nur begrenzt gleichzusetzen mit ihrer ›Erfindung‹ und noch weniger impliziert es die Idee von der Nation als etwas Irrealem. Insofern ist der Titel von Andersons Werk etwas

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Geschichtsschreibung als nationale Aufgabe

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unglücklich ins Deutsche übersetzt worden. ›Erfindung‹ suggeriert sowohl einen Nullpunkt, gewissermaßen eine Schaffung aus dem Nichts, als auch die Freiheit, sich so oder anders entscheiden zu können. Beides ist im Falle der Hervorbringung der Nation für den einzelnen Akteur oder auch für eine Gemeinschaft von Akteuren nur begrenzt gegeben, da sie nur selten eine Position außerhalb ihrer eigenen Geschichte einnehmen können, in der sie nicht von vorgängigen Konstruktionen und Denkmustern geprägt sind. Dies macht die Nation nicht erneut zu einer vorgegebenen, zu einer objektiven Größe. Was aber vorangegangene Generationen konstruiert und praktiziert haben, ist den Akteuren vorgegeben, ob es die Schulbücher und Erzählungen sind, mit denen sie aufwachsen, die Feiern und Paraden oder eine bestimmte nationale Sprache, die ihr Denken prägt. Hierzu müssen sie sich verhalten – ob sie die Konstruktionen nun in der eigenen Vorstellung aktualisieren und damit gewissermaßen die Nation aufs Neue hervorbringen oder ob sie sie modifizieren, ablehnen und durch andere Vorstellungen von Gemeinschaft ersetzen. Die Vorstellung der Nation war umso wirkmächtiger, je mehr es gelang, ihren Charakter als Vorstellung vergessen zu machen und sie als naturgegeben erscheinen zu lassen. Dabei kam der Geschichtsschreibung von Anfang an eine zentrale Rolle zu, denn sie war das Medium, durch das die Existenz der Nation in die Vergangenheit, ins ›Immer-Schon-Da-Gewesene‹, verlängert werden konnte. Das Interesse der Historiker richtete sich damit gerade nicht auf den Wandel, sondern im Gegenteil auf das, was inmitten aller historischen Veränderung ewig und dem menschlichen Zugriff entzogen schien. Bestand der eine Teil ihrer selbst gesetzten Aufgabe darin, den objektiven Charakter der Nation freizulegen, so richtete sich der andere durch die Darstellung der langen gemeinsamen Geschichte und ihrer Wechselfälle auf die Erzeugung und Verstärkung des subjektiven Gefühls der Zugehörigkeit beim Leser. Dieses Gefühl jedoch war nach Ansicht der Zeitgenossen nicht ins Belieben des Einzelnen gestellt, sondern ihm als Pflicht aufgegeben – er fühlte nicht nur für und mit der Nation, er musste auch so fühlen, wenn er kein ›vaterlandsloser Geselle‹ sein wollte.

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Zugleich war die Historiografie der Ort, an dem verhandelt wurde, welche Eigenschaften die Angehörigen einer Nation vor allen anderen auszeichneten. Wie die Nation selbst, so wurde auch ihr Charakter in seinem Kern als historisch unwandelbar angesehen, daher ließ er sich aus den Taten der Vorfahren besonders klar erkennen. Anhand der nationalen Eigenschaften aber beantworteten die Historiker nicht nur die Frage ›Wer sind wir?‹ (und implizit: ›Wer sind die anderen?‹), sondern im nächsten Schritt auch die Frage ›Wer gehört zu uns?‹ Damit trafen sie Entscheidungen über Inklusion und Exklusion, also über die Grenzen der nationalen Gemeinschaft. Wie sich die Geschichtsschreibung und die Nation gegenseitig hervorbrachten, soll im Folgenden anhand des deutschen und des indischen Fallbeispiels verdeutlicht werden.

2.1 Das Beispiel Deutschland In Deutschland gingen die Professionalisierung der Historiker, die Verwissenschaftlichung der Historiografie und ihre Nationalisierung Hand in Hand. Bereits im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts fand die Geschichtsschreibung ihren Ort an den Universitäten und Akademien. Damit wurden die Historiker zu Staatsbeamten, ihre Ausbildung standardisiert und über die Berufungsverfahren sowohl Qualitätskontrolle als auch Konformitätsdruck ausgeübt. Hinsichtlich der Verwissenschaftlichung der Historiografie sind zwei Ebenen zu unterscheiden (Iggers, 1994). Die Quellenkritik und die Entwicklung der historischen Hilfswissenschaften erlaubten es nicht nur, die Echtheit von Quellen zu überprüfen, sondern auch, sie präzise zu datieren, Lesarten zu bestimmen und philologisch zu interpretieren; dies führte zur Aufdeckung von Fälschungen und zu groß angelegten Editionsprojekten. Der Grund hierzu wurde bereits im 18. Jahrhundert gelegt, vor allem in der Altertumsforschung. Wissenschaftlich weitaus weniger präzise zu fassen war die Ebene der Interpretation der Quellen, ihre Einordnung in einen größeren Kontext und ihre Zusammenführung zu einem kohärenten Narrativ. Es war diese Ebene, auf der sich die

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Nationalisierung der Geschichtswissenschaft abspielte – zögerlicher als die Verwissenschaftlichung und anfänglich gegen den Widerstand einer Tradition der Universalgeschichtsschreibung, die sich aus dem Gedankengut der Aufklärung speiste, doch auch da, wo sie sich dem Nationalismus verweigerte, die zentrale Rolle der Nation nicht in Frage stellend (Fulda, 1996; Süßmann, 2000). Leopold von Ranke (1798–1876), von vielen als Begründer der Geschichte als Wissenschaft angesehen, betonte, dass Staat und Nation als organische Subjekte der Geschichte dem Historiker vorgegeben seien, sie seien die Konkretisierung von Gottes Idee der Menschheit. Dadurch waren jeder Staat und jede Nation einmalig und von allen anderen unterschieden. Nur durch die Untersuchung ihrer jeweiligen Besonderheit war dem Historiker ein Vordringen zum Allgemeinen möglich. Die Betonung der unhintergehbaren Individualität von historischen Ereignissen unterschied die Geschichtswissenschaft, so Ranke und der Historismus, von den Naturwissenschaften, die stattdessen auf die Bildung von Typen und allgemeinen Gesetzmäßigkeiten abhoben. Von dieser Basis aus war zwar keine transnationale Geschichte denkbar, denn es galt gerade die Besonderheiten der nationalen Entwicklung zu wahren und der Übertragung fremder Ideen und Institutionen zu wehren. Eine Universalgeschichte aber konnte aus dieser Logik durchaus entwickelt werden, denn die ausgeführten Prinzipien galten nicht nur für die deutsche, sondern für jede Nation. In jede Nation hatte der Historiker sich einzufühlen und ihre Eigenheiten herauszuarbeiten, ohne sich dabei von seiner eigenen Herkunft leiten zu lassen. Dieses Bemühen um Objektivität war es, das zu heftigen Angriffen der Vertreter der kleindeutschen Geschichtsschreibung auf Ranke führte, also jener Historiker, die nach den Bismarck’schen Einigungskriegen die Schaffung des deutschen Nationalstaats als Preußens geschichtliche Mission interpretierten. Diesem Nationalstaat hätte die Historiografie zu dienen; er war zugleich die Basis, von der aus eine Interpretation der Geschichte allein für möglich erachtet wurde – nicht das Einfühlen in das Fremde, sondern im Gegenteil, radikale nationale Standortgebundenheit wurde nunmehr vom Historiker gefordert.

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Kleindeutsche Bewegung Seit 1848 eine politische Richtung, die die Einigung Deutschlands unter Ausschluss Österreichs unter preußischer Führung anstrebte. Sie setzte sich mit den Bismarck’schen Einigungskriegen politisch durch und bestimmte die deutsche Geschichtsschreibung bis zum Ersten Weltkrieg. Sind solchermaßen die Nationalstaaten die eigentlichen Akteure der Geschichte, so folgt jeder von ihnen dem Gesetz seines eigenen Wesens und kann nur aus sich selbst heraus interpretiert werden. Dies bedeutet nicht nur eine Absage an die Untersuchung von Austauschbeziehungen und gegenseitigen Beeinflussungen, sondern auch das Ende eines möglichen Dialogs zwischen Historikern und Historiografien verschiedener Länder. Folgerichtig versuchten die deutschen Geschichtswissenschaftler 1903 das Abhalten des Internationalen Historikerkongresses in der Reichshauptstadt mit dem Argument zu verhindern, es sei keine gemeinsame Grundlage für die Interpretation der Geschichte außerhalb des nationalen Rahmens denkbar (Muhlack, 2000, S. 34). Die Aufgabe der Historiker sei es vielmehr, »der Nation das Bild ihrer selbst zu erarbeiten und vor die Seele zu stellen« (Droysen, zitiert nach Haltern, 1994, S. 75) und in den Deutschen die »Freude an ihrem Vaterland« zu erwecken (Treitschke zitiert nach Muhlack, 2000, S. 38 f.); in die Sprache Andersons und Hobsbawms übersetzt also: ihre Wissenschaft in den Dienst der Konstruktion der eigenen Nation zu stellen. Dieses Denken von der Nation her war dabei keineswegs auf die »Nationalgeschichte« beschränkt, also die Geschichte, die sich das Deutsche Reich oder die deutsche Nation zum Thema nahm. Vielmehr prägte sie auch solche Untersuchungen, für die man sich ganz andere Referenzrahmen vorstellen könnte, etwa die Landesund Regionalgeschichte, die Volks- und Heimatgeschichte, sogar, wenn vielleicht auch in geringerem Maße, die Kulturgeschichte.

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2.2 Das Beispiel Indien Jede Möglichkeit wissenschaftlicher Geschichtsschreibung in Indien wurde im 19. Jahrhundert zunächst von der kolonialen Situation bestimmt – auch da, wo bewusst auf vorkoloniale Formen zurückgegriffen wurde. Wie Edward Said in seinem bahnbrechenden Buch Orientalism (1978) betonte, waren Herrschaft und Produktion von Wissen – das Sammeln von Informationen, die Schaffung von Kategorien, um sie zu ordnen und schließlich ihre Interpretation – untrennbar miteinander verbunden. Dies traf auch für die britische Historiografie über Indien zu. In der Tradition der Aufklärung waren die britischen Historiker und Philologen des ausgehenden 18. Jahrhunderts, die sich mit Indien beschäftigten – in der Indienforschung wegen ihrer Begeisterung für die orientalische Kultur und ihre Sprachen unter dem mittlerweile irreführenden Namen ›Orientalisten‹ bekannt – einem zyklischen Modell von Aufstieg und Verfall großer Reiche verpflichtet. Zwar fanden sie in der indischen Gegenwart wenig Bewundernswertes, doch die Existenz eines vergangenen goldenen Zeitalters garantierte Indien den Status einer Hochkultur und verbürgte die Hoffnung, dass es ihm mit britischer Hilfe gelingen könne, die einstige Größe wiederzuerlangen. Hiergegen wandten sich seit dem ersten Drittel des 19. Jahrhunderts die ›Anglizisten‹ – so benannt, weil sie dem Orientalismus ein klares Bekenntnis zur Universalität der britischen Werte entgegensetzten. Die Vorstellung vom zyklischen Aufstieg und Niedergang großer Reiche wurde abgelöst von der Idee des Fortschritts und Indien in einen zeit- und geschichtslosen Limbus verbannt, aus dem es erst durch die Ankunft der Briten befreit werden konnte. Die indische Geschichte als Geschichte begann nach britischer Vorstellung erst mit der kolonialen Eroberung.

Einleitung

Orientalistik Wissenschaft vom Orient, insbesondere seiner Religionen und Sprachen. Im Gegensatz hierzu bezeichnet der von Edward Said und den postkolonialen Studien als Kampfbegriff verwendete Ausdruck Orientalismus eine bestimmte Sicht auf den Orient, seine Konstruktion als Gegensatz zu Europa (vor allem in den Kategorien zeitlos vs. fortschrittlich; religiös / abergläubisch vs. aufgeklärt / säkularisiert; despotisch vs. demokratisch; weiblich vs. männlich).

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Wie aber gingen die indischen Historiker und Schriftsteller des 19. Jahrhunderts mit diesen Vorstellungen zur eigenen Geschichtslosigkeit um? Ohne Geschichte, ohne eine gemeinsame Vergangenheit, mit der sich die Akteure der Gegenwart identifizieren konnten, konnte es auch in ihrer Gedankenwelt keine Nation geben. So fehlten der Nationalbewegung gewissermaßen ihr Subjekt und ihre Legitimation. Daher rief der bengalische Dichter und Historiker Bankimchandra 1880 aus »Bengal must have her own history. Otherwise there is no hope for Bengal.« (zitiert nach Guha, 1988, S. 1) Sprach Bankimchandra zu diesem Zeitpunkt noch von Bengalen, so war es wenige Jahre später schon unumstritten, dass Indien die Nation sein solle, die es zu schaffen galt – das Denkmuster aber blieb das gleiche. Dieser neuen Historiografie war von Anfang an eine doppelte Ausrichtung zu Eigen. Auf der einen Seite orientierte sie sich an den gleichen Standards der Wissenschaftlichkeit wie die europäische Geschichtsschreibung und übernahm damit nicht nur ihre Quellenkritik, sondern auch ihre Argumentationsmuster und narrativen Strukturen. Auf der anderen Seite betonte sie, dass die neue Geschichte nur von Indern geschrieben werden könne, da nur sie zur Identifikation mit der Vergangenheit in der Lage seien, die die notwendige Grundlage der Interpretation darstelle und das Schreiben der Geschichte als nationaler Geschichte ermögliche. Als Teil der Nationalbewegung übernahmen die indischen Historiker deren Programm einer Reform der Nation und wollten durch ihre Arbeit zu ihrer Renaissance und Regeneration beitra-

Transnational, translokal, transregional?

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»Vergemeinschaftung« Nach Max Weber (1985 [1922], S. 21) »eine soziale Beziehung«, die auf der »subjektiv gefühlten Zusammengehörigkeit der Beteiligten beruht« und in der das Gefühl der Zusammengehörigkeit handlungsleitend wirkt.

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gen; neben der emotionalen Vergemeinschaftung sahen sie ihre Aufgabe darin, dem gegenwärtigen Indien die Vergangenheit, das Goldene Zeitalter, vor Augen zu stellen, an welche es anschließen konnte.

Noch dringlicher als in Deutschland warfen diese Muster und Metaphern die Frage auf, an welche Geschichte angeschlossen werden sollte und wer und welche Epochen zur ›wahren‹ indischen Geschichte dazu gehörten. War das Reich der muslimischen Moguln eine Epoche nationaler Einheit und Machtentfaltung oder eine Zeit islamischer Fremdherrschaft über Indien? Was bedeutete dies für die Stellung der Muslime in der Gegenwart? War Indien eine Nation oder zwei, welche Folgen sollte dies für die politische Struktur des unabhängigen Staates haben? Diese Fragen gewannen ihre Virulenz erst nach dem Ersten, mehr noch nach dem Zweiten Weltkrieg und zur Zeit der Teilung des Subkontinents, angelegt waren sie jedoch schon in der Historiografie des 19. Jahrhunderts.

3. Transnational, translokal, transregional? Vor dem Hintergrund dieser historischen Verzahnung von Geschichte und Nationalismus, in der Historiker es als ihre wichtigste Aufgabe angesehen hatten, durch ihre wissenschaftlichen Forschungen zur Nationsbildung beizutragen, wird erst deutlich, wie viel Sprengstoff die grundlegenden Interpretationskategorien im Programm einer transnationalen Geschichte bergen. Es geht um nichts Geringeres als darum, eine »Geschichtswissenschaft jenseits des Nationalstaates« (Osterhammel, 2001) zu entwerfen.

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Einleitung

Dieses Programm basiert ebenso auf Vorstellungen von der Historizität der Nation wie es auch zu ihrer Historisierung beiträgt. Wenn die Nation keine ›natürliche‹ Größe ist, sondern als Vorstellung zu bestimmbaren Zeiten von bestimmbaren Akteuren hervorgebracht wird, so ist sie auch für die Geschichtswissenschaft nicht Ausgangspunkt, sondern Gegenstand der Untersuchung. Es ist vehement diskutiert worden, ob das Programm einer trans-›nationalen‹ Geschichte weit genug ginge und ob nicht schon die Wahl des Begriffes dazu führe, die Nation, die durch die Vordertür entlassen wurde, durch die Hintertür wieder hereinzulassen. Wie kann man eine transnationale Geschichte für Epochen und Regionen schreiben, denen die Nation als Ordnungsmuster unbekannt war? Wird hiermit nicht wieder ein eurozentrisches Zulaufen der Geschichte auf die Entstehung von Nationalstaaten suggeriert, ihre Abwesenheit als Defizitgeschichte konzipiert? Daher ist vorgeschlagen worden, den Ausdruck ›transnational‹ durch ›translokal‹ (Freitag / von Oppen, 2005; 2010) oder ›transregional‹ (WIKO) zu ersetzen und die Nation dergestalt nur noch als eine Möglichkeit der Raumordnung unter anderen zu betrachten (g Kap. III.5). Diese Überlegungen müssen sehr ernst genommen werden. Wenn im Titel dieser Einführung dennoch von transnationaler und nicht translokaler oder transregionaler Geschichte die Rede ist, so deshalb, weil dem Begriff ›transnational‹ im Gegensatz zu seinen Alternativen eine doppelte Stoßrichtung zu eigen ist, die zu bewahren mir wichtig erscheint. Transnational bezieht sich zum einen auf die Untersuchung von Geschichte, die sich nicht in nationalen Grenzen erfassen lässt, sei es, weil sie sich auf kleinere oder größere Einheiten bezieht, sei es, weil sie sich in einem konzeptionellen Rahmen bewegt, in dem die Nation keine oder zumindest keine wichtige Kategorie darstellt. Das ›trans-‹ der transnationalen Geschichte bezieht sich hier auf eine empirische Erweiterung des Untersuchungsgegenstandes. Zum anderen aber, und das könnte aufs Ganze gesehen sogar noch wichtiger sein, geht es darum, durch transnationale Geschichte die Selbstverständlichkeit der Kategorie der Nation selbst infrage zu stellen.

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Transnational, translokal, transregional?

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Hier bezieht sich das ›trans-‹ auf das Transzendieren der Nation als einer Ordnungskategorie für die Geschichtsschreibung. Die Diskussion, ob und wie weit dies geschieht, wenn man die Nation einfach ignoriert, oder ob es nicht auch darum gehen muss, ihre Deutungsmacht und damit auch das Schwergewicht überlieferter Historiografien direkt und ausdrücklich zu hinterfragen, ist nicht abgeschlossen. Wir brauchen empirische Studien, die flexibel mit ihren Bezugsgrößen umgehen. Welchen Einfluss lokale, translokale, regionale, transregionale, nationale oder transnationale Faktoren hatten, lässt sich ja in den allermeisten Fällen nur erkennen, wenn der Maßstab der Untersuchung groß genug gewählt ist, um sie in Beziehung zueinander setzen zu können. Diese Studien können je nach Erfordernis mit dem Begriff der Nation arbeiten oder nicht. Dies allein aber reicht meines Erachtens nicht aus, um die enge methodische Verbindung zwischen Nation und Historiografie zu sprengen. Hierfür brauchen wir einen Rahmen, in dem diese Studien in Beziehung zu nationalen und kolonialen Meistererzählungen gesetzt werden, deren Beharrungskraft wohl manchmal unterschätzt wird. Diesen Rahmen kann die transnationale Geschichte bieten.

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III. Methodische Zugänge jenseits der Nation, 9783838535357, 2020

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III. Methodische Zugänge jenseits der Nation

Im Gegensatz zu den Forschungsrichtungen aus dem vorigen Kapitel, die eine lange Geschichte vorweisen können, sind viele der Ansätze, von denen jetzt die Rede sein soll, erst in den letzten Jahren entwickelt worden. Zwar sind Unterschiede zwischen den neueren transnationalen Forschungsbeiträgen durchaus erkennbar, zugleich jedoch lesen und kommentieren sich die Autoren gegenseitig, sie grenzen sich voneinander ab, aber sie nehmen auch Anregungen auf und modifizieren die eigene Position. Jede Ordnung und Klassifikation ihrer jeweiligen methodischen und theoretischen Grundannahmen ist daher bis zu einem gewissen Grade willkürlich. Stellt man etwa die Histoire croisée als eigenständigen Ansatz vor? Oder sieht man in ihr eine Unterform der Transfergeschichte, aus der sie sich entwickelt hat? Oder verortet man sie methodisch gar näher bei der Verflechtungsgeschichte? Fasst man die Überlegungen zur Globalgeschichte mit denen zur Weltgeschichte zusammen oder bewertet man die Unterschiede zwischen ihnen so hoch, dass sie zwei unterschiedliche Ansätze darstellen? Ebenso könnte man diskutieren, ob die Liste der untersuchten Ansätze nicht zu erweitern wäre – warum beispielsweise nur translokale Zugänge untersuchen und nicht auch transkulturelle oder transregionale? Das transnationale Forschungsfeld ist noch in heftiger Bewegung und es lässt sich heute noch nicht absehen, welche Taxonomien sich letztlich durchsetzen werden – dem soll hier nicht vorgegriffen werden. Ziel des Kapitels ist es vielmehr, einige Schneisen durch das Dickicht der Theorieangebote zu schlagen und vor allem Fragen und Probleme aufzuwerfen und zu diskutieren, denen sich künftige transnationale Forschung wird stellen müssen.

Connected History

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III. Methodische Zugänge jenseits der Nation, 9783838535357, 2020

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1. Connected History Das ›In-Frage-Stellen der Nation‹ als grundlegende Kategorie für die Geschichtsschreibung geht keineswegs nur oder auch nur primär von den (west-)europäischen Neuzeithistorikern aus. Vielmehr ist dieses Anliegen gerade für Forscher jener Epochen und Länder zentral, deren Akteure ihre Welt nicht durch nationale Narrative ordneten: Wenn die Nation (zumindest in ihrem modernen Sinn) in der Vorstellungswelt der Akteure keine Rolle spielt, etwa in der europäischen Antike, im vorkolonialen Amerika oder, mit Ausnahme einiger Eliten, in Indien bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts, macht eine trans-›nationale‹ Geschichte wenig Sinn. Für diejenigen, die sich mit Regionen beschäftigen, die dem europäischen Einfluss entweder direkt oder indirekt unterworfen waren, kommt hinzu, dass sich zumindest für die Neuzeit die Wahl, ob Geschichte als Beziehungsgeschichte oder lediglich als Entfaltung endogener Faktoren geschrieben werden soll, gar nicht stellt. Der Begriff der Connected History, der auf die enge Verwobenheit der quatre parties du monde (der vier Weltregionen der frühen Neuzeit) abhob, wurde zunächst im Umfeld der aus der Schule der Annales hervorgegangenen École des Hautes Études en Sciences Sociales (EHESS) in Paris geprägt. Serge Gruzinski, Lateinamerika-Historiker mit dem Schwerpunkt Frühe Neuzeit an der EHESS, untersucht in erster Linie die kulturellen Prozesse, die infolge der spanischen Eroberung abliefen. Schule der Annales Gruppe französischer Historiker, die sich seit den 1920er Jahren (Gründung der Zeitschrift Annales d’histoire économique et sociale 1929 durch Marc Bloch und Lucien Febvre) um die Öffnung der Geschichtswissenschaft gegenüber der Geografie und der Soziologie bemühten. In Abgrenzung von der Betonung der Ereignisgeschichte rückten nun längerfristig wirkende Kräfte, insbesondere die Wirtschaft und die Mentalitäten, in den Mittelpunkt.

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III. Methodische Zugänge jenseits der Nation, 9783838535357, 2020

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Dabei kommt es ihm darauf an zu zeigen, in welchem Ausmaß es zu kulturellen Mischformen – métissage ist der Ausdruck, den er verwendet – gekommen ist, die sich mit den herkömmlichen Methoden des Vergleichs oder auch der Beziehungsgeschichte zwischen zwei als stabil und homogen gedachten Einheiten nicht erfassen lassen (Gruzinski, 1999). Diese Mischformen sind aber nicht im Sinne einer »happy hybridity« (Ahuja, 2006, S. 112) zu verstehen, einer Zelebrierung multikultureller Gemengelagen, wie sie vor allem von Salman Rushdie wortgewaltig inszeniert und der vermeintlichen ›Reinheit‹ unvermischter Kulturen gegenüber gestellt werden (Rushdie, 1991). Vielmehr sind sie das Ergebnis einer Begegnung, die im Wesentlichen durch Gewalt gekennzeichnet war: in erster Linie die Gewalt der Eroberung, die Gewalt des bald darauf einsetzenden Sklavenhandels mit Afrika, aber auch – für die Spanier – die Gewalt der Revolten, der klimatischen Bedingungen und der Krankheiten. Nicht zwei oder drei Kulturen begegneten sich auf mittelamerikanischem Boden, jedenfalls nicht, solange man unter Kultur ein auch nur relativ stabiles, geordnetes und Ordnung schaffendes System versteht. Vielmehr kam es auf der Seite der Eroberer ebenso wie unter den Eroberten zu einer Fragmentarisierung der Kultur und dann vor allem zu einer Dekontextualisierung dieser Fragmente, die erst langsam wieder in einen neuen Kontext, eben jenen des métissage überführt wurde (Gruzinski, 1999, S. 77–81). Dabei war freilich der Spielraum, der einer Anpassung und Adaptation der Kultur – durch Indios, Afrikaner oder Spanier – eingeräumt wurde, ein anderer, je nachdem ob es sich um kirchliche Dogmatik, um Rituale und Praktiken oder um Kunst handelte. Weiterhin zeigt Gruzinski, dass die gegenwärtige Globalisierung keineswegs so neuartig ist, wie sie uns heute bisweilen erscheinen mag, sondern ihre Wurzeln bereits in der frühen Neuzeit hat (Gruzinski, 2004; 2008). Hat sich die Forschung bislang, wo sie überhaupt Verbindungen und Connected History ins Zentrum ihrer Untersuchungen stellte, hauptsächlich auf die Verbindungen zwischen der iberischen Halbinsel und Lateinamerika konzentriert, richtet Gruzinski seinen Blick darüber hinaus auf jene Verbindungen zwischen den vier Weltteilen, die nicht oder nur

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indirekt über Europa liefen: etwa auf die Beschreibung der Eroberung Amerikas in osmanischen Chroniken oder umgekehrt auf die Darstellung des Osmanischen Reiches aus der Feder eines Hamburger Chronisten, der sich in Mexiko als Buchdrucker niedergelassen hatte, oder auch auf das Auftauchen chinesischer Drachenmotive auf peruanischer Töpferware. Gruzinski räumt selbst ein, dass sein Stil pointilistisch ist. Er trägt eine Fülle unterschiedlicher Beobachtungen zusammen, oft aus ganz unterschiedlichen Zeiten und Regionen, die er wie kleine Farbtupfer nebeneinandersetzt, in der Hoffnung, dass sich daraus für den Leser ein zusammenhängendes Bild ergibt. Dies ist ein gewagtes Unterfangen, denn über die Beschreibung hinaus zur Analyse der treibenden Kräfte einer Epoche, zu ihrer Gewichtung gar, gelangt er mit diesem Verfahren kaum. Gruzinski überzeugt weniger durch die Schärfe des Arguments, als durch die Faszination seiner Bilder, seiner Schnitte und seiner Gegenüberstellungen, die sich mehr am zeitgenössischen Film als an der historischen Soziologie orientieren – ein bewusst eingesetztes Mittel, um das Offene und Fragmentarische kultureller Phänomene nicht durch die Struktur wissenschaftlichen Argumentierens in eine größere Kohärenz zu zwingen, als ihnen ursprünglich zu eigen ist. Die Leserin und der Leser, zumal wenn sie durch den Eindruck eines fehlenden Gesamtkonzepts irritiert sind, tun gut daran, sich in Erinnerung zu rufen, dass auch die Analysen der Historiker gar nicht denkbar wären ohne die mentalen Bilder der Vergangenheit, auf denen sie ruhen. In viel stärkerem Maße, als wir es uns oft einzugestehen bereit sind, sind es diese Bilder, die prägen, was wir für denkbar, für fragwürdig und damit auch für erforschenswert halten. Wenn es Gruzinski hier gelingt, transnationale Verbindungen denkbar zu machen, beim Leser ein ›So habe ich das noch nie gesehen‹-Gefühl hervorzurufen und damit seine innere Landkarte zu verändern, so trägt er damit wesentlich dazu bei, die »horizons de réflexion« auszuweiten (Gruzinski, 2001, S. 86) und so den Grundstein zu legen für einen neuen Blick auf die Geschichte.

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Sanjay Subrahmanyam teilt mit Serge Gruzinski das Anliegen, Verbindungen zwischen Regionen in der frühen Neuzeit aufzuzeigen und sie zu einer Connected History zu verbinden, doch unterscheidet sich sein Ansatz in einer ganzen Reihe von Punkten. Als ausgebildeter Wirtschaftshistoriker beschäftigte sich Subrahmanyam zunächst mit der Geschichte der portugiesischen Herrschaft in Indien, dann darüber hinausgreifend in Asien. Dies bettete er im Folgenden ein in Untersuchungen zu Staat und Gesellschaft in Südindien, aber auch zum Mogulreich und dessen Beziehungen nach Zentralasien. Aus seiner Zeit am EHESS in Paris stammen die Überlegungen zum Konzept der Connected History, die er gleichwohl niemals losgelöst von konkreten Fallstudien betreibt. Verallgemeinerungen seien zu wichtig, um sie den Generalisten zu überlassen (Subrahmanyam, 2005a, S. 136), daher gelte der Grundsatz: »We cannot safely attempt a macro-history of the problem without muddying our boots somewhat in the bogs of micro-history« (Ebd., S. 108). Wo Gruzinski pointilistisch arbeitet, ist Subrahmanyam ein Meister der Miniatur. Geschickt sucht er seine Fallbeispiele so aus, dass sich in ihnen globale Verbindungen bündeln. Dies kann ein Ereignis, ja sogar ein einzelnes Gespräch sein, dessen Ursprünge und Verästelungen über die Regionen hinweg durch detaillierte Archivstudien verfolgt werden. Ermöglicht wird dieser Ansatz durch seine außerordentlichen Sprachkenntnisse – es gibt wohl kaum jemanden anders, der in gleicher Weise Quellen auf Portugiesisch, Spanisch, Französisch, Holländisch, Italienisch, Persisch und in mehreren indischen Sprachen auswerten kann. Wollte man seinen Ansatz übernehmen, so bräuchte man ein ganzes Team von Spezialisten. Wenngleich Subrahmanyam sich kaum jemals explizit zu Theoriefragen geäußert hat, so lassen sich aus seinen Studien doch eine Reihe von Thesen ableiten. Erstens: Die Forschung ging lange Zeit von der Statik der vorkolonialen Gesellschaften aus, die erst durch die Begegnung mit dem Westen Dynamik gewann. Der These vom ewigen und bewegungslosen Orient wurde schon lange vor Subrahmanyam die historische Dynamik der Region entgegengehalten, die keineswegs

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erst mit der Kolonialisierung begann. Diese Bewegung auf der Zeitschiene ergänzt Subrahmanyam nun durch die These von der räumlichen Mobilität. Er verschiebt den Blick von den europäischen Reisenden, Händlern und Entdeckern auf ihre asiatischen Gegenüber, die keineswegs still darauf gewartet haben ›entdeckt‹ zu werden, sondern ihrerseits bereits eine hohe Mobilität aufwiesen (g Kap. IV.1). Untersuchungen zu diesem Thema reichen von Studien zu persischen Reisenden (Alam / Subrahmanyam, 2007) über einen Sammelband zu »Society and Circulation« (Markovits / Subrahmanyam / Pouchepadass, 2003) bis zu Forschungen über Handelsbeziehungen in der Bucht von Bengalen vor der Ankunft der Europäer (Subrahmanyam, 2005a, S. 45–80). Zweitens: Im Gegensatz zu Ansätzen, die von der Geschlossenheit regionaler Kulturen und den Differenzen zwischen ihnen ausgingen – von den klassischen Komparatisten bis zu Strukturalisten, historischen Anthropologen und Postkolonialisten – vertritt er die These, dass es zwar Unterschiede zwischen Kulturen gebe, diese jedoch nicht im Sinne einer gleichbleibenden Essenz zu verstehen seien, sondern ihrerseits schon Produkt der Geschichte und darüber hinaus ständigem Wandel unterworfen seien. Wie sich diese Differenzen in der Kommunikation auswirkten, ob sie die Verständigung behinderten oder gar unmöglich machten, welche Gemeinsamkeiten, Brücken, Mittler und Lernprozesse andernfalls zum Tragen kämen, könne nur am Einzelfall geklärt und nicht ein für allemal entschieden werden (ebd., S. 1–17; 2007). Drittens geht es Subrahmanyam darum, die grundsätzliche Offenheit der Geschichte zu unterstreichen und sowohl der Entscheidung der Akteure als auch dem Zufall einen Platz einzuräumen. Diese Abwehr jeglicher Teleologie betrifft vor allem, aber nicht nur die Entwicklung zum Nationalstaat. In einem faszinierenden kontrafaktischen Aufsatz überlegt Subrahmanyam, was passiert wäre, wenn Nadir Shah, der afghanische Herrscher, der zu Beginn des 18. Jahrhunderts Delhi eroberte, sich nach Ende der Plünderungen nicht zurückgezogen hätte, sondern – was durchaus zur Debatte stand und zu verwirklichen gewesen wäre – seine Herrschaft konsolidiert hätte zu einem Staat, der das

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heutige Afghanistan, Teile von Iran und Nordindien umfasst hätte. Dies hätte nicht nur die britische Kolonisierung für mindestens ein dreiviertel Jahrhundert verhindern können, sondern auch geopolitische Fakten geschaffen, denen sich die spätere britische Herrschaft hätte anpassen müssen. Statt einem indischen Nationalstaat von Kaschmir bis zur Südspitze des Subkontinents gäbe es dann womöglich einen, der von Nordindien bis Persien reichte, mit starken Verbindungen nach Zentralasien, und einen anderen, der das Hochland des Dekhan und den Süden umfasste und sich nach Südostasien orientierte (Subrahmanyam, 2005c). Zumindest im Kreise derer, die sich grundsätzlich um einen transnationalen Ansatz bemühen, sind diese Annahmen auf weitgehende Zustimmung gestoßen. Zu erforschen, wie sich Regionen begegnen und Verbindungen aufgebaut werden, es dabei zu vermeiden Differenzen festzuschreiben und sie statt dessen zu historisieren, das ist sicherlich ein Programm, dem sich viele anschließen können, auch wenn sie nicht alle den Versuch von Gruzinski billigen würden, diese frühneuzeitlichen Verbindungen als Vorgeschichte der gegenwärtigen Globalisierung zu deuten. Die Probleme liegen anderswo: Dass Verbindungen bestehen, haben Gruzinski und Subrahmanyam eindrucksvoll gezeigt. Doch woran entscheidet es sich, ob es zum Aufbau von connections, gar einer Connected History kommt? Welche Faktoren wirken in Richtung auf eine Verbindung, welche hingegen auf ihre Verhinderung oder auf den Abbruch bestehender Beziehungen? Welchen Stellenwert nehmen die Verbindungen ein, wie und warum wandelt sich dieser zu verschiedenen Zeiten (Zuniga, 2007)? Die Antwort auf diese Fragen bleibt der ansonsten überaus anregende Ansatz schuldig, hiernach muss an anderer Stelle gesucht werden.

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2. Transfergeschichte Auf den engen Zusammenhang zwischen Komparatistik und Transfergeschichte ist oben schon hingewiesen worden, ja, man kann sogar die Behauptung wagen, dass die Transfergeschichte in ihrer jetzigen Form wesentlich in Abgrenzung zur vergleichenden Geschichte entstanden ist. Wenn Michel Espagne, französischer Deutschlandhistoriker und einer der Vordenker des transfert culturel, die Rolle der Transfergeschichte als eine »rückwärtsgewandte Dekonstruktion identitärer Gewissheiten« beschreibt (Espagne, 2000, S. 44), so entwirft er damit ein gleichermaßen politisches wie auch wissenschaftliches Programm. Politisch soll sich die Geschichtsschreibung nicht länger in den Dienst des Nationalstaates oder anderer Gemeinschaften nehmen lassen, deren Identität sie so lange historisch untermauert hat. Wissenschaftlich werden Gemeinschaften historisiert – sie sind nicht gegeben, sondern durch kommunikative Praktiken hervorgebracht und unterliegen einem steten Wandel. Vor allem gehen die Gemeinschaften nicht länger den Transfer- und Austauschprozessen voraus, in dem Sinne, dass zwei bereits identifizierbare und beschreibbare Gemeinschaften in einem zweiten Schritt in Kontakt miteinander treten, sondern der Transfer ist konstitutiv: Erst er bringt die Gemeinschaften hervor (Espagne, 1994; 2003). Auch komparatistischen Ansätzen kann der Impuls zugrunde liegen, durch ihre Forschung Grenzen zu überwinden. Es besteht jedoch die Gefahr, so führen die Vertreter der Transfergeschichte aus, dass sie letztlich doch wieder zu einer Vertiefung der Grenzen beitragen, denn im Zentrum jeden Vergleichs steht die Differenzbestimmung: Gäbe es die Differenz nicht, würde der Vergleich in sich zusammenfallen. Die Vergleichseinheiten, derer die komparative Geschichtsschreibung sich bedient und die sie getrennt voneinander betrachten muss, um sie dann in ein analytisches Verhältnis zu setzen, bestehen nach Auffassung ihrer Kritiker nicht ›von Natur aus‹ (hierin unterscheiden sie sich von den Äpfeln und Birnen), sondern sind ein Konstrukt der Historiker – und zwar eines, auf das die Komparatistik nicht verzichten kann und das sie zudem, zumindest für die Dauer des Verglei-

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ches, stabil halten muss. Ein Vergleich zwischen Einheiten, die sich ändern oder deren Grenze sich verschiebt, macht wissenschaftlich keinen Sinn. Zumindest solange, wie die Komparatistik an der Vorstellung festhält, dass der Vergleich dem Historiker einen Ersatz für Experimente zu bieten vermag, und sie mit seiner Hilfe Relationen zwischen Faktoren feststellen kann, die über die untersuchten Einzelfälle hinaus Gültigkeit haben, führt jede Art von Beziehungen zwischen den Untersuchungsobjekten, seien es Transfers oder ein gemeinsamer Ursprung, zur Störung des ›Experiments‹ und zur Einschränkung seiner Aussagekraft (Kleinschmidt, 1991). Ein fiktives Vergleichsprojekt mag dies verdeutlichen. Nehmen wir an, es würde der Zusammenhang zwischen künstlerischer Produktivität und der Entwicklung von Nudelgerichten untersucht: Vergleichsobjekte könnten in diesem Fall Italien und China sein, das tertium comparationis wäre, dass es sich in beiden Fällen um Hochkulturen mit einer langen Geschichte handelt. Historiker könnten sich nun ausführlich der Geschichte der Nudelgerichte in beiden Ländern widmen, sie könnten den Konsum von Nudeln pro Person in Beziehung setzen zur Produktion von Gedichten und Gemälden, sie könnten die Essgewohnheiten der Künstler untersuchen und sogar interdisziplinär mit Hirnforschern zusammenarbeiten, die Testreihen zur Auswirkung des Nudelkonsums auf Areale des Gehirns, in denen man derzeit das Zentrum für Kreativität vermutet, beisteuern. Aber auch wenn das Projektdesign beliebig verfeinert würde – da Marco Polo die Nudeln von China nach Italien gebracht hat und es sich mithin um eine Transfergeschichte handelt und nicht um die Entfaltung endogener Faktoren, lässt sich die Fragestellung an dieser Konstellation nicht untersuchen. Gegenüber der klassischen Komparatistik verzichtet die Transfergeschichte auf die Untersuchung von generalisierbaren Zusammenhängen zwischen Einzelfaktoren (nicht aber auf die Frage nach dem ›Warum‹ des Transfers): Matthias Middell definiert Transfer als

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[…] die Bewegung von Menschen, materiellen Gegenständen, Konzepten und kulturellen Zeichensystemen im Raum und dabei vorzugsweise zwischen verschiedenen, relativ klar identifizierbaren und gegeneinander abgrenzbaren Kulturen mit der Konsequenz ihrer Durchmischung und Interaktion. (Middell, 2000, S. 18)

Deutlich wird anhand dieser Definition, dass auch die Transfergeschichte auf Grenzziehungen nicht völlig verzichten kann, doch liegt das Schwergewicht der Untersuchungen auf den Veränderungen, die diese Grenzziehungen durch Austausch erfahren. Die Differenz wird gerade nicht stabil gehalten, sondern historisiert und relativiert – Fremdheit existiert, doch der Andere »ist nur ein bisschen anders« (Osterhammel, 2001, S. 78). Statt der Betonung von Dichotomien kommen dabei die Mischformen in den Blick: Jede Gemeinschaft, auch diejenige, die sich vehement vom Anderen abgrenzt, trägt in sich schon die Spuren einer früheren Begegnung, eines vorgängigen Transferprozesses. Bis zu diesem Punkt unterscheidet sich die Transfergeschichte noch nicht sehr von der Connected History, denn auch dort geht es um Bewegungen im Raum, um Menschen, Artefakte und Ideen, die von einem Ort zum anderen gehen oder transportiert werden. Jedoch erlaubt der Begriff des Transfers gegenüber dem der connection, den Vorgang in einer Reihe von Punkten schärfer zu fassen und präziser zu operationalisieren. Die erste Frage, mit der sich Transfergeschichte auseinandersetzen muss, ist die nach den Ursachen des Transfers. Auch wenn man postuliert, dass Transfer, dass Kulturbegegnungen überall und ständig stattfinden, so setzt sich dieser übergreifende Transfer aus vielen Einzeltransfers zusammen, die nicht ›einfach so‹ geschehen, sondern in spezifischen Situationen, durch spezifische Akteure, aus spezifischen Motiven initiiert werden. Die Antriebskräfte können entweder in der Ausgangskultur verortet sein (push factors) oder in der Rezeptionskultur (pull factors). Ausgehend von den deutsch-französischen (Espagne / Werner, 1988a), später dann auch den deutsch-englischen Beziehungen (Muhs / Paulmann / Steinmetz, 1998), liegt der Fokus der Transferforschung bislang auf der Seite der aufnehmenden Kultur. Es wird hervorge-

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hoben, dass ein Transfer nur dann gelingen kann, wenn ein Bedürfnis danach besteht, d. h. wenn er eine bestimmte Aufgabe innerhalb der Rezeptionskultur erfüllt – etwa die französische Orientierung am deutschen Primarschulwesen nach dem Krieg von 1870/71, in der Hoffnung, damit eine Verschiebung des außenpolitischen Machtverhältnisses herbeizuführen. Ähnliches kann auch für die gegenseitige Beobachtung und Beeinflussung im Bereich der sozialen Frage und der Lösungsangebote von Zivilgesellschaft und Staat zwischen Großbritannien und dem Deutschen Reich im 19. Jahrhundert gezeigt werden (Ritter, 1983). Etwas unterschiedlich freilich stellt sich das Problem dar, wenn man es aus der Perspektive der kolonialen Geschichte betrachtet. Anders als in Europa war es hier schon seit dem 19. Jahrhundert unumstritten, dass eine Geschichte der Kolonien nicht ohne Bezug auf den Transfer von Ideen und Institutionen aus den Metropolen zu schreiben sei und dass die Dynamik für diese Entwicklung nicht oder zumindest nicht ausschließlich in der Rezeptionskultur zu finden sei. Stellten die frühen Narrative der Historiker den ›Zivilisierungsprozess‹ in den Mittelpunkt – sei es, dass er sich aus einem angenommenen Kulturgefälle gleichsam von selbst ergab, sei es, dass er als Ergebnis einer ›Zivilisierungsmission‹ gedeutet wurde –, so betonen jüngere Texte aus dem Umfeld der postkolonialen Studien den Zusammenhang von Kultur und Macht. Die Übernahme der kolonialen Kultur und ihrer Wissenssysteme war nicht nur zu keinem Zeitpunkt eine freie Entscheidung der Akteure der Rezeptionskultur; die Schaffung kolonialer Deutungsmuster trug auch erheblich zur Stabilisierung der kolonialen Herrschaft bei (Said, 1978; Viswanathan, 1989). Doch auch hier gilt es, sich nicht ausschließlich auf der Makroebene zu bewegen und sich nur mit den Interessen ›der‹ Kolonialmacht und ›der‹ Kolonie zu beschäftigen. Denn schaut man sich im Gegenzug einzelne Interessengruppen und Akteure an, die als Mittler in konkreten Transferprozessen tätig waren, so ergibt sich ein differenziertes Bild nicht nur von den Interessen, die auf beiden Seiten verfolgt wurden, sondern auch von überraschenden Allianzen – nicht notwendig zwischen Gleichen, aber auch nicht als reines Gewaltverhältnis. So begegneten

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sich zum Beispiel in den 1840er Jahren am Delhi College, einer kolonialen Bildungseinrichtung, die danach strebte, westliches Wissen sowohl in einheimischen Sprachen wie auch auf Englisch zu vermitteln, nicht ›die‹ Briten und ›die‹ Inder. Vielmehr war das College für beide Seiten ein Element in einem komplizierten Prozess der Neuformulierung von Allianzen. Bestimmten Gruppen in Delhi bot es die Möglichkeit, durch Bildung ihre gesellschaftliche Stellung gegenüber anderen Gruppen zu verbessern – und auch unter den Briten war heftig umstritten, ob diese Bildungspolitik der richtige Weg sei, die Kolonie zu beherrschen (Pernau, 2006). Die zweite Frage, die sich bei der Untersuchung von Transferprozessen stellt, ist die nach den Selektionskriterien, da es niemals zum Transfer einer gesamten Kultur, sondern immer nur von ausgewählten Aspekten kommt. Im Gegensatz zur ähnlich lautenden Frage in der Komparatistik geht es hier aber nicht mehr um eine Auswahl, die der vergleichende Historiker im Lichte seiner Forschungsinteressen vornimmt, sondern um die Untersuchung, vor welchen Alternativen die Akteure standen, wie und warum sie sich für die eine oder andere Möglichkeit entschieden und wie sie diese Wahl legitimierten, aber auch, welche Diskussionen sich um diese Selektionskriterien entsponnen, wo es Widerstand gab und wie und warum sich bestimmte Positionen durchsetzten. Die dritte Frage richtet sich auf die Ergebnisse des Transfers. Wie oben ausgeführt, erfolgen die meisten Transfers mit dem Ziel, eine Veränderung auszulösen. Gewöhnlich ist zunächst einmal eine Veränderung in der Rezeptionskultur beabsichtigt – ob es um so große Transformationsprozesse wie ›Zivilisierung‹, ›Modernisierung‹ oder ›Entwicklung‹ geht oder bescheidener um das Streben nach Erhöhung der Effektivität der Sozialfürsorge, die im späten 19. Jahrhundert immer wieder britische Beobachter nach Deutschland führte; auch die Legitimation des ›Sturm und Drangs‹ durch die Übersetzung der Shakespeare-Dramen beinhaltete eine Transferleistung. Zugleich bleibt auch die Ausgangskultur vom Transferprozess selten völlig unberührt. Die Untersuchung etwa, wie der Kolonialismus auf die Metropolen zurückge-

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wirkt hat, bildet seit einigen Jahren eine eigene Forschungsrichtung (g Kap. III.4.) Doch gilt es zu differenzieren: Häufig handelt es sich hier nicht einfach um die Umkehr des Transferprozesses (obwohl auch dies durchaus vorkommt – man denke nur an die Auswirkungen der Migration in die europäischen Metropolen), sondern um die Veränderungen, die das Bewusstsein auslöst, die eigene Kultur oder Elemente von ihr erfolgreich in andere Räume exportiert zu haben. Zumal wenn der Transfer bewusst geschieht und auch als solcher im Gedächtnis der Ausgangs- und der Rezeptionskultur bewahrt wird, verändert er fernerhin das Verhältnis der beiden Kulturen zueinander: Bei Gruppen, die sich im Prinzip als gleichwertig empfinden und zwischen denen die Transferprozesse in beide Richtungen verlaufen, führt eine als wechselseitiger Austausch wahrgenommene Geschichte zu Gemeinschaftsgefühl. Daher ist es kein Zufall, dass seit einigen Jahren die Untersuchungen zur Transfergeschichte innerhalb der Europäischen Union Hochkonjunktur haben. Anders sieht es aus, wenn der Transfer über längere Zeit nur in eine Richtung verlaufen ist. In diesem Fall ist nicht Gemeinschaftsbildung, sondern im Gegenteil Hierarchisierung des Verhältnisses das Ergebnis. Das letzte Element, das sich beim Transfer verändert, ist das Transfergut selbst. Dessen Veränderungen können sich auf den Inhalt beziehen, etwa wenn es nicht vollständig übertragen wird, wenn es missverstanden oder umgedeutet wird; sie können aber auch dadurch zustande kommen, dass jeder Transfer notwendig eine Dekontextualisierung und eine Rekontextualisierung beinhaltet, d. h. dass das Transfergut aus seinem Ursprungskontext in der Ausgangskultur herausgelöst wird, der ihm bislang seinen Sinn und seine Bedeutung verlieh, und in der Rezeptionskultur in einen neuen Kontext eingebettet und so mit neuer Bedeutung ausgestattet wird. Ein Transfer kann gelingen, er kann aber auch scheitern. Gelungen ist ein Transfer, wenn es zur Rezeption in der Zielkultur kommt. Diese Rezeption kann wiederum ganz unterschiedliche Formen annehmen. Das Fremde kann abgesondert werden und als Fremdes gekennzeichnet bleiben; es kann angeeignet werden, hier ist es zwar noch als fremd markiert, hat jedoch schon einen

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Transformationsprozess durchlaufen; es kann weiterhin durch Akkulturation in einer Weise und in einem Ausmaß in den neuen Kontext integriert werden, dass sein fremder Ursprung vergessen wird. Dieser Vorgang spielt vor allem eine Rolle, wenn es um die Schaffung von ›Nationalkulturen‹ geht, die als endogene Entwicklungen gedeutet werden sollen. Ein Transfer kann auch scheitern, weil das fremde Kulturgut ignoriert wird, sich Widerstand dagegen erhebt oder es schlichtweg verboten wird. Um noch einmal zum kulinarischen Beispiel zurückzukehren: Das Fremde als Fremdes wäre ein Restaurant in Italien, das chinesische Nudelgerichte anbietet, in der gleichen Form wie sie auch in China angeboten werden. Häufiger wird es zu einem Transformationsprozess kommen, d. h. die Nudeln behalten ihren chinesischen Ursprung, werden jedoch dem italienischen Geschmack angepasst, etwa mit weniger scharfen Gewürzen zubereitet. Die Akkulturation wären die italienischen Nudelgerichte, die außer den Nudeln mit ihrem (vergessenen) chinesischen Ursprung nichts mehr gemein haben und durch die Entwicklung einer Vielzahl neuer Soßen zu italienischen Nationalgerichten geworden sind. Ignoriert würde ein Kulturimport, wenn eine bestimmte Küche einfach keine Kunden findet, wie es z. B. in Europa lange Zeit für die Restaurants der verschiedenen afrikanischen Regionen zutraf; Widerstand würde sich gegen Restaurants richten, die Wasserratten und frittierte Vogelspinnen auf der Speisekarte hätten, die Grenze zum Verbot dürfte hier fließend sein.

3. Histoire croisée Der Ansatz der Histoire croisée – verbunden vor allem mit den Namen Michael Werner und Bénédicte Zimmermann (Werner / Zimmermann, 2002; 2004; 2006; die engl., dt. u. frz. Version setzt jeweils unterschiedliche Schwerpunkte) – greift Gedanken auf, die Michael Werner und Michel Espagne schon früh in einem gemeinsamen Projekt zum deutsch-französischen Kulturtransfer entwickelt hatten (Espagne / Werner, 1988). Der Unterschied zur Transferforschung liegt zum einen in der Aufgabe der strikten

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Ablehnung des Vergleichs und stattdessen seiner Integration, zum anderen in einer wesentlich präzisere Ausarbeitung der theoretischen Voraussetzungen der Forschung, besonders im Hinblick auf die Bedeutung der Rolle des Forschers und der verschiedenen Blickwinkel, aus denen er den Transfer betrachten und analysieren kann (Lüsebrink / Reichardt, 1997). Kreuzungen finden in der Histoire croisée auf drei verschiedenen Ebenen statt. Erstens geht es um den historischen Transferprozess, d. h. um die Bewegung von Menschen, Ideen, Institutionen und Gütern aus einem Kontext in einen anderen. Diese Bewegung erfolgt kaum jemals nur in eine einzige Richtung. Dem Transfer gehen Beobachtungen und Begegnungen voraus. Ist es zur Anpassung des Transferguts an einen neuen Kontext gekommen, so kann es zum Re-Transfer kommen, beispielsweise in der Gestalt eines italienischen Restaurants in Shanghai oder in Form von Praktiken, mit denen die Kolonialherren in den Überseegebieten erfolgreich experimentiert haben und die erst dann in der Metropole eingeführt wurden, wie z. B. der polizeiliche Gebrauch von Fingerabdrücken. Zweitens überkreuzen sich in der Analyse von Transfers verschiedene nationale Traditionen der Forschung – das reicht von einer unterschiedlichen Geschichte der Historiografie bis zu unterschiedlichen Archivstrukturen. Eine Frage, die sich nicht in die bislang in einem Land untersuchten Fragen einfügt, lässt sich unter Umständen nur sehr schwer beantworten. Drittens kreuzen sich auch in der Gegenwart die Perspektiven, mit denen Wissenschaftler sich ihrem Gegenstand nähern. Wenn eine Transfergeschichte unter Umständen aus dem Blickwinkel entweder der Ausgangs- oder der Rezeptionskultur untersucht werden kann, so erhebt die Histoire croisée den Anspruch, zwischen den Perspektiven zu wechseln, ihre gegenseitige Interaktion zu beobachten und sie zueinander in Beziehung zu setzen. Dies hat Konsequenzen auch für die Organisation der Forschung: Nicht nur der Forschungsgegenstand, auch die Forschung selbst muss transnational, muss über Grenzen hinweg dialogisch werden. Auch wenn sicherlich vermieden werden muss, Forscher auf ihren kulturellen Hintergrund zu reduzieren, so sind sie doch ge-

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Histoire croisée

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wöhnlich in der einen oder anderen Perspektive wissenschaftlich sozialisiert worden – das Einnehmen einer deutschen und einer französischen Perspektive mag daher für einen französischen Forscher anders aussehen, als für seinen deutschen Kollegen (Juneja / Pernau, 2009; Werner / Zimmermann, 2002). Anders als die vergleichende historische Soziologie und die traditionelle vergleichende Geschichtswissenschaft geht die Histoire croisée nicht davon aus, dass sie frei sei in der Konstitution ihres Forschungsgegenstandes und -interesses und dass sie ihre Interpretationen gleichsam auf eine tabula rasa schreiben könne. Ansätze der Anthropologie, vor allem Clifford Geertz’ Konzept der ›dichten Beschreibungen‹ aufgreifend (obwohl er an keiner Stelle zitiert wird), gilt es hier zunächst einmal die Spuren vergangener Interpretationen aufzuzeigen (Geertz, 1983). Dichte Beschreibung Die genaue, ›mikroskopische‹ Beschreibung von Phänomenen in ihrem je spezifischen Kontext. Der Fokus liegt dabei ebenso auf der Beobachtung von Fakten wie auf der Rekonstruktion der kulturellen Bedeutung, mit der die Akteure diese Fakten versehen. Der Wissenschaftler kann daher die Fakten nicht unmittelbar interpretieren, sondern nur eine Interpretation zweiter Ordnung vornehmen, die die ihm vorgegebene Interpretation der Akteure in Rechnung stellt. Der Ansatz wurde in der Ethnologie entwickelt, von der Historischen Anthropologie aufgegriffen und verbreitete sich von dort in die übrige Geschichtswissenschaft. Nicht erst die Historiker, sondern schon die Zeitgenossen beider Kulturen beobachteten die Transferprozesse und interpretierten sie; das Gleiche trifft zu für die wissenschaftlichen Interpretationen durch die beiden historiografischen Traditionen, die der gegenwärtigen Forschung vorangehen. Der Historiker kann sich seinem Gegenstand nicht direkt nähern, sondern immer nur durch die vorgegangenen Interpretationen hindurch. Gerade für Geschichtsschreibung, die sich zwischen Kulturen bewegt, ist die ständige Selbstreflexivität eine grundlegende Voraussetzung.

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Ebenso wie die Perspektiven ständig und bewusst gewechselt werden, um den Gegenstand von allen Seiten erfassen zu können, so gilt es auch, unterschiedliche Maßstäbe an die Geschichte anzulegen. Dies bezieht sich zunächst einmal auf die geografischen Maßstäbe: Transfergeschichte kann niemals nur aus der Mikrooder nur aus der Makroperspektive erzählt werden. Vielmehr gilt es, zwischen lokalen, regionalen, nationalen und globalen Bezügen zu wechseln, ganz nahe heranzugehen, aber dann auch wieder aus der Distanz zu schauen und vor allem die unterschiedlichen Ausschnitte, die sich aus diesem Vorgehen ergeben, zueinander in Beziehung zu setzen. Transfer kann auf der individuellen Ebene untersucht werden, etwa wenn eine Gruppe von Vermittlern – zum Beispiel Bildungsexperten – namentlich bekannt ist und zudem noch Quellen hinterlassen hat, die darüber Aufschluss geben, aus welchen Gründen sie bestimmte Modelle auswählten, warum sie sich zum Beispiel für eine Anpassung an das amerikanische Hochschulsystem einsetzten, mit welchen Widerständen sie konfrontiert waren und mit welchen Interessenvertretern sie sich verbündeten. Neben diesen namentlich bekannten Individuen wird der Transfer aber häufig auch durch anonyme Gruppen beeinflusst, durch Studenten und Dozenten, die ihre eigenen Vorstellungen von universitärer Bildung haben, durch Journalisten, durch Wähler oder durch Migranten. Schließlich spielen Institutionen bei den meisten Transfers eine wichtige Rolle – Hochschulorganisationen, Ministerialbürokratien und letztlich die Landesparlamente oder EU-Gremien, die über die Einführung der Universitätsreform entscheiden (Kortländer, 1995). Wechselnde Maßstäbe gilt es nicht nur in räumlicher Hinsicht zu berücksichtigen, sondern ebenso auch in zeitlicher. Hier kommt vor allem das Wechselspiel zwischen dem einzelnen Ereignis, der kurzfristigen Konjunktur und langfristig wirksamen Faktoren ins Spiel, das einen jeweils unterschiedlichen Blick auf Transferprozesse erlaubt. Die Bedeutung des ständigen Wechsels des Maßstabes liegt darin, dass die Transferobjekte – ob es nun Güter, Menschen oder Ideen sind – auf den verschiedenen Ebenen eine je unterschiedliche Bedeutung haben können, ohne jedoch unabhängig voneinan-

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Histoire croisée

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der zu sein. Daher gilt es, diese Bedeutungen zueinander in Beziehung zu setzen (und immer wieder auch nachzuspüren, wie die Zeitgenossen und früheren Historiker sie zueinander in Beziehung gesetzt haben) und zu untersuchen, wie sie sich beeinflusst, ja wie sie einander konstituiert haben – sowohl innerhalb jeder einzelnen Kultur als auch in ihrer Begegnung (Werner, 1995). Wie zu Anfang angedeutet, diskutieren die Vertreter der verschiedenen Ansätze, die sich mit der Erforschung der Geschichte jenseits nationaler Grenzen befassen, intensiv miteinander. Die Positionen sind nicht statisch, sondern bewegen sich aufeinander zu oder voneinander fort; Ansätze spalten sich ab, wie wir es für das Verhältnis von Histoire croisée und Transfergeschichte gesehen haben, andere fließen zusammen. Besonders intensiv war diese Diskussion – zumal in Deutschland – zwischen der Transfergeschichte und der Komparatistik. Entwickelte sich die Transferforschung zu Beginn in Opposition zur klassischen Vergleichsgeschichte, so suchte die Histoire croisée, wie wir sahen, bereits nach Wegen, diesen Gegensatz zu überbrücken und vergleichende Fragen in ihren Ansatz einzubeziehen. Umgekehrt gibt es nur noch sehr wenige vergleichende Arbeiten, die Transferprozesse völlig ignorieren (Kaelble / Schriewer, 2003; Kocka, 1999; Paulmann, 1998a + b). In drei Bereichen kann man eine Annäherung von Vergleich und Transfergeschichte beobachten. Erstens: Das Erkenntnisinteresse des Vergleichs verschob sich, ohne dass dies wirklich diskutiert wurde. Bis in die siebziger Jahre hinein dominierte die Frage nach den historischen Gesetzen, nach der Erfassung von allgemein gültigen Zusammenhängen zwischen einzelnen Faktoren; dies spiegelte die Abgrenzung der Geschichtswissenschaft vom Historismus wider, ihre Annäherung an die Soziologie und ihr Ziel, zu einer historischen Sozialwissenschaft zu werden. In diesem Zusammenhang wurde dem Vergleich die Rolle eines Ersatzexperiments zugesprochen. Ab den achtziger Jahren jedoch wandte sich die Geschichtswissenschaft vor allem unter dem Einfluss der neueren Kulturgeschichte, aber auch des linguistic turn und des Konstruktivismus, weitgehend von der Suche nach allgemeinen Gesetzmäßigkeiten ab, ohne jedoch zum Historismus zurückzukehren.

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Linguistic turn Aus der Sprachphilosophie entwickelte Theorie, die betont, dass Sprache für die Beschreibung und damit auch für die Erfahrbarkeit von Wirklichkeit eine zentrale Bedeutung hat. Die Regeln der Sprache und der Sagbarkeit bestimmen damit die Möglichkeiten des Zugangs zur Geschichte – die Vergangenheit ist nur durch sprachlich verfasste Texte und als Text lesbar. Damit veränderte sich auch die Zielsetzung des Vergleichs. Wenn es nun darum ging, das jeweils Spezifische deutlicher sichtbar zu machen und nicht mehr allgemeine Kausalitäten aufzuzeigen und historische Makromodelle zu entwickeln, verlor auch der Galton’sche Einwand, dass ein Vergleich sauber nur zwischen Einheiten durchgeführt werden kann, die vorher in keiner Beziehung miteinander standen und auf keinen gemeinsamen Ursprung zurückblicken (g Kap. II.3), einen Gutteil seiner Bedeutung. Zweitens: Transfer und Vergleich, zumindest der Vergleich in seiner gewandelten Form und Zielsetzung, schließen sich nicht aus, die Transfergeschichte bedarf des Vergleichs. Am Anfang jedes Transferprozesses steht eine Differenzbestimmung durch die zeitgenössischen Akteure, die von den Historikern nachzuzeichnen ist. Gingen die Akteure nicht von einem Unterschied zwischen der Ausgangskultur und der Rezeptionskultur aus, einem Unterschied, den sie nur durch einen Vergleich erfassen konnten, so fehlte die Motivation für den Transfer. Dabei ist es für die Analyse unwesentlich, ob die Akteure aus heutiger Perspektive ›recht‹ hatten oder nicht – auch die Diagnose eines ›zivilisatorischen Rückstandes‹ der Kolonien als Ergebnis eines Vergleichs konnte einen Kulturtransfer in Gang setzen. Geht man weiterhin von der These aus, dass es infolge eines Transfers zu Veränderungen kommt – in der Ausgangs- und Rezeptionskultur, aber auch im Transferobjekt – so lassen sich diese Veränderungen nur durch einen zeitlichen und geografischen Vergleich sauber erfassen. Drittens: Der Vorwurf, der Vergleich würde zu einer Essentialisierung nationaler Grenzen und Differenzen führen, greift nur

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noch teilweise. Die Anregung der Histoire croisée, Maßstäbe flexibel einzusetzen, ist von der Komparatistik aufgegriffen worden und führte dazu, dass der nationale Vergleich viel von seiner Selbstverständlichkeit verloren hat. Je nach Untersuchungsgegenstand behält er jedoch seine Legitimität – dass die Nation nicht ›natürlich‹ gegeben, sondern sozial konstruiert ist, bedeutet ja nicht, dass diese Konstruktion nicht zu bestimmten Zeiten ungeheuer wirksam war. Der Vergleich von Transferprozessen, die aus der Sicht der Akteure zwischen Nationen stattgefunden haben, tut gut daran, die Nation als einen zentralen Maßstab in die Untersuchung einzubeziehen. Offen bleibt derweil noch, wie die von den meisten Forschern als wichtig erachtete Erweiterung der Transfergeschichte von einem bipolaren zu einem multipolaren Austausch methodisch und forschungspraktisch zu bewältigen ist. Zu denken wäre dabei an den Transfer zwischen drei oder mehr Ländern: etwa die gegenseitige Beobachtung der Kolonialmächte, die zu Übernahme oder Abgrenzung von bestimmten Praktiken der anderen führte. Nötig ist damit nicht nur die Erfassung der Transfers zwischen zwei Metropolen und ihren Kolonien, sondern auch des Transfers zwischen den Metropolen, zwischen den Kolonialbeamten in den Kolonien und unter Umständen auch zwischen den Kolonisierten (Lindner, 2009). Anders liegt das Problem im Falle eines Transfers, der nicht direkt zwischen zwei oder mehr Regionen, Nationen oder Kulturen stattfindet. In diesem Fall kann entweder ein transnationaler Ort zwischengeschaltet werden, d. h. ein Ort, der seine Funktion aus dem Austausch und Umschlag, nicht aus der Beziehung zum Hinterland bezieht. Das klassische Beispiel wäre der Flughafen (Augé, 1995). Oder diese Funktion kann von einer transnationalen Gemeinschaft übernommen werden, wie etwa dem internationalen Historikerverband (Rößner, 2006). Offen ist bislang auch, wie sich das Modell des Kulturtransfers, das von mehr oder weniger gleichberechtigten Partnern ausgeht, auf die Untersuchung von asymmetrischen Machtbeziehungen ausdehnen lässt. Zwar ist auch bisher die Kategorie der Macht durchaus nicht vernachlässigt worden, doch handelte es sich in

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4. Verflechtungsgeschichte und New Imperial History Das Weitergeben und Kopieren dieses Dokuments ist nicht zulässig.

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der Regel um Machtverhältnisse, die nur eine begrenzte Reichweite hatten und nicht den Transferprozess in seiner Gesamtheit prägten. Eine systematische Zusammenführung der Überlegungen zur Transferforschung und insbesondere zur Histoire croisée und der Kolonialgeschichtsschreibung – sicherlich dem Bereich der Historiografie mit der längsten Tradition in der Erforschung von Transferprozessen – ist erst in allerersten Ansätzen erfolgt (Osterhammel, 2003; Raj, 2004). Dies bleibt ein wichtiges Desiderat.

Die Diskussion um die Transfergeschichte und Histoire croisée wird in erster Linie von französischen und deutschen Historikern getragen, ihr Forschungsfeld ist – von wenigen Ausnahmen abgesehen – die westeuropäische Geschichte. Aus Westeuropa beziehen sie ihre wichtigsten Anregungen, in Westeuropa werden sie auch in erster Linie rezipiert. Die Ansätze zur Verflechtungsgeschichte (englisch: Entangled History) hingegen haben sich zunächst im angelsächsischen Raum entwickelt. Ihr zentrales Forschungsfeld ist die Geschichte des britischen Empire, hier wird sie oft synonym mit der New Imperial History verwandt. Eine Verflechtungsgeschichte lässt sich im Prinzip auch für andere Regionen denken, nur hat sie dort bislang eher wenige empirische Studien hervorgebracht. Von der Transfergeschichte und der Histoire croisée unterscheidet sie sich im Wesentlichen durch die Breite ihres Zugangs: Verflechtung geht nicht auf in einer Summe von Einzeltransfers mit klar definierbaren Anfangs- und Endpunkten, obwohl auch der Verflechtungsgeschichte Transferprozesse zugrunde liegen. Die Austauschbewegungen erfolgen stets in beide Richtungen zugleich, so dass sich nicht mehr ausmachen lässt, welches die Ausgangsund welches die Rezeptionskultur ist. Darüber hinaus beeinflussen und bedingen sich diese gegenläufigen Bewegungen in einem solchen Maß gegenseitig, dass sie für Analysezwecke kaum zu trennen sind. Sie addieren sich nicht nur, sondern multiplizieren sich häufig. Ob es koloniale Begegnungen waren, die das Bild

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Verflechtungsgeschichte und New Imperial History

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vom Orient in der Reiseliteratur des 18. Jahrhunderts prägten, oder ob diese Begegnungen bereits durch ein vorgängiges Orientbild und durch das Bild, das die Orientalen vom Westen hatten, geformt waren, gleicht zuweilen der Frage nach dem Ursprung von Henne und Ei. Allerdings lassen sich diese Prozesse nicht als eine säuberliche Abfolge darstellen (der Reisende schreibt ein Buch, das der nächste Orientreisende liest und das seine Begegnung prägt, die in sein Buch eingeht, das der nächste Orientreisende liest …). Vielmehr haben die Prozesse eine Vielzahl von unterschiedlichen Akteuren, vielfältige Ursachen und vielfältige Wirkungen. Es ist also – um im Bild zu bleiben – als ob jedes Ei von vielen Hennen gelegt und jedes Küken aus vielen Eiern zugleich schlüpfen würde. Die Ansicht, dass die imperiale Herrschaft, die Europa ausübte, materielle und kulturelle Spuren in Europa selbst hinterließ, wurde auch in Teilen der älteren Imperialismusforschung vertreten, stand aber nur in Ausnahmefällen im Mittelpunkt des Interesses. Man denke etwa an Hannah Arendts These, dass der Totalitarismus durch die Erfahrungen des Imperialismus vorbereitet worden sei (Arendt, 1951) oder an die weiter oben besprochenen Ausführungen von Hans-Ulrich Wehler zum Sozialimperialismus (g Kap. II.2.). Doch kann man sich fragen, ob es sich hierbei wirklich schon um Ansätze einer Verflechtungsgeschichte handelt, oder ob es nicht in Arendts Fall das europäische Handeln in Übersee ist, das eine Wirkung in Europa entfaltet. Der Sozialimperialismus hingegen hätte seine innenpolitische Wirkung auch ohne die Existenz eines Imperiums, ganz zu schweigen vom Handeln kolonialer Subjekte, entfalten können. Der wichtigste Referenztext für die New Imperial History und damit auch für die Verflechtungsgeschichte ist das 1978 erschienene Buch Orientalism des palästinensisch-amerikanischen Literaturwissenschaftlers Edward Said (1935–2003). Der ›Orient‹ sei eine Konstruktion des Westens, betont Said: I have begun with the assumption that the Orient is not an inert fact of nature. It is not merely there, just as the Occident itself is not just there either. […] Therefore, as much as the West itself, the Orient is an idea that has a history and a tradition of thought, imagery, and vocabulary

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that have given it reality and presence in and for the West. The two geographical entities thus support and to an extent reflect each other. (Said, 1995, S. 4 f.)

Der Orientalismus des Westens bringt den Orient als Kategorie erst hervor, er stellt die Sprache, die Begriffe und die Bilder zur Verfügung, in denen über den Orient geschrieben und gesprochen und damit auch gedacht werden kann. Diese Produktion von Wissen über den Orient ist aufs Engste mit der kolonialen Macht des Westens verknüpft, die es zum einen stützt: Wissen ermöglicht Macht; und auf der es zum anderen aufbaut: Wissen bedarf der Macht, um hegemonial zu werden. Vor allem seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert wird der Orient essentialisiert, in der Zeit festgeschrieben, dem Wandel entzogen und aus der gemeinsamen Weltgeschichte herausgeschrieben; der Gegensatz zwischen Orient und Okzident ist damit unüberbrückbar geworden (Said, 1978; 1995, S. 325–328 u. Nachwort). Zugleich bringt der Orientalismus den Orient damit zum Schweigen: Die Repräsentation, gar die wissenschaftliche Repräsentation des Orients ist nur durch den Westen und in der Sprache und den Denkformen möglich, die der Westen hervorgebracht hat. Auch im Widerstand gegen den Westen muss er sich noch der westlichen Kategorien und Konzepte bedienen. So benutzten beispielsweise führende Figuren des indischen Nationalismus wie Gandhi die orientalistischen Muster einer Gegenüberstellung von weiblichem Orient und männlichem Okzident und vom Gegensatz zwischen östlicher Spiritualität und westlichem technologischen Fortschritt, werteten die abwertend gemeinten Zuschreibungen jedoch um. Gerade weil Indien weiblich und spirituell sei, sei es in der Lage, sich der ethisch hochwertigen Methode des gewaltfreien Widerstandes zu bedienen und auf enthumanisierenden Fortschritt zu verzichten. Nicht Indien bedürfe daher einer ›Zivilisierungsmission‹, sondern der Westen. Ziel Saids und der Vertreter des Postkolonialismus, die sich auf ihn berufen, ist dabei eine Dekolonisierung der Geschichte im umfassenden Sinn des Wortes: Angestrebt wird eine Historiografie, die nicht nur zeitlich auf den Kolonialismus folgt, sondern auch seine Denkweise, insbesondere die Reproduktion der

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Verflechtungsgeschichte und New Imperial History

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kolonialen Differenzbestimmung durch die Art überwindet, wie sie die Geschichte der kolonialen Expansion und der Kolonien wissenschaftlich erforscht. Für eine Überwindung des Eurozentrismus genügt es nicht, die wissenschaftliche Aufmerksamkeit neu zu verteilen, mehr Ressourcen zur Verfügung zu stellen und den schulischen und universitären Lehrplänen ein oder mehrere Module ›Außereuropa‹ hinzuzufügen. Wichtiger noch ist es, die Dichotomie selbst zu überwinden und einen gemeinsamen Referenzrahmen für die Untersuchungen des ›Orients‹ und des ›Okzidents‹ hervorzubringen: Hier nimmt die Verflechtungsgeschichte das Programm der Orientalismuskritik und des Postkolonialismus auf. Nur in einem solchen gemeinsamen Referenzrahmen kann die Schaffung der kolonialen Differenz untersucht und historisiert werden. Anders als von den Zeitgenossen behauptet, war der Unterschied zwischen den Metropolen und ihren Kolonien, waren die Kategorien, nach denen die Differenzen hergestellt wurden, einem ständigen Wandel unterworfen. Worin sich der Okzident vom Orient zu unterscheiden meinte, war um 1750 etwas anderes als um 1800 oder gar um 1890: Die ›Männlichkeit‹, auf die sich die Briten im Verhältnis zu ihren Kolonien beriefen, war für den Mann der Aufklärung eine andere als für den Vertreter der Empfindsamkeit an der Wende zum 19. Jahrhundert und wiederum etwas anderes als die überbordenden Maskulinitätsphantasien hundert Jahre später (Frevert / Pernau, 2009). Nicht ein abstrakter und gleichbleibender Kolonialismus also war für die Differenzen verantwortlich, sie wurden vielmehr durch genau benennbare Diskurse, Praktiken und Institutionen produziert und reproduziert; dabei reagierten sie zum einen auf Entwicklungen in der Metropole und den verschiedenen Kolonien, zum anderen brachten sie diese Entwicklungen selbst mit hervor, wiederum sowohl in den Kolonien als auch in der Metropole. Nur der gemeinsame Referenzrahmen erlaubt es, diese Veränderungen als Teil eines gemeinsamen Prozesses zu erfassen (Conrad / Randeria, 2002). Was bedeutet dies konkret für die Konzeption einer transnationalen Geschichte? Zum Ersten können diese Entwicklungen im

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Rahmen von Untersuchungen, die sich an den Nationalstaaten orientieren, nicht erfasst werden. Das trifft sowohl für die europäische Geschichte zu, als auch für die ehemaligen Kolonien, die – wie am Beispiel Indien gezeigt – das Modell der nationalen Historiografie übernommen haben. In beiden Fällen kann der Prozess, durch den Differenzen konstruiert werden, durch eine Geschichtsschreibung, die sich auf die Nation konzentriert, nicht sichtbar gemacht werden. Zum Zweiten ist es problematisch, die Trennung in nationale und imperiale Geschichte aufrechtzuerhalten, als ob sich zunächst die Nationen in Europa herausgebildet hätten, die sodann Imperien errichtet hätten, die dann in einem dritten Schritt zum Transfer des Nationalstaatsgedankens in die Kolonien geführt hätten. Vielmehr gilt es, den zeitlichen und systematischen Zusammenhang zwischen der Entstehung von Nationen und Imperien zu erfassen (Cooper, 2005). Der Einfluss des imperialen Ausgreifens auf die europäischen Nationalstaatsbildungen ist bei Weitem noch nicht abschließend untersucht. Die Verflechtungsgeschichte beginnt daher sinnvollerweise mit den Entwicklungen des 18. Jahrhunderts, wenn sie auch derzeit ihren Schwerpunkt in der Erforschung des 19. Jahrhunderts hat. Untersuchungen zur Geschichte der Kolonien haben dem prägenden Einfluss der Metropole seit Anbeginn Rechnung getragen. Auch wenn es immer wieder Debatten gegeben hat, wie dieser Einfluss zu bewerten sei, wie stark und wie prägend er gewesen sei und in welchen Bereichen er sich vor allem niedergeschlagen habe: Dass eine Geschichte über Indien im 19. Jahrhundert nicht geschrieben werden kann, ohne die britischen Kolonialbeamten, Händler und Missionare vor Ort sowie die Entscheidungsträger in der Metropole einzubeziehen, ist unumstritten. Wie aber steht es mit den Einflüssen in umgekehrter Richtung? Wurden auch Großbritannien und die anderen europäischen Kolonialmächte von ihren Kolonien geprägt oder wurde ihre Entwicklung maßgeblich von endogenen, allenfalls noch europäischen Faktoren geprägt? Und wenn Ersteres, in welchen Bereichen kam dieser Einfluss zum Tragen? Wandten sich frühere Generationen von Historikern vor allem den wirtschaftlichen Auswirkungen des Imperialismus zu und

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versuchten, den Zusammenhang zwischen kolonialer Expansion und industrieller Revolution zu analysieren, so gilt das Interesse der New Imperial History in erster Linie einer sehr breit definierten Kultur. Ohne ökonomische und politische Faktoren zu vernachlässigen, geht es hier darum auszuloten, wie ein machtgestütztes Wissen über die Welt hergestellt wird, nach welchen Kategorien die Akteure ihr gesellschaftliches Umfeld interpretieren und ordnen und wie sich diese Konstruktionen in Praktiken niederschlagen. Der Orientalismus und die ihm inhärente Differenzbestimmung bringen daher nicht nur den Orient hervor, sondern auch den Okzident. Das Bild vom Anderen ist ein wesentlicher Faktor der eigenen Identitätskonstruktion. Diese wiederum ist das zentrale Kriterium für Inklusion und Exklusion und damit für den Zugang zu politischen Rechten und gesellschaftlichen Ressourcen (Cooper / Stoler, 1997a+b). Um die Frage nach den Bildern vom Orient und nach der Weise, wie das Bewusstsein, eine imperiale Nation zu sein, sich im Alltagswissen der Metropolen niederschlug, untersuchen zu können, wurde es nötig, neue Quellen zu erschließen. Die Literaturwissenschaft begann die Romane des 19. Jahrhunderts auf Spuren der Begegnung mit dem Orient neu zu lesen und förderte eine ungeahnte Zahl an kolonialen Themen, Referenzen und Akteuren hervor (Brantlinger, 1988; McClintock, 1995; Sharpe, 1993). Populäre Theaterstücke, Gemälde, Musik, Werbung, Museen und Ausstellungen wurden daraufhin geprüft, wie das Empire in ihnen dargestellt wurde und welche Rückschlüsse auf die Verbreitung eines imperialen Bewusstseins sie erlaubten (MacKenzie, 1995, seit 1984 Herausgeber der Serie Studies in Imperialism). Zunächst einmal unabhängig von der New Imperial History hatten sich vor allem britische Historikerinnen im gleichen Zeitraum intensiv mit der Interdependenz von Geschlecht und Klasse beschäftigt (Davidoff / Hall, 1987; Hall, 1992; Hall / McClelland / Rendall, 2000). Die Begegnung der beiden Debatten führte zu spannenden Diskussionen, in welcher Weise sich die Kategorien von Rasse, Klasse und Geschlecht nicht nur gegenseitig beeinflussten, sondern Teil desselben Prozesses der Konstruktion von Differenz waren, durch den die ›bürgerlichen, weißen Männer‹

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ihre eigene Identität beschrieben. In diesem Prozess, so die These, wurden europäische Frauen ebenso ›orientalisiert‹ wie der Orient ›feminisiert‹ (Sinha, 1995). Die Orientalen wurden dargestellt als zugleich feige und grausam, in jedem Fall aber zum Schutz ihrer Frauen weder willens noch in der Lage. Gerade diese Punkte aber markierten aus der europäischen Sicht des 19. Jahrhunderts die wahre Männlichkeit, die den ›effeminierten‹ Orientalen abging. Deshalb begaben sich die Kolonialherren mit edlem Gestus daran, die orientalischen Frauen vor ihren Männern zu retten. Diese Denkfigur ist ein wesentliches Element in der Gegenüberstellung von Barbarei und Zivilität und damit der kolonialen Herrschaftslegitimation (Spivak, 1985). Parallel dazu verschwammen die Grenzen in der Darstellung der europäischen Unterschichten und der Orientalen – so entsprachen sich nicht nur das darkest Africa, von dem die Missionare berichteten, und das darkest London, das East End der Metropole, der Ort an dem sich Seeleute aus aller Herren Länder mit den einheimischen Unterschichten vermischten und wo sich nach bürgerlichen Vorstellungen Prostituierte, Orientalen und Verbrecher in Opiumhöhlen trafen. Neben den Bildern entsprachen sich auch die Strategien, wie die Einwohner beider Orte zu regelmäßiger Arbeit, Sparsamkeit und einem geordneten Familienleben erzogen werden sollten. ›Innere‹ und ›äußere‹ Mission, aber auch Sozialpolitik und ›Zivilisierungsmission‹ standen in einem engen Austausch. Gemeinsam waren den Frauen, den Unterschichten und den Orientalen – nach Ansicht der Herrschenden – ihre starken Gefühle, die mit einer mangelnden Fähigkeit zur Selbstkontrolle, aber auch zur Rationalität einhergingen. Damit verbunden waren Sinnlichkeit und ein Mangel an innerer Leitung, der durch Kontrolle von außen ausgeglichen werden musste. Verkörperten die bürgerlichen, weißen Männer die Kultur, so waren die Frauen, Unterschichten und Orientalen der Natur näher; das Gegenstück ihrer ›Geschichtslosigkeit‹ wiederum war der Mann als die Verkörperung des Fortschritts (Burton, 1996; Hall, 1992; Levine, 2004; Midgley, 1998). Doch beschränkte sich die historische Verflechtung zwischen den Kolonien und den Metropolen nicht auf Bilder und Vorstel-

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lungen. Kaum eine Bewegung hat so viel dazu beigetragen, Frauen in Großbritannien zu mobilisieren und ihnen den Zugang zur Zivilgesellschaft zu eröffnen, wie die Kampagne für die Abschaffung der Sklaverei seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert (Hall, 2002). Die Arbeit in Missionsgesellschaften brachte Frauen in Kontakt mit Berichten über die Welt der Kolonisierten, aber auch der Unterschichten. Es waren dies die Felder, in denen Frauen zuerst der Übergang von privater Wohltätigkeit zu organisiertem Engagement, vor allem für die ›Heiden‹ und die Armen gelang. Wer andere zivilisierte, galt zudem selber als zivilisiert; wer zivilisiert war, der hatte wiederum ein Anrecht auf Partizipation an der Zivilgesellschaft (Thorne, 1999). Im späten 19. Jahrhundert verschob sich dieses Engagement sodann auf neue Themenfelder, vor allem auf Lobbyarbeit für den Schutz von Frauen in den Kolonien (Fischer-Tiné, 2009; Levine, 2004). Zugleich haben Studien gezeigt, dass die Vorstellung der Revision bedarf, moderne Herrschaftstechniken seien zunächst in den Metropolen entwickelt und dann in die Kolonien exportiert worden, als handle es sich um eine Einbahnstraße. Gerade Maßnahmen zur Überwachung von Mobilität, wie etwa die Erfassung von Fingerabdrücken oder die Einführung von Reisepässen (Mongia, 2003; Singha, 2008), aber auch staatliche ›Erziehung zur Arbeit‹ sind in den Kolonien herausgebildet und erprobt worden, bevor sie in den Metropolen zum Einsatz kamen (Conrad, 2006). Die Thesen der New Imperial History sind zumindest im anglophonen Raum inzwischen weitgehend anerkannt worden – in Deutschland und Frankreich tut sich diese Richtung sehr viel schwerer, doch äußert sich die Kritik in der Regel eher in Rezensionen oder distanzierenden Fußnoten und nicht in eigenen Monografien. Dies ist in Großbritannien etwas anders. Bernhard Porter beispielsweise unterzieht den gesamten Ansatz einer genauen, wenn auch sehr kritischen Würdigung (Porter, 2004). Zwar enthalte er einige interessante Hypothesen, doch sei kaum etwas davon belegt. Das britische Empire sei eine Angelegenheit von zahlenmäßig durchaus beschränkten Eliten gewesen, seine Verknüpfung mit Entwicklungen in Großbritannien schon daher zu vernachlässigen, weil die meisten Briten das Empire kaum zur

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Kenntnis nahmen und nur wenig darüber wussten. Es habe zu seiner Entstehung und zu seiner Fortführung der imperialen Begeisterung nicht bedurft; bis auf eine kurze Zeit zwischen den 1890er Jahren und dem Ersten Weltkrieg habe diese auch nicht als ein gesamtgesellschaftliches Phänomen bestanden. Großbritannien sei viel zu diversifiziert, als dass einem gelegentlichen Hinweis auf die Kolonien in einem Roman von Jane Austen oder der Tatsache eines Besuches der Weltausstellung allzu viel Bedeutung zugemessen werden dürfe. In den britischen Schulbüchern des 19. Jahrhunderts finde sich kaum eine Auseinandersetzung mit dem Empire. Die imperiale Begeisterung habe sich auf eine kleine Oberschicht beschränkt, die zudem noch unter ausländischem Einfluss gestanden habe; die Arbeiterklasse habe weder Kenntnis vom Empire besessen, noch sich für Nationalismus oder Imperialismus empfänglich gezeigt. Sehr viel ausgewogener argumentiert Andrew Thompson (2005), ausgehend von der These […] that there have been two main barriers to understanding the impact of empire on Britain. The first is the failure to recognise how diverse and pluralistic the empire was. The second is the failure to recognise how diverse and pluralistic Britain was. (Thompson, 2005, S. 4)

Zwar streitet Thompson den Einfluss des Empire auf Prozesse der Nation- und Identitätsbildung, der Geschlechterordnung und der Herausbildung der Klassengesellschaft keineswegs ab. Doch fordert er, diesen Einfluss in Beziehung zu anderen Einflüssen zu setzen. Dies betrifft zum einen endogene Faktoren. Es betrifft aber auch die Art und Weise, wie sich britische Identität in Abgrenzung zur sogenannten Celtic Fringe, d. h. zum Entwurf zumal der katholischen Iren als Gegenbild zum protestantischen England darstellt. Es betrifft drittens die Bedeutung der Identifikation mit und der Abgrenzung von den europäischen Staaten, im 18. Jahrhundert vor allem Frankreich (Colley, 1992), im 19. Jahrhundert dann auch Deutschland (Muhs / Paulmann / Steinmetz, 1998) und schließlich die Beziehung zu den Siedlerkolonien, zunächst zu Nordamerika, dann vor allem zu Südafrika und Australien. Berücksichtige man all diese Faktoren, so ergebe sich, dass

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Verflechtungsgeschichte und New Imperial History

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der koloniale Einfluss »significant but not all-pervasive« gewesen sei (Thompson, 2005, S. 241). Bei der künftigen Fortentwicklung des Ansatzes wäre man daher gut beraten, stärker nach Epochen, nach Ländern, sowohl in den Metropolen als auch den Kolonien nach Geschlecht und Klasse und möglicherweise auch nach Regionen zu differenzieren. Nur so kann man vermeiden, dass der Begriff zu einer catch-allKategorie wird und stattdessen untersuchen, worüber die Verflechtungsgeschichte im konkreten Fall spricht: Was genau verflocht sich mit was? In welcher Intensität und mit welchen Auswirkungen für welche Personengruppen? Weiterhin erhebt die Verflechtungsgeschichte den Anspruch, beide Seiten des Austauschprozesses zu untersuchen, ohne dabei freilich die asymmetrischen Machtverhältnisse zu vergessen. Hier muss noch genauer geklärt werden, welche Stränge aus den Kolonien kamen und worin ihr Einfluss auf die Geschichte der Metropole bestand: Verflocht sich nur das Bild, das sich die Metropole von den Kolonien machte, mit anderen Bildern, die ebenfalls ihren Ursprung in der Metropole haben? Ging es um Vorstellungen und Praktiken der Kolonialbeamten? Oder kam den Kolonien selbst eine aktive Rolle in diesem Prozess zu, d. h. waren sie in der Lage – und wenn ja: wie und in welchem Ausmaß – die Denkmuster zu prägen, die dann in den Metropolen die oben ausgeführten weitreichenden Folgen hatten? Es wäre wichtig, das Augenmerk mehr als bisher auf die Kolonien selber zu richten, und zwar nicht nur auf das Wissen und die Praktiken, die koloniale Akteure hervorbrachten, sondern auch auf ihre Interaktion mit den Kolonisierten. Wer arbeitete an der Produktion kolonialen Wissens mit, aus welchen Interessen und mit welchen Ergebnissen? In welchem Maße floss indigenes Wissen in diese Konstruktion mit ein und wie wurde es vorgängigen Vorstellungen angepasst? Wie es in Forschungen in und aus den ehemals kolonisierten Regionen seit langem Standard und Praxis ist, verlangt dies die Einbeziehung lokaler Faktoren und vor allem von Quellen in lokalen Sprachen, um die Zentrierung des Blicks auf die Kolonialmacht nicht dadurch zu reproduzieren, dass weiterhin aus forschungspragmatischen Gründen lediglich

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Methodische Zugänge jenseits der Nation

metropolitane Einflüsse und Quellen zur Kenntnis genommen werden. Die Aufgabe der nächsten Jahre wird darin bestehen, verstärkt akademische Strukturen zu entwickeln, die eine effektiver integrierte Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftlern mit verschiedenen Regionalkompetenzen ermöglichen. Die Vertreter der Histoire croisée haben hervorgehoben, dass zur Untersuchung von Transfers auch die Frage gehört, warum in bestimmten Situationen kein Transfer stattfindet. Analog wäre zu überlegen, welche Bereiche von der Verflechtung überhaupt nicht oder nur marginal betroffen waren und welche erst sekundär von ihr berührt wurden, indem sie von Faktoren beeinflusst wurden, die ihrerseits Produkt einer Verflechtung waren. Hier böte sich wiederum der Vergleich als methodisches Instrument an, sowohl zwischen Epochen, Zielgruppen und Regionen als auch zwischen Imperien, die ein Mehr oder Weniger an Verflechtung erkennen lassen könnten. Zwar liegt der Schwerpunkt der Forschungen zur New Imperial History wohl noch immer auf dem britischen Empire, doch gibt es mittlerweile einige Forschungen zu anderen Imperien, die sich der Untersuchung ähnlicher Fragen widmen, um einen sinnvollen Vergleich zu ermöglichen (für Deutschland: Conrad, 2006; Conrad / Osterhammel, 2004; van Laak, 2005; für Frankreich: Conklin, 1997; Le Cour Grandmaison, 2009; für Russland: Burbank / von Hagen / Remnev, 2007; Kritika-Sonderheft hrsg. v. David-Fox / Holquist, 2002; für Habsburg: Feichtinger / Prutsch / Csáky, 2003; Hárs / Müller-Funk / Reber, et al., 2006; Kerekes, 2002; Ruthner, 2001; für das Osmanische Reich: Lafi, 2008; 2009).

Translokalität

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5. Translokalität Zur Gewohnheit der Historiker gehört (zum Glück) der Blick über die Grenzen des eigenen Fachs. Waren in den sechziger und siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts Soziologie und Wirtschaftswissenschaften die Disziplinen, an denen sich die Erneuerung des Fachs als Gesellschaftsgeschichte orientierte, wurde die Ethnologie in den frühen achtziger Jahren zur Antriebskraft für die deutsche Alltagsgeschichte. Seit den achtziger Jahren in den USA, seit den neunziger Jahren auch in Deutschland trugen dann die Literatur- und Kulturwissenschaften gleich mit einer ganzen Reihe von cultural turns zur Neupositionierung des Faches bei (detaillierter Überblick über die Entwicklung: Bachmann-Medick, 2006). Cultural turn Sammelbegriff für die Abwendung der Geschichts- und Sozialwissenschaft von der Strukturgeschichte und quantifizierenden Methoden hin zur ›Kultur‹ in einem umfassenden Sinn. Dies umfasst die Beschäftigung nicht nur mit Produkten der sogenannten Hochkultur, sondern mit allen Formen der sozialen Interaktion, die von den Akteuren mit Bedeutung versehen werden. Ansätze zur Erforschung von Translokalität wurden zunächst innerhalb der angelsächsischen Ethnologie entwickelt und diskutiert. Für die Geschichtswissenschaft war seit dem 19. Jahrhundert die Nation die zentrale Interpretationskategorie (g Kap. I); dieser Platz wurde in der Ethnologie von der lokalen Gemeinschaft eingenommen, die man sich als ein in sich geschlossenes Ganzes vorstellte. Was für die Historiker die Archivstudien waren, war hier seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert die Feldforschung, die den Anspruch erhob, alle Facetten des Gemeinschaftslebens zu beobachten und zu deuten. In ähnlicher Weise wie unter Historikern wurde allerdings auch unter Ethnologen seit den 1950er Jahren diskutiert, ob diese geschlossenen, aus sich heraus zu erklärenden Gemeinschaften nicht eine Illusion seien,

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Methodische Zugänge jenseits der Nation

und es nicht vielmehr gelte, sie in ihren Beziehungen zu anderen Gemeinschaften und zu übergreifenden Strukturen zu diskutieren. Trotzdem behielt die Lokalität eine zentrale Stellung – diese war es auch, die zur Anschlussstelle für die ›Geschichte der kleinen Räume‹ und die Alltagsgeschichte der achtziger Jahre wurde. Der Globalisierungsschub des ausgehenden 20. Jahrhunderts mit seiner Intensivierung der Ströme von Waren, Menschen und Ideen stellte die Anthropologie vor neue Herausforderungen. Selbst wenn es die abgeschiedene Gemeinschaft, die aus sich heraus erklärbar war, jemals gegeben hätte – in der Gegenwart, welche die Anthropologen zu verstehen suchten, wurde sie zunehmend von Faktoren bestimmt, die außerhalb ihrer selbst lagen. Was bedeutete dies für das Konzept des Ortes, der Lokalität? Wie musste der Raum als grundlegende Kategorie neu gedacht werden, um diesen Entwicklungen Rechnung zu tragen? Ebenso, wie Gemeinschaften nicht ›natürlich‹ gegeben sind, ist auch der Raum keine vorgegebene Größe, sondern wird durch Vorstellungen, Praktiken und Symbole hervorgebracht. Raum entsteht als gesellschaftliches Phänomen erst dadurch, dass sich Menschen in ihm bewegen und zu ihm verhalten. Dies bezieht sich zum einen auf die Konstruktion von Orten. Nicht erst unter den Bedingungen der Globalisierung bedarf es kontinuierlicher Anstrengung, um einen Ort von anderen Orten, aber auch von dem Raum, der zwischen den Orten liegt – der Wildnis, dem Wald, der Einöde – abzugrenzen (Appadurai, 1995). Zum anderen bezieht sich diese Konstruktionsleistung aber auch auf die Aufteilung und Strukturierung des Raumes, auf die Regulierung der Beziehung zwischen Orten. Unterschiedliche Handlungsfelder (ökonomische, religiöse, politische etc.) können hierbei zu unterschiedlichen Hierarchien zwischen Orten führen, sie können sich aber auch teilweise überlappen. So sind etwa die Beziehungen zwischen einem Umschlagplatz für Güter und seinem Hinterland zu unterscheiden von denen zwischen einem Pilgerzentrum und seinem Einzugsgebiet oder dem Ort, an dem ein Herrscher sich aufhält und der Umgebung, aus der er die Grundsteuer einzieht. Die drei Zentren können aber auch zusammenfallen, etwa wenn die fürstliche Residenz zugleich ein bedeutendes religiöses Zent-

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Translokalität

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rum ist, an dem an Markttagen regelmäßig Händler zusammenkommen. Vorstellungen, beispielsweise von der sakralen Überhöhung eines Ortes, werden durch Praktiken wie etwa Pilgerfahrten auf Dauer gestellt und stabilisiert; umgekehrt greifen Praktiken direkt in die Raumgestaltung ein, etwa durch den Bau von Straßen, Brücken und Kanälen, aber auch durch Erschließung der Wildnis. Die Gestaltung des Raums hängt damit wesentlich von den technischen Mitteln zur Überwindung von Distanz ab – nicht erst seit dem Beginn der Globalisierung. Die Einführung eines regelmäßigen Postverkehrs, der es breiteren Schichten erlaubte, die Kommunikation zwischen auseinander liegenden Orten aufrecht zu erhalten; die Erfindung der Eisenbahn, die für Heinrich Heine dazu führte, dass »sogar die Elementarbegriffe von Zeit und Raum schwankend geworden [seien],« und der »Raum getötet« wurde (zitiert nach Kaschuba, 2004, S. 90); die Einführung von Telegraf und Telefon, die eine Zentralisierung der Herrschaft in nie gekanntem Ausmaß ermöglichten – all dies revolutionierte die Vorstellung der Zeitgenossen vom sie umgebenden Raum. Das Gefühl, Zeuge einer radikal neuen Entwicklung zu sein, hat allerdings seinerseits eine Geschichte, die zumindest bis zur Französischen Revolution zurückreicht. Wie neu ist das Neue daher wirklich? Historiker würden wohl eher dazu tendieren, mit zeitlichem Abstand die jeweiligen Neuheiten – die jetzigen und die vergangenen – gegeneinander abwägen und gewichten zu wollen. Dennoch behält das Argument der Anthropologen seine Berechtigung, dass die technische und globale Revolution seit dem Ende des 20. Jahrhunderts eine neue Qualität der gesellschaftlichen Beziehungen, und – für unseren Zusammenhang besonders wichtig – ein neues Verhältnis zum Raum hervorgebracht hat. Die neue Qualität basiert dabei wesentlich auf einer Zunahme der Quantität der flows, der Ströme von Waren, Menschen und Informationen (Hannerz, 1996), die es fast keinem Ort mehr erlauben, sich globalen Einflüssen zu entziehen: Globalität und Lokalität sind untrennbar miteinander verflochten. Wie verändern sich unter diesen Bedingungen die lokal bestimmten Orte, wie die gesellschaftlichen Raumvorstellungen,

Methodische Zugänge jenseits der Nation

die sie hervorbringen? Fielen traditionell räumliche Nähe, Kommunikation und Gemeinschaftsbildung zusammen, so erlauben die neuen Medien eine Dissoziation dieser Kategorien. So wie in Ballungszentren Nähe ohne Kommunikation möglich ist (etwa in der überfüllten U-Bahn, aber auch im Hochhaus), so kann die Verdichtung der Kommunikation, die die Voraussetzung für Gemeinschaftsbildung ist, auch ohne räumliche Nähe stattfinden (etwa im Internet-Chat). Deckten mental maps in nationalen Gesellschaften kontinuierliche Flächen ab, so führt die Globalisierung zunehmend zur Konzentration auf einzelne Punkte.

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Mental map Kognitive Landkarte, subjektive Vorstellung des Raumes, die dem Akteur eine Verortung und Orientierung erlaubt. Ein indischer IT-Spezialist in Kalifornien ist Teil des Ortes und der örtlichen Gemeinschaft, in der er lebt; in ungleich größerem Maße als ein Migrant des 19. Jahrhunderts bleibt er gleichzeitig aber auch Teil seiner ursprünglichen lokalen Gemeinschaft, mit der er regelmäßig kommuniziert, mit der er Geld und Waren austauscht, die er regelmäßig besucht und aus der er möglicherweise die Heiratspartner für seine Kinder auswählt. Seine mentale Landkarte aber ist deswegen weder ›global‹ (denn das Territorium zwischen den beiden Orten, das er allenfalls im Flugzeug überquert, taucht auf dieser Landkarte gar nicht auf), noch trans-›national‹, denn die Beziehung, die aufgebaut wird, ist zunächst einmal eine zwischen zwei Lokalitäten, ohne dass die Nationen notwendig ins Spiel kommen. Zur Beschreibung dieser Relation zwischen Orten hat sich daher die Bezeichnung ›translokal‹ eingebürgert (Appadurai, 1995; 1996; Mandaville, 1999; von Oppen, 2004). Erst in Ansätzen erforscht ist die Beziehung zwischen dem Lokalen, der Nation und dem Globalen (Appadurai, 1995; 1996). Im 19. Jahrhundert verwiesen der Ort und die Nation aufeinander. Die Lokalität war der Ort, an dem nationale Subjekte produziert und nationale Verhaltensweisen eingeübt, zugleich aber mit ei-

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Translokalität

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nem eigenen Stempel versehen wurden. Zugleich aber erhob die Nation den Anspruch, die Unterschiede zwischen Lokalitäten einzuebnen und sich zu jedem Ort in der gleichen Weise zu verhalten. Im Laufe der Zeit verschob sich dieses Gleichgewicht zunehmend zur Nation hin: Während sie immer noch die Orte prägte und sie zunehmend homogenisierte, hatten die einzelnen Orte immer weniger Einfluss auf ihre Gestalt. Im Zuge der Globalisierung aber geriet die Nation ihrerseits in den Sog der über- und transnationalen Kräfte, die in ihrer Einwirkung auf die Lokalitäten nur noch teilweise einer nationalen Vermittlung zugänglich waren. Um auf das Beispiel des indischen IT-Spezialisten in Kalifornien zurückzukommen: Zwar können die rechtlichen Rahmenbedingungen seines Aufenthalts – wie die Voraussetzungen für die Erteilung einer Arbeitserlaubnis, Sonderrechte für Non-Resident-Indians in Indien und Ähnliches – noch von den USA und Indien festgelegt werden. Die Ausgestaltung der Translokalität aber hängt darüber hinaus von einer Unzahl weiterer Faktoren ab, auf die die Nationalstaaten kaum einwirken können, vom Arbeitsmarkt bis zu Familienstrukturen, von der Bereitstellung digitaler Kommunikationsmöglichkeiten bis zu Flugpreisen. Der Ort kann damit nicht mehr als ein geschlossenes Universum untersucht werden, in das allenfalls punktuell äußere Einflüsse integriert werden. Ausgehend vom Raumbegriff der Akteure muss sich die Forschung zwischen verschiedenen Lokalitäten bewegen, aber auch Einflüsse mit einbeziehen, deren geografische Lokalisierung unerheblich ist (beispielsweise der G8Gipfel, für dessen Beschlüsse es irrelevant ist, ob er in Davos oder in Heiligendamm tagt) oder die sich gar nicht mehr geografisch zuordnen lassen (wie ein Großteil der elektronischen Kommunikation). Der Begriff der Translokalität wurde entwickelt, um spezifische Probleme seit dem ausgehenden 20. Jahrhundert methodisch fassen zu können. Inwiefern kann er – in Erweiterung der ursprünglichen Absicht der Ethnologen – auch in der Geschichtswissenschaft verwendet werden und welche neuen Fragen kann er aufwerfen, unter Umständen sogar beantworten? Zunächst

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Methodische Zugänge jenseits der Nation

einmal gehört es zum Habitus der Historiker, jedem Anspruch, etwas sei so noch nie da gewesen und konstituiere einen Bruch mit der Vergangenheit, kritisch gegenüberzustehen und sich darum zu bemühen, den Wandel historisch zu verorten. Die erste Aufgabe wäre es also festzustellen, wie neu Translokalität als Phänomen (nicht als Forschungsrichtung) wirklich ist, im Dialog mit welchen unterschiedlichen Ausgangsbedingungen sie sich wann und in welcher Form entwickelt hat, welches ihre Antriebskräfte zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Regionen waren und gegen welchen Widerstand sie sich in welchem Maße durchgesetzt hat. Unabhängig von der Frage nach der Translokalität als Signum einer Epoche kann zweitens danach gefragt werden, wie Orte historisch konstituiert werden. Hierfür zentral ist das Wechselspiel zwischen der Dynamik der translokalen Bewegung und dem, was als ›Einrichtung‹ bezeichnet wurde, dem (nicht immer gelingenden) Versuch der Akteure, diese Dynamik in stabile Ordnungen und Strukturen zu überführen (Freitag / von Oppen, 2005; 2010; von Oppen / Ahmad, 2004). Auch wenn die Verflechtungen im 18. oder 19. Jahrhundert gewiss nicht den gleichen Grad an Intensität wie heute hatten, so gab es doch kaum einen Ort, der als ein geschlossenes Universum ohne Außenbeziehungen anzusehen war. Zu untersuchen gilt es daher, welche Reichweite diese Beziehungen hatten: Waren sie auf eine Region, auf die Nation, unter Umständen auf das koloniale Empire begrenzt oder orientierten sie sich in ihren Verdichtungen möglicherweise an ganz anderen als den politischen Grenzen? Welche Grenzen wurden überschritten, welche Grenzen wurden im Gegenzug durch Bewegung und verhinderte Bewegung aufgebaut? Weiterhin wird immer wieder die Trias der Bewegung von Menschen, Gütern und Ideen oder Symbolen genannt, also die klassische Aufteilung in die Untersuchungsfelder Sozial-, Wirtschafts- und Kulturgeschichte. Dass diese Felder in enger Beziehung zueinander stehen, dass sich zumal Güter und Ideen nicht aus eigenem Antrieb bewegen, sondern von Menschen bewegt werden, steht außer Frage. Dennoch gilt es genau hinzusehen, wie sich ihre Bewegungen zueinander verhalten: Folgten Migranten, Händler und Missionare den glei-

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Translokalität

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chen Wegen? Wie setzten sie sich in Beziehung zu den verschiedenen Orten? Worin unterschieden sich ihre mentalen Landkarten? Standen sie mit den gleichen Orten in Beziehung, wirkten ihre translokalen Verbindungen in gleicher Weise auf den Ursprungsort zurück? Wie genau wurden die Orte durch die Beziehungen geprägt? Welche Orte wirkten auf welche anderen ein? Welche Hierarchien bildeten sich heraus? Überlappten sie sich oder standen sie in Konkurrenz zueinander? Von wem wurden sie angefochten, wie setzten sie sich durch? All diese Fragen haben den großen Vorteil, dass sie zunächst einmal unabhängig vom Konzept der Nation untersucht werden können, also der Gefahr entgehen, die Nation im Begriff einer trans-›nationalen‹ Geschichte durch die Hintertür wieder einzuführen. Vor allem für die Geschichte von Regionen, die im 18. und auch im 19. Jahrhundert weder staatlich noch gar nationalstaatlich konstituiert waren, werden damit Anachronismen und das Überstülpen von europäischen Kategorien vermieden. Zugleich jedoch sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass das Modell einer nationalen Geschichtsschreibung längst nicht mehr auf Europa beschränkt ist, sondern in den meisten ehemaligen Kolonien zur Leitvorstellung geworden ist. Geht es dem Projekt der transnationalen Geschichte auch darum, eine Geschichtswissenschaft zu entwerfen, die diese zentrale Rolle der Nation infrage stellt, so wird dies kaum ohne ausdrückliche Auseinandersetzung mit nationalen Vorstellungen – der Akteure, sobald sie sich solche zu eigen machen, vor allem aber der Historiker – möglich sein. Im Gegensatz zur kolonialen Verflechtungsgeschichte, die in erster Linie auf die Beziehungen zwischen den Kolonien und der Metropole abzielt, legt die translokale Geschichte, wie sie in Deutschland maßgeblich am »Zentrum Moderner Orient« in Berlin entwickelt worden ist, das Schwergewicht auf die Untersuchungen der Süd-Süd-Beziehungen (Freitag / von Oppen, 2005; 2010). Sie reiht sich damit ein in historiografische Bemühungen, die Kolonialgeschichte stärker aus der Perspektive der Akteure – zumal der kolonisierten Akteure – zu schreiben und deren Handlungsmöglichkeiten auszuloten, anstatt a priori von einer nahezu

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Methodische Zugänge jenseits der Nation

grenzenlosen Allmacht der Kolonialmacht auszugehen. Auch im Hochimperialismus, so die dahinter liegende Annahme, war die Aufteilung der Welt in Zentren und Peripherien und die Monopolisierung der Kommunikation durch die Zentren nur unvollständig gelungen. Stattdessen entwickelten die Akteure nicht nur eigene Handlungsstrategien – nicht selten erfolgreich! –, sondern vernetzten sich auch untereinander, sowohl innerhalb eines kolonialen Imperiums als auch zwischen verschiedenen Imperien (Conrad / Sachsenmaier, 2007). Auch hier geht es freilich in letzter Instanz wieder um eine Frage der Gewichtung: Welche Handlungskompetenz die Akteure tatsächlich hatten, lässt sich nur dann feststellen, wenn die Einschränkung ebendieser Handlungskompetenz durch die Kolonialmacht in die Untersuchung integral einbezogen wird. Die Untersuchung der Süd-Süd-Beziehungen, die Betonung des Translokalen ist daher kein Ersatz, wohl aber eine ausnehmend wichtige Ergänzung der Analyse der Beziehungen zwischen den Metropolen und den Kolonien. Handlungskompetenz (Agency) Möglichkeit eines Akteurs, Entscheidungen zu treffen und in Taten umzusetzen, ohne dass dieses Handeln vollständig von äußeren Bedingungen und Strukturen determiniert wird.

Methodisch bedeutet die Verflechtung von lokalen, translokalen und globalen Einflüssen auf der einen Seite eine Herausforderung, die die Komplexität der Histoire croisée nochmals wesentlich steigert. Auf der anderen Seite bedeutet diese Verflechtung, dass das Lokale selbst als der Ort gesehen werden kann, von dem aus translokale und globale Einflüsse verfolgt werden können. Globalgeschichte ist damit nicht nur aus einer Vogelperspektive möglich, die den ganzen Globus in den Blick zu nehmen sucht – aus dieser Distanz wären einzelne Akteure und ihre Weltinterpretation nur schwer zu erfassen. Vielmehr führt auch die Untersuchung von Lokalitäten, wenn man diese nicht als abgeschlossene Universen versteht, zum Fokus auf globale Faktoren.

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Dies impliziert die Untersuchung der Art und Weise, wie diese Faktoren den Ort von außen her prägen. Es ermöglicht aber auch eine Analyse, wie lokale Akteure sie wahrgenommen und interpretiert haben, und verhindert damit eine Sichtweise, nach der nur die Menschen in den kolonialen Zentren in der Lage gewesen wären, die lokale Perspektive zu transzendieren, sich in der Welt zu situieren und globale Imaginationen zu entwickeln. Vorstellungen von Welt, Weltordnung und Kosmopolitismus lassen sich vielmehr von jedem Punkt des Globus aus entwickeln (Baer, 2007; Lafi, 2008; 2009).

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Weltgeschichte und Geschichte in globaler Perspektive

6. Weltgeschichte und Geschichte in globaler Perspektive Die Erforschung der Geschichte ist ein Teil der Bemühungen der Menschen, sich die Welt zu erklären, in der sie leben, und sie mit Sinn auszustatten. Antworten auf die Sinnfrage wurden ursprünglich von der Theologie erwartet. Daher ist es wenig verwunderlich, dass hier die frühesten Universalgeschichten entstanden: die Geschichte der Welt als Geschichte des göttlichen Heilsplanes für die Menschen. So basiert etwa die uns heute noch geläufige und die Organisation historischen Wissens nachhaltig prägende Denkfigur der Dreiteilung der Geschichte in Altertum, Mittelalter und Neuzeit auf der europäisch-mittelalterlichen Vorstellung von der Abfolge der Zeitalter des Vaters (bis zur Geburt Christi), des Sohnes (von seiner Geburt bis zur Gegenwart) und des Heiligen Geistes (der unmittelbar bevorstehenden Endzeit, in der ein gerechter Papst die Menschheit zu ihrem Ziel führen würde). Diese Suche nach dem Sinn und Ziel der Geschichte verlagerte sich mit der Aufklärung in die Welt hinein: Der materielle, aber auch der politische und moralische Fortschritt wurde zum Wesen der historischen Entwicklung erklärt. Nicht mehr Theologen, sondern Geschichtsphilosophen waren nun diejenigen, die den Rahmen für die Interpretation bereitstellten, den die Historiker dann mit ihrem Fachwissen zu füllen suchten. Auch da, wo die Geschichte zur partikularen Nationalgeschichte wurde, blieb die Frage nach ihrem Sinn eine universale.

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Methodische Zugänge jenseits der Nation

Heute sind die Ansprüche der Historiker bescheidener, ihr Misstrauen gegenüber Meistererzählungen und umfassenden Deutungen ist größer geworden. Wo Historiker der Sinnfrage nachgehen (nicht alle tun dies), geht es nicht mehr um einen ›objektiven‹ Sinn der Geschichte, sondern darum, welchen Sinn die historischen Akteure bestimmten Ereignissen, aber auch der Geschichte als Ganzem gaben und wie diese Sinnkonstruktionen und Weltinterpretationen ihr Handeln beeinflussten. Und statt zu erklären, ›was die Welt im Innersten zusammenhält‹ – wenn denn Erklärungen das Ziel sind –, geht es darum, kausale Zusammenhänge aufzuzeigen. Der geografische Rahmen kann dabei lokal sein: Warum kam es 1919 gerade in Berlin und Kiel zur Bildung von Arbeiter- und Soldatenräten? Er kann sich aber auch auf eine Region beschränken: Welche Faktoren führten zur Teilung des indischen Subkontinents 1947? Und er kann schließlich genuin global sein: Welche Beziehung besteht zwischen der industriellen Revolution in Europa und den kolonialen Eroberungen? Bei allem Misstrauen der Historiker gegenüber allgemeinen Gesetzmäßigkeiten: Jede Geschichte, die nicht nur Beschreibung aufeinander folgender Ereignisse ist, sondern den Anspruch erhebt, diese kausal zu erklären, postuliert in gewissem Maße die Gültigkeit von Zusammenhängen über den Einzelfall hinaus. Dies gilt sogar für diejenigen postkolonialen Historiker, die von der Postmoderne das prinzipielle Misstrauen gegen Kausalitäten übernommen haben, aber dennoch einen inneren Zusammenhang reklamieren zwischen dem Wissen über den Orient, das die Kolonialmächte hervorgebracht haben, und ihrer Beherrschung dieser Region. Was bedeuteten diese veränderten Fragen nach Kausalitäten für den Entwurf von Weltgeschichten? Mit dem Fortschrittsgedanken der Aufklärung hatte sich die Vorstellung durchgesetzt, dass die Geschichte nicht weniger als die Naturwissenschaft allgemeinen Gesetzen gehorche und es Entwicklungsstadien gebe, die alle Länder und Regionen in ähnlicher Weise durchlaufen würden. So beschrieb der schottische Philosoph John Millar, wie die Jäger und Sammler von Hirtenvölkern und dann von Bauern abgelöst wurden, bis schließlich Handel und Industrie die höchste Stufe der Zivilisation hervorbrachten (Millar, 2006 [1771]). Karl

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Weltgeschichte und Geschichte in globaler Perspektive

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Marx legte dar, wie sich aus den Widersprüchen der Sklavengesellschaft der Feudalismus, aus ihm dann der Kapitalismus entwickelte, um schließlich vom Sozialismus überwunden zu werden (zum Historischen Materialismus s. besonders Marx, 1960 [1852]; Marx, 1961 [1859]). Dem setzte Walt Whitman Rostow 1960 ein ›Fünf-Stufen-Modell‹ entgegen, nach dem sich Gesellschaften weltweit von einer traditionellen Basis über ein Übergangsstadium zum industriellen Take off bewegten, das dann in eine Phase der Reife und schließlich des Massenkonsums mündete – ein Modell, das außerordentlich breit rezipiert wurde und die westliche Entwicklungspolitik lange Zeit maßgeblich prägte (Rostow, 1960). Gemeinsam war diesen sehr unterschiedlichen Modellen, dass sie die einzelnen Gesellschaften nach ihrem Entwicklungsstand auf einem Zeitstrahl situierten und damit beanspruchten, nicht nur ihre Geschichte zu erklären, sondern auch ihre Zukunft prognostizieren zu können. In den 1960er und 1970er Jahren erarbeiteten die Dependenztheoretiker einen Gegenentwurf, demzufolge die kapitalistische Entwicklung zu einer weltweiten Arbeitsteilung führe, in der die Macht zwischen Zentren und Peripherien ungleich verteilt sei. Beide Regionen entwickelten sich nicht unabhängig voneinander. Vielmehr basiere der wirtschaftliche Fortschritt in den Zentren auf Bedingungen, die im Gegenzug die Unterentwicklung der Peripherien schufen und festschrieben (Galtung, 1972). Da die Rahmenbedingungen in entwickelten und unterentwickelten Ländern nicht die gleichen seien, würde auch ihre Entwicklung nicht dem gleichen Modell folgen (können). Immanuel Wallerstein griff diese Anregungen 1974 in einer dreibändigen Studie über das moderne Weltsystem auf, in der er die Beziehungen zwischen Zentren, Peripherien und Semiperipherien zum Organisationsprinzip einer Weltgeschichte der kapitalistischen Entwicklung seit dem 16. Jahrhundert machte (Wallerstein, 1974–1989). Diese Tendenz, Weltgeschichte in erster Linie als eine Geschichte der Weltwirtschaft zu schreiben und in der Wirtschaft die primäre Antriebskraft für die Verflechtung der Welt zu sehen, erhielt durch die neue Globalisierungswelle seit den 1990er Jahren zunächst nochmals einen neuen Impuls. Globalgeschichte, so

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Methodische Zugänge jenseits der Nation

schien es, ließe sich am leichtesten schreiben als eine Geschichte der ökonomischen Globalisierungen – nicht nur der gegenwärtigen, sondern auch derer, die ihr vorausgegangen waren. Dieser Ansatz aber vertrug sich nur begrenzt mit der übrigen Entwicklung der Geschichtswissenschaft, in der die Wirtschaftsgeschichte ihre zentrale Rolle an die Kulturgeschichte hatte abgeben müssen. Am ehesten ließ sich die Globalgeschichte noch mit der klassischen Sozialgeschichte vereinbaren – Lebenserwartung, Heiratsalter, mit etwas größerem Aufwand auch die Entwicklung des Lebensstandards und des Konsumverhaltens konnte man für verschiedene Länder nach den gleichen Prinzipien erheben und vergleichen (Pomeranz, 2007). Die historische Familienforschung war denn auch eine der frühesten Richtungen, die sich global orientierte (Ehmer / Hareven / Wall, 1997; Wall / Hareven / Ehmer, 2001). Wie sieht es jedoch mit der Möglichkeit aus, nicht nur die quantitative, sondern auch die qualitative Sozialgeschichte in die Weltgeschichte einzubringen? Und noch schwieriger: Kann es eine Weltgeschichtsschreibung geben, die die Prämissen des linguistic turn und der postkolonialen Studien zumindest ansatzweise integriert? Diesen Fragen soll im Folgenden anhand von drei Werken aus den letzten Jahren nachgegangen werden, die sowohl die theoretischen Prämissen einer solchen Arbeit erörtern, als auch am praktischen Beispiel zeigen, wie eine solche empirisch gesättigte Globalgeschichte aussehen könnte. Die ersten beiden Bücher, Christopher A. Baylys The Birth of the Modern World (2004) und Jürgen Osterhammels Die Verwandlung der Welt (2009), setzen sich zum Ziel, die Weltgeschichte des ›langen 19. Jahrhunderts‹ zu erzählen und zu deuten – schlank auf 500 Seiten bei Bayly, gewichtig auf 1600 Seiten bei Osterhammel. Beide Autoren kommen aus den Regionalstudien. Bayly ist Spezialist für die Geschichte Nordindiens seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert, einer Epoche für die er mehrere wegweisende Monografien vorgelegt hat; Osterhammel hat über chinesische Geschichte promoviert und habilitiert. Beide sind mit der Verflechtungsgeschichte des imperialen Zeitalters und seinen Auswirkungen für die Kolonien bestens vertraut. Das Ausgreifen in die Welt geschieht also in beiden Fällen nicht aus der europäischen Geschich-

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Weltgeschichte und Geschichte in globaler Perspektive

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te heraus; für beide ist es nicht das erste globalhistorische Buch, darüber hinaus haben sich beide in den letzten Jahren mit viel diskutierten theoretischen Entwürfen zur Überwindung der nationalstaatlichen Geschichtsschreibung (Osterhammel, 2001) und zur vormodernen Globalisierung und ihrem Verhältnis zur Moderne (Bayly, 2002; Fawaz / Bayly / Ilbert, 2002) hervorgetan. Beide halten kritische Distanz zu postkolonialen Ansätzen, deren Grundannahmen sie nur begrenzt teilen, deren Hang zur Fragmentarisierung der Geschichte sie vor allem ein entschiedenes Bekenntnis zur Notwendigkeit eines globalen Entwurfs entgegensetzen. Baylys Buch ist konsistent um die Frage herum organisiert, die dem Buch seinen Titel gab: Wie kam es zur Geburt der modernen Welt? Was änderte sich und was waren die treibenden Kräfte, die diese Änderungen hervorbrachten? Welche Rolle schließlich spielte Europa bei der Geburt dieser Moderne? Obwohl er empirisches Material aus allen Kontinenten heranzieht und eine Fülle unterschiedlicher Themen virtuos behandelt, geben diese zugespitzten Fragen dem Text eine beeindruckende innere Geschlossenheit – stilistisch steht Baylys Buch dem Essay näher als dem Kompendium. Die Diskussion um die Moderne ist von Historikern und Sozialwissenschaftlern lange und intensiv geführt worden, doch stand der Begriff gerade in den letzten Jahren – und ungeachtet aller Versuche, ihn zu pluralisieren und auf ›alternative Modernitäten‹ zu verweisen (Eisenstadt / Schluchter, 1998) – oft in dem Verdacht des Eurozentrismus, allzu sehr schillerte er zwischen Norm, Verheißung und Beschreibung (europäischer) Zustände. Alternative Modernitäten Versuch, Modernität von ›Verwestlichung‹ zu unterscheiden. Europas Weg in die Moderne ist nur einer unter vielen möglichen und für andere Kulturen nicht verbindlich. Das Ziel der Modernität ist für jede Kultur von ihrer je eigenen Voraussetzung aus erreichbar. Fraglich bleibt hierbei, ob die Pluralisierung nur den Weg oder auch das Ziel umfasst, ob es also nur unterschiedliche Prozesse der Modernisierung oder auch unterschiedliche Formen von Modernität gibt.

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Methodische Zugänge jenseits der Nation

This book takes the view that contemporary changes were so rapid, and interacted with each other so profoundly, that this period could reasonably be described as ›the birth of the modern world‹. (Bayly, 2004, S. 11)

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Bayly verweist zunächst einmal auf die Bedeutung, die der Begriff ›Moderne‹ für die Eigenperzeption der Akteure des 19. Jahrhunderts hatte, und zwar nicht nur für die Europäer, sondern ebenso für die Eliten der kolonisierten Länder. Daneben aber habe sich in dieser Zeit auch tatsächlich viel geändert:

Gab es schon seit der frühen Neuzeit Tendenzen zu einer »archaischen Globalisierung« (ebd., S. 41), auf denen die moderne Globalisierung dann aufbaute, so gewannen die Verbindungen zwischen den verschiedenen Regionen der Welt und ihre Interdependenz im 19. Jahrhundert eine neue Qualität. Dies führte zu einer zunehmenden globalen Uniformität, die Bayly für Kleidung ebenso brillant analysiert wie für Staatsformen oder Religionen. Auch wo die Akteure diese Vereinheitlichung ablehnten und stattdessen auf Differenzen beharrten, neigten sie dazu, diese in zunehmend ähnlichen Formen auszudrücken (ebd., S. 2). So mochten etwa Christentum und Islam ihre Unterschiede am Ende des 19. Jahrhunderts nicht weniger, sondern eher noch mehr betonen als am Anfang – dies änderte nichts daran, dass sich ihre Vorstellungen dessen, was unter Religion, etwa im Gegensatz zur Politik, zu verstehen sei, wie religiöse Wahrheit zu erkennen sei und wen sie verpflichte, stärker angenähert hatten als je zuvor. Im Gegensatz zu denjenigen Globalhistorikern, die in der Wirtschaft die einzige treibende Kraft des 19. und 20. Jahrhunderts sehen und sie gleichermaßen für die Entstehung der Moderne, die Globalisierung und die Vormachtstellung Europas verantwortlich machen, differenziert Bayly sehr präzise. Nicht nur die Wirtschaft, sondern auch der moderne Staat mit seinen spezifischen Organisationsformen und politische Ideen trugen zur Dynamik des Zeitalters bei. Diese Kräfte sind weder unabhängig voneinander zu betrachten, denn sie stehen in einem komplexen Interdependenzverhältnis, noch lassen sie sich aufeinander reduzieren, so dass etwa der Staat nur ein Produkt wirtschaftlicher Interessen wäre.

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Auch wenn am Ende des Untersuchungszeitraums Europa für jeden unübersehbar die Welt beherrschte, so war dieser Aufstieg weder unausweichlich noch lediglich dem Zufall geschuldet. Weder war Ende des 18. Jahrhunderts der Vorrang Europas gegenüber China, aber auch Indien bereits ausgemacht, noch war Europa das einzige Zentrum, von dem eine Dynamik ausging. Wandel war, so betont Bayly immer wieder, multipolar (ebd., S. 451). Zugleich aber konnten gerade in einer Zeit des Umbruchs kleine Unterschiede weitreichende Folgen haben. Zum Vorteil Europas wirkte sich dabei, so Baylys provokante These, gerade die Rivalität zwischen den verschiedenen Staaten aus, die die Nationen in immer neuen Kriegen zu gewaltigen Anstrengungen und zur Bündelung von Kräften zwang, sowohl in wirtschaftlicher als auch in organisatorischer, vor allem in finanzpolitischer Hinsicht. Daraus hervorgegangene Innovationen standen dann auch in Friedenszeiten sowie bei der kolonialen Expansion zur Verfügung. Steht bei Bayly eine einzelne Frage im Vordergrund, so strebt Osterhammel nach der Gesamtschau, nach dem »kaum fassbaren Ganzen« (Osterhammel, 2009, S. 19), das die Teile zusammenhält und das doch nur umkreist werden kann – sichtbar und vor allem darstellbar sind nur die Teilbereiche, die alle ihrer eigenen Logik folgen. Der schiere Umfang des Buches führt zudem wohl in der Praxis dazu, dass kaum ein Leser diese Zusammenschau erreicht, da die meisten sich auf eine Selektion von einzelnen Kapiteln beschränken werden – Kapitel, die allerdings teilweise bereits die Länge dessen erreichen, was im angelsächsischen Raum als die Obergrenze für eine Monografie gilt. Noch mehr als Bayly deckt Osterhammel eine beeindruckende Breite an Themen ab. Er schreibt ebenso zur Geschichte der Raum- und Zeitvorstellungen, wie zu den ›klassischen‹ Fragen der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, zur Industrialisierung und zur Geschichte der Arbeit, zu sozialen Hierarchien und zum Wandel des Lebensstandards, aber auch zu den internationalen Beziehungen, zur Geschichte der Seuchen und den Bemühungen um Prävention, zum Konsum, darüber hinaus zu Musik, zu Museen, zur Universität und zu den ästhetischen Vorstellungen, die

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Städteplanungen zugrunde lagen. Gleichwohl gilt: Selbst ein Buch von diesem Umfang muss eine Auswahl treffen. Eine Diskussion dieser Selektionskriterien findet jedoch bestenfalls in Nebensätzen statt. Osterhammel gilt in Deutschland seit vielen Jahren als einer der wichtigsten Vertreter der Idee einer ›Geschichte jenseits des Nationalstaats‹, die sowohl auf dem Vergleich als auch auf der Beziehungsgeschichte aufbaut. In der Verwandlung der Welt erweist er sich allerdings vor allem als ein Meister des Vergleichs, der mit einer an Max Weber erinnernden Virtuosität Definitionen und Idealtypen zu konstruieren vermag, die es erlauben, Entwicklungen in weit auseinander liegenden Regionen aufeinander zu beziehen und in einem neuen Licht erscheinen zu lassen. Einheiten des Vergleichs sind dabei nicht nur Nationen, sondern auch Städte, Grenzregionen oder Kulturen. Bereits in der Einleitung legt Osterhammel ein doppeltes Bekenntnis ab: Zum einen sehe er noch stärker als Bayly das 19. Jahrhundert »als ein Jahrhundert Europas« (ebd., S. 16), nicht nur wegen der gewaltigen Durchschlagskraft der Veränderungen, die von Europa ausgingen, sondern auch, weil in diesem Jahrhundert Europa für alle Akteure weltweit zum Maß der Dinge wurde (ebd., S. 20). Zum anderen könne eine Weltgeschichte nur aus einer Hand stammen – nur ein einzelner Forscher und nicht eine »gelehrte Fabrik« sei in der Lage, die gewaltigen Stoffmengen kohärent zu organisieren und zu deuten (ebd., S. 15). Daran, dass sowohl Bayly als auch Osterhammel eine schier unglaubliche Menge an Sekundärliteratur bewältigt haben und dass sie es geschafft haben, diesem Material ihren eigenen Stempel aufzudrücken, besteht kein Zweifel. Doch stimmt es wirklich, dass es die heroischen Einzelleistungen sind, die die besten Ergebnisse erzielen? Ist die Vision der Einzigartigkeit und Bedeutung Europas nicht auch dem europäischen Blickwinkel geschuldet, würde nicht die Einbeziehung von anderen historiografischen Traditionen möglicherweise zu ganz anderen Ergebnissen führen (Stuchtey / Fuchs, 2003)? Fordert eine transnationale Geschichtsschreibung nicht auch andere Formen der Organisation von Zusammenarbeit? Jede Synthese kann nur auf der Basis von Sekun-

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därliteratur erfolgen. Nun ist es schon schwierig genug, nationalgeschichtlichen Monografien, die mit Blick auf unterschiedliche Fragestellungen geschrieben wurden, einen aussagekräftigen transnationalen Vergleich abzuringen. Eine Beziehungsgeschichte, eine transkulturelle Histoire croisée kann man Arbeiten, die diese Frage nicht untersuchen, beim besten Willen nicht im Nachhinein entnehmen. Und zuletzt: Eine Weltgeschichte aus einer Hand ist notwendig monolingual in dem Sinne, dass sie mit Analysekategorien arbeitet, deren Relation zu den Begriffen der Quellensprache sie nicht selber überprüfen kann. Damit gehen nicht nur die Begriffe und die Sprache der Akteure (zumindest alle außer den westeuropäischen) verloren, sondern auch ein wesentlicher Teil ihrer Weltsicht und Weltdeutung. Ist dies ein notwendiger Preis für die Syntheseleistung? Oder lassen sich intelligente Formen der Arbeitsteilung finden, die auf eine Koordination dennoch nicht verzichten – so wie dies die Wissensgeschichte der Neuzeit für den Abschied vom Universalgelehrten zeigt oder der gegenwärtige Fortschritt in den Naturund Lebenswissenschaften, der nur als Folge von Teamarbeit denkbar ist? Liegt es in der Natur der Sache, dass Historiker noch immer dazu neigen, vor allem die Leistung des Einzelkämpfers zu bewundern, oder hat es auch mit den Ausbildungsstrukturen zu tun, die eben jenen Einzelkämpfer prämieren, nicht aber planmäßig zur Zusammenarbeit erziehen? Dass es auch anders geht, zeigt der angesprochene, noch viel zu wenig beachtete Band von Sebastian Conrad und Dominic Sachsenmaier (2007), der die Ergebnisse einer Forschergruppe von Regionalspezialisten zusammenträgt, die, anders als die beiden oben besprochenen Autoren, der postkolonialen Geschichtsschreibung nahe stehen. Die Gruppe hat sich über einen längeren Zeitraum intensiv mit Fragen der globalen Weltordnungen von 1880–1930 auseinandergesetzt; im Gegensatz zu Konferenzbänden, denen häufig die innere Kohärenz fehlt, sind hier die Untersuchungen aus den verschiedenen Weltregionen eng aufeinander bezogen. Zusammengehalten werden sie durch die doppelte Frage nach global movements und global moments, also nach Bewegungen, die Akteure über nationale Grenzen hinweg miteinander in Kon-

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takt brachten, und nach Ereignissen, die eine zentrale Bedeutung über ihren lokalen Ursprung hinaus entwickelten und zum Referenzpunkt für Akteure in verschiedenen Regionen wurden. Als Beispiel für das Erste mag Harald Fischer-Tinés Untersuchung der Heilsarmee gelten, einer Organisation, die nicht nur selbst weltweit aktiv wurde, sondern deren Modelle auch von anderen Gruppen kopiert und anverwandelt wurden (Fischer-Tiné, 2007; 2009). Für das Zweite ist die Untersuchung der Auswirkungen des Sieges Japans über Russland 1905 beispielhaft, in der Cemil Aydin die Verflechtungen und gegenseitigen Beeinflussungen von Panislamischen und Panasiatischen Bewegungen in den Blick nimmt (Aydin 2007a+b). Zugegeben, die Frage nach Weltordnungen, so zentral sie sein mag, ist in ihrer Größenordnung nicht vergleichbar mit dem Bemühen, eine Gesamtgeschichte der Welt im 19. Jahrhundert zu präsentieren. Wohl aber mag dieser Versuch als zukunftsweisend dafür gelten, dass Formen intensiver Zusammenarbeit über längere Zeiträume hinweg die Lösung darstellen können für die Probleme der Globalgeschichte. Dies bezieht sich vor allem auf ihre schwierige Balance zwischen notwendiger Verallgemeinerung auf der einen und nicht weniger notwendigem lokal und regional eingebettetem Wissen auf der anderen Seite, einem Wissen, das auf Sprachkenntnissen und Quellenkenntnis beruht – beruhen muss, wenn die Globalgeschichte nicht hinter die Standards der anderen historiografischen Felder zurückfallen will.

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IV. Forschungsfelder

Gerade in Deutschland wurde in den letzten Jahren immer wieder bedauert, dass die intensive theoretische Beschäftigung mit transnationalen Ansätzen bisher nur wenig empirische Forschungen angeregt habe. Im Hintergrund schwingt immer die Frage mit: Das mag in der Theorie alles ganz schön und interessant sein, aber lässt es sich denn überhaupt praktisch umsetzen? Dieses Kapitel will zeigen, dass es durchaus schon eine Forschungspraxis der transnationalen Geschichte gibt, auch wenn diese Untersuchungen sich teilweise am Rande oder außerhalb der Themen und vor allem Regionen bewegen, die in der ›Allgemeinen Geschichte‹ – in Deutschland noch immer weitgehend synonym mit deutscher oder allenfalls europäischer Geschichte – breit rezipiert werden. Auch wenn bisweilen in der Literatur der Eindruck erweckt wird, transnationale Geschichte sei etwas radikal Neues, noch nie Dagewesenes: Viele Themen haben bereits eine lange Forschungstradition, an die heutige Interessen anknüpfen können. In diesem Kapitel geht es um beides, um die Darstellung der Traditionen, aber auch darum, deutlich werden zu lassen, wo transnationale Geschichte Fragen anders stellen würde und damit zu neuen Erkenntnissen beitragen kann. Es kann an dieser Stelle nicht darum gehen, mit dem Anspruch auf Vollständigkeit umfassend über gegenwärtige und vergangene Forschung zu berichten, die sich über nationale Grenzen hinweg bewegt. Vielmehr ist das Ziel, anhand einer Reihe von Forschungsfeldern exemplarisch zu zeigen, wie transnationale Geschichtsschreibung in der Praxis aussieht und was diese empirischen Arbeiten zur Konzipierung einer ›Geschichte jenseits des Nationalstaats‹ (Osterhammel, 2001) beizutragen vermögen. Die Auswahl ist dabei subjektiv – statt der indischen Reiseberichte hätte man auch die Migration der Polen ins Ruhrgebiet nehmen können oder den Sklavenhandel; statt des Indischen Ozeans den Atlantik, statt der Seidenstraße die transsaharischen Routen, statt der Religion das weltweite Geschäft mit Schokolade oder

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Baumwolle (Beckert, 2004; 2005; Gilroy, 1993; Glorius, 2007; Marfaing / Wippel, 2004; Menninger, 2004; Zeuske, 2006). Wenn das Kapitel Leserinnen und Leser dazu animiert, ihre eigenen Entdeckungsreisen in die transnationale Geschichte zu unternehmen, um die weißen Flecken auf der Landkarte zu beseitigen, hat es sein Ziel mehr als erfüllt.

Auch im Zeitalter der Nationalstaaten, d. h. zu einer Zeit, als die meisten Menschen davon überzeugt waren, dass die Nation der wesentliche Interpretationsrahmen für das historische Geschehen sei, bewegten sich die Akteure keineswegs nur innerhalb der staatlichen Grenzen. Im Gegenteil: Der Aufstieg der Nationalstaaten und die Zunahme der globalen Mobilität fanden nicht nur zur gleichen Zeit statt, sie waren auch enger miteinander verknüpft, als es lange Zeit von der Forschung wahrgenommen wurde. Aus ganz unterschiedlichen Gründen verlassen Menschen ihren Wohnort und setzen sich in Bewegung. Manche haben die Absicht früher oder später zurückzukehren, andere verlassen die Heimat auf Dauer; einige reisen regelmäßig, andere nur einmal; manche innerhalb eines Landes, andere über Grenzen hinweg, in ein mehr oder weniger vertrautes Nachbarland oder auf einen anderen Kontinent. Die Erfahrung des Aufbruchs und des Unterwegs-Seins verändert die Menschen. Sie verändert aber auch das Wissen und damit die Vorstellungen, die eine Gesellschaft über sich selbst und ihren Platz in der Welt hat. Die Begegnungen mit anderen Menschen führen nicht nur zu neuem Wissen über die ›Fremden‹: jede Beschreibung des Fremden ist auch eine Aussage über das Spezifische des Eigenen, über das, was das Eigene zum Eigenen macht. Identität konstituiert sich durch die Konfrontation mit Alterität. Dies trifft für das Individuum zu, aber auch für Gemeinschaften und Nationen. Welche Eigenschaften habe ich, zu welcher Gemeinschaft gehöre ich, was verbindet uns, was trennt uns von anderen? Das sind Fragen, die durch die Erfah-

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rung der Bewegung im Raum hervorgerufen und beantwortet werden. Mobilität überschreitet Grenzen, sie bringt aber auch – und zwar mit derselben Bewegung – Grenzen hervor. Zugleich verändert die Bewegung im Raum die geografischen Vorstellungen: Karten werden neu gezeichnet, nachdem ein ›Entdecker‹ seinen Reisebericht vorlegt und von Flüssen, Bergen und Wüsten, Städten und Straßen erzählt, die bislang in seinem Heimatland unbekannt waren. Auch die mental maps, die inneren Landkarten (g Kap. III, S. 70) verändern sich nicht nur bei denen, die unterwegs sind, sondern auch bei den anderen – etwa infolge der Auswanderung von Familienangehörigen oder durch den Zuzug von Immigranten. Länder und Regionen, die bisher nicht nur unbekannt, sondern auch unwichtig für das Weltbild waren, werden hierdurch mit Bedeutung versehen. Entsprechend verändert sich auch der Blick auf den eigenen geografischen Ort. Die Forschung hat sich in den letzten Jahren intensiv Reiseberichten zugewandt. Vor allem die innereuropäischen Reiseberichte sind dabei stets mit doppelter Zielrichtung untersucht worden: Zum einen sind sie Quellen für die gegenseitige Perzeption verschiedener Gruppen, wenn ein preußischer Aufklärer des 18. Jahrhunderts die katholische Frömmigkeit in Bayern zu beschreiben sucht oder deutsche Italienreisende sich in ihrer Wahrnehmung zwischen Bewunderung für die klassische Architektur und Bildhauerei und der Beschreibung der Sitten und Gebräuche der zeitgenössischen Italiener bewegen. Zum anderen sind Reiseberichte in den allermeisten Fällen nicht im Stile einer objektivierenden Darlegung von Fakten gehalten, sondern als Ego-Dokumente gestaltet und stellen als solche ebenso wie die nahe verwandten Gattungen der Tagebücher und Briefsammlungen Quellen für die Untersuchungen zur Entstehung des modernen Subjekts dar. Was der Reisende sah und was er fühlte, ist im veröffentlichten Reisebericht bereits mehrfach mediatisiert worden: Das Genre des Reiseberichts als literarische Form ist an bestimmte Publikumserwartungen gebunden. Es gibt Regeln, nach denen Authentizität erzeugt wird und der ›wahre‹ Bericht von den Erzählungen des Barons von Münchhausen unterschieden werden muss. Es gibt Regeln des Sagbaren; es gibt aber auch ein Vorwissen der Leser,

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dem nur zum Teil widersprochen werden kann, soll der Bericht glaubwürdig bleiben. Diese Publikumserwartungen sind jedoch mehr als ›Verfälschungen‹, von denen der Text möglichst befreit werden muss, bevor er interpretiert werden kann; vielmehr erlauben sie, das individuelle Erleben eines Reisenden zurückzubinden an den Wissenshaushalt seiner Zeit. Ein Reisebericht gibt damit nicht nur Auskunft über fremde Länder (dies vielleicht sogar noch am wenigsten) und über das subjektive Erleben einer Person, sondern vor allem über den Blick einer Gesellschaft auf die Welt jenseits ihrer Grenzen (gute Einführung in die europäische Reiseforschung: Bauerkämper / Bödeker / Struck, 2004). Berichte von europäischen Reisenden in die außereuropäische Welt gab es zwar schon lange, mit dem ›Zeitalter der Entdeckungen‹ gewannen sie jedoch nochmals eine neue Bedeutung. Vor allem die Bemühungen der schottischen Aufklärer, Ordnung und Gesetzmäßigkeiten im Gang der Geschichte zu erkennen, wären ohne die Auswertung von Reiseberichten nicht denkbar. Wo die Naturwissenschaften Experimente einsetzen konnten, um Regeln zu erkennen, die über den Einzelfall hinaus Gültigkeit hatten, griffen Historiker und Moralphilosophen des 18. Jahrhunderts zunehmend auf den Vergleich unterschiedlicher Länder und Völker zurück, die ihnen die Reisenden nahe gebracht hatten. Durchliefen alle Gesellschaften die gleichen Entwicklungsstadien, so bildeten die außereuropäischen Gesellschaften (neben der biblischen Geschichte und der Antike) wichtige Quellen für die europäische Vorzeit, aus der heraus sich die gegenwärtige Zivilisation entwickelt hatte: Asien und die ›Neue Welt‹ stellten Europa die eigene Vergangenheit vor Augen (Millar, 2006 [1771]; Smith, 1976 [1759]). Dabei war das Abhängigkeitsverhältnis zwischen Gelehrten und Reisenden durchaus ein gegenseitiges: Waren die Reisenden von den Zeit- und Weltvorstellungen der Gelehrten geprägt und sahen sie daher die Fremde und die Fremden durch deren Brille, so determinierte diese Perspektive ihre Erfahrung gleichwohl nicht umfassend, sondern ließ Raum für die Integration von neuem Wissen – nicht zuletzt jenem Wissen, das durch den zweiten Dialog zustande kam, in dem der Reisende stand, nämlich demjenigen mit seinen Informanten vor Ort, die ihm erklär-

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ten, was er sah (Irschick, 1994; Osterhammel, 1998). Reiseberichte können daher schon aufgrund dieses Entstehungsprozesses gar nicht anders als transnational interpretiert werden. Der entscheidende Unterschied zwischen diesen Reisen des späten 18. und 19. Jahrhunderts und früheren Reisen – und wahrscheinlich auch Reisen in anderen Kulturen – scheint nicht nur im zahlenmäßigen Anwachsen der Reisetätigkeit, sondern vor allem in ihrer Systematisierung zu liegen. Nicht nur waren den Reisenden in der Regel die vorgängigen Reiseberichte bekannt und sie konnten sich darauf beziehen. Den meisten Reisen lagen auch gemeinsame Forschungsfragen und vor allem universelle Klassifikationsschemata zugrunde, in die sie ihre Beobachtungen einfügen konnten – ob dies die Kategorien von Carl Linnaeus waren, die lange Zeit die Basis für die koloniale Botanik und Zoologie boten, wie Mary Pratt gezeigt hat (Pratt, 1992), oder Regeln der Kartografie, die die Welt mit einem Netz aus mathematisch präzisen Referenzpunkten überzogen, in Bezug auf welche die geografischen Informationen eingetragen werden konnten (Edney, 1999). Dies erlaubte die Kumulation von aufeinander aufbauendem Wissen und die Erstellung eines Archivs, das sich nicht nur auf die Kolonien bezog, sondern in seinem Anspruch weltumfassend und weltordnend war – wenngleich dies kein Aufheben der Grenzen, weder der nationalen noch der kulturellen, zur Folge hatte und erst recht nicht die Hierarchie zwischen den transnational wirkenden Forschern und ihren Forschungsobjekten aufhob. Wenn man das Gros der Reiseforschung betrachtet, könnte man glauben, es seien nur die Europäer gewesen, die reisten. Selbst postkoloniale Forscher, die sich darum bemühen, die europäische Herrschaft kritisch zu hinterfragen und die daher diese Reisen nicht mehr als Beweis eines politisch neutralen europäischen Wissensdranges deuten, sondern im Gegenteil darauf hinweisen, wie sehr Welterkenntnis und Welteroberung miteinander verflochten waren, wenden sich in ihrer großen Mehrzahl nur den Texten europäischer Reisender zu. Damit sind auch sie paradoxerweise noch Erben des 18. Jahrhunderts, das die Mobilität mit der europäischen Moderne gleichsetzte und dem bewe-

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gungslosen, unveränderlichen Orient entgegenstellte. Doch reisten die Orientalen wirklich nicht? Muzaffar Alam, Spezialist für die indische frühe Neuzeit und Sanjay Subrahmanyam, dem wir als Vertreter der Connected History schon im vorigen Kapitel begegnet sind, haben über viele Jahre persischsprachige Reiseberichte aus dem 15.–18. Jahrhundert zusammengetragen und untersucht (Alam / Subrahmanyam, 2007). Dabei zeigen sie, dass sich die These von der orientalischen Immobilität nicht aufrechterhalten lässt. Selbst außerhalb der ›klassischen‹ Felder von Pilgerschaft und Handelsreise waren Osmanen, Perser, Araber und Inder unterwegs, in Fahrten, die sich ebenso wie ihre europäischen Gegenstücke über Jahre erstreckten und zu Reiseliteratur als einem eigenen Genre Anlass gaben. Zwei wichtige Aspekte unterscheiden diese Texte jedoch von den europäischen: Zum einen setzte sich der Buchdruck in der islamischen Welt erst im 19. Jahrhundert auf breiter Front durch. Damit fehlte den Berichten die weite Verbreitung; der Kumulation von Wissen waren schon in praktischer Hinsicht Grenzen gesetzt. Gegenwärtig noch nicht beantwortet werden kann wohl die Frage, ob und in welchem Maße dies auch Einfluss auf das Ziel der Reisen und Reiseberichte hatte. Ging es lediglich um die Beschreibung von Wundern und Sehenswürdigkeiten zur moralischen Belehrung und Unterhaltung des Lesers? Gab es Programme der planmäßigen, möglicherweise sogar staatlich geförderten Erschließung von neuem Wissen durch systematische Reisen? Wenn ja, ab wann und welches Wissen war für wen besonders interessant? Außerdem sieht es so aus, als ob zumindest diejenigen frühneuzeitlichen Reisen, die zu den untersuchten Berichten führten, selten über den im weitesten Sinne arabisch-persischen Kulturraum hinaus gegangen wären, in dem die Reisenden zumindest bei Hof sich innerhalb eines relativ vertrauten Regelwerks bewegen konnten – die Strecken zwischen den Höfen blieben abenteuerlich genug. Wenngleich bislang keine Texte gefunden wurden, die von indischen Forschungsreisen nach China, Afrika oder Italien berichteten, so sind, wie Michael H. Fisher eindrucksvoll belegt, durchaus nicht nur Briten nach Indien, sondern auch Inder nach Groß-

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britannien gereist, und zwar vom Beginn der Mission der East India Company im 17. Jahrhundert an (Fisher, 2004). Die Gruppe der Reisenden umfasste so gut wie alle sozialen Schichten, von Seeleuten und Dienstboten bis zu Dozenten und Sprachlehrern an den englischen Universitäten und, vor allem im 19. und 20. Jahrhundert, den indischen Adel und die Rechtsvertreter der Fürsten. Auch wenn nicht viele von ihnen Reiseberichte hinterlassen haben und die wenigsten sich als ›Forscher‹ bezeichnet hätten, eines ist sicher: Die Wissensproduktion über Großbritannien und über Indien war in geringerem Maße ein Monopol der Kolonialmacht, als es auf ersten Blick den Anschein hat. Vermochten die Briten schon in Indien nur mit großer Mühe das Bild vom weißen Mann zu kontrollieren (Fischer-Tiné, 2009), so gelangten über die indischen Reisenden die ausgeblendeten Informationen über Armut, Krankheit und Kriminalität zurück nach Indien, so wie es im Gegenzug Indern in Großbritannien gelang, Beziehungen an der East India Company und später der Regierung vorbei zum Parlament, zur Presse und zur Öffentlichkeit aufzubauen. Dies hob die Asymmetrie der Beziehungen gewiss nicht auf, ließ und lässt aber die klaren Dichotomien zwischen beiden Ländern verschwimmen. Dieser Unschärferelation, diesem Faktum, dass die Reisenden zu keinem der beiden Länder ausschließlich gehören, muss auch die Forschung Rechnung tragen – Reisende, erst recht Reisende über weite geografische Räume hinweg, sind eine dankbare Aufgabe für die transnationale Forschung. Aber auch wenn man die Bedeutung der Reiseberichte für die Weltsicht der Zeitgenossen anerkennt, bleibt die Frage nach den Größenordnungen bestehen: Selbst in den Epochen intensivster Reisetätigkeit war es immer nur eine ganz kleine Minderheit, die aufbrach. Anders sieht es bei der Migration aus – und zwar nicht nur in Bezug auf Nordamerika und Australien, wo die Einwanderer die ursprüngliche Bevölkerung gewaltsam fast völlig verdrängten. Wie die Zunahme der Reisen fand auch die Massenmigration zeitgleich zum Aufstieg des Nationalstaates statt, obwohl sie seine Grundannahmen – die Nation als Abstammungsgemeinschaft in enger Verbindung zu einem spezifischen Territorium, ›Blut‹ und ›Boden‹ also – unterlief. So stehen als Ergebnis der

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Migration einer Milliarde Chinesen in China 22 Millionen Menschen chinesischen Ursprungs in der übrigen Welt gegenüber, den 540 Millionen Afrikanern in Afrika 300 Millionen auf anderen Kontinenten und den 700 Millionen Europäern in Europa 350 Millionen anderswo (Zahlen aus den 1990er Jahren: van der Veer, 1995, S. 1). Wenngleich sich die Erforschung der Migration noch immer im Wesentlichen auf die Bevölkerungsströme über den Atlantik konzentriert, sollte nicht vergessen werden, dass Amerika nur eines der Zentren war, in das migriert wurde. So standen den 55 bis 58 Millionen Europäern, die zwischen 1846 und 1940 nach Amerika einwanderten, für den gleichen Zeitraum immerhin 48 bis 52 Millionen Migranten nach Südostasien gegenüber, in der Hauptsache Chinesen und Inder und weitere 46 bis 51 Millionen, die nach Nordostasien gingen, nach Sibirien und in die Mandschurei (Zahlen: McKeown, 2004, S. 156). Auch hier mag die Forschung lange Zeit den Vorstellungen vom bewegungslosen Orient, der nur durch Europa mobilisiert werden kann, stärker verhaftet gewesen sein, als ihr selber bewusst war. Mehr noch als für die Geschichte des Reisens gilt es für die Migrationsgeschichte, die verschiedenen Ebenen zueinander in Beziehung zu setzen. Auf der Makroebene bestimmen die Entwicklungen der Weltwirtschaft den Bedarf nach Arbeitskräften, sei es in den Plantagen, den Minen oder den aufstrebenden Industriegebieten. Schon im 19. Jahrhundert waren die Märkte für Rohstoffe und für Arbeitskräfte, aber auch die Absatzmärkte, weltweit so eng verflochten, dass Veränderungen hier nur aus einer globalen Perspektive heraus zu erklären sind. Am anderen Ende der Skala beeinflussen regionale, ja sogar lokale Faktoren die konkrete Entscheidung zur Migration. Familienstrukturen entschieden darüber, wer auswanderte, ob nur ledige junge Männer sich aufmachten, ob die Ehefrauen zurückblieben oder Ehepaare gemeinsam migrierten oder ob ganze Familien die Brücken abbrachen und sich auf den Weg machten. Da Auswanderung selten ohne eine Anknüpfungsmöglichkeit am Zielort erfolgte, bildeten sich Netzwerke, die immer weitere Migranten nachzogen; dies konnte dazu führen, dass auch bei ähnlicher Struktur benachbarte Regionen ein ganz unterschiedliches Migrationsverhalten auf-

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wiesen. Daneben gilt es, die staatlichen Migrationsregime zu berücksichtigen – sowohl der Ursprungs- als auch der Zielstaat konnten aus wirtschaftlichen, aber auch aus politischen Gründen regelnd in den Wanderungsprozess eingreifen. China zum Beispiel verbot noch um die Mitte des 19. Jahrhunderts jegliche Auswanderung; Großbritannien hingegen förderte die Emigration zumal der Unterschichten in der Hoffnung, sich so des sozialen Sprengstoffs entledigen zu können und zudem denjenigen, die in den Elendsquartieren der früh industralisierten Städte ›verkamen‹, in den Siedlerkolonien ein neues Leben zu ermöglichen. Ebenso konnten die aufnehmenden Staaten durch Werbekampagnen und wirtschaftliche Anreize die Einwanderung fördern, aber auch durch Kontrolle der Einreise und Visapflicht nur bestimmte Migranten ins Land lassen, die Immigration ganz unterbinden und sogar die Rückwanderung in die Ursprungsländer fördern (Oltmer, 2009). Hierunter fiel nicht zuletzt die Schaffung des rechtlichen Rahmens, der Sklaverei und formell freie Vertragsarbeit (indentured labour) ermöglichte oder verhinderte. Die Migrationsgeschichte ist also ein charakteristisches Beispiel für die Notwendigkeit – und die vielfach schon erfolgreiche Umsetzung – der jeux d’échelles, des Spiels mit unterschiedlichen Maßstäben (Revel, 1996), das im vorigen Kapitel als theoretischer Ansatz vorgestellt wurde. Wanderungsbewegungen, das hat die historische Migrationsforschung in den letzten Jahren betont, waren kein Prozess, der nur in eine Richtung verlief und einen eindeutigen Anfangs- und Endpunkt hatte, von dem an die Geschichtsschreibung im nationalen Rahmen gewissermaßen wieder die Federführung übernehmen könnte (Oltmer, 2010). Stattdessen wurden Kontakte in die Ursprungsregion mitunter über Generationen aufrecht erhalten, es fanden Rückmigrationen statt (oder sie blieben zumindest als Zielvorstellung erhalten) oder es kam zur Weiterwanderung in ein neues Land. Diasporen gehörten zur Geschichte fast aller modernen Nationalstaaten, sowohl auf dem eigenen Territorium als auch in Gestalt von Staatsbürgern oder deren Nachkommen in anderen Nationen. Wieweit sie ›integriert‹ waren, hing zum Ersten von den sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Bedingun-

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gen im Ursprungs- und im Zielland ab. Auch wenn man nicht soweit gehen will, Migranten in einem ›transstaatlichen‹ Raum zu verorten (Faist, 2000), also einem Raum, der gleichermaßen vom Ursprungs- wie vom Zielstaat geprägt ist, aber in keinem von beiden aufgeht, so kann ihre Geschichte doch nur als Interaktionsgeschichte zwischen den Räumen untersucht werden. Zum Zweiten hing es davon ab, wieweit die Sozialstruktur des Ziellandes überhaupt eine ›Integration‹, d. h. eine Aufhebung der Organisation der Einwohner in mehr oder minder autonomen Gemeinschaften anstrebte und jedes Individuum in eine unmittelbare, durch keine weitere Instanz vermittelte Beziehung zum Staat zu setzen suchte. Dass Stadtbeschreibungen in Nordindien z. B. bis ins 19. Jahrhundert regelmäßig auf die Vielzahl der ansässigen Gemeinschaften hinwiesen (Pathanen, Afghanen, Iraner, Tajiken, Araber, aber auch Abessinier, Juden und Armenier), bedeutete für die Autoren nicht einen Hinweis auf die besorgniserregende Existenz von ›Parallelgesellschaften‹, sondern trug im Gegenteil zum Prestige des Herrschers bei und verwies auf die Ausstrahlung seiner Macht. In noch stärkerem Maße als die Reisenden und ihre Berichte überschritten Migranten Grenzen und setzten Räume zueinander in Beziehung. Dass dies jedoch nicht oder zumindest kaum jemals zu einer harmonischen Welt ohne Grenzen führte, dürfte aus dem Vorausgegangenen deutlich geworden sein. Grenzen entfalteten ihre Wirkung erst dann, wenn sie überschritten wurden; die Migration brachte die Grenzkontrolle mit sich, die Einführung von Pass- und Visumspflicht. Die Erfahrung von Fremdheit durch diejenigen, die sich in Bewegung setzten, aber auch durch die, die mit den Resultaten dieser Mobilität konfrontiert wurden (sei es, dass sie ihnen unmittelbar begegnen oder in mediatisierter Form durch Berichte aller Art), führte dazu, Differenzkriterien aufzustellen und zu systematisieren und im nächsten Schritt dann das ›Eigene‹ anhand dieser Kriterien zu homogenisieren und vom ›Fremden‹ abzugrenzen. Nationalismus und Nationalisierung sind zutiefst transnationale Phänomene und verdienen es, als solche untersucht zu werden.

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2. Regionen Wenn Menschen nationale Grenzen überschreiten, so finden sie sich dennoch nicht sogleich in einem gleichförmigen ›globalen‹ Raum wieder, der die gesamte Welt umfasst. Das gilt für historische Akteure ebenso wie für Historiker. Nicht nur der Nationalstaat bietet sich jedoch als Instanz zwischen dem Lokalen und dem Globalen an – wo es ihn denn gab, er ist ja durchaus keine universelle Erscheinung. Ebenso bedeutend sind andere räumliche Zusammenhänge, die kleiner sein können als die Nationalstaaten (auch wenn sie deren Grenzen möglicherweise überschreiten), wie etwa Friesland oder die Pyrenäen, oder auch eine größere Region umfassen, wie etwa Europa oder das Mittelmeer. Ziel dieses Kapitels ist es, Forschungen zu Regionen vorzustellen, die ihren Anfang zum Teil bereits lange vor der gegenwärtigen Debatte um transnationale Studien nahmen. Auch hier kann es wiederum nicht darum gehen, die Geschichte der Regionen oder auch nur ihre Historiografie in irgendeiner Weise vollständig zu erfassen. Vielmehr soll aus der Perspektive der transnationalen Forschung eine Reihe von Fragen an diese Untersuchungen gerichtet werden: Wie konstituieren sich Regionen? Wie können ihre Grenzen erfasst werden? Wie verändern sie ihre Ausdehnung im Laufe der Geschichte? Wie verhalten sie sich zu anderen Regionen, aber auch zu anderen geografischen Räumen, insbesondere zu Nationalstaaten, die mit dem Anspruch auf unteilbare Souveränität auftreten? Welche Annahmen über transnationale, aber auch über nationale Geschichte stehen hinter den Forschungen? Wie verhalten sie sich zu den gegenwärtigen Debatten?

2.1 Das Mittelmeer Am Anfang der Regionalforschung standen Fernand Braudel (1902–1985) und seine gewaltige Studie über das Mittelmeer zu der Zeit Philipps II. (Braudel, 1949). Als Student im Paris der Zwischenkriegszeit war Braudel zutiefst beeindruckt vom Anliegen der Begründer der Zeitschrift Annales, die Begrenzung der Geschichtswissenschaft auf die Untersuchung der politischen Ereig-

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nisse zu überwinden und stattdessen nach den tiefer liegenden bewegenden Kräften der Geschichte zu fragen. Seine Untersuchung zum Mittelmeer wurde in den wesentlichen Zügen bereits 1939 beendet, nach der Lübecker Kriegsgefangenschaft des Autors überarbeitet, 1947 als thèse (dem französischen Äquivalent zur Habilitation) verteidigt und zwei Jahre später in drei dicken Bänden veröffentlicht. Gegen den belgischen Historiker Henri Pirenne und dessen These, dass die Einheit des Mittelmeeres, die das römische Reich (also ein politischer Verband) geschaffen hatte, durch die Eroberungen der Araber (also ein politisches Ereignis) im 7. Jahrhundert zerstört worden sei (Pirenne, 1937), stellte Braudel seine Überzeugung, dass diese Einheit tiefer gehe und in einer Perspektive betrachtet werden müsse, die historisch weit hinter das römische Reich zurückgreife und auf der anderen Seite über Karl den Großen hinausreiche. Erst die Eroberung Amerikas und die daraus resultierende Verschiebung der Gewichte hin zum Atlantik hätten hier wirklich durchgreifende Änderungen hervorgebracht. Gestützt wurde diese These durch Braudels Theorie der Zeitschichten: Die Geschichte bewegt sich in drei unterschiedlichen Tempi. Die unterste Schicht, die longue durée, bewegt sich nur sehr langsam, Veränderungen sind – wenn sie denn überhaupt stattfinden – allenfalls im Rhythmus von Jahrhunderten zu erkennen. Vor allem die Geografie und das Klima sind hier die bestimmenden Kräfte. Darüber liegt die Schicht der conjonctures, der wirtschaftlichen, aber auch sozialen Zyklen, die Jahrzehnte andauern. Und nur als letzte, oberflächlichste Schicht der événements, der Ereignisse, beeinflussen politische Entscheidungen den Lauf der Geschichte. Die Einheit der Mittelmeerregion und ihre Grenzen werden in wesentlichen Zügen schon von den Kräften der longue durée vorgegeben. Auf dieser Grundlage entwarf Braudel eine Gesamtschau des Mittelmeeres, die keineswegs nur die im Titel angekündigte Zeit Philippes II. umfasste, sondern mit den ersten Besiedlungen des Raums begann und sich bis in die Gegenwart erstreckte, wo der Autor seine eigene Liebe zum Mittelmeer, seine sinnlichen Erfahrungen und erinnerten Bilder mit einfließen ließ und die Leser

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Abb. 1: Mittelmeer

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aufforderte, ein Gleiches zu tun, offensichtlich in der Annahme, dass sich die Gerüche und Farben, die Empfindungen, die Sonne und Wind auslösten, im Laufe der Jahrhunderte nicht gewandelt hätten. Der Text beeindruckt durch sein weites Ausgreifen, vielleicht mehr aber noch durch seine Wortgewalt. Es ist kein Wunder, dass Braudel in die Académie française gewählt wurde, – die höchste literarische Auszeichnung, die Frankreich zu vergeben hat. Jenseits des Lesevergnügens, das man auch empfinden kann, wenn man Braudels Ansichten nicht teilt, und jenseits der Anerkennung dessen, was er für seine Zeit geleistet hat: Was hat Braudel der heutigen Regionen- und Ozeanforschung zu sagen, die über weite Strecken in Berufung auf ihn und in Auseinandersetzung mit ihm entstanden ist? In einer Forschungslandschaft, die fast durchgehend vom Glauben an die gestaltende Kraft menschlicher Vorstellungen geprägt ist, wirkt sein Insistieren auf der Bedeutung von Geografie und Klima, Kategorien also, die dem Menschen vorgegeben sind und die unabhängig von ihm bestehen, wie ein Fremdkörper. Die Einheit des Mittelmeeres war für Braudel zunächst einmal eine geografische. Das Mittelmeer ist ein geschlossener Raum, dessen Küstenlandschaften sich in ihrer Kargheit, aber auch in ihrem Klima und in dem, was dort angebaut werden kann, durchaus ähneln. Das Ineinander von Ebenen und unzugänglichem Hinterland – Bergen im Norden, die Wüste im Süden –, die abgeschlossenen Buchten und die Inseln, die die Schifffahrt zugleich erfordern und erleichtern, all dies schafft vergleichbare Ausgangsbedingungen, die sich über die Jahrhunderte nicht ändern. Gewiss, Berge ändern ihren Standort nicht und sind insofern von den Vorstellungen und Handlungen der Menschen ganz unabhängig. Für die Menschen aber bedeutet ein Berg doch etwas wesenhaft anderes, je nachdem, ob zu seiner Überwindung Maultiere bereitstehen oder ob sich die Fertigkeit im Straßenbau so entwickelt hat, dass er auch für Karren befahrbar ist, ob schließlich Tunnel oder gar Flugzeuge ein ganz anderes Verhältnis zum Raum nach sich ziehen. Ähnliches gilt für das Klima oder die Versorgung mit Nahrung. Braudel war sich dieser Zusammenhänge im Prinzip bewusst und

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verfolgte den technischen Wandel sorgfältig – gleichwohl vermochten sie seine Vorstellung von der geografischen, vom Menschen unabhängigen Einheit nicht wirklich zu beeinflussen. Weiter: Das Bemühen, der Politikgeschichte und den Entscheidungen der Mächtigen nur einen begrenzten Raum zu geben, führte dazu, dass die Menschen insgesamt an den Rand der Darstellung rückten. Selbst wenn man einräumen würde, dass es eine von den Menschen unabhängige Einheit des Mittelmeerraumes gäbe, so stellt sich für einen heutigen Historiker (auch) die Frage, wie diese von den historischen Akteuren wahrgenommen wird? Wo fühlen sie sich ›zu Hause‹, wo ›in der Fremde‹? Die Odyssee zeigt ja, dass die Fremdheitserfahrungen schon von einer ägäischen Insel zur anderen ganz gewaltig sein konnten. Welche Rolle spielt hierbei die sprachliche Vielfalt, auf die Braudel so gar nicht eingeht? Für die Griechen waren alle Barbaren, die kein Griechisch sprachen – wie funktionierte Verständigung, wie Vergemeinschaftung? Das Mittelmeer war für Braudel jedoch nicht nur eine Einheit, sondern zugleich eine Vielfalt, ein Schnittpunkt mehrerer Welten, wie er im Alter in einem Rückblick nochmals zusammenfasste (dt.: Braudel / Duby / Aymard, 2006; frz.: Braudel / Duby / Aymard, 1977–1978). Auch diese Welten waren in der longue durée verankert und damit dem zeitlichen Wandel fast enthoben – ihre Grenzen wurden jedoch im Werk Braudels keineswegs widerspruchsfrei diskutiert. Zentral war zum ersten die Nord-Süd-Achse, die das Mittelmeer in der Mitte teilte und den Orient und den Okzident voneinander trennte, »eine Front des Hasses und kriegerischer Unversöhnlichkeit« (Braudel / Duby / Aymard, 2006, S. 14). Zugleich aber standen sich Europa an der nördlichen Mittelmeerküste und Nordafrika, »das scheinbar endlose Schwarzafrika oder – in der Verlängerung – die asiatischen Wüsten« im Süden gegenüber, »eine andere Natur, eine andere Geschichte, eine andere Seele« (ebd., S. 18). Schließlich waren es drei Zivilisationen, die den Mittelmeerraum dominierten, die der Einfachheit halber dem römischen Christentum, dem orthodoxen Christentum und dem Islam zugeordnet werden könnten, den Religionen aber vorausgehen –

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[…] [drei] [grundlegende] Lebensstile, Denkentwürfe, Glaubensweisen, Alltagspraktiken. Wahrhaftig drei Riesen, die stets bereit sind, ihre Zähne zu zeigen, drei Figuren, deren Schicksal kein Ende hat und die zumindest seit Jahrhunderten und Aberjahrhunderten ihren Platz behaupten. Ihre Grenzen verlaufen über Staatsschranken hinweg, denn diese sind für sie bloße Kostümierung, lediglich ein Gewand. (ebd., S. 95)

Diese Zivilisationen waren räumlich festgeschrieben: »Sie bleiben an Ort und Stelle, unerschütterlich, während der Film der Geschichte abläuft.« (ebd., S. 97). Zwar kam es vor, dass eine Zivilisation in den Raum einer anderen eindrang, doch konnte sie sich dort auf Dauer nicht halten, es sei denn, es fehlte den Unterworfenen an ›konstruktivem Hass‹, ein Mangel, den etwa das oströmische Reich mit seinem Untergang bezahlt hatte (ebd., S. 106). Die Nähe zu Samuel Huntingtons Clash of Civilisations (Huntington, 1998) ist hier so überraschend wie beunruhigend; auch wird nicht deutlich, wie sich die Kategorie des Hasses, die das Überleben von Zivilisationen von menschlichen Emotionen abhängig macht, einschreibt in die Prädominanz von Faktoren wie Klima und Umwelt, die sonst als dominant für den Gang der Geschichte interpretiert werden. Wie sich diese Vorstellungen zueinander, zum Postulat einer Einheit des Mittelmeeres und schließlich zu den Nationalstaaten verhielten, die ja zumindest in Braudels Alterswerk über die französische Identität (frz. 1986; dt. 1989–1990) keineswegs nur eine Kostümierung einer grenzübergreifenden Zivilisation waren, blieb im Letzten ungeklärt und lässt sich wohl am ehesten aus den politischen Positionen des Autors erklären, die eine räumliche Gliederung anstrebten, in der die französische Nation eine Einheit bildet, die der Geschichte vorgegeben ist, zugleich (zumindest für die Zeit, in der das Mittelmeerbuch entstand bis in die 1960er Jahre) eine kulturelle Einheit des westlichen Mittelmeeres postulierten, die die Zusammengehörigkeit Frankreichs und Algeriens betonte, und zum dritten den Islam als separaten Raum auswiesen, der das Gegenbild zur französisch-abendländischen Kultur darstellte. Die Antworten auf die Frage nach dem Verhältnis zwischen Nationalstaat und Region, aber auch nach

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den Grenzen der Region und, daraus resultierend, ihrem Verhältnis zu anderen Regionen, blieben widersprüchlich. Einige Ideen Braudels aufgreifend, an vielen Stellen aber nicht nur empirisch, sondern auch konzeptionell darüber hinausgehend, legten im Jahre 2000 Peregine Horden und Nicholas Purcell eine umfangreiche Geschichte des Mittelmeeres in der Antike und im Mittelalter vor (Horden / Purcell, 2000). Ähnlich wie Braudel nahmen sie die geografischen und klimatischen Bedingungen als ihren Ausgangspunkt. Die Aufsplitterung des Mittelmeerraums in Mikroregionen erklärte auf der einen Seite seine große Vielfalt; in Kombination mit den klimatischen Unsicherheiten, die in diesen Regionen in einem Jahr zur Fülle, im anderen zur extremen Knappheit führen konnten, zwang sie zum Handel, zur Schifffahrt und zur Mobilität – damit strukturell zur Integration des Raumes. Die These der Autoren, dass es nach dem Mittelalter nur noch eine »history in«, nicht aber eine »history of the Mediterranean« (ebd., S. 2) gegeben habe, der Raum also nicht mehr als Einheit erzählt werden könne, verringert den Druck, die Geschichte der Region in Beziehung zur Geschichte der aufkommenden Nationalstaaten zu setzen, erklärt aber nicht den fast völligen Verzicht auf die Geschichte der Herrschaft und der politischen Strukturen. Auch betonten die Autoren selbst in einem späteren Artikel, dass die Geschichte der Vorstellungen vom Mittelmeer als einer Region (die also nicht nur das Meer, sondern auch seine Küsten umfasste) sich erst im 19. Jahrhundert durchgesetzt habe und viel mit den Bemühungen der europäischen Mächte, insbesondere Frankreichs zu tun hatte, das Mittelmeer als ein europäisches Meer zu imaginieren (Horden / Purcell, 2006). Ohne zur Politikgeschichte zurückzukehren, gilt es daher, in der Untersuchung von Regionen die Kategorie der Macht nicht zu vernachlässigen. Nicht nur die Geografie schafft Rahmenbedingen für staatliche und politische Entscheidungen; ob und wie geografische Möglichkeiten ausgeschöpft oder ignoriert werden, hängt seinerseits von politischen Entscheidungen ab. Dies gilt für die historische Schaffung von Regionen, für die Ermöglichung oder Verhinderung von Mobilität und Beziehungen, die ei-

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ne Region integrieren oder diese Integration scheitern lassen; es gilt aber auch für die Historiografie. So wie die Nationalgeschichtsschreibung die Nation, die sie untersucht, rückwirkend hervorbringt, können auch in die Regionalgeschichte gegenwärtige politische und kulturelle Vorentscheidungen mit einfließen. Wer entwirft daher das Mittelmeer als eine Einheit? Aufgrund welcher Interessen und anhand welcher Kriterien? Woher kommen die Bilder einer kulturellen Einheit des Mittelmeeres und der Entwurf gemeinsamer Eigenschaften seiner Bewohner – man denke nur an Filme wie Alexis Sorbas und seine Darstellung des authentischen Mittelmeerbewohners als emotional, sorgenlos, gastfreundlich und von einem starken Ehrgefühl geprägt. Ähnlich wie der Orientalismus, so wurde argumentiert, sei auch der mediterraneanism, der mit ihm eng verwandt sei, eine Beschreibung von außen, die Herrschaftsverhältnisse stabilisiere, die ihre Wirksamkeit aber nicht zuletzt durch die Aneignung der Fremdstereotypen durch die lokalen Akteure gewinne: »claims that the Mediterranean ›exists‹ are performative« (Herzfeld, 2005, S. 50), d. h. sie bringen die Wirklichkeit hervor, die sie beschreiben (Reinwald / Deutsch, 2002). Auch der transnationale Historiker, der sich einem Programm der Überwindung von Grenzen verschrieben hat, steht nicht außerhalb der Geschichte, die er untersucht und trägt dazu bei, die Grenzen seines Untersuchungsgegenstandes zu verfestigen und mit politischer Bedeutung zu versehen.

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Mittelmeer Seit ca. 5. Jt. v. Chr. Frühe Hochkulturen im Nahen Osten, Ägypten und der Ägäis Seit ca. 8. Jhd. v. Chr. Zeit der griechischen Kolonien in Unteritalien, der Etrusker in Oberitalien, der Phönizier im Süden der Iberischen Halbinsel 500–449 v. Chr. Zeitalter der Perserkriege 431–404 v. Chr. Peloponnesischer Krieg 336–323 v. Chr. Alexander der Große 3.–1. Jhd. v. Chr. Aufstieg des Römischen Reiches zur Weltmacht 324–330 Gründung Konstantinopels Um 375 Beginn der Völkerwanderung 395–1453 Oströmisches / Byzantinisches Reich 7.–8. Jhd. Aufstieg der Franken und Araber 8.–10. Jhd. Karl der Große; Umayyaden-Herrschaft in Andalusien (Al-Andalus); Muslime erobern Süditalien, Sizilien, Kreta, Malta 10. Jhd. Fatimiden-Herrschaft am östlichen Mittelmeer u. »Ifriqiya« 11. Jhd. Aufstieg der italienischen Handelsstädte; Normannen herrschen in Süditalien u. Sizilien; Neuordnung des Maghreb durch Banu Hilal, Almoraviden, Almohaden; Beginn der Reconquista 1096 1. Kreuzzug 12.–13. Jhd. Franz. Anjou beenden Staufer-Herrschaft unter Friedrich II. auf Sizilien; Ende der Almohaden in Al-Andalus; 1204 Eroberung Konstantinopels durch Kreuzfahrer; 1291 beenden Mamluken die Herrschaft der Kreuzfahrerstaaten in Palästina und im Libanon 1453 Osmanische Eroberung Konstantinopels, Ende des Byzantinischen und Vorherrschaft des Osmanischen Reiches 1492 Das letzte muslimische Fürstentum Granada geht an Spanien (Ende der Reconquista) 16.–17. Jhd. Aufstieg Spaniens zur Weltmacht unter Karl V. und Philipp II.; Höhepunkt der Osmanen-Herrschaft unter Süleyman u. Konfrontation mit europäischen Großmächten 19. Jhd. Imperialistische Konkurrenz besonders zwischen Frankreich und England um die Levante, Nordafrika und Ägypten; Einigung Italiens 20. Jhd. Vollständige Kolonisierung Nordafrikas durch europäische Großmächte; Nationalstaaten entstehen auf dem Balkan und dem Gebiet des ehemaligen Osmanischen Reiches; Unabhängigkeit der Kolonien u. Entstehung neuer Nationalstaaten (1948 Israel, 1951 Libyen, 1956 Marokko, 1956 Tunesien, 1960 Zypern, 1962 Algerien, 1964 Malta); Nahostkonflikt, Bürgerkrieg im Libanon, Zerfall Jugoslawiens (1991–1999 Jugoslawien-Kriege)

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2.2 Der Indische Ozean Der Einfluss von Braudels großem Entwurf griff rasch über die Mittelmeerstudien hinaus. Zum einen war seine Betonung der langfristigen Strukturen prägend für die Untersuchungen zum Weltsystem, die vor allem von Immanuel Wallerstein und seinen Mitarbeitern vorangetrieben wurden und die sich heute im Fernand Braudel Center im Staat New York konzentrieren. Hierauf wurde im dritten Kapitel schon kurz hingewiesen. Zum anderen, und das soll hier vor allem interessieren, regte seine Überlegung, dass nicht nur das Land, sondern auch das Wasser eine Geschichte habe, eine ganze Flut von Meeres- und Ozeanstudien an: kaum eine Region, die nicht ihr eigenes ›Mittelmeer‹ hervorbrachte (Aymard, 2001; Pearson, 2006; Watson Andaya, 2006; Wong, 2001). Eng an die Braudel’sche Methodik angelehnt sind die Arbeiten des indischen Historikers K.N. Chaudhuri zum Indischen Ozean als dem asiatischen Mittelmeer (Chaudhuri, 1985; 1990), also dem Gebiet, das sich von der arabischen Halbinsel und Afrika im Westen bis nach Indien und Südostasien im Osten erstreckt. Im Norden wird es vom Persischen Golf begrenzt, nach Süden hin ist es offen. Trotz der Ausdehnung des Gebietes kam es hier frühzeitig zu intensiven Handelsbeziehungen. Dass hierbei nicht nur Waren transportiert wurden, darauf weisen die frühen Ansiedlungen von syrischen Christen (der Legende nach bereits durch den Apostel Thomas begründet, spätestens seit dem 5. Jahrhundert nachgewiesen) und Muslimen (spätestens seit dem 10. Jahrhundert) an der indischen Malabarküste hin. Das Schwergewicht von Chaudhuris Untersuchungen liegt auf der Zeit vor 1750, auf Asia before Europe, wie es der Titel eines seiner Bücher prägnant zusammenfasst. Wie Braudel beginnt er seine Studien mit dem, was für ihn das Fundament jeder Geschichte ist: der Geografie und dem Klima, die die Handelsrouten vorgaben und durch die jahreszeitlich wechselnden Monsunwinde den

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Abb. 2: Indischer Ozean

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Rhythmus des Meeres und der Küsten prägten. Nicht nur der Seehandel kann jedoch unter dem Blickwinkel sich nur langsam wandelnder Strukturen erfasst werden, wie die Aktivitäten auf dem Wasser werden auch Staat und Gesellschaft sowie die Alltagskultur an Land von ihnen geformt. Hier mag man sich fragen, ob der untersuchte Raum nicht zu groß und zu unscharf gewählt worden ist und ob die verdichtete Kommunikation infolge der Seefahrt wirklich den behaupteten prägenden Einfluss hatte. Anders als das Mittelmeer sind der Indische Ozean und seine Anrainergebiete niemals unter einer Herrschaft vereinigt worden, die nicht nur die Schifffahrt, sondern auch und vor allem die politischen Strukturen prägte, so wie es das römische Reich tat. Der Indische Ozean war nie jemandes mare nostrum. Und so intensiv die Kontakte im Arabischen Meer und von Indien hin zur ostafrikanischen Küste gewesen sein mochten: Diese Länder waren, anders als das römische Reich, vor dem Beginn des Kolonialismus nicht primär dem Meer, sondern dem Landesinneren zugewandt, wo sich die Herrschaftszentren befanden. Daher ist immer wieder diskutiert worden, ob man nicht eher von multiplen, ineinander verschachtelten ›Mittelmeeren‹ im Indischen Ozean ausgehen sollte (Fawaz / Bayly / Ilbert, 2002; Reinwald / Deutsch, 2002; Wong, 2001) – dem Arabischen Meer, einschließlich des Persischen Golfs und des Roten Meeres; dem offenen Meer zwischen der indischen West- und der afrikanischen Ostküste; dem südostasiatischen Meer, von Denis Lombard als Carrefour Javanais bezeichnet (Lombard, 1990) und als ein Umschlagplatz mit Verbindungen nach Indien, Arabien und Afrika, aber auch in den Golf von Bengalen und nach China untersucht; schließlich, nur begrenzt noch dem Indischen Ozean zuzurechnen, dem Chinesischen Meer (Ptak, 2007). Über den Landweg hatte der Handel des Indischen Ozeans zudem Anschluss an die Levante und damit an die Routen des Mittelmeeres. Es war dieser Handel, vor allem mit Gewürzen, in geringerem Maße auch mit Textilien und Porzellan, der Venedig reich gemacht hatte und der einer der zentralen Beweggründe für die Suche eines Seewegs nach Indien gewesen war.

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Lange Zeit ist die Geschichte so geschrieben worden, als ob mit dem ersten Auftauchen der Europäer im Indischen Ozean, zunächst der Portugiesen, dann bald auch der Engländer und Niederländer, ein neues Zeitalter angebrochen sei – in den allgemeinen Darstellungen der Region begann hier in der Regel ein neues Hauptkapitel. Inzwischen wird davon ausgegangen, dass sich auch diese Veränderungen nur allmählich und graduell vollzogen. Zwar gelang es den Portugiesen, zumal in der nördlichen Hälfte des Indischen Ozeans ein System von Lizenzen (cartaz) für den Seehandel durchzusetzen, mit dem sie die Schifffahrt weitgehend unter ihre Kontrolle brachten (Rothermund / WeigelinSchwiedrzik, 2004). Unterhalb dieser Ebene jedoch veränderte sich zunächst nicht viel, da Händler auf portugiesische Schiffe auswichen und die Europäer bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts kaum Einfluss auf das Hinterland der Häfen erlangten. Immerhin fiel der Anfang der europäischen Expansion zur See keineswegs mit einer Epoche der Schwäche des Orients zusammen, sondern im Gegenteil mit der Blütezeit der drei muslimischen Großreiche der Region – dem Osmanischen Reich, der Herrschaft der Safawiden in Persien und der Moguln in Indien. Erst im 18. und dann vor allem im 19. Jahrhundert gelang es den Briten, die Kontrolle der Seewege mit der Errichtung territorialer Herrschaft über Indien und Ostafrika und der Besetzung von strategisch bedeutenden Häfen zu verbinden und damit nicht nur die Schifffahrt, sondern auch den Handel und vor allem die Produktion für den Export nach Europa fest in ihre Hand zu bekommen. Waren der Fernhandel und die Dampfschifffahrt ein britisches Monopol, allen Freihandelsdoktrinen zum Trotz abgesichert durch Kartellabsprachen, und ging die Vergabe des einträglichen Postverkehrs ausschließlich an britische Reedereien (Ahuja, 2004), so behielt daneben der indigene Küstenhandel mit Massenwaren für den lokalen Alltagsgebrauch seine Bedeutung bis ins 20. Jahrhundert (Tagliacozzo, 2002). Hatten sich Studien zum Indischen Ozean lange Zeit vor allem mit Wirtschaftsbeziehungen und langfristigem Strukturwandel beschäftigt, so zeichnen sich in den letzten Jahren vor allem drei neue Forschungsfelder ab. Zum einen erlaubt die Untersuchung

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von Hafenstädten das Ineinander von Bewegung und Einrichtung, das weiter oben als eines der zentralen Themen des Ansatzes der translokalen Historiografie vorgestellt wurde, in den Blick zu nehmen. Hafenstädte sind geprägt von der Mobilität der Händler und Seeleute, vom Neben- und Miteinander von Menschen unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlicher Kultur, aber auch von der Interaktion und dem ›Aufeinander-verwiesenSein‹ der Mobilen und der Sesshaften (Amenda / Fuhrmann, 2007; McPherson, 2002). Zum anderen wendet sich die Geschichtswissenschaft wieder stärker den Akteuren zu. Selbst falls man nicht so weit gehen will, Regionen nur als imagined communities gelten zu lassen, ihre Existenz gewissermaßen an das Bewusstsein zu binden, das die Akteure von ihnen haben, so kann dennoch gefragt werden, wie diejenigen, die durch ihre Bewegungen im Raum die Regionen entstehen lassen, diesen Raum wahrnehmen. Welche Verbindungen entstehen zwischen Orten, die durch Handels- und andere Reisen miteinander in Beziehung gesetzt werden? Umfassen diese Verbindungen nur diejenigen, die selbst unterwegs sind? Welche Auswirkungen haben sie im Ausgangs- und im Zielhafen? In der umliegenden Region? Für den Indischen Ozean sind diese Fragen besonders intensiv für die Händler aus dem südarabischen Hadhramaut untersucht worden, die sich regelmäßig zwischen der arabischen Halbinsel, Indien und Südostasien bewegten (Freitag, 1997; 2003). Migration und Siedlung, Heiratsverbindungen mit lokalen Frauen, aber auch der Aufbau von abgeschlossenen Diaspora-Gemeinschaften und die regelmäßige Rückkehr in das Ursprungsland griffen hier ineinander. In einer faszinierenden Studie, die gleichermaßen von der Geschichtswissenschaft wie von der Ethnologie inspiriert ist, zeigt der in Duke lehrende Enseng Ho, wie die Hadhramis diese Gestaltung des Raumes zum einen durch die intensive Pflege genealogischen Wissens bewältigten, das Verbindungen über Generationen aufrecht zu erhalten vermochte, auch wenn die realen Kontakte schon abgerissen waren. Zum anderen hebt er die zentrale Rolle der Religion hervor, die den Hadhramis als Arabern und als Nachkommen des Propheten in allen muslimischen Anrainerstaaten des Indischen Ozeans ein

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Regionen

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hohes Prestige verschaffte und gleichzeitig durch Pilgerschaften an die Gräber der Sufimystiker einen Anlass für eine regelmäßige Rückkehr in die Heimat bereitstellte (Ho, 2006). Da sich die transnationale Geschichtsschreibung – gerade auch in der Untersuchung der Regionen – vielfach aus dem Unbehagen an einer Historiografie gespeist hat, die die Nationalstaaten in den Mittelpunkt stellte, verwundert es kaum, dass der Einfluss der Staatenbildung in den Regionen des Indischen Ozeans noch wenig erforscht wurde; galt es doch gerade, die Existenz eines die Nationen transzendierenden Zusammenhangs und seine Fortdauer im 19. und 20. Jahrhundert zu dokumentieren (Bose, 2006). Doch stellt dieser Ansatz möglicherweise eine falsche Dichotomie auf, die das Aufkommen der Territorialstaaten nur als das Ende der Region, nicht aber ihre Transformation zu lesen vermag. Die Hypothese, dass die Existenz von Regionen und Nationen sich gegenseitig ausschließt, führt in die Irre. Wünschenswert scheint vielmehr, beides zusammenzusehen: die Segmentierung des regionalen Raumes durch den mehr oder weniger erfolgreichen Anspruch der Nationalstaaten auf ein Monopol sowohl der legitimen Gewalt als auch der affektiven Zugehörigkeit ihrer Subjekte und die andauernde Mobilität, die die gleichen Akteure immer wieder über die Grenzen hinweg führte und andere Formen der Vergemeinschaftung ermöglichte. Wieweit diese Möglichkeiten dann wahrgenommen wurden, ob die nationale Gliederung des Raums oder die Mobilität das Zusammengehörigkeitsgefühl stärker prägte, muss dann von Fall zu Fall untersucht werden.

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Indischer Ozean

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vor etwa 75 000 J. 3. Jt. v. Chr.

Erste Migrationsbewegungen in die Region Sumerer und Ägypter kommen über das Rote Meer und treiben Handel mit der Punt-Region; Handel zwischen Indus-Kultur u. hist. Mesopotamien 1000 v. Chr. Entschlüsselung des Windsystems Monsun 300 v. Chr. – 500 n. Chr. Austronesische Seefahrer überqueren den Indischen Ozean nach Madagaskar 7. Jhd. Aufstieg des Handelsreichs Srivijaya auf Sumatra; Entstehung jüdischer u. christl.-nestorianischer Handels-Diaspora an der Malabar-Küste 650–800 Frühislamische Handelsbeziehungen (Perser, Araber) mit China und Südostasien 618–1279 Regierungen der Tang- und Song-Dynastien stimulieren das Handelsnetzwerk der Region mit China 711 Araber erobern den Sindh; Aufwertung des Persischen Golfs als Zugang zum Indischen Ozean durch muslimische Kontrolle 8.–10. Jhd. Entstehung einer muslimisch geprägten, kosmopolitischen Hafenstadt-Kultur durch Händler, Pilger und Missionare entlang der Küsten; Handelsnetzwerk zwischen Gujarat und der ostafrikanischen Küste; Aufstieg Chinas zur maritimen Großmacht unter Song-Dynastie; Perser, Omanis und Hadhramis siedeln in Konkan, Gujarat, Sindh 1497–1498 Vasco da Gama umrundet Afrika und erreicht den Indischen Ozean 16. Jhd. Zeitalter der europäischen Expansion 1505–1588 Portugiesen erlangen nominelle Kontrolle über den Indischen Ozean (»Estado da India«, 1510–1961) 1556–1605 Konsolidierung des Mogulreiches unter Akbar 1600–1751 Gründungen europäischer Ostindiengesellschaften Seit 18. Jhd. Imperialistischer Wettlauf zwischen Briten, Franzosen und Niederlanden; koloniale Aufteilung der Region 19. Jhd. Konsolidierung der britischen Herrschaft in Indien; Übergang zur Dampfschifffahrt; Emigration aus dem Hadhramaut; Eröffnung des Suez-Kanals (1869); Beginn der Vorherrschaft britischer Großreeder 20. Jhd. Marginalisierung chinesischer und Hadhrami-Reeder durch britische Reeder-Kartelle

Regionen

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2.3 Zentralasien und die persische Welt Als Antwort auf die Weltsystemtheorie Immanuel Wallersteins und insbesondere ihre Reduktion historischer Zusammenhänge auf wirtschaftliche Faktoren hat John O. Voll 1994 den Versuch unternommen, die islamische Welt als ein Weltsystem sui generis zu interpretieren (Voll, 1994). Ist die Verdichtung der Kommunikation kennzeichnend für Regionen, so schafft der Islam als Religion und als Zivilisation die »shared sources of […] experience, which provide the basis for mutually intelligible discourse among all who identify themselves as Muslims« (Voll, 1994, S. 219). Diese These besticht dadurch, dass sie endlich einmal das Problem ernst nimmt, wie überhaupt überregional kommuniziert werden kann und wie verbindliche Regeln für wirtschaftliche und andere Transaktionen festgelegt werden können. Nur wenn diese Kommunikation möglich ist, wenn Informationen ausgetauscht und Vertrauen hergestellt werden kann, können Handel und Reisetätigkeiten überhaupt stattfinden. Diese bringen dann ihrerseits die gemeinsamen Erfahrungen und Wissensbestände hervor, auf denen die Region als gefühlte Gemeinschaft aufsatteln kann. Die Identifikation des Islam als der gemeinsamen Basis für eine Region, die den Nahen Osten, den Indischen Ozean und Zentralasien umfasst, ist nun allerdings aus zwei Gründen problematisch. Zum einen setzt sie voraus, dass ein einheitlicher Islam all diese Gegenden prägt und dass er für alle Muslime den primären Referenzrahmen darstellt; was aber über den Glauben an den Koran und den Propheten hinaus die Muslime einte, welchen Stellenwert die Religion für sie hatte und wie sie sich gerade in Alltagspraktiken wie den Handel übersetzte, hierüber wird in der Forschung derzeit noch debattiert. Konnten die Hadhramis sich aufgrund ihrer arabischen Herkunft und ihrer genealogischen Nähe zur Familie des Propheten des Respekts ihrer Glaubensbrüder in Indonesien sicher sein – ein Respekt, der sich in Handlungs- und Handelsmöglichkeiten übersetzen ließ –, so sah dies für indonesische Muslime oder für dunkelhäutige südindische Konvertiten, die an die arabische Küste kamen, möglicherweise schon ganz anders aus. Zum anderen vernachlässigen diese Über-

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legungen die religiöse Vielfalt dessen, was als ›islamische Welt‹ apostrophiert wird. Nicht nur die Muslime, sondern auch Hindus, Juden, Armenier und Parsen trieben in diesen Regionen Handel – welche Rolle spielte die Religion für sie? Wie funktionierte Kommunikation über die Grenzen der Religionsgemeinschaften hinweg? Wie wurde hier das Vertrauen geschaffen, ohne das Handelsbeziehungen (zumal außerhalb eines staatlich garantierten Rechtssystems) nicht möglich sind? Diesen Fragen wird sich die Forschung zu den Regionen in den nächsten Jahren verstärkt zuwenden müssen. Hierzu bietet es sich an, innerhalb der Welt, auf die John Voll seinen Fokus legt, nochmals stärker zu differenzieren und mit Zentralasien eine Region beispielhaft zu betrachten. Erst nach der Auflösung der Sowjetunion ist Zentralasien wieder stärker in den Blick der Forschung gerückt. Groß angelegte Projekte widmeten sich der Untersuchung der frühen Handelsbeziehungen zwischen China und Europa: dem, was lange Zeit als ›die‹ Seidenstraße bezeichnet wurde, in Wirklichkeit aber ein ganzes Netz von Routen war, auf denen der Karawanenhandel durchaus flexibel auf politische und wirtschaftliche Veränderungen reagieren konnte (Conermann, 2001; Höllmann, 2004; Kulke, 2001). Im Norden reichten diese Routen bis in russisches Gebiet, von wo sie den Anschluss an den Ostseehandel fanden; im Süden bis an die osmanischen Handelswege. Verliefen die Seidenstraßen im Wesentlichen von Ost nach West, so kreuzten sie in Samarkand und Buchara die Nord-Südrouten, die Zentralasien mit dem indischen Subkontinent und mit Persien verbanden. Die bedeutendsten Handelsgüter der Seidenstraße waren Seide, Tee und Porzellan, also Luxusgüter, die nur geringe Transportkapazitäten benötigten. Der Handel von und nach Indien umfasste im Gegenzug auch Massenwaren: Trockenfrüchte, aber auch frisches Obst (ein Zeichen für die Organisation und die Geschwindigkeit der Karawanen!), vor allem aber die robusten Pferde der zentralasiatischen Steppen überquerten die Pässe des Hindukusch auf dem Weg nach Indien; dabei begegneten sie Karawanen mit Textilien, Indigo, Tee, bis ins 18. Jahrhundert auch mit Sklaven, die aus dem Süden kamen.

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Regionen

Abb. 3: Zentralasien

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Ging die Forschung lange Zeit davon aus, dass die innerasiatischen Handelswege, die ihre Blütezeit mit der Pax Mongolica im 13. Jahrhundert hatten, dem Aufkommen des europäischen Seehandels seit dem 17. Jahrhundert nicht hatten standhalten können, so haben die neueren Forschungen gezeigt, dass es sich eher um eine Verschiebung und eine Neuausrichtung der Routen gehandelt hat, denn um ein Ende des Handels. Zumal für Indien konnte nachgewiesen werden, dass der Zentralasienhandel im 18. Jahrhundert einen Aufschwung nahm und bis ins 19. Jahrhundert an Umfang und Wert durchaus mit dem kolonialen Seehandel mithalten konnte (Levi, 2007a+b). Handel allein jedoch weist noch nicht notwendig auf die Existenz transnationaler Beziehungen oder gar die Existenz einer Region hin, nicht einmal dann, wenn er sich in wiederkehrenden Mustern organisiert. Für welche Verbindungen war er die Grundlage, wie wirkte er auf die Gegenden ein, die er verband? Jos Gommans hat in einer faszinierenden Studie auf den Zusammenhang von Pferdehandel und Staatsbildung in Nordindien hingewiesen (Gommans, 1995). Bis im 19. Jahrhundert durch die britischen Armeereformen die Bedeutung der Infanterie wuchs, waren die indischen Heere im Wesentlichen Reiterverbände – die Moguln hatten ein ausgefeiltes System entwickelt, das die Bereitstellung von berittenen Soldaten mit der Vergabe von Steuerrechten, aber auch mit der Position bei Hof verknüpfte. Da das indische Klima jedoch die Pferdezucht nur begrenzt zuließ, blieben die Moguln ebenso wie ihre Nachfolger auf den ständigen Import aus Zentralasien angewiesen – Berechnungen ergeben für das 17. Jahrhundert eine Zahl von über 100.000 Pferden, die jährlich den Hindukusch überquerten. Die afghanischen Pferdehändler vermochten, sich in Nordindien eine starke Position aufzubauen, teils in Verbindung mit Heeresführern afghanischer Abstammung, teils, indem sie selbst die Rolle der Heeresführer und – nach dem Zusammenbruch der Mogulherrschaft im frühen 18. Jahrhundert – der Regionalfürsten übernahmen. Claude Markovits hat gezeigt, in welchem Ausmaße es gerade Gruppen von Hindu-Händlern waren, die durch die Etablierung von Diasporen in Zentralasien ein enges Netzwerk aufbauten.

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Diese erreichten Größenordnungen von mehreren zehntausend Personen, die jedoch trotz mehr oder minder dauerhafter Ansiedlung weiterhin in Regionen übergreifenden Familienverbänden agierten. Dies erlaubte ihnen nicht nur Handelsströme zu kontrollieren, sondern auch als Geldverleiher, zumal für den ländlichen Bereich, in die lokale Wirtschaft und die Produktion der Exportgüter einzugreifen (Markovits, 2000). Der Faktor, der die Kommunikation innerhalb dieser Region garantierte, war vermutlich weniger der Islam als weltumfassende Religion, sondern eher die persische Sprache und Kultur, die zwar muslimisch geprägt waren, aber in stärkerem Maße als die Religion auch für Händler und andere transnationale Akteure aller Glaubensrichtungen zugänglich waren und diejenige »shared sources of experience« bot, auf die Voll für eine gelungene Interaktion und Verständigung abhebt. Innerhalb dieser persischen Welt bewegten sich seit Jahrhunderten nicht nur Händler, sondern ebenso Soldaten, Sufimystiker und Gelehrte, Poeten, Kalligraphen und Miniaturenmaler, Architekten und Steinmetze. Die Neugründung Delhis im 17. Jahrhundert, aber auch die Architektur des Taj Mahal folgten iranischen Vorbildern (Blake, 1991), Persisch war bis ins 18. Jahrhundert in weiten Teilen Nordindiens die Sprache der Poesie, bis ins 19. Jahrhundert die der Höfe, derer sich auch die Kolonialherren bedienten (Alam, 1998). Drei Faktoren trugen zum Ende dieser Region bei. Erstens: Wenn sich auch die europäische Herrschaft über die Handelswege und ihre Verlagerung auf die Seerouten keineswegs so schnell und so durchgreifend bemerkbar machte, wie man es lange Zeit glaubte, so hinterließ der Kolonialismus, vor allem die britischrussische Rivalität, auch hier seine Spuren. Zweitens: Hatte Persisch lange Zeit eine unangefochtene Position als Kultur- und Kommunikationssprache in diesem Raum, so gerieten die Sprache und die damit verbundene Kultur infolge der islamischen Reformbewegungen seit dem 18. Jahrhundert zunehmend dem Arabischen gegenüber in die Defensive und wurden zum Symbol der Begegnung mit lokalen Kulturen, von der sich Theologen und muslimische Händler zu distanzieren suchten. Drittens: Mit dem Vordringen Russlands und Chinas nach Zentralasien, zugleich

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mit ihrer verstärkten Konstitution als Territorialstaaten, geriet die Region in einen Zangengriff, der nach dem Ersten Weltkrieg die Grenzen so gut wie undurchdringlich werden ließ und die ansässigen Händler entweder zur Rückmigration oder zur Assimilation zwang (Levi, 2002; Markovits, 2000; Zarcone, 1996).

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Zentralasien und die persische Welt 334–333 v. Chr. Alexander der Große erobert Persien 3. Jhd. v. Chr. Reichsbildung der Xiongnu 2. Jhd. v. Chr.–1. Jhd. n. Ch. Konflikte zwischen Xiongnu und Han-China; Chinesische West-Expansion 1.–3. Jhd. Kushan-Reich zwischen Amudarja (Oxus) und Ganges ab 350 Expansion des Hunnen-Reichs 2.–3. Jhd. Sassaniden-Dynastie in Persien; zeitweise chinesische Vorherrschaft im Tarimbecken 5. Jhd. Reich der Roran; Kök-Türken 6.–7. Jhd. Chinesischer Vorstoß nach Transoxanien; Tang-Dynastie kämpft um Sicherung der zentralasiatischen Handelswege; Ende der Sassaniden-Herrschaft 745–840 Großreich der Uiguren 8. Jhd. Abbasiden (750–1258) besiegen die Tang und zerschlagen die Umayyaden (756: umayyadisches Exilreich ›Emirat von Córdoba‹) 10.–11 Jhd. Ghaznaviden und Karachaniden südlich bzw. nördlich des Amudarja (Oxus) 11. Jhd. Reich der Seldschuken; rum-seldschukisches Sultanat 12.–14. Jhd. Mongolenreiche; Ilkhane erobern Persien und Zentralasien; Seldschuken und Osmanen in Kleinasien 14.–16. Jhd. Timuriden-Dynastie 1501–1722 Safawiden in Persien 1526–1858 Mogulreich in Nord-Indien 18.–19. Jhd. Tarimbecken geht als »Neue Territorien« (Xinjiang) an das chinesische Reich der Qing; 1722–1736 Zusammenbruch des Safawiden-Reiches u. Beginn der AfscharidenDynastie unter Nadir Shah 20. Jhd. Persien / Iran: Konstitutionelle Monarchie (1906), Islamische Republik (1979); Russisches Reich: Sowjetunion (1917–1991), Zerfall der SU, Autonomierklärungen der ehemaligen Sowjet-Republiken; China: Ende der Qing, Volksrepublik China (1949)

Religion

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3. Religion Lange Zeit hat sich in der Geschichtswissenschaft die Vorstellung von der Moderne als einer Epoche fortschreitender Säkularisierung gehalten, die seit dem späten 18. Jahrhundert von Europa ausgehend allmählich den Rest der Welt erfasste oder künftig erfassen würde. Die Bedeutung, die im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit der Religion zugekommen war, so die Überzeugung, sei nun auf die Nation übergegangen, ja, der Nationalismus könne als eine diesseitige Form der Religion angesehen werden. Von seiner Vorgängerin habe er Bilder und Topoi, etwa die des auserwählten Volkes, übernommen, aber auch Praktiken, wie etwa die öffentliche Inszenierung von nationalen Feiertagen, die an säkularisierte Gottesdienste erinnerten, und vor allem die Formen der emotionalen Bindungen des Einzelnen an ein Ziel und eine Gemeinschaft, die ihn transzendieren und seine ganze Hingabe erfordern, gesteigert nochmals in den totalitären Regimen des 20. Jahrhunderts. Entzogen hätten sich dieser Entwicklung nur Regionen und Bewegungen mit einem Modernisierungsdefizit; alternativ postulierte man, ihr Modernisierungsdefizit rühre daher, dass sie sich dem Nationalismus verweigerten. Je mehr Nation, umso weniger Religion, könnte man stark vereinfachend sagen. Zumal für Europa blieb daher die Beschäftigung mit der Religion für die Historiker eher ein Randgebiet. Dies hat sich inzwischen gründlich geändert. Wuchs bereits in den 1990er Jahren, nicht zuletzt infolge des Zusammenbruchs der totalitären Regime in Osteuropa, das Interesse an Religion, so gewann es mit den Ereignissen vom 11. September 2001 eine neue Dynamik. Die Religion – und nicht nur der Islam – war ganz offensichtlich nicht dabei, sich aus der Weltgeschichte zu verabschieden. Dies machte eine Neubewertung der Säkularisationsthesen auch für das 19. Jahrhundert nötig: Das Verhältnis von Religion, Modernisierung und Nation erwies sich als wesentlich komplizierter, als man es bislang vermutet hatte (Graf, 2004; Haupt / Langewiesche, 2001; 2004; Nipperdey, 1988; Riesebrodt, 2000; Smith, 2001). Der Nationalismus war nicht nur Erbe der Religion, er konnte mit ihr auch eine sehr enge Beziehung eingehen

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– man denke nur an die Bilder aus dem Ersten Weltkrieg, an die Soldatenkoppeln mit der Inschrift ›Gott mit uns‹ und an die Geistlichen, die im Felde die Kanonen segneten. Der Beitrag, den die Religion zum Selbstverständnis einer Nation leistete, wurde zunächst für den Protestantismus untersucht: die Eigenperzeption von Großbritannien als einer protestantischen Nation, die sich seit dem 18. Jahrhundert verstärkt herausbildete und das Land in Gegensatz zum europäischen Kontinent und vor allem zu Frankreich stellte (Colley, 1992; McLeod, 1999); die Identifikation von deutschem Kaiserreich und Protestantismus, die nicht zuletzt in den Lutherfeiern und der Stilisierung von Luther als dem ›deutschen Heiligen‹ und der Reformation als Verkörperung des deutschen Nationalcharakters ihren Ausdruck fand. Später kamen Untersuchungen hinzu über die Rolle, die der Katholizismus im polnischen oder irischen Nationalismus spielte. Dabei war diese Verknüpfung von Nationalismus und Religion keineswegs auf Europa beschränkt. Ähnlich wie im Falle des Protestantismus in den deutschen Befreiungskriegen und im Kaiserreich verbanden sich auch in Indien Teile der Nationalbewegung mit dem Hinduismus, in dem sie das Wesen der Nation verkörpert sahen. Auch hier wurde die Religion das Symbol für den Widerstand gegen Fremdherrschaft und für den Aufruf zur nationalen Regeneration: Bharat Mata, Mutter Indien, dargestellt und verehrt als Göttin, rief ihre Söhne zum Kampf. In der Religion bündelte sich das Eigene, das es zu bewahren und zu schützen galt; sie war das Wesen der Nation und ihre Kraftquelle. Zugleich wurde damit die Religion das zentrale Kriterium, an dem sich Inklusion entschied: Nur wer dieser Religionsgemeinschaft angehörte, hatte Teil an der nationalen Gemeinschaft. Hand in Hand damit gingen die Ablehnung religiöser Vielfalt und der Ausschluss der Andersgläubigen. Eine Nation, die ihre Identität auf dem Protestantismus oder dem Hinduismus aufbaute, tat sich schwer mit der Integration von Katholiken oder Muslimen. Wie aber lassen sich diese Fragen für eine transnationale Geschichte fruchtbar machen? Gehört die Religion, gerade wenn man sie in Verbindung zum Nationalstaat und zum Nationalismus betrachtet, nicht viel eher zu den Bereichen, die sinnvoller-

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Religion

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weise in einem nationalen Rahmen untersucht werden? Doch ist die Nation wirklich die beste oder gar die einzige Ebene für die Erforschung des Nationalismus? Das Beispiel des Katholizismus und des Islam verweist auf eines der zentralen Probleme der Nationalstaatsbildung im 19. Jahrhundert, namentlich, dass sich nicht alle Religionen in den Augen der Zeitgenossen für eine Nationalisierung gleichermaßen zu eignen schienen. Dass auch die vermeintlich ›national unzuverlässigen‹ Religionen unter bestimmten Umständen durchaus zu Trägern des Nationalismus werden konnten, steht auf einem anderen Blatt. Während der Protestantismus als eine deutsche Religion imaginiert wurde, wurde der Katholizismus gerade wegen seiner Rom-Orientierung, die nicht nur eine transnationale Hierarchie der Kirche, sondern auch eine transnationale Loyalität jedes Katholiken zu suggerieren schien, im Kaiserreich mit Misstrauen betrachtet. In einer Vorstellungswelt, die darauf zielte, zum einen die Grenzen der Nation zu den Grenzen der gefühlten Gemeinschaft zu machen, zum anderen die Nation im Inneren zu homogenisieren, wirkte die Existenz eines in sich geschlossenen katholischen Milieus, das sich zudem noch als Teil einer Gemeinschaft empfand, die die Nationen transzendierte, störend und verstörend. Dennoch hat dies bemerkenswerterweise nicht dazu geführt, dass sich in der Forschung zum Katholizismus transnationale Ansätze früher als anderswo durchgesetzt haben. Im Gegenteil: Dominierte in Deutschland lange Jahre die Frage, wie es zu der Homogenität des katholischen Milieus kommen konnte, so fragt die neuere Forschung, ob das Milieu wirklich so homogen und abgeschottet war, wie es seit dem 19. Jahrhundert postuliert worden war, und zeigt, dass die Immunität der Katholiken gegenüber nationaler Begeisterung nuanciert zu sehen ist. Auch wenn sie am Lutherkult nicht teilnahmen, so war schon die katholische Reaktion gegenüber den Schillerfeiern, in denen sich der Kulturprotestantismus feierte, abgestuft. Die Verehrung des heiligen Bonifatius als ›Apostel der Deutschen‹ hingegen vermochte auf Katholizismus und Nationalismus mit der gleichen Inbrunst zurückzugreifen (Stambolis, 1999; Weichlein, 2006). Die nationale Begeisterung bei Kriegsausbruch 1914 jedenfalls ließ von einem

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grenzüberschreitenden Solidaritätsgefühl zu Katholiken anderer Länder nur wenig erkennen. Eine ganz ähnliche Entwicklung wie die Katholizismusforschung zum deutschen Kaiserreich haben die Untersuchungen zu den indischen Muslimen in den letzten Jahrzehnten genommen. Stand auch hier lange der historische Vorwurf im Raum, es handle sich um eine abgeschottete Gemeinschaft, die sich der Integration in die Mehrheitskultur verweigerte und stattdessen transnationale Verbindungen pflegte, so bemühte sich die Forschung zum einen darum zu zeigen, dass die muslimische Gemeinschaft weder homogen noch in wesentlichen Punkten anders sei als ihre HinduNachbarn (Ahmad, 1976; 1978; 1981; 1983; Mayaram, 1997). Zum anderen wurde betont, dass selbst der indische Pan-Islam, der sich seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert, dann aber vor allem nach dem Ersten Weltkrieg um die politische Unterstützung des osmanischen Kalifen bemühte, in erster Linie im indischen Kontext zu deuten sei. Auch wenn der Kalif als ein Symbol für die weltweite Solidarität aller Muslime aufgebaut wurde, wirkte er doch nicht als ein pan-islamisches, sondern als ein pan-indisches Symbol, das Muslime in den verschiedenen Teilen des Landes zu mobilisieren vermochte (Minault, 1982). Trotz ihrer offensichtlichen transnationalen Referenzen sei die Kalifatsbewegung nach dem Ersten Weltkrieg daher als Teil des indischen Nationalismus und im Rahmen einer nationalen Geschichte zu deuten. Diese Umdeutungen haben sicherlich viel dazu beigetragen, unsere Vorstellungen über Katholiken und Muslime in Deutschland und Indien zu revidieren (wobei diese beiden Fallstudien allgemeinere Probleme aufzeigen, die sich auch für andere Religionsgruppen verfolgen ließen). Vor allem haben sie die Kontinuität zwischen den Vorstellungen der Zeitgenossen und der heutigen Historiker aufgebrochen und es ermöglicht, die vormals Exkludierten in die nationale Geschichte wieder einzuschreiben. Hinter diese Entwicklung führt kein Weg zurück. Gleichwohl aber bringt auch hier eine transnationale Perspektive neue Erkenntnisse und zeigt damit, dass ein transnationaler Ansatz weder bedeutet, die Wirkmächtigkeit des Nationalstaates und des Nationalismus zu leugnen – was für das 19. und weite Teile des

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20. Jahrhunderts ja in keiner Weise zu rechtfertigen wäre – noch sich auf die von ihnen vorgegebenen Deutungen und Interpretationsrahmen zu beschränken. Für das katholische Milieu haben Christopher Clark und Wolfram Kaiser 2003 angeregt, die Kulturkämpfe im europäischen Rahmen zu betrachten, sie also als ein transnationales Ereignis zu interpretieren (Clark / Kaiser, 2003). Anders als in der nationalstaatlichen Verengung wird damit sichtbar, in welchem Maße diese Konflikte über die religiösen Konstellationen des Einzelfalls hinausweisen. Kulturkämpfe gab es in Staaten mit einer katholischen Mehrheit ebenso wie in solchen, in denen die Katholiken in der Minderheit waren. In beiden Fällen ging es um die Frage, welche Zwischeninstanzen der moderne Staat mit seinem Anspruch auf umfassende Reglementierung für vereinbar hielt und in welchem Maße er zu Kompromissen bereit oder gezwungen war bezüglich der Ausschließlichkeit seines Zugriffs auf jeden Staatsbürger – gibt es nur den Staat und den individuellen Bürger, oder duldet er Gruppenzugehörigkeiten und Loyalitäten, die weder alle Bürger innerhalb seiner Grenzen umfassen noch an diesen Grenzen haltmachen? Weiterhin wird deutlich, dass es in diesem Konflikt nicht erst die Historiker des 21. Jahrhunderts waren, die die Ereignisse aus einer europäischen Perspektive beobachteten. Schon die zeitgenössischen Katholiken und ebenso ihre Gegner verfügten über grenzübergreifende Kommunikationsstrukturen, beobachteten die Ereignisse in den Nachbarländern genau und richteten ihre eigenen Handlungen daran aus. Gilt dies für die Kulturkämpfe, so könnte man es in einem nächsten Schritt ebenso für die allmähliche Aussöhnung der Katholiken mit dem Nationalstaat und seiner Ideen- und Symbolwelt untersuchen: Selbst der katholische Nationalismus, so könnte sich zeigen, ist weniger ein nationales denn ein transnationales Phänomen, und dem hl. Bonifatius stehen Jeanne d’Arc, St. Patrick und der hl. Stanislaus zur Seite, nationale Schutzpatrone, deren Verehrung in den verschiedenen Ländern durchaus vergleichbare Funktionen und Formen annahm. Auch die Entwicklung des Verhältnisses zwischen den indischen Religionsgemeinschaften, das die historische und sozial-

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wissenschaftliche Forschung der Region beschäftigt hat wie kaum ein anderes Thema, ist lange Zeit als ein Phänomen sui generis behandelt worden. Doch selbst hier kann eine Vergleichs- und Verflechtungsgeschichte neue Zusammenhänge ans Licht bringen (Juneja / Pernau, 2008). Die Stellung der Katholiken im Kaiserreich und der Muslime in Britisch-Indien zeigt trotz aller Unterschiede, die man erwarten würde, überraschende Parallelen. Für beide Religionsgemeinschaften bedeutete das 19. Jahrhundert einen radikalen Verlust an politischer und gesellschaftlicher Macht: in Deutschland beginnend mit der Säkularisierung der Kirchengüter nach dem Zusammenbruch des Alten Reiches und kulminierend mit der kleindeutschen Lösung und dem Kulturkampf; in Indien mit dem Verlust staatlicher Macht durch den Zusammenbruch des Mogulreiches, dem Ende der Patronage für die religiösen Stiftungen und schließlich – nach dem Aufstand von 1857 – dem Gefühl, als Minderheit sowohl in der Bildung als auch bei der Vergabe staatlicher Ämter systematisch benachteiligt zu werden. Auch wenn es nicht direkt zu einem ›Kulturkampf‹ kam, hält der Druck, Zwischeninstanzen religiösen Ursprungs zwischen dem Staat und seinen Bürgern abzuschaffen, zum Teil bis auf den heutigen Tag an, und zwar in Bezug auf durchaus vergleichbare Themenfelder wie etwa die Zivilehe und das Scheidungsrecht, die Kontrolle des Schulwesens und die Überwachung der religiösen Mobilität über Staatsgrenzen hinweg. Nur die Erweiterung der Perspektive über den nationalstaatlichen Rahmen hinaus vermag Auskunft darüber zu geben, wie über Inklusion und Exklusion unter den Bedingungen moderner Staatlichkeit verhandelt wird. Die Forschung ist lange davon ausgegangen, dass Identitäten von Individuen und Gruppen im Prinzip widerspruchsfrei sind oder doch zumindest sein sollten, wenn ihre Sinnstiftung kohärent sein soll. Eine Weigerung oder gar das Unvermögen, eindeutig anzugeben, welche Identität wichtiger ist, ob man an erster Stelle Muslim oder Inder, Katholik oder Deutscher ist, wurde von Historikern und Sozialwissenschaftlern weniger mit einer konkreten historischen Situation in Verbindung gebracht als mit einem Mangel an logischem Denken desjenigen, der seine Identität nicht zu benennen vermag. Viel

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deutet darauf hin, dass der eindeutige Vorrang der einen oder anderen Zugehörigkeit zwar vom Staat ebenso wie von der Religionsgemeinschaft immer deutlicher gefordert wurde – auch dies ein transnationales Phänomen. Ob beide freilich bei der Durchsetzung dieser Forderungen erfolgreich waren, ob es zu klaren Hierarchien kam oder ob sich im Gegenteil die Akteure weiterhin situationsabhängig entschieden, ohne die Situationen systematisch zueinander in Beziehung zu setzen, das ergibt sich hieraus noch nicht, sondern muss von Fall zu Fall untersucht werden. Bietet der Katholizismus aufgrund seiner Organisationsstruktur offensichtliche Anknüpfungspunkte für eine Untersuchung transnationaler Kommunikationszusammenhänge und Gemeinschaftsgefühle, so liegen diese für den Protestantismus zunächst weniger auf der Hand. Die Organisation der Kirchen in nationalstaatlichen Grenzen erleichterte, auf den ersten Blick zumindest, das Zusammenfallen von religiösem und nationalem Zusammengehörigkeitsgefühl. Bezieht man jedoch, wie hier vorgeschlagen, die Möglichkeit der Existenz von Identitäten mit ein, die sich nicht zu einem kohärenten System zusammenfügen, sondern in Spannung zueinander stehen, sieht man ein nationales und ein transnationales Gemeinschaftsgefühl also nicht als ein Nullsummenspiel an, so wird der Weg frei, auch im Protestantismus nach transnationalen Einflüssen zu suchen – und nach Vergemeinschaftungen, die nationale Grenzen überschreiten. Dies stand in Spannung zu der Rolle, die der Protestantismus gleichzeitig im Prozess der Nationalisierung spielte. Beide Aspekte bestanden jedoch über einen längeren Zeitraum nebeneinander, ohne sich gegenseitig aufzuheben. Für den Protestantismus war die Mission der Ort, an dem sich seit dem 18. Jahrhundert das Wissen über die Welt jenseits der lokalen und nationalen Grenzen kristallisierte und in dem das Globale das Lokale berührte. Die Erweckungsbewegungen des späten 18. Jahrhunderts waren schon für sich genommen ein transnationales Ereignis, das nicht nur Großbritannien und Amerika umfasste, sondern auch vielfache Verbindungslinien nach Deutschland, in die Schweiz und die skandinavischen Länder aufwies, getragen von Auswanderern, aber auch von der stetig anwachsen-

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den Reisetätigkeit der Prediger (Conrad / Habermas, 2010; Lehmann, 2006). Zwei theologische Entwicklungen setzten in diesen Bewegungen grenzübergreifende missionarische Energie frei. Zum Ersten wurde der strenge Prädestinationsglaube dort, wo er noch vorhanden war, abgemildert. In seiner Extremform hatte dieser die Mission nicht nur als zwecklos, sondern auch als ein anmaßendes Eingreifen in den göttlich gewollten Heilsplan gedeutet. Zwar war auch danach die Erlösung eine Gnadengabe Gottes, doch der Mensch war aufgefordert, an ihrer Verwirklichung mitzuarbeiten. Ja, in einigen protestantischen Denominationen wurde sogar das Anbrechen des Gottesreiches davon abhängig gemacht, dass allen Menschen zuvor das Evangelium verkündet worden war und sie somit die Möglichkeit zur Umkehr hatten. Zum Zweiten wurde die Gewissheit der Erlösung an emotional besetzte Bekehrungserlebnisse geknüpft. Die Mission richtete sich damit an jeden Menschen, jeder bedurfte der Umkehr, nicht nur die ›Heiden‹. Innere und äußere Mission griffen damit eng ineinander. Das Zusammentreffen dieser theologischen Entwicklungen und der europäischen kolonialen Expansion schuf günstige Bedingungen für die Mission in Übersee; eine Interpretation, die die Mission oder gar die theologische Entwicklung lediglich instrumental mit Blick auf die kolonialen Interessen deutet, dürfte jedoch zu kurz greifen (Porter, 2004). Missionsforschung, zumal die der ›Heidenmission‹, überschreitet nationale und kulturelle Grenzen. In einer Reihe von Themenfeldern ist daher in den letzten Jahren mehr oder weniger ausdrücklich auf transnationale Ansätze zurückgegriffen worden. Die Missionsvereine, die im 19. Jahrhundert in fast allen Kirchengemeinden gegründet wurden, dienten der Finanzierung der Mission durch Spenden, aber auch der Unterstützung der Missionare durch Gebet und, wo nötig, durch politischen Druck – etwa, als die Erneuerung der Charta der Ostindiengesellschaft 1813 die Frage aufwarf, ob diese als Vertreterin eines christlichen Landes weiterhin den Missionaren die Einreise in ihren Herrschaftsbereich verweigern und statt dessen Tempel und Moscheen unterstützen könne. Hiermit eng zusammenhängend, vermittelten die Missionsvereine Wissen über die Missionare und

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ihre Arbeit in den Kolonien und darüber hinaus. Briefe, Missionszeitschriften, aber auch Vorträge durchreisender Missionare erzählten vom Leben in fremden Ländern, von den Sitten und Gebräuchen der Einheimischen, vom Kampf der Missionare um die Seelen, von ihren Schwierigkeiten und Erfolgen. Die Missionsvereine wurden damit zu einem bedeutenden Ort, an dem Wissen über andere Länder, aber auch Wissen darüber, wie die Welt geordnet ist, hervorgebracht, weitergegeben und in Praktiken umgesetzt wurde. Auch wenn sie die Hierarchisierung zwischen den Christen und den Heiden, den Zivilisierten und den Barbaren nicht aufhoben, schufen sie doch ein gemeinsames Band zwischen ihnen, denn beide waren sie sündig und der Erlösung bedürftig, waren sie Brüder und Schwestern – auf den Punkt gebracht im Motto der religiösen Gegner der Sklaverei ›Am I not a man and a brother?‹ Neben dem Nationalismus, neben dem Bewusstsein, als protestantische Nation den Gipfel der Zivilisation zu repräsentieren, kam es daher zu einer Vergemeinschaftung auf der Basis des Glaubens, die über die nationalen Grenzen hinweg reichte und weder in ihrer emotionalen Intensität noch in ihrer Wirkmächtigkeit hinter dem Nationalismus zurückstand. Fragt man im Sinne einer Verflechtungsgeschichte, wie die Kolonien und der Kolonialismus auf die Metropolen zurückgewirkt haben, so sind die Missionsvereine ein spannender Ansatzpunkt für die Untersuchung (Daughton, 2006; Hall, 2002; Thorne, 1999; Twells, 2009). Die protestantischen Missionare waren selbst transnationale Akteure, zunächst einmal in dem Sinne, dass sie aus lokalen Kontexten aufbrachen und Grenzen überschritten, um zu ihrem neuen Wirkungsfeld zu gelangen, dann aber auch in ihrem Selbstverständnis als ›globale Gemeinschaft‹ (Mettele, 2009). Mit einer Selbstverständlichkeit, die für das 19. Jahrhundert als einem Jahrhundert der Nationalstaaten überrascht, setzen sie sich in ihrer Arbeit über die nationalen Grenzen hinweg – nicht nur im Sinne einer gegenseitigen Beobachtung, sondern auch in der engen Verzahnung der Ausbildungswege und der Möglichkeit, mit großer Regelmäßigkeit und Selbstverständlichkeit auf die personellen, institutionellen und finanziellen Ressourcen von

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Missionsgesellschaften anderer Länder zurückzugreifen (Habermas, 2008). So führte etwa das Einreiseverbot für Missionare nach Britisch-Indien schon im 18. Jahrhundert dazu, dass sie von dänischen Niederlassungen aus operierten – Serampore für die baptistische Mission in Bengalen, Tranquebar für die Hallensische Mission in Südindien (Bogner / Holtwick / Tyrell, 2004). Hier trafen sich britische Missionare mit deutschen aus Halle und Herrnhut, mit den schweizerischen der Basler Mission, aber auch mit dänischen und amerikanischen (Porter, 2005). Diese innerprotestantische und innereuropäisch-amerikanische Transnationalität ist gegenüber der Bewegung zwischen dem Westen und Asien, Afrika oder der Karibik bislang kaum beachtet worden, wirft aber doch Fragen auf. Ganz praktisch: Wie haben diese Missionare miteinander kommuniziert – sprachlich, aber auch kulturell? Wie konnten sie ihre unterschiedlichen Erfahrungen in diese gemeinsame Sprache, nun auch im übertragenen Sinn, einbringen? Wie verhielt sich das Gefühl einer grenzübergreifenden protestantischen Brüderlichkeit zu anderen gefühlten Zugehörigkeiten, zum Beispiel den nationalen? Kam es zu Konflikten und wie wurden diese gelöst? Hier wäre eine Zusammenführung der Studien über protestantischen Nationalismus und protestantische transnationale Praktiken dringend erforderlich. Ihrem Ziel entsprechend, die Botschaft des Evangeliums in fremde Länder zu tragen, vermittelten und übersetzten die Missionare zwischen den Kulturen. Dies ist zunächst einmal ganz wörtlich zu verstehen. Überall, wo sie hinkamen, war es ihr primäres Anliegen, die Bibel in die Landessprache zu übersetzen, um sie so vielen Menschen wie möglich zugänglich zu machen. Zu einer Zeit, als die kolonialen Beamten sich nur zögerlich mit den einheimischen Sprachen auseinandersetzten und Sprachkompetenz unter ihnen eher die Ausnahme denn die Regel war, bemühten sich die Missionare schon um des Erfolges der Mission willen aktiv um das Erlernen der Sprache – auch wenn sie diese teilweise erst mit Hilfe von Wörterbüchern und Grammatiken in eine Form bringen mussten, die sich ihnen erschloss. Doch galt es nicht nur, Texte zu übersetzen – aus den einheimischen Sprachen ins Englische oder Deutsche und umgekehrt –

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sondern auch Praktiken. Wie konnten sich Missionare verständlich machen, wieweit wollten sie sich um der Verständigung willen und um keinen Anstoß zu erregen fremden sozialen Normen anpassen (Frykenberg, 2005)? Seit dem Beginn der jesuitischen Mission in China im 16. Jahrhundert ist immer wieder intensiv und mit unterschiedlichen Ergebnissen diskutiert worden, in welchem Maße Missionare die Rolle eines Mandarin oder eines Brahmanen einnehmen und sich den entsprechenden Verhaltensvorschriften fügen durften, bis hin zur Übernahme etwa der Praxis der Unberührbarkeit. Wieweit konnten die Missionare mit dem Verzicht auf kulturelle Übersetzung gehen, wenn sie mit ihren Zuhörern kommunizieren wollten? Während die Debatten um die Unberührbarkeit relativ gut aufgearbeitet worden sind, so ist der Übersetzung emotionaler Praktiken, die gerade in den Erweckungsbewegungen eine zentrale Rolle spielten (Scheer, 2009), bislang noch kaum Aufmerksamkeit geschenkt worden (Viswanathan Peterson, 2003). Hier eröffnet die transnationale Perspektive eine Fülle weiterer Forschungsthemen. Dass die Mission, zumal da, wo sie auch das Bildungssystem beeinflusste, Teil einer transnationalen Bewegung war, dürfte auf der Hand liegen – im Übrigen natürlich nicht nur für die christliche Mission. Ähnliches könnte für die Verbreitung des Islam gezeigt werden, aber auch, zu einem frühen Zeitpunkt, für die Expansion des Buddhismus nach Ostasien und des Hinduismus nach Südostasien. Überall überschritten Missionare Grenzen des Herrschaftsbereichs ebenso wie der Sprache und der Kultur und brachten Weltinterpretationen, Wissensbestände und Praktiken miteinander in Berührung. Nicht nur die Konvertiten veränderten sich in diesem Prozess, auch das Christentum war nach dreihundert Jahren Mission nicht mehr das gleiche wie vorher, schon weil Europa und Amerika nur noch einen immer kleiner werdenden Teil der christlichen Bevölkerung der Welt ausmachten. Doch die Begegnung mit dem Christentum rief Veränderungen hervor, die nicht nur Christen und die christliche Religion betrafen, sondern deutlich darüber hinauswiesen – vor allem in solchen Fällen, in denen die Mission durch die Kolonialmacht gestützt wurde und die Kolonialmacht sich bewusst als eine christ-

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liche verstand. Was im transnationalen Zusammentreffen der Religionen verändert wurde, war der Religionsbegriff selbst. Bis ins Mittelalter hinein kannte das Christentum drei Kategorien der religiösen Zugehörigkeit: die Christen, die Juden, denen eine heilsgeschichtliche Sonderrolle zugeschrieben wurde, und die Heiden. Wurden noch zur Zeit der Kreuzzüge die Muslime unter den Heiden subsumiert, so kam es danach zur weiteren Ausdifferenzierung und der Herausbildung des klassischen Viererschemas von Christen, Juden, ›Mohammedanern‹ und Heiden, das noch das ›Zeitalter der Entdeckungen‹ und seine Klassifizierung der religiösen Praktiken bestimmte. Geordnet wurden hier jedoch in erster Linie die Völker, die nationes, nicht die Religionen als Glaubenssysteme. Die Verwendung des grammatischen Plurals ›Religionen‹, der das Christentum als eine Religion unter anderen einordnete, setzte sich erst mit dem komparativen Projekt der Aufklärung durch. Hier erst wurde die Frage nach der ›Wahrheit‹ einer Religion als unwichtig für die wissenschaftliche Beschäftigung mit ihr ausgeklammert; statt dessen bemühte sich die vergleichende Religionswissenschaft, sich mit keiner der untersuchten Religionen zu identifizieren – wieweit ihr das gelang, steht indes auf einem anderen Blatt (Masuzawa, 2005). Interessant ist in unserem Zusammenhang vor allem, dass diese wissenschaftliche Beschäftigung mit den Religionen es erlaubte, die Kategorie der ›Heiden‹ weiter aufzufächern und in Indien zum Beispiel auf Unterschiede zwischen Hindus, Buddhisten, Jainas, Sikhs usw. einzugehen. Dies traf sich wiederum mit dem Bemühen der Missionare, den Glauben und die Sitten derer, die sie bekehren wollten, möglichst genau zu erkunden. Für die Perzeption und die Definition des Hinduismus durch die protestantischen Missionare und die kolonialen Beamten waren neben der Omnipräsenz von Götterbildern und Statuen zwei Aspekte von herausragender Bedeutung. Erstens hoben sie auf die dominierende Stellung der Brahmanen ab – und zwar nicht nur im Sinne einer sozialen Dominanz, sondern auch als Schöpfer und Interpreten der Religion. Dies lässt sich zum Teil dadurch erklären, dass es in der Regel schriftkundige Brahmanen waren, von denen die Europäer ihr Wissen über Indien bezogen,

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die ihnen die verwirrende Vielfalt ordneten und erklärten. Ohne es zu wollen, ja, oftmals sogar ohne es zu merken, verhalfen die Europäer damit der brahmanischen Weltsicht und ihrem Deutungsanspruch in einer Weise zur Durchsetzung, wie sie für die indische Geschichte neu war (Mani, 1998). Dies wiederum ging Hand in Hand mit den protestantischen Auffassungen, wie eine Priesterklasse mittels der Förderung von popularem Aberglauben nach gesellschaftlichem Einfluss strebe. Die Brahmanen nahmen also für die Protestanten die Rolle des katholischen Klerus ein, die ihnen aus Europa schon vertraut war. Zweitens stellten sie einen negativen Zusammenhang zwischen dem Hinduismus und seiner Ethik her. Wenn auch nicht die einzige, so blieb Religion doch in der Auffassung der europäischen Akteure des 19. Jahrhunderts eine der entscheidenden zivilisatorischen Kräfte – und zwar weitgehend unabhängig davon, ob sie darüber hinaus ein Interesse an den transzendentalen Bezügen der Religion hatten oder nicht. Diese zivilisatorische Aufgabe vermochte der Hinduismus in den Augen der kolonialen Beobachter nicht zu erfüllen. Immer wieder tauchen daher in den Beschreibungen des Hinduismus anschauliche Schilderungen von Fakiren auf dem Nagelbrett auf, von Gläubigen, die Erlösung erhoffen, indem sie sich vor den steinernen Wagen des Jagannath werfen, noch mehr aber von Witwenverbrennungen und Tempelprostitution (Oddie, 2006). Dieses vermeintliche Defizit des zeitgenössischen Hinduismus führte im Laufe des 19. Jahrhunderts nicht nur zu zahlreichen Gesetzesvorhaben, in denen, in den Worten Gayatri Spivaks, weiße Männer den Schutz brauner Frauen vor braunen Männern übernahmen (Spivak, 1985), sondern auch zu verschiedenen Wellen des Reformhinduismus, der sich nun vehement von popularen Praktiken zu distanzieren begann und statt dessen die klassischen Texte, zumal die Veden, zum Teil aber auch die Bhagavad Gita, zur Basis des wahren Hinduismus erklärte, den es vom Aberglauben zu reinigen galt. Sowohl in der Setzung eines Kanons, der für alle Hindus verbindlich sein sollte, als auch in der Abwertung der Tradition zugunsten der kanonischen Texte, die mit einem Goldenen Zeitalter assoziiert wurden, zu dem sie zu-

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rückkehren wollten, passten sich die Reformer dem neuzeitlichprotestantischen Religionsbegriff der Kolonialherren an – auch und gerade dann, wenn es das erklärte Ziel der Reform war, das Eigene zu schützen und vor allem den Konversionen zum Christentum zu wehren. Diese Entwicklung, die eine Entsprechung auch im indischen Islam hatte, führte zugleich dazu, dass sich die Grenzen zwischen den Religionsgemeinschaften zu verhärten begannen. Durch ein jahrhundertelanges Miteinander hatten sich zahlreiche synkretistische Formen herausgebildet. Es gab Hindus, die zu den Schreinen von muslimischen Heiligen pilgerten und auch ohne Konversion in die mystischen Orden aufgenommen wurden, Muslime, die Hindufeste mitfeierten und in Zeiten der Not der Pockengöttin opferten, Gruppen, die ihre Söhne zwar wie Muslime beschnitten, die Toten aber wie Hindus verbrannten. Die Liste könnte endlos fortgesetzt werden. Genau dieser Zwischenbereich aber verlor seine Legitimation, sobald nicht mehr Überlieferung und die ›richtige‹ Praxis, sondern die alten, heiligen Texte und der ›richtige‹ Glaube definierten, was das Wesen einer Religion ist und wer dazu gehört (Mayaram, 1997; Mujeeb, 1967). Die koloniale Praxis, die wohl mehr als jede andere dazu beitrug, dieses neue Verständnis von der Eindeutigkeit der religiösen Zugehörigkeit zu institutionalisieren, waren die Volkszählungen, die seit den 1840er Jahren auf regionaler Ebene, seit 1871 dann im Zehnjahres-Intervall für ganz Indien durchgeführt wurden, und in denen schon aus statistischen Gründen ein Sowohlals-auch nicht mehr tragbar war (Cohn, 1987; Kaviraj, 1992). Wo die Befragten selbst sich dieser Eindeutigkeit verweigerten, waren die Zensusbeamten gehalten, die Zuordnung durch die Erfragung von Praktiken, etwa Essgewohnheiten, Bestattungsritualen oder Heiratsbräuchen selbst vorzunehmen. Der Dichter Ghalib karikierte dieses Verhalten, als er einem britischen Beamten, der ihn nach seiner Religion fragte, antwortete, er sei ein halber Muslim, er esse kein Schweinefleisch, aber er trinke Wein. Auf die Dauer jedoch konnte sich eine solche halbe oder doppelte Identität kaum halten. Ergab sich die Religion nicht eindeutig aus den Bräuchen, so wurden über kurz oder lang die Bräuche

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der Religion angepasst, um die erwünschte Eindeutigkeit herzustellen, die für den neuen, prestigeträchtigen Religionsbegriff vonnöten war. Noch tiefer in das traditionelle Verständnis griffen die Debatten darüber ein, welches die angemessenen Grenzen des Religionsbegriffes seien. Die Vorstellung des dharma, des Begriffs, der oft zur Übersetzung von ›Religion‹ herangezogen wird, umfasste zum einen moralische und rechtliche Normen, ohne immer konzeptionell zwischen beiden zu unterscheiden. Zum anderen weitete sich der Begriff ins Kosmische und bezeichnete eine Weltordnung, der außer Menschen und Göttern auch die Elemente und die Planeten unterworfen waren, trennte also weder zwischen ›Religion‹ und ›Politik‹, noch zwischen religiösen und naturwissenschaftlichen Wissenssystemen (Sharma, 1994; Stietencron, 1989). Im Gegensatz hierzu verwies der europäische Religionsbegriff seit der Aufklärung die Religion zunehmend in die Privatsphäre: Religion regelte die Beziehungen zwischen dem Gläubigen und seinem Gott. Dieser Bereich ist – hierauf zielt das Grundrecht der Religionsfreiheit – dem staatlichen und gesellschaftlichen Zugriff entzogen. Zugleich wird die Religion auf diesen Innenraum bezogen und wirkt nur noch mittelbar in den politischen und gesellschaftlichen Raum hinein (Bianchi, 1994; Gabriel, 1993a+b; Graf, 2004). Zwar vermag sie, Werte bereitzustellen und Motivation hervorzubringen, diesen Werten zu folgen – welche Werte aber Geltung und gar öffentliche und rechtliche Geltung erlangen sollen, darüber entscheidet die Religion nicht mehr selbst. Dieser Religionsbegriff, oft als der ›moderne‹ bezeichnet, entfaltete nun nicht nur eine semantische, sondern auch eine normative Wirkung, der sich kaum eine Religion entziehen konnte: Die Anerkennung der Pluralität der Religionen ging untrennbar einher mit der Vereinheitlichung dessen, was als Religion gelten konnte. Beide Aspekte aber waren globale Entwicklungen, die aus der Perspektive der Nationalgeschichte kaum in den Blick geraten und noch weniger zu erklären sind.

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V. Die Sprache der transnationalen Geschichte

Ein zentrales Thema, das schon mehrere Male gestreift wurde, soll zum Abschluss im Zusammenhang behandelt werden: die Bedeutung von Sprache und Mehrsprachigkeit in der transnationalen Geschichte und Historiografie. Wann immer Menschen sich in Bewegung setzen, begegnen sie sehr bald Menschen, die eine andere Sprache sprechen. Dies kann schon innerhalb der nationalen Grenzen, ja, in sehr kleinen Räumen geschehen – zumal ja die Nationalsprachen vielfach erst ein Ergebnis der Homogenisierungspolitik des 19. Jahrhunderts sind, die etwa aus Bretonen, Katalanen oder Elsässern Franzosen zu machen suchte; zumeist aber ist es der transnationale Grenzübertritt, der zugleich auch ein Schritt in ein fremdes Sprachgebiet ist. Auch wo es eine lingua franca gab, Latein im Mittelalter etwa, Persisch bis ins 19. Jahrhundert oder Englisch heute, war diese in der Regel nur einer Minderheit bekannt und ging mit den lokalen Sprachen vielfache Verbindungen ein. Zudem war sie nur in den seltensten Fällen ›Weltsprache‹. Dies wirft die Frage auf, die in der Forschung – vor allem außerhalb der Area Studies – noch viel zu selten thematisiert wird: Wie funktioniert die Kommunikation, die jeder friedlichen oder gewaltsamen transnationalen Begegnung zugrunde liegt? Wenn Reisende und Pilger lange Strecken zurücklegen und anschließend ihre Beobachtungen in viel gelesenen Berichten und Büchern darlegen – woher beziehen sie ihr Wissen? Gewiss haben sie viel beobachtet, aber wer half ihnen, ihre Beobachtungen zu deuten? Mit wem haben sie geredet und vor allem in welcher Sprache? Wie gut waren ihre Sprachkenntnisse oder diejenigen ihrer Informanten? Welche Übersetzungsprozesse fanden dabei statt und wie haben diese zu einer Umdeutung des Gesehenen und Gehörten geführt? Auch wenn man den Blick über die direkte Kommunikation hinaus erweitert und ein abstrakteres Phänomen wie die anfängliche Begeisterung für die Französische Revolution bei bestimmten Gruppen im Deutschen Reich oder die an-

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Die Sprache der transnationalen Geschichte

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schließende vehemente Abgrenzung von Frankreich im Gefolge der Napoleonischen Kriege untersucht, sind im Transfer und bei der Verarbeitung von Informationen und Wissen über Grenzen hinweg immer mindestens zwei Sprachen involviert, die von den Akteuren zueinander in Beziehung gesetzt werden müssen (Lüsebrink / Reichardt / Keilhauer, et al., 1997). Diese zeitgenössischen Sprachbegegnungen und Übersetzungen müssen vom transnational arbeitenden Historiker zur Kenntnis genommen werden. Dies ist wichtig, wenn er selbst nahe an den Quellen arbeitet, aber auch, wenn er sich stärker auf Sekundärliteratur stützt, denn diese ist ihrerseits das Ergebnis eines Übersetzungsprozesses: Zum einen übersetzen die Autoren Quellenbegriffe der Akteure, etwa wenn sie ein Buch zur chinesischen Geschichte auf Deutsch schreiben; zum anderen übersetzen sie, wie jeder Historiker, vergangene Sprache in gegenwärtige Analysebegriffe, etwa wenn sie Genderkonstruktionen des Mittelalters (das diesen Begriff nicht kannte) erforschen. Warum aber ist es für die transnationale Geschichte so wichtig, sich mit Sprache und Übersetzung auseinanderzusetzen? Sollten wir nicht froh sein, dass so viel Material bereits auf Englisch aufbereitet ist und die Entwicklung des Englischen als Sprache der transnationalen und globalen Geschichte nach Kräften fördern? Macht es nicht Sinn, knappe Ressourcen an Zeit und Geld lieber in Übersetzungsprojekte zu stecken, als in den mühsamen Erwerb von Sprachkenntnissen jenseits von Englisch, Französisch und allenfalls noch Latein? Oder sollten wir nicht am besten gleich auf Quellen in (west-)europäischen Sprachen ausweichen, wo immer sie vorhanden sind? Diese pragmatischen Überlegungen sind nicht von der Hand zu weisen, unterschätzen aber, wie eng historisches Wissen mit Sprache und sprachlichen Begriffen verwoben ist – auf allen Ebenen.

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Die Sprache der transnationalen Geschichte

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1. Sprache und Gesellschaft Sprache ist zunächst einmal das Medium, durch das das meiste Wissen über die Vergangenheit übermittelt wird. Die weitaus größte Menge der Quellen, mit denen Historiker arbeiten, sind sprachlicher Natur, das heißt immer auch: in einer ganz spezifischen Sprache verfasst, mit einer bestimmten Grammatik und einem bestimmten Vokabular, die den Autoren der Quelle vorgegeben sind und die sie nur in begrenztem Maße verändern können, wenn sie für ihre zeitgenössischen Adressaten verständlich bleiben wollen. Sprache spielt weiterhin eine zentrale Rolle bei der Deutung nicht-sprachlicher Quellen, wie Musik, Gemälde oder Architektur, deren Bedeutung sich keineswegs unmittelbar aus dem Artefakt erschließt: Ob ein dunkler Wolkenhimmel die Szenerie in Melancholie taucht oder ob er im Gegenteil Vorbote der erotischen Freuden ist, die mit dem Monsun verbunden werden, lässt sich nicht aus dem Bild selbst herauslesen, sondern allenfalls aus einer Kombination einer ganzen Reihe von Bildern und Aussagen der Zeitgenossen zur Symbolik und emotionalen Aufladung eines Bildes. Sprache, und zwar wiederum eine ganz konkrete Sprache, die bestimmte Begriffe mit bestimmten historisch gewachsenen Assoziationen und Bedeutungen zur Verfügung stellt und andere Begriffe nicht kennt, ist schließlich das Medium, dessen sich die Historiker bedienen, um die Vergangenheit gedanklich zu durchdringen, zu verstehen und ihre Erkenntnisse zu kommunizieren. Reinhart Koselleck, der Vater der modernen Begriffsgeschichte in Deutschland und zusammen mit Otto Brunner und Werner Conze Herausgeber der monumentalen »Geschichtlichen Grundbegriffe« (1972–1997), stellte Sprache und Gesellschaft heraus als die beiden »metahistorischen Vorgaben, ohne die keine Geschichte und keine Historie denkbar sind« (Koselleck, 2006, S. 12). Beide seien eng miteinander verflochten, gingen aber nicht ineinander auf; vielmehr bleibe die Grundspannung zwischen ihnen bestehen. Dies bedeutet zum Ersten, dass Begriffe historisch geprägt sind. Sie spiegeln die Gesellschaft, in der sie entstanden sind,

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Sprache und Gesellschaft

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und wandeln sich mit ihr; sie bündeln damit die Erfahrungen der Akteure. So umfasst zum Beispiel der deutsche Begriff des Bürgers sowohl den französischen bourgeois, eine wirtschaftliche Kategorie, als auch den citoyen, der der politisch-rechtlichen Sprache zuzuordnen ist. Dass in Deutschland beide Kategorien ineinander fallen, sagt viel aus über das spezifische Verhältnis zwischen Bürgertum und Staat (Kocka, 1995). Zugleich lässt sich der Begriff ›Bürgertum‹ nur ganz bedingt mit middle classes übersetzen, denn im Gegensatz zur Lage in Großbritannien handelt es sich bei dem deutschen Begriff nicht in erster Linie um einen Klassenbegriff, der durch eine gemeinsame wirtschaftliche Lage definiert wäre. Vielmehr trägt der Begriff noch die Spuren der ursprünglichen Standesbezeichnung – ein Stand aber ist nach Max Weber eine Gruppe, die sich definiert durch ihre Art Geld auszugeben, wohingegen die Klasse ihren Zusammenhalt findet durch eine gemeinsame Weise Geld zu erwerben. Der Unterschied zwischen einer kulturellen (Bürgertum / Stand) und einer ökonomischen Kategorie (middle classes / Klasse) ist so groß, dass sich eine Übersetzung ohne weiterführende Erklärung verbietet (Koselleck / Spree / Steinmetz, 1991; Riedel, 1972; Weber, 1985 [1922], S. 177–180). Gerade diese Verankerung in einer jeweils spezifischen gesellschaftlichen und historischen Situation aber lässt Begriffe zu einer wichtigen Quelle für die Geschichte werden. Zum Zweiten aber prägen die Begriffe ihrerseits die Gesellschaft. Dieser Aspekt geriet im Laufe der Zeit immer mehr in den Vordergrund, berührte er doch an mehreren Punkten den gleichzeitig an Einfluss gewinnenden linguistic turn. Begriffe reflektieren die Wirklichkeit nicht nur, sondern sind das Ergebnis eines aktiven Gestaltungsvorgangs, in dem die Akteure ihre Wirklichkeit interpretieren und mit Bedeutung versehen. So beschrieb der Begriff der Nation – hierauf wurde im ersten Kapitel ausführlich eingegangen – zu Beginn des 19. Jahrhunderts nicht etwa eine bereits vorhandene Realität, die nur noch in einen Begriff gegossen werden musste, sondern einen zukünftigen, angestrebten Zustand: Begriffe bringen die Realität hervor, indem sie sie benennen. Nur weil ein Begriff entstand, der diese Erwartungen bündelte, konnte der Nationalismus als globales Phänomen

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Die Sprache der transnationalen Geschichte

entstehen, konnten die Nationalbewegungen sich verbreiten, die schließlich die Nation hervorbrachten. Die Betonung der Begriffsprägung durch die Akteure bedeutet allerdings nicht, dass dem Einzelnen hier grenzenlose Freiheit eingeräumt würde, sich seine Wirklichkeit zu erfinden. Sprache, und damit auch die Interpretation und Gestaltung der Wirklichkeit, bleibt ein soziales Phänomen, das jedem Einzelnen vorgeordnet bleibt, in das hinein er geboren und sozialisiert wird. Gerade abstrakte Begriffe gehen der individuellen Erfahrung voraus und bilden das Raster, das das Erlebte ordnet, interpretiert und mit Bedeutung versieht. Um ›Nation‹ überhaupt erfahren zu können, braucht man einen Begriff der Nation, mit Blick auf welchen aus der endlosen Fülle von wahrgenommenen Eigenschaften und Ereignissen diejenigen ausgewählt werden können, die für ein Gemeinschaftsgefühl als relevant empfunden werden. Die Rekonstruktion und Interpretation der Weltsicht der Akteure, der Bedeutung, die sie Ereignissen und Entwicklungen zuschrieben, ist ein wichtiger Teil der Arbeit des Historikers. Diese Weltsicht und Weltdeutung wird nur durch den Rückgriff auf die Quellen, ihre Sprache und ihre Begriffe sichtbar. Der Verzicht darauf, sich hiermit auseinanderzusetzen, kommt dem Verzicht gleich, Entwicklungen in ihrem je spezifischen zeitlichen und kulturellen Kontext zu erklären. Außerdem erfolgt dieser Verzicht oft selektiv: Meist ist es die Weltsicht derjenigen Akteure, die sich nicht in (west-)europäischen Sprachen äußern, die kaum Beachtung findet, weil viele Wissenschaftler sich scheuen, sich mit ihr in den schwieriger zugänglichen, originalsprachigen Texten auseinanderzusetzen. Die Begründung für ein solches Vorgehen kann zum einen sein, dass nur der Begriffsbildung von bestimmten, mächtigen Akteuren eine Wirkung auf den Gang der Ereignisse zugeschrieben wird. Dies erklärt beispielsweise, warum die postkoloniale Geschichtsschreibung trotz ihres erklärten Zieles, die Überreste des Kolonialismus gerade im wissenschaftlichen Diskurs zu beseitigen, lange Zeit zu einer Vernachlässigung der Quellen in den Sprachen der Kolonisierten geführt hat. Im Gefolge von Edward Said ging es vielen Wissenschaftlern vorrangig darum zu zeigen, wie koloniales Wissen, vor allem die ›Erfin-

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Sprache und Gesellschaft

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dung‹ und Umdeutung von Begriffen, dazu verwandt wurde, die europäische Herrschaft zu stützen (Said, 1995). Im Bemühen, die Kolonialisierten nicht auch noch für ihre eigene Kolonialisierung verantwortlich zu machen, näherten sich die Bilder von der Omnipotenz des kolonialen Staates teilweise fast schon wieder den traditionellen Vorstellungen der Geschichte des Empire (Inden, 1990; Oddie, 2006; Viswanathan, 1989). Häufiger noch findet jedoch die Selektion der Quellen im Namen eines Pragmatismus mit mehr oder weniger schlechtem Gewissen statt, der nahe legt, sich auf die sprachlich und archivalisch leichter zugänglichen Texte zu beschränken. Dieser Pragmatismus wirkt sich nicht nur nach Regionen und Sprachen unterschiedlich aus – niemand käme in Deutschland ernsthaft auf den Gedanken, für die Untersuchung der deutsch-französischen Beziehungen auf sehr gute Französischkenntnisse verzichten zu können –, er reproduziert auch historisch bestehende Ungleichheiten und Hierarchien. Gewiss sind die Akten der Kolonialmächte in den Archiven von London, Paris und Berlin leichter zugänglich, vielfach besser verzeichnet und vor allem für den westeuropäischen Historiker viel leichter und schneller zu lesen, als wenn er sich auf die Suche nach verstreuten Quellen auf Arabisch, Japanisch oder Swahili machen muss. Pragmatismus ist gut und wichtig, doch muss darauf geachtet werden, dass er nicht dazu führt, dass die transnationale Geschichte zu einer history light wird, für die andere, geringere Qualitätsmaßstäbe gelten als für die nationale und europäische Historiografie. Diese Situation wird sich vermutlich erst dann ändern, wenn mehr Untersuchungen vorliegen, die zeigen, dass eine transnationale Geschichte anhand von Originalquellen in mehreren Sprachen nicht nur möglich ist, sondern auch deutlich mehr Erkenntnisgewinn bringt, und die zugleich so geschrieben sind, dass sie über ein enges Fachpublikum hinaus rezipiert werden können. Dass dies ein anspruchsvolles und vor allem zeitintensives Unterfangen ist, soll nicht in Abrede gestellt werden.

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2. Begriffe und ihre Übersetzung Wie kann nun eine transnationale Geschichte aussehen, die die Weltsicht der Akteure aller Regionen ernst nimmt, die miteinander in Beziehung treten? Wie kann sie zudem berücksichtigen, dass Weltsicht immer durch eine je spezifische Sprache vermittelt wird? Ähnlich wie die Nationalgeschichtsschreibung ging auch die Übersetzungswissenschaft lange Zeit von der Existenz von abgegrenzten Sprachen als gegebenen, quasi natürlichen Einheiten aus. Übersetzung bedeutete in diesem Zusammenhang die Übertragung einer Bedeutung von einer Sprache in die andere, einen Versuch, der darauf abzielte, das Original so genau wie möglich zu reproduzieren. Ob dies gelang oder nicht, hing (neben dem Talent des Übersetzers) davon ab, ob es für Wörter und Wendungen der Originalsprache in der Zielsprache Äquivalente gab oder nicht. Dass Übersetzungen scheitern konnten, dass der Übersetzer immer Gefahr lief, zum Verräter am Original zu werden (tradutore, traditore), war ein Risiko, dessen man sich bewusst war und das man nach Möglichkeit zu vermeiden suchte. Das Verhältnis der Sprachen zueinander und vor allem ihre Abgrenzung voneinander berührte es jedoch nicht. Für literarische Texte hat zumal Walter Benjamin schon in den 1920er Jahren diese Unterscheidung in Original und Reproduktion in Frage gestellt und die Übersetzung als einen schöpferischen Akt interpretiert, der legitimerweise dem Original neue Bedeutungsschichten hinzufüge (Benjamin, 1923; 1972). Für die Übersetzung von Begriffen, insbesondere von solchen, welche die Weltsicht einer Gesellschaft oder doch zumindest von gesellschaftlichen Gruppen bündeln, stellt sich das Problem etwas komplizierter dar. Übersetzungen, das hat vor allem die kulturwissenschaftliche Wende in den Übersetzungswissenschaften herausgestellt, sind nicht außerhalb von sozialen Interaktionen zu sehen (Bachmann-Medick, 2006; Bassnett / Lefevere, 1998; Niranjana, 1992). Sie geschehen durch konkrete Akteure, die einen konkreten Platz in der Gesellschaft einnehmen und konkrete Interessen verfolgen – gerade durch ihre Übersetzungen. Diese Interessen können sich zum einen auf den Inhalt des übersetzten Textes

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Begriffe und ihre Übersetzung

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und seiner Grundbegriffe richten. So standen etwa die Übersetzungen der Schriften von Herbert Spencer, einem der wichtigsten Vordenker des Sozialdarwinismus, die im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts zeitgleich in fast alle der wichtigen asiatischen Sprachen erfolgten, in engem Zusammenhang mit den politischen Zielen der antikolonialen Nationalbewegungen. In erster Linie hegten die Übersetzer die Zuversicht, dass Rasse nicht unabänderliches Schicksal, sondern für eine Höherentwicklung und -züchtung offen sei. Durch die Übersetzung Spencers hofften sie deutlich zu machen, wie die eigene Nation im Kampf ums Überleben durch Diätetik, Sport und militärische Übungen gestärkt werden könne. Ein anderes Beispiel, bei dem die Initiative für die Übersetzung nun nicht bei den Sprechern der Zielsprache, sondern bei denen der Ursprungssprache lag, waren die oben diskutierten Bemühungen der Missionare, der einheimischen Bevölkerung die Bibel so schnell wie möglich in ihrer eigenen Sprache zugänglich zu machen. Zum anderen aber können sich die Interessen der Übersetzer auch auf die Sprache selbst richten. Dabei kann es um die Vorstellung gehen, eine Sprache könne durch die Begegnung mit einer anderen Sprache bereichert, ihr Vokabular ausgeweitet werden um diejenigen Wörter und Begriffe für Ideen, die bislang in ihr noch nicht ausgedrückt werden konnten – in einigen Fällen kann sich das auf die Literatursprache beziehen, häufiger hingegen wird es um die Aufnahme von technischem Vokabular gehen. So gab es etwa im 19. und 20. Jahrhundert in vielen Kolonien lang andauernde Debatten darüber, wie man die Sprachen den Anforderungen der Moderne anpassen könne, wie man Neologismen in Technik und Naturwissenschaft schaffen und standardisieren könne, um das neue Wissen auch unter denen zu verbreiten, die der europäischen Sprachen nicht mächtig seien. Daneben konnte es aber auch ein Ziel sein, den Charakter der Sprache zu verändern, indem Übersetzungen neue sprachliche Möglichkeiten aufzeigten, die sich stilistisch von der Überlieferung absetzten und entweder eine neue Poetik oder einen neuen sachlichen Stil propagierten. Hierzu gehörten etwa die Bemühungen in einigen Sprachen, sich dessen zu entledigen, was als ›orientalistische

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Überladung‹ und Metaphorik empfunden wurde, und die sprachlichen Strukturen so zu vereinfachen, dass sich die Texte für eine rasche Vermittlung der Inhalte an eine wachsende Zahl von Lesenden eigneten – etwa die Möglichkeit bereitzustellen, von einer Person zu sagen ›er war ein guter Gelehrter‹, statt auszuführen ›im strahlenden Licht seiner Gelehrsamkeit erblindete Aristoteles und Platon verbarg vor Scham sein Haupt im Staub‹. Die Interessen der Übersetzer aber lassen sich nicht in einem Vakuum verwirklichen. Geht es ihnen darum, nicht nur von denjenigen rezipiert zu werden, die ohnehin zweisprachig sind, sondern auch von der breiten Menge, so müssen sie sparsam umgehen mit Neuschöpfungen von Wörtern und der durchgreifenden Veränderung von Bedeutungen und stattdessen weitgehend auf bestehende Begriffe zurückgreifen. Was dies für das Verhältnis der Sprachen zueinander bedeutet, ist noch nicht genügend erforscht. Zunächst einmal würde man davon ausgehen, dass eine Übersetzung, gerade aus einer Sprache, deren Träger eine gesellschaftlich oder politisch dominante Rolle einnehmen, ein Vehikel der Verfestigung dieser Dominanz ist: Durch die Übersetzung werden die indigenen und untergeordneten zugunsten der importierten und dominanten Weltbilder verdrängt, wird die Selbstrepräsentation durch eine Fremdrepräsentation abgelöst. Bis hierhin lässt sich der Vorgang mit den Kategorien Edward Saids gut beobachten und beschreiben. Was aber passiert in dem Moment, wo indigene Begriffe zur Übersetzung herangezogen werden, die ihrerseits ein bestimmtes Weltbild verkörpern – und zugleich von den Übersetzern als Äquivalent zu den fremdsprachigen Begriffen dargeboten werden? Hier gilt es sehr genau hinzusehen, um festzustellen, was sich ändert. Bekommt der Begriff, der für die Übersetzung verwendet wird, eine neue Schicht von Bedeutungen, zusätzlich zu seinen bisherigen? Wie werden diese Bedeutungen dem Leser vermittelt, nimmt er die Verschiebung überhaupt wahr? Oder wirkt die Übersetzung im Gegenteil als eine Abmilderung des Neuen, das gar nicht mehr so neu erscheint, weil es ja bereits ein altvertrautes Äquivalent dazu gibt? Verändert sich also die Ausgangssprache (zumindest an diesem Ort und in diesem gesellschaftlichen Zusammenhang) zugleich mit der

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Begriffe und ihre Übersetzung

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Zielsprache? Und was bedeutet das wiederum für den Historiker, der französische Texte aus dem Deutschland des 18. Jahrhunderts liest und nicht mehr davon ausgehen kann, dass Begriffe hier exakt die gleiche Bedeutung haben wie in Frankreich? Oder für den Globalhistoriker, der darauf vertraut, zumindest die englischsprachigen Texte der kolonialen Eliten unmittelbar verstehen zu können, unter Umständen aber Verschiebungen durch die Interferenz mit einheimischen Sprachen gar nicht wahrnehmen kann? Daneben ist es wichtig, die Unvereinbarkeit der Sprachen nicht überzubewerten und nicht Sprache als ein gleichsam abgeschlossenes Universum aufzufassen, das Veränderungen nicht zugänglich ist. Gerade die Begriffsgeschichte weist ja darauf hin, dass die Bedeutung von Begriffen selbst innerhalb jeder einzelnen Sprache keineswegs eindeutig, sondern durchaus umkämpft ist und dass Sprachen einem ständigen Wandel unterworfen sind. Auch wenn Akteure mit Hilfe von Begriffen ihre Welt ordnen und die Begriffe damit immer schon eine bestimmte Sicht auf die Welt nahe legen, so bedeutet dies nicht, dass mit jeder spezifischen Sprache nur eine einzige Weltsicht ausgedrückt werden könnte. Sprache erlaubt durchaus eine Kommunikation auf der Metaebene, ein ›Sich-Verständigen‹ über Sprachen und ihre Unterschiede – anders wäre ein Sprechen über Übersetzungen gar nicht möglich. So kann etwa ein Übersetzer die Äquivalenz von Begriffen voraussetzen und einen Begriff der Ursprungssprache unmittelbar durch einen der Zielsprache ersetzen, entweder weil er der Überzeugung ist, die beiden Begriffe würden die gleiche Realität bezeichnen, oder weil ihm die Unterschiede im spezifischen Kontext unbedeutend erscheinen. Er kann aber auch gerade den Unterschied in der Bedeutung zum Thema machen und erläutern, auch hier wieder mit durchaus unterschiedlichen Zielen, die von der Abgrenzung von der fremden Bedeutung bis zu ihrer Integration als der eigentlich wünschenswerten reichen können. Sprachen aber ändern sich nicht nur infolge sprachlicher Ereignisse, darauf haben gerade global arbeitende Begriffshistoriker in jüngster Zeit wieder verstärkt hingewiesen (Gluck / Tsing,

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2009; Liu, 1995; 1999). Begriffe prägen und strukturieren die Erfahrung, aber sie werden auch ihrerseits von der Erfahrung mit der Welt, die sie zu strukturieren suchen, geprägt – hier wird die Interdependenz zwischen Begriffs- und Sozialgeschichte, die schon Koselleck betont hatte, wieder aufgegriffen. Die Welt, das haben die vorhergehenden Kapitel gezeigt, wurde seit dem 18. und 19. Jahrhundert in steigendem Maße von Interaktionen zwischen den Regionen geprägt. Dies führte nicht unbedingt zur Gleichförmigkeit, wohl aber wurden die Herausforderungen, mit denen sich Gesellschaften konfrontiert sahen – etwa die wirtschaftlichen und sozialen Problemlagen – immer ähnlicher. Auch wenn die Regionen hierauf mit einer Betonung ihrer jeweiligen Unterschiede und Besonderheiten reagierten, glich sich die Art, wie Unterschiede herausgearbeitet wurden und zu bestimmten Praktiken führten, immer stärker an. Auch ohne dass sich notwendig die Wörter verändern – durch die Übernahme von Fremdwörtern oder die Erfindung von Neologismen – oder es zu einer ausdrücklichen Neudefinition von vorhandenen Begriffen kommt, werden Begriffe nun vor dem Hintergrund der neuartigen Erfahrungen gelesen. In dem Moment aber, in dem sich der Rahmen verändert, auf den die Akteure einen Begriff beziehen, verschiebt sich auch dessen Bedeutung. Ein Beispiel: Der englische Begriff culture wurde bereits seit dem 18. Jahrhundert in eine Reihe von asiatischen Sprachen übersetzt. Die Wörter, die zur Übersetzung verwendet wurden, hatten Bedeutungsebenen, die sich von dem englischen Begriff unterschieden, es gab aber auch keine gemeinsame ›kolonial-asiatische‹ Bedeutung, sondern das, was bei der Übersetzung ins Persische, Japanische oder Malaiische mitschwang, war durchaus unterschiedlich. Wie Andrew Sartori herausgearbeitet hat, verschoben sich diese Bedeutungen im Laufe der Zeit und näherten sich seit den 1880er Jahren einander an. Diese Entwicklung führt er in erster Linie zurück auf wirtschaftliche Veränderungen, die weltweite Durchsetzung des kapitalistischen Systems und die damit einhergehende Kommerzialisierung (Sartori, 2008). Man könnte aber auch an die wachsende Bedeutung eines kulturellen Nationalismus als Mechanismus der Abgrenzung von den europäischen Kolonialmächten

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denken: Alle kolonisierten Länder betonten die Rückbesinnung auf die je eigenen kulturellen Werte, aber sie taten das in einer durchaus ähnlichen Weise. Dies wiederum wurde reflektiert in den neuen, zunehmend ähnlichen Bedeutungen, die die Begriffe für Kultur in den einzelnen Sprachen annahmen. Ist daher eine transnationale und globale Geschichtsschreibung nicht möglich, ohne auf die sprachliche Konstitution und Interpretation der Ereignisse einzugehen, so gilt es auf der anderen Seite, die Begriffsgeschichte weit stärker, als dies bisher der Fall war, aus ihrer nationalstaatlichen und nationalsprachlichen Verankerung zu lösen und transnationale und globale Entwicklungen als Kausalfaktoren und Erklärungsmomente für Veränderungen einzubeziehen.

3. Die Begriffsbildung der Historiker Bis hierhin ging es im Wesentlichen um historische Begriffe und historische Bedeutungen, die mit ihnen verknüpft sind, die dem transnational arbeitenden Historiker einen Einblick in vergangene Weltinterpretationen geben und die er berücksichtigen muss, will er nicht riskieren, zeitliche und kulturelle Bedeutungsverschiebungen zu ignorieren. Doch Historiker sind nicht nur Beobachter und Analysten der Begriffsgeschichte, sondern selbst Akteure, denn auch sie bedienen sich bei ihrer Arbeit notwendigerweise sprachlich kodierter Begriffe. Welche Auswirkung hat es, wenn transnationale Geschichte in einer Sprache geschrieben wird, die nicht die Sprache der Akteure oder doch nicht aller Akteure ist? Wie universell sind die analytischen Kategorien, auf die sie zurückgreift? Welche Übersetzungsprozesse kommen dabei zum Tragen? Welche Machtbeziehungen drücken sie aus, unterlaufen oder zementieren sie? Die koloniale Geschichtsschreibung ging aus von einem Stufenmodell gesellschaftlicher Entwicklung, bei dem die am weitesten entwickelte Gesellschaft das Modell für alle anderen abgab. Damit ging einher, dass die europäischen, insbesondere die westeuropäischen Begriffe als universal verstanden wurden, denn sie

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eigneten sich nach Ansicht der europäischen Wissenschaftler nicht nur für die Beschreibung und Interpretation der Entwicklungen in ihrem eigenen Sprachraum, sondern waren in ihrem Ansatz global. Dies unterschied sie von allen anderen, insbesondere den Begriffen der orientalischen Sprachen, die als partikular beschränkt angesehen wurden. Gegen diese Dominanz der europäischen Sprachen und Begriffe wehrten sich nicht nur die Akteure in den betroffenen Ländern, sondern sogar vielleicht noch vehementer die Area Studies. Hier wurde die Notwendigkeit betont, die jeweils eigene Logik der Entwicklung in den Regionen in den Mittelpunkt zu stellen und sie gleichsam aus sich selber heraus zu verstehen. Die Betonung der notwendigen Sprachkompetenz zum Verständnis der Region ging einher mit der Sensibilität für die unterschiedlichen Bedeutungen der Grundbegriffe und ihrer jeweiligen spezifischen semantischen Aufladung. In der historiografischen Praxis führte dies oftmals zur Entscheidung, auf eine Übersetzung dieser Begriffe gänzlich zu verzichten und stattdessen eine Umschrift des einheimischen Begriffs zu verwenden, also etwa in Bezug auf Indien nicht von Religion, sondern von din und dharma zu schreiben – wenn man sie nicht gar in den einheimischen Schriftzeichen wiedergab. Die begrüßenswerte Präzision, die hiermit einherging, führte jedoch zu zwei gravierenden Problemen: Zum einen waren diese Werke nur noch einem kleinen Kreis von ausgewiesenen Spezialisten zugänglich; eine Kommunikation über die Grenzen der Region und des Forschungsfeldes hinaus war weder möglich, noch war sie das vorrangige Ziel der Autoren. Die Ausgrenzung der außereuropäischen Geschichte aus der sogenannten ›allgemeinen‹ – also je nach Standort deutschen, britischen oder inzwischen auch europäischen – Geschichte entsprach also einer Tendenz zum Selbstausschluss. Für eine transnationale oder gar globale Geschichte waren diese Studien nur ganz begrenzt anschlussfähig. Zum anderen aber führte diese Form der Geschichtsschreibung, gerade in ihrem wichtigen und richtigen Bemühen darum, kulturelle Spezifik zu erkennen, in vielen Fällen zu einer ausschließlichen Betonung der Differenz. Die Angst vor einer kolonialen oder neo-kolonialen Gleichmacherei konnte so

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bisweilen umschlagen in die Negierung auch jener Gemeinsamkeiten, die das Resultat einer jahrhundertealten Begegnungsgeschichte waren. Der Gleichmacherei stand damit die postulierte Pflicht zur kulturellen Authentizität gegenüber, die im Bemühen den Kolonialismus ungeschehen zu machen, eine Rückkehr zu vorkolonialen Traditionen, etwa der Religionspolitik oder der Geschichtsschreibung, forderte (in der Tendenz: Dirlik / Bahl / Gran, 2000; Lal, 2003; Nandy, 1983). Mit welchen Begriffen kann man dann überhaupt transnationale Geschichte schreiben? Wie kann gleichzeitig Achtsamkeit für die sprachliche Konstruktion der Welt durch die Akteure sowie Präzision und Kommunikation gewährleistet werden? Dass wir Begriffe brauchen, die die historischen Entwicklungen in verschiedenen Regionen zueinander in Verbindung setzen, ist in der Natur des transnationalen Projekts angelegt; ebenso, dass die Begriffe, die bisher als analytische und damit universale Kategorien daherkommen, ihren Ursprung aus einer durchaus partikularen, nämlich europäischen Geschichte, nicht verbergen können. Eine Metasprache, die zu allen Sprachen die gleiche Distanz halten würde, gibt es nicht. Zwei Möglichkeiten bieten sich nach dem jetzigen Stand der Überlegungen an, sie ergänzen sich gegenseitig. Zum einen gilt es, den Zugang zur Historiografie zu pluralisieren. Wenn europäische Kategorien zur Interpretation nicht-europäischer Entwicklungen gezielt und reflektiert eingesetzt werden, im Bewusstsein dessen, dass es sich dabei um eine Verfremdung handelt, so braucht dies Unterschiede nicht zu verwischen, sondern kann sie im Gegenteil klarer hervorheben. Um die Gefahr zu vermeiden, dies wiederum zu einem Ausdruck ungleicher Machtverhältnisse werden zu lassen, ist es allerdings nötig, hier auch den umgekehrten Weg zu öffnen: nicht nur europäische Begriffe in der außereuropäischen Geschichte, sondern auch Begriffe aus dem Japanischen, Malaiischen oder Swahili als Analysekategorien für die europäische Geschichte zu verwenden (Juneja / Pernau, 2008; 2009). Die zweite Möglichkeit besteht darin, bei den historischen Übersetzungsprojekten und sprachlichen Begegnungen anzu-

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knüpfen und auf Formbarkeit der Begriffe zu setzen. Die Analysebegriffe, mit der in der westlichen Historiografie gearbeitet wird, sind aus den Quellenbegriffen der europäischen Geschichte erwachsen und tragen die Spuren und Assoziationen der Geschichten, die mit ihrer Hilfe erzählt wurden. Die Bedeutung von Begriffen aber kann sich ändern – das ist die Grundannahme der Begriffsgeschichte. Wenn nun der Erfahrungsraum des Historikers in Bezug auf diese Begriffe ausgeweitet wird um Wissen, Geschichten, Bilder und Assoziationen, die nicht mehr – oder zumindest nicht mehr ausschließlich – der europäischen Geschichte entstammen, so verändert sich die Bedeutung der Begriffe. Konkret könnte dies so aussehen, dass die Untersuchung mit Hilfe der Analyse der in der jeweiligen Sprache gegebenen Begriffe beginnt – in diese Begriffe wird der Leser, der mit dem fremdsprachigen Kontext nicht vertraut ist, das Fremde ohnehin für sich übersetzen. Ob im wissenschaftlichen oder vorwissenschaftlichen Bereich: Die Annäherung an Fremdes erfolgt zunächst einmal dadurch, dass es zu Bekanntem in Beziehung gesetzt wird. Dies ist weder richtig noch falsch und schon gar nicht eurozentrisch, sondern unvermeidlich. Auch wenn der Autor die europäischen Begriffe vermeidet und sie durch die Begriffe der Akteure ersetzt – also etwa im indo-muslimischen Kontext von ashraf statt von Bürgern spricht, muss er dem Leser eine Erklärung und Übersetzung geben. Tut er es nicht, so wird der Leser sich diese Übersetzung entweder selber beschaffen oder das Buch aus der Hand legen. Diese europäische Übersetzung schwingt im Folgenden mit und setzt die zwei Begriffe, aber auch ihre beiden Kontexte zueinander in Beziehung, ob der Autor es will oder nicht. Interessant wird es in dem Moment, in dem sich Unterschiede zeigen, die durch die Begriffe, die aus der europäischen Geschichte übernommen wurden, nicht mehr aufgefangen werden können: Der Begriff der ashraf geht im Bürgerbegriff nicht auf, er ist stärker von Genealogie und Charakter geprägt, weniger vom Bezug zur Stadt und zu politischen Rechten. Hier setzt die eigentliche Erklärungsarbeit ein. Sie zielt darauf ab, das Fremde aus seinem eigenen Bedeutungshorizont zu erklären, liefert also gewissermaßen an dieser kritischen Stelle, an der die Kommunikation

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zu scheitern droht, die Geschichte derjenigen Begriffe nach, mit denen die Akteure die Entwicklung beschrieben und erklärt haben. Solchermaßen setzt sie die Begriffe des Lesers und der historischen Akteure zueinander in Beziehung mit dem Ziel, den ursprünglichen Analysekategorien eine neue Bedeutungsschicht hinzuzufügen, die nun nicht mehr der europäischen Geschichte entnommen ist. Der analytische Begriff des Bürgers, so das Ziel, umfasst damit nicht nur die Herren im Gehrock und mit Zylinder, für die er ursprünglich entwickelt wurde, sondern auch Bürger mit Turban. Er erlaubt so durch einen gemeinsamen Begriff, Ähnlichkeiten und Unterschiede, aber auch Beziehungen deutlicher zu fassen (Pernau, 2008). Transnationale Geschichte bedarf neuer Begriffe, aber sie bringt sie durch ihre Praxis auch hervor – beide Prozesse verstärken sich gegenseitig, sobald die Definitionshoheit der europäischen Geschichte aufgegeben wird, die eine ›eigentliche‹ und ›richtige‹ Bedeutung von beispielsweise Bürger, Aufklärung, Religion, Staat oder Zivilgesellschaft vorgibt und festschreibt. Die Metasprache wird hier zum utopischen Projekt: unerreichbar, aber richtungsweisend.

Literatur

I. Einleitung

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jpg«, die auf http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Mediterranian_ Sea_16.61811E_38.99124N.jpg unter Public Domain-Lizenz veröffentlicht wurde.

Die Abbildung basiert auf der Datei »Indian_Ocean_bathymetry_srtm.png«, die auf http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Indian_Ocean_bathymetry_srtm.png unter der GNU Free Documentation License Version 2.1. vom Nutzer Cdc basierend auf Material der Scripps Institution (University of California, San Diego) veröffentlicht wurde. Abb. 3: Zentralasien (S. 113) Das Weitergeben und Kopieren dieses Dokuments ist nicht zulässig.

Literatur, 9783838535357, 2020

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Abb. 2: Indischer Ozean (S. 105)

Die Abbildung basiert auf der Datei »karte_satellitenfoto_asien.jpg«, die auf http://www.weltkarte.com/asien/asien/karte-satellitenfoto-asien.htm unter Public Domain-Lizenz veröffentlicht wurde. Die Ursprungsdateien wurden von den Technischen Diensten (Jürgen Rossbach, Rebecca Müller) des Max-Plack-Instituts für Bildungsforschung, Berlin, für die Zwecke des Werks verändert und bearbeitet.

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Danksagung, 9783838535357, 2020

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Danksagung

So wenig wie Nationen isoliert voneinander existieren und verstanden werden können, so wenig können es auch Autoren – der transnationalen Geschichte entspricht die Danksagung, die erkennen lässt, wie sehr ein Buch das Ergebnis einer Vielzahl von Begegnungen und Beeinflussungen ist. Mit großer Dankbarkeit blicke ich zurück auf die lange Liste derer, die daran mitgewirkt haben, dass diese Einführung geschrieben werden konnte. Das Konzept des Buches entstand 2007 am »Zentrum Moderner Orient« in Berlin. Ulrike Freitag und allen ehemaligen Kollegen danke ich für die vielen anregenden Gespräche, die das ZMO zu so einem besonderen Ort machen. Larissa Schmid scheute keine Wege und Mühe, mich mit dem nötigen Material zu versorgen. Den Studenten meiner Vorlesung zur transnationalen Geschichte im Wintersemester 2007/08 einen herzlichen Dank dafür, dass sie sich als kluge und kritische Versuchskaninchen zur Verfügung stellten. Ich habe viel von ihnen gelernt. Am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung danke ich zunächst Ute Frevert, die mir die Zeit und Ausstattung zur Verfügung stellte, um das Manuskript fertig zu stellen. Herzlichen Dank auch an Sven-Oliver Müller, der die Gliederung kommentiert hat; an meine Doktorandinnen Monika Freier und Maritta Schleyer, die jedes Kapitel sofort sorgfältig gelesen und kommentiert haben; an Monique Scheer, mit der ich lange über das Religionskapitel diskutiert habe, und an Jan Plamper, der jeden einzelnen Gedanken und jeden Satz mit unbestechlichem Blick geprüft hat und dessen konstruktive Vorschläge und kritische Ermunterung ganz wesentlich dazu beigetragen haben, dass das Manuskript überhaupt fertig geworden ist. Anja Rampolokeng hat dafür gesorgt, dass ich den Überblick über mein Literaturverzeichnis (und einiges andere!) behielt, zusammen mit Nushin Atmaca hat sie den Text mehrere Male gelesen und korrigiert und das Register erstellt; in der Endphase war Juliane Böhm eine große Hilfe beim Korrigieren, Formatieren

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und Überprüfen der Zitate; technische Unterstützung leisteten Philipp von Hugo und Karola Rockmann; die sorgfältige Bearbeitung der Karten schulde ich Jürgen Rossbach und Rebecca Müller. Ihnen allen ein ganz herzliches Dankeschön. Ein ganz besonderer Dank geht an Katharina Mühlbeyer, die nicht nur recherchiert, kommentiert, korrigiert und formatiert hat, sondern bei der auch alle Fäden zusammenliefen. Ohne ihr Organisationstalent, ihre Fähigkeit, Menschen und Prozesse zu koordinieren und in jeder Situation die Ruhe zu bewahren und einen Plan aufzustellen, wie die Probleme doch noch zu lösen sind, hätte ich dieses Buch nicht schreiben können. Das Weitergeben und Kopieren dieses Dokuments ist nicht zulässig.

Danksagung, 9783838535357, 2020

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Danksagung

Register

1. Ortsregister

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Orts- und Flurnamen (umgeschrieben wurden auch alle Vorkommen in Adjektiven bzw. Bezeichnungen von Nationalitäten und Sprachen) Afghanistan 41 f, 94, 114 Afrika 25, 38, 49, 64, 90, 92, 99, 103, 104, 106 f, 110, 126 Algerien 100, 103 Amerika 37, 38, 39, 64, 91 f, 96, 123, 126, 127 Arabien 90, 94, 96, 103, 106, 108, 110, 111, 115, 137 Arabische Halbinsel 104, 108 Arabisches Meer 106, 111 Asien 34, 40, 41, 42, 88, 92, 99, 104, 108, 110, 126, 139, 142 Atlantik 85, 92, 96 Australien 64, 91 Bayern 87 Bengalen 16, 126 Bretagne 132 Buchara 112 Bucht von Bengalen 41 China 39, 44, 49, 78, 81, 90, 92, 93, 106, 110, 112, 115, 116, 127, 133 Chinesisches Meer 106 Dekhan, Hochland des 42 Delhi 41, 47, 115 Deutschland 7, 10, 12–14, 17, 21, 23, 26, 31, 32, 45 f, 47, 49, 53, 56, 63 f, 67, 73, 85, 87, 118–120, 122 f, 126, 132 f, 134 f, 141, 144 Elsass 132 Europa 7, 9, 16, 22, 25 f, 28 f, 32–34, 37, 38 f, 41, 46–49, 56 f, 59 f, 62, 64, 73, 75 f, 78–83, 85, 87–90, 92, 95, 99, 101, 103, 106 f, 110, 112, 114 f, 117 f, 121, 124, 126–129, 131, 133, 136, 137, 139, 142, 143–147 Frankreich 7, 10, 21, 37, 40, 45, 46, 49–51, 63 f, 69, 98, 100 f, 103, 110, 118, 132 f, 135, 137, 141 Golf von Bengalen 106 Großbritannien (auch England) 10, 15, 21, 27–29, 31, 42, 46 f, 56, 59, 60, 63 f, 66, 90 f, 93, 103, 106, 107, 110, 114 f, 118, 122 f, 126, 132, 133, 141 f, 144 Hadhramaut 108, 110 f Hindukush 112, 114

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Ortsregister

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Iberische Halbinsel 38, 103 Indien 9, 15–17, 37, 40, 42, 47, 58, 60, 76, 78, 81, 85, 90 f, 92, 94, 104–112, 114– 116, 118, 120, 121 f, 126, 128–130, 144, 146 Indischer Ozean 85, 104–111 Iran 42, 94, 115 f Irland 64, 118 Italien 40, 44, 49 f, 87, 90, 103 Japan 84, 137, 142, 145 Kalifornien 70 f Karibik 126 Kaschmir 42 Katalonien 132 Lateinamerika 38 Malaysia 142, 145 Mexiko 39 Mittelmeer 95–104, 106 Naher Osten 103, 111 Niederlande 40, 110 Orient 15 f, 40, 56–59, 61 f, 76, 90, 92, 99, 102, 107, 144 Osmanisches Reich 39, 90, 103, 107, 112, 116, 120 Ostafrikanische Küste 106 f, 110 Osteuropa 103, 117 Ostsee 112 Persien 40–42, 90, 103, 107, 110, 111 f, 115 f, 132, 142 Persischer Golf 104, 106, 110 Peru 39 Polen 85, 118 Portugal 40, 106 f, 110 Römisches Reich 96, 99 f, 103, 106 Rotes Meer 106, 110 Russland 84, 112, 115 f Samarkand 112 Serampore 126 Spanien 37 f, 40, 103 Südafrika 64 Südindien 40, 111, 126 Südostasien 42, 92, 104, 106, 108, 110, 127 Südostasiatisches Meer 106 Tranquebar 126 Venedig 106 Zentralasien 40, 42, 111–116

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2. Personenregister Alam, Muzaffar 90 Anderson, Benedict 9, 10, 14 Bayly, Christopher A. 78–82 Benjamin, Walter 138 Bismarck, Otto von 13 f Bloch, Marc 31, 37 Braudel, Fernand 95 f, 96, 98–101, 104 Brunner, Otto 134 Chaudhuri, K.N. 104 Clark, Christopher 121 Conrad, Sebastian 83 Conze, Werner 134 Droysen, Johann Gustav 14 Espagne, Michel 43, 49 Fieldhouse, David 29 Fischer-Tiné, Harald 84 Fisher, Michael Herbert 90 Gallagher, John 28, 29 Galton, Francis 34, 54 Gandhi, Mahatma 58 Geertz, Clifford 51 Gellner, Ernest 9 Gommans, Jos 114 Gruzinski, Serge 37–40, 42 Heine, Heinrich 69 Hildebrand, Klaus 21, 23 Hillgruber, Andreas 21, 23 Ho, Enseng 108 Hobsbawm, Eric 9, 14 Hobson, John 27 Horden, Peregine 101 Huntington, Samuel 100 Kaiser, Wolfram 121 Koselleck, Rainer 134, 142 Linnaeus, Carl 89 Lombard, Denis 106 Markovits, Claude 114 Marx, Karl 77 Middell, Matthias 44 Millar, John 76

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Sachregister Osterhammel, Jürgen 78, 81 f Pirenne, Henri 96 Polo, Marco 44 Porter, Bernhard 63 Purcell, Nicholas 101 Ranke, Leopold von 13, 21 Robinson, Ronald 28 f Rostow, Walt Whitman 77 Rushdie, Salman 38 Sachsenmaier, Dominic 83 Said, Edward 15, 16, 57, 58, 136, 140 Sartori, Andrew 142 Spencer, Herbert 139 Spivak, Gayatri 129 Subrahmanyam, Sanjay 40, 41, 42, 90 Thompson, Andrew 64 Treitschke, Heinrich Gotthardt von 14 Voll, John Obert 111, 112, 115 Wallerstein, Immanuel 77, 104, 111 Weber, Max 17, 33, 82, 135 Wehler, Hans-Ulrich 22, 23, 57 Werner, Michael 49 Zimmermann, Bénédicte 49

3. Sachregister Akkulturation 49 Annales, Schule der 37, 95 Area Studies 9, 29 f, 78, 95, 132, 144 Aufklärung 13, 21, 59, 75, 76, 128, 131, 147 britische ~ 15, 76, 88 Außenpolitik 22 Geschichte der ~ 8, 20, 21, 22, 23 imperiale ~ 22 f, 25, 27 Wesen der ~ 21 Begriff ~sgeschichte 10, 134–147 Buddhismus 127, 128 Christentum 80, 99, 104, 124 f, 127 f, 130 Connected History 37–42, 45, 90

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Cultural turn 67 Dekolonisierung 29, 58 Dependenztheorie 29, 77 Diaspora 93, 108, 110, 114 Diplomatie Geschichte der ~ 8, 22 Drittes Reich 26 East India Company (Ostindiengesellschaft) 91, 110, 124 Empire britisches ~ 28, 56, 61, 63 f, 66, 72, 137 Entangled History (g Verflechtungsgeschichte) Erster Weltkrieg 14, 25, 26, 31, 64, 116, 118, 120 Essentialisierung 33, 54, 58 Eurozentrismus 18, 59, 79, 146 Exklusion 12, 61, 120, 122 Expansion 127 imperiale ~ 26 f imperialistische ~ 27 koloniale ~ 59, 61, 81, 107, 110, 124 Geografie 37, 52, 54, 71, 76, 91, 95, 96, 98, 101, 104 geografische Vorstellungen 87–89, 98 f Geschichte Beziehungs~ 37, 38, 50, 82, 83 Global~ 36, 74, 77–80, 84, 133, 143 f, 144 imperiale~ 28, 29, 46, 60, 137 Interaktions~ 94 Kolonial~ g dort Kultur~ 9, 14, 24, 53, 72, 78 Migrations~ g dort nationale ~ 7–12, 14, 16 f, 23, 29 f, 75, 102, 120, 131 Politik~ g dort Regional~ g dort Sozial~ g dort Westeuropäische ~ 56, 60, 143–147 Verflechtungs~ g dort Welt~ g dort Wirtschafts~ 72, 78, 81 Geschichtswissenschaft Nationalisierung der ~ 7, 13 f vergleichende ~ 30–35, 43 f, 47, 51, 53–55, 66, 82, 88 Globalisierung 38, 42, 68–71, 77 f, 80

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Sachregister

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Grenzen 7 f, 12, 18, 25, 30, 43, 45, 53, 54 f, 72, 83, 86–89, 94–96, 99–102, 109, 112, 119, 121–127, 130 f Handel Fern~ 107 Frei~ 27, 107 ~sreisen 90, 108 ~srouten 85, 104, 106, 112, 114, 115 ~swege, innerasiatische 112, 114 f, 116 Karawanen~ 112 Küsten~ 107, 111 Ostsee~ 112 See~ 106, 107, 112, 114 Sklaven~ 38, 85, 112 Hinduismus 112, 114, 118, 120, 127–130 Histoire Croisée 36, 49–56, 66, 74, 83 Historiografie Geschichte der ~ 7–19, 21, 28, 50 f, 73 f, 82–84, 144, 146 Nationalisierung der ~ 8, 12, 13, 14, 19, 60, 102 nationalstaatliche ~ 12–17, 21, 60, 102, 109, 137 Historismus 13, 21 f, 32, 53 Identität 43, 61 f, 64, 86, 100, 118, 122 f, 130 Imagined Communities 9, 108 Imperialismus Geschichte des ~ 25 ~forschung 20, 25–30, 57, 60 f, 74 Industrialisierung (auch Industrielle Revolution) 26 f, 61, 76, 81 Inklusion 12, 61, 118, 122 Innenpolitik Geschichte der ~ 20, 22–25 Interaktionsgeschichte 29, 50, 65, 67, 94, 138, 142 Internationale Beziehungen 20–24, 81 Islam 17, 80, 84, 90, 99 f, 103 f, 107–112, 115–120, 122, 127 f, 130, 146 Judentum 94, 110, 112, 128 Kaiserreich, deutsches 10, 23, 26, 118, 120, 122 Kartografie 87, 89 Katholizismus 64, 87, 118–123, 129 Kleindeutsche Bewegung 13 f, 122 Klima 38, 96, 98, 100 f, 104, 114 Kolonial ~e Eroberungen 15, 25, 28, 38 f, 76 ~geschichte 40 f, 46 f, 56, 61, 65, 72 f, 143–145

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Register

~ismus 15, 25, 28 f, 34, 56–60, 62, 72–74, 106, 115, 125, 127–130, 136 f, 143 ~mächte 29, 46, 55, 60, 73 f, 91, 127 f, 137, 142 f Kolonien 25 f, 29, 46 f, 54 f, 58–60, 63–65, 73 f, 89, 93, 102, 125 Kommunikation 24, 29, 41, 43, 69–71, 73, 106, 111 f, 115, 121, 123, 126 f, 132, 141, 144–147 Komparatistik g Geschichtswissenschaft, vergleichende Konstruktivismus 10 f, 53 Kultur 15, 37–39, 41, 44–51, 54–56, 61, 67, 79, 82, 89, 100, 102, 115, 119 f, 126 f, 135 f, 142–145 ~import 49 ~kampf 121 f ~transfer 45 f, 47, 49, 54–56 Alltags~ 104 f Ausgangs~ 45, 47 f, 50, 54, 56 National~ 49 Rezeptions~ 45–48, 50, 54, 56 Linguistic turn 53 f, 78, 135 Longue durée 96, 99 Métissage 38 Metropolen Geschichte der europäischen ~ 27–29, 46–48, 55, 59–63, 65, 73 f, 125 Migration 48, 85, 91–94, 108–110 Massen~ 91 f ~forschung 92 f ~sgeschichte 92 f ~regime 93 Rück~ 93, 116 Migranten 52, 72, 87, 92–94 Mission 62, 123–128 ~sforschung 124 ~sgesellschaften 63, 126 Missionare 60, 62, 72, 110, 123–128, 139 Mobilität 41, 63, 86 f, 89 f, 94, 101, 108 f, 122 globale ~ 86 Moderne (auch Modernitäten) 26, 78–80, 89, 117, 139 Modernisierung 32 f, 47, 79 f, 117 ~sdefizit 117 Nation 7–30, 37, 41 f, 55, 60 f, 64, 70–73, 82 f, 86, 91, 93 f, 95, 100–102, 109, 117–126, 135–137 Netzwerke 92, 110, 114 f New Imperial History 56 f, 61, 63, 66 Quellenkritik 12, 16, 87 f, 132 f, 136 f

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Sachregister

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Orientalismus 15 f, 57–59, 61 f, 102 Politik 20–24, 80, 131 ~geschichte 27 f, 99, 101 imperiale ~ 27 f, 29 Postkolonialismus 16, 26, 29, 41, 46, 58 f, 76, 78 f, 83, 89, 136 Postmoderne 76 Protestantismus 64, 118 f, 123–130 Rasse 34, 61, 139 Raum 18, 33 f, 41, 44 f, 48, 68–71, 81, 86 f, 91, 94–96, 98, 100 f, 108 f Region, -en 18, 31, 37, 39–42, 55 f, 65 f, 72 f, 76 f, 80, 82–84, 85, 87, 92 f, 95, 100–102, 106–112, 114–116, 117, 122, 142, 144 f ~algeschichte 14, 73, 78, 83, 95, 98, 101 f Grenz~ 82 Mikro~ 101 Welt~ g dort Reise ~berichte 85, 87–91 ~forschung 87 f, 91 ~literatur 56 f, 90 Pilger~ 90, 108, 130, 132 Handels~ g dort Religion ~sbegriff 80, 118 f, 128–131, 144, 147 ~sgemeinschaften 111 f, 117–123, 130 Säkularisierung 16, 117, 122 Seidenstraße 85, 112 Sonderwegsdebatte 26, 33 Sozialdarwinismus 139 Sozialgeschichte 78, 142 Sozialimperialismus 23, 25, 57 Sprache 54, 58, 65 f, 83, 115 f, 126 f, 132–147 Mehrsprachigkeit 99, 126 f, 132 f National~ 132, 143 Veränderung von ~ 139–143 Staat ~lichkeit 13 f, 20–24, 59 f, 80 f, 93 f, 121–123 ~sbürger 93 f, 121–123, 135 National~ gNation Territorial~ 109, 115 f Technik 69, 98 f, 139 Totalitarismus 26, 57, 117 Transfergeschichte 36, 43–48, 50 f, 52, 53–56

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188

Register

Transferprozesse 43, 45–48, 50–56 Transferforschung 45 f, 49–53, 56, 66 Transfergut bzw. ~objekt 48, 50, 52 f, 54 Translokalität 17–19, 36, 66, 67–75, 107 f Übersetzung Kulturelle ~ 126 f ~ von Begriffen 9, 131, 133, 135, 138–145 ~sprozesse 132 f, 143 ~swissenschaft 138 f Verflechtungsgeschichte 36, 56 f, 59 f, 65, 73–75, 77 f, 122, 125 koloniale ~ 62–65, 73 f Vergleich ~ als wissenschaftliche Methode 20, 30–35, 38, 43 f, 49–56, 66 Kultur~ 34, 41 Welt~geschichte 9, 36, 58, 75–78, 82 f ~interpretation 74–76, 127, 143 ~ordnung 74, 83 f, 89, 131, 142 ~regionen 37, 83 ~sicht 37, 74 f, 83, 87–89, 91, 129, 136, 138, 141 ~systemtheorie 77, 104, 111 ~wirtschaft 77, 92 Zivilisierungsmission 46, 58, 62 Zivilgesellschaft 46, 63, 147