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German Pages 278 [287] Year 2010
Transkulturationen? Ewe-Christen zwischen Deutschland und Westafrika, 1884–1939
Missionsgeschichtliches Archiv Studien der Berliner Gesellschaft für Missionsgeschichte
---------------------------------Herausgegeben im Auftrag des Vorstandes von Andreas Feldtkeller Irving Hexham Ulrich van der Heyden Gunther Pakendorf Werner Ustorf Band 14
Kokou Azamede
Transkulturationen? Ewe-Christen zwischen Deutschland und Westafrika, 1884–1939
Franz Steiner Verlag Stuttgart 2010
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Norddeutschen Mission (Bremen), der Deutschen Gesellschaft für Missionswissenschaft, des Evangelischen Missionswerks (Hamburg), des Instituts für Postkoloniale und Transkulturelle Studien der Universität Bremen und Dr. habil. Peter Sebald.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN 978-3-515-09669-0 Jede Verwertung des Werkes außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Übersetzung, Nachdruck, Mikroverfilmung oder vergleichbare Verfahren sowie für die Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen. © 2010 Franz Steiner Verlag, Stuttgart Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier Druck: Laupp & Göbel, Nehren Printed in Germany
INHALTSVERZEICHNIS Inhaltsverzeichnis ................................................................................................ 5 Geleitwort ........................................................................................................... 9 1. EINLEITUNG ...............................................................................................11 1.1 GEGENSTAND .......................................................................................11 1.2 Theoretischer Rahmen ..............................................................................13 1.3 Forschungsstand .......................................................................................14 1.4 Relevanz des Themas................................................................................17 1.5 Hypothesen ...............................................................................................17 1.6 Methodisches Vorgehen............................................................................18 1.7 Gliederung der Arbeit ...............................................................................20 2. Migrations- und Kulturgeschichte der Ewe: ...................................................22 Ein Überblick .....................................................................................................22 2.1 Die Sprache ..............................................................................................22 2.2 Migration der Ewe ....................................................................................23 2.3 Die Ewe und Asante .................................................................................27 2.4 Die Ewe und Dahomey .............................................................................28 2.5 Grundlagen der Religionsformen ..............................................................30 bzw. Glaubensformen der Ewe .......................................................................30 3. Württembergischer Pietismus und...................................................................34 protestantische Missionen an der ........................................................................34 westafrikanischen Küste .....................................................................................34 3.1 Merkmale des württembergischen Pietismus .............................................35 3.2 Die Norddeutsche Missionsgesellschaft ....................................................36 4. Zwanzig Ewe-Christen zwischen Deutschland und Westafrika: Biografien .....39 4.1 Biografie von Christian Ali5odzi Se2o2e .................................................42 4.1.1 Kindheit und Namengebung ...............................................................42 4.1.2 Kontakt mit dem Christentum ............................................................43 4.1.3 Missionsarbeit und Gesundheitszustand .............................................47 4.1.4 Ali5odzis Verständnis vom Familienleben..........................................49 4.1.5 Christian Ali5odzis Umgang mit seinen Hausgenossen .....................51 4.2. Biografie von Theodor Martin Bebli Se2o2e ............................................53 4.2.1 Kindheit und Kontakt mit dem Christentum .......................................53 4.2.2 Christliche Erziehung. ........................................................................54 4.2.3 Die Stellung von Theodor Bebli in dem Umkreis der Mission ............57 4.2.4 Theodor Martin Se2o2e Bebli vs. die Ewe-Kultur ..............................58 4.2.5 Theodor Se2o2e Bebli vor dem christlichen Glauben und den ............64 nicht christlichen Realitäten ........................................................................64 4.3 Biografie von Isaac Kwadzo .....................................................................69 4.3.1 Kindheit und Kontakt mit dem Christentum .......................................69 4.3.2 Isaac Kwadzo und die Missionsarbeit .................................................71 4.3.4 Isaac Kwadzos Kritik an den Missionaren ..........................................76
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4.4 Biografie von Gebhard Christoph K4mla Mensa .......................................79 4.4.1 Kindheit und Kontakt mit dem Christentum .......................................79 4.4.2 Gebhard Mensa und die Missionsarbeit ..............................................80 4.5 Biografie von Elisa Kende ........................................................................83 4.5.1 Kontakt mit dem Christentum ............................................................83 4.5.2 Elisa Kende und die Missionsarbeit ....................................................84 4.6 Biografie von Zacharias Deku...................................................................87 4.6.1 Kontakt mit dem Christentum ............................................................87 4.6.2 Zacharias Dekus Missionsdienst und die tödliche Erkrankung ............89 4.7 Biografie von Nathanael Kwami ...............................................................92 4.7.1 Kindheit und Kontakt mit dem Christentum .......................................92 4.7.2 Nathanael Kwami im Dienst der Mission ...........................................93 4.8 Biografie von Elia Awuma........................................................................94 4.8.1 Kindheit und Kontakt mit dem Christentum .......................................94 4.8.2 Elia Awuma im Dienst der NMG .......................................................95 4.8.3 Elia Awuma und sein Gesundheitszustand .........................................98 4.9 Biografie von Ludwig Medenu ............................................................... 104 4.9.1 Kindheit und Kontakt mit dem Christentum ..................................... 104 4.9.2 Ludwig Medenu vs. die Missionsordnung ........................................ 106 4.10 Biografie von Theophil Renatus Asieni................................................. 109 4.10.1 Kindheit und Kontakt mit dem Christentum ................................... 109 4.10.2 Theophil Asienis Berufsleben bei der NMG und der Kolonialregierung .......................................................................... 110 4.10.3 Asienis Vorstellung der Missionsschule und der Evangelisierung... 114 4.11 Die Biografie von Reinhold K4wu ........................................................ 118 4.11.1 Kindheit und Kontakt mit dem Christentum ................................... 118 4.11.2 K4wu und der Missionsdienst ......................................................... 120 4.12 Biografie von Andreas Aku................................................................... 121 4.12.1 Kindheit, Namengebung und Kontakt mit dem Christentum ........... 121 4.12.2 Andreas Aku im Dienst der NMG .................................................. 124 4.12.3 Andreas Akus kirchliche bzw. außerkirchliche Verantwortungen ... 127 4.12.4 Akus Streitigkeit mit der Mission ................................................... 131 4.13 Biografie von Hermann (William) Y4y4 ............................................... 135 4.13.1 Kindheit, Name und Kontakt mit dem Christentum ........................ 135 4.13.3 Hermann Y4y4s Widersprüchlichkeiten und Wiederaufnahme ....... 142 4.13.4 Verständnis der Mission vs. Kampf um soziale Gerechtigkeit? ....... 144 4.14 Biografie von Timotheo Mallet ............................................................. 149 4.14.1 Kindheit und Kontakt mit dem Christentum ................................... 149 4.14.2 Timotheo Mallets Missionsdienst und Vorstellung der traditionellen Kultur ............................................................................................ 150 4.15 Biografie von Albert Wilhelm Binder ................................................... 156 4.15.1 Kindheit und Kontakt mit dem Christentum ................................... 156 4.15.2 Albert Binder im Dienst der NMG ................................................. 159 4.15.3 Albert Binders Beziehungen zur traditionellen Kultur .................... 161
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4.15.4 Albert Binders Verständnis von Autorität ....................................... 163 4.15.5 Religiosität – Rationalität – Identifikation ...................................... 166 4.15.6 Kampf um Gerechtigkeit und Emanzipation ................................... 170 4.16 Biografie von Timotheo Kofi Amet4wobla ........................................... 172 4.16.1 Kindheit und Kontakt mit dem Christentum ................................... 172 4.16.2 Timotheo Kofi Amet4wobla im Dienst der NMG ........................... 174 4.16.3. Wie Timotheo Kofi Amet4wobla starb .......................................... 177 4.17 Biografie von Benyamin Onipayede...................................................... 180 4.17.1 Kindheit, Name und Schulbesuch ................................................... 180 4.17.2 Benyamin Onipayede und seine Vorstellung von der Missionsarbeit ....................................................................................................... 181 4.17.3 Benyamin Onipayedes tödlicher Unfall .......................................... 183 4.18 Biografie von Robert Stephan Kwami ................................................... 185 4.18.1 Kindheit und Namengebung. .......................................................... 185 4.18.2 Robert Kwami im Missionsdienst................................................... 187 4.18.3 Robert Kwamis christlicher Glauben vs. die traditionelle Kultur .... 188 4.18.4 Kwami zwischen der Kolonialentwicklung, der Christianisierung .. 194 und der traditionellen Kultur ..................................................................... 194 4.18.5 Robert Kwamis Vorstellung von Selbständigkeit ............................ 196 4.18.6 Robert Kwamis Besuch in Deutschland und der Kirchenkampf ...... 197 4.19 Biografie von Samuel Quist .................................................................. 200 4.19.1 Kindheit und Kontakt mit dem Christentum ................................... 200 4.19.2 Missionsdienst und Gesundheitszustand ......................................... 202 4.19.3 Samuel Quists Vorstellung von der Missionsarbeit ......................... 203 4.19.4 Samuel Quists Vorstellung der traditionellen Religion ................... 206 4.19.5 Samuel Quists Erfahrungen im Umkreis der Mission ..................... 209 4.20 Biografie von Robert Domingo Baëta ................................................... 212 4.20.1 Kindheit und Erleben des Christentums .......................................... 212 4.20.2 Robert Baëtas Vorstellung der traditionellen Religion .................... 214 4.20.3 Robert Baëtas Missionsdienst und die Gemeindeordnung ............... 215 4.20.4 Robert Baëta und die Ewe-Kirche .................................................. 219 4.20.5 Robert D. Baëtas außerkirchliches Engagement ............................. 221 5. Transkulturationen: Kategorien hybrider ...................................................... 225 Kultur in der Ewe-Gesellschaft ......................................................................... 225 5.1 Körperlichkeit ......................................................................................... 225 5.1.1 Gesundheitszustand, Aussehen......................................................... 226 5.1.2 Kleidung, Essen, Trinken ................................................................. 227 5.1.3 Haushaltführung, Hygiene, Ordnung ................................................ 229 5.1.4 Gender-Beziehungen und Familienleben .......................................... 231 5.2 Kommunikationsformen ......................................................................... 234 5.2.1 Sprachen .......................................................................................... 234 5.2.2 Ausbildungsbesuche und –reisen ...................................................... 236 5.2.3 Träume zwischen den Kulturen ........................................................ 237 5.2.4 Gebete und Wunder ......................................................................... 241 5.2.5 Musik und Tanz ............................................................................... 243
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5.2.6 Namensgebung ................................................................................ 246 6. Ergebnisse und Überlegungen ...................................................................... 250 6.1 Transkulturalität – kulturelle Hybridität – ............................................... 250 Transkulturationen........................................................................................ 250 6.2 Der dritte Raum, die Ewe-Gesellschaft ................................................... 253 Literaturverzeichnis .......................................................................................... 255 I. Archivalien ............................................................................................... 255 1. Archive de l’Eglise Evangélique Presbytérienne du Togo (EEPT)......... 255 2. Archive King Mensah, Porto Seguro (Togo)......................................... 255 3. Archive Nationale du Togo (Staatsarchiv Togo) ANT ........................... 255 4. Archiv PRO, London ....................................................................... 255 5. Archiv der Norddeutschen Mission. ...................................................... 256 II. Magazin / Missionsschriften. / Biblische Literatur.................................... 258 III. Literatur.................................................................................................. 258 1. Veröffentlichungen des Forschungsprojekts „Transkulturationen“ ........ 258 2. Sekundärliteratur .................................................................................. 259 Abbildungsverzeichnis ..................................................................................... 268 Anhang............................................................................................................. 270 Kategorienschema für Afrikaner ................................................................... 270 Tabelle: kurze Darstellung der Ewe-Württemberger ..................................... 272 Rechenschaftsbericht der Ewe-Schule........................................................... 274 vom 1. Nov. 1891 – 31. Juli 1892 ................................................................. 274 Überblick auf die Inhalte der Prüfungsblätter ................................................ 275 Robert Baëtas ............................................................................................... 275 (Auto)biografien der afrikanischen Mitarbeiter der NMG ............................. 277
Geleitwort Die westafrikanische Kolonial-, Religions- und Christentumsgeschichte ist und bleibt eines der meistdiskutierten Probleme der Afrikawissenschaften und anderer Disziplinen. Der Grund wird nicht nur in der ausgezeichneten Forschungslage zu finden sein, sondern auch in den grundlegenden ethischen und politischen Fragen, die seit der Zeit des Sklavenhandels auf dem Tisch liegen und, in veränderter Form, wiederholt in die Diskussion einkehren. Die vorliegende Monographie macht allerdings sehr klar, was sie beschreibt und was nicht. Es geht nicht um eine Analyse des Verhältnisses von Mission und Kolonialismus oder andere makrohistorische Fragen. Analysiert wird vielmehr, und zwar unter den Bedingungen von Mission und Kolonialismus, das Leben der ersten Theologengeneration der Ewe-Kirche im heutigen Togo und Ghana. Die Studie, eine Mikrogeschichte also, basiert fast vollständig auf missionsgeschichtlichen Quellen, aber sie ist trotzdem keine missionsgeschichtliche oder theologische Untersuchung. Es ist wichtig, dies zu Beginn deutlich zu machen. In der Missionswissenschaft hat sich nach mühevollen Diskussionen die Ansicht durchgesetzt, dass die christentumsgeschichtlich entscheidende Frage nicht die der Transmission des Christentums ist (Missionsgeschichte), sondern die seiner Aneignung (Inkulturationsgeschichte), weil die Konturen einer neuen Variante dieser Religion nur von den einheimischen Christen selbst bestimmt werden können. Solche Konturen werden unweigerlich eine Mischform von Neu und Alt sein, denn nur so läßt sich jene befreiende Dynamik generieren, ohne die das Christentum nur ein Leerlaufgeräusch bliebe. Diese Dynamik ist aber nur freizusetzen, wenn biblischer Stoff indigen katalysiert wird. Dies ist, wie gesagt, nicht das Hauptinteresse des Autors. Seine Quellen sind zwar missions- und inkulturationsgeschichtlich, aber sein Augenmerk liegt ganz auf der verwandten Frage der kulturgeschichtlichen Anthropologie. Der Verfasser macht jedenfalls vollen Ernst mit dem wiederholt geforderten „Blickwechsel“ in der Beschreibung christentumsgeschichtlicher Prozesse: weg von der privilegierten Hofberichterstattung europäischer Interessen und hin zu den Vorstellungen und Strategien der lokalen Bevölkerung - zu denen, die der Verfasser die „Kolonisierten“ nennt (einschließlich der Anführungszeichen). Ausgewählt hat Azamede für seine Mikrostudie einen allerdings hochspezifischen Kreis: die zwanzig afrikanischen Seminaristen, die in den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts in Württemberg ausgebildet wurden und später einflußreiche Persönlichkeiten in Kirche und nationaler Bewegung werden sollten. Die Ausbildung afrikanischer Theologen in Europa war derzeit keine Selbstverständlichkeit und im Deutschen Reich sogar singulär. Die Geschichte dieser sogenannten Deutsch-Eweer ist schon mehrfach beschrieben worden, aber niemandem (auch mir nicht) war es bisher gelungen, diese Kette von interkulturellen Ereignissen in Kenntnis auch der ewe-sprachlichen Quellen darzustellen. Was der Verfasser ge-
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meistert hat, ist nicht nur die bisher detaillierteste Darstellung dieser zwanzig Biographien sondern auch eine Analyse aus afrikanischer Sicht. Er hat uns zudem Zugang gegeben zu einem Bereich, der bisher weithin verschlossen war – dem inneren Leben dieser Männer, ausgedrückt in ihren Gebeten und Träumen, Tänzen und Liedern, Erfahrungen von Frustation und wunderbarer Rettung. Das war ihm möglich, weil seine Studien Teil eines Bremer Forschungsvorhabens zur Transkulturationsfrage war, welches die komplette Dokumentation und Erschliessung des Archivs der Bremer Mission einschloß. Azamedes Forschung ist ein weiterer Beweis für die These, dass missionsgeschichtliche Archive heute, in einer Zeit interkultureller Zirkulation und der Neuverhandlung internationaler Beziehungen, der Öffentlichkeit primäre Materialien anbieten für die Konstruktionsgeschichte der je eigenen Identität im Blick auf die der „anderen“. Was leistet der Ansatz der kulturgeschichtlichen Anthropologie oder, in Azamedes Terminologie, die Theorie der Transkulturation und der Blick auf die Alltagsgeschichte der Deutsch-Eweer? Entdeckt werden die Afrikaner als profilierte Akteure und Entscheidungsmacher, engagierte Persönlichkeiten mit Ideen und Träumen, die sich in Anpassung und Widerstand an eine Neuformulierung ihrer Kultur wagen. Das ist nicht so verschieden von dem, was der inkulturationsgeschichtliche Ansatz für die Theologie leisten möchte. Azamede findet heraus, dass die Missionspraxis und vor allem die Missionsstation Räume sind, wo sich Hybriditätsprozesse abspielen und neue Indentitäten geformt werden. Diese Erkenntnis liest sich wie eine Erinnerung an etwas, das im kolonial-missionarischen Prozess früh verloren gegangen war, denn jedem Bremer Missionar war ja ins Stammbuch (das heißt: in die Aussendungsurkunde) geschrieben worden, „dass der bei uns geschichtlich entstandene Konfessionsunterschied nicht in die Heidenwelt zu verpflanzen ist, sondern dass sich durch die Predigt des Evangeliums unter der Leitung des Herrn und seines Geistes die Kirche unter den Heiden eigentümlich gestalten wird.“ Azamede entdeckt nun, dass der Kolonialismus für die Kolonisierten und, wie ich hinzufüge, die Mission für die Missionierten, nicht einfach „Weiß auf Schwarz“ bedeutete, sondern dass einheimische Christen eine ganze Bandbreite von kulturellen Mischformen hervorbrachten mit Verlierern und Gewinnern auf beiden Seiten. Auch dieses Ergebnis harmonisiert durchaus mit den Ergebnissen, die die neue Disziplin der Kirchengeschichte der nichtwestlichen Welt gegenwärtig zeitigt. Azamedes Forschung zu den Deutsch-Eweern zeigt, dass es bei der Transkulturation nicht um Wiederholung oder Nachahmung, sondern um Aneignung geht, um etwas, das prinzipiell neu ist. Werner Ustorf, Birmingham, Dezember 2009
1. EINLEITUNG 1.1 GEGENSTAND Seit 1847 schickte die Norddeutsche Missionsgesellschaft (NMG) evangelische Missionare nach Westafrika. Das Missionsgebiet lag im größten Teil im Hinterland der sogenannten Sklavenküste, die sich bis an die Küste des Golfs von Guinea in Gebieten der heutigen Staaten Ghana und Togo ausbreitete. Die staatlichen Verhältnisse dieser Region waren bis zur Gewinnung der staatlichen Selbständigkeit zu Beginn der 1960er Jahre kompliziert: Accra, neben Cape Coast die bedeutendste Stadt an der Küste, war 1847 noch dänischer Handelsstützpunkt, 1850 wurde die britische Kolonie Goldküste proklamiert, die die ersten Stationen Keta und Peki des Missionsgebietes einschloss. Seit 1853 übten die Briten an die Küste die Kontrolle aus. Der erste dauerhafte Sitz einer Missionsstation der NMG, die Küstenstadt Keta, wurde seit 1874 von den Briten kontrolliert. 1884 okkupierte die Regierung des deutschen Kaiserreiches im Anschluss an das britische Kolonialgebiet an der Küste bei Aflao einen 50 km langen Küstenstrich (die Küste der heutigen Republik Togo). Sie stieß von dort in nördliche Richtung über 540 ins Landesinnere vor. Die Ostgrenze zur französischen Kolonie Dahomey (heute Benin) sowie die Nordgrenze zum heutigen Burkina Faso legten die deutsche und die französische Regierung 1897 in Paris fest. Die Kaiserliche Regierung befahl jedoch von der Togoküste aus den Vorstoß deutscher Expeditionen in nordwestliche Richtung in das politisch noch unabhängige Hinterland der der britischen Gold Coast Colony. Diese erreichten bei Kpandu den Mittellauf des Volta-Flusses. Die deutsch-britische Grenzvereinbarung von 1890 trennte dieses Hinterland und spaltete so die ansässige Ewe-Bevölkerung. Die Grenzziehung nahm auch keine Rücksicht auf das Missionsgebiet der NMG, dessen Westteil mit Peki zur britischen Kolonie, der Ostteil mit Ho und Amedz45e zur deutschen Kolonie kam. 1918 wiederum wurde Deutsch-Togo aufgeteilt in französisches und englisches Mandatsgebiet, später den Kolonien Goldküste und Westafrika zugeordnet und in der postkolonialen Zeit als Republik Togo und Teil Ost-Ghanas selbständig. Der zeitliche Ausschnitt des Promotionsvorhabens reicht vom Beginn der deutschen Kolonialzeit (1884) bis hin in die 1930er Jahre. Während der Zeit des deutschen Kolonialismus verstärkte die sich bisher nur zögerlich ausbreitende evangelische Mission – seit 1892 auch in Konkurrenz zu römisch-katholischen Missionsaktivitäten – ihr Engagement in großem Umfang. Missionsarbeit bedeutete damals nicht nur Christianisierung, sondern auch Einbeziehung von indigenen Bevölkerungsgruppen als Arbeitskräfte. Afrikaner wurden als „Gehilfen“ der Mission benötigt - als Hausjungen oder Hausmädchen,
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als Köche, als Handwerker, als Ackerbauern und Viehzüchter oder einfach als Handlanger und Träger. Eine besondere Position nahmen diejenigen „Gehilfen“ ein, die für die missionarische Erziehung und Verkündung benötigt wurden: Monitoren (=Hilfslehrer), Lehrer, Katechisten, Evangelisten und ordinierte Pastoren (Os4fos). Die Missionsstationen entwickelten sich zu europäisch-afrikanischen Diasporen, in denen kulturelle Aggressionen (überwiegend von Seiten der Europäer) und kulturelle Widerständigkeiten (überwiegend von Seiten der Afrikaner) den Alltag bestimmten. Der Austausch - besser das Aushandeln - von Einstellungen, Meinungen und Werten verlief aber auch in Gegenrichtung. Er betraf kulturelle Kategorien wie Essen und Trinken, Körperlichkeit, Familienleben, Kommunikationsformen und – ein Schwerpunkt der vorgelegten Arbeit – (christlich-europäische) Erziehung. Die afrikanischen Lehrer – und als deren qualifizierteste Gruppe die Pastoren (Os4fos) und Katechisten – besaßen europäisches Wissen und die Fähigkeit zu lesen und zu schreiben. Sie konnten mit mindestens einer europäischen Sprache einigermaßen umgehen und waren intermediäre Personen zwischen ihren Landsleuten und den europäischen Missionaren. Zwischen 1884 und 1900 wurden insgesamt zwanzig ausgewählte Seminaristen nach Deutschland geschickt und erhielten im pietistischen Umkreis Württembergs eine zwei bis vier Jahre dauernde Ausbildung. Der Kern der vorliegenden Arbeit ist die kulturwissenschaftliche Analyse der Biografien der „württembergischen Afrikaner“. Als Wanderer zwischen Europa und Afrika kehrten sie nach der Ausbildung in die missionarische Diaspora zurück. Einige von ihnen bereisten später nochmals Deutschland. Sie trugen unterschiedliche kulturelle Traditionen und Versatzstücke mit sich, die während ihres Lebensprozesses ständig neu formiert wurden. Während der Zeit des kulturellen Kontaktes mit den Missionaren der NMG begann eine christliche Ethnogenese des „Ewe-Volkes“. Vorangegangen war ein schwieriger Migrationsprozess der Bevölkerungsgruppen an der Küste des Golfs von Guinea, der kulturelle Vermischungen zwischen den Ethnien Ewe, Asante, Fon und Yoruba bewirkt hatte (Amenumey 1986). Afrikanische Sprachen waren für die interkulturelle/transkulturelle Kommunikation ab Mitte des 19. Jahrhunderts ebenso erforderlich wie die europäischen Sprachen Englisch und Deutsch (und später auch Französisch). Die Verschriftlichung der Ewe-Sprache durch die Missionare (Bibel, Katechismus, Gesangbuch, Schulbücher) bedeutete eine Privilegierung der Ewe-Kultur. Dies wurde von den afrikanischen Bildungsträgern der NMG und der aus ihr sich entwickelnden eigenständigen afrikanischen Kirchen produktiv als Stabilisierungsfaktor der eigenen vermischten Kultur genutzt, später auch als Mittel für die Darstellung der neu gewonnenen Identitäten in Form von Autobiografien. Ewe-Sprache als anthropologischer Faktor erhielt einen hohen Stellenwert, denn Texte in Ewe spiegelten oft die Sicht der Afrikaner.
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1.2 Theoretischer Rahmen Die Diskussion über Transkulturalität und Hybridität wird seit geraumer Zeit mit Gewinn in die kulturwissenschaftliche Theoriediskussion eingebracht (Bronfen u. a. 1997, Bhabha 2000). Zentrale Aussagen richten sich auf das Verhältnis von nationalstaatlichen Kulturen der europäischen Moderne und globalisierenden Kulturen der Postmoderne, in unserem Falle des (Post)kolonialismus. Nationalkulturen bildeten nach dieser Vorstellung ihre nationale Identität durch Festschreibung der eigenen Kultur in einem festen kulturellen Kanon, der sich in Kategorien wie Geschichte, Religion, Kunst, Literatur, Bildung, Umgang mit Körperlichkeit usw. darstellen. Kulturvorstellungen der Nationalkulturen neigen zur Konstruktion der Essentialität und Homogenität des Eigenen. Kulturen dagegen überschreiten die Grenzen der Nationen und sind prozesshaft. Nicht die Sesshaftigkeit, sondern die Migration der Menschen und der Kontakt mit den ihnen fremden kulturellen Einstellungen, Meinungen, Werten und Verhaltensweisen sind Voraussetzungen für ständige kulturelle Veränderungen. Regeln kultureller Hybridität betreffen das Zusammentreffen und die Gleichzeitigkeit verschiedener menschlicher Lebensformen sowie das performative Aushandeln von (Über)Lebensbedingungen. Ein grundsätzlicher Paradigmenwechsel verkehrt die Perspektive: nicht mehr die Sichtweisen der Europäer, sondern die der Menschen an den Rändern sollen das Erkenntnisinteresse bestimmen. Die Diaspora der NMG wird als Ort von Prozessen der Hybridität gesehen – die Menschen im Umkreis der Missionsstationen deuten wir als Akteure einer hybriden Geschichte. In einer Historischen Anthropologie des Umgangs mit dem Fremden und der Subjektivität der Geschichte (van Dülmen 2000) sollen die Biografien und Lebenswelten der zwanzig afrikanischen „Missionsstudenten“, die in Deutschland ausgebildet wurden, analysiert werden. Dabei sind drei wichtige Verhaltensmuster und Wirkungsmechanismen im hybridisierenden Verhalten der Ewe zu erkennen: – Spannung bei dem Konflikt mit der eigenen und der fremden Kultur. Die Entspannung tritt ein durch die Selbstbehauptung. – Vereinnahmung und Neupositionierung der unterschiedlichen kulturellen Muster und Verhaltensweisen. – Selbstbehauptung im kulturellen Umgang. Diese Punkte bedeuten keine Aufreihung und sollen auch keine logische Abfolge assoziieren, vielmehr werden sie als beliebig verwendbare Ordnungsmechanismen der Individuen gedeutet. Die Lage des Missionsfeldes der NMG in Kolonialgebieten der Deutschen, der Engländer und der Franzosen verstärkt seine Wirkkraft als Ort vermischter und sich stets neu aushandelnder Kulturen. Seine Liminaritäten wurden von den Menschen im Umkreis der Mission beachtet, betreten, aber auch überschritten. Auch dabei lassen sich individuelle Entscheidungen der zwanzig EweSeminaristen konstatieren.
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1.3 FORSCHUNGSSTAND Der Forschungsstand zum Thema Norddeutsche Mission, Historische Anthropologie und Transkulturalität wurde bis zum Jahre 2000 von Rainer Alsheimer zusammengefasst (Alsheimer 2000). Demnach gibt es unterschiedliche Ausgangssituationen für die Publikationen. Die 1943 erschienene theologische Dissertation von Ernst J. Hahn ist weiterhin unverzichtbar wegen ihres Materialreichtums und weil sie Materialien benutzt, die inzwischen verschollen sind. Hahn stellt die Geschichte der Norddeutschen Mission, deren Organisationsformen und Aufgaben dar. Die Arbeit besticht durch große Detailkenntnis (Hahn 1943). Selbstdarstellungen der Mission erschienen oft zu Jubiläumsanlässen. Von besonderer Bedeutung ist das Buch „Bausteine zur Geschichte der Norddeutschen Missionsgesellschaft“, da es in großem Umfang geschichtliche Daten, Personenverzeichnisse und Statistiken aus der Zeit seit der Mitte des 19. Jahrhunderts bis 1936 enthält und den Charakter eines Nachschlagewerkes besitzt (Schreiber 1936). Der Band anlässlich des 150jährigen Jubiläums (1986) bilanziert die Geschichte und Gegenwart der Missionsgesellschaft (Schöck-Quinteros; Lenz 1986). Eine Geschichte der afrikanischen evangelischen presbyterianischen Kirche wurde von Gilbert Ansre (1997) veröffentlicht. Schwerpunkt ist die Entwicklung der heutigen E.P. Church, wobei stärker der Teil in Ghana berücksichtigt wird (Ansre 1997). Der Missionshistoriker Hans Werner Debrunner analysiert die Kulturformen auf dem Missionsfeld der NMG unter den Ewe: vor, während und nach der deutschen Kolonialzeit. Er schildert die Ewe-Kultur vor der Missionszeit als vielfältig. Sie besaß Beziehungen zu den östlichen und westlichen Nachbarvölkern, d.h. den Dahomey- einerseits und den Akwamu- und Aschantivölkern andererseits. Die Missionstätigkeit an der westafrikanischen Küste brachte die christlich europäische Kultur mit sich, die während der deutschen Kolonialherrschaft besonders auf die Afrikaner wirkte. Er betont die geistige Erziehung der afrikanischen Missionsmitarbeiter, die er als den bedeutendsten Faktor bei der kulturellen Umwandlung der Afrikaner und bei der Gründung der evangelischen einheimischen Kirche halte. Geistige Erziehung hat ihm zufolge eine neue soziale und kulturelle Zukunft der indigenen Gesellschaft bestimmt (Debrunner 1965). In einem weiteren Buch beschreibt Debrunner die Geschichte der Kontakte von Afrikanern zu der europäischen und arabischen Kultur. Er spannt den Zeitrahmen vom Mittelalter bis in das 20. Jahrhundert. In diesem Zusammenhang kommt er auf die Missionsmitarbeiter zu sprechen, die in Deutschland ausgebildet wurden. Debrunner stellt eine Skizze ihres Lebenslaufs auf und erläutert die Umstände, unter denen sie während ihrer Studien in Deutschland als Fremde gelebt haben (Debrunner 1979). Missionswissenschaftlich, also einer speziellen Disziplin der Theologie zuzuordnen, sind die Arbeiten der beiden Autoren Martin Pabst und Werner Ustorf. Pabst stellt einen stringenten Zusammenhang zwischen Kolonialherrschaft und Mission her. Für ihn ist die Missionsgeschichte die Geschichte von Ordnung und
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Unterordnung. Afrikaner werden nach Pabst akkulturiert und die realen Lebenssituationen finden wenig Berücksichtigung. Exemplifiziert wird diese These am Beispiel der Unterrichtssprache Deutsch und der Unterrichtsinhalte der Missionsschulen. Die Situation der in Deutschland ausgebildeten Ewe findet bei Pabst kaum Beachtung (Pabst 1988). In dem von Ustorf herausgegebenen Sammelband „Mission im Kontext“ finden sich bei Eiselen Hinweise auf die Abhängigkeitssituationen der nach Deutschland geschickten Ewe-Missionsmitarbeiter, die durch harte Knebelverträge von der Missionsleitung gebunden wurden (Eiselen 1986). Ustorfs Habilitationsschrift von 1989 schildert die Interaktionen zwischen den europäischen Missionaren und afrikanischen Mitarbeitern und betont in zwei Kapiteln die Bildungsdynamik als Auslöser von afrikanischer Missionskritik und Gefährdung des missionarischen Rollenvorsprungs. Denn nicht die christliche Religion, sondern materielle Interessen der Afrikaner stellten den wichtigsten Anknüpfungspunkt zur Mission her. Nach Ustorf wurden religiöse Vorstellungen der Missionare weniger verstanden als soziale und ökonomische Bedingungen. In diesem Zusammenhang spricht er von der Entstehung einer „authentischen afrikanischen Persönlichkeit“, die sich durch „interkontinentalen kulturellen Austausch“ entwickelt. Auch wenn Ustorf die Spannungen zwischen deutschen Missionaren und afrikanischen Mitarbeitern schildert, so behandelt er den eigentlichen transkulturellen Prozess nicht (Ustorf 1989: 241–282). Die profanhistorische Geschichtsschreibung zur Norddeutschen Mission lässt sich an den Namen Knoll, Sebald und Gründer festmachen. Arthur Knoll legt dar, dass die Geschichte des Kolonialismus, des Handels und der Mission sich auf der kulturellen Ebene mit den Missionen treffen (Knoll 1978). In einem weiteren Artikel beschäftigt sich Knoll mit den Kulturkontakten der afrikanischen Küstenbevölkerung mit brasilianischen und portugiesischen Händlern, deren Nachkommenschaft kulturellen Wandel vertrat. Außerdem betrachtet er die Beziehung zwischen Mission und Kolonialverwaltung in Bezug auf das Schulwesen als Mittel zur Sozialisation (Knoll 1991). Auch Sebald sieht die Mission als ideologische Institution der Kolonialverwaltung (Sebald 1988), während Gründer in seinen frühen Werken der Meinung ist, die Norddeutsche Mission sei ein unbewusstes Werkzeug der deutschen kolonialen Modernisierung. Positiv beurteilt Gründer die Entwicklung der Ewe-Schriftsprache, die er als eine Voraussetzung eines nationalen Bewusstseins der Ewe ansieht (Gründer 1982). Der Gründer-Schüler Thorsten Altena legte 2003 seine Münsteraner Dissertation vor. Er behandelt die deutschsprachigen protestantischen Missionsgesellschaften, die in Afrika missionierten, und hat ein eigenes Kapitel der Norddeutschen Mission gewidmet. In seiner Einführung diskutiert Altena die neuesten Ansätze der Theorien zur Transkulturation. Sein Interesse gilt jedoch den kulturellen Entwicklungen der europäischen Missionare zur Zeit des deutschen Kolonialismus, auch wenn er im Anhang biografische Daten zu Afrikanern aufführt (Altena 2003). Seit 1995 organisiert Ulrich van der Heyden in Berlin Tagungen zur Missionsgeschichte. Von Interesse für unser Thema sind Vorträge von Brenecke, Luig,
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Niwagila und Oloukpona-Yinnon. Sie beschäftigen sich mit den Auseinandersetzungen zwischen den „klassischen“ selbständigen Kirchen und der afrikanischen Gesellschaft (van der Heyden 1996 & 2005). Anhand des begrenzten Bildungsniveaus und der strengen pietistischen Erziehung versucht Birgit Meyer zu zeigen, dass die Verwendung der Begriffe von Kultur und Nationalität durch die Missionare hybride Kulturformen verhindern sollten. Ihre Beschreibung fußt auf der religiösen Haltung und dem Bildungsprozess der Württemberg-Studenten (Meyer 2004). 2002 gründete sich auf der Tagung der Vereinigung von Afrikanisten in Deutschland (VAD) in Hamburg eine interdisziplinäre Gruppe von Wissenschaftlern die Sektion „Transculturation: Mission and Modernity“. Albert Wirz u.a. stellte dazu ein Manifest auf, Klaus Hock führte in das Thema ein, während Roman Loimeier im allgemeinen Teil Transkulturation aus einer islamischen Perspektive beleuchtete. Der Hauptteil fasste biografische Studien zu Afrikanern zusammen: Sonia Abun-Nasr: David Asante (Basler Mission); Rainer Alsheimer: Wilhelm Lemgo (Norddeutsche Mission). Henry Bredenkamp und Andrea Schulze beschäftigten sich mit dem transkulturellen Verhalten von europäischen Missionaren in Afrika. Damit hatte der Ansatz der Bremer Transkulturationsforschungen im Umkreis der Norddeutschen Mission internationale Anerkennung gefunden. Die Referate wurden von Adam Jones herausgegeben (Jones 2003). Frieder Ludwig behandelt die transkulturellen Verhaltensweisen von Afrikanern, die in Europa waren, auch die der Missionsstudenten in Württemberg. Er beschreibt die Entwicklung als einen kulturellen Prozess, der auf fünf Ebenen spielt: Vereinnahmung, Ausgrenzung, Aneignung, Distanzierung und Selbstbehauptung (Ludwig 2004). Monika Firla beschreibt in einem Ausstellungskatalog des Landeskirchlichen Museums Ludwigsburg den Bildungsprozess und die Karriere der zwanzig „Württemberger“ (Firla 1996). Die vorgelegte Dissertation ist innerhalb des Forschungsprojektes „Transkulturationen. Eine Mikrogeschichte der Norddeutschen Mission“ angesiedelt. Dieses von der Volkswagen Stiftung geförderte Vorhaben stützt sich – wie im methodischen Teil beschrieben – in großem Umfang auf das Archiv der Norddeutschen Missionsgesellschaft. Durch „dichte Beschreibungen“ auf Basis der Archivalien sollen transkulturelle Situationen und Prozesse innerhalb der Missionsgeschichte geschildert werden. Bisher wurde außer den grundlegenden Texten zum Forschungsinteresse (Alsheimer 2000; 2001), ein Sammelband mit Missionarsbiografien (Alsheimer; Rohdenburg 2001), zwei Magisterarbeiten zur missionarischen Mädchenerziehung (Lubrich 2002) und zur Etablierung der Missionsstation Ho (Sawitzki 2001), sowie einige Aufsätze zu speziellen Themen publiziert: Biografie des Afrikaners Wilhelm Lemgo (Alsheimer 2003), Missionare und indigene Frauen (Sawitzki 2003), Missionarsfotografie (Alsheimer 2004), Landkauf der Mission (Alsheimer 2004a). Ein aktueller Projektbericht findet sich im Tagungsband des Berliner Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde (Alsheimer 2005).
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Alsheimer befasst sich in seinem 2007 veröffentlichten Buch mit der vorkolonialen Missionierung der Ewe in Westafrika zwischen 1847–ca.1890. Der historischen Anthropologie verpflichtet, beschreibt Alsheimer ein Kapitel der Geschichte der NMG in Westafrika aus den vermischten Perspektiven der Missionierten und der Missionare (Alsheimer 2007). Er stellte „Afrikaner“ im Umkreis der Missionsstationen dar, die er als „Akteure ihrer Geschichte“ bezeichnet. Trotz der spannenden Lebensgeschichten der Missionierten in der Zeit zwischen Sklaverei und „christlicher Ethnogenese“ ist es bemerkenswert, dass es die Analyse der traditionellen kulturellen Vorstellungen in Westafrika nicht gründlich erläutert wird. Die vorliegende Arbeit bereichert und ergänzt diese Analyse unter verschiedenen kulturellen Aspekten der traditionellen Lebensweisen.
1.4 RELEVANZ DES THEMAS Die vorliegende Untersuchung ist ein Beitrag zur Geschichte des Globalisierungsprozesses an der westafrikanischen Sklavenküste zu Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts. Sie ist eine Geschichte der Kolonisierten aus dem Fokus der „Kolonisierten“. Die Debatte über die Missions- und Kolonialvergangenheit wird in Afrika und speziell in Togo gegenwärtig engagiert, kontrovers und oft emotional aufgeladen geführt. In die Zeit der Missionierung an der Sklavenküste fällt eine christliche Ethnogenese des evangelischen Kirchenvolks der Ewe. Die Nation dieser Ethnie wurde niemals politische Realität. Die sich während des Untersuchungszeitraums als Volk verstehenden Ewe leben jetzt in zwei afrikanischen Staaten in unterschiedlichen lingualen Kontexten: frankophon in Togo und anglophon in Ghana. Schon seit 1884 droht der nationalen Identität der Ewe eine Auflösung, zumindest eine Teilung. Die Untersuchung ist ein Beitrag zur Analyse des kulturellen Gedächtnisses der Ewe-Bevölkerung. Dieser Ethnie gehöre ich persönlich an und bin Togoer, meine Familie lebt dagegen in Ghana und anderswo, auch in Europa. Die Lebens-Geschichte der zwanzig afrikanischen Missionsgehilfen ist ein Experimentierfeld zum Überprüfen von postkolonialen Theoriebildungen und strukturhistorischen Festschreibungen der kolonialen Vergangenheit Westafrikas anhand des Alltagslebens eines dicht dokumentierten historischen Mikrokosmos. 1.5 HYPOTHESEN1 –
Die Zusammenarbeit der afrikanischen Missionsgehilfen mit den europäischen Missionsmitarbeitern erzeugte eine Veränderung und Vermischung der Kulturen. Es kommt zu Transkulturationen, das heißt zu Verknüpfungen von Meinungen, Einstellungen, Werten und Verhaltensformen aus verschiedenen
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Die Hypothesen fußen auf den Thesen des Forschungsprojekts „Transkulturationen“ wie sie bei Alsheimer (2005) formuliert wurden.
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Kulturen. Die eigene Kultur wird teilweise verlassen, die Fremde nicht vollkommen aufgesucht. Und schließlich wird ein neuer - dritter - Raum zwischen den Kulturen betreten. Die agierenden Personen nutzen als Handlungsstrategien Anpassungen, Grenzziehungen und -überschreitungen, Auflockerungen, Betreten von Zwischenräumen, Querverbindungen, Entweder-Oder und Und-Konstellationen, um sich in ihrer Lebenswelt positiv zu positionieren. Kulturelles Handeln der Afrikaner wird somit Überlebenshandeln im Prozess der Globalisierung. Dieses ist verbunden mit Spannungen, Vereinnahmungen, Neupositionierungen und Selbstbehauptungen. In der Konsequenz: die semantische Figur des Kolonialismus - Weiß auf Schwarz (Hinz u.a. 1984) - soll aufgelöst werden. An ihre Stelle tritt die Vision der Missionsstation als einer transkulturellen hybriden Lebenswelt zwischen den Kulturen. Mit Verlierern und Gewinnern – auf beiden Seiten.
1.6 METHODISCHES VORGEHEN Die vorliegende Arbeit ist methodisch der Historischen Anthropologie verpflichtet. Dieser Ansatz versucht die Alltagsgeschichte(n) der Menschen zu schreiben. Historische Anthropologie versteht sich als transdisziplinäre Forschungsmethode, mit Hilfe der die Grundphänomene des menschlichen Daseins in ihrer historischen Veränderlichkeit untersucht werden. Sie stellt den konkreten Menschen mit seinem Handeln und Denken, Fühlen und Leiden in den Mittelpunkt der historischen Analyse. Zwar wird dem Menschen keine völlige Autonomie im Handeln unterstellt, als wäre er Herr der Dinge, aber er wird auch nicht als Spielball der historischen Ereignisse und Strukturen angesehen. Dieses Zwischenfeld zu beschreiben, d. h. die Handlungsmöglichkeiten und Handlungsräume auszuloten, zählt zu einer Hauptaufgabe der historischen Anthropologie. Zum anderen erkennt sie die Vieldeutigkeit und Widersprüchlichkeit von Handlungen und Prozessen an, die in ihrer Komplexität nur im Kontext der Gesellschaft aufgeschlüsselt werden können und durch die verschiedensten Verhältnisse bestimmt werden (van Dülmen 2000). Überdies können an einzelnen Beispielen, überschaubaren Räumen und transparenten Ereignissen subjektive Befindlichkeiten, um die es ja stets in der historischen Anthropologie geht, detailliert entschlüsselt werden. Eine makrohistorische Perspektive muss selbst in der Familienforschung Einzelheiten vernachlässigen, die möglicherweise von besonderer Brisanz für das Thema sein können. Welche Rolle beispielsweise Gefühle und religiöse Praktiken im alltäglichen Leben der Menschen spielten, lässt sich nur an Überschaubarem sichtbar machen. Wie repräsentativ ihre Entdeckungen und Beobachtungen sind, ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang, unhabhängig davon, dass bei der Untersuchung der Handlungsräume und subjektiven Interpretation nie Repräsentativität erreicht werden kann. Mit dem methodischen Verfahren der historischen Anthropologie soll die Erforschung der materiellen Kultur, der Ernährung und des Konsums, der Kleidung
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und Wohnung, der Glaubensformen, der Bildung, der Arbeitverhältnisse bei den einzelnen Ewe-Mitarbeitern der Norddeutschen Missionsgesellschaft zustande kommen. Basis der historisch-anthropologischen Forschungsarbeiten ist das Archiv der Norddeutschen Mission. Es ist durch das von der Volkswagen Stiftung geförderte Forschungsvorhaben Transkulturationen in den Jahren 2002–2004 inhaltlich erschlossen und dokumentiert worden (Alsheimer 2005). Dabei sind folgende Dateien erstellt worden, die inzwischen auf CD-Rom verfügbar sind: – Personaldatei der europäischen Mitarbeiter der Mission: Missionare, Missionarsfrauen, Freie Schwestern, Diakonissen (Lebensdaten der Europäer) – Datei Afrikaner im Umkreis der Mission (Lebensdaten und Lebensgeschichten von Afrikanern) – Kategorienschema der kulturellen Felder der Mission (Ausführlichste Datei, enthält thematische Gliederung der gesamten Quellennachweise über Afrika) – Bilddatei der Norddeutschen Mission (enthält überwiegend historische Fotos aus den Jahren 1847 bis in die Gegenwart. Insgesamt 5085 Bilder wurden digitalisiert) – Bibliografie der Zeitschriften der Norddeutschen Mission (wertet die Bremer Missionsperiodika von 1845–1922 aus). Die erschlossenen Quellen sind durch diese Dateien zu einem dichten Quellenkorpus strukturiert worden. Die hauptsächlichen Quellengattungen lassen sich wie folgt beschreiben: – Protokolle verzeichnen die Erlasse und Entscheidungen von Missionsvorstand in Bremen oder Präses und Missionskonferenzen in Afrika. – Missionsschriften (häufig Traktate) sind religiös geprägte Aufsätze von deutschen Missionaren oder afrikanischen Missionsmitarbeitern über das Leben der Menschen in den christlichen Gemeinden und ihre Beziehungen zu der nicht christlichen Gesellschaft. – Monats-, Quartal- und Jahresberichte aus Afrika beschreiben die Entwicklung der Missionsarbeit in den jeweiligen christlichen Gemeinden auf den Missionsstationen mit. Sie werden von deutschen Missionaren, aber auch von afrikanischen Missionsarbeitern verfasst. – Amtliche Briefe aus Afrika betreffen oft Mitteilungen, Meinungen und Anliegen der deutschen Missionare und der afrikanischen Missionsarbeiter zu der Missionsarbeit. Sie sind Teil des Arbeitsvertrages und in ihrer dichten Sequenz festgelegt. – Private Briefe entstanden durch Korrespondenzen zwischen deutschen Missionaren untereinander, zwischen afrikanischen Gehilfen untereinander und zwischen deutschen Mitarbeitern und afrikanischen Gehilfen. Sie enthalten oft Themen aus dem Alltag und betreffen Familie, Gesundheit, Hochzeit, Geburt, Wünsche, Erfolge und Misserfolge. Es ist erstaunlich, dass auch eine große Anzahl dieser Art von Briefen im Archiv der Mission liegt. Häufig wurden sie nach dem Tod des Briefschreibers der Mission vermacht. – Bilder (Fotos) schildern die Kultur, das soziale Leben und die Religion in der afrikanischen Gesellschaft und die Entwicklung der Missionsarbeit der NMG.
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Sie repräsentieren häufig die Propagandastrategie der Mission. Fotos werden zum Traktat (Alsheimer 2004). – Biografien bzw. Autobiografien der Afrikaner schildern die Lebensgeschichten von afrikanischen Missionsmitarbeitern, die positiv auf die Verbreitung des Christentums unter ihrem Volk gewirkt hatten. Die Lebensgeschichten wurden im Auftrag des Vorstandes in Bremen verfasst. Sie sind der literarischen Gattung des pietistischen Lebenslaufs verpflichtet und beschreiben meistens folgende Lebenspassagen: die Kindheit, die mit der traditionellen Religion verbunden ist; den Kontakt mit der Mission; die Bekehrung vom alten (=afrikanischen) religiösen Leben zum Christentum; die Übergabe eigenen Lebens dem christlichen Gott und den Eintritt in den Dienst der NMG als Gehilfe/in, Lehrer/in, Evangelist, Katechist oder Pastor. Die Dokumentation der zwanzig Ewe-Mitarbeiter geschieht nach einem bestimmten Kategorienschema, das das Forschungsprojekt ‚Transkulturationen’ der Universität Bremen drei Jahre lang (2002–2005) bei der Behandlung dieser Quellen erprobt hat. Dieses Schema gliedert die unterschiedlichen kulturellen Ebenen der Protagonisten des transkulturellen Prozesses auf dem Missionsfeld der NMG in Westafrika. Diese kulturellen Ebenen werden nach folgenden Punkten strukturiert: Familienkontakte, Zeitraum, Arbeitsort, Bildung und Ausbildung, Reise, Gender-Beziehungen, Ehe und Familie, Körperlichkeit, Religionszugehörigkeit, Gemeindeleben, Kommunikationsformen, Ökonomie und Arbeitsfeld, Rechtsvorstellungen und -überlieferungen, Kulturvorstellungen, Naturvorstellungen, Sachkulturen und Kultursachen, Musik, Tanz und Theater, und Politik (Abdruck im Anhang).
1.7 GLIEDERUNG DER ARBEIT Das erste Kapitel wirft einen Blick auf die Migrations- und die Kulturgeschichte der Ewe mit ihren verwandtschaftlichen Volksgruppen, vom Osten bis zum Westen. Die Ewe bezeichneten sich als solche, nachdem sie nach Notse2 emigriert waren. Von dort zog eine Diaspora wieder nach dem Westen. Mit dieser Diaspora begann eine neue Phase der kulturellen und religiösen Begegnung mit Nachbarvölkern einerseits und mit dem Christentum andererseits zwischen der Goldküste – damaligen britischen Kolonialgebiet – und Togo – dem späteren deutschen Schutzgebiet. Das zweite Kapitel bezeichnet die Merkmale der christlich pietistischen Kultur, wie sie besonders in Württemberg Wurzeln geschlagen hatte. Der Pietismus war eine christlich protestantische Glaubensrichtung, die die Missionstätigkeit der NMG an der westafrikanischen Küste prägte. Christentum umfasste nicht nur Glauben, sondern es vermittelte auch eine christlich-europäische Gedankenwelt, die als Maßstab für jeden afrikanischen Missionierten diente. Die Wirkungen auf 2
So die heutige amtliche Schreibweise, ebenso Notsie. In der deutschen Kolonialära: Nuatjä; im Sprachgebrauch der NMG: Notschie, Notsche, Notschä usw.
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die Ewe-Christen brachten kulturelle Auseinandersetzungen in der EweGesellschaft mit sich. Das dritte Kapitel ist am umfangreichsten. Es beschreibt die Lebensgeschichten von zwanzig Westafrikanern, die zwischen zwei und vier Jahre Missionsausbildung in Württemberg erhielten. Anschließend kehrten sie nach Westafrika zurück und wurden in den Dienst der NMG angestellt, wobei sie sich in der komplexen transkulturellen Situation zwischen der christlichen Missionsordnung und den afrikanischen kulturellen und religiösen Denkweisen befanden. Ihr Lebenslauf schildert den Prozess von der Kindheit, verbunden mit den traditionellen Umständen, bis zum Kontakt mit dem Christentum. Ihre Erfahrungen mit vielen inkompatiblen kulturellen Denkweisen brachten sie zu transkulturellen Lebensformen. Das vierte Kapitel analysiert die jeweiligen biografischen Darstellungen nach dem erstellten Kategorienschema für Afrikaner. Das Schema umfasst die verschiedenen kulturellen Elemente, die sich bei den einzelnen Afrikanern als charakteristisch für ihr transkulturelles Leben entpuppten. Sie führten unterschiedlich ihr so genanntes christliches Leben, das sie bald aus der afrikanischen Sicht, bald aus der christlichen Perspektive wahrnahmen. In dem Schlusskapitel geht es um Ergebnisse und Überlegungen einer kulturwissenschaftlichen Reflektion.
2. MIGRATIONS- UND KULTURGESCHICHTE DER EWE: EIN ÜBERBLICK Die Geschichte der Ewe vor der Kolonialzeit besteht hauptsächlich in ständigen Migrationbewegungen, bei denen die Bevölkerung in jeweiligen Siedlungsräumen vielfältige kulturelle und soziale Erfahrungen machte. Darin sind sich alle Autoren einig, die über Geschichte und Kultur der Ewe geschrieben haben (Spieth3 (1906; 1911); Kwakume (1948); Agblemagnon (1969); Kwami (1970); Gayibor (1985; 1997); Amenumey (1986) etc.). Dagegen sind die Meinungen über die ursprüngliche Herkunft und die Chronologie der Migrationbewegungen der Ewe nicht einheitlich.
2.1 DIE SPRACHE Der Begriff Ewe oder „Eυe“ in Bezugnahme auf die so genannte Ethnie im heutigen Ewe-Gebiet einerseits und auf die Sprache andererseits wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch linguistische und ethnologische Untersuchungen europäischer Forscher wie Westermann, Spieth etc. bekannt gemacht. Spieth berichtet in seinem Werk über „die Religion der Eweer“, dass die Ewe sich selbst #eawo (Plural von #e) nennen, d. h. Ebene- oder Talbewohner, „weil sie sich bei ihrer Einwanderung hauptsächlich in der breiten Küstenebene niedergelassen haben.“ (Spieth 1911: 2.). Der Name Ewe umfasste, Westermann zufolge, die gesamte sprachliche Benennung des Gebietes zwischen dem Voltafluss im Westen und der Grenze zum Yoruba-Land im Osten (heute im südöstlichen Teil von Benin) an der westafrikanischen Küste (Westermann/Bryan 1970: 83). Das Siedlungsgebiet dehnte sich zwischen dem siebten und dem 17. Jahrhundert nach Westen aus. In diesem Gebiet sollen die Ewe gelebt haben. Weitere Forschungen stellen die Herkunft der Ewe fest. Sie sollen an der Wende des 16. Jahrhunderts aus der befestigen Stadt Notse (heute 70 Km nördlich von Lome) ausgewandert bzw. geflüchtet sein (Gayibor 1997: 151–198). Demnach entstammten die Ewe dem Raum der Aja-Volksgruppen, die von aus Tado (heute östlich von Notse) ausgewandert waren und sich in die Stadt Notse niedergelassen hatten. Forschungen zu der Geschichte der Togolesen unter Gayibors Leitung an der Universität Lome in Togo versuchen die Geschichte der Ewe im Bezug auf die Migrationgeschichte der verschiedenen westafrikanischen Volksgruppen richtig zu stellen.
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Mit 24 Jahren von 1880 bis 1911 als ordinierter Missionar nach West-Afrika ausgesandt, arbeitete Jakob Spieth an der Übersetzung der Bibel in die Ewe-Sprache 1902/9 in Europa und 1910/11 in Lome und veröffentlichte Publikationen über die Religion und Kultur der Ewe. 1911 erhielt er an der Universität Tübingen den Ehrendoktor. Er starb 1914 (Sawitzki 2002: 105).
2. Migrations- und Kulturgeschichte der Ewe: Ein Überblick
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Westermann hielt in seinen Untersuchungen zu westafrikanischen Sprachen die Ewe-Sprache für die Matrix, aus der andere, verwandte Sprachen wie die Aja, Fon usw. entstanden sind. Gayibors Ansatz ist ein anderer: Die Ewe-Sprache sei eine der Sprachen aus dem Aja-Raum. Im Aja-Raum würden insgesamt neun Sprachen bzw. Mundarten je nach den Volksgruppen gesprochen, nämlich die Aja, Ewe, Fon, Ayizo, Xwla, Gun, Guin, Sahwe und Xweda. Diese Volksgruppen, die in Tado eine neue Existenz aufbauten, nachdem sie den ersten Wohnort Ketu verlassen hatten, nennt Gayibor die „Ajatado“. Mit dem Namen Ajatado bezeichnet er diese Ära. Gayibor erklärt die soziolinguistische Verwechselung Westermanns durch die Tatsache, dass europäische und südamerikanische Forschungsreisenden in den 1730er Jahren Dahomey als den einzigen Sklavenküstenstaat ansahen. Im 20. Jahrhundert habe sich diese Perspektive zugunsten der Ewe wegen der Erforschung ihrer Sprache von deutschen Ethnologen und Linguisten entwickelt. Dies sei aber „une grossière méprise, qui rejette dans l’oubli le plus total la langue aja, pourtant véritable matrice dans laquelle ont pris naissance tous les parler de cet ensemble.“ (Gayibor 1997: 152). Diese Sprachen aus dem Siedlungsgebiet der Aja werden heute in Teilen von Togo, Benin und Ghana gesprochen. Weitere Forschungen stellen sprachliche Ähnlichkeiten zwischen Ewe und mehreren anderen Sprachen in Westafrika fest (Folikpo 2006).
2.2 MIGRATION DER EWE Gayibor schätzt, dass die Ajatado zwischen dem 11. und dem 12. Jahrhundert von Ketu4 nach Tado gewandert sind. In Tado seien Resten geschmiedeter Stücke entdeckt, die mit „Thermo-Lumineszenz“ datiert worden sind: „Compte tenue des éléments d’appréciation évoqués plus haut concernant notamment Ketou, il semble raisonnable, dans l’état actuel des recherches, de situer cet événement dans la même période.“ Gayibor (1997): 157.
Die Ursachen der Migration der Ajatado aus Ketu waren vielfältig. Ein Fakt war, dass das Yoruba-Volk immer größer wurde, und dass Konflikte um den Lebensraum entstanden waren. Die Yoruba breiteten sich nach Westen aus und vertrieben Aja-Volksgruppen aus ihrem Land.
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genannt auch Amedz45e d. h. der Ursprung der Menschheit, oder Mawu5e, d. h. Herkunft [des ursprünglichen traditionellen] Gottes genannt (Amenumey 1986: 2).
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2. Migrations- und Kulturgeschichte der Ewe: Ein überblick
Abb. 1. Migrationskarte der Ajatado (Gayibor (1997): 156)
Die Aja-Volksgruppen zogen in Richtung Westen. Die erste genaue Route der Migranten scheint nicht einheitlich festgestellt zu werden. Die klassische Version, worüber Amenumey (1986), Baldwin (1970) und mehrere andere Autoren berichten, lautet wie folgt: Nachdem die Aja-Volksgruppen Ketu verlassen hatten, trennten sie sich unterwegs in zwei großen Gruppen. Die erste Gruppe ging in Richtung Süden und teilte sich ein weiteres Mal in zwei Teile. Eine dieser beiden Gruppen siedelte sich am Ufer des Mono-Flusses an. Sie gab ihrem Wohnort den Namen Tado. Die zweite Gruppe etablierte sich zwischen den Haho-Fluss und den Mono-Fluss. Sie nannte den Ort Notsie (Amenumey 1986: 2). Die zweite große Gruppe war inzwischen in südwestliche Richtung in die Adele-Gegend gegangen. Zu dieser Gruppe gehörten die Volksgruppen, die heute als Aŋl4, Be (an der Küste), Agu und Fon bekannt sind. Später spaltete sich auch diese Gruppe. Eine Untergruppe siedelte sich in Allada an, wo sie das Aja-Reich gründete. Das Aja-Reich bestand aus den Stämmen Allada, Whydah, Popo und Jakin (im heutigen Benin), und wurde später zum Fon-Reich von Dahomey. Die Vorfahren der Aŋl4, Be und Agu verließen die Adele-Gegend und gingen wieder nach Notse, wo sie sich ihren Verwandten Aja-Ewe anschlossen. Notse hieß später auch Glime d. h. „innerhalb der Mauer“, weil es von Mauern umgeben war. Die Aja-Ewe in Notse hatten lange unter der Herrschaft ihrer jeweiligen Könige gelebt, bis sie mit dem siebten König Ag4k4li in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts Konflikte bekamen (Gayibor 1975: 152; Amenumey 1986: 3).
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Wie es schon in Ketu gewesen war, zogen immer noch mehr Menschen nach Notse. Amenumey zufolge fand diese Migration im 15. Jahrhundert statt. Er bezieht sich auf die Gründung der Allada (Aja-Reich) um 1575 und die Gründung von Dahomey (Abomey) – Fon-Reich – gegen 1620 (Amenumey 1986: 6). Amenumey geht von der ersten Überlieferung des Ewe-Volkes aus: „The traditions do not provide any absolute chronology of the episodes and incidents recounted. However, at the turn of the twentieth century when the account were first recorded, traditions put arrival of the ewe in their new home at ten or more generations back.“ Amenumey (1986): 4.
Mehr noch: Die Etablierung der Aŋl4 an die Küste sei genau bekannt: „It is certain that one group of the Ewe, namely Aŋl4, were already established in their new home by 1677 when the first Ga fugitives from Akwamu attack passed to Anexo “ (Amenumey 1986: 6). Nach der Version Gayibors von der Migration aus Ketu waren alle AjaVolksgruppen zuerst in Richtung Tado gezogen. Im 15. Jahrhundert erlebte das Tado-Reich politische Unruhen, die mit der Frage der Nachfolgerschaft auf den Thron verbunden waren. Unter diesen Umständen zogen die Volksgruppen der Hwe, Xwla und Ayizo unter der Führung ihrer jeweiligen Häuptlinge in Richtung Süd-Osten, und gründeten das Allada-Reich. Eine weitere Gruppe zog nach Westen und ließ sich in Notse nieder. Das waren die Aja-Ewe. Diese Migration der späteren Ewe nach Notse fand während der Herrschaft des Tado-Königs AjaKpondjin statt. Seine Tyrannei habe mehrere Volksgruppen dazu gebracht, Tado auf Initiative einiger Häuptlinge zu verlassen. Gayibor beschreibt den Prozess nach Notse wie folgt : „Le groupe des migrants aurait quitté Tado sous la conduite du chasseur Afotsè ou Ndétsi, ou encore de l’ancêtre Noin ou Da, selon les versions. Les traditions de Notsé racontent en détail les péripéties de cette migration. Afotsè et les siens traversèrent la région forestière en direction de l’ouest, sur près de soixante dix kilomètres à vol d’oiseau, avant de s’arrêter à Tako, sur le site de la future ville de Notsé, après avoir franchi le Mono et Yoto.“ Gayibor (1997): 170.
Als die Aja-Ewe in Notse ankamen, trafen sie vor Ort eine Bevölkerung, die bereits dort lebte. Mit dieser Bevölkerung bauten sie die Stadt aus und errichteten eine gemeinsame politische Struktur ein. Später kam eine Reihe weiterer Migranten aus Tado und aus Dogbo, einer Stadt zwischen Agbome und Tado. Notse wurde eine blühende Stadt, in der jede Volksgruppe sich in einen Stadtviertel niederlass (Gayibor 1997: 171). Erst unter der Herrschaft des siebten Notse-Königs Ag4k4li begann eine weitere Migrationbewegung von Ewe nach dem Westen, wo sie an die Grenzen mit den Asante- und Akwamu-Völkern stieß. Die Migration aus Notse fand zwischen dem 16.–17. Jahrhundert statt. Sie hatte mehrere Gründe. Einerseits sollen sich viele Menschen aus EweVolksgruppen der umstrittenen politischen Herrschaft Ag4k4lis entzogen haben, und andererseits seien die Leute aus Notse wegen der immer weiter zunehmenden Einwohnerzahl fortgezogen. Außerdem habe der König Ag4k4li selbst einige Volksgruppen vertrieben. Manche Gruppen – wie die Ouatschi – hätten den König
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2. Migrations- und Kulturgeschichte der Ewe: Ein überblick
darum gebeten, aus Notse auswandern zu dürfen, weil sie nicht genügend Nahrung hatten (Kwami (1970): 20f.; Gayibor (1997): 191–193). Die Ewe fassten ihre Auswanderung von Notse, im Gegensatz zu der Migration der Aja-Volksgruppen aus Ketu, eher als eine Flucht auf. Sie verstanden sich als die Ewe-Diaspora von Notse (Siedlungsstadt der Aja-Ewe) und halten Notse bis heute für ihre Herkunft, wohin sie jährlich eine Pilgerreise unternehmen (Gayibor 1997: 188–198; Kwami 1970: 35).
Abb. 2. Migrationskarte der Ewe (Gayibor (1997): 192)
Ewe-Flüchtlinge flohen aus Notse bis ins Dorf Game, 25 km südlich von Notse. In Game trennten sie sich in drei Gruppen je nach ihren Verwandtschaften und Familienallianzen. Eine Gruppe ging in nördlicher Richtung in das heutige EweGebiet. Sie bildete die Bevölkerung von Krepi bzw. Peki und Umgebung (im heutigen Ghana), Kpalime, Agu und Umgebung (im heutigen Togo). Eine zweite Gruppe ging in westliche Richtung und bildete die Bevölkerung von Ho und Umgebung (im heutigen Ghana). Eine dritte Gruppe ging in Richtung Süden und siedelte sich an der Küste an. Sie war wesentlich die Dogbo-Volksgruppe, spätere Aŋl4 (im heutigen Ghana) und die Tsevie, Be, Togo (im heutigen Togo). Diese Migration war die letzte Wanderung der Ewe über lange Distanz. Nun fanden sie ihre Wohnorte, die ihre Nachkommen noch heute besiedeln. Nach dieser Flucht lebten die Ewe in Stämmen, die von einander unabhängig waren. Jeder Stamm
2. Migrations- und Kulturgeschichte der Ewe: Ein Überblick
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organisierte sich die eigene soziale, politische und religiöse Struktur. In der Mitte des 17. Jahrhunderts wurde das Gebiet überwiegend von den Ewe bevölkert. Die sprachliche Ähnlichkeit und die kulturellen Praktiken zeigten, dass die verschiedenen Volksgruppen dieselbe Herkunft hatten (Spieth 1911: 2). Neben den Ewe hatten sich andere Stämme wie die Aυatime, die Akposo, die Akpafu und die Ag4time usw. früher oder später im selben Gebiet etabliert und waren im Laufe der Zeit in engen Kontakt zu den Ewe gekommen. Die Minoritätsvolksgruppen haben bis heute zwar ihre Sprachen und lokalen charakteristischen Gewohnheiten behalten. Aber sie übernahmen allmählich Kulturelemente von den Ewe sowie die Ewe-Sprache, die zu ihrer zweiten Heimatsprache wurde. Im Laufe der Zeit knüpften einzelne Volksgruppen der Ewe neue Kontakte mit Nachbarvölkern und schlossen Allianzen mit ihnen. Diese Allianzen nutzte jeder Stamm bei Krisensituationen. Aŋl4 verbündete sich während des AsanteKriegs mit den Akwamu gegen Ho, Peki und Agu. Ferner standen die Ewe aus dem Osten des Siedlungsgebiets dem Dahomey-Volk kulturell näher, während die Ewe aus dem Westen in Kontakt mit den Akwamu und Asante traten. Die jeweiligen Kontakte bereicherten die Lebensweise und Lebensanschauungen der Ewe und ließen die Unterschiede zwischen den verschiedenen Ewe-Volksgruppen stärker hervortreten. Der Kontakt zu den jeweiligen Nachbarvölkern war dennoch nicht immer friedlich.
2.3 DIE EWE UND ASANTE Als im 19. Jahrhundert der Sklavenhandel an der Goldküste blühte, drangen Asante ins Gebiet der Ewe-Stämme ein, um Sklaven zu fangen. Der Höhepunkt war die Kriegserklärung der Asante in 1869 gegen die Ewe. Die Asante wollten die Ewe unter ihre Herrschaft bringen, um sie zu Sklaven für ihren Handel zu machen. Viele Ewe waren an die Goldküste, damals in das britische Kolonialgebiet geflüchtet, manche wurden von den Asante gefangen und zu Sklaven gemacht usw. (Lebensgeschichten von Aaron Kuku, Albert Binder, Isaak Kwadzo etc. (7,1025– 30/1). Diese Unruhen führten zur Zerstörung und zur Verstreuung von vielen Sippen und Stämmen im Nordwesten des Ewe-Landes, die die Asante überfallen hatten (Obiamim 1953). Der Krieg verwüstete einen großen Teil des Ewe-Gebiets. Die Ewe verstanden ihn als wichtigen Einschnitt in ihrer Geschichte. Die EweMitarbeiter der NMG bezogen sich darauf, wenn sie ihre Lebensgeschichten erzählten oder die Geschichte ihres Stamms darstellten. Der Krieg dauerte fünf Jahre, und war im Ewe-Land erst 1874 zu Ende (Lebensgeschichte von Isaak Kwadzo 1930). Viele Ewe zogen danach in ihre Heimatorte zurück. Sie kamen dorthin mit neuen Lebensformen, die sie bei den Nachbarvölkern wie den Akwamu, den Ga im Südwesten und den Asante im Nordwesten erlernt hatten. Der Ewe Pastor Albert Binder erzählte, dass die Ewe-Christen, die bei der Basler Mission getauft worden waren und nach dem Krieg in das Ewe-Gebiet zurückgezogen waren, der Predigt lieber in Twi, der Asante-Sprache, als in Ewe zuhörten (Lebensgeschichte
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2. Migrations- und Kulturgeschichte der Ewe: Ein überblick
von Albert Binder 1929 (7,1025–30/1). Weiterhin übernahmen die Ewe von den Asante allmählich die siebentägige Woche. Vorher hatte ihre Woche vier oder fünf Tage – von Stamm zu Stamm unterschiedlich – gezählt (Lebensgeschichte von Albert Binder 1929 (7,1025–30/1); Westermann 1954). Der Einfluss des Christentums im Ewe-Land beschleunigte durch die ersten Christen den Prozess der Übernahme der siebentägigen Woche. Neben der Übernahme der Asante-Wochentage traten weitere Asante-Namen allmählich ins soziale, politische und religiöse Leben der Ewe. Die Aŋl4-, Ho-, Agu- und Peki-Volksgruppen trugen üblicherweise Asante Personennamen, nannten ihre Gottheiten mit Asante-Namen, und bauten die politische Struktur des Königtums mit Asante-Namen. Die Berater des Ewe-Königs hießen Tsami und seine Soldaten Asafo. Diese beiden Asante-Namen wurden seit so langer Zeit verwendet, dass sich niemand mehr an die entsprechenden Ewe-Namen erinnerte, obwohl Gayibor zufolge die traditionelle politische Struktur der Gesellschaft vor der Übernahme von Asante-Namen bereits vorhanden war (Gayibor 1997: 184). So auch im religiösen Bereich: Die Ewe bezeichneten ihre Oberpriester mit dem Asante-Wort Os4fo. So wurden auch die christlichen Pastoren genannt. Hierzu führt Oloukpona-Yinnon aus: „Merkwürdigerweise bezeichnete das Wort „Os4fo“ bzw. „Obos4mfo“ in der AschantiSprache ursprünglich einen traditionellen Priester, also den Fetisch-Priester. „Obos4m“ ist nämlich das traditionelle heidnische Wort für „Gott“ bzw. „Gottheit“, und zwar ohne die negative Konnotation, die die Europäer damit verbanden – und heute noch verbinden –, denn der Name für den „bösen Gott“ – also den Teufel – lautet „abos4m“, und auch das haben die Ewe von den Aschanti übernommen. […] Als „geistlicher Führer“ hatte der „Obos4mfo“ bzw. „Os4fo“ in der Aschanti-Gesellschaft eine angesehene Position. Diesen Stellenwert nehmen die Ewe in die Übersetzung des Wortes „Pastor“ mit, wenn sie den Pastor als „Os4fo“ bezeichnen.“ Oloukpona-Yinnon (2005): 154. Vgl. Abun-Nasr (2003): 26–30; Alsheimer (2007).
2.4 DIE EWE UND DAHOMEY In Tado zählten die Ewe und die Fon – die später das Dahomey-Reich gründeten– zu den Ajatado. Seit der Migration aus Tado hatten sie sich voneinander getrennt und sich unter verschiedenen Bedingungen entwickelt. Dennoch pflegten Ewe und Dahomey religiöse und kulturelle Kontakte. Im östlichen Ewe-Gebiet, das Kontakt zu den Fon in Dahomey hatte, bestand die Woche aus fünf Tagen, deren Benennung sich auf den Handel, die Feldarbeit und Gottheiten bezogen. Außerdem war Westermann zufolge die arabischislamische Woche teilweise bei den Fon bekannt (Westermann 1954: 407). Weiterhin hielten die Ewe den Yeweh-Kult5. Diesen Kult übte man ursprünglich in Dahomey aus. Von dort verbreitete er sich in der Ewe-Gesellschaft, wo er Teil der
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auch Yewe, oder Yeυeh.
2. Migrations- und Kulturgeschichte der Ewe: Ein Überblick
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traditionellen Religionspraxen wurde. Jakob Spieth schildert die Verbreitung des Yeweh-Kults unter den Ewe wie folgt: „Die Heimat des Yewe-Dienstes ist das Dahomey-Reich, von wo er seinen Weg nach Westen zuerst in die an der Lagune liegende Stadt Aneho an der Mündung des Mono[-Flußes] genommen hat. Von dort aus eroberte er sich nicht nur die nördlichen Gebiete bis hinein nach Atakpame, sondern drang auch unaufhörlich in seiner ursprünglichen Richtung bis nach A`l4gã, dem Stammsitz der Aŋl4er, vor. Dort fand er einen so günstigen Boden, dass dieser Stamm eine Hochburg des Yewekultes und ein Stützpunkt für seine weitere Ausbreitung wurde. Erst an der äußersten Nordgrenze des Aven4-Gebietes machte er Halt.“ Spieth (1911): 172f.
Kwami (1970) bezeichnet den Yeweh-Kult als eine der ernsthaften Kulte in der Ewe-Gesellschaft wegen seiner Macht. Der Yeweh-Kult umfasste viele Gottheiten. Die wichtigen Gottheiten sind F. B. Kwami zufolge Xebieso, Agbui, Voduda und Aυleketi. Spieth geht auf die Charakteristik von jeder Gottheit in der folgenden Erläuterung auf ein: „Drei verschiedene Göttergestalten sind es, die ursprünglich den Grundcharakter des YeweDienstes bedingt haben. […] Zu Agbui gehört der Haifisch, zu Voduda eine giftige Schlange und zu So eine Steinaxt, mit welcher der Blitz Bäume und Menschen zerspaltet. Die Namen Aυleketi und Xebie sind also keine Namen von Gottheiten, sondern bezeichnen den Namen der Stammsitze dieser Kulte, sowie der dazu gehörige Kultsprache.“ Spieth (1911): 173.
Die drei Gottheiten treten in Interaktionen miteinander, die Spieth weiterhin schildert: „Das Verhältnis dieser drei Gottheiten zu einander hat sich im Laufe der Jahre so gestaltet, dass sich Vodu mit Agbui zu einer Begriffseinheit, Vodu-Agbui verschmolz. Dann wurde Agbui an So als dessen Frau verheiratet. Das eheliche Verhältnis dieser beiden Gottheiten kommt unter ihren Verehrern dadurch zum Ausdruck, dass die Verehrer der Göttin Agbui bei ihren Prozessionen den Verehrern des Gottes So vorausgehen.“ Spieth (1911): 173.
Der Yeweh-Kult wurde nicht in der Ewe-Sprache gehalten, sondern die üblichste Kultsprache war der Dialekt aus Aυleketi. Die Städte Aυleketi und Xebie gehörten zu Dahomey und ihre Sprachen waren Dialekte der Fon-Sprache. Spieth zufolge wurde der Aυleketi-Dialekt in den Yewe-Klöstern mehr als der XebieDialekt gesprochen, weil er verständlicher war (Spieth 1911: 173). Die FonSprache entpuppte sich deswegen bei den Ritualen des Yeweh-Kults als unabdingbar und prägte den traditionellen Umkreis der Ewe. Jeder Anhänger des Yeweh-Kults in der Ewe-Gesellschaft ging demzufolge mit der Fon-Sprache und mit den damit verbundenen Kulturelementen um. Mit dem Yewe-Dienst entstanden traditionelle Regeln, die zu Sitten bei den Ewe geworden sind. Diese Sitten wirkten zum Beispiel in der Kleidung, der Heilung mit bestimmten Kräutern, in Essgewohnheiten im traditionellen Gerichtswesen (Spieth 1911: 82–88) Aufgrund der verschiedenen Beziehungen der Ewe zu den jeweiligen Nachbarvölkern entwickelten sich die Lebensweisen und -anschauungen der Ewe ständig. Sie veränderten sich je nach dem mit welchem Volk sie in Kontakt kamen und unter welchen Umständen sie lebten. Die Kultur der Ewe war – auch in der Vorkolonialzeit – nach wie vor alles andere als rein und entwickelte sich im Aus-
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tausch mit dem Yoruba-Volk, mit dem Dahomey-Volk, mit dem Asante-Volk, mit anderen Minoritätsvolksgruppen im Ewe-Gebiet usw. Diesbezüglich war das Ewe-Gebiet vor dem Kontakt mit europäischen Missionaren bereits ein Raum, in dem Menschen sich in mehreren afrikanischen Kulturen bewegten. Bis zu der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war das Ewe-Gebiet ein Raum mit vielfältigen kulturellen Realitäten. Diese kulturelle Differenz betonte manchmal die Grenzen zwischen den einzelnen Ewe-Stämmen, und gleichzeitig ihre Zusammengehörigkeit. Sie blieben wegen neuer Allianzen mit anderen Volksgruppen von einander getrennt, bis das Gebiet neue Entwicklungen erlebte.
2.5 GRUNDLAGEN DER RELIGIONSFORMEN BZW. GLAUBENSFORMEN DER EWE Anthropologische und linguistische Forschungen stellen fest, dass viele westafrikanische Völker dieselbe sprachliche Wurzel haben. Jedes Volk entwickelte sich unter verschiedenen Bedingungen, die sein kulturelles Leben charakterisierten. Dennoch übten sie ähnliche religiöse Rituale aus: Hierzu Kossis Erläuterung: „L’unité culturelle de la région du Golfe du Bénin comprise entre les fleuves Weme et Amugan (Volta) est […] appartient aujourd’hui aux certitudes de la recherche historique. Mais s’il existe un domaine, où cette unité est encore plus clairement démontrée, c’est sans conteste au niveau de la conception et de la pratique religieuse. En effet il nous est donné d’observer sur toute l’étendue de l’aire culturelle Aja-Eυe un système religieux, qui, édifié sur l’idée d’une hiérarchie structurée des forces commandant aux phénomènes et destin naturels, unit le visible et l’invisible dans un rapport plus ou moins équilibré de dépendance mutuelle.“ Kossi (1990): 176.
Im Vergleich zu Christentum und Islam, die für monotheistische Religionen gehalten werden, werden die Glaubensformen in afrikanischen Gesellschaften für polytheistische gehalten, weil sie so genannte „Naturreligionen“ seien. Dammann zufolge lebten deshalb in Afrika südlich der Sahara so genannte „Naturvölker“, die Träger dieser Religionen sind. Er führt seinen eurozentrischen Vergleich aus: „Wenn dabei Naturvölker im Typengegensatz zu Kulturvölkern stehen, so könnte dies missverständlich aufgefasst werden. selbstverständlich haben Naturvölker auch eine Kultur, sofern wir darunter die Fähigkeit verstehen, das Leben der Umwelt zu meistern, ohne sie zu vergewaltigen. […] Der Naturmensch steht noch auf einer früheren Stufe der geschichtlichen Entwicklung. Er ist dem Ursprung nahe. Man könnte gut dafür das Wort „primitiv“ gebrauchen, wenn sich heute nicht durchgängig mit ihm ein Werturteil verbände.“ Dammann (1963):5.
Gegen Dammans Wahrnehmung der Glaubensform in den afrikanischen Gesellschaften treten afrikanische Religionswissenschaftler auf. Alsheimer präsentiert den Ansatz E. Bolaji Idowus, der die kulturell abwertenden Terminologien zu afrikanischen Glaubensformen wesentlich infragestellt. Alsheimer zufolge sieht Idowu sein Ziel darin, eine „Definition“ zur Struktur der afrikanischen traditionellen Religion zu liefern. Die afrikanische traditionelle Religion addiere sich aus: „Glaube an Gott …, Glaube an die göttlichen Wesen …, Glaube an die Geister …,
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Glaube an die Ahnen …, Praxis von Magie und Medizin …“ Alsheimer (2007): 219. Diesen Versuch, die afrikanischen Religionen nach „europäischer“ Struktur wahrzunehmen, hält Alsheimer für eine „gläubige Wissenschaft“, die „die“ afrikanischen Religionen rekonstruiert: „Diese Erhöhung des Gottes der afrikanischen Religionen ist wohl als Emanzipationsakt der Anhänger der afrikanischen traditionellen Religionen zu verstehen, die von den „Weltreligionen“ insbesondere vom missionierenden Christentum als „Heiden“, „Götzendiener“, „Fetischisten“, usw. bezeichnet wurden, passend zu den kolonialistischen Phantasien besonders protestantischer Kirchen und Missionen, die das Christentum zu einer „Weltreligion“ erhöhten und den „Primitiven“ auch nur eine primitive Religion zugestehen wollten.“ Alsheimer (2007): 220.
In Hinblick auf die Ewe-Gesellschaft wie bei vielen westafrikanischen Völkern zeigten die traditionellen Religionspraxen eine charakteristische Struktur. Die religiösen Praxen beachten während der Rituale Regeln, die eine Hierarchie unter den verehrten geistlichen Wesen beschreiben. Der Ewe in seinem Glauben und seiner Vorstellung erkennt einen allmächtigen Gott, dem andere kleine Götter untergeordnet sind. Diese letzteren teilten durch die Priester dem Menschen ihre Botschaften mit. Das höchste geistliche Wesen hieß Mawu d. h. Gott der Allmächtige, der „von Niemand und Nichts zu Übertreffende“ (Schlegel 1958: 262). Der Ewe wies ihm eine bestimmte Macht zu, und stellte ihn sich abstrakt vor: „La même opinion publique présente Mawu comme un être invisible, non anthropomorphisé et sans sexe défini. Il est difficile à cerner des hommes, et les réponses que l’on obtient à la question de savoir qui est Mawu, laissent clairement percevoir la confusion qui règne dans les esprits quant à l’identification concrète et imagée de sa personne.“ Kossi (1989): 179f.
Die Eigenschaften des Mawu lauteten außerdem wie folgt: „Gott ist sehr weise. Sein Wissen ist ein vollkommenes, weil sich ihm auch die Gedanken und Herzen der Menschen nicht entziehen können. […] Gott ist sehr, sehr gütig. Er gibt uns Regen, damit wir unsere Speisen und alles das bekommen, was wir zum Unterhalte unseres Lebens nötig haben. Er ist sehr geduldig und wird nie zornig. Das erkennen wir daran, dass er die Güter, die er den Menschen gegeben, nicht wieder zu sich in den Himmel genommen hat. Gütig ist er in all der Dinge willen, die er den Menschen gegeben.“ Spieth (1911): 15.
Mawu trägt je nach der Ewe-Volksgruppe unterschiedliche Beinamen wegen seiner vielfältigen Aufgaben und Persönlichkeit. Ihm wurde weiterhin ein Geschlecht zugewiesen. Spieth schildert jede Aufgabe mit den bestimmten zuständigen Beinamen, die sich mit dem Geschlecht verknüpft. Der männliche hieß Mawu Sogblē. Seine Beinamen sind: „Du bewachst Haus und Feld, du hörst nicht auf, Menschen zu geben und Menschen zu verweigern. Du ziehst dem Menschen die Kraft aus den Knochen.“ Spieth (1911): 16. Der weibliche Gott hieß Mawu Sodza. Seine Beinamen sind: „Gott du zarter Blitz.“ „Mutter [bzw. Besitzerin] der großen Gemeinde,“ „Mutter der Tiere“ usw. […].“ Spieth (1911): 16.
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Aber andere Ewe-Volksgruppen wie die Agu nannten ihren Mawu anders. Der männliche hieß Kpaya und der weibliche, Kus4ak4. Die letztere verstand sich als die Mutter aller anderen kleinen Götter und hatte den Beinamen „Kus4ak4, vin4dzivi, d. h. Kus4ak4, Kindermutter“ (Spieth 1911: 27). Die verschiedenen Benennungen des Mawu lassen sich dadurch erklären, dass die Ewe-Gesellschaft nach der Migration aus Notse, sich in Stämme verstreut hatte, und dass jeder Stamm politisch und sozial autonom wurde. Diese Autonomie und die Veränderung der lokalen Realitäten beeinflussten die Benennung der jeweiligen geistlichen Wesen. Mawu erinnerte an das erste geistliche Wesen der Aja-Ewe sowohl in Tado als in Notse, wo sie sich früher etabliert hatten. Diese Religionsform brachten die Ewe später in ihre neuen Siedlungsräume. Stämme praktizierten sie einzeln, so dass sich ihre Definition bei verschiedenen Stämmen unterschiedlich entwickelte (Gayibor 1997: 178). Seit der Missionszeit bezeichnen die Ewe-Christen und Missionare auch den christlichen Gott mit dem Namen Mawu. War dies eine Übertragung des traditionellen Mawu auf den christlichen Gott? Mawu der Allmächtige unterhält Beziehungen zu anderen kleinen geistlichen Wesen, die ihm untergeordnet waren. Sie bezeichneten sich als Erdengötter und hießen Tr-. Sie waren die Götter, die jeder Stamm, jede Stadt oder jede Familie die Möglichkeit hatte zu besitzen und zu verehren. Missionar Schlegel hielt diese geistlichen Wesen für Götzen, d. i. Untergott, den Vermittlungsgott zwischen dem Ewe und Gott (Schlegel 1958: XIII). Sie wurden mit Naturgegenständen gestaltet und verehrt. Spieth beschreibt die Tr- wo (Plural von Tr-)als die Boten Mawus, die auf seinen Auftrag auf die Erde gesandt wurden (Spieth 1911: 15f.). Mbiti nimmt diese Auffassung an, wonach die Ewe: „have spirits (tr-wo) said to have been created by God to act as intermediaries between him and mankind and to protect human beings. They are invisible with human form, living in natural phenomena and objects, being both male and female and capable of self propagation. “ Mbiti (1970): 124. Vgl. Alsheimer (2007): 221.
Das Verhältnis, in welchem Mawu zu dem Ewe stand, war so eng, dass es den Ewe in seinem alltäglichen Leben prägte:„Wenn wir Eweer krank sind, so sagen wir: „Gott möge helfen, dass der Kranke wieder gesund wird.“ Dann sagen wir „Der tr- möge helfen, dass der Kranke wieder gesund wird.“ Spieth (1911): 16. Diese gleichzeitige Handlung mit Mawu und den Tr-wo zeigte, wie der Ewe seine vielfältigen Glaubensformen durch die traditionelle Religionspraxis untermischte. Die Tr-wo spielten unterschiedliche Rollen, so dass ihnen unterschiedliche Kulte gewidmet wurden. Die Symbiose zwischen Gott und den Tr-wo führte dazu, dass die Ewe die Möglichkeit hatten, sich an mehrere Geister zu wenden je nach seinen Notfällen bzw. Bedürfnissen: bei der Trockenzeit, zur Fruchtbarkeit, zum Schutz der Menschen bei Kriegszeiten, zur Gerechtigkeit, zur Prophezeiung usw. Jedes geistliche Wese verlangte bei seinem Einsatz eigene Rituale. Neben den Tr- wo verehrten die Ewe die Geister der Ahnen, denen der Schutz der Lebendigen zustand. Die Ewe glaubten, dass:
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„the spirit of their dead ancestors, both male and female though in the other world – Tsie5e or Aυlime – were in constant and close contact with the living and were therefore, revered and often conferred with for guidance and advice.“ Ansre (1997): 11; vgl. Alsheimer (2007): 223.
Diese Religiosität wurde unter den Ewe durch den/die traditionellen Priester/in gestärkt und verbreitet. Der traditionelle Priester vertrat und vermittelte die Regeln, die die Tr-wo im Auftrag Mawus den Menschen gebracht hätten. Der Mawu-Priester bzw. die -Priesterin vollzog Rituale für die Tr-wo. Er verkörperte einen heiligen Charakter, indem er bestimmten Regeln unterstellt war, wie: „Ein Gottespriester darf kein Aas, keine Schlange, keine Ratte, kein Stachelwein, keine Wildkatze und keinen Affen essen. Er darf sich nur mit weißem und blauem Stoff kleiden. Geht er zu einem Begräbnis, so darf er diese Kleider nicht anziehen. Eine Frau darf ihm während der Zeit ihrer Menstruation nicht kochen. Bei einem Begräbnis darf er nicht von irgendjemand Speise annehmen, weil er nicht sicher ist, ob ihm nicht solches Fleisch gekocht wurde, das ihm verboten ist. In diesem Falle hätte er sich gegen den Gebrauch verfehlt. Der Genuss solcher Speisen nur ist ihm erlaubt, die mit Fleisch gekocht werden, das er kennt. Einer Frau ist es strenge untersagt, während der Zeit ihrer Menstruation in das Gehöft des MawuPreisters zu kommen. Holzteller und Töpfe dürfen in seinem Gehöfte nicht so auf die Erde gestellt werden, dass ihre Öffnung nach oben sieht. Letztere müssen stets nach unten sehen. […].“ Spieth (1911): 19f.
Den traditionellen Priestern standen unterschiedliche Regeln und Praxen zu, je nach dem Geist, den sie verehrten. Die Vielfältigkeit der Glaubensformen führte den Ewe zu einer hybriden Religionspraxis. Mit dieser Vorstellung traten Ewe in das Christentum, das nach afrikanischen traditionellen Realitäten erlebt wurde (Lebensgeschichte von Isaak Kwadzo 1930). Die Struktur der traditionellen Glaubensformen der Ewe setzte Schlegel mit der katholischen Religion gleich, indem er die letztere stillschweigend kritisierte: „Man vergleiche hiemit die dem Heiligenwesen in der katholischen Kirche zu Grunde liegende Idee, oder die vielen Geschichten des Aberglaubens, welche noch als Überreste aus der alten heidnischen Zeit unter den christlichen Völkern Europas vorhanden sind, welche das Evangelium noch nicht verdrängen konnte.“ Schlegel (1858): XIV.
Implizit sah Schlegel Ähnlichkeiten zwischen den traditionellen Religionspraxen der Ewe und dem Katholizismus, mit der die NMG auf dem Missionsfeld lange in Konkurrenz stand. Schlegels Bemerkung weist darauf hin, dass sich die evangelische Mission der NMG so im geistlichen Kampf gegen das so genannte „Heidentum“ in Afrika positionierte. Die NMG hielt sich für den besten Verkünder des Evangeliums unter den afrikanischen Nicht-Christen. 1847 trafen die ersten Missionare der NMG im Ewe-Gebiet ein. Ihr folgten weitere Missionsgesellschaften und anschließend europäische Kolonialherren, die christlich-europäische Kulturen an die westafrikanische Küste brachten.
3. WÜRTTEMBERGISCHER PIETISMUS UND PROTESTANTISCHE MISSIONEN AN DER WESTAFRIKANISCHEN KÜSTE Im 17. Jahrhundert entstanden in Deutschland protestantische Gemeinden, die sich in abgeschlossene „Brüderische Gemeine“ organisierten. Sie wurden zu Erweckungsbewegungen, die eine besondere christliche Lebenspraxis einhielten. Sie gründeten ihr Christentum auf die Frömmigkeit, d. h. in Lateinisch „Pietas“. Diese Lebenspraxis wurde als Pietismus bezeichnet und die Gemeindenmitglieder wurden Pietisten genannt (Scharfe 1980: 48). Gütl beziehend auf Mignon (1990) definiert den Begriff Pietismus als zunächst „eine aktuelle, beständig zu wiederholende Rührung und Ermunterung des einzelnen Menschen, um aus dem Zustand der religiösen Trägheit zu einem geistlichen Leben zu gelangen“. Pietismus würde später auch Synonym für den Begriff Bekehrung verwendet (Gütl 2001: 2). In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entstand eine Reihe von pietistischen Gemeinden, die neue Formen entwickelten, wie es Beyreuther schildert: „Daneben traten gut durchorganisiert die „Werke“ der Mission und der Diaspora. Die Diasporaarbeit im großen Umkreis um die einzelnen Gemeinen in Dänemark, Holland, England, der Schweiz, Amerika und Afrika, selbstverständlich auch in Deutschland, hat nicht nur das alte Glaubensfeuer hin und her mitten in der Aufklärung erhalten. Sie gewann auch für die frühe deutsche Erweckungsbewegung eine bahnbrechende Bedeutung. Ungebrochen war der Geist Herrnhuts. Zu ihm stand voll und ganz die nachrückende Generation. Es mangelte nie an Sendboten.“ Beyreuther (1978): 333.
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts erschien eine weitere Generation von Pietisten, die die Missionsarbeit in den Mittelpunkt ihres Glaubens stellten. Sie bezogen ihre Haltungen auf das Evangelium, und wollten leben wie Jesus und die Apostel. Pietisten lebten in engeren Kreisen und praktisch nach strengeren Regeln als andere Christen. Der Pietismus herrschte besonders in Württemberg und wurde von einer christlichen orthodoxen bzw. strenggläubigen Haltung beeinflusst (Beyreuther 1978: 342). Pietisten hielten mehr auf Lebenspraxis als auf theologische Kenntnisse: „dass am Anfang im Christsein nicht ein Buch, sondern der lebendige Christus steht, der durch die viva vox evangelii, durch die Predigt, durch die Schrift, durch Lied, Katechismus und Bekenntnis, innerhalb der Wirklichkeit der Gemeinde zum Glauben ruft, ihn selbst weckt und erhält. Christus ist mehr als die Schrift, die von ihm zeugt. Es geht im Christentum nicht um eine Buchreligion, sondern um den Christusglauben.“ Beyreuther (1978): 344.
Der Pietismus wies der Kirche bestimmte Aufgaben zu, nämlich die Volksmission, die Diakonie, die Heidenmission, die Männer-, Frauen- und Jugendarbeit. Der Laie fand nicht nur eine religiöse Selbständigkeit, sondern er wurde auch am Leben der Kirche bzw. „am Reiche Gottes“ beteiligt. Die Organisation der Kirche um das Presbyterium wurde später nach Westafrika exportiert, wobei der Kir-
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chenälteste zum Beispiel eine wichtige Rolle in der evangelischen Gemeinde spielte.
3.1 MERKMALE DES WÜRTTEMBERGISCHEN PIETISMUS Ziel pietistischer Frömmigkeit war es, das gesamte Leben und den Alltag zu spiritualisieren. Diese Form christlichen Lebens verlangte bei jedem Individuum, bei jeder Familie sowie bei jeder Gruppe die Heiligung, d. h. die völlige Einhaltung der christlichen Frömmigkeit (Gleixner 2005: 13; 24). Pietismus basierte auf einer Kommunikationskultur: Kommunikation untereinander und mit Gott, damit pietistische Mitglieder in der Gesellschaft zusammenhielten. Die Säule dieser Kommunikationskultur gründeten sich auf: „das innere Zwiegespräch mit Jesus und Gott, der Austausch mit anderen über den eigenen Seelenzustand und die institutionalisierte Form von Geselligkeit in Familie, Freundschaftsbünden und Konventikeln.“ Gleixner (2005): 76.
Aus ihrer Sicht unterschieden sich Pietisten von den „Weltkindern“ d. h. von allen, die der Erweckungsbewegung nicht angehörten, durch ihr Tun und ihre kulturelle Leistung. Sie hielten sich für Mitglieder eines Erneuerungskreises mit einer spezifischen Gruppenkultur. Ihre Kreise förderten ein elitäres Denken; die Pietisten waren stolz auf ihre sozialen Aktivitäten: Buchpublikationen und Verlagsaktivitäten, Briefwechsel und Besuchreisen, finanzielle Unterstützung und andere Hilfsaktion, Sozialarbeit und Schulgründungen, wirtschaftliche Unternehmungen und Missionstätigkeit (Gleixner 2005: 77). Als spezielle Kommunikationsform pflegten Pietisten eine „Besuchkultur“. Diese bestand darin, Beziehungen zu den Menschen zu pflegen und dadurch das Wort Gottes zu verkünden. Gleixner beschreibt den Aspekt eines Besuchs im pietistischen Kreis wie folgt: „Pietistische Pfarrhäuser waren Anlaufstellen für Fromme aller Schichten, man machte einen Besuch, um die pietistische Predigt zu hören und die Stunde zu besuchen oder um Glaubensund Lebensprobleme mit dem Pfarrer zu besprechen. War man miteinander bekannt, so machte man Station auf einer mehrtätigen Fußreise, um die Pfarrfamilien zu besuchen. Mitglieder von pietistischen Pfarrfamilien einer Gegend besuchten sich oft und unterhielten enge freundschaftliche Kontakte.“ Gleixner (2005): 82.
Die „Stunde“ fand wöchentlich statt und hieß, Gütl zufolge, auch die „Sammlung“. Bei der Stunde lernten die Mitglieder, wie sie das pietistische Leben führen sollten. Gütl beschreibt hierzu ihren Ablauf und ihre Zwecke: „Sie [Pietisten] teilten das religiöse Bewusstsein frommer als ihre Nachbarn zu sein, was einher ging mit dem Herzensbedürfnis, frei von persönlicher Schuld zu werden. Der Gedanke der persönlichen Erweckung forderte sie zu einem Leben auf, das sozial-religiöse Aktivitäten als Voraussetzung für die Erlösung bestimmte. Sie strebten Tugenden wie Frömmigkeit, Ehrlichkeit, Fleiß, Zuverlässigkeit, Anstand, Sauberkeit, Geduld, Sittsamkeit, Genügsamkeit, Ordnungsliebe und Pünktlichkeit an. Der Glaube an Bibel und Vaterland, die Treue zum Regenten und der Kirche zählten zu ihren wichtigsten Zielen.“ Gütl (2001): 6.
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Eine weitere Kommunikationsform der Pietisten waren die Korrespondenzen. Pietistische Briefwechsel dienten Gleixner zufolge dem Austausch und der Verbindung zwischen gleich gesinnten pietistischen Seelen. Sie waren nach Gleixner das zentrale Medium des freundschaftlichen Ausdrucks im Pietismus (Gleixner 2005:91). Die Korrespondenz zwischen den Pietisten hatte auch seelsorgerliche Funktion. Pastoren und Laien trösteten sich gegenseitig. Diese Art Kommunikation stärkte den pietistischen Kreis. Weiterhin hielten Pietisten die so genannte „Collegia Pietatis“, die in einer bestimmten Versammlung von pietistischen Mitgliedern in Gruppen bestand, in der die Bibel und die Grundlagen des Pietismus gelehrt wurden, wie Gleixner erläutert: „Es gab Konventikel mit und ohne Beteiligung von Pfarrern, reine SeelsorgerschülerVeranstaltung, gekennzeichnet durch Bildungs- und Standesunterschied, reine Lektüregruppen, aber auch Gruppen, in denen das spontane Bekenntnis gepflegt wurde.“ Gleixner (2005): 111.
Die „Collegia Pietatis“ war im Vergleich zu der Stunde die Gelegenheit für die Mitglieder, Erfahrungen im pietistischen Leben zu tauschen und sie zu vertiefen. Darüber hinaus identifizierten sich pietistische Kreise durch ihre „literarischen Genres“, so Gleixner. Das Schreiben und das Lesen wurden zu den wichtigsten Kulturtechniken, um eine Gruppenidentität zu entwickeln. Zu diesen Techniken zählte die „auto-biografische Kultur“: „In der pietistischen Biografie wird ein individuelles Leben zum Exempel vorbildlicher Frömmigkeit geformt. […] Das (auto-) biografische Bekenntnis im Pietismus hat eine eschatologische Dimension. Jeder Text beweis den Lesenden, dass die Schreibenden zu den „Arbeitern im Weinberg Gottes“ und so zu den Auserwählten gehören, die in das „Neue Jerusalem“ eingehen werden.“ Gleixner (2005): 120.
Der Pietist verpflichtete sich auch, Tagebuch zu führen. Das spirituelle Tagebuch beinhaltete individuelle Prüfung des Gnadenstandes, Bußkampf und Sündenbekenntnis, während im brieflichen Dialog die fromme Lebensbewältigung kommuniziert wurde (Gleixner 2005: 119f.). Diese pietistisch-protestantische Kultur, die in Deutschland „am festesten und dauerhaftesten in Württemberg Wurzeln geschlagen hatte“ (Wallmann 2005: 204), entfaltete sich im 19. Jahrhundert auch im Rahmen der Missionstätigkeiten in Afrika.
3.2 DIE NORDDEUTSCHE MISSIONSGESELLSCHAFT An der Wende zum 19. Jahrhundert breiteten sich die Kreise der Erweckungsbewegungen über ganz Deutschland aus. In Norddeutschland entstanden kleine fromme Kreise „auf Initiative pietistisch geprägter Pastoren“ (SchöckQuinteros/Lenz 1986: 9), die später als Missionshilfsvereine fungierten. 1819 wurde der erste fromme Kreis in Bremen gegründet. Andere folgten später. Schreiber führt aus: „So war es der Pastor Stracke aus Hatshausen, der mit seiner „Ostfriesischen Missionssozietät von Senfkorn“ den Anfang mit dem blühenden Missionsleben in Ostfriesland machte, so von
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Basel angeregt die Freunde in Bremen, die sich 1819 zum Bremer Missionsverein zusammentaten, so die Lübecker, die 1820 dem Bremer Beispiel folgten, und die Hamburger, denen ein englischer Quäker das Herz rührte, so dass auch sie 1822 sich zur gleichen Aufgabe zusammenschlossen.“ Schreiber (1936): 9f.
Bis in die 30er Jahre des 19. Jahrhunderts wurden in Norddeutschland sechzehn lokale Missionsvereine gegründet. Durch die Anfrage eines jungen norddeutschen Theologen angestoßen, der in Basel ausgebildet und als Missionar ausgesandt worden war, schlossen sich am 9. April 1836 sechs Missionsvereine aus Bremen, Lübeck und Hamburg in der Nikolaikirche in Hamburg zur „Norddeutschen Missionsgesellschaft“ zusammen. Sie bestand aus vier lutherischen und zwei reformierten Vereinen und richteten ihren ersten Sitz in Hamburg ein. Laut §1 ihrer Satzung zielte die NMG darauf:„die Ausbreitung des Christentums unter heidnischen Völkern durch Ausbildung, Ausdehnung und Unterhaltung von Missionaren und Missionsarbeiterinnen zu fördern“ Schreiber (1936): 205. Unabhängig von ihren jeweils lutherischen und reformierten Glaubensrichtungen einigten sich die sechs zu der NMG zählenden Vereine auf bestimmte Ziele mit pietistischem kulturellem Hintergrund, mit dem sie in die „Heidenwelt“ gingen. Nachdem die lutherischen Vereine aus Hamburg 1850 aus der NMG ausgetreten waren, verlegten die Reformierten den Sitz der Missionsgesellschaft nach Bremen und Georg Gottfried Treviranus wurde zum neuen Präsidenten gewählt (Schreiber 1936: 20). Die NMG würde sich bei der Ausbreitung des Reiches Gottes unter den Heiden an die Anweisung des Herrn Jesu Christi Matthäus 28, 18–20 halten, in der Überzeugung laut der Satzung, „dass die entstandene Konfessionsunterschied nicht in die Heidenwelt zu verpflanzen ist, sondern dass sich durch die Predigt des Evangeliums unter der Leitung des Herrn und seines Geistes die Kirche unter den Heiden eigentümlich gestalten wird.“ Schreiber (1936): 205.
In Basel war schon am 30. August 1780 die „Deutsche Gesellschaft edler thätiger Beförderer reiner Lehre und wahrer Gottseligkeit“ gegründet worden, die später den gekürzten Titel „Deutsche Christentumsgesellschaft“ erhielt. Sie war die erste Missionsgesellschaft im deutschsprachigen Raum und ihre Mitglieder waren hauptsächlich Laien, die der Mittelschicht (Kaufleute und Handwerker) angehörten (Gütl 2001: 19). Die Entwicklung dieser Missionsgesellschaft führte am 25. September 1815 zur Gründung der Basler Mission, deren erstes Komitee aus pietistisch geprägten Personen bestand, wie Pfarrer Nikolaus von Brunn, Kaufmann Merian-Kuder, Friedrich Lachenal, Simon Emanuel La Roche, Bürgermeister Wenk und Christian Friedrich Spittler (Schlatter 1916: 24). Die Geschichte der Basler Mission war mit dem württembergischen Pietismus stark verbunden. Viele Leiter der Basler Mission und viele rekrutierte Theologiedozenten stammten aus dem pietistisch geprägten Württemberg; ebenso „die ersten Zöglinge“ (Anwärter für den Missionarsberuf) und ihre Hilfslehrer (Ausbildner) in ihrer Missionsschule (Gütl 2001: 21). Seit 1827 waren die Basler Missionare präsent an der westafrikanischen Goldküste. Sie hatten ihre erste Missionsstation in Akropong bei Akwapim im britischen Kolonialgebiet gegründet. Nachdem die Pioniere der NMG das vorge-
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sehene Gebiet in Gabun nicht hatten finden können, kamen sie 1847 an die Goldküste, wo sie die Basler Missionare trafen. Diese letzteren rieten den norddeutschen Boten, ein noch „herrenloses“ Nachbargebiet im Osten zu explorieren. Ehe sie es schafften, starben drei von ihnen und nur Lorenz Wolf betrat Peki im EweGebiet. Ihm folgten 1852 weitere Missionare der NMG (Schreiber 1936; Alsheimer 2007). Nachdem der Kontakt mit der örtlichen Bevölkerung aufgenommen worden war, stellten sich die Aufgaben zur Durchführung des von der NMG festgelegten Ziels, nämlich die Bekehrung der Ewe zum Christentum (Schreiber 1936). Die Mittel zum Ziel waren die Erforschung ihrer Sprache, die Einrichtung des europäischen Schulwesens und die Gründung von Gemeinden (Schlunk 1912). Bei der Erfüllung dieser Aufgaben setzten die Missionare pietistisch geprägte Lehrmethoden und Lebensweisen ein, die die Afrikaner bei ihrem Prozess der Christwerdung als Haltungen erwerben sollten. Diese Haltungen wiesen pietistische Verhaltensweisen auf der Ebene der Bildung, der Kommunikation, der Körperlichkeit, des Familienlebens, der rechtlichen Vorstellungen etc. auf. Das Missionsfeld der NMG im Ewe-Land wurde zu einem Experimentierfeld der Transkulturalität. Die pietistisch christliche Kultur, die im Hintergrund des Christentums stand, entpuppte sich bei den Akteuren des transkulturellen Prozesses als der entscheidende Faktor zum Erwerb der europäisch-christlichen Religion. Demnach standen die traditionellen afrikanischen Kulturen und die christliche europäische Kultur im Mittelpunkt vieler Auseinandersetzungen zwischen Afrikanern und Europäern. Auf dem Missionsgebiet der NMG im Ewe-Land herrschten verschiedene Kulturvorstellungen, die je nach den Interessen und Perspektiven mehr oder weniger auf die Akteure der Missionsarbeit wirkten. Die Afrikaner und besonders die Ewe-Christen bewegten sich beständig in diesem Zwischenraum, der sie zu Protagonisten der Entstehung einer neuen afrikanischen Lebensweise machte. Die Missionare der NMG traten in einen transkulturellen Prozess mit Afrikanern, der bis heute auf das Leben der Christen im Ewe-Land wirkt.
4. ZWANZIG EWE-CHRISTEN ZWISCHEN DEUTSCHLAND UND WESTAFRIKA: BIOGRAFIEN Die Lebensgeschichten der in Deutschland ausgebildeten Ewe-Christen umfassen Lebensphasen, die die Personen einerseits unterschiedlich, andererseits ähnlich erscheinen lassen. Alle Lebensgeschichten schildern den Übergang von der Kindheit in die Reifezeit. In diesen Übergang fallen der Abschied von der traditionellen Religion und die Übernahme des Christentums. Jeder Ewe-Christ erlebte diesen Prozess anders, je nach dem aus welcher Familie er stammte. Manche Ewe-Christen gehörten der höheren sozialen Schicht der traditionellen Gesellschaft an, die aus der politischen und religiösen Obrigkeit bestand. Andere entstammen bäuerlichen Familien und wieder andere aus Familien, deren Vorfahren von der Mission freigekauft bzw. losgekauft worden waren oder fremder Herkunft waren. Obwohl ihr Kontakt mit dem Christentum unterschiedlich war, befestigten sie den christlichen Glauben beim Schulbesuch. Im Dienst der Mission war ihr Leben vielfältig. Denn sie sollten sich bewähren. Die Leitung betraute sie in schnellem Wechsel mit komplexen Aufgaben, die sie in verschiedenen kulturellen Milieus zu bewältigen hatten. Die Kindheit war eine entscheidende Phase für die Ewe-Christen, die die Missionare verstanden, zu Gunsten der Mission zu nutzen. Die Kindheit war bei manchen Ewe mit der traditionellen Kultur bzw. der traditionellen Religion verbunden. Sie lernten erst durch den Schulbesuch christliche und europäische Weltanschauungen kennen. Bei anderen Ewe, besonders den Freigekauften oder Nachkommen von Freigekauften bestimmte die NMG ihren Lebenslauf von Anfang an. Die Mission erzog sie in der christlichen Lebensart. Der Ewe-Schüler, der die Missionsschule besuchte, stellte die Sitten und Bräuche, die das alltägliche Leben prägten, in Frage, denn sie hinderten seine neuen Ambitionen hinsichtlich der neuen sozialen Umgebung. Die christlich-europäische Kultur galt ihnen als eine neue Herausforderung, um im sozialen Leben weiter zu kommen. Dieses Streben nach dem Christentum erforderte eine neue Anpassungsfähigkeit, die die EweChristen haben mussten, um in der Mission zu bestehen. Die Mission ihrerseits nutzte die Kindheit der Ewe-Christen, um ihr Leben christlich zu prägen. So vermied die Mission: „dass die Kinder nicht vor der Zeit, ehe sie einen festen Grund haben, die Taufe begehren, damit sie auch in der Zeit der Anfechtung einen festen Halt haben und mit den Waffen des Glaubens, nämlich mit dem Wort Gottes das Reich der Finsternis bekämpfen können.“ Johann Christian Dieterle, Akuropon, 2 Aug. 1847. In: Abun-Nasr (2003): 80.
Die Ewe besuchten die Missionsschule in den Missionsstationen ihrer Heimatorte. Die Missionsstationen waren Christendörfer neben Dörfern der einheimischen Nicht-Christen. Zwischen beiden entstanden Differenzen und kulturelle
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Grenzen. Die Schüler erwarben neue Kenntnisse, die ihnen den Zugang zu christlich-europäischen Anschauungen ermöglichte. Begabte Schüler setzten die Schule in anderen Missionsstationen im Ewe-Gebiet fort. Dies gab ihnen die Möglichkeit, Erfahrungen mit anderen Ethnien im Missionsgebiet zu machen. Die Bevölkerung im Umkreis von Missionsstationen in anderen Orten, deren Einwohner nicht immer Ewe waren, sondern auch zu anderen Stämmen mit anderen Sprachen gehörten, waren ihnen nicht immer freundlich gesinnt. Durch diese Erfahrungen wurde ihnen allmählich die Kultur der Ewe-Volksgruppen und ihrer Nachbarvölker bewusst. Der Kontakt mit Nicht-Christen ließ die jungen Ewe-Christen sich Gedanken über die traditionelle Kultur machen. Darüber hinaus reisten von der Mission ausgewählte Ewe-Christen nach Europa, um das Christentum dort zu erleben und die Europäer – Deutschen –und ihre Kultur kennen zu lernen. Die meisten der zwanzig Ewe-Christen, die in dieser Arbeit vorgestellt werden, waren zwischen 14 und 16 Jahre alt, als sie ihre Heimat verließen. Die Prägung durch die christlich-europäische Kultur wurde intensiviert und brachte die Ewe-Christen dazu, sich ständig mit der Kirchenordung auseinanderzusetzen. Aufgrund ihres Alters und ihrer geschlossenen christlichen Umgebung, passten sie an diese christlich-europäische Realität an. Der Prozess bestand eher in einer passiven Übernahme des Christentums. Sie mussten der Mission gehorchen und sich fügen. Die Mission zielte darauf, die Ewe Schüler zu vorbildlichen Christen in der Ewe-Gesellschaft zu machen. Dies war den Schülern nicht nur bewusst, sondern sie strebten auch danach, durch die Missionsarbeit ihren sozialen Stand in der heimatlichen Gesellschaft zu verbessern und zu deren Entwicklung beizutragen. Nach der Missionsausbildung kehrten sie nach Westafrika zurück. Sie waren jetzt zwischen 17 und 20 Jahre alt. Dort verpflichteten sie sich, die traditionelle Religion zu bekämpfen, und ihre Landsleute zum Christentum zu bekehren. Diese Verpflichtung bedeutete das offensichtliche Engagement, sich am Prozess des kulturellen Aushandelns im Missionsgebiet der NMG zu beteiligen. Die „Dialektik von Herr und Knecht“ (Hegel 1988; Marx, in: Berger 2004) stellt die EweChristen in den Mittelpunkt des kulturellen Spannungsfelds, in dem sich sowohl die Missionare als auch die einheimischen Ewe bewegen. Jeder suchte – von eigener Perspektive, aus dem Kulturaushandeln Gewinn zu ziehen. Während des Missionsdienstes verhielten sich die Ewe-Christen gemäß ihrer christlichen Erziehung. Sie waren im Missionsdienst fleißig, tüchtig und treu. Diese Attribute bezeichneten die kulturellen Haltungen, mit denen sie beständig umgingen. Der Fleiß bestand im strebsamen und unermüdlichen Arbeiten bzw. in ernsthafter und beharrlicher Beschäftigung mit der Missionsarbeit. Tüchtig war der Christ, der seine Missionsarbeit mit offensichtlicher Wirkung auf die Gemeindenmitglieder oder auf die Ewe-Gesellschaft leistete. Treu waren die EweChristen, die durch ihre Haltungen und Handlungen die an der christlichen Sittlichkeit festhielten und sich der Kirchenordnung unterordneten. Diese Kulturelemente und die Kirchenordnung standen weder mit der traditionellen Religion in
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Übereinstimmung, noch mit den Sitten und Bräuchen des Ewe-Missionsgebiets. So mussten die Ewe-Christen sich selbst verleugnen, wenn sie sich mit eigenen traditionellen Gewohnheiten auseinandersetzten. Kulturelle Gewohnheiten bestanden in Sitten und Bräuchen. Sitten und Bräuche waren aber keine bewusste Planung, keine Idee, kein Akt der Gesetzgebung. Sitte ist nicht nur Synonym von Gewohnheit und von Brauch, von Herkommen und Überlieferung; sondern auch von Mode, Manier, Gepflogenheit und dgl. Nach Tönnies bezieht sich diese kulturelle Gewohnheit auf eine einfache Tatsache objektiver Natur, auf eine Regel, eine Norm, die der Mensch sich selber gibt, und auf den Ausdruck für ein Wollendes oder einen Willen. Die Gewohnheit ist somit „eine psychische Disposition, die zu einem bestimmten Handeln treibt und drängt.“ (Tönnies 1909: 7–8). Kein Ewe, der im Ewe-Gebiet geboren wurde und aufgewachsen war, wich von dieser Regel ab. Denn viele religiöse und kulturelle Gewohnheiten wurden mit den Sitten verknüpft. Die Jahreszeit, die Zählung der Tage, die Geburt, der Handel, die Begrüßungsrituale, die Familienstruktur bezüglich der Ehe, des Essens, der Kleidung, der Erziehung usw. bestimmten die Sitten und Bräuche. Die traditionellen Sitten im Ewe-Land galten den Ewe als selbstverständlich und niemand traute sich, dagegen aufzutreten. In diesen Umständen gerieten die EweChristen in ein Spannungsverhältnis zu den Sitten ihrer Gesellschaft. Sie schienen am Rand der Tradition zu stehen. Die widersprüchlichen kulturellen Anschauungen brachten die Ewe-Christen in ständige Spannungen mit sich selbst, mit ihren Missionsvorstehern und mit ihren Landsleuten. Sie erlebten kulturelle Interaktionen im Missionsgebiet und bezeichneten sich selbst als Akteure der kulturellen Differenz. Homi Bhabha zufolge ist die kulturelle Differenz „ein Prozess der Signifikation, durch den Aussagen der Kultur oder über Kultur die Produktion von Kraft-, Referenz- Anwendungs- und Fähigkeitsfeldern differenzieren, diskriminieren und autorisieren.“ (Bhabha 2000:52). Nachdem die Ewe-Christen sich auf ihren schnell wechselnden Arbeitsplätzen hatten bewähren müssen, fanden sie eigene Wege zur Bewältigung der Spannung. Sie spielten sich sowohl von der strengen Missionsordnung als auch von den traditionellen Sitten frei. Sie traten in die Phase der Selbstbehauptung, die sie in Konflikte mit den Missionsherren und den Vertretern der traditionellen Kultur führte. In dieser Phase wurden manche Ewe-Christen Opfer einer der beiden konservativen Kulturen. Sie wurden entweder von den eigenen Landsleuten bekämpft oder von der NMG an den Rand der Missionsgesellschaft geschoben. Manche Ewe-Christen nutzten diese Situation und versuchten, bei ihren Landsleuten ein Gefühl der Zusammengehörigkeit des Ewe-Volkes, ein Nationalgefühl hervorzurufen. Diese Lebensphase der Ewe-Christen brachte das Traditionelle und das Moderne zusammen. Sie reflektierten ihre Haltungen in der für sie entscheidenden Zeit, wo sie nach einer selbständigen Kirche strebten und ein „nationales“ Bewusstsein unter sich teilten.
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Die zwanzig Ewe-Christen – mit Ausnahme Deku und Onipayede – werden unter anderen in Altena (2003) im Allgemeinen dargestellt. Die Reihenfolge der folgenden Biografien der Ewe-Christen wird nach Überlegungen über ihre Abstammung festgelegt. 4.1 BIOGRAFIE VON CHRISTIAN ALI%ODZI SE@O@E 4.1.1 Kindheit und Namengebung In Agbozume, einem Dorf bei der Küstenstadt Keta an der Goldküste, lebte die bäuerliche Familie Se2o2e. In dieser Familie wurde Ali5odzi6 als drittes von vier Kindern etwa im Jahre 1857 geboren. Er lebte bei seinem Vater Kwasi Se2o2e und seiner Mutter Afafa zusammen mit seinen zwei älteren Brüdern Fiati und Degi und seiner jüngeren Schwester Madzriwo. Es muss hier betont werden, dass niemand in der traditionellen EweGesellschaft einen Namen von ungefähr trug. Tatsächlich kannte Christian Ali5odzi sein genaues Geburtsdatum nicht, weil seine Eltern es nicht hatten aufschreiben können. Doch konnte er an seinem Ewe-Namen erkennen, unter welchen Umständen er geboren war. Ali5odzi heißt nur jemand, der unterwegs oder am Rand der Straße geboren ist (Westermann 1954: 456). Dieser Name bestimmte seine Identität, bis er an die Norddeutsche Missionsgesellschaft (NMG) verkauft wurde und die Missionare ihn auf den Namen Christian tauften. Im Gegensatz zu dem Namen Ali5odzi legte ein Missionar oder ein Spender den Namen Christian fest, weil er für seinen Loskauf bezahlt hatte. Für die Missionare reichte es, dass die getauften Afrikaner irgendeinen christlichen europäischen Namen erhielten. So bezeichnet Christian seine Zugehörigkeit zum Christentum, zu einer anderen kulturellen Ordnung, die sich von der Denkweise seiner traditionellen Umgebung unterschied. In seinem Leben als Christ verzichtete Christian Ali5odzi dennoch nicht auf seinen traditionellen Namen. Als sein Bruder Theodor Martin Se2o2e Bebli und er bemerkten, dass die Missionare ihre so genannten heidnischen Namen fallen lassen wollten, beantragten sie die Zuordnung ihrer Namen nach europäischen Verhältnissen. Sie wollten den Namen ihres Vaters Se2o2e als Familiennamen haben, damit man in künftigen Zeiten wisse, dass sie beide Brüder waren (Härtter. Stationskonferenz, Keta, 28. III. 1898 (7,1025–29/1). Somit konnten sie sich auch an ihrer traditionellen Kultur erkennen. Außerdem konnte ihre Namensänderung nach europäischen Verhältnissen dabei helfen, dass sie ihre eigene Persönlichkeit bewahrten und zugleich weitere Angelegenheiten im Rahmen der Ewe-Sitten re-
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Der Name Ali5odzi wird unterschiedlich abgeschrieben wegen des Ewe Lautes, dessen Buchstabe damals noch nicht festgestellt wurde. Nach dem Sinne und der Aussprache wird der Name mit den Ewe-Buchstaben wie folgt geschrieben: Ali5odzi und lautet ungefähr Alipodzi.
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geln konnten, wie zum Beispiel die Frage der Erbschaft. Aber das gefiel manchen Missionaren nicht: „[…]Ich für meine Person stehe dieser Änderung nicht im Wege, obgleich ich gewünscht hätte, dass sie mit der Abänderung gewartet hätten, bis sie eine diesbezügl. Erlaubnis vom ver. Vorstand gehabt hätten. Hätte ich es für besser gehalten, wenn sie gleich radical durchgefahren wären und ihren heidnischen Namen ganz beseitigt hätten. Also anstatt zu schreiben: Kr. Ali5odzi Se2o2e & Theodor Martin Bebli Se2o2e, Kr. Se2o2e (Ali5odzi) & Theodor Martin Se2o2e (Bebli)[…].Ich glaube darum, dass es nur dann zweckentsprechend ist, eine Namensänderung vorzunehmen; wenn die beiden Brüder anstatt ihres bisherigen heidnischen Namen als Familiennamen zu benutzen, diese gänzlich fallen lassen und den Namen ihres Vaters als Geschlechtsnamen nehmen.“ Härtter. Stationskonferenz, Keta, 28. III. 1898 (7,1025–29/1).
Trotz dem Einwand der Missionare wurden alle traditionellen Namen der beiden Brüder letztendlich behalten. Christian Se2o2e Ali5odzi gelang es also, seine Ewe-Namen neben den christlich-europäischen Namen weiterhin zu tragen, obwohl die Namen anders zugeordnet wurden. Er übernahm das Christentum und die europäische Form der Zuordnung der Nameneintragung, aber er bewahrte seinen kulturellen Ursprung. Darüber hinaus unterwarf sich Christian Ali5odzi dem traditionellen Brauch bezüglich der Namensgebung, als er für seinen jüngeren Bruder Bebli Se2o2e nach dessen Geburt den christlich europäischen Namen aussuchte. Obwohl er schon lange Christ war, musste er vorerst Opfergeld geben, ehe er dem Kind einen Namen gab: „Vater und Mutter verlangten von mir, dass ich dem Knäblein einen Namen geben solle. Es ist aber bei dem Namengeben ihre Art, dass man 2 oder 3 oder 10 Stringe7 dem Kinde schenkt, ehe man ihm den Namen giebt. Ich schenkte meinem jüngsten Bruder 10 Stringe und gab ihm den Namen Theodor.“ Monatsblatt der NMG, (1885): 59–61).
Dieses traditionelle Ritual bezüglich der Namensgebung galt als die erste traditionelle Einweihung des Kindes Bebli. Aber Christian verstand die Einweihung eher als ersten Übergangsschritt seines Bruders ins Christentum.
4.1.2 Kontakt mit dem Christentum Als Ali5odzi noch ein Kind war, lebte er mit seinem Vater nach den traditionellen Sitten und Bräuchen. Er begleitete seinen Vater ins Feld, das zwei Stunden Fußweg vom Heimatdorf weit entfernt lag. Um 1860 herrschte in dem Dorf Agbozume eine Hungersnot, die die Einwohner in eine schwierige Situation brachte. Als ein Verwandter von ihm Schulden machte und sie nicht zurückzahlen konnte, bestellte Moku, der Gläubiger aus dem Nachbarort Anyako, die Räuber, damit sie Ali5odzis Vater Kwasi als Pfand fingen. Nach Verhandlung mit dem Gläubiger Moku wurde der kleine Ali5odzi statt seines Vaters als Pfand übergeben und zum Sklaven gemacht:
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„[…] Nach dem Gesetz [der Landessitte] konnte er [der Vater Kwasi] nur frei werden, wenn er den Preis von zwei Sklaven als Lösegeld aufbrachte; da er selbst einen Sklaven befasst, so gab er den hin und versprach nach vier Monaten den Rest zu bezahlen. Ob dieses Versprechen nicht gehalten werden konnte, oder ob Moku nur einen Vorwand suchte, wissen wir nicht. Jedenfalls drohte er aufs neue, Kwasi zu fangen, und der arme Vater wusste sich nicht zu helfen, als indem er seinen Sohn, den kleinen Ali5odzi, dem Moku übergab als Pfand, bis er seine Schuld bezahlt habe.“ Monatsblatt der Norddeutschen Missionsgesellschaft, (1885): 52–54.
Es waren diese Sitten des Ewe-Landes, die den kleinen Ali5odzi in Mokus Hände lieferten, der, anstatt die Erstattung der Schuld abzuwarten, das Kind drei Jahre später den Missionaren verkaufte. Er brachte es nach Anyako, wo Missionare versklavte Kinder loskauften, um sie von Misshandlungen und Kriegsschaden zu befreien (Schöck-Quinteros; Lenz 1986: 33; Ustorf 1989: 166–171). Der kleine Ali5odzi wurde um „etwa 50 Thaler“ freigekauft und er gehörte definitiv zu der NMG: „Moku aber war schlecht genug, den Knaben von Weta, wo er ihm überliefert war, nach Anyako zu bringen, um ihn dort den Missionaren, wie wenn er sein Sklave wäre, zum Loskauf anzubieten. Es muss dies wohl nicht gleich geschehen sein, denn erst als Ali5odzi ungefähr 8 Jahre alt war, im September 1865, brachte man das Kind nach Anyako, wo ihn Missionar Rukaber loskaufte.“ Monatsblatt der Norddeutschen Missionsgesellschaft (1885): 52– 548.
Der achtjährige Ali5odzi wurde auf der Missionsstation Anyako nun christlich erzogen. Daher bekam er die Taufe auf den Namen Christian nach dem ‚beliebigen’ Wunsch eines Spenders: „Sechs Kinder sind damals im September losgekauft, unter ihnen unser Ali5odzi, der, weil er noch ein Kind, getauft wurde. Ein unbekannter Freund aus Vegesack oder mehrere hatten eine Gabe zum Loskauf eines Knaben gegeben, welcher nach ihrem Wunsche den Namen Christian erhielt.“ Monatsblatt der Norddeutschen Missionsgesellschaft (1885):52-54.
So löste sich das losgekaufte Sklavenkind Ali5odzi von seinem früheren Leben ab. Seine wahren Eltern und Verwandten, die als heidnisch betrachtet waren, galten ihm nichts mehr. Christian Ali5odzi lebte nun auf der Missionsstation und besuchte die Missionsschule von Anyako zur Zufriedenheit der Missionare, so dass seine Zukunftsperspektive innerhalb der Mission besondere Aufmerksamkeit erweckte: „Christian machte seine Sachen in der Schule zu Anyako gut, und seine Lehrer waren sowohl mit seinem Betragen, als mit seinem Lernen zufrieden. Man hoffte, er werde ins Seminar aufgenommen werden können, um dort zu einem Lehrer oder gar Katechisten ausgebildet zu werden. Ja, man dachte, ob es nicht vielleicht möglich sei, ihn nach Deutschland zu senden.“ Monatsblatt der Norddeutschen Missionsgesellschaft (1885): 54.
Im Jahre 1871 musste Missionar Johannes Conrad Binder aus Gesundheitsgründen nach Europa zurückkehren. Er kam zu dem Entschluss, den 14jährigen Schüler Christian Ali5odzi mit zu nehmen, damit er ihm und seiner Frau als Boy un8
Vgl. Ustorf 1989: 261. Ustorf zufolge sei Ali5odzi im Jahre 1862 freigekauft und 1865 getauft.
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terwegs helfen konnte, da sie zwei kleine Kinder dabei hatten. Dieser sollte entweder als „Cajütenjunge auf einem Segelschiffe“ von Liverpool zurückkehren oder, falls sich keine geeignete Schiffverbindung fände, eine Zeit lang in Europa bleiben. Sollte es in Deutschland nicht gehen, so konnte er wieder heimkehren (Monatsblatt der Norddeutschen Missionsgesellschaft 1885: 54). Christian Ali5odzi durfte die Reise nach Deutschland mit der Zustimmung des Missionsinspektors Franz Michael Zahn9 trotz manches Vorbehalts mitmachen: „[…] Dies alles war mit dem Komitee nicht besprochen, und Zahn sah keine Schwierigkeiten, solange Binder „einen dienstbaren Geist“ brauchte. Problematisch war ihm hingegen ein Europaaufenthalt des Jungen, wenn dieser nicht „körperlich gesund und geistlich begabt“ sei. Auch war sich Zahn nicht sicher, „ob man ihn hier richtig würde behandeln können.““ Ustorf (1986): 261.
Abb. 3. Chr. Ali5odzi Se2o2e mit Julie Weyhe. In Deutschland 1871–1873 (7,1025– Fotos 3557).
Die Bedenken Zahns lassen sich verstehen. Würde der afrikanische Schüler Christian Ali5odzi sich in Deutschland fremd fühlen? Wie würde er mit der dortigen Kultur und den dortigen Menschen umgehen? Christian Ali5odzi wurde nach Deutschland mitgenommen und blieb zwei Jahre bei Pfarrer Johannes Binder in Wilhelmsdorf, weil die Rückkehrgelegenheit nach Afrika fehlte. Der Pfarrer entschied sich, den jungen Ali5odzi in die Schule in Wilhelmsdorf zu schicken, besonders damit er sein Deutsch verbesserte. So besuchte der 14jährige Ali5odzi die Waisen- und Volksschule von Wilhelmsdorf zusammen mit 6–10jährigen Kindern. Außerdem unterrichtete ihn Binder selbst und schien dabei, „den Plan ge-
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Zahn war Inspektor der NMG in Bremen von 1862 bis 1900 (Ustorf 1989).
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fasst zu haben, Ali5odzi auf den Besuch eines Missionsseminars vorzubereiten“ (Ustorf 1986: 261). Während seines Schulbesuchs erhielt Christian Ali5odzi sowohl fachliche als auch biblische Kenntnisse. 1872 wurde er zusammen mit deutschen Kindern konfirmiert. Dabei bewies er nicht nur seine Leidenschaft für die Sache des christlichen Gottes, sondern auch seine sprachliche Begabung: „Um Ostern 1872 wurde er [Christian Ali5odzi] in Wilhelmsdorf von Pfarrer Layer confirmirt, schon in Afrika hatte er Unterricht erhalten. Die Gemeinde war doch erstaunt, als mitten unter den deutschen blonden Knaben der schwarzhaarige und farbige Negerknabe aufstand und in deutscher Sprache die zehn Gebote hersagte.“ Monatsblatt der Norddeutschen Missionsgesellschaft (1885): 54f.
Abb. 4. Christian A. Se2o2e in der Zeit seiner Missionsausbildung in Deutschland 1871–1873 (7,1025–Fotos 3899)
Dementsprechend machte die NMG den jungen Christian Ali5odzi zum Christen und Gehilfen. Der „Deutsch-Eweer“ Christian Ali5odzi bekannte seinen Glauben und gewann nun seinen Platz im christlichen Umkreis: „Bei seinem Abschied hatte er […] seinen Glauben in der Friedenskirche bekannt. Er war noch ein Schüler und Jüngling, und darum schickte es sich nicht, dass er eine Rede hielt, aber dieses Zeugnis des Glaubens, den er mit uns gelernt, konnte er ablegen. Und viele, die es damals gehört, haben Freude an diesem Bekenntnis des Negerjünglings gehabt.“ (Monatsblatt der Norddeutschen Missionsgesellschaft 1885: 56f.). Christian Ali5odzi bekam in Württemberg eine christliche und fachliche Ausbildung, die seinen kulturellen Hintergrund prägte. Als er in Afrika im Dienst der NMG stand, kam er in seinen Predigten ständig auf seine europäischen Erfahrungen zurück. Das Christentum war für ihn mit dem europäischen Lebensstil verbunden:
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„Bruder Innes war gerade auch in Ho mit Christian Ali5odzi. Gegen hundert Personen kamen wieder auf unseren Hügel herauf. Mit dem Tagesevangelium machte ich den Anfang. Nach mir sprach Christian Ali5odzi, erzählte von den Begegnungen des Evangeliums, wie er es in Europa gesehen habe. In Europa sind große Straßen, schöne Gotteshäuser usw.“ Merz an Inspektor. Ho,
Während seines Europa-Aufenthalts bildete sich bei Christian Ali5odzi die Überzeugung, der Gott der Christen sei der Gott der Wissenschaft, der Technik und des Fortschritts. Somit war er der Meinung, dass mit dem Gott der Christen seine traditionelle Ewe-Gesellschaft zu einer ‚modernen’ Gesellschaft gewandelt werden könnte. Deswegen war das Erleben des Christentums in Deutschland für ihn der Ausgangspunkt eines neuen Lebensabschnitts.
4.1.3 Missionsarbeit und Gesundheitszustand Als Christian Ali5odzi im August 1873 nach Afrika zurückkehrte, setzte er seine Studien im Seminar von Anyako fort bis 1876. Gleich danach trat er in den Dienst der Norddeutschen Mission. Er war an der Schule und dann am Seminar von Anyako als Lehrer angestellt. Anschließend wurde er in das Seminar von Keta versetzt. In der Durchführung seines Missionsdienstes war Lehrer Christian Ali5odzi Se2o2e wegen seines Gesundheitszustandes eingeschränkt. Er war asthmatisch und ständig lungenkrank. Diese Erkrankungen begannen schon in seiner Schulzeit. Seine Weiterbildung in Wilhelmsdorf wurde abgebrochen, weil er wegen seiner Lungenkrankheit das deutsche Wetter nicht vertrug: „In Folge eines älteren Leidens erwies er sich dann nicht stark genug um unser kälteres Klima zu ertragen. Er erkrankte an einer Lungenentzündung, von der [er] zwar genas, aber doch nicht so vollständig, dass man wagen durfte, ihn noch einen Winter in Deutschland zu lassen. So kam es, dass er im August 1873 mit Missionar Müller und Frau wieder nach Afrika zurückkehrte.“ Monatsblatt der Norddeutschen Missionsgesellschaft (1885): 56f.
Während seiner Lehrertätigkeit war Christian Ali5odzi nicht regelmäßig im Unterricht und konnte den Lehrplan nicht einhalten (Monatsblatt der Norddeutschen Missionsgesellschaft 1885: 56). Trotz seines guten Willens konnte er in der Missionsarbeit nur so helfen, wie seine Kraft es möglich machte. Er hatte hervorragende Ewe-Kenntnisse und half außer der Lehrerarbeit und der Predigt bei Übersetzungsarbeiten: „Unser Seminarlehrer Chr. Ali5odzi hat sich schon manches Jahr als unser treuester Gehilfe hier bewährt, nur schade, dass ihn sein beschwerliches Asthmaleiden zeitweilig fast arbeitsunfähig macht, so dass man ihn besonders zum Predigen nicht so sehr in Anspruch nehmen kann, wie man gerne möchte. In einigen Übersetzungsarbeiten hat er wieder mitgeholfen: Br Binetsch hat unsere Gemeindeordnung mit ihm übersetzt, und Br Bürgi10 ließ ihn zu seinem 10 Ernst Bürgi war von 1880 bis 1921 als Missionar nach West Afrika ausgesandt; durfte als Schweizer nach dem 1. Weltkrieg im Ewe-Land des französischen Gebiets bleiben. (Schreiber 1936: 216).
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Männerchor für die Mittelschule einige neue Lieder und Motetten übersetzen.“ Däuble. Keta, den 28. April 1888 (7,1025–16/2).
Wegen seines Gesundheitszustandes war die Lehrerkarriere von Christian Ali5odzi kurz. Er musste schon im Jahre 1888 von seinen Tätigkeiten befreit und zur Ruhe gesetzt werden. Aber er stand der Mission weiterhin zur Verfügung. Dreizehn Jahre später verlor er die Hoffnung auf Verbesserung seines Gesundheitszustands und suchte lieber Zuflucht im christlichen Glauben (Ali5odzi an Inspektor. Keta, den 3. Juli 1901 (7,1025–30/2). Seine ständige Erkrankung war ferner ein Anlass zur Kritik an seiner Berufsleistung. Missionar Merz, der seiner früheren Reise nach Europa nicht zugestimmt hatte, zeigte seine Schwächen in der Lehrtätigkeit an: „[…] Seine deutschen Briefe sind korrigiert. Als Lehrer für Kinder fehlt ihm jegliche Beweglichkeit, was ich letztes Jahr auch sah. Für ältere Leute wäre das weniger zu bedauern.“ Merz an Inspektor. Ho, den 2. März 1879 (7,1025–10/2). Christian Ali5odzi nutzte seinen schlechten Gesundheitszustand, um persönliche Ziele zu erreichen. Er wollte lieber in der Küstenstadt Keta leben: „Wenn Ali5odzi nach Hause schrieb, dass er mit schwerem Herzen gehe, dann hat es wohl andere Gründe. Als er in Ho war, erklärte er rundweg, dass er nicht in Ho sein möchte, in Keta sei es schön, da kommen immer Schiffe und sei so viel zu sehen. In Anyako wird er als Somier ungern sein, weil Anyako mit Some [Stamm aus Agbozume] immer Streit hat. […] Br. Jüngling schrieb mir einmal, dass sich Christian sehr gut mache, auch Freude habe. Vielleicht dass auch das zu seiner Gesundheit geholfen habe, weil er nicht mehr auf der Schulbank gebunden zu sitzen braucht.“ Merz an Inspektor. Ho, den 2. März 1879. (7,1025–10/2).
Der Wunsch von Christian Ali5odzi, nach Keta versetzt zu werden, entsprach seinem Wunsch, in Kontakt mit der europäischen Kultur zu bleiben. Keta war damals die Küstenstadt, wo sich die europäische Bevölkerung bestehend aus Kolonialbeamten, Kaufleuten und Missionaren aufhielt. So setzte Lehrer Christian Ali5odzi seine körperliche Schwäche dazu ein, um an die stärker europäisch bevölkerte Küste versetzt zu werden. 1898 wurde Christian Ali5odzi zum Gemeindeältesten in Keta benannt. Er fungierte als Berater der schwarzen Christen und stellte der Gemeinde seine Erfahrung mit dem Christentum zur Verfügung. Er erkannte das Zusammenwirken von traditionellen Gewohnheiten und christlich europäischen Lebensformen und wie dies zu Sittlichkeitskonflikten führte. Für die Polygamie innerhalb der Gemeinde machte er die Männer verantwortlich: „Das Christentum hätte schon hier [in der Gemeinde Keta] bedeutend den Sieg davon getragen, wenn Männer sich auch zu ihm stellen würden wie die Weiber. Die ausgeschlossenen Christen ziehen das Polygamieleben vor und befördern es dadurch, dass sie gern ausgeschlossen bleiben von der Gemeinde und fragen nichts nach ihren Seelenheil. Frauen sind willig mit ihren Männern zu leben als christliche Gattinnen, aber die Männer wollen nicht christliche Ehegatten werden und bereiten dadurch unserer Gemeindeordnung viel Schwierigkeiten.“ Ali5odzi an Inspektor. Keta, den 3. Juli 1901 (7,1025–30/2).
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Für Ali5odzi waren aber nicht nur die Indigenen, denen die christliche Sittlichkeit fehlte, für die Schwierigkeiten der Kirche verantwortlich. Auch manche Europäer waren an dem Verderben der Einheimischen schuldig: „[…] Einerseits ist das Verderben der Leute und Liebe zu fleischlichen Lüsten schuld und andererseits das Schnaps- und Brautwein Trinken; auch das böse Beispiel einiger europäischer Kaufleute und Beamte richtet in dieser Beziehung nichts Gutes aus.“ Ali5odzi an Inspektor. Keta, den 3. Juli 1901 (7,1025–30/2).
Wenn Christian Ali5odzi die traditionelle Ehe bekämpfte und Wert auf das christliche Familienleben legte, bezog er sich auf seine christliche Erziehung.
4.1.4 Ali5odzis Verständnis vom Familienleben Im Hinblick auf das christliche Familienleben war Christian Ali5odzi bei den Missionaren sowie bei seinen Landsleuten ein Vorbild. Er hatte schon sehr früh, als er noch ein lediger Lehrer in Anyako war, Verantwortung übernommen. Er hatte sich verpflichtet, sich um seinen jüngeren Bruder Bebli, dem er selbst den christlichen Namen Theodor gegeben hatte, zu kümmern. Hierzu seine Korrespondenz vom 29. Januar 1877: „[…] Es [das Kind Theodor Bebli] soll in die Schule gehen und lernen wie ich. Sie [meine Eltern] willigten ein und sagten, ich könne ihn schon bei mir haben, aber Kleidung, die das Kind brauche, solle ich ihm immer geben, bis ich ihn haben könne. Das Kind braucht ja auch nicht viel für seine Kleidung, deshalb will ich ihm Kleider geben, bis es gewachsen ist.“ Monatsblatt der Norddeutschen Missionsgesellschaft (1885) 59–61).
Nach dem Tod seiner Eltern nahm er seinen jüngeren Bruder Theodor Bebli zu sich. Er wurde für Bebli zu einem Bruder und Versorger im afrikanischen Sinne und zu einem Paten im christlichen Sinne. Christian Ali5odzi hatte nur eine Tochter aus seiner Ehe mit Julia de Lima. Sie wurde am 11. Februar 1881 geboren und hieß Henriette. In seinem Haus wohnten viele Kinder und Jugendliche. Er nannte sie „Hausgenossen“, darunter Kinder von Verwandten. Er holte Nichten und Neffen seiner Frau Julia zu sich, zu deren Erziehung er sich verpflichtete: „Wir sind jetzt acht Personen im Haus, früher waren wir fünf, wie sie es auf dem Ihnen geschickten Bild sehen können. Die drei Fehlenden sind Mesa, und Jonathan, Söhne Giraldos, welche samt dem Bebli in die Schule gehen. Den Jonathan werden Sie noch gut kennen, weil er mit seiner Mutter Emilie hier in Keta bei Ihnen war. Die dritte ist ein kleines Mädchen namens Amewokp4sina, ihre Mutter ist eine Sklavin von Julias Großmutter und Julia brachte sie einmal mit von Vodza, um sie später in die Schule zu schicken.“ Ali5odzi an Frau Tolch. Keta, den 10 Januar 1884 (7,1025–30/2); vgl. Monatsblatt der NMG, NF 10, 1885. S. 56.
Die Anzahl der Hausgenossen verdoppelte sich sechzehn Jahre später, so dass seine Frau und er mit dreizehn Personen bzw. Hausdienern zusammen lebten. Die meisten, die noch Mädchen und Knaben waren, gingen in die Schule (Ali5odzi an Inspektor. Keta, den 3. Juli 1901 (7,1025–19/5). Seine kleine Tochter Henriette erzog er nach der christlich europäischen Art. Sie spielte in ihrer Babyzeit schon mit seinen Büchern so dass er sich entschloss, für
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sie ein Kinderbuch in Deutschland zu bestellen, anstatt ihr Spielzeuge vor Ort zu besorgen: „Henriette wächst, kann jetzt sprechen, ist dick und lebhaft; meine Bücher in dem Büchergestell haben wenig Ruhe vor ihr. Sie geht oft zu dem Gestell, nimmt ein Buch, das sie erreichen kann und sucht sich Bilder drinnen, weil sie viele Freude an Bildern hat. Wenn ich so frei sein darf, bitte ich Sie mir gelegentlich ein Bilderbuch für Kinder für Henriette zu kaufen und mir zu schicken, damit ich ein Bilderbuch für Henriette habe. Die Kosten will ich hier gerne bezahlen.“ (Ali5odzi an Frau Tolch. Keta, den 10. Januar 1884 (7,1025–30/2); vgl. Monatsblatt der NMG, NF 10, 1885. S. 56.
Die Missionare waren mit Henriettes Haltung, Kleidung und mit ihrem „Christenthum“ zufrieden: „Das kleine Mädchen hat manche Dinge, die wir von dem Christenthum für unzertrennlich halten, werden in der Heidenwelt erst im zweiten oder dritten Geschlecht kommen. Die kleine Henriette mag schon nicht mehr, wie die Mutter es schon in ihrem Alter wohl gethan, ohne Kleidung herumlaufen. […] Schon aus der Mutter Mund lernt sie manch’ geistliches Lied. Wie wir neulich in einem Briefe lasen, geht die kleine Henriette auch schon zur Kirche, […]. Hoffentlich wird in dem Hause eine christliche Tugend, die in dem heidnischen Negerhaus ganz fehlt, sich einstellen, dass nämlich das Kind eine liebevolle aber ernste Zucht empfängt.“ Monatsblatt der Norddeutschen Missionsgesellschaft (1885): 58.
Abb. 5. Ali5odzi Se2o2e mit Frau (Julia) und Tochter (Henriette), eine „musterhafte“ christliche Familie in Keta vor 1907 (7,1025– Fotos 0356)
Henriette galt als ein Beispiel für ein gut erzogenes Mädchen. Als sie dem in Deutschland ausgebildeten Studenten und verunglückten Lehrer Benjamin Onipayede zur Heirat versprochen wurde, stimmte der Missionsvorstand zu. Alle Missionare freuten sich über diese Heirat, denn: „Es war zu hoffen, dass durch
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diese Verbindung vieles zur Aufklärung der unordentlichen Eheverhältnisse, wie sie hier vorherrschen, geschehen könnte.“ Härtter. Bericht über Onipayedes Tod. Keta, den 1. November 1898 (7,1025–30/2). Für Christian Ali5odzi Se2o2e und seine Frau Julia de Lima war diese bevorstehende Eheschließung nicht nur ein Grund für Stolz, sondern sie bewies auch, dass sie ihrer Tochter eine christlich-europäische musterhafte Erziehung gegeben hatten. Missionar Härtter schrieb: „Das Heil und Wohlergehen ihrer einzigen Tochter war ihnen so sehr angelegen, dass sie alles andere darüber vergessen. Ja, man kann, glaube ich, getrost sagen, dass bis jetzt im ganzen Evheland keine Tochter eine so vorzügliche Erziehung genossen hat, wie Henriette Ali5odzi.“ Härtter. Keta, den 1. November 1898 (7,1025–30/2).
Der Bräutigam Benjamin Onipayede starb – wie später beschrieben wird – vor der geplanten Hochzeit.
4.1.5 Christian Ali5odzis Umgang mit seinen Hausgenossen Christian Ali5odzi bezeichnete sich in der Erziehung seiner Tochter zwar als ein musterhafter Vater. Aber wie ging er eigentlich mit seinen vielen Hausgenossen um? Behandelte er sie genau so christlich, wie er seine eigene Tochter Henriette behandelte? Christian Ali5odzi hatte Julia de Lima im März 1880 geheiratet. Julias Vater war ein portugiesischer Sklavenhändler und ihre Mutter eine afrikanische Frau aus dem Küstendorf Vodza. Als sie noch eine kleine Schülerin war, lebte sie wie Christian Ali5odzi auch bei den Missionaren, die sie erzogen. Die beiden Partner waren körperlich nicht kräftig: „Diesem Ehestand hat es nicht an Wehe gefehlt. Der Ehemann hat oft mit körperlicher Schwachheit zu thun, die, wie wir nachher noch sehen werden, auch bei der Frau nicht fehlt, und die beiden Menschenkinder, wenn sie auch als Christen die rechten Heilmitteln kennen, bringen doch beide eigene Verkehrtheit und Schwachheit mit in die Gemeinschaft der Ehe hinein.“ Monatsblatt der Norddeutschen Missionsgesellschaft (1885): 57–58.
Das Eheleben der Familie Ali5odzi Se2o2e war offensichtlich mühsam. Sie hatten Schwierigkeiten, den Haushalt zu führen und die Missionsarbeit gleichzeitig zu leisten. Christian Ali5odzi wurde früh in den Ruhestand versetzt, danach aber wieder als Kirchenältester ohne Bezahlung verwendet und musste die Gemeinde Keta betreuen. Ihm war diese Pflicht vermutlich zu viel, weil er nicht gesund war. Aber da er der Norddeutschen Mission seinen Werdegang verdankte und von ihr abhängig war, widersetzte er sich dem Missionsvorstand nicht. Er äußerte nie Vorbehalte, auch nicht in Bezugnahme auf seine kränkelnde Frau. Seine Reaktion war, sich hinter das Wort Gottes zu verstecken: „Doch auch so in dem jetzigen Zustand füge ich mich in Gotteswillen und nehme es an wie er es schickt. Dieser Vers. „Zu Gott sei Deine Seele still. Und stets mit seinem Rath vergnügt; erwarte wie sein guter Wille zu Deinem Wohlergehen es fügt, Gott, der aus ihm hat auserwählt, weiß doch am besten was aus fehlt“ hat mich öfters getröstet. Als Kranker thue ich
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gern alles, was meine wenige Kraft leisten kann zur Förderung dem Werke der Mission.“ Ali5odzi an Inspektor. Keta, den 3. Juli 1901 (7,1025–19/5)
In dieser Situation blieb dem Ehepaar Ali5odzi Se2o2e nichts anderes übrig, als die Hilfe anderswo zu suchen. Deshalb hatte das Ehepaar so viele Hausgenossen. Die Hausgenossen waren für das Ehepaar Ali5odzi Se2o2e eher Hilfe als eine Last. Sie dienten im Haushalt, während Henriette bei den Diakonissen tätig war. Diese Lebensweise war gang und gäbe im ganzen Ewe-Land und bestand darin, Knaben von Verwandten oder von armen Familien zu sich zu holen und ihnen den Schulbesuch oder eine gute Erziehung zu sichern, während sie für den Hausherrn und die Hausfrau arbeiteten. Diese Art ‚Ausbeutung’ gehörte zu den traditionellen Sitten. Ali5odzi Se2o2e hatte Hausgenossen bei sich, die wie ‚Sklaven’ behandelt wurden. Er selber hatte solche Erfahrung bei dem Gläubiger Moku gemacht, der ihn als Kind als Pfand bei sich hielt. Als Christ vollzog er einen Etikettewechsel, indem er seine Hausdiener „Hausgenossen“ statt „Sklaven“ nannte. Solange er diese Kinder „Hausgenossen“ nannte, verstieß er gegen keine christliche Ordnung. Zudem war man in der Ewe-Gesellschaft umso angesehener, je mehr Hausdiener man zu Hause hatte (Ustorf 1989: 166–171). Christian Ali5odzi beschrieb selbst, wie in seiner Schwiegerfamilie die Großmutter seiner Frau Julia Ali5odzi Se2o2e eine Sklavin hatte: „[…] Die drei Fehlenden sind Mesa, und Jonathan, Söhne Giraldos, welche samt dem Bebli in die Schule gehen. […] Die dritte ist ein kleines Mädchen namens Amewokp4sina, ihre Mutter ist eine Sklavin von Julias Großmutter und Julia brachte sie einmal mit von Vodza, um sie später in die Schule zu schicken.“ Ali5odzi an Frau Tolch. Keta, den 10. Januar 1884 (7,1025–30/2); Vgl. Monatsblatt der NMG, NF 10, 1885. S. 57–58
So gelang es dem Lehrer Christian Ali5odzi Se2o2e, seine traditionelle Kultur der christlich europäischen Lebensweise anzupassen. Christian Ali5odzi Se2o2e war ein geschätzter Diener der NMG und sowohl von seinen Kollegen als auch von seinen Gemeindemitgliedern und anderen Landsleuten anerkannt. Er war der erste Ewe-Student, der in Deutschland eine Weiterbildung erhielt. Ihm widmete Pastor Andreas Aku, der erste Ewe-Präses der eigenständigen Ewe-Kirche eine Lebensgeschichte: „Lehrer Christian Ali5odzi Se2o2e, 1857 bis 1907“ (Aku 1908). Er war ein vorbildlicher Gehilfe der Norddeutschen Mission und über ihn wurde angeblich kaum geklagt. Andererseits hat er selbst auch nie über die Arbeit der Mission geklagt, denn er wusste ja, dass er der Mission seinen Status verdankte und ein Widerstand gegen sie wäre für ihn schädlich gewesen. Dafür versuchte er auch, ohne die Mission zu beleidigen, seine Kultur bzw. seine Sitten und Bräuche mit christlichen Gedanken umzudeuten. Er lebte unauffällig in mehreren kulturellen Räumen und zog seine Vorteile daraus, ohne öffentlich in Konflikte zu geraten. Er starb im Jahre 1907 und hinterließ im Gesangbuch der Ewe-Kirche drei von 481 Kirchenliedern, die er verfasst, bzw. übersetzt hat.
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4.2. BIOGRAFIE VON THEODOR MARTIN BEBLI SE@O@E 4.2.1 Kindheit und Kontakt mit dem Christentum Bebli Se2o2e stammt aus dem Dorf Agbozume in der Nähe der Küstenstadt Keta und wurde am 15. August 1876 morgens etwa um 4 Uhr dort geboren. Er war der jüngste Sohn einer Familie mit fünf Kindern, der vier Jungen (Fiati, Degi, Christian Ali5odzi und Bebli) und ein Mädchen (Madzriwo) angehörten. Sein Vater Kwasi Se2o2e und seine Mutter Afafa Se2o2e waren Bauern und Angehörige der traditionellen Religion (Monatsblatt der NMG 1885: 52–54). Dank seines älteren Bruders Christian Ali5odzi Se2o2e, der bereits im Dienst der Norddeutschen Mission in Anyako stand und als einziger der Familie gebildet war, konnte Beblis Geburtstag genau bestimmt werden. Als Christian Ali5odzi um Ende 1876 seine Familie in Agbozume besuchte, erfuhr er zu seiner großen Freude, dass seine Mutter noch ein Kind bekommen hatte. Weil seine Mutter nach der Geburt ziemlich lange krank war und sein Vater nicht mehr genug Mittel hatte, beschloss Christian, die Erziehung Beblis nach seinen Möglichkeiten zu unterstützen. So nahm er den Werdegang seines jüngeren Bruders in die Hand: Er gab ihm nicht nur einen Namen, sondern er sollte auch bald sein Fürsorger und Erzieher werden. Christian Ali5odzi schrieb in einem Brief vom 29. Januar 1877: „[…] Man sagte mir, wieviel Tage seit der Geburt verflossen waren. Ich rechnete … [nach] und fand, dass das Kind am 15. August morgens etwa um 4 Uhr geboren sei. Ich schrieb den Geburtstag in mein Notizbüchlein ein und will ihn bewahren. Nachher fragte ich, wie das Kind heiße, sie antworteten mir, es hat noch keinen Namen erhalten. Vater und Mutter verlangten von mir, dass ich dem Knäblein einen Namen gebe solle. Es ist aber bei dem Namengeben ihre Art, dass man 2 oder 3 oder 10 Stringe11 dem Kinde schenkt, ehe man ihm den Namen giebt. Ich schenkte meinem jüngsten Bruder 10 Stringe und gab ihm den Namen Theodor. Nach … [der Namensvergabe] verlangte ich von den Eltern, dass, wenn Gott es gäbe, dass das Kind leben bleibt und …[größer] ist, ich ihn bei mir im Missionshause … [haben sollte]. Es … [sollte] in die Schule gehen und lernen wie ich. Sie willigten ein und sagten, ich könne ihn schon bei mir haben, aber Kleidung, die das Kind brauche, solle ich ihm immer geben, bis ich ihn haben könne. Das Kind braucht ja auch nicht viel für seine Kleidung, deshalb will ich ihm Kleider geben, bis es gewachsen ist.“ Monatsblatt der NMG (1885): 59–61.
Nun trug der Knabe Se2o2e zwei feste Vornamen, nämlich Bebli und Theodor. Den ersten Namen hatten ihm die Eltern gegeben, und er bezog sich auf bestimmte Regeln in der Ewe-Kultur, bei denen die Umstände der Geburt einer Person eine Rolle spielen. Bebli bedeutet auf Ewe „Mit Mühe“(Westermann 1905: 12): das heißt die Mutter hat das Kind mit Mühe zur Welt gebracht, oder während der Geburt des Kindes hat es Schwierigkeiten gegeben. Für einen gebürtigen Ewe trägt dieser Name nicht nur eine Geschichte, sondern er bestimmt auch den Werdegang oder das Schicksal seines Trägers. Der zweite Name Theodor, der von Christian Ali5odzi bestimmt wurde, trug eine andere kulturelle Bedeutung, die vom christlich- europäischen Einfluss geprägt war. Christian Ali5odzi, der Na11 1 String ist 1 Mark wert.
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mengeber, verhielt sich also als Beblis älterer Bruder im afrikanischen Sinne und als zukünftiger Pate seines jüngeren Bruders im christlichen Sinne. Es ist bemerkenswert, dass der Knabe Se2o2e vor seinem Schulbesuch Bebli Theodor hieß. Aber sobald er in die Schule eingetreten war, wurde sein Name umgestellt. Er hieß nun Theodor Bebli Se2o2e, weil der christlich-europäische Name den Vorrang haben und dem Schüler Se2o2e einen neuen Charakter geben sollte. Als Theodor Bebli nach Deutschland kam, beendete er im Jahre 1893 seinen Taufunterricht und erhielt anlässlich seiner Taufe und seiner Konfirmation den zweiten christlichen Vornamen „Martin“, den ihm sein Ausbilder Pfarrer Johann Conrad Binder gab. Er hieß jetzt Theodor Martin Bebli Se2o2e. Samuel Quist berichtete über den Gottesdienst, bei dem Se2o2e getauft und konfirmiert wurde: „[…][Uns wurde] die schöne Aufgabe zu Teil, mich und Bruder Benjamin [Onipayede] von der Gemeinde zu verabschieden. Auf dies hin vollzog Herr Pfarrer [J. C. Binder] die heilige Handlung der Taufe und Konfirmation an den beiden Brüdern Theodor Martin Bebli und Elisa Kende, worauf wir den ersten und vierten Vers des Liedes: „Ich bin getauft auf deinem Namen“ dreistimmig sangen. Nun wandte sich der Pfarrer in kürzerer Ansprache zuerst an Theodor und Elisa und dann an Benjamin und mich.“ Quist an Inspektor. Kirchheim unter Teck, 11. VIII/ 93 (7, 2510 – 29/5)
Nichtsdestoweniger schien Theodor Martin Bebli Se2o2e, seinen Ewe-Namen nie zu verleugnen. Als sein Bruder Christian Ali5odzi und er bemerkten, dass die Missionare ihre traditionellen Namen nicht berücksichtigten und sie sogar beseitigen wollten, stellten sie den Antrag, dass ihre so genannten heidnischen Namen bezüglich europäischer Verhältnisse geordnet sein sollten, damit sie sich sowohl als Brüder als auch in ihrer Kultur erkannten. Sie wollten den Namen ihres Vaters Se2o2e als Familiennamen neben ihren christlich-europäischen und traditionellen Namen haben. Diese Namensordnung konnte auch dabei helfen, dass sie ihre eigenen Persönlichkeiten bewahrten und zugleich weitere Angelegenheiten in Bezugnahme auf die Ewe-Sitten lösten, wie zum Beispiel die Frage der Erbschaft. Aber das gefiel manchen Missionaren nicht (Härtter. Stationskonferenz, Keta, 28. III. 1898 (7,1025–29/1). Trotz des Einwandes der Missionare wurden alle traditionellen Namen der beiden Brüder behalten. So gelang es Theodor Martin Se2o2e Bebli, seine EweNamen neben den christlich europäischen Namen weiterhin zu tragen, obwohl die Namen anders zugeordnet wurden. Er übernahm das Christentum und die europäische Form der Namenseintragung, aber er bewahrte seinen Ursprung und seine Tradition.
4.2.2 Christliche Erziehung. Theodor Bebli war drei Jahre alt, als er seinen Vater verlor. Drei Jahre darauf starb seine Mutter. Nun hatte er nur seinen älteren Bruder Christian Ali5odzi als seinen Versorger. Als Christian Ali5odzi erfuhr, dass seine Mutter verstorben war,
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hielt er sein Versprechen, seinen Bruder zu sich zu holen, um seine Erziehung zu übernehmen. Bebli Theodor war etwa sechs Jahre alt, als er zum ersten Mal sein Heimatdorf Agbozume verließ. Er zog nun in eine andere Umgebung. Hierzu Christian Ali5odzi: „Ein halbes Jahr nach unserer Hochzeit starb meine Mutter, … [Ich] erfuhr … es erst nach 20 Tagen …. Bald darauf ging ich dorthin [Agbozume], besuchte das Grab meiner Mutter und nahm meinen jüngsten Bruder, dem ich als Kind den Namen Theodor gab, bei der Rückreise mit. Theodor wird im nächsten August 6 Jahre alt sein. Ich würde ihn gerne jetzt in die Schule schicken, wenn er alt genug wäre, ich habe aber bei mehreren unserer Schulknaben erfahren, dass es schadet, wenn man sie zu früh in die Schule schickt, denn sie benutzen die meiste Zeit des Lernens zum Spielen und Faullenzen und verlieren zuletzt allen Ernst beim Lernen. Theodor lernt jetzt das Ewe ABC zu schreiben, damit möchte ich ihn für die Schule vorbereiten!“ Monatsblatt der NMG (1885): 59–61.
Der Waise Theodor Bebli lebte jetzt auf der Missionsstation und erhielt eine christliche Erziehung, die sich von der elterlichen Erziehung unterschied. Er begleitete seine Verwandten nicht mehr aufs Feld, er nahm nicht mehr traditionellen religiösen Zeremonien teil. Im Missionshaus traf er regelmäßig weiße Missionare, Missionslehrer, Christen, die sich alle auf ein einziges Ziel geeinigt hatten: die Bibel. Er lernte, dass das ‚Heidentum’, die Religion seiner verstorbenen Eltern, eine Religion des Finsternis war. Sie führe die Menschen im Ewe-Land ins Verderben und müsse bekämpft werden. Wenn Christian Ali5odzi über die Führung seines Hauses berichtet, lässt es sich vorstellen, wie Theodor Bebli bei ihm lebte. Hierzu seine Korrespondenz mit Frau Missionarin Tolch: „[…] Wir sind jetzt acht Personen im Haus, früher waren wir fünf, wie Sie es auf dem Ihnen geschickten Bild sehen können. Die drei Fehlenden sind Mesa, und Jonathan, Söhne Giraldos, welche sammt dem Bebli in die Schule gehen. […] Die dritte ist ein kleines Mädchen namens Amewokposina […]. Henriette wächst, kann jetzt sprechen, ist dick und lebhaft; meine Bücher in dem Büchergestell haben wenig Ruhe vor ihr. Sie geht oft zu dem Gestell, nimmt ein Buch, das sie erreichen kann und sucht sich Bilder drinnen, weil sie viele Freude an Bildern hat […]. Ak4k4 ist nun getauft und erhielt den Namen Ernstine Amalie, auch wurde sie nachher confirmirt (sic). Sie kann nicht lesen, weil das Leselernen ihr schwer geht, aber sie weiß das Vaterunser, das apostolische Glaubensbekenntnis und einige Confirmationsfragen und Antworten auswendig; sie geht jeden Sonntag in die Kirche und auch in die täglichen Abendandachten. Sie ist fleißig und arbeitsam, und so lange meine Frau nicht im Hause ist, ersetzt sie ihre Stelle und macht alles, was nöthig ist.“ Monatsblatt der NMG (1885): 56.
Als Christian Ali5odzi nach Keta versetzt wurde, schrieb er Theodor Bebli in die Schule auf der dortigen Missionsstation ein. Er protegierte ihn und achtete auf seine Schullaufbahn, weil er selber Missionsschullehrer war. Der Schulbesuch schien für Theodor Bebli keine besondere Last zu sein, weil er schon früher zu Hause darauf vorbereitet war. Die Schule war für ihn eine Pflicht. Er lebte auf der Missionsstation und erhielt eine christliche Erziehung. Die Schulbildung half ihm, Gottes Wort aus der Bibel besser zu verstehen und dadurch seinen christlichen Glauben zu stärken.
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Auf der Missionsstation Keta konnte er neun Jahre lernen, bis er 1892 das Seminar absolviert hatte. 1892 wurde er zur Weiterbildung nach Westheim in Baden Württemberg geschickt. Auch dort studierte er zu der Zufriedenheit des Missionsvorstandes. Von den 20 zwischen 1884–1900 in Deutschland ausgebildeten Ewe-Studenten studierte Bebli am längsten, nämlich vier Jahre12. In Deutschland bekam Theodor Bebli außer den fachlichen Kenntnissen auch eine christlichbiblische Ausbildung. Er erlebte das Christenleben vor Ort, wo er auch getauft
Abb. 6. Theodor M. Bebli Se2o2e während seiner Missionsweiterbildung in Deutschland 1892–1896 (7,1025– Fotos 3615)
und konfirmiert wurde. Er absolvierte seine Ausbildung und christliche Erziehung in Westheim mit Erfolg13: 1896 kehrte Theodor Bebli in das Ewe-Land zurück und musste wie auch die anderen in Deutschland Ausgebildeten eine Verpflichtung unterschreiben: „[…]Ich Endessunterzeichneter erkläre hiermit, dass ich, falls ich durch den Vorstand der NMG, aus dem Missionsdienst entlassen werde oder denselben ohne den Willen des Vorstandes verlasse, bereit bin und mich hiermit verpflichte, die auf meine Ausbildung in Deutschland verwendete Summe von drei tausend sieben hundert (3700) Mark der Norddeutschen Missionsgesellschaft zurückzubezahlen.“ Bebli. Bremen, den 3. August 1896. (7,1025–29/5).
Diese Verpflichtung war eine präventive Maßnahme des Missionsvorstandes und zielte darauf, die Anwandlung der gebildeten Afrikaner zum Widerstand oder zur Selbständigkeit zu unterbinden (Ustorf 1989: 282f.). Theodor Martin Bebli nahm die Missionsarbeit auf, weil er und sein Bruder von der Mission abhängig waren. Er wurde als Hilfslehrer an das Ausbildungsseminar der Missionsgehilfen an der 12 So lange benötigten nur drei weitere Kameraden: Benyamin Onipayede und Samuel Quist (1890-1894); Isaak Kwadzo (1891-1895). Theodor Bebli selbst studierte von 1892-1896. 13 „In der Zeit vom 9. August 1895 bis zum 1. April 1896 hat sich Theodor Martin Bebli nächstehende Zeugnisse erworben: 1. In Sitten und Verhalten: gut; 2. In Fleiß und Pünktlichkeit: gut; 3. In pädag. Kenntnissen: gut; 4. In Lehrgeschick: gut; 5. In Lehrfähigkeit: gut“ (Heilbronn / Karr. Fürfeld, den 1. April 1896 (7,1025-29/5).
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Missionsstation Amedz45e geschickt. Das Seminar war die afrikanische Ausbildungsstelle für eingeborene Gehilfen oder Mitarbeiter der Mission. Dort wurden Schüler ausgebildet, die später als Lehrgehilfen auf den Missionsstationen angestellt werden sollten. Die Ausbildung bestand in der Vermittlung fachlicher und biblischer Kenntnisse, etwa wie in der Deutsch-Ewe Schule in Westheim. In Amedz45e unterrichtete er mit seinen Kollegen Andreas Aku und Samuel Quist, die auch früher in Deutschland gewesen waren. Später wurde er als Katechist eingesegnet und anschließend mit der Leitung der Außenstation Kpandu betraut (Altena 2003: CD-Rom. 413). Er arbeitete in Amedz45e bis ins Jahr 1911, in welchem er am 26. November zum Pastor (Os4fo) ordiniert wurde (Die Pastoren der Ewekirche in Togo (7,1025–30/2). Kurz danach durfte Pastor Theodor Bebli den Handwerkermissionar Wellbrock in Atakpame ersetzen, der nach Lome übersiedelte (Altena 2003: CD-Rom. 422). Er wurde der Leiter der Missionsstation Atakpame und deren Außenstationen.
4.2.3 Die Stellung von Theodor Bebli in dem Umkreis der Mission Theodor Bebli war Lehrer in Katechismus, Bibelstunde, Weltgeschichte, Rechnen, Aufsatz, in den Sprachen Englisch und Ewe sowie Deutsch jeweilig in den drei Klassenstufen (Bebli an Inspektor. Amedz45e, den 23. Februar 1897 (7,1025–6/4). Darüber hinaus beschäftigte er sich mit einem Fach, das er besonders aus der deutschen Tradition übernahm, nämlich das Turnen: „Schon im letzten Jahr haben die Schüler es gewünscht, zu turnen. Ich wollte anfangs es nicht tun, weil das Jahr schon zu Ende war und man daher nichts Ordentliches mehr erreichen konnte. Aber sie, bes. die Seminaristen haben mich nicht in Ruhe gelassen. Es ist noch so weit gekommen, dass wir in dem letzten Monat des Jahres geturnt haben.“ (Bebli an Inspektor. Amedz45e, den 23. Februar 1897 (7,1025–6/4).
Mit dem Fach Turnen griff Lehrer Theodor Bebli vermutlich auf in Deutschland gemachte Erfahrungen zurück. Turnen war ein deutsches Kulturelement, das zur körperlichen Erzüchtigung diente. Es verkörperte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine politische, konservative Einstellung. Es fördert die deutsche Disziplin und prägt den deutschen Nationalismus (Brockhaus 1999: 463f.). Turnen war für die Deutschen das, was die Sportdisziplin Rugby den Briten galt. In dieser Hinsicht vermittelte Lehrer Theodor Bebli seinen Schülern im Ewe-Land auch einen Aspekt des „deutschen Wesens“. Außerdem erfüllte Lehrer Theodor Bebli seine Hauptpflicht als Prediger. Er merkte die Schwierigkeiten, die mit seinem Dienst verbunden waren. Er beschrieb in einer Korrespondenz mit dem Inspektor in Bremen über seinen Beruf: „[…] mein Beruf besteht nicht aus großen Dingen, sondern aus lauter kleinen Unscheinbaren. Ich kann und möchte Sie auch nicht anführen. Nur eines habe ich in dieser Zeit gelernt, nämlich man braucht viel Fleiß, Pünktlichkeit, Treue, zur Sache und Glauben an seinen Herrn, um allen diesen kleinen Pflichten genüge zu leisten. Man vergleicht die Missionsarbeit gerne mit Ackerbaubetrieb, wo viel gepflügt, gesät und geeggt wird. Wenn ich mit diesem Bilde reden darf, so bin ich nur ein Lehrling, der noch nicht lange in der Lehre der Praxis steht und der
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zuerst lernen muss, wie man die einzelnen ökonomischen Werkzeuge mit den richtigen Namen nennt, was ihre einzelnen Teile sind und wozu man sie gebraucht.“ Bebli an Inspektor. Amedz45e, den 27. Oktober 1897. (7,1025–6/4).
So schilderte Lehrer Theodor Bebli mit einer christlich-pietistischen Demut seine zwei Jahre Berufserfahrung, nach der er weiterhin seine Lehrpädagogik bestimmte. Er blickte auf die Vergangenheit zurück und fand, dass seine Mühe nicht umsonst gewesen war, obwohl er gestand, dass er noch nicht das erreiche, was er erwartet hatte. Aber er freute sich wenigstens über seine Schüler, die trotz aller Schwierigkeiten mit der Arbeit durchkamen. Er präsentierte hier sein pädagogisches Verfahren: „[…] ich habe anfangs großen Anstoß davon genommen, dass Schüler von der I. Kl. der Mittelschule, die mindestens 7 Schuljahre hinter sich haben, keinen ordentlichen Aufsatz über Pferd machen können. Ich habe ihnen ja so leicht möglich gemacht; ich habe ihnen das Tier in Natura gezeigt, und besprochen, ihnen alles in Fragen gegeben und den Aufsatz noch 2mal mündlich vorgesagt. Aber viele haben es doch nicht fertig gebracht. Es war alles durcheinander; so ist es auch mit den nächsten gegangen. Die Schuld habe auch immer ihrem Leichtsinn zugeschrieben. Erst nach 3 Monaten musste ich klar einsehen, dass sie überhaupt nicht gelehrt sind, irgendeinen Gegenstand zu beschreiben und eine Arbeit nach einer gewissen Ordnung zu fertigen. Als ich dies gemerkt habe, gab ich alles auf und nahm […] Dispositionen mit ihnen durch. Letzthin habe ich wieder einen Aufsatz ausarbeiten lassen. Wie ich aus ihrem Arbeiten gemerkt habe, haben alle klarer und zusammenhängender die Sache darstellen können.“ Bebli an Inspektor. Amedz45e, den 27. Oktober 1897 (7,1025–6/4).
Mit der beschriebenen Pädagogik unterrichtete nun Lehrer Theodor Bebli seine Seminarstudenten. Seine deutschen Vorgesetzten schätzten ihn sehr, wie Missionar Hermann Schosser feststellte: „Teodor (sic) Se2o2e, Lehrer an der hiesigen Mittelschule, […] hat auch in vergangenen Jahren wieder zu unserer Zufriedenheit gearbeitet. Es ist, wie in den früheren Zeugnissen hervorgehoben worden ist, ein tüchtiger Lehrer, der durch die Anschaulichkeit und Lebhaftigkeit seines Unterrichtes die Aufmerksamkeit der Schüler zu merken weiß.“ Schosser. Amedz45e, den 9. Januar 1901 (7,1025–5/3).
Lehrer Theodor Bebli durfte in Hauptfächern unterrichten. Nach dem Stundenplan von 1906 im Seminar in Amedz45e übernahm er Fächer wie: Katechismus, Lebensbilder, Rechnen (in Deutsch) für die III. Klasse; Rechnen (in Ewe), Deutsch [für Anf.], Zeichnen, Ewe Aufsatz für die II. Klasse und Probelektion für die I. Klasse (Seminarsstundenplan (7,1025–29/1)
4.2.4 Theodor Martin Se2o2e Bebli vs. die Ewe-Kultur Als Lehrer und Prediger definierte Theodor Bebli eindeutig seine Ziele: Die Aufklärung der Landsleute, der Kampf gegen die Religion der Einheimischen, bzw. das so genannte Heidentum, das die Sitten seines Volkes verdarb, und die Erlösung des Ewe-Volkes von der Finsternis. Auf einer Reise durch das Ewe-Land machte er sich die Art und Weise klar, wie seine Landsleute ihre Religion erlebten und er merkte den Abstand zwischen ihrer Lebensweise und seiner christlichen
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Weltanschauung. Er bedauerte ihre religiösen Praktiken, die seines Erachtens die kulturelle Vielfalt des Ewe-Landes, seiner Heimat, wieder in Frage stellten: „Am meisten aber fällt der Unterschied der Stämme auf. Hochinteressant ist es, an einem Tag, durch verschiedene Stämme zu reisen. Die Verschiedenheit ihrer Städtenanlagen, Baukünste, Dialekte, Sitten und Gebräuche und noch viel anderes zieht die Aufmerksamkeit des Wanderers auf sich. Nur in dem einen Punkt sind alle gleich, dass sie noch einer großen Bildung bedürfen, um ihr äußerliches Leben ordentlich zu führen.“ Bebli an Inspektor. Amedz45e, den 6. September 1899 (7,1025–6/4).
Diese Bemerkung von Theodor Bebli über mehrere Stämme im Ewe-Lande und die Tatsache, dass er sich einigermaßen mit ihnen identifizierte, zeigte, dass er das Gefühl einer gemeinsamen Volkszugehörigkeit hatte. Er versuchte viele Stämme mit einem Lande zu identifizieren. Theodor Bebli gehörte zum Stamm Agbozume, aber er fühlte sich nicht so sehr als gebürtiger Agbozume, sondern mehr als ein Ewe. Er bemerkte viele kulturelle Gemeinsamkeiten in den verschiedenen Orten, die er besuchte. Er erkannte eine räumliche Zugehörigkeit der Ewe-Leute zu der Ewe-Sprache. Er konstruierte in seiner Beobachtung eine Heimat für alle Menschen, die die Ewe-Sprache sprachen. Diese Konstruktion inspirierte ihn schon während seines Studiums in Deutschland, wobei er die europäische Geschichte des 19. Jahrhunderts lernte und er selbst sich als Fremder unter den Deutschen fühlte. Er entdeckte das Ewe-Land als seine Heimat in der Fremde (Waldenfels 1990: 109). Er bezog den Begriff Heimat auf den Ort, in den der Mensch hineingeboren wird, wo er die frühen Sozialisationserlebnisse hat, die weithin Identität, Charakter, Mentalität, Einstellungen und schließlich auch Weltauffassung prägen. So konnte er den Begriff Volk benutzen, um das Gesamte der Stämme (und ihre Bevölkerungen) zu bezeichnen. Diesem Volk aus den Ewe-Stämmen wollte er das Christentum verkündigen, um aus dem Ewe-Land ein christliches Land zu machen. Hinsichtlich seiner Vorstellung von seinem Ewe-Land nahm Lehrer Theodor Bebli seit Ende seiner Ausbildung in Deutschland eine klare Stellung gegen seine traditionelle Kultur. Er positionierte sich als Mitarbeiter der Norddeutschen Mission und Vertreter ihrer Botschaft, nämlich die Verkündigung Christi. Dazu stellte er die eigene Kultur in Frage. Aus christlicher Perspektive schilderte er ‚unsichere’ Gemeindenmitglieder auf Missionsstationen. Er bemerkte ihre kulturelle Stabilität und erkannte ihre Widerstandskraft gegen das Christentum: „[…] Das Heidentum hat das Volk ganz und gar durchdrungen und ist ihm in Fleisch und Blut übergangen. Seine Weltanschauung, Denkungsart, Gefühle, Ausdrucksart, Sitten und Gebräuche und sein ganzes Leben sind weit entfernt von dem des Evangeliums, nicht nur eine äußere und leichtfertige Annahme des Wortes Gottes ist erforderlich, es davon zu befreien, sondern eine völlige Neugeburt. Das ganze Volk muss neu geboren werden. Der Sauerteig des Evangeliums muss es durchdringen. Das alte Kleid soll nicht nur geflickt werden, sondern ganz abgelegt und ein neues angezogen. Dazu ist allerdings eine längere Zeit nötig, wohl Jahrhunderte.“ Bebli. Aufsatz. (7,1025–31/5).
Durch „völlige Neugeburt“ und „Sauerteig“, die sich ganz auf die Botschaft der Bibel beziehen, erklärte Prediger Theodor Bebli einen heiligen Krieg gegen sein
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Volk. Ihm zufolge waren die Christen seiner Gemeinde noch nicht ganz vom Christentum geprägt, denn ihr Charakter war immer noch von traditionellen Anschauungen beeinflusst: „Unsere jetzigen Christen gleichen mehr oder weniger einem Menschen von gemischtem Charakter; sie haben wohl die wichtigsten Lehren des Evangeliums angenommen, können sich aber auch nicht voll und ganz von den heidnischen Anschauungen, Gefühlen, Sitten und Gebräuchen losmachen.“ Bebli. Aufsatz. (7,1025-31/5).
Man glaubt an den ‚christlichen’ großen Gott, er sei aber unsichtbar und neben ihm gebe es sichtbare Götzen in der Natur, mit denen der Kontakt immer noch bestehe. Somit seien die Gemeindeglieder noch nicht fest in dem christlichen Glauben, dass der einige Gott der Alleinherrschende sei. Theodor Bebli erklärte dies mit dem folgenden Beispiel: „Als ich einmal im Taufunterricht behauptete, dass es keine Götzen gäbe, sah mich ein ergrauter Mann erstaunt an und antwortete: „Gewiss gibt es Götzen, aber der Gott der Christen ist mächtiger als sie alle.“ Ebenso wird am Dasein von Zauber und Zauberkraft, Hexen und allerlei bösen Geistern fest gehangen, was alles den christlichen Glauben sehr einschränkt und die Furcht und den Aberglauben weiter bestehen lässt. Die besten trösten sich mit den Worten: „Gott ist mächtiger und bin Gottes, deswegen können sie mir nicht schaden.“ Bebli. Aufsatz. (7,1025–31/5).
Eine solche Haltung hielt Theodor Bebli für unchristlich, weil sie auf der „Naturreligion“ und dem „Aberglauben“ basierte. In der Tat beurteilte er diese Haltung im Bezug auf seine Kenntnisse, die er in Deutschland erworben hatte. Er hatte gelernt, dass der Aberglaube von den christlichen Glaubenslehren abwich. Diese Glaubensform beruhte nach christlicher Vorstellung bei den „heidnischen“ Völkern auf einem stark wechselnden Glauben an die Wirkung magischer, naturgesetzlich unerklärter Kräfte und damit verbundenen illusionären Praktiken wie zum Beispiel Wahrsagen, Orakel, Beschwören, Zauberbräuche. Er versuchte also, den aus Europa stammenden Begriff „Aberglauben“ zu benutzen, um religiöse Phänomene zu diffamieren. Er definierte diesen „falschen“ Glauben seiner Landsleute: „Mit dem Aberglauben hängt eng zusammen das Erkennen des Willens Gottes. Der Heide glaubt, Gott gebe seinen Willen kund durch seine Geschöpfe. Er merkt deswegen auch jede Kleinigkeit in der Natur und im Menschenleben und gibt allem eine Deutung: Träume, Geschrei der Vögel, Zustand und Benehmen der Tiere, […] usw., alles wird sorgfältig beobachtet und gedeutet. Dieses Gefühl der Beobachtung geht unwillkürlich den Christen nach, wodurch ihr Glaube und Gottvertrauen manchmal recht erschüttert werden.“ Bebli. Aufsatz. (7,1025–31/5).
Mit konkreten Beispielen versuchte Theodor Bebli diesen „gemischten Charakter“ seiner Landsleute innerhalb der christlichen Gemeinde zu schildern: „Ein Christ wollte eines Tages einen Besuch machen in einem Nachbardorf. Unterwegs stieß er einen Fuß an einen Stein an und kehrte um. Als er gefragt wurde, warum so bald zurückgekehrt sei, antwortete er, der Anstoß des Fußes habe ihm nicht gut gedeutet, deswegen sei er zurückgekehrt. In einer Gemeinde rief der Kirchenälteste alle Glieder zusammen und ließ sich ihre Träume erzählen. Dann ermahnte er sie, vorsichtig zu sein, weil die Träume bedeuten,
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dass einer von ihnen bald sterben werde. Ohne Grund anzugeben, zog sich eine Taufbewerberin, welche zwei Jahre lang den Unterricht besuchte, ganz zurück und war nicht zu bewegen, wieder zu kommen. Durch andere erfuhr ich später dann, dass die drei Ohnmachtanfälle, die sie zweimal in der Kirche und einmal auf dem Feldwege überfielen, ihr dahin gedeutet wurden, dass der Geist ihres verstorbenen Mannes sie verfolge und wenn sie das Christwerden nicht aufgebe, werde sie sterben. Gewisse Tiere, denen wir begegnen oder die tot gefunden werden, bedeuten Glück oder Unglück und darauf hat der Betreffende sich in diesen Tagen zu verhalten. Es ist sehr schwer im Einzelnen festzustellen, wieweit die Christen sich noch nach diesem Glauben richten, aber dass sie deren nicht los sind, ist ebenso gewiss.“ Bebli. Aufsatz. (7,1025–31/5)
Aber es sind auch Texte aus dem alten Testament mit solchen Glaubensrichtungen verknüpft. Ist der Traum von Josef, dem Sohn des Patriarchen Jakob nicht Wirklichkeit geworden? Hat Josef selber dem ägyptischen König seine Träume nicht gedeutet? Prediger Theodor Bebli hatte folgende Bibelstelle auslegen sollen: „Dazu hatte Joseph einmal einen Traum und sagte seinen Brüdern davon; da wurden sie ihm noch feinder. Denn er sprach zu ihnen: Höret doch, was mir geträumt hat: Mich deuchte, wir banden Garben auf dem Felde, und meine Garbe richtete sich auf und stand, und eure Garben umher neigten sich vor meiner Garbe. Da sprachen seine Brüder zu ihm: Solltest du unser König werden und über uns herrschen? und wurden ihm noch feinder um seines Traumes und seiner Rede willen. Und er hatte noch einen andern Traum, den erzählte er seinen Brüdern und sprach: Siehe, ich habe noch einen Traum gehabt: Mich deuchte, die Sonne und der Mond und elf Sterne neigten sich vor mir. Und da das seinem Vater und seinen Brüdern gesagt ward, strafte ihn sein Vater und sprach zu ihm: Was ist das für ein Traum, der dir geträumt hat? Soll ich und deine Mutter und deine Brüder kommen und vor dir niederfallen?“ Luther Bibel 1912: 1Mose 37: 5–10.
Die neuen Christen wollten ihre Traumdeutungen nicht aufgeben, weil der Traum in der einheimischen Kultur eine bedeutende Stellung hatte. Die Frau, die zweimal in der Kirche Ohnmachtsanfälle überfielen, ohne dass ihr Pastor wusste, wie er ihr zur Hilfe kommen sollte, verknüpfte ihr traditionelles Wissen mit ihrem persönlichen Erleben.
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Abb. 7. Pastor T. M. Bebli Se2o2e in seinem Pastorengewand (7,1025–Fotos 1920)
Theodor Bebli beobachtete weiterhin bei seinen Gemeindenmitgliedern, wie sie sich am Sonntag verhielten. Er stellte fest, dass sie zwar den heiligen Sonntag beachteten. Aber im Hintergrund steckten Anschauungen, die mit dem ‚heidnischen’ Donnerstag nach der traditionellen Religion verbunden waren. Die ‚heidnischen’ Ruhetage wurden wie folgt beschrieben: „Einen Ruhetag haben die Heiden auch hier. Dieser ist der Donnerstag. Er ist zugleich ein Götzentag. Darum färben sie an diesem Tage ihre Gesichter mit weißer und roter Erde. Aber die Ruhe gilt nicht den Menschen, sondern dem Ackerboden. Der Boden will sich ausruhen und kann es nicht leiden, dass er ausgewühlt oder mit einer Hacke oder einem sonstigen Werkzeuge bearbeitet wird. Die Menschen dagegen dürfen alle anderen Arbeiten verrichten; daher verbringen viele den Tag im Walde, wo sie jagen oder sonst etwas tun. Also hat der Heide keine erste Vorstellung von einem heiligen Tag und einer friedvollen Ruhe. Er geht am Götzentag auch in seinen alten schmutzigen Kleidern herum und läuft den irdischen Dingen nach, […]. Ausnahmen macht er nur an den Festtagen. Aber auch hier ist das Ziel das Irdische und Zeitliche.“ Theodor Bebli. Amedz45e, den 30. Juni 1910 (7,1025–31/5).
Theodor Bebli fragte sich weiterhin, wie es mit dem inneren Gehalt, dem verheißenen Segen und den Erfordernissen des Sonntages stehe: „Schon das äußere gänzliche Ausruhen von jeglicher Arbeit hält manchmal schwer. Es gibt mancherlei, was nicht als Arbeit angesehen oder zu Notwendigkeiten gerechnet wird, was aber ein Christ verwerfen muss. […] Neue Christen müssen sich immer daran gewöhnen, am Samstag soviel heimzubringen, dass es auch für den Sonntag reicht. Es kommt zuweilen vor, dass einer sich verrechnet oder es ganz vergisst; dann ist er gezwungen, am Sonntagmorgen Nahrung vom Felde zu holen. […] Durch diese Arbeit werden sie abgehalten, ihre Seelen zu sammeln und auf den Gottesdienst vorzubereiten. […] Die Männer verlieren oft die erhaltenen Segen wieder durch das Laufen am Nachmittag nach dem Palmwein. Dadurch machen sie den Sonntag den anderen Tagen wieder gleich. Das Anlegen der schmutzigen Arbeitsklei-
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der lässt vielleicht schließen auf den inneren Stand; sie erkennen die Heiligkeit des Tages nicht an.“ Theodor Bebli. Amedz45e, den 30. Juni 1910 (7,1025–31/5).
Theodor Bebli beurteilte seine Landsleute gemäß der pietistischen Gemeindeordnung. Der Christ müsse am Sonntag auf eine saubere und korrekte Kleidung achten, um seinen Gott zu verehren, dem er den heiligen Tag widmete. (Gemeindeordnung (7,1025–43/2). Ferner wurde die Einnahme von alkoholischen Getränken nicht geduldet. Dieses Bild der Einheimischen, die sich Mühe gaben, den christlichen Sonntag nach ihrer Art zu beachten, drückte mehr ihr soziales Leben aus als ihre religiöse Einstellung. Theodor Bebli wusste, dass seine Landsleute überwiegend von der Landwirtschaft lebten. Bäuerliches Verhalten hat bestimmte Essund Bekleidungsgewohnheiten. In der traditionellen Gesellschaft half der Palmwein den Bauern, die anstrengende Feldarbeit auszuhalten. Üblich wurden Männersitzungen mit dem Palmwein oder mit dem traditionellen Likör gefeiert, die das Gemeinschaftsleben verstärkte. So war das Trinken von Palmwein bzw. vom Alkohol eine Gewohnheit der Männer im Ewe-Land. Lehrer Theodor Bebli wusste wohl, obschon er kein Bauer war, wie gut Palmwein den Ewe-Bauern tat und wie sehr er ihre soziale Gemeinschaft band. Weiterhin wusste er, dass seine eigenen europäischen Missionsvorsteher auch Wein und Bier sehr gerne tranken. Missionar Jakob Spieth, einer seiner geistlichen Vorbilder hatte auch oft Alkohol (Bier, Wein, Champagner usw.) bestellt (Ustorf 1989: 217f)14, ohne dass jemand im Umkreis der Mission dagegen auftrat. Eigentlich wollte Theodor Martin Bebli nur das erzählen, was seine Vorsteher, die Missionare, gerne hörten. Mit demselben Entgegenkommen gegen die Missionare versuchte er, die kulturellen Praktiken seiner Landsleute zu diffamieren. Indigene Trommeln, Tanzen und Gesänge bei Bestattungen prangerte er an: „Dass ein Todesfall als das wichtigste Ereignis gilt, hängt wohl mit der Furcht zusammen. Auf ein großartiges Begräbnis wird hoher Wert gesetzt. Den Heiden ist das Schießen, Trommeln, Tanzen und Lärmen die Hauptsache dabei, die Christen legen das Hauptgewicht auf Singen, ausgezeichnete Grabrede, und wo es geht auch Blasen. Die ganze Zeit hindurch wird gesungen. Die zum Gebet teilnehmende Stille und das ruhige ernsthafte Nachdenken sind noch nicht bekannt. Die Angehörigen des Verstorbenen meinen, sie müssen ihre Trauer zeigen durch allerlei Bewegungen des Körpers, viel Hin- und Herlaufen, Schreien, beständiges Rufen des Namens des Verstorbenen und zuweilen auch durch rasendes Benehmen. Diese Art der Trauer ist am schwersten zu bekämpfen, und es wird noch eine gute Zeit vergehen, bis sie überwunden werden kann. Das Essen und Trinken bei Totenfeierlichkeiten ist allgemein. Die Angehörigen des Verstorbenen meinen nichts geleistet zu haben, wenn sie nicht jeden Besucher bewirken und diese tragen es auch einem lange nach, wenn sie nicht gut versorgt werden.“ Bebli. Aufsatz. (7,1025–31/5).
Würde Theodor Bebli diese Trauerzeremonien für heidnisch halten, so könnte man das nachvollziehen. Aber kann man die musikalischen Formen eines Volkes mit seinen religiösen Glaubensformen amalgamieren? In der Tat hat die Musik in 14 In der Liste Missionar Spieths für das Jahr 1882 finden sich: 6 Kisten Bier à 20 bzw. 24 Flaschen, 8 Kisten Rotwein à 20 Fl., 4 Kisten Niersteiner à 15 Fl., 2 Kisten Lautenheimer à 15 Fl., 2 Körbe Champagner à 24 halbe Fl. und 9 Fl. Portwein Vgl. Conferenzbuch der Station Ho, Eintragungen vom Mai und September 1882. (7, 1025-13/3).
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der Ewe-Gesellschaft in erster Linie soziale Funktionen und begleitet wie der Tanz die wichtigsten Vorgänge wie Arbeit, Feste, Riten, Vergnügen usw. Die Musikformen eines Volkes können nicht positiv oder negativ bewertet werden, je nach dem wie laut oder wie leise sie aufgeführt werden. Noch weniger kann man behaupten, dass eine Person bewusster oder unbewusster als die andere sei, je nach dem wie sie Musik praktiziert. Die Trommeln im Ewe-Land haben bis heute verschiedene Bedeutungen. Manche Trommeln werden unter bestimmten Umständen laut gespielt, nämlich bei Todes-, Festlichkeits- oder bei Kriegsgelegenheiten in den Dörfern, und manche – kleineren – Trommeln werden leise gespielt, wenn es darum geht, eine friedliche Botschaft zu verkünden (Spieth 1906: 148– 149). Auch die Töne der Trommeln sind je nach Gelegenheit unterschiedlich. Das Trommelspiel wird von kommunikativen Regeln bestimmt. Die musikalischen Formen der Musik im Ewe-Land können insofern nicht nur religiös beurteilt werden (Agawu 1995: 90; Agblemagnon 1969: 115–116). Die Analysen des Theodor Bebli zeigen, dass er eine kulturelle und religiöse Lebensrichtung vertrat, die sich von einheimischen Lebensformen unterschied. Wie sah er in seinem eigenen europäisch-christlichen Leben aus? War er selbst anders als seine christlichen Landsleute, die er transkulturell schilderte? Das Leben von Os4fo Theodor Bebli war nicht ganz ohne Widersprüchlichkeiten. 4.2.5 Theodor Se2o2e Bebli vor dem christlichen Glauben und den nicht christlichen Realitäten Um bei der NMG einen guten Ruf zu haben, musste man außer der Schulbildung besondere Tugenden haben wie Treue und Eifer. Die Treue bestand in einer sittlichen Haltung der Beständigkeit in der eingegangenen Bindung zum Missionsdienst im Bezug auf die Einhaltung der Missionsordnung. Der Eifer bestand darin, die Sache Gottes mit Leidenschaft zu behandeln. Zu den Mitarbeitern, die diese Qualitäten erfüllten, zählte Theodor Martin Se2o2e Bebli. Am 26. November 1911 wurde er zum Os4fo, also Pastor, durch Gottlob Däuble, den damaligen Präses der Norddeutschen Mission im Ewe-Land, ordiniert. Dieser Titel stärkte seine Stellung und besonders seinen Eifer. Nun strebte er danach, ein Vorbild unter seinen Landsleuten, besonders unter den einheimischen Christen zu sein. Er schien, ein selbstbewusster Christ zu sein. Er lebte auch wie die Europäer und die europäischen Missionare und hatte bei sich einen Hausjungen, der auch sein Koch war (Baëta an Miss. Schröder. Lome, den 24. Januar 1922. (7,1025–24/6). Das war ein einfaches Leben im Vergleich zu vielen seiner Kollegen, die mehrere Hausdiener zu Hause hatten. Dennoch konnte sich Os4fo Theodor Bebli von den traditionellen kulturellen Sitten und Bräuchen nicht immer fernhalten. Er war besonders in seinem Ehestand nicht begünstigt. Er heiratete dreimal, denn zwei seiner Frauen starben. Der Tod von Helene Ernstine Se2o2e, seiner zweiten Frau war für ihn eine Prüfung, die sowohl seine Arbeit als auch sein Leben betraf:
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„Am 1. Februar wurde meine geliebte Frau, Helene Ernstine Se2o2e, unerwartet durch den Tod heimgerufen. Sie litt seit dem letzten Dezember am Anschwellen des linken Fußes und Beines. Ihre Krankheit schien uns nicht tödlich zu sein, aber es gefiel doch dem Herrn, sie durch diese nicht scheinbar gefährliche Krankheit zu sich zu nehmen. Der Tod ist bei ihr so plötzlich eingetroffen, dass niemand Zeit hatte, mit ihr sonderlich über ihre Hoffnung auf die Seligkeit ihrer Seele zu reden.“ Bebli an Inspektor. Atakpame, den 30. April 1918 (7,1025– 30/3).
Dieser Tod war umso schmerzlicher, als Helene für ihn nicht nur eine Lebensgenossin war, sondern sie stand ihm ständig und aktiv in seiner ganzen Missionsarbeit bei: „Sie war mir eine gute und zuverlässige Gehilfin im Haus und in der Arbeit gewesen. Wir haben einander je länger je mehr lieber gehabt. Mit ihrem Christentum nahm sie es immer ernst und suchte mich zu unterstützen in Einwirkung auf die Leute, sie auf bessere Gedanken zu bringen; im Besonderen strebte sie, die Frauen anzuziehen und sie fürs Christentum zu ermuntern. Als das Versagen unserer Missionskasse eintrat und ich so recht entmutigt drein sah und manche Nächte schlaflos zubrachte, war sie diejenige, die meinen Geist wieder aufrichtete und mir mit mancherlei guten Räten und Vorschlägen beistand, wie ich es nun angreifen sollte, um mit den Lehrern durchzukommen. Die große Teilnahme an ihrem Begräbnis ist ein Beweis dafür, wie weit ihr Einfluss reicht,… fast alle Heiden und Katholiken der Stadt trauerten mit unseren Christen an ihrem Grabe.“ Bebli an Inspektor. Vierteljahresbericht, I. Quartal 1918. Atakpame, den 30. April 1918 (7,1025–30/3).
So wie Helene Se2o2e ihrem Mann als Gemeindevorsteher beistand, das entsprach den Idealen der NMG nach der Kirchenordnung. Bei der Bewältigung der Trauer war Os4fo Theodor Bebli ein Vorbild für die Christen seiner Gemeinden und für die Nicht-Christen. Da er allein auf der Station war, musste er selber seine Frau beerdigen. Weiterhin hielt er eine beeindruckende Grabrede. Der Gemeindeälteste William Forson in Atakpame war Zeuge der Beerdigung: „An jenem Tage [der Bestattung von Frau Helene Se2o2e] haben wir gesehen, welch einen tapferen und gereiften Seelsorger wir in Pastor Se2o2e haben. Seitdem führte er ein einsames, aber vertieftes Leben auf der Ansgarihöhe, in seiner Gemeinde und auf den Außenstationen.“ Baeta an Miss. Schröder. Lome, den 24. Januar 1922. (7,1025–24/6).
Drei Jahre lang litt Os4fo Theodor Bebli nicht nur unter dem Tod seiner zweiten Frau, sondern er wurde auch auf die Prüfung des traditionellen „abergläubischen“ Denkens gestellt.
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Abb. 8. Hochzeitsfeier von Th. Bebli Se2 o2 e (vierter sitzend v. links) mit (Schwieger-)Eltern, Verwandten und Freunden in Amedz45e, nach 1911 (7,1025– Fotos 0302)
Er wollte sich zum dritten Male vermählen. Obwohl er auf seiner Station sehr geschätzt wurde, konnte er aber auch nach langer Suche keine Frau finden. Alle angefragten Frauen, sie seien Christinnen oder Anhängerinnen der traditionellen Religion, weigerten sich, den Witwer Os4fo Theodor Bebli zu heiraten, dem bereits zwei Lebensgenossinnen verstorben waren. Das galt als schlechtes Omen für die Braut: „Hier hat man mit einem tief eingewurzelten, im ganzen Eweland allgemein verbreiteten heidnischen Aberglauben zu kämpfen, nämlich, dass einem Mann, der in Einehe lebt und dem schon die erste und zweite Frau gestorben sind, auch die dritte Frau sterben müsse und erst die vierte lange mit ihm leben könne. Stirbt die dritte Frau nicht, so müsse der Mann selbst sterben. […] Von mehr als zwei Seiten wurden fröhliche und sogar dankbare Zusagen bald in Absagen verwandelt, weil die betreffenden Personen nachträglich gehört haben, ihm seien schon zwei Frauen gestorben gewesen. Niemand wollte gerne die dritte sein. Auch junge Witwen weigerten sich. Es war mir herzzerbrechend, als er mir einmal darüber schrieb und ausrief: ‚Ich armer Mann’“ Baeta an Miss. Schröder. Lome, den 24. Januar 1922. (7,1025– 24/6).
Diese Zurückhaltung seitens Frauen betraf einen Menschen, der körperlich gesund und kräftig war und von vielen Personen offensichtlich hoch geschätzt wurde: „Wer Br. Se2o2e [Bebli] näher kannte, musste ihn lieben und schätzen. Sein offenes, treues und unparteiliches Wesen und sein männliches Auftreten gewannen ihm volles Zutrauen und hohe Achtung seitens der Gemeinde, ganz besonders bei den sonst so schwer zu befriedigenden Anecho-Leuten in Atakpame.“ Baeta an Miss. Schröder. Lome, den 24. Januar 1922. (7,1025–24/6).
Als Os4fo Theodor Bebli keine Frau auf seiner Station Atakpame fand, half ihm Os4fo Robert Baeta, der Ehemann seiner Nichte Henriette Se2o2e, bei der Suche
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nach einer neuen Gattin. Das Ehepaar Baeta bot dem Theodor Bebli Florencia, ihr 21 jähriges Hausmädchen an. Sie meinten, Floriencia passe gut zu einem Diener Gottes, weil sie gerade zum Christentum konfirmiert worden war. So fing das Verhandeln mit den Eltern der künftigen Gattin an (Baeta an Miss. Schröder. Lome, den 24. Januar 1922 (7,1025–24/6). Die Eltern von Florencia gehörten aber der traditionellen Religion an und kannten die Risiken, die mit der Heirat ihrer Tochter mit dem verwitweten Theodor Bebli verbunden waren. Als der Versuch, die ‚heidnischen’ Eltern von ihren Bedenken abzubringen scheiterte, setzte sich Os4fo Theodor Bebli selbst „mit tiefem Ernst“ ein: „Sollte Florencia meinetwegen ihr Leben verlieren, so bitte ich Gott, lieber mich an ihrer Stelle zu sich zu nehmen.“ (Baeta an Miss. Schröder. Lome, den 24. Januar 1922 (7,1025–24/6). Wenn Os4fo Theodor Bebli dem Gott sein Leben anstelle dessen seiner Frau opfern wollte, an welchen Gott wendete er sich? Ging es um den christlichen Gott oder um die Gottheit, die die traditionellen Vorstellungen schützte? Das Aushandeln von Theodor Bebli mit den ‚heidnischen’ Eltern über die Heirat betraf nicht den christlichen Gott, sondern die Gottheit der traditionellen Religion. Insofern beugte er sich vor der traditionellen Gottheit, um endlich die Ehe mit seiner dritten Frau schließen zu dürfen. Am Himmelsfahrtsfest, den 5. Mai 1921 traute Pastor Robert Baeta Theodor Se2o2e und Florencia in der Evangelischen Kirche von Lome. (Baeta an Miss. Schröder. Lome, den 24. Januar 1922. (7,1025–24/6). Kurz nach der Heirat erkrankte Theodor Bebli. Er überlebte die Erkrankung nicht und starb am 15. Juni 1921 in Lome, fünf Wochen nach der Eheschließung. Nach dem Bericht von Robert Baeta über seine Krankheit hatte er zwei Wochen nach seiner Hochzeit an einer Augenstörung gelitten, anschließend fing etwas an, an seinem Körper sichtbar zu werden wie Masern oder Windpocken. Der Arzt, den er sofort aufsuchte, konnte aber nichts Wirksames gegen die Krankheit tun. Er wurde ins Krankenhaus eingewiesen, wo er starb (Baeta an Miss. Schröder. Lome, den 24. Januar 1922 (7,1025–24/6). Welche Bedeutung haben die Windpocken oder die Masern in der EweGesellschaft? Nach den Ewe-Vorstellungen sind die Masern oder die Pocken Krankheiten, die die Gottheit der Erde Sakpate den Menschen zufügt, um sie zu bestrafen, wenn sie gegen ein Gesetz verstoßen. Sakpate ist eine der Gottheiten, die in dem Aŋl4-Gebiet, woher Theodor Bebli stammte, verehrt wurden (De Surgy 1988:130)15. Theodor Bebli selbst hatte der Gottheit sein Leben angeboten. Aber er tat so, als sei seine Krankheit entsprechend dem Willen des christlichen Gottes. Die letzten Stunden in seinem Leben sahen wie das Lebensende eines von Gott gerufenen Christen aus: „[…] Mein lieber[Os4fo Baeta], bist du nun da? Ich habe lange auf dich warten müssen. Hast du meine Kinder Christlieb und Adolf mitgebracht? Es freut mich, Euch noch zu sehen, ehe ich Euch verlasse. Ich gehe heim. Der Herr hat mich gerufen, ich darf nun bald schauen, was ich geglaubt habe.“ Ich entgegnete: „So bald ruft dich der Herr noch nicht. Du hast noch viel für ihn zu arbeiten hier auf Erden. Er wird Dich wieder gesund machen.“ Da lachte er und 15 Vgl. Spieth (1911): 224.
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sagte: „So sagt er auch.“ Dann sah er den Himmel und sprach langsam auf Deutsch: „Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück, denn Du bist bei mir. Dein Stecken und Stab trösten mich.“[Psalm 23, 4] Ich versuchte, Todesgedanken von ihm abzuwenden und ihn zu trösten. Da sagte er: „Hört Ihr mal, was er sagt, wenn Dein Amtsbruder, ein Os4fo stirbt und im finstern Tal wandert, ist es nicht Deine Pflicht, alles zu tun, um ihn durch diesen dunklen Tal hindurch zu helfen, dass er bald bei seinem Herrn im Lichte sei? Stattdessen versuchst Du, ihn noch länger in diesem Tal weilen zu lassen.“ Darauf kniete ich an seinem Bette nieder und betete mit ihm, wofür er dankte. Vor meiner Ankunft wollte er keine Arznei mehr nehmen, aber als ich ihn bat, mir zu lieb eine zu nehmen, nahm er dieselbe; aber dann sagte er, er nehme keine mehr. „Ihr haltet mich nur auf, lasset mich doch ziehen zu meinem Herrn und Heiland. Es wirken andere Kräfte, da sind alle anderen Arzneien ganz nutzlos. Ihr wollt mir dies nicht glauben und meint, es sei Delirium, aber bald werdet ihr sehen, dass alles wahr ist, was ich Euch sage. Ich gehe heim und Ihr sollt mich nicht aufhalten; wie oft sollte ich Euch das sagen?“ Wir schwiegen, damit er auch schweige, weil das Sprechen ihn noch mehr schwächte, aber immer hat er allein geredet und gesungen, die ganze Nacht, wie auch die vorige Nacht, als Pastor bei ihm wachte. Am Morgen kam ich nach Hause, um mich zu baden und dann wieder schnell zu ihm zu gehen. Da jagte er die Anwesenden aus dem Zimmer heraus und kniete zuletzt wieder an seinem Bette, betete und leget sich wieder aufs Bett. Indes trat ich wieder ins Zimmer ein und legte meine Hand auf ihn, er möchte ruhig liegen, wie der Arzt befohlen hat. Er sagte nichts mehr und schien, als ob er einschlafen wollte. Nach einer Weile änderte sich sein Atem, ich rief meinem Onkel Van-Lare, der mit den anderen Leuten draußen saß, herbei, um zu sehen, was das bedeute. In demselben Augenblick trat Pastor Aku ein und siehe, da verschied unser lieber Os4fo Se2o2e ganz friedlich, wie im Schlaf. Ganz verwundert standen wir bei und konnten kaum glauben, was geschehen ist. Der Herr hat seinen treuen Knecht zu sich genommen.“ Baeta an Miss. Schröder. Lome, den 24. Januar 1922 (7,1025–24/6).
Der Vorgang von der Erkrankung bis zu dem Tode von Theodor Bebli zeigt, dass sein christlicher Tod eine afrikanische Ursache hatte. So schloss sein Lebensprozess in einer transkulturellen Passage. Der Werdegang von Theodor Martin Se2o2e Bebli zeigt, wie er der Norddeutschen Mission diente und wie er versuchte, seine Landsleute von dem Christentum zu überzeugen. Er tat seine Arbeit ohne Zweifel mit Eifer und Treue. Er erwarb sich einen hohen sozialen Status unter den Ewe-Mitarbeitern der NMG. Dann wurde er von seinem kulturellen Hintergrund eingeholt. Er ist in seiner traditionellen Lebenswelt geboren worden, und in Berührung mit ihr auch gestorben. Er hatte versucht, zu den unterschiedlichen Kulturen eine klare Position einzunehmen, aber er konnte sich nur zwischen ihnen bewegen. So widersprüchlich, wie er in seinen Berichten seine christlichen Landsleute schilderte, war er auch selbst. Aus seinen zwei ersten Ehen bekam er zwei Kinder, nämlich Christlieb und Adolf. Er stand gut 25 Jahre lang im Dienst der Mission, obwohl er schon mit 47 Jahren sterben musste.
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4.3 BIOGRAFIE VON ISAAC KWADZO 4.3.1 Kindheit und Kontakt mit dem Christentum In Peki lebte der Jäger und traditionelle Priester Noah K4mlaku. Er war für seine Tapferkeit bekannt. Wegen des Asante-Kriegs, der 1869 ausbrach und die Einwohner von Peki aus ihrer Stadt vertrieb, flüchtete er zusammen mit seiner Frau Nusi in ein kleines Dorf in der Nähe der Stadt Akugua bei Akropong – westlich des Ewe-Landes. 1874, kurz nach dem Krieg ging aus der Ehe ein Sohn hervor. Er wurde am Montag geboren und hieß deswegen Kwadzo, „denn in unserem Eweland werden meistens viele Kinder nach dem Wochennamen genannt“ (Selbstbiografie von Isaac Kwadzo. Peki-Blengo, 16. 10. 30 (7,1025–30/1). Die Familie zog in demselben Jahr nach Peki zurück. Kwadzo wuchs in Peki wie ein Heidenkind bei seinem Vater auf, der als traditioneller Oberpriester dort fungierte. Kwadzo nahm an mehreren traditionellen religiösen Ritualen teil, die sein Vater vollzog: „In der Zauberei ging mein Vater so sehr weit, dass er sogar 30 Zauberdiener um sich versammelte, die ihm stets bei der Seite standen und die Fetischtrommel taktmäßig schlugen, damit der teuflische Geist bald in die Zauberpriester kommen und sie zum Tanzen gerührt werden. Manches hatte ich in meiner Kindheit erlebt.“ Selbstbiografie von Isaac Kwadzo. Peki-Blengo, 16.10.30 (7,1025–30/1).
In der traditionellen Ewe-Gesellschaft war der Vater in der Regel für die Erziehung der Jungen zuständig, während die Mutter sich um die Erziehung der Mädchen kümmerte. Deswegen wohnte Kwadzo seinem Vater in dessen geistlichen und sozialen Beschäftigungen bei. Neben der Teilnahme an traditionellen Ritualen ging Kwadzo mit seinem Vater regelmäßig auf die Jagd, wo er die Jagdkunst lernte. Er lernte zum Beispiel:„wie man vom Tier nicht bemerkt wird und wie man durch die Nase bläst, wodurch das Tier herbeigelockt wurde“. Selbstbiografie von Isaac Kwadzo (7,1025–30/1) Die Jagd auf Wild wurde nach traditionellen Regeln durchgeführt. Nachdem Noah K4mlaku ein großes Tier erlegt hatte, rief er die Fetischpriester, damit sie die vorgeschriebenen Rituale vollzogen. Der kleine Kwadzo erlebte das mit: „Bei den Heiden ist es so Sitte, dass wenn ein Jäger ein Raubtier oder ein großes Tier wie Büffel erlegt hat, so muss der Jäger drei Tage draußen auf den frisch geflochtenen Palmrippen-Matte liegen und hier übernachten, bis die Fetischpriester ihre Gebräuche gemacht haben; wo nicht so müsse der Jäger wahnsinnig werden. Ich lag draußen mit meinem Vater auf diesen Matten und sah alles gut zu. Nachdem diese drei Tage herum waren, fing das Jagdtrommel und das Tanzen an. Das strömten fast alle Jäger herbei, auch von den benachbarten Orten. Und ein großes Mahl wurde dabei verzehrt.“ Isaac Kwadzo an Missionsinspektor Stoevesandt. Peki-Blengo, den 7. 3. 1931 (7,1025–30/1).
Obwohl Noah K4mlaku ein aktiver traditioneller Oberpriester war, hörte er der christlichen Predigt auch zu. Er war einer der Lastträger des ersten Missionars der NMG Lorenz Wolf, die seine Waren von Accra nach Peki und umgekehrt trugen und anschließend seinen Predigten zuhörten. Ferner erhielt er den Katechetenkurs bei den Ewe-Pastoren Rudolf Ludwig Mallet und Adolf Lawoe und wurde zum
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Christen bekehrt. Er wurde daher auf den christlich-europäischen Namen Noah getauft (Selbstbiografie von Isaac Kwadzo. Peki-Blengo, 16.10.30 (7,1025–30/1). Er hieß jetzt Noah K4mlaku und wurde auch oft Noah Aku genannt. Aku war vermutlich die Abkürzung des Namens K4mlaku, gleichzeitig am Dienstag Geborener. Als die Missionsstation von Peki-Blengo im Jahre 1883 eröffnet wurde, bat die NMG bei dem Peki-Häuptling Kwadzo Dei um Schüler. Da übergab Noah K4mlaku den ersten beiden Ewe-Lehrern in der Missionsstation Peki-Blengo, Stefano Kwami und William Akude, seinen Sohn Kwadzo. Kwadzo war der erste Schüler in der Missionsschule von Peki-Blengo. Er wurde zwei Jahre später, nämlich am 15. November 1885 von Missionar Spieth auf den Namen Isaac getauft (Selbstbiografie von Isaac Kwadzo. Peki-Blengo, 16.10.30 (7,1025–30/1). Er hieß nun Isaac Kwadzo und trug keinen Familiennamen, der sich auf den Namen des Vaters K4mlaku bezog. Er wurde nun vom Heidenkind zum Christen und verließ die alte Identität, die mit dem traditionellen Glauben seines Vaters verbunden war. Isaac Kwadzo setzte den Schulbesuch in der Missionsstation Ho fort. Dort lernte er Missionar Karl Osswald kennen, der ihn sehr schätzte und ihn „zu seinem Zimmerdiener erwählte“. Er durfte „sein Zimmer auskehren und das Bett machen“. Er lernte bei Missionar Osswald besonders die Malerei. 1888 wurde er vom Missionsvorstand nach Keta geschickt, wo er die Mittelschule zur Zufriedenheit der Missionare besuchte. Er war in Keta einer von zwei Schülern, „die die anderen in der Schule übertroffen hatten“. Am 8. Oktober 1891 schickte ihn der Missionsvorstand nach Deutschland. In Deutschland lernte Isaac Kwadzo von 1891 bis 1895. Im letzten Jahr seiner Ausbildung hielt Kwadzo gut zwölf „Ansprachen“ in mehreren Gemeinden in Deutschland, in denen er um Spenden für die NMG bat (Selbstbiografie von Isaac Kwadzo (7,1025–30/1). Isaac Kwadzo fühlte sich als Erweckter, als er das deutsche Dorf Altensteig besuchte. Er verstand sich als Jünger Gottes, von dem er eine Mission erhalten hatte: „In Altensteig habe ich es deutlich gesehen, dass meine Arbeit vollendet [ist]. Hier hat Gott mir gezeigt, dass ich nicht umsonst gearbeitet habe. In Altensteig erkennt man mich mit meiner Arbeit gut, wie ich Missionsarbeit treiben will. In Altensteig giebt es einsichtsvolle, unheuchlerische Leute, die Gott mir als Werkzeuge gegeben hat, damit der Satan nicht überall Werkzeuge hat. In Altensteig hat Gott mir Waffe gegeben, womit ich kämpfen kann; hier bereitet Gott mir Waffe, damit der Satan mich nicht gleich zu Boden werfe. In Altensteig sagte mir Gott, dass ich auf dem rechten Weg bin und deshalb vorwärts gehen muß“ Isaac Kwadzo an Mina. Bremen, den 11. Mai 1895 (7,1025–29/5).
Die Erfahrung von Isaac Kwadzo setzte ihn Moses gleich, der die zehn Gebote Gottes auf dem Berg Sinai erhielt (Luther Bibel 1912: 3 Mose 26, 46). Das zeigte, dass Isaac Kwadzo von der Bibelgeschichte gründlich geprägt worden war und wie er nun versuchte, sich mit den Personen der Bibel zu identifizieren. Er fühlte sich ausgerüstet, seine Landsleute aufzuklären. Stimmte Kwadzos Vorstellung von der Missionsarbeit mit der Vorstellung seines Missionsvorstandes überein? Nachdem er seine Ausbildung beendet hatte, ging er nach Afrika zurück und stellte sich in den Dienst der NMG.
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4.3.2 Isaac Kwadzo und die Missionsarbeit 1895 wurde Isaac Kwadzo nach Ho, seiner ersten Arbeitsstation, geschickt, wo er als „Lehrer I. und II. Klasse“ arbeitete (Isaac Kwadzo an Inspektor. Ho, den Ho, den 16. Sept. 1895 (7,1025–9/3). Neben dem Schulunterricht hielt er in der Gemeinde Morgen- und Abendandachten und spielte während des Gottesdiensts das Harmonium. Das Harmonium ersetzte nun die Trommeln, die er als Kind bei den traditionellen Ritualen seines Vaters gespielt hatte. Es wurde für ihn zur Leidenschaft, wie sein Mittelschullehrer Andreas Aku bemerkte: „In Keta hatte ich von Lehrer Andreas Aku das Harmoniumspielen zu lernen angefangen und auch in diesem Fach war ich sehr weit gekommen. […] Einmal in der Dunkelheit (gegen etwa 7 Uhr) als ich am Harmonium saß und tüchtig phantasierte, da kam unser Lehrer Andreas Aku (der jetzige Os4fo in Lome) zu mir und fragte so: „Du wirst einmal ein großer Musiker werden.““ Selbstbiografie von Isaac Kwadzo (7,1025–30/1)
Isaac Kwadzo war damals 21 Jahre alt und gestand, dass viele von seinen ersten 80 Schülern in Ho ihn am Alter übertrafen. Nachdem er zweieinhalb Jahre gearbeitet hatte, heiratete er die Mulattin Augustine Reindorf aus Accra, die bei der Missionarin Knüsli die Mädchenschule von Ho besuchte. Kwadzo wurde nach der Hochzeit versetzt und arbeitete auf anderen Missionsstationen in dem deutschen Schutzgebiet Togo und an der britischen Goldküste wie: „Kpenoe, Waya, Abutia, Tove und Tsevie und in den Kriegszeiten hatte ich auf den Außenstationen herum Peki gearbeitet. Das waren Labolabo, Awudome Konta und Awudome Tsibu.“ Selbstbiographie von Isaak Kwadzo. Peki-Blengo, 16. 10. 30 (7,1025–30/1).
Isaac Kwadzo arbeitete in diesen Außenstationen als Lehrer und Prediger. Seine neue christliche Identität erinnerte seine Landsleute ständig an seine heidnische Vergangenheit. Die Leute brachten seine Predigt mit dem Status seines Vaters als Oberpriester in Verbindung, so dass sein christlicher Dienst dem früheren traditionell-religiösen Dienst seines Vaters gleichgesetzt wurde: Mein[es] Vaters Zauberei ging über die Peki-Grenze, so dass während meiner Missionsarbeit in Ho-Abutia die Zeitgenossen von meinem Vater zu mir sagten: „Ja, du predigst das Wort Gottes, aber wenn du die Kraft in dem Gotteswort ans Licht bringen könntest wie dein Vater sie in seiner Zauberei getan hatte, so würde ganz Abutia sich bekehren.“ Selbstbiographie von Isaak Kwadzo. Peki Blengo, 16. 10. 30 (7,1025–30/1).
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Abb. 9. Katechist I. Kwadzo in seinem christlich europäischen Dienstanzug, der ihn jedoch mit dem traditionellen Dienst seines Vaters gleichsetzt. Peki-Blengo 2.10.1931 (7,1025–Fotos–1305)
Was die Predigt des Evangeliums anging, so fand Isaac Kwadzo, dass es „im Allgemeinen ordentlich“ ging. Aber er bemerkte, dass die Leute in einigen Außenstationen wenig Interesse daran zeigten: „[…] Sehr beklagenswert ist es aber, dass die Kpenoer [Einwohner der Station Kpenoe] selbst seitens des Wortes sich noch kaltblütig zeigen. Hie und da erblickt man einige Heiden in der Kirche, während die Schüler und die Taufbewerber pünktlich kommen.“ I. Kwadzo. Bericht. Kpenoe, den 10. Dezember 1898 (7,1025–11/1).
Diese Beobachtung bekümmerte Kwadzo nicht besonders, denn er schien mehr Wert auf die Lehrerarbeit zu legen und versuchte weniger, die traditionelle Religion seines Landes zu bekämpfen. Er zeigte viel Verständnis für die Landsleute, unter denen er tätig war. Er freute sich über das Interesse von einigen Außenstationen an der Predigt, in denen die Einwirkung des Wortes Gottes offensichtlich war. In diesen Gegenden forderten die Einwohner umgekehrt die Förderung der Bildung. Er unterstützte sie bei dem Missionsvorstand: „[…] „Wir sind alle schon bekehrt“, sagte der Atikpui König. „Uns fehlt es bloß an den Lehrern“, sagte der Greis noch mit wehmütigen Blicken. „Ich sage es meinen Vorstehern, dass ihr einen Lehrer bekommt“, sagte ich tröstend. Viele Atikpui Jünglinge und Knaben wären gerne mit mir nach Kpenoe gekommen, und in die Schule gegangen, wenn Atikpui nicht eine Tagreise weit von der Außenstation liegt, und sie von vielen Hindernissen wie Essen etc. zurückgehalten gewesen wären.“ Isaac Kwadzo. Bericht. Kpenoe, den 10. Dezember 1898 (7,1025– 11/1).
Isaac Kwadzo hielt die Lehrerarbeit für das erste Mittel zur Evangelisierung seiner Landsleute. In einem Vortrag zum Thema „Worin zeigt sich die Berufstreue
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des Lehrers“ wollte er die Lehrer auf ihre Pflichten aufmerksam machen. Wie er selbst seine Arbeit ausübte, rief er die Missionslehrer auf, dass sie ihre „Schüler sowohl in der Schule selbst als auch im äußerlichen Leben beobachten“, das heißt der „Lehrer muss allenthalben lehren und seine Schüler müssen das Gelernte zeigen“. Daher schilderte er die Treue des Lehrers, mit mehreren Werten verknüpft: „Des Lehrers Treue kann man in seinem Schulzimmer sehen, wie er hier die Schüler beaufsichtigt; die faulen Schüler bestraft er und alle Schüler werden zu Gehorsam, Ruhe und Stille, Fleiß und Aufmerksamkeit, Ordnungssinn, Reinheit und Sauberkeit erzogen; ferner müssen die Schüler lernen: Verträglichkeit, Vaterlandsliebe, Keuschheit und vor allem Gehorsam gegen Vorgesetzte und Obrigkeit.“ I. Kwadzo. Tove, den 21. September 1909 (7,1025–3/1).
Mit den Werten wie Ordnung, Aufmerksamkeit, Fleiß und Vaterlandsliebe unter anderen ging Isaac Kwadzo über die Grenzen der christlichen Religion hinaus und vermittelte sein in Deutschland erworbenes Wissen. Die Anweisungen, die er den Lehrern gab, bezogen sich auf eine gewisse Disziplin, die er selbst bei seinen Vorstehern und Lehrern in Deutschland beachtet hatte. Er musste damals dem Missionsinspektor regelmäßig über sein Studium und sein Leben in Deutschland berichten, er wurde von seinen Lehrern oft auf Reisen begleitet, die ihm die Orte zeigten und ihn beschützen (Isaac Kwadzo an Inspektor. Westheim, den 7. Mai 1892 (7,1025–29/5). Deswegen meinte er einerseits, dass die Treue des Lehrers sich darin offenbarte, „dass der Lehrer geduldig ist, indem er den Schülern nicht nur Aufgaben zu machen gibt, sondern auch ihnen die Sachen erklärt.“ Seine Erfahrungen mit den deutschen Lehrern inspirierten seine Anweisungen: „Ich denke noch sehr gut daran, wie Theodor Bebli und ich bei einem Schullehrer Karr in Westheim die Lehrproben machten und wie einmal dieser geduldige Lehrer seinen Schülern eine Rechenaufgabe gab und sie so einfach und klar erklärte, dass wir beide in ein großes Erstaunen gesetzt wurden.“ I. Kwadzo. Tove, den 21. September 1909 (7,1025–3/1).
Diese Methode, die Isaac Kwadzo selbst in seiner Lehrerarbeit umsetzte, erzeugte eine Vertrautheit zwischen ihm und seinen Landsleuten auf den Missionsstationen. Er half zum Beispiel bei der Lösung des Konfliktes zwischen den Einwohnern von Tove und den Missionaren der NMG. Die Einheimischen vertrugen das strenge Benehmen mancher Missionare nicht, die wenig Verständnis ihnen gegenüber zeigten. Missionar Jakob Spieth zum Beispiel war bei den ToveEinwohnern umstritten. Isaac Kwadzo setzte sich ein, so dass die Gemeinde nicht mehr eingestellt wurde: „[Das Gemeinde-Mitglied Moses Do] sagte mir kürzlich offen, dass ich eine andere Natur sei, denn ich hätte in meinem sechsjährigen Aufenthalt hier doch etwas zustande gebracht und ohne mein Hiersein wäre die Tove-Gemeinde schon zerstreut. Dieser Moses Do erzählte mir, wie zu früheren Zeiten Herr Spieth einmal in Tove war und wie er die Lauheit der Gemeinde tadelte und Tove mit Verlassen der Station bedrohte. Der jetzige Gemeindeälteste Paulo Loga sagt mir oft, dass wenn der alte Spieth zum zweiten Mal nach Tove gekommen wäre, so wäre alles schon längst verloren, denn der Missionar hätte es damals zu ernst genommen und wollte das Wellblech vom Lehrerhaus doch wegnehmen lassen; er solle daher nur in seinem Europa bleiben.“ Isaac Kwadzo, Katechist. Bericht. Tove, den 13. Dezember 1913 (7,1025– 22/1)
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So wurde Isaac Kwadzo von seinen Landsleuten überall sehr geschätzt, wo er auftrat. Andererseits erwartete er von seinen Kollegen, den Lehrern, dass sie den Schülern den Sinn des Vaterlandes vermitteln. Er stellte sich daher das Arbeitsgebiet der NMG, nämlich das Ewe-Land vor, als eine politische Konstruktion, die auf der christlichen Religion und die Ewe-Sprache fußte. Aus diesen beiden Elementen strebte Isaac Kwadzo nach der Konstruktion einer Zusammengehörigkeit der Ewe, die sich von anderen Nachbarvölkern religiös und sprachlich unterschieden. Die einzige Religion der Ewe wäre das Christentum und die einzige Sprache die Ewe-Sprache. Kwadzo wurde nacheinander in neun Missionsstationen im Ewe-Land versetzt und seine Erfahrung mit den Landsleuten stärkte ihn in dieser Einstellung.
Abb. 10. v. rechts Isaak Kwadzo aus Peki mit Kollegen Samuel Quist aus Dzeluk45e und Robert Baeta aus Keta bei einem Treffen in Lome, 1917 (7,1025– Fotos 1294)
Weiterhin war Isaac Kwadzo der Meinung, dass ein treuer Missionslehrer seine Schüler zum Wort Gottes erziehen und die Sünde meiden sollte, damit das Gelernte später gut gebraucht werden könnte. Aber was verstand er darunter, wenn er appellierte, Sünde zu vermeiden. Ging es um Vermeidung von Fleischeslust bzw. von körperlicher Unsittlichkeit oder um Gehorsam dem Vorstand gegenüber, oder um strenge Respektierung der Kirchenordnung, die darauf bestand, sich von den traditionellen Praktiken fernzuhalten? Es ist festzustellen, dass Isaac Kwadzos Vorstellung von der Sünde anders als die der Missionare war.
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4.3.3 Isaac Kwadzos Vorstellung der traditionellen Kultur Isaac Kwadzo bekannte sich in seiner Autobiografie dazu, dass er aus einer heidnischen Familie stammte und eine heidnische Kindheit verlebt hatte. Das verleugnete er niemals. Er erzählte sogar gerne davon. Er verurteilte seine Landsleute nicht, wenn sie ihre traditionelle Religion weiter ausübten, während er das Evangelium predigte. Er wurde auch in seiner christlichen Arbeit von seinen Landsleuten mit seinem Vater verglichen, den er sehr geschätzt und geliebt hatte. Er wurde wahrscheinlich nicht von Anhängern der traditionellen Religion geärgert oder bedroht, wie es seine Kollegen, die afrikanischen Prediger, oft erlebten. Isaac Kwadzo vergaß nie die Erfahrungen, die er bei seinem Vater gemacht hatte. Noah K4mlaku war nicht nur Oberpriester, sondern er war auch Heiler. Kwadzo stellte seine traditionellen Heilmittel nicht in Frage, obwohl er Christ geworden war und in Deutschland eine Missionsausbildung erhalten hatte. Nach seiner Rückkehr aus Deutschland wurde er krank. Sein Vater Noah K4mlaku behandelte ihn mit traditionellen Arzneien. Isaac Kwadzo berichtete dem Missionsinspektor Zahn über seine Behandlung: „[…]Weil ich mich noch akklimatisieren musste, so musste ich anfangs mit Fieber kämpfen, was aber Gott durch meines Vaters Arzneien bald beseitigte.“ Isaac Kwadzo an Inspektor. Ho, den 16. Sept. 1895. (7,1025–9/3). Isaac Kwadzo wusste auch, dass die traditionellen Heilmittel wie Pflanzen oder Kräuter meistens mit Ritualen wie zum Beispiel traditionellen Gebeten begleitet wurden. Aber er verband die Wirksamkeit der Arzneien seines Vaters mit der Macht des christlichen Gottes. Sein Vater Noah Komlaku war inzwischen selbst Christ geworden, aber das war auch für ihn kein Grund, die traditionelle Medizin aufzugeben. Isaac Kwadzo war mit der Königsfamilie Dei aus Peki verwandt. Er gehörte insofern zu dem Kreis von denjenigen, die von je her die Sitten und Bräuche des Landes bewahrten. Er wurde 1911 zum Katechisten eingeweiht und 1913 nach Peki versetzt (Azamede 2003b:113). Trotz seines Status als Katechist traute er sich noch, 1916, an traditionellen Ritualen teilzunehmen, obgleich die Kirchenordnung das nicht zuließ. Er nahm am Opfer für den Häuptlingsstuhl in Peki teil. Er wurde daraufhin von der Missionskonferenz bestraft: „Eine weitere Frage, veranlasst durch die Beteiligung des früheren Lehrers Isaak Kwadzo am Opfer für den Häuptlingsstuhl, machte es nötig, dass die Konferenz dazu Stellung nahm. Alle waren darin einig, dass den Christen jegliche Beteiligung an Zeremonien in Verbindung mit dem Häuptlingsstuhl aufs Neue zu verbieten sei. Ein Beschluss über die Art der Bestrafung der Übertreter wurde jedoch nicht gefasst, um auch den Schein einer etwaigen Einmischung in Angelegenheiten, die außer unserem Brauch liegen, zur Zeit zu vermeiden. Isaak Kwadzo wurde vorerst vom Abendmahl suspendiert.“ Missionar G. Zimmermann. Arbeits- und Konferenz-Bericht der Station Peki für I. Quartal. Anum, den 25. April 1916 (7,1025–27/2).
Welche Bedeutung hatte der Häuptlingsstuhl in dem Ewe-Land? Der Stuhl bzw. der Thron des Königs gehörte zu den traditionellen kulturellen Symbolen im EweLand, die unter anderen am meisten verehrt wurden. Jede Sippe hatte als ein wichtiges Erbe ihres Ahnen einen Stuhl namens T4gbui Zikpui, Ahnenstuhl (Wester-
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mann 1935: 200–204). Der Stuhl wurde ganz besonders gepflegt. Er symbolisierte die Macht des Königs. Es wurden traditionelle Rituale wie Tieropferung unter anderem dem Thron gewidmet, um seine Macht bzw. die Macht des Königs zu stärken: „[Der Königsthron] wird ganz mit Zauberschnüren umwickelt und dann in ein Schaffell eingehüllt. Wenn dann die Zeit herankommen ist, ihn wieder öffentlich zu zeigen, so wird derselbe an den Wasserplatz getragen und dort sorgfältig abgewaschen, worauf man ihn wieder mit Zauberschnüren umwickelt. Nun wird ein Schaf geschlachtete, mit dessen Blut der ganze Thron bestrichen wird. Hierauf hüllet man ihn vorsichtig in ein Schaffell und bringt ihn wieder an seinen Ort, wo er vorher gewesen war. das Fleisch des von dem König gegebenen Schafes wird gekocht (in kleine Stücke geschnitten) und mit Mehl gemischt. Jeder Mann, der Festlichkeit beiwohnt, ist davon. […]“ Spieth (1906): 76–78.
Die Teilnehmer an Zeremonien für den Thron des Königs gehörten zu dem engen Kreis der Königsfamilie, der traditionellen Oberpriester und der Notabeln und besaßen besondere traditionelle Kräfte und Geheimnisse (De Surgy 1988: 135138). Wenn Katechist Isaac Kwadzo an einer solchen Zeremonie teilnehmen durfte, so hieß es, dass er als Anhänger der traditionellen Religion anerkannt wurde und deren Geheimnisse kannte. Er bewegte sich also eindeutig zwischen verschiednen Kulturen, die unkompatibel aussahen. Nichtsdestotrotz wurde er nicht aus dem Missionskreis ausgeschlossen, sondern er stand bis im Jahre 1927 im Missionsdienst. Dann wurde er vorzeitig in den Ruhestand versetzt. Nun stellte sich die Frage, warum Isaac Kwadzo sich nicht von der traditionellen Religion fernhalten wollte. War er mit dem Christentum nicht zufrieden? Fand er bei den Missionaren Unzulänglichkeiten, wegen derer er gegen das Christentum Bedenken hatte?
4.3.4 Isaac Kwadzos Kritik an den Missionaren In der Tat hatte Isaac Kwadzo nicht nur angenehme Erfahrungen in Deutschland gemacht. Er erlebte auch Ärger seitens seiner Vorgesetzten, die er offensichtlich kritisierte. 1891 machte er unter der Aufsicht des Missionars Bürgi eine „schwierige Seereise“ nach Deutschland: „[…] Unterwegs nach Grand Canary ging meine Kiste verloren, so dass ich sehr bitterlich weinte; die Diakonissin Lottchen liebte mich sehr und tröstete mich oft; in Grand Canary angelangt, als es mir zu kalt war gab mir meine Freundin Lottchen ihren Überrock anzuziehen, den ich mit Dankbarkeit annahm.“ Selbstbiographie von Isaak Kwadzo. Peki Blengo, 16. 10. 30 (7,1025 – 30/1).
Der Missionsvorstand besorgte ihm keine Kabine auf dem Schiff. Er saß auf dem Deck während der ganzen Reise und verlor deshalb seinen Reisekoffer, der ins Meer gefallen war. Erst nach seiner Ankunft in Deutschland erzählte der junge Isaac Kwadzo davon seinen Ewe-Kameraden, die bereits in Westheim studierten. Albert Binder, der später dieselbe Erfahrung machte, erzählte das bittere Erlebnis seines jüngeren Kameraden Isaac Kwadzo:
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„Ein Jahr später brachte Herr Seeger Isaak Kwadzo aus Peki zu uns. Dieser hatte kein Gepäck mitgebracht. Als ich den Grund wissen wollte, erklärte er mir, dass sein Gepäck ins Meer gefallen wäre. Da fragte ich ihn weiter: „Warst du in keiner Kabine auf dem Schiff untergebracht?“ „Nein, ich hatte keine Kabine bekommen“, war seine Antwort. Ich berichtete dann meinen ‚Brüdern’, dass ihm keine Kabine besorgt worden war, sondern er so einfach auf Deck gesessen hatte. Dabei hatte er sein Gepäck verloren. Diese Unterbringung war gewiss beabsichtigt gewesen, damit für die Afrikaner kein extra Geld ausgegeben würde. Dieselbe Erfahrung habe ich bei meiner Rückreise gemacht.“ Autobiografie von Albert Wilhelm Binder, 1929 (7,1025–30/1)
Diese Erfahrung Kwadzos und einiger seiner Kameraden zeigten, wie die afrikanischen Christen von den europäischen behandelt wurden. Dies überzeugte Kwadzo von der Heuchelei mancher weißen Missionare ihren afrikanischen „christlichen Brüdern“ gegenüber. Isaac Kwadzo prangerte diese ungerechte rassistische Haltung der Missionare an und bezweifelte ihre Ehrlichkeit bei der Missionsarbeit. Hierzu seine Korrespondenz mit der Missionsfreundin Minna: „Von der Missionsarbeit können Sie genau viel lesen; aber ich bin von den Heiden gekommen, habe die Europäer kennen gelernt, deshalb schreibe ich Ihnen ehrlich: „Alles was von der Mission geschrieben wird ist nicht ganz wahr.“ Daher nehme ich es auf mich, Ihnen die Sache zu erklären, durch meine Gedichte.“ Isaac Kwadzo an Mina. Bremen, den 11. Mai 1895 (7,1025–29/5).
Isaac Kwadzo schrieb ein Spottgedicht gegen die Mission, in dem er die Unzulänglichkeiten und die Schwächen der Missionare ins Licht brachte. Das Gedicht trägt den Titel: „Die Hindernisse der Mission“ und bestand aus 21 Versen, die „Fehler der Vorsteher und der Missionare beschrieben“ (Kwadzo an Minna. Bremen, den 11. Mai 1895 (7,1025–29/5). Kwadzo verstand sein Gedicht als die Zusammenfassung seiner Erfahrungen mit der Bibel und deren Verkündigern. Er beschrieb zum Beispiel, wie er viel Ärger bei seiner Ausbildung erlebte: „[…]Heißt das nicht Feinde haben, wenn jemand etwas Gutes thut und die so genannten Weltmenschen ihn zu verhindern suchen? Wie heißen Sie das, wenn einer etwas Verkehrtes thut und wisse es, will aber nicht, dass die anderen es merken und ein anderer kommt und will seine Fehler ans Licht bringen, damit er viele Leute nicht mit sich ins Verderben bringe und der Übelthäter versucht, ihm das Leben zu nehmen? Wie kann man das nennen, wenn einer Sie um Ihrer Gabe willen hasst? Und wer sind die Verleumder? Und was soll ich noch vom Teufel, dem Hauptfeind schreiben? […] Heißt Vorträge halten faul sein? Heißt den Kindern von Afrika erzählen träge sein? Heißt Vorträge schreiben träge sein? Heißt Gedichte machen schlafen? Heißt den Leuten ihre Fehler erklären spazieren gehen? Heißt Vorträge auswendig lernen schwätzen? […]“ Isaac Kwadzo an Mina. Bremen, den 11. Mai 1895 (7,1025–29/5).
In dem sechzehnten Vers seines Gedichtes zeigte er, wie die Missionare in ihren alltäglichen Handlungen das Wort Gottes missachteten: „Untreu seid ihr in eurem Arbeiten. Mamonsinn ist für euch Speise, Unrecht halten ist eure Getränke, Schmeichelei sind eure Stärke, Heißet ihr das Gottes Wort predigen? Heißt’s frohe Botschaft verkündigen?“ Isaac Kwadzo an Mina. Bremen, den 11. Mai 1895 (7,1025–29/5).
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Isaac Kwadzo war offensichtlich mit dem „Christenthum“ der deutschen Missionare nicht zufrieden. Deswegen wollte er die traditionelle Religion seiner EweGesellschaft nicht aufgeben. Er hatte seinem Vater zumindest geglaubt, als dieser noch traditioneller Priester war. Dem Leben seines Vaters widmete er ein Kapitel in einem Brief an den Missionar Stoevesandt (Isaac Kwadzo an Missionsinspektor Stoevesandt. Peki-Blengo, den 7.3.1931 (7,1025–30/1). Aber warum trat Kwadzo nicht gleich nach seiner Rückkehr von Deutschland aus dem Missionskreis aus? Warum hatte die Mission selbst Kwadzo nicht ausgeschlossen nach seinem heftigen Pamphlet gegen die Missionsarbeit? Zu der ersten Frage könnte man Folgendes bemerken. Isaac Kwadzo war nach seiner Rückkehr in das Ewe-Land nicht unbedingt an der Bekehrung von Afrikanern zum Christentum interessiert. Die Lehrerarbeit war für ihn vorrangig. Er wollte seinen Landsleuten das europäische Wissen vermitteln und so seinem EweLand eine einheitliche Identität geben. Er fühlte sich innerlich nicht unbedingt an die Kirchenordnung der NMG gebunden, sondern er nutzte die Gelegenheit und seinen Status im Umkreis der NMG, um seine Ziele zu erreichen. Er war zwar Christ, aber er hielt sich von den Überlieferungen seiner Gesellschaft nicht fern. Er erfüllte seine Pflicht als Lehrer aber betrachtete es – im Gegensatz zu den Missionaren – nicht als Sünde, wenn er weiterhin in seiner angestammten Kultur lebte. Die NMG ihrerseits konnte Isaac Kwadzo nicht ausschließen, solange er noch wichtig für die Missionsarbeit war. Erst im Jahre 1927 wurde Isaac Kwadzo vorzeitig pensioniert. Er wollte eine zweite Frau heiraten, als die erste an Lepra erkrankt und folglich behindert war. Die Mission stellte ihm schwere Bedingungen und brachte ihn dazu, auf die zweite Frau zu verzichten. Kurz danach wurde er gegen seinen Willen in den Ruhestand versetzt: „Meine Frau war inzwischen immer krank und diese Krankheit hatte sich in den bösen Aussatz verwandelt. Ja die Krankheit plagte sie so sehr, dass sie alle Finger und Zehen weggenommen hatte und überdies hat die leidende Frau mit unheilbaren Wunden zu kämpfen. Und so bleiben alle Hausarbeiten liegen; ja es geht sehr schlecht zu in meinem Hause. In dieser meiner großen Bedrängnis schrieb ich eine Petition an unser Synod-Comitte in Amedz45e, dass mir Zugang zur zweiten Frau gestattet werde. Darüber wurde viel gesprochen, aber genügende Antwort habe ich nicht erhalten. Das Resultat lautet aber: „Du könntest heiraten, aber deine Pension verlierst du!“ Und so habe ich immer mit Verzweiflung zu kämpfen. In allen meinen Leiden aber übergebe ich mich dem Allmächtigen Gott und ich lasse sein Wille an mir geschehen. Im Jahre 1927 musste ich wegen dieser liederlichen Krankheit [meiner Frau] pensioniert werden, denn es hatte so geheißen, welche Gemeinde könnte diese ansteckende Krankheit leiden.“ Selbstbiographie von Isaak Kwadzo. Peki Blengo, 16. 10. 30 ( 7,1025– 30/1).
So schloss die NMG den Katechisten Isaac Kwadzo in schlauer Weise aus, als er noch einmal versuchte, seine Schwierigkeiten mit der Hilfe der Tradition zu überwinden. Lag seine Pensionierung wirklich an der Krankheit seiner Frau oder an der Verdächtigung, dass er mit der traditionellen Kultur umging?
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4.4 BIOGRAFIE VON GEBHARD CHRISTOPH K4MLA MENSA 4.4.1 Kindheit und Kontakt mit dem Christentum K4mla Mensa wurde am 19. Juli 1880 in Peki geboren (Timotheo Mallet an Inspektor. Westheim, den 17. Oktober 1898 (7,1025–29/5). 1887 schickten ihn seine Eltern in die Stationsschule von Peki. In sieben Jahren Schulbesuch durchlief K4mla Mensa die Grund- und die Mittelschule. Er gehörte zu der Reihe von fleißigen, tüchtigen und missionsinteressierten Schülern, die die Norddeutsche Mission für ihre zukünftige Arbeit im Gebiet des Ewe-Landes brauchte. 1895 schickte der Missionsvorstand ihn und seinen Ewe-Schulkameraden Theophil Asieni nach Deutschland, um in Westheim bei Pfarrer Johann C. Binder die Missionsausbildung zu erhalten. In Westheim beendete er seinen Taufunterricht und wurde auf den Namen Gebhard Christoph getauft. Hierzu sein Kollege und Vorgänger Theodor Martin Bebli:„[…] Am 19. dieses Monates werden wir hier ein Missionsfest feiern und auf demselben werden [Wienand] Kwaku und [Gebhard] Mensa in die heilige Taufe aufgenommen.“ Th. Martin Bebli an Inspektor. Westheim, den 3. Juli 1896 (7,1025–29/5). Gebhard Christoph K4mla Mensa verkörpert hinsichtlich seines Namens zwei verschiedene kulturelle Ebenen, nämlich die traditionelle Ewe-Kultur und die christlich europäische. An seinem traditionellen Vornamen erkennt man, dass er an einem Dienstag geboren worden war. Denn jeder am Dienstag geborene EweJunge muss Komla heißen, ein Mädchen dagegen Abra oder Abla. Seine christlichen Namen Gebhard und Christoph bestimmten ihrerseits seine Zugehörigkeit zu der christlich europäischen Kultur. Seine Arbeitsberichte bzw. Korrespondenzen mit der Norddeutschen Mission unterschrieb er meistens mit dem christlichen Namen Gebhard und dem Nachnamen Mensa. Der Grund lag daran, dass der Name K4mla von vielen Einheimischen, seien es Christen oder Angehöriger der traditionellen Religion, getragen wurde. In solchen Fällen erhielt man nach den einheimischen Gewohnheiten einen zweiten Namen, der ein Deutungsname war und der den Einzelnen von der Menge der vielen K4mlas unterschied. Was Gebhard K4mla Mensa anging, so trug er Christoph, einen zweiten christlichen Namen, anstatt einen traditionellen Deutungsnamen zu erhalten. Während seines Aufenthaltes in Westheim gab Gebhard Mensa in den Berichten über die in Deutschland ausgebildeten Ewe-Studenten keinen Anlass zu klagen.
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Außer seiner Missionsausbildung in Westheim erhielt er von Oktober 1897 bis März 1899 eine weitere Ausbildung in einer Druckerei und Buchbinderei in Stuttgart, bevor er nach Afrika zurückkehrte (Ustorf 1989: 270f.; vgl.: Altena 2003: CD-Rom: 527). Mit dieser Erfahrung verfasste Gebhard Christoph Mensa bereits im Dezember 1898 ein Büchlein von sechzehn Seiten in Ewe über „die Flora und die Fauna Afrikas“, das er selbst druckte. Das Büchlein war seine 1898 geschriebene Abschlussprüfung in Westheim, die er in Ewe übersetzte (Mensa 1898:2). In dem Büchlein stellte Mensa den landschaftlichen Reichtum Afrikas im Allgemeinen und seines Ewe-Landes im Besonderen dar. Er zeigte im Vergleich zu seinem Erlebnis in Europa, wie die tropische Flora und die Fauna in Afrika reich und herrlich waren (Mensa 1898; Prüfungsblatt Gebhard Chr. Mensa vom 28. Juli 1898 (7,1025–29/6).
Abb. 11. G. Mensa während seiner Missionsausbildung in Deutschland von 1896–1899 (7,1025– Fotos 1910)
4.4.2 Gebhard Mensa und die Missionsarbeit Nach seiner Rückkehr nach Deutsch-Togo wurde Gebhard Mensa als Lehrer in die Stationsschule von Ho geschickt. Er unterrichtete vier Jahre lang in Ho. Während seiner Dienstzeit in Ho gab er Mathilde Binder, der Tochter seines Lehrers in Westheim Nebenstunden in Ewe. Für Mathilde hatten diese Sprechstunden einen besonderen Erinnerungswert:
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„[…] Abends lese ich manchmal mit unseren schwachen Hauskindern, wobei sie selbst und ich profitieren können. Einer von unseren Westheimern giebt mir am Mittwoch und Sonnabend, je eine Sprachstunde, ich freue mich immer, wenn Gebhardt Mensa kommt, denn sein Gesicht erinnert mich an zu Hause, an unser liebes Heim.“ Fräulein Mathilde Binder an Herrn Inspektor. Ho, den 28. Oktober 1900 (7,1025–12/4): 3
Im Jahre 1903 wurde Mensa von Ho nach Akpafu versetzt, wo er etwa zehn Jahre lang arbeitete. Dort wirkte er als Lehrer zur Zufriedenheit der Mission, aber ihm fehlten Predigereigenschaften: „Ein tüchtiger Lehrer, kein Prediger, ist monoton und schläfrig im Vortrage. Sein Leben hat bis jetzt kein Anlass zur Strafe gegeben […]“ (Bemerkung von Missionar Schosser unter Mensas Aufsatz „Unsere Stationsschulen, ihr Lehrgang und Erfolge. 1909 (7,1025–29/5).
Abb. 12. Lehrer G. Mensa (links stehend) beim Unterricht in der Schule in Akpafu um 1909 vom Missionar Hermann Schosser (hinten stehend) hospitiert (7,1025– Fotos 1432)
Gebhard Mensa wurde auf die Missionsstation in Amedz45e versetzt, auf der er als Mitarbeiter im Seminar wirkte (Altena 2003: CD-Rom: 527). Weil Lehrer Gebhard Mensa in der Lehrerarbeit begabter als in der Predigt war, konnte er nicht zum Pastor ordiniert werden. Dagegen war er als Lehrer so geschätzt, dass er oft seine Meinungen bei Lehrerseminaren äußerte, an denen er beteiligt war. In Amedz45e zum Beispiel hielt er mit seinem Kollegen Robert Baeta einen pädagogischen Vortrag mit dem Titel: „der Bildungswert der körperlichen Arbeit“. Durch diesen Vortrag setzten Mensa und Baeta ihre in Deutschland erworbenen Erfahrungen von der deutschen Kultur in Bezug auf die körperliche Zucht um. So vermittelten sie ihren einheimischen Schülern einen Teil der „deutschen Lebensart“.
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Zur Frage der Ehe innerhalb der christlichen Gemeinde nahm Gebhard Mensa bei der Konferenz der in Deutschland ausgebildeten Lehrer einen deutlichen Standpunkt ein. Für ihn, wie für seine anderen an der Konferenz beteiligten Kollegen, sollte die Gemeinde gegen Vielweiberei, Ehebruch, Ehescheidung eintreten. Dennoch war er der Meinung, dass gemischte Ehen zwischen Christen und Heiden oder Protestanten und Katholiken unvermeidbar seien. Selbst „nach Apostel Paulus im I. Kor. 7 ist gemischte Ehe erlaubt in der christlichen Gemeinde“. (Zweite Konferenz der in Deutschland ausgebildeten Lehrer in Kpalime, 21–22 Juli 1909 (7,1025–29/1).Wenn Gebhard Mensa für die gemischte Ehe zwischen Christen und Heiden eintrat, so heißt es, dass er kompromissbereit gegenüber der traditionellen Religion sein wollte. So äußerte er sich zu der Frage, ob man Kinder von Ausgeschlossen taufen dürfe: „Kinder ausgeschlossener Christen sollte man taufen, wenn die Eltern derselben nicht zu schlecht geworden sind. In diesem Falle müssten bewährte Gemeindeglieder als Taufzeugen für die Kinder eintreten. […]“: Zweite Konferenz der in Deutschland ausgebildeten Lehrer in Kpalime, 21–22 Juli 1909 (7,1025–29).
Eine Kommunikation mit den traditionellen Bevölkerungsgruppen über andere nicht christliche bzw. protestantische Lebensformen war insofern nicht ausgeschlossen. Um diese Ideen umsetzen zu können und im Übereinstimmen mit allen Akteuren der Missionsarbeit zu sein, würde Lehrer Gebhard K4mla Mensa es gut finden, „wenn Lehrer aus verschiedenen Gemeinden und Bezirken über Gemeinde konferierten“ (Zweite Konferenz der in Deutschland ausgebildeten Lehrer in Kpalime, 21.–22. Juli 1909 (7,1025–29/1). Die Meinungen Gebhard Mensas zeigten, dass die Lehrer den Einheimischen so nah wie die Missionare oder die Kollegen Pastoren kamen, wenn nicht noch näher. Daher hatten die Lehrer mehr Verständnis für die Gewohnheiten der Einheimischen als die Prediger, die zu dogmatisch waren. Seine wenigen Berichte, über die wir verfügten, kritisierten kaum die einheimischen kulturellen Vorstellungen, sondern sie konzentrieren sich eher auf die Schulorganisation und die Schulpädagogik (G. Chr. Mensa. Unsere Stationsschule, ihr Lehrgang und Erfolg. Akpafu, den 7. Oktober 1909 (7,1025–3/1). Gebhard Christoph K4mla Mensa arbeitete viele Jahre lang im Dienst der NMG, in dem er 1916 vermutlich starb. Er war 36 Jahre alt. Obwohl er nicht ordiniert wurde, war er eine bedeutende Persönlichkeit im Umkreis der Mission. Trotz seines Engagements für die Missionsarbeit ist Gebhard K4mla Mensa hinsichtlich seiner Standpunkte der traditionellen Kultur entgegengekommen. Außerdem nahm Gebhard Mensa aktiv an der Bearbeitung des Gesangbuchs der Ewe-Kirche teil, für das er 18 von 481 Kirchenliedern verfasste, bzw. übersetzte (Hadzigbal8 na Ewe Kristo Hame 1939).
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4.5 BIOGRAFIE VON ELISA KENDE 4.5.1 Kontakt mit dem Christentum Elisa Kende stammte aus dem Christendorf Kpenoe in der Nähe der Station Ho. Sein Geburtsdatum ist nicht bekannt. Schätzungsweise wurde er etwa 1875 geboren (ANT16: (FA 2/103: 229). Er besuchte die Missionsschule in Ho bis ins Jahr 1892. Am 29. August 1892 schickte der Missionsvorstand ihn zusammen mit seinem Ewe-Kameraden Theodor Martin Bebli Se2o2e nach Württemberg zur Missionsausbildung. Ein Jahr darauf wurde Kende in Kirchheim unter Teck von dem Pfarrer Bartholomaei auf den Namen Elisa getauft und konfirmiert (Samuel Kwist an Inspektor. Kirchheim unter Teck, 11./VIII./93 (7, 1025–29/5). Kende studierte nur zwei Jahre in Deutschland, während sein Ewe-Kamerad Theodor Martin Bebli Se2o2e vier Jahre in Deutschland blieb. Dies wirft die Frage auf, warum die Ausbildung Kendes so kurz war. Angesichts der Kriterien, nach denen die EweSchüler in Afrika ausgewählt wurden, liegt es nicht nahe, dass Elisa Kende sich in Deutschland als nicht fleißig genug erwies. Zwar ist keines seiner Zeugnisse in den Archivalien der Norddeutschen Mission zu finden. Aber eine Korrespondenz der Kameraden Kendes mit dem Inspektor lässt uns vermuten, dass Kende wegen seines Betragens vorzeitig nach Afrika zurückgeschickt wurde. Er schien kurz nach seiner Anstellung in Afrika gegen die Missionsordnung verstoßen zu haben. Diese Situation brachte den Missionsvorstand dazu, die Initiative zur Ausbildung von Afrikanern in Deutschland zu überprüfen. Darum baten die Kameraden Elisa Kendes, die noch bei der Ausbildung in Deutschland waren und eine eventuelle Einstellung der „Evhe-Schule“ befürchteten, Herrn Missionsinspektor um Verzeihung: „In kurzem haben wir diese traurige Nachricht über unseren Bruder Elisa [Kende] bekommen, dass er gefallen sei. Sie werden gewiss den Mut verlieren und die Hoffnung auf uns aufgeben, wenn Sie noch einmal solche traurige Nachricht hören. […] Dies Entmutigende über das Verhalten unserer Brüder, würde zu der Meinung führen: alle Mühe an uns sei umsonst! Schmerzlich, ja sehr traurig ist es, dass man solches wahrnehmen muss und gewiss wird man vor diesen Erfahrungen mutlos. Aber, lieber Herr Inspektor, möchten Sie Ihren Schmerz mäßigen und sich durch dieses Schreiben trösten lassen. Es hat uns auch sehr Leid getan, denn dies alles geschah nicht zu unserem Heil, sondern nur zu unsrer Schande. Könnten wir den Schleier lüften und tief in die Zukunft blicken, so wären wir bereit, mit Sicherheit das Versprechen zu geben: solch Trauriges wird nicht bei [uns] vorkommen. Wenn wir diese Worte jetzt nicht mit gewisser Sicherheit sprechen können, so ist doch unser aufrichtiger Vorsatz, dass solch Trauriges nicht bei uns vorkomme. Gott helfe uns dazu. Wollen Sie deshalb den Mut fassen und die Arbeit nicht in Stich lassen […]“. Th. M. Bebli, Nath. Kwami, E. Awuma, L. Medenu, R. Kwami, K. Asieni, M. K4mla und Zach. Deku. Westheim, den 13. November 1895, an Inspektor Zahn (7, 1025–29/5).
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Archive Nationale du Togo (Staatsarchiv Togo) mit Signatur FA.
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4.5.2 Elisa Kende und die Missionsarbeit Der Missionsvorstand schickte Elisa Kende nach dessen Rückkehr nach Westafrika als Lehrer in sein Heimatdorf Kpenoe (Altena 2003: 392) und anschließend in die Hauptstation Ho (G. Härtter. Die Verwendung unserer Gehilfen. Ho & Keta, Januar 1901 (7, 1025–29/1). Zwei Jahre danach wurde er auf die Nebenstation Agu bei Kpalime versetzt, wo er bis 1898 tätig war. Er wurde in demselben Jahr wegen „Unsittlichkeit“ entlassen. Der Missionsvorstand war sowohl mit dem Betragen als auch mit der Leistung Kendes bei der Arbeit nicht zufrieden. Sein Auftritt als Lehrer überzeugte seine Vorsteher nicht, die sich Gedanken über seine Fähigkeit als Lehrer machten: „In seiner Schularbeit ist Kende so nachlässig und um seine Schüler so wenig besorgt, dass [Katechist und vorgesetzter Lehrer] John Te sich genötigt sieht, die Schule selbst wieder zu übernehmen und die anderweitige dringende Missionsarbeit wieder in den Hintergrund zu stellen. Nach meinem Dafürhalten ist es das Beste, wenn wir den Mann wieder aus der Arbeit scheiden lassen, damit er ihr in der Eigenschaft eines Lehrers wenigstens nicht schaden kann.“ Spieth. Versündigung von Elisa Kende. Stationskonferenz Ho. Ho, den 29. XII. 1898. S.3f (7, 1025–29/1).
Abb. 13. Lehrer Elisa Kende am Harmonium der Gemeinde. Letzteres wurde beim Asantekrieg von Ho nach Kumase geschleppt, dann wieder herausgegeben, und ist jetzt wieder in Kpenoe 1895 (7,1025–Fotos 4262)
Kende schien auch, die Bedeutung der christlichen Trauung nicht hoch geschätzt zu haben, obwohl er in Deutschland darüber unterrichtet worden war:
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„Ein junger Mann, der in Deutschland gewesen und hier eine Lehrerstelle bekleidet, aber so leichtsinnig und frivol an den Traualtar tritt, ist nicht würdig, ein Lehramt zu bekleiden. Meines Erachtens ist das genug, um ihn seines Amtes zu entsetzen und braucht man da kein weiteres Material zu sammeln.“ Härtter. Keta, den 30. Januar 1899 (7, 1025–29/1)
Es wurde Elisa Kende öfters seine voreheliche bzw. uneheliche Geschlechtsgemeinschaft vorgeworfen. Er heiratete ein schwangeres Mädchen, mit dem er zuvor gegangen war. Aber er leugnete diese Tatsache vor seiner christlichen Trauung: „Schon vor seiner Hochzeit mit dem früher von ihm missbrauchten Mädchen war dieses wieder schwanger von ihm. Als es dann bis zur Hochzeit kam, haben beide Bruder Diehl schmählich angelogen. Vor Gottes Angesicht beteuerten sie, dass ihrer christlichen Einsegnung ihrerseits kein Hindernis im Wege stehe. Auf Grund dieser Erklärung fand die Trauung statt. Wenige Monate später hat die Frau einen Knaben geboren.“ Spieth. Versündigung von Elisa Kende. Stationskonferenz Ho. Ho, den 29. XII. 1898 (7, 1025–29/1)
Abb. 14. Elisa Kende mit seiner Frau in ihrer christlich europäischen Hochzeitskleidung, in Amedz45e-Bezirk 1898 (7,1025– Fotos 0317)
Dazu kam, dass Kende trotz seiner Verheiratung laut Zeugnis von manchen Arbeitskollegen ein „Weiberfreund“ sei, wie sein Kollege, Lehrer und Katechist John Te, das bezeichnete. Missionar Spieth berichtete hierzu über den Umgang Kendes mit der Frau des Gemeindemitgliedes Jonas Anku: „Am 6. April [1899] hatte ich eine recht unangenehme Verhandlung mit einem Ehepaar aus Ahliha. Der Name des Mannes ist Jonas Anku und der seiner Frau ist Johanna Ametau. Unter vielem Traurigem kam auch die traurige Geschichte aus Tagelicht, dass Elisa Kende derzeit Lehrer am Agu, kurz vor seiner Verheiratung und aller Wahrscheinlichkeit nach auch noch
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längere Zeit nach Derselben, schlechten Verkehr mit derselben gepflegt hat. Kende wurde deswegen von einem Kpenoe Christen im Auftrag des Jonas Anku zur Rechenschaft gezogen, wobei er sich schuldig erklären musste. Auch die Frau gesteht ihr Unrecht ein, will es aber nur auf die Zeit beschränken, in der sie den Taufunterricht besucht habe. Es ist aber ziemlich gewiss, dass sie den Verkehr auch nach ihrer Taufe und nach der Verheiratung des Elisa Kende vorgesetzt habe. Diese fleischlichen Beziehungen zu Kende waren hauptsächlich die Ursache, dass Jonas Anku die Johanna Ametau als seine Frau entlassen hat.“ Spieth. Sündenfall zweier Lehrer Isaak Kofi und Elisa Kende. Stationskonferenz. Ho, d. 1. Mai 1899. (7, 1025–29/1).
Zudem stellte der Missionsvorstand fest, dass Elisa Kende nicht vertrauenswürdig war, denn seine Abwesendheitsrechtsfertigungen auf der Arbeitsstelle überzeugten seine Vorsteher auch nicht: „Kende ist demnach ein Mensch, der sich, so lange er in unserem Dienste ist, mit lauter Unredlichkeiten durchgeschlagen hat.“ Spieth. Sündenfall zweier Lehrer Isaak Kofi und Elisa Kende. Stationskonferenz. Ho, d. 1. Mai 1899 (7; 1025–29/1) Missionar Diehls Eindruck Kende gegenüber stimmte mit dem Bericht Spieths überein. Diehl war mit Kendes Entlassung einverstanden, weil er glaubte, sie sei zur Rettung der Missionsarbeit nötig: „Der Eindruck den ich habe über Elisa Kende stimmt mit dem von Br. Spieth Gesagten überein; er sollte entlassen werden, dass er unsere Arbeit nicht noch mehr schade. Er ist ein träger und wollüstiger Mensch.“ Diehl. Versündigung von Elisa Kende. Stationskonferenz Ho. Ho, den 29. XII. 1898 ( 7, 1025–29/1)
Aufgrund dieser Urteile und Zeugnisse gegen den Lehrer Elisa Kende beschloss die Missionskonferenz in Togo 1899, Kende aus dem Missionsdienst zu entlassen: „Es bedarf wohl keiner weiteren Begründung, wenn wir die Anstellungskommission und den Vorstand ersuchen, sofort Kendes Entlassung anzuordnen.“ Spieth. Sündenfall zweier Lehrer Isaak Kofi und Elisa Kende. Stationskonferenz. Ho, d. 1. Mai 1899 (7, 1025–29/1). Kende zog nach Atakpame, wo die deutsche Kolonialregierung im Juni 1899 ihn als „Dolmetscher“ und „Kanzlist“ anstellte (FA 3/5053: 5; FA 2/198: 33). Er hatte bereits als Übersetzer zum Beispiel bei einem Gerichtsfall zwischen den Einwohnern von Kpenoe und von Ho gedient (Ustorf 1989: 315). Er lebte nun als Klerk und genoss in Atakpame wie andere angesehene afrikanische Personen einen gewissen höheren sozialen Status. Hierzu eine Statistik seines Gehalts: Lohn ab 1.4.1911: 75 M monatlich (FA 1/87: 114) Lohn ab 1.4.1912: 80 M monatlich (FA 1/105: 99) Lohn ab 1.4.1913: 85 M monatlich (FA 1/189: 105) Lohn ab 1.4.1914: 90 M monatlich (FA 1/41: 101)
Er besuchte trotz seiner Entlassung den Gottesdienst in der christlichen Gemeinde in Atakpame. Er fiel den Missionaren nochmals auf, die sein eheliches Leben und seine „Wollust“ verurteilten. Kende lebte jetzt in der Vielehe. Er hatte zwei Frauen in demselben Haushalt. Er zählte zu den vielen polygamen, aber auch angese-
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henen Personen, die beim Gottesdienst vorne in der Kirche saßen. Missionar Pfisterer protestierte dagegen: „Fast (ich glaube ich könnte das Wörtchen „fast“ weglassen) jeder Clerk hat neben seiner rechtmäßigen Frau eine oder mehrere Conkubinen; einige in ziemlich unverfrorener öffentlicher Weise. Da ist z.B. Elisa Kende, früher in unserer Mission, jetzt Dolmetscher hier, der hat neben seiner Frau Katharina noch eine im Haus. Als Frau Dehn dann zu Katharina sagte, sie soll sich ja nicht von der anderen unterdrücken lassen, sondern ihr Recht als erste Frau behaupten, entgegnete diese, sie könne nichts gegen die andere machen, sonst würde ihr Mann sie schlagen.[…] Als ich zum ersten Mal den Gottesdienst besuchen konnte, sagte ich nachher zu Binder: Das kann nicht so fortgehen, daß diese Menschen hier (ich nannte verschiedene Namen), die doch öffentliche Ehebrecher sind, da vorn auf den ersten Plätzen sich breit hinsetzten, als ob sie die Presbyter der Gemeinde wären.“ Andreas Pfisterer an den Inspektor. Atakpame, 5.12.1905 (7, 1025–70/2).
Die Reaktion Missionar Pfisterers war verständlich. Aber er berücksichtigte die soziale und kulturelle Umgebung nicht, in der die betreffenden Personen lebten. Er wusste, dass die so genannten Ehebrecher bzw. Polygamen, die sich in der Kirche auf die vordersten Plätze setzten, die Gemeinde mit ihren Spenden unterhielten. Er wusste auch, dass diese Personen durch ihren sozialen Status die Gemeinde unterstützen, denn sie halfen der Mission, gute Beziehung zu der Bevölkerung zu haben und die Einheimischen für das Christentum zu gewinnen. Die Erwiderung des afrikanischen Katechisten und Lehrers Albert Binder, der damals die Gemeinde auf der Missionsstation in Atakpame betreute, war eindeutig, obwohl sie ohnmächtig klang: „Wo soll ich sie hinsetzen? So sind sie alle“ (Andreas Pfisterer an den Inspektor. Atakpame, 5.12.1905 (7, 1025–70/2). Ohne die angesehenen Klerks, die den Gottesdienst besuchten, hatte die Gemeinde keine große Bedeutung in den Augen der Bevölkerung und der Bewohner der Stadt. Dem Klerk Elisa Kende tat seine Entlassung aus der Missionsarbeit nicht besonders Leid. Er machte Karriere bei der deutschen Kolonialregierung und besuchte den Gottesdienst in der Gemeinde der NMG. Er verleugnete das Christentum nicht, aber er unterstellte sich auch nicht dessen strengen pietistischen Regeln, die ihn in einem ständigen kulturellen Konflikt mit sich selbst und mit seinen Landsleuten gebracht hätten. Er übernahm den Teil der europäischen Kultur, der ihm für sein soziales Leben günstig war und bewahrte einen Teil seiner eigenen Kultur. Seine Ausbildung und seine Erfahrungen in Deutschland ermöglichten ihm, bei Europäern zu arbeiten und seinen Lebensstandard zu erhöhen. Kende hinterließ während seiner Tätigkeit bei der Mission vier von 481 Kirchenliedern im Gesangbuch der EweKirche (Hadzigbal8 na Eυe-Kristo-Hame 1939).
4.6 BIOGRAFIE VON ZACHARIAS DEKU 4.6.1 Kontakt mit dem Christentum Deku stammte aus Ho und besuchte die dortige Missionsschule. Sein Geburtsdatum ist nicht bekannt. Schätzungsweise wurde er etwa 1874 geboren. Deku war
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hinsichtlich seiner Namensbedeutung der erstgeborene Sohn aus der zweiten Ehe seiner Mutter. Nach dem Tod ihres ersten Mannes heiratete Dekus Mutter ein zweites Mal, und Deku war der erste Sohn aus dieser neuen Ehe (Westermann 1954: 56). Während seiner Schulzeit wurde er auf den Namen Zacharias getauft. Sein christlicher Name wurde unterschiedlich aufgeschrieben: Zacharia oder Zacharias. Zacharias Deku wurde in Ho zur Ausbildung in Deutschland ausgewählt. Die Mission hielt ihn für ausbildungsfähig, und er schien wie einige seiner Schulkameraden alle festgesetzten Kriterien zu erfüllen: „Diese [Anforderungen] sind derart gestaltet, dass sie nur in ganz vereinzelten Fällen bei einem Schüler sich finden. Ich glaube, die Letztjährigen (Zacharias [Deku] + Nathanael [Kwami]), sowie Elia Awuma am ehesten allen Anforderungen genügen dürfen. Leider fehlt noch bei dem einen oder anderen Schüler diese oder jene Bedingung.“ Spieth. In: Br. Härtters Bemerkungen zu den im Jahre 1894 nach Westheim vorgeschlagenen Schülern. Keta, den 14. 8. 1894 (7,1025–29/6).
Zacharias Deku reiste am 6. Juni 1893 zusammen mit seinem Schulkameraden Nathanael Kwami – auch aus Ho – nach Deutschland. In der „Evhe-Schule“ in Westheim erhielt Zacharias Deku sowohl theologische als auch fachliche Ausbildungen. 1895, im zweiten Jahr seiner Ausbildung, hielt er zusammen mit seinem vorgesetzten Schulkameraden Isaac Kwadzo und Missionar Karl Fies zwölf Missionspredigten in deutschen Gemeinden wie zum Beispiel Baden und Straßburg (Selbstbiografie von Isaac Kwadzo (7,1025–30/1). Diese Predigten galten nicht nur als Übungen, sondern sie dienten auch dazu, um Spenden für die Mission zu bitten: „In den Jünglingsvereinen in Pforzheim, Bretten und Karlsruhe sprachen wir [Isaac Kwadzo und Zacharias Deku] gewaltig und reichliche Kollekten für die Norddeutsche Mission in Bremen werden eingetragen und so ging es fort, bis ich endlich im Juni mit Missionar Fies und Frau die Rückreise nach Bremen antreten durfte.“ Selbstbiografie von Isaac Kwadzo (7,1025–30/1).
Was die fachliche Ausbildung anbelangte, so hatte Zacharias Deku – mit seinen Kameraden Elia Awuma, Ludwig Medenu und Nathanael Kwami – während seines letzten Studiensemesters im Jahre 1896 im Deutschunterricht zum Beispiel fünfzehn Balladen von Schiller und Uhland sowie Goethes „Hermann und Dorothea“ zu lesen und vierzehn größere Aufsätze zu schreiben, weil der Missionsinspektor Franz Michael Zahn damals die pädagogische Qualifizierung der afrikanischen Mitarbeiter forderte (J. C. Binder. Rechenschaftsbericht 1896/97 (7,1025– 29/6); Ustorf 1989: 270). Es ist bemerkenswert, dass Zacharias Deku und seine Kameraden die Missionsausbildung nicht passiv ertrugen. Sie setzten oft die Inhalte der Bibel zu den Anordnungen der NMG in Westafrika in Beziehung Mit den Missionsordnungen waren sie nicht immer einverstanden. Sie beklagten zum Beispiel, dass im Ho-Gebiet die Beschneidung aufgrund des Christentums verboten war: „Ja, es kann manchmal vorkommen, wenn wir einen Text lesen und sich derselben auf etwa in der Missionsarbeit z. B. die Beschneidung bezieht, dann beklagen wir es, weil es ein Ge-
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setz in unserer Ho-Gemeinde ist, dass kein Christ mehr sein Kind beschneiden darf.“ Deku an Inspektor. Westheim, den 12. September 1895 (7,1025–29/5)
Die Beschneidung von Knaben oder jungen Männern war ein jüdisches Ritual, dass ursprünglich aus Ägypten käme (Chebel 1992: 9; Jensen 1933: 15). Die Juden vollzogen dieses Ritual am achten Tage nach der Geburt. Dieses Ritual erinnerte an die geschlossene Allianz Gottes mit Abraham (1. Mose 17, 10ff). Als Ritus der Aufnahme in den Bund Gottes galt sie auch für strenge Proselyten, für Knechte und Schutzverwandte. Die christliche Übernahme dieses Rituals wurde von Petros, von jüdischer Herkunft, vertreten. An der Forderung der Beschneidung scheiterte zu Begin der christlichen Zeitrechnung die Mission des Judentums im Römischen Reich. Der judenchristliche Versuch, auch im Christentum an der Beschneidung festzuhalten wurde schon in der Urkirche, vor allem durch Paulus, abgewehrt (Brockhaus. Enzyklopädie 1996: 214). Dieses Ritual wurde anfangs in der christlichen Gemeinde im Ewe-Gebiet von der Mission eingesetzt und später von derselben in Frage gestellt. Diese Unstetigkeit in der Kirchenordnung brachte Deku und seine Schulkameraden in Verwirrung. Darüber hinaus galt die Bescheindung bei den Ewe-Bevölkerungen – wie bei anderen afrikanischen Bevölkerungen – bereits als „Rite de passage“ – Übergangsritual, das an Knaben von zehn bis zwölf Jahren – es kam sowohl geringeres wie höheres Alter vor – ausgeübt wurde (Jensen 1933: 21). Dieses Ritual war bereits ein traditionelles Kulturelement, bevor das Christentum in Afrika gebracht wurde. Die Begegnung jüdisch-christlich-europäischer Kultur mit afrikanischen Kulturen half Deku und seinen Schulkameraden, sich leichter im „Christenthum“ zurechtzufinden.
4.6.2 Zacharias Dekus Missionsdienst und die tödliche Erkrankung Nach der Missionsausbildung kehrte Zacharias Deku zusammen mit Nathanael Kwami 1896 nach Westafrika zurück. Kurz vor seiner Rückkehr nach Afrika verpflichtete er sich, sich in den Dienst der NMG zu stellen, die seine Ausbildung finanziell unterstützt hatte: „Ich Endesunterzeichneter erkläre hiermit, dass ich, falls ich durch den Vorstand der NMG, aus dem Missionsdienst entlassen werde oder denselben ohne den Willen des Vorstandes verlasse, bereit bin und mich hiermit verpflichte, die auf meine Ausbildung in Deutschland verwendete Summe von zwei tausend neunhundert und fünfzig (2950) Mark der NMG zurückzubezahlen.“ Zacharias Deku. Bremen, den 3. August 1896. Faszikel Z. Deku (7,1025–29/5).
Zacharias Deku wurde im Oktober 1896 in der Missionsstation Keta als Lehrer und Prediger angestellt. Seine Leistung in den drei ersten Monaten Tätigkeit erfüllte die Erwartungen des Missionsvorstandes nicht. Der Missionsvorstand war einstimmig mit der Predigt Zacharias Deku nicht zufrieden. Man wollte ihm lieber die Gemeindearbeit und die Schularbeit überlassen: „Den Eindruck, welchen Bruder. Spieth von Zach. Deku erhalten hat, haben auch wir hier nach seiner ersten Predigt und in den 3 weiteren Monaten seines Hierseins erhalten. Nach seiner ersten Predigt sagte ich sofort, dass Zacharias seine Zeit nur der Gemeinde widmen kann.
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Ich freue mich, dass er hier in die Schularbeit eintreten soll, wie jeder anderer Lehrer auch.“ Osswald. Stationskonferenz Keta. Keta, d. 14. I. 1897 (7,1025–16/4).
In der Schularbeit hatte Deku ebenfalls Unzulänglichkeiten. Er konnte vor seinen Schülern nicht deutlich vorlesen: „Aufgefallen ist mir ferner an Deku sein schlechtes schülerhaftes Lesen, ich habe mich ehrlich gestanden vor unseren älteren Schüler geschämt. Nicht allein liest er ohne Nachdruck und Verständnis, sondern er ist auch nicht im Stande, auch nur etliche Sätze fließend zu Ende zu lesen.“ Innes. Stationskonferenz Keta. Keta, den 14. 1. 1897 (7,1025–16/4).
Darüber hinaus klagte der Missionsvorstand über Dekus Missachtung der Missionsordnung, nach der jeder Missionsmitarbeiter um Erlaubnis bitten sollte, wenn er sich verloben wollte: „Missfallen hat mir ferner, dass die erste That dieses jungen Mannes, die er sich zu leisten erlaubte, seine ohne unser Wissen abgeschlossene Verlobung war. Ich habe vor jedem afrikanischen jungen Mann hohe Achtung, der seine jungendliche Versuchungs- und Kampfesjahre ehrlich und ohne das Schutzmittel einer Braut durchringt.“ Innes. Stationskonferenz Keta. Keta, den 14. 1. 1897 (7,1025–16/4).
Um seine Leistung zu verbessern, sollte Deku zusätzlich im Unterricht hospitieren: „Es ist für Zacharias sehr nötig, dass er erst eine Weile in das Schuljoch geschaut wird und dort sich selbst in Pflicht nimmt, wozu ihm die feste und geordnete Arbeitsroutine behilflich sein kann. Es wäre für Zacharias Deku ein Schade, wenn ihm das erspart bliebe.“ Innes. Stationskonferenz Keta. Keta, den 14. 1. 1897 (7,1025–16/4).
Diese Zusatzausbildung konnte Deku nicht mehr machen, weil er kurz darauf starb. Was war geschehen? Am Freitag, 15. Januar 1897 teilte Zacharias Deku dem Missionsvorstand mit: „er werde [am Sonntag] nicht predigen können; er fühlte sich schlecht und schwindlig. Sonnabend musste er sich öfter erbrechen, konnte nichts genießen und klagte über Leibschmerzen; hatte jedoch kein Fieber“ G. Däuble an Inspektor. Über den schmerzlichen Verlust zweier Gehilfen: den Austritt des treulosen H. Y4y4 und den seligen Heimgang unseres Zacharias Deku. Keta, 23. 1. 1897 (7,1025–19/5).
Die Krankheit Dekus wurde anfangs nicht ernst genommen, denn alle erhofften eine schnelle Besserung. Erst am Sonntag stellte man fest, dass Deku Würmer hatte: „Da es Sonntag noch ebenso war, machte ich ihm ein Senfpflaster und gab ihm Arznei ein. Als er sich sonntagnachmittags erbrechen musste, gieng dabei ein Wurm ab. Deshalb gab ich die nöthige Arznei und hielt die häufige Öffnung für ein gutes Zeichen; es gieng jedoch kein Wurm mehr ab. Wir wissen sonst keine Krankheitsursache als nur dies. […] Montag gab ich ihm noch 2 Gaben, die auch günstig zu wirken schienen. Das Erbrechen hörte auch auf.“ G. Däuble an Inspektor. Über den schmerzlichen Verlust zweier Gehilfen: den Austritt des treulosen H. Y4y4 und den seligen Heimgang unseres Zacharias Deku. Keta, 23. 1. 1897 (7,1025– 19/5).
Das europäische Wurmmittel konnte Deku nicht helfen. Er fühlte sich offenbar sehr schwach und konnte schon ab Sonntag kaum atmen. Auf Befragen sagte er:
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„er fühle sich nur beengt im Athmen, habe aber keinerlei Schmerzen. Auch über Leibschmerzen klagte er nicht mehr.“ (G. Däuble an Inspektor. Über den schmerzlichen Verlust zweier Gehilfen: den Austritt des treulosen H. Y4y4 und den seligen Heimgang unseres Zacharias Deku. Keta, 23. 1. 1897 (7,1025–19/5). Am Tag darauf ging es ihm schlechter. Er hatte Durchfall und wurde immer schwächer. Auf weitere Befragung: „Er fühle eine unsägliche schmerzhafte lähmende Molligkeit im ganzen Körper, hatte auch einen sehr schwachen langsamen Puls und wälzte sich unruhig hin und her, athmete auch immer schwerer.“ G. Däuble an Inspektor. Über den schmerzlichen Verlust zweier Gehilfen: den Austritt des treulosen H. Y4y4 und den seligen Heimgang unseres Zacharias Deku. Keta, 23. 1. 1897 (7,1025–19/5).
Erst nun entschloss sich Missionar Däuble, einen Arzt kommen zu lassen. Der Arzt verordnete Stärkungs- und Belebungsmittel, von denen der Kranke nur noch ein Mal nahm. Als man bemerkte, dass Deku nicht mehr genesen würde, fing Missionar Däuble an, „zum Herrn um Hilfe und Kraft für den Leidenden“ zu beten. Das Gebet zielte darauf, den christlichen „seligen Heimgang“ des Kranken vorzubereiten: „Seine Kräfte nahmen zusehends ab; er wurde mehrmals bewusstlos, und konnte nur wenig reden wegen seines schweren Athems. Einmal sagte er noch: „Betet nur!“ und später: „Nöthigt mich nicht weiter, zu bleiben!“ Dann kam er gar nicht mehr zum Bewusstsein. Der Athem wurde allmählich leichter, aber auch langsamer und schwächer; und während unsres Gebets entschlief er sanft abends um 7 Uhr. Wir standen erschüttert und weinend um das Todesbett des Frühvollendeten.“ G. Däuble an Inspektor. Über den schmerzlichen Verlust zweier Gehilfen: den Austritt des treulosen H. Y4y4 und den seligen Heimgang unseres Zacharias Deku. Keta, 23. 1. 1897 (7,1025–19/5).
Drei Tage lang hatte Deku leidend im Bett gelegen. Erst am zweiten Tag versuchte man, sich um ihn zu kümmern. Als es zu spät war, ließ man den Arzt kommen. Nach dem Tod des Missionsmitarbeiters Deku versteckten sich die Missionare hinter das Wort Gottes und nahmen diesen Tod als den Willen Gottes: „Der Herr hat uns schwer heimgesucht! […] Eine jahrelange sorgfältige Vorbereitung hat er [Deku] genossen und als wir uns eben freuen und denken, nun bekommen wir einen tüchtigen treuen Gehilfen in der Arbeit, da sagt der Herr: es ist genug! Und nimmt ihn heim in die Ruhe“ G. Däuble an Inspektor. Über den schmerzlichen Verlust zweier Gehilfen: den Austritt des treulosen H. Y4y4 und den seligen Heimgang unseres Zacharias Deku. Keta, 23. 1. 1897 (7,1025–19/5).
Zacharias Deku starb, weil er Würmer in seinem Leib hatte. Wenn die Missionare sich rechtzeitig um ihn gekümmert hätten, hätten sie vermutlich das Leben ihres afrikanischen Mitarbeiters retten können. Vielleicht hätte Deku nicht sterben müssen, wenn er rechtzeitig mit traditionellen Heilmitteln behandelt worden wäre, denn traditionelle Heiler können eine solche häufige Krankheit schnell erkennen und geeignete Mittel dagegen einsetzen. Deku stand passiv vor der traditionellen Kultur und wurde Opfer der christlich-europäischen Anschauung. Deku war während seines Dienstes wegen seiner Leistung umstrittenen. Dennoch wurde er nach seinem Tod anders wahrgenommen:
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„Die Theilnahme [an der Beerdigung] war sehr groß und die Trauer herzlich; denn die Christen hatten ihn in der kurzen Zeit recht lieb gewonnen. Er hatte sie alle besucht und verstand es besonders, Kranke und Betrübte zu trösten. […] Ich hatte gerade jetzt sehr auf seine Hilfe beim Neuen Testament gerechnet und auch an der Schule sollte er helfen, um dabei zu lernen freimuthiger und entschiedener aufzutreten.“ G. Däuble an Inspektor. Über den schmerzlichen Verlust zweier Gehilfen: den Austritt des treulosen H. Y4y4 und den seligen Heimgang unseres Zacharias Deku. Keta, 23. 1. 1897 (7,1025–19/5).
In der Tat waren Missionare an dem Tod Dekus auch schuldig, weil sie ihn während seiner Krankheit vernachlässigt hatten. Seine afrikanischen Kollegen durften nur den Willen Gottes hinter seinen „seligen Heimgang“ sehen: „Einem unter uns aber, dem lieben Bruder Zacharias Deku geht es am besten; denn er ist schon erlöst von allen Beschwerden und Leiden, allen Gefahren und Nöten dieses Lebens und ist versetzt am 18. Januar [1897] in die andere Welt. Es fällt mir schwer, ihn so plötzlich zu verlieren; doch der Herr hat etwas Besseres mit ihm vor uns was er tut, das ist immer wohl getan.“ G. Däuble an Inspektor. Über den schmerzlichen Verlust zweier Gehilfen: den Austritt des treulosen H. Y4y4 und den seligen Heimgang unseres Zacharias Deku. Keta, 23. 1. 1897 (7,1025–19/5).
Deku wurde von seinen Beschwerden und Leiden, die er im Laufe seines Dienstes bei der NMG erlebt hatte, befreit. Die Gefahren und Nöte, die er unterschätzt hatte, hatten ihn in seinem jungen Alter – er war kaum 20 Jahre alt – umgebracht.
4.7 BIOGRAFIE VON NATHANAEL KWAMI 4.7.1 Kindheit und Kontakt mit dem Christentum Nathanael Kwami wurde im Jahre 1874 in Ahliha bei Ho geboren und kam wahrscheinlich aus einer heidnischen Familie. Er wurde vermutlich am Sonnabend geboren und trug deswegen den Ewe-Namen Kwami. Es ist nicht bekannt, dass er mit seinem Schulkameraden Robert Stephan Kwami – auch aus Ho – verwandt war, denn die Eltern Robert Kwamis waren von der Mission in Anyako an der Küste losgekauft worden17. Nathanael Kwami trat um 1887 in die Missionsschule Ho ein, wo er in Kontakt mit dem Christentum kam. Er wurde in seiner Schulzeit auf den Namen Nathanael getauft. Als er 1893 die Mittelschule fortsetzte, schickte der Missionsvorstand ihn zusammen mit seinem Schulkameraden Zacharias Deku zur Missionsausbildung nach Deutschland. Sie hatten zuvor die erforderlichen Kriterien mehr oder weniger erfüllt, die je nach dem noch bei dem einen oder anderen fehlten (Spieth. In: Br. Härtters Bemerkungen zu den im Jahre 1894 nach Westheim vorgeschlagenen Schülern. Keta, den 14. 8. 1894 (7,1025–29/6). 1893 begann Kwami sein Studium an der Evhe-Schule in Westheim – er war 20 Jahre alt. Er blieb dort bis 1896. Er erhielt dort sowohl fachliche als auch biblische Ausbildung. Im Rahmen der fachlichen Ausbildung förderte die Mission die pädagogische Qualifizierung ihrer afrikanischen Mitarbeiter. Nathanael Kwami 17 Vgl. die Biografie von Robert Stephan Kwami
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lernte die deutsche Literatur zu Schiller und Goethe, wie es in der Biografie von Zacharias Deku beschrieben wird. Am Ende seiner Ausbildung verpflichtete er sich, in den Dienst der Mission zu treten, um die Investition der Mission in seine Ausbildung zu kompensieren (Faszikel Nathanael Kwami. Bremen, den 3. August 1896 (7,1025–29/5).
4.7.2 Nathanael Kwami im Dienst der Mission Nathanael Kwami kehrte im August 1896 nach Deutsch-Togo zurück und wurde von der Missionsleitung in der Missionsstation Keta als Lehrer angestellt. Er arbeitete fünf Jahre in Keta, bis er 1901 auf die Außenstation Tove bei Lome versetzt wurde. Als Lehrer und Prediger betreute er die Station Tove. (Azamede 2003b: 259). Nathanael Kwami geriet in der Durchführung seiner Missionsarbeit oft in Spannungen zur Missionsleitung, denn er war mit den Missionsanforderungen nicht immer einverstanden gewesen. Missionar Jakob Spieth forderte ihn einmal auf, die Prüfung in einer Schulklasse zu organisieren, in der er nicht unterrichtete, weil der zuständige Lehrer krank sei. Kwami lehnte den Befehl ab (Napo 1982: 181). War er mit dieser Arbeit überfordert? Die Mission hatte trotzdem einen guten Eindruck von der Leistung und der Arbeit Nathanael Kwamis, indem Missionar William Innes Kritik an dem EweLehrer Zacharias Deku ausübte, den er mit N. Kwami verglich (Innes. Stationskonferenz Keta, d. 14.1.1897; vgl. Biografie Deku). Nathanael Kwami war nicht lange bei der Norddeutschen Mission tätig. Trotz seiner Verpflichtung, im Dienst der Mission zu stehen und seines christlichen Status entschied er sich 1902, aus der Missionsarbeit auszutreten (Altena 2003: 396). Lag sein Austritt an seinen Konflikten mit den Missionaren oder war er nicht mehr vom Christentum überzeugt? Es ist anzumerken, dass Nathanael außerdem bei der Mission wenig verdiente, wie die folgende Gehaltsstatistik es zeigt: „Laufende Nummer: 18. Nathanael Kwami / Jahresgehalt in englischem Gelde: 21£ -- s. / Jahresgehalt in deutschem Gelde: 420 M. -- Pf./ zu zahlende Gehaltsquota bei ½ Prozent: 2M. 10 Pf. / zu zahlende Gehaltsquota bei 1 Prozent: 4M. 20Pf. / zu zahlende Gehaltsquota bei 2 Prozent: 8M. 40Pf. / zu zahlende Gehaltsquota bei 3 Prozent: 12M. 60Pf. / zu zahlende Gehaltsquota bei 4 Prozent: 16M. 80Pf. / zu zahlende Gehaltsquota bei 5 Prozent: 21M. -- Pf.“ (29/1: Statistik der Gehalte der Gehilfen 1901).
Es ist nicht bekannt, wie das berufliche Leben Nathanael Kwamis weiter verlaufen ist. In den Archivalien der NMG ist darüber nichts verzeichnet. Ebenso stand in den Archivalien der Kolonialregierung in Togo sein Name nicht18. Dennoch würde man vermuten, dass er seitdem in die „Gold Coast Colony“ gezogen war, wo er einen besseren Arbeitsplatz fand. Denn die in Deutschland ausgebildeten 18 Es waren bei der deutschen Administration folgende Kwamis angestellt: 1. Kwami, Augustinus aus Kpedzi (FA 3/1165 und 3/1167); 2. Kwami, Christoph (FA 1/85: 102); 3. Kwami, Gottfried (FA 1/105: 99); 4. Kwami, Jonas [Quami] angestellt in Sebevi/Aneho (FA 1/85: 96)
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Lehrer waren damals als Arbeitskräfte bei den Kolonialregierungen sehr willkommen. Kwami wandte sich also vom Christentum und den Missionaren ab und brach damit die Verpflichtung, die er selbst nach seiner Ausbildung in Deutschland unterschrieben hatte, offensichtlich ohne die Ausbildungskosten zurück zu zahlen.
4.8 BIOGRAFIE VON ELIA AWUMA 4.8.1 Kindheit und Kontakt mit dem Christentum In dem Dorf Ahliha bei der Missionsstation Ho lebte der Bauer Agbo Awuma. Er hatte zwei Frauen. Eine der beiden Frauen hieß Dakete. Agbo hatte mit seinen beiden Frauen sechs Kinder, nämlich drei mit jeder Frau. Der Jüngste der Familie war ein Sohn Daketes und wurde im Jahre 1873 geboren (Lebenslauf von Elia Awuma (7, 1025–30/1). Sein traditioneller Name ist bis heute nicht bekannt. Er war noch ein Kind, als sein Vater Agbo an den Pocken starb. Kurz darauf verheiratete sich Dakete wieder, der Sitte entsprechend mit einem nahen Verwandten des verstorbenen Agbo. Dakete zog mit ihren drei Kindern zu ihrem neuen Ehemann. Aus dieser Ehe wurden ein Junge und ein Mädchen geboren. Der Junge aber starb nach seiner Geburt als Kleinkind. Dakete musste sich um vier Kinder fast allein kümmern, „Weil aber der Mann ein Geizhals war, so lag die ganze Arbeit der Pflege und Erziehung der 4 Kinder der armen aber arbeitsamen Mutter allein ob.“ (Lebenslauf von Elia Awuma (7, 1025–30/1).Es kam hinzu, dass der Knabe Awuma sehr ungezogen war. Zu traditioneller Sitte oblag die Erziehung des Jungen dem Vater bzw. einem Mann (Erny 1987: 69). Deswegen hielt Dakete es für erforderlich, den zehn jährigen Knaben Awuma einem Verwandten zu übergeben: „Weil ich als Knabe ein Reißaus war, so erkannte bald meine Mutter, dass es nötig war, mich unter eine festere Hand zu stellen. So kam ich mit etwa 9–10 Jahren zu einem Nächstverwandten in Banyakoe mit Namen Tekpo K4mla. Dieser war mir gegenüber sehr streng, wofür ich ihm heute dankbar bin.“ Lebenslauf von Elia Awuma (7, 1025–30/1).
Der Knabe Awuma war in seiner Kultur so eingewurzelt, dass er ständig in Konflikt mit seinem älteren Bruder Samuel Awuma geriet, weil der ihn in die Schule einschreiben und ihn zum Christentum bringen wollte: „Ihn, meinen Bruder, der inzwischen getauft wurde, nannte ich einen verrückten Kopf. Meiner Meinung nach war er durch sein Christwerden unserer Familie eine Schande geworden und durfte demnach derselben nicht mehr anzugehören. Dass es mir in jener Zeit niemals in den Sinn kam, selbst einmal Schüler oder Christ zu werden, versteht sich ganz von selbst.“ Lebenslauf von Elia Awuma (7, 1025–30/1).
Awuma zog mit 14 Jahren zu seinen Eltern nach Ahliha zurück, wo er nun unter der Aufsicht und Pflege seines christlichen Bruders Samuel stand. Dieser wurde zu seinem Vater im afrikanischen Sinne und bald auch zu seinem Paten im christlichen Sinne. Samuel nahm ihn mit in die Kirche, wo er zum ersten Mal in Kon-
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takt mit dem Christentum trat. Kurz darauf besuchte er jeweils morgens den Taufunterricht und nachmittags die Schule. Am 27. November 1887 wurde er zusammen mit 14 anderen Schülern von Missionar Osswald getauft. Er bekam den Namen Elias. Awuma selbst schrieb aber seinen Taufnamen Elia anstatt Elias. Erst Mitte 1888 besuchte Elia Awuma den ganzen Tag über die Schule. Er durchlief die Missionsschule in Ho und ging Anfang 1893 in die Mittelschule in Keta. Sein Fleiß und seine Haltung überzeugten die Missionare, die ihn zur Ausbildung in Deutschland auswählten: „Elia (Awuma) & Ludwig (Medenu) stammen von Ho. Ersterer ist in der II. Kl. der Mittelschule, während Ludwig [Medenu] Schüler der I. Kl. ist. Das Betragen und die Begabung von Elia ist gut und berechtigt zu den besten und schönsten Hoffnungen.“ Bruder Härtters Bemerkungen zu den im Jahre 1894 nach Westheim vorgeschlagenen Schülern. Keta, 14. 8. 1894 (7, 1025–29/6).
Elia Awuma erfüllte nach Spieths Begutachtung alle erforderlichen Kriterien, wie auch andere Schulkameraden, die für die Missionsausbildung in Deutschland gewählt wurden (Br. Härtters Bemerkungen, zu den, im Jahre 1894 nach Westheim vorgeschlagenen Schülern.“ Keta, den 14. 8. 1894 (7, 1025–29/6). Im August 1894 reiste Elias Awuma zusammen mit seinen Schulkameraden Robert Stephen Kwami und Ludwig Medenu nach Westheim in Württemberg, wo er drei Jahre – 1894–1897 – bei Pfarrer Johannes Binder Missionsausbildung erhielt. Am Ende der Ausbildung kam Elia Awuma mit 24 Jahren am 11. September 1897 nach Westafrika zurück, wo er sich in den Dienst der NMG stellte, mit der üblichen Verpflichtung, dass er, falls er durch den Vorstand der NMG, aus dem Missionsdienst entlassen werde oder denselben ohne den Willen des Vorstandes verlasse, die auf seine Ausbildung in Deutschland verwendete Summe von drei tausend drei hundert (3300) Mark der NMG zurückbezahlen musste. (Elia Awuma Bremen, den 3. September 1897 (7, 1025–29/5).
4.8.2 Elia Awuma im Dienst der NMG Elia Awuma wurde nach Lome, an seinen ersten Arbeitsort geschickt, wo er als Mitarbeiter seines ehemaligen Lehrers Andreas Aku arbeitete. Als junger Lehrer bestand seine Hauptarbeit darin, Unterricht zu geben. Nebenbei half er auch beim Predigen. Sein Vorsteher Andreas Aku führte ihn außerdem in alle Bereiche der Gemeindearbeit hinein (Lebenslauf von Elia Awuma (1025–30/1). Die Missionsarbeit in Lome schien für Elia Awuma mehr eine Freude als eine Last zu sein: „Dem Herrn kann ich dafür nicht genug danken, dass er gerade im Anfang meiner Arbeit in der Mission mich mit diesen lieben würdigen, alterfahrenen Missionsleuten zusammengebracht hat. Heute noch schaue ich auf die schöne in Lome verlebte Zeit mit Freuden zurück.“ Lebenslauf von Elia Awuma (1025–30/1).
Neben seiner Aufgabe gab Lehrer Awuma dem Missionar Diedrich Westermann, der gerade in Lome angekommen war, täglich „von 8–9 Uhr morgens“ Ewe-Kurse (Osswald. Stationskonferenz. Lome, 30. 1. 1901 (7, 1025–20/1).
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Nach fünf Jahren Dienst in Lome wurde Elia Awuma 1902 als Hauptlehrer und Prediger nach Tove19 versetzt. Seine erste Erfahrung als Betreuer der Gemeinde war schwierig. Die Hauptschwierigkeit lag in „der Sammelung der Schüler“, deren Eltern Anhänger der traditionellen Religion waren. Sie sahen daher die Schule als Handlager des Christentums (Autobiografie von Albert Binder (7, 1025–30/1). Die Missionsschule diente dazu, die Kinder systematisch zum Christentum zu bekehren, denn der Lernplan forderte Bibel- und Taufunterricht. Die Mission selbst betonte die wichtige Rolle der Schule in der Missionierung, wie der Missionsinspektor Franz Michael Zahn äußerte: „Die Schule ist eine Brücke zu den Herzen.“ (Ustorf 1989: 120. In: Evangelische Missionsmagazin (EMM) 1884: Konferenzprotokoll. 283). Nach zweieinhalb Jahren Dienst in Tove, im März 1905, wurde Elia Awuma nach Kpalime versetzt, wo er als Pionier eine Gemeinde gründen sollte. Seine Schwierigkeiten in der Station Kpalime waren ebenfalls groß. Er musste sich nicht nur mit der Konkurrenz der katholischen Mission, die ihre Station dort bereits 1902 errichtet hatte, auseinandersetzen, sondern er sollte auch Personen aus der zurückhaltenden Bevölkerung von Kpalime für die evangelische Gemeinde gewinnen. In Begleitung eines jungen Lehrers, der ihm half, sammelte Awuma in erster Linie bekannte Christen aus Lome, die in Kpalime als „Klerks, Schreiner, Schneider, Lehrlinge“ etc. tätig waren (Lebenslauf von Elia Awuma (7, 1025– 30/1). Er nahm ihm bekannte Christen auf, auch wenn sie jetzt in Vielehe lebten: „Mit den meisten unter ihnen bin ich von Lome her bekannt. Obwohl die meisten von ihnen unter dem Druck von Vielweiberei leben, so zeigen sie alle doch ein wahres Interesse für unsere Mission. Aus dem Gesagten tritt es ganz deutlich schwer, dass sie ihre alte evangelische Kirche keineswegs vergessen haben. Für die empfangenen Wohltaten, die ihnen die Mission während ihres Schulbesuchs in früheren Zeiten erwiesen hat, ist mancher sehr dankbar.“ Elia Awuma an Inspektor. Palime, den 26. Juni 1905 (7, 1025–3/3).
Mit dieser Tat missachtete Elia Awuma die Kirchenordnung, nach der jedes Mitglied der Kirche, das als Polygamist bekannt war, ausgeschlossen werden musste (Gemeindeordnung der NMG (7, 1025–43/2). Awuma duldete diese Leute in der Gemeinde und hoffte, dass seine Leistung beim Aufbau der Gemeinde vom Vorstand gewürdigt würde. Außerdem benötigte er die finanzielle Unterstützung von diesen Personen, um die Gemeinde zu entwickeln: „An den Kirchen-Opfer merkt man, dass die meisten Christen aus unserer lieben LomeGemeinde sind, die das Wort des Apostels: „Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb“, seinen Kindern ernstlich einschärfte. […] Ja, an manchem Sonntage erblickt man auch 1 oder 2 blanke 25 Pfennigstück unter den 5 Pfennigstücken. Dass unsere kleine Gemeinde diese Lust zum Geben für immer behalte! Weil wir noch keinen eigenen Saal haben, der als Kapelle dienen soll, so gibt es nachmittags keine Kirche. Wir hoffen aber bald eine Schule bekommen zu können, die zugleich auch für die kirchlichen Zwecke gebraucht werden kann.“ Elia Awuma an Inspektor. Palime, den 26. Juni 1905 (7, 1025–3/3).
Die Haltung des Lehrers und Predigers Awuma ist nachvollziehbar, denn er kämpfte in erster Linie um seine Arbeit und andererseits befand er sich unter dem 19 heute offiziell: „Mission Tove“; in Missions- und deutscher Kolonialära: Towe oder Tove.
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Druck der Konkurrenz mit den Katholiken, die über „große Mittel“ verfügten, um die Bevölkerung für den Katholizismus zu gewinnen: „Wenn ein Palimeer sein Interesse für die Schule zeigen und seinen Sohn etwas lernen lassen will, so schickt er ihn zu den Katholiken, welchen durch ihr längeres Hiersein und ihre großartigen Bauten die Leute mehr anziehen.20 Zurzeit hat ihre Mission 4 Patres und 1 BauBruder. Drei von den Patres, deren einer den Schulen vorsteht, machen bei den Eltern ihrer Schüler usw. sehr oft Hausbesuch. Bald werden auch ihre Schwestern kommen, die sich mehr mit dem weiblichen Geschlecht abgeben sollen. Ihnen wird an der Tove-Straße eine schöne Wohnung hergerichtet. Aus diesem Grund müssen wir vor die Hand auf [mit den] die Kinder[n] unserer wenigen Christen, welche immer auswärtige sind, rechnen.“ Elia Awuma an Inspektor. Palime, den 26. Juni 1905 (7, 1025–3/3).
Elia Awuma gewann ein paar Kinder für die evangelische Schule, die er anfangs in einem seiner beiden gemieteten Wohnstübchen unterbrachte (Lebenslauf von Elia Awuma (7, 1025–30/1). Danach baute er mit der finanziellen Unterstützung der Polygamisten eine Lehrerwohnung. Den Gottesdienst hielt er in der Bremer Faktorei in Kpalime, denn „der freundliche Agent der Bremer Faktorei, Herr Hilmann21 war so gut und stellt uns seine Veranda zu gottesdienstlichen Zwecken zur Verfügung.“ (Lebenslauf von Elia Awuma (7, 1025–30/1). Die Missionsleitung im Ewe-Land war mit der Leistung Awumas zufrieden. Nachdem das Lehrer- und Schulhaus in Kpalime fertig gestellt war, wurde Elia Awuma im Juli 1906 in die Hauptstation Ho versetzt. In Ho übernahm er zuerst die Arbeit des Stationslehrers, welche darin bestand: „dem Stationsvorsteher zur Seite zu stehen, der Gemeinde mit der Predigt des Evangeliums zu dienen und auch in der Schule zu arbeiten.“ (Lebenslauf von Elia Awuma (7, 1025–30/1). 1908 wurde Elia Awuma zum Katechisten geweiht. Neben seiner Katechistenarbeit, die darin bestand, sich um die Gemeinde zu kümmern, half er den Missionsschwestern bei ihrer Arbeit in der Mädchenanstalt. Am 31. März 1912 wurde er durch Missionar Gottlob Däuble, Präses der NMG, zum Pastor ordiniert. Ihm oblag die folgende Aufgabe: „Als Pastor arbeitete ich zuerst mit Herrn Miss. Albert Fies und dann mit Herrn Linder zusammen an den Gemeinden unseres Ho-Bezirks. Seit 1917 aber als unsere Missionare durch die Engländer weggeführt wurden, stehe ich ganz allein auf diesem Posten! Von 1920 an bin ich auch der Pastor der Gemeinden in der Awudome-Landschaft.“ Lebenslauf von Elia Awuma (7, 1025–30/1).
20 Ein großes Schwesterhaus steht fertig auf der Lome- oder (Tove-) Straße und eine sehr große Kirche soll bald gebaut werden. Sie haben gewöhnlich 4-5 Missionare in Kpalime und bald kommen Schwestern dazu. H. Biehe 21 Hillmann, Hermann Hinrich * 9.11.1858 in Minnesota (FA 1/288, S. 170) (1901 beide Eltern tot), evangelisch, ledig (Anmeldung 1901, FA 3/2018, S. 38) war Handelsagent für die Bremer Faktorei (Sebald: Kartei der Deutschen in ANT, Lome)
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Abb. 15. Pastor E. Awuma (Mitte) in seinem Pastorengewand mit Kirchenältesten und Gemeindemitarbeitern in christlich-europaeischem Anzug bzw.in traditionellem Anzug, in Ho, 1912 (7,1025– Fotos 4206)
Die Missionsleitung in Lome hatte schon vor langer Zeit überlegt, Elia Awuma angesichts seiner Begabung in der Predigt und seines Engagements in Lome zum Pastor zu ordinieren: „Es wäre aber schade um ihn, wenn er für ganz an eine Schule versetzt werden würde, da er für Predigt eine besondere Begabung hat. Er predigt besser und herzlicher als anders und ich denke, er kann später an irgendeiner Gemeinde als Katechist oder Pastor im Segen wirken.“ Oswald an Miss. Schröder und Bürgi. Lome, 12. 12. 1900 (7, 1025–5/3).
Nichtsdestoweniger zeigte Elia Awuma in seiner Arbeit einige Unzulänglichkeiten, die er selbst bei seiner Ausbildung in Deutschland nicht hatte beheben können. Er war in Musik nicht begabt. Der Vorstand sah ihn dennoch als geeignet für die Arbeit als Lehrer an: „Weiter möchte ich noch anführen, was Br. Härtter auch hervorgehoben hat, dass er nicht Harmonium spielen und auch keinen Gesangunterricht erteilen kann. Dass er sich für die Stelle eigene würde, will ich nicht in Abrede stellen […].“Oswald an Miss. Schröder und Bürgi. Lome, 12. 12. 1900 (7, 1025–5/3).
4.8.3 Elia Awuma und sein Gesundheitszustand Elia Awuma sah gesund aus, als er in Deutschland war. Nur sein Schulkamerad Ludwig Medenu hatte gesundheitliche Schwierigkeiten, worüber Awuma dem Missionsinspektor berichtete: „Im Allgemeinen kann ich Ihnen schreiben, dass es uns ganz gut geht. Nur Ludwig [Medenu] ist krank gewesen an Gliederweh, wie
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Herr Pfarrer Ihnen berichten wird.“ (Awuma an Missionsinspektor Zahn. Westheim, den 9. November 1896 (7, 1025–29/5). Nach seiner Anstellung in den Dienst der Mission wurde Awuma offensichtlich krank. Seine Arbeit wurde wegen seiner Erkrankung oft unterbrochen. Zumindest einmal wurde er in ein Krankenhaus eingewiesen: „Elia Awuma, der nicht so ganz wohl ist, soll auf Anraten des Arztes hin, auch einige Wochen ins Krankenhaus nach Klein Popo gehen. Er hatte vor längerer Zeit eine Art Dysenterie und seither einen schwachen Magen. In der Magen- und Lebergegend ist auch eine starke Erhöhung, Anschwellung, was nicht ganz unbedenklich ist. Im Krankenhaus soll er nun genau beobachtet werden.“ Osswald an den Inspektor. Lome, 4. 8. 1899 (7, 1025–19/7).
Der Vorstand hatte Bedenken, Awuma weiter in Lome arbeiten zu lassen, obwohl er sich dort als sehr kompetent erwiesen hatte, denn er war „[…] im letzten Jahr […] so leidend, dass man glaubte, dass er auf die Dauer nicht einmal würde in Lome bleiben können […]“. (Härtter an den Vorstand. Keta, den 8. Dezember 1900 (7, 1025–5/3). Die Frage einer Versetzung wurde offiziell beraten. Der Vorstand der NMG dachte über mehreren Möglichkeiten nach: „[…] Ich bitte Br. Oswald, er wolle sich darüber aussprechen. An die Stelle des Elia [Awuma] könnte Gebhard Mensa für Lome im Vorschlag kommen und seine Lücke könnte hier durch Robert Kwami ersetzt werden. Gebhard Mensa kann ich mit gutem gewissen empfehlen. Auch er [Elia Awuma] selbst wünscht wohl, gerne dorthin [nach Ho] [zu] gehen, weil Braut und Schwiegereltern in der Nähe sind.“ Spieth an Bürgi: Ho, den 29. November 1900 (7, 1025–5/3).
Die Anstellung von engagierten und gesunden Mitarbeitern war in Lome wichtig, weil die NMG in großer Konkurrenz mit der katholischen Mission stand. Lome war die Hauptstadt und die größte Stadt Deutsch-Togos und galt eine strategische Station für die Erlangung des Landesinneren (Sebald 1988: 204–222). Die Mission wollte deshalb auf dieser Station nur gesunde, „rechtenswerte Lehrer“ und dynamische Mitarbeiter einsetzen. Außerdem war nur ein europäischer Missionar der NMG in Lome stationiert. Die beiden „tüchtigen“ Lehrer, Andreas Aku und Elia Awuma, wurden daher auch für Gottesdienste in Anspruch genommen. Elia Awuma war kränklich, aber tüchtig und in der Predigt begabt, was für die Mission in Lome günstig war. Deswegen sprachen Missionare zusammenfassend für seine Belassung in Lome: „[…] [Elia Awumas] Hauptstärke liegt im Umgang mit den Kleinen und in seiner Predigtgabe. 4) Deshalb glaube ich, dass es ein Schade wäre, wenn E. Awuma uns seiner jetzigen Arbeit herausgenommen und ganz sich aufs Lehrfach legen müsste. Wenn er in seiner jetzigen Stellung bleibt, ist zu hoffen, dass wir mit der Zeit an ihm einen tüchtigen Katechisten, vielleicht Pfarrer bekommen.“ Härtter an Vorstand. Keta, den 8. Dezember 1900 (7, 1025–5/3).
So wurde Elia Awuma endlich trotz seines schwachen Gesundheitszustandes zunächst in Lome belassen.
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4.8.4 Elia Awumas Stellungnahmen der traditionellen Religion gegenüber Auch als Elia Awuma Lehrer und Prediger war, tolerierte er im Verborgenen die traditionellen Sitten. Somit hatte er Erfolg in der Gründung der Gemeinde in Kpalime gehabt, wo er die Polygamisten aufgenommen hatte und diese die Entwicklung der Gemeinde finanziell unterstützt hatten. Nachdem Elia Awuma zum Pastor ordiniert wurde und erfahrener war, änderte er seine Position gegenüber seinen Landsleuten, die die Kirchenordnung nicht einhielten. Er führte einen Kampf gegen die „untreuen Christen“ und entließ jedes Gemeindemitglied, das sich „unsittlich“ verhielt. 1918 schloss er zum Beispiel den „verdorbenen“ Schmied Gustav A5enu aus der Gemeinde in Ho aus, weil dieser seine Werkzeuge statt Jesus verehrt hatte: „Er ist wieder ein wirklicher Heide und entschiedener Feind der Christen geworden. Bei meinem letzten Besuche daselbst habe ich mit eignen Augen gesehen, wie er seinen Werkzeugen (er ist Eisenschmied) ganz wie die Heiden Essen gab. Das Essen bestand in einer Hühnerbrühe mit etwas Öl gekochtem Hartbrei, welcher über die Werkzeuge gestreut war. Als Antwort auf meine Frage, wie oft er seinen Werkzeugen in einem Tage Essen gebe, sagte er: „Nicht jeden [Tag] gebe ich ihnen Essen. Wenn sie (die Werkzeuge) aber mich gesund erhalten und mir zu meiner Arbeit Glück geben, dann werden sie bald wieder was bekommen. Eine wirkliche Verehrung der Werkzeuge!“ Awuma an den Vorstand. 1. Halbjahr-Bericht 1918. Ho, den 30. Juli 1918 (7, 1025–30/4).
War A5enus Verhalten schlechter als diejenigen Mitglieder in Kpalime gewesen, die in der Vielehe lebten? In der Tat hatten sie alle die Kirchenordnung übertreten. Aber Gustav A5enu war bestraft worden. Keiner von den Klerks, Schreinern, Schneidern und Lehrlingen, die bei Europäern arbeiteten und die Kirche finanziell unterstützt hatten, war aus der Gemeinde ausgeschlossen. Gustav A5enu wurde ein Opfer der Kirchenordnung, weil er der Kirche kaum etwas einbrachte. Außerdem übte er keine „moderne“ Arbeit aus. Dies lässt sich fragen, ob Pastor Elia Awuma auf den Status jedes Gemeindenmitglieds achtete, ehe er sich auf die Kirchenordnung bezog. Mit dem „traditionellen“ Eisenschmied Gustav A5enu zeigte sich der Pastor unnachgiebig und setzte die Kirchenordnung durch. Dennoch konnte man im Allgemeinen in den Kirchengemeinden feststellen, dass die Duldung von Polygamisten eher möglich als vom „Heidentum“ war. Missionare selbst hielten es nicht für dramatisch, Polygamisten in die Gemeinden aufzunehmen und deren Frauen zu taufen: „ […] Ich selbst habe einige [Polygamisten]getauft. So zwei Frauen des Leiters der Bremer Faktorei in Palime, Mr. William Malm. Soviel ich mich entsinne auch noch je die zweite Frau von zwei Christen, die aus W4dze stammen. – M.E. sollte eine Frau, welche nach Landessitte rechtmäßig geheiratet wurde, nicht zwangsmäßig der Taufe wegen von ihrem Manne getrennt werden. Haben wir das Recht, einer Frau, die rechtmäßig nach Landessitte geheiratet hatte, die Taufe zu verweigern? Kann hier nicht 1. Kor. 7, 10–2422 geltend gemacht werden? – Sodann sagte ich mir, sind die Frauen bei einem Manne wie Malm in guter Obhut. Er war ein 22 1. Kor. 7, 10: Den Ehelichen gebiete aber nicht ich, sondern der Herr, dass die Frau sich nicht scheide von dem Manne.
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treuer Gottesdienstbesucher, hielt täglich selbst Andacht mit den Seinen, sein Lebenswandel war für Christen und Heiden vorbildlich. Wie es geworden wäre, wenn man der Frau die Taufe verweigert hätte? Wie wenn die Frau sich von Malm getrennt hätte, nachher aber der Versuchung erlegen und einen anderen Polygamisten geheiratet hätte! – Der Herr der Mission wolle den leitenden Männern durch seinen Geist die rechte Weisung auch in dieser schwierigen Frage geben.“ Diehl, 9. Oktober 1931 (7, 1025–43/5)
Ebenfalls bekämpfte Elia Awuma die traditionelle Religion, in dem er EweChristen ausschloss, die an den Zeremonien betreffend den Tod des Häuptlings beteiligt waren: „Sehr traurig sieht es in Akrofu aus. Hier mussten von den 19 Gemeindegliedern 7 ausgeschlossen werden. 5 der Ausgeschlossenen und der einzige Taufbewerber haben sich beim Tode des dortigen Häuptlings zur Asoŋfo-Leibgarde eines Häuptlings (Leute, welche sich wie wahnsinnig aufführen, sinnlos schreien und stehlen … gemacht).“ Elia Awuma. Jahresbericht über die Gemeindearbeit und Schule in Ho, Tsito, Awudome usw.; Ho, den 5. Mai 1920 (7, 1025–30/4).
Abb. 16. Pastor Elia Awuma, unnachgiebig den traditionellen Glaubensformen gegenüber. 1927/28 (7,1025– Fotos 2296_4)
Durch diesen Fall zeigte Elia Awuma, dass das „Heidentum“ in den christlichen Gemeinden überlebt hatte. Jahrelang hatte er bemerkt, dass die einheimischen Christen christliche und traditionelle Anschauungen zusammenbrachten: „Was hier einem Fremden von einer unserer Inland-Stationen sehr auffällig und fremd vorkommen würde, ist die Todesfeierlichkeiten der Christen und Heiden. Darin ist zwischen den beiden Parteien kein Unterschied. Nachdem der Christ christlich beerdigt wurde, wird ihm von Seiten seiner heidnischen Verwandten noch Todesfest gefeiert grade so wie bei dem Tode eines gewöhnlichen Heiden. Das Schlimmste dabei aber ist, dass auch viele Christen es mit den Heiden mitmachen.“ Elia Awuma. Vierteljahresbericht 1926. Anyako, den 8. 7. 26 (7, 1025–30/5)
Wenn ein Mensch im Ewe-Lande stirbt, so geschieht dies nach Ansicht traditionell denkender Ewe nicht von ungefähr, sondern er hatte immer eine bestimmte Ursache oder Bedeutung. Es gibt zwei verschiedene Arten des Todes in der Ewe-
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Gesellschaft, nämlich den guten Tod und den schnellen Tod (Spieth 1911: 233). Deswegen führte man bei einem Todesfall Rituale durch, um die Ursachen aufzudecken und den Geist des Verstorben zu befreien bzw. in die Ruhe zu versetzen. Wenn solche Rituale nicht durchgeführt wurden, wurden die lebendigen Verwandten des Verstorbenen ständig vom Geist des Verstorbenen belästigt (Surgy 1988: 121–126). Dann kam es zu merkwürdigen Phänomenen in der Familie des Verstorbenen, bis man den Geist des Verstorbenen mit Zeremonien beruhigte: „Belästigt der Verstorbene seine Hinterbliebenen […], so rufen sie einen Zauberer, der die Aufgabe hat, den mit Zauberschnüren zu binden. […] Nun ist er gebunden und kann seine Hinterbliebenen nicht mehr belästigen.“ Spieth (1911): 239.
Jeder Ewe-Christ musste in der Regel an solchen Familienzeremonien teilnehmen, wenn er mit dem Verstorbenen verwandt war. Darum nahmen Christen auch an den Todesfeierlichkeiten teil. Aber Pastor Elia Awuma verleugnete diesen Vorgang, weil er ihn als heidnisch bezeichnete. Die Christen beteten auch zwar für die Ruhe des Geistes ihres Verstorbenen, aber sie verfuhren anders. Awuma prangerte das traditionelle Verfahren an, weil die einheimischen Christen zusammen mit Heiden die Rituale vorführten und dabei „saufen und tanzen“. Er erlebte dies peinlich: „Mir sagte neulich eine ziemlich alte Heiden-Frau u. a.: „Mit deinen Christen-Frauen und christlichen Mädchen komme ich bei unseren Festlichkeiten und Tänzereien zusammen und kann dir bestätigen, dass sie sich nicht anderes zeigen als wir Heiden!“ Wie beschämend das mir sein musste, kann sich jeder schon denken.“ Elia Awuma. Vierteljahresbericht 1926. Anyako, den 8. 7. 26 (7, 1025–30/5).
Abb. 17. Pastor E. Awuma mit seiner Frau und den Kindern, die er versuchte, streng vor traditionellen religiösen Glaubensformen zu schützen und nach der christlichen Ordnung zu erziehen. in Ho, vor 1914 (7,1025– Fotos 0367)
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Konnte sich ein Ewe-Christ, der im Ewe-Land lebte und in seiner Kultur eingewurzelt war, anders verhalten? Der Tanz in der Ewe-Gesellschaft begleitete jede traditionelle Angelegenheit und wurde besonders von Frauen auf Trommelspiele von Männern vorgeführt. Abgesehen von religiösen Anschauungen war der Tanz in der Ewe-Gesellschaft ein kulturelles Element, das alle Einwohner des Dorfes bzw. der Stadt zusammenbrachte (Agblemagnon 1969: 115–119). Insofern durfte der Ewe-Christ nicht verurteilt werden, weil er zusammen mit Nicht-Christen, mit seinen Landsleuten getanzt hatte. Kein selbstbewusster Ewe würde sich von seiner volkstümlichen Musik abwenden, nur weil er Christ geworden war. Dies hatte der Vorstand der selbständigen Ewe-Kirche verstanden und in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts Reformen innerhalb der Ewe-Kirche eingeführt, damit die Ewe-Kirche zu den Realitäten der Ewe-Gesellschaft passten. Elia Awuma hätte dies im Jahre 1926, vier Jahre nach der Unabhängigkeit der Ewe-Kirche, schon verstehen können. Aber er hing fest an seinem Pastortitel und identifizierte sich mit den europäischen Missionaren, die die traditionellen Anschauungen der Ewe früher oft verachtet hatten. Er hatte auch die Lehre eines „heidnischen“ Landsmanns nicht berücksichtigt, der ihm sieben Jahre früher die Realität erklärt hatte, dass ein Ewe abgesehen von seiner neuen Religion Ewe bleiben würde, solange er im Ewe-Land lebte: „Ein verständiger Heide sagte mir einmal: „Ein Christ, welcher mitten unter uns Heiden wohnt, kann schwerlich ein rechter Christ sein. Dies Wort zeigt oft seine Wahrheit bei Christen, die sich von den Heiden trennen und so ist es auch in Klepe und Akrofu der Fall. Ich bin daher dem Ziavi-Häuptling, der eine ganze Trennung der Christen und Heiden seines Dorfes verlangt, sehr dankbar.“ Elia Awuma. Quartalbericht von Ho, 21. 7. 1919 (7, 1025–30/4).
Diese Realität nahm Elia Awuma innerlich hin, als er bemerkte, dass die bekehrten Ewe-Christen wiederholt in die „heidnische Unsittlichkeit“ fielen. Diese Tatsache überzeugte ihn endlich davon, dass der einheimische Christ sich nur zwischen den lokalen Kulturen und der christlichen Kultur bewegen konnte. Er konnte keine reine christliche Vorstellung haben. Awuma beschrieb dies, nachdem er die Erfahrung mit einer tüchtigen einheimischen Christin gemacht hatte: „Eine der vielen Keta-Gemeinde-Mütter z. B. kam im letzten Jahre an einem schönen Sonntag mit einer Tochter, die, wie man sagte, Lehrerin an der Keta-Mädchen-Schule war, und ihrem Enkelkind hierher. Sie kamen nur deshalb hierher, um dem Kind, das auch natürlich getauft ist, einen sehr heidnischen Gebrauch zu tun. Der Glaube, dass der Mensch nach seinem Tode durch eine zweite Geburt wieder an die Welt kommt, ist ja von je her in unserem Volke eingewurzelt. Wenn nun ein Kind einer in seiner Familie schon verstorbenen Person ähnlich ist, so sagt man, der oder die betreffende sei ins Leben wieder zurückgekommen. Einem solchen Kind muss man eine gewisse Perlen-Schnur an einem Arm anbinden und das geht nicht ohne Gebet zu dem Verstorbenen oder besondere heidnische Gebräuche. Das ist was unsere arme Gemeinde-Mutter und ihre Tochter (von) hierher führte. Auch die ernstlich dringenden Mahnungen unsres lieben „Hamemegã“ (Kirchenältesten) Josef T4su konnten sie von ihrem sehr unchristlichen Vorhaben nicht abhalten. Das ist nur ein Beispiel, das zeigt, wie in vielen Christen, besonders in Frauen und Mädchen das Heidentum noch schwer zu bekämpfen ist.“ Elia Awuma. Vierteljahresbericht. Anyako, 8. 7. 1926 (7,1025–30/5).
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Diese Bewegung von Ewe-Christen zwischen mehreren kulturellen Räumen und mehreren religiösen Vorstellungen ließ Elia Awuma an ihrem „Christenthum“ zweifeln. Auch an den Nachwuchs der Gemeinde glaubte er nun kaum. Dies stellte er bei der Taufe von jungen Taufbewerbern fest, die in die Gemeinde von Tanyigbe aufgenommen wurden: „Im Blick auf unsere früheren Schüler, welche seinerzeit hier in Ho getauft wurden, freute ich mich über diese Taufe nicht besonders. Das Leben, das sie führen, lässt mich fürchten, dass auch diese Neugetauften es so machen werden wie sie. Denn auch hier ist das Sprichwort: „Der Apfel fällt nicht weit von dem Stamm wahr.“ Die Erfahrung lehrt ja oft, dass die ersten Christen eines Ortes ihren Nachfolgern Vorbild werden.“ Elia Awuma. Quartalbericht von Ho, 21. 7. 1919 (7, 1025–30/4).
Die Bezeichnung der Gemeindenmitglieder reflektierte die Haltung Awumas selbst. Er bekannte nicht, dass er selbst von den traditionellen Anschauungen beeinflusst worden war, als er früher „polygame“ Ewe-Christen in die Gemeinde aufnahm. Er kümmerte sich damals um die Aufnahme von „Begüterten“ in seine Gemeinde und damit in die neue Ewe-Gesellschaft. Er stellte sich nicht selbst in Frage, sondern er bekämpfte bei seinen Landsleuten die transkulturelle Haltung, die er selbst innerlich vertrat. Elia Awuma gehörte zu der Reihe von „treuen“ afrikanischen Mitarbeitern der NMG, die nur durch die Schule in Kontakt zur Mission gekommen sind. In der Schule zeigte er die Begabung, die ihn zu einer wichtigen Person der Mission gemacht hat. Er nutzte seine Chance in der Mission und wurde zum Pastor ordiniert. Mit seinem Titel versuchte er seine Landsleute zudringlich zum Christentum zu bekehren, indem er kulturelle Realitäten der Ewe-Gesellschaft verleugnete. Er ist mit den Realitäten des Kirchenlebens geschickt umgegangen und hat mit seinen Missionsvorstehern keinen Konflikt gehabt. Er blieb im Rahmen der Missionsordnung, die er zur Stärkung seiner Macht gegenüber den einheimischen NichtChristen nutzte. Er widmete der Mission sein Leben. Er heiratete Constantia Aku23 aus Waya. Sie war auch Missionsgehilfin, Lehrerin an der Mädchenanstalt in Ho. Das Ehepaar hatte zehn Kinder, sechs Junge und vier Mädchen.
4.9 BIOGRAFIE VON LUDWIG MEDENU 4.9.1 Kindheit und Kontakt mit dem Christentum Ludwig Medenu wurde etwa 1876 in Ho, geboren (Azamede 2003b: 259). Auf der dortigen Missionsstation besuchte er die Grund- und Mittelschule bis zum Jahre 1894 (Altena 2003: CD-Rom: 402). Obwohl er hinsichtlich seines Nachnamens Medenu ein gebürtiger Ewe war, ist in seinen Akten kein Ewe-Vorname verzeichnet, sondern nur sein christlich-europäischer Taufname Ludwig. Das sollte nicht 23
Constantia Aku war nicht mit dem Pastor Andreas Aku verwandt. Ihr Name Aku mag in diesem Fall den Tag der Geburt eines Mädchens bedeuten. Das am Mittwoch geborene Mädchen heißt bei den Ewe Aku.
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heißen, dass er früher keinen Ewe-Namen hatte, denn jeder Ewe-Eingeborene bekam üblicherweise bei seiner Geburt entweder einen Namen je nach dem Tage der Geburt oder einen Deutungsnamen, der die Umstände seiner Geburt kennzeichnete. Daher kann man vermuten, dass Ludwig Medenu früh seinen traditionellen Namen aufgab, oder dass er ihn seit seiner Schulzeit nicht mehr benutzte. Medenu entschied sich somit für die christlich-europäische Kultur. Diese Haltung war bei jungen Ewe-Christen damals gang und gäbe, die ihre traditionellen Namen leicht aufgaben, weil sie sonst von Missionaren für unchristlich gehalten wurden. Ludwig Medenus Aussehen wurde in rassistischer Weise abwertend geschildert: „Ein Neger […] mit breitem Mund, aufgeworfenen Lippen und breitgedrückter Nase.“ (Härtter. Bemerkungen zu den im Jahre 1894 nach Westheim vorgeschlagenen Schülern. Keta, 14. 8. 1894 (7,1025–29/6). Dagegen widersprach sein Charakter dem Vorurteil gegen geistige Eigenschaften des Schwarzen: „Jedoch darf seine Erscheinung nicht bestimmend auf seinen Charakter einwirken; denn sein Charakter ist besser als seine äußere Erscheinung. Seit ich an der Missionsschule bin, hat er mir nie Veranlassung gegeben über ihn zu klagen; oder unzufrieden mit ihm zu sein. Seine Begabung lässt freilich zu wünschen übrig.“ Härtter. Bemerkungen zu den im Jahre 1894 nach Westheim vorgeschlagenen Schülern. Keta, 14. 8. 1894 (7,1025–29/6)
Hinsichtlich seiner Schulleistung fand der Missionsvorstand keinen Einwand, ihn nach Deutschland zur Ausbildung zu schicken: „[…] da er bis jetzt treu und fleißig gewesen, so hege ich die feste Hoffnung, dass er auch in Deutschland den an ihn gestellten Anforderungen genügen wird.“ (Härtter:ebd.). Es ist hier hervorzuheben, dass der nach Deutschland zu sendende Schüler nicht nur fleißig im Schulbesuch sein sollte, sondern er musste auch Interesse für die christliche Religion zeigen. Aus Sicht der Missionare war nur so die Treue des Schülers Medenu zur Mission verständlich. Treu sein hieß also das Christentum erleben, wie die Kirchenordnung es bestimmte und sich von der Heidenumgebung fernhalten. Insofern rechnete der Missionsvorstand mit der Tüchtigkeit von Ludwig Medenu. Diese Tüchtigkeit zeigte er während seiner Ausbildung in Deutschland. Er studierte bis 1897 zur Zufriedenheit des Missionsvorstandes.
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Abb. 18. Ludwig Medenu (hinten erster v. links) mit seinen Kameraden Elia Awuma und Robert Kwami vor ihrer Abreise nach Afrika zusammen mit Missionsgeschwistern (vorne v. links) Diehl, Frau Knüsli, Schwester Hedwig Rohns. Westheim 1900. (7,1025– Fotos 0145)
4.9.2 Ludwig Medenu vs. die Missionsordnung Ludwig Medenu kehrte nach Afrika am 1. Oktober 1897 zurück. Acht Tage später wurde er als Lehrer auf die Missionsstation Ho geschickt. Ludwig Medenu verstieß bald gegen die Kirchenordnung. Er wurde nach zwei Jahren Tätigkeit aus dem Dienst der Mission wegen „Unsittlichkeit“ entlassen (Härtter. Die Verwendung unserer Gehilfen. Ho & Keta, Januar 1901 (7,1025–29/1). Es war öffentlich bekannt, dass Lehrer Ludwig Medenu mit Josefine, einem Mädchen in Ho, ausging. Aber er wollte Josefine nicht heiraten. Als der Missionar Spieth versuchte, ihn zu überreden, das Mädchen zu heiraten, lehnte er ab. Es wurde ermittelt, dass die Eltern des Mädchens gegen die Eheschließung mit Medenu waren, weil das Mädchen früher Beziehungen „mit einem nächsten Verwandten von Medenu gehabt hat“. Ludwig und Josefine verstanden sich nicht gut und sie schien dem Medenu überlegen zu sein: „[…] Josefine [ließ sich] zu der Äußerung hinreisen, wenn sie den Medenu bekomme, denn werde sie ihn töten. Jetzt habe sie ihn schon übermacht (?), nun könne er ja in den Busch gehen und da predigen. Ein anderer Verwandter namens Franz Kwasi, bat Josefine einmal, wenn Medenu wieder um sie aufrege, dann solle sie doch nichts wieder […] sagen. Dem antwortete sie: „Wenn ich den L. Medenu heirate, denn wird unser Zusammenleben noch viel schlechter als das des Immanuel Amedzo und seiner Frau gewesen ist.“ Spieth. Medenus Bitte um Bestellung. Ho, den 22. November 1900 (7, 1925–16/5)
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In der Tat war Josefine keine Christin. Daher war Ludwig Medenu nicht nur unvorsichtig, sondern er verstieß gegen die Kirchenordnung, indem er ohne die Erlaubnis des Missionsvorstandes mit einem Mädchen ausging (Gemeindeordnung (7,1025–43/2). Josephine wusste, dass Ludwig Medenu inzwischen arbeitslos geworden war. Er wurde von der Mission entlassen. Jetzt hatte Josefine kein Interesse mehr an der Ehe. Medenus jetziger sozialer Zustand würde die Ehe nicht begünstigen. Ludwig seinerseits nutzte seinen jetzigen Zustand, um sich von seinen Schulden der Mission gegenüber zu befreien. Er bat deswegen um seine Wiederanstellung: „Ludwig sagte mir, wenn ihn die Mission nicht wieder anstelle, dann sehe er keinen anderen Weg von sich als auszuwandern. Zur deutschen Regierung wolle er nicht übergehen, seine Schuld aber könne er so nicht an die Mission bezahlen, er wolle deswegen ins englische Gebiet gehen und sehen, ob er dort irgendwo Stellung bekomme. Ich meine doch, wir sollten den Mann uns nicht dauernd verloren gehen lassen.“ Spieth. Medenus Bitte um Bestellung. Ho, den 22. November 1900 (7, 1925–16/5).
Ludwig Medenu wurde nochmals in die Missionsarbeit aufgenommen und bat im September 1902 den Missionsvorstand um Erlaubnis, ein Mädchen namens Woakabube zu heiraten. Aber weil das Mädchen erst den Taufunterricht besuchte, ließ der Missionsvorstand Medenu warten, bis Woakabube fest in ihrem Glauben wurde (Knüsli an Inspektor. Ho, den 13. September 1902 (7,1025–12/4): 7f.). Am 16. April 1903 feierte Ludwig Medenu und seine Braut die Hochzeit in Ve. Kurz danach geriet Medenu wieder in Geldnot. Er machte Schulden für seine Hochzeitsfeier bei der Mission und anderen. Er bat nun die Mission um Unterstützung, um seiner Arbeit nachkommen zu können. Er berief sich auf ein Gespräch mit dem Inspektor Schreiber, den er während dessen Inspektion in Keta getroffen hatte, betreffend die Hochzeit, um seine Bitte zu rechtfertigen: „Als Herr Inspektor bei uns hier kam, nahm er mich einmal auf einem Spaziergang und sagte mir unter seinen Ermahnungsworte, wenn ich einmal dazu käme, eine Hochzeit zu machen, dürfte ich mich mit meiner Bitte an die Mission wenden, damit ich das nötige Mittel für die Hochzeit, weil ich eine längere Zeit ohne Unterhalt gelebt und kein erspartes Geld im Besitz hätte. Aus diesem Worte des Herrn Inspektor wage ich es, diese Bittschrift Ihnen zuzuschicken und erwarte, dass meine Sache, welche ich vertrauensvoll in Ihre hand lege nicht unbeachtet bleiben werde.“ Medenu an Präses. Amedz45e, den 20. April 1903 (7,1025–6/4)
So nutzte Ludwig Medenu die Missionsarbeit, um sich in seinem Leben durchzuschlagen. Er bezog sich auf die christliche Ordnung, wenn das ihm günstig war, und vernachlässigte sie, wenn sie seinen Interessen nicht entsprach. Er konnte daher nicht lange bei der NMG arbeiten. Er arbeitete auf den Missionsstationen in Ho, Agu und Amedz45e bis in das Jahr 1906. Er wurde danach von der Wesleyanischen Mission als Lehrer in die Missionsschule der östlichen Küstenstadt Aneho bis in Mai 1909 angestellt. Vom August–Oktober 1909 war er Krankenpfleger in Kpalime, 120 Km nordwestlich von Lome. Vom 6. Januar 1910 arbeitete er als Lehrer in der Regierungsschule von Lome. Da nahm ihn die deutsche Kolonialregierung sechs Monate später in ihr Amt auf. Am 15. Juni 1910 wurde er als Protokollführer – Schreiber – und Dolmetscher angestellt (Azamede
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2003b: 259). In den Akten der Kolonialregierung im Staatsarchiv ANT in Lome hieß es, er wurde im Januar 1907 in die Regierungsschule in Lome probeweise angestellt, und verdiente 70 Mark monatlich (FA 3/117: 335). Er sei wieder im Februar 1910 entlassen (FA 3/117: 343). Allerdings blieb er in Deutsch-Togo bis zum Ausbruch des ersten Weltkriegs. Er zog danach an die Goldküste im britischen Kolonialgebiet. 1919 meldete er sich in einer Korrespondenz mit dem Missionsinspektor Schlunk: „In dem Kriegsgetümmel bin ich von Togoland nach der Goldküste gezogen ohne Frau und Kinder. […] Seit zwei Jahren bin ich aus Togoland und bin in Akwapem und bekomme mein tägliches Brot.“ Medenu an Inspektor. Mangoase, 15. Juli 1919 (7,1025–24/6)
Ludwig Medenu verließ den Kreis der Mitarbeiter der Mission trotz seiner Verpflichtung, solange wie möglich im Missionsdienst zu bleiben (Faszikel Medenu (7,1025–29/5), und schlug seinen eigenen Weg ein. War er jetzt nicht mehr von dem Christentum überzeugt oder konnte er es nicht mehr für seine eigenen Interessen nutzen? Er war zwar christlich getraut worden, aber er erzog seine Nachkommen außerhalb der christlichen Gemeinde. Sein Streben nach einer sozialen höheren Schicht zeigte er außerdem, sobald er von Deutschland zurückgekommen war. Er ließ sich in einer Hängematte von der Küstenstadt Keta zur Hauptstation des Binnenlandes Ho tragen. Hierzu der Bericht von Robert Kwami: „Am 1. Oktober Punkt 12 Uhr mittags erreichten wir unser Ziel und durften uns mit unseren l. Angehörigen freuen. […] Nach 5tägigem Aufenthalt verließen wir Keta und kamen am 9. Oktober glücklich nach Ho. Elia [Awuma] und ich waren sehr müde von der beschwerlichen Reise. Dem Ludwig [Medenu] ging es besser, weil er in der Hängematte getragen wurde. Wir wurden mit Gesängen abgeholt, was uns sehr stärkte. Die Stimmen hörten nicht auf sich hören zu lassen, bis wir die Station erreicht hatten.“ Robert Kwami an Inspektor. Amedz45e, den 27. November 1897 (7,1025–6/4)
Als Ludwig Medenu seine Interessen nicht mehr vertreten sah, verließ er die NMG. Er arbeitete eine kurze Zeit bei der Wesleyanischen Mission und machte Karriere bei der deutschen Kolonialregierung. Er pflegte auch nach der deutschen Kolonialzeit in Togo den Kontakt sowohl mit den Missionaren als auch mit den Mitarbeitern der Kolonialregierung und mit den Kaufleuten, die er während seines Dienstes kennen lernte: „Hier erlaube ich mir einige Bekannten nach zu fragen in diesem Brief, wie Dr. Gruner24, ein Polizeimeister Bähr, ein Kaufmann […].“(Medenu an Inspektor. Mangoase, 15. Juli 1919 (7,1025–24/6). Ludwig Medenu bewegte sich innerhalb verschiedener Kulturen, um sich einen Weg durchs Leben zu bahnen. Er war nicht besonders daran interessiert, die religiösen Vorstellungen seiner Landsleute zu bekämpfen, oder sie unbedingt zum Christentum zu bekehren. Er sah in Missionsarbeit nur zeitweise eine berufliche Perspektive. Er setzte seine soziale Ambition fort und stellte sich in den Dienst der deutschen Kolonialregierung.
24 Dr .Hans Gruner war 1892-1914 Bezirksamtmann von Misahöhe.
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4.10 BIOGRAFIE VON THEOPHIL RENATUS ASIENI 4.10.1 Kindheit und Kontakt mit dem Christentum In einer Bauernfamilie wurde Asieni am 9. Juli 1879 in Peki-Avetile geboren (Timotheo Mallet an Inspektor. Westheim, den 17. Oktober 1898 (7, 1025–29/5). Über seine Kindheit gibt es keine Erkenntnisse. Vermutlich hatte er laut seines Namens einen Geburtsfehler, denn Asieni bzw. „Asiene“ bezeichnete die Person, die mit nur vier Fingern geboren wird. „Asiene“ heißt „Vierfinger“. Dieser Geburtfehler wurde in der Ewe-Gesellschaft als ein Unglück betrachtet (Westermann 1954: 600). War das der Grund, warum seine Eltern für ihn einen Glücksweg im Christentum aussuchten? Es ist unbekannt, ob seine Eltern Christen waren. Asieni wuchs bei seinen Eltern in Peki-Avetile auf und besuchte die Missionsschule in Peki Blengo. Wahrscheinlich kam Asieni erst während seines Schulbesuchs mit dem Christentum in engen Kontakt. Nachdem er die Mittelschule durchgelaufen hatte, bestimmte ihn der Vorstand der NMG dazu, an der Missionsausbildung in Westheim teilzunehmen. Zusammen mit seinem Schulkameraden Gebhard Mensa reiste Asieni am 26. Juli 1895 nach Deutschland. Dort wurde er auf den Namen Theophil Renatus getauft und zugleich konfirmiert. Die deutschen Missionare schrieben Teofil, während er zuweilen Theophilus Renatus, also seinen Namen mit der lateinischen Endung „us“ schrieb. Seinen Kindern hatte er auch Namen mit der Endung „us“ gegeben, wie zum Beispiel seinem Jüngsten Robert Adolfus Asieni (Katrine Asieni an Großmutter. Gobe, den 18. November 1907 (7, 1025– 5/3). Diese Neigung kam wahrscheinlich von seiner Ausbildung in Deutschland, wo er von Personen oder von Helden, Heiligen und von klassischen Gelehrten in der Bibelgeschichte und der Antike begeistert war. Theophilus war im Neuen Testament eine hoch gestellte Persönlichkeit der christlichen Gemeinde, der das Lukasevangelium und die Apostelgeschichte gewidmet sind: „habe ich’s auch für gut angesehen, nachdem ich’s alles von Anbeginn mit Fleiß erkundet habe, daß ich’s dir, mein guter Theophilus, in Ordnung schriebe, auf das du gewissen Grund erfahrest der Lehre, in welcher du unterrichtet bist.“ Lukas 1, 3–4. Vgl. Apostelgeschichte 1, 1
Theophilus bedeutet Freund Gottes. Um sich mit der Persönlichkeit von Theophilus in der Bibel zu identifizieren, wählte sich Asieni den zweiten Vornamen Renatus, d. h. wiedergeboren. Also Asieni verstand sich als der wiedergeborene alte Freund Gottes: Theophilus Renatus.
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Abb. 19. Th. R. Asieni in der Zeit seiner Missionsausbildung in Deutschland um 1899 (7,1025– Fotos 1901)
Neben seiner Missionsausbildung erhielt Theophil Asieni vom Oktober 1897 bis März 1899 eine technische Ausbildung, nämlich in einer Druckerei und Buchbinderei in Stuttgart, bevor er nach Afrika zurückkehrte (Ustorf 1989: 270f.).
4.10.2 Theophil Asienis Berufsleben bei der NMG und der Kolonialregierung Theophil Asieni kehrte am 11. April 1899 nach Togo zurück. Daraufhin schickte die Missionsleitung ihn als Lehrer und Prediger nach Agu-Ny-gbo unter der Leitung von Missionar Carl Freyburger (Däuble. Bericht der Kirchen- und Schulkommission über die Besetzung von Y4 und die Versetzung von Teofil Asieni und Robert Kwami. Keta, den 3. November 1902 (7, 1025–17/1). Dort arbeitete er bis ins Jahre 1902, wo der Vorstand seine Versetzung in die Station Ho anordnete, die damals unter der Leitung des Missionars Johann Dettmann stand (Schreiber 1936: 236). Drei Jahre nachdem Asieni den Missionsdienst in Ho aufgenommen hatte, wurde er 1905 wegen Aufsässigkeit vom Missionsvorstand entlassen. Im selben Jahr wurde er von der deutschen Kolonialregierung als Sekretär bei der Druckerei in Lome angestellt (FA 3/238: 149; Azamede 2003b: 260). 1907, zwei Jahre später, stellte die NMG ihn wieder ein. Er wurde nach Gobe in der Akposo-Gegend geschickt, wo er eine neue Station gründete. Trotz Asienis Friktionen mit dem Missionsvorstand wurde seine Arbeit gut bewertet. Er arbeitete zu der Zufriedenheit der NMG, auch wenn sein Charakter der Erwartung des Missionsvorstands nicht entsprach: „Teofil Asieni ist pflichttreu und fleißig in seiner Arbeit, aber noch immer gesetzlich und pedantisch gegen seine Schüler, und bei besonderen Anforderungen wenig dienstfertig.“ Däuble. Vierteljahresbericht von Lome, Oktober bis Dezember 1905. Lome, 8. Januar 1906 (7, 1025–20/5)
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Der zeitweise Austritt Asienis aus der Missionsarbeit wurde im Missionskreis bedauert. Auch als Asieni bei der Kolonialregierung arbeitete, verlor ihn der Missionsvorstand nicht aus den Augen. Asieni hatte sich bei der Regierung ebenfalls bewährt und wurde dort sehr geschätzt. Die Missionsleitung freute sich über seine Wiederaufnahme in den Missionsdienst. Hierzu das Gutachten des Präses der NMG in Lome, Gottlob Däuble bei einem Referat Asienis: „Seit kurzem wieder Lehrer I. Klasse. War während seiner Entlassung beim Gouvernement, wo er ein geschätzter Arbeiter war. Hat sich in Gobe mit Fleiß und Freudigkeit ein musterhaftes Heim geschaffen. Bis jetzt bin ich mit ihm sehr zufrieden.“ Däuble. Vermerk unter dem Vortrag Th. R. Asienis zum Thema: Wie verwerte ich meine Kenntnisse, die ich auf Ackerbauschule25 in Notschie erworben habe? In Akposo, Gobe 1909 (7, 1025–31/3).
Vor Asienis Wiederaufnahme in die Missionsarbeit nahm er an der Gründung des Lehrervereins der in Deutschland ausgebildeten Lehrer teil ([erste] Konferenz der in Deutschland ausgebildeten Lehrer, 24.–25. Januar 1907 in Kpalime (7, 1025–19/1). Meinungsverschiedenheiten zwischen Asieni und dem Missionsvorstand bestanden darin, dass Asieni die Anordnungen bei seiner Arbeit überdachte. Er blieb bei ablehnenden Stellungnahmen fest, auch wenn die Missionsleitung oder eine sonstige Obrigkeit darauf bestand. So weigerte sich die Missionsleitung zum Beispiel, Asieni nach Y4 zu versetzen, wo er in Konflikt mit dem deutschen Kolonialbeamten geraten könnte. Ihm wurde sein Kollege Robert Stephan Kwami vorgezogen, weil dieser konzilianter war: „Der Hauptgrund ist mir der: dass Th. Asienis Charakter und Wesen nicht derart ist, dass er mit jedem leicht auskommt; und nun vollends, wo er mit Regierungsbeamten in Berührung kommt. Da ist sogar bestimmt vorauszusehen, dass es nicht gut ginge. Wohl ist ausdrücklich ein Vertrag abgemacht, dass die Beamten in Schulsachen dem Lehrer direkt nichts zu sagen haben, dass er nicht unter ihnen steht. Aber gerade dies könnte zu Unannehmlichkeiten führen. Denn in Berührung kommen sie doch miteinander. Die Beamten kommen hie und da, sehen nach der Schule, erkundigen und äußeren sich. Theofil will sich nichts sagen lassen, benimmt sich schroff und erklärt vielleicht sogar: sie hätten ihm nichts vorzuschreiben und dergleichen. Er hat nicht genug Takt, um sich da immer richtig, vorsichtig, weislich zu benehmen. Wie manche der Beamten sind, wissen wir ja. Von Robert Kwami dürfen wir mit vollem Vertrauen erwarten, dass er sich richtig zu benehmen weiß.“ G. Däuble. Bericht der Kirchen- und Schulkommission über die Besetzung von Y4 und die Versetzung von Teofil Asieni und Robert Kwami. Keta, den 3. November 1902 (7, 1025–17/1).
Weil auch die Missionsleitung auf der Station Agu-Ny-gbo wenig Einfluss auf den Lehrer und Prediger Theophil Asieni hatte, versetzte sie ihn nach Ho, wo Asienis Schwiegervater, Pastor Rudolf Mallet, tätig war, denn dieser könnte die Persönlichkeit Asienis leichter beeinflussen: „Betreffs der Versetzung von Theofil Asieni nach Ho habe ich ebenfalls gute Hoffnung. Bruder Härtter kennt ihn ja schon von Keta her und weiß auch, wie man ihn behandeln muss. Es ist mir wenigstens nicht bekannt, dass er große Schwierigkeiten mit ihm gehabt hätte. Dann ist ja auch Theofils Schwiegervater Pfarrer [Rudolf] Mallet dort, der sicher einen guten erzie25 Auf Vorschlag der NMG besuchte Asieni vom 15. Juli – 14. 1909 August die deutsche Ackerbauschule in Notse (Däuble an das Kaiserliche Gouvernement in Lome. Lome, den 26. März 1909 (7, 1025-21/1)
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herischen Einfluss auf ihn ausüben und ihm wenn nötig den Kopf zurechtsetzen wird, was in Y4 wohl auch versucht, aber nicht in der richtigen, erfolgreichen Weise ausgeführt wurde.“ G. Däuble. Bericht der Kirchen- und Schulkommission über die Besetzung von Y4 und die Versetzung von Teofil Asieni und Robert Kwami. Keta, den 3. November 1902 (7, 1025– 17/1).
Asieni war mit Katrine Mallet, der Tochter des ersten Ewe-Pastors Rudolf Mallet, verheiratet. Dieser wurde unter den einheimischen Missionsmitarbeitern und in der Ewe-Bevölkerung sehr geschätzt. Außerdem genoss der Schwiegervater in der Ewe-Gesellschaft viel Respekt, so dass der Schwiegersohn sich kaum traute, ihm die Stirn zu bieten oder ihm zu widersprechen. Der Missionsvorstand nutzte diese Seite der Ewe-Kultur, um den Lehrer Theophil Asieni zum Gehorsam in der Missionsarbeit zu bringen. Durch den Schwiegervater fügte sich Asieni dem Willen des Missionsvorstandes. Ebenso gelang es dem Missionsvorstand, Asieni durch den Einfluss des Pastors Rudolf Mallet zum zweiten Mal anzustellen. Denn Asieni hätte keinen Grund gehabt, die Arbeit bei der Kolonialregierung aufzugeben, bei der er besser verdiente. Als er seine Arbeit bei der Regierung aufgab, wohnte er mit seiner Frau einen Monat lang bei seinem Schwiegervater in Peki, bevor er nach Gobe zog. Seine Frau bemerkte dazu: „Der Herr hat uns wieder in seine Arbeit gerufen; daher gab mein Mann zu Ende des Jahres 1906 seine Arbeit bei der Regierung auf, und Herr Däuble sagte ihm, dass wir nach Gobe in Akposo gehen sollten. Ich kann Dir sagen, in Lome war es uns zu Anfang recht schwer; aber nach einem halben Jahr hatten wir uns eingelebt, und es gefiel uns gut in vieler Beziehung; doch des Herrn Wort, das lange in unserem Herzen war, ließ es uns nicht zu, dass wir da blieben. So machten wir aus, unsere Eltern in Peki (Pastor Mallet) zu besuchen und rasteten da einen Monat. Darnach kamen wir auf unseren neuen Arbeitsplatz Gobe, wo wir jetzt sind.“ Katrine Asieni an Großmutter26. Gobe, den 18. November 1907 (7, 1025–9/3).
Die Zusage Asienis, wieder für die Mission zu arbeiten, führte ihn auf einen schwierigen Arbeitsplatz. Asieni wurde mit seiner Frau nach Gobe, eine Stadt im Akposo-Gebiet im Binnenland, geschickt, wo die Bevölkerung kein Ewe sprach. In Gobe musste er selbst alles einrichten und eine Nebenstation gründen. Zuerst musste er sich ein Wohnhaus bauen. Seine Frau schrieb dazu an die Diakonisse Rohns: „O, liebe Großmutter, ich kann dir sagen, dieser Arbeitsplatz ist recht schwer nach jeder Hinsicht, […] Man hatte uns kein Haus gebaut, ehe wir kamen. […] Nun mussten wir uns mühen, den Leuten beim Hausbau zu helfen. […] Das Haus des Sprechers, in welchem wir wohnten, während das unsere gebaut wurde, war wie ein Schuppen im freien, jedermann konnte ungehindert hineingehen, und wenn es in der Nacht regnete, mussten wir aufstehen und am Boden sitzen, weil es auf unsere Schlafstätte hereinregnete. Als daher unser Haus fertig war, konnten wir nicht warten, bis es gut austrocknet war, sondern zogen gleich hinein.“ Katrine Asieni an Großmutter. Gobe, den 18. November 1907 (7, 1025–9/3).
Der Zustand des eigenen Hauses war nicht besser. Asieni und seine Familie erlebten Unannehmlichkeiten, die dem Lehrer sein Leben in Deutschland in Erinne26 Hedwig Rohns war Leiterin der Mädchenschule und wurde von ihren Schülerinnen und weiblichen Lehrlingen mit Namen Mamã, d. h. Großmutter geheißen.
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rung riefen. Asieni hatte während seines Studiums in Deutschland besonders unter der Kälte gelitten. Die Nasskälte in Gobe übertraf sogar die Kälte Deutschlands: „Aber da litten wir ganz furchtbar unter der Kälte. Der Boden war kalt wie im Fluss, so dass meine Kleider und Landestücher sich nass kalt anfühlten, als wären sie in kaltes Wasser gefallen. Ich trug viel Holz herbei und machte Feuer im Hause; es wollte nicht recht helfen, da wir ja keine Türe und Fenstern im Hause haben, und dazu auch kein Bettgestell. Wir mussten unsere Matte auf den feuchten Erdboden legen. Solche Kälte habe ich in meinem Leben noch nicht gefühlt, und mein Mann sagte, so hätte ihn selbst in Europa nicht gefroren.“ Katrine Asieni an Großmutter. Gobe, den 18. November 1907 (7, 1025–9/3).
Die Kommunikation mit den Bewohnern in Gobe war schwer, so dass er Schwierigkeiten bei der alltäglichen Zusammenarbeit mit ihnen hatte: „Nach reichlich zwei Monaten hatte mein Mann das Haus fertig gestellt mit den Gobe-Leuten; da viele von ihnen nicht Ewe verstehen, hatte mein Mann es bei dem Hausbau recht schwer.“ (Katrine Asieni an Großmutter. Gobe, den 18. November 1907 (7, 1025– 9/3).Dementsprechend war die Missionsarbeit unter den Akposo insbesondere beim Unterricht uns bei der Predigt schwer: „Das Volk Akposo hat eine eigene Sprache und die Leute sprechen und verstehen nur schwer Ewe. Daher muss der mühsame Unterricht nur mit Geduld und Nachsicht erteilt werden. Es gibt etliche unter den Schülern, die bei ihrem Eintritt in die Schule nicht imstande waren und jetzt noch sind, den kleinsten Ewe-Satz zu bilden noch zu verstehen. Folglich muss selbst die einfachste biblische Geschichte mehr als dreimal wiederholt erzählt werden. So ist es auch mit den übrigen Schulfächern.“ Th. Asieni an Vorstand. Gobe, den 14. Juni 1908 (7, 1025– 9/3).
Dennoch blieb Theophil Asieni unter den Akposo-Bewohnern bis zum Ende seiner Karriere. Er wechselte die Nebenstationen in dem Akposo-Gebiet und arbeitete dort über 31 Jahre lang. Dabei setzte er seine fachlichen, technischen und religiösen Erfahrungen um. Der Bevölkerung brachte Lehrer Theophil Asieni die Ewe-Sprache, in der er Predigt und Schule hielt. Umgekehrt lernte Lehrer Asieni, der Ewe bzw. gebürtiger Pekier war, die Akposo-Sprache. So trug er dazu bei, dass das Akposo-Gebiet ein sprachlicher Raum wurde, wo die Bevölkerung mit mehreren afrikanischen – Ewe und Akposo – und europäischen Sprachen – englisch und Deutsch und später Französisch – umging.
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Abb. 20. Lehrer Asieni (sitzend mitten) in seinem christlich europaeischem Dienstanzug, seine Frau (sitzend links) und ihre Kinder in Gobe um 1925. Die aus Peki stammende Familie lebte wegen des Missionsdienstes in Gobe und siedelte sich für immer unter den Akposo (7,1025– Fotos 2427)
4.10.3 Asienis Vorstellung der Missionsschule und der Evangelisierung Es ist bemerkenswert, dass Lehrer Theophil Asieni kaum Konflikte mit den Bevölkerungen im Arbeitsgebiet der NMG erlebte. Er sah die Lehrerarbeit als einen Aufklärungsweg, die Einheimischen zum Christentum heranzuziehen, weiterhin als den Versuch, ihre kulturellen Gewohnheiten zu verändern. Asieni prangerte während seiner Arbeit die Lebensanschauungen der Einheimischen nicht an, sondern er sah die Schule als ein Mittel, die Einheimischen aufzuklären, damit sie sich selbst für das Christentum entscheiden könnten. Er konzentrierte sich auf die Kinder und Jugendlichen, die die Schule besuchten. Die Schule zielte vorrangig darauf, die Kinder zu „tüchtigen und brauchbaren Menschen“ zu machen, wobei sie fachliche und christliche Kenntnisse erhalten sollten: „Wir sollen den während der Jugendzeit in großer Unwissendheit schlummernden Kinder in der Schule einen Anstoß geben, damit sie aufwachen, dann sehen, bemerken, verstehen und tun lernen, was sie sonst ohne die Schule nicht leicht oder richtig gelernt hätten. Oder ich will sagen, unsere Schularbeiten sollen die Kinder in den Stand setzen, damit sie fähig und tüchtig werden für die Erfüllung der Aufgaben des späteren Lebens. Wir sollen aber wohl wissen, dass wir unsere Schüler zu nichts anderem bilden können und dürfen als wozu Gott sie bestimmt hat. Gott hat dem Menschen seine Gleichheit, herrliche Anlagen und geistige Kräfte gegeben, damit der Mensch sich, laut der Entwicklung seiner großen Gabe, die unter ihm stehenden Geschöpfe dienst- und nutzbar mache, und ihm, Gott als seinem Herrn diene. Wir sol-
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len unsere Schüler soweit bringen, damit sie für die Herrschaft über die Erde und für die Gemeinschaft mit Gott tauglich sind.“ Theophilus R. Asieni Vortrag: Was sollen die Gehilfen in und außer der Schule tun? Akposo (Gobe) 1909 (7, 1025–31/3).
Zum Erreichen dieses Zieles sollte sich der Lehrer auch als Erzieher verstehen. Asieni wollte nicht nur Wissen vermitteln, sondern bei den Schülern Tugenden heranbilden: „Unterweisen wir sie in der biblischen Geschichte, dann in Sprachen, im Rechnen, Lesen, Schreiben, Singen und in den anderen Schulfächern, so erfüllen wir die Pflicht des Lehrers. Ermahnen wir sie dagegen zur Gottesfurcht, Ordnungsliebe, Pünktlichkeit, Höflichkeit und Bescheidenheit, oder zum Fleiß und Gehorsam, dann vertreten wir die Erzieher“ Theophilus R. Asieni. Vortrag: Was sollen die Gehilfen in und außer der Schule tun? Akposo (Gobe) 1909 (7, 1025–31/3).
Asieni wollte die Schüler so bilden, wie er selbst auf der Missionsschule in Westheim gebildet worden war. In dieser Hinsicht übertrug er christlich-europäische „Tugenden“ wie Ordnungsliebe, Pünktlichkeit und Fleiß in das afrikanische Missionsgebiet der NMG, verbunden mit christlich-europäischen Fachkenntnissen. Den Lehrer einer Missionsschule sah er in einer gänzlich anderen Rolle als den Lehrer an einer staatlichen Schule: „Die Arbeit der Lehrer in Europa sowie der Regierungslehrer unter uns beschränkt sich nur auf die Schule. Dagegen sind die Missionsgehilfen Lehrer und Prediger zugleich.“ Theophilus R. Asieni Vortrag: Was sollen die Gehilfen in und außer der Schule tun? Akposo (Gobe) 1909 (7, 1025–31/3).
Die Verbindung von „Lehrer und Prediger“ entsprach der Methode des Missionsinspektors Franz Michael Zahn beim Aufbau der christlichen Strukturen in dem Ewe-Land. Hierzu Zahn: „Versuchen wir im Ernst alle Völker zu Jüngern zu machen und jedermann Buße und Glauben zu predigen […], so merken wir bald: wir können gar nicht recht an die Leute herankommen, wenn wir nicht Schule halten. Die Schule ist eine Brücke zu den Herzen.“ (Ustorf (1989): 120. In: Evangelisches Missionsmagazin (EMM) (1884): Konferenzprotokoll. 283).
Ziel war die Aufklärung der Einheimischen und die Bekehrung vom Heidentum zum Christentum. Nach dem europäischen Wissen kam das Evangelium: „Endlich soll das Evangelium durch uns den unwissenden Heiden, die immer noch in starken Banden des Unglaubens sind, nahe gebracht werden. Durch die Heidenpredigten in unseren Bestimmungsorten und in den umliegenden Ortschaften machen wir ihnen den lebendigen Gott, der auch sie geschaffen, sie lieb hat, und zu dem ihre Seelen nach dem Tode gehen, bekannt. Überdies erwecken wir in ihnen das Interesse für das Missionswerk, indem wir ihnen erklären, dass die Missionsarbeit, die unter ihnen getrieben wird, ein Liebeswerk ist.“ Theophilus R. Asieni Vortrag: Was sollen die Gehilfen in und außer der Schule tun? Akposo (Gobe) 1909 (7, 1025–31/3).
Darüber hinaus bekannte Lehrer Asieni, dass der Mensch nicht nur vom Evangelium leben sollte, sondern auch von Brot. Deswegen setzte er auf der Station seine landwirtschaftlichen Kenntnisse um, die er auf Ackerbauschule in Notse erworben hatte, und die für ihn von Gott eingesetzt worden war:„Somit ist die Landwirtschaft die erste Berufsart des Menschen, und die einzige, die sich rühmen kann,
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von Gott eingesetzt zu sein.“ (Th R. Asieni. Referat: Wie verwerte ich meine Kenntnisse, die ich auf Ackerbauschule in Notschie erworben habe? (7, 1025– 3/1). Vom 15. Juli bis zum 14. August 1909 hatte Lehrer und Prediger Theophil Asieni die deutsche Ackerbauschule in der Stadt Notse besucht (Däuble an das Kaiserliche Gouvernement in Lome. Lome, den 26. März 1909 (7, 1025–21/1). Notse lag 100 km nord-östlich der Küste Togos. Auf dieser Schule wurde er über die Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit, Bodenfeuchtigkeit, Saatauswahl, Einwirkung des Lichtes auf den Pflanzenwuchs usw. belehrt. Mit dieser Ausbildung wusste Asieni nun: „dass die Pflanzen verschiedene Nahrung aus dem Boden aufnehmen. Der Boden wird darum mit jeder Ernte ärmer gemacht, wenn ihm während längerer Bewirtschaftung keine Kraftmittel zugeführt werden. Ein erschöpftes Land kann aber wieder fruchtbar gemacht werden […].“ Th. R. Asieni. Wie verwerte ich meine Kenntnisse, die ich auf Ackerbauschule in Notschie erworben habe? (7, 1025–3/1).
Mit dieser Ausbildung trug Asieni zu der wirtschaftlichen Entwicklung der Außenstation Gobe bei. Die Station zog finanzielle Einnahme aus landwirtschaftlichen Aktivitäten. Auch der bäuerlichen Bevölkerung sollten diese praktischen Kenntnisse übertragen werden, und zwar besonders über afrikanische Missionslehrer. Lehrer Asieni kam der einheimischen Bevölkerung näher, die im Wesentlichen bäuerlich war. Er unterstützte ihre Entwicklung und klärte sie auf, anstatt nur ihre religiösen und kulturellen Anschauungen zu bekämpfen. Diese Haltung Asienis bezeichnete ein kulturelles Aushandeln zwischen afrikanischen Bevölkerungen und der christlich-europäischen Weltanschauung. Die Akposo-Bevölkerung ihrerseits nahm die Zusammenarbeit mit Lehrer Theophil Asieni auf. Sie nahm gerne an der Gründung der Missionsstation in Gobe teil. Darüber freute sich Lehrer Asieni: „Ich darf Ihnen mit Freuden berichten, dass die Verhältnisse in Akposo sich zum Teil zu unseren Gunsten verändert haben. nur der zu große Mangel an verfügbaren Lehrern macht die Besetzung weiterer Plätze unmöglich. Seit dem Monat März des Jahres haben die EbenaLeute [Akposo-Leute] mit großem Eifer eine fertige Station gegründet. Sie riefen mich dorthin, um ihnen zu zeigen, in welcher Größe das Lehrer- und Schulhaus und die Küche gebaut werden sollen. Darnach bin ich nicht mehr zu ihnen gegangen, bis sie die 3 Häuser so nach Wunsch errichtet haben, dass Herr Missionar Dettmann bei seinem Besuch daselbst seine volle Anerkennung darüber aussprechen musste. … Überall hört man jetzt in fast ganz Akposo die allgemeine Anerkennung unserer Schule: „Die Norddeutschen Missionsschulen sind gut!““ Th. Asieni an Missionar Bürgi, Bern. Gobe, den 2. November 1908 (7, 1025–9/3).
Diese Zusammenarbeit mit der Akposo-Bevölkerung veranlasste Lehrer und Prediger Asieni, auch die weibliche Bevölkerung in die Entwicklung der Station einzubeziehen. Mit der Hilfe seiner Frau plante er auf der Station Gobe eine Mädchenanstalt wie auf den Hauptstationen der NMG im Ewe-Land: „Sehr gerne möchte meine Frau auch eine Nähschule halten, um dadurch die Mädchen auch, die bisher nichts von der Schule wissen wollen, zur Schule anzulocken. Allein es fehlt ihr an Kleiderstücken. Wenn ein Missionsfreund uns dieselbe zuschicken wollte, dann würden wir sie mit größtem Dank empfangen. Wir meinen nämlich dadurch, unsere Arbeit in Akposo
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könnte dadurch ein großes Ansehen bekommen.“ Th. Asieni an Vorstand. Gobe, den 14. Juni 1908 (7, 1025–9/3).
Nun lässt sich fragen, ob Asieni die Gobe-Bevölkerung vom Christentum durch die Schule und die weiteren Ausbildungen auf der Station Gobe überzeugt hatte? Diese Frage fand ihre Antwort in dem späteren Zustand der Station. Die Einwohner der Station Gobe kümmerten sich mehr um die Sicherung ihrer Zukunft als um das Christentum. Die Schule half ihnen, im Leben weiter zu kommen. Und wenn die Schule ihnen diese Möglichkeit nicht mehr bot, wendeten sie sich von ihr und damit auch vom Christentum ab. Deswegen variierte die Schülerzahl in Gobe je nachdem, wie die Bevölkerung daran interessiert war: „Es gibt also keinen Nachwuchs in meiner Schule. Diejenigen nun, die die Schule schon seit vier Jahren besucht haben, wollen im nächsten Jahr aufhören mit dem Lernen, um Bauern zu werden. Keiner von ihnen will weiter lernen, um brauchbar zu werden. Es fehlt bei manchen nämlich am Geld, bei etlichen jedoch an der Lust um Lernen. Wenn diese nun austreten, dann werde ich in der Zukunft eine sehr geringere Schülerzahl haben. Denn „aus Scheu vor der Hand- und Landesarbeit, die wir in der Schule treiben, wollen keine neuen Kinder mehr in die Schule kommen.“ Th. Asieni. Bericht vom zweiten Halbjahre. Gobe, den 8. Dezember 1908 (7, 1025–9/3).
Der Ansatz der Schule als eine „Brücke zu den Herzen“ entpuppte sich als eine zweischneidige Methode, die der Mission nicht immer günstig war. Die Bevölkerung übernahm bei dem Kulturaushandeln das, was ihren Interessen entsprach und lehnte das Übrige ab. Sie nahm das Bildungsangebot der NMG indessen aus recht konkreten Gründen an, sie wollten an den ökonomischen Entwicklungen beteiligt werden, denn „L’Evangile dans sa forme pure avait peu intéressé les autochtone“ (Tuakli 1981): 248; Ustorf 1989: 130). Das vorwiegend wirtschaftliche Interesse der Akposo-Bevölkerung entmutigte Lehrer Asieni nicht, seine Aufklärungsarbeit weiter zu machen und weiterhin die Schule zu halten. Dies erklärte sich wohl dadurch, dass er selbst nicht unbedingt um die Christianisierung der Einheimischen kämpfte, sondern um die soziale Entwicklung seines Landes. Obwohl Lehrer Theophil Asieni gebürtiger Ewe aus Peki war, arbeitete er im Akposo-Gebiet über 31 Jahre lang und lebte mit seiner ganzen Familie dort. Er wurde von Ort zu Ort im Akposo-Gebiet versetzt und bat nicht um seine Versetzung in seine Heimatstadt Peki, wie manche Ewe-Kollegen. Mit 57 Jahren war er bis Ende 1936 noch Lehrer in der Nebenstation Dzidzi bei Gobe. Hierzu die statistischen Angaben für die Station Gobe im Jahre 1936: „Arbeitspersonal: […] Th. Asieni; Station: Dzidzi; Beruf: Lehrer I. Klasse; Arbeitsposten: Gemeinde; Dienstalter: 31; Auf diesem Posten seit 1934; Familienverhältnisse: Alter, [57 Jahre alt] Verheiratet, keine Kinder unter 14.“ Statistische Angaben für die Station Gobe. Stand am 31. Dezember 1936. (7, 1025–31/1)
Seine Kinder bzw. sein Nachkommen hatten wahrscheinlich die Akposo-Sprache und die dortige Kultur übernommen. Sie waren Akposo geworden. Lehrer Theophil Asieni überschritt mit dieser Erfahrung die kulturellen Grenzen zwischen den Ewe und den Akposo und galt als eine transkulturelle Person, die mit kulturellen Differenzen zurechtgekommen war. Er arbeitete für die NMG bei der Gründung
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der Missionsstation in Gobe, aber er brachte die Einheimischen auch in Kontakt mit anderen kulturellen Erfahrungen, die zu ihrem sozialen „Fortschritt“ beitrugen. 4.11 DIE BIOGRAFIE VON REINHOLD K4WU 4.11.1 Kindheit und Kontakt mit dem Christentum Reinhold K4wu gehörte zu der Reihe von afrikanischen Missionsmitarbeitern, die die Erwartungen der NMG im Bereich des „Christenthums“ nicht erfüllt haben. Reinhold K4wu wurde um 1869 in dem Dorf Atoko in der Nähe der Küstenstadt Keta geboren. Obwohl sein genauer Geburtstag unbekannt war, bedeutete sein Ewe-Name K4wu, dass er am Mittwoch geboren wurde. Dieser Name stammte ursprünglich aus der Asante-Kultur und wurde später von den Ewe übernommen (Westermann 1954: 386). K4wu wuchs bei seinem Vater Dosu, einer angesehenen Person in Atoko, und seiner Mutter Ahasi auf. K4wus Kontakt mit dem Christentum begann erst im Jahre 1878, als er in die Missionsschule in Keta eintrat. 1879 verlor er seinen Vater. Nach fünf Jahren Schulbesuch trat er im August 1883 ins Missionsseminar in Keta unter der Führung von Missionar Bürgi ein. Er wurde am 11. November desselben Jahres in Keta durch Missionar Schietinger auf den Namen Reinhold getauft (Faszikel K4wu). Am 16. Juni 1884 schickte der Missionsvorstand den 14 Jahre alten Reinhold K4wu mit seinen beiden Schulkameraden Andreas Aku und Hermann Y4y4 nach Deutschland zur Missionsausbildung. K4wu gehörte zu der ersten Gruppe von der „Deutsch-Eweer“, die die „EweSchule“ in Württemberg besuchten. Er machte die Missionsausbildung mit seinen Kameraden drei Jahre lang unter Missionar Conrad J. Binder in Ochsenbach, wo die „Ewe-Schule“ zuerst eingerichtet worden war27. Kurz nach seiner Ankunft in Deutschland bemerkte K4wu, dass das Christentum in Europa anders als in Afrika gelebt wurde: „Es freut mich, dass ich habe gesehen Christenfest in Europa in meinem Leben. Ich sehe, dass in Europa es giebt mehr Freude als in Afrika am Christenfest.“ (K4wu an Inspektor. Ochsenbach, den December, 24. 1884 (7, 1025–29/5). K4wu lernte nicht nur eine neue Kultur kennen, sondern er machte auch die schwierige Erfahrung des Deutsch-Lernens. Am zweiten Februar 1885 wurde Reinhold K4wu konfirmiert, wobei er bei Pfarrer Binder zum ersten Mal am Abendmahl teilnahm (Faszikel K4wu (7, 1025–29/5). Die Ausbildung Reinhold K4wus endete im Jahre 1887. K4wus Zeugnis war befriedigend28. Er schien also, 27 Die Ewe-Schule wurde im Jahre 1887 nach Westheim umgezogen. 28 „Gaben : gut. Fleiß: ziemlich gut. Verhalten: Religion : Realien: Religionslehre: gut Geschichte: Bibelstunde: gut Geographie: Memorieren: z. g. Naturlehre:
gut z. gt. z. gt.-gt z. gut.
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die Erwartung des Missionsvorstandes erfüllt zu haben. Er verhielt sich „gut“ in den Augen seiner Lehrer. Aber er hatte Schwierigkeiten mit der „christlichen Sittlichkeit. Reinhold K4wu und sein Schulkamerad Hermann Y4y4 hatten Beziehungen zu Maria, dem Hausmädchen des Pfarrers Binder (Ustorf 1989: 266). K4wu bekannte seine „Missetat“ und erklärte, wie er und Hermann Y4y4 mit Maria umgegangen waren: „Eines Tages als wir im unteren Zimmer waren, kam das Mädchen, welche Maria heißt und hatte einen Brief. Auf diesem war ein Soldat gemalt, und [sie] sagte, der habe allemal mit ihr Böses [Sünde] gethan in Stuttgart. Nach dieser Zeit brachte sie einmal die Bettflasche und stellte sie in Hermanns Bett und legte sich auf unser Bett und fing an uns zu küssen und sagte sie wolle auch bei uns schlafen. Eines Tages als sie Streit hatte mit Ernst [Wienand – auch ein Ewe], sagte sie, der sei bei Nacht um 12 Uhr einmal zu ihr gekommen. Sie sagte zu mir, ich solle auch kommen und es mit ihr machen. Ich bin eher nicht zu ihr in die Kammer hinauf gegangen, es war unten.“ K4wu an Inspektor. Ochsenbach, 8. Juni 1885 (7, 1025–29/5)
Der junge K4wu beging eine voreheliche „Unsittlichkeit“. Er bekannte, dass er gegen das zehnte Gebot Gottes (Luther Bibel 1912: 5 Mose 5, 2129) verstoßen hatte. K4wu büßte für seine Sünde in pietistischer Weise und bat den Missionsinspektor um Verzeihung: „Ich bin wie der verlorene Sohn, der sich vor Gott verloren hat und es schmerzt mich sehr, dass ich mich verloren habe. Ich habe jene große Sünde gethan, um welche ein Gesetz geboten ist, ich sollte es nicht thun und ich bin ungehorsam gewesen gegen das Gebot Gottes. Ich habe vergessen das Wort, welches Josef gesprochen hat zu jenem […]. Ich bitte Dich, vergib mir diese große Sünde, erbarme dich über mich um des barmherzigen Gottes willen.“ K4wu an Inspektor. Ochsenbach, den 8. Juni 1885 (7, 1025–29/5).
K4wu war damals 16 Jahre alt. Er verhielt sich wie jeder Jüngling. Aber vor der christlichen Ordnung, der er sich fügen sollte, bekannte er seine „Sünde“. Bereute er tatsächlich seine „Missetat“ oder bekannte er seine Sünde, um in Übereinstimmung mit der christlichen Regel zu bleiben? Das zukünftige Leben K4wus zeigte, dass er sich nicht von seiner „unsittlichen“ Natur abgewendet hatte. In der Tat bekannte K4wu seine Sünde aus anderen Gründen. Er wusste, dass sein Fehler den Vorstand dazu bringen könnte, ihn vorzeitig nach Afrika zurückzuschicken. So müsste er seine Ausbildung in Deutschland abbrechen. Er hätte dann alle Chance verloren, für die Mission zu arbeiten und seinen Lebensstandard zu verbessern. Deswegen demütigte er sich lieber vor dem Missionsvorstand, als vorzeitig nach Kirchengeschichte: z. g. Naturgeschichte: z. gut. Sprache: Musik: Deutsche Sprachlehre: z. g.- g. Gesang: z. gt. Schönschreiben: z. gut Harmoniumspiel: z. gt.- gt. Rechtschreiben: g. Violinspiel: z. gt. Aufsatz: z. gut Harmoniumlehre: z. gt. Englische Sprache: z. g Rechnen: z. gt – gut. Zeichnen: z. gut“ Schullehrer Schofer & Pfarrer J. Binder. Zeugnis für K4wu. Ochsenbach, den 28. Juni 1887. Im Faszikel K4wu. (7, 1025-29/5). 29 Laß dich nicht gelüsten deines Nächsten Weibes. […]
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Afrika zurückgeschickt zu werden. Seine Reise nach Deutschland und seine Ausbildung wurden von seiner Dorfgemeinschaft in Atoko finanziell unterstützt. Reinhold K4wu war auch seinen Landsleuten gegenüber verantwortlich, wenn er sich schlecht benahm und seine Ausbildungschance verpasste (Ustorf 1986: 283). K4wu würde seine vorzeitige Rückkehr nach Afrika als Schande erleben: „Wenn Du mich nicht erhörst und jagst mich wegen dieser Sünde nach Afrika, dann werde ich zum Gespött und Gelächter vor Meinigen. Deshalb bitte ich Dich, vergib mir diese große Sünde.“ K4wu an Inspektor. Ochsenbach, den 8. Juni 1885 (7, 1025–29/5). K4wus Sorge war umso größer, als sein Kamerad Andreas Aku selbst sich bedroht und beschämt fühlte. Andreas Aku war nicht schuldig, er fürchtete aber, dass er und seine Kameraden ihre Landsleute in Afrika enttäuschten: „Diese Missetat war sehr schwer und sehr traurig für mich. Au! Was sollen unsere Brüder in Afrika sagen, wenn sie solche Missetat von uns hören? Wenn sie solche Missetat von uns hören würden, besonders hier in Europa, jetzt sind wir ganz abscheulich, es ist mir sehr leid wegen dieser Sache, dass ich kann sagen: „würde ich fröhlicher sein, wenn ich nicht nach Europa angekommen wäre.“ Andreas Aku an Inspektor. Ochsenbach, den 8. Juni 1885 (7, 1025– 29/5)
Die Befürchtungen K4wus und diese seiner Schulkameraden zeigten, wie die Afrikaner die Reise nach Europa als ein Prestige oder ein Privileg betrachteten. Die Ausbildung in Deutschland war so wichtig wie das Streben nach dem Christentum. Im Jahre 1887 kehrte Reinhold K4wu nach Afrika zurück und stellte sich in den Dienst der NMG.
4.11.2 K4wu und der Missionsdienst Die Karriere Reinhold K4wus bei der NMG war kurz. Nach einer Erholungszeit von der Rückreise nach Afrika schickte ihn der Missionsvorstand 1887 in die Missionsstation von Ho, um den am Gallenfieber kranken Missionar Zurlinden zu ersetzen (Däuble. Jahresbericht von Keta, 1887. Keta, 28. April 1888 (7, 1025– 16/2). Zwei Jahre darauf verstieß Lehrer Reinhold K4wu wiederum gegen die Kirchenordnung. Der Missionsvorstand warf ihm vor, dass er voreheliche bzw. uneheliche Geschlechtsgemeinschaft hatte. Er wurde daher aus der Missionsarbeit entlassen (Azamede 2003b: 257); vgl. Altena 2003: CD-Rom: 394). Am 31. Juli 1889 stellte ihn die deutsche Kolonialregierung als Schreiber des kaiserlichen Kommissars in der östlichen Küstenstadt Deutsch-Togos Sebbe/Anecho an. Er war Dolmetscher in Englisch und Haussa auch (FA 1/325: 314). Bis Ende 1896 arbeitete er dort zusammen mit seinem ehemaligen Kollegen Hermann Y4y4, der inzwischen auch von der Mission entlassen worden war. K4wu war nämlich in Deutsch, Englisch, Ewe und Haussa begabt und wurde von der Regierung sehr geschätzt (Azamede 2003b: 257). Hierzu seine Korrespondenz mit dem „King John Mensah“ von Porto Seguro im Auftrag des Landeshauptmanns:
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„The Imperial Landeshauptmann authorized me to inform you that on next Sunday [27.1.] will be the Emperors birth day, he begs you to appear in this day at 12 o’clock. Enclosed you will receive this check over 4 cages powder and 3 demijohns rum. This things you will receive by the firm Wölber & Brohm; after you receive the things you must deliver the enclosed chek to the messenger of Wölber & Brohm.” Reinhold K4wu an King John Mensa. Sebbe, 25th January 1895 (Archiv King Mensah, Porto Seguro, Abschrift P.S., Lome, 3.3.2007. In Kartei Sebald).
Am 14. Januar 1897 sollte er ersetzt werden, weil seine Augen krank waren (FA 1/565: 71). Reinhold K4wu verließ den Missionskreis, aber er brach den Kontakt nicht ab. Missionar Däuble verfolgte K4wus Lebenslauf und fand etwa zehn Jahre nach dessen Entlassung keine Verbesserung in seinem Betragen. Nach Däuble war K4wu „frech und oberflächlich und nimmt sich immer wieder eine Frau zu seinen anderen.“ (Däuble an Inspektor. Lome, den 16. Oktober 1898 (7, 1025–19/5). Die Mission erwähnte ihn nicht mehr in ihren jeweiligen Berichten. K4wu wendete sich also von der christlichen Kultur bzw. von dem Missionsziel ab, für das er in Deutschland ausgebildet worden war. Er stellte seine erworbenen Erfahrungen vielmehr in den Dienst der deutschen Kolonialregierung, bei der er gut verdiente. Er lebte in Harmonie mit seiner traditionellen Kultur, machte lieber soziale Karriere bei Europäern, die von ihm nicht verlangten, dass er sich an missionschristliche oder gar pietistische Regeln hält. Er starb nach dem Bericht der Kolonialregierung Ende 1899 oder Anfang 1900.
4.12 BIOGRAFIE VON ANDREAS AKU 4.12.1 Kindheit, Namengebung und Kontakt mit dem Christentum In dem kleinen Ort Adaklu bei der Missionsstation Waya lebte Tsigbe, Stadtältester bzw. Vertreter der traditionellen Obrigkeit. Er war Polygamist und hatte vier Kinder darunter den Sohn Akubas, einer seiner Frauen (Aku30 1963: 9). Akuba hatte früher mehrere Kinder, die alle kurz nach der Geburt verstorben waren. Dem einzig am Leben gebliebenen Sohn gab sie den Namen Aku. Er wurde nach eigener Einschätzung „etwa im Jahre 1863 geboren“ (Lebenslauf von Andreas Aku. (EEPT31-Archiv Lome) Der Name Aku lässt sich hier zweifach erklären. Er war einerseits die Verkürzung von Kwaku oder K4ku, dem am Mittwoch geborenen Knaben nach der Zählung der Tage in der Ewe-Kultur. Andererseits bedeutet aku in Ewe: „er/sie wird sterben.“ Es war Sitte in der Ewe-Gesellschaft, dem am Leben gebliebenen Kind einen solchen Namen zu geben, um sich zu fragen, ob sie noch ein verstorbenes Kind zur Welt bringen würden, in dem die Seele eines Verstorbenen Kindes lebe. Der Name Aku war wahrscheinlich ein „Dzikudziku“30 31
Der Autor Johannes Fridolin Aku (1906-1981) war der fünfte Sohn des Pastors Andreas Aku. Eglise Evangélique Presbytérienne du Togo (EEPT) / Evangelische Kirche in Togo war die frühere selbständige Ewe-Kirche der NMG.
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Name, d. h. geboren werden und gleich darauf sterben. Solche Kinder hießen auch Kuku, d.h. verstorbenes Kind (Biografie von Aaron Kuku (7, 1025–30/1). Andreas Aku selbst betonte in seiner Autobiografie, wie seine Mutter sehr bekümmert war, als er sie nach Anyako wegen des Schulbesuchs verlassen musste, „weil ich ihr einzig am Leben gebliebenes Kind war.“ (Lebenslauf von Andreas Aku. (EEPTArchiv Lome). Der Name Aku zielte also nach dem traditionellen Glauben darauf, das Leben des geborenen Kindes vor dem Tod zu banalisieren, damit der Tod ihn schonte. Weil die Eltern der traditionellen Religion angehörten, traten sie gegen Akus Schulbesuch auf: „Die heidnischen Eltern verboten den (Schul)Besuch. Der Junge gehorchte. Aber sie konnten ihn nicht hindern, vor die Schule zu gehen und durch die offenen Fenster zu hören, wie dort das Wort des Lebens verkündet wurde. Da draußen lernte er mit. “ Baeta (1934): 23).
Letztendlich gaben die Eltern seiner Beharrlichkeit nach und ließen ihn 1872 in die Schule gehen (Baëta 1934: 23). Aku erzählte in seiner Autobiografie, dass er in seiner Schulzeit Hausjunge des Missionars Merz war. Wie kam es, dass die heidnischen Eltern Akus Missionar Merz ihren Sohn anvertrauten, während sie der christlichen Religion nicht angehören wollten? Im Gegenteil zu Andreas Akus Mutter stand der Vater den Missionaren fern, obwohl er in Waya ein Stadtältester war: „Sein [Akus] Vater war ein großer stattlicher Mann, der fleißig auf seinen Feldern zu arbeiten schien. Damals hatte der Vater noch keinen Zug zum Christentum, er blieb uns damals ganz fern. Dagegen ließ sich die Mutter oft sehen, immer gemütlich ihr Tonpfeifchen rauchend.“ G. Binetsch. In: Baëta (1934): 27.
Die Mutter Akuba wurde 1894 in Waya von Missionar Fies auf den Namen Julia getauft (Y4y4 an Inspektor. Keta, den 16. 1894 (7,1025–19/5). Der Vater Tsigbe wurde in seinem Krankenbett auf den Namen Hiob getauft, bis er ein paar Tage später starb (Autobiografie von Andreas Aku 1922). Es ist also nicht genau bekannt, unter welchen Umständen Andreas Aku zu Missionar Merz gezogen war. Hatte Missionar Merz ihn bei den Eltern mit Geld o. ä. „losgemacht“, um seine Erziehung zu übernehmen? Missionar Merz pflegte allerdings, junge Afrikaner von nicht christlichen Eltern loszukaufen, um sie christlich zu erziehen und/oder in den Dienst der Mission anzustellen. Alsheimer erforschte den Fall eines Jungen – er hieß auch Aku, der 1871 von Merz bei seiner Großmutter, einer Priesterin, in Waya freigekauft wurde, um ihn von dem Einfluss der traditionellen Religion zu befreien. Er wurde Koch bei Merz und später Ziegelstreicher der Mission (Alsheimer 2007: 192–205; Birkmaier an Inspektor. Waya, 10. Dezember 1878 (7,1025–28/8). Auf die Frage, ob (Andreas) Aku erst vor oder nach seinem Schulbesuch zu Merz gezogen war, kann man nicht eindeutig beantworten. Andreas Aku selbst erzählte in seiner Autobiografie, dass er bei Merz war, während er die Schule besuchte. Fridolin John Aku32 erzählte, dass Merz Andreas Aku 1872 zu sich zog, 32 Der fünfte Sohn der acht Kinder Andreas Akus
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bevor er mit dem Schulbesuch anfing (Aku 1963: 9). 1872 besuchte Andreas Aku die Schule in der Missionsstation Waya. Am 19. März 1876 wurde er nach dem Taufunterricht von Missionar J. Jüngling auf den Namen Andreas getauft (Aku 1963: 10). Den Taufnamen wählte er sich selbst (Lebenslauf von Andreas Aku (EEPT-Archiv Lome). 1878 beendete Andreas Aku seine Missionsschule in Waya und wurde im selben Jahr zusammen mit seinen beiden Schulkameraden Timotheo Kwassi und Michael Agbo, von Missionar J. Jüngling konfirmiert. Auf den Wunsch der Missionsleitung wurde Andreas Aku danach ins Seminar in der Missionsstation Anyako zur Ausbildung geschickt, um später Lehrer zu werden. Andreas Aku besuchte das Seminar von Anyako zu der Zufriedenheit der Missionsleitung. Er sei begabt, fleißig und habe einen freundlichen und willigen Charakter (Jüngling. Verzeichnis der Seminaristen. Anyako, 24. 10. 1878. (7, 1025–8/1). 1881 wurde das Seminar von Anyako nach Keta verlegt und dort von Missionar Ernst Bürgi geleitet. In Keta setzte Aku sein Studium fort. Als die Mission Anfang 1882 Lehrerkräfte benötigte, stellte sie Andreas Aku als Lehrer in die „Knabenschule“ von Keta unter dem Schulvorsteher Missionar Louis Birkmaier an. Ein Jahr danach wurde Aku nach Ho versetzt, wo er nun arbeitete. Einen Monat später wurde er nach Keta zurückgerufen, wo er bis Mitte 1884 arbeitete. Andreas Aku war 19 Jahre alt, als die Mission ihn im Juni 1884 zusammen mit zwei Schulkameraden auswählte, „um [in Deutschland] weiter in der Christenheit Europas zu lernen, das christliche Leben kennen zu lernen.“ Lebenslauf von Andreas Aku (EEPT-Archiv Lome). Andreas Aku und seine Schulkameraden besuchten die „Evhe-Schule“ in Ochsenbach, Württemberg. Die Schule wurde im Pfarrhaus des Missionars C. J. Binder, des Leiters der Schule eingerichtet. Das Studium bestand in fachlichen und biblischen Kenntnissen. Aku hatte Fächer wie die Bibelkunde, Kirchengeschichte, Religion, Deutsche Sprache, Rechnen, Lesen, Schreiben, Zeichnen, Harmoniumspielen, Naturgeschichte, Aufsatz und Geographie (Andreas Aku an Inspektor. Ochsenbach den 20. Oktober 1885 (7, 1025–29/5). Nach zwei Jahren Studium in Ochsenbach erhielt Aku weiterhin eine pädagogische Ausbildung. Er wurde „in die evangelische Schullehrbildungsanstalt in Lichtenstein bei Römerstein im Bezirk Heilbronn geschickt, um dort weiter zu lernen. Insbesondere aber auch ins Schulhalten eingeführt zu werden.“ Lebenslauf von Andreas Aku (EEPT-Archiv Lome).
Lichtenstein beeindruckte Aku umso mehr, als der Ort ihn an die Station Amedz45e in Westafrika erinnerte:„Lichtenstein lag oben auf einem Berg im Walde, wie die Missionsstation in Amedz45e.“ (Lebenslauf von Andreas Aku :EEPT-Archiv Lome). Dort lernte Aku nicht nur Unterricht zu halten, sondern er erfuhr, wie er seine Arbeit planen sollte. Dies lässt sich erklären, wie er hart zu arbeiten lernte: „Hier in Lichtenstein habe ich besonders gelernt wie musste ich Tag und Nacht arbeiten, um meine verschiedenen Aufgaben fertig zu machen. Sonst wäre es nicht gegangen.“ Lebenslauf von Andreas Aku (EEPT-Archiv Lome)
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In Liechtenstein erhielt Andreas Aku eine „streng christliche, seminaristischpädagogische Ausbildung“, die seinen „festen Charakter und seine geordnete und geheiligte Lebens- und Arbeitsweise“ prägte (Baëta 1934. In: Quinteros/Lenz (1986): 145); Altena 2004: 366). Aku absolvierte sein drittes Jahr Studium in Lichtenstein und kam im September 1887 mit seinen beiden Schulkameraden nach Afrika zurück, wo er in den Dienst der NMG angestellt wurde.
4.12.2 Andreas Aku im Dienst der NMG Andreas Aku wurde als Lehrer in die Mittelschule von Keta geschickt, die damals Missionar Bürgi leitete. (G. Daeuble: Jahresbericht von Keta, 1887. Keta, 28. April 1888 (7, 1025–16/2). Danach unterrichtete er im Seminar von Keta. Er predigte auch zeitweise in der Gemeinde, indem er den Gemeindevorstehern und den Missionaren Binetsch, Längle und Osswald half. Andreas Aku arbeitete in Keta sechs Jahre lang, bis er 1894 nach Amedz45e versetzt wurde, als das Seminar dorthin verlegt wurde (Altena 2004: 366). Am 19. Februar 1895 wurde er nach Lome versetzt, um dort eine Hauptstation zu gründen. Lome entwickelte sich in jenen Jahren zum bedeutendsten Import-Export-Platz der Kolonie und auch die deutsche Administration bereitete die Übersiedlung der Amtssitzes der Regierung von Sebbe nach Lome vor, die am 6.März 1897 offiziell vollzogen wurde. Die Bestimmung Andreas Aku für Lome war umso bedeutender, als die NMG mit der katholischen Mission und der Wesleyanischen Mission in Konkurrenz trat. Die Katholiken hatten bereits 1892 in Lome eine Station gegründet. Die Aufgabe Akus bestand darin, eine evangelische Gemeinde und eine Schule in Lome zu gründen, für die er die Einwohner von Lome gewinnen sollte. Die Norddeutsche Missionsschule hielt den Unterricht überwiegend in Ewe, während die beiden konkurrierenden Missionsgesellschaften in Englisch unterrichten. Aber weil Lome eine „moderne“ Stadt wegen der Handels- und amtlichen Aktivitäten war, lernten die Einheimischen lieber europäische Sprachen, um „moderne“ Arbeitstellen bei europäischen Kaufleuten oder bei der Kolonialregierung zu bekommen. Hier kann man sehen, wie schwierig Akus Arbeit war (Aku 1963: 15). Es waren afrikanische Schüler in Lome, die Englisch von Andreas Aku forderten (Sebald 1987: 145), anstatt nur Ewe zu lernen. So erlebte er anfangs viel Ärger seitens der Konkurrenten. Zwei Jahre lang arbeitete Andreas Aku allein in der Station in Lome. Erst im Februar 1897 zog Missionar Oßwald, der erste deutsche Missionar, nach Lome, nachdem die erste Europäerwohnung auf der neuen Missionsstation Lome eingerichtet worden war (Baëta 1934. In Quinteros/Lenz 1986: 152). Akus schwierige Arbeit beeindruckte die Missionare: „So hat A. Aku bis Herbst 1896 in wirklich auch für ihn selbst primitiven Verhältnissen in Lome gewohnt, aber nie ist ein Wort der Klage bekannt geworden. Treu und fleißig hat er seine Arbeit getan und der Fortschritt der Missionsarbeit in Lome ist nicht zum mindestens ihm und seiner ruhigen und treuen Arbeit zuzuschreiben. Eine Zielstrebigkeit war ihm eigen, die man nicht immer bei Afrikanern findet. Das konnte ihn dann und wann auch wohl einmal eigensinnig erscheinen lassen. Aber die Schlichtheit und Geradheit seines Charakters ließ ihn
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nicht nur bei seinen Landsleuten, sondern auch bei allen Europäern bis hinauf zum Gouverneur Achtung finden.“ Härtter. In Baëta (1934): 30.
In allen Umständen zeigte Lehrer und Prediger Andreas Aku der NMG seine Unterstützung und seine Treue, die die Missionsleitung hoch schätzte: „[…] Zur Ehre muss ich aber noch ausdrücklich betonen, dass er (Aku) sich bis daher in allen bedeutenden Missionsfragen verständnisvoll & mit aller Entschiedenheit auf unsere Seite gestellt hat. […]“ Spieth an Inspektor Zahn. Schorndorf, den 10. Sept. 1897. S. 11 (7, 1025– 29/6).
Er schlug der Mission Wege vor, um den Einfluss und die Verbreitung der katholischen Mission zu stoppen: Um die Katholiken unserer evangelischen Mission in unserem Ewelande künftig nicht die besseren Plätze verschiedener Orte nehmen zu lassen, wie dies an manchen Orten der Fall gewesen ist, möchte ich hier anfragen, ob es nicht ratsam wäre für unsere Mission überall, wo man sich später nötig für eine Missionsstation denkt, jetzt schon voraus Grundstücke erwerben zu dürfen. Ich meine dies sei auch wichtig.“ Aku an Inspektor. Jahresbericht. Lome, den 1. Februar 1906 (7,1025–20/5)
Wegen seines Engagements für die Missionsarbeit stellte Missionar Carl Spieß33 1903 den Antrag auf die Ordination Andreas Akus, der bis dahin noch nicht einmal als offizieller Katechist eingesetzt wurde, sondern nur als Lehrer fungierte (Spieß an Inspektor. Lome, 14.9.1903 (7, 1025–20/2). 1905 machte die Missionsleitung Aku selbst öffentlich den Vorschlag, den er zu diesem Zeitpunkt nicht annahm. Erst am 6. März 1910 wurde er von Missionar Ernst Bürgi zum Pastor ordiniert (die Pastoren der Ewe-Kirche in Togo (7,1925–30/2). Während seines Dienstes bei der NMG beschäftigte sich Andreas Aku nicht nur mit der Schul- und Gemeindearbeit, sondern er war auch schriftstellerisch tätig. Im Jahre 1905 beendete er die Übersetzung der christlich geprägten „Pilgerreise“ John Bunyans „aus deutschem und englischem Original ins Ewe“ „M4z4la 5e agbal8“ (Baëta 1934. In: Quinteros/Lenz 1986: 150f.). Das Werk wurde 1906 unter dem Titel Kristot4 5e m4z4z4 tso xexeme yi dzi5o von der NMG veröffentlicht. Diese Übersetzungsarbeit begann Andreas Aku bereits im Jahre 1887. Es ist seltsam, dass die Übersetzung erst achtzehn Jahre später erschien. Warum hat das so lange gedauert, während Missionare Werke in der Ewe-Sprache regelmäßig veröffentlichten? Bei den meisten veröffentlichten Missionswerken hatten Andreas Aku und andere afrikanische Missionsmitarbeiter mit geholfen. Lag dies an seinem Status vom Missionsgehilfen? Durften keine Gehilfen Verfasser werden? Ist das der Grund, warum Missionare wie Spieth, Spieß und Westermann Texte, Berichte, Korrespondenzen und Erzählungen der Einheimischen unter eigenen Namen herausbrachten? Die bisher bedeutendsten Werke zur Ewe-Landeskunde „Die Ewe-Stämme“ und „die Religion der Eweer“ von Missionar Spieth waren Sammlungen von schriftlichen Geschichten – die meisten wurden in Ewe ge33 Carl Spieß (1867 - 1936) war zunächst Kaufmann in Bremen bis 1886. 1892-1914 war er Missionar in Afrika. Nach seiner endgültigen Rückkehr nach Deutschland wird er 1919 zum Missionssekretär der NMG ernannt (vgl. Alsheimer 2001: 18).
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schrieben – der einheimischen Mitarbeiter. Diese Dokumente befinden sich im Staatsarchiv Bremen (Konvolute 31/1, 31/2, 31/3, 31/4, 31/5, 31/6 etc.). Missionar Diedrich Westermann hielt nicht geheim, dass seine sprachwissenschaftlichen Ewe-Mitarbeiter Gottfried Anipatse, Ludwig Adzaklo, A. Ano und Savi (aus Tove) unter anderen bei der Bearbeitung des Wörterbuchs der Ewe-Sprache – EweDeutsch; Deutsch-Ewe geholfen hatten, ohne die das Werk vielleicht nicht vollständig gewesen wäre (Westermann 1945: III). Wahrscheinlich hatte sich Andreas Aku dagegen gewehrt, dass seine Übersetzung von einem Missionar betreut und übernommen wurde, denn er war trotz seiner „Treue“ nicht immer nachgiebig: „Ja, Treue, Zielbewusstheit, Unerschrockenheit und Aufrichtigkeit waren seine hervortretenden Eigenschaften. Er sagte seine Meinung offen, unbekümmert, ob sie angenehm oder unangenehm sei.“ Frau Missionar Frieda Bürgi. Erinnerung an Pastor Aku. In: Baëta (1934): 27.
Dieses Werk galt als das erste übersetzte Werk, das von einem Ewe in der EweSprache geschrieben wurde. Andreas Aku besuchte Deutschland zum zweiten Mal, ein Jahr nach seiner Ordination zum Pastor. Am 11. Juni 1911 nahm er als Abgesandter der EweKirche an dem 75jährigen Jubiläum der NMG in Bremen teil. Er hielt sich in Deutschland drei Monate auf und hielt Ansprachen in deutschen evangelischen Gemeinden. Er reiste auch kurz in die Schweiz. Nach seiner Rückkehr nach Lome im August 1911 wurde Aku als eine prominente afrikanische Persönlichkeit angesehen, die von den Einheimischen und der Mission sehr geschätzt wurde. Er spielte auch eine große Rolle bei der Bewahrung der Autonomie der Ewe-Kirche, die der Pariser Mission und der Schottischen Mission in der Kriegszeit übergeben wurde. Deswegen wurde er bei der Erklärung der Selbständigkeit der Ewe-Kirche im Jahre 1922 einstimmig zum ersten Präses gewählt. Dennoch bekannte Aku selbst in seiner Autobiografie, dass sein Lebenslauf nicht sehr leicht gewesen ist: „Dass ich trotz allen Schwierigkeiten nach innen und außen, in meiner gegenwärtigen verantwortungsvollen Stellung dennoch in seinem Dienste bleiben und durch Leben und Tat bewahrheiten kann: „Inserviendo consumor“. Im Dienen verzehre ich mein Leben.“ Lebenslauf von Andreas Aku (EEPT-Archiv Lome).
Andreas Aku übernahm den Wahlspruch „In serviendo consumor“ des großen deutschen Staatsmannes Otto von Bismarck, um seinen Lebenslauf zu bezeichnen. Dies zeigt, dass ihm die deutsche Geschichte und die deutsche Kultur ihm bekannt waren. Bismarck hatte zwar 1839 Kontakt mit pietistischen Kreisen, u. a. M. von Blanckenburg. Andreas Aku war Mitarbeiter der NMG, wurde zum Pastor ordiniert und dann zum Präses der selbständigen Ewe-Kirche genannt. Wenn er sich mit dem deutschen Staatsgründer Otto von Bismarck verglich, hieß es, dass er seine Verantwortung bei der Gründung der Missionskirche innerhalb der EweKirche hoch einschätzte (Oloukpona-Yinnon 2003: 104–105).
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4.12.3 Andreas Akus kirchliche bzw. außerkirchliche Verantwortungen Nachdem die Missionsstation Lome zu einer großen Station geworden war, zog Andreas Aku 1909 aus der Missionswohnung in sein eigenes Haus: „Aus manchen Gründen musste er auf Amtswohnung freiwillig verzichten, und seitdem wohnte er mit seiner Familie in seinem eigenen Haus, zuerst an der Regierungsstrasse und später an der Sangerastrasse, nachdem er die erstere Wohnung einer Firma vermieten konnte. auch diesen Umstand ertrug er mit stiller Geduld und Ergebenheit.“ Baeta 1934. In: Quinteros/Lenz 1986: 158.
Fühlte sich Andreas Aku in dem Missionshaus von seinen europäischen Vorstehern ungerecht behandelt? Wie lässt sich erklären, dass der Missionsmitarbeiter Aku bis 1908 zwei Häuser in Lome gebaut hatte, ohne dass die Missionsleitung sich darüber äußerte? Mehr noch: Andreas Aku, der noch Lehrer war, zog in das eigene Haus ohne Protest und Vorbehalt des Missionsvorstandes, als er in dem exklusiven Dienst der Mission stand. Dies bedeutet, dass Andreas Aku bereits über eine gewisse Selbständigkeit verfügte. Bis 1914 besaß er fünf Grundstücke in Lome (Sebald 1988: 411; 485). Wahrscheinlich traute sich kein Missionar, in Konflikt mit Aku, dem Gründer der Hauptstation Lome und dem Hauptvertreter der NMG in Lome, zu treten. Fakt ist, dass die Persönlichkeit Andreas Akus von Missionaren selbst unterschiedlich beurteilt wurde. Er äußerte freimütig seine Meinung und blieb dabei, auch wenn Missionare versuchten, ihn zum Gehorsam zu zwingen. Missionar Carl Spieß bezog sich sogar auf das Benehmen Andreas Akus, als der vorschlug, die Mission solle aufhören, Ewe-Studenten in Deutschland auszubilden (C. Spieß an Inspektor Zahn. Die Ausbildung der Evheer in Deutschland; Gründe gegen dieselbe. Bremen, den 22. 2. 1897 (7, 1025–29/6). Andreas Aku sei hochmütig und aufsässig. Dieser Meinung war Missionar Jakob Spieth aber nicht, der Andreas Aku eher positiv einschätzte. Hierzu die Beschreibung einer pädagogischen Streitigkeit: „Dem Andreas Aku wird es übel genommen, dass er die Missionare mit der deutschen Grammatik habe überzeugen wollen. Br. Spieß erblickt darin ein Zeichen der Halbbildung. Seiner Art wird das wohl keinen Abbruch gethan haben, wohl aber seinem Ansehen bei den betreffenden Brüdern. Es ist wahr, Andreas hat sich allerlei orthographische Ungeheuerlichkeiten erlaubt. Er hat aber seinerseits mit den Brüdern allerlei Fragen durchgesprochen & dabei gemerkt, dass bei diesen selbst keine Übereinstimmung & keine völlige Klarheit zu finden war. Infolge dessen erlaubte er sich, seine eigenen Gedanken auch an den Mann zu bringen & – abgesehen von diesen die Rechtschreibung betreffenden Fragen – hat er viele vorzügliche Ratschläge gegeben. Das ist keine Frage, Andreas Aku versteht seine Muttersprache. Andreas gehört zu den Leuten, welche geistig weiterstreben und an sich arbeiten. Er hat auch seine eigenen Gedanken. Das scheint mir aber ganz die von uns gewünschte und angestrebte Richtung der Entwicklung unserer Leute zu sein. Mit Leuten, die zu allem, was der Missionar sagt & vorschlägt „Ja“ sagen, ist natürlich leichter um[zu]gehen als mit solchen wie Aku. Ob aber auch für die Sache nützlicher ist, das ist doch eine andere Frage. Wird das dem Aku als Hochmut ausgelegt? Ich glaube mit Unrecht. Mir gegenüber war er immer für Gründe zugänglich. Sollte das aber auch sein. Wollen wir, dass die Leute keinen Schulstolz mehr bekommen, denn müssen wir diesen Zweig der Arbeit aufstecken.“ Spieth an Inspektor Zahn. Schorndorf, den 10. September 1897: 10f. (7, 1025–29/6).
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Abb. 21. Pastor Andreas Aku, erster Präses der selbständigen Ewekirche, Führer und Vorbild der Errungenschaft der modernen sozialen Schicht durch die christlich europäische Lebensweise in der Ewe-Gesellschaft. (7,1025– Fotos 1891)
Aufgrund seiner Persönlichkeit ergriff Andreas Aku mehrere soziale Initiativen innerhalb der Kirche. Er gründete in Lome einen Jünglings- und einen Männerverein. Bei dem Jünglingsverein war er Ehrenmitglied und bei dem Männerverein Leiter. Er opferte sich auch für ihre Entwicklung und die Entfaltung ihrer Mitglieder: „Als im Jahre 1904 dem Jünglingsverein ein im Missionshause bis dahin zugewiesenes Zimmerchen zu eng wurde, baute A. Aku auf seinem eigenen Grundstück ein Vereinshaus, in dem der Verein jahrelang tagte, und Andreas Aku selbst den Mitgliedern so manches mal das Gottes Wort auslegte, bis der Verein selbst in der Lage war, sich ein eigenes Haus zu bauen.“ Missionskaufmann W. Hagens. Nachruf auf A. Aku. In: Baëta (1934): 31.
Die beiden Vereine durften während des ersten Weltkriegs keine Versammlungen abhalten. Außerdem versammelte Aku seine afrikanischen Kollegen innerhalb der Mission in einen Verein der in Deutschland ausgebildeten Missionslehrer. Die erste Versammlung fand am 24.–25. Januar 1907 in Kpalime statt. Daran nahmen zehn Lehrer und Prediger teil. Andreas Aku rief seine Kollegen zur Einigkeit der afrikanischen Missionsmitarbeiter auf, trotz ihrer unterschiedlichen Herkunft: „Die wir alle uns hier zusammengefunden haben, sind aus verschiedenen Stämmen. Nun hat die Gnade Gottes uns durch den Glauben in Christo Jesu eins gemacht. Der Herr hat uns erwählet und gerufen zu einem gemeinschaftlichen Amt und uns zu Evangelisten, Lehrern und Hirten gesetzt. Und da wir Christi Nachfolger und Diener sind, muss auch eine wirkliche Einigkeit zwischen uns sein. […] Und diese Einigkeit muss nicht nur geistlich, sondern auch äußerlich sein und sich durch Tat beweisen. Eine wirkliche äußerliche Einigkeit zwischen uns allen kann nur durch Rundbrief und Zusammenkunft erhalten werden.“ A. Aku. Einfüh-
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rungswort. Konferenz der in Deutschland ausgebildeten Lehrer. Kpalime, 24.-25. Januar 1907 (7, 1025–19/1).
Diese Rede hörte sich so engagiert an, als appellierte Andreas Aku an seine Kollegen, sich auf einen künftigen Kampf um Selbständigkeit und die Selbstübernahme der Leitung der Ewe-Kirche vorzubereiten. Andreas Aku wurde Vorsitzender des Lehrervereins. Die Missionsleitung hatte diese Veranstaltung gefürchtet. Deswegen zögerte sie, eine zweite Lehrerkonferenz zu gestatten. Hätte Aku nicht immer wieder bei der Mission nachgefragt, wäre die Konferenz ein zweites Mal nicht zustande gekommen. Auf eine erste Bitte Akus, die Versammlung zwei Jahre danach zu halten, reagierte die Missionsleitung nicht (Aku an Inspektor Schreiber, Lome, 16. Januar 1908 (7, 1025–21/1). Andreas Aku bestand auf der Forderung, bis der Missionsvorstand nachgab: „Bei unserer ersten Konferenz in Palime haben wir es so vorgeschlagen, und Ihnen habe ich auch darüber geschrieben und Sie gebeten, uns Ihre Meinung darüber mitteilen zu wollen, damit wir zur Zeit für die nächste Konferenz uns vorbereiten können. Bis jetzt haben wir von Ihnen auf ein solches Schreiben gewartet. Weil das Jahr bald zu seinem Ende eilt, so möchte ich Sie daran erinnern und bitten, mir baldigst Ihre gefällige Meinung darüber schreiben zu wollen.“ A. Aku. Schreiben an Inspektor Schreiber, 12. Sept. 1908 (7, 1025–21/1)
Die zweite Konferenz der in Deutschland ausgebildeten Lehrer fand am 21.–22. Juli 1909 in Kpalime statt. Daran nahmen neue Missionslehrer teil, auch welche, die nicht in Deutschland ausgebildet wurden. Diese wurden am Ende der Konferenz in den Verein aufgenommen (Aku. Bericht über die zweite Konferenz der in Deutschland ausgebildeten Lehrer (7, 1025–29/1). Aus unbekannten Gründen fand die dritte Konferenz nicht mehr statt, obwohl Aku beim Missionsvorstand den Antrag gestellt hatte. Andreas Aku kündigte an, er wolle weitere Mitarbeiter der Mission in den Kreis des Vereins aufzunehmen: „Wie Sie wissen haben wir (Die in Deutschland ausgebildeten Missionsgehilfen) mit Ihrer Genehmigung eingeführt, alle zwei Jahre unter uns eine Konferenz zu halten. Zweimal haben wir schon eine solche Konferenz gehalten, aber seit drei Jahren kamen wir nicht mehr zusammen. Nun haben wir vorgenommen, ‚so Gott will’ im Januar 1914 eine solche Zusammenkunft wieder zu halten, und zwar diesmal von jedem Bezirk 2 oder 3 andere Kollegen auch einzuladen.“ Aku an Direktor Schreiber. Lome, den 26. August 1913 (7, 1025–22/1).
Was wollte Andreas Aku eigentlich mit der Gründung von Vereinen erreichen? Lehrer und Katechist Aku hatte viele ungerechte Behandlungen der einheimischen Bevölkerungen seitens sowohl der Mission als auch der Kolonialregierung festgestellt. Um diese Ungerechtigkeiten zu bekämpfen, sammelte er seine Landsleute in Vereinen. Damit übte er Druck auf die Missionsleitung und die Kolonialregierung aus. Am 14. Oktober 1909 schickte die Gemeinde von Lome an den Inspektor der NMG eine Petition. Die Bitte der Gemeinde betraf: „1. die Errichtung einer Fortbildungsschule, 2. die einer Handwerkerschule. Ferner wurde gefordert, dass im Begräbnisfalle zwischen vollen und ausgeschlossenen Gemeindenmitgliedern kein Unterschied gemacht werden solle, da sonst Zwietracht die Folge sei.“ Sebald (1988): 485f.
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Mit der deutschen Kolonialregierung trat Andreas Aku auch vielfach in Kontakt. Im Jahre 1908 war Andreas Aku zusammen mit dem einheimischen Kaufmann und Plantagenbesitzer Octaviano Olympio Sprecher der Bevölkerung vor der deutschen Kolonialregierung. Als Aku im März 1909 die Bremerstrasse in Lome entlang ging, wurde er von einem deutschen Bahnbeamten ohne Anlass geohrfeigt. Nachdem er sich dann beim Gouverneur beschwert hatte, war dessen Antwort, er solle dem Beamten verzeihen (Sebald 1988: 545). Diesen Vorschlag hielt Aku für ungerecht und er befestigte sein antikoloniales Bewusstsein. Zusammen mit Octaviano Olympio richtete Aku am 24. Mai 1909 an die deutsche Kolonialregierung eine von den beiden unterzeichnete Petition, die „Wünsche der Einwohnerschaft von Lome“ enthielt. Die Petenten forderten: „1. die Einwendung „gleichen Rechtes auch im Gericht zwischen Europäern und Eingeborenen“, 2. die Verhinderung sofortiger Verhaftung von Eingeborenen in Zivilsachen, 3. die Zulassung von Sicherheitsleistungen mit anderen Vermögenswerten als ausschließlich in barem Geld.“ Sebald (1988): 545.
Der deutsche Gouverneur Graf Zech in Lome (1904–1910) reagierte auf diese Petition in einem Bericht an das deutsche Reichskolonialamt mit rassistischen Argumenten: „Diese strenge Unterscheidung zwischen Weißen und Farbigen […] beruht auf der überwältigenden Überlegenheit der weißen Rasse als Ganzem gegenüber der farbigen in kultureller Beziehung. […]“ Sebald (1988): 546.
Nichtsdestotrotz arbeitete Andreas Aku vielfach mit der Kolonialregierung zusammen, um die Interesse der Einheimischen zu schützen. Als Vertreter der einheimischen Bevölkerung stand Aku in der ersten Reihe der Persönlichkeiten, die den Herzog Adolf-Friedrich zu Mecklenburg34 bei dessen Besuch in Togo empfingen. Der letztere beehrte Andreas Aku mit einer „Medaille vom Großherzog Friedrich Wilhelm von Mecklenburg“ anlässlich seines ersten Besuches 1908 in Togo (Baëta 1934. In Quinteros/Lenz 1986: 158). Nicht immer waren Akus politische Aktivitäten dem Missionsvorstand bekannt. Im April 1914 wurde er zum Beispiel als Vertreter der Eingeborenen in die Kolonialregierung aufgenommen. Erst danach berichtete er dem Vorstand: „Es ist unserem verehrten Herrn Vorstand wohl nicht unbekannt, dass ich in Lome manches Mal in besonderen Angelegenheiten die Eingeborenen vor dem kaiserlichen Gouvernement mit zu vertreten geheißen worden war. Kurz vor S. Königl. Hoheit, unser Herr Gouverneur, nach Deutschland abreiste, lud er einige ältere Stadtbewohner Lomes zu sich ein in seiner Wohnung. Das war am 26. April [?]. Ich war auch darunter. Er machte uns den freundlichen Vorschlag zwei Eingeborenen aus Lome, die Interesse für Ihre Landsleute haben, als Vertreter in wichtigen Sachen vorm Kaiserlichen Gouvernement zu erscheinen, zu erwählen. In einer abgehaltenen Versammlung der Eingeborenen unter sich wurden der Plantagenbesitzer, Herr Octaviano Olympio und ich gewählt, die Vertreterstelle zu übernehmen. Wie Herr Olympio habe ich auch vorläufig die Wahl angenommen. Darüber wurde Herrn Gouverneur am Tage seiner Abreise Mitteilung gemacht.“ Aku an den Missionsvorstand in Bremen, vom 34 Adolf-Friedrich zu Mecklenburg Kolonialregierung in Togo.
war
1912-1914
Gouverneur
der
deutschen
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11. April 1914; Wahl zum Eingeborenen-Vertreter in der deutschen Verwaltung. (7, 1025– 22/2).
Ferner setzte Andreas Aku seine politischen Aktivitäten in der Zeit des französischen Mandats in Togo fort. 1925 wurde er in den „Conseil des Notables“ (Stadtrat) gewählt und in dieser Eigenschaft musste er 1926 auch an den Friedenverhandlungen zwischen den beiden streitenden politischen Parteien von Anecho – Küstenstadt im Süd-Osten – teilnehmen. Dabei versuchte er, die Einheimischen zusammenzubringen (Baëta 1934. In Quinteros/Lenz 1986: 156). Das französische Gouvernement machte auch Andreas Aku zum Ritter des Schwarzen SternOrdens von Benin (Chevalier de l’Ordre de l’Etoile Noire du Bénin) (Baëta 1934. In: Quinteros/Lenz 1986: 158). Andreas Akus politisches Engagement hinderte ihn nicht daran, seine Missionsarbeit fortzusetzen.
4.12.4 Akus Streitigkeit mit der Mission Bis zum Ende des ersten Weltkrieges entstand kaum ein öffentlicher Konflikt zwischen dem Pastor Andreas Aku und seinem Missionsvorstand. Nachdem Missionare nach dem Krieg das Ewe-Misionsgebiet verlassen hatten, oblag Pastor Aku die Missionsleitung in Lome. 1917 machte er eine schwere Erfahrung in seiner Familie, die seinem Ruf und seiner Karriere beinahe geschadet hätte. Das war: „[…] ein schweres Vergehen unserer Tochter Monika vor ihrer Hochzeit. Ein hiesiger vorgeschlagener Gemeindeältester mit Namen F. [Filipo] Ayim hatte mit ihr vergangen. Aber erst am 27. 1. haben wir, die Eltern als Tatsache erfahren. Wie schwer war es uns! – Zu dem mussten wir gestern, den 18. 2. noch viel Schlimmeres hören, dass auch unsere erste Tochter Angelika, leider, leider mit demselben Mann in Sünde gefallen ist. Oh noch uns! Ach, wir wünschten, wir Eltern, oder unsere Töchter wären tot als eine solche unerträgliche Schmach zu erleben!“ A. Aku an den Vorstand der Bremer Mission, Lome, den 19. II. 1917 (7, 1025– 25/1).
Diese „Unsittlichkeit“ Angelikas und Monikas mit dem Gemeindeältesten Philip Ayim war wahrscheinlich der Gemeinde in Lome bekannt. Nach dieser Erfahrung bat Aku um seine Entlassung aus der Gemeindearbeit, da dieses „unlöschliche Ärgernis“ seinem künftigen Wirken in der Gemeinde schaden würde: „Nach Überlegung der ganzen Sache bin ich zu dem Entschluss gekommen, mich lieber vom Missionsdienst zu entbinden. Wie schwer es mir auch am Herzen liegt, ersuche ich den Herrn Vorstand um Entlassung vom Missionsdienst.“ A. Aku an den Vorstand der Bremer Mission, Lome, den 19. II. 1917 (7, 1025–25/1).
Akus Austritt wäre ein schwerer Verlust für die Mission, deswegen nahm ihn der Vorstand nicht an. Nach langer Beratung entschloss sich der Missionsvorstand, Pastor Andreas Aku in eine andere Station im Landesinneren zu versetzen. Aber Andreas Aku lehnte diese Forderung ab: „Es ist aber in den vielen verflossenen Jahren mir hier so geworden, dass ich leider heute sagen muss, dass es mir unmöglich ist, jetzt oder künftig eine Versetzung anzunehmen. 1. weil ich mich fühlte, mit der hiesigen Arbeit und Gemeinde verwachsen zu sein. 2. weil ich glau-
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be, hier in Lome und Umgegend noch besser arbeiten zu können als anderswo neue Arbeit und neues Leben zu beginnen. 3. weil Lome mir in den 22 Jahren allmählich wie eine zweite Heimat geworden ist. 4. weil meine Familie ziemlich groß geworden ist und eine Versetzung und Umzug derselben die ganze Familie schaden würde. Schulbesuch unserer Kinder wird darunter leiden. 5. weil ich hier in Lome für uns bessere Familienwohnung mit vielen Unkosten errichtet habe. 6. weil ich in der Nähe von Lome eine Plantage angelegt habe, wodurch etwas zu unserem Familienlebensunterhalt beigetragen wird. Nur von Lome aus kann ich diese Plantage leicht erreichen und dort in den Ferien auch selbst einige Tage arbeiten, wie ich manchmal schon getan habe. 7. weil ich schon die meisten Dienstjahre hinter als vor mir habe. Und da ich in Lome sowohl als auch auf den Außenstationen noch arbeiten kann, bitte ich ergebenst von meiner Versetzung absehen zu wollen.“ Os4fo Aku an Herrn Präses Bürgi, Lome, den 28. Februar 1917(7, 1025–25/1).
Abb. 22. Andreas Aku mit Frau (Carolina Steffens) und Kindern: hint. steh.: Angelika, Paulina, Monika; links stehend: Constantin; r. steh.: Fridolin; v. steh.: Zwilinge Mariana und Juliana. Lome um 1913: (7,1025– Fotos 0297)
Andreas Aku hatte am 10. Januar 1889 Karoline Steffens, Tochter des dänischen Kaufmanns Steffens und einer afrikanischen Frau aus Accra, geheiratet. Missionar Binetsch vollzog die Trauung. Das Ehepaar Aku hatte elf Kinder, von denen drei starben. Aku fühlte sich in Lome als in seiner Heimat, wo er eingewurzelt war. Seine Kinder besuchten nur selten das Herkunftsdorf der Großeltern AdakluWaya. Sie lebten in Lome, wo sie ihre Zukunft sahen. Aku selbst besaß Grundbesitz und Häuser in Lome. Trotz der Familienverhältnisse Akus empörte sich die Missionsleitung über seine Reaktion. Pastor Andreas Aku habe die Missionsordnung verachtet. Und damit trotzte er dem Missionsvorstand. Missionare ertrugen seine Aufsässigkeit nicht. Sie bedauerten ihre Verhandlungsflexibilität ihm gegenüber und reagierten mit rassistischer Kritik und Verleumdungen:
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„Die Verhandlungen mit Aku lassen uns wieder einen Blick in eine Negerseele tun. Wer versteht sie, immer wieder treten einem neue Züge entgegen. Es ist zu schade, dass die Brüder nicht auf seinen Austrittsgesuch eingegangen sind und gesagt haben: „Auch wir stehen unter dem Eindruck, dass Sie wenigstens vorläufig um Ihrer Selbstwillen die Arbeit niederzulegen haben und befürworten Ihr Schreiben an den verehrten Vorstand.“ Vielleicht wäre es ihm dann ergangen wie dem Württ. Studentenbruder, so dass er von sich auch gesagt hätte, ohne dazu aufgefordert zu werden: „weil Ihr mich so sehr nötigt, will ich mich nicht weigern, noch weiter zu arbeiten. Es ist gewiss niemand unter uns, der nicht mit Aku als Vater und Mitarbeiter aufrichtiges Mitleid empfindet. Aber aus dem Grunde hätten wir auch erwarten dürfen, dass er inbetreff seiner ferneren Arbeit sich etwas mehr b4b4 [Demut in Ewe] gezeigt hätte statt einen solchen Dickkopf aufzusetzen und mit solchen nichts sagenden Gründen zu kommen. Ich werde den Gedanken nicht mehr los, dass er irgendwie Nebeneinnahmen in Lome hat, von denen wir nichts wissen35.“ Heinrich Diehl. In: Schröder März 1917 (7, 1025–25/1).
War die Zeit gekommen, Andreas Aku an seinen Status des Gehilfen zu erinnern? Oder wollte man sich an Andreas Aku für seine früheren Positionen gegen die Kirchenordnung, gegen Ungerechtigkeiten von manchen Missionaren und sogar gegen die „deutsche“ Kolonialregierung rächen? Die NMG fand es damals schlecht, dass die Einheimischen 1913 mit der Unterstützung von Aku gegen den „deutschen Herzoggouverneur“ auftraten (Sebald 1988: 565). Offensichtlich wollte man Aku zeigen, dass er der Mission seine jetzige Situation verdanken und sich ihrer Anordnung unterstellen sollte. Die Mission drohte Andreas Aku mit einer Entlassung. Aber Andreas Aku gab nicht nach. Er würde gerne seine Meinung revidieren und die Missionsarbeit in der Gemeinde von Lome fortsetzen. Aber seine eventuelle Versetzung käme nicht in Frage: „Und wenn Sie und der Gemeindevorsteher, Herr Missionar Funke, es für möglich halten, dass ich hier mit der Arbeit fortfahren könne, dann will ich es dennoch versuchen wie ich kann. Andernfalls nehme ich lieber die Entlassung an, wie schwer es auch mir ist.“ Os4fo A. Aku an Präses E. Bürgi, Lome, den 21. Februar 1917 (7, 1025–25/1).
Die Mission hätte Andreas Aku wohl lieber wegen Aufsässigkeit und Ungehorsam entlassen wollen. Aber die Kriegszeit war ihr nicht günstig und die Persönlichkeit Andreas Aku konnte dabei helfen, die Mission am Leben zu halten. Ein Schlussvotum für die Belassung Andreas Akus in Lome wurde getroffen. Hier die Gründe: „Praktisch bin aber doch der Meinung, dass wenn wir darauf bestehen, ihn zu versetzen, dass schwere Nachteile nach sich ziehen kann. 1. wissen wir noch nicht, ob wir bleiben können. Wenn nicht, so haben wir selber Aku vorgeschlagen, dann an die Spitze zu treten. Os4f4 Newell ist zu alt und will sich pensionieren lassen. Pastor Quist ist ein invalider Mann und Robert Kwami nicht passend und andere zu jung. 2. als Leiter müsste er in Lome wohnen. 3. sind die vorgebrachten Gründe auch nicht stichhaltig, so lassen sie sich doch hören. 4. wir würden uns doch sehr ins Fleisch schneiden, wenn einen Mann wie Aku, der im 35. Dienstjahr steht in sich in dieser Zeit als treu und zuverlässig bewiesen hat, auf diese Weise verlieren würden. 5. auch kann es sein, dass die Gemeinde anders denkt als wir und es uns verübelt, wenn wir ihren Pastor so hinausdrängen.“ Präses E. Bürgi. Schlussvotum. Lome, 25. 4. 1917 (7, 1025–25/1). 35 Br. Schröder bittet unter dem Brief vom 25. 3. 1917, diesen Satz zu streichen. Er meinte, dass „es vielleicht ein wenig streng geurteilt habe….“
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4. Zwanzig Ewe-Christen zwischen Deutschland und Westafrika: Biografien
Konnte die NMG ohne das Wirken von Andreas Aku überleben? Wie würden die afrikanischen Kollegen Akus und die Gemeindenmitglieder sowie die ganze Bevölkerung in Lome reagieren, wenn Aku von der Mission entlassen wäre? Selbst die Kolonialregierung würde das vielleicht nicht wünschen, denn die Entlassung Akus könnte Unruhe unter der Bevölkerung in Lome verursachen. Einerseits erwies sich die Entscheidung, Aku in Lome zu belassen, als vorsichtig und strategisch. Andererseits galt sie für die Mission in der Zukunft als eine Rettungsentscheidung. Zusammen mit anderen Kollegen in Lome wie in den Außenstationen im Landesinneren übernahm Aku die Führung der Ewe-Kirche während der Kriegszeiten, bis zu der Erklärung der Selbständigkeit der Ewe-Kirche. Aus Akus Initiative versammelten sich vom 18.–22. Mai 1922 alle Pastoren, Katechisten, Missionslehrer und Häuptlinge aus dem Ewe-Land – insgesamt 166 Teilnehmer – in Kpalime zu einer Synode. Diese erklärte, unabhängig von der Teilung der EweKirche in der britischen Goldküste und dem französischen Togogebiet, die Einheit der Ewe-Kirche und ihre Selbständigkeit (Präses Aku und Os4fo Baeta an Missionsinspektor M. Schlunk Lome, den 16. Juni 1922 (7, 1025–24/6). Einstimmig wurde Andreas Aku zum ersten Ewe-Präses der Ewe-Kirche erwählt und eingesetzt. Durch die einheimische Leitung blieb die NMG in Kontakt mit der EweKirche und hoffte, bald ins Missionsgebiet zurück zu kehren. Andreas Aku blieb Präses der Ewe-Kirche bis zu seinem Tod. Andreas Aku lebte unter dem Einfluss der traditionellen Religion, der seine Eltern angehörten. Durch Missionar Merz erlebte er das Christentum, indem er die Schule besuchte und in Deutschland weitere Ausbildung erhielt. Er übernahm das Christentum und wurde ein wichtiger Mitarbeiter der Mission, der er treu diente. Dennoch stellte er seine Erfahrungen seinen Landsleuten zur Verfügung, um weitere Kämpfe zu führen. Er nutzte seine religiöse Position und dieselbe Waffe, die zu seiner Abwendung von der traditionellen Gesellschaft gedient hatte, um seine Landsleute aufzuklären und sie zum Kampf gegen missionarische und politische Ungerechtigkeiten zu veranlassen. So stellte er seinen Status sowohl in den Dienst der christlich-europäischen Kultur als auch in den Dienst der afrikanischen Bevölkerung. Ihm widmete der Synod Clerk Robert Baëta 1934 das biografische Werk: Pastor Andreas Aku. Präses der Ewe-Kirche. 50 Jahre Missionsdienst. Andreas Aku selbst war Autor von mehreren Werken bezüglich der Bibelliteratur wie Bremen Mission 5e 5e 75 yubili ŋkeke nyuie (75jähriges Jubiläum der NMG) (1911). Er widmete bekannten Christen biografische Werke wie: Lehrer Christian Ali5odzi Se2 o2 e, 1857 bis 1907 in Deutsch und ~ ku2 odzinya le Helene Ayiku ` uti: 1851–1908 in Ewe. Außerdem ist Andreas Aku Autor von 30 von 480 Kirchenliedern im Gesangbuch der Ewe-Kirche.
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4.13 BIOGRAFIE VON HERMANN (WILLIAM) Y4Y436 4.13.1 Kindheit, Name und Kontakt mit dem Christentum Im Jahre 1869 wurde Y4y4vi Heymann in der Küstenstadt Dzeluk45e bei Keta geboren. Seine Eltern waren John Heymann und Kristina Fiwa. Mit der Christenfamilie Quist37 von Dzeluk45e war John Heymann verwandt. Der europäische Familienname wurde vermutlich beim Kontakt zu der europäischen Kultur übernommen. Über die europäische Herkunft Johns ist nichts bekannt, auf dem Foto sieht sein Sohn Y4y4vi nicht europäisch aus. Dieses Phänomen war unter den kulturellen Mischlingen an der westafrikanischen Küste bekannt. Neben ihnen hielten Afrikaner es für nützlich, europäische Namen bzw. Vornamen zu übernehmen. Es könnte vermutet werden, dass John Christ war, und schließlich war er mit der Familie Quist verwandt, aber die Quellen geben darauf keinen Hinweis. Er starb 1879 (Faszikel Y4y4vi (7,1025–29/5). John Heymanns Frau Kristina Fiwa gehörte der traditionellen Religion an, bis sie 1894 getauft wurde (Y4y4 an Inspektor. Bericht. Keta, den 16. Januar 1894). Y4y4 selbst wurde erst am 28. Januar 1883 während seines Schulbesuchs in Keta durch Missionar Binetsch auf den Namen Hermann William getauft. Ins Taufregister wurde Hermann William Y4y4vi eingetragen. Er wurde meistens Hermann Y4y4 oder Hermann Y4y4vi genannt. Y4y4 ist ein Ewe-Name, aber lässt vielfältig verstehen: Er kann einerseits im prophetischen Sinne „Anruf“ bedeuten. In diesem Falle wäre der Name aus dem Verb „y4“ d. h. rufen bzw. anrufen gebildet (Westermann 1954: 774). Andererseits kann Y4y4 Ungeduld bzw. Hast bedeuten. Darunter könnte man verstehen, dass der Sohn vorzeitig geboren war. Gemäß dem traditionellen Glauben in der Ewe-Gesellschaft trägt man den Namen nicht von ungefähr, denn dieser erklärte die Umständen der Geburt und wirkte meistens auf seinen Träger. War dies der Fall bei Hermann Y4y4? Angesichts seines späteren Lebens, lässt sich fragen, ob Hermann Wilhelm Y4y4s prophetischer Ewe-Name auf ihn gewirkt hat. Jedenfalls konnte man behaupten, dass Hermann Wilhelm Y4y4 Heymann schon in seiner Kindheit für ein Schicksal bestimmt wurde. Y4y4 wuchs bei seinen Eltern auf und erlebte die traditionelle Kultur, bis er durch den Schulbesuch in Kontakt mit dem Christentum kam. Im Mai 1877 trat er in die von Missionar Carl Eduard Immer geleitete Missionsschule in Dzeluk45e ein. Nach dem Tod seines Vaters John Heymann zog er zusammen mit seiner Mutter nach Keta, wo er die Schule fortsetzte. Im August 1882 wurde er ins Seminar von Keta aufgenommen, das damals von Missionar Ernst Bürgi geleitete wurde. Die Missionsleitung in Keta zählte Y4y4 zu den „besten“ Schülern und schickte ihn am 6. Juni 1884 zusammen mit seinen Schulkameraden Andreas Aku 36 In der Literatur zu der Mission und der Kulturwissenschaft liegen bereits Verfassungen über Hermann Y4y4 bzw. über seine Theorie von der Ein- und Vielehe. Vgl. Ustorf (1989): 234240; Alsheimer (2001b): 8-14; Oloukpona-Yinnon (2003): 161-168; Altena (2004): 424-425. 37 Die Familie Quist war schon lange eine christliche Familie, die einen dänischen Ursprung hatte. Vgl. Biografie von Samuel Quist
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und Reinhold K4wu zur Missionsausbildung nach Deutschland. Er war fünfzehn Jahre alt und gehörte zu der ersten Reihe der afrikanischen Studenten, die das Missionsausbildungsprojekt der NMG in Deutschland genutzt hatten. Drei Jahre lang erhielt er sowohl fachliche als auch biblische Ausbildung. Hermann Y4y4 studierte zu der Zufriedenheit des Missionsvorstandes38. Hermann Y4y4 lernte das europäische Wissen ohne Schwierigkeiten. Mit europäischen Musikinstrumenten wie Harmonium und Violine ging er leicht um. Hermann Y4y4 und seine Schulkameraden mussten auf ihre Muttersprache verzichten, um Deutsch zu lernen. Es wurde ihnen verboten, am Tisch Ewe zu sprechen: „Herr Pfarrer hat uns verboten, nicht mehr Ewe zu sprechen am Tisch, und wer Ewe spricht muss Strafe bezahlen, das ist auch gut für uns, dass wir schnell Deutsch lernen.“ Y4y4vi an Inspektor. Ochsenbach, den 29. Dezember 1885 (7,1025–29/5)
Hermann Y4y4 setzte sich oft mit dem „Christenthum“ in Deutschland auseinander. In Deutschland erfuhr er, wie christliche Feste gefeiert wurden. Er lernte dabei das christliche Leben und deutsche Christen kennen. Dies prägte seinen Eindruck von der europäischen Kultur. Hierzu seine Korrespondenz mit dem Missionsinspektor Zahn: „Ich freue mich sehr für das Weihnachtsgeschenk, für das ich zu Dir meinen herzlichen schönen Dank sagen will. Welches ich von Dir und der lieben Frau Inspektor erhalten habe, das Choralbuch machte mir viel Freude, von Frau Weyhe habe einen Geldbeutel bekommen, das machte mir auch viel Freude und möchte Dich deshalb bitten Ihr meinen herzlichen Dank und viele Grüße von mir zu sagen. Ich habe in diesen Weihnachten gesehen wie schön es in Europa ist. In Ochsenbach ist es auch sehr schön im Pfarrerhaus so einen schönen Christbaum haben wir auch gesehen. Wir haben am 2ten Feiertag bei Herrn Schofer in Spielberg gesungen, es war eine große Versammlung, es war sehr schön.“ Y4y4vi an Inspektor. Ochsenbach, den 29. Dezember 1885 (7,1025–29/5).
Es fiel Hermann Y4y4 in Deutschland schwer, die christliche Sittlichkeit einzuhalten. Zusammen mit seinem Schulkameraden Reinhold K4wu hatte Y4y4 „intimen“ Kontakt mit Maria, einem Hausmädchen in der Nachbarschaft des Pfar38 Hierzu sein Zeugnis im letzten Semester seines Studiums: „Gaben: gut / Fleiß: gut - s. gt. Verhalten: gut Religion: Realien: Religionslehre: gut Geschichte: z. gt. Bibelstunde: gut Geographie: gt Memorieren: gt. Naturlehre: z. gut.- gt. Kirchengeschichte: z. g. Naturgeschichte: z. gut.-gt. Sprache: Musik: Deutsche Sprachlehre: gt. Gesang: z. gt.- gt. Schönschreiben: z. gut - gt. Harmoniumspiel: gt. Rechtschreiben: g. Violinspiel: z. gt. Aufsatz: z. gut- gt. Harmoniumlehre: z. gt. Englische Sprache: z. gt. Rechnen: gut Zeichnen: z. gut.“ (Schullehrer Schofer/ Pfarrer J. Binder Faszikel Y4y4vi. Ochsenbach, den 28. Juni 1887 (7,1025-29/5)
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rers Johannes Binder. Y4y4 bekannte seine „Missetat“ und machte die erste Erfahrung der christlichen Buße. Y4y4 nahm seinen Bußebrief so ernst, dass er ihn in der Muttersprache Ewe schrieb: „Es schmerzt mich sehr, dass ich diese große Sünde gegen Gott und Menschen begangen habe, und die [haben sich mit Recht über unser] Betragen geärgert […]. Strafe haben wir von Gott und Menschen verdient. Eine große Sünde haben wir gethan. Deshalb bitten wir Dich sehr, dass Du uns diese Sünde vergibst, damit wir neue Menschen werden. […]“.Y4y4vi an Inspektor. Ochsenbach, 8th. July 1885 (Übersetzung von J. C. Binder) (7,1025–29/5).
Hermann wählte sorgfältig seine Beichtwörter aus. Er bekannte zwar seine „Unsittlichkeit“, aber er fühlte sich nicht allein schuldig, sondern er hielt seinen afrikanischen jungen Bekannten Ernst Wienand Kwaku für den Anführer, also den ersten Verantwortlichen: „Ich erkenne meine Sünde und ich habe sehr thöricht gethan, denn ich folgte Ernst auch ins Verderben.“ Y4y4vi an Inspektor. Ochsenbach, 8th. July 1885 (Übersetzung von J. C. Binder) (7,1025–29/5).
Ernst Wienand Kwaku war ein afrikanischer Junge aus Peki, der mit Frau Missionar Tolch als Kinderwärter nach Bremen gekommen war und anschließend als Schreinerlehrling in Ochsenbach lebte, bis Y4y4vi und seine Schulkameraden ankamen (Lebenslauf von Andreas Aku (EEPT-Archiv Lome). Ernst Kwaku war schon früher mit dem Hausmädchen Maria befreundet und hatte Y4y4 und seinen Schulkameraden Reinhold K4wu zu dem „unsittlichen Betragen“ verführt. Was Hermann Y4y4 besonders bekümmerte, war seine Befürchtung, vorzeitig nach Afrika zurückgeschickt zu werden. Das würde seine Zukunft in Frage stellen und von seinen Landsleuten in Afrika als eine Schande betrachtet werden: „Es würde eine sehr große Schande für uns sein, wenn wir solche Ihrrheit nach Afrika nehmen würden, sind wir doch nach Europa gekommen, um Gutes zu lernen, deshalb nicht unseren Landsleuten zu sagen und nun haben wir diese gr. Sünde und Ihrrheit begangen […].Wenn das meine Verwandte hören, ist es für mich eine sehr große Schande, und ich kann fast nicht mehr nach Afrika zurückkehren.“ Hermann Y4y4vi an Inspektor. Ochsenbach, 8th. July 1885 (7,1025–29/5).
Hermann Y4y4vi bekannte seine Tat nicht unbedingt als eine Sünde, sondern als einen jugendlichen Fehltritt. Diese erste Warnung hinderte ihn nicht, später – 1897 – sich eine zweite Frau zu nehmen und sich danach zu rechfertigen. 1887 beendete Hermann Y4y4vi seine Ausbildung in Deutschland mit gutem Abschluss. Er kehrte nach Afrika zurück und stellte sich in den Dienst der NMG.
4.13.2 Hermann Y4y4s Missionsarbeit und Verständnis der Bibel Als Hermann Y4y4 im September 1887 in Afrika ankam, durfte er wie seine anderen Schulkameraden einen kurzen Urlaub machen. Anschließend wurde er als Lehrer in die Stationsschule in Keta geschickt. Er übernahm die dritte und die vierte Klasse, die wegen der Erkrankung Missionars Gottlob Zurlinden an Gallen-
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fieber gerade verwaist waren (Gottlob Däuble. Jahresbericht 1887 von Keta. Keta, den 28. April 1888. (7,1025–16/2). 1893 wurde Hermann an die Mittelschule von Keta versetzt, wo er zusammen mit seinem Kollegen Andreas Aku arbeitete (Däuble. Jahresbericht 1893 von Keta. Keta, den 11. April 1894 (7,1025–16/3). In der Mittelschule unterrichtete Y4y4 in Hauptfächern wie Biblische Geschichte, Bibelkunde, Ewe, Rechnen und Englisch. Beim Ewe-Unterricht zum Beispiel war die Lehrmethode anstrengender als in Deutschland, denn Y4y4 bediente sich dabei eines deutschen Lesebuchs. „Es ist mir Leid, dass bisher kein ordentliches Evhe Aufsatzbuch eingeführt werden kann. Als Hilfebücher benutzen wir die deutschen Lesebücher. […] Es ist doch etwas anderes, in der deutschen Heimat Hilfsbücher in der Hand zu haben als hier bei uns, wo man alles abschreiben und übersetzen muss.“ Y4y4 an Inspektor. Bericht über die Arbeit in Keta. Keta, den 16. Januar 1894 (7,1025–19/5).
Y4y4 stand zehn Jahre lang im Dienst der Mission. Trotz und wegen seiner Kompetenz verstand er sich kaum mit seinen Vorgesetzten. Missionare klagten über seine Arroganz. Bereits 1890 machten sie sich deswegen Gedanken über die Ausbildung von Afrikanern in Deutschland: „Lieber Herr Inspektor verzagen Sie nicht; aber vielleicht kommen wir auch, wie die Basler, zu der Überzeugung keine Schwarze mehr hier auszubilden. Hermann [Y4y4] stellt sich hin, als ob er uns Brüder draußen beraten sollte. Bei Hermann ist’s nicht sauber das Gefühl habe ich.“ Binetsch an den Inspektor. Korntal 30.12.1890 (7,1025–60/4).
1896 schrieb er der Missionsleitung in Keta und dem Missionsvorstand in Bremen einen Brief, in dem er den christlichen Ansatz der Einehe unter Berufung auf die Bibel infrage stellte: „Die heilige Schrift sagte nichts Weiteres zur Bestätigung der Einehe. Im Religionsbuch nach Kurtz, Seite 49, Anmerkung, steht: Der Geist des Christenthums hat die Polygamy, auch ohne ausdrückliches biblisches Verbot völlig verdrängt. Mich dünkt aber, was die hl. Schrift nicht verboten hat, soll man lieber dem menschlichen Gewissen überlassen; […] Die Europäischen Christen und die Afrikanischen Christen gleichen den Judenchristen und den Heidenchristen in dieser Beziehung. Die Judenchristen sagen, dass die Heidenchristen durchaus beschnitten werden müssen für den Eingang ins Reich Gottes, was aber nicht notwendig ist. So ist auch die Einehe für die Europäer eine Natursache, und wenn ich es sagen darf, zurzeit als sie noch Heiden waren (die Römer - Numa Pompilius), ehe sie zum Christenthum übergetreten sind; deshalb ist es ihnen zur Sitte geworden bis heutzutage. Nun die Natursache eines anderen Volkes zur Sitte und Gewohnheit zu machen für ein Volk, das eine ganz andere Natur hat, das ist ein starkes Wort und Gott und Christo auf diesem Wege zu dienen, halte ich nicht für gerecht. Das Christenthum verlangt einen freien willen und nicht Zwang.“ Hermann Y4y4 an Spieth. Von der Einehe. Keta, den 12. September 1896 (7,1025–19/5).
Hermann Y4y4 stellte die Frage der Ein- bzw. Vielehe nicht christlich, sondern kulturell zur Diskussion. Diese revolutionäre Vorstellung hatte die Missionsleitung „sehr betrübt“, zumal Y4y4 selbst wusste, dass „einer sich leicht enttäuschen kann von einem solchen Gedanken.“ Aber weil die Sache schon lange auf seinem Gewissen lastete, das er auch nicht durch Gebet befreien konnte, stellte Y4y4 nach ausführlicher Erläuterung seiner Position dem Vorstand fünf folgende Fragen:
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„I. Ist der Christus gekommen, dass er die Einehe einsetzt, oder, dass die Menschen durch ihn vom wahren Gott wissen, dass sie selig werden? II. Kann man keinen wahren Liebhaber des Christenthums finden unter den Ausgeschlossenen, welche 2 oder drei Frauen haben? III. Ist der Afrikaner so dumm und verwirft seinen Gott so sehr? IV. Wenn die Einehe zu einem Brunstleiden wird in Afrika, soll man deshalb 2 oder 3 Weiber nehmen? V. Ist es nicht gefährlich, dass diejenigen Christen, die um der Bigamy und Trigamy willen ausgeschlossen wurden von der Gemeinde zu Hoffnungslosen gehören, welche von einer Sünde zur anderen übergehen und endlich zu Ewigverlorenen werden?“ Hermann Y4y4 an Spieth. Von der Einehe. Keta, den 12. September 1896 (7,1025–19/5).
Die Mission ihrerseits hielt Hermann Y4y4 für verrückt: „Vorstehender Brief lässt einen traurigen Blick thun in das Geistesleben des armen H. Y4y4.“ (Spieth. Vermerk unter Y4y4s Brief. Von der Einehe (7,1025–19/5) Die Missionsleitung durch Missionar Jakob Spieth und der Missionsvorstand durch Inspektor Franz Michael Zahn reagierten auf die verschiedenen Fragen Y4y4s. Y4y4 konnte nicht überzeugt werden. Nachdem die Missionsleitung vergebens versucht hatte, Y4y4 von seiner Meinung abzubringen, entschloss sie sich, ihn in eine Außenstation zu versetzen, denn er war aus ihrer Sicht in der Station Keta unerträglich geworden. Man fürchtete, dass seine Idee sich unter den Gemeindenmitgliedern verbreitete und bei den anderen Mitarbeitern Schule machen könnte: „[…] Ich bin Br. Spieth recht dankbar, dass er unsere Bitte, die Versetzung Hermann Y4y4s betreffend genehmigt hat. Seit dem in der vorigen Konferenz erwähnten Vorfall habe ich wenig mit H. Y4y4 anfangen können. Es wäre mir ein Ding der Unmöglichkeit mit diesem Lehrer in der gleichen Schule zusammen zu arbeiten. Ich hatte durch Versetzung, wenn er auf dieselbe einig ist, würde er unserem Werke erhalten bleiben.“ William Innes. Stationskonferenz Keta. Keta, den 14. I. 1897. S.2f. (7,1025–16/4)
Hermann Y4y4 widersetzte sich der Versetzung. Die Missionsleitung durch Missionar Jakob Spieth konnte ihn trotz allerlei Bedrohung nicht überreden, seine Vorstellung aufzugeben: „Ich muss sagen, wir hatten die Hoffnung durchaus nicht verloren, dass er sich zurecht bringen lassen, beugen und eines Besseren besinnen werde. Leider haben wir uns bitter getäuscht! Sein Entschluss war offenbar längst gefasst; er wollte uns nur denselben so lange verbergen, bis er sich ein warmes Plätzchen verschafft hätte und so ohne eigenen Verlust und Nachtheil seine Stellung hätte verlassen können, ganz seiner Maulwurfsnatur entsprechend. Br. Spieths energisches Auftreten hat das vereitelt und ihn zu sofortiger Entscheidung gebracht. Am Morgen des 13. Januar erklärte er uns seinen Austritt […].“ (G. Däuble an Inspektor. Keta, 23.1.1897 (7,1025–19/5).
Hermann Y4y4 entschloss sich, aus der Mission auszutreten. Schriftlich schickte er dem Missionsvorstand seinen Austrittsbrief, „und zwar in ebenso kalter, trockener, herzloser Weise“, wie der gesamte Inhalt das belegt: „Dem Vorstand der Norddeutschen Missionsgesellschaft teile ich hiermit mit, dass, weil meine Sachen und Absichten sich mit der Mission nicht vertragen können, und ich dadurch ein Ärgernis sein werde, so trete ich von der Mission ab. Hermann Y4y4.“ Y4y4 an Vorstand der NMG. Keta, den 14. Januar 1897 (7,1025–19/5).
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Es ist bemerkenswert, dass es das erste und das einzige Mal war, dass ein afrikanischer „Missionsgehilfe“ dem Missionsvorstand einen Brief ohne die üblichen Anreden wie sehr verehrter/geehrter Herr Inspektor und Grußformeln wie herzliche Grüße, oder ergebenst usw. schrieb. Dies kennzeichnet die trotzige und schlechte Stimmung des Lehrers Y4y4 und vermutlich auch den intoleranten und rassistischen Umgang der Missionare mit ihm. Er wurde unter heftigen Druck durch Missionar Jakob Spieth gesetzt. Fünf Tage darauf schrieb Y4y4 dem Vorstand einen neuen ordentlichen Austrittsbrief, in dem er bei seinem Standpunkt blieb und sogar eine reformierte Ewe-Kirche prophezeite: „Ich weiß, dass diese Nachricht den Vorstand sehr schmerzt, aber anders kann ich auch nicht; lieber der Mission kein Ärgernis sein als geheime Sünden zu begehen. Es wird doch einmal an den Tag kommen, dass ich in keinen Irrtum verfallen bin, sondern die Wahrheit geredet habe. Es giebt nichts anderes als die erwünschte Reformation, die doch am Ende ausgeführt werden muss. Ich bin der Sache gewiss, es muss geschehen.“ Y4y4 an Vorstand. Keta, den 19. Januar 1898 (7,1025–19/5)
Abb. 23. Hermann Y4 y4 (steh.) und Andreas Aku im Dienstanzug auf der Missionsstation von Lome, um 1901 (7,1025– Fotos 1958).
Der Austritt Y4y4s war dennoch, Missionar Däuble zufolge, ein „schmerzlicher Verlust“, denn er war ein kompetenter und tüchtiger Lehrer und Prediger. Y4y4 wurde im selben Jahr als „Schreiber und Dolmetscher“ von der deutschen Kolonialregierung angestellt. Er arbeitete als Kanzleigehilfe am Gericht in Sebbe/Anecho und anschließend in Lome (Altena 2004: 425). Die Mission verlor ihn dennoch nicht aus den Augen:„Das möchte ich auch beifügen, dass es ihm im
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Äußeren ganz gut geht und dass er bei der Regierung beliebt und geschätzt ist[…].“(Däuble an Inspektor. Lome, den 6. Okt. 1898 (7,1025–19/5). Nachdem Hermann Y4y4 ein Jahr lang bei der deutschen Kolonialregierung gearbeitet hatte, änderte er seine Meinung und versuchte, in die Mission zurückzukehren. Hermann Y4y4 versöhnte sich mit dem Christentum und bekannte – wie 1885, vor elf Jahren in Ochsenbach –sein Irrtum vor dem christlichen Gott und den Menschen: „Ich fühle mich innerlich geängstigt wegen meines Schreibens vom Jahr 1896. es geht mir das Licht auf, dass ich den ersten Weg verlassen und mich auf verkehrtem Wege befinde. Ich habe mich schwer versündigt, alle wohlmeinende Ratschläge verworfen; und es wäre wohl am Platz gewesen, meinen halsstarrigen Sinne zu unterdrücken, und nur um Erlaubnis zu bitten, eine Zeit lang frei von der Predigt sein und wieder an die Arbeit gehen zu dürfen, das hat aber mein hochsteigendes Herz mir aus dem Sinne geraubt; weil ich damals in solch innerlicher Aufregung und Unruhe war, wusste nicht mehr wo aus und ein.“ Y4y4 an Inspektor und Vorstand. Lome, den 2. Oktober 1898 (7,1025–19/5).
Hermann Y4y4 bat den Vorstand um Verzeihung und um seine Wiederaufnahme in den Missionsdienst. Er gab sein Bekenntnis zu der Vielehe auf, indem er sich zu Jesus Christus bekannte: „Ich bitte Sie und den Vorstand dringend, das Unrecht, mit dem ich Sie betrübt habe, mir vergeben und sich meiner Wiederaufnahme zu wollen. Ich kann mich nicht anders ausdrücken; ich war tollkühn, der Wahrheit gemäß, ich hatte den guten, demütigen Jesus Geist verloren und infolgedessen meinen lieben Vorgesetzten Herzeleid gebracht, Sie und den Vorstand betrübt. Ich muss es gestehen, weil meine letzte Stunde noch nicht schlägt, dass außer jenen Gedanken über die Ehe noch eine andere Unzufriedenheit mich soweit getrieben hat, die Missionsarbeit zu verlassen, meine Schuld wohl, von welcher ich nicht frei werden konnte. Es steht mir fest, wie ich schon gesagt habe: ich kann nirgends besser haben als bei dem Herrn Jesus und den Seinen und in seinem Dienste. Ich nehme hiermit mein früheres Schreiben zurück.“ Y4y4 an Inspektor und Vorstand. Lome, den 2. Oktober 1898. (7,1025–19/5).
Wie lässt sich die Umkehr Y4y4s in die Mission erklären? Y4y4 fand sich wahrscheinlich nicht mehr zwischen den verschiedenen Kulturen zurecht. Er wollte bei der Mission bleiben, und verleugnete deshalb seine traditionelle Kultur. Er war bei der Regierung angesehen und verdiente besser als bei der Mission. Niemand hatte vorhergesehen, dass er wieder mit den Missionaren arbeiten würde, deren Benehmen er ständig kritisiert hatte. Auch die Missionsleitung selbst schien überrascht zu sein, obwohl sie die Umkehr Y4y4s vielleicht als die Geschichte des verlorenen Sohns (Inspektor Zahn an Y4y4. Bremen, 4. Dezember 1896 (7,1025– 19/5)39 sah: „Ich möchte damit nur sagen, dass nicht etwa äußere schwere Umstände ihn zur Umkehr bewogen haben, wobei allerdings das nicht ausgeschlossen ist, dass ihn seine Beruf und seine Thätigkeit als Schreiber und Dolmetscher nicht befriedigt trotz des guten Gehalts und er, wie er in seinem Brief deutlich merken lässt, am liebsten wieder in der Mission arbeiten möchte.“ Däuble an Inspektor . Lome, den 6. Oktober 1898 (7,1025–19/5).
39 Vgl. Lukas 15:24: „denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden; er war verloren und ist gefunden worden. Und sie fingen an, fröhlich zu sein“ (Luther Bibel 1912).
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Fakt war, dass Y4y4, trotz seines Austritts aus der Mission den Gottesdienst weiter besucht hatte. Er war in Kontakt mit seinen früheren Kollegen Andreas Aku und Elias Awuma geblieben, mit denen „er öfter verkehrte.“ Dies bedeutet, dass die afrikanischen Kollegen ihn nicht verleugnet hatten, auch wenn sie ihn nicht öffentlich verteidigt hatten. Außerdem beriet er sich mit seinem Onkel, dem Gemeindeältesten Theofil Quist, bevor er dem Vorstand seinen Bußebrief schickte. (Däuble an Inspektor. Lome, den 6. Oktober 1898 (7,1025–19/5). Hatten diese Personen den Entschluss Y4y4s beeinflusst? Oder war Y4y4 in die Mission zurückgekommen, um von innen seine prophezeite Reform zu vollziehen? 4.13.3 Hermann Y4y4s Widersprüchlichkeiten und Wiederaufnahme Als Hermann Y4y4 während seiner Tätigkeit in Keta lebte, hatte er eine nichtchristliche Braut, deren traditioneller Name in den Archivalien nicht erwähnt ist. Sie besuchte den Taufunterricht und wurde auf den Namen Kornelia getauft. Erst 1893 wurde das Ehepaar Kornelia und Hermann Y4y4 durch Missionar Däuble christlich getraut (Däuble. Jahresbericht von Keta, 1893. Keta, den 11. April 1894 (7,1025–16/3). Nachdem Y4y4, 1896, die Vielehe vertreten hatte, verließ er die Mission und nahm sich eine zweite Frau. Er schickte Kornelia einstweilen zu ihrer Mutter, aber sein Onkel Theofil Quist, der Gemeindenälteste in Keta, nahm sie inzwischen zu sich auf (Däuble an Inspektor. Keta, den 23.1.1897 (7,1025–19/5). Hier muss betont werden, dass Y4y4 sich nicht von Kornelia getrennt hatte, obwohl sie inzwischen mit ihm nicht mehr zusammen lebte. Die Tatsache, dass Kornelia beim Onkel Y4y4s lebte, hieß, dass Kornelia gemäß der Tradition der Familie Y4y4s immer noch hingehörte. Y4y4 tat dies wahrscheinlich, um sich von dem Druck der christlichen Missionsleitung und des Missionskreises zu befreien. Er war ein Polygamist geworden und wusste, dass dies seiner früheren Predigt nicht übereinstimmte. Er bekannte seine Widersprüchlichkeit, als er seine Vorstellung von der Vielehe vertrat: „Es ist wahr, ich habe dies während langer Zeit in der Predigt gesagt: „Es ist nicht gut für einen Christen, dass er 2 Frauen habe.“ Nun aber verweigert es mich mein Gewissen, dieses Wort weiter zu sagen. […] Ich muss aber gestehen, dass wir uns oft enttäuschen mit unseren menschlichen Gedanken, und dass wir uns öfters irren; deshalb bitte ich Gott, dass er mich im Sprechen und Schreiben leite.“ Hermann Y4y4 an Spieth. Von der Einehe. Keta, den 12. September 1896 (7,1025–19/5).
Im Juni 1898, vier Monate vor seiner Rückkehr in die Mission, hatte er, Missionar G. Däuble zufolge, die zweite Frau „wieder weggeschickt und seine Kornelia wieder gerufen“. Dies bedeutet, dass Y4y4 die Polygamie aufgab. Er habe sich längst Gedanken darüber gemacht:
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„Schon im Januar als ich wegen seiner zweiten Frau mit ihm redete, fiel es mir auf, dass er seine Anschauungen gar nicht mehr so zuversichtlich vertheidigte.“ Däuble an Inspektor. Lome, den 6. Okt. 1898 (7,1025–19/5).
Abb. 24. Missionslehrer mit ihren Frauen in Keta. H. Y4 y4 (r. steh.) und seine erste Frau Kornelia (r. sitz.) (7,1025– Fotos 0343)
Hermann Y4y4 lebte seit seiner Wiederaufnahme40 in den Missionsdienst in der Einehe mit Kornelia. Er arbeitete nun in Lome unter Missionar Carl Osswald. Aber gab er wirklich seine Meinung über die Vielehe auf? Im Jahre 1901 erfuhr die Missionsleitung, dass Hermann Y4y4s Schrift über die Vielehe, die er selbst drei Jahre zuvor verleugnet hatte, in der Stadt Lome öffentlich verkauft wurde. Er hatte sie ins Englische übersetzt und sie in Europa drucken lassen. Sie kostete 50 Pfennig pro Stück. Die Missionsleitung fühlte sich von Y4y4 verraten, und es gab wieder Spannungen zwischen ihr und Y4y4. Missionar Osswald reagierte heftig und berichtete dem Vorstand in Bremen mit Drohung mit definitiver Entlassung über die Sache: „Vor einigen Wochen hörte ich, dass unser früherer Lehrer Hermann Y4y4 seine Schrift über die Vielehe werde drucken lassen, er erwarte die Schrift von Europa. Gestern hörte ich, sie werde in der Stadt zu 50 Pf. das Stück verkauft. Ich ließ mir einige besorgen und sende anbei eines. Herr Inspektor hat seinerzeit auf die Schrift geantwortet. Wie traurig ist die Verwirrung dieses Menschen. Im Jahr 1898 wurde er, weil er eine zweite Frau genommen hatte von der 40 Nach Ustorf so wie nach Oloukpona-Yinnon, Alsheimer und Altena wurde die Bitte Y4y4s nach seiner Wiederaufnahme in die Gemeinde sowie in den Missionsdienst durch Zahn nicht entsprochen (Ustorf 1989: 238; Oloukpona-Yinnon 2003: 167; Altena 2004: CD-Rom: 425; Alsheimer 2001b: 8).
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Gemeinde ausgeschlossen. Ein Jahr später, weil er seine Sünde einsah und bereute, wieder aufgenommen. Und nun lässt er seine Schrift drucken. Ich fürchte der friedlose Mensch nimmt noch ein Ende mit Schrecken. Er geht mir beständig aus dem Weg. […] Der arme Mensch muss nun wieder ausgeschlossen werden, wegen Verbreitung seiner Schrift.“ Osswald an Vorstand. Lome, 18.1.1901 (7,1025–20/1).
Hermann Y4y4 ahnte die Gefahr einer Entlassung. Er bat um Beurlaubung und zog in seine Heimatstadt Dzeluk45e und blieb dort – wie er dem Vorstand schrieb – aus gesundheitlichen Gründen. Er bekam wahrscheinlich im März 1901 per Post seinen Entlassungsbrief von Missionar Osswald. Er schien nicht überrascht: „Ich beehre mich, Sie und Ihre werthe Frau hierdurch ergebenst zu benachrichtigen, dass ich zwar wohlbehalten hier eingetroffen bin, aber meine Gesundheit ist gebrochen. Infolgedessen habe ich selbst von hier aus meine Entlassung nehmen müssen, weil es mir anders nicht helfen kann. Ich muss mich nur recht erholen. Ich schreibe Ihnen dies zur gefälligen Kenntnisnahme; sage Ihnen und Ihrer werthen Frau meinen aufrichtigsten Dank für das freundliche Entgegenkommen, welches mir in Lome zu Theil geworden ist. Wünsche Ihnen anhaltende Gesundheit und Segen zum Wirken. […] Ihr Hermann W. Heymann.“ Y4y4 an Missionar Osswald. Dzeluk45e, den 28. März 1900 [1901?] (7,1025–19/5).
Zum ersten Mal unterzeichnete Y4y4 einen Brief mit dem Namen seines Vaters. War die christliche Phase seines Lebens, wo er unter dem Namen Y4y4 bekannt war, nun zu Ende? Jetzt verließ er den Missionskreis definitiv. Aber gab er nun die Pläne zur Reform der Kirche auf, die er nicht von innen hatte durchsetzen können?
4.13.4 Verständnis der Mission vs. Kampf um soziale Gerechtigkeit? Jetzt war Hermann Y4y4 von jeder Verantwortung für die Missionssache entbunden. Er trat gegen die Missionsinstitution und die Missionare auf. Er warf ihnen vor, sie würden die Mission zu einem Instrument der Unterdrückung und Kolonisierung. Er prangerte die Ausbeutung und Misshandelung der einheimischen Bevölkerung an. Y4y4 schrieb dem Missionsvorstand in Bremen vier private Berichte, die sich wie Petitionen lesen. Er kritisiert unter dem Pseudonym Kwadzo Outlooker die Haltung von manchen Missionaren, die aus seiner Sicht dem Ruf der NMG schadeten (Kwadzo Outlooker an Commitee der NMG. Keta, 9th May 1902 / 26th July 1902 / 26th August 1902 / 11th November 1902 (7,1025–17/1). Wie kam er auf das Pseudonym? Der Name Kwadzo war nicht nur mit dem Wochentage Montag in Ewe, sondern auch mit der berühmten Dynastie des Königtums Peki verknüpft. Die Könige Pekis wie Kwadzo Dei VI. (1879–1901) und Kwadzo Dei VII. (1901– 1910) hatten in der britischen Kolonialadministration gewirkt. Ihre Meinungen zu wichtigen politischen Entscheidungen das Ewe-Gebiet betreffend wurden berücksichtigt (Amenumey 1986: 66–85). Outlooker bedeutet wahrscheinlich ein Beobachter, der einen kritischen Blick auf die Missionstätigkeit im Ewe-Gebiet warf. Die Mission erkannte Y4y4 als Autor der Petitionen hinsichtlich seiner Hand-
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schrift:„Der Name Kwadzo Outlooker ist nur ein angenommener, der uns nicht auf die Spur bringt. Der Handschrift nach könnte Hermann Y4y4 der Schreiber sein.“ (G. Daeuble. Keta, 9. Okt. 1902 (7,1025–17/1). Man stellte fest, dass Hermann Y4y4 seit der Erscheinung der Petitionen den Kontakt mit dem Missionskreis vermied: „Ich habe dies Schriftstück noch einen Monat behalten, um zu versuchen, ob sich der Schreiber ermitteln lässt. Hermann Y4y4 hat sich jeden Versuch einer Unterredung bisher entzogen, so dass weder ich ihn in seiner Wohnung treffen konnte, noch er zu mir kommen wollte.“ G. Daeuble. Lome, 10. November 1902 (7,1025–17/1).
In einer Petition erinnerte Y4y4 an die Anfänge der Mission im Ewe-Land, wobei die Ewe-Volksgruppen lange gezögert hätten, bis sie entschieden, mit der Mission zusammenzuarbeiten und ihre Kinder in die Schule zu schicken. Seit Ende dieser Phase würden Missionare ihre Mitarbeiter wie Sklaven halten. Hierzu führte er den Fall der A`l4-Bevölkerung in Keta an: „The people of Anglo, having got an experience from this began sending their children to school to be taught. From that time up to day those missionaries being working among us, considering our country men among whom the labour, as their slaves , who were bought by them, just as the Portuguese and the Danes did in time of old; but in fact our country men are not such.” Kwadzo Outlooker an Committee. Kwitta, Gold Coast, West Africa, 9th May 1902 (7, 1025–17/1).
Um ihre Verfehlungen in Afrika dem neuen Inspektor der NMG Missionar W. A. Schreiber bei seinem Besuch im Ewe-Land zu verheimlichen, einigten sich, nach Y4y4, die Missionare darauf, die einheimischen Mitarbeiter bzw. die in Deutschland ausgebildeten Lehrer von dem Inspektor bei seinem Besuch in den Gemeinden fernzuhalten. Keiner der afrikanischen Mitarbeiter durfte die Rede Schreibers ins Ewe übersetzen, obwohl die Afrikaner am besten dazu in der Lage gewesen wären: „One of these arrangements commonly experienced by most of us is that on arrival of the Inspector the missionaries here did choose none of our native teachers who were educated in Germany to interpret the Inspector to the Congregation but Mr. Daeuble had been appointed interpreter of the Inspector to the Congregation at any where. Dear Committee, you may kindly consider the money you spent on education of these our teachers in Germany, and none of these teachers although here at present, was made interpreter of the Inspector to the Congregation, in order to make all the sayings of the Inspector clear intelligible to the Congregation; and Mr. Daeuble no native has been appointed interpreter. This has caused displeasure of many people and also regret to the Congregation; but no nation could raise an objection against this, because it was an arrangement made between among the missionaries without any body’s knowledge. “ Kwadzo Outlooker an Committee. Kwitta, Gold Coast, West Africa, 9th May 1902 (7,1025–17/1).
Bis zur Rückreise Schreibers achteten Missionare laut Kwadzo Outlooker ferner darauf, dass afrikanische Mitarbeiter kaum in Kontakt mit ihm kamen, damit er nicht von ihrer Verschwörung erfuhr: „With regards to Inspector, Rev. W. A. Schreiber, whom the Committee had sent out from Bremen for inspection of the missions fields here same would no doubt have experienced something here, which I am here calling his attention to. When we was about to leave Kwitta
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for Lome the missionaries a very young and inexperienced teacher, who lately come from Germany to lead him there, and with whom the Inspector would come to no knowledge of the secret of the missionaries. On return of the Inspector, and when he was about to go to interior Mr Daeuble again took the charge as his leader und interpreter. What a curios thing. Moreover it came to our hearing that on his way to Accra the missionaries at Amedz45e appointed one bush young pupil from station Tove now at school at Amedz45e to lead the Inspector to Accra, instead of giving him a teacher of years, who can make the Inspector come to insight of the secret of the missionaries; and they have purposely done this to prevent all informations on their secret in the Mission here, and they have done this, in order to make the Inspector full of what they have been doing out here.“ Kwadzo Outlooker an Committee. Kwitta, Gold Coast, West Africa, 9th May 1902 (7,1025–17/1).
Außerdem würden sich Missionare in Keta weigern, den Einheimischen mehr Bildung anzubieten, obwohl sie aus der Bevölkerung darum gebeten und auch vom englischen Gouverneur dazu gefordert worden waren. Die Missionare würden die Einheimischen nur soweit ausbilden, dass sie das Evangelium verstanden: „I only heard from any of them telling me that, it is their wish to let our people know “only” the “word of God,” no work of civilisation is needful to us negroes, but only to Europeans. “ Kwadzo Outlooker an Committee. Kwitta, Gold Coast, West Africa, 9th May 1902 (7,1025– 17/1).
Dafür, dass die Zahl der Gemeindenmitglieder in Keta sank, seien auch die Missionare verantwortlich. Die einheimischen Christen würden nicht mehr auf die Missionare hören, so Y4y4, weil die Missionare sich meistens von ihren Aufgaben abwendeten und die Einheimischen wenig an den Missionssachen teilnehmen ließen. Missionare würden zum Beispiel ihre Konferenzen unter sich abhalten und berieten ohne Teilnahme der Einheimischen über Sachen, die Einheimische angingen. Mehr noch: sie unterschlugen Kirchenkollekten, während sie die afrikanischen Mitarbeiter ausbeuteten: „The missionaries have seen that they are pleased with Church Collection you sent to them time to time, and they are so pleased that they made unity to consume this money, but they were not united for the work of the Mission, and more also they made our countrymen, the Co-labourers, their foot stool, the asked no advice from them or to have them during their Conference-meetings that the native-labourers may show and reveal to them secrets which are to be worked out for promotion for our country, but only do everything themselves without the help of any native, by which they turn our face down.“ Kwadzo Outlooker an Committee. Kwitta, Gold Coast, West Africa, 9th May 1902 (7, 1025–17/1).
Darüber hinaus mischten sich Missionare öffentlich in die Kolonialpolitik gegen die einheimische Bevölkerung ein. Sie unterstützten die deutsche Kolonialregierung und lieferten ihr machtlose Einheimische aus, die danach misshandelt wurden: „There are several reports going everyday on the German Government, especially in interior, where the North German Mission has been established; the white Officers do kill the negroes the in most cases only for exercise; and it is very sad to hear these reports day by day; and the missionaries are there, instead of withstanding this cruelty and inhumanity of their Government, they are so weak and better joined the Government, ill trading the natives and consequently they are not in the position to reveal all these cruelties and inhumanity to you, their home Committee, in order to take step and put stop to all these things, but everything is kept
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secret by them. Now let me ask this only question, “Are such people worth to be called missionaries and much more to be sent out to heathen lands for preaching the Gospel? “ Kwadzo Outlooker an Committee. Kwitta, Gold Coast, West Africa, 9th May 1902 (7,1025–17/1).
Auf einen der Missionare zielte Y4y4 besonders, nämlich Missionar Carl Osswald, Vorsteher der Gemeinde in Lome. Er war offensichtlich in der einheimischen Bevölkerung sehr umstritten. Er wurde im März 1886 in Ho von den traditionellen Gericht des Mordes an einem 12–13 Jahre alten „freundlichen aufgeweckten“ afrikanischen Mädchens Abra schuldig gesprochen. Missionar Osswald41 hatte Abra in seinem Zimmer – nach eigenem Bericht „versehentlich“ – erschossen. Die Einwohner in Ho hätten verlangt, dass er mit der Getöteten begraben werde, oder dass sein Haus, seine Familie und Vermögen gebrannt würden. Missionar Osswald bat den König Awede III. in Ho – er herrschte vermutlich in den 80. Jahren bis 1905 (Amenumey 1986: 109), dass er sich für ihn bei den Einwohner einsetzte, indem er ihm nach der Sitte Geschenke brachte: „Am Morgen des 19. 3. sandten wir, der Landessitte gemäß, 24 Mark und eine Ziege an König Avedo; es ist dieses für ihn und seine Unterhäuptlinge, das übliche Geschenk; durch Annahme dieses verpflichtete er sich uns, das Palaver schlichten zu wollen.“ Osswald an die lieben Eltern. Ho, 22.3.1886 (7,1025–10/5)
Nach mehreren langen Verhandlungen bei der traditionellen Gerichtsbarkeit mit Abras Familie habe Osswald an die Familie des Verstorbenen 35 Pfund bzw. 700 Mark als Strafgeld bezahlen müssen (Osswald an die lieben Eltern. Ho, 22.3.1886 (7,1025–10/5). Es muss hier betont werden, dass Missionar Osswald sich der traditionellen Gerichtsbarkeit gefügt hatte, bei der sich traditionelle religiöse Rituale vollzogen. In Lome würde Osswald sich – so Y4y4 – persönlich als „Government Officer“, ja sogar „Governor“ des deutschen Togolandes ausspielen. Seine Zusammenarbeit mit der deutschen Kolonialregierung sei so eng, dass: „It is now the habit of Mr. Carl Osswald of taking people to court to be punished by the Government for even trifle matters, and in fact Mr. Carl Osswald is no Policeman or anything of the like to make himself subject to this kind of work. […]Mr. Carl Osswald keeps malice and hatred against British subjects, especially people from Kwitta-district or Anglo-country; and if he sees anybody from Kwitta does any mistake against him, or at all against any white man at Lome, Mr. Carl Osswald is ready to give false reports to the Government against the Kwitta man, in order to have the man be punished or flogged.” Kwadzo Outlooker per “Edouard Bohlen” an Vorstand in Bremen. Kwitta, Gold Coast, West Africa, 26th July 1902 (7, 1025–17/1).
Missionar Carl Osswald würde seine Beziehungen zu der deutschen Kolonialregierung nutzen, um aus der Ewe-Kirche eine politische Institution im Dienst der Kolonialregierung zu machen: „Mr. Carl Osswald is trying his best to make the Mission change to a form of Government, in order to force people to become name-Christians and to make his Church-members become subject to his Government, who are bound to obey to any of his Orders as to Governor.”
41 Die Sache „Osswald-Abra“ wird eingehender von Sawitzki behandelt (Sawitzki 2002).
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Kwadzo Outlooker per “Edouard Bohlen” an Vorstand in Bremen. Kwitta, Gold Coast, West Africa, 26th July 1902 (7, 1025–17/1).
Fakt war, dass die NMG seit Anfang 1900 in vieler Hinsicht mit dem deutschen Kolonialgouvernement kollaborierte und sich manchmal politisch gegen die Einheimische stellte (Sebald 1988). Warum versteckte sich Hermann Y4y4 hinter den Pseudonym Kwadzo Outlooker, um die Missionstätigkeit und Missionare anzuzeigen? Als er im Missionsdienst war, hatte er kaum Möglichkeit, sich frei zu äußern. Auch bei seinem zweiten Versuch, in der Mission zu arbeiten und seine eigenen Ansichten zu behalten, stieß er wieder auf diese Erfahrung. Kollegen, die Ähnliches in der Mission tun wollten, wurden entlassen42. Die afrikanischen Mitarbeiter der Mission arbeiteten stets unter Druck und Drohung der Missionsleitung. Hermann Y4y4 fürchtete auch, dass die Mission durch ihren engen Kontakt mit der Kolonialregierung ihn verfolgen könnte, wenn er als Autor der Petitionen erkannt werden würde. Sein Interesse an der Missionsarbeit zielte nicht nur auf die christliche Bekehrung der einheimischen Bevölkerung. Vielmehr setzte er seine erworbene Bildung ein, um eine Verbesserung der sozialen Bedingungen der Einheimischen zu erreichen. Als Ausgeschlossener versuchte er, die Mission von außen zu bekämpfen und gleichzeitig sie zu reformieren. Hermann Y4y4 gehörte zu einer Reihe von afrikanischen Missionsmitarbeitern, die wegen Aufsässigkeit und Ungehorsam bzw. „Unsittlichkeit“ aus der Mission entlassen wurden. Seinen Traum von einer afrikanischen Religion innerhalb der Ewe-Kirche konnte er selbst nicht umsetzen. Seiner Vorstellung von der christlichen Vielehe, die keiner christlichen Ordnung entsprach, konnten Afrikaner im Missionskreis nicht zustimmen, auch weil die Mission jeglichen Widerstand der Afrikaner früher im Keim erstickt hatte. Seine afrikanischen Kollegen, die ihn nie öffentlich und eindeutig verleugneten, organisierten sich später in Vereinen43, um im Namen der einheimischen Gemeinden soziale Forderungen zu stellen. Auch durften polygame Gemeindenmitglieder im Verborgenen getauft werden. Selbst Missionare duldeten zuweilen die Taufe und die Trauung von polygamen Christen. 1911 erkannten sie – implizit –zwar die Relevanz von Y4y4s Anschauungen, aber sie fürchteten sich sehr vor den traditionellen Anschauungen innerhalb der Ewe-Kirche: „Wir haben uns heute schon ganz bedenklich den Anschauungen eines Hermann Y4y4 „The Development of the mystery of monogamy or The experience of an African in the life of monogamy” genähert. In der Theorie verwerfen wir das dort Gesagte, in der Praxis aber wollen wir dem “schwachen Afrikaner” es zugestehen, „bis er selbst auf der sittlichen Stufe steht, auf der wir stehen.“ Dort steht z.B. auf Seite 15 §12, letzter Satz: „Accoding to my experience those christian husbands must be accepted into the congegration, because they have lawful wives and no concubines.” Da spitzt sich die Sache zu! Und erst wenn wir so weit nachgegeben haben (denn wer A gesagt hat, muss auch B sagen) werden wir Ruhe haben, aber keine christliche Gemeinde mehr!“ Härtter an den Direktor. Amedz45e, 6.6.1911 (7,1025–6/3). 42 Vgl. Biografien von Reinhold K4wu, Ludwig Medenu, Elisa Kende usw. 43 Vgl. Biografie von Andreas Aku.
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So entstand allmählich die Ewe-Kirche, in der sich Ewe kulturell zurechtfanden und wo ihre traditionellen Realitäten berücksichtigt wurden. Insofern kann Y4y4 auch zu den Gründern der Ewe-Kirche gezählt werden.
4.14 BIOGRAFIE VON TIMOTHEO MALLET 4.14.1 Kindheit und Kontakt mit dem Christentum Die Lebensgeschichte von Timotheo Mallet ist mit dem Lebenslauf seines Vaters Ludwig Rudolf Mallet eng verbunden44. Ludwig Rudolf Mallet wurde um 1855 in Agu Dalave als Sohn eines Bauern geboren und als kleines Kind von einem Menschenhändler geraubt. Er hieß damals Yawo. Ein Menschenhändler hatte ihn als Sklavenkind nach Anyako gebracht, um ihn den Missionaren zu verkaufen. In Anyako wurde er mit den Spenden des Pastors und Gründungsmitglieds der NMG Friedrich Ludwig Mallet in Bremen durch die NMG freigekauft. Nach damaliger Praxis hatte der Käufer das Recht, den Namen des freigekauften Kindes festzulegen (Ustorf 1989: 191). So gab Herr Friedrich Ludwig Mallet dem freigekauften Yawo seinen eigenen Nachnamen Mallet. Yawo wurde auf den Namen Ludwig Rudolf getauft und hieß nun Ludwig Rudolf Mallet. Er wurde danach nicht mehr mit seinem alten Namen geheißen. Ludwig Rudolf Mallet hatte in Anyako gelebt, wo er in der Missionsschule von Missionar J. C. Binder unterrichtet worden war (Binder 1900: 7; vgl. 7,1025– 29/6). 1866–1871 besuchte er das Seminar von Anyako und arbeitete anschließend als Lehrer in Waya am Seminar von Ho (Ustorf 1989: 191). Er heiratete am 23. März 1876 Maria Dzalukoponi (Müller an Inspektor, Waya, 23. März 1876 (7,1025–28/7). Am 19. März 1882 wurde er in Ho durch Missionar Birkmaier zum ersten Ewe-Pastor ordiniert (Ustorf 1989:191). Er war in Kpenoe bei Ho tätig, als sein erster Sohn am 10. Januar 1882 geboren wurde (Timotheo Kofi Amet4wobla (7,1025–29/6). Anschließend wurde Mallet nach Peki versetzt und blieb dort, bis er 1912 starb. Ludwig Rudolf wurde dann in Peki beerdigt. Seine Kinder verstanden sich daher als „Pekier“. Der erste Sohn wurde auf den Namen Timotheo getauft und bekam auch den Christennamen seines Vaters Mallet, der die christlich-europäische Identität verkörperte. Timotheo Mallet selbst schrieb seinen christlichen Namen sehr unterschiedlich. Als er seine Ausbildung in Deutschland machte, legte er seine Prüfungen unter dem Vornamen Timotheus ab (7,1025–29/6), damit der Name zur der deutschen Kultur passe. Nach dem Deutschenaufenthalt unterschrieb er seine Berichte mit Timotheo. Außerdem schrieb er auch oft Timoteo, wie man das in Ewe
44 Ausführliche Biografie von Ludwig Rudolf Mallet findet sich bei Ustorf (1989); Alsheimer (2007).
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schreiben würde. Timotheo Mallet hatte acht Geschwister, nämlich zwei Schwestern und sechs Brüder, die sich alle der Missionsarbeit widmeten45. Es war ganz unvermeidlich, dass Timotheo Mallet christlich aufwuchs, wo sein Vater so tief darin verwurzelt war. 1889, mit sieben Jahren, besuchte er die Missionsschule von Peki-Blengo. 1894 setzte er den Schulbesuch in Ho fort und ging 1896 in die Mittelschule von Amedz45e. Trotz seines jugendlichen Alters, das die Mission anfangs bedenklich gestimmt hatte, wurde er 1897 nach Deutschland geschickt (Schröder bei der Stationskonferenz i. A. Dettmann. Amedz45e, den 10. März 1897 (7,1025–29/6). Der Missionsvorstand war mit dem Studenten Timotheo Mallet zufrieden46. Timotheo Mallet erfuhr in Westheim nicht nur eine christlich-europäische Ausbildung, sondern übte zudem noch ein typisch deutsches Kulturelement ein: das Turnen, das in Deutschland eine Sportdisziplin war, die zur Körperzüchtigung diente und zu einer kulturellen Identität führte. Timotheo Mallet lernte in Westheim bis zum Jahre 1900. Bevor er in das Arbeitsgebiet der NMG – in das deutsche Schutzgebiet Togo und an die Goldküste – zurückkam, verpflichtete er sich, sich in den Dienst der NMG zu stellen (Faszikel Timotheo Mallet (7,1025– 29/5).
4.14.2 Timotheo Mallets Missionsdienst und Vorstellung der traditionellen Kultur Timotheo wurde nach seiner Rückkehr nach Afrika auf die Station Ho versetzt. Dort arbeitete er mit Missionar Jakob Spieth an dem neuen biblischen Geschichtsbuch und dem Ewe-Lesebuch, das neu herausgegeben werden sollte (Mallet an Inspektor. Ho, den 26. November 1900 (7,1025–6/4). Diese Aufgabe hatte der Missionsvorstand schon geplant, ehe Mallet nach Deutschland ging. Mallet sollte sich für die Mission mit der biblischen Literatur beschäftigen: „Da seine Familie mit einige Garantie bietet, dass die Mission an ihm einen Arbeiter bekommt, so wäre vielleicht zweckmäßig bei ihm von vorne herein eine gründliche Bildung in Aussicht zu nehmen. Vielleicht könnte er Griechisch lernen, was für eine zukünftige Revision 45 Unter seinen Geschwistern war Salomo Mallet, der am 24. Februar 1918 zum Pastor ordiniert wurde (Die Pastoren der Ewe-Kirche in Togo (7,1025-30/2). 46 „a.) Aufsatz : zg.-g. b.) Grammatik : zg.-g. c.) Übung und Anwendung : befriedigend Rechnen : zg.- g. Geschichte : (zg.-) g. Geographie : g+ Naturgeschichte : zg-g. Musik : g. Singen : g. Schönschreiben : zg. Zeichnen : zg-g. 6 Turnen : g.-zg. „ Vikar Binder. Rechenschaftsbericht. Westheim, den 7. April 1898 (7,1025-29/6).
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des Neuen Testamentes einmal von Wert sein könnte, so dass er auch älter und gereifter in die Arbeit eintreten würde.“ Seeger bei der Stationskonferenz i. A. Dettmann. Amedz45e, den 10. März 1897 (7,1025–29/6).
Erst in seinem zweiten Berufsjahr arbeitete er als Lehrer an der dortigen Jungenschule (Altena 2003: CD-Rom: 401). 1902 wurde er zum Katechisten geweiht und auf die Außenstation Agu versetzt. Im Jahre 1906 versetzte ihn der Missionsvorstand nach Kpalime, wo er zwei Jahre arbeitete. Danach wurde er auf die Außenstation Atakpame versetzt. Als er in Atakpame war, nahm er an der von der deutschen Kolonialadministration errichteten landwirtschaftlichen Ausbildung teil (Däuble an das kaiserliche Gouvernement in Lome. Lome, den 26. März 1909 (7,1025–21/1). In Agu trat Katechist Timotheo Mallet gegen die traditionelle Religion der Einwohner von Agu auf, nämlich den Yewe-Kult, der seiner Meinung nach „Aufs Neue eifrig getrieben wurde“. Der Yewe-Kult wurde aus Dahomey übernommen. Jedermann, der ein Anhänger des Kults wurde, erhielt einen neuen Namen und durfte nicht mehr Ewe sprechen, sondern er musste die „YeweSprache“, welche mit einem Dialekt aus Dahomey verwandt war, lernen. Außerdem verehrten die Anhänger des Yewe-Kults entweder Schlangen oder Geister, aber auch Blitz und Donner. Aus Mallets Sicht stand der Yewe-Kult der Entwicklung der Einwohner von Agu im Wege. Einerseits hielt der Yewe-Kult die Einwohner von Agu, die zu dem Ewe-Volk gehörten, von ihrer Sprache ab, denn sie galt als die Predigtsprache und die Sprache des ganzen Ewe-Volkes. Andererseits betrachtete Mallet den Yewe-Kult als ein Hindernis für den Fortschritt des Christentums. Für ihn waren Ewe-Sprache und das Christentum miteinander verbunden. Deswegen wollte er erreichen, dass die nicht Ewe sprechenden Bevölkerungen erst Ewe lernten und dann Christen wurden. Timotheo Mallet hatte bei seiner Missionsarbeit in Atakpame, seiner nächsten Missionsstation, mit drei Hindernissen besonders zu kämpfen: „Die erste liegt in der Art und Weise des katholischen Missionsbetriebs. Die zweite in dem Verhalten unserer alten Christen. Bei dem Volk gelten alle als ganze Christen der Norddeutschen Mission, aber statt für uns zu arbeiten, geben sie durch ihr sittenloses Leben schlechtes Beispiel. Und drittens erschweren die die verschiedenen Sprachen, die hier gesprochen werden, die Arbeit.“ Mallet. Vortrag. Atakpame, Oktober 1909 (7,1025–31/5).
Die katholische Mission trat bereits im Jahre 1899 in Atakpame ein, wo sie 1904 eine Hauptstation gründete. Danach kam die NMG 1904 dort. (Autobiografie von Albert Binder 1929 (7,1025–30/1). Wegen der Konkurrenz zwischen den beiden Missionsgesellschaften gerieten die Vertreter der jeweiligen Missionsgesellschaften in ständigen Konflikt. Die Konkurrenz bestand oft in Verleumdung, und jede Missionsgesellschaft versuchte, das Vertrauen der Bevölkerung von Atakpame zu gewinnen. Timotheo Mallet erkannte den Vorsprung der Katholiken in Atakpame: „Drei Patres und drei Nonnen sind hier immer tätig. Diese Mission hat eine große Gemeinde, welche aus dem jungen Volke der Atakpame-Bevölkerung und aus Akposo besteht und eine Knaben- Mädchen- und Kinderschule. […] Einer von den Patres ist beständig in der Reise, während die anderen stets Hausbesuche machen von einem Hause zum anderen. Die Kranken werden gepflegt und Wunden verbunden von den Nonnen. Dadurch hat sich diese Mission
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großes Ansehen bei dem Volke erworben und vielen Menschen das Herz gestohlen. Es ist hier allem Anschein nach gar nicht lieb, dass wir neben ihr arbeiten, deswegen arbeitet sie mit aller Macht und mit allen Mitteln gegen uns.“ Mallet. Vortrag. Unsere Arbeit in der Gegenwart und Ausblick in die Zukunft. Atakpame, Oktober 1909 (7,1025–31/5).
Die Katholiken nutzten nach Mallet diese Situation, um die Vertreter der NMG zu verleumden: Die Katholiken sagen zum Beispiel zu den Leuten: sie seien die Älteren und wir die Jüngeren, demnach seien sie mehr als wir; oder wer bei uns Christ werden will, müsse lange Zeit den Taufunterricht besuchen, und werde am Ende doch nicht getauft, oder wenn er auch getauft würde, würde er bei kleinem Vergehen aus der Gemeinde aus geschlossen werden. zu Eltern und Kindern sagen sie, dass wenn ein Kind bei uns die Schule besuchen will, müsse es selbst Tafeln, Bücher, Griffel usw. kaufen, aber man bekomme alles bei ihnen frei. Mallet. Vortrag. Unsere Arbeit in der Gegenwart und Ausblick in die Zukunft. Atakpame, Oktober 1909 (7,1025–31/5).
Die Einwohner von Atakpame waren keine Ewe, sondern sie gehörten zum Anago-Stamm und sprachen Ana. Nun stand Mallet vor der Frage, in welcher Sprache die Missionsmitarbeiter das Gottes Wort verkündigen und in der Schule unterreichten sollten. Er entschied sich für die Ewe-Sprache als Predigtsprache zulasten aller anderen Sprachen, die in dem Gebiet gesprochen wurde. Dennoch fand er es wichtig, dass jeder Missionsdiener und jeder Lehrer die Ana-Sprache sprechen konnte: „[…] meines Erachtens wollen wir unsere bisherige Schriftsprache beibehalten. Jeder Lehrer aber soll die Sprache des Volkstammes, unter dem er arbeitet, kennen. Predigen wir den Heiden, so sollen wir in der Schriftsprache zu ihnen reden; wenn sie uns nicht recht verstanden haben, dann sollen wir alles wieder in ihrer eigenen Sprache wiederholen. In der Schule soll die Schriftsprache die Unterrichtsprache bleiben, wie es bisher gehalten war. Aber hier wieder wird die Kenntnis der Sprache des Volkes dem Lehrer von großem Nutzen sein. Durch diese Weise denke ich, dass unsere Schriftsprache nach paar Jahren auch sich unter den Leuten verbreiten wird.“ Mallet. Vortrag. Unsere Arbeit in der Gegenwart und Ausblick in die Zukunft. Atakpame, Oktober 1909 (7,1025–31/5).
So exportierte Timotheo Mallet die Ewe-Schriftssprache über die ewe-sprachige Bevölkerung hinaus. Darüber hinaus lernte er wie die anderen Missionsarbeiter die Bevölkerung von Atakpame kennen und konnte nach einiger Zeit deren Sprache sprechen.
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Abb. 25. T. Mallet (rechts) und Missionar Bürgi (links) mit Konfirmanden in Atakpame um 1909 (7,1025– Fotos 1596.)
In diesem kulturellen Raum zwischen Ewe- und Ana-Sprache zog Timotheo Mallet die christlich-europäische Kultur vor. Seinen Standpunkt vertrat er vor dem Missionsvorstand in seiner Abschiedsrede in Deutschland. Er verglich zum Beispiel die heidnischen Feste mit den christlichen Festen. Er wählte zwei traditionelle Hauptfeste im Ewe-Land aus, nämlich die Toten- und Erntefeste und ging dann auf das erste Fest ein. Er beschrieb, wie beim „Totenfest“ zahlreiche Menschen sich sammelten. Bei diesem Fest gebe es Branntwein und Palmwein, viele Ziegen und Schafe zum Schlachten sowie viele Fässer Pulver zum Schießen. Am Festtag „essen alle Festgäste übermäßig“. Er betonte die unchristlichen Vorgänge der Veranstaltung, die mit traditionellen Kulturelementen verknüpft waren, nämlich mit Trommeln, Tanz und Singen. Die Einheimischen vollführten „dabei ein furchtbares Geschrei oder wie man mit Recht sagt, einen „Heidenlärm““. Weiterhin luden „einige Männer ihre Flinten mit Patronen in der Trunkenheit, und wenn sie schießen, so töten sie einige Gäste.“ Er kam zu dem Schluss seiner Darstellung, dass die Feste, die die Heiden feierten, „sehr traurig sind“. Dagegen „stehen ihnen gegenüber die schönen christlichen Feste“, wie der Sonntag, das Weihnachts-, das Neujahr- und das Tauffest (Tim. Mallet (7,1025–29/6)47. Nichtsdestoweniger bekannte er, dass das Weihnachtsfest zum Beispiel nicht wie bei den Europäern gefeiert wurde: „Man feiert das Weihnachtfest bei uns nicht wie hier, jede Familie für sich, sondern es wird gemeinsam gefeiert von der ganzen Gemeinde in dem Gotteshaus. Das Fest fällt bei uns nicht in die kalte, sondern in die heiße Zeit. zwei Wochen vor demselben lernen die Schüler viele Weihnachtslieder, z. B.: O, du fröhliche, O du selige“ u. In Ermangelung eines Tannenbaums greift man zu einem Laubbaum. […] Sobald man die Thüre aufmacht, stürmen die Kinder 47 Vgl. Monatsblatt der NMG (1900). Bd. 12.
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und Erwachsenen in den Saal und nehmen Platz im Sturm. Gemeindegesänge und Chorgesänge der Schüler wechseln mit einer kurzen Katechese über die Weihnachtsgeschichte und einer Ansprache ab. Die Weihnachtsgeschichte wird gewöhnlich gut eingeprägt, so dass Fragen und Antworten einander ablösen, auch das Auswendiggelernte wird frisch und fröhlich vorgetragen. Wenn dies alles geschehen ist, dann wird das Gebet gesprochen und die Gemeinde entlassen. […] Auch die Heiden an der Küste fangen an Weihnachten zu feiern, ja eine wochenlange Feier mit Trommeln, Tanzen, Lärmen und, was noch schlimmer ist, mit Treffen und Saufen, besteht da und dort.“ Binder (1900): 14; (7,1025–29/6).
Hinsichtlich der Beschreibung des Weihnachtsfestes ist es bemerkenswert, dass sich christliche und traditionelle kulturelle Elemente bei dem Fest vermischten. In Deutschland ist ein Weihnachtsfest ohne Schnee unvorstellbar, aber in Afrika wurde es in der Hitze – bzw. in der Sonne – gefeiert. Weihnachten wird in der Familie gefeiert, während es in Afrika in Gemeinschaft oder in den christlichen Gemeinden sowie in den nichtchristlichen Kreisen gefeiert wird. Der Laubbaum war statt Tannenbaum verwendet. Zu Weihnachten wurde getrommelt, getanzt und geschrieen, genau so wie bei dem heidnischen „Totenfest“. Also in demselben Raum wurden christliche und heidnische Feste mit afrikanischen Musikinstrumenten begleitet, woran alle Leute aus unterschiedlichen religiösen Vorstellungen beteiligt waren. Timotheo Mallet gefielen das Trommelspiel, der Gesang und die fröhliche Teilnahme der „Heiden“. Nur die traditionellen Rituale der „heidnischen“ Feste schien er zu bekämpfen. Timotheo Mallet verstand den Familienkreis als den Kern des christlichen Lebens: „Soll das Christentum unter einem Volke feste Wurzeln fassen und dauernd Eigentum des Volkes werden, so müssen zuerst die einzelnen Familien ganz unter christlichen Einfluss gebracht werden. in der Familie liegen die Wurzeln der Kraft und Wurzeln der Schwäche eines Gemeinwesens.“ Tim. Mallet. 2. Vortrag. Atakpame, Oktober 1909 (7,1025–31/5).
Abb. 26. Lehrer Timotheo Mallet (hinten steh. dritter v. l.) im Familienkreis mit seinen Eltern (Maria, Ludwig Rudolf) und Geschwistern, darunter sein Bruder Salomon (zweiter v. l.), der später Pastor wurde. Peki, um 1913 (7,1025 Fotos 0366).
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Im Hinblick auf die christliche Vorstellung des Familienlebens kritisierte T. Mallet die Kindererziehung der so genannten heidnischen Familie, in deren Beziehung er nur „trauriges Bild“ sah. Bei dieser Familie fehlten Werte, die nur in einer christlichen Familie zu finden waren: „Wie sehr wird die Erziehung der Kinder vernachlässigt. Von früh an werden sie nicht an Gehorsam gewöhnt. Sie tun und lassen was ihnen gefällt. Sie benehmen sich frech gegen die Alten und lügen wie gedruckt, aber sie werden nie von den Eltern bestraft. Ein Vater, der etwas tun will, macht es verkehrt. Wenn zum Beispiel das Kind eine Kalebasse zerbricht, wird es unbarmherzig bestraft, aber wenn es recht unverschämt lügt, lachen die Eltern darüber. Und diese Erziehungsmethode bringen die Christen aus dem heidnischen Leben mit ins christliche Eheleben hinein.“ Tim. Mallet. 2. Vortrag an der Lehrerkonferenz. Atakpame, Oktober 1909 (7,1025–31/5).
Tatsächlich gehörte die so genannte heidnische Erziehungsmethode nicht zu den traditionellen Gewohnheiten. Die „unbarmherzigen Strafen“ den Kindern gegenüber waren meistens das Verprügeln. Aber die Prügelstrafe gehörte nicht zu den Strafgewohnheiten in der früheren Ewe-Gesellschaft. Erst in der Kolonialzeit erlebten die Einheimischen solche Misshandlungen von den deutschen Kolonialherren. Die afrikanischen Zwangsarbeiter wurden auf Forderung der Kolonialherren auf der Arbeitsstelle verprügelt, damit die Arbeit schneller lief. Die vom Kolonialgericht verurteilten oder ungehorsamen Afrikaner wurden auch zur Strafe verprügelt (Autobiografie von Albert Binder 1929 (7,1025–30/1). In dem christlichen Umkreis war diese Misshandlung auch üblich. Viele afrikanische Missionsmitarbeiter pflegten, ihre Kinder nach dem Spruch: „Wer seinen Sohn lieb hat, der züchtigt ihn“ (Hävernick 1964: 25) zu verprügeln. In den Missionsschulen wurden Schüler auch verprügelt. Dieser Spruch bezog sich auf den Bibeltext Salomos: „Wer seine Rute schont, der haßt seinen Sohn; wer ihn aber liebhat, der züchtigt ihn bald.“ (Luther Bibel 1912: Sprüche 13, 24) Diese Tatsache wurde allmählich in die gesellschaftlichen Gewohnheiten einbezogen. Der Missionsmitarbeiter Isaac Kwadzo, Kollege von Mallet ging auf diese Frage in einer Korrespondenz mit dem Missionsinspektor Stoevesandt ein: „[…]Unter den Eυeern ist es nach unserer Erfahrung, sowohl unter Heiden als Christen nie Sitte, jemanden mit Schlägen zu bestrafen, auch nicht mit Gefängnis, sondern nur mit Geld. Bei den Engländern werden Erwachsene nie mit Schlägen bestraft; dagegen werden Kinder bis zu 12 Jahren, wenn sie z. B. von einem Polizeidiener auf der That ergriffen werden, von Seiten des Gerichts durchgepeitscht, aber nur dann, wenn der Vater nicht willens ist, die ihm vom Gericht auferlegte Geldstrafe zu bezahlen. Von Deutschen haben wir von vielen Seiten gehört, dass alle, gleichviel, ob jung oder alt, welche sich etwas zu Schulden kommen lassen und dafür vor Gericht gestellt werden, nach erfolgtem Verhör zuerst durchgepeitscht und dann noch mit Gefängnis bestraft werden. von Geldstrafen hörten wir nichts.“ Isaac Kwadzo an Inspektor. Westheim, den 15. Februar 1894 (7,1025–29/5).
So amalgamierte Timotheo Mallet kolonialpolitische Tatsachen mit traditionellen Sitten, denn alles, was der christlichen Ordnung nicht passte, galt als heidnische Praktiken. Er empfahl den Lehrern, die er als Hauptvermittler der christlichen Erziehung ansah, ihren Schülern Werte wie „Gehorsam, Wahrhaftigkeit, Fleiß, Bescheidenheit, Ordnung und Pünktlichkeit“ beizubringen (Tim. Mallet. 2. Vor-
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trag. Atakpame, Oktober 1909 (7,1025–31/5). Nun stellt sich die Frage, ob diese Werte nur christlich waren? Die Werte wie Gehorsam, Fleiß, Ordnung und Pünktlichkeit bezeichnen Fremdstereotypen, die den Deutschen im Laufe der Geschichte ausmachten. Der Deutsche war immer für seinen Fleiß, seine Ordnung und seine Pünktlichkeit bekannt. Über die Schule wollte der „Deutsch-Evheer“ T. Mallet diese deutschen Tugenden als Kulturelemente umsetzen, die ihn selbst während sein Studium in Deutschland geprägt hatten. Timotheo Mallet war ein engagierter Mitarbeiter der NMG. Seit seiner Schulzeit wurde er bestimmt, Aufgabe innerhalb des Missionskreises zu übernehmen. Er konnte seine Ziele nicht weiter verfolgen, weil er unerwartet am 21. März 1914 mit 32 Jahren alt starb (Spieß Chronik von Station Peki 1912–1913 [?] (7,1025– 27/3). Er heiratete 1905, als er Lehrer auf der Außenstation Agu war (Tim. Mallet an Vorstand. Agu-Ny-gbo, 24. Juni 1905 (7,1025–3/3).
4.15 BIOGRAFIE VON ALBERT WILHELM BINDER 4.15.1 Kindheit und Kontakt mit dem Christentum Im Dorf Amimli (Tsame) bei Peki-Blengo lebte der Bauer Koko mit seiner Frau Gogoe. Koko hatte vor seiner Heirat mit Gogoe viele Kinder, die alle verstorben waren. Gogoe ihrerseits hatte zuvor einen Sohn namens Kwami, mit dem sie in die neue Ehe zog (Lebensgeschichte von Albert Binder. Übersetzt von Ewe ins Deutsche von Azamede48 (7,1025–30/1). Außerdem lebten weitere Familienangehörige bei dem Ehepaar. Im Jahre 1858 ging aus der Ehe ein Sohn hervor. Er hieß K4mla-Kuma. Nach der traditionellen Zählung der Tage im Ewe-Land ist ein „K4mla“ am Dienstag geboren. Aber K4mla-Kuma wurde nicht am Dienstag geboren, sondern am Samstag: Ich bin am Samstag geboren, und nach der Sitte heiße ich Kwami, weil jeder am Samstag geborene Junge Kwami heißen muss; und wenn es um ein Mädchen geht, so muss es Amma [oder Ama] heißen nach der Zählung der Tage in der Asante-Kultur. Aber da der ältere Bruder meines Vaters Kwami heißt und mein Vater selber denselben Namen trägt, wird der Name meines Vaters zu Kwami-Kuma, d.h. jüngerer Kwami verändert. Auch der erste Sohn meiner Mutter heißt Kwami, so wie der erste Sohn meiner verstorbenen Tante mütterlicherseits. Dieser lebt auch bei meiner Mutter und wird statt Kwami, Kwami-Vivie, d.h. kleiner Kwami genannt. Welchen Namen sollte ich jetzt bekommen? Obwohl ich als Kwami geboren bin, ist mein Name zu K4mla-Kuma verändert. Das heißt K4mlatsee oder K4mlasue [d.h.: jüngerer K4mla; G. K. A.]. Mein Onkel väterlicherseits war der einzige, der sich gegen diesen Namen bis zu seinem Tod wandte, und bestand auf den Namen Kwami. (Lebensgeschichte von Albert Binder (7,1025–30/1)
48 Albert Binders Autobiografie liegt auch in einer undatierten deutschen Übersetzung des Missionars Paul Wiegräbe vor. Sie wurde von mir als Teil meines Stipendiatsvertrags neu übersetzt, da mir als „native speaker“ Besonderheiten und Begriffe der Ewe-Kultur vertrauter sind.
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Um hier Missverständnisse zu vermeiden, sei nochmals betont, dass K4mla-Kuma aus dem Volk der Ewe stammte. In seiner Heimatstadt Peki-Blengo hatte die hier ansässige Bevölkerung allerdings die Zählung der Wochentage und die Namensgebung ihrer Kinder von den Asante übernommen. Aus diesem Grund erhielt der K4mla-Kuma zunächst einen Namen aus der Asante-Sprache. Die Regeln der Ewe-Namensbestimmungen wurden bei K4mla-Kuma außer Acht gelassen, um Verwirrungen bei den Namen in der Familie zu vermeiden. Aber K4mla-Kuma verlor seine Eigenschaft hinsichtlich des Namens, denn ein Mensch wird in der traditionellen Kultur je nach dem Tag seiner Geburt anders beurteilt. Darüber hinaus wurde Komla-Kuma auch noch je nach den Umständen mit unterschiedlichen Namen bedacht; z. B. je nachdem, wie er sich verhielt, oder wie man ihn einschätzte: „Da ich keinen Sondernamen habe, nannten mich einige Leute „Alẽ“ [d. h. Schaf], besonders die Verwandten meiner Mutter, die bei ihr als „Hausleute“ lebten. Sie erzählten, dass ich in meiner Babyzeit an der Hand von jedem, der mich nahm, so ruhig wie ein Schaf blieb. Manche Leute nannten mich „Abotsi“, obwohl sie dessen Bedeutung nicht wussten. Der Name stammt aus der Haussa-Sprache und bedeutet in Ewe „mein Freund“. Einige Leute nannten die Sklaven nach diesem Namen. Ich bin auch so genannt worden, weil ich einmal an eine Gottheit verkauft wurde, namens „Hinima“. Das Zeichen ist auf meiner linken Wange. Mein Vater gab auch mir einen anderen Namen, nämlich „Tieonyamedie“, d.h. „gehorche Gott“. Dieser letzte Name passte mir gut, als ich erwachsen war. […] Da mein Vater allerlei Rat gab, hießen ihn auch Leute: „Adaŋua!“ oder „Adaŋuw4la“ [d.h. der Kluge]. Dafür tragen wir auch als seine Kinder seinen Namen.“ Lebensgeschichte von Albert Binder (7,1025–30/1).
Albert Binder fand in seinem Sondernamen „Tieonyamedie“ die Prophezeiung Gottes, die ihn später zum Christentum rufen würde: „Angesichts dessen, was ich heute geworden bin, schien das [der Name Tieonyamedie] als eine Prophezeiung Gottes durch meinen Vater.“ (Lebensgeschichte von Albert Binder (7,1025–30/1). Hier übertrug Albert Binder seinen traditionellen Glauben in das Christentum. Sein Vater Koko war Anhänger der traditionellen Religion, als er Binder geboren wurde. Mehr noch: er gestand, dass er einer traditionellen Gottheit geweiht wurde. Dies ist wahrscheinlich der Grund, warum sein Vater Koko ihm diesen religiösen Namen gab. K4mla-Kuma wuchs bei seinen Eltern in Blengo auf, bis er sich 1868 mit zehn Jahren entschloss, Lehrling zu werden. Er zog mit seinem Vetter John Kwamivivie nach Ho, der auf der Missionsstation als Schreiner arbeitete. Kwamivivie arbeitete bei Missionar Adam Mannfeld und K4mla-Kuma half ihm und anderen Arbeitern der Mission in der Schreinerei sowie beim Mahlen. Dort kam er zum ersten Mal in Kontakt mit dem Christentum. Ein Jahr später brach der Krieg aus, den die Asante gegen die Ewe-Bevölkerung führte. Deshalb floh K4mla-Kuma mit den Missionaren nach Keta. In Keta übergab Missionar Mannfeld ihn dem Missionar Hermann Weyhe, der ihn in die Missionsschule einschrieb. In der Schule unterrichtete ihn der afrikanische Lehrer Josef Reindorf. Wegen Streitigkeiten zwischen den A`l4 und den nördlichen Ewe-Bevölkerungen zog K4mlaKuma 1871 mit der Hilfe seines Vetters Kwamivivie von Keta nach Akropong an der Goldküste, wo er die Schule bei der Basler Mission fortsetzte. In Akropong
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wurde er 1875 auf den Namen Albert Wilhelm getauft. Er hieß nun Albert Wilhelm K4mla-Kuma. Das Zustandekommen seines christlich europäischen Namens Binder ist während K4mla-Kumas Schulzeit zu verfolgen. In dieser trennte er sich langsam von dem familiären bzw. dem nichtchristlichen traditionellen Umkreis und übernahm einen christlichen deutschen Namen. Dieses Phänomen war damals unter den Mischlingen an der westafrikanischen Küste bekannt. Neben ihnen hielten es auch andere Afrikaner für nützlich, europäische Namen bzw. Vornamen zu übernehmen. Der Fall von K4mla-Kuma war bestimmt ein Sonderfall. Er bewunderte den Missionar der NMG Pfarrer Johannes Binder sehr, denn dieser hatte seiner Ansicht nach einen festen Glauben, dem er nachstreben wollte. Der letzte Schritt zur Annäherung an dieses Vorbild begann mit der Übernahme von dessen Nachnamen: „An dem Tag, an dem Herr Binder und seine Familie reisen sollten, war das Meer sehr stürmisch. Dennoch mussten sie auf das Schiff kommen, weil die Zeit zur Abfahrt gekommen war. Wir Schüler trugen ihre Sachen zum Strand, und seine weißen Kollegen begleiteten ihn, wie es die ‚Os4fos’ gewöhnlich bei einer Rückfahrt in die Heimat zu tun pflegten. Wir alle standen am Strand, um ihm beim Einschiffen zuzusehen und ihm eine gute Reise zu wünschen. Sie stiegen in das Boot, aber wenn das Boot nach vorne geschoben wurde, warfen die Wellen es wieder an den Strand zurück. Dies passierte mehrmals. Wir hatten alle Angst und dachten, dass er besser nicht abreisen könnte. Aber er war ganz ruhig in dem Boot, beugte den Kopf nieder, ohne ein Wort zu sagen. Was machte er? Er betete zu seinem Gott. Langsam überwand das Boot die Welle und erreichte das Schiff. Sie stiegen an Bord. Darüber freuten wir uns alle sehr. Auf dem Rückweg fragte einer von uns, welchen von diesen Pastoren jeder am liebsten hätte. Ich, meinerseits, antwortete, dass ich Herrn Johannes Binder wegen seines Glaubens am liebsten hatte, und ich ihm nachstreben wollte. Niemand antwortete mehr auf diese Frage, sondern die meisten erwiderten auf meine Antwort wie folgt: „Du heißt Binder, du heißt Binder“. Von diesem Tag an machten sie sich über mich lustig und nannten mich Binder. Ich ärgerte mich nicht darüber, sondern jedes Mal erinnerte es mich an den Träger des Namens. Schließlich wurde es auch mein Name.“ Lebensgeschichte von Albert Binder (7,1025–30/1).
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Abb. 27. Pfarrer Johan Conrad Binder, der Namensgeber von K4 mla Kuma (7,1025– Fotos 1083)
Albert Binder interpretierte in seiner Lebensgeschichte nicht nur das Zustandekommen seines Namens als Schicksal, sondern war auch davon überzeugt, dass eine Art Wundergott ihn nicht nur geschützt hatte, sondern auch einen bestimmten Plan für ihn bereithielt, den die Menschen nicht ändern könnten (Lebensgeschichte von Albert Binder (7,1025–30/1). So gab er seinen Ewe-Namen Komla-Kuma auf und übernahm als Christ den christlich-deutschen Namen Albert Wilhelm Binder. Nachdem er die Grundschule in Akropong durchgelaufen hatte, zog er wieder in das Ewe-Land, um Arbeit bei der NMG zu suchen.
4.15.2 Albert Binder im Dienst der NMG Nach einer Weile in der Heimatstadt Peki ging Albert Binder 1879 nach Ho und bat um Arbeit bei der NMG. Missionar Johann Gottlob Lang stellte ihn als Schreiner ein. Obwohl ihm die Arbeit Spaß machte, konnte er kaum davon leben, und entschloss sich 1880 deswegen, wieder nach Peki zu ziehen: „Diese Arbeit hatten wir fast ein Jahr lang ohne wirkliches Gehalt geleistet, sonst verdienten wir ‚Hokaat-ge’49 pro Tag. Wir entschlossen deswegen nach Peki zu ziehen, um dort eigene Arbeitsstätte zu bauen, um selbständig zu arbeiteten.“ Lebensgeschichte von Albert Binder (7,1025–30/1). 49 Geldwert von 40 x 5 Kauris.
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Kurz darauf bekam er auf der Missionsstation Ho ein neues Arbeitsangebot, das er annahm. Er sollte diesmal als Maurer bei dem Bau eines Missionshauses helfen. Durch diese Arbeiten ließ sich Albert Binder vom Christentum mehr prägen. Nachdem der Bau des Missionshauses abgeschlossen war, zog Binder wieder nach Peki. Er gründete in seinem Heimatdorf Tsame bei Peki eine christliche Gemeinde mit einer kleinen Anzahl von Christen, die ins Dorf gezogen waren, unter den Anhängern der traditionellen Religion. Mit dieser Gruppe übte Albert Binder seinen christlichen Glauben aus. Weil er noch keine feste Arbeit hatte, zog er 1884 nach Keta, wo er Spieth zufolge für vier Monate bei Herrn Oloff, dem Hauptagent der Firma „Fried. Vietor & Söhne“ Arbeit fand. Nach dieser Zeit kehrte er nach Peki zurück, wo er sich mit seiner Gemeinde beschäftigte. 1885 wurde er mit seiner Frau, die sich auch von der traditionellen Religion zum Christentum bekehrt hatte, durch Missionar Gottlob Binestch christlich getraut. Erst dann wurde er definitiv in den Dienst der NMG angestellt. Er zog mit seiner Familie nach Ho, wo er bis Anfang 1886 als Schreiner bei Missionar G. Steck arbeitete. Bei der Gründung der Station Awudome schickte ihn Missionar Steck nach Peki mit dem Auftrag, „den Ausbau des dortigen Lehrerhauses zu vollenden.“ (Spieth. Notizen über die nach Europa zu sendenden Ewe-Jünglinge (7,1025–29/6). Wegen des Engagements Albert Binders für die Missionsarbeit empfahl die Missionsleitung ihn dem Vorstand in Bremen als Lehrer. Er wurde in die neu gegründete, „diesmal bedrängte Gemeinde Dzake [bei Peki] als Lehrer zugesandt“ (Spieth. Notizen über die nach Europa zu sendenden Ewe-Jünglinge (7,1025– 29/6). Er hatte dort Erfolg:„Dort hat er auch unterdessen gestanden und sich in seiner ganzen Arbeit unsere volle Zufriedenheit erworben.“ (Spieth. Notizen über die nach Europa zu sendenden Ewe-Jünglinge (7,1025–29/6). Dieser Erfolg veranlasste die Missionsleitung, 1890 Albert Binder zur weiteren Missionsbildung in Deutschland zu schicken, obwohl er mit 32 Jahren bereits eine Familie mit vier Kindern hatte. Vermutlich wegen seines Familienstatus dauerte seine Ausbildung nur zwei Jahre im Vergleich zu den anderen in Deutschland ausgebildeten Ewe, die wenigstens drei Jahre Missionsausbildung erhielten. Nach seiner Rückkehr nach Westafrika wurde Albert Binder 1892 wegen seiner Erfahrung nach Tove geschickt, wo er die erste Missionsstation der NMG in Deutsch-Togo gründete50. 1901 wurde er nach Kpele-Agudeve versetzt, um dort eine Gemeinde zu gründen. Dort verbrachte er zuerst nur zwei Monate, denn: „[ich] sollte zwischenzeitlich Baugehilfe von Herrn Becker in Lome werden. Später habe ich das Missionshaus in Badza mit gebaut. Zu dieser Zeit wurde mein älterer Bruder in Peki schwer krank. Ich bat um Beurlaubung und ging in die Heimat.“ Lebensgeschichte von Albert Binder (7,1025–30/1).
50 nachdem 1890 durch die deutsch-britische Grenzziehung der Großteil des Missionsgebiets der NMG zur deutschen Kolonie gekommen war, hatte die NMG zum ersten Mal ihr Missionsgebiet in östlich Richtung in das Dorf Tove, am Weg von Lome nach Kpalime gelegen, ausgedehnt.
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Abb. 28. Albert Binder, erste Reihe links, und die Tove-Gemeinde unter Aufsicht. 1900 (7,1025– Fotos 0427)
1903 wurde er wieder nach Kpele Agudeve geschickt, wo er ein Jahr arbeitete. 1904 wurde er nach Atakpame versetzt, um die Nebenstation zu betreuen. In Atakpame wurde Albert Binder mit der harten Konkurrenz der katholischen Mission konfrontiert, die dort früher angekommen war. Von 1908 bis 1914 war er in Kpalime als Lehrer und Katechist tätig. Von 1914 bis 1926 wurde er in seine Heimatstadt Peki eingesetzt, in welcher Zeit ihn die „Norddeutsche Mission“ am 6. August 1916 auch zum Pastor ordinierte.
4.15.3 Albert Binders Beziehungen zur traditionellen Kultur Albert Binder schrieb in seiner Autobiografie, dass er 1877 nach Durchlaufen der Grundschule die Mittelschule auch besuchen wollte, um später den Pastorenberuf auszuüben. Diese Entscheidung traf er gegen den Wunsch seines Betreuers und seines Lehrers in Akwapem, die ihm eine Hilfslehrerstelle empfahlen: „Drei Jahre lang besuchte ich die Schule und beendete die Grundschule. […] Ich wollte jetzt in die ‚Middle school’ gehen, aber mein zweiter Herr […], Herr Eisenschmid wollte, dass einer seiner Hausjungen – dieser war mein Altersgenosse und Klassenkamerad - und ich, Hilfslehrer – Monitore - würden, weil wir schon so alt waren. Er meinte auch, dass die zwanzigjährigen Schüler, nach einem neuen Gesetz, nicht mehr in die oberen Stufen gehen dürften. Deswegen wollte man uns (die Älteren) jetzt in einem Lehrerseminar ausbilden. Dieses sollten wir zuvor besuchen und anschließend selbst Unterricht halten. Ich aber widersprach dieser Idee, da es mein Wunsch war, das Seminar zu besuchen, um zum ‚Os4fo’ ordiniert zu werden. Er redete lange auf mich ein und übergab mich dem Katecheten J. Adade, damit dieser mich überzeuge; aber ich blieb bei meiner Stellungnahme. Mein Herr [Gott] hat mich sehr lieb; er wollte eigentlich aus mir eine ‚gute’ Persönlichkeit machen, aber ich wusste es nicht. Zwei andere Kameraden von mir lehnten auch ab, Hilfslehrer zu werden. Dagegen nahmen einige dieses Angebot an.“ Lebensgeschichte von Albert Binder (7,1025–30/1).
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Was aber bedeutete es nun für Albert Binder, Os4fo werden? Der Begriff ‚Os4fo’ stammt aus der Asante-Sprache und verknüpfte sich in der Asante-Tradition mit dem Orden der traditionellen Oberpriester. Dieser Personenkreis erfreute sich gegenüber der Bevölkerung naturgemäß eines bedeutenden Einflusses und einer beträchtlichen Autorität. Der Begriff ‚Os4fo’ wurde später in den Peki-Dialekt und dann in die Ewe-Sprache insgesamt übernommen. Alle ordinierten Personen in der christlichen Gemeinde wurden daraufhin ‚Os4fo’ genannt. Man übernahm somit nichtchristlichen Titel aus der nichtchristlichen Religion zur Bezeichnung von bestimmten Personen, die im Namen des christlichen Gottes auftraten. Binders Erfahrungen im Christentum waren noch nicht durch Schulbesuch und Christenlehre untermauert, auch wenn er inzwischen den Glauben des weißen Os4fo Johann C. Binder bewunderte. Os4fo werden war ja nicht nur ein Beruf, sondern auch ein hoher geistlicher Titel (Oloukpona-Yinnon 2005: 154. In: Stoecker; van der Heiden (Hrg.). Offenkundig war es Binders Bestreben, angesichts seiner für ihn prägenden Erfahrungen als „Heidenkind“ und vermutlich der Basler Missionsgesellschaft, die traditionellen Dorfpriester in veränderter Weise nachzuahmen. Eines der ihn damals so beeindruckenden Rituale beschreibt er folgendermaßen: „Wenn ein Fetischritual stattfand, nahm ich auch gerne daran teil und aß fröhlich mit den Teilnehmern Opferspeisen. Zum Jamstag [Jams Erntefest] ließ uns unser Vater zwei gute schwere Jams auf dem Kopf nach Blengo ins Haus von Oheneba - d.h. dem Prinzen - tragen, wo wir sie dem Priester als Geschenk für die Gottheit übergaben; nachher band man uns um den Hals eine Faser der Raphia, auf die man zwei Kauris reihte; dann ließ man uns Kräuterwasser im Mund halten, womit wir uns das Gesicht als Zeichen des Friedens und Lebens wuschen. Nach diesem Ritual kochte man uns etwas zu essen, ehe wir nach Hause zurückgingen. Dieses Ritual wurde jedes Jahr wiederholt. Gleich wie Gott nicht mochte, dass Ihm die Israeliten verletzte Tiere zum Opfer gaben, so gaben auch die Götzendiener ihren Gottheiten keine verletzten Tiere zum Opfer51.“ Lebensgeschichte von Albert Binder (7,1025–30/1).
In Hinblick auf Binders Kindheitserfahrungen stellt man fest, wie er den traditionellen Gott mit dem christlichen in seinem Leben gleichsetzte. Einen Unfall in seiner Kindheit, der nach seiner Meinung seinem Leben ein Ende hätte setzen können, betrachtete er als einen der Beweise für seine Ansicht. Albert Binder schluckte versehentlich das Metallstück, das sein Vater zum Mahlen gebrauchte. Aller Versuch, dieses Metall aus seinem Hals auszuziehen, blieb vergeblich. Das Metallstück hing Wochen lang in seinem Hals. Er konnte kaum essen, trinken und Speichel schlucken. Nun erwartete man seinen Tod. Aber eines Tages geschah das Wunder: „In der einen Nacht hustete ich schrecklich, während alle anderen Leute schliefen. Plötzlich tönte in meinem Mund ein Metalllärm. Schnell spuckte ich den Gegenstand in die Hand aus, weil ich schon merkte, dass es keine Spucke noch ein schleimiger Auswurf war. Was war es denn? Dieses krumme Metallstück, das mich wie ein Knochen gefangen hatte. Das ganze Metall so wie meine Brust stank wie verfaultes Fleisch. Ich behielt das Metallstück, bis zum nächsten Morgen, denn alle schliefen und mein Vater selbst, bei dem ich lag, war eingeschlafen. […] Am Morgen zeigte ich meinem Vater das Metall. Das verursachte spontan einen 51 Siehe in das Alte Testament: 3. Mose 1, 3.
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Auflauf von Personen und Freude im Hause. Als die Leute zu uns kamen und das Metallstück sahen, sagten sie ihre Dankesbegrüßungen an die Geister für mich und meine Verwandten. Erstaunt riefen die Leute: „Dein Sohn wird nie mehr ums Leben kommen.“ Sie sagten es so, weil sie nicht wussten, wer dieses Wunder getan hatte, und dankten diesem Wundermacher, dem nichts schwer fiel. Sie beschworen, als wenn sie selbst über die Kräfte verfügten. Gott hatte mich vor diesem Tod gerettet, weil Er gewiss eine Absicht für mich hatte.“ Lebensgeschichte von Albert Binder (7,1025–30/1).
Eine Prophezeiung wie die, die aus diesem Bericht über das Metallstücks folgte, ist in traditionellen afrikanischen Gesellschaften gang und gäbe. Außergewöhnliche Ereignisse fanden nämlich – so wie wir es aus der europäischen Antike ebenfalls kennen – in traditionellen Orakeln, die die Priester durchführten, ihren Widerhall und dabei oft positive Interpretationen. Albert Binder selbst erzählt, dass er als Kind einer Gottheit geweiht wurde, und dadurch selbstverständlich an den traditionellen religiösen Ritualen teilnahm. Infolgedessen erlebte er im Kloster oder während der Rituale mehrmals solche Prophezeiungen, die von den traditionellen Priestern ausgesprochen wurden. Dabei stellt sich nun die Frage, ob Binder anstelle seiner traditionellen afrikanischen Gottheit nicht ganz bewusst den christlichen Gott anrief und dabei den ersten gegen den zweiten eben kurzerhand austauschte. Denn bei ihm sollte sich sein ursprünglicher Glaube nicht ändern. Denn nur der Begriff ‚Gottheit’ wurde nach der Übernahme des Christentums kulturell aktualisiert und zum Begriff ‚Gott’ abgewandelt. Auf diese Weise positionierte Binder sich innerhalb des Christentums in Afrika. Bei dem europäischen Christen gleichwie bei dem afrikanischen Priester kam diese Begebenheit dem Plan eines verehrten Schöpfers gleich.
4.15.4 Albert Binders Verständnis von Autorität Ebenso übte Os4fo Albert Binder seine Autorität den Gemeindenmitgliedern gegenüber so aus, wie er das bei traditionellen Priestern erlebt hatte. Als Albert Binder Gemeindeältester von Peki war, sollte er seine Machtlosigkeit gegenüber dem Dorfpriester Keteku Kwami erfahren. Er beschreibt dies folgendermaßen: „Als die Anzahl der Christen im Jahre 1886 zunahm, tauchte plötzlich der neue Gottheitspriester Keteku Kwami auf, der alle Einwohner Pekis, vom Dorfhäuptling bis zu den Notabeln, betrog und unter seine Macht brachte.“ Lebensgeschichte von Albert Binder (7,1025– 30/1).
Diese Erfahrung setzte sich für immer in Binders Bewusstsein fest und zeigte nach seiner Rückkehr aus Deutschland ihre Wirkung, nachdem ihn die NMG von 1892 an als Evangelist eingestellt hatte. Aufgrund seines relativ hohen Alters – er war 34 Jahre alt bzw. der Älteste von den in Deutschland ausgebildeten Ewe – wurde er dazu bestimmt, sozusagen als Pionier mehrere Missionsstationen zu gründen. Er nahm diese Herausforderung an und ergriff zugleich die Gelegenheit, als Vertreter der Mission seine Autorität massiv auszubauen. In der Folge wurde er in dem kleinen Dorf Tove einer der lokalen Machthaber. Dabei rechnete die
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Mission damit, dass er seine Landsleute leichter bekehren könne, wie aus Jakob Spieths folgender Charakterisierung hervorgeht: „[…] [Mit] seiner Energie und Furchtlosigkeit, die zuweilen an Gewalttätigkeit und Zudringlichkeit grenzen, war in den zuweilen sehr schwierigen Gemeindezuständen ein heilsames Gegengewicht geschaffen, das ihn von den Höhen natürlicher Vorzüge herab zu den Füßen Jesu zog. In Folge seiner ganzen Lebensführung, sowie seiner mehrjährigen Arbeit im Missionsdienst ist er derjenige, der die reichste Lebenserfahrung hinter sich hat. Das Leben wurde für ihn zur Lehrmeisterin.“ Spieth. Notizen über die nach Europa zu sendenden EweJünglinge (7,1025–29/6).
Mit seiner „Furchtlosigkeit“ und „Zudringlichkeit“ provozierte Albert Binder allerdings die Dorfbewohner fortwährend, indem er auf der Basis des Christentums die traditionellen Bräuche demonstrativ missachtete und autoritär bekämpfte. Um seine Mitmenschen mit dem Wort Gottes unter seinen Einfluss zu bringen, verhielt er sich letztlich nicht anders als der oben schon erwähnte ‚böse’ „Fetischpriester“ Keteku Kwami. Ein Beispiel für Binders Zudringlichkeit zeigt sich im Zusammenhang mit der Neuaufnahme von Schülern in Tove: Als ich die Kinder einschrieb, gaben sie mir nur ihre Kultgemeinschaftsnamen, wie das Tabu es bestimmte. Dem Tabu nach durfte keiner, der der Kultgemeinschaft beitrat, seinen Geburtsnamen noch einen anderen ihm vorher gegebenen Namen aussprechen. Ich aber verlangte von ihnen, dass sie mir ihre eigenen Namen angaben. Und sie gaben sie mir tatsächlich an. Als nun die Toveer das erfuhren, wurden sie sehr wütend und machten mich verantwortlich für die Beleidigung ihres ‚Yeŵe’ [Gottheit]. Aufgrund meines Verhaltens fielen sie in Trance52. Alle Yeŵe-Priester fielen in Trance, indem sie sangen und mich beschimpften. Sie schickten mir eine Mitteilung, dass ich die Trance beruhigen sollte: d.h. wir müssten eine bestimmte von ihnen verlangte Geldstrafe zahlen. Lebensgeschichte von Albert Binder (7,1025– 30/1).
Trotz der Wut der Dorfbewohner wagte es der Lehrer und Evangelist Albert Binder, vor die traditionellen Priester zu gehen und ihnen gegenüber in herausfordernder Weise sein Christentum zu propagieren. Damit verhielt er sich wieder einmal in derselben Weise, wie es der sogenannte ‚böse’ „Fetischpriester“ Keteku Kwami gegenüber den Christen getan hätte. Binder schildert dies folgendermaßen: „[…wir] gingen […] zu den Yeŵe-Priestern, um sie davon in Kenntnis zu setzen, dass wir nicht zu ihrer Kultgemeinschaft gehörten, sondern dass wir unseren wahren Herrn Gott verehrten. Da wurden sie noch wütender und das ganze Dorf erhob sich gegen uns. Die Dorfbewohner eilten mit Hölzern und Buschmessern zu uns, um uns umzuhauen. Wäre der Amegã Sogã [Dorfhäuptling], wie der von Gott gesandte Mann, zu dieser Zeit nicht im Dorf gewesen und der Amegã Sowu [Dorfältester], der den Aufstand von seinem Haus aus gehört hatte, nicht dem Amegã Sogã bei der Schlichtung des Streites zur Hilfe gekommen war, so wäre es
52 Wenn ein Yeweangehöriger im Streit mit einem anderen Menschen beschimpft wird, so gerät der Yewemann auf die Verantwortung des Beschuldigten außer sich, d.h. er geht voller Zorn in den Busch und erklärt, er werde nicht ins Dorf zurückkehren, sondern im Busch bleiben; bis der Beleidiger ihn durch ein Geschenk zur Rückkehr bewegt; s. hierzu den Kommentar zum Wort „alaga“ bei Westermann (1954): 445.
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für uns dramatisch geworden. Vielleicht hätten die Dorfbewohner einen von uns als Opfer umgebracht.“ Lebensgeschichte von Albert Binder (7,1025–30/1).
Doch Albert Binder fühlte sich stets im Recht und hielt die anderen für schuldig. Seiner Meinung nach befand er sich auf dem richtigen Weg, dem Weg des Lichtes gemäß dem Evangelium. Die anderen Nichtchristen jedoch wähnte er auf dem falschen Pfad und somit in der Finsternis. Aus diesem Grund versuchte er, sie mit allen Mitteln zum christlichen Gott der Liebe und des Friedens zu bekehren. Seine Autorität als Lehrer und Evangelist beruhte darauf, dass die Dorfbewohner ihn auch als kolonialpolitische Autorität ansahen. Zunächst nutzte er die Furcht der Dorfbewohner vor der deutschen Kolonialverwaltung aus, um seine Macht allmählich zu festigen. Und schon bei seinem ersten Streit mit ihnen musste die Missionsleitung aus Lome intervenieren, die hierzu Vertreter nach Tove zur Schlichtung schickte: „Als die Dorfbewohner sie [die Missionsboten] sahen, erschraken sie und hörten mit ihren Unruhen auf, denn sie glaubten, dass diese Leute Vertreter der [Kolonial]Verwaltung seien. Sie ließen die Dorfbewohner mir meine zerstörten Sachen zurückerstatten und meinen Zaun wieder aufbauen.“ Lebensgeschichte von Albert Binder (7,1025–30/1).
Albert Binder trat kurz darauf auch als Richter auf und begann, regelmäßig Gerichtssitzungen einzuberufen, um Straftäter wie z. B. Diebe und Mörder abzuurteilen. Dabei brachte er es sogar zum politischen Vertreter der deutschen Kolonialverwaltung, in deren Auftrag er schließlich Gerichtsfälle löste. Aufgrund dieser Privilegien sprach er laufend Drohungen gegenüber den Dorfbewohnern, dem Dorfhäuptling, den Dorfnotabeln etc. aus und durfte anstelle des Dorfhäuptlings Beschuldigte verhören und sie disziplinieren und sogar Neuankömmlinge ausweisen, die das Dorf Tove betreten hatten, aus dem er selbst ja auch nicht stammte und in dem ihm keine traditionelle Autorität zustand. Dies beschreibt er einmal mit folgenden Worten: „Ich ging zu ihnen, grüßte sie und fragte nach ihrer Herkunft und ihrer Absicht. Sie konnten mir die Wahrheit nicht sagen. Dann drohte ich ihnen: „Ihr seid hier gewiss nicht in einer guten Absicht gekommen, sondern um Böses zu tun. Ich fordere euch auf, das Dorf jetzt gleich zu verlassen, sonst berichte ich der deutschen Verwaltung. Und morgen früh werdet ihr verhaftet.“ Sie hatten Angst und verschwanden sofort aus dem Dorf.“ Lebensgeschichte von Albert Binder (7,1025–30/1).
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Abb. 29. Katechist Albert Binder im Aussehen eines traditionellen Machthabers, Tove um 1900 (7,1025– Fotos 3901)
Nun verfügte Binder völlig über eine geistliche und politische Macht wie die Kirche einst in der spätrömischen und byzantinischen Geschichte. Diese letztere hatte er bei seiner Ausbildung in Deutschland fleißig studiert. Er war sich auch bewusst, dass seine Mission, bzw. die NMG inzwischen eng mit der Kolonialmacht zusammenarbeitete. In diesem Rahmen brachte er die traditionellen Machtinhaber im Dorf Tove, die ihn seinerzeit dort herzlich in dem Dorf aufgenommen hatten, unter seine Autorität: „Nachdem ich die Leiche begraben hatte, versammelte ich die Chefs des Dorfes und forderte sie auf, den Mörder zu finden, sonst würde ich der deutschen Verwaltung berichten, damit sie sich mit der Sache beschäftigte.“ Lebensgeschichte von Albert Binder (7,1025–30/1).
4.15.5 Religiosität – Rationalität – Identifikation Os4fo Albert Binder trat wie der heilige Mensch und Vertreter des Guten auf, und schätzte demnach die anderen ein, die den ähnlichen Glauben nicht hatten. Für ihn waren alle Nichtchristen verloren. Auf der Missionsstation Tove kam es zu einem Unfall. Das Dach des Schulraums brach zusammen, als Binder sich dort mit den Kindern befand, und er kam beinahe ums Leben. Dieses Ereignis hielt er für eine böse Tat des Teufels gegen das Gute, bzw. gegen das Evangelium Jesu. Sein eige-
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nes Überleben aber verstand er als Wunder. Dabei hielt er sich für ein Opfer, das für den Herrn Jesus Christus leidet: „Es war für mich sehr schmerzlich, dass der Satan mich scheitern ließ53, sodass die Leuchte von Jesus, die ich hielt, ausging. Denn er wusste, dass er dem am Kreuz Erhängten [Jesus] und in der Finsternis Scheinenden [Jesus] gegenüber machtlos war und wollte mir, dem Unbedeutenden, die Schuld geben.“ Lebensgeschichte von Albert Binder (7,1025–30/1).
Binder glaubte, dass alles, was er erlebte, von Gott geplant sei, so dass nichts in seinem Leben ohne Gottes Willen geschehe. In seiner Autobiografie betrachtete er sein Leben von seiner Kindheit an bis zum Ruhestand als vorher bestimmten Plan Gottes. Diese Religiosität verdeutlichte er im zweiten Absatz eines selbst verfassten Gedichts:Er verrät Seine Absicht nicht. / Er meint es nur gut mit dir. / Habe Hoffnung auf seinen Rat. / Sei der Weg hart oder leicht, / Sei er weit oder kurz, / Vergiss Leid und Mühe.“ (Lebensgeschichte von Albert Binder (7,1025–30/1). Albert Binder wurde schließlich 1916 und trotz des Widerspruchs der Pastoren im örtlichen Missionsgebiet im Auftrag des Missionsvorstands in Bremen zum Pastor ordiniert. Seiner Ansicht nach setzte Gott auch über die Köpfe der weißen Missionare hinweg den Plan, den er für ihn verfolgte, durch – ohne dass auch nur ein Mensch ihn verhindern könne. Aufgrund eines Briefs von Missionar Ernst Bürgi, aus dem Binder zitierte, glaubte er, durch das direkte Eingreifen Gottes zum Pastor ordiniert worden zu sein: „[…] „Deine Ernennung kommt nicht von den Menschen, sondern von Gott selbst“. […] So wurde ich, der Unwissende, der bei den Menschen nicht gut angesehen war, zum Os4fo für die Peki-Gemeinde ordiniert. Doch! Ich glaube und bin fest davon überzeugt, dass der Herr es ist, der für mich persönlich und mich als Leiter Erbarmen hat, gleich wie der Fall von diesen unwissenden Galiläern. Apostelgeschichte 4, 13.“Lebensgeschichte von Albert Binder (7,1025–30/1).
Albert Binder nützte in seiner Missionsarbeit auch seine sonstigen Kenntnisse. Und als Rationalist stellte er verschiedene Ansichten der afrikanischen Nichtchristen in Frage. Auch vermittelte er medizinische Erkenntnisse zur Hygiene. Hierzu gehörte die einfache Tatsache, dass schmutziges Wasser krank macht und sauberes gesund erhält: „Die Toveer und umliegenden Einwohner hatten oft Wunden, weil sie kein reines Wasser hatten. Auch tranken sie wegen ihrer Gottheit kein Traufenwasser. Nur wenn es regnete, füllten sie Wasser zum Trinken vom Boden in ihre Töpfe. Diese Gewohnheit verursachte allerlei Krankheiten und mehrere Wunden. Ich habe mich bemüht, Medikamente in Keta zu kaufen und ihnen die Wunden kostenlos zu verbinden. Ich bin also ihr ständiger Heilpraktiker geworden, so dass sie mich endlich nicht mehr als ihren Feind, sondern ihren Freund erkannten.“ Lebensgeschichte von Albert Binder (7,1025–30/1).
Genau so wie Binder in seiner Autobiographie die Missionare als brave und ausdauernde Boten Gottes betrachtete, versuchte er sich selbst in entsprechender Form zu schildern. Missionar Albert Binder verstand zuerst kaum, wie er von den 53 Nach der biblischen Literatur geht es um die Versuche des Teufels, das Unternehmen der Christen scheitern zu lassen
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eigenen christlichen Mitmenschen so schlecht behandelt werden konnte. Er verglich dies mit den Verfolgungen, die die Apostel Jesu erlebt haben. Er sei in mehreren Bereichen umstritten, wozu auch die Gemeindenbuchhaltung gehörte. Er selbst hielt diese Kritik jedoch für böse Nachrede. Als er 1916 zum Os4fo für die Peki-Gemeinde ordiniert werden sollte, sprachen mehrere Kollegen in Afrika gegen seine Ordinierung. Und auch von seinen Kollegen, besonders dem afrikanischen Vorstand der Ewe-Kirche, wurde er 1926 gegen seinen Willen in den Ruhestand versetzt. Diese Anordnung schmerzte ihn sehr, denn er fand sie ungerecht und meinte, der weiße Missionsvorstand würde das nicht tun, wenn die NMG noch in Togo wäre54. Und so befand er sich ohnmächtig gegenüber der demütigenden Realität und seiner bitteren Enttäuschung: „Ich arbeitete hier in Peki elf Jahre lang, und es war nicht mein Wunsch, damit aufzuhören; denn ich habe in meiner Rede zum Abschiedsfest im Jahre 1892 in Bremen vor den Vorstehern das Gelübde abgelegt, dass ich nie mit Gottes Dienst aufhören werde, solange ich lebe. Aber ich wusste nicht, dass man in Ruhestand mit oder gegen eigenen Willen gehen durfte. Nicht nur vor den Menschen habe ich dieses Gelübde abgelegt, sondern auch vor dem Herrn. Da die Menschen, die die Arbeit leiten, mir den Ruhestand befehlen, muss ich gehorchen. Wären unsere Os4fos noch da, so würden sie es sicherlich nicht tun. Mehrere Leute hatten die Pension beantragt, aber unsere Os4fos hatten ihnen das nicht gestattet. Sie baten jahrelang darum, bevor sie das bekamen. Deswegen sage ich, dass ich mein Gelübde nicht erfüllt habe.“. Lebensgeschichte von Albert Binder (7,1025–30/1).
54 Nach der Übernahme Deutsch-Togos durch die Engländer und Franzosen 1914, wurden die Missionare der „Norddeutschen Mission“ schrittweise bis 1918 ausgewiesen.
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Abb. 30. Pastor Albert W. Binder in seinem christlich europäischen Dienstanzug, sehend seinem Namensgeber Pfarrer J. C. Binder ähnlich. Peki, um 1927 (7,1025– Fotos 2278–1)
Wurde Os4fo Albert Binder somit von seinen afrikanischen Kollegen als Problem empfunden? Warfen ihm diese etwas Besonderes vor, das den Kreis der privilegierten afrikanischen Mitarbeiter gefährdete? – Auf jeden Fall stellte Os4fo Albert Binder sich kaum selbst in Frage, sondern verstand die Vorwürfe lieber als ungerechtes, bzw. undankbares Verhalten gegenüber allem Guten, das er für die Mission und für die Menschen getan habe. Gleichwie Jesus Christus sich ohne Dank für die Menschheit geopfert hatte und zu Unrecht gekreuzigt worden war, so verstand er den Widerstand der Menschen gegenüber seiner Person: „Weil Herr Jesus seine Liebes-, Gnade-, Güte- und Barmherzigkeitsarbeit nicht mit Freude und Dankbarkeit beendet hat, so ist es für mich keine Überraschung, wenn seine Nachfolger auch die ähnliche Undankbarkeit erleben. Ich bin froh, dass selbst meine [aus Peki und Umgebung stammenden] Landsleute mich verleugnet und verfolgt haben. 1918–1919 empörte sich die Awudome-Gemeinde ohne Grund über mich. Sie diskreditierten mich, und verbreiteten ein falsches Gerücht über mich. Viele entfernt stehende Leute glaubten, dass ich wirklich schuldig sei.“ Lebensgeschichte von Albert Binder (7,1025–30/1).
Binder verkörperte nach eigener Ansicht das Leiden Jesu Christi und identifizierte sich mit diesem. Vom Götzendiener zum Lehrling, vom Schreiner zum Lehrer, vom Studenten aus der „Evhe-Schule“ in Westheim zum Os4fo war er nun vom Jünger Jesu zum Meister selbst aufgestiegen.
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4.15.6 Kampf um Gerechtigkeit und Emanzipation Darüber hinaus erkannte Albert Binder jedoch sehr wohl die Unzulänglichkeiten der Vertreter der christlichen Kultur. Einerseits lobte er die ausdauernde Liebe der europäischen Christen und andererseits verurteilte er ihren Rassismus, den er untergründig verarbeitete. Für ihn waren sich die Menschen in Deutschland und Afrika ähnlich, doch ihre Bosheit hatte nichts mit dem Plan Gottes zu tun. Nichtsdestoweniger musste der eifrige Ewe-Christ Binder mit einem unbekannten Kameruner Jungen bei der Rückreise fast neunzehn Tage lang auf dem Deck des Schiffs kampieren, da die NMG für ihn keine Kabine reserviert hatte. Zum ersten Mal sah er sich selbst mit rassistischer Diskriminierung seitens der protestantischen Kirche konfrontiert. Sein ‚Bruder’ Isaak Kwadzo, ein anderer Ewe-Student machte ein Jahr früher auf seiner Reise nach Deutschland dieselbe Erfahrung: „Ein Jahr später brachte Herr Seeger Isaak Kwadzo aus Peki zu uns. Dieser hatte kein Gepäck mitgebracht. Als ich den Grund wissen wollte, erklärte er mir, dass sein Gepäck ins Meer gefallen wäre. Da fragte ich ihn weiter: „Warst du in keiner Kabine auf dem Schiff untergebracht?“ „Nein, ich hatte keine Kabine bekommen“, war seine Antwort. Ich berichtete dann meinen ‚Brüdern’, dass ihm keine Kabine besorgt worden war, sondern er so einfach auf Deck gesessen hatte. Dabei hatte er sein Gepäck verloren.“ Lebensgeschichte von Albert Binder (7,1025–30/1).
Weiterhin seine eigene Erfahrung im Schiff auf der Rückreise: „[…] Wir stiegen alle auf das Schiff, als plötzlich es anfing zu regnen. Jeder ging in seine Unterkunft oder in seine Kabine. Fräulein oder Schwester Peper, mit der ich nach Keta reiste fand auch ihre Unterkunft. Nur der Kameruner Edward Duw4 und ich fanden keine Unterkunft. Als ich den Kapitän nach einer Kabine fragte, antwortete er mir: „Es gibt keine Kabine für dich.“ Ich war überrascht und auf meine Frage „warum?“ antwortete er: „Das hängt nicht von mir ab, sondern von denjenigen, die dich hier geschickt haben.“ Ich fing sofort an nachzudenken und brach plötzlich in Tränen aus. Ich erinnerte mich sofort daran, dass diese Tat eine Verschwörung gegen uns Schwarze war. […] Ich stand im Regen solange, bis es aufhörte. Ich wurde halbtot, dennoch war ich davon überzeugt, dass dies kein Plan Gottes war, sondern bloß menschliche Gedanken. Man würde mich also fragen, wo sich meine Mitreisende Fräulein Peper befand, die wie ich dieselbe Arbeit in Keta machen würde, und die wie mich dieselbe Missionsgesellschaft und derselbe Inspektor zum Dienst aussandten. Die Antwort ist: „Sie befindet sich, was sie angeht, in einer Kabine 1. Klasse, weil ihr Leben wertvoller als das meine sei.“ […] Ich armer Mann! Ich fragte mich stets: „Wo werden wir, der Kameruner Edward und ich, schlafen?“, denn wir waren auf dem Schiff bloß wie Tiere.“ Lebensgeschichte von Albert Binder (7,1025–30/1).
Ferner erlebte Albert Binder dieselbe Diskriminierung auch bei der Mahlzeit: „[…] Der Schiffskoch teilte mir mit, dass ich zur Mahlzeit das Essen holen sollte. […] Ab und zu, wenn er wollte, gab er mir die Abfälle vom Brot und vom Rindfleisch. Manchmal aß ich sie so, aber manchmal warf ich sie vor Kummer ins Meer.“ Lebensgeschichte von Albert Binder (7,1025–30/1).
Die Verantwortung für diese Missachtung wies Binder Missionsinspektor Franz Michael Zahn selbst zu, denn dieser habe seiner Ansicht nach mit Absicht keine Kabinen reservieren lassen. Aber er hielt es nicht für seine Pflicht, Zahn an seine
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Verantwortung den afrikanischen Mitarbeitern gegenüber zu erinnern. So fühlte er sich als Opfer für spätere Afrikaner, die nach Deutschland fuhren: „Alles das habe ich dem Pfarrer [J. C.] Binder in Westheim geschrieben. Er hat das auch mit Betroffenheit erfahren. Den Brief hatte er an Herrn Inspektor Zahn in Bremen weitergeleitet. Als ich im Dienst in Tove war, bekam ich vom Inspektor Zahn einen Brief, in dem er sich entschuldigte: „Ich habe die [sic!] Unterschied zwischen [unter] Deck und auf Deck [nicht] gewust[sic!]“. Aber diese Entschuldigung nahm ich ihm nicht ab. Aber ich habe ihm meine Gefühle nicht ausdrücklich mitgeteilt, denn er war jahrelang in seiner Tätigkeit erfahren. […] Aber ich bin froh, dass ich zum Opfer für meine nachfolgenden ‚Brüder’ bei ihren künftigen Hin- und Rückreisen nach und von ‚Ablotsi’ [Europa] geworden bin.“ Lebensgeschichte von Albert Binder (7,1025–30/1).
Diesem gemäßigten Protest folgten Emanzipationsgedanken, die Os4fo Albert Binder nach der Gründung der ‚nationalen’ Ewe-Kirche im Jahre 1922 dezidiert verteidigte. So widersprach er der Ausflucht von Missionsdirektor August Wilhelm Schreiber, nach dessen Auffassung die afrikanischen Mitarbeiter noch nicht fähig seien, selbst die Führung der Missionskirche im Ewe-Land zu übernehmen. Für den ‚Nationalisten’ Binder hatte sich das afrikanische Personal nämlich schon längst bewährt. Außerdem hing das Gelingen dieser Aufgabe seiner Ansicht nach nicht nur von den menschlichen Fähigkeiten ab. Entsprechend argumentierte er wie folgt: „Noch muss man sich fragen, ob ein Schwarzer allein ohne Mithilfe des Weißen diese Arbeit leisten kann. Sie wird weder vom Weißen noch vom Schwarzen geleistet, sondern von demjenigen, der versprochen hat: „Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende [Matthäus 28,20]“ Er hat seine Arbeit wirklich wunderbar unter uns während der Kriegszeit geleistet. Lebensgeschichte von Albert Binder (7,1025–30/1).
Os4fo Albert Binder trat in einen neuen, von Europäern indizierten und für ihn vorteilhaften Sozialisationsprozess ein, was er seines Erachtens Gott verdankte. Er war bereits ein Erwachsener, verheiratet und Vater von vier Kindern, als er zum ersten Mal eine neue Kultur in Württemberg erlebte. Er starb am 21. Januar 1934 im Alter von 76 Jahren in seinem Dorf Peki-Blengo im heutigen Ghana. Er stand zwischen afrikanischen Kulturen – Ewe und Asante – und der christlicheuropäischen Kultur. Er vermischte oftmals Elemente verschiedener Kulturen, obwohl er selber die eigenen zu verleugnen schien. Darüber hinaus hat Pastor Albert Binder sein hybrides Verhalten ausgenutzt, um offensichtlich höhere soziale Position in seiner traditionellen Gesellschaft zu erreichen. Über 36 Jahre lang – zwischen ca. 1890 und 1926 – stand er im Dienst der Mission. Albert Binder verfasste eines von 486 Kirchenliedern im Gesangbuch der Ewe-Kirche.
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4.16 BIOGRAFIE VON TIMOTHEO KOFI AMET4WOBLA 4.16.1 Kindheit und Kontakt mit dem Christentum Im Jahre 1869 während des Asante-Kriegs gegen die Ewe-Bevölkerung wurde ein Mädchen aus der Stadt Gbadzeme im Aυatime-Stamm geraubt. Die Räuber brachten sie in ein Dorf, das von Gbadzeme sieben Stunden weit weg war und wo sie als Sklavin lebte. Dort heiratete sie etwa zehn Jahre später den Fischer und Bauern Amet4wobla. Das Ehepaar bekam am 15. August 1881 ein Kind (Timotheo Mallet an Inspektor. Westheim, den 17. Oktober 1898 (7,1025–29/5). Es hieß Kofi, weil es am Freitag geboren worden war. Als Kofi zwei Jahre alt war, starb sein Vater Amet4wobla. Daher zog seine Mutter zusammen mit ihm in ein anderes Dorf zu seinem Onkel mütterlicherseits. Bei dem Onkel lebten sie vier Jahre lang, bis der Onkel einem Mann aus Dz4kpe Kofis Mutter als Sklavin verkaufte. So zog sie wieder mit Kofi in die alte Heimat (Binder 1900: 6; (7,1025–29/6). Sie lebten in Dz4kpe bei Gbadzeme. Dz4kpe war ein Christendorf, das die einheimischen getauften Christen, nämlich Jakob Anku, Emmanuel Tsik4 und Joseph Dogbe2i im Jahr 1875 mit ihren jeweiligen Familien gegründet hatten. Sie waren in Accra an der Goldküste von der Basler Mission getauft worden (Anku 1973: 10). Das Christendorf hieß Jerusalem und wurde im Jahre 1889 zu einer Nebenstation der NMG (Schreiber 1936: 312). In demselben Jahr wurde Kofis Mutter dort getauft. So erlebte der acht Jahre alte Kofi Amet4wobla zum ersten Male das Christentum (Binder 1900: 6; (7,1025–29/6). 1890, ein Jahr später, schickte ihn seine Mutter nach Amedz45e zu ihrem Bruder, dem Lehrer Paulo Ntumitse, damit er dort die Schule besuche. Paulo Ntumitse war der erste Lehrer, den die NMG nach Amedz45e schickte, wo eine provisorische christliche Station errichtet worden war (Schreiber 1936: 312). Dort kam Kofi in engeren Kontakt mit dem Christentum. Es muss hier betont werden, dass die Aυatime-Einwohner keine Ewe waren. Ebenso sprachen sie kein Ewe, sondern die Aυatime-Sprache. Der AυatimeStamm bewohnte sieben Dörfer55, darunter Amedz45e, Gbadzeme und Dz4kpe (Jerusalem). Die Ewe und ihre Nachbarn übernahmen Kulturelemente von den Asante, weil sie Kontakt mit ihnen hatten. Diese Kulturelemente wie die Namensgebung hatten sich in dem Gebiet der NMG verbreitet und waren Teil in der EweGesellschaft geworden. Der Aυatime-Stamm übernahm nicht nur diese Sitten aus den Asante und den Ewe, sondern auch weitere Ewe-Kulturelemente wie die Sprache, über die das Christentum vermittelt wurde. So wurde für Kofi Amet4wobla das Aυatime-Gebiet, wo sich Kulturen der Ewe und Asante beweg-
55 Amedz45e, Gbadzeme, Dz4kpe, #ane, Fume, Dzogbe5eme, Biakpa gehören zu dem Aυatime-Stamm.
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ten, zu einem dritten Raum. Die Asante prägten die Ewe und ihre Nachbarn und die Ewe prägten die Aυatime. Bei Lehrer Paulo Ntumitse besuchte Kofi Amet4wobla die Missionsschule in Amedz45e, wo er Bibelunterricht gründliche christliche Erziehung erhielt. Der Lehrer Ntumitse galt jetzt nicht nur als Kofis Onkel, sondern er war auch sein Pate im christlichen Sinne. Daher lebte Kofi von nun an in einer christlichen Umgebung, wo er in der Schule und in dem „Christenthum“ schnell vorankam. 1893 wurde Kofi von Missionar Carl Osswald auf den Namen Timotheo getauft (Binder 1900: 7; (7,1025–29/6). Er hieß nun Timotheo Kofi Amet4wobla. Obwohl er zum Christentum bekehrt worden war, gab er seine Ewe-Namen nicht auf, wie einige seiner Schulkameraden es gemacht hatten. An 1894 besuchte er die Mittelschule auf der Hauptstation Ho. Nach Absolvierung der Mittelschule schickte ihn der Vorstand der NMG zusammen mit seinen Schulkameraden Timotheo Mallet und Robert Domingo Baëta zur Missionsausbildung nach Deutschland, wo er am 26. Juli 1897 ankam. In der „Evhe-Schule“ in Westheim in Baden Württemberg studierte Timotheo Kofi Amet4wobla drei Jahre lang und erhielt sowohl fachliche als auch theologische Ausbildung. Amet4woblas Zeugnis56 zeigt, dass er auch Unterricht in Turnen, Musik und Schönschreiben hatte. Im Bereich der Musik lernte er Harmonium und auch das Alphorn, andere Musikinstrumente als die Trommel. Amet4woblas Studienleistung war beachtlich. Bei der Sommerprüfung von 1900 musste er im Fach Geschichte zum Beispiel viereinhalb Stunden lang folgende Themen behandeln: „1)- Die Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika bis zum Schluss des Sklavenkrieges 2)- Kaiser Napoleon I. 3)- Der Krieg von 1870–71 soll von der Schlacht von Sedan an bis zu seinem Ende erzählt werden.“ Timotheo Kofi Amet4wobla (7,1025–29/6).
56 Hierzu sein folgendes auf dem Semester-Durchschnitt berechnetes Zeugnis: „Memorieren bibl. (Kirchen) Geschichte : g (gut) Deutsche Sprache a.) Aufsatz : (zg.-)g. b.) Grammatik : g. c.) Übung und Anwendung : befriedigend Rechnen : g. Geschichte : g. - r.g. Geographie : (zg.-) g. Naturgeschichte : zg-g. Musik : g. Singen : g. Schönschreiben : g.- r.g. Zeichnen : zg-g. Turnen : zg.-g. „ (Vikar Binder. Rechenschaftsbericht über den Unterricht in der Eweschule in Westheim.. Westheim, den 7. April 1898 (7,102529/6).
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Timotheo Kofi wurde bei dieser Prüfung mit „gut plus“ bewertet. Er studierte zur Zufriedenheit des Missionsvorstandes und bekam das folgende Gutachten seines württembergischen Lehrers Binder: „Sein Fleiß war recht gut, Ordnungsliebe, Gewissenhaftigkeit bis zur Kleinlichkeiten machten ihn zu dem zuverlässigsten Schüler trotz einer gewissen tardites ingenii; er ist gemütvoll, besitzt wenig Spontaneität und wenig Phantasie; Sein Betragen war stets musterhaft; Sein Charakter scheint schon ziemlich gefestigt. Er versteht das Alphorn zu blasen.“ Vikar Binder. Schulbericht über das Sommer-Semester 1900 der Eweschule in Westheim. Teil C. (7,1025– 29/6).
Am Ende der Ausbildung verpflichtete sich Amet4wobla, sich in den Dienst der Mission zu stellen, um die Summe von 3300 (dreitausenddreihundert) Mark, die die Mission für seine Ausbildung in Deutschland verwendet hatte, bei Austritt nicht zahlen zu müssen (Timotheo Kofi. Bremen, den 7. August 1900 (7,1025– 29/5). Am 31. August 1900 kam er nach Afrika zurück. Er war 21 Jahre alt.
4.16.2 Timotheo Kofi Amet4wobla im Dienst der NMG Der Missionsvorstand stellte Timotheo Kofi Amet4wobla als Lehrer in der Hauptstation Amedz45e an. Anfangs fiel dem jungen Amet4wobla die Lehrerarbeit schwer, denn er war schüchtern und unerfahren. Deswegen ließ er sich von seinem Onkel Lehrer Paulo Ntumitse beraten: „Zuerst musste ich meinem Onkel beim Unterricht in der Elementarschule helfen. Am Ende des Monates November bekam ich die ganze Elementarschule mit 42 Schülern und Schülerinnen. […] Im Monat Januar wurde mein Onkel nach Wodze versetzt. Es war mir sehr schwer, denn bis jetzt war ich immer bei ihm und er hat mir in meinen Arbeiten geholfen oder Rat gegeben. Mit seinem Fortgang habe ich noch mehr Arbeit bekommen.“ Timotheo Kofi an Inspektor. Amedz45e, den 12. Februar 1901 (7,1025–6/4).
Kofi Amet4wobla betreute nicht nur die Schule, sondern er predigte auch. Bereits in seinem ersten Jahresbericht über die Schularbeit wies er die Missionare darauf hin, dass es zu wenige Lehrer gebe: „Arbeit gibt es immer viel, aber Arbeiter sind sehr wenig.“ (Timotheo Kofi an Inspektor. Amedz45e, den 12. Februar 1901 (7,1025–6/4). Trotzdem traute er sich nicht, weitere Hilfskraft zu verlangen, sondern setzte seine Arbeit fort. Ferner unterrichtete Kofi Amet4wobla als zweiter Lehrer in den drei Stufen der Missionsschule in den folgenden Fächern: In der III. Klasse: Bibelkunde, Rechnen (in Ewe); Deutsch, Zeichnen, Schönschreiben (in Ewe), Schönschreiben (in Deutsch), Weltgeschichte, Singen, Ewe Grammatik, Ewe Aufsatz, Deutsche Grammatik, Geographie. In den drei (I. II. & III.) Klassen: Harmonium und in der II. Klasse: Deutsch für Anfänger, Turnen. (Stundenplan für das Seminar Amedz45e 1906 (7,1025–29/1). Timotheo Kofi Amet4wobla arbeitete anschließend an der Oberschule in Amedz45e, bis er am 16. Juli 1916 durch Präses E. Bürgi zum Os4fo ordiniert wurde (Schreiber 1936: 253). Im Jahre 1917 wurde er nach Akpafu versetzt, wo er den Missionar Paul Walter
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ersetzte, der zu Beginn des ersten Weltkriegs gefangen genommen worden war. Er betreute diese Station unter großen Schwierigkeiten. Es fehlen ihm meistens Arbeitskräfte, und seine Gesundheit war schwach.
Abb. 31. Lehrer Timotheo Amet4wobla (vorne sitz. r.), Missionar Ernst Bürgi und Lehrer Samuel Kwist im Dienstanzug, mit Lehrgehilfen bei einer Prüfung in Amedz4 5e (7,1025– Fotos 1527).
Timotheo Kofi Amet4wobla übernahm wegen seiner Erfahrung immer mehr Verantwortung in der Missionsarbeit. In Akpafu waren die Arbeitsbedingungen schlimmer geworden, weil er außer der Hauptstation nun auch die Nebenstationen zu beaufsichtigen hatte. Darüber hinaus verlangte die englische Kolonialregierung im Lehrplan anstatt des Deutschkurses den Englischkurs, wozu die Lehrer in Akpafu nicht fähig waren (Timotheo Amet4wobla. Halbjahresbericht. Akpafu, 29. Juli 1918 (7,1025–30–3). Sein Lehrpersonal war klein und die Arbeit wurde immer schwieriger und uneffizienter: „Die Lehrerkräfte auf der Station wollen kaum genügen. Gerne hätte ich den Taufunterricht meiner Reisen wegen einem Lehrer gegeben, da aber jeder mit Schulstunden fast überhäuft werden muss, so ließ ich es beim Alten bleiben. Den Unterricht in den Klassen kann ich in diesem Jahr leider nicht bewachen, weil eigene Arbeiten auf der Station und im Bezirk mich festhalten. Es ist schade, dass ich jetzt den nötigen Oberlehrer für unsere hiesige Schule nicht haben kann, und dieser ist immer wichtig, zumal Akpafu öfters von den Regierungsbeamten besucht wird. Am Ende der Osterferien ging die Schülerzahl zu unseren größten Schmerzen etwas zurück, indem fast alle Kinder von Worawora und Apeso-Kubi ohne Grund zu Hause blieben und nicht mehr zurückkamen.“ Amet4wobla. Vierteljahresbericht. Akpafu, 21.5.1920 (7,1025–30/3).
Die Schüler verloren die Lust auf den Schulbesuch wahrscheinlich, weil sie nicht mehr mit der Leistung ihrer Lehrer zufrieden waren. Die Schüler waren nicht während der gesamten Unterrichtszeit beschäftigt und wollten deswegen lieber den Eltern bei der Feldarbeit helfen, zumal die Einheimischen eine bäuerliche Bevölkerung waren. Der Akpafu-Bezirk, der Gebiet der Stadt Worawora war, ein fruchtbares Kakaogebiet (Timotheo Amet4wobla. Halbjahresbericht. Akpafu, 29.
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Juli 1918 (7,1025–30/3). Wegen der Deportierung der Missionare während des Krieges unterstand die ganze Arbeit dem Pastor Amet4wobla. Er war beständig unterwegs, indem er regelmäßig die Nebenstationen besuchte. Folglich hatte er sogar kaum Zeit für seine eigene Familie. Hierzu die Klage seiner Frau Martha Amet4wobla: „So hatte mein Mann die ganze Arbeit zu übernehmen, er musste einen großen Bezirk verwalten und war in jedem Jahr lange Zeit auf Reisen, so dass ich mit den sieben Kindern allein war und sehen musste, wie ich mit allen meinen Aufgaben zurechtkam. Aber auch die Arbeit meines Mannes war mühsam[…]“ Westermann (1930): 206. / Wiegräbe (1948): 46.
Abb. 32. Pastor T. K. Amet4 wobla in seinem Pastorengewand (7,1025– Fotos 1897)
Als Pastor Amet4wobla feststellte, dass der Missionsvorstand nicht auf ihn hörte und nicht auf seine Bitte um Stärkung der Lehrerkräfte, deren Mangel auf ihn besonders wirkte, drohte er in seinem ersten Quartalbericht 1920, die Missionsarbeit aufzugeben. Schließlich bekam er Unterstützung. Hierzu Missionar Bürgi: „Wie ich schon mehrmals andeutete, hat Herr Amet4wobla große Schwierigkeiten in seinem Bezirk, so dass er schon einmal schrieb, dass wenn das so fortgehe, er beurlaubt werden möchte. Er schrieb auch, dass es gegenwärtig bei seinen Lehrern nur mit Bitten gehe. So ist es dringend nötig, dass wir hingehen, was nun morgen geschehen soll, da es meiner Frau nun wieder besser geht. Vor 8 Tagen mussten wir die Reise aufschieben.“ Bürgi. Begleitwort zum 1. Quartalbericht v. Amet4wobla. Lome, 2.6.1920 (7,1025–30/3).
Pastor Amet4wobla drückte durch diesen lauten Unmut nicht nur seine Enttäuschung aus, sondern er spürte durch seinen immer schlechteren Gesundheitszu-
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stand, dass er mit Arbeit überlastet war. Ein Jahr nach dem lauten Protestbericht starb er.
4.16.3. Wie Timotheo Kofi Amet4wobla starb Der Missionsvorstand wusste, dass Timotheo Kofi Amet4wobla seit seiner Schulzeit oft gesundheitliche Probleme hatte. Als Timotheo Kofi für Ausbildung in Deutschland ausgewählt wurde, untersuchte ihn ein Arzt. Das Zeugnis des Arztes, Dr. Hey, in der Stadt Odumase – im britischen Gebiet der Basler Mission –, lautete für zwei Schüler in Amedz45e, nämlich Ado Yawo und Timotheo Kofi Amet4wobla nicht günstig: „Sie haben etwas schwache Lungen, was mir bis jetzt bei der Arbeit noch nicht aufgefallen ist, und werden sich daher von der Erkältung zu schützen haben. (Aber Dr. Hey meint doch, dass man sie nach Deutschland ziehen lassen dürfe). Auf Anfrage bei den Eltern haben dieselben sich bereit erklärt, die Kinder nach Deutschland ziehen zu lassen.“ Schröder bei der Stationskonferenz, i. A. Dettmann. Amedz45e, den 10. März 1897 (7,1025–29/6).
In dem dritten Jahr der Ausbildung in Deutschland war der Gesundheitszustand Amet4woblas schlechter geworden. Er hatte ein Lungenleiden und konnte nicht alle Unterrichtsstunden besuchen, so dass der Vikar Binder für ihn besondere Maßnahmen traf: „Die chronische Erkrankung des Schülers Thimotheus Kofi an einem Lungenleiden, welches nach ärztlichem Gutachten seine regelmäßige Beteiligung an allen Unterrichtsfächern ausschloss und ihm nur ein Hospitium bei den wichtigsten erlaubte […] bewirkte ein langsameres Tempo im Unterricht, als vorgesehen war. Es wurde der Abschluss der Ausbildung in allen Fächern erreicht, aber von einer Repetition des Unterrichtsstoffs vom ganzen Jahr musste abgesehen und dieselbe auf die 2 ½ Monate dieses Semesters beschränkt werden.“ Vikar Binder. Schulbericht über das Sommer-Semester 1900 der Evhe-Schule in Westheim. (7,1025– 29/6).
Kurz nach seiner Rückkehr nach Togo erkrankte Timotheo Kofi Amet4wobla wieder an Fieber, ehe er sich an die Missionsarbeit in Amedz45e machte. Wegen seines Gesundheitszustandes beriet der Missionsvorstand über die Bestimmung seines Arbeitsortes. Die Missionskonferenz einigte sich schließlich darauf, dass die Station Amedz45e ihm nicht günstig war, aus folgenden Gründen: „Über den Gesundheitszustand von Tim. Kofi ist mir aus mündlichen Mitteilungen vom Pfarrer Binder mir soviel von den ärztlichen Gutachten bekannt, dass der Arzt die Hoffnung gesprochen hat, seine leidende Lunge könnte in dem heimatlichen warmen Klima wieder heilen; da nun aber die Bergluft von Aυatime durchaus nicht rein ist, wie der Arzt offenbar meinte, sondern viel mehr feucht und kalt und darum für einen Lungenleidenden besonders unzuträglich, so glaube ich, dass man ihn aus Gesundheitsrücksichten nicht nach Amedz45e setzen darf. Wir müssen ihn also in Ho oder Keta verwenden.“ Präses Däuble. Protokoll der Keta Konferenz 3. September 1900. Westheimer Gehilfen (7,1025–16/5).
Deswegen beschloss die Missionskonferenz, den jungen Lehrer Timotheo Kofi Amet4wobla nicht nach Amedz45e zu schicken:
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„Im Interesse des schwachen Gesundheitszustands von Tim. Kofi hält die Konferenz es für wünschenswert, dass derselbe zunächst in der Ebene seinen Wirkungskreis findet. Er könnte ja später, […] wenn sein Gesundheitszustand sich gebessert hat, ausgewechselt werden. Wir überlassen Br. Spieth zu besinnen, ob er in Keta oder Ho stationiert werden soll.“ Protokoll der Keta Konferenz. 3. September 1900. Westheimer Gehilfen (7,1025–16/5).
Zwei Wochen nach dem Beschluss der Missionskonferenz änderte der Vorstand erstaunlicherweise seine Meinung. Was war inzwischen passiert? Timotheo K. Amet4wobla war zusammen mit zwei anderen Schulkameraden, nämlich Robert Baëta und Timotheo Mallet von Deutschland zurückgekommen. Die Mutter Robert Baëtas bat die Mission, ihren 17. Jahre alten unerfahrenen Sohn an der Küste zu lassen, weil er noch zu jung war. Außerdem fanden die in Keta stationierten Missionare Timotheo K. Amet4wobla nicht befähigt, die Arbeit in der Station Keta, die gerade schlecht ging, zu leisten: „Es wäre wirklich einmal Zeit, dass unsere Keta Schule etwas wurde. Wenn ich an Timotheo Kofi denke, so kann ich an ihn auch nur als einen halben Mann denken natürlich nur bezüglich seiner Gesundheit. Wer weiß, wie ihm die weite Reise bekommen wird! Wie oft habe ich schon in diesem Jahre meinen Stundenplan ändern müssen. Und wenn ich denke, das sollte so weiter gehen, so möchte ich mir fast der Mut entschwinden. Also, wenn es irgend möglich ist, lieber Br. Spieth, so lasse unserer Schule den Robert Baëta!“ Salkowski an Spieth. Robert Baëta betreffend. Keta, den 17. September 1900 (7,1025–16/5).
Weder nach Keta noch nach Ho wurde Amet4wobla geschickt, sondern trotz seines Lungeleidens in Amedz45e angestellt. In der für ihn gesundheitsschädigenden Umgebung von Amedz45e musste Timotheo K. Amet4wobla 17 Jahre lang arbeiten. Er hätte in Amedz45e länger bleiben können, wenn der deutsche Missionar Paul Walter nicht von der Station Akpafu weggeführt worden wäre. In Akpafu erlitt Timotheo Kofi noch weitere Erkrankungen. Im Oktober 1917 hatte er Fußleiden. Er litt aller Wahrscheinlichkeit nach an Guineawürmern und konnte kaum laufen. Viel Arbeit während der Erkrankungszeit wurde deswegen nicht gemacht. In Akpafu herrschte im Jahre 1919 eine „böse Influenza“, woran viele Leute starben. Seine Frau Martha Amet4wobla wäre auch beinahe daran gestorben: „Zwei Wochen nach dem Tod [unseres jungen, viel geliebten Lehrer Justus Dzampa] wurde meine liebe Frau schwer krank, nur wenig hat’s gefehlt, so hätten wir sie auch am 16. Dezember beerdigen müssen. […] Ich hatte mit meiner ganzen Familie lange Zeit mit der bösen Influenza zu tun gehabt, doch blieben wir vor schweren Heimsuchungen bewahrt. Durch die Krankheits- und Todesfälle war ich gehindert, meine letzte Quartalreise frühzeitig anzutreten; auch in den Festtagen musste ich auf Reisen sein.“ Tim. Amet4wobla. Jahresbericht. Lome, den 13 Juni 1919 (7,1025–30/3).
Diese Reihe von Erkrankungen auf der Missionsstation und in der Familie und die schwierigen Arbeitsbedingungen verschlechterten Amet4woblas Gesundheitszustand. Er wurde immer kränklicher, und erholte sich kaum. Weil er Treue und Gehorsam der NMG gegenüber zeigen musste, traute er sich nicht, früher zu reagieren. Vielleicht bezog er seine Situation auf die Leiden Christi und hoffte auf eine wunderbare himmlische Genesung. Kaum war Amet4wobla zusammen mit seiner Familie im Oktober 1921 von einer Reise gekommen, da erkrankte er und starb bald danach. Hierzu der Bericht seiner Frau Martha:
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„Im Anfang des Jahres (sic!) [Oktober] 1921 machten mein Mann und ich mit unseren Kindern eine Reise ins Ga-Land, um meine Mutter zu besuchen. Bald nach der Rückkehr [nach Akpafu] wurde mein Mann krank, und schon nach einer Woche war er tot. So ließ er uns im fremden Land und in tiefem Leid zurück. Was sollte ich mit meinen neun Kindern anfangen, und wer würde für sie sorgen?“ Westermann (1930): 208. / Wiegräbe (1948): 46.
Am 29. Oktober 1921 starb Pastor Timotheo Kofi Amet4wobla im Alter von 50 Jahren in Akpafu (Schreiber 1936: 253). Der Missionsvorstand und die Missionare wunderten sich über seinen plötzlichen und unerwarteten Tod. Sie hatten ihn meines Erachtens seit dem Jahre 1900 dem langsamen Tod geopfert und kamen ihm nicht zur Hilfe, als er sich in Akpafu in Not befand. Sie sahen hinter seinen Tod den Willen und die Prüfung Gottes und weigerten sich, ihre eigene Verantwortung zu sehen: „Es scheint, als ob Gott unsere Mission nicht frei lassen wollte. Gerade jetzt wo wir die Hilfe der Missionare für die Arbeit entbehren müssen und alle Last der Verantwortung auf Ihnen und Ihren Volksgenossen ruht, nimmt er zuerst Os4fo Se2o2e und nun auch Os4fo Amet4wobla von uns. Wir müssen uns unter seine gewaltige Hand beugen, und müssen versuchen zu lernen, was er uns durch die Schule des Leides weiter sagen will. […] Wollen Sie den Angehörigen Amet4woblas sagen, wie sehr der Vorstand mittrauert um den Heimgang dieses treuen und besagten Knechtes.“ Inspektor Schlunk an Os4fo Aku. Hamburg, den 4. November 1921(7,1025–24/6).
Anstatt Ursachen von Amet4woblas Tod zu untersuchen und sachlich zu begreifen, um weitere ähnliche fatale Unglücke vorzusehen, nahm der Missionsvorstand den Tod Amet4woblas zum Anlass, jeden afrikanischen Mitarbeiter noch mehr Verantwortung aufzubürden. Außerdem forderte er, dass sie sich mit Lebensgeschichte und Foto den deutschen Gemeinden vorstellen: „Der Heimgang unseres lieben Mitarbeiters, Timoteo Amet4wobla, bringt uns aufs Neue zum Bewusstsein, welche schwere Verantwortung gegenwärtig auf Euch liegt. So wird es Euch ebenso ein Bedürfnis sein, Euch von der Fürbitte der heimischen Gemeinden getragen zu sehen, wie es uns ein Bedürfnis ist, jeden Einzelnen aus ihrer Mitte persönlich kennen zu lernen. Ich habe infolge dessen die herzliche Bitte an Euch, dass jeder unter Euch eine kurze Skizze seines Lebens verfasst und durch Os4fo Aku an mich einsendet, damit wir auf Grund dieser im Monatsblatt jeden Einzelnen nach der Reihe unserer Heimatgemeinde vorstellen können. Besonders dankbar wären wir, wenn jeder ein Photo in kleinem Format beifügen könnte.“ Inspektor Schlunk an sämtliche Os4fo zu Händen von Herrn Os4fo Andreas Aku, Lome, November 1921 (7,1025–24/6).
Es wurde nun klar, dass der Missionsberuf zum Leiden und Tod führte und niemand darüber klagen durfte. Jeder Afrikaner musste also seine Todesreihe erwarten, wie die beiden ersten afrikanischen Opfer, Se2o2e und Amet4wobla „um Gottes Willen“ gestorben waren. Im Gegensatz zu der christlichen Religion untersuchte der Priester der traditionellen Religion zumindest die Ursache des Todes, um die Verantwortungen zu bestimmen (Spieth 1911: 233). So war Pastor Timotheo Kofi Amet4wobla Opfer der christlichen Religion geworden. Pastors Timotheo Kofi Amet4wobla lernte das Christentum in seiner Kindheit durch seine Mutter und seinen Onkel kennen und kam nach Deutschland. Aber er wusste nicht, dass seine Verpflichtung für die Missionsarbeit zu seinem frühzeiti-
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gen Tode führen würde. Wenn er das gewusst hätte, hätte er wie andere Kollegen den Missionsdienst aufgegeben, um anderswo bzw. bei der Kolonialregierung dort zu arbeiten, wo die Umgebung seinem Gesundheitszustand günstig war. Sein Streben nach Glück in der christlichen europäischen Kultur führte zu seinem Unglück. Er hinterließ eine Familie mit neun Kindern. Seine Frau Martha heiratete etwa ein Jahr später den Pastor Robert Kwami, und brachte die Kinder mit in eine neue Ehe.
4.17 BIOGRAFIE VON BENYAMIN ONIPAYEDE 4.17.1 Kindheit, Name und Schulbesuch Benyamin Onipayede – oder Onyipayede – wurde am 2. April 1874 in Waya geboren. Sein Vater Aaron Komla Onipayede57, der als Katechist in der dortigen Missionsstation arbeitete, kam nicht ursprünglich aus dem Ewe-Land, sondern er war in Klopang (im Norden der Goldküste) geboren worden, und trug einen Asanti Namen. Onipayede heißt in Twi „Der Mensch ist süß“ oder „gut“ (Onipa = Mensch). Aaron Onipayede Komla wurde von einem Missionar freigekauft und ins Ewe-Land gebracht und wurde seit seiner Kindheit zum Diener der NMG (Merz 1875: 5–6). Benyamins Mutter Anna K4menawoe war auch von der Mission freigekauft worden. Drei Tage nach der Geburt von Benyamin starb sein Vater Aaron. Am 19. April wurde der Neugeborene von Missionar Merz in Waya auf den Namen Benyamin getauft. Er lebte drei Jahre lang mit seinen beiden älteren Schwestern, Salome und Wilhelmina, und seiner Mutter zusammen, bis die Mutter den Lehrer Stefano Kwami58 heiratete und mit ihren Kindern zu ihm zog (Waya-Chronik 1856–1881. 4. August 1876 (7,1025–27/5); vgl. Stephen Quami an Vorstand. Anyako, September 15th, 1876. (7,1025–8/4). Benyamin wurde als Kind von seiner Mutter und seinem Stiefvater auf der Missionsstation Anyako christlich erzogen. Dafür drückte er dem Gott der Christen und der NMG seine Dankbarkeit aus, als er seine Abschiedsrede in Bremen hielt: „Zuerst danke ich Gott unserem HERRN, der durch seine Gnade auch mich erwählt, mir in der Kindheit schon seinen Heilsweg gezeigt, mich hierher gebracht und mir treulich die ganze Zeit hindurch beigestanden hat. […] So wende ich mich nun zu den lieben Freunden und Freundinnen der Gesellschaft, die sich die Aufgabe stellte, draußen in unserem Evhelande Seelen aus dem Schlaf des Todes aufzuwecken und zum ewigen Licht Christo unseren HERRN zu führen und sage Ihnen allen meinen, meiner lieben Eltern und meines Volkes herzlichen Dank dafür, dass sie, trotz vielen Schwierigkeiten, die Sie auf unserem Arbeitsfeld gefunden haben und leider noch finden, doch im Namen Gottes die Arbeit fortsetzen.“ Faszikel Benjamin Onipayede (7,1025–29/5) 57 Siehe die ausführliche Biografie von Aaron Komla Onipayede in Merz (1857) und Alsheimer (2007). 58 Stefano Kwami (oder Stephen Quami) war der Vater von Robert Kwami, der 1894-1897 in Deutschland ausgebildet und 1911 zum Pastor ordiniert worden war.
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In der Missionsschule von Anyako ging seine christliche Erziehung weiter. Seit August 1887 besuchte er die Mittelschule in Keta und wurde von dem Missionsvorstand als einer der Begabtesten in seiner Klasse betrachtet. Deswegen schickte ihn der Missionsvorstand im März 1890 zur Ausbildung nach Deutschland (Spieth. Notizen über die nach Europa zu sendenden Eve-Jünglinge (7,1025– 29/6). Benyamin Onipayede war wegen der Herkunft seines Vaters kein gebürtiger Ewe. Er selbst wurde in Waya geboren, besuchte die Schule in Anyako und in Keta, drei unterschiedlichen Ewe-Städten, wo er unter den Ewe lebte. Er trug auch keinen Ewe-Namen außer seinem Taufnamen. Aber sein Name Benyamin wurde in zwei unterschiedlichen Formen geschrieben, nämlich Benjamin in der deutschen Schriftart - meistens von den deutschen Missionaren - und Benyamin in der Englischen - meistens von ihm selbst und seinen ‚afrikanischen’ Kollegen. Die beiden verschiedenen Rechtschreibungen bezeichneten seinen Umgang mit mehreren Kulturen. 1990–1994 erhielt Benyamin Onipayede eine Weiterbildung in Deutschland, wo er zu der Zufriedenheit des Missionsvorstandes studierte. Dort entstand sein Eifer bzw. seine Leidenschaft für das Christentum.
4.17.2 Benyamin Onipayede und seine Vorstellung von der Missionsarbeit In Deutschland machte Benyamin Onipayede neue Erfahrungen, die seine Vorstellungen zu seinem afrikanischen Volk änderten. Er fungierte als afrikanischer erweckter Missionsmitarbeiter und verpflichtete sich, seinen Landsleuten das Evangelium zu verkündigen: „So wende ich mich nun zu den lieben Freunden und Freundinnen der Gesellschaft, die sich die Aufgabe stellte, draußen in unserem Evhelande Seele aus dem Schlaf des Todes aufzuwecken und zum ewigen Licht Christo unseren HERRN zu führen und sage Ihnen allen meinen, meiner lieben Eltern und meines Volkes herzlichen Dank dafür, dass sie, trotz vielen Schwierigkeiten, die Sie auf unserem Arbeitsfeld gefunden haben und leider noch finden, doch im Namen Gottes die Arbeit fortsetzen. […] Wir beide [Samuel Quist und B. Onipayede] freuen uns deshalb von Herzen, dass wir durch Gottes Güte und Barmherzigkeit so weit sind, um wieder in die liebe Heimath zurückzukehren und auch mitzuhelfen zur Verbreitung des Reiches Gottes.“ Faszikel Benyamin Onipayede (7,1025–29/5)
Er entdeckte seine Zugehörigkeit zum Ewe-Volk und fühlte sich als Vertreter des Ewe-Volkes in Deutschland. Seine Erfahrungen über das deutsche Volk verknüpfte er mit seiner Zugehörigkeit zu dem Ewe-Volk, dessen Gebiet er für seine „Heimat“ hielt. Wie war Benyamin Onipayede auf den Begriff „Heimat“ gekommen? Er war in Waya, im Inneren, geboren, lebte aber auch in Anyako und Keta, an der Küste, wo er die Schule besuchte. In diesen verschiedenen Orten wurde Ewe gesprochen. Sein Leben in der Fremde brachte ihn auf die Idee, dass er zu einem Volk gehörte. Er fühlte sich nicht in einem Dorf zu Hause, sondern überall dort, wo die Ewe-Sprache gesprochen wird. Er, dessen Vater kein Ewe war, fühlte sich nun mehr als Ewe als jemand, der wirklich in einem Ewe-Dorf geboren ist.
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Benyamin Onipayede stellte sich ein Land vor, in dem die Menschen dieselbe Sprache sprechen und ein gemeinsames Eigentum haben, die christliche Religion. Darauf fußt sein Heimatgefühl und nicht auf Geburt und lange Eingewöhnung (Hinke 1990:574). Diese Verpflichtung zum Land der Ewe-Sprachigen brachte ihn zu der Verpflichtung, das Christentum unter ihnen zu verbreiten. Ja, er sah seine Missionspflicht sogar als „heiligen Krieg“. Er stellte sich ferner sein EweLand wie ein christliches erwähltes Volk unter den heidnischen Nachbarnvölkern vor: „Die Mission ist ein heiliger Krieg. […] nicht wie jene Tyrannen im Osten und Westen unseres Landes dieselben führen, um die Gefangenen zum Tode zu verurtheilen oder in die Sklaverei zu verkaufen. Nein, es ist ein heiliger Krieg, der von solchen geführt wird, die sich, durch das Blut des Lammes gereinigt und unter den Panier Christi, der der König aller Könige ist, frisch und munter über Land und Meer ziehen, um die beklagenswerthen anderer Welttheile mit dem Schwert des Geistes von dem Todfeind, dem Teufel und der Sünde zu befreien.“ Faszikel Benyamin Onipayede (7,1025–29/5)
Östlich des Ewe-Landes lag das Dahomey-Reich, wo nicht nur die traditionelle Religion herrschte, sondern der Sklavenhandel üblich war. Westlich des EweLandes lebten die Akwamu und die Asante. Die letzteren hatten 1869 einen heftigen Krieg gegen die Ewe-Stämme geführt und viele Ewe aus ihren Dörfern vertrieben. Manche Ewe waren beim Krieg gefangen und im Asante-Reich versklavt worden (Lebensgeschichten von Afrikanern (7,1025–30/1). Im Gegensatz zu den beiden Nachbarnvölkern wollte Benyamin mit seinem heiligen Krieg sein EweVolk zu einem erlesenen Volk machen, wie Israel im Alten Testament. Dieses Ewe-Volk stand also im Mittelpunkt seines Eifers für das Christentum. Er lobte die frühere Arbeit der NMG und verstand sich – neben anderen Afrikanern – als erweckter Nachfolger der europäischen Missionare, dem die Missionspflicht übergeben wurde, damit er sie weiter erfüllen und vollenden sollte: „Liebe Freunde, beten Sie für uns und unser Volk; für uns damit das alles, was Sie, nächts Gott, an uns gethan haben draußen schon und auch hier 3 ½ Jahre lang nicht vergeblich gewesen sei. Beten Sie mit uns, damit wir denen, durch unseren Aufenthalt hier viel gegeben würden, recht treue Demüthige Arbeiter werden in Weinbergen unseres HERRN; GOTT und unserem Volk dienen aus Dankbarkeit, damit der HERR uns unserem Volk zum Segen setze. Das hoffen wir alle zu Gott. Beten Sie aber auch für unser Volk, besonders für unsere Christengemeinde, dass die Christen vorwärts gehen und nicht rückwärts, dass sie von Jahr zu Jahr wachsen in der Erkenntnis unseres Herrn und endlich dass sie auch mithelfen möchten zur Bekehrung anderer Brüder, die noch in der Finsternis des Heidentums sind, dass sie zum Licht kommen.“ (Faszikel Benyamin Onipayede (7,1025–29/5)
Diese Pflicht definierte Benyamin Onipayede deutlich als die nächste Etappe des christlich-europäischen Akkulturations-Prozesses, den die einheimischen Missionsmitarbeiter selbst übernehmen würden: „Die Kindheit ist vorbei, nun kommt das Jünglingsalter, welches mehr von [uns]verlangt. Deshalb kann leider die Mission nicht alle Wünsche der suchenden Seelen erfüllen, weil die Arbeiter sehr wenige sind für das jetzige Gebiet.“ Faszikel Benyamin Onipayede (7,1025– 29/5)
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Diese Missionspflicht übernahm der christlich ausgebildete Benyamin Onipayede kurz vor seiner Rückkehr 1894 nach Afrika. Er konnte leider sein Ziel nicht erreichen. Er verunglückte vier Jahre nach seiner Anstellung in den Dienst der NMG tödlich.
Abb. 33. Benyamin. Onipayede (rechts) und sein Kollege Samuel Quist im Missionsdienstanzug; ca. 1895–1898 (7,1025– Fotos 3561)
4.17.3 Benyamin Onipayedes tödlicher Unfall Benyamin Onipayede kehrte in seine Heimat im Jahre 1894 zurück. Er wurde auf die Missionsstation Ho im Inneren eingesetzt, wo er als Lehrer und Prediger tätig war. Später wurde er nach Keta versetzt, wo er in der Mittelschule unterrichtete. Er arbeitete zur Zufriedenheit der Missionare, die ihn sehr schätzten. Missionar Härtter schreibt über ihn nach seinem Tod: „So ist denn unser lieber treuer Gehülfe, Freund und Bruder Benjamin Onipayede nicht mehr unter uns. Die Lücke aber, die er hinterlassen hat, scheint mir zu groß, als dass sie je einmal ganz könnte ausgefüllt werden. Am meisten und schwersten ist mit diesem Unglücksfall die Mittelschule betroffen. Ich glaube kaum, dass ich je einmal wieder einen so treuen, willigen, demütigen und begabten Lehrer erhalte. All die Jahre, die ich mit ihm zusammengearbeitet habe, habe ich ihn nie mürrisch oder unzufrieden gesehen, und da er ein äußerst ruhiger Mensch war, hat er sich durch nichts aus dem Gleichgewicht bringen lassen. Aber was noch mehr wert ist, als alle diese irdischen Vorzüge, ist, dass er ein herzensfrommer, junger Man war, dem nicht nur seine Schüler, sondern sein ganzes Volk am Herzen lag“ Härtter. Keta, den 1. November 1898 (7,1025–19/5).
Benyamin Onipayede machte von Keta aus gelegentliche Predigtreisen in die Außenstationen und nach Anyako. In seiner Freizeit ging Benyamin sehr gerne auf die Jagd. Er hatte eine Flinte entliehen, die er in den Ferien mitnahm, um mit an-
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deren Leuten Antilopen zu jagen. Aber die Flinte war defekt und konnte nicht ordentlich schließen. Als er sich auf eine Predigtreise nach Anyako vorbereitete und sein Kollege Kristian Sena6e ihm beim Einpacken half, entschied er sich, die Flinte mitzunehmen. Bei den Reisevorbereitungen wurde er versehentlich von Kr. Sena6e erschossen: „[…]die ganze Schrotladung ging Benjamin in den rechten Oberschenkel, und zwar fast ganz oben in der Leistengegend. […] Da sah ich meinen Benjamin blaß und jämmerlich aussehend mit verschränkten Armen an seinem Bette lehnen. Der Zimmerboden war bereits zu einem großen Teil mit hellrotem Blut überschwemmt. Das Schlimmste ahnend, ließ ich ihn sofort nach dem Spital schaffen und lief selbst nach dem englischen Arzt. Aber der Blutverlust war bereits zu groß und die Wunde zu tief und gefährlich, als dass man viel Hoffnung auf Erhaltung seines Lebens hätte haben können, um so mehr als ein Unterbinden an dieser Stelle nicht gut möglich war.“ Härtter. Keta, den 1. November 1898 (7,1025–19/5).
Onipayedes Unfall war nicht einmalig, denn solche Unfälle mit Flinten passierten oft auf den Missionsstationen. Ebenso bei einheimischen Festen oder Beerdigungen mit Flintenschüssen wurden Menschen unabsichtlich umgebracht (Binder 1900: 13). So starb Benyamin Onipayede im Alter von 24 Jahren, ohne seinen Traum vom heiligen Krieg gegen das „heidnische“ Ewe-Volk verwirklicht zu haben. Seine Heirat mit Henriette Ali5odzi, der hoch geschätzten Tochter des Seminarlehrers Christian Ali5odzi Se2o2e konnte er auch nicht in die Tat umsetzen: „[…]Auch waren die Kleider bereits für die vorstehende Hochzeit bestellt. Wir alle freuten uns über diese Heirat; denn es war zu hoffen, dass durch diese Verbindung vieles zur Aufklärung der unordentlichen Eheverhältnisse, wie sie hier vorherrschen, geschehen könnte.“ Härtter. Keta, den 1. November 1898 (7,1025–19/5)
Abb. 34. Lehrer Benyamin Onipayede im christlich europäischen Anzug, Keta ca. 1895 (7,1025– Fotos 4269)
In der Tat bereitete sich Benyamin auf eine feierliche christlich-europäische Hochzeit mit seiner Braut, wie die Aussage des Missionars zeigte. Darüber hinaus verursachte Benyamins Tod viele rechtliche Verwicklungen. Die Verwandten
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Benyamins hielten den Täter Sena6e nicht für unschuldig. Aber er unterwarf sich nicht der traditionellen Gerichtsbarkeit, sondern wurde vor ein englisches Gericht gestellt und vernommen. Dank des Zeugnisses des Arztes, der den verunglückten Benyamin untersucht hatte, wurde Sena6e freigesprochen: „Ein Glück für Sena6e war, dass Benjamin den Verlauf des Unglücks noch selbst erzählen konnte. Dem Arzt sagte er noch vor seinem Sterben, dass sie beide sehr gut bekannt gewesen seien, und dass Sena6e keinerlei Schuld an dem Unglück beizumessen sei. So starb er und war auch im Tod noch auf die Rettung seines Freundes bedacht. Dieses Zeugnis hatte zur Folge, dass die Sache vor dem englischen Gericht als ‚accident’ angesehen und Sena6e freigesprochen wurde.“ Härtter. Keta, den 1. November 1898 (7,1025–19/5).
Bei der Verhandlung der Sache Benyamin war es bemerkenswert, dass die einheimischen Zeugen, seien sie Christen oder ausgeschlossene Christen oder noch so genannte Heiden, auf die Bibel der Christen schworen. Hierzu die Beobachtung von Missionar Härtter: „[…] die Geschworenen, wie z. B. Akolatse, Y. Oklu u. a. [mussten] die Bibel küssen und auf sie schwören, ehe sie die Leiche im Augenschein nahmen, während doch alle Geschworene bis auf D. Kwami, entweder noch Heiden, oder der Vielweiberei wegen aus der Gemeinde ausgeschlossen sind.“ Härtter. Keta, den 1. November 1898 (7,1025–19/5).
So verursachte der Tod Benyamins die Übernahme des europäischen Rechtes und des christlichen Glaubens von afrikanischen „Heiden“. Nach europäischem Recht wurde der Fall beurteilt. Der Eid auf die Bibel sollte die Aufrichtigkeit oder Ehrlichkeit der Zeugen garantieren. Europäisches Recht und damit verbunden christliches Ritual wurden von Afrikanern vollzogen. Ein Christ im Umkreis der Mission starb. Die Missionare hielten das für Gottes Willen. Das englische Gericht behandelte den Fall und vernahm als Zeugen die dem traditionellen Recht verhafteten Afrikaner. Das Leben Benyamin Onipayedes war kurz, aber es zeigte viele spannende kulturelle Bewegungen in einem Raum, wo Benyamin verschiedene kulturelle Vorstellungen kennen lernte. Sein Aufenthalt in Deutschland befestigte seine transkulturelle Vorstellung von Heimat, die er in Westafrika umsetzen wollte. Sogar sein Tod erzeugte eine transkulturelle Gerichtsform, die unter dem christlichen Symbol und als europäischer Kulturprozess im afrikanischen dritten Raum vollzogen wurden. Benyamin Onipayede hinterließ im Gesangbuch der EweKirche 16 von 481 Kirchenliedern (Hadzigbal8 na Eυe-Kristo-Hame 1939). 4.18 BIOGRAFIE VON ROBERT STEPHAN KWAMI 4.18.1 Kindheit und Namengebung. Die Geschichte von Robert Stephan Kwami im Dienst der NMG setzt der Geschichte des Knechts mit der seines Herrn gleich. Robert Kwamis Eltern waren
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von der NMG losgekauft und in ihren Dienst angestellt worden. Hierzu sein Vater Stefano Kwami: „Einst war ich bei meinem Vater und meiner Mutter im Lande Krutsch. Der Name meines Vaters ist Batuel, der meiner Mutter Hudapia. Einmal brach ein Krieg aus. Die Mohammedaner raubten mich und brachten mich in ihre Stadt. Den Namen derselben habe ich vergessen. Nach vier Tagen verkauften sie mich an einen Mann. Der führte mich weit weg und verkaufte mich an einen Anglo-Mann [Mann aus dem A`l4-Stamm]. Dieser brachte mich nach Atiavi. Da blieb ich 14 Tage. Dann verkaufte der mich an die Knechte Gottes in Anyako. Hier bin ich nun seit drei Jahren. Seit meiner Taufe bin ich Christ und heiße Stefano.“ Wiegräbe (1948): 5.
Die Eltern von Stefano Kwami lebten, Sebald zufolge, in Grussi, einer Ortschaft der Volksgruppe Tschokossi am Oberlauf des weißen Voltas an der Nordgrenze des heutigen Ghana. Dort sei Stefano wahrscheinlich um 1850 geboren worden (Sebald 1987: 2). Er war etwa 10 Jahre, als er zum Sklaven gemacht wurde. Bezüglich seiner Herkunft war er kein Ewe. Wie kam es denn aber, dass er den EweNamen Kwami trug? Stefano Kwami gab sowohl seine Herkunft als auch die Namen seiner Eltern an. Er hatte also wahrscheinlich seinen Eigennamen aus seinem Stamm mit Absicht nicht angegeben. Vermutlich wusste er, dass auch er – wie überall Sitte – nach seiner Geburt an einem bestimmten Wochentag benannt worden war. Er wusste wahrscheinlich, dass er am Sonnabend geboren wurde, und nannte sich deswegen Kwami, um seinen Tschokossi-Namen an die Ewe-Kultur anzupassen. Die Namen Stefano und Kwami werden in verschiedenen Weisen geschrieben. Manchmal schreibt man Stephen oder Stephan, damit der Name zu der christlicheuropäischen Kultur passte, und manchmal schreibt man Stefano, damit der Name in Ewe leichter ausgesprochen werden kann. Den Ewe-Namen Kwami schreibt man manchmal Quami, obwohl das Ewe-Alphabet kein „Q“ hat. Als Stefano Kwami später als Lehrer im Dienst der NMG war, heiratete er Anna K4menawoe, die frühere Frau des verstorbenen Ewe-Katechisten Aaron Onipayede. Die Eheleute hatten einen gemeinsamen Sohn, der am 24. November 1879 in Anyako geboren und am 7. Dezember desselben Jahres mit dem Namen Robert Stephen getauft wurde (Stephen Quami an Vorstand. Anyako, 15th January 1880 (7,1025–8/4). Er hieß also Robert Stephen Kwami. Er trug nun den ehemaligen Eigenamen seines Vaters Kwami als Nachnamen und dessen Taufnamen Stephan neben dem neuen christlichen Namen Robert. Robert Stephan Kwami lebte bei seinen Eltern auf der Missionsstation und wurde christlich erzogen. 1888–1894 besuchte er die Missionsschule in Ho und die Mittelschule in Keta. Er wurde anschließend nach Deutschland geschickt, wo er zusammen mit seinen beiden Ewe-Schulkameraden Elia Awuma und Ludwig Medenu eine Missionsausbildung erhielt. In Deutschland erhielt er sowohl fachliche als auch biblische Ausbildung. Während seiner biblischen Ausbildung hatte er oft Kontakt zu pietistischen Kreisen in Württemberg, die sein „Christenthum“ prägten. 1897 endete seine Ausbildung in Deutschland. Bevor Robert Kwami nach Afrika zurückkam, verpflichtete er sich, sich in den Dienst der NMG zu stellen. Es schien ihm selbstverständlich, denn:
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„[…] Ich gehöre denen, die der Mission alles zu verdanken haben. Meine Eltern wurden in ihrer Kindheit von der Mission aus Sklaverei befreit und bald darauf getauft. Gerettet sein gibt Rettersinn. Mein Vater hat sich dem Herrn übergeben und sein Leben lang für ihn gearbeitet, und sein Wunsch war, dass auch seine Söhne dasselbe tun sollten.“ Wiegräbe (1948): 7.
So trat Robert Kwami in den Dienst der NMG und versuchte, seine Pflicht zu erfüllen.
4.18.2 Robert Kwami im Missionsdienst Robert Kwami kam im November 1897 nach Deutsch-Togo zurück und wurde vom Missionsvorstand als Lehrer und Evangelist in die Elementar- und Mittelschule von Amedz45e eingesetzt. Drei Jahre später wurde er nach Ho versetzt, wo seine Eltern lebten. Im Jahre 1902 wurde er in die zu Amedz45e gehörende Außenstation Y4 versetzt. 1909 wurde Robert Kwami erneut nach Amedz45e versetzt, wo er im November 1911 durch Missionar Däuble zum Pastor ordiniert wurde. Er unterrichtete am Seminar von Amedz45e und ihm wurde die Oberaufsicht über mehrere Außenstationen von Amedz45e übergeben (Altena 2003: CDRom: 396). 1917 übernahm er die Betreuung der Station Amedz45e nach der Evakuierung des Missionars Schröder. Wegen seines Engagements und seine Leidenschaft für den Missionsdienst reiste er 1932 auf Einladung des Missionsvorstandes zum zweiten Mal als Predigtreisender nach Deutschland. Robert Kwami wurde überall, wo er in seiner Missionsarbeit auftrat, hoch geschätzt und genoss großes Vertrauen im Missionskreis: „Kwami wurde einer der tüchtigsten Lehrer in dem damals schnell aufblühenden Togo. Graf Zech, der deutsche Gouverneur sagte bei einer Prüfung, Kwamis Schule sei die beste, die er je gesehen habe. Auch Missionsinspektor Schlunk erzählte noch viele Jahre nach seiner Afrika-Reise, mit welcher Leichtigkeit und Geschicklichkeit sich Kwami habe umstellen können, als er einmal unvorbereitet aufgefordert wurde, statt den Verlauf des Dreißigjährigen Krieges nur dessen Veranlassung zu behandeln. Kwami lebte in dem, was er lehrte.“ Wiegräbe (1948): 8.
Die Tüchtigkeit und Kompetenz Robert Kwamis lagen auch daran, dass er sprachbegabt bekannt war. Seine auf Deutsch geschriebenen fehlerfreien Jahresberichte gaben Anlass, ihn mit Deutschgeborenen zu vergleichen: „Viele Deutsche gibt es, die ihre Muttersprache nicht so beherrschen wie dieser Afrikaner die deutsche Sprache!“ (Monats-Blatt der NMG, November 1930: 273).
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Abb. 35. Pastor Robert Kwami im Dienstanzug, Amedz4 5e 1931 (7,1025– Fotos 1947)
In der Tat schien Robert Kwami, die Missionsarbeit nicht als ein Amt, sondern als eine Verpflichtung gegenüber der NMG und dem christlichen Gott zu verstehen. Deswegen tat er seine Arbeit, nach der Meinung seiner deutschen Vorgesetzten, mit großem Geschick und unerschütterlicher Treue (Wiegräbe 1948: 13). Diese Leidenschaft für die Missionsarbeit liegt nicht nur an seiner Vergangenheit als Missionskind, sondern er wurde auch in seinem Glauben durch den Kontakt zur schwäbischen Erweckungsbewegung gestärkt, als er in Deutschland war. Diese Bewegung prägte ihn so sehr, dass er sich bereits im Alter von 22 Jahren als ein Jünger Christi verstand: „Es ist mein Ernst, ein tapferer Soldat Jesu zu sein. Zwar bin ich noch jung und unerfahren, aber wenn ich mich nicht von dem trennen lasse, der seinen Kriegern zuruft: „Ich bin bei Euch alle Tage, bis an der Weltende Welt Ende“, so wird meine Arbeit gewiss nicht vergeblich.“ Robert Kwami an Inspektor. Amedz45e , den 27. November 1897 (7,1025 – 6/4)
Wie konfrontierte Robert Kwami seinen Eifer für das Christentum mit seiner traditionellen Kultur?
4.18.3 Robert Kwamis christlicher Glauben vs. die traditionelle Kultur Schon als junger Lehrer schien Robert Kwami das zu haben, was er selbst „Missionsgeist“ nannte (Wiegräbe 1948: 10). Er wollte das Reich Christi überall ausbreiten. Sein erstes Ziel war somit, den so genannten Gottheiten der Nicht-Christen die Stirn zu bieten. Er provozierte sie: „Einmal ging er darin freilich zu weit, damals als er nämlich einfach mit seiner Flinte zwischen die heiligen Fledermäuse schoss, die in den Zweigen eines großen Baums hingen. Das hatte einen bösen Krach mit den erbosten Dorfleuten gegeben, den der Missionar nur mit
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Mühe schlichten konnte. Der junge Lehrer hatte erklärt, wenn die Fledermäuse wirklich Götter wären, dann sollten sie es doch an ihm zeigen!“ Wiegräbe (1948): 10
Die traditionelle Religion oder das so genannte Heidentum vertrat für Kwami das Reich der Finsternis und des Teufels und war eine starke Macht, die gegen das Christentum in mehreren Weisen kämpfte. Für Robert Kwami war zum Beispiel das Heidentum verantwortlich für den Mangel an Liebe und für die Ausnutzung der Frauen im traditionellen Familienleben, denn: „Das Heidentum weiß nichts von einem Familienleben, in dem die Liebe herrscht, darum haben die Heiden auch keine Freude und keinen Frieden in ihren Häusern. Auch bei uns Eweern ist es damit übel gestellt, denn wir halten die Frauen für unsere Diener. […] Soll unser Volk vorwärts kommen, dann muss das Familienleben nach den Ordnungen des Christentums geführt werden.“ Wiegräbe (1948): 37.
Was verstand Robert Kwami unter Liebe und was meinte er mit „wir halten die Frauen für unsere Diener“ in der Ewe-Gesellschaft? Benahm er sich den Frauen gegenüber anders, weil er Christ war? 1902 heiratete Robert Kwami zum ersten Mal Bertha Tumdie. Die Ehe dauerte 20 Jahre und daraus entstanden neun Kinder (Wiegräbe 1948: 8). Nach dem Tod Berthas verheiratete sich Robert Kwami mit Martha, der Witwe des 1897–1900 in Deutschland ausgebildeten und 1921 verstorbenen Pastors Timotheo Kofi Amet4wobla. Martha hatte früher mit Amet4wobla neun Kinder, die sie mit in die neue Ehe brachte. Dazu bekam das neue Ehepaar ein eigenes Kind. Für 19 Kinder insgesamt musste Robert Kwami nun verantwortlich sein.
Abb. 36. Robert Kwami mit Braut Bertha, 1902 (7,1025– Fotos 3344).
Außerdem war Robert Kwami verantwortlich für die Leitung der Hauptstation Amedz45e mit ihren Außenstationen. Konnte er seine Pflicht als Vater in der Fa-
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milie leicht erfüllen? Es war selbstverständlich, dass Robert Kwami wenig Zeit für seine große Familie hatte und die große Verantwortung seiner Frau Martha auflud. Er konnte nicht mit allen Kindern aufmerksam umgehen. Ähnliche Situationen schien er in den heidnischen Familien zu verurteilen, die in der Vielehe mit vielen Kindern lebten, wenn er meinte, dass die Heiden keine Freude und keinen Frieden und mehr noch keine Liebe in ihren Häusern hatten. Konnte er eigentlich aufmerksamer seinen Kindern und seiner Frau gegenüber sein als der so genannte heidnische Vater, der in der Vielehe lebte aber sich nur um seine heidnische Familie von vielen Kindern kümmerte? Kwamis Familie glich eigentlich der traditionellen afrikanischen Familie, außer dass er in der Einehe lebte, die von der christlichen Ordnung gefordert war. Er nahm also die traditionelle Familienstruktur und gab ihr eine christliche Bedeutung. Darüber hinaus waren seine Kinder nicht bestens erzogen. Manche begingen Sünden genauso wie Kinder aus so genannten heidnischen Familien. Aber wegen seiner entscheidenden Rolle in der Missionsarbeit hatte der Missionsvorstand Verständnis für seine Unzulänglichkeit im Familienleben: „Dass es bei einer solch großen Kinderschar auch nicht an Enttäuschungen fehlte, ist selbstverständlich.“ (Wiegräbe 1948: 41). Kwami versteckte sich in Notfallen eher hinter seinem christlichen Glauben und suchte Trost bei dem christlichen Gott: „Als eine seiner Töchter ihm Not gemacht hatte, schrieb er: „Wie traurig wir darüber sind, brauche ich nicht zu schildern. Ich habe viel geweint und war halbkrank. Die Sache liegt auf mir wie eine schwere Last, und nur einer kann sie abwälzen, der Sünderheiland Jesus Christus. Möge er sich des verirrten Schäfleins annehmen. […] Bald darauf brachte ihm ein Sohn schweres Leid. Kwami schrieb: „der Herr führt mich tief hinab in diesen Tagen, und dunkel ist mein Weg. Aber mein Trost ist, dass er den Weg weiß, und das ist genug für mich. Ich werde ihm danken, dass er mich gedemütigt hat. Wenn er einen demütigt, so macht er ihn groß. Ich möchte nicht groß werden. recht klein will ich bleiben. Aber, näher zu ihm!“ Wiegräbe (1948): 41f.
Das Familienleben mit 19 Kindern war für Robert Kwami umso schwieriger, als sein Gesundheitszustand nicht bestens war. In der Tat war Robert Kwami schon seit langem krank. Deswegen ließ er sich in Orte versetzen, die nicht weit von Ho entfernt waren, wo seine Eltern lebten. Als seine Eltern bemerkten, dass er das kühle Wetter in dem hochgelegenen Amedz45e, wo er tätig war, nicht vertrug, unterstützten sie seinen Antrag auf Versetzung. Er litt, wie sein Vater Stefano Kwami selbst, unter Augen- und Zahnkrankheiten. Die Eltern schrieben dem Missionsvorstand einen Brief: „Da er aber seit zwei Jahren von Augen- und Zahnschmerzen geplagt wird, so bitten wir um seine Versetzung in die Ebene, wo es wärmer ist. Die raue Luft droben in Amedz45e wird ihm je länger je mehr schaden; denn es ist bekannt, dass er ‚adusi’ die Kälte nicht vertragen kann. Wir hoffen, dass man unsere Bitte nicht abschlagen wird; denn wenn Robert gesund ist, dann wird er auch mehr und länger arbeiten können.“ Stefano Kwami & Anna Kwami an Vorstand. Ho, den 22. November 1900 (7,1025–5/3).
Nichtsdestotrotz hatte Robert Kwami die meiste Zeit auf der Missionsstation Amedz45e gearbeitet, wo er seine Kinder erzog. Er war dort erstmal von 1897 bis 1900 und dann von 1909 bis 1945 zu seinem Tode. Er war kränklich und hatte im
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Missionsdienst viel zu tun. Wenn nur er weniger Kinder gehabt hätte, hätte er vermutlich weniger Schwierigkeit mit seinem Missionsdienst und mit seinem Gesundheitszustand. Sein christliches Leben brachte ihn also nicht ganz von der traditionellen Vorstellung ab, denn nach beiden Anschauungen waren Kinder mehr ein Reichtum als eine Last. Kinder waren in der traditionellen Ewe-Gesellschaft eine Arbeitskraft bei Feldarbeiten, während sie von der christlichen Perspektive als „Segen“ gesehen waren. Ihre große Anzahl in der Familie gab dem Vater auch eine gewisse Würde oder ein Prestige der Gesellschaft gegenüber. Dieses Ansehen genoss Kwami auch neben seinem christlichen Status. Außerdem verleugnete Robert Kwami die Macht der traditionellen Religion. Er berichtete über das Beispiel des „Oberfetischpriesters“ Tsogbegã aus dem Dorf Y4, der die Christen verhöhnte, weil der christliche Gott sie jung sterben ließ, während seine traditionelle Gottheit ihn bislang vor dem Tod schützte. Tsogbegã starb kurz vor der Beerdigung des jungen Christen, wegen dessen Todes das Christentum gespottet worden war. Diese Tatsache deutete Robert Kwami zusammen mit einigen Landsleuten als die Macht Gottes gegen den Feind der Christen: „[…] Aber irre dich nicht, Gott lässt seiner nicht spotten! Noch vor der Beerdigung des Christen (am 13.), fühlte sich Tsogbegã nicht wohl, von Stunde zu Stunde ging es schlimmer mit ihm und am Nachmittag des anderen Tages, also innerhalb 22 Stunden, war der kräftige Mensch eine Leiche. Da kam eine große Furcht über die Heiden und der eine sagte dem anderen: „Dahinter steckt etwas, sein Fetisch hat ihn getötet.“ Die Christen aber sagten: „Das ist Gottes Finger!“ […] Ja, das ist der Lohn des Fetischdienstes!“ Robert Kwami an den Missionsdirektor. Y4, den 7. II. 1909 (7,1025–6/4).
Genau wie Robert Kwami die Macht der traditionellen Religion verleugnete, so hatten der Missionsvorstand in Bremen und Missionare in Deutschland später Bedenken über Kwamis christliche Übermacht. 1937 berichtete Kwami dem Vorstand in Deutschland über die Heilung eines Kranken als „ein christliches Wunder.“ Die deutschen Missionare und Pastoren glaubten ihm nicht, „vermutlich da die evangelischen Kirchen im Umgang mit Wundern recht ungeübt sind.“ (Alsheimer 2000: 214). Kwami verhöhnte diesen Zweifel der Europäer genau so wie der traditionelle Priester Tsogbegã gegen den Glauben der einheimischen Christen auftrat. Kwami empörte sich und bezweifelte den christlichen Glauben seiner europäischen Vorgesetzten: „Es ist recht traurig, wenn selbst Theologen nicht glauben, dass heut noch außerordentliche Wunder geschehen. Was lehren und predigen sie denn? Die Missionsarbeit ist nichts anders als Wunder der Gnade Gottes. Gleich nach dem Missionsbefehl „Gehet hin in alle Welt“ heißt es: „in meinem Namen werden sie Teufel austreiben … auf die Kranken werden sie die Hände legen, so wird’s besser mit ihnen werden“. Mark. 16, 15–18. Wer dies nicht glaubt ist kein Christ.“ Robert Kwami an Missionsdirektor Schreiber. Amedz45e, den 18. Mai 1937 (7,1025–32/2)
In seiner Korrespondenz berichtet Kwami darüber, wie der aussätzige Paulo Kpodo wunderlich geheilt wurde:
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„Am 2. Mai war ich in [der Außenstation] Koloenu. Vor dem Gottesdienst kam ein Christ, Paulo Kpodo, zu mir und sagte: „Vor einigen Jahren, als ich krank war, erzähltest du mir von Samuel Buatsi, der durch Gebet geheilt wurde vom Aussatz. Auf dem Missionsfest von Have 1932 sah und hörte ich ihn, wie er Gottes Gnade pries und dies machte tiefen Eindruck auf mich. Zwei Jahre suchte ich Heilung durch verschiedene Arzneien, aber vergebens. Meine Frau glaubte, dass ich sterben würde, und verließ mich. (Ihr erster Mann starb und sie wollte nicht zum zweiten Mal Witwe werden, denn dies gilt bei uns als Fluch.). Ich bat den Herrn, mich gesund zu machen, denn Menschen können mir nicht helfen. Es hat aber sehr lange gedauert – drei volle Jahre! Eine schwere Glaubensprüfung für mich! Aber ich wurde nicht müde. Da geschah das Wunder. Eines Morgens, als ich aufgestanden war, spürte ich keine Schmerzen mehr im Kopf und in den Gliedern. Ich lief, sprang und sah, dass Gott mich gesund gemacht hat! […] Ja, wir haben einen lebendigen Gott, der Gebete erhört und Kranke gesund macht. […]“ Robert Kwami an Missionsdirektor Schreiber. Amedz45e, den 18. Mai 1937 (7,1025–32/2).
Um von seinem Wunder zu überzeugen trotzte Robert den europäischen Missionaren und ironisierte über ihre Glaubenkraft: „Die ungläubigen Kritiker in Europa sollen nur herauskommen und Gottes Wunder sehen – dann müssen sie es glauben. Jesus aber hat gesagt: „Selig sind die, die nicht sehen, aber doch glauben.“ Robert Kwami an Missionsdirektor Schreiber. Amedz45e, den 18. Mai 1937 (7,1025–32/2). Vgl. Alsheimer (2000). In Brückner. Jahrbuch für Volkskunde. 214.
Robert Kwami prangerte weiterhin die so genannten modernen Lebensweisen an, die die Christen verdarben. Er duldete nicht, dass der „moderne“ Tanz europäischer Art von den Christen getanzt wurde. Die „moderne“ afrikanische Tanzmusik „Sanokoko“ hielt er für besonders verderblich, weil sie „Oberflächlichkeit und Fleischeslust“ verursachten. Die Tanzmusik „Sanokoko“ entstand zur Zeit des ersten Weltkriegs und beeinflusste nach Kwamis Vorstellung auch den Glauben der Christen: „[…] Da die Heiden jetzt alles tun, was ihnen gefällt, meinen auch die Christen, es so zu machen. Ihre Pflichten vernachlässigen sie, nehmen aber regen Anteil an heidnischen Freuden und Genüssen. […] Bittet man um Gaben, so haben sie nichts; für weltliche Freude aber haben sie viel. Wie traurig, dass die Leute jetzt anfangen, Sanokoko, diese böse Tanzmusik, einzuführen. […] Kein Wunder, wenn große Sündenfälle vorkommen.“ Robert Kwami. Halbjahresbericht über die Arbeit im Amedz45e-Bezirk. 15. 7. 1919 (7,1025–30/3).
Sanokoko war an der westafrikanischen Küste verbreitet. Es war eine afrikanische Tanzmusik, die mit europäischen und afrikanischen Musikinstrumenten gespielt wurde, und galt als eine neue multikulturelle Musikrichtung, die die Freiheit beförderte und sich aller strengen Sittlichkeit widersetzte. Robert Kwami trat gegen die Lebensweise der neuen Zeit auf, weil er das christliche Leben davon bedroht sah. „Tanz und Spiel das ist jetzt das beliebteste Wort der neuen Zivilisation. Das viele Geld, das in diesem Jahr ins Land gekommen ist, hat die Sache verschlimmert. […] Beim Jubiläum […] waren wir recht traurig, als wir hörten, dass eine gemeine Gesellschaft in der Nacht vor dem Fest tanzen wolle. Wir versuchten vergebens, sie zu verhindern, denn auch die Presbyter dort und viele Lehrer sahen nichts Schlimmes darin. Wirklich störten sie die Gebetstunde und dann auch die Nachtruhe mit ihrem wüsten Treiben. Ist dies die Art und Weise, wie man jetzt in unserer Kirche Gott dankt, dass wir Christen geworden sind?“ Wiegräbe (1948): 23.
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Aber Robert Kwami sah auch, dass traditionelle Kulturelemente dabei halfen, das Christentum im Ewe-Land zu verbreiten. Er freute sich über die Teilnahme von „Heiden“ und dem Häuptling des Ortes an christlichen Festen. Der Häuptling der Außenstation Agate forderte die „Heiden“ auf, die traditionellen Trommeln zu spielen, um der christlichen Festlichkeit Gäste zu beschaffen: „Die Gemeinden in Agate und Gbadzeme haben am 1. und 3. Advent Missionsfeste gefeiert und diese Feste haben es bestätigt: Gott mit uns! An beiden Orten nahmen die Heiden lebhaften Anteil daran. In Agate war es besonders schön. In früher Morgenstunde ertönte von dem auf einem Hügel gelegenen Festplatz der Choral: Lobe den Herrn, O meine Seele! Und bald wurde es lebendig. Der Häuptling ließ seine Trommeln heraufschaffen, um durch sie die benachbarten Dörfer herbeizurufen. Die Trommeln der Heiden im Dienste des Herrn!!“ Robert Kwami. Jahresbericht 1919. Amedz45e, den 5. Februar 1920 (7,1025 – 30/3).
So hatte Robert Kwami nichts gegen die traditionelle Kultur seiner Landsleute, wenn sie zum Vorankommen der Missionsarbeit beitrugen. Es galt nur, dass das Christentum mit allen Mitteln vorwärts kam, auch möglicherweise mit Kulturelementen der traditionellen Religion.
Abb. 37. Empfang des Pastors R. Kwami im weißen Missionsdienstanzug von seiner Europareise in Vane/Aυatime durch Vertreter des Häuptlings Adzatekp4 Magne Gbagbo (7,1025– Fotos 0143)
Auch nicht alle europäischen Lebensweisen waren dem Christentum günstig. Robert Kwami verpönte das sogenannte moderne Leben seiner Landsleute. Er ging auf die Nachteile ein, die mit der „Kulturentwickelung“ verbunden waren. Diese Kulturentwicklung bedrohte nicht nur die christliche Sittlichkeit, sondern sie rui-
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nierte auch traditionelle Werte, die Kwami verteidigte. Er strebte also nach einer globalisierten Welt.
4.18.4 Kwami zwischen der Kolonialentwicklung, der Christianisierung und der traditionellen Kultur Die verschiedenen kulturellen Beziehungen zwischen europäischen Kaufleuten, Kolonialbeamten und Missionaren einerseits und den Afrikanern andererseits verursachten Änderungen in den alltäglichen Lebensweisen. Sie bezogen sich auf die einzelnen Haltungen der Bevölkerung und auf den Einfluss der Europäer auf das soziale Leben der Einheimischen. In einem Vortrag bezeichnete Robert Kwami diesen Vorgang als Kulturentwicklung bzw. als Modernisierung und hob die Vorteile für das Ewe-Land hervor: „Die Weißen haben den Eweern Gutes getan, so muss man freudig ausrufen, wenn man die Vergangenheit mit der Gegenwart unseres Landes vergleicht. Statt der Stammesfehden herrscht Ruhe und Sicherheit im ganzen Land. Wir brauchen nicht mehr vor dem grausamen Nachbarn im Westen zu fürchten, jedermann kann getrost und freudig seinem Beruf nachgehen. Statt der schmalen mit hohem Gras bewachsener Pfade gibt es schöne Strassen, der Reisende kann schnell sein Ziel erreichen, mit dem Wagen, dem Fahrrad, ja sogar mit der Eisenbahn! Nicht nur an der Küste und Europäerstationen, sondern auch tief im Innern findet man große 2stöckige Häuser mit Wellblechbedachung. Viele Kinder lernen in den Schulen, junge Leute bilden sich zu Handwerkern aus; denn man hat gesehen, dass, wer etwas kann, auch leichter durchs Leben kommt.“ Robert Kwami. Amedz45e, den 11. November 1909 (7,1025– 31/3).
Abb. 38. R. Kwami in traditionellem Kleid, eine Bibel in der Hand. Amedz45e (7,1025– Fotos 1946)
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Robert Kwami schilderte die Modernisierung des Ewe-Landes, die aus der Kolonialherrschaft und dem Handel resultierten. Er freute sich, wie der Handel im Land blühte und den Einheimischen bessere Lebensverhältnisse brachte. Er freute sich besonders über die soziale Stabilität im Lande, die es den Ewe ermöglichte, gemeinsam im Frieden zu leben. Durch diese Bemerkungen rief er die schwierige Vergangenheit des Ewe-Volkes zurück, das früher ständige Kriege erlebt hatte. Er bezog sich besonders auf den heftigen Krieg, den 1869 das westliche Nachbarvolk, die Asante gegen die Ewe geführt hatten. Dieser Krieg hatte das Ewe-Land verwüstet. Viele Ewe waren entweder aus ihren Wohnorten geflüchtet oder getötet worden (Lebensgeschichten von Afrikanern (7,1025–30/1)59. Dieser Krieg war der Ausgangpunkt der ständigen Feindseligkeiten zwischen den beiden Völkern. Auch war die Schule nicht nur ein Mittel, Zugang zu dem europäischen Wissen zu haben, sondern sie half den Ewe auch, die christlich-europäische Kultur kennen zu lernen. Robert Kwami geriet außerdem in den Kulturpessimismus. Er fand, dass diese Modernisierung, „wie jedes Ding, ihre zwei Seiten hat“. Sie erzeugte im EweLand die „Faulheit bei der Jugend, die Zunahme der Unzucht und der Trunksucht“ (R. Kwami. Amedz45e, den 11. November 1909 (7,1025–31/3). Robert Kwami beschrieb die neue Lebensart der jungen Ewe, die von der Äußerlichkeit der europäischen Kultur angezogen wurden und in die Küstenstädte zogen, um europäische Berufe auszuüben oder Dienst bei Europäern zu leisten. Es gelang den meisten nicht. Sie kehrten „nach Monaten oder Jahren krank und arm heim“. Von der christlichen Perspektive ausgehend verurteilte Robert Kwami die europäische Kultur, die die Jugend und besonders die Frauen verdarb und sie zu allerlei Unzucht führte. Er bereute den Verlust der traditionellen Werte im Bezug auf die Ehe, die er als vorbildlich betrachtete: „[…] In früherer Zeit durfte sie [die Unzucht] bei jungen Leuten nicht vorkommen, wer sich ihr ergab, wurde einfach verkauft. Jeder Jüngling musste ein gewisses Alter erreichen, ehe er heiraten durfte. […] Ein Mädchen, das vor ihrer Heimführung schwanger wurde, machte sich zum Gegenstand allgemeinen Spottes und verlor für immer ihr Ansehen. Es war daher hohe Aufgabe mancher heidnischen Mütter, dafür Sorge zu tragen, dass ihre Töchter sich nicht blamierten. Eine solche Mutter sagte mir: „Ich hatte keine Ruhe, bis meine Töchter alle verheiratet waren.“ Jetzt ist es leider anders geworden. […] „Der Weiße hat die Welt verdorben.““ Robert Kwami. Amedz45e, den 11. November 1909 (7,1025–31/3).
Hier lobte Robert Kwami nichtchristliche Frauen, deren Vorstellung von der Ehe die Jugend vor verderblichen Haltungen schütze. Denselben Kampf führe das Christentum auch. Kwami setzte also manche traditionelle Werte mit der christlichen Ordnung gleich. Ebenso meinte Robert Kwami, dass das Trinken alkoholischer Getränke in der traditionellen Gesellschaft für Jugendliche geregelt wurde, während die europäischen Getränke Trunksucht erzeugten. Europäische Getränke wurden überall verbreitet und jeder Ewe hatte zu ihnen mehr Zugang als zu den lokalen Getränken:
59 Am Beispiel von den Lebensgeschichten von Albert Binder, Isaak Kwadzo und Aaron Kuku.
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„Selbst in dem kleinsten, weit im Innern sich befindenden Dorfe kann man das „Feuerwasser der Europäer“ haben, das von Männern, Frauen, Kindern getrunken wird. Bei einem einzigen Freuden- oder Totenfest wird so übermäßig getrunken, dass viele Leute in Schulden geraten. Es gibt Personen, die ohne Gin nicht existieren können. Alles was sie verdienen, wird sofort versoffen. Palmwein ist nichts mehr; bei allen wichtigen Anlässen darf Gin nicht fehlen. Bei christlichen Hochzeiten müssen europäische Getränke, wie Bier, Wein, Limonade usw. auf dem Tisch sein, sonst ist man nicht zufrieden; namentlich an der Küste ist dies der Fall. Das Trinken nimmt immer mehr zu, selbst unter Lehrern findet man Schnapstrinker.“ Robert Kwami. Amedz45e, den 11. November 1909 (7,1025–31/3).
Mit der Frage des Alkoholhandels war die NMG ständig beschäftigt (vgl. Zahn in Ustorf 1989: 35–37). Diese Situation tat Robert Kwami Leid, aber er traute sich nicht, den Einfluss des Kolonialismus und des europäischen Handels öffentlich anzuprangen. Dagegen empfahl er die christliche Erziehung als eine Alternative zum Schutz traditioneller Werte im Ewe-Land vor der Unsittlichkeit. Er wollte also auf diesem Weg die Kolonialentwicklung bzw. die Kulturentwicklung durch den Kolonialismus moralisieren: „Kolonialentwickelung ohne Christianisierung ist nichts. Auch in unserem Lande wird es erst dann gut aussehen, wenn das Christentum die Oberhand gewinnt. Dann wird unsere Freude darüber, dass die Europäer zu uns gekommen sind, eine ungetrübte, und unsere Dankbarkeit eine volle und herzliche sein.“ Robert Kwami. Amedz45e, den 11. November 1909 (7,1025– 31/3).
Robert Kwami erkannte also, dass der kulturelle Prozess im Ewe-Land nicht mehr rückgängig zu machen war. Er versuchte dennoch das Gute in der traditionellen Kultur zu retten sowie nur das Nötige aus der europäischen Kultur zu übernehmen. Um diese Alternative zu erreichen, müssten die Gemeinden im Ewe-Land zur Selbständigkeit erzogen werden. Robert Kwami wies den Weg zur Erlangung dieses Zieles.
4.18.5 Robert Kwamis Vorstellung von Selbständigkeit Im Hinblick auf die Entwicklung der Gemeinden im Ewe-Land bemerkte Robert Kwami, wie die Anzahl der einheimischen Gehilfen und Mitarbeiter der Mission immer größer wurden, während die Zahl der europäischen Missionare sich nicht in demselben Verhältnis vergrößerte. Dementsprechend schätzte er die wachsenden Verantwortungen der afrikanischen Mitarbeiter und der Gemeinden ein. Er meinte, es war Zeit, dass die Afrikaner ihre Verantwortung übernehmen sollten, um die Missionsarbeit zu übernehmen: „Die Tage unserer Kindheit sind längst vorüber, jetzt braucht man uns nicht mehr an der Hand zu führen, wir müssen selbst gehen, wir müssen selbständig werden. Unsere Leute haben mehr Vertrauen zu uns als zu den Missionaren, daher ist es unsere Pflicht, ihnen die Notwendigkeit ihrer Selbständigkeit klarzumachen.“ Robert Kwami. Amedz45e, den 30. Juni 1911 (7,1025–6/4).
Robert Kwami meinte mit dieser Äußerung, dass die Missionsarbeit zugrunde gehen würde, wenn die afrikanischen Mitarbeiter die Gemeinden nicht zur Unters-
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tützung der Missionsarbeit veranlassten, denn die Mission machte immer mehr Schulden. Diese Meinung äußerte er 1911 auf dem ersten „LehrerfortbildungKursus“ in der Hauptstation Amedz45e. Daher appellierte er zur Erziehung der Ewe-Gemeinden zur Selbständigkeit: „Selbständig sein, das ist das Ziel aller Menschen. Jedermann will unabhängig sein und auf eigenen Füßen stehen. Selbständig sein, das ist auch des Christen Ziel. Er muss daraufhin arbeiten, ein Mann zu werden; d. h. Herr zu sein über die Sünde und frei zu sein von der Welt. Die Ewekirche selbständig zu machen ist das Ziel der Missionsarbeit.“ Robert Kwami. Amedz45e, den 30. Juni 1911 (7,1025–6/4)
Robert Kwami verstand sich als Christ und reifer Mensch, der für sich entscheiden wollte und nach seiner Befreiung von der Knechtschaft streben durfte. Bedeutete „Frei zu sein von der Welt“, dass Robert Kwami versuchte, seine Abhängigkeit von der Norddeutschen Mission in Frage zu stellen? Oder war sein Appell zur Selbständigkeit nur eine Strategie, der NMG zur Hilfe zu kommen, indem er seine Landsleute motivierte, die Mission finanziell zu unterstützen? Auf diesem Weg konnte er der NMG seine Treue und seine Dankbarkeit zeigen. Man kann sich kaum vorstellen, dass Robert Kwami sich gegen die Interesse der Mission wandte, denn er wurde fünf Monate nach seinem Aufruf, nämlich am 26. November 1911 zum Pastor ordiniert. Eigentlich betonte Robert Kwami in seinem Vortrag, dass die Christen die NMG finanziell unterstützen sollten. Und gleichzeitig setzte er die finanzielle Autonomie der Selbständigkeit gleich: „Wollen wir aber Missionsarbeit treiben unter unseren Brüdern, wie es der Herr von uns fordert, dann müssen wir selbständig sein, denn wer einen Gefallenen aufrichten will, muss selber Kraft haben, um stehen zu können. Und zum Stehen auf eigenen Füßen gehört Geld.“ Robert Kwami. Amedz45e, den 30. Juni 1911 (7,1025–6/4).
Robert Kwami sammelte Geld für die Mission, mit dem er seine Freiheit und die Freiheit der Ewe-Kirche bezahlen wollte. Seine Aktion unterstützte die Norddeutsche Mission in ihren schwierigen Zeiten während des ersten Weltkriegs und band ihn mit seinem Missionsvorstand enger als je zusammen. Er wurde nach der Erklärung der Selbständigkeit der Ewe-Kirche in 1922 zum Synodalsekretär (Synodal Clerk) der englischen Teilsynode gewählt. Zehn Jahre später reiste er 1932 auf Einladung der Mission wieder nach Deutschland zum selben Zweck, um auf einer Predigtreise Spenden für die NMG in Deutschland zu sammeln.
4.18.6 Robert Kwamis Besuch in Deutschland und der Kirchenkampf Kwami verbrachte 120 Tage in Deutschland, wo er an 82 Orten 150 Reden hielt (Wiegräbe 1948: 27). Dort hatte er Erfolg bei seinen Auftritten als afrikanischer Pastor der NMG: „In Berlin sollte er vor den Studenten reden. Es wurden Bedenken geäußert: Ein Neger vor so gelehrten Leuten?! Einer von diesen sagte später: „Er hat sie alle gewonnen, und was er sagte, hat auf alle einen tiefen Eindruck gemacht.“ Das war die allgemeine Erfahrung. Nicht nur, dass ein Afrikaner sprach, sondern wie er sprach, das war es, was die Hörer immer bewegte –
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damit meinen wir nicht nur seine erstaunliche Beherrschung der deutschen Sprache, auch nicht nur die originelle afrikanische Weise, Sprichwörter und Beispiele anzuwenden, sondern vor allem die Demut und Christenfreude, die ihm anzumerken waren.“ Wiegräbe (1948): 27
Robert Kwami hatte sich verpflichtet, um Spenden für die NMG in Deutschland zu werben. Sein Besuch in Deutschland war umso bedeutender, als er bei seiner letzten Ansprache in Oldenburg mit der rassistischen Propaganda der Nationalsozialisten Ärger erlebte. Die „erste rein nationalsozialistische Landesregierung im Deutschen Reich unter dem Ministerpräsidenten Röver“ versuchte das Auftreten des so genannten „Negerpastors“ Kwami in der Lambertikirche sofort zu unterbinden (Meyer 1986. In: Schöck-Quinteros; Lenz: 129). Os4fo Robert Kwami trotzte dieser Drohung und hielt seine Rede vor über 2000 Menschen in dem Kirchenraum. Sein Auftreten ging über die religiösen Grenzen hinaus und wurde zu einer politischen Angelegenheit und zu dem „Kirchenkampf“ gegen rassistische Gedanken. Die sogenannte „Kwamiaffaire“ entstand, als der Oldenburger Oberkirchenrat von dem Ministerpräsidenten Röver verlangte, seine rassistischen Worte Kwami und der Kirche gegenüber zurückzunehmen. Auf Rövers negativen Bescheid wurde die Sache vors Gericht gebracht. Über Kwami wurde weiterhin in den Medien und in der Öffentlichkeit berichtet: „Der oldenburgische Pfarrer Erich Hoyer schickte an fünfunddreißig Regionalzeitungen einen Brief, in dem er Röver aufforderte, seine Äußerungen zurückzunehmen, „da seine Worte eine Bedrohung von Sicherheit und Leben eines pflichtgemäß handelnden oldenburgischen Staatsbürgers enthalten.“ […] Im ganzen Deutschen Reich wurden die Vorgänge in den Zeitungen gebracht und kommentiert. Sogar in niederländischen und englischen Zeitungen wie der Times wurde über Kwamis mutigen Auftritt in Oldenburg berichtet. […] Nach Meinung vieler Kirchenhistoriker nach 1945 von Wilhelm Niemöller an, sind diese Vorgänge das Vorspiel zum Kirchenkampf im Deutschen Reich. Hier hätten die Nationalsozialisten zum ersten Mal offen ihre Meinung gegenüber dem Christentum zu erkennen gegeben.“ Meyer (1986). In: Schöck-Quinteros & Lenz: 130–131.
Zur Erinnerung an Kwami in diesem Kirchenkampf wurde ihm als Vorbild eine Postkarte gewidmet: „Einen Anfang machte eine Postkarte, die nach einem Foto, das während Kwamis Reise im Sommer 1932 in Lemgo von einem Fotografen aufgenommen wurde. Kwami schaut dort zu dem Himmel. Unter seinem Bild steht der Beginn des 123. Psalms: „ich hebe meine Augen auf zu den Bergen“. […] Der Psalm weist auf Kwamis Prüfung in Oldenburg hin; denn dieser bietet nach Luther Trost für diejenigen, die unter Hohn und Spott der Hochmütigen, also unter Verfolgung leiden.“ Meyer (1986). In: Schöck-Quinteros & Lenz: 132.
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Abb. 39. Pastor R. Kwami im Höhepunkt seines Glaubens: „ich hebe meine Augen auf zu den Bergen“. Lemgo 1932 (7,1025– Fotos 1945)
Kwami selbst verstand dieses Ereignis als der Sieg Gottes auf den Teufel, den die feindseligen Nationalsozialisten verkörperten. Daher war er mehr als je überzeugt, dass er ein Jünger Gottes war. Er sah dadurch den Beweis, dass Gott seine Knechte nie fallen lässt, solange sie Ihm vertrauen: Wenn wir Gott in Wahrheit dienen, dann werden sich auch die Feinde gegen uns erheben, dass sie unter uns zunichte werden. das soll uns keineswegs mutlos machen, sondern wir wollen uns freuen und Gott preisen und uns ihm völliger hingeben. Der Teufel ist auch am Werke. Deshalb gebraucht er schlechte Menschen, dass sie gegen die Gottesknechte auftreten. Wer in solcher Not ist, der halte sich noch mehr an seinem Gott, und tue mit Geduld und Mut seine Arbeit weiter. Nichts wird ihm geschehen. Gott wird ihm wunderbar helfen, so dass seine Feinde zu Schande werden. […] Gott hatte das Böse, das meine Feinde [in Oldenburg] gegen mich geplant hatten, zum Besten seines Werkes und für mich gewandt. Darum vertraue nur Gott, bete, dann wird nichts Böses dich treffen.“ Ewe-Gemeindeblatt „~utifafa na mi“ (Yuni-Yuli 1934). / Meyer (1986).In: Schöck-Quinteros & Lenz: 135f.
So erreichte Os4fo Robert Stephen Kwami den Höhepunkt seines Christentums und seines Diensts bei der NMG. Robert Stephan Kwami war als ein bedeutender Mitarbeiter der NMG bekannt. Er widmete der Missionsarbeit sein Leben und führte die Ewe-Kirche von ihren schwierigen Zeiten bis zu ihrer Selbständigkeit. Er hatte auf eine Karriere in der deutschen Administration, im Gegensatz zu einigen seiner Kollegen60, verzichtet (Meyer 1986. In: Schöck-Quinteros & Lenz: 127). Er war mit der Erklä60 Hermann Y4y4, Reinhold K4wu, Elisa Kende, Ludwig Medenu, Nathanael Kwami usw. hatten alle ziemlich lange Zeit im Dienst der deutschen bzw. französischen oder englischen Kolonialregierung gestanden.
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rung der Eigenständigkeit der Ewe-Kirche in 1922 als „Synodal Clerk“ einer der bedeutendsten Kirchenführer der jungen Ewe-Kirche. Dieses Amt hatte er bis zu seinem Tod inne. Aufgrund seiner hervorragenden Kenntnisse der EweSchriftsprache war er bei der Verfassung der Werke des Missionars Spieth über die Kultur und Religion der Ewe als Informant sehr behilflich (Alsheimer 2000: 214; Altena 2003: 397). Robert Kwami arbeitete 45 Jahre lang im Dienst der NMG und starb 1945 in seinem Amt wohl an einem Herzanfall. Er hinterließ im Gesangbuch der Ewe-Kirche 23 (gedichtete und vertonte) von 481 Kirchenliedern. Er sah durch sein ganzes Leben das Wirken des christlichen Gottes, wie er in seiner Lebensgeschichte ausführte: „Wenn ich etwas über mein Leben schreiben soll, so habe ich nur das eine zu betonen: Mir ist Erbarmung widerfahren, Erbarmung, deren ich nicht wert.“ (Luther Bibel: 1Timotheus 1: 13 / Wiegräbe 1948: 7.) Übrigens sendete Radio Bremen in den 1960er Jahren eine Dokumentation und ein Hörspiel in niederdeutscher Sprache zu der Frage, ob Kwami ein Gesandter Gottes war, um die deutsche Christenheit zu prüfen.
4.19 BIOGRAFIE VON SAMUEL QUIST 4.19.1 Kindheit und Kontakt mit dem Christentum Die Familie Quist entstammte einer bis in das 18. Jahrhundert nachzuweisenden dänisch-afrikanischen Händlerfamilie aus Dzeluk45e bei Keta – im Gebiet des Aŋl4-Stammes – an der damaligen westafrikanischen Goldküste. Diese Mulattenfamilie hatte bereits früh das Christentum angenommen und zahlreiche Mitglieder der Familie waren seit Ende der 1850er Jahre in den Dienst der NMG getreten, zunächst als Übersetzer und Dolmetscher, später dann als Mitarbeiter im Missions- und Kirchendienst (Debrunner 1965: 93; Altena 2003: CD-Rom: 408.). Samuel Quist wurde am 13. Mai 1870 in Keta geboren (Spieth. Notizen über die nach Europa zu sendenden Eve-Jünglinge. Ho, den 11. Juni 1890 (7,1025–29/6). Seine Eltern waren Immanuel Quist und Rosina Adole. Immanuel Quist arbeitete seit 1859/60 auf der Missionsstation Waya als Dolmetscher und half in der Schule (Ustorf 1989: 136). Er wurde nach Keta versetzt, als Samuel zur Welt kam. Der Katechist Immanuel Quist ließ seinen Sohn 1871 – ein Jahr nach seiner Geburt – auf den Namen Samuel taufen. Samuel Quist hat nie einen Ewe-Namen getragen. Er betonte bei jeder Gelegenheit seinen dänischen Ursprung. Daher duldete er zum Beispiel nicht, dass sein dänischer Name Quist nach der Ewe-Schrift geschrieben wurde. Dies tat er1893, als er darauf bestand, dass er sich nicht mit K. schreibe, wie der Missionsinspektor Franz Michael Zahn es ständig tat, da sein Name nicht aus dem Ewe stamme, wo es kein Q gebe, „sondern dänischer Herkunft“ war (Quist an Zahn. Undatiert (7,1025–29/5); Ustorf 1989: 282). Er erkannte somit seine Zugehörigkeit zu verschiedenen Kulturen, nämlich zu seiner dänischen Herkunft durch den Namen Quist, zu der christlich-europäischen Kultur
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durch den Vornamen Samuel und zu seiner weiblichen Ewe-Linie, in der er aufgewachsen war. 1877 begann Samuel Quist den Schulbesuch auf der Missionsstation in Keta, anschließend besuchte er die Mittelschule und dann das Seminar bis 1887. Während des Schulbesuchs machte Samuel Quist guten Eindruck in Betragen und Fleiß: „Sein Benehmen gegen Vorgesetzte trug immer den Stempel der Bescheidenheit. An wissenschaftlicher Bildung überragt er die beiden Anderen [Benjamin Onipayede und Albert Binder] nicht nur, sondern auch unsere sämtlichen [afrikanischen] Angestellten des Inneren.“ Spieth. Notizen über die nach Europa zu sendenden Eve-Jünglinge. Ho, den 11. Juni 1890 (7,1025–29/6); Altena (2003): CD-Rom: 408.
Er ersetzte schon als Seminarist den entlassenen Lehrer Aaron Me6atso im Seminar von Keta und arbeitete seitdem als Lehrer in Keta und Ho: „An seine Stelle wurde vorläufig der gut begabte Seminarist Samuel Kwist gesetzt, der seinen Posten zur Zufriedenheit ausfüllte, bis er von Andreas Aku abgelöst und als Lehrer nach Ho geschickt wurde.“ Däuble. Jahresbericht von Keta, 1887. Keta, den 28. April 1888 (7,1025– 16/2).
Im Jahre 1887 wurde er als Lehrer nach Ho versetzt und blieb dort drei Jahre. Auch sein Vater Immanuel Quist war dort tätig. Mit der Unterstützung seiner Eltern konnte Samuel seine Arbeit wiederum zur Zufriedenheit seiner Vorsteher leisten. Im Jahre 1889 bestand er dann sein Anstellungsexamen61. Er wurde 1890 von dem Missionsvorstand nach Württemberg zur Weiterbildung geschickt und äußerte sich später zu dem Ziel der Ausbildung in seiner Abschiedsrede von Deutschland: „[…] Wir wurden hierher gesandt zu unserem lieben Pfarrer [J. C. Binder], damit wir für unsere künftigen Beruf als Lehrer und Prediger unter unserem Volk weiter ausgebildet würden, die deutsche Sprache lernten und die Christenheit auf ihrem Grund und Boden kennen lernten.“ (Quist. (7,1025–29/6)62
Drei Jahre lang studierte Samuel Quist mit zwei anderen Kollegen, Albert Binder und Benyamin Onipayede, in der „Evhe-Schule“ in Westheim. Vor der Rückkehr in das Missionsgebiet verpflichtete sich Samuel Quist, sich in den Dienst der NMG zu stellen. Als er nach Afrika zurückkam, trat er in den Dienst der NMG.
61 Hierzu sein Zeugnis: „In biblischer Geschichte & Einleitung haben wir gefunden, dass er im Alten Testament etwas besser geschlagen war als im Neuen, im Ganzen können wir ihm aber nur m.- zg. geben; in der Arithmetik dagegen zg. – gt. & in der Geographie dasselbe: zg. – gt. Englische Geschichte ist dagegen wieder nur auf m. – zg. zu beschrenken [sic] und in Englisch (Lesen & Grammatik) schließlich – somit die Forderungen gehen – ist er gut beschlagen. Seinen Charakter betreffend verweist Br. Köhler auf das Zeugnis, das er erst kürzlich ausgestellt hat; nur fügt er hier noch bei, dass sich Samuel in letzter Zeit etwas zugänglicher gezeigt hat.“ Däuble, G.; Steck, T.; Köhler, A. Stationskonferenz. Ho, den 3. August 1889.“ (7,1025-10/6). 62 Abschiedsrede von Samuel Quist in Westheim (1893) abgelegt in den Prüfungsblättern von Benjamin Onipayede.
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4.19.2 Missionsdienst und Gesundheitszustand Samuel war Quist körperlich nicht begünstigt. Vor seiner Abreise im Juni 1890 nach Deutschland wurde er mit seinen Kameraden vom Arzt in Keta untersucht und für gesund erklärt. Sein schwacher Gesundheitszustand machte sich auf der Reise bemerkbar. Hierzu der Bericht seines Schulkameraden Albert Binder: „Wir erlebten unterwegs keinen Zwischenfall, und trafen in ‚Ablotsi’ wohlbehalten ein; nur mein ‚Bruder’63 Sam[uel] war bis Hamburg seekrank. […] Als wir in Bremen eintrafen, ging es Samuel schlecht. […]“ Autobiografie von Albert Binder. 1929 (7,1025–30/1).
Nach seiner Rückkehr ging es ihm auch nicht besser. Herzschwäche, Stirnschmerzen und Rheumatismus waren seine üblichen Leiden. Während der Erfüllung seiner Missionsarbeit klagte er beständig über seinen Gesundheitszustand: „[…] Ich bitte den verehrten Vorstand daher um gütige Verzeihung. Dieser Gesundheitszustand ist mir fast zu einer Anfechtung geworden. Allein ich muss oft und oft an das Wort des großen Apostels denken: „Wir rühmen uns auch der Trübsale!“ Quist. Jahresbericht von Palimebezirk, 1919. Palime, den 28. Mai 1920 (7,1025–30/4):1f..
Als Samuel Quist zum Pastor ordiniert und mit der Betreuung der Gemeinde Kpalime beauftragt wurde, war seine Arbeit noch schwieriger. Der Vorstand der Norddeutschen Missionsgesellschaft beschloss, eine Vertretung nach Kpalime zu versetzen, als Samuel Quist 1920–1921 ein halbes Jahr lang schwer erkrankte und seine Gemeinde kaum betreuen konnte: „[…] ein Brief aus Lome teilte mit, dass unser Präses und sein Rat der Meinung seien, dass Os4fo Robert Buadzo mich vorläufig in meinem Amt lieber ersetzen sollte, denn sie erhielten ständige bemitleidenswerte Nachrichten über meinen schlechten Gesundheitszustand.“ Quist. Bericht vom Palimebezirk. Palime, den 17. September 1921 (7,1025 – 30/5)64
Der schwache Gesundheitszustand von Samuel Quist hinderte ihn nicht, seine geistliche Macht über die Gemeinde und neben den traditionellen Machthabern zu demonstrieren. Als Os4fo ließ er sich zu seinen Außenstationen königlich in der Hängematte tragen, weil er dorthin nicht laufen konnte. „[Zum Wiederaufbau der Yokele-Gemeinde am 7. Januar (1923), Epifaniensonntag […] wurde ich auch] auf den heißen Wunsch der Leute per Hängematte dahin getragen am Sonntagmorgen.“ S. Quist. Bericht über die Arbeit im Palimebezirk 1923. Palime, 1. V. 1924 (7,1025–30/5): 1f.
63 Im christlichen Sinne oder im Sinne vom Mitangehöriger derselben Ethnie bzw. desselben Landes 64 Ich habe den Bericht von Ewe ins Deutsche übersetzt.
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Die Hängematte symbolisierte damals Macht. Nur traditionelle Machthaber wie Häuptlinge, Oberpriester usw., oder europäische Kaufleute, Missionare und Kolonialbeamte ließen sich in Hängematten tragen. Dieser „heiße Wunsch“ der Leute, Samuel Quist in der Hängematte zu tragen, machte ihn jetzt zu einem geistlichen Oberhaupt in der Stadt Kpalime neben den lokalen traditionellen Priestern und Häuptlingen, mit denen er nun in Konkurrenz trat und die er ständig versuchte, durch das Christentum zu übertreffen.
Abb. 40. Pastor Samuel Quist im Pastorengewand. Der geistliche Oberhaupt in Kpalimé. (7,1025– Fotos 1919)
4.19.3 Samuel Quists Vorstellung von der Missionsarbeit Samuel Quist war der erste einheimische Lehrer in dem neu errichteten Seminar in Amedz45e. Er unterrichtete dort in Fächern wie Bibelkunde, Bibelerklärung für die I. und II. Klassen; Rechnen, Deutsch für die I. Klasse; Homiletische Übung, Weltgeschichte, Geographie für die I. und II. Klassen; Ewe Lesen für die III. Klasse (Stundenplan für das Seminar 1906 (7,1025–29/1). Er wurde zudem zum engen Mitarbeiter des Missionars Ernst Bürgi. Als Bürgi im Mai 1896 wegen der Erkrankung seiner Frau die Leitung des Seminars abgeben musste, da war es Samuel Quist, an dem die ganze Arbeit hing (Ustorf 1989: 286). Deswegen bezog sich der Missionar Jakob Spieth unter anderem auch auf Quists Kompetenz, um für die Fortführung der Weiterbildung der Ewe-Studenten in Deutschland zu argumentieren, die unter den Missionaren nicht unumstritten war:
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„Die Frage, ob das in Deutschland Gelernte die Leute tüchtiger gemacht hat zur Erfüllung ihres Christen- und Missionsberufes, beantworte ich ohne weiteres mit „Ja“, das thue ich trotz der scheinbaren Misserfolge. Den Samuel Kwist, Theodor Bebli, Andreas Aku unterrichten zu hören ist eine wahre Freude. Dann wäre immerhin erst der Beweis zu erbringen, wie viele unserer ganz dort ausgebildeten Lehrer ebensoviel & wie viele mehr wissen. … Wer unserer dortigen Lehrer könnte sich mit Samuel Quist oder Theodor Bebli messen? Von keinem der dort Ausgebildeten habe ich je eine Klage über sein mangelhaftes Wissen gehört, was ihm immer mehr zum Bewusstsein komme.“ Spieth an Inspektor Zahn. Schorndorf, den 10. September 1897 (7,1025–29/6).
Im Oktober 1909 wurde Samuel Quist nach der zu Atakpame gehörenden Außenstation Notse (Nuatja) versetzt, um eine Ausbildung in der deutschen Landwirtschaftsschule zu erhalten. Diese Ausbildung zielte darauf, dass der ausgebildete Lehrer seinen Schülern die erworbenen praktischen Kenntnisse in der Landwirtschaft auf den Missionsstationen beibrachte. Anfangs der Jahre 1900 traten die Missionsgesellschaften in dem deutschen Schutzgebiet Togo in Zusammenarbeit mit der deutschen Kolonialverwaltung wesentlich im Bereich des Bildungswesens bezüglich der Sprach- und Bildungspolitik der Kolonialregierung (Sebald 1988: 495–505. / Knoll 1978: 146). Ferner wurde Lehrer Samuel Quist 1910 in die Sprachkommission für die Herausgabe der Ewe-Bibel aufgenommen. Nach seiner Ausbildung in Notse wurde er 1911 nach Lome versetzt und zum Katechisten eingesegnet. Sein Eifer bzw. sein leidenschaftlich christliches Leben verstärkte sich, als er drei Jahre später nach Kpalime ins Binnenland versetzt wurde. Dort versuchte Katechist Samuel Quist die traditionelle Religion zu bekämpfen. Sein Engagement führte am 31. Januar 1915 zu seiner Ordinierung zum Pastor, in der Landessprache zum Os4fo, durch Missionar Heinrich Diehl. So setzte er dem Status der traditionellen Oberpriester seinen Os4fo-Titel gleich. Er erfreute sich – wie alle ordinierten Personen in der christlichen Gemeinde – gegenüber der Bevölkerung naturgemäß eines bedeutenden Einflusses und einer beträchtlichen Autorität (Oloukpona-Yinnon 2005: 155f./ Azamede 2006: 87). In Kpalime duldete Samuel Quist keine Haltung, die er für ‚unsittlich’ hielt. Er war mit seinen Lehrern auf der Station sehr streng und entließ einige, weil sie der traditionellen Religion entgegengekommen waren und wegen sittlicher Vergehen: „Der Unterklassenlehrer Rudolf Aυafiawoe musste entlassen werden, weil er Unaufrichtigkeiten sich zu Schulden kommen ließ und sogar sich mit Zauberei umgab. Auch scheint er nicht sauber zu sein in Bezug auf das 7. Gebot Gottes [Du sollst nicht ehebrechen]. Dazu kamen Klagen von Kuma Adame über den dortigen Lehrer Gottl. Kumesi, welcher verheiratet und bereits mit einem Kind beglückt worden ist, dass er fast alle seine Taufbewerberinnen zu verführen suchte. […] Allein sein Weiterarbeiten ist ausgeschlossen und er erbat sich eine Ausruhzeit bis Ende dieses Jahres.“ Quist. Mitteljahresbericht vom Palimebezirk. Palime, 16.–17. Yuli (sic) 1920 (7,1025–30/4): 6f.
Auch gegen seine Tochter Renate zögerte er nicht strafend vorzugehen. Auf der Missionsstation von Kpalime betreute Renate Quist als Lehrgehilfin seit etwa vier Jahren den Kindergarten. Sie hatte uneheliche Beziehungen mit einem Mann. Das traf Samuel Quist offensichtlich schwer:
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„[…] Ein höchst schmerzliches Erlebnis für mich in diesem Jahre ist der Sündenfall meiner ältesten Tochter Renate, wodurch auch die Mission einen Lehrer und eine Lehrgehilfin verloren hat. Ich komme selber hindurch beinahe, um meine ganze Freudigkeit hier weiter zu arbeiten.“ Quist. Jahresbericht 1913. Lome, den 31. Dezember 1913 (7,1025–22/1): 4
Er entließ die Kindergärtnerin aus dem Missionsdienst. Hierzu die Diakonisse Luise Maurer: „In Palime wird der [öffentliche] Kindergarten von Os4fo Quists Tochter Renate geführt, dieselbe war vor 3 ½ Jahren hier Gehilfin, wurde jedoch damals, weil gefallen, entlassen.“ Maurer an Inspektor. Lome, den 28. 10. 1916 (7,1025–69/5).
Auch ein großzügiger Postassistent, „Freund“ der Gemeinde in Kpalime, wurde Opfer der Treue und des Eifers von Os4fo Samuel Quist. Er weigerte sich, die Bestattung des verstorbenen „Freundes“ der Kirche zu übernehmen, weil der „beliebte und geschätzte“ Verstorbene nicht getauft war, obwohl er einen christlichen Namen trug und oft die Gemeinde finanziell und materiell unterstützt hatte: „[…] Fast in derselben Zeit wurde der liebe Postassistent auch krank. Er hielt fest zu seiner Bibel, aber, trotzdem er vormittags von der Haustaufe seines Schulkameraden und Landesmannes gehört hatte, bekümmerte er sich nicht darum und nachmittags um 4 Uhr musste er den Geist aufgeben kurz vor meinem Eintritt in sein Zimmer, da ich von anderen, ihn zu besuchen, gerufen wurde. So konnte er nicht von uns beerdigt werden. Der Bedauernswürdige wurde von ein paar Postbeamten mit fast keinem Gefolge zu seiner Ruhestätte gebracht.“ Quist. Schlussjahresbericht von Palimebezirk, 1918. 14. Februar 1919 (7,1025–30/4).
Abb. 41. Pastor S. Quist im Pastorengewand mit seinen Konfirmanden in Konfirmationskleidung bei Taufe am 1. Februar 1920 (7,1025– Fotos 1573).
Samuel Quist zeigte seine „Treue“ und „Liebe“ zu der Mission gerne. Nachdem die deutschen Missionare nach dem ersten Weltkrieg aus ihren Missionsgebieten in Togo und an der Goldküste entfernt worden waren, geriet die Norddeutsche Mission in finanzielle Schwierigkeiten. Samuel Quist organisierte Kollekten in seiner Gemeinde, und mit diesem Geld unterstützte er weiterhin die Aktivitäten
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der NMG sowie Kinder von Gemeindemitgliedern in Deutschland, die an den Folgen des Weltkrieges in Deutschland litten (Quist an Missionsinspektor Schlunk. Palime, den 17. Januar 1924 (7,1025–24/6). Er rechtfertigte seine Geste mit dem Gebot der christlichen Nächstenliebe: „[…] Ich meine, so kommen wir am besten durch, um ja nichts Notwendiges oder Falsches, Unrichtiges getan zu haben. Man vergisst ja halt sein eigenes Leid, so bald man des Bruders Ärgeres sieht oder hört. Es tut mir nur Leid, dass die Zeit sehr böse geworden ist für uns auch, also dass wir nicht haben mehr tun können!“ Quist an Missionsinspektor Schlunk. Palime, den 17. Januar 1924 (7,1025–24/6).
Mit der Unterstützung des Werks der Norddeutschen Mission befestigte Samuel Quist seinen Glauben, dass seine Landsleute, die der traditionellen Religion angehörten, auf dem falschen Weg seien. Er erklärte diesen „Heiden“ einen christlichen Krieg.
4.19.4 Samuel Quists Vorstellung der traditionellen Religion Für Samuel Quist waren die einheimischen Religionsausübungen Lügnerei, die man bekämpfen musste. Jeden geglückten Versuch, einen ‚Heiden’ von seinen heidnischen Glauben zu entfernen, hielt er für einen Sieg des Guten gegen das Böse. Jede Bekehrung geriet zu einem christlichen Fest. Hierzu sein Bericht über die Bekehrung von einem ‚berühmten’ Zauberer in Kpalime: „Es geschah aber um das Wunder: Zu Weihnachten veranstaltete der Lehrer auf eigenem Faust ein kleines Festmahl und lud manche angesehenen Leute der Stadt auch dazu ein. Seine Reden und Erklärungen der großen uneigennützigen Gabe Gottes für die und wegen der armen Menschheit gewannen die Herzen derart, dass ein berühmter Zauber der Stadt, G4menu mit Namen, an Ort und Stelle seinen Austritt aus dem Heidentum und seinen Eintritt in die Taufbewerberreihe verkündigte. Natürlich wollte der Lehrer ihn nicht gleich glauben, aber als verabredet, kam er am anderen Morgen früh zum Lehrer und bestätigte seinen festen Entschluss, Christ zu werden; ja, er ging weiter und verlangte sofortige Abräumung seiner Zaubersachen vom Haus und Hof, und erklärte sich bereit, die eine seiner zwei Frauen sofort zu entlassen! Unglaubliches!“ Quist. Palime, 13.–16. April 1923 (7,1025–30/5).
Der ‚unglaublich’ zum Christentum bekehrte Zauber G4menu wandte sich nicht nur von seiner traditionellen Religion ab, sondern er wies auch seine zweite Frau aus dem Haus. Samuel Quist und seine Christen freuten sich mit dem neuen gewonnenen Christen. Aber niemanden interessierte die zukünftige Lage der entlassenen Frau. Samuel Quist hatte den Mann zum Christentum gewonnen. Das Unglück der verstoßenen Frau verursachte die gleiche Bibel, zu der der Zauber G4menu sich bekehrt hatte. Die traditionelle Religion wird zur Betrügerei abgewertet: „[…] Am 20. Februar dieses Jahres bekannte der alte Heide dem Lehrer [Jonas Akato] alles, was er als solcher, Häuptling und Zauberer getrieben hatte und erklärte alles hockend und pochend für lauter Lug und Trug, was nur mit großer List und Geschicklichkeit getrieben wird, jetzt das Wahrsagen besonders zur Endeckung der Diebe verstand er durch Klugheit zu treiben, um nur Geld zu verdienen.“ Quist. Palime, 13.–16. April 1923 (7,1025–30/5).
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Samuel Quist war entschlossen, den traditionellen Religionsausübungen seiner Gesellschaft ein Ende zu setzen, denn „es muss doch Frühling werden65“, wie er sagte. Deswegen richtete er sein Augenmerk auf die öffentlichen Vertreter der traditionellen Religion nämlich die Häuptlinge und die traditionellen Priester. Die Bekehrung von einem Häuptling oder einem Priester hielt Samuel Quist für einen „Sieg“ und der Tag der Bekehrung wurde als „Siegestag“ gefeiert. An diesem Tag gab der zum Christentum bekehrte Priester seine Zauberobjekte ab. Aus den „gewonnenen Zauber- und Götzensachen“, die nicht gleich vernichtet wurden, sondern zu dem Pastor „geschleppt“ wurden, machte Samuel Quist Siegestrophäen, die er zuweilen dem Missionsvorstand in Bremen schickte: „Als Siegeszeichen brachten sie mir aber paar Sachen: 1) ein den Heiden sehr wertvoller Zauberhelm und Gürteltuch der Yeυedienerinnen und ein Fußklingel. Ich schickte dieses alles an unseren lieben Präses, welcher dieselben als Trophäen zu Ihnen schicken werde. Nun, fachen diese Siegeszeichen doch nicht die Hoffnungsfeuer wieder an (?): es muss doch Frühling werden!“ Quist. Palime, 13.–16. April 1923 (7,1025–30/5).
Samuel Quist nahm den Priestern diese Zauberobjekte weg, weil sie „teuflisch“ waren. Wenn er sie alle vernichtet hätte, könnte man das nachvollziehen. Aber wenn er Zauberobjekte sammelte und nach Deutschland schickte, bedeutet das wohl, dass sie einen Wert hatten. In Zusammenarbeit mit den deutschen Missionaren trug er unbewusst dazu bei, sein Land von seinem kulturellen Vermögen zu entblößen. Wenn die zum Christentum bekehrten Zauberer gewusst hätten, dass ihre „verteufelten“ Zauberobjekte auswärts gesammelt wurden, so hätten sie ihre traditionellen religiösen Praktiken vielleicht nicht so leicht aufgegeben. Sie hatten sich an das gehalten, was Samuel Quist ihnen verkündigt hatte: „Und so dich dein Auge ärgert, reiß es aus und wirf’s von dir. Es ist dir besser, daß du einäugig zum Leben eingehest, denn daß du zwei Augen habest und werdest in das höllische Feuer geworfen.“ Luther Bibel (1912): Matthäus 18:9
Samuel Quist versuchte, seine Landsleute durch die Schule zum Christentum bekehren. Er bedrohte die Stationsbewohner, ihnen den Schullehrer wegzunehmen, wenn sie nicht zur Bekämpfung der eigenen Kultur, d. h. der „heidnischen“ Praktiken wie „Unzucht“ und „Zauberei“, beitrugen. Die Stationsbewohner konnten nichts anderes tun, als sich zu fügen, solange sie die Schule in ihrem Dorf behalten wollten. So brachte Samuel Quist einen Teil der Ewe-Bevölkerung unter seine Macht: „Auch die Akata-Gemeinde [Außenstation in Palime-Bezirk]! Wie erbärmlich und elend! Bei der Gelegenheit der Reformationsfeier verbunden mit einer Bezirk-Ältesten-Konferenz dort ist sie unerwartet so recht beschämend und zum Bedauern entpuppt als ein Nest von lauter Zauberern und unsittlich lebenden Gliedern, welche untereinander in Misstrauen und Furcht leben. […] Aber siehe, ein heller Stern ist ja noch da! Und was noch mehr einen vom Sinken des Mutes abhält, ist das merkwürdige, eigenartige u. einzigartige Verfahren der heidnischen Bevölkerung unter ihren angesehenen Ältesten oder Hauptpersonen des Ortes, als sie die 65 Ein Vers aus dem von Emmanuel Geibel (1815-1884) verfassten Gedicht, das Samuel Quist wahrscheinlich in Deutschland gelernt hatte und zum Wahlspruch in mehreren seiner Berichte machte.
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Kunde vernahmen, dass der Lehrer ihnen weggenommen wird. Sie griffen ein, stellten die Christen zur Rede, verurteilten sie und jagten alle die Polygamisten u. Zaubertreibenden von der Station weg mit der ausdrücklichen Bemerkung: „Dieses Land ist der Mission zur Absonderung der wirklichen Christen gegeben und muss als solches gehalten bleiben.“ Quist. Palime, 13.–16. April 1923 (7,1025–30/5).
Auch die afrikanischen Tänze und Trommeln wurden nicht geschont. Os4fo Samuel Quist nach war der Christ, der an Tanz- und Trommelveranstaltungen mit den einheimischen Nicht-Christen teilnahm, verdorben. Folglich musste er aus der christlichen Gemeinde ausgeschlossen werden. Samuel Quist berichtete über einen Christen, der vor der Wiederaufnahme in die christliche Gemeinde seine traditionelle Musik und die Polygamie aufgab. Mehr noch! Er büßte seine Sünden öffentlich: „Wie ein Blick aus heiterem Himmel war es mir vorletztes Jahr zu hören, dass mein lieber M. in Y4kele […] nun auch ein Polygamist geworden [ist] – zum Tanzen und Trommeln hin! […] Nun einen schönen Sonntag kam dieser […] doch um Wiederaufnahme in die Gemeinde zu bitten. Na! Was wird das heißen? Bist du wirklich von deinen Tanzbelustigungen und Vielweibereilust kuriert? Ja, voll und ganz; ich musste sogar, wegen letzterer im Gefängnis sitzen. … [Er] musste sich der schweren Prüfung unterziehen, indem er selber seinen Schülern und Schülerinnen und früheren Kameraden sein Irrtum in einer Versammlung offen bekennen musste. Denn „einer mit Wasser im Munde kann doch kein Feuer anblasen!“ Er tat es! Und durfte aber nun wieder zum heiligen Abendmahl zugelassen werden. ja, selbst mein M… folgte und bestätigte seine Bekennung mit der Tat in der ernsten Entlassung seiner zweiten Frau und nachherige Annahme der christlichen Ehe-Einsegnung mit seiner früheren Frau, welche nun auch Christin wurde.“ Quist. Palime, 13.–16. April 1923 (7,1025–30/5).
In dieser Hinsicht führte Os4fo Samuel Quist einen beständigen Krieg gegen einheimische Tanzvereine, die er für verderbliche Gruppen hielt, denn sie führten – aus seiner Sicht – die Christen irre. Konfirmanden, die diesen Gruppen angehörten, wurden zurückgestellt: „Noch Einzelnes von dem Gemeindeleben. Da muss ich sagen, die Zeit ist wirklich ernst. Mir scheint es, dass eine Verfolgung der wahren Christen im Anzug ist oder bereits angefangen hat. Auf einmal bildeten sich hier in Palime mehr als zwei Tanzvereine von christlichen Jungen, sogar auch verheirateten und ledigen Christen. So musste ich wieder paar Communikanten von dem hl. Abendmahl zurückstellen.“ Quist. Quartalbericht III., 1920. Palime, 5. November 1920.(7,1025–30/4): 6.
In der Tat ist der Tanz im Ewe-Land eine wichtige Aktivität. In den Tanzvereinen drückte sich die traditionelle Kultur lebendig aus. Konnten sich die Ewe-Christen von ihrer Kultur fern halten, nur weil sie einen neuen religiösen Glauben hatten? Sie waren ihrer Identität doch bewusst, die sich in ihren Gewohnheiten kennzeichneten. Das europäisch geprägte Christentum nahmen sie zwar an, aber es konnte die einheimische Identität nicht ersetzen. Samuel Quist war diese Tatsache bewusst. Aber sein Entgegenkommen der afrikanischen Kultur gegenüber, als die Missionare noch da waren, würde seinen Missionsdienst beschädigen. Reformen innerhalb der Ewe-Kirche wurden erst 1922 nach der Erklärung der Eigenständigkeit der Ewe-Kirche zugelassen. Es wurden damals Kirchenlieder mit „volkstümlichen“ Ewe-Melodien komponiert. Die Kontrafaktur, entstanden aus neuen Tex-
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ten und Melodien wurde allmählich durchgeführt. Samuel Quist, der 55 von 481 Kirchenliedern verfasste, komponierte viele davon (Hadzigbalẽ na Eυe Kristo Hame 1939). Er spielte zudem eine wichtige Rolle bei der Herausgabe des EweGesangbuchs. Gegen diese Entwicklung konnte auch der Missionsvorstand in Deutschland, der diese Wirkung der einheimischen Kultur auf das Christentum lange bedachte, nicht auftreten. Der Missionsinspektor Martin Schlunk erklärte Samuel Quist in einer Korrespondenz seine Zustimmung bezüglich der „Volksmelodien“ beim Gottesdienst: „Dass das neue Gesangbuch mehr originale Ewe-Lieder enthält als ich annahm, war mir eine erfreuliche Überraschung. Wo das Christentum in ein Volk Wurzel gefasst hat, äußert sich das ganz gewiss auch die Liebe, und ich sehe keinen Grund, warum nicht auch die Volksmelodien in Gottes Dienst gestellt und durch Gottes Geist geheiligt werden sollten.“ Schlunk an Quist. Hamburg, den 1. April 1924 (7,1025–24/6).
Trotz seiner „Treue“ und seines „Eifers“ für die Missionsarbeit wurden Samuel Quist auch Vorwürfe gemacht. Seine Vergangenheit verfolgte ihn.
4.19.5 Samuel Quists Erfahrungen im Umkreis der Mission Als Samuel Quist vom Studium aus Deutschland zurückkam, zeigte er sein Engagement für die Missionsarbeit. Er war sehr geschätzt, weil er auf die christliche Sittsamkeit achtete. Aber er hielt diesen Ruf nicht lange. Als er Lehrer im Seminar von Amedz45e war, hatte er 1895 Beziehungen mit einer Frau, die er später heiratete. Diese Frau, die noch nicht getauft war, wurde schwanger, ehe Samuel Quist um ihre Hand bei dem Missionsvorstand gebeten hatte. So verstieß er gegen die Gemeindeordnung zu der Enttäuschung seines Vorgesetzten Missionar Seeger: „[…] Ich konnte es natürlich nicht unterlassen ihm zu sagen, welch schmerzliche Erfahrung das sei und wie sehr es mir und uns allen gerade um so mehr als die Sache bereits zu einem öffentlichen Geheimnis geworden sei und wir uns gerade von ihm uns am wenigsten versehen hätten. Er sagte darauf, es sei ihm das auch das Schmerzlichste, sich unseres Vertrauens unwürdig gemacht zu haben. Ich machte ihm dann den Vorschlag, dass er jetzt das Mädchen schleunigst zu sich nehmen müsse; er habe sich eben nun auch eine schöne, ehrenvolle Hochzeit verdorben.“ Seeger an den Vorstand. Amedz45e, 22. 5. 1895 (7,1025–5/3).
Aus dieser „Sünde“ wurde Quists erste Tochter Renate geboren. Samuel Quist hätte nach der Gemeindeordnung aus der Missionsarbeit entlassen werden können. Aber er durfte in seiner Stelle bleiben dank der Unterstützung von ein paar Missionaren. Seinen Verbleib in dem Missionsdienst verdankte er einerseits seiner demütigen und unterwürfigen Haltung und seinen guten Beziehungen zu den Missionaren und Diakonissen: „[…] Er war in seinem ganzen Betragen so eine Ausnahme von der Regel, dass man sich dessen wirklich nicht zu ihm versah. Seine Beziehungen zu uns waren von Anfang seines Hierseins an durchaus freundliche und angenehme. Wir haben ihn jeden Sonntagmittag zu Tisch gehabt bis Geschwister Bürgi kamen und ihn alle anderen Sonntage auch haben wollten. […] Er selber schrieb nach dem Bekanntwerden an meine Frau ein paar Zeilen und bat sie, ihn doch nicht zum Essen auf den Sonntag einzuladen, er könne ihr nicht vor das Angesicht tre-
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ten. „Ihr unglücklicher Samuel Kwist“ unterschrieb er […].“ Seeger an den Vorstand. Amedz45e, 22. 5. 1895 (7,1025–5/3).
Das Engagement der ganzen Familie Quist für die Missionsarbeit war bekannt. Eine Entlassung von Samuel Quist hätte vermutlich der Mission mehr Schaden als Vorteile gebracht. Lehrer Samuel Quist musste die werdende Mutter heiraten, ohne eine christliche ehrenvolle Hochzeit zu genießen. Aus seiner Ehe gingen zwei weitere Kinder hervor: Rudolf und Siegwart (Quist an Missionsinspektor Schlunk. Amedz45e, 4. Juni 1903 (7,1025–6/4).
Abb. 42. Os4fo S. Quist mit seiner Familie (sitz. l. seine Frau und r.: Renate). Palime um 1920 (7,1025– Fotos 0365)
Einige Missionare hielten seine Familienverhältnisse und seinen Gesundheitszustand aus Anlass seiner Ordination für bedenklich: „Wir sind mit Br. Spieß einig, dass Peki nach seinem Weggang einen ordinierten eingeborenen Gehilfen haben sollte + dass Sam. Quist dafür zunächst in Frage kommt. Wir möchten aber doch zweierlei zu bedenken geben: 1) hat sich Quist’s Tochter in letzter Zeit als ein liederliches Mädchen aufgeführt, so dass die Bedingungen, die wir an die Familie eines Os4fo stellen, sich hier nicht erfüllen. 2) hat sich Quist verschiedene Male geweigert, Aufträge, die mit seinem Katechistenamt zusammenhingen, auszuführen, mit der Begründung, er fühle sich körperlich nicht mehr fähig dazu. Er hält z. B. keine Abendgebetstunde, weil ihm der Weg zur Kirche zu weit und das Knien auf dem Zementboden für seinen Rheumatismus zu riskant ist. Also alles Bedenken, die für einen Os4fo in spe sehr bedenklich sind.“ E. Funke. Lome, den 1. 2. 1914 (7,1025–27/1).
Die Betreuung der Station Peki und die Ordination Quists wurden verschoben. Erst ein Jahr später, nämlich am 31. Januar 1915, wurde er zum Pastor ordiniert. Pastor Samuel Quist erlebte in den dreißiger Jahren eine schwierige berufliche Zeit. Er geriet in Konflikt mit der neuen Generation von Pastoren, die die Leitung der Ewe-Kirche übernahmen. Als er seinen Austritt aus dem Synodal-Ausschuss erklärte, pensionierten ihn seine Kollegen sofort. Diese Situation erlebte er
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schmerzlich, weil sein Wunsch war, länger im Dienst der Mission zu bleiben, um seinem „lieben Ewe-Volk“ möglichst weiter zu helfen. Er teile dem Missionsdirektor seinen Ärger und seine Enttäuschung mit und hielt diesen Beschluss als eine Verschwörung gegen seine Person, die er nicht verdiente: „[…] Schon lange machte ich diese Beobachtung, dass ich nicht mehr in die Gesellschaft der Synod-Commitee passte. Nun bat ich ernstlich um meinen Austritt, was sie nun zugaben. Aber in derselben Sitzung fassten sie den Beschluss über mir [!]: „Seine Pensionierung. Die Sitzung beschloss, dass, da Pastor Quist sich selbst von dem Synodalausschuss geschieden hat, weil es ihm darin nicht behage, oder weil seine Gesundheit nicht geradezu recht sei (ich klage nicht hierüber), so soll er pensioniert sein vom 1. Januar 1935 an!“ Quist an Missionsdirektor. Ag4me-Palime, 5. 11. 1934 (7,1025–31/2).
Die jüngeren Kollegen im Vorstand bedrängten Samuel Quist, damit er freiwillig aus dem Missionsdienst ausscheide. Es blieb ihm jedoch nichts anderes übrig, als sich zu fügen: „Aber was soll ich zu dem sagen? Wie Gott es will!“ (Quist an Missionsdirektor. Ag4me-Palime, 5. 11. 1934 (7,1025–31/2). Nichtsdestoweniger gab der Pastor Samuel Quist den Wunsch nicht auf, seinem Volk so lange wie möglich zu dienen. Er entschloss sich, bei der Bearbeitung der schriftlichen biblischen Geschichte in Ewe zu helfen: „Wie es auch sein mag, es ist mein Entschluss, die Bücher, worüber Herr Missionsinspektor G. Stoevesandt mit mir brieflich gesprochen hatte doch noch zu arbeiten, weiter an den einheimischen Sekten zu arbeiten usw., vielleicht diene ich dadurch noch meinem armen Eυevolk in der lieben Eυekirche weiter.“ Quist an Missionsdirektor Schreiber. Ag4mePalime, 5. 11. 1934 (7,1025–31/2).
Abb. 43. Pastor S. Quist neben seinem Missionsdienst als Mitglied der Prominenz in Palime, in europäischer Kostüme (7,1025– Fotos 1918)
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In Kpalime arbeitete Samuel Quist als Vertreter der Evangelischen Kirche mit der französischen Kolonialregierung im Bereich des Schulwesens zusammen (Quist III. Quartalbericht 1920. Palime 5. November 1920 (7,1025–30/4). Er nahm ferner aktiv an politischen Angelegenheiten teil und wurde als Mitglied der „Prominenz“ bzw. des Rates der einheimischen Würdenträger in Kpalime unter der französischen Kolonialregierung aufgenommen. Er freute sich über seine ‚Kollaboration’ und lobte eine Kolonialregierung, die ihn zu einer prominenten Persönlichkeit machte: „[…] Auch ist unsere Lage der Regierung gegenüber eine gnädiglich gute zu nennen. Sie nahm sogar mich auch auf zu den so genannten Notabeln der Stadt. Dieselben sind Mitberater mit der Regierung über die wichtigen politischen Angelegenheiten der Stadt und des Bezirks. Unsere Schüler werden wenn ich nicht sagen darf, hervorgehoben, so doch freundlich behandelt. Auch unsere Schüler erhalten freie ärztliche Behandlung. Alle ihre Auftreten anlässlich Volksfeste oder höherer Besuche der Beamten wurden freundlich entgegengenommen. Die beiden Regierungsärzte, die wir bis jetzt erhalten haben, sind uns immer freundlich und hilfsbereit gewesen.“ Quist. Bericht über die Arbeit im Palimebezirk. Palime, 1. V. 1924. (7,1025–30/5).
Samuel Quist war ein Nachkomme eines dänischen Kaufmanns und einer afrikanischen Frau aus Dzeluk45e im Ewe-Land, in dem er aufwuchs. Seine Eltern waren früh Christen, so dass er selber christlich erzogen worden war. Er stand 39 Jahre - 1895–1934 - im Dienst der NMG und widmete der Mission und dem EweVolk sein Leben. Er setzte sich mit mehreren kulturellen Denkweisen auseinander und erreichte die höhere Schicht in seiner Gesellschaft. Samuel Quist gehörte zur Prominenz in Kpalime, einer Ewe-Stadt, aus der er nicht stammte. Außer seinen Teilnahmen an Übersetzungsarbeiten für Bibeltexte beschäftigte er sich mit dem Gesangbuch der Ewe-Kirche. In dem Gesangbuch ist er Autor bzw. Übersetzer von 55 von 481 Kirchenliedern (Hadzigbal8 na Eυe-Kristo-Hame 1939).
4.20 BIOGRAFIE VON ROBERT DOMINGO BAËTA 4.20.1 Kindheit und Erleben des Christentums Robert (Domingo) Baëta war ein Sohn christlicher Eltern. Sein Vater John (Johannes) R. Baëta wurde von einem portugiesischen Vater und einer afrikanischen Mutter aus Kedzi bei Keta geboren. John Baëta hatte die Schule in Lagos in Nigeria besucht, wo ihn die Wesleyanische Mission getauft hatte (Altena 2003: 67) Nach seiner Rückkehr an die Goldküste wurde er Kaufmann in Vodza bei Keta und heiratete anschließend Salome Dovi aus Vodza. Am 7. Juli 1883 wurde ein Sohn aus der Ehe geboren. Er wurde im Jahre 1885 von Missionar Binetsch in Keta auf den Namen Robert Domingo getauft (Altena 2003: 66).
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Robert hatte zwei jüngere Brüder und drei Schwestern66, mit denen er in einer christlichen Familie aufwuchs. Hinsichtlich seiner Taufnamen bezeichnete der Name Robert die Zugehörigkeit zum Christentum und Domingo die brasilianische Herkunft. Robert Domingo war in dem Ewe-Land bzw. im Gebiet Keta, dem Herkunftsgebiet mütterlicherseits aufgewachsen. Er trug keinen Ewe-Namen und seine Eltern hatten keine Verbindung mit der traditionellen Religion im Ewe-Land, das Robert Baëta später für seinen „Vaterland“ hielt. In diesem Raum trat der „Ewe-Christ“ Robert (Domingo) Baëta in die Schule im Jahre 1891 in Keta ein. Sein Schulbesuch diente bei ihm nicht dazu, wie bei manchen seiner EweSchulkameraden, in Kontakt mit dem Christentum zu kommen, sondern die Schule zielte darauf, sowohl fachliche Kenntnisse zu erhalten als auch den christlichen Glauben zu untermauern. Robert Domingo besuchte die Elementarschule fünf Jahre lang und anschließend die Mittelschule anderthalb Jahre in Keta (Binder 1900: 7; (7, 1025–29/6). In der Mittelschule unter dem Lehrer Andreas Aku machte er neue Erfahrungen in der Haus- und der Feldarbeit, die bei ihm „im elterlichen Haus andere taten.“ (Altena 2003: 66). Lehrer Andreas Aku wurde zu seinem Erzieher und Paten: „Ganz besonders sah mein väterlicher Erzieher darauf, dass ich meine Schulaufgaben lernte, und wenn ich etwas nicht verstand, erklärte er es mir mit Liebe und Geduld. Jeden Abend musste mit ihm am Tisch sitzen und für mich arbeiten, bis der Kopf zu nicken anfing, dann erst durfte ich ins Bett.“ Baëta (1934). In Schoeck-Quinteros/Lenz 1986: 151
Die NMG fand in der Kindheit und der Erziehung Robert (Domingo) Baëtas den Anlass, ihn zu der Missionsausbildung in der „Evhe-Schule“ in Westheim zu wählen. Am 1. Juli 1897 reiste Robert Baëta zusammen mit seinem EweSchulkameraden Timotheo Mallet aus Kpenoe bei Ho nach Deutschland. In der „Evhe-Schule“ in Westheim erhielt Robert D. Baëta fachliche Weiterbildung und Missionsausbildung. Er zählte zu der letzten Gruppe von Ewe-Studenten, die die Evhe-Schule von Westheim besucht hatten. Er studierte drei Jahre lang zu der Zufriedenheit des Missionsvorstandes67. 66 Darunter Mercy Baëta, die lange Lehrerin im Dienst der NMG in Keta, Anyako usw. war (Hedwig Rohns 1930: Mercy Baeta, eine afrikanische Missionarin. Bremen). 67 Hierzu ein Zeugnis R. Baëtas: Memorieren bibl. (Kirchen) Geschichte : g (gut) Deutsche Sprache: a.) Aufsatz : g-. b.) Grammatik : g. - r. g. (recht gut) c.) Übung und Anwendung : befriedigend Rechnen : zg (ziemlich gut).- g. Geschichte : (zg.) g. Geographie : g+ Naturgeschichte : zg-g. Musik : r. g. Singen : g. Schönschreiben : g.
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1898 empfing Robert Baëta seine Konfirmation. Er freute sich über die christliche Liebe, die er bei der Mission in Deutschland erlebt hatte. Er schilderte die strenge Erziehung seiner Vorsteher, die er zur Stärkung seines Christentums erhalten hatte und die seine Personenkontakte einschränkte: „Wohl gab es auch schon damals viele gottlose Menschen, aber, gottlob, wir hatten wenig oder fast keine Gelegenheit gehabt, mit solchen Leuten zu verkehren, sondern stets mit recht frommen Persönlichkeiten, die uns die Fremde zur Heimat machten“ Altena (2003): 368.
4.20.2 Robert Baëtas Vorstellung der traditionellen Religion Robert Baëta stellte 1900 in seiner Abschiedsrede in Westheim die traditionelle Religion seines Ewe-Landes, die nicht in Übereinstimmung mit dem Christentum war, in Frage. Er schilderte die Religion der Ewe, bei denen auch ein „höheres Wesen“ existierte: „Seit Alters wissen auch meine Landsleute, dass über ihnen ein „höheres Wesen“ vorhanden sei. Dasselbe nennen sie „Mawu“ d. h. Gott. Das Wort Mawu heißt wörtlich übersetzt: „Ich bin mehr“, nämlich mehr als die Kreatur. Diesen Gott halten sie für den Welt- und Menschenschöpfer, und daher ist der Glaube an ihn in ganz Evheland allgemein.“ Baëta: Das Heidentum im meinem Vaterland. Bericht über die Evhe-Schule und das letzte Neger-Missionsfest in Westheim. (7, 1025–29/6).
Nach Robert Baëta verehrten seine Landsleute neben dem „Mawu“ kleinere „Götzen“, die unter der Macht des Teufels „Abosam“ stehen würden (Meyer 1999: 94– 108). Daher gehörten seine Landsleute zu den „Heiden“: „Die Priester haben die Leute allmählich soweit gebracht, dass sie nicht mehr den Mawu fürchten, sondern nur die bösen Geister. Die Verehrung dieser Geister ist der so genannte Fetischdienst. Da die Geister vorzugsweise in den Götzen wohnen, so macht jeder Heide einen oder ein paar Götze für sich in oder vor seinem Hause. Dieselben werden täglich mit allerlei Speisen versorgt, welche natürlich von Tieren und Vögeln aufgefressen werden. Den Hauptgötzen in den großen Götzenhainen werden größere Opfer dargebracht, nämlich Kinder, Ziegen, Schafe, Hühner, die schönsten Landesfrüchte usw. Früher wurden auch Sklaven geopfert, was aber jetzt von der deutschen und englischen Regierung streng verboten ist.“ R. D. Baëta: Das Heidentum im meinem Vaterland. Bericht über die Evhe-Schule und das letzte Neger-Missionsfest in Westheim. (7, 1025–29/6).
Robert Baëta musste feststellten, dass die afrikanischen Christen sich von den traditionellen Anschauungen nicht verabschieden konnten. Sie lebten das Christentum anders als er selber es in Deutschland gelebt hatte. Sie bewegten sich daher zwischen der christlichen und der „heidnischen“ Religion: „Je fester ein Christ in seinem Glauben steht, desto freier wird er von diesen abergläubischen Anschauungen; wo dies aber nicht der Fall ist, muss man das Gegenteil erleben. Die meisten Zeichnen : zg-g. Turnen : g. Vikar Binder. Rechenschaftsbericht. Westheim, den 7. April 1898 (7, 1025-29/6)
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Christen glauben wohl nicht mehr so sehr an diese Sachen, aber die tief eingewurzelte Furcht und Macht der Gewohnheit hält sie noch gefangen.“ Robert D. Baëta An welchen heidnischen Anschauungen halten noch viele unserer Christen fest? (7, 1025–31/1).
Die Christen waren also meistens an Anschauungen, die nämlich mit „Hexenglauben“, „Gespensterglauben“, einer Art „Eidechse mit zweiteiligem Schwanze“, den Stammesbräuchen ihrer Vorfahren wie mit einem besonderen Brauch für Zwillinge, dem Geschrei besonderer Vögel, der Wiedergeburt, der Zauberei, dem „Meerweibchen“ – Meerjungfrauen – usw. verbunden (Robert Baëta. An welchen heidnischen Anschauungen halten noch viele unserer Christen fest? (7, 1025– 31/1). Robert Baëta wollte mit dem Christentum das Heidentum bekämpfen, um seine Landleute davon zu befreien, denn: „vor dem Licht des Evangeliums muss und wird auch diese Finsternis nach und nach weichen“ (Robert D. Baëta. An welchen heidnischen Anschauungen halten noch viele unserer Christen fest? (7, 1025– 31/1). Mit seinem Vortrag hatte sich der junge „Ewe-Student“ Robert Baëta als ein engagierter Christ verstanden. Am 11. August 1900 kam er nach Togo zurück, wo er sich in den Dienst der NMG stellte. Haben sich Baëtas Vorstellungen der traditionellen Anschauungen danach weiterentwickelt? Oder blieb er bei seiner Meinung zu der Bekämpfung der Vorstellungen der Ewe-Volksgruppen?
4.20.3 Robert Baëtas Missionsdienst und die Gemeindeordnung Robert Baëta kam mit siebzehn Jahren nach Togo zurück. Seine Mutter schrieb dem Missionsvorstand eine Bittschrift, in der sie um die Anstellung ihres Sohns in Keta bat, anstatt ihn in eine Stadt im Landesinneren zu schicken, denn: „Sie fürchtete für ihren Sohn, weil noch sehr jung und unerfahren, dass er im Inneren vorkommen könnte. (G. Härtter. Die Verwendung unserer Gehilfen. Ho & Keta, Januar 1901 (7, 1025–29/1). Außerdem wollte die Mission Arbeitskräfte in der Hauptstation Keta konzentrieren, wo die missionarische Tätigkeit schwach entwickelt war. Robert Baëta wurde seinem kränklichen Kollegen Timotheo Kofi Amet4wobla vorgezogen (E. Salkowski. Keta, den 17. Sept. 1900 (7, 1025–16/5). Robert Baëta wurde zunächst in Keta angestellt, wo er sechs Jahre lang als Prediger und Lehrer in der Elementar- und Mittelschule arbeitete. Als die Station Lome sich entwickelte, versetzte der Missionsvorstand 1906 Robert Baëta als Mitarbeiter des Katechisten Andreas Aku dorthin. Baëta war Prediger und Lehrer für Deutsch. Zu dieser Zeit wurde der Missionsschulplan auf Forderungen der deutschen Kolonialregierung hin umgearbeitet, weil Deutsch als Hauptsprache unterrichtet werden sollte (Sebald 1989; Adick 1981. Baëta arbeitete zur Zufriedenheit der NMG und wurde 1911 zum Katechisten geweiht. 1917 wurde er zum Os4fo, d.h. Pastor, ordiniert und war damit einer der prominenten EweMitarbeiter der NMG. In der Nachkriegszeit wirkte Robert Domingo Baëta als
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einer der Reformatoren innerhalb der Ewe-Kirche. Aufgrund seiner reichen Erfahrungen wagte er es, manchmal gegen die Missionsordnung zu verstoßen.
Abb. 44. Pastor Baeta im Pastorengewand mit seiner Bibelklasse in weißer christlicher Kleidung beim Taufest in Dohplala, 29. 01. 1929 (7,1025– Fotos 1566).
Schon als Lehrer in der Missionsstation Keta wurde Robert Baëta so geschätzt, dass viele Gemeindenmitglieder an ihn die Bitte richteten, dass er als einer von zwei Paten bei der Taufe ihrer Kinder – nach der Kirchenordnung – auftreten möge. Obwohl er noch jung war, wurde er, nach der Missionsleitung, „in übertriebener Weise“ um diese Rolle gebeten: „Es ist Ordnung, dass bei der Taufe eines Kindes zwei Paten gesucht werden. Abgesehen davon, dass auf einer kleinen Station solche ganz fehlen können, so kommt doch auf einer großen Station wie Keta es vor, dass diese Sitte große Gefahr läuft, missbraucht zu werden. Manche Frauen strengen sich tagelang an, den männlichen Paten zu bekommen. Und wie oft ereignet es sich, dass eine Mutter […] sagt: ich finde keinen. Der Missionar sieht sich, in Rücksicht auf die Ordnung, verpflichtet, zu helfen und nennt der Frau den einen oder anderen. Schließlich noch kurz vor der Taufe des Kindleins findet sich solch ein „barmherziger Mann“, um der Frau aus der Not zu helfen. So energisch nun einige Männer das Patenamt meistens von sich schütteln, so sind doch andererseits Männer, Frauen und junge Leute da, die so oft als Paten erscheinen, dass ich mir nicht gut denken kann, dass sie es wirklich mit Ernst tun. […] Wenn z.B. der junge Lehrer Robert Baeta innerhalb vier Jahren 10 mal und drei andere Christen neun mal Paten sind, so glaube ich, dass dies ein Missbrauch der Sitte ist.“ Spieß an Inspektor. Keta, 9.8.1905 (7, 1025–17/3)
Aber die Wahrnehmung der Patenrolle brachte Robert Baëta den Gemeindenmitgliedern näher, so dass er ihre kulturellen und religiösen Schwierigkeiten besser begriff. Als sich die Frage der Taufe von Frauen christlicher Polygamisten stellte, trat der Missionsvorstand dagegen auf. Aber Robert Baëta übertrat die Gemeindeordnung und vollzog die Taufe. Erst in der Zeit der Eigenständigkeit der EweKirche gab er dies bekannt. Missionare nahmen auch die Taufe von Frauen ange-
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sehener Polygamisten hin, weil diese Männer die Kirche unterstützten. Missionar Diehl deckte die Tatsache auf und meinte, dass eine Frau, welche nach Landessitte rechtmäßig geheiratet wurde, nicht zwangsmäßig der Taufe wegen von ihrem Manne getrennt werden (Diehl, 9. Oktober 1931 (7, 1025–43/5). Vgl. Alsheimer 2001) Robert Baëta hatte auch die Taufe der Kinder von ausgeschlossenen Gemeindenmitgliedern vertreten. Seine Meinung teilte er bei der zweiten Konferenz der in Deutschland ausgebildeten Lehrer mit: „Man kann Kinder von Ausgeschlossenen taufen, denn 1. die Schuld liegt nicht an den Kindern, sondern an den Eltern. 2. Das Verweigern der Kindertaufe der Ausgeschlossenen als Strafe für dieselben bringt keine Besserung der Eltern, sondern erzeugt in ihnen nur Hass gegen die Mission. 3. Dadurch verlieren wir viele Kinder, die die Katholiken aufnehmen. 4. Wo die Kinder sind, dahin gehen die Eltern auch schließlich. 5. Die Erziehung der Kinder liegt größtenteils in der Hand der Mission (Schule und Gemeindeordnung). 6. Die Taufzeugen sollen der Schule und Gemeinde in der Kindererziehung helfen. 7. Jesus nahm Kinder, die zu ihm gebracht wurden, auf, ohne nach dem Leben der Eltern zu fragen.“ Baëta. Zweite Konferenz der in Deutschland ausgebildeten Lehrer in Kpalime, 21.–22. Juli 1909 (7, 1025–29/1).
Robert Baëta brachte die NMG dazu, mit kulturellen Realitäten der EweBevölkerung umzugehen, die er selbst früher bekämpft hatte. Seine Stellungnahme zu den antagonistischen Vorstellungen lag auch in der Konkurrenz zwischen katholischer Mission und NMG. Die katholische Mission ging mit der traditionellen Religion und den traditionellen Sitten der Ewe toleranter, so dass die Gemeinden der NMG Mitglieder an die Katholiken verloren. Am Beispiel Ehe kritisierte Robert Baëta die Gemeindeordnung der Ewe-Kirche. Die Katholiken akzeptierten die Mischehe im Gegensatz zu den Protestanten: „Unsere Gemeindeordnung Paragr. 120, Abschn. III verbietet eine Mischheirat zwischen Katholiken und Protestanten. Da mit der Zeit solche Heiraten je länger je mehr vorkommen und wir dieselben bei den großen Gemeinden nicht verhindern können, haben die Katholiken eine gewisse Anordnung getroffen, die uns sehr nachteilig ist, solange wir bei der alten Anordnung verharren und uns nicht rechtzeitig den Verhältnissen anpassen. Wenn ein evangelischer Mann ein katholisches Mädchen heiraten will, was gegen unseren Willen leider immer noch geschieht, so muss der Protestant sich mit dem katholischen Mädchen in der katholischen Kirche trauen lassen und einen Vertrag unterschreiben, der katholischen Frau niemals in dem Ausüben ihrer religiösen Pflichten hinderlich zu sein und alle Kinder aus dieser Ehe katholisch taufen und erziehen zu lassen. […] Will aber ein katholischer Mann ein evangelisches Mädchen heiraten, so verbietet dies unsere Gemeindeordnung einfach. Auch wenn der Katholik bereit ist, sich mit dem evangelischen Mädchen in der evangelischen Kirche trauen zu lassen und den gleichen Vertrag, wie oben erwähnt, zu unterschreiben, – d. h. der evangelischen Frau in ihrer Konfession niemals hinderlich zu sein und die Kinder aus dieser Ehe evangelisch taufen und erziehen zu lassen, – lässt unsere Gemeinde-Ordnung eine solche Mischtrauung nicht zu.“ Baëta an Missionsinspektor. Lome, den 28. Juni 1922 (7, 1025–24/6).
Robert Baëta stellte dem Missionsvorstand diese schwierige Frage und versuchte, die Ungeeignetheit der Kirchenordnung der NMG zu beweisen. Er wendete sich gegen eine Kirchenordnung, die die evangelischen Christen dazu führte, traditionell zu heiraten und aus der Kirche ausgeschlossen zu werden, und dann zu den Katholiken zu ziehen:
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„Wir verlieren also stets und die katholische Kirche jubiliert über unsere Gemeinde-Ordnung, die ihnen so gut passt. Ich persönlich kann nicht länger darüber schweigen. Bruder Aku ist die Sache ebenso peinlich wie mir, aber die Gemeinde-Ordnung muss befolgt werden. Daher haben wir ausgemacht, Sie zu fragen, ob es nicht ratsam wäre, auch in unserer Kirche in Zukunft solche Mischtrauungen zu erlauben. Man könnte die Sache so annehmen, als ob ein ungläubiger Christ eine gläubige christliche Frau heiraten würde. Sollte man der armen ernstlich christlichen Frau die Trauung in der Kirche verweigern, weil der Mann, sei er evangelisch oder katholisch, ungläubig oder gleichgültig ist? Ich meine, das treue Glied unserer Kirche sollte zu seinem Recht kommen, sonst wäre es ungerecht behandelt. Wenn Frauen von katholischen Polygamisten in unserer Kirche getauft und als abendmahlberechtigt anerkannt werden, warum darf ein evangelisches Mädchen mit einem katholischen Mann in unserer Kirche nicht getraut werden, wenn der Mann bereit ist alle unsere Bedingungen anzunehmen.“ Baëta an Missionsinspektor. Lome, den 28. Juni 1922.
Robert Baëta übernahm zusammen mit einigen seiner Kollegen wie Andreas Aku die Verantwortung, die überholte Kirchenordnung zu überschreiten. Er vollzog eine Mischtrauung der Protestantin Augustine Miller und ihres katholischen Verlobten Atile, nachdem er ihre rührende Geschichte gehört hatte: „[…] Gestern kam dasselbe Mädchen [Augustine M.] zum zweiten Mal zu mir und schüttete ihr [Herz] ganz vor mir aus. U. a. sagte sie: „Ich bin bereits 28 Jahre alt, das einzige Kind meiner Eltern, die mir immer sagen: Ich muss heiraten. Ich werde zuweilen kränklich; wenn ich zum europäischen Arzt gehe, so untersucht er mich, gibt mir aber keine Arznei mehr, sondern sagt nur: ‚Ich habe Dir schon oft gesagt, du musst heiraten, das ist nur der Grund deines Unwohlseins.’ Daher gehe ich nicht mehr hin. Bisher hat kein evangelischer Mann nach mir gefragt, es kommen nur Katholiken. Die drei ersten habe ich zurückgewiesen; nun kommt der vierte, […]. Meine ganze Familie hat eingewilligt, die meisten von ihnen sind keine Christen und ihnen ist es einerlei, ob der Mann evangelisch oder katholisch ist. Ich habe oft mit meinem Bräutigam gesprochen, er muss in unsere Kirche übertreten, bevor er mich christlich heiraten darf. Er hat mir aber immer gesagt, das könne er nur aus innerlicher Überzeugung und nicht wegen Heirat tun, es soll später meine Aufgabe sein, ihn zu überreden. Es ist schon über anderthalbe Jahre her, als er das Brautgeschenk gemacht hat. Ich kann auch nicht näher mit ihm verkehren um ihn zu beeinflussen, evangelisch zu werden, ohne selber Gefahr zu laufen. Ich muss mich in Acht nehmen. Erst wenn wir getraut sind, kann ich am besten auf ihn wirken. Meine Eltern sind kirchlich getraut, und es ist mir viel daran gelegen, auch kirchlich getraut zu werden. Nun ist es eben mein Schicksal, einen Katholiken als Bräutigam zu haben; einen Evangelischen kann ich mir doch nicht wählen. So ist meine Sache traurig. Bitte seht meine schwierige Lage an und erbarmet Euch meiner.“ – Solche Bitten anzuhören, die Lagen genau erkennend und dagegen das Herz zu verschließen, werden Sie auch wirklich schwer finden. Denn falls infolgedessen etwas Schlimmeres geschieht, so plagt doch einen das Gewissen: „Bist Du auch nicht mit schuldig? Ist Dein Verhalten in dieser Sache rein christlich und mitleidig gewesen? – In einer großen Stadt wie Lome, wo zwei große Gemeinden verschiedener Konfessionen zusammenleben, sind Mischheiraten zwischen Katholiken und Protestanten einfach unvermeidlich und wir schädigen uns bloß, wenn wir diese Tatsache ignorieren wollen. „Von zwei Übeln muss man das Kleinere wählen“, sagt das deutsche Sprichwort.“ R. Baeta an Missionsinspektor. Lome, den 28. Juni 1922 (7, 1025–24/6).
So stand Robert Baëta vor der Probe der Ethik und des Gewissens. Er empfand nicht nur den Druck der Konkurrenz mit der katholischen Mission, sondern er fühlte auch den Druck der Gesellschaft, in der er lebte. Wie lange konnte sein Gewissen den Klagen seiner Gesellschaft widerstehen, ohne dass er sich selbst in Frage stellte? Hätte seine Missionsarbeit noch eine Bedeutung, wenn er selbst
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verantwortlich für den Verlust eigener Christen wäre? Die Missionsarbeit war nicht nur eine geistliche Verpflichtung, sondern sie war auch eine Möglichkeit, eine höhere Schicht in der Gesellschaft zu erringen. Robert Baëta ging das Risiko ein, von seinen Christen in Quarantäne gesetzt zu werden, wenn er sich der Kirchenordnung gegenüber unnachgiebig zeigte. Er berücksichtigte die traditionellen Realitäten seiner „Ewe-Bevölkerung“ und führte Änderungen im Bereich der Taufe und der Ehe innerhalb der selbständigen Ewe-Kirche ein. Robert Baëtas Engagement war außerdem mit der eigenen Lebenserfahrung verbunden. Er selbst hatte sich von seiner ersten Braut getrennt, weil „sie intimen Verkehr mit einem Clerk gehabt hatte“ (Spieß an Inspektor. Keta, 5.4.1905 (7, 1025–17/3). Dieser Fall lag vermutlich an der strengen Einhaltung der Gemeindeordnung, die seine Braut treulos werden ließ. Die beiden zukünftigen Eheleute durften erst nach der christlichen Trauung zusammen schlafen. Er heiratete 1906 – im Alter von 26 Jahren – schließlich Henriette Se2o2e, Tochter des in Deutschland ausgebildeten Lehrers Christian Ali5odzi Se2o2e und frühere Braut des in Deutschland ausgebildeten später verunglückten Lehrers Benyamin Onipayede. Wahrscheinlich war es die Missionsleitung, die Baëta diese Heirat empfahl. Henriette Se2o2e war damals 28 Jahre alt und Lehrerin in der Missionsstation Keta (Altena 2003: 368).
4.20.4 Robert Baëta und die Ewe-Kirche Nachdem die Missionare der NMG seit 1914 von den Franzosen und Briten aus Deutsch-Togo ausgewiesen worden waren, geriet die Ewe-Kirche in Schwierigkeiten. Die sechs Missionsstationen der Ewe-Kirche im britischen besetzten Gebiet wurden der schottischen Mission übergeben, während die vier Stationen in dem französischen besetzten Gebiet unter die Leitung der Pariser Mission gerieten. Da die Pariser Mission finanzielle Schwierigkeiten hatte, wollte die Wesleyanische Mission die Stationen im französischen Gebiet übernehmen. Diesem Wunsch der Wesleyaner widerstand Robert Baëta zusammen mit seinem Kollegen Andreas Aku, weil sie die Gefahr der definitiven Teilung der Ewe-Kirche sahen. Es bestehe ein Unterschied zwischen der kirchlichen und gottesdienstlichen Ordnungen der NMG und denen der Wesleyanischen Kirche, so dass eine Übernahme durch diese Mission zu allerlei Unannehmlichkeiten und Verwirrungen führen könnte. Daher waren alle Versuche eines Übereinkommens zwischen dem Vorstand in Bremen und der Wesleyanischen Missionsleitung in London gescheitert (Mission Evangélique an seine Excellenz, den Herrn Gouverneur von Togo, Commissaire de la République Francaise, Monsieur Bonnecarrère, Lome. Lome, den 15. Februar 1922 (7, 1025–24/6)
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Abb. 45. Os4 fo R. Baëta im Pastorengewand. Lome 1915 (7,1025– Fotos 1902).
Vom 18. bis zum 22 Mai 1922 versammelten sich die Pastoren und Katechisten der gesamten Ewe-Kirche, Älteste und Abgeordnete aus dem Ewe-Land zu einer Generalsynode im Inneren des Ewe-Landes. 166 Teilnehmer kamen zusammen (Monatsblatt der NMG, Juli/August 1922: 33). Die Synode beschloss die Einheit und Selbständigkeit der Ewe-Kirche. Dabei wählte sie den Pastor Robert Baëta zum Generalsekretär der Ewe-Kirche im französischen Gebiet. Wegen seines großen Engagements wurde Robert Baëta 1924 erneut nach Deutschland eingeladen, „um einerseits der Verbundenheit der Ewe-Kirche mit der NMG Ausdruck zu verleihen – was er durch zahlreiche Besuche von Gemeinden der nord- und nordwestdeutschen „Missionsfreunde“ […] unterstreicht – und um anderseits zusammen mit Däuble die Revision des neuen Ewe-Gesangbuchs vorzunehmen.“ (Altena 2003: 368). Während seines Aufenthalts in Deutschland besuchte Robert Baëta auch Berlin. Dort trat er bei einem Missionsvortrag in der Dreifaltigkeitskirche als der „schwarze Prediger auf Schleiermachers Kanzel“ auf (Altena 2003: 369). Robert Baëta nutzte die Gelegenheit seines Besuchs in Deutschland, um auch nach England, Schottland, Frankreich und der Schweiz zu reisen (Vorstand der NMG an die Gemeinden, Pastoren, Katechisten und Lehrer der Ewe-Kirche. Hamburg, den 29. Oktober 1924 (7, 1025–24/6). Am 12. September 1924 in High Leigh Hoddesdon in London vertrat er die Ewe-Kirche auf der Internationalen Missionskonferenz. Dabei hielt er den Vortrag über „The Development of Native Leadership“ (Die Entwicklung der Eingeborenenleitung68) (Monatsblatt der NMG 1924); 68 Übersetzt von Carl Spieß, veröffentlicht in: Bremer Missionsschriften (1924). N.R. Bremen.
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Schöck-Quinteros & Lenz 1986: 113–123). Er reiste mit den Inspektoren der NMG und der Basler Mission Martin Schlunk und Oettli anschließend nach Edinburgh, um dort mit der schottischen Missionsleitung über die Entsendung von Missionaren in das Goldküstengebiet zu verhandeln. Danach reiste er nach Paris und sprach dort mit dem Kolonialminister über die Teilnahme der Ewe-Kirche an der Missionstagung vom Oktober 1924 in Herrnhut zu reden (Altena 2003:368f.).
4.20.5 Robert D. Baëtas außerkirchliches Engagement Bis zum Ausbruch des ersten Weltkriegs in Togo arbeitete Robert Baëta als Prediger und Lehrer für die NMG in dem deutschen Schutzgebiet Togo mit der deutschen Kolonialregierung zusammen. In dieser Zeit war er bereits politisch engagiert. Den Besuch des späteren deutschen Gouverneurs Herzog Adolf Friedrich zu Mecklenburg (1912–14), nutzte er, um sein Interesse an der Politik zu zeigen. Auf Anweisung der deutschen Administration brachte er am Samstag seine Schüler, die normalerweise frei hatten, an den Strand, um den deutschen Verwaltungschef zu begrüßen. Dabei ließ Baëta die Schüler ein patriotisches Lied singen: „Ich bin ein Togoknabe, Hab meine Heimat gern, wo tags die Sonne strahlet, das Kreuz im Nachtgestirn, Die Palme in die Lüfte ragt, der Pardel durch die Wälder jagt. Ich bin ein Togoknabe usw. Hali, hale, hali, halo.“ Robert Baëta. Besuch Seiner Hoheit des Herzogs Adolf-Friedrich von Mecklenburg Lome, 10. August 1908. (7, 1025–21/1).
Robert Baëta freute sich offensichtlich über diesen Besuch und hoffte auf zukünftige Stärkung der politischen Beziehungen zwischen seiner „Heimat“ Togo und Deutschland: „Es ist doch wirklich erhebend, dass auch deutsche Fürsten sich so sehr für unsere Heimat interessieren, und die langen Reisen nicht scheuen, zu uns hierüber zu kommen. Gerade an dem Tage, wo der Herzog Adolf Friedrich zu Mecklenburg hier in Lome landete, war es ein Jahr, als der Großherzog Friedrich Franz von Mecklenburg-Schwerin und der Erbgroßherzog von Mecklenburg-Strelitz hier waren. Wenn das so weitergeht, so dürfen wir uns schon der Hoffnung hingeben, dass nicht nur die äußeren, sondern auch die inneren Verhältnisse unserer Heimat sich desto schneller entwickeln werden. Daher rufen wir heute noch: „Die in Afrika gewesenen Hoheiten leben hoch! Und der nächste hohe Gast sei herzlich willkommen!““ Robert Baëta. Besuch Seiner Hoheit des Herzogs Adolf-Friedrich von Mecklenburg Lome, 10. August 1908. (7, 1025–21/1).
Nach seiner Ordination im Jahre 1917 unterstand ihm das Schulwesen der NMG in Togo. Seine Beziehungen zu der französischen Kolonialregierung in der Nach-
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kriegzeit waren so gut wie zur deutschen Kolonialregierung. Die französische Administration berief ihn zum Mitglied des Rates der einheimischen Würdenträger und des Gerichtsrates: „[…]der jetzige Gouverneur [Bonnecarrere]stellt sich sehr freundlich zu uns und hat mich inzwischen in die von ihm ins Leben gerufene Räte „Conseil des Notables“ und „Conseil de Justice“ berufen. Auf dem am 6. und 7. des Monates [März] stattgefundenen Regierungsfest in Anecho, hat er mich sogar als Zeugen seines Bestrebens, seine Arbeit stets den Wünschen des Volkes entsprechend zu führen, genannt und vorgestellt.“ R. Baëta an Inspektor Schlunk. Lome, den 15. Mai 1922 (7, 1025–24/6)
Abb. 46. Notabeln Lome mit Kreuz: R. Baeta, dritter steh. v. links (7,1025– Fotos 1320).
Robert Baëtas Bericht hört sich so an, als sei er nicht an Politik interessiert. Man könnte sogar mutmaßen, dass die französische Regierung Robert Baëtas Persönlichkeit, die er der NMG teilweise verdankte, nutzte, um das Vertrauen der togolesischen Einheimischen zu gewinnen. Einen Höhepunkt seines politischen Engagements zeigte Robert Baëta auf der Internationalen Missionskonferenz in London 1924, wo er die „christliche“ englische Kolonialregierung lobte, die an die Goldküste Frieden und Freiheit brachte: Der erste Strahl der göttlichen Herrlichkeit, der auf ein Land fiel, kam durch das lobenswerte christliche englische Gouvernement. Nachdem meine Heimat ein Teil der britischen Herrschaft geworden war, verschwand alles Elend, und wir haben Frieden und Freiheit. Die Plätze, an denen die Scharfrichter ihr blutiges Tagewerk und die Metzelei von tausenden von Menschen ausführten, die dunklen Fetischhaine, wo ihre Knochen in großen Mengen aufgehäuft liegen – alle diese Plätze des Schreckens und der Verwüstung sind von den Engländern gereinigt, und die schrecklichen Zeichen früherer Gebräuche entfernt“ R. Baëta. Entwicklung der Eingeborenenleitung. In: Schöck-Quinteros & Lenz (1986): 115.
Diese politische Stellungnahme zeigte, wie Robert Baëta sich wohl zwischen dem französischen Togo und der britischen Goldküste bewegte. Diese Haltung lässt sich erklären, weil das Ewe-Gebiet sich in den beiden Kolonien befand. Er
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verstand sich in erster Linie als Ewe. Er hatte schon im Jahre 1915 ein bekanntes Kirchenlied verfasst, in dem er von Gott erbat, aus dem Ewe-Land eine „Einheit“ werden zu lassen: „Oo mia Mawu l4l-t4 y4
O Unser lieber Gott
M] tso viviti me ke
Ruf uns von der Finsternis,
Be E3e duk4 h7 nava
Dass das Eweland auch
Dzi ha le dzi5o bena
In dem Himmel jubelt:
Yubilate, yubilate
Jubilate, Jubilate
Yubilate, Amen
Jubilate, Amen
Se mia5e gbe, mie2e kuku,
Erhoer bitte unser Gebet
Mawu fofo l4l-t4
Gott, unser lieber Vater
Yubilate, yubilate,
Jubilate, Jubilate,
Yubilate, Amen.
Jubilate, Amen.“
(Robert Baëta. Hadzigbalẽ na E3e Kristo Hame 1939: N°1969)
Vermutlich steckte im Hintergrund dieser religiösen Einheit eine mögliche politische Einheit des Ewe-Landes. Baëtas politisches Engagement erweckte Verdacht beim Bremer Missionsvorstand. In der Tat verschwieg Robert Baëta seinem Vorstand, dass er neben seiner Missionsarbeit auch im Dienst der Kolonialherren stand. Er wurde für seine Zusammenarbeit mit der britischen und der französischen Kolonialverwaltung belohnt, was der Vorstand erst später erfuhr: „Herr Claus Vietor, als er in Keta stationiert war, hat sich an mich nach Peki gewandt, um zu erfahren, wie ich die Stellungnahme des Herrn Baeta der französischen Regierung gegenüber beurteile, da er sich genötigt sehe, dieselbe zu beanstanden. Ungefähr folgendes antwortete ich Herrn Vietor: Herr Baëta ist der Obrigkeit untertan, die Gott über ihn gesetzt hat und fördert damit die Sache der dortigen Missions- und Schularbeit. Damals wusste ich noch nichts davon, dass er Gelder von der Regierung und zwar von der englischen sowohl wie von der französischen nachher erhalten habe. Als ich im vergangenen Februar in Accra war und Herr Vietor zusammen mit Herrn Freese unseren Besuch erwiderten in Accra, da kamen wir auf die Gelder und sein Haus auch zu sprechen. Es war mir gelungen, meinen Standpunkt in der Sache so klar zu stellen, dass ein argloser Mensch in dem Besitz des Hauses nichts finden könne.“ Freyburger an den Missionsdirektor. Keta, 15.3.1927 (7, 1025–18/2).
Robert Baëta, der Generalsekretär der autonomen Ewe-Kirche machte bei den jeweiligen Kolonialregierungen Karriere, die ihm zusätzliche Einnahmen einbrachte. Mit den Einnahmen aus diesem politischen Engagement lebte er in einer gewissen Wohlhabenheit. Diesen Weg verfolgte auch sein ältester Sohn Christian Goncalves Baëta, der im Januar 1936 durch Pastor Robert Kwami zum Pastor ordiniert wurde und danach akademische und politische Funktionen in dem unabhängigen Ghana ausübte (Pobee (Hg.) 1976: 1–4). 69 Ich habe den Text ins Deutsch übersetzt.
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4. Zwanzig Ewe-Christen zwischen Deutschland und Westafrika: Biografien
Pastor Robert Domingo Baëta zählte zu den wichtigsten Mitarbeitern der Bremer Mission. Dies hinderte ihn nicht, mit der deutschen Kolonialverwaltung und später mit Kolonialverwaltungen im französischen Togo und an der britischen Goldküste zusammen zu arbeiten. Er wurde sowohl von den Missionsvorstehern als auch von den Kolonialherren geschätzt. Aus seiner Ehe mit Henriette Se2o2e gingen acht Kinder hervor. Drei von ihnen starben (Azamede 2003b: 260). Baeta ist Autor bzw. Verfasser von 41 der 481 Kirchenlieder im Gesangbuch der EweKirche von 1939. Er widmete dem ersten Ewe-Präses der Ewe-Kirche Andreas Aku eine Biografie mit dem Titel: „Von Gottesgnade bin ich, was ich bin.“ (Bremer Missionsschriften 1934. Neue Reihe. Heft 3, Bremen. 21–22; (7, 1025– 30/1). Er verfasste auch ein biografisches Werk, verknüpft mit seinem Besuch in Deutschland „Gbedoname tso Ablotsi na Ewe-Hame“ (Gruß aus Deutschland für die Ewe-Gemeinde). Er starb im Jahre 1944.
5. TRANSKULTURATIONEN: KATEGORIEN HYBRIDER KULTUR IN DER EWE-GESELLSCHAFT Das Missionsfeld der NMG im Ewe-Gebiet war nicht nur ein Experimentierfeld des christlichen Glaubens, sondern auch ein Ort der Umsetzung von kulturellen Verhaltenweisen, die mit der christlich europäischen Lebensweise verknüpft waren. Während der Missionsausbildung in Deutschland verband der Ewe, der an der Schule in Württemberg studierte, das Christentum mit der christlicheuropäischen Gedankenwelt, wie sie, in den Kreisen der Pietisten eine Gruppenkultur im 19. Jahrhundert, gepflegt wurde, die über das Religiöse hinausging. Die Biografien zeigen, dass die afrikanischen Mitarbeiter der NMG christlich-europäische Regeln in ihre Lebensanschauung aufnahmen. Um die in Württemberg ausgebildeten Ewe-Christen von ihren anderen christlichen Kollegen und Landsleuten zu unterscheiden, bezeichne ich sie als „Ewe-Württemberger“. Zu den von den europäischen Lehrern und Missionaren übernommenen Regeln gehörte deren Kritik an der traditionelle Kultur der Ewe. Mit dieser kritischen Sicht kamen die Ewe-Württemberger mit ihren nicht christlichen Landsleuten in Konflikte. Aber sie kamen auch selbst mit den Regeln nicht immer klar, weswegen sie oft in Spannungen und Konflikte mit ihren europäischen Vorstehern gerieten. Diese christlich europäischen Regeln verknüpften sich mit kulturellen Praxen wie Bildungswesen, Kommunikationsformen, Körperlichkeit, Familienleben, Rechtsvorstellungen und -überlieferungen, Kulturvorstellungen, Naturvorstellungen, Musik, Politik usw. Diese „modernen“ kulturellen Praxen führten zu Anschauungen, die die Identität der Ewe-Christen hybridisierten. Beispielsweise neigten die christlichen Ewe dazu, einen christlich europäischen Namen zu übernehmen und daraus folgend die soziale und kulturelle Signifikanz des traditionellen Namens zu vernachlässigen.
5.1 KÖRPERLICHKEIT Die Ewe-Christen verpflichteten sich nicht nur, ihren Landsleuten das Evangelium zu verkünden, sondern sie mussten auch als Vorbilder in ihrem Handlung und ihrer Leistung gelten. Ihre Lebensführung wurde allgemein zu einem Maßstab des „Christenthums“ im Ewe-Land. Ihr Aussehen, ihre Kleidung, ihr Charakter sowie weitere moralische, geistige und körperliche Handlungen wurden von Missionaren genau beobachtet.
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5. Transkulturationen: Kategorien hybrider Kultur in der Ewe-Gesellschaft
5.1.1 Gesundheitszustand, Aussehen Bevor die jungen Ewe-Christen zur Ausbildung nach Württemberg geschickt wurden, mussten sie strenge Bedingungen erfüllen. Dabei ging es nicht nur um ihre geistige Leistung, sondern auch um ihr Aussehen und ihren Gesundheitszustand. Sie wurden ärztlich untersucht. Nur diejenigen, die gesund waren, schienen aus Sicht der NMG in der Lage, das deutsche Wetter zu ertragen. Ferner wollte die NMG verhindern, dass ihre Studenten ansteckende Krankheiten nach Deutschland brachten. Außerdem mussten ihre Eltern mit der Deutschlandreise einverstanden sein. Diese Bedingungen brachten die Missionare dazu, jüngere Schüler zu bevorzugen. Denn die älteren Schüler waren zurückhaltend, nach Deutschland zu gehen. Entweder waren sie bereits verheiratet und hatten verschiedene Verpflichtungen gegenüber der Familie bzw. der Gesellschaft, oder ihre Eltern waren mit dem Aufenthalt in Deutschland nicht einverstanden. Nichtsdestoweniger schienen die jungen Ewe-Schüler wegen ihres Alters in den Augen von einigen Missionaren meistens körperlich nicht kräftig und geistig nicht reif genug zu sein. Hierzu führte Missionar Carl Spieß aus: „Damit komme ich auf einen Mangel, den ich bisher sehr empfunden habe. Der erste besteht darin, dass unsere Leute zu jung nach Deutschland gerufen wurden. Man kann uns wohl sagen: „Ja, das lag ja ganz in Eurer Hand, Ihr durftet nur uns ältere Leute schicken, dann nahmen wir sie mit Dank an.“ Doch, das lag nicht in unserer Hand, denn fürs erste sind tüchtige, gesunde & willige junge Leute überhaupt in Afrika sehr dünn gesät, & zum anderen haben uns eben die von uns für brauchbar gehaltenen Leute erklärt, sie gehen nicht, & andere waren nicht gesund genug. Wollen wir also den Wünschen des Vorstandes gerecht werden, so mussten wir in die jüngeren Jahrgänge hereingreifen & auch unter ihnen konnte man nur die Willigen schicken. Als es sich das letzte Mal um 3 Jünglinge handelte, hatte der Arzt bei zweien Bedenken, von wegen ihrer schwachen Brust. Man schickte dem Vorstand die Gesundheitszeugnisse ein, & er hatte den Mut, selbst den zu wünschen, für den der Arzt am meisten Sorge hatte. Das war deswegen sehr auffallend, weil wir seinerzeit bei Elisa Kendes notwendig gewordenen Rückkehr sehr daran erinnert wurden, dass man doch ja nur ganz gesunde Leute schicken soll. Ich bin mit Br. Däuble ganz der Meinung, dass diese zu jungen Leute nicht den Gewinn von ihrem Aufenthalt hier haben, den sie haben müssten, wenn sie ihrer Heimat etwas rechtes nützen sollen.“ C. Spieß an Zahn. Die Ausbildung der Evheer in Deutschland, Gründe gegen dieselbe. Bremen, den 22. 2. 1897 (7,1025–29/6).
Es muss hier vermerkt werden, dass das Alter der Ewe-Württemberger eine wichtige Rolle während ihrer Ausbildung in Deutschland spielte. Sie reisten allgemein im Alter zwischen 15 und 18 Jahren und kamen zwischen 18 und 21 Jahren alt nach Afrika zurück. Sie waren außerdem in der eigenen traditionellen Kultur wenig verwurzelt. Sie waren deswegen offen für die Missionsausbildung und leicht geneigt, die eigene traditionelle Religion zu verleugnen. Ihre meisten Beiträge in Deutschland während ihrer Besuche der christlichen Gemeinden zielten darauf, das Christentum und die traditionelle Religion zu vergleichen, wobei das erste das Licht sei und die zweite die Finsternis bedeutete. Robert Baëta, Theodor Martin Se2o2e Bebli, so wie viele andere ihrer Kommilitonen
5. Transkulturationen: Kategorien hybrider Kultur in der Ewe-Gesellschaft
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hielten am Ende ihrer Ausbildung Vorträge, in denen sie die eigene traditionelle Kultur in Form der traditionellen religiösen Praktiken anprangerten. Alle waren in den Anfangszeiten ihrer Missionstätigkeit im eigenen Land den Anhängern der traditionellen Religion und Kultur gegenüber sehr kritisch. Oft hörte es sich so an: die Mission sei „ein heiliger Krieg“ gegen die traditionelle Religion. Erst nach mehreren Jahren im Dienst der NMG im Ewe-Land schienen sie der traditionellen Kultur gegenüber versöhnlicher zu werden. Darüber hinaus waren sie nach ihrer Rückkehr aus Deutschland fast so jung wie ihre lernenden Schüler in Afrika, so dass es ihnen an Autorität fehlte. Missionar Gustav Härtter bemerkte dazu kritisch: „Damit ist ein doppelter Übelstand verknüpft. Fürs erste kommen sie zu jung wieder in die Heimat zurück. Während ihre Altersgenossen vielleicht noch auf dem Seminar sind, werden sie schon als Lehrer im dritten oder vierten Dienstjahr stehend behandelt. Diese Bevorzugung hat keine gute Wirkung, für den Mann selbst nicht und für seine auf bedeutend niederer Gehaltsstufe stehenden Altersgenossen nicht. Das ist besonders dann geradezu peinlich, wenn letzterer in der Schule, überhaupt in der Amtsführung, den Deutschgeschulten überragt.“ C. Spieß an Zahn. Die Ausbildung der Evheer in Deutschland; Gründe gegen dieselbe. Bremen, den 22. 2. 1897 (7,1025–29/6).
Nach Rückkehr in Afrika waren alle Ewe-Württemberger wieder mit dem tropischen Klima konfrontiert. Ehe sie ihre Arbeit aufnahmen, wurden sie oft krank. Sie bekamen Fieber und mussten sich eine Weile wieder in der tropischen Umgebung einleben. Timotheo Mallet hielt das für selbstverständlich, als er über seine Erkrankung an Fieber berichtete: „[…] Es ist immer so gewesen, dass alle die Brüder, die sich in Deutschland aufgehalten hatten und wieder in die afrikanische Heimat zurückgekehrt waren, mit dem gefährlichen Fieber zu kämpfen hatten. Mich hat es auch nicht verschont. Ich habe eine ganze Woche im Bett liegen zubringen müssen, aber gottlob durfte ich mich bald erholen.“ Tim Mallet an Inspektor. Ho, den 26. November 1900 (7,1025–6/4).
Trotz der sorgfältigen Auswahl der Ewe-Württemberger unter anderen nach gesundheitlichen Kriterien waren viele im Laufe ihres Arbeitslebens krank. Sie konnten deswegen ihren Dienst nicht regelmäßig erfüllen. Christian Ali5odzi Se2o2e, Samuel Quist, Robert Kwami waren oft wegen Krankheit verhindert. Die ersten beiden wurden deswegen vorzeitig in den Ruhestand versetzt. Amet4wobla, Elisa Kende und Theodor Bebli Se2o2e starben während der Ausübung des Missionsdienstes. Diese Todesfälle erklärten die Missionare nicht unbedingt mit gesundheitlichen Gründen, sondern mit dem Willen Gottes. Es war ja ein Aspekt der pietistischen Vorstellung vom Missionsdienst.
5.1.2 Kleidung, Essen, Trinken Die Missionare legten viel Wert darauf, dass die Ewe-Württemberger christlich europäische Kleidungs- und Essgewohnheiten übernahmen. Auch beim Essen mussten sie bestimmte Gewohnheiten beachten. Die sollten sie auch ihren Frauen
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5. Transkulturationen: Kategorien hybrider Kultur in der Ewe-Gesellschaft
und Kindern beibringen. Das Resultat war Missionar Spieth zufolge unterschiedlich. In einigen Familien der Ewe-Christen seien die Kleidungs- und Essgewohnheiten traditionell geblieben. Frauen seien größtenteils dafür verantwortlich. Hierzu Spieth: „Allen unsern Evhe-Frauen, (Julia Ali5odzi macht davon keine Ausnahme) fällt es schwer, sich anständig zu kleiden. Ganz ebenso ist mit dem Essen. Werden Schwarze in Deutschland ausgebildet, so muss man auch für besser gebildete Mädchen Sorge tragen. Das gemeinsame Essen mit dem Mann fällt der Evhe-Frau so schwer, dass es mehr als der Einfluss des Mannes dazu braucht, um diesen Widerstand zu brechen. Durchgeführt habe ich diese Tischordnung erst bei Samuel Newell gesehen & ich glaube auch bei Chr. Ali5odzi. Die guten Absichten der Männer scheitern immer an dem beharrlichen Widerstand der Frauen. Warum aber? Weil das afrikanische Weib sich nichts sagen lassen will, was sie müsste, sobald sie mit dem Mann essen würde. Es gibt auch bei dem Afrikaner, der mit der Hand isst, Anstandsregeln, die in ihrer Art ebenso fein sind als diejenigen, die sich auf den Gebrauch von Löffel, Gabel und Messer bei uns beziehen. Auf die Beobachtung dieser Regeln legt der Mann Wert, die Frau dagegen im Allgemeinen nicht. Darin liegt ein Grund warum ein gemeinsames Essen schwer fällt. Ich muss bekennen, mir ginge es ebenso. Ein großer Teil des Nutzens, der die Erziehung in Deutschland einzelnen bringt, geht ihnen durch ihre Frauen später wieder verloren.“ Spieth an Inspektor Zahn. Gutachten über die Ausbildung der Eυeer in Deutschland. Schorndorf, den 10. Sept. 1897. S.2f. (7,1025–29/6).
Carl Spieß kritisierte auch das nachlässige Benehmen der Frauen der EweChristen. Er zielte mit seiner Kritik besonders auf die Frauen Andreas Akus und Hermann Y4y4s, die zu damals bekanntesten Ewe-Mitarbeitern zählten: „Keiner Frau fällt es schwer[er ?] sich anständig zu kleiden als der unseres sonst so tüchtigen Andreas Aku. Das anständige Tragen der Kleidung fällt den Frauen unserer Ewe-Angestellten nicht schwerer als den Frauen eines Andreas Aku und Hermann Y4y4.“ Spieß an Zahn. Bremen, den 22. 2. 1897 (7,1025–29/6)
5. Transkulturationen: Kategorien hybrider Kultur in der Ewe-Gesellschaft
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Abb. 47. Christian Ali5odzi Se2 o2 e mit Frau (Julia) und Tochter (Henriette) und Schwägerin (Amewokp4sina) und Bruder (Theodor Bebli) in Keta, ca. 1883 (7,1025– Fotos 0326)
Eigentlich zielte Spieß indirekt gegen Aku und Y4y4, wenn er ihre Frauen kritisierte, weil er oft in Konflikt mit ihnen trat. Auch allgemein stellte Spieß ähnliche Unzulänglichkeiten bei der Esskultur der Ewe-Württemberger fest: „Das gemeinsame Essen (Mann und Frau) setzen die Deutsch-Evheer nicht besser durch als die andern es vermögen. Gerade dieser Punkt hat bei Andreas Aku und Hermann Y4y4 noch seine Schwierigkeiten.“ Spieß an Zahn. Bremen, den 22. 2. 1897 (7,1025–29/6)
In Spieths und Spieß’ Schilderungen der Kleidungs- und Essregeln spiegelte sich die pietistische Vorstellung, die die christliche Frau zu einem frommen Weib machte. Ein frommes Weib solle fast alle Körperteile ständig bekleidet halten.
5.1.3 Haushaltführung, Hygiene, Ordnung Die pietistischen Kleidungs- und Essregeln mussten die Ewe-Christen nach der Kirchenordnung einhalten. Um diese Regeln zu stärken, beförderte die Mission eine christliche „Mädchen und Frauenerziehung“ (Lubrich 2002). Aber die soziale und kulturelle Umgebung in der Ewe-Gesellschaft stellte eine andere Realität dar. Das Sozialleben dort wies der Frau eine andere Rolle im Hause zu. Die Frau war in der traditionellen Gesellschaft hauptsächlich für den Haushalt zuständig. Im Haushalt saß sie stundenlang beim Kochen neben dem Feuer, das mit Holz gemacht wurde und Rauch erzeugte. Sie holte oft Wasser aus weiter Entfernung,
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räumte den staubigen Haushof auf. Mehr noch: Sie machte alles das oft im heißen, sonnigen Freien. Ihre ständige Bewegung führte dazu, dass es ihr schwer fiel, immer „fromm“ gekleidet zu sein, weil sie diese Kleidung als „Unbehaglichkeit“ betrachtete. Nur zu öffentlichen oder christlichen Zusammenkünften kam die Frau in christlicher Kleidung. Obwohl sie als die Gefährtin ihres christlichen Mannes galt, dem sie ständig beistand, änderte sich ihre Rolle im Haushalt nicht. Die meisten Frauen der Ewe-Christen waren Hausfrauen geblieben. Die Rolle des Mannes als „Herr“ in der traditionellen Familie machte es ferner schwer, dass er gemeinsam mit seiner Frau aß. Die Frau aß öfters mit ihren Kindern in der Küche bzw. auf dem Haushof, und der Mann entweder allein oder mit seinem Sohn oder mit seinen Söhnen. Wegen der Familienverhältnisse, in denen einerseits die Rollen der Eltern stark verschieden waren und andererseits die Familie aus vielen Kindern, Verwandten und Hausgenossen bestand, war ein gemeinsames Essen von Mann und Frau oft nur schwer möglich. Die traditionelle Lebensart blieb im Haushalt oft in Kraft. Außerhalb des Haushalts schienen mehr christliche Regeln eingehalten worden zu sein. Spieth räumte ein, dass er die Familien der Ewe-Württemberger nicht regelmäßig zuhause besuchte, aber draußen würden ihre Frauen und Kinder einen guten Eindruck machen: „[…] Ich kann das Familienleben unserer in Deutschland gewesenen Lehrer zu sehr nur aus der Ferne [beobachten], als dass ich es wagen dürfte, einen Vergleich anzustellen. Bei Andreas Aku habe ich die nach Landesart umhergehende Frau fleißig bei der Arbeit und ihre Kinder sauber gekleidet gesehen. Ich glaube, dass Br. Seeger ein ähnliches Zeugnis über S. Kwist abgeben könnte.“ Spieth an Inspektor Zahn. Gutachten über die Ausbildung der Eυeer in Deutschland. Schorndorf, den 10. Sept. 1897. S. 3f. (7,1025–29/6).
Carl Spieß war da anderer Meinung. Er fand kein Vorbild betreffend Reinlichkeit und Hygiene unter den Ewe-Württembergern außer Albert Binder: „Unter den in Deutschland gewesenen Evheern macht […] nur Albert Binder eine nämliche Ausnahme. Er legt sehr viel Wert auf Reinlichkeit und Sauberkeit. Binder weiß diese seiner guten Seite hervorzuheben. Männer wie Andreas Aku, Hermann Y4y4, Benj. Onipayede zeichnen sich vor ihren anderen Collegen an nichts aus. […] Ein Blick in die Wohnstätte von Benjamin zu werfen, ist wenig erfreulich. Von Stuben-Ordnung Benjamins hat nicht einmal die Sauberkeit […] eines Gottfr. Adika und ist nicht weit entfernt von der Unsauberkeit des alten Immanuel Kwist in Ho.“ Spieß an Zahn. Die Ausbildung der Evheer in Deutschland; Gründe gegen dieselbe. Bremen, den 22. 2. 1897 (7,1025–29/6).
Spieth stimmte zu, dass Benjamin Onipayede in Unordnung lebe, meinte aber, Onipayede bilde eine Ausnahme. Auch Missionare selbst seien seines Erachtens nicht von Unordentlichkeit ausgeschlossen: „[…] Bedenkt man aber, dass die Ordnung eine Tugend ist, die auch unter uns Missionaren in sehr ungleichem Maße zu finden, so urteilt man milder. Mit Ausnahme von Benjamin Onipayede, dessen Unordnung allerdings einzig ist, habe ich beobachtet, dass die Männer alle eine weit größere Ordnungsliebe haben als die Frauen. Solange einer ledig [ist], ist gewöhnlich alles in schöner Ordnung (d. h. scheint zu sein), nach der Verheiratung dagegen wird’s anders. Wenn der Mann es selber thut oder aber sich einer Knaben hält, ist die Stubenordnung einigermaßen leidlich. Verlässt sich der Mann auf die Frau, so findet man selten oder nie ein
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ordentliches Zimmer.“ Spieth an Inspektor Zahn. Gutachten über die Ausbildung der Eυeer in Deutschland. Schorndorf, den 10. Sept. 1897. S. 2 (7,1025–29/6).
5.1.4 Gender-Beziehungen und Familienleben Die Ewe-Württemberger waren verpflichtet, der Missionsleitung ihre Heiratsabsichten vorzulegen und ihre jeweiligen Bräute vorzustellen. Anschließend mussten ihre Bräute Christinnen werden, wenn sie noch der traditionellen Religion angehörten. Nur dann wurde das Paar christlich getraut. Die Kinder aus der Ehe sollten nach christlichen Regeln und christlicher Sitte erzogen werden. Demzufolge durfte eine christliche Familie keine traditionellen Regeln mehr einhalten, wenn sie der Kirchenordnung entgegenstanden. Der Ewe-Katechist durfte erst zum Pastor ordiniert werden, wenn er ein vorbildliches Familienleben führte: „[…] Anforderungen an ordinierte Gehilfen: Hiebei kommen Katechisten in Betracht, die sich durch besondere Tüchtigkeit, während einer längeren Amtsführung ausgezeichnet haben. Neben mustergültigem Familienleben wird auch eine tüchtige Schulbildung vorausgesetzt, die ihnen auch den Mitarbeitern gegenüber den nötigen Respekt verschaffen.“ Bürgi. Entwurf der Zusammenstellung der Anforderungen an die Gehilfen unserer Mission von 21. 1. 1902 (7,1025–29/1).
Welche Rolle und Stellung hatte die Familie innerhalb der christlichen Gemeinde? Timotheo Mallet, Sohn des ersten ordinierten Ewe-Pastors, führte hierzu aus: „Die Familie ist die älteste und die ehrwürdigste Stiftung Gottes in der Welt. Sie ist derjenige Stand aus welchem die Kirche oder der geistliche Stand und der Staat oder der weltliche Stand erwachsen. Bevor es Könige gab, gab es Eltern, ehe es Untertanen gab, gab es Kinder. Bevor es Kirchenväter gab, gab es Hausväter. Daher ist und bleibt die Familie die Grundlage aller öffentlichen Ordnung und Wohlfahrt. Das geistige und äußere Gedeihen und die segensreiche Entwicklung eines Volkslebens beruht wesentlich auf einem gesunden, gottwohlgefälligen Familienleben. In der Christianisierung eines Volkes ist das Familienleben auch von größter Bedeutung. Soll das Christentum unter einem Volke feste Wurzeln fassen und dauernd Eigentum des Volkes werden, so müssen zuerst die einzelnen Familien ganz unter christlichen Einfluss gebracht werden. In der Familie liegen die Wurzeln der Kraft und Wurzeln der Schwäche eines Gemeinwesens. Darum hat Ernst Moritz Arndt gesagt: „Es ist in der stillen Hauswirtschaft von Adam und Eva, in dem einzelnen Haus oder Häuschen der geschlossenen Familie alles gute menschliche und göttliche Leben verschlossen, was auf Erden möglich ist.“. Timotheo Mallet. Zweiter Vortrag an der Lehrerkonferenz: „Das Haus des Lehrers, ein Vorbild des christlichen Familienlebens“. Atakpame, Oktober 1909 (7,1025–31/5).
Auch in der traditionellen Ewe-Gesellschaft hatte die Familie soziale und moralische Bedeutung. Missionar Carl Spieß gewann hinsichtlich des christlichen Familienlebens der Ewe-Württemberger im Ewe-Gebiet keinen positiven Eindruck. Mitarbeiter, die nicht in Deutschland waren, seien für die Ewe-Württemberger eher ein Vorbild. „[…] Familienleben: Was dieses betrifft sind Stef. Kwami und Frau, Paulo Tumitse und Frau, Jonas Mensa und Frau, Joh. Akama und Frau, Peter Kwist und Frau, Lawoe und Frau, Muster für unsere Deutsch-Evheer, abgesehen von sonstigen andern Christen und Lehrern, von deren
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Leben ich nur hörte.“ Spieß an Zahn. Die Ausbildung der Evheer in Deutschland; Gründe gegen dieselbe. Bremen, den 22. 2. 1897 (7,1025–29/6).
Die christliche Familie umfasste Eltern und Kinder. Die Eheleute sollten keinen Ehebruch begehen und vor der Ehe keinen Geschlechtsverkehr gehabt haben. Eindeutig verbietet der Paragraph 120 der Gemeinde-Ordnung auch eine Mischehe zwischen Katholiken und Protestanten (Gemeindeordnung der NMG (7,1025– 43/2). Diese Vorschriften wurden aber nicht immer eingehalten wegen der Realitäten des Umfelds. Die Familien in der Ewe-Gesellschaft bestanden nach wie vor nicht nur aus dem Mann, der Frau und den Kindern, sondern auch aus Verwandten. Es kam oft vor, dass die Verwandten der christlichen Familien noch der traditionellen Religion angehörten. Oder Hausgenossen und Kinder aus der Verwandtschaft wurden Christen, aber die leiblichen Eltern, die Angehörige der traditionellen Religion blieben, entschieden über die Angelegenheiten ihrer christianisierten Kinder. Dies führte zu Verwirrungen. Als Pastor Th. Martin Bebli Se2o2e 1922 Florencia, das Hausmädchen seines Kollegen Robert Baëta, heiraten wollte, griffen die nicht christlichen Eltern des Hausmädchens ein und lehnten die Heirat ab, denn dem Pastor Se2o2e „seien schon zwei Frauen gestorben gewesen“ (Der Heimgang von Os4fo Theodor B. Se2o2e (Schluss) v. R. Baeta. Lome, den 30. Juni 1922 (7,1025–24/6). Fast alle Ewe-Württemberger hatten während ihres Missionsdienstes eine „Hausgemeinde“ oder „Hausgenossen“. Die Hausgemeinde bestand aus Kindern der christlichen Familie einerseits und verwandten Kindern und Erwachsenen andererseits. Die Verwandten dienten meistens der christlichen Familie als Hausdiener/Innen. Wenn sie Kinder waren, wurden sie von der christlichen Familie in die Schule eingeschrieben und christlich erzogen, als Gegenleistung für ihre Arbeit im Haus. Die Erwachsenen erhielten Taufunterricht und materielle Unterstützung von der christlichen Familie. Christian Ali5odzi Se2o2e und seine Frau Julia hatten bis zu dreizehn Hausdiener, so wie auch Robert Baëta eine große Hausgemeinde hatte. Ebenso hatte Robert Kwami eine Hausgemeinde von über zwanzig Personen, bestehend aus Kindern aus seiner ersten und zweiten Ehe und aus seiner Verwandtschaft.
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Abb. 48. Pastor Robert Baëta mit Familie und Hausgemeinde (7,1025– Fotos 0368).
Die Kirchenordnung berücksichtigte aber die kulturelle und soziale Konstellation einer solchen Hausgemeinde nicht. Wegen der vielen christlichen Pflichten, die die Ewe-Württemberger in der Gemeinde zu erfüllen hatten, konnten sie kaum auf die vorgeschriebene christliche Erziehung der Kinder achten. Deswegen hatten viele Ewe-Württemberger in den Augen von Missionaren Schwierigkeiten mit dem christlichen Familienleben. Berichte der Missionsleitung in Lome nach Bremen und Korrespondenzen zwischen Andreas Aku und dem Missionsvorstand in Bremen machten bekannt, dass zwei Töchter Andreas Akus mit dem Kirchenältesten Filipo Ayim schliefen, der sich um sie kümmerte, während Aku und seine Frau auf Predigtreisen waren. Eine Tochter Samuel Quists beging wahrscheinlich vorehelichen Geschlechtsverkehr, während sie als Lehrerin im Kindergarten in Kpalime arbeitete, und wurde deswegen entlassen. Einige von den neunzehn Kindern Robert Kwamis waren „schwierige“ Kinder, wahrscheinlich weil ihr Vater kaum Zeit für ihre Erziehung hatte. Robert Baëta konnte seine erste Verlobte nicht heiraten, weil sie mit einem anderen Mann schlief, während sie aufgrund der Gemeindeordnung noch getrennt lebten. Außerdem wurden einige EweWürttemberger beschuldigt, sie hätten ihre Frauen betrogen oder unsittlich gelebt. Albert Binder wurde ein Ehebruch vorgeworfen (Albert Binder an Osswald. Kpele, 2. Juni 1901. (7,1025–20/1). Hermann Y4y4 habe kein musterhaftes Familienleben, weil er Polygamist sei, und wurde deshalb aus der Mission entlassen. Trotz der Schwierigkeiten mit dem christlichen Familienleben haben sich viele Ewe-Württemberger im Missionsdienst bewährt. Sie wurden zulasten der Missionsordnung den lokalen Lebensweisen und den Realitäten der Umgebung gegenüber offener. Die Polygamie und die Mischehe schienen ihnen kein Hindernis mehr für das Christentum zu sein. Die Ewe-Württemberger tauften Polygamisten der Gemeinde, die die Kirche in mehreren Weisen unterstützten, obwohl sie wussten, dass die Taufe von Polygamisten gegen die Kirchenordnung verstieß. Ebenso durften Frauen von polygamen Männern getauft werden, wenn die ersteren der
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Gemeinde angehörten. Zu der Frage der Mischehe traten sie bei der Konferenz der in Deutschland ausgebildeten Ewe-Lehrer gegen die Kirchenordnung auf. Die Mischehe sowohl mit Katholiken als auch mit Anhängern der traditionellen Religion sei von der Bibel selbst toleriert. Hierzu die jeweiligen Standpunkte: „In Ehesachen und Einführung von Einehe in die christliche Gemeinde soll man nach dem Worte Gottes sich halten, und die Gemeinde sein gegen a. Vielweiberei, b. Ehebruch, c. Ehescheidung. Matth. 19, 3–9, I. Kor. 7, 10. 11. 39. Letztere sollte, wenn irgend möglich, besonders in jungen christlichen Gemeinden vermeiden werden. Das Wort Gottes ist nicht gegen gemischte Ehe. I. Kor. 7, 12–14, und man kann sie nicht immer vermeiden, besonders auf dem Missionsgebiet. a. In der Ehe zwischen Christen und Heiden. Apostelgeschichte 16, 1–3. II. Tim 1, 5.; b. In der Ehe zwischen Protestanten und Katholiken. […] Nach Apostel Paulus im I. Kor. 7 ist gemischte Ehe erlaubt in der christlichen Gemeinde.“ Zweite Konferenz der in Deutschland ausgebildeten Lehrer in Kpalime, 21.–22. Juli 1909. Zusammengestellt und ins Deutsch übertragen von A. Aku, Lome (7,1025–29/1).
Diese Stellungnahme der Ewe-Württemberger gegen die Kirchenordnung zeigte, dass die christlich pietistische Gemeindeordnung oft den kulturellen Realitäten der Ewe-Gesellschaft nicht entsprach. Die Ewe-Christen standen zwar treu zur Ordnung, aber adaptierten sie je nach den kulturellen Umständen. Sie verständigten sich bei der Konferenz darauf, auch Kinder zu taufen, deren Eltern aus der Gemeinde ausgeschlossen worden waren.
5.2 KOMMUNIKATIONSFORMEN Die Kommunikationsmittel der NMG beruhten überwiegend auf der pietistischen Kommunikationsmethode, die die Pietisten damals in Württemberg entwickelten. Es waren Berichte, Korrespondenzen, Reisen bzw. Besuche, (Auto-)Biografien etc. Das Ewe-Gebiet galt in dieser Hinsicht als das Experimentfeld der christlichpietistischen Kultur. Inwiefern wirkte diese Kultur auf die Ewe-Württemberger? Wie haben sich diese kulturellen Elemente in der Ewe-Gesellschaft verwandelt?
5.2.1 Sprachen Ewe-Christen, die von der Mission angestellt wurden, hatten die Pflicht, regelmäßig über ihre Tätigkeiten zu berichten. Sie schickten dem Missionsvorstand entweder Quartal- oder Halbjahres- oder Jahresberichte. Sie waren seit ihrer Ausbildung in Deutschland mit dieser Übung vertraut. Sie unterhielten Korrespondenzen in der Zeit ihres Aufenthalts in Deutschland sowohl mit Missionsleuten als auch mit Eltern und Verwandten in Afrika. Diese Übung erforderte Sprachkenntnisse. Deswegen waren alle Ewe-Württemberger mindestens dreisprachig. Sie konnten ihre Muttersprache Ewe – und für manche aus den Minoritätsvolkgruppen die jeweiligen Dialekte, die Missionssprachen Deutsch und Englisch und später mussten manche wegen der politischen Lage dazu Französisch können. Die Beherrschung dieser Sprachen trug zu ihrer Kompetenz in der Missionstätigkeit und
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auch bei anderen Gelegenheiten bei. Die Sprachbegabung der Ewe-Württemberger stand in den Augen der Missionare außer Zweifel. Missionar Jakob Spieth, Präses der NMG im Ewe-Land, hospitierte oft bei seinen Ewe-Mitarbeitern im Unterricht und berichtete, dass er von keinem der in Deutschland Ausgebildeten je eine Klage über sein mangelhaftes Wissen gehört hatte (Spieth an Inspektor Zahn. Schorndorf, den 10. September 1897 (7,1025–29/6). Ewe-Württemberger vertieften ihre Sprachkenntnisse, indem sie sich außerhalb der Unterrichtsstunden weiter bildeten. Sie lasen Zeitungen, Zeitschriften in mehreren Sprachen: „ […] Samuel Kwist liest & studiert viel deutsche Schriften. Isaac Kwadzo in Ho, ebenso Nathanael Kwami lesen deutsche Bücher; Elisa Kende in Kpenoe hat mehrere Bände Missionsmagazin durchgelesen.“ Spieth an Inspektor Zahn. Schorndorf, den 10. Sept. 1897. S. 9f (7,1025–29/6).
Die Sprachbegabung der Ewe betonte die Mission überall, wo es nötig war, um die rassistische These über die Bildungsunfähigkeit des Afrikaners zurückzuweisen. An der Fußnote Robert Kwamis Jahresberichts 1929 vermerkte Missionar Wiegräbe Folgendes: „In dem sieben Quartseiten umfassenden Jahresbericht von Pastor Kwami fand sich kein einziger sprachlicher Fehler, auch waren alle Zeichen richtig gesetzt. Viele Deutsche gibt es, die ihre Muttersprache nicht so beherrschen wie dieser Afrikaner die deutsche Sprache! An dem kurzen Abschnitt, den wir oben bringen, können sich unsere Leser selbst davon überzeugen und zugleich sehen, welche Gabe der Darstellung unserem Pastor Kwami eigen ist. Übrigens könnten wir von mehreren unserer afrikanischen Brüder dasselbe sagen.“ Wiegräbe. Aus dem deutsch geschriebenen Jahresbericht für 1929 von Pastor Robert Kwami, Amedz45e. MonatsBlatt der NMG. Bremen, November 1930. Zwei Beispiele von Glaubenstreue. S. 273; Vgl. (7,1025–30/2).
Nicht nur die Beherrschung der deutschen Sprache begeisterte Missionare, sondern auch die Art und Weise, wie Ewe-Württemberger mit mehreren Sprachen umgingen. Dies unabhängig von den Beurteilungen der afrikanischen Missionsmitarbeiter nach ihrer „christlichen Sittlichkeit“. Auch den ausgewiesenen Mitarbeitern wurde diese Eigenschaft bekannt. Hierzu Wiegräbe: „Kwami war ohne Frage ein hochbegabter Mensch. Zum Beispiel beherrschte er die deutsche Sprache mit geradezu erstaunlicher Sicherheit. An Begabungen fehlt es nicht im Ewe-Volk. Einer unserer Lehrer sprach fließend deutsch, englisch, französisch und portugiesisch und musste doch aus der Arbeit entlassen werden.“ Wiegräbe (1948): 8f.
Ihre Sprachkenntnisse ließen die Kolonialregierungen auch nicht gleichgültig. Die britische Kolonialregierung erstellte einen Bericht über Ewe-Christen, darunter Ewe-Württemberger, die während des Kriegs die Verwaltung der Missionsarbeit übernahmen. In diesem Bericht betonte die Kolonialregierung ihre Sprachkenntnisse: “Name, (Station), (Years of Service), remarks: A. Aku (Lome) (37) speaks only a little English; R. Baeta (Lome) (19), mainly engaged in supervising schools, speak s and writes English well; S. Quist (Palime) (32), speaks moderately well, […]; E. Awuma (Ho) (22), speaks English fairly well; R. Kwami (Amedz45e) (22) speaks English fairly well; T. Amet4wobla (Ak-
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pafu) (19), speaks English fairly well; T. Se2o2e (Atakpame) (22) speaks English fairly well.[…]” Otman. Director of Education. Report. 3. Februar 1919. Page 5. In: Archiv PRO, London, (CO 96, Nr. 598, code 18974).
Allerdings beängstigten die Sprachkenntnisse der Ewe-Württemberger dann und wann ihre Vorgesetzten. Missionar Carl Spieß kritisierte die Neigung der Afrikaner zur Bildung, die er für schädlich für die Mission hielt. Ihm zufolge würden die Ewe-Württemberger besonders hochmütig und aufsässig ihren deutschen Vorgesetzten gegenüber. Dem Missionar Spieß gefiel nicht, dass Andreas Aku den „lieben seligen“ Missionar Knüsli u. a. in Ewe „vermeistern“ wollte (C. Spieß an Zahn. Die Ausbildung der Evheer in Deutschland; Gründe gegen dieselbe. Bremen, den 22. 2. 1897 (7,1025–29/6).
5.2.2 Ausbildungsbesuche und –reisen Während der Ausbildung der Ewe-Studenten in Deutschland achtete der Missionsvorstand darauf, dass sie nur Kontakt zu christlichen musterhaften Kreisen hatten, die ihr Christentum positiv beeinflussen sollten. Sie wurden prinzipiell von so genannten „gottlosen“ Menschen ferngehalten. Ebenso allgemein von den Kritikern des Missionsgedankenguts und der Kirche. Ustorf zufolge beschränkte sich dieses Interesse nicht nur auf die Fernhaltung der Afrikaner von einer bestimmten Bevölkerungsgruppe – der vor allem großstädtischen Industrie– und Handarbeiter. Er führte aus: „Für die Afrikaner der Kolonialzeit war die Entdeckung des armen Weißen, der in subalterner Position körperlich arbeitete, im allgemein ein beeindruckendes Erlebnis: Die in den Kolonien zur Schau gestellte Superiorität des Europäers stellte sich als Mythos heraus, wodurch die afrikanische Gleichforderung großen Auftrieb erhalten musste. Zweifellos konnte die Norddeutsche Mission derartige Kontakte nicht verhindern, aber man versuchte dies zu kompensieren, indem man den Afrikanern mit Vorliebe die „Wunder unserer Civilisation“ zeigte etwa die solide Pracht der Kaufmannshäuser in Bremen oder die Silberwarenfabrik des Industriellen C. Wilkens in Hemlingen, eines früheren Vorstandsmitgliedes.“ Ustorf (1989): 271.
In den Schulferien organisierte Pfarrer Binder für die jungen Ewe Reisen bzw. Besuche. Sie besuchten pietistische Familien von Missionaren, Missionsfreunde und Gemeinden. Robert Baëta berichtete über die Personen, die er und seine Schulkameraden meistens besuchen durften: „Ja, in Deutschland haben wir nicht nur viel Liebe und Freundlichkeit erfahren, sondern wir haben auch das rechte, christliche Familienleben kennen gelernt. Wohl gab es auch schon damals viele gottlose Menschen, aber, gottlob, wir hatten wenig oder fast keine Gelegenheit gehabt, mit solchen Leuten zu verkehren, sondern stets mit recht frommen Persönlichkeiten, die uns die Fremde zur Heimat machten.“ Altena (2004): 67.
So brachten Besuche und Reisen die Ewe-Studenten in Städte und Orte wie Korntal, Stuttgart, Lichtenstein, Wilhelmsdorf, Waiblingen, Bremen, Lippe, Oldenburg usw. In den Sommerferien 1885 besuchte Andreas Aku Pastorenfamilien und
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Gemeinden, bzw. Missionsfreunde/innen in Lippe Detmold, Lemgo Vlotho usw. (Lebenslauf Andreas Aku 1922), während seine Schulkameraden H. Y4y4 und R. K4wu nach Korntal, Waiblingen, Stuttgart, Schorndorf gingen (K4wu an Inspektor. Ochsenbach, den 20. August 1885; vgl. Y4y4 an Inspektor. Ochsenbach, den 21. August 1885 (7,1025–29/5). Zu Weihnachten 1899 besuchten Asieni und Mensa Linkenheim bei Karlsruhe in Baden (Asieni und Mensa an Inspektor. Stuttgart, 1. 1. 1899 (7,1025–29/5). Die Ewe-Württemberger machten verschiedene Erfahrungen auf diesen Ausbildungsbesuchen und –reisen. Aus vielen dieser besuchten Orte stammten nicht nur Missionare und ihre Familien, sondern es waren auch Orte, wo die Mission tätig und die pietistische Kultur lebendig war. In Korntal trafen K4wu und Y4y4 zum ersten Mal andere schwarze Jungen, die für ähnliche Ziele nach Deutschland gebracht worden waren. Hierzu Y4y4s Erfahrung auf seiner „Vakanzreise“: „Wir sind […] abgereist bis Kornthal (ein Städtchen bei Stuttgart), und dort sind wir zwei Wochen lang geblieben. […] von dort aus waren wir bei Waiblingen gekommen (eine Stadt liegt auch bei Stuttgart) bei dem Herrn und Frau Oßwald (Eltern des neuen Missionars Oßwald). Dort waren wir auch 8 Tage lang; […] Wir waren auch in Stuttgart gewesen und hier haben wir viele Sachen gesehen (Tiergarten, Naturaliencabinett) und noch manches haben wir gesehen. Wir haben auch noch zwei Neger gesehen, einer ist in Kornthal heißt Michael Argawi aus Abessinien, er ist schon Missionar in seiner Heimat Abessinien. Er war auch sechs Jahre lang in Europa gewesen um Deutsch zu lernen, jetzt ist er ein tüchtiger Mann geworden, er hält auch schon oft Missionsstunden, zweimal habe ich seine Predigt gehört, er kann ganz gut Deutsch gerade wie ein Deutscher; er geht bald wieder nach Abessinien. Der zweite war in Schorndorf (bei Waiblingen) bei einem früheren Missionar heißt Christaler. Der Neger heißt Nicholas Clerk, er war im Oktober nach uns gekommen, jetzt kann er auch schon ordentlich Deutsch sprechen, er gehört aber zur Basler Mission, jetzt ist er schon in Basel; die beiden waren sehr freundlich gegen uns, wie wir auch gegen sie.“ Y4y4vi an Inspektor. Ochsenbach, den 21. August 1885 (7,1025–29/5).
Nach Afrika zurückgekehrt, wurden die Ewe-Württemberger nicht nur Vermittler zwischen der Norddeutschen Mission und der Ewe-Gesellschaft, sondern sie nutzten auch ihre Sprachkenntnisse und Erfahrungen auf Reisen und Besuche, um unter ihren Landsleuten zu predigen und das Christentum zu verbreiten.
5.2.3 Träume zwischen den Kulturen Außer der Predigt und Schulbildungsarbeit legten die Ewe-Württemberger auch großen Wert auf den Traum. Der Traum würde Ewe-Christen in direkte Kommunikation mit dem christlichen Gott setzten, glaubten sie. Ewe-Pastoren deuteten den Gemeindenmitgliedern diese Träume aus der christlichen Perspektive. Im Oktober 1915 hatte Helene, Mitglied der Peki Gemeinde, einen Traum. Sie durfte inzwischen nicht mehr am Abendmahl teilhaben, weil sie ihre Kirchensteuer nicht gezahlt hatte. Dennoch durfte sie den Sonntagsgottesdienst besuchen. Sie erzählte dem Pastor Albert Binder ihren Traum betreffend ihren Stand in der Kirche. In ihrem Traum, der in Awudome Tsito spielte, sehe sie „zwei Männer auf zwei
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schönen weißen „Eseln“ bzw. „Kamelen“. Die Männer traten in Gespräch mit ihr und wollten sie aufhalten, „aber ich ging an ihnen vorbei und verstellte mich in einem Busch. Dort sah ich vor mir eine Anzahl schöne junge Leute mit weißen Rücken, die alle mir ihre Rücken zukehrten […]. Nach einiger Zeit standen zwei von der Menge auf und sagten: „Wir wollen geschwind hinausgehen.“ Als sie aufstanden, machte ich mich auf, um mich von ihnen zu entfernen. Sie folgten mir aber nach. Ich sprang über zwei Zäune weg und kam in einen Hof, wo ich mich verstecken wollte. Die Türe, welche in das Zimmer führte, war aus dickem Papier gemacht. Ich machte die Tür auf und ging in das Zimmer. Auch die zwei Männer folgten mir in das Zimmer. „Machet die Tür zu!“ sagte ich, als sie hereinkommen wollten. Sie aber fragten: „Zeige uns erst deinen Schein, den du hast.“ Ich zeigte ihnen meinen Schein. „Einen Sonntagsschein hast du, “ sagte mir einer der beiden, „eine Abendsmahlkarte aber hast du nicht; warum gehst du nicht zum Abendsmahl?“ „Weil ich kein Geld habe“ antwortete ich. Sie fragten: „Wir wollen dir einen Brief an den Os4fo mitgeben, damit er dir von deiner versäumten Kirchensteuer etwas nachlässt. Kannst du dem Os4fo den Brief bringen?“ Ich antwortete: „Ja, ich kann ihn ihm bringen.“ Da schrieb einer den Brief und zeigte ihn mir. Der Brief ist keinem Buchstaben, sondern aus drei Personen geschrieben. Ich fragte ihn: „Was bedeuten diese drei Personen?“ „Sie heißen die Dreieinigkeit“ war die Antwort. Nun fragte er weiter: „Kannst du ihn dem Os4fo bringen?“ „Ja, ich werde ihn ihm bringen.“ antwortete ich. Es war eine Lampe in dem Zimmer; da sagten sie zu mir: „Bringe die Lampe her!“ Ich gab sie ihnen, da gossen sie Öl hinein und zündeten und gaben sie mir. Als ich nun von dort ausging, kam ich auf die Straße von Tsito, wo ich eine Menge schwarze Leute, die nur ganz notdürftig bekleidet waren, antraf. Diese Leute saßen auf Steinen und sie sagten zu mir: „Stelle deine Lampe auf den Fetischplatz, denn in unsere Stadt darf kein Licht kommen.“ Ich aber wollte meine Lampe nicht weglassen; deshalb sagten sie weiter: „Wenn du die Lampe nicht weglassen willst, dann musst du eine Ziege holen.“ Ich fragte: „Eine Ziege habe ich nicht, auch meine neue Lampe, die man mir gerade gegeben [hat], will ich nicht wieder hergeben.“ Da wurden sie zornig und zwangen mich, meine Lampe bei ihnen abzustellen. Ich konnte nichts mehr machen und überließ ihnen die Lampe. Nun ging ich weinend an ihnen vorüber und sagte zu mir selbst: „Ich will die alte Lampe meines Mannes holen und sie ihnen geben um meine neue Lampe nehmen zu können. Als ich weinte, da rief mir eine Stimme zu: „Helene, weine nicht, bringe nur dem Os4fo den Brief, den man dir gegeben hat.“ Nach dieser Rede erwachte ich und war sehr erschrocken.“ Zwei Träume nach Angabe v. Katechisten. A. Binder. Anum, den 12. Februar 1916 (7,1025–27/2).
Nun bat Helene tatsächlich bei Os4fo Albert Binder um ihre völlige Wiederaufnahme in die Gemeinde und um eine kleine Verminderung ihrer Kirchensteuer. Os4fo Binder glaubte an ihren Traum und intervenierte für sie beim Basler Missionar Zimmermann, dem vorläufigen Vertreter des Präses der NMG. Es gelang Helene, in die Gemeinde aufgenommen zu werden: „Am 19. Dezember wurde sie, nachdem ihre Kirchensteuer bis auf 8/– herabgesetzt war, von Os4fo Zimmermann in die Gemeinde aufgenommen.“ (Zwei Träume nach Angabe v. Kat. A. Binder. Anum, den 12. Februar 1916 (7,1025–27/2). Hinsichtlich Helenes Traums stellt man fest, dass viele Figurenbilder wie diese von Eseln, Kamelen, Reitern oder Öl und Lampe sowie diese der Dreieinigkeit öfter in biblischen Geschichten als in der kulturellen Umgebung der EweGesellschaft auftraten. Der Traum spielte eine wichtige Prophezeiungsfunktion sowohl in der Ewe-Gesellschaft als auch in der biblischen Geschichte. Ein EweChrist, der einen solchen Traum mit kulturell hybriden Figuren hatte, erreichte oft,
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dass die Gemeindevorsteher in seine Wünsche einwilligten, weil diese Traumfiguren seine Zuneigung zum Christentum zeigten. Darüber hinaus konnte derselbe Traum, der im traditionellen Raum spielte, von Vertretern der traditionellen Religionsformen auch von der lokalen kulturellen Perspektive gedeutet werden. Helene wollte eigentlich durch ihren Traum ihre Kirchensteuer reduzieren lassen und sich wieder in die christliche Gemeinde aufgenommen werden. Außerdem zeigte dieser Traum in den Augen des Pastors Binder, dass der christliche Gott den Glauben bei Afrikanern erweckte. Über einen zweiten Traum berichtete Albert Binder. Dieser Traum stellte das Christentum den afrikanischen Religionsformen gegenüber. Es ging um Kumi Kwasi, eine angesehene Person in Blengo und Sprecher des Peki Königs Kwadzo De VIII. Nachdem er in seinem Krankenbett einen Traum gehabt hatte, bekannte er sein vergangenes sündiges „heidnisches“ Leben im Bezug auf seinen Dienst im Königtum, gab offensichtlich sein traditionelles Amt auf und bat um Taufe, um Christ zu werden, ehe er starb. Anfangs Dezember 1915 war sein Zustand ganz hoffnungslos, und die Seinigen fingen schon an zu weinen, weil sie glaubten, es sei aus. Nach einigen Stunden erwachte er und erzählte Folgendes: „Wie ein Reisender kam ich an einen Ort und sah dort ein großes Haus. Das Haus war so hoch, dass man die Spitze desselben kaum sehen konnte. Als ich in das Haus hinein wollte, schloss man mir die Türe zu. Daraufhin traten zwei Männer mit Flügeln zu mir und sagten: „Du darfst nicht hier herein, denn du bist noch nicht bereit. Wenn du hierher kommen willst, dann musst du erst taufen lassen und wir wollen dich dann um 8 Uhr abholen.“ Ich kehrte um und sah einige Leute, die auf einem Weg zur linken Hand waren. Diese riefen mich an und sagten, ich solle zu ihnen zurückkehren. Sie sagten also: „Hier ist der Weg, den du gehen sollst, komm! Komm!“ Ich aber ging nicht, denn es war mir klar, dass dieser Weg, auf welchem die Leute waren, der Weg der Heiden ist. Ich werde niemals dorthin gehen, sondern den Weg der Christen werde ich gehen; darum rufet mir den Pastor; er soll mich taufen, dass ich bald meinen Weg gehen kann, denn ich werde bald abgeholt werden.“ Zwei Träume nach Angabe v. Kat. A. Binder. Anum, den 12. Februar 1916 (7,1025–27/2).
Da Pastor Binder des Bezirks nicht anwesend war, durfte der Presbyter Josua Buama den Kranken Kumi Kwasi nicht taufen. Deswegen betete Buama nur für ihn. Buama sicherte dem Kranken zu, dass Pastor Binder selbst in vier Tagen wieder da würde, und ihn erst dann taufen könnte. Kwasi versprach, in seinem Krankenbett zu warten, bis der Pastor ankam. Inzwischen hatte er denselben Traum wieder: „Schon zum zweiten Mal habe ich die Leute mit den Flügeln gesehen, die wieder zu mir gekommen sind; ich wusste aber nicht, ob es 8 Uhr war. Sie frugen mich wieder: „Bist du bereit? Wir wollen dich holen.“ Ich habe ihnen zur Antwort gegeben: „Ich bin noch nicht getauft.“ Zwei Träume nach Angabe v. Kat. A. Binder. Anum, den 12. Februar 1916 (7,1025– 27/2)
Als Pastor Binder zurückgekommen war, hieß er Kwasi, sein traditionelles Amt aufzugeben, ehe er ihn taufte: „Da er ein Beamter des Königs war, stellte ich verschiedene Fragen an ihn. In erster Linie fragte ich ihn, wie er es mit seinem Beruf halten wolle, falls er wieder gesund werde; ob er seinen Posten, den er als Christ nicht ausüben kann, verlassen werde oder nicht. Er war ja der
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Sprecher des Fia [Königs]. Er sagte mir: „Diese Arbeit ist für die Welt. Ich kann das nicht mehr tun. Ich will nur Christ werden und als ein Christ leben.“ Ich sagte ihm: „Wenn es so ist, musst du das dem König selbst sagen.“ Sofort schickte er zum König (Fia) und als derselbe mit seinen Leuten ins Haus gekommen war, sagte er selbst zu ihm, was er im Traum gesehen und weshalb er die Taufe verlange. „Es ist mein Wunsch, „ sprach er „ein Christ zu werden; darum bitte ich dich, mein Herr und König, wenn ich sterbe, brauchst du nichts für mich zu machen (keine Totenfeierlichkeiten). Die Christen sollen mich begraben. Wenn ich aber nicht sterbe und wieder gesund werde, dann werde ich als ein Christ leben und nicht mehr als ein Sprecher. So brauchst du also von nun an nichts mehr für mich [zu] tun; ich bin ein Christ.“ Zwei Träume nach Angabe v. Kat. A. Binder. Anum, den 12. Februar 1916 (7,1025–27/2).
Kwasi bedauerte nicht nur sein traditionelles Leben. Pastor Binder ließ ihn auch seine eigene Kultur und die traditionelle Glaubensform vor dem König und den Vertretern der traditionellen Kultur verleugnen: „Darauf frug ich ihn vor dem König und seinen Leuten, ob er besondere Sünden getan habe. „Ja, “ erwiderte er, „ich bin ein großer Sünder; von Frauen-Sachen bin ich nicht frei, da habe ich vielfach gefehlt. Ich war noch nie in der Kirche, aber ich weiß, dass ich ein Sünder bin; denn ich habe viel gehört von Gottes Wort. Ich habe gehört, dass wer ein Götzendiener ist und nicht dem Gott im Himmel dient, der ist ein Sünder. Ich habe bis jetzt diesen Gott nicht gedient, darum bin ich ein Sünder; aber ich weiß, dass wenn man mich tauft, Gott mir meine Sünden vergibt; denn den Weg der Heiden will ich nicht mehr gehen. Ich werde zum Christen-Gott gehen und darum bitte ich um die Taufe sogleich vor dem König.“ Während dem er sprach wurde seine Stimme immer schwächer, so dass man ihn nicht mehr viel fragen konnte. als er gefragt wurde, wie er heißen wolle, sagte er: „Moses.“ Darauf hin taufte ich ihn und bald nachher starb er.“ Zwei Träume nach Angabe v. Kat. A. Binder. Anum, den 12. Februar 1916 (7,1025–27/2).
Die Vorstellung Kwasis zeigt nicht unbedingt, dass er von dem Christentum überzeugt war, nämlich von dem christlichen Gott. Warf er sich selbst etwas in seinem Leben vor? Aller Wahrscheinlichkeit nach wollte er nicht unbedingt zum Christentum bekehrt werden, sondern sich bloß dem Gott des Guten und der Liebe anvertrauen. Durch den Os4fo Binder bekannte er seine bösen Taten in seinem Leben vor den Menschen, ehe er ums Leben kam. Pastor Binder positionierte sich insofern als der „moderne“ Vertreter des Gottes der Liebe. Os4fo Binder wusste wohl auch, dass die Taufe gemäß der Kirchenordnung erst nach einem Bibel- und Taufunterricht vollzogen werden durfte. Ausnahmsweise vollzog er an Kwasi eine Nottaufe. Kwasi war kein Christ geworden, sondern er befreite sich von seinem schlechten Gewissen durch den christlichen Os4fo. Der Traum wurde nicht nur als eine Kommunikationsform mit Gott betrachtet. Sowohl die christlichen Os4fos als auch die Priester der traditionellen Religionsformen hielten ihn auch für eine Prophezeiung. Pastor Albert Binder selbst hatte in seiner Kindheit einen Traum gehabt, der sein künftiges Treffen mit dem christlichen Gott prophezeie (Lebensgeschichte von Albert Binder 1929). Pastor Robert Kwami hatte ebenfalls einen Traum, der ihm in Erfüllung gegangen war: „Ihre Bemühungen um meinen Talar haben mich sehr beschämt, bitte sagen Sie den lieben Missionsfreunden meinen herzlichen Dank. Vor einigen Tagen sah ich im Traum, dass mir jemand einen Talar schenkte, und als ich erwachte, sagte ich meiner Frau, dass meine Bitte
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um einen Talar erfüllt werden wird und wirklich kam einige Tage später Ihr Brief, der es bestätigte.“ R. Kwami an Inspektor Schlunk. Amedz45e, den 13. Februar 1922 (7,1025–24/6).
Ferner betete Robert Kwami für einen todkranken Ewe-Christen, der im Traum erfuhr, dass er wieder gesund würde: „Auch der Vane-Lehrer, Siegfried Agbovi, hat etwas Wunderbares erlebt. Er erkrankte so ernstlich, dass man jede Hoffnung für ihn aufgab. Als die Krankheit ihren Höhepunkt erreicht hatte, sah er den Herrn im Traum, der ihm sagte: „Fürchte dich nicht, ich habe dich geheilt!“ Nach seinem Erwachen trat eine Besserung ein und nach einigen Tagen genas er.“ Robert Kwami. Bericht über das 3. Quartal 1919. Amedz45e, 19. 10. 1919 (7,1025–30/3).
5.2.4 Gebete und Wunder Zu den wichtigsten Kommunikationsmitteln der Christen mit Gott zählt das Gebet. Das Gebet sprachen die Christen häufig, um allerlei Gunst Gottes zu erlangen. Die Ewe-Christen beteten nicht nur, um in enger Verbindung mit Gott zu stehen, sondern auch um Wunder zu erleben. 1932 hat Os4fo Robert Kwami durch Gebet den aussätzigen Christen Samuel Buatsi auf der Missionsstation von Have geheilt. Sein Wunder habe Schule gemacht, berichtete Kwami an den Vorstand in Bremen. Im Mai 1937 sei der kranke Christ Paulo Kpodo ebenfalls durch Gebet von einer tödlichen Krankheit genesen: „[…] Ich bat den Herrn, mich gesund zu machen, denn Menschen können mir nicht helfen. Es hat aber sehr lange gedauert - drei volle Jahre! Eine schwere Glaubensprüfung für mich! Aber ich wurde nicht müde. Da geschah das Wunder. Eines Morgens, als ich aufgestanden war, spürte ich keine Schmerzen mehr im Kopf und in den Gliedern. Ich lief, sprang und sah, dass Gott mich gesund gemacht hat! O, welch eine Freude! Ja, wir haben einen lebendigen Gott, der Gebete erhört und Kranke gesund macht. Wohl bin ich allein, aber es geht mir zu gut, denn der Herr ist bei mir. In seinem Wort habe ich alles, was ich brauche und ich bin sehr glücklich.“ R. Kwami. R. S. Kwami an Missionsdirektor Schreiber. Amedz45e, den 18. Mai 1937 (7,1025–32/2).
Diese wunderbare Heilung steht im Rahmen der vielen Wunder, die Jesus Christus selbst in der Bibel vollbracht hat. Somit verfolge Robert Kwami nur den Weg des Heilandes, der gesagt hat: „Gehet hin in alle Welt und predigt das Evangelium aller Kreatur. Wer da glaubet und getauft wird, der wird selig werden; wer aber nicht glaubet, der wird verdammt werden. Die Zeichen aber, die da folgen werden denen, die da glauben, sind die: in meinem Namen werden sie Teufel austreiben, mit neuen Zungen reden, 18 Schlangen vertreiben; und so sie etwas Tödliches trinken, wird’s ihnen nicht schaden; auf die Kranken werden sie die Hände legen, so wird’s besser mit ihnen werden.“ Luther Bibel (1912): Markus 16: 15–18.
Mit diesen Versen rechtfertigte Robert Kwami sein Wunder durch Gebet, als der Missionsvorstand in Bremen und deutsche Missionsleute ihm nicht glaubten. Sie hielten es wahrscheinlich nicht für die Wahrheit, weil seit einem Jahrhundert es keinem Missionar der NMG gelungen war, durch Predigt ein Wunder zu wirken. Sie konnten kaum glauben, dass ein afrikanischer Christ Wunder im Namen Jesu
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Christi wirken konnte. Mehr noch: Die Zeit des Wunders sei im europäischen christlichen Kreisen schon längst vorbei. Die europäische Gesellschaft sei längst säkularisiert worden, und das Wunder gehöre nicht mehr zu der diesseitigen Welt, meinten sie. Darüber hinaus gab es nach der reformatorischen Lehre keine Wunder in der protestantischen Kirche mehr, während sie bei den Katholiken noch in Betracht gezogen werden. Dieser Zweifel der europäischen Christen führte Robert Kwami dazu, den schwachen Glauben der Europäer zu kritisieren, ihnen zu predigen und sie an das Evangelium zu erinnern: „Es tut mir Leid, dass man […] meinen Bericht für unwahr hielt. Es ist recht traurig, wenn selbst Theologen nicht glauben, dass heut noch außerordentliche Wunder geschehen. Was lehren und predigen sie denn? Die Missionsarbeit ist nichts anders als Wunder der Gnade Gottes […]. Mein Bericht beruht auf Wahrheit.[…] Als Paulo Kpodo schwieg, war ich tief gerührt und danke Gott, dass wir gläubige, treue Christen in unserer Kirche haben, an denen Er sich verherrlichen kann. Die ungläubigen Kritiker in Europa sollen nur herauskommen und Gottes Wunder sehen - dann müssen sie es glauben. Jesus aber hat gesagt: „Selig sind die, die nicht sehen, aber doch glauben.“ R. S. Kwami an Missionsdirektor Schreiber. Amedz45e, den 18. Mai 1937 (7,1025–32/2).
Wie weit geht der Glaube des Christen und bis zu welcher Grenze galt ein Glaube nicht mehr als christlich? Waren die Ewe-Christen zu eifrig mit ihrem Christentum geworden? Waren die deutschen Christen keine „wahren“ Christen mehr, wie es im Evangelium steht? Es war eine Tatsache, dass in der afrikanischen Gesellschaft Wunder durch Priester der traditionellen Religion gang und gäbe waren. Jeder Ewe, der später Christ wurde, war mehr oder weniger von traditionellen Sitten geprägt, die meistens auf religiösen Glaubensformen beruhten. Deswegen ist es nicht verwunderlich, dass jeder Ewe bzw. jeder in der Ewe-Gesellschaft geborene und aufwachsende Mensch in erster Linie gläubig war. Wurde Kwami vielleicht von dieser Glaubensform geprägt, über die er Wunder zu wirken schien, die aber die deutschen Missionare für „heidnisch“ hielten? Anders gesagt: mischten die christlichen Ewe-Gemeindenmitglieder ihren christlichen Glauben mit den traditionellen Glaubensformen, mit denen sie alltäglich umgingen? Alsheimer stellt die Frage, ob Kwamis Text nichts anders als ein Versuch afrikanisch-europäischer Grenzüberschreitung zu bewerten sei (Alsheimer 2000: 214). Mehr noch: Ich behaupte, dass der Text Kwamis nur die Übersetzung vielfältiger religiösen Lebensformen war, die der Ewe aus seinem Alltag kannte. In der Zauberei konnte die Eule vom Zauberer geistig besessen sein. In der Wahrsagerei konnte der Wahrsager einen Dieb unter vielen Verdächtigten herausfinden. Durch den Yeweh-Kult konnten Angehörige vor Lebensgefahren geschützt werden. Warum sollte also nicht der allmächtige christliche Gott, der Gott der Liebe, Wunder vollbringen? Das Leben in der traditionellen Ewe-Gesellschaft und die Erfahrung des Christentums stärkten eher den Glauben des Afrikaners als sie ihn veränderten. Die Erfahrung der Kommunikation mit traditionellen geistlichen Wesen half bei der Stärkung des christlichen Glaubens. Insofern war es nicht eigentlich das Christentum, das die Ewe reizte, sondern die Praxis einer „modernen“ Glaubensform und die Vorteile, die damit verbunden waren. Anders gesagt: die Ewe-Christen bezogen sich be-
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wusst oder unbewusst auf ihre traditionellen afrikanischen Glaubensformen, wenn sie das Christentum erlebten. Dabei tauschten sie die ersten durch das zweite eben kurzerhand aus. Denn bei ihnen sollten sich die ursprünglichen Glaubensformen als solche nicht ändern. Nur die Begriffe „Heide“ und „Gottheit“ wurden nach der Übernahme des Christentums kulturell aktualisiert und zu Begriffen „Christ“ und „Gott“ abgewandelt. Auf diese Weise positionierten sich die Ewe-Christen und besonders die Ewe-Württemberger innerhalb des Christentums in der hybriden Umgebung der Ewe-Gesellschaft.
5.2.5 Musik und Tanz Nach wie vor spielen Musik und Tanz im Alltag der Ewe-Gesellschaft eine unabdingbare Kommunikationsfunktion. Sie intervenieren sowohl in den sozialen und kulturellen Bereichen, als auch im religiösen. Die Vielfältigkeit ihrer Funktionen brachte Missionare oft dazu, sie als unnötige Kulturelemente wahrzunehmen. Traditionelle Musik und Tanz würden eher zum „Gelärm von Heiden“ zählen, das weder poetische Rhythmen besaß noch Regeln beachte. So wurden die jeweiligen traditionellen Veranstaltungen, begleitet mit Musik und Tanz, angeprangert, weil sie die „Stille“ des christlichen Gottesdienstes stören würden: „Unter den gewaltigen Bäumen inmitten der Stadt wurde die Trommel gerührt, dort versammelte sich Groß und Klein zum Lärmen, Singen und Spielen und zum Anhören von Geschichten; das ist so seit Jahrhunderten Volksbrauch, und niemand schließt sich ungezwungen davon aus. Nun müssen aber die Christen an dieser Versammlung vorbei, vielleicht von Angehörigen und Freunden bespottet oder auch verfolgt. Unser Gesang in der Kirche wurde vom Gelärm der Heiden manchmal fast überhört.“ Diederich Westermann, an den Inspektor, Lome, 28.3.1901 (7,1025–20/1).
Die Ewe-Württemberger hielten während ihrer Ausbildung in Deutschland und ihrer Missionstätigkeit im Ewe-Gebiet Vorträge, in denen sie aus der christlichen Perspektive die traditionellen religiösen und kulturellen Rituale ihrer Landsleute heftig diffamierten. Theodor Bebli Se2o2e kritisierte traditionelle religiöse Zeremonien im Todesfall: „Auf ein großartiges Begräbnis wird hoher Wert gesetzt. Den Heiden ist das Schießen, Trommeln, Tanzen und Lärmen die Hauptsache dabei, die Christen legen das Hauptgewicht auf Singen, ausgezeichnet Grabrede, und wo es geht auch Blasen. Die ganze Zeit hindurch wird gesungen. Die zum Gebet teilnehmende Stille und das ruhige ernsthafte Nachdenken sind noch nicht bekannt. Die Angehörigen des Verstorbenen meinen, sie müssen ihre Trauer zeigen durch allerlei Bewegungen des Körpers, viel Hin- und Herlaufen, Schreien, beständiges Rufen des namens des Verstorbenen und zuweilen auch durch rasendes Benehmen. Diese Art der Trauer ist am schwersten zu bekämpfen, und es wird noch eine gute Zeit vergehen, bis sie überwunden werden kann. Das Essen und Trinken bei Totenfeierlichkeiten ist allgemein. Die Angehörigen des Verstorbenen meinen nichts geleistet zu haben, wenn sie nicht jeden Besucher bewirken und diese tragen es auch einem lange nach, wenn sie nicht gut versorgt werden.“ T. M. Bebli Se2o2e. Welche Überreste des Heidentums finden sich noch vielfach in unseren Gemeinden? Amedz45e (7,1025–31/5).
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Außerdem seien Musikinstrumente aus der Sicht der Missionare nichts anderes als Lärminstrumente: „Es kann unmöglich noch etwas anderes geben, das jedes edlere Gefühl mehr tötet, als ein solches Geheul und solche Musik der Wilden. Nicht nur dass Trommeln und Pfeifen und Hörner und Schellen und wildes Geschrei in grauenhafter Weise durcheinander wogt, es ist auch ein unheimliches Gefecht mit Besen, Gewehren und Zauberwaffen unter den eigentümlichsten Bewegungen und Gebärden. In all den tausenden, die sich daher wälzen, regiert eine finstere Macht, ein finsterer Wille. So wird der Neger hineingetragen in all den Unsinn, seine Mutter trägt ihn auf dem Rücken, wenn er noch nicht laufen kann, er macht mit klopft und schreit.“ Louis Birkmaier, an den Inspektor, Anyako, 9.10.1883 (7,1025–7/7).
Ebenso wurde der traditionelle Tanz für nicht christlich gehalten. Neue entstandene Musik und Tanz, in denen europäische und afrikanische Musikinstrumente zusammen gespielt wurden, wurden auch abgelehnt. Die Musik „Sanokoko“ oder „Sanu-Koko“, die anfangs 1900 entstand, war zum Beispiel von den Küsteneinwohnern an der Goldküste sehr beliebt. Zu Sanokoko spielte man europäische Musikinstrumente (meistens Blasinstrumente) wie Trompeten und traditionelle Musikinstrumente wie Trommel. Die Menschen, auch Ewe-Christen, investierten gerne in die Anschaffung dieser Instrumente, so dass sie in der Mission weniger Geld spendeten. Dies beängstigte die Mission: „Zur Anschaffung der nötigen Blasinstrumente und Trommeln macht man eine Ausgabe von 2000 bis 3000 Mark. Es ist höchst traurig, dass die dummen und blinden Heiden dieser Zeit nicht wissen, was zu ihrem Frieden dient.“ Halbjahresbericht von Tim Amet4wobla. Akpafu, 10. 8. 1919 (7,1025–30/3).
Pastor Robert Kwami machte die Erfahrung mit Sanokoko-Musik in einer christlichen Gemeinde. Er machte diese Musik verantwortlich für den Verfall der Christen in den Gemeinden: „Kurz vor dem Beginn des Gottesdienstes hörten wir, dass die Sanokokobande aus Aka zu dem Fest eingeladen worden sei. Wir dachten, der Häuptling habe dies getan und Herr Ntumitse versicherte uns, dass sie nicht auf die Station kommen würden. Aber als Herr Ntumitse reden wollte, hörten wir lautes Trommeln und bald darauf die Sanokoko-Musik. […] Der Gottesdienst wurde unterbrochen, bis der Häuptling Platz nahm. Wir wollten eben weiter machen, als die Sanokoko-Musik wieder einsetzte. Wir protestierten energisch dagegen, aber es half nichts, die Sanokoko-Bläser wollten den Festplatz tanzend umringen und taten es auch wirklich. […] Gleich nach dem Gottesdienst rief ich einige Christen, darunter auch Gottlieb Tsei und besprach den Vorfall mit ihnen. Sie gestanden, dass sie die Sanokokobande gerufen hätten und sie hätten vorgehabt, am Abend Ground ball auf der Station zu veranstalten. Daraufhin sagte ich ihnen, wenn sie ihren Plan wirklich ausführen wollten, dann werde ich mit meinen Seminaristen sofort die Stadt verlassen […] und sie versprachen, davon abzulassen. […] Wir sollten aber bitter getäuscht werden. Am Abend gingen alle Mitglieder des Gesangvereins, ja auch Schulmädchen in die Stadt und haben bis in die Nacht hinein getanzt und getrunken. So endete der Missionsfesttag. Das Verhalten der Woraworagemeinde hat nicht nur uns, sondern auch den anderen Gemeinden Ärgernis gegeben und wir wollten daher am Montagmorgen darüber reden. Die jungen Leute wollten aber nicht kommen, sondern erklärten: Gestern haben wir getanzt und auch heute wieder tanzen […].“ Robert Kwami. Was wir in Worawora erlebt haben. Amedz45e, 24. 11. 1919 (7,1025–30/3).
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Sanokoko war eine neue multikulturelle Musikrichtung, die die Freiheit beförderte und sich aller strengen „Sittlichkeit“ widersetzte. Übrigens hieß die damals an der Goldküste bekannteste Sanokoko Musikband „Osibisa“ bzw. „Sibi-Saba“ (Monatsblatt der NMG 1915: 45). Der Name der Musikband „Sibi-Saba“ kam aus dem Namen ihres Gründers C. B. Saba (Alsheimer 2000: 212); Sanokoko hieß auch Sibi-Saba-Tanz und wurde von Missionaren als „Hurentanz“ gehalten (Härtter an den Direktor. Amedz45e, 5. 9. 1910 (7,1025–6/3). Der Kampf der Ewe-Christen und besonders der Ewe-Württemberger gegen traditionelle Musik- und Tanzarten lag daran, dass sie christliche Erziehung erhielten, die eine andere Vorstellung von Musik vermittelte. In der christlichen Vorstellung war Musik eigentlich ein Mittel zur Lobpreisung Gottes. Deswegen war Musik während der Ausbildung in Württemberg so wichtig wie die anderen Fächer. Die Ewe-Württemberger lernten christliche Lieder und Musikinstrumente wie Harmonium, Posaune, Alphorn etc. Nach ihrer Rückkehr nach Afrika begleiteten sie Predigten und Gottesdiensten mit europäischen Instrumenten im EweGebiet. Demzufolge vernachlässigten sie die traditionellen Musikinstrumente. Als sie sich der Notwendigkeit ihrer traditionellen Kultur bewusst wurden, wurden sie der traditionellen Musik und Tanz gegenüber versöhnlich. Reformen wurden nach der Erklärung der Eigenständigkeit der Ewe-Kirche zugelassen, und es wurden Kirchenlieder mit „volkstümlichen“ Ewe-Melodien komponiert. Anschließend begleiteten afrikanische Musikinstrumente wie Trommel, Hörner, Pfeifen, Schellen usw. Kirchenlieder christliche Veranstaltungen wie den Gottesdienst. So enthielt das Ewe-Gesangbuch der Ewe-Kirche des Jahres 1939 eine Mischung von Kirchenliedern. Ewe-Christen und deutsche Missionare übersetzten christlicheuropäische Lieder ins Ewe. Ewe-Christen komponierten neue Lieder, die volkstümliche Ewe-Melodien übernahmen oder traditionellen musikalischen Rhythmen entsprachen. Der Missionsinspektor Martin Schlunk äußerte sich positiv darüber: „Dass das neue Gesangbuch mehr originale Ewe-Lieder enthält als ich annahm, war mir eine erfreuliche Überraschung. Wo das Christentum in ein Volk Wurzel gefasst hat, äußert sich das ganz gewiss auch die Liebe, und ich sehe keinen Grund, warum nicht auch die Volksmelodien in Gottes Dienst gestellt und durch Gottes Geist geheiligt werden sollten.“ Schlunk an Quist. Hamburg, den 1. April 1924 (7,1025–24/6).
So wurde die Ewe-Kirche der Raum, in dem afrikanische und christlich europäische Musik sich begegneten. Welche Funktionen spielten aber Musik und Tanz in der traditionellen Kultur der Ewe-Gesellschaft? Die Trommeln zum Beispiel im Ewe-Land haben bis heute verschiedene Kommunikationsfunktionen. Manche Trommeln werden unter bestimmten Umständen laut gespielt, nämlich bei Todes-, Festlichkeits- oder bei Kriegsgelegenheiten in den Dörfern, und manche Trommeln werden leise gespielt, wenn es darum geht, eine friedliche Botschaft zu verkünden, oder um Ruhe zu bitten (Spieth 1906: 148–149). Manche begleiteten nur Volkstänze. Auch die Töne der Trommeln sind je nach Gelegenheit und je nach ihrer Größe unterschiedlich. Das Trommelspiel wird von kommunikativen Regeln bestimmt. Die musikalischen
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Formen der Musik im Ewe-Land können insofern nicht nur religiös beurteilt werden (Agawu 1995: 90; Agblemagnon 1969: 115–116). Darüber hinaus ist der Tanz im Ewe-Land eine wichtige kulturelle, soziale und religiöse Aktivität. In den Volkstanzgruppen drückte sich die traditionelle Kultur lebendig aus. Jeder Ewe, der volkstümliche Ewe-Lieder hört, tanzt bewusst oder unbewusst darauf, um sich an der eigenen Identität zu erkennen. Bei traditionellen religiösen Zeremonien werden bestimmte Tanzarten auch vorgeführt, um in Verbindung mit geistlichen Wesen zu treten. Konnten sich die Ewe-Christen von ihrer Kultur fern halten, nur weil sie einen neuen religiösen Glauben hatten? Sie waren ihrer Identität doch bewusst, die sich in ihren Gewohnheiten kennzeichneten. Das europäisch geprägte Christentum nahmen sie zwar an, aber es konnte die einheimische Identität nicht ersetzen.
5.2.6 Namensgebung Die hybride Umgebung der Ewe-Gesellschaft zeigte sich bei den einzelnen EweChristen besonders in ihrer Namensgebung. Der Name weist in der EweGesellschaft nicht nur die kulturelle Identität seines Trägers aus, sondern er bestimmte auch vielfach seine Geschichte, die mit der Zeit vor der Geburt des Kindes, mit den Umständen seiner Geburt und der Zeit nach seiner Geburt verbunden waren. Der Name vermittelte insofern den kulturellen und sozialen Hintergrund seines Trägers. Derjenige, der seinen Namen aufgab, gab auch gleichzeitig seine Identität auf. Bei den Ewe-Württembergern stellt man durch ihren Namen fest, dass einerseits nicht alle von ihnen von Ewe-Herkunft waren, und dass sie andererseits aus unterschiedlichen Sozialschichten der Gesellschaft stammten. Aber einige Namen wurden im Laufe des Lebens übernommen und verbargen die ursprüngliche Identität des Trägers. Manche Ewe-Württemberger waren Nachkommen ausländischer Vorfahren sowohl aus Afrika als auch aus Europa und Amerika, manche waren Nachkommen der von der Mission freigekauften und christianisierten Sklavenkinder, und manche stammten aus den Minoritätsvolksgruppen im Ewe-Land. Manche waren ursprünglich Ewe, deren Vorfahren aus dem früheren Siedlungsgebiet Notse nach dem Westen gezogen waren. Dies zeigt die kulturelle Vielfältigkeit der Ewe-Gesellschaft und zugleich die komplexe Gesellschaft des Ewe-Landes. Robert Domingo Baëtas Name deutet nicht auf seine Ewe-Herkunft hin. Seine Vorfahren mütterlicherseits waren afrikanischer Herkunft. Robert Baëta war sich seiner portugiesischen Herkunft bewusst, und versuchte, auch bei seinen Kindern diese Identität zu bewahren. Alle seine Kinder trugen portugiesische Vornamen, etwa sein ältester Sohn Christian Goncalves Kwami. Die Familie Baëta wurde sehr früh christlich und pflegte diese Tradition. Nichtsdestotrotz war Robert Baëta einer der bekanntesten Vertreter der Ewe-Identität. Samuel Quist oder Kwist ist auch dänischer Herkunft. Sein Vorfahr väterlicherseits war ein dänischer Kaufmann aus Keta an der Goldküste, der mit einer
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Frau aus dem Ewe-Land Kinder hatte. Samuel Quists Eltern waren sehr früh Christen geworden. Sein Vater Immanuel Quist war bereits Sprachlehrer im Dienst der NMG, als Samuel geboren wurde. Samuel wurde als Kind getauft und wuchs selbstverständlich im Christentum auf. Er war stolz auf seine dänische Abstammung, hat nie einen Ewe-Namen getragen, dennoch fühlte sich ganz als Ewe. Benyamin Aaron Onipayede oder Onyipayede war der Sohn des im EweLand von der Mission freigekauften und christianisierten Aaron Komla Onipayede. Dieser kam aus Klopang, dem Norden der Goldküste und lebte mit seiner Frau, die auch freigekauft worden war, im Ewe-Land, wo sie Nachkommen hinterließen. Benyamin kam also als Kind christlicher Eltern im Ewe-Land zur Welt, und zählte zur ersten Generation der Onipayedes, die die Ewe-Kultur übernahmen und sich als Ewe verstanden. Der Name Onipayede war insofern kein ursprünglicher Ewe-Name, sondern eindeutig ein Akan/Twi-Name. Onipayede heißt in Twi „Der Mensch ist süß“ oder „gut“ (Onipa = Mensch). Timotheo Mallet war der Sohn des freigekauften Ludwig Rudolf Mallet. Der Name Mallet kam von dem Bremer Pastor Friedrich Ludwig Mallet, dem Mitgründer und langjährigen Vorsitzenden der NMG. Rudolf wurde in Agu Dalave geboren und hieß vor seiner Gefangennahme als Sklavenkind Yawo. Sein erster Sohn Timotheo wurde in Kpenoe in der Ho-Gegend geboren. Da Rudolf seine meiste Zeit im Dienst der Mission in der Peki-Gegend gearbeitet hatte, wurde er nach seinem Tod auch in Peki beerdigt. Weil die Familie Mallet lange Zeit in Peki gelebt hatte, verstand sie sich als Pekier, obwohl der Vorfahr Rudolf aus der AguGegend stammte. Beide Gegenden gehören zum Ewe-Land. Robert Stephan Kwami scheint seinem Namen nach aus einer Ewe-Familie zu stammen. Aber sein Vater Stefano Kwami war ein von der Mission freigekauftes und christianisiertes Sklavenkind aus dem Lande Krutsch im Norden Ghanas. Er war als Sklave ins Ewe-Land gebracht worden, wo er von der Mission auf den Namen Stefano getauft wurde. Später übernahm er den Ewe-Namen Kwami, um sich Sebald zufolge der Ewe-Kultur anzupassen (Sebald 1987): 2). Somit trug sein Nachkomme Robert Stephan u. a. den Nachnamen Kwami. Robert Kwamis Großvater Batuel und seine Großmutter Hudapia lebten Sebald zufolge in Grussi, am Oberlauf des weißen Volta-Flusses an der Nordgrenze des heutigen Ghana. Wegen der langen Missionstätigkeit der Familie Kwami in Ho und Amedz45e hat sich die Familie Kwami heute teilweise in Amedz45e etabliert. Nathanael Kwami war dagegen ein gebürtiger Ewe, der aus der Ho-Gegend stammt. Deswegen war er mit Robert Kwami nicht verwandt. Er wurde vermutlich am Sonnabend geboren und trug deswegen den Ewe-Namen Kwami. Nathanael war sein Taufname. Albert Wilhelm Binder scheint seinem Namen nach deutscher Abstammung zu sein. Aber er war aus Peki gebürtig und hieß tatsächlich Komla-Kuma, d. h. der am Dienstag geborene „jüngere“ Sohn. Der Name Komla beachtete seinen wirklichen Geburtstag nicht, denn er war am Samstag geboren und musste nach der Zählung der Tage Kwami heißen. Er übernahm den deutschen Namen, um dem christlichen Missionar Johann Conrad Binder nachzustreben.
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Timotheo Kofi Amet4wobla stammte aus Gbadzeme im Aυatime-Gebiet, einer Minoritätsvolksgruppe im Ewe-Land. Er trug seine Ewe-Namen, weil die Aυatime-Volksgruppe die Ewe-Sprache als zweite Muttersprache übernommen hatte. Timotheo war sein christlicher Taufname, Kofi sein Vorname, der bedeutet, dass er am Freitag geboren worden war, und Amet4wobla, sein Nachname, d. h. wahrscheinlich „sich lieber (nur?) um eigenes Eigentum kümmern“. Theophilus Renatus Asieni war aus Peki gebürtig. Sein Eigenname, der wahrscheinlich Vierfinger bedeutet, sagte kein Glück vorher: Asieni oder Asiene heißt vier Finger. Daher wendete er sich völlig an den Christengott, und gab seinen Kindern nur christliche Namen. Noch mehr: Er gab ihnen lateinische Namen mit Endung „us“, wie er selbst seine Taufnamen schrieb. Er arbeitete lange in der Akposo-Gegend, einer Minoritätsvolksgruppe im Ewe-Land, wo er und seine Familie sich endlich niedergelassen haben. Das Nachkommen Asienis fühlte sich unter den Akposo wie zuhause. Isaac Kwadzo war aus Peki gebürtig. Er gehörte zur Königssippe der Kwadzo. Er gab wahrscheinlich seinen Ewe-Vornamen auf, hielt dennoch seine traditionellen kulturellen Riten um den Königsthron trotz mehrerer Drohungen der Mission ein. Obwohl er ein angesehener Katechist, war, verleugnete er seine Tradition nicht. Andreas Aku war aus Waya gebürtig. Er wurde auf den Namen Andreas getauft und gab seines Vaters Namen Tsigbe auf. Aku war sein Vorname und bedeutete, dass er der einzige Sohn seiner Mutter war, der nach der Geburt überlebt hat. Derselbe Name war die Verkürzung von Kwaku oder K4ku und benennt den am Mittwoch geborenen Knaben. Weil er in Keta und Lome arbeitete, hat er sich mit seiner Familie in den beiden Städten angesiedelt. Ein Teil seiner Nachkommen lebte in Lome und ein Teil in Keta. Hermann Y4y4vi und Reinhardt K4wu waren die beiden aus Keta, an der Goldküste gebürtigen Ewe-Württemberger. Y4y4 heißt entweder „Anruf“ und Y4y4vi, „der Angerufene“ im prophetischen Sinne oder der vorzeitige Geborene und deutet wahrscheinlich auf die Umstände seiner Geburt hin. Während seiner Missionstätigkeit hieß er Hermann Y4y4vi. Nachdem er aus der Mission ausgetreten war, benutzte er wieder den Namen seines Vaters Heymann als Nachnamen. Heymann war ein britischer Name, der aufgrund von „Klientelbewusstsein“ übernommen worden war, wie es an der Küste üblich war, denn Y4y4 war ein reiner Afrikaner, nach seinem Foto zu urteilen. Was K4wu anbelangt, weiß man, dass sein Name einen am Mittwoch geborenen Sohn bezeichnet. Gebhardt Christoph K4mla Mensa war aus Peki gebürtig und wurde am Dienstag geboren, weil er Komla hieß. Den Namen Mensa trägt üblicherweise der „drittgeborene“ Sohn einer Familie in einigen Ewe-Volksgruppen. Gebhard Christoph waren seine Taufnamen. Elisa Kende aus Kpenoe, Elia Awuma aus Ahliha bei Ho, Ludwig Medenu aus Ho und Zacharia Deku aus Ho waren alle gebürtige Ewe, wie man an ihren Namen erkennen kann. Sie trugen neben ihren christlichen Namen wahrscheinlich ihre Vornamen. Kende bedeutet das traditionelle gewebte Tuch und heißt auch
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„Kete“ (Westermann 1954: 362), Medenu heißt wahrscheinlich „das Vermögen des Landes bzw. der Sippe“. Deku war hinsichtlich seiner Namensbedeutung der erstgeborene Sohn aus der zweiten Ehe seiner Mutter. Nach dem Tod ihres ersten Mannes heiratete Dekus Mutter ein zweites Mal, und Deku war der erste Sohn aus dieser neuen Ehe (Westermann 1954: 56). Christian Ali5odzi Se2o2e und sein Bruder Theodor Martin Bebli Se2o2e waren die einzigen gebürtigen Ewe, die sicher ihre traditionellen vollständigen Namen behalten haben. Dies war ihnen gelungen, nachdem sie den Missionsvorstand um eine Namensänderung gebeten hatten, damit sie beide als Brüder erkannt wurden. Sie trugen den Namen ihres Vaters Se2o2e. Dieser war der Eigenname für Anhänger des Gottes „Se“ und bedeutet Gott schickte ihn her - in die Welt (Westermann 1954: 592). Ali5odzi heißt nur jemand, der unterwegs oder am Rand der Straße geboren ist. Dieser Name bestimmte seine Identität, bis er an die Norddeutsche Mission verkauft wurde und die Missionare ihn auf den Namen Christian tauften. Bebli bedeutet auf Ewe „mit Mühe“: das heißt die Mutter hat das Kind mit Mühe zur Welt gebracht, oder während der Geburt des Kindes hat es Schwierigkeiten gegeben. Hinsichtlich der kurzen Namensbezeichnung der Ewe-Württemberger stellt man fest, dass nicht alle gebürtige Ewe waren, sondern dass einige Nachkommen von Menschen waren, die unter verschiedenen historischen Umständen ins EweLand gekommen waren und sich die Kulturformen in der Ewe-Gesellschaft angeeignet hatten. Außerdem hatten sie während ihres Aufenthalts in mehreren Missionsstationen allmählich das Gefühl ihrer kulturellen gemeinsamen Zugehörigkeit in dem von der Mission konstruierten Ewe-Land gewonnen. Sie verstanden sich als Ewe nicht nur durch die kulturellen Lebensanschauungen, sondern besonders durch die Ewe-Sprache und das Christentum. Die Ewe-Christen bezogen sich auf den christlichen Glauben und die christlich-europäische Gedankenwelt, um verschiedene kulturelle Verhaltensweisen umzusetzen. Obwohl sie in der eigenen Kultur verwurzelt waren, entwickelten sie die kulturelle Differenz, wobei sie sich zwischen Kulturen bewegten und im ständigen transkulturellen Prozess lebten. Sie übernahmen hybride Verhaltensweisen, die ihre neuen Persönlichkeiten prägten.
6. ERGEBNISSE UND ÜBERLEGUNGEN 6.1 TRANSKULTURALITÄT – KULTURELLE HYBRIDITÄT – TRANSKULTURATIONEN Der Kulturbegriff entwickelt sich im Laufe der Zeiten. Im Allgemeinen umfasst „Kultur“ die Vereinheitlichung des Charakters einer Person bzw. einer Volksgruppe. Herder beschreibt, so Welsch, Kulturen als Kugeln oder autonome Inseln, die jeweils dem territorialen Bereich und der sprachlichen Extension eines Volkes entsprechen sollten. Welsch geht auf Herders Definition von Kultur ein und bestimmt drei wesentliche Kriterien, die daraus hervorgehen: die „soziale Homogenität“, die „ethnische Fundierung“ und die „interkulturelle Abgrenzung“ (Welsch 2000). Nach Welsch erzeugt Herders Vorstellung von Kultur eine starre Abgrenzung zwischen Völkern oder Volksgruppen, die sich „voneinander absetzen, sich gegenseitig verkennen, ignorieren, diffamieren oder bekämpfen“. Die Konzepte der Inter- bzw. Multikulturalität versuchen, Welsch zufolge, die traditionelle bzw. die klassische Kulturvorstellung zu ergänzen. Das Konzept der Interkulturalität sucht nun nach Wegen, wie die Kulturen sich miteinander vertragen, wie sie miteinander kommunizieren, einander verstehen oder anerkennen können (Welsch 1995: 2). Ebenso greift die Multikulturalität die Probleme des Zusammenlebens verschiedener Kulturen innerhalb einer Gesellschaft auf, widmet sich also strukturell der gleichen Frage wie das Konzept der Interkulturalität. Diese beiden Kulturkonzepte schaffen die Abgrenzungen der Räume nicht ab. Sie setzen, Wimmer zufolge, die Vorstellung einer Gesellschaft, in der viele verschiedene Kulturen koexistieren können. Dabei geht das Konzept der Multikulturalität noch immer von der Vorstellung sich ausschließender Kulturkreise aus. Die einzelnen Kulturkreise bleiben bei ihren exklusiven Charakter im Sinne Herders. Somit gelangt man wieder zu Abgrenzung und Ausschluss (Wimmer 2003:6). So können die Interkulturalität und Multikulturalität der Gefahr erliegen, dass rassistische oder tribalistische Konflikte zwischen Menschen oder Volksgruppen verschiedener Kulturen entstehen. Das Konzept der Transkulturalität entwirft ein anderes Bild vom Verhältnis der Kulturen. Nicht eines der Isolierung und des Konflikts, sondern eines der Verflechtung, Durchmischung und Gemeinsamkeit. Nach diesem Konzept sind Kulturen „intern durch eine Pluralisierung möglicher Identitäten gekennzeichnet und weisen extern grenzüberschreitende Konturen auf“ (Welsch 1995: 4). Das Konzept der Transkulturalität befördert nicht Separierung, sondern Verstehen und Interaktion. Der Begriff der Transkulturalität ist gegenwärtig mit Begriffen der Postmoderne, der Postkolonialität, des Postfeminismus verknüpft. Die letzteren Begriffe, die nachdrücklich auf das „Darüber Hinaus“ verweisen, verkörpern, so Bhabha, dessen rastlose und revisionäre Energie nur, wenn sie die Gegenwart in
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einen erweiterten und exzentrischen Ort der Erfahrung und Machtaneignung verwandeln (Bhabha 2000: 6). Die Geschichte des transatlantischen Sklavenhandels und des Kolonialismus in Afrika war mit dem Kontext der Akkulturation von kolonisierten Völkern verbunden. Die Kolonisierten sollten dazu gebracht werden, die kulturellen Denkweisen und Gewohnheiten der Kolonialisten zu übernehmen (Fanon 1952). Dieses Phänomen war bei den Ewe-Christen auch spürbar. Es manifestierte sich in mehreren Weisen. Im Forschungsprojekt „Transkulturationen“ zeigt Alsheimer, wie die Norddeutsche Mission mit Afrikanern auf dem Missionsgebiet im Ewe-Land Kulturen verhandelten. Er befasste sich mit der Frage, wie „Die westafrikanische Kirche als Laborplatz transkultureller Prozesse“ gesehen wird (Alsheimer 2000). Diesem Begriff „Transkulturationen“ widme ich die vorliegende Arbeit. Unter „Transkulturationen“ ist in der vorliegenden Arbeit zu verstehen, wie die Ewe-Gesellschaft verschiedene kulturelle Erfahrungen sowohl mit den benachbarten afrikanischen Gesellschaften, als auch mit der christlich europäischen Gedankenwelt machte. Ihre Erfahrungen mit der christlich europäischen Kultur brachten sie zu der Performanz, indem sie das Christentum mit lokalen kulturellen Realitäten verbanden. Die Jugendzeiten der Ewe-Württemberger waren Zeiten der Begegnung mit der christlich europäischen Kultur, in denen sie viel mehr Akkulturationserfahrungen machten als später. Die Phase der Transkulturalität offenbarte sich hauptsächlich, nachdem sie nach Afrika zurückgekehrt waren und ihre Vorstellungen der christlich europäischen Lebensweise bzw. Gedankenwelt sich in der traditionellen Umgebung verändert hatten. Sie nahmen nun die europäischen und die afrikanischen Lebensformen auf der gleichen Ebene wahr. Sie übernahmen das von jeder Lebensweise, was ihnen günstig war und lösten die Grenzen auf, die zwischen den Kulturen standen. Sie lösten somit den Prozess der kulturellen Hybridität aus, der sich „entschieden gegen Vorstellungen einer autochthonen und homogenen nationalen Kultur wendet“ (Bronfen u. a. 1997: 17). Auf dem Missionsfeld der Norddeutschen Missionsgesellschaft entpuppte sich das Phänomen der kulturellen Hybridität in vielfachen transkulturellen Prozessen, die in allen Richtungen zu beobachten waren. Die Lebensgeschichten der afrikanischen Missionsmitarbeiter offenbaren die kulturellen Interaktionen im Missionsgebiet zwischen verschiedenen afrikanischen Völkern einerseits, und zwischen der Ewe-Gesellschaft und der europäischen christlichen Diaspora andererseits. In der Ewe-Diaspora, die von Notsie aus nach Westen gezogen war, entwickelten sich verschiedene Denkweisen. Die Lebensgeschichten der einzelnen Afrikaner zeigen vielfältige prozesshafte Verhaltensweisen, die den Raum der EweGesellschaft als ein einen transkulturellen Raum bzw. einen kulturellen Zwischenraum kennzeichnen. Die Begegnungen mehrerer traditioneller westafrikanischer Lebensweisen modellierten in verschiedenen Weisen die Kindheit der Missionsmitarbeiter, die mehr oder weniger in der eigenen kulturellen Umgebung verwurzelt waren. Diese
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Modellierung ging durch verschiedene afrikanische kulturelle Einflüsse vor sich, und war bewusst oder unbewusst spürbar an der Überschreitung der afrikanischen kulturellen Grenzen. Deutlich spürbar war dagegen der Kontakt mit der europäischen christlichen Kultur, die eine neue Gedankenwelt mit sich brachte. Sie war umso anziehender, als sie den afrikanischen Kulturen neue kulturelle Elemente brachte, die der Ewe-Gesellschaft Zugang zur „westlichen“ und christlichen Weltanschauung eröffnete. Die Schule galt als die Brücke zum Christentum, und die Verschriftung der Ewe-Sprache brachte die bisher nebeneinander lebenden EweVolksgruppen zusammen. Die Übernahme des Christentums verstanden die Ewe als die vorrangige Voraussetzung, Kontakt zur „Modernität“ bzw. zum sozialen „Fortschritt“ zu knüpfen. Daher setzten sie sich innerlich mit sich selbst auseinander, wobei sie sich von den Abhängigkeiten der traditionellen Denkweise befreiten und aus den sozialen Schichten, aus denen sie stammten, herauskommen wollten. Somit positionierten sie sich neu in der Ewe-Gesellschaft. Dieses Streben nach einer neuen Gedankenwelt nutzten die deutschen Missionare zugunsten des Christentums. Durch die Positionierung der afrikanischen Mitarbeiter breitete sich die christlich europäische Kultur in der Ewe-Gesellschaft aus. Dennoch hielten die traditionellen Kulturen dem christlichen Einfluss stand. Dank der traditionellen Kulturen fand das Christentum Anerkennung in der Ewe-Gesellschaft, weil das Christentum ohne sie nicht überleben konnte. Ewe-Christen griffen ständig auf traditionelle Kulturelemente zurück, wenn sie christliche Verhaltensweisen vermittelten. Aber die Missionare, die sich als Garanten der „reinen“ christlichen Kultur verstanden, wehrten sich gegen dieses transkulturelle Phänomen, weil ihnen das Christentum die reine und wahre Religion zu sein schien. Sie kamen in Konflikt mit jedem Ewe-Christen, der sich bewusst oder unbewusst auf traditionelle Kulturelemente bezog, um das Evangelium zu verkünden. Dieser transkulturelle Prozess war für die Ewe-Christen unausweichlich. Er führte sie dazu, sich ständig die Frage nach der eigenen Identität zu stellen. Sie waren vom Christentum zwar überzeugt, aber sie erlebten das Christentum in „Harmonie“ mit der lokalen kulturellen Umgebung. Aus der Verflechtung und der „Durchmischung“ der Kulturen des Eigenen und des Anderen entstand eine transkulturelle Lebensform. Beide waren nicht mehr zu trennen, sondern sie führten zu einem performativen Leben in der Ewe-Gesellschaft. Der Ewe-Christ verkörperte weder seine traditionellen Denkweisen noch die christlich-europäische Gedankenwelt. Er übernahm nur Elemente von beiden. Der Missionar Johann Conrad Binder, Gründer der Ewe-Schule in Württemberg, nannte sie zu Recht „DeutschEweer“ wegen ihrer Missionsausbildung in Deutschland. Außerdem bezeichnete ich sie als „Ewe-Württemberger“ wegen ihrer christlichen Erziehung, die stark vom württembergischen Pietismus geprägt wurde. Die „Deutsch-Eweer“ bzw. die „Ewe-Württemberger“ wirkten auf die kulturelle Veränderung ihrer Gesellschaft. Sie verkörperten kulturelle Verhaltensweisen, die ihre neue transkulturelle Identität ausmachten. Sie hielten die kulturelle Differenz aus, die den
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„Äußerungsprozess von Kultur als etwas „Wissensfähigem“, Autoritativem, zur Konstruktion von System kultureller Identifikation Geeignetem. Während kulturelle Diversität eine Kategorie der vergleichenden Ethik, Ästhetik oder Ethnologie ist, ist kulturelle Differenz ein Prozess der Signifikation, durch den Aussagen der Kultur oder über Kultur die Produktion von Kraft-, Referenz- Anwendungs- und Fähigkeitsfeldern differenzieren, diskriminieren und autorisieren.“ Bhabha (2000):51f.).
Der transkulturelle Prozess war nicht nur mit Gewinnen, sondern auch mit verschiedenen Verlusten verbunden. Ewe-Christen verloren teilweise ihre ursprüngliche Identität, oder manche verloren ihre Arbeit, zudem noch ihren Ruf; ebenso verloren manche sogar ihr Leben im Namen des Christentums.
6.2 DER DRITTE RAUM, DIE EWE-GESELLSCHAFT Bei der Sonderausstellung vom 4.9.–13.11.2005 im Überseemuseum zum Thema „Der dritte Raum. Wie Westafrikaner und Bremer Missionare Kulturen aushandelten“ wird der Begriff dritter Raum im Bezug auf „Transkulturationen“ wie folgt geschildert: „Kulturelle Identitätsbildung geschieht auffallend an Orten der Veränderung und des Bruches. Ein solcher Ort ist die Diaspora der Norddeutschen Missionsgesellschaft in Westafrika. Die Bausteine zur Schaffung einer eigenen Kultur wie Sprache, Religion, Literatur, Geschichte, Kunst, Umgang mit dem Körper, Ehe- und Sexualvorstellungen müssen ständig neu überdacht, verändert oder ausgetauscht werden. Der Mensch handelt seine Lebensbedingungen ständig neu aus, denn die Rechtmäßigkeit der eigenen Traditionen hilft oft nicht weiter […] Es kommt zu Transkulturationen, das heißt zu Verknüpfungen von Meinungen, Einstellungen und Werten aus verschiedenen Kulturen und zum Betreten eines – dritten - Raumes „zwischen den Kulturen“. Die eigene Kultur wird verlassen, die fremde nicht vollständig aufgesucht. Die neue Kultur ist nicht mehr einheitlich, sondern eine ausgehandelte Vermischung kulturellen Verhaltens zweierlei Abkunft.“ Alsheimer (2005): 525.
Die kulturelle Veränderung in den Missionsstationen der NMG resultierte aus dem transkulturellen Leben der einzelnen Ewe-Württemberger. Das Missionsgebiet der NMG unter Volksgruppen an der westafrikanischen Küste wurde zum dritten Raum bzw. Zwischenraum, in dem sich die Identität der Ewe-Christen neu konstruierte. Diese religiöse und kulturell dimensionale Konstruktion der Identität in der Ewe-Gesellschaft nahm politische und ideologische Richtungen und wurde faktisch von der Mission „Eweland“ genannt. Dies stoppte aber die kulturelle Dynamik nicht, sondern entpuppte sich als eine Phase der kulturellen Hybridität der traditionellen Gesellschaft. Das Ewe-Land hatte nach wie vor keine politische Anerkennung, obwohl die Mission seine Landeskarte entwarf und seine Grenzen bestimmte. Es wurde vom Missionsvorstand in Bremen als Missionierungsgebiet beansprucht und „verwaltet“. Seine Einwohner bildeten die Ewe-Gesellschaft, obwohl das Land nicht nur von Ewe bevölkert wurde. Den Ewe-Christen schien das Ewe-Land eher das Symbol der Rekonstruktion der alten Ewe-Gesellschaft zu sein, die die Erinnerung an die Geschichte der Migration von Notse nach Westen zurückrief. Diese Rekonstruktion benötigte Ver-
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flechtungen mit anderen Kulturen. In der Ewe-Diaspora, zu der die meisten EweChristen zählten, waren schon vor dem Eintreffen der Missionare die Einflüsse anderer Kulturen spürbar geworden. Die Nachbarvölker, nämlich die Akan und Asante im Westen und die Dahomey im Osten, beeinflussten die kulturelle Änderung der Identität der Ewe. Im Inneren des Ewe-Landes siedelten Minoritätsvolksgruppen wie die Aυatime, die Ag4time und die Akposo, deren Einbeziehung in die Ewe-Gesellschaft die Ewe-Identität bereicherte. Außerdem wurde die EweIdentität durch den Kontakt mit transatlantischen Kulturen bereichert. Auch über die Nachkommenschaft dänischer und brasilianischer – und später englischer, deutscher und französischer– Einwanderer entdeckten die Ewe an der Küste und im Inneren neue Gedankenwelten. Mehr noch: Die christlich europäische Kultur gab den letzten und wirkungsvollsten Anstoß zum weltweiten Globalisierungsprozess des 19. Jahrhunderts in der Ewe-Gesellschaft. Das Christentum eröffnete neue Horizonte und trug dazu bei, dass die Ewe-Sprache in die Schriftform umgesetzt wurde. Die Ewe-Sprache und das Christentum sind die wichtigsten Faktoren des transkulturellen Prozesses in der Ewe-Gesellschaft. Die Mission gab Anstoß durch die Ewe-Sprache und das Christentum zur Konstruktion christlicher EweGemeinden, die sich im christlichen Ewe-Land entwickelten. Das Ewe-Land nahm nach der Selbständigkeit der Ewe-Kirche politische Dimensionen an, die nationalistische Gefühle erweckten. 1939 brach der zweite Weltkrieg aus. Bis 1942 hofften manche Missionare, Ustorf zufolge, nach siegreichem Krieg Deutschlands, in das Ewe-Missionsgebiet zurückzukommen. Die Niederlage Deutschlands setzte dieser Hoffnung ein Ende. Das Ewe-Land blieb in das britische und das französische Treuhandgebiet Togo, die Goldküstenkolonie und Dahomey aufgeteilt. Diese Spaltung der Ewe blieb auch nach der Unabhängigkeit bestehen. Sie leben heute teils in Togo, teils in Ghana, teils in Benin und erleben weitere transkulturelle Prozesse. So bezeichnet sich die Missionstätigkeit in Westafrika zwischen 1884–1939 als Laborplatz für Transkulturationen, obwohl die theoretischen Debatten davon ausgehen, dass „hybride Welten“ mit ihren Überschreitungen, Auflockerungen, Zwischenräumen, Querverbindungen, Entweder-Oder und Und-Konstellationen erst in postmoderner bzw. postkolonialer Zeit entstanden sein können. Hierzu Alsheimer: „Das Bremer Missionsvorhaben […] zeigt, dass schon vor und während der Zeit des deutschen Imperialismus und Kolonialismus innerhalb der Diaspora der Norddeutschen Mission hybride Lebensräume entstanden sind. Deutsch-Togo ist per se ein symbolisch vermischter Ort: deutsches Schutzgebiet aus der Sicht der Mächtigen, Ort der beginnenden Globalisierung Afrikas aus der Sicht der einheimischen Fremden. Heute überschreitet das Gebiet der Missionskirche die Grenze von Ghana und Togo.“ Alsheimer (2005): 526.
Die Geschichte der Ewe-Gesellschaft, verbunden mit der Missionstätigkeit im Ewe-Land, war eine Synthese aus dem transkulturellen Leben von einzelnen EweChristen, die jeder in seiner Weise auf die ganze Gesellschaft gewirkt haben. Das zu zeigen gelang mit den Methoden der historischen Anthropologie. Die Theorie der kulturellen Hybridität erklärte die Grundlagen des kulturellen Lebensprozesses der Ewe-Christen in dem dritten Raum der Ewe-Gesellschaft./.
LITERATURVERZEICHNIS I. ARCHIVALIEN 1. Archive de l’Eglise Evangélique Presbytérienne du Togo (EEPT). In : EEPT-Archiv Lome
2. Archive King Mensah, Porto Seguro (Togo) In der von Peter Sebald70 erstellten Kartei
3. Archive Nationale du Togo (Staatsarchiv Togo) ANT In Kartei Sebald. Signatur FA FA 1/41: Die bei der Kolonialadministration angestellten Afrikaner FA 1/85: Die bei der Kolonialadministration angestellten Afrikaner FA 1/87: Die bei der Kolonialadministration angestellten Afrikaner FA 1/105: Die bei der Kolonialadministration angestellten Afrikaner FA 1/189: Die bei der Kolonialadministration angestellten Afrikaner FA 1/325: Die bei der Kolonialadministration angestellten Afrikaner FA 2/103: Die bei der Kolonialadministration angestellten Afrikaner FA 2/198: Die bei der Kolonialadministration angestellten Afrikaner FA 3/117: Die bei der Kolonialadministration angestellten Afrikaner FA 3/238: Die bei der Kolonialadministration angestellten Afrikaner FA 3/1165: Die bei der Kolonialadministration angestellten Afrikaner FA 3/1167: Die bei der Kolonialadministration angestellten Afrikaner FA 3/5053: Die bei der Kolonialadministration angestellten Afrikaner
4. Archiv PRO, London In Kartei Sebald (CO 96, Nr. 598, code 18974). 70
die Karteien Sebald wurden mir vom Verfasser persönlich zur Verfügung gestellt. Peter Sebald, Dr. habil. erforscht seit 1978 die Geschichte des deutschen Kolonialismus in Togo. Seit seiner Pension im Jahre 1991 wertet er im ANT (bis 2009 im Auftrag des „Senioren Experten Service, Bonn“) die deutschen Akten zu Ostghana 1890-1914, Teil der deutschen Kolonie Togo aus. Im Politischen Archiv des Auswärtigen Amts (PAAA) in Berlin sichtet er die Ghana und Togo-Akten 1955-1961, vor allem um zu erforschen, welche Rolle die deutsche Kolonialära für den Beginn der diplomatischen Beziehungen der unabhängigen Staaten bedeutete.
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Literaturverzeichnis
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1898–1908 1900–1911 1898–1902 1907–1911 1897–1913 1872–1876 1877–1879 1879–1900 1899–1911 1876–1879 1884–1898 1882–1893 1895–1899 1900–1904 1876–1888 1885–1898 1891–1898 1885–1899 1900–1901 1902–1903 1905–1906 1926–1927 1892–1901 1893–1900 1901–1902 1903–1904 1906–1907 1908–1909 1913 1914–1919 1913–1928 1913–1928 1914–1915 1915–1916 1912–1913
Literaturverzeichnis
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7,1025–27/5: 2.01.k Waya. Stationschronik. 1856–1881 7,1025–28/7: 2.01.k Waya. Briefe und Berichte. Bd. 6. 1875–1876 7,1025–28/8: 2.01.k Waya. Briefe und Berichte. Bd. 7. 1877–1880 7,1025–29/1: 2.02. Afrikanische Mitarbeiter. Allgemeine Ausbildung. 1900–1906 7,1025–29/5: 2.02. Afrikanische Mitarbeiter. Ausbildung in Deutschland. Bd. 1. 1885–1900 7,1025–29/6: 2.02. Afrikanische Mitarbeiter. Ausbildung in Deutschland. Bd. 2. 1885–1900 7,1025–30/1: 2.02. Afrikanische Mitarbeiter. Lebensläufe. Bd. 1 1917–1934 7,1025–30/2: 2.02. Afrikanische Mitarbeiter. Lebensläufe. Bd. 2 1922–1923. ca. 1935 7,1025–30/3: 2.02. Afrikanische Mitarbeiter. Arbeitsberichte. Bd. 1. 1914–1920, 1936 7,1025–30/4: 2.02. Afrikanische Mitarbeiter. Arbeitsberichte. Bd. 2. 1914–1920, 1936 7,1025–30/5: 2.02. Afrikanische Mitarbeiter. Arbeitsberichte. Bd. 3. 1921–1924 7,1025–31/1: 2.02. Afrikanische Mitarbeiter. Arbeitsberichte. Bd. 4. 1930 7,1025–31/2: 2.02. Afrikanische Mitarbeiter. Arbeitsberichte. Bd. 5. 1930 7,1025–31/3: 2.02. Afrikanische Mitarbeiter. Referate, Aufsätze, Predigten. Bd. 1. 1909 7,1025–31/4: 2.02. Afrikanische Mitarbeiter. Referate, Aufsätze, Predigten. Bd. 2. 1909 7,1025–31/5: 2.02. Afrikanische Mitarbeiter. Referate, Aufsätze, Predigten. Bd. 3. 1909 7,1025–31/6: 2.02. Afrikanische Mitarbeiter. Referate, Aufsätze, Predigten. Bd. 3. 1909 7,1025–32/2: 2.03. Briefwechsel mit Afrikanern. Korrespondenz mit Pastoren. Bd. 2. 1928–1933 7,1025–43/2: 2.07. Gemeindeordnungen, Seelsorgen. Sammlung von Gemeinde- und Taufordnungen. 1840–1935 7,1025–43/3: Gemeindeordnung der NMG. Bd. 1. 1909–1933, 1991 7,1025–43/5: 2.07. Gemeindeordnungen, Seelsorgen. Materialsammlung des Vorstandes zu verschiedenen Fragen der Gemeindearbeit und Seelsorge. Bd. 1. 1899–1931 7,1025–60/4: 3.3. Personalakten zu Mitarbeitern der NMG. Bd. 1. Gottlob Binetsch 1878–1896 7,1025–69/5: 3.3. Personalakten zu Mitarbeitern der NMG. Luise Maurer. 1913–1920 7,1025–70/2: 3.3. Personalakten zu Mitarbeitern der NMG. Andreas Pfisterer u. a. 1877–1915 7,1025–70/3: 3.3. Personalakten zu Mitarbeitern der NMG. Theodor Piering. 1902–1914
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ABBILDUNGSVERZEICHNIS Abb.1 Migrationskarte der Ajatado (Gayibor (1997): 156) Abb.2. Migrationskarte der Ewe (Gayibor (1997): 192) Abb.3. Chr. Ali5odzi Se2o2e mit Julie Weyhe. In Deutschland 1871–1873 (7,1025– Fotos 3557) Abb.4. Christian A. Se2o2e in Deutschland 1871–1873 (7,1025– Fotos 3899) Abb.5. Ali5odzi Se2o2e mit Frau und Tochter in Keta vor 1907 (7,1025– Fotos 0356) Abb.6. Theodor M. Bebli Se2o2e in Deutschland 1892–1896 (7,1025– Fotos 3615) Abb.7. Pastor T. M. Bebli Se2o2e (7,1025– Foto 1920) Abb.8. Hochzeitsfeier von Th. Bebli Se2o2e in Amedz45e nach 1911 (7,1025– Fotos 0302) Abb.9. Katechist I. Kwadzo, Peki-Blengo 2.10.1931) (7,1025–1305.) Abb.10. Isaak Kwadzo mit Kollegen Samuel Quist und Robert Baeta, Lome 1917 (7,1025– Fotos 1294) Abb.11. G. Mensa in Deutschland von 1896–1899 (7,1025– Fotos 1910) Abb.12. G. Mensa mit Schule in Akpafu um 1909 (7,1025– Fotos 1432) Abb.13. Elisa Kende am Harmonium, Kpenoe 1895 (7,1025– Fotos 4262) Abb.14 Elisa Kende mit Frau, 1898 (7,1025– Fotos 0317) Abb.15 Pastor E. Awuma in Ho mit Gemeindemitarbeitern, 1912 (7,1025– Fotos 4206) Abb.16 Pastor Elia Awuma, 1927/28 (7,1025– Fotos 2296_4) Abb.17 Pastor E. Awuma mit Familie in Ho, vor 1914 (7,1025– Fotos 0367) Abb.18 Ludwig Medenu vor Rückreise nach Afrika (7,1025– Fotos 0145) Abb.19 Th. R. Asieni in Deutschland (7,1025– Fotos 1901) Abb.20 Lehrer Asieni und Familie (7,1025– Fotos 2427) Abb.21 Pastor Andreas Aku (7,1025– Fotos 1891) Abb.22 Andreas Aku mit Familie in Lome (7,1025– Fotos 0297) Abb.23 Hermann Y4y4 und Andreas Aku um 1901 (7,1025– Foto 1958) Abb.24 Missionslehrer mit ihren Frauen in Keta. H. Y4y4 und seine Frau Kornelia u.a. (7,1025– Fotos 0343) Abb.25 T. Mallet und Missionar Ernst Bürgi mit Konfirmanden in Atakpame (7,1025– Fotos 1596) Abb.26 Lehrer Timotheo Mallet im Familienumkreis, mit Eltern und Geschwistern (7,1025– Fotos 0366) Abb.27 Pfarrer J. C. Binder, Namensgeber (7,1025– Fotos 1083) Abb.28 Albert Binder und die Tove-Gemeinde unter Aufsicht. 1900 (7,1025– Fotos 0427) Abb.29 Katechist Albert Binder im Aussehen eines traditionellen Machthabers (7,1025–Fotos 3901) Abb.30 Pastor Albert W. Binder, 1927/28 (7,1025– Fotos 2278–1) Abb.31 Samuel Kwist, Missionar Bürgi, Timotheo Amet4wobla mit Lehrgehilfen bei einer Prüfung in Amedz45e (7,1025– Fotos 1527) Abb.32 Pastor T. K. Amet4wobla (7,1025– Fotos 1897) Abb.33 Sam. Quist und Beny. Onipayede ca. 1895–1898 (7,1025– Fotos 3561) Abb.34 Lehrer Benjamin Onipayede Keta ca. 1895 (7,1025– Fotos 4269) Abb.35 Pastor Robert Kwami, Amedz45e 1931 (7,1025– Fotos 1947) Abb.36 Robert Kwami mit Braut Bertha, 1902 (7,1025– Fotos 3344) Abb.37 Empfang des Pastors R. Kwami von seiner Europareise in Vane/Aυatime durch Vertreter des Häuptlings Adzatekp4 Magne Gbagbo (7,1025– Fotos 0143) Abb.38 R. Kwami in Amedz45e (7,1025– Fotos 1946)
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Abb.39 Abb.40 Abb.41 Abb.42 Abb.43 Abb.44 Abb.45 Abb.46 Abb.47
Pastor R. Kwami, Lemgo 1932 (7,1025– Fotos 1945) Pastor Samuel Quist (7,1025– Fotos 1919) Pastor S. Quist bei Taufe am 1. Februar 1920 (7,1025–Fotos 1573) Os4fo S. Quist mit seiner Familie. Palime um 1920 (7,1025– Fotos 0365) Pastor S. Quist Mitglied der Prominenz in Palime (7,1025– Fotos 1918) Pastor Baeta beim Taufest in Dohplala, 29. 01. 1929 (7,1025– Fotos 1566) Os4fo R. Baëta, 1915 in Lome (7,1025– Fotos 1902) Notabeln Lome mit Kreuz: R. Baeta, dritter stehend v. links (7,1025– Fotos 1320) Christian Ali5odzi Se2o2e mit Frau (Julia) und Kind (Henriette) und Schwägerin (Amewokp4sina) und Bruder (Theodor Bebli) in Keta, ca. 1883 (7,1025– Fotos 0326) Abb.48 Robert Baëta mit Familie und Hausgemeinde (7,1025– Fotos 368) Abb.49 Gebiet der evangelischen Ewekirche in Togo und auf der Goldküste
Abb. 49. Gebiet der Evangelischen Ewe-Kirche in englischen und französischen Mandatsgebieten Togo und auf der Goldküste. Stand im Jahre 1936 (Schreiber (1936)
ANHANG KATEGORIENSCHEMA FÜR AFRIKANER Bearbeiter: Kokou Azamede Im Rahmen des Forschungsprojektes „Transkulturationen“ wurde das Kategorienschema erstellt, um die Personendateien der NMG inhaltlich zu strukturieren. Das vorliegende Schema betreffend Afrikaner bezieht sich auf die traditionelle Umwelt der afrikanischen Mitarbeiter und ihre Arbeitswelt in den Missionsstationen. 1. 1.1.
1.2.
1.3.
1.4. 1.5. 1.6. 2. 2.1. 2.2. 3. 3.1. 3.2. 3.3. 3.4. 4. 4.1. 4.2. 4.3. 4.4. 4.5. 5. 5.1. 5.2.
Zeitraum Kohorte 1: 1847–1884 Zeit der Not und der Leiden (K1) Kohorte 2: 1884–1914 Aufbauphase und Blüte (K2) Kohorte 3: 1914–1939 Vertreibung und Verlust (K3) Zeit vor der Mission (K0) Zeit nach der Mission (K4) Offen halten: Kohortenbildung der Afrikaner! Arbeitsort Hauptstation(en) Nebenstationen(en) Bildung- und Ausbildung Schulbildung Berufsausbildung Missionsausbildung Sonstige Ausbildung(en) Reise Exkursion (Ausflug, -fahrt) Besuche Spaziergang Predigtreise im Inland Predigtreise im Ausland Gender-Beziehungen, Ehe und Familie Monogamie Polygynie
5.3. 5.4. 5.5. 5.6. 5.7.
6. 6.1. 6.2. 7. 7.1. 7.2. 7.3. 7.4. 7.5. 7.6. 7.7. 7.8. 7.9. 7.10. 7.11. 7.12.
7.13.
Un/Voreheliche Geschlechtsgemeinschaft Ehebruch Ehe (Eheverbot, Eheantrag) - Heirat Freiwillige Ehelosigkeit Gender-Gruppierungen (Mädchen, Frauen, Knaben, Männer) Verwandtschaftsbeziehungen Familienkontakte Verwandtschaftsbeziehung Körperlichkeit Größe, Aussehen, Kondition Kleidung (Stil, Elemente, Schmuck) Nahrung - Genussmittel Hygiene Sexualverhalten Gesundheitszustand Krankheit / Medizin Heilung Schwangerschaft – Geburt Einweihung (Initiation, Rites de passages) - Taufe Tod /Bestattung Charakter: Demut, Hochmut, Ordnung, Unordnung, Ehre, Selbstbewusstsein Sonstiges (z.B. Beschneidung)
271
Anhang
8. 8.1. 8.2. 8.3. 8.4. 8.5.
8.6.
9. 9.1.
9.2. 9.3.
9.4. 9.5.
10. 10.1. 10.2. 10.3.
10.4.
10.5.
Religionszugehörigkeit Christlich (allgemein) Protestantisch Römisch-katholisch Islam und andere Weltreligionen Afrikanische Religionsformen und praktiken (Ahnen, Yehwe, Wahrsagerei, Zauberei) Sonstiges (z.B. Religionswechsel, Bekehrung, Synkretis-mus) Gemeindeleben Missionsstation, Gründungsdatum, Gründer, Lage, Kirche, Gemeindehaus usw. Missionshaus, Veranda, Anstalt, Schule Christliche Gemeinde (Zusammenleben der Menschen) „Heidnische“ Gemeinde (traditionelle Rituale) Jahreslauf, Wochenlauf, Feste (Jamsfest, Sonntagsfest, Weihnachtsfest usw.) Kommunikationsformen Nonverbal (Körpersprache: Gestik / Mimik) Dolmetscher Einzelgespräch (afrikanisch – afrikanisch / afrikanisch – europäisch / europäisch– euro-päisch) Gruppengespräch (Gemeindegespräch: Öffentlichkeit und Geheimhaltung) Kontakte
10.6.
10.7. 10.8. 10.9. 10.10. 10.11. 10.12. 10.13. 10.14. 11. 11.1. 11.2. 11.3. 11.4. 11.5. 11.6. 11.7. 11.8. 11.9. 11.10.
11.11. 11.12. 11.13. 12. 12.1. 12.2. 12.3. 12.4.
Beschwerden, Denunziation – Forderung Anliegen Predigt Gewalt - Ungerechtigkeit & andere Form Sprache – Sprachkenntnisse - Redensart Lektüre Anreden Personennamen – Namensgebung Traum Gebet (Kommunikation mit Gott) Ökonomie und Arbeitswelt Mission als Arbeitsplatz Arbeiter Schule, Erziehung Verwaltung (Arbeitsstruktur) – beruflicher Status Finanzbuchhaltung - Geld – Kollekte Gehalt - Pension Handel Hauswirtschaft Landwirtschaft – Forstwirtschaft Jagd - Fischerei Bauwirtschaftszweige (z.B. Baugewerbe / Handwerk) Leistungsbewertung Gesellschaftliche Verantwortungen (außerkirchlich) Arbeiten in Stadt und Land Rechtsvorstellungen und – überlieferungen Europäisches Recht (hier auch Testamente) Kolonialrecht Kirchenrecht Afrikanisches Recht (hier auch Palaver)
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12.5. 12.6. 12.7. 13. 13.1. 13.2. 14. 14.1. 14.2. 14.3. 14.4. 14.5. 14.6. 14.7. 14.8. 14.9. 14.10 . 14.10. 14.11. 14.12. 14.13. 14.14. 15. 15.1.
Privilegien Sanktionen und Strafen Sonstiges (z.B. Landkauf, Sklaverei, Willkür) Kulturvorstellungen Afrikanische Kultur Europäische Kultur Naturvorstellungen Klima Urwald Wald Steppe Wüste Meer See Fluss Berge Andere Landschaftsformen Tiere Pflanzen Mineralien, Metalle Naturereignisse Sonstiges Sachkulturen und Kultursachen Siedlungsform
15.2. 15.3. 15.4. 15.5. 15.6. 15.7. 15.8. 15.9. 15.10. 16. 16.1. 16.2. 16.3. 16.4. 16.5. 17. 17.1. 17.2.
17.3. 17.4. 17.5.
Öffentlicher Platz (Markt usw.) Tabu-Zonen Architektur / Wohnung Möbel und Hausrat Geräte, Instrumente Transportmittel / zu Fuß /auch Träger (Mensch) Kultgegenstände Spielsachen Sonstiges Musik – Tanz – Theater Kirchenmusik (allgemein) Instrumental Gesang / oral Europäische Musik Afrikanische Musik Politik Kolonial-Herrschaft Afrikanische Herrschaft: Häuptlinge, Militär (cuius regio eius religio) Bezirkstation Sklaverei / Willkür/ Rassismus Krieg
TABELLE: KURZE DARSTELLUNG DER EWE-WÜRTTEMBERGER Name
Geburtstag, ort
Christian Ali5odzi Se2o2e Andreas Aku
1857 in Agbozume
Hermann William Y4y4 Reinhold K4wu Beny. Onipayede Albert
1863 in Waya 1869 in Dzeluk45e 1869 in Atoko 2. 4. 1874 in Waya 1858
Ausbildung in Deutschland 1871–1873
1884–1887 1884–1887 1884–1887 1890–1894 1890–1892
Arbeitszeit/ -ort
Erreichter Beruf
Heimatort
1876–ca.1901 / Anyako, Ho, Keta, 1887–191 / Keta, Lome 1887–1901 / Keta, Lome 1887–1889 / Ho
Sprachlehrer
Agbozume
Pastor
Waya
Lehrer
Dzeluk45e
Lehrer
Atoko
Lehrer
Klopang
Pastor
Peki/Blengo
1894–1898 Ho, Keta 1885–1926 /
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Wilhelm Binder
Peki/Blengo
Samuel Quist
13. 5. 1870 in Keta
1890–1894
Isaac Kwadzo
1874 in Nusi bei Akropong
1891–1895
Elisa Kende
ca. 1875 in Kpenoe
1892–1894
Theodor Martin Se2o2e Bebli
15. 8. 1876 in Agbozume
1892–1896
Zacharia Deku
ca. 1874 in Ho 1874 in Ahliha 1876 in Ho
1893–1896
Nathanael Kwami Ludwig Medenu Elia Awuma
1893–1896 1894–1897
1873 in Ahliha
1894–1897
Robert Kwami
24. 11. 1879 in Anyako
1894–1897
Theophil Renatus. Asieni Christoph Gebhard Mensa Timotheo Mallet
9. 7. 1879 in Peki/ Avetile
1895–1899
19. 7. 1880 in Peki
1895–1899
10. 1. 1882 in Kpenoe
1897–1900
T. Kofi Amet4wobla
15. 8. 1881 in Gbadzeme
1897–1900
Robert D. Baeta
7. 7. 1883 in Keta
1897–1900
Tove, Kpele, Atakpame, Kpalime, Peki 1893–1934 / Amedz45e, Notse, Kpalime 1895–1927 / Ho, Kpenoe, Waya, Tove, Tsevie, Peki 1895–1899 / Kpenoe, Ho, Agu 1896–1922 / Amedz45e, Kpandu, Atakpame 1896–1897 / Keta 1896–1902 / Keta, Tove 1897–1906 / Ho 1897–ca. 1944 /Lome, Tove, Kpalime, Ho 1897–1945 / Amedz45e, Ho, Y4 1899–ca.1940 / Agu-Ny-gbo, Ho, Gobe 1899–1916 / Ho, Akpafu, Amedz45e 1900–1914 / Ho, Agu, Kpalime, Atakpame 1900–1921 / Amedz45e, Akpafu, 1900–1944 / Keta, Lome
Pastor
Dzeluk45e
Katechist
Peki
Lehrer
Kpenoe
Pastor
Agbozume
Lehrer
Ho
Lehrer
Ho/Ahliha
Lehrer
Ho
Pastor
Ho/Ahliha
Pastor
Grussi
Lehrer
Peki/Avetile
Lehrer
Peki
Lehrer
Agu
Pastor
Gbadzeme
Pastor
Vodza
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RECHENSCHAFTSBERICHT DER EWE-SCHULE VOM 1. NOV. 1891 – 31. JULI 1892 1. Obere Klasse: - Schülerzahl: 3; Albert Binder bis 15. Mai, Samuel Quist und Benjamin Onipayede - wöchentliche Stunden: 29 v. Leuze gegeben - Anzahl der Fächer: 11. In den einzelnen Fächern wurde folgendes behandelt durch Lehrer Leuze I. Bibelkunde: Diktieren eines Manuskriptes mit den artigen sprachlichen Erklärungen. II. Sprechlehre: in der ersten Hälfte des Schuljahres wurde dieselbe in Einfacherer, später eingehender behandelt. Es kam vor: Laut- und Silbenleser von, Wortbildung, Wortlehre und Lehre vom einfachen Satz. Mit der Sprachlehre wurde Lesen verbunden. III. Aufsatz: die Schüler mussten nach vorangegangener Besprechung wöchentlich etwa einen Aufsatz liefern. Themata waren gewinnen teils aus der Natur, z.B. das Salz, die Bienen, der Frühling u. a. , teils aus der Geschichte; auch wurden einige Briefe geschrieben und zuletzt einige Sprichwörter behandelt, z.B. Jeder ist seines Glückes Schmied. IV. Rechnen: Repetition der 4 Grundrechnungsarten, dann Einübung der im bürgerlichen Leben vorkommenden Arten, wie Zins- Gewinn- und Verlust- Teilungs- Mischungsrechnungen. Aus der Raumlehre: die einfachen Flächen und Körper. An das schriftliche Rechnen schloss sich Kopfrechen an. V. Geschichte: im Anschluss ans Lehrbuch wurde behandelt: die griechische und römische Geschichte, das Mittelalter bis zur Zeit der habsburgischen Kaiser. VI. Geographie: a. Physikalische Geographie: Preußen und die anderen deutschen Staaten, Österreich-Ungarn, Schweiz, Belgien, Holland. b. Mathematische Geographie: dieselbe wurde sehr eingehend behandelt, am Schluss jeder Schulstunden das Besprochene in ein Heft diktiert. VII. Naturgeschichte: Eingehend behandelt und das Besprochene diktiert wurde. a. die Lehre vom menschlichen Körper, b. Die allgemeine Botanik über Wurzel, Stängel, Blatt, Blüte und Frucht und Samen; c. das einfachste über Aufbau und Ernährung der Pflanzen. Daneben wurden einzelne Pflanzen beschrieben. VIII. Zeichnen. a. Freihandzeichnen nach Vorlagen, hauptsächlich Blattformen. b. Linearzeichnen auf dem Reißbrett nach Vorlagen. 2. Untere Klasse: Schüler: Isaak Kwadzo seit 16. Nov. 1891.
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I. Lesen und Schreiben: Einüben der deutschen Schrift; Auswendiglernen von deutschen Wörtern, Anwendung derselben in kleinen Sätzen; leichtere Deklinations- und Konjugationsübungen; Übersetzung von englischen Sätzen ins Deutsche; Behandlung leichterer Lesestücke mit Aufschreib- und Diktierübungen. II. Anschauungsunterricht. Es wurde besprochen: das Haus, der Garten, das Feld, der Wald, einige Pflanzen, Tiere, einige geographische Stoffe. III. Deutsche Sprache: Silben-, Wortbildungslehren nach dem I. Heft für Volksschüler unter Mithilfe von Samuel Quist. IV. Rechnen: Einüben von Lesen und Schreiben der deutschen Ziffern; de 4 Spezies mit reinen Zahlen; Einüben der einfacheren Maße: m, cm, mm, km; hl, l, M, D[?]; kg, g, M, Ztr. Und Anwendung derselben in schriftlichen und mündlichen Aufgaben unter Hilfe leisespr.[?] Benjamin V. Biblische Geschichte mit Memorieren: konnte erst später begonnen werden. a. Biblische Geschichte: Im Anschluss an die „ Cahver [?] biblische Geschichte“ von der Schöpfung bis zur Moses Tod, im ganzen 3 O Geschichten. b. Memorieren: Sprüche Abteilung I. Abteilung II. Nro. 1 – 38; das Vaterunser und die 10 Gebete ohne Erklärung, einige Tischgebete; Lied: Jesu, geh vorne! VI. Aufsatz: hier konnte nur auswendig gelernte biblische Geschichten oder in Anschauungsunterricht Behandeltes aufgeschrieben werden. VII. Zeichnen: einfache Vorlagen. VIII. Englisch: mit Klass I. v. J/Binder ggf. IX. Musik: mit Klasse I. v. Herrn Gotz gegeben siehe das Zeugnis von 28. Juli und die Notizen über die Leute, welche die Zöglinge vom gleichen Tage in einer abgeholten um Prüfung spielten teilweise auch fangen. Westheim, den 30. Juli 1892. Lehrer Leuze. (Leuze. Rechenschaftsbericht der Ewe-Schule vom 1. Nov. 1891–31. Juli 1892. Westheim, den 30. Juli 1892 (7,1025–16/3).
ÜBERBLICK AUF DIE INHALTE DER PRÜFUNGSBLÄTTER ROBERT BAËTAS Erste Klasse: Frühlingsprüfung 1898: Übersetzung: German into English: „The robin“; English 2e E3e me (d. h. von Englisch ins Ewe): „Anyigba la“ (d. h. die Erde). Aufsatz: „Frau, schau, wem“. Eine Fabel; Schönschreiben: zum Text „an den Mai“. Naturgeschichte: Das Pferd. Rechnen bestehend aus Kopfrechnen in 15mn und schriftlichem Rechnen. Sommerprüfung 1898: Übersetzung: German-English: (ohne Titel); English-Ewe: Mateo 17, 24– 27. Aufsatz: Der Wolf und der .Mensch. eine Fabel von Grimm. Geographie: Das Allgemeine von Amerika (mit einer physikalischen Landeskarte Nord-Amerikas); Botanik: Die Erbse; Zweite Klasse: Weihnachtsprüfung 1898: Aufsatz: das Mahl zu Heidelberg, nach G. Schwab Rechnen: Schriftliches und Kopfrechnen. Naturgeschichte: Der Leopard; Biblische Geschichte: 1. Erzähle ein Gleichnis von der Sünderliebe Gottes. 2. Zähle die sieben Gleichnisse vom Reiche Gottes auf und erkläre sie kurz! 3. Erzähle die Geschichte einer Totenerweckung Jesu! Frühlingsprüfung
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1899: Geographie: enthält Antworten auf 16 Fragen: Frage 1 zu Einwohnern Afrikas (kaukasische Rasse, Negerrasse, Hottentotten und Buschmänner); Frage 2 zu den vier Arten des Bodens; Frage 3 zu den Meridianen; Frage 4 zu Grenzen an das nördliche Eismeer; Frage 5 zum Golfstrom; Frage 6 zu Dämpfen; Frage 7 zur Definition von „Dünen“; Frage 8 zu Arten von Flussmündungen, Frage 9 zu Hirten und Jägervölkern, Frage 10 zu Definition des begriff „Lawinen“; Frage 11 zum Volk der Papua; Frage 12 zur Definition des Begriffs „Querthäler“; Frage 13 zum Begriff „Lava“; Frage 14 zum Begriff „Monotheisten“; Frage 15 zu Definition von „Republik“; Frage 16 zum Begriff „konstitutionelle Monarchie“. Rechnen: bestehend aus Zielerrechnung und Berechnung des Kapitals. Biblische Geschichte: Die Kreuzigung Jesu bis zu seinem Tod. Memorieren: 1. 2 Verse aus einem Adventlied von Gerhardt 1606–1676. 2. 2 Verse aus einem Weihnachtslied on Luther. 3. 2 Verse aus einem Danklied. 4. 2 Verse aus einem Lied des Gottvertrauens von Neumark. 5. 2 Verse aus einem Abendlied von Schmolk. 6. 2 Verse aus einem Passionslied von Gerhardt. Herbstprüfung 1899: Naturgeschichte: 1. beschreibe den Kreis der Wirbeltiere und zähle seine verschiedenen Klassen und Ordnungen auf! 2. Beschreibe einen europäischen Vertreter aus der Klasse der Insekten und zwar aus der Ordnung der Käfer! 3. Beschreibe einen afrikanischen Vertreter aus der Klasse der Spinnentiere. Weltgeschichte: 1. Der zweite punische Krieg. 2. Gajus Marius. 3. Konstantin der Große. 4. Die Staatengründungen und der Untergang der arianischen Germanen. 5. Die Geschichte der Hunnen in der Völkerwanderung. Aufsatz: Erzählung einer Lebensrettung, nach Bürgers „Lied vom braven Mann“. Schönschreiben (Text auf Gott bezogen). Geographie: 1. Entwirf eine Kartenskizze von Evheland. 2. Kartenskizze des Wassernetzes von Afrika! 3. Die vertikale Gliederung Asiens! 4. Südamerika physikalisch! 5. Nordamerika politisch. Weltgeschichte: 1. Der peloponnesische Krieg 431–404 [v. Jesu Christi]. 2. Alexanders Zug nach Persien bis zur Schlacht von Arbela, 334–331. Dritte. Klasse: Weihnachtsprüfung 1899: Weltgeschichte: 1. Gregor VII. und Heinrich IV.; 2. Der Untergang der Hohenstaufen; 3. Die Folgen der Kreuzzüge; 4. Rittertum und Städtewesen im Mittelalter. Naturgeschichte (Lehre von menschlichem Körper): 1. wie heißt die Zahnformel beim Menschen? 2. Beschreibe kurz den Blutkreislauf! 3. Was ist die Aufgabe der Lungen? 4. Wie wird bei Ertrunkenen, Erstickten oder vom Blitz getroffenen die künstliche Atmung gemacht? 5. Welchen Wert hat das Turnen für die Gesundheitspflege? Deutsche Sprache (Grammatik) betreffend u. a. Personen-, Länder- Flussnamen; Person-, Mehrzahl-, Vergangenheits-, Tätigkeitsformen, Bindenwörter usw. Geographie: 1. Zähle die spanischen Provinzen auf und gib ihre Lage dabei an! 2. Nenne die größten italienischen Städte (über 100000 Einwohner); 3. Welche Staaten liegen auf der Balkanhalbinsel? 4. Nenne die Bestandteile der habsburgischen Monarchie! 5. Die Flüsse Frankreichs! 6. De Meerbusen und Landseen Russlands! 7. Physikalische Geographie von Großbritannien und Irland. 8. Stelle die europäischen Länder nach der Große zusammen. Frühlingsprüfung 1900: Schönschreiben: zu Texten betreffend Gott allgemeines Thema. Rechnen: bestehend aus schriftlichem und Kopfrechnen. Sprachlehre: Der dritte Vers aus Uhlands „Kapelle“ soll nach Wortarten, Satzgliedern, Satzarten und Metrik besprochen werden. Geographie: 1. zähle die Planeten auf und vergleiche die Erde mit ihnen. 2. Bevölkerung und Größe der 5 Erdteile; 3. Die Städte Norderindiens; 4. Die Teile des chinesischen Reiches; 5. Die Sahara; 6. Westindischer Archipel; 7. Die russischen Flüsse; 8. Welche Gebirge begleiten den Rhein, den Main, die Weser, die Elbe? 9. Das Königsreich Sachsen politisch!
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Sommerprüfung 1900: Deutsche Sprache: Im Anschluss von Schillers „Lied von der Glocke“ soll geschildert werden, wie dieselbe „mit ihrem Schwunge des Lebens wechselvolles Spiel begleitet“. Schönschreiben: mit dem Satz „Leide und trage, dein Weh nicht klage, an Gott nicht erzage“. Physik: 1. Nenne die wichtigsten Teile der Dampfmaschine; 2. Beispiele von guten und schlechten Wärmeleitern und ihre Verwendung; 3. Was versteht man unter Kontinental- und unter Seeklima? Erklärung; 4. Nenne die sechs einfachen Maschinen und die goldene Regel der Mechanik; 5. Beispiele von Wurfshebeln und Druckhebeln und Erklärung beider Arten je an einem Beispiel; 6. An einer Schnellwaage sei der Lastarm 5 cm lang; die Kraft sei ½ kg schwer. Die Last betrage 4 kg. Wie lang muss der Kraftarm sein, wenn Gleichgewicht herrschen soll? Einfach Zeichnung dazu; 7. Wozu verwendet man das Wellrad? 8. Erkläre den Unterschied zwischen einem Schraubendampfer und einem Raddampfer. Weltgeschichte: 1. Die Geschichte der Vereinten Staaten von Amerika bis zum Schluss des Sklavenkrieges; 2. Kaiser Napoleon I. 3. Der Krieg von 1870/71 soll von der Schlacht von Sedan bis zu seinem Ende erzählt werden. Rechnen: schriftliches und Kopfrechnen (Robert Baëtas Prüfungsblätter 1898–1900 (7,1025–29/6).
(AUTO)BIOGRAFIEN DER AFRIKANISCHEN MITARBEITER DER NMG Übersetzung von Ewe ins Deutsche: Kokou Azamede abgelegt im Staatsarchiv Bremen (7,1025–30/1) 1. Lebensgeschichte von Os4fo Daniel Kwadzo A2inyir7. 1930 2. Lebensgeschichte von A. A. Ag4b4, alias Kofi Zobom. 1932. 3. Lebensgeschichte von Gilbert Aka. 1932 4. Lebensgeschichte von. Theohil Akpedinu. 1932. 5. Lebensgeschichte von S. Y. Asare. 1932. 6. Lebensgeschichte von O. W. Atitso. 1932 7. Lebensgeschichte von L.K. Edmond Ayikutu. 1929 8. Lebensgeschichte von Mercy Baëta. 1917. 9. Lebensgeschichte von Pastor Albert W. Binder, 1929. 10. Lebensgeschichte von Benjamin Boateng. 1932 11. Lebensgeschichte von Robert Buadzo. (undatiert) 12. Lebensgeschichte von Alfred Buatsi. 1932 13. Lebensgeschichte von Theofil K. De. 1932 14. Lebensgeschichte von Sam Donko. 1932 15. Lebensgeschichte von Maria Yawa Dzah. (undatiert, um 1925) 16. Lebensgeschichte von Er. K. Foli. 1930. 17. Lebensgeschichte von Israel Kafu H-. 1932. 18. Lebensgeschichte von F. M. Klu. 1932. 19. Lebensgeschichte von Aaron Kuku 1929 (2 Bände). 20. Lebensgeschichte von Theofil Mali. 1932. 21. Lebensgeschichte von G. Tedeku. 1932 Weitere Lebensgeschichten in der deutschen Version
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1. Aus meinem Leben. Erzählt von Os4fo Motte. Ho.1934 2. Selbstbiographie von Isaak Kwadzo. Peki Blengo, 16. 10. 30 3. Isaac Kwadzo an Missionsinspektor Stoevesandt. Peki-Blengo, den 7. 3. 1931
M I S S I O N S G E S C H I C H T L I C H E S A RC H I V Studien der Berliner Gesellschaft für Missionsgeschichte
Herausgegeben im Auftrag des Vorstandes von Andreas Feldtkeller, Irving Hexham, Ulrich van der Heyden, Gunther Pakendorf und Werner Ustorf.
Franz Steiner Verlag
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
ISSN 1430–1016
Ulrich van der Heyden / Heike Liebau (Hg.) Missionsgeschichte, Kirchengeschichte, Weltgeschichte Christliche Missionen im Kontext nationaler Entwicklungen in Afrika, Asien und Ozeanien 1996. 472 S., geb. ISBN 978-3-515-06732-4 Tilman Dedering Hate the Old and Follow the New Khoekhoe and Missionaries in Early Nineteenth-Century Namibia 1997. 205 S., geb. ISBN 978-3-515-06872-7 Jürgen Becher Dar es Salaam, Tanga und Tabora Stadtentwicklung in Tansania unter deutscher Kolonialherrschaft (1888–1914) 1997. 194 S. mit 13 Ktn. und 11 Abb., geb. ISBN 978-3-515-06735-5 Elfriede Höckner Die Lobedu Südafrikas Mythos und Realität der Regenkönigin Modjadji 1998. 260 S. mit 17 Abb. und 12 Taf., kt. ISBN 978-3-515-06794-2 Nils Ole Oermann Mission, Church and State Relations in South West Africa under German rule (1884–1915) 1999. 267 S., geb. ISBN 978-3-515-07578-7 Ulrich van der Heyden / Jürgen Becher (Hg.) Mission und Gewalt Der Umgang christlicher Missionen mit Gewalt und die Ausbreitung des Christentums in Afrika und Asien in der Zeit von 1792 bis 1918/19 2000. 557 S., geb. ISBN 978-3-515-07624-1 Tanja Hemme Streifzüge durch eine fremde Welt Untersuchung ausgewählter schriftlicher Zeugnisse deutscher Reisender im südlichen Afrika unter besonderer Berücksich-
tigung der kulturellen Fremderfahrung 2000. 250 S., kt. ISBN 978-3-515-07563-3 8. Chun-Shik Kim Deutscher Kulturimperialismus in China Deutsches Kolonialschulwesen in Kiautschou (China) 1898–1914 2004. 272 S. mit 23 Abb., geb. ISBN 978-3-515-08570-0 9. Andrea Schultze „In Gottes Namen Hütten bauen“ Kirchlicher Landbesitz in Südafrika: die Berliner Mission und die EvangelischLutherische Kirche Südafrikas zwischen 1834 und 2005 2005. 619 S. mit 17 Abb., geb. ISBN 978-3-515-08276-1 10. Ulrich van der Heyden / Holger Stoecker (Hg.) Mission und Macht im Wandel politischer Orientierungen Europäische Missionsgesellschaften in politischen Spannungsfeldern in Afrika und Asien zwischen 1800 und 1945 2005. 700 S., geb. ISBN 978-3-515-08423-9 11. Vera Boetzinger „Den Chinesen ein Chinese werden“ Die deutsche protestantische Frauenmission in China 1842–1952 2004. 305 S. mit 15 Abb. und 1 Kte., kt. ISBN 978-3-515-08611-0 12. Ulrich van der Heyden / Andreas Feldtkeller (Hg.) Border Crossings Explorations of an Interdisciplinary Historian. Festschrift für Irving Hexham 2008. 496 S. mit farb. Frontisp., geb. ISBN 978-3-515-09145-9 13. Lize Kriel The ‘Malaboch’ books Kgaluši in the “civilization of the written word” 2009. 377 S. mit 15 Abb., 3 Tab. und 1 Kte., kt. ISBN 978-3-515-09243-2