Transferprozesse zwischen dem Alten Reich und Italien im 17. Jahrhundert: Wissenskonfigurationen - Akteure - Netzwerke 9783839432938

The dynamics of knowledge production and circulation - interdisciplinary perspectives on Italy and the German-speaking w

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German Pages 344 Year 2018

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Table of contents :
Editorial
Inhalt
Vorwort
Einleitung
Arten des Wissenserwerbs
Zirkulation von technischem Wissen zwischen Italien und dem Reich Eine Spurensuche
Giovanni Andrea Angelini Bontempi als ungewöhnlicher Akteur im musikalischen Wissenstransfer zwischen Italien und dem Reich nach dem Dreißigjährigen Krieg
Zwischen höfischem Berater und Missionar Bruder Dominicus a Jesu Maria und die Heiligkeit der Karmeliten im Heiligen Römischen Reich 1
Mediation
Kaiserinnen und Kardinäle Wissensbroker(innen) zwischen dem Kaiserhof und Italien im 17. Jahrhundert
Federico Savelli, tugendhafter Adliger, Militär und Diplomat
Akteure, Medien und Institutionen in den Prozessen von Wissensproduktion über das Reich an der römischen Kurie in den 1620er Jahren Nuntius Carlo Carafa und die Propaganda Fide-Kongregation
Archive des Wissens und Erinnerung
Ein Chamäleon zwischen Rom und Darmstadt Naturhistorische Geschichten und Mediation während des Dreißigjährigen Kriegs (1619-1629)
Die Erfindung der Sabaudia und die Historisierung des Alpenraums im Spiegel savoyischer Hofpublikationen
Autorinnen und Autoren
Personenregister1
Ortsregister 1
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Transferprozesse zwischen dem Alten Reich und Italien im 17. Jahrhundert: Wissenskonfigurationen - Akteure - Netzwerke
 9783839432938

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Sabina Brevaglieri, Matthias Schnettger (Hg.) Transferprozesse zwischen dem Alten Reich und Italien im 17. Jahrhundert

Mainzer Historische Kulturwissenschaften | Band 29

Editorial In der Reihe Mainzer Historische Kulturwissenschaften werden Forschungserträge veröffentlicht, welche Methoden und Theorien der Kulturwissenschaften in Verbindung mit empirischer Forschung entwickeln. Zentraler Ansatz ist eine historische Perspektive der Kulturwissenschaften, wobei sowohl Epochen als auch Regionen weit differieren und mitunter übergreifend behandelt werden können. Die Reihe führt unter anderem altertumskundliche, kunst- und bildwissenschaftliche, philosophische, literaturwissenschaftliche und historische Forschungsansätze zusammen und ist für Beiträge zur Geschichte des Wissens, der politischen Kultur, der Geschichte von Wahrnehmungen, Erfahrungen und Lebenswelten sowie anderen historisch-kulturwissenschaftlich orientierten Forschungsfeldern offen. Ziel der Reihe Mainzer Historische Kulturwissenschaften ist es, sich zu einer Plattform für wegweisende Arbeiten und aktuelle Diskussionen auf dem Gebiet der Historischen Kulturwissenschaften zu entwickeln.

Sabina Brevaglieri, Matthias Schnettger (Hg.)

Transferprozesse zwischen dem Alten Reich und Italien im 17. Jahrhundert Wissenskonfigurationen – Akteure – Netzwerke

Gedruckt mit Mitteln des Forschungsschwerpunktes Historische Kulturwissenschaften an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2018 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-3293-4 PDF-ISBN 978-3-8394-3293-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Vorwort...................................................................................................7 Einleitung...............................................................................................9 Sabina Brevaglieri/Matthias Schnettger

Arten

des

Wissenserwerbs

Zirkulation von technischem Wissen zwischen Italien und dem Reich. Eine Spurensuche........................................29 Sebastian Becker Giovanni Andrea Angelini Bontempi als ungewöhnlicher Akteur im musikalischen Wissenstransfer zwischen Italien und dem Reich nach dem Dreißigjährigen Krieg.....................................61 Klaus Pietschmann Zwischen höfischem Berater und Missionar. Bruder Dominicus a Jesu Maria und die Heiligkeit der Karmeliten im Heiligen Römischen Reich..................................91 Rubén González Cuerva

Mediation Kaiserinnen und Kardinäle. Wissensbroker(innen) zwischen dem Kaiserhof und Italien im 17. Jahrhundert..............127 Matthias Schnettger

Federico Savelli, tugendhafter Adliger, Militär und Diplomat...... 161 Cecilia Mazzetti di Pietralata Akteure, Medien und Institutionen in den Prozessen von Wissensproduktion über das Reich an der römischen Kurie in den 1620er Jahren. Nuntius Carlo Carafa und die Propaganda Fide-Kongregation ................................................207 Guido Braun

Archive

des

Wissens

und

Erinnerung

Ein Chamäleon zwischen Rom und Darmstadt. Naturhistorische Geschichten und Mediation während des Dreißigjährigen Kriegs (1619-1629) .........................................243 Sabina Brevaglieri Die Erfindung der Sabaudia und die Historisierung des Alpenraums im Spiegel savoyischer Hofpublikationen.........287 Saniye Al-Baghdadi Autorinnen und Autoren...................................................................323 Personenregister...............................................................................325 Ortsregister........................................................................................337

Vorwort

Bücher, zumal Sammelbände, deren Autorinnen und Autoren unterschiedliche Muttersprachen haben und in unterschiedlichen Fachdisziplinen beheimatet sind, sind in der Regel das Ergebnis von mehr oder langwierigen Transferund Aushandlungsprozessen. Am Beginn dieses Sammelbands stand anders als in vielen anderen Fällen keine Tagung, sondern der Aufenthalt einer italienischen Gastwissenschaftlerin an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz im Rahmen eines Marie Curie-Fellowships. Dadurch angeregt, formierte sich eine interdisziplinär zusammengesetzte Gruppe von Italien-affinen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die in einer lockeren Folge interner Workshops über das Thema frühneuzeitlicher Wissenstransferprozesse nachzudenken begannen und versuchten, sich nicht nur gemeinsam dem konkreten Gegenstand zu nähern, sondern sich durch den intensiven, offenen Austausch auch neue Dimensionen des interdisziplinären Austauschs zu eröffnen. Nachdem wir unsere Überlegungen erstmals im Rahmen einer Sektion der Arbeitstagung der Arbeitsgemeinschaft Frühe Neuzeit im Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands in München 2013 vorgestellt hatten, haben wir uns entschlossen, es auch im Rahmen eines größer dimensionierten Sammelbandes zu erproben. Das ist nur möglich geworden, weil der Mainzer Forschungsschwerpunkt Historische Kulturwissenschaften die Finanzierung des Buchprojekts übernommen und es auch in seine Veröffentlichungsreihe aufgenommen hat. Wir sind unseren Autorinnen und Autoren in und außerhalb von Mainz sehr dankbar, dass sie sich mit uns auf dieses Wagnis eingelassen haben. Carolin Katzer hat die Manuskripte für den Druck eingerichtet, Barbara Geratz Matera, Julia Rader und Andrea Weindl haben die italienisch- bzw. spanischsprachigen Texte übersetzt. Sebastian Becker hat nicht nur selbst einen Beitrag geliefert, sondern auch einen Großteil der organisatorischen Arbeit geschultert und uns bei der redaktionellen Feinarbeit unterstützt. Gedankt sei schließlich auch unserem Projektmanager beim transcript Verlag, 7

Transferprozesse zwischen dem Alten Reich und Italien im 17. Jahrhundert

Gero Wierichs, der angesichts der vielfältigen Transfer- und Aushandlungsprozesse länger auf das Manuskript warten musste, als er und wir es ursprünglich erhofft hatten. Rom/Mainz, im August 2017 Sabina Brevaglieri/Matthias Schnettger

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Einleitung Sabina Brevaglieri/Matthias Schnettger

Dieser Sammelband möchte eine Reflexion über die Rolle und die Räume des Wissens in den Beziehungen zwischen dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation und Italien im Laufe des 17. Jahrhunderts anregen. Ausgangspunkt dafür ist die Frage, wie Wissen erzeugt wurde, in welchen Kreisen es sich verbreitete und auf welchen Gebieten es seine Wirkung entfaltete. In diesem Kontext wird zugleich ausgelotet, wie der Fokus auf den Untersuchungsgegenstand Wissen dazu beitragen kann, neue Ressourcen und Ansätze der Sozial- und Kulturgeschichte zu erschließen, und zwar auch im Hinblick auf die wachsende Bedeutung, die der Globalgeschichte zukommt.1 Der Sammelband basiert nicht auf einer fest vorgegebenen theoretischen Prämisse, die alle Autorinnen und Autoren ihren Studien als analytische Voraussetzung zugrunde legen sollten. Vielmehr stellt er das offene Ergebnis der experimentellen, gleichsam polyphonen Arbeit an einem gemeinsamen Thema dar: den Verbindungen zwischen Deutschland und Italien. Die in diesem Kontext gewonnenen Erkenntnisse sollen in den Geschichts- und Kulturwissenschaften eine Diskussion über Wissenstransfer in einem weiten Sinne anstoßen.2 Angesichts des breiten Spektrums von travelling concepts, die das geschichtswissenschaftliche Vokabular prägen (cultural transfer, cultural exchange, cultural translation, histoire croisée, entangled history, circolazioni etc.), impliziert die Bezugnahme auf »Transfer« im Titel ausdrücklich weder eine ausschließliche und homogene Positionierung der Aufsätze, noch bringt sie die Intention der Autorinnen und Autoren zum Ausdruck, sich auf das analytische Vermögen und Erklärungspotential eines einzigen Forschungsansatzes zu 1 Vgl. Hunt, 2015. 2 Zur polyphonen Geschichte vgl. Burke, 2010; zur Reflexion über Transdisziplinarität und Post-Disziplinarität vgl. Bergmann, 2010. 9

Sabina Brevaglieri/Matthias Schnettger

beschränken.3 Der Titel stellt vielmehr eine Momentaufnahme dar, das heißt, er orientiert sich an der spezifischen geistigen und materiellen Ausgangssituation des Projekts. Zugleich ist er vom Zusammenspiel unterschiedlicher Vorgehensweisen und Bedeutungshierarchien beeinflusst, die sich aus unterschiedlichen fachlichen Perspektiven und historiographischen Traditionen ergeben.4 Der Band geht von einer grundlegenden Bedeutung von Konnektivität aus, die als Chance und Ressource für eine Geschichtsschreibung der Nationen und Europas in einer »transnationalen« Perspektive der miteinander verknüpften Skalen zu verstehen ist.5 Er verdeutlicht dabei, dass gerade die Fokussierung auf Wissen das Zusammentreffen heterogener Forschungsagenden bedingt und den Versuch ermöglicht, einander ausschließende Herangehensweisen zu überwinden und neue analytische Perspektiven zu eröffnen. Weitere Erläuterung erfordert in diesem Zusammenhang die Konzentration der Aufsätze auf eine bestimmte Zeit-Raum-Achse, die in jüngster Zeit als ein wesentliches Element einer Art »Kerneuropa« identifiziert worden ist und aufgrund der engen Netzwerke und Verknüpfungen bis ins 17. Jahrhundert fortbestand.6 Hier soll nicht der Frage nach dem mehr oder weniger offensichtlichen Zusammenhang zwischen »lokaler« und »globaler« Ebene ausgewichen werden, ein Problem, das für die Autorinnen und Autoren im Übrigen, entsprechend der Vielfalt ihrer Forschungsgegenstände, Gewohnheiten und Forschungsagenden, einen ganz unterschiedlichen Stellenwert hat. Die intensive Auseinandersetzung mit einer räumlichen »Zentralität«, deren Komplexität kritisch hinterfragt und deren Gefüge und Grenzen eingehender untersucht werden sollen, verlangt auch, sich mit dem Problem der grundgelegten Maßstäbe zu beschäftigen, und das nicht nur in räumlicher Hinsicht. Gerade die Beschäftigung mit dem Thema Wissen, die sich dieser Sammelband zum Ziel gesetzt hat, kann wesentlich dazu 3

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Zu den aktuellen Standpunkten zum Thema Transfer und zu den Beziehungen zu anderen analytischen Ansätzen, aber auch als anregende Darstellung der Standpunkte vgl. Schmale, 2012; zu einer Analyse von Kulturtransfers vgl. Ders., 2003. Außer den dort zitierten Titeln vgl. zu einer globalen Perspektive auch Raj, 2007; Subrahmanyam, 2014; DaCosta Kaufmann/Dossin/Joyeux-Prunel, 2015. Zur Geschichte des Projekts vgl. Brevaglieri/Schnettger, 2015, S. 123, Anm. 2. Vgl. Ditchfield, 2010; Globalizing Early Modern German History, 2013; Marcocci, 2014. Zu dieser Geographie, die »bis ins 17. Jahrhundert […] die größte infrastrukturelle und Vernetzungsdichte im Gebiet des Heiligen Römischen Reiches und seiner direkten Nachbarn« ausmachte, vgl. Schmale, 2008, hier S. 57; und Ders., 2010.

Einleitung

beitragen, ein grundsätzliches und entscheidendes Problem offensichtlich zu machen: Wie konstruieren Historikerinnen und Historiker ihre Kontexte? Das Analyseinstrument Wissen, das in den versammelten Aufsätzen zum Einsatz kommt, um die Textur und Beschaffenheit von Räumen, die sich auf der Nord-Süd-Achse ständig neu konstituieren, zu durchdringen und neu zu definieren, steht einem historiographischen Panorama gegenüber, das man, angefangen bei den Beschreibungskategorien des Titels, nur als außerordentlich komplex bezeichnen kann.7 Zweifellos sieht man sich einem weitgefächerten Spektrum gegenüber, wenn man sich daran macht, die vielfältigen Formen von Interaktion zu betrachten, die die Beziehung zwischen dem Reich und Italien während des 17. Jahrhunderts, insbesondere im Zuge des Dreißigjährigen Kriegs und seiner Folgen,8 prägten. Nun sind die Transferprozesse, die sich zwischen dem Reich und Italien abspielten, kein ganz neuer Forschungsgegenstand, auch wenn sich ihrer Erforschung im Laufe der Zeit unterschiedliche Hindernisse entgegengestellt haben. An die Stelle der früher so einflussreichen konfessionellen Ideologien, die dazu tendierten, das konfessionelle Gegenüber abzuqualifizieren bzw. zu ignorieren,9 sind in jüngerer Zeit ganz andere, aber ebenso wirksame Motive getreten. Dazu gehört zum einen das schon erwähnte, wachsende Interesse der Geschichtswissenschaften an globalen Perspektiven. Dies kann zur Marginalisierung von Räumen in der Forschung führen, die man als außerhalb oder am Rand der kolonialen Dynamik liegend begreift.10 Zum anderen haben die fachspezifischen Perspektiven zur Fragmentierung dieses Forschungsfelds beigetragen. Das liegt nicht zuletzt an den unterschiedlichen dominierenden Deutungsmustern der Geschichte Europas in den einzelnen Disziplinen und den daraus resultierenden differierenden Koordinatensystemen. Für Disziplinen wie die Kunstgeschichte und die Musikgeschichte sind die italienischen Einflüsse auf den nordalpinen Raum nach wie vor ein klassisches Thema, an dem man gar nicht vorbeikommt. Wie Klaus Pietschmann in seinem Beitrag zu diesem Band feststellt, gibt es aber bezüglich der Vorbildfunktion der Musik (ebenso wie der Kunst) Italiens Ansätze zu einer Neubewertung, die die außergewöhnliche Rolle Italiens und die Asymmetrie der Beziehungen zwischen der Apenninenhalbinsel und der nordalpinen Welt kritisch hinterfragen.11 7 Vgl. Brevaglieri/Schnettger, 2015. 8 Zum Dreißigjährigen Krieg in europäischer Perspektive vgl. Schröder /Asbach, 2014. 9 Vgl. Reinhard, 1998, S. 211-213. 10 Für einen anderen Blickwinkel Strasser, 2007; vgl. dazu Findlen, 2017. 11 Vgl. den Aufsatz von Klaus Pietschmann in diesem Band. 11

Sabina Brevaglieri/Matthias Schnettger

Angesichts kaum widerlegbarer Argumente kann sich die Musikgeschichte eigentlich nicht darauf beschränken, diesen Mythos als solchen zu entlarven – und selbstverständlich darauf zu verzichten, ihn zu zelebrieren. Vielmehr liegt der beste Weg, um solche statischen und allzu essentialistischen Bilder zu dekonstruieren, darin, in die Komplexität der Prozesse einzudringen und eine Pluralität von Akteuren, Erfahrungen, Genres und Öffentlichkeiten zum Vorschein zu bringen und so den Stellenwert und die Bedeutung dieser Beziehungen neu zu bestimmen. Auf der anderen Seite hat die beachtliche Menge an kritischer Arbeit, die in den letzten zwanzig Jahren zum Begriff »Wissenschaftliche Revolution« geleistet wurde, die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass die hergebrachte Dichotomie aus Aufstieg von Kapitalismus und Modernität nördlich der Alpen und Rückständigkeit in Südeuropa zunehmend in Frage gestellt wird. Während aber das Forschungsfeld der Iberian Science inzwischen äußerst umfassend ist und als fest etabliert gelten kann, stehen die diesbezüglichen Forschungen zum päpstlichen Rom noch am Anfang, befinden sich jedoch in stetigem Wachstum.12 Wie wir im Folgenden noch sehen werden, kann genau hier das anspruchsvolle Vorhaben ansetzen, sowohl die Wissenskonfigurationen zwischen Nord und Süd in einer globalen Perspektive zu analysieren wie auch Wissen als Forschungsgegenstand neu zu konzeptualisieren.13 Gleichzeitig eröffnen sich neue Möglichkeiten in Bezug auf so klassische geschichtswissenschaftliche Themen wie die Reise. Hier geht es darum, Elitenphänomene wie die Grand Tour vor dem Hintergrund unterschiedlicher Arten der Mobilität und Erfahrungen von peregrinatio zu überdenken, die noch bis vor Kurzem keine wesentliche Rolle in diesen räumlichen Betrachtungen gespielt haben.14 In diesem komplexen historiographischen Panorama erweisen sich auch die Perspektiven als bedeutsam, die die radikale Infragestellung des Konfessionalisierungsparadigmas eröffnet hat. In den letzten Jahren hat die nachdrückliche Kritik an der vorgeblichen Undurchlässigkeit der konfessionellen Grenzen im Sinne von klar definierten Trennlinien bewirkt, dass sie nun mehr als Spannungslinien begriffen werden und ihre fragmentarische, fließende und durchlässige Natur, aber auch die kon12 Zur Iberian Science vgl. jetzt Sánchez u.a., 2016; zu den Forschungen über Rom Donato/Kraye, 2009; Romano, 2009; und Dies., 2016. 13 Vgl. auch Brevaglieri, 2018. 14 Zur akademischen peregrinatio der Ärzte vgl. z.B. Grell/Cunningham/Arrizabalaga, 2010, die jedoch die Rolle der italienischen Zentren vollkommen ausblenden. Für einen neuen, aber sich auf eine spätere Zeit beziehenden Blickwinkel, der zur Nord-Süd-Achse zurückkehrt, vgl. Bourguet, 2017. 12

Einleitung

fessionelle Widerständigkeit thematisiert wird. Die Aufmerksamkeit, welche die Geschichtswissenschaft vor allem den deutschen Höfen angedeihen lässt, hat dazu geführt, dass sich ein neuer bevorzugter Analysegegenstand und neue Blickwinkel abgezeichnet haben, um die Beziehungsachse zwischen dem Reich und Italien bezüglich der Praktiken der Kontrolle von und des Spiels mit Konfessionszugehörigkeit auf mehreren Ebenen zu überdenken.15 Außerdem hat man sich erst in jüngster Zeit dem Thema Reichsitalien und der Rolle des Reichs in den politischen Angelegenheiten Italiens zugewandt und Befugnisse und Handlungsspielräume aufgedeckt, die weit über die Dimension bilateraler Beziehungen der italienischen Höfe zu Wien hinausgingen.16 Dabei wurde auch die Bedeutung der dynastischen Verflechtungen zwischen dem Reich und der italienischen Staatenwelt beleuchtet, und so wurden Forschungsfelder erschlossen, die unter besonderer Berücksichtigung der Pluralität der beteiligten Akteure und ihrer unterschiedlichen Handlungsmöglichkeiten erkundet werden sollten.17 Ebenso hat ein neues Interesse für die Komplexität der Akteure des Ancien Régime, die per definitionem vielfältig sind und unterschiedliche Konfessionen, institutionelle Aufgaben und Praktiken repräsentieren, dafür gesorgt, dass eine klassische Quellengattung wie die Nuntiaturberichte in neuem Licht betrachtet wird.18 Sie gelten seit jeher als Quellen für die internationalen Beziehungen zwischen dem Papsttum und dem Reich, denen stets, auch in den kritischsten Phasen der Konfessionsstreitigkeiten, vitale Bedeutung zuerkannt wurde. Nun aber scheinen sie geradezu darauf zu warten, zu einer Rekonzeptualisierung des Politischen herangezogen zu werden, die unter anderem darauf abzielt, das Potential einer Dialektik von formell und informell zu erkunden. Dieser Band, der die zahlreichen Gebiete und Skalen der Beziehungen zwischen dem Reich und Italien im Sinne von Wissenskonfigurationen zu untersuchen beabsichtigt, verzichtet darauf, bestimmte Wissensordnungen des 17. Jahrhunderts zu rekonstruieren oder sich auf einige Typologien zu konzentrieren, denen größere Relevanz als anderen zugesprochen wird. Als soziale, vielfältige und mehrdimensionale sowie pervasive und allgegenwärtige Phänomene machen die Wissenskonfigurationen in erster Linie deutlich, dass sie sich nicht als fertige Produkte von faktischer Offensichtlichkeit darstellen, sondern vielmehr mobil und das Ergebnis von Prozessen und Aushandlungen sind. Es geht folg15 Vgl. hierzu Fosi, 2015. 16 Vgl. Schnettger /Verga, 2006; Cremonini/Musso, 2010; Taddei/Schnettger / Rebitsch, 2017. 17 Vgl. Schnettger, 2017. 18 Vgl. Braun, 2014; Brevaglieri, 2015. 13

Sabina Brevaglieri/Matthias Schnettger

lich darum, sich Welten mit mannigfaltigen Akteuren und ihren wandelbaren Bedingungen und Situationen zuzuwenden, die ihre mehr oder weniger deutliche Gestaltwerdung im Hinblick auf materielle Bedürfnisse, vielfältige Ansprüche und unterschiedliche Öffentlichkeiten ermöglichen. Will man nun dieses ausgezeichnete Analyseinstrument auf die »Transfer«-Dynamiken zwischen dem Reich und der italienischen Halbinsel anwenden, ergibt sich die Notwendigkeit, den engen Zusammenhang zwischen der fortgesetzten Wissensproduktion und der Schaffung von – physischen, sozialen und politischen – Räumen zu untersuchen, die in diesem Kontext naturgemäß als translokal und generell als multiskalar erscheinen. Die Wissenskonfigurationen sind im Übrigen geprägt von Asymmetrien und Machtbeziehungen und stellen einen idealen Blickwinkel dar, um das komplexe Verhältnis von Agency und Strukturen zu beleuchten. Dieser Ansatz beruht auf einer reflexiven historischen Praxis, die bei der tiefgreifenden Neudefinition ihrer Forschungsgegenstände ansetzt, wie sie die sozialgeschichtlich orientierte Wissenschaftsgeschichte und die Historische Epistemologie in den letzten zwanzig Jahren vorgenommen haben, im Zuge der Forderung nach einer radikalen Historisierung der Epistemologie und der Anerkennung der Existenz eines regelrechten Ancien Régime des Savoirs, das dementsprechend auch als solches zu interpretieren ist.19 Die tiefgehende Erneuerung der Geistesgeschichte auf der einen und die lebhafte Erforschung der Geschichte des Buchs auf der anderen Seite haben überdies eine Reihe sich gleichsam kreuzender Anregungen geboten und auf die Verflechtung von diskursiver Produktion und materieller Dimension hingewiesen, aber auch die instabile Seite hervorgehoben, die dem Wissen innewohnt.20 Die aktuelle Diskussion über Wissensgeschichte als autonomes Forschungsgebiet hat das Problem aufgeworfen, dass dieses genauer bestimmt werden muss, insbesondere in Deutschland, wo es einen wesentlichen höheren Grad der Institutionalisierung erreicht hat. Das bedeutet, die Grenzen des Forschungsgegenstands »Wissen« weit über seine traditionelle Dimension, nämlich das theoretisch durchformte Wissen, auszudehnen, und die Bedeutung der in der Realität weitgefächerten kognitiven Werte sowie das Verhältnis des Wissens zu anderen menschlichen Hervorbringungen zu beleuchten.21 Während sich hier das Problem der Beziehung der Wissensgeschichte zur Kulturgeschichte in ihren unterschiedlichen Spielarten stellt, haben sich weitere Impulse aus einer Neukonzeptualisierung der Sphäre des Politischen unter kommunikativen Gesichtspunkten ergeben. Auf diesem Gebiet stellen die Über19 Vgl. Scientiae, 2014; van Damme, 2015. 20 Vgl. Burke, 2007; Mulsow, 2012. 21 Vgl. Lässig, 2016. 14

Einleitung

legungen zur Kategorie »Information« eine Reaktion auf die Gefahr dar, dass das Paradigma »Wissen« im Falle einer Überdehnung an Erklärungsvermögen einbüßen könnte.22 Das Potential dieser Überlegungen liegt nicht so sehr in der Unterscheidung der Funktionen von »Information« und »Wissen«. Von größerer Bedeutung scheinen demgegenüber die Neudefinition der Kategorie »Information« jenseits des Begriffs »Nachrichten« und ihre Nutzung als Ressource für eine neue Verwaltungsgeschichte, die sowohl die materielle Dimension wie das Wechselspiel von formell und informell berücksichtigt.23 Dieser Sammelband setzt also am Schnittpunkt verschiedener Gebiete an, in denen die Reflexion über das Wissen zu einer Überwindung traditioneller fachspezifischer Zugriffe geführt hat. Er möchte Wissen jedoch nicht nur als vielfältiges historisches Phänomen an der Grenze zur Ubiquität begreifen, sondern als analytische Kategorie, die unterschiedliche Fachgebiete verbindet, welche sich unter verschiedenen Blickwinkeln mit dem Ancien Régime des Savoirs beschäftigen. So beabsichtigt der Band, der Wissen als Kategorie der Kulturgeschichte und ihrer Neudefinition auffasst, nicht nur über die Geographie der Beziehungen zwischen dem Reich und Italien nachzudenken, sondern auch darüber, wie diese Geographie der Beziehungen auf der Ebene der historiographischen Praxis entstanden ist. Wissenskonfigurationen sind in diesem Band mobile Aggregate von verschiedenen individuellen, kollektiven und institutionellen Akteuren und unterschiedlichen Arten von Schriften, aber auch von Bildern und Gegenständen, die in einer diskontinuierlichen räumlichen und zeitlichen Dimension und im Kreuzungspunkt verschiedener Skalen Gestalt annehmen. Diese Kollektive beziehen ihre Stabilität so wie auch ihre Fähigkeit zur konstanten Verwandlung aus vielfältigen Praktiken der Realitätsvermittlung, über die kontinuierlich Interessen und Projekte neu ausgehandelt, Räume der sozialen und politischen Legitimation geschaffen und praxisbezogene Handlungsmöglichkeiten, die jedoch gleichzeitig über eine performative Dimension verfügen, neu definiert werden. Bei diesen Kollektiven schränken die Arten der Interaktion weder die beteiligten Akteure a priori ein, noch verweisen sie auf festgelegte Hierarchien von Rollen, Expertise und Know-how, sondern sie handeln diese in einem dynamischen Prozess von Wettbewerb, Konflikten und Widerständen ständig neu aus. Wissen beruht folglich auf einem Netzwerk von kommunikativen Akten der Realitätsvermittlung, die auf analytischer Ebene weder von den Ansprüchen der unterschiedlichen Arten von Akteuren noch von dem gesamten Repertoire an Ressourcen, die diese mobilisieren, sowie den konkreten Arten und Formen 22 Vgl. Brendecke/Friedrich/Friedrich, 2015. 23 Zum Verhältnis zwischen »formell« und »informell« vgl. Emich, 2011. 15

Sabina Brevaglieri/Matthias Schnettger

ihrer Aktivierung getrennt werden können. Die Wissenskonfigurationen stehen in einer konstitutiven, aber komplexen Beziehung zum Raum, die durch die Raumerfahrungen der unterschiedlichen Akteure sowie die Multiskalarität ihrer Standpunkte und Blickwinkel geprägt ist, und entfalten sich in Abhängigkeit von der Veränderlichkeit der Situationen und Positionen dieser Akteure, die im Wissen eine wichtige Ressource für ihre Ansprüche sowie für die Kontrolle über Ungewissheit und Herrschaft erkennen. Der Band ist in drei Abschnitte gegliedert, in denen unterschiedliche Arten von Transferprozessen zwischen dem Reich und Italien im 17. Jahrhundert anhand des Instruments Wissen erläutert werden. Die einzelnen Abschnitte sind nicht darauf angelegt, Kohärenz, Homogenität oder gar Vollständigkeit herzustellen, was schon der pluralistische und experimentelle Ansatz, der diesem Projekt zugrunde liegt, ausschließt. Vielmehr sollen Spannungslinien aufgezeigt und erforscht werden, die es ermöglichen, sich mit Hilfe des Wissens den frühneuzeitlichen Transferprozessen anzunähern. Das bedeutet insbesondere, bei den Akteuren und ihren Verknüpfungen anzusetzen und ihre Pluralität nicht nur im Sinne einer Vielzahl und Mannigfaltigkeit der Figuren, die diese Prozesse gestalten, zu erforschen, sondern sie auch als analytische Kategorie zu verstehen, die imstande ist, in ihre vielgestaltigen Dimensionen und deren kontinuierliche Überlagerungen einzudringen. Es geht also um die eingehende Betrachtung der veränderlichen Fähigkeit der Individuen, unterschiedliche Erfahrungen, Zugehörigkeiten und Glaubensrichtungen bei der Wissensproduktion zu bündeln, und zu beobachten, wie diese Pluralitäten ständig interagieren, ohne sich je vollständig zu integrieren oder zuzulassen, dass ein einzelnes Element zum alleinigen Interpretationsschlüssel für ein anderes wird.24 Damit ist auch gesagt, dass es vielfältige Verbindungen zwischen den Sektionen gibt, dass z.B. auch in den Beiträgen zur Mediation die Arten des Wissenserwerbs eine mehr oder weniger prominente Rolle spielen. Der Abschnitt Arten des Wissenserwerbs bemüht sich, Wissen in seiner ganzen Vielfalt zu definieren, in Bezug auf verschiedene Arten von Erfahrungen und Realitätsvermittlung. Die hier versammelten Aufsätze umschreiben die Handlungsräume, ausgehend von den Wegen der Akteure und ihren Mobilitätserfahrungen. Diese führen zur Entstehung von Kollektiven, in denen durch vielfältige Arten, Praktiken, Prozeduren und materielle Ressourcen kognitive Werte produziert und kommuniziert werden, und in denen der Begriff des »Experten« und 24 Dazu Brevaglieri, 2015. 16

Einleitung

die Voraussetzungen für seine Existenz eine Neudefinition erfahren.25 In den vielfältigen Praktiken der Realitätsvermittlung, welche die Wissenskollektive unaufhörlich hervorbringen, existiert die kognitive Dimension im Übrigen nicht in einer reinen Form und lässt sie sich nie gänzlich von anderen Elementen, wie zum Beispiel Gefühlen und ästhetischen oder religiösen Werten, trennen. In diesem Zusammenhang gilt es, Natur, Praktiken und Formen des Wissens zu beleuchten, dessen Träger zum Beispiel Literatur oder Musik sind.26 Sebastian Beckers Aufsatz leitet diesen Abschnitt und den ganzen Band ein. Er beschäftigt sich mit der Epistemologie des Handwerks und der Produktion von technischem Wissen auf der Basis von Mobilitätserfahrungen, durch die die Reise über die Alpen zur Migration von »Experten« wurde. Das Venedig des 17. Jahrhunderts bietet mit seinen Lizenzen und Privilegien einen ausgezeichneten Blickwinkel, um die hybriden und heterogenen Merkmale dieser Gruppe aufzuzeigen. Im Übrigen stellt die Erfindung eine komplexe Kategorie der Neuzeit dar und zeichnet sich durch die ihr innewohnende Bedeutungsvielfalt aus, die dazu zu einlädt, nach den Charakteristika des Markts der Innovationen zu fragen.27 Lizenzen und Privilegien werden hier folglich als Räume der Wissensproduktion thematisiert, die nicht von den Ansprüchen der Akteure und ebenso wenig von lokalen Bestrebungen nach einer Kontrolle des Markts und einem institutionellen Rahmen zu trennen sind. Sie spielen eine aktive Rolle bei der Entstehung einer Epistemologie des Handwerks. Gleichzeitig scheint die nordalpine Herkunft dieser Experten, anhand der Lizenzen betrachtet, neue politische Räume und andere Arten von Hierarchien zu gestalten, die zugleich von unterschiedlichen geographischen Gegebenheiten, von technischer Kreativität, scheinbar jedoch weniger von konfessionellen Hürden beeinflusst sind. Auch Klaus Pietschmanns Aufsatz verweist auf die dringende Notwendigkeit, die Rolle der konfessionellen Unterschiede bei der Entstehung von Wissenskonfigurationen über die Alpen hinweg zu hinterfragen. Die Religion ist weniger unter dem Aspekt ihres größeren oder geringeren Einflusses zu betrachten denn als dynamisches Element bei den Bemühungen der transalpinen Höfe, sich italienische Musiker und ihre Fähigkeiten zu sichern. Wie der Autor hervorhebt, geht die Möglichkeit, Natur und Wirkung von »musikalischem Wissen« zu definieren, mit der umfassenden Hinterfragung der Arten des Wissenserwerbs einher, die nicht nur über Schriftlichkeit verlaufen und deren ästhetische Implikationen von wesentlicher Bedeutung sind. Die Beziehung des Wissens zu 25 Vgl. Cook, 2017. 26 Vgl. Lilti, 2010. 27 Marr /Keller, 2014. 17

Sabina Brevaglieri/Matthias Schnettger

anderen Aspekten, von den Gefühlen bis zur Religion, zeichnet sich, wie schon erwähnt, als wirklich grundlegendes und generelles Problem ab. Indem er ein Fenster auf dieses Untersuchungsgebiet öffnet, nimmt sich Pietschmann insbesondere vor, die performative Rolle von Genres wie der Historia, die eine epistemische Funktion annehmen, in einer transdisziplinären Perspektive zu betrachten.28 Während ein pluraler Akteur wie der Musiker Bontempi einerseits imstande scheint, zwischen den Vorlieben und Tendenzen dies- und jenseits der Alpen zu vermitteln, greift er andererseits in ganz neuer Art und Weise auf die verbreitete Kategorie der Historia zurück, in der Art der Diplomaten oder auch Ärzte mit einem Anspruch, der exemplarische »Fälle« und Feldbeobachtungen vereint und vermittelt. Rubén González Cuervas Aufsatz untersucht vor dem Hintergrund des Dreißigjährigen Krieges die vielfältige und polyzentrische Produktion einer barocken Konzeption von Heiligkeit im Reich, die aus der Verknüpfung von iberischer Mystik und habsburgischen Herrschaftsräumen hervorgeht und vermittelt durch das päpstliche Rom Gestalt annimmt. Dominicus a Jesus Maria, der »Apostel des Nordens«, ist ein Spanier im Dienst des Papsts und wirkt in den Zwanzigerjahren des 17. Jahrhunderts als Karmeliter-Missionar im Reichsgebiet. Er ist der Vertreter einer verinnerlichten und (wie auch seine späte Seligsprechung zeigt) schwer zugänglichen Spiritualität, hat zugleich jedoch eine starke Wirkung auf ganz unterschiedliche Arten von Publikum. Die umfassende Wissensproduktion um dieses Modell von Heiligkeit herum regt zum Nachdenken über das kognitive Potential von unterschiedlichen Beschreibungs- und Erzählvorgängen an, ausgehend von der physischen Präsenz des Dominicus im Reich und der Entstehung eines individuellen Charismas, das über Kommunikation aufgebaut und durch Gefühle aufgenommen wird, die auf unterschiedliche Arten kontrolliert und gelenkt werden. Die Studie untersucht folglich, auf welche Weise die Erfahrung des »lebenden Heiligen« eine neue Wissensproduktion anregt, die mit der Neuformierung der mitteleuropäischen Religiosität einhergeht. Vielfältige Akteure und Situationen treten so im Zuge unterschiedlicher Ansprüche, Interessen und Ziele auf den Plan, von der Distanzierung von einer Wundertätigkeit des Dominicus, die Juan Caramuel y Lobkowitz vornimmt, bis hin zu theologischen Rechtfertigungen des gerechten Krieges und zur Kodifizierung einer Lebenserfahrung, die zum Thema karmelitischer Historia wird. Indem er den religiösen Wandel und die epistemische Bedeutung der Medien gemeinsam untersucht, stellt González Cuerva die Bilateralität der Räume wieder her und 28 Vgl. Pomata /Siraisi, 2005. 18

Einleitung

zeigt die Komplexität der Verflechtungen und die Bedeutungsvielfalt rund um das Thema Wissen auf. Die Aufsätze des zweiten Abschnitts konzentrieren sich auf die Mediation und setzen sich mit der Komplexität der unterschiedlichen Ebenen von Wissensproduktion auseinander. Ausgangspunkt sind die Akteure, deren kommunikative Handlungen und Positionen im Raum zeigen, dass die Mediation über eine bloße Vermittlerrolle hinausgeht. Die Handlungsfähigkeit des Vermittlers hängt zweifellos von seiner Position, dem Vorhandensein von Netzwerken und der Fähigkeit, diese ständig zu erneuern, ab, sie ist jedoch nicht vorgegeben und bleibt nicht immer gleich. Die Aktivitäten zur Realitätsvermittlung entfalten sich im Schnittpunkt einer Vielzahl von Rollen, Zielen, Umständen und Skalen. Die Vermittler agieren an der Spannungslinie von institutionellen Rollen und informellen Dimensionen und machen deutlich, welche politische Bedeutung dem Wissen innewohnt. In Bezug auf ihre Praktiken ist das Verhältnis von Informationen und Wissen nicht so sehr im Sinne eines qualitativen Unterschieds, von einfach bis komplex, zu bemessen. Ebenso wenig scheinen die mit den Vermittlern verbundenen unterschiedlichen Funktionen ausschlaggebend zu sein. Eher sind die situationsbedingten Formen des Eingreifens in Verhandlungsprozesse von Interesse, die von Fall zu Fall unterschiedliche Instrumente mobilisieren und versuchen, deren jeweiliges Potential zu nutzen. In diesem Zusammenhang nimmt Matthias Schnettgers Aufsatz einen originellen komparativen Blickwinkel auf unterschiedliche Akteurinnen und Akteure aus der Aristokratie des Reichs und Italiens ein, ausgehend von Erfahrungen transalpiner Mobilität, die mit ganz unterschiedlichen Situationen, Richtungen und Genres verbunden sind. Angesichts dieser Pluralität erlaubt das Instrument des Wissens, das im Kreuzungspunkt unterschiedlicher Skalen angesiedelt ist, ein genaueres Verständnis des Politischen. Dynastische Eheschließungen, wie die der beiden Kaiserinnen aus der Familie Gonzaga, gehen mit Mobilitätssituationen einher, die weit über die individuelle Dimension hinausweisen und die Neuorientierung ganzer Adels- und Dienstbotenfamilien, ja ganzer Hofstaaten nach sich ziehen können. Bei diesen Prozessen werden die Räume nicht nur über die Ressourcen der Patronage neu konfiguriert, sondern auch über die Aktivierung eines Repertoires von Fähigkeiten und Leidenschaften. Der Fall Harrach steht exemplarisch für die Komplexität frühneuzeitlicher Akteure: In der Vielzahl seiner Rollen und Funktionen – als Angehöriger einer einflussreichen Adelsfamilie, als Erzbischof und Kardinal, als Amtsträger des Kaisers – ist Harrach in der Tat ein »acteur pluriel« (Bernard Lahire). Ebenso vielfältig und wandelbar sind die Räume, in denen er handelt – an seinem 19

Sabina Brevaglieri/Matthias Schnettger

Metropolitansitz Prag, am Kaiserhof, während mehrfacher Anwesenheiten in Rom. Außerdem steht er für die Komplexität frühneuzeitlichen Wissens, denn es gibt kaum Wissensbereiche, die in der höfischen Sphäre verhandelt werden, die Harrach – und sei es auf dem Niveau eines Dilettanten – gänzlich verschlossen geblieben wären. Auch der Beitrag von Cecilia Mazzetti di Pietralata lenkt die Aufmerksamkeit auf das päpstliche Rom und den Kaiserhof als bedeutende Umschlagsorte für vielfältiges Wissen bzw. auf die Akteure der Wissensvermittlung, die sich in beiden Sphären bewegen. Ähnlich wie Ernst Adalbert von Harrach ist Federico Savelli ein pluraler Akteur in unterschiedlichen Rollen – als Adliger, Militär und Diplomat etc. –, die auch seine Handlungsräume und Aktivitäten im Bereich der Wissensvermittlung prägen. Wie Harrach ist auch er als ein Dilettant im besten Sinne zu betrachten, der sich in unterschiedlichen Wissensräumen mehr oder weniger kompetent zu bewegen weiß. Stärker als der Kardinal ist er auch als Produzent von Wissen fassbar, sei es bei der Konstruktion einer Zugbrücke für die Festungsstadt Ferrara, sei es im Zusammenhang mit Wissen, das unmittelbar seine eigene Person und seine Familie betrifft. Besonders deutlich wird dies im Zusammenhang mit seinen Bestrebungen, nach der Übergabe der Festung Demmin an die Schweden die gegen ihn geäußerten Verdächtigungen zurückzuweisen und die eigene Integrität als tugendhafter Adliger und Militär zu bekräftigen. Indem die Autorin auch den Medien der Wissensvermittlung und der Wissensspeicherung, derer sich Savelli und die von ihm Beauftragten bedienen, große Aufmerksamkeit widmet, schlägt ihr Beitrag zugleich eine Brücke zur dritten Sektion des Bandes. Ähnliches gilt für den Beitrag von Guido Braun, der ebenso wie Cecilia Mazzetti di Pietralata einen Akteur in den Fokus nimmt, für den Papst- und Kaiserhof zwei erstrangige Referenzpunkte bezeichnen, ohne dass sie freilich als Fixpunkte in einem statischen Sinne zu betrachten wären. Bevor er sich seinem Fallbeispiel Carlo Carafa zuwendet, arbeitet er den Stellenwert heraus, der allgemein den päpstlichen Nuntien und Legaten als Mediatoren vielfältigen Wissens zukommt. In der Tat gehören das Sammeln und die Vermittlung von unterschiedlichsten Informationen, die der Autor als »Wissenselemente« versteht, zu den Kernaufgaben der päpstlichen Gesandten. In diesem Sinne können die Nuntiaturberichte als erstrangige Medien der Information und Vermittlung betrachtet werden. Deutlich weist der Autor auf die Pluralität der Informationsverarbeitung und Wissensproduktion an der römischen Kurie hin, Prozesse, an denen unterschiedliche Institutionen, darunter nicht zuletzt die einschlägigen Kongregationen, partizipieren. Vor diesem Hintergrund beleuchtet der Beitrag die Entstehung und Rezeption von Carafas ausführlichem Bericht über das 20

Einleitung

Reich von 1628. Während dieser als solcher an der Kurie kaum beachtet wird, fließen Teile von ihm in eine Buchpublikation ein, die auch über die Alpen gelangt und dort beachtliche Verbreitung findet. Die dritte Gruppe von Aufsätzen befasst sich mit Archiven des Wissens und Erinnerung und thematisiert die Ressourcen und Wirkungsgebiete von Wissen auf eine neue Art. Bücher und Archive werden hier nicht als bloße Behälter von Erinnerungen betrachtet, die imstande sind, die in ihnen enthaltenen kognitiven Werte durch Zeit und Raum zu transportieren. Vielmehr werden sie nicht nur als Depots verstanden, die es zu erkunden gilt, sondern als aktive Prozesse der Wissensproduktion und der Realitätsvermittlung, bei denen auch die materielle Dimension von Erhaltung und Präsenz eine wesentliche Rolle spielt und dazu beiträgt, sie als vielfältige Räume des self-fashioning und der sozialen und politischen Konstruktion neu zu bestimmen. Die Prozesshaftigkeit und die Komplexität von Wissensproduktion und -vermittlung werden in dem Beitrag von Sabina Brevaglieri nachdrücklich veranschaulicht, der ein besonders interessantes Fallbeispiel an der Spannungslinie zwischen evangelischem und katholischem Europa in den Blick nimmt. Neben den menschlichen Akteuren, die an den transalpinen und transkonfessionellen Vermittlungs- und Zirkulationsprozessen von Wissen partizipieren, widmet sie vor allem den beteiligten Medien große Aufmerksamkeit, deren spezifische agency plastisch hervortritt: vom lebenden Chamäleon über dessen toten, präparierten Körper, anatomische Skizzen des Kadavers sowie Briefe bis hin zu einem Kapitel in den Animalia Mexicana. Die Autorin arbeitet heraus, dass die von ihr untersuchten Transferprozesse nur in ihrer Pluralität adäquat zu erfassen sind, einer Pluralität, die wesentlich durch die Wandelbarkeit der sozialen Konfigurationen der beteiligten Akteure grundgelegt wird, aber auch in den Medien wirksam wird. Es wird kein »reines« naturgeschichtliches Wissen fixiert, sondern dieses wird mit anderen, außerwissenschaftlichen Botschaften verquickt und fortgeschrieben, die nicht zuletzt den Status von Adressat, Empfänger oder auch von Dritten in der höfischen Sphäre oder der Respublica litteraria betreffen. Eine besondere Vielschichtigkeit der Produktion, des Transfers und der Rezeption von Wissen lässt sich im Zusammenhang mit der Melissographia von 1625 nachvollziehen. Saniye Al-Baghdadis Beitrag schließlich nimmt mit dem Haus Savoyen eine Dynastie in den Blick, die sich aufgrund der geographischen Lage ihrer Herrschaftsgebiete wie kaum eine andere zur Beförderung transalpiner Transferprozesse berufen sieht. Konkret untersucht die Autorin, wie die frühneuzeitlichen Herzöge von Savoyen vor dem Hintergrund sich substantiell ändernder poli21

Sabina Brevaglieri/Matthias Schnettger

tischer Konstellationen eine politische und kulturelle Identität ihrer Dynastie konstruieren, die diese über die übrigen deutschen und italienischen Herrscherhäuser hinaushebt. Gerade beim Rückgriff auf die antike Sabaudia wird deutlich, dass die im Dienst der Herzöge stehenden Historiographen nicht einfach Wissen antiker Autoren reproduzieren, sondern in Abhängigkeit von den verfolgten Zielen und mit Blick auf das intendierte, primär höfische Publikum kreativ verarbeiten. Auch bei diesem Fallbeispiel zeigen sich die produktive Interaktion zwischen unterschiedlichen Wissenssphären, z.B. Archäologie, Geschichte, Genealogie und höfischer Politik, und die Dynamik von Transferprozessen. Wenn sich Adressaten und Rahmenbedingungen ändern, ändern sich auch die Medien, das vermittelte und das rezipierte Wissen.

Abstract This edited volume sets out to investigate processes of knowledge production and circulation across the Alps, and aims to better understand their modes, functions and spaces in the complex relationships between the Holy Roman Empire of German Nation and Italy in the 17th century. Beyond any systematical or hierarchical approach, configurations of knowledge refer here to different kinds of social worlds, multiplicity of situations and dynamics, as well as to asymmetric relationships between actors and powers. We argue for a thickly and comprehensively understanding of knowledge as network of communicative actions of mediation of reality. Such knowledge networks should always be explored together with actors’ interests, claims and projects, either individuals, collectives or institutional. Moreover, knowledge making cannot be separated from its material dimensions, and should take into full account the active implications of medialities. Configurations of knowledge relate to space in a constitutive, but complex way, as they are based on actors’ experiences and on their shifting positions. Finally, they explore intersections and boundaries with distinct but inseparable dimensions such as emotions or religion. By concentrating on knowledge as a ›transdisciplinar‹ research object, the book stimulates a renewed understanding of the multiple interconnections between ›North‹ and ›South‹ in the long 17th century, and calls for further research on an ›axis‹ to be equally reconceived in a global perspective.

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Arten des Wissenserwerbs

Zirkulation von technischem Wissen zwischen Italien und dem Reich Eine Spurensuche Sebastian Becker

Wenn die Frühneuzeitforschung im Zusammenhang mit menschlicher Kultur und Lebenswelt nach Zirkulations- oder Transferprozessen fragt, stehen häufig höfische Kontexte oder Netzwerke, zuletzt häufig transatlantische, im Fokus der Untersuchungen. Man konzentriert sich somit auf jene Bereiche, die gemeinhin als Ausdrucksformen einer wie auch immer gearteten Hochkultur umschrieben werden können. Andere Felder, die die menschliche Lebenswelt kontext- und raumübergreifend bestimmten, rücken dagegen allenfalls langsam in den Blick der Transferforschung. In besonderem Maße gilt dies für die frühneuzeitliche Technikgeschichte. Dabei bieten Fragen nach dem Transfer und der Zirkulation von technischem Wissen, nach den daraus resultierenden Folgen für Individuen und Gruppen, bspw. nach Akteuren wie Handwerkern und technischen Spezialisten,1 nach deren Auftraggebern aber auch nach den ökonomischen Zusammenhängen und Folgen solcher Prozesse vielfältige Anknüpfungspunkte für die Zirkulations- und Transferforschung. Begreift man den Terminus Kultur in seiner ursprünglichen Bedeutung als Beschreibung für all jenes, was der Mensch selbst gestaltend hervorbringt, dann muss, und das ist das Ziel des folgenden Beitrags, der kulturelle Transfer nicht nur neu, sondern auch über die in der Forschung bislang dominierenden Felder der Hof-, Kunst-, Musik-, Theater- und Ideengeschichte hinaus gedacht werden. 1

Die Bezeichnung von Technikern, Ingenieuren und Architekten als »technische Spezialisten« erfolgt in Anlehnung an Bayerl, 1978, S. 336f., der den Begriff »technische Intelligenz« als neutrale, das heißt nicht bestimmte Gruppen wie Facharbeiter, Handwerker und Unternehmer ausgrenzende, Bezeichnung versteht. 29

Sebastian Becker

Um einen entsprechenden Anstoß zu liefern, rückt der vorliegende Beitrag exemplarisch zwei Themenfelder in den Fokus, anhand derer sich Transfer- und Zirkulationsprozesse technischen Wissens zwischen Deutschland und Italien2 in einem langen 17. Jahrhundert nachzeichnen lassen. Ziel ist es, Spuren solcher Prozesse sichtbar zu machen, ihre Bedeutung im Rahmen deutsch-italienischer Austauschbeziehungen im europäischen Vergleich auszuloten und damit die Vielfalt von Faktoren, die Zirkulationsprozesse beeinflussen konnten, zu problematisieren.3 Im Fokus steht dabei das Konzept der Wissenszirkulation, mit dessen Hilfe taxiert werden soll, ob entsprechende Überlegungen zu neuen Fragen bezüglich Entstehung und Verbreitung von technischen Wissensbeständen führen können und inwieweit eine Wissensgeschichte der Technik von einem solchen Ansatz profitieren kann. Um dieses Ziel zu erreichen, gilt es zunächst, den Bereich des Transfers von technischem Wissen ausgehend von den Diskussionen um das Verhältnis von Wissensproduktion und -zirkulation weiterzudenken. Welche Konsequenzen hat es, wenn man mit Blick auf den Transfer von technischem Wissen den Anregungen von Kapil Raj folgt, wonach die Unterscheidung von Wissensproduktion und Wissenszirkulation aufzuheben sei, weil Zirkulation als kommunikative Praxis die eigentlichen Orte der Wissensproduktion darstelle?4 Der Annahme folgend, dass Wissen eine kommunikative Natur hat und somit raumkonstituierend wirkt, beleuchtet der vorliegende Beitrag, in welcher Form die Zirkulation von technischem Wissen zwischen Deutschland und Italien es erlaubt, bisher unterbelichtete Wissensräume in den Blick zu nehmen. Wissensräume werden dabei als durch kommunikative Praktiken gebildete räumliche Konfigurationen verstanden, in denen technische Wissensbestände nicht nur bewegt, sondern entsprechend den jeweiligen Anforderungen, seien sie naturgegeben, wirtschaftlich oder kulturell, zu neuen Wissensformen weiterentwickelt werden konnten.5 Die Zirkulation von technischem Wissen wird damit ein zen2

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Wenn im Folgenden von Deutschland und Italien sowie Deutschen und Italienern gesprochen wird, so werden damit ausschließlich geografische Räume bzw. die in diesen Räumen lebenden Menschen beschrieben. Insbesondere auf das Fehlen einer intensiven Debatte über die Bedeutung der Konkurrenz um technische Innovationen und technisches Wissen im deutschen Sprachraum wies zuletzt Popplow, 2009, S. 21, hin. Siehe dazu Raj, 2004 sowie Ders., 2007. Jüngere Forschungen, die Zirkulation von Wissen aufgreifen, blicken verstärkt auf so genannte Netzwerke des Wissens, um die Zirkulation von – nicht selten naturwissenschaftlichem – Wissen in globalhistorischer Perspektive zu beleuchten.

Zirkulation von technischem Wissen zwischen Italien und dem Reich

traler Baustein auf dem Weg zu technischer Innovation und ein Grundstein für wirtschaftliches Wachstum. Die nachfolgenden Überlegungen stehen folglich an der Schnittstelle zwischen Wirtschafts-, Technik- und Wissensgeschichte. Dem sich darin widerspiegelnden Bewusstsein über einen Zusammenhang von Wissen und Wachstum liegt die Vorstellung der Existenz unterschiedlicher Wissensformen zugrunde, wie sie hinsichtlich der Weiterentwicklung von Technik in der Frühen Neuzeit in der Vergangenheit umfassend untersucht worden ist.6 Dabei wurde insbesondere der Unterschied zwischen so genannter »tacit knowledge«, also implizitem Handlungswissen, und dessen Entwicklung zu kodifiziertem Wissen betont. Solche heuristischen Unterscheidungen von Wissensformen mögen hilfreich sein, zu Recht hat jedoch jüngst Marcus Popplow darauf hingewiesen, dass sie die Existenz auch anderer Wissensformen zwischen diesen Polen zu verdecken drohen.7 Gerade eine konsequente Inblicknahme von Zirkulationsprozessen bietet hingegen Ansatzpunkte, um unterschiedliche Wissensformen zu fassen, denn sie bezieht die Bedeutung kommunikativer Prozesse und Praktiken für die Konstruktion von Wissen, ebenso aber auch von den im Folgenden interessierenden Wissensräumen mit ein und lässt somit in situ entstehendes Wissen hervortreten.

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Auch hier fokussiert die Forschung ein spezifisches und sicherlich zentrales Feld einer Wissensgeschichte, die durch veränderte Blickwinkel auf globale Prozesse und Entwicklungen seit geraumer Zeit mehr Aufmerksamkeit erfährt. In diesem Bereich stehen stets die jeweiligen Akteure, ihre Praktiken und spezifischen Wissensformen im Fokus der Untersuchungen, siehe z.B. Oostindie/Roitman, 2014, hier insb. der Beitrag von Davids, 2014, sowie Andretta /Brevaglieri, 2013. Für einen Überblick über die Entwicklung von Medien und Institutionen, die für eine Wissensgeschichte der Technik relevant waren, siehe Troitzsch, 2004. Popplow, 2014, S. 7, plädiert dafür, für ihre Analyse die Ansätze der neuen Wissensgeschichte zu nutzen, zu deren Verdiensten es gehört, die Praxis und Praktiken mit der im 17. Jahrhundert aufkommenden Theoriebildung im Zusammenhang der entstehenden (modernen) Wissenschaften zu verbinden. Entsprechende Ansätze wurden bislang vornehmlich in Einzelstudien erprobt. Grundlegend ist der Sammelband von Roberts/Schaffer, 2007, zu nennen, der schon im Titel »The Mindful Hand« programmatisch die Verbindung von körpergebundenem und theoretischem Wissen in der Frühen Neuzeit beschreibt. Zu dem Desiderat und Potential einer Annäherung an die Technikgeschichte mit den Methoden und Ansätzen der neuen Wissens- bzw. Wissenschaftsgeschichte siehe Popplow, 2014. 31

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Der Transfer technischen Wissens in der Frühen Neuzeit – Vorüberlegungen Im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit erfolgte die Verbreitung von technischem Wissen in der Regel auf zwei Arten. Zum einen in personeller Form, etwa durch Arbeitsmigration, Reisen, Gesellenwanderung oder staatlich-politisch gesteuerte Abwerbungen technischer Spezialisten, zum anderen durch die mediale Verbreitung in Form von Zeichnungen, Drucken, Diskursen, dreidimensionalen Modellen oder ganzen Maschinen.8 Gerade Darstellungen von Maschinen, ob in Form so genannter Maschinenbücher oder technischer Zeichnungen, wird eine wichtige Rolle für die Verbreitung von technischem Wissen, mit Einschränkungen zumindest aber für die Information über dessen Existenz, zugesprochen. Berühmt sind die Zeichnungen Leonardo da Vincis, die jedoch, trotz ihrer fraglos besonderen Qualität, angesichts der Fülle von Maschinenzeichnungen aus dem Mittelalter und der Frühen Neuzeit nur als eines von vielen Beispielen für diese Form des auf Papier gesicherten Wissens gelten können.9 Die Bedeutung der Zirkulation solcher Maschinendarstellungen für den Transfer von technischem Wissen sollte einerseits nicht unterschätzt werden. Die bloße Anzahl heute bekannter und teilweise äußerst repräsentativer Maschinenbücher etwa, die, da nicht alle technischen Spezialisten des Lateins mächtig waren, oft in der Landessprache verfasst wurden, sowie die beträchtliche Menge technischer Skizzen weisen darauf hin, dass diesen Medien für die Verbreitung von technischem Wissen eine besondere Rolle zukam. Dies gilt umso mehr, als einige der gedruckten Werke wie Georgius Agricolas Kompendium zum Bergbau oder Salomon de Caus Maschinenbuch »Von Gewaltsamen Bewegungen 8

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Siehe zur Bedeutung von technischen Spezialisten den Überblick bei Popplow, 2006. Für einen Überblick über die für die Wissensgeschichte der Technik relevanten Medien siehe Troitzsch, 2004. Zu Maschinenzeichnungen allgemein siehe Lefèvre, 2004, sowie Ders., 2008. Die als Teilprojekt des am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte angesiedelten Projekts »The Relation of Practical Experience and Conceptual Structures in the Emergence of Science: Mental Models in the History of Mechanics«, angelegte Database Machine Drawings (http://dmd.mpiwg-berlin.mpg.de/home, 31.03.2016) macht seit ihrer Online-Stellung 2009 grob 1850 Maschinenzeichnungen zugänglich. Zu der Datenbank siehe Lefèvre/Popplow, 2006, sowie Popplow, 2010. Zu den bekanntesten Beispielen für die weit verbreiteten Maschinenbücher zählen Zonca, 1607, und De Caus, 1615.

Zirkulation von technischem Wissen zwischen Italien und dem Reich

[…]« europaweite Verbreitung fanden.10 Einzuschränken ist andererseits ihr praktischer Wert für einen von jedweden Akteuren als Trägern dieses Wissens losgelösten Transfer. Obwohl Zeichnungen und Traktate ohne Frage als vielschichtige Quellen für den Umgang mit sowie die Konzeptualisierung und vielleicht auch frühe Theoretisierung von technischem Wissen gelten können, weist vieles darauf hin, dass ihre Bedeutung für den Transfer und die Zirkulation von Wissen, insbesondere was die tatsächliche Implementierung von technischen Lösungen angeht, in der Praxis eingeschränkt war. Eindrücklich ist in dieser Hinsicht das Beispiel des Briten John Lombe. Im 18. Jahrhundert gelang es ihm im Rahmen einer immerhin zweijährigen Spionagemission, eine im Piemont seit dem Beginn des 17. Jahrhunderts wie ein Staatsgeheimnis gehütete Maschine zum Seidenspinnen erstmals so auszukundschaften, dass sie auf Basis seiner Kenntnisse in England nachgebaut werden konnte. Der Fall passt zu den für die Zeit der Frühindustrialisierung bekannten Beispielen der Werks- und Industriespionage, die damals üblicherweise auf Großbritannien ausgerichtet war, und wäre an dieser Stelle kaum erwähnenswert. Für die Frage nach der praktischen Bedeutung von Maschinenzeichnungen für die Zirkulation von technischem Wissen ist sie aber durchaus zentral. Die Maschine, die Lombe auf seiner Mission mit größter Akribie ausspionierte, war nämlich bereits rund 100 Jahre, zuvor, im Jahr 1607, in Vittorio Zoncas Maschinenbuch »Nuovo Teatro di Machine et Edificii« abgebildet und ausführlich erklärt worden.11 Zoncas Werk erschien 1607 und erfuhr 1621 bzw. 1656 eine zweite und dritte Auflage, es gehört zu den europaweit am weitesten verbreiteten Maschinenbüchern. Eine Kopie der ersten Auflage stand spätestens seit 1620 im freizugänglichen Bereich der Bodleian Library in Oxford, das Wissen über die Maschine wäre also eigentlich bereits zu diesem Zeitpunkt auf den britischen Inseln verfügbar gewesen.12 Trotzdem dauerte es noch über 100 Jahre, bis ihr Nachbau dort tatsächlich erfolgen konnte. Der Fall verdeutlicht damit eindrücklich, dass papiergebundenes Wissen alleine den Transfer von technischem Wissen keineswegs sicherstellen konnte. Vielmehr waren es die Migration und Mobilität von Individuen, mithin also die persönliche Inaugenscheinnahme von technischen Anlagen und Techniken und die in diesem Kontext stattfindenden interpersonellen Kommunikations- und Austauschprozesse innerhalb spezifi10 Popplow, 2009, S.  32. Caus̓ Maschinenbuch erschien 1615 in inhaltlich identischen französischen und deutschen Fassungen und kann somit als explizit für die grenzüberschreitende Verbreitung von Wissen ausgelegt bezeichnet werden. 11 Zonca, 1607, S. 68-73. 12 Cipolla, 1972, S. 47. 33

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scher Wissensräume, die für die Wissenszirkulation im 17. und auch noch im 18. Jahrhundert zentral waren. Eben dies, nämlich dass der Transfer von personengebundenem Wissen und technischen Fähigkeiten nicht in erster Linie im Rahmen der großen Migrationsbewegungen durch Glaubensflüchtlinge im 17.  Jahrhundert erfolgte, sondern durch Migration und Mobilität von Einzelpersonen und kleinen Gruppen von technischen Spezialisten und Handwerkern, zeigte Karel Davids am Beispiel des Aufstiegs und Niedergangs der Niederlande als Hort hochspezialisierten technischen Wissens.13 An diese Ergebnisse anschließend scheint es zielführend, Zirkulationsprozesse im Zusammenhang mit kleineren, also »small-scale« Migrationsbewegungen sowie Austauschbeziehungen durch temporär und räumlich begrenzte Reisen technischer Spezialisten zu untersuchen, um zunächst Aussagen über das Ausmaß und den Stellenwert technologischer Beziehungen zwischen Deutschland und Italien zu treffen. So lassen sich kommunikative Räume der Wissensproduktion und Wissenszirkulation identifizieren, innerhalb derer sich technische Experten zwischen Deutschland und Italien im 17. Jahrhundert bewegten. Da systematische Untersuchungen zur Migration insbesondere italienischer, aber eben auch deutscher technischer Spezialisten nicht vorliegen, kann eine Spurensuche in diesem Bereich kaum mehr leisten, als zwei exemplarische Formen von Transferprozessen technischen Wissens zwischen Deutschland und Italien vorzustellen und sie unter Anwendung des Konzepts der Wissenszirkulation zu problematisieren. Zunächst werden dazu technische Transferprozesse am Beispiel ökonomisch motivierter Diffusionsprozesse, wie sie sich im Bereich des frühneuzeitlichen Erfindungsschutzes nachzeichnen lassen, quantifiziert und zum Konzept der Wissenszirkulation in Beziehung gesetzt. Daran anschließend rücken exemplarische Bildungs- und Auftragsreisen technischer Spezialisten in den Fokus, anhand derer auf Akteursebene nachgezeichnet werden kann, in welchen Kontexten technisches Wissen zirkulieren konnte. Dabei wird exemplifiziert, wie wichtig die Mobilität für Kommunikationsprozesse war und woran solche Kommunikationsprozesse scheitern konnten.14 13 Davids, 2008, S. 531. Zur Rolle von Migrationsbewegungen und Innovationen im italienischen Raum siehe insb. Belfanti, 2004, sowie im europäischen Kontext Cipolla, 1972. Zum Umgang mit den zahlreichen Reisenden, die technisches Wissen aus den Niederlanden »exportierten«, siehe Davids/Lucassen, 1995, sowie Ders., 2005. 14 Demgegenüber finden Formen der Wissenszirkulation durch die Sammlung und Verbreitung von technischen Wissensbeständen durch Adressbüros, wie jenes 34

Zirkulation von technischem Wissen zwischen Italien und dem Reich

Deutsche Erfinder in Venedig: Wissenszirkulation und Erfindungsschutz im 17. Jahrhundert Über das Ausmaß und den Rahmen, in dem als schutzwürdig oder wirtschaftlich besonders interessant eingestuftes technisches Wissen zwischen Deutschland und Italien zirkulierte, geben in hohem Maße Quellen aus dem Bereich des vormodernen Erfindungsschutzes, einer Vorform des heutigen Patents, Auskunft. Die europaweite Einführung von Privilegien zum Schutz neuartiger Erfindungen in den vormodernen Staaten seit dem 15. Jahrhundert spielte für die Mobilität technischer Spezialisten in Europa eine besondere Rolle. Als beispielhaft für eine solche Förderung kann die venezianische »Parte« aus dem Jahr 1474 gelten, die als eines der ersten, auf Grund einer nicht zu negierenden Bevorzugung durch die technikhistorische Forschung sicherlich als bekanntestes vormodernes Patentgesetz gilt. Sie gab Erfindern und technischen Spezialisten die Möglichkeit, für die Einführung bisher im Territorium der Serenissima unbekannter oder ungebräuchlicher Technologien ein zeitlich begrenztes Monopol sowie die Berechtigung zur Veräußerung und Vererbung desselben zu beantragen.15 Erfinderprivilegien schufen Anreize für Mobilität, weil sie den Trägern des jeweiligen Wissens die Möglichkeit versprachen, über ihre Heimat hinaus Kapital aus ihren Kenntnissen zu schlagen.16 Bei der »Parte«, wie auch bei anderen vergleichbaren europäischen Patentgesetzen dieser Zeit, stand aber nicht der Schutz des geistigen Eigentums eines Erfinders, sondern die Förderung der eigenen Wirtschaft im Vordergrund.17 Die Zielterritorien des auf diese Weise geförderten Transfers profitierten von der Einführung neuer technischer Kenntnisse und konnten auf wirtschaftliches Wachstum hoffen. Das Gesetz begünstigte die Zirkulation von technischem Wissen und technischen Spezialisten, deren Erfindungen andernorts bereits bewährt und im Einsatz im eigenen Territorium

von Samuel Hartlib in England, oder innerhalb von Gelehrten- oder Spezialistennetzwerken im Folgenden keine nähere Beachtung. Zu Samuel Hartlib siehe Greengrass, 2002, sowie Clucas, 2010. Zu Adressbüros und ihrer Funktion als Wissensspeicher und Verbreitungsmedium von Wissen allgemein siehe Tantner, 2015. 15 Siehe grundlegend Mandich, 1960. 16 Zum frühneuzeitlichen Erfindungsschutz siehe zuletzt zusammenfassend Molà, 2014, sowie Popplow, 1996. Zum Zusammenhang von Erfindungsschutz und der Vorstellung von geistigem Eigentum in der Vormoderne siehe Long, 1991. 17 Zum Problemkomplex des geistigen Eigentums siehe Long, 1991. 35

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hingegen noch unbekannt waren.18 Privilegienverfahren können also als frühe Praxis zur Förderung von Wissenszirkulation und Innovation im technischen Sektor beschrieben werden. Auch wenn die Erfinder ebenso wie die privilegierenden Obrigkeiten von den beschriebenen Mechanismen gleichermaßen profitieren konnten, waren solche Zirkulationsprozesse problemgeladen. Nicht selten kam es im Umfeld der Neueinführung einer Technik zu Widerständen durch die lokalen Zünfte, etwa wenn kraftsparende Maschinen menschliche Arbeitskraft in großem Umfang einzusparen drohten.19 Wenn neue Techniken von Ausländern eingeführt wurden, die nun aktiv am Wirtschaftsleben und der Wertschöpfung innerhalb des Wirtschaftskreislaufs partizipierten, konnte auch Argwohn und Neid der Alteingesessenen eine Rolle spielen. Die Einführung oder allgemein der Transfer von technischen Kenntnissen in neue Wissensräume stand am Beginn vielschichtiger, schwieriger und sich nicht selten überlagernder Zirkulationsprozesse. Die erfolgreiche Integration des neuen Wissens in den ökonomischen und sozialen Alltag war also keineswegs selbstverständlich. Legt man die Annahme zugrunde, dass die mit der Einführung der Privilegien verbundenen kommunikativen Praktiken zu den eigentlichen Orten der Wissensproduktion wurden, ja den Ausgangspunkt für Innovationen darstellten, dann gilt es nicht nur den Ort der Neuimplementierung einer Technik zu untersuchen, sondern auch die Auswirkungen derselben auf die jeweiligen Spezialisten zu reflektieren. Zwar wird sich die Frage, in welcher Form Letztere durch die Vereinigung ihrer Wissensbestände mit den vor Ort zirkulierenden Wissen (savoirs) weiterentwickelt wurden, weder qualitativ noch quantitativ analysieren lassen. Mit Blick auf die Praxis der Gesellenwanderung oder auf (Aus-)Bildungsreisen technischer Spezialisten, die sich in den angesprochenen Maschinenzeichnungen und -skizzen widerspiegeln, ist jedoch davon auszugehen, dass die technischen Kenntnisse vor Ort auch von den Erfindern aufgenommen und später verarbeitet wurden. Aus zunächst einseitigem Transfer im Sinne einer Anwendung von Wissensformen ohne Abweichung von ihrem Ursprung entstanden so neue Wissensformen und Grundlagen für Innovation: etwa durch eine Weiterentwicklung von Maschinen oder die Anpassung von Techniken an lokale Bedingungen. Wie in allen anderen Wissensbereichen gilt auch im Bereich der Technik, dass neues Wissen stets zu einem bestimmten Grad auf vorhandenem 18 Zur Bedeutung des Erfindungsschutzes für den Transfer technischen Wissens siehe Belfanti, 2004. 19 Siehe bspw. zu den Widerständen gegen die Einführung der Bandmühle Davids, 2008, S. 301f. 36

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Wissen aufbaute. Entsprechend kann echte Innovation nie als individueller, sondern muss vielmehr als ein kommunikativer Akt verstanden werden.20 Wissenszirkulation als Ort von Wissensproduktion ist demnach eine Voraussetzung für technische Innovation. Solche Zirkulationsprozesse und ihre Resultate können freilich höchstens in Ausnahmefällen exakt nachvollzogen werden. Dagegen erlauben die im Zusammenhang mit der Verleihung von Erfinderprivilegien stehenden Quellen Aussagen darüber, in welchem Ausmaß und aus welchen räumlichen Konstellationen heraus die Zirkulation von technischem Wissen erfolgte. Auf Grund der verhältnismäßig guten Quellen- und Literaturlage bietet sich für eine solche Spurensuche die Republik Venedig an. Wie wichtig oder auch attraktiv die Beantragung und Vergabe von Erfinderprivilegien dort war, wird alleine aus der Anzahl der gewährten Privilegien deutlich: 1.904 im Zeitraum von 1474 bis 1788.21 Angesichts der Prüfverfahren und Voraussetzungen, die für die Gewährung notwendig waren, ist sogar davon auszugehen, dass die Zahl entsprechender Anträge um ein vielfaches höher gewesen sein dürfte. Für das im vorliegenden Band im Vordergrund stehende 17. Jahrhundert lässt sich von einer konstanten Nutzung der Privilegienpraxis und einem hohen Stellenwert des Transfers von technischem Wissen sprechen. Immerhin 30 Prozent (Σ=580) der gewährten Patente wurden in der Zeit von 1601 bis 1700 verliehen, legt man ein »langes 17. Jahrhundert« (bis 1750) zugrunde, steigt die Zahl sogar auf 42 Prozent (Σ=804).22 Allgemein ist hierbei festzuhalten, dass, obgleich nur ein Bruchteil dieser Patente an ausländische Erfinder vergeben wurde (Σ=200), deren Anteil im 17. Jahrhundert wesentlich höher lag als in der früheren und der späteren Zeit.23 Mag diese Zahl sowohl absolut als auch im Verhältnis gering wirken, gilt es zu beachten, dass Venedig und der Raum der Po-Ebene insbesondere im 16. Jahrhundert als technisch besonders weit entwickelt galten. Dementsprechend ist hier mit einer überdurchschnittlich hohen Zahl von durch Italiener beantragten Patenten zu rechnen.24 Doch selbst wenn die Zahl der an ausländische Erfinder vergebenen Patente dadurch im Verhältnis geschmälert wäre, ist sie angesichts der besonderen Herausforderungen an die Mobilität in der Frühen Neuzeit beachtenswert. Das gilt auch, obwohl mit Blick auf die beteiligten Akteure eine weitere Einschränkung vorzunehmen ist. Die zugrundeliegenden Daten beziehen sich auf 20 21 22 23 24

Vgl. Davids, 2008, S. 457. Berveglieri, 1995, S. 20. Für die Datengrundlage siehe hier und im Folgenden Ebd., S. 22. Ebd., S. 44. Popplow, 2007, S. 98. 37

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die Zahl aller Privilegienverfahren, d.h. es handelt sich nicht bei allen Patenten um Erstanträge. Mit einbezogen sind Bestätigungen und Verlängerungen von Monopolen. Wenngleich durch die Berücksichtigung solcher Zweitverfahren eine höhere Zahl von Transferprozessen suggeriert wird, ist ihr Einbezug mit Blick auf Kommunikationsprozesse, die im Rahmen von Zweitanträgen eine ebenso große Rolle spielten, wichtig. Sie sind ein Teil der Wissenszirkulation und verdeutlichen, dass Akteure sich auch nach der Erprobung und Einführung ihres Wissens über längere Zeiträume hinweg aktiv in Wissensräumen bewegten und Wissen weiterverarbeiteten. Während die Gesamtzahl der vom venezianischen Senat gewährten Patente im 17. Jahrhundert gegenüber den Vorjahreszyklen relativ gleichmäßig blieb (im Zeitraum von 1601 bis 1700 sind 580 Privilegien erteilt worden), machte die Anzahl von im selben Zeitraum an Nicht-Italiener vergebenen Patenten (Σ=95) immerhin 16,4 Prozent aller Verfahren aus. So zeigt sich deutlich, dass es auch unterhalb der Ebene der wenigen bekannten »Stars« unter den frühneuzeitlichen technischen Spezialisten einen regen und regelmäßigen Transfer von technischem Wissen zwischen Italien und anderen europäischen Regionen gab. Gleichwohl ist zu relativieren, dass die vorliegenden Zahlen auf Grund fehlender systematischer Vergleichsstudien mit Territorien und Städten in Italien und Deutschland in ihrer Aussagekraft beschränkt bleiben müssen. Es ist davon auszugehen, dass die Republik Venedig alleine auf Grund ihrer Rolle als Handelszentrum und der dadurch vorhandenen Infrastruktur sowie der ohnehin vertretenen »nationes« und ihrer verkehrstechnischen Anbindung einen Magneten für ausländische Erfinder darstellte. Richtet man nun endlich den Blick auf die im Kontext des vorliegenden Bandes hervorzuhebenden technischen Transfers zwischen Italien und dem Heiligen Römischen Reich, rückt der quantitative Anteil »deutscher« oder als »deutsch« firmierender Erfinder in den Vordergrund. Von den 200 an teilweise einzeln, teilweise als Gruppen von zwei oder mehr Personen auftretenden Ausländer vergebenen Patenten gingen 22 Prozent (Σ=44) an Deutsche, wobei hier noch einmal hervorzuheben ist, dass nicht alle beantragten, sondern lediglich genehmigte Patente überliefert sind. Unter Einbeziehung der Ablehnungen dürfte die Zahl der Patentanträge wesentlich höher gewesen sein. Doch auch ohne die Einbeziehung dieser Zahlen wird deutlich, dass der Transfer von technischem Wissen zwischen Deutschland und Venedig ein wesentlicher Bestandteil der Austauschbeziehungen zwischen beiden Räumen war. Immerhin verhältnismäßig klare Aussagen ermöglicht eine quantitative Auswertung der Privilegien nach der Herkunft der Antragssteller sowie dem Gegenstand oder Sektor, dem die jeweilige Erfindung zuzuordnen ist. Problematisch 38

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erweist sich dabei jedoch, dass die geografische Zuordnung der Akteure nicht immer eindeutig ausfallen kann. Das liegt vor allem daran, dass bei nur gut einem Viertel der an »tedeschi« vergebenen Patente ein genauer Herkunftsort der Antragsteller überliefert ist. Problematisch ist hierbei zudem, dass unter sie auch Erfinder subsumiert werden, deren Herkunft laut Privileg mit Antwerpen verzeichnet wurde: so Giovanni Marco Manarth und Matteo van Chastell (1588, erneuert 1606/1612/1624) sowie Iseppe de Roij (1697).25 Weil die Privilegien im Übrigen nicht bei allen Antragstellern einen Herkunftsort nennen, kann die folgende Auswertung lediglich eine Annäherung darstellen. Subsumiert man die genannten Antwerpener entsprechend ihrer Zuordnung durch die venezianischen Behörden unter die Deutschen, so ergibt sich für deren Anteil an der Gruppe der nicht-italienischen Erfinder zwischen 1474 und 1788 im Verhältnis zu anderen »Nationen« das folgende Ergebnis: Mit den genannten 22 Prozent aller an Ausländer vergebenen Patente stellen deutsche Techniker nach den Franzosen (28,5 Prozent, Σ=57) die zweitstärkste Gruppe innerhalb der ausländischen Privilegienempfänger in Venedig dar.26 Das ist auch deswegen bemerkenswert, weil Deutschland, abgesehen von einigen süddeutschen, seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts stagnierenden Handwerkszentren wie Augsburg, Ulm oder Nürnberg, im Unterschied zu den Niederlanden üblicherweise nicht zu den führenden technologischen Zentren Europas gezählt wird. Als Holländer verzeichnete Erfinder machten jedoch gerade einmal 6,5 Prozent (Σ=13) der Untersuchungsgruppe aus, Flamen immerhin 12  Prozent (Σ=24). Diese Zahlen entsprechen im Verhältnis der Entwicklung im 17. Jahrhundert, in dem die Zahl der von Nicht-Italienern beantragten Privilegien wie beschrieben ihren höchsten Stand erreichte. Von 1601 bis 1700 erhielten als Deutsche auftretende Spezialisten 21 Prozent (Σ=20) der an Ausländer vergebenen Patente. Sie stehen damit weit vor den Holländern (11,5 Prozent) und Flamen (9,5 Prozent), werden jedoch abermals von den Franzosen (38 Prozent, Σ=34) übertroffen. Vor dem Hintergrund der hohen Bedeutung, die dem Faktor Konfession insbesondere nördlich der Alpen von der Frühneuzeitforschung zugesprochen wird, und der aus anderen Kontexten bekannten Relevanz konfessioneller Verschiedenheiten für kulturelle Transfers wäre zu prüfen, inwiefern der Faktor Konfession auch für technische Transferprozesse relevant war. Jedenfalls in einer Stadt wie Venedig, die schon bei Zeitgenossen für ihre Toleranz bekannt 25 Die Suche nach biografischen Informationen brachte kein Ergebnis, so dass unklar bleibt, warum die betreffenden Personen in Venedig zu den »tedeschi« gezählt wurden. 26 Daten hier und im Folgenden nach Berveglieri, 1995, S. 42, Tabelle 5. 39

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war, scheint diese Frage eine nachgeordnete Rolle gespielt zu haben. Ebenso wie Angaben zur Herkunft enthalten die Patente allerdings nur in Ausnahmefällen Informationen zur Konfession der migrierten Spezialisten, etwa im Falle des als »ingeniere luterano« bezeichneten Holländers Cornelius Janzoon Meijer.27 Er kann als Beleg dafür gelten, dass ähnlich wie bei der Migration von Musikern und Künstlern Konfessionsverschiedenheit kein nennenswertes Transferhindernis dargestellt hat. 1675 meldete Meijer in Venedig ein Patent für einen Nassbagger sowie eine Anlage zur Feuerbekämpfung an, im selben Jahr beriet er Papst Clemens X. hinsichtlich einer Regulierung und Schiffbarmachung des Tibers und in den 1680er Jahren übermittelte er einen Plan für die Verhinderung von Überschwemmungen des Arnos an Großherzog Cosimo III. von Toskana.28 Vielfältig sind die technischen Bereiche, in denen Deutsche Erfinderprivilegien in Venedig beantragten. Anders als in den nördlichen Niederlanden, die als Exporteur von technischem Wissen in der Frühen Neuzeit in den Bereichen Wollund Tuchindustrie sowie Wasserbau gelten, lässt sich anhand der von Deutschen im 17. Jahrhundert eingeführten Erfindungen kein eindeutiger Schwerpunkt nachweisen. Von den insgesamt 20 erfolgreichen Privilegienverfahren zwischen 1601 und 1700, von denen lediglich 10 auf Erstanträge entfallen, bezogen sich drei auf Erfindungen aus dem Bereich des Wasserbaus und der Mühlentechnik. Giovanni Manarth und Matteo van Chastell erhielten 1606 ihr zweites Privileg (nach 1588) für eine Wasserhebeanlage zur Gewinnung von Süßwasser, der Kölner Mönch Antonio Chemerer erhielt 1605 ein für 50 Jahre gültiges Patent auf eine Anlage zur Reinigung der Kanäle sowie der Wasserstraßen außerhalb der Stadt.29 Die beiden Deutschen Johannes Wilhelm Dulmann und Johannes Porta aus Köln erhielten 1677 ein Patent auf einen neuartigen Nassbagger zur Reinigung von Fahrrinnen und Kanälen.30 Vier der gewährten Patente können in den Bereich des Waffenhandwerks bzw. der Büchsenmacherei eingeordnet werden. Während Elias Flicher aus Wien 1645 und Georg Lotter aus Augsburg 27 Ebd., S. 152. 28 Davids, 2008, S. 286 sowie 288. Zu Meijer siehe Berveglieri, 1985, sowie Hoogewerff, 1920. Zu seinem Projekt in Rom veröffentlichte Meijer, 1683 ein umfangreiches Werk. Der Niederländer ist eines der bekannteren Beispiele für technische Spezialisten, die sich zur Vermarktung ihrer Fähigkeiten auf längere Reisen begaben und im Auftrag unterschiedlicher Mächte standen. Allerdings wurde von seinen italienischen Projekten, unabhängig von den Patenten, nur das in Rom auch umgesetzt. 29 Berveglieri, 1995, S. 85f. 30 Ebd., S. 79f. 40

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1652 Patente auf die Fertigung neuartiger Kanonen erhielten, führten Johannes Charnich aus Nürnberg 1606 sowie Ernst Viacher 1652 (Herkunft unbekannt) Methoden zur Instandhaltung und Pflege von Feuerwaffen ein.31 Die übrigen Patente bezogen sich auf Lebensmittel, so eine neuartige Rezeptur für ein Brot, das vermutlich mit Kastanienmehl hergestellt wurde, sowie auf einen günstigen Ersatz für Olivenöl, der auf Nüssen oder Leinsamen basierte und die Versorgung der Armen in der Republik verbessern sollte.32 Aus dem Bereich des Kunsthandwerks erhielt Rudolf Chelengher ein Patent auf ein Drechselverfahren für Elfenbein.33 Nur eines der an »Deutsche« vergebenen Patente bezog sich auf die Fertigung von Tuch und Seide: Es wurde an den Antwerpener Iseppe de Roij vergeben, der höchstwahrscheinlich ja gerade kein Deutscher war.34 So lässt sich festhalten, dass die Wissensbereiche, in denen ein Techniktransfer nach Italien erfolgte, unterschiedliche Sektoren betrafen. Schwerpunkte sind auf Basis der verfügbaren Daten nicht überzeugend zu benennen, wobei angesichts der Militarisierung des Heiligen Römischen Reiches im 17. Jahrhundert der Transfer von technischem Wissen, das im Zusammenhang mit Kriegswaffen stand, kaum überraschen kann. Interessant ist hingegen, dass dieses militärische Wissen frei transferiert wurde. Wie in zahlreichen anderen Wirtschaftszweigen konnte es schließlich auch im militärischen Bereich unter Höchststrafe verboten sein, Wissen und Kenntnisse in andere Territorien auszuführen.35 Normsetzung und Normdurchsetzung aber sind bekanntlich zwei nicht zwangsläufig korrelierende Gegenstände. Bedauerlicherweise lassen sich aus den hier zugrundeliegenden Quellen kaum Informationen zu den technischen Spezialisten selbst gewinnen. Die Kommunikationsprozesse vor Ort, ihre Rolle für die Wissensproduktion können, wenn überhaupt, allenfalls grob umrissen werden. Dass mit dem überlieferten Technologietransfer für diese Spezialisten ganz besondere Herausforderungen entstanden, ist hingegen offensichtlich. Im Falle Venedigs hielten sich die meisten Erfinder lediglich für einen begrenzten Zeitraum am Ort der Privilegienausstellung auf, nur wenige brachten ihre Familien mit oder migrierten sogar 31 Ebd., S. 88, 127f., 122-124, 128f. 32 Filippo Ruher (1606), Berveglieri, 1995, S.  86f. sowie Elias Flicher aus Wien (1646), Ebd., S. 122-124. 33 Ebd., S. 97. 34 Ebd., S. 210. 35 Zum Verbot der Ausführung von Spezialwissen aus Territorien oder Reichsstädten, etwa im Zusammenhang mit den gesperrten Handwerken in Nürnberg oder Freistadt siehe Reith, 1999, S. 53. 41

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dauerhaft in die Republik. Hier wäre gezielt zu untersuchen, welche Rolle die Kaufmannschaften bei der Unterstützung oder gar Integration ihrer Landsleute spielten. Weil der Transfer von technischem Wissen im 17.  Jahrhundert nicht alleine auf individueller Ebene funktionierte, sondern für die Einführung neuer Techniken und Maschinen nicht selten Arbeiter aus dem Ursprungsland benötigt wurden, die mit der neuen Technik vertraut waren oder entsprechende Maschinen bauen konnten, bezog sich dieses Problem zum Teil auf größere Gruppen von Ausländern, die aber, weil sie nur mittelbar an der Einführung der neuen Techniken beteiligt waren, in den Erfinderprivilegien nicht genannt werden.36 Eine Untersuchung der Integration und der Lebenswelten dieser Personen bleibt ein Desiderat, das auf Grund der Quellenlage wohl kaum aufzulösen sein wird. Gerade die Rolle der Ausbildung von Einheimischen durch diese Arbeitskräfte wäre dabei ein zentraler Aspekt, um die Wissensproduktion »an der Werkbank« und ihre Folgen für die Zirkulation technischen Wissens näher zu beleuchten.37 Deutlich zeigen die Privilegien dagegen, dass es sowohl im gesamteuropäischen Raum als auch im Speziellen zwischen Deutschland und Italien regelmäßige Transferprozesse von technischem Wissen gab. Migrationsbewegungen von Spezialisten, die sich entweder in Venedig bzw. Italien ansiedelten oder aber gleich in mehreren Territorien Patente erwarben, mithin also ständig neue Wissensräume schufen oder für sich nutzten, waren ein dauerhafter Bestandteil der Austauschbeziehungen zwischen beiden Räumen. Hervorzuheben ist zudem die Ebene, auf der diese Transfers stattfanden. Im 17. Jahrhundert wurden technische Innovationen eben nicht ausschließlich von Gelehrten vorangetrieben, die sich im Umfeld der europaweit neu gegründeten Akademien mit »Wissenschaften« beschäftigten. Sie erfolgte zum großen Teil durch Handwerker und Autodidakten, die durch das Trial-and-Error-Prinzip zu ihrem Wissen gelangt waren.38 Die bis hierhin vorgestellten Ergebnisse bezogen sich vorrangig auf NichtItaliener, doch sind Transferprozesse natürlich wechselseitig zu verstehen. In welchem Maße Italiener technisches Wissen über die Alpen brachten, wäre also notwendigerweise gegenüberzustellen. Empirisch fundierte Aussagen, wie sie das Beispiel Venedig für die Deutschen ermöglichte, sind jedoch in vergleichbarem Maße bisher nicht möglich. Gerade zu Beginn des 17. Jahrhunderts scheinen entsprechende Migrationsbewegungen seltener gewesen zu sein. Der 36 Ein vergleichbares Problem bestand, wenn vor Ort verfügbare Materialien die Umsetzung von Plänen gar nicht erlaubten. Vgl. Popplow, 2009, S. 24f. 37 Zu solchen Ausbildungsprozessen allgemein siehe Munk u.a., 2007. 38 Zur diesbezüglichen Parallele mit der Entwicklung im Technologietransfer seit dem 18. Jahrhundert siehe Cameron, 1975, S. 220. 42

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Fall des Florentiner Universalgenies Bernardo Buontalenti, der im 16. Jahrhundert gleich in mehreren europäischen Ländern Patente für seine Erfindungen anmeldete, kann als besonders eindrückliches Beispiel für Transferprozesse in diese Richtung gelten.39 Festzuhalten bleibt hingegen, dass angesichts der europaweit nachweisbaren Rechtspraxis des Erfindungsschutzes vorausgesetzt werden sollte, dass es ein weit verbreitetes Bewusstsein darüber gab, wie förderlich der Transfer von technischem Wissen durch die Migration von Spezialisten für die eigene wirtschaftliche Entwicklung war. Darauf weist auch die merkantilistische Wirtschaftspolitik einiger Staaten in dieser Zeit hin, insbesondere jene Frankreichs, zu der systematische und vergleichende Studien noch nicht vorliegen.40 Allenfalls einen Ausgangspunkt für entsprechende Untersuchungen stellen Gelehrtendiskurse des 17. Jahrhunderts dar. Giovanni Botero, der vor allem für seine staatsrechtlichen Theorien bekannt ist, urteilte 1598 über die »Gründe für die Größe der Städte«, wie vorteilhaft es sei, fremde Menschen mit besonderen Kenntnissen oder Fähigkeiten anzuziehen.41 Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Botero bereits existierende Vorbilder aus italienischen Territorien kannte. Schon 1554 war in der Republik Lucca das »Offizio sopra le Nuove Arti« gegründet worden, dessen Auftrag es war, Wege zur Einführung neuer »Künste« ausfindig zu machen und Spezialisten, die sie beherrschten, anzuwerben.42 In Francis Bacons Utopie »Neues Atlantis« (1627) werden 12 Spione, die so genannten »Lichtkäufer«, in fremde Länder entsandt, um Bücher, Musterstücke oder Zusammenfassungen von Erfindungen in die Heimat zu bringen.43 Auch wenn eine systematische Untersuchung, mit welchen Mitteln, Methoden und mit welchem Erfolg solche Zirkulationsprozesse außerhalb der gelehrten Diskurse vorangetrieben wurden, ein Desiderat bleibt, so tritt doch eindrücklich jene Verbindung von Wissens- und Wirtschaftsgeschichte hervor, die sich im Bewusstsein über die Verknüpfung von Wissen und Wirtschaftskraft zeigt und die bisher vorrangig im Kontext der europäischen Aufklärung untersucht wurde.44 Die Privile39 Zu Buontalenti siehe Botto, 1972, sowie Fara, 1998. 40 Als eines von vielen bekannten Beispielen siehe zur Ansiedlung einer Textilindustrie nach holländischem bzw. niederländischem Vorbild in Frankreich Davids, 2008, S. 299. 41 Botero, 1948, S. 377f. 42 Sabbatini, 1996, S. 21. 43 Bacon, 2013, S. 54. 44 Zur Verbindung von Wissen und Wirtschaft insb. im Kontext der europäischen Aufklärung siehe Mokyr, 2002 sowie Ders., 2009. 43

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gien für Erfindungsschutz stellen in dieser Hinsicht allenfalls einen Ansatzpunkt unter vielen dar.

Wissenszirkulation durch Reisen technischer Spezialisten Ein wenn auch nicht systematisch, so doch durch prominente Fallbeispiele erschlossenes Beispiel für Zirkulationen von technischem Wissen stellen Reisen und die Mobilität von technischen Spezialisten dar. Dabei handelt es sich um eine Form der Mobilität, die weder auf dauerhafte Migration noch auf die alleinige »Vermarktung« von Wissen ausgerichtet war. Sehr wohl konnten sich solche Ziele jedoch überschneiden. Ähnlich wie bei der als Kavalierstour bekannten adeligen Bildungsreise standen hier die Ausbildung, genauer der Erwerb von neuem Wissen, die in Augenscheinnahme neuer Technologien und/ oder die Verfeinerung der eigenen Fähigkeiten im Mittelpunkt. Eigene Wissensbestände sollten erweitert und ergänzt werden, so dass neu erworbenes Wissen in eigene Projekte einfließen konnte. Insbesondere für den Übergang vom 16. zum 17. Jahrhundert zeigen Studien zu meist eng umrissenen Fallbeispielen, dass es zwischen Deutschland und dem norditalienischen Raum zu regen Transfer- und Austauschprozessen kam.45 Vor der Institutionalisierung der Ingenieursausbildung, die im 17. Jahrhundert ihren Ausgang nahm,46 war das Sammeln von Erfahrungen und Inspiration(en) ein wichtiges Motiv für Reisen technischer Spezialisten. In einer Zeit, in der Lehrbücher und Spezialliteratur, wenn überhaupt, nur in überschaubarer Zahl vorlagen, war die Reise die zentrale Praktik zur Aus-, Fort- und Weiterbildung für Techniker jedweder Couleur.47 Im Bereich der technischen Spezialisten ist eine Reihe Einzelpersönlichkeiten gut erforscht, die im Zusammenhang mit technologischen Austausch45 Ein technisches Feld, in dem sich der seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert verstärkende Austausch zwischen Italien, genauer der Po-Ebene, und dem nordeuropäischen Raum, hier insbesondere den Niederlanden, deutlich zeigt, ist der Wasserbau, in dem sich durch die Durchführung von Einzelmaßnahmen Kompetenzen herausgebildet hatten, die durch Zirkulationsprozesse erweitert und verbessert werden konnten. Vgl. dazu Popplow, 2007, S. 100. 46 Zur Ausbildung von Ingenieuren und der Institutionalisierung siehe Popplow, 2006, S. 122-124. Zur Entwicklung der Ingenieursausbildung in Schweden siehe Rasmussen, 1993. 47 Popplow, 2002, S. 151. 44

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prozessen zwischen Italien und Deutschland immer wieder genannt werden. Prominent sind in dieser Hinsicht der württembergische Baumeister und Ingenieur Heinrich Schickhardt oder der Mantuaner Gabriele Bertazzolo.48 Diesen Spezialisten, deren Interaktion im Folgenden exemplarisch in den Vordergrund rücken wird, stehen Reisende gegenüber, die finanziert von ihren Landesherren handwerkliche und wirtschaftliche Zentren besuchten, um mit dem dort erworbenen Wissen bei der Förderung der Gewerbe in der Heimat zu helfen. Sie sind zwar vor allem auf Grund der schwierigen Überlieferungssituation weniger gut erforscht als jene Akteure, die über längere Zeiträume im Dienst eines Fürsten standen. Beispiele aus dem Großherzogtum Toskana zeigen aber, aus welchen Kontexten diese oft kaum greifbaren Personen stammten. Dort waren es Techniker, Kaufleute und Militärs, die bei der Zirkulation von technischem Wissen zentrale Rollen spielten. Neben dem Soldaten Pietro Serrati und seinem Bruder Raffaele reisten Benedetto Guerrini, der Ingenieur Giovan Maria Del Fantasia, Giovanni Baldi, Domenico Geri, Sebastiano Bianchi und Massimo Soldani Benzi, Antonio Sarchi oder der Wollhändler Cosimo Ciferi von Florenz nach Nordeuropa, um durch technische Reisen oder eben Spionagemissionen den Wissenstransfer nach Italien zu ermöglichen.49 Besonders hervorgehoben sei hier wegen der außerordentlich guten Überlieferung die technologische Reise Pietro Guerrinis, der von 1682 bis 1686 im Zuge einer vom Großherzog finanzierten Mission durch Deutschland, die Niederlande, England und Frankreich reiste.50 Eine ähnliche Rolle für die Zirkulation von Wissen kann der im 17. Jahrhundert immer häufiger verfolgten Anwerbung von Spezialisten durch Fürsten oder Regierungen zugesprochen werden. Bekannt, gleichwohl noch immer unterforscht sind etwa die Bemühungen König Heinrichs IV. von Frankreich. Aber auch in Nordeuropa fand diese Praxis Anwendung. Im Jahr 1607 sandte Christian IV. von Dänemark in der Person des Diplomaten Jonas Charisius einen regelrechten Headhunter auf Reisen, um technische Spezialisten in sein Reich zu locken.51 Systematische Untersuchungen zur Mobilität dieses Personenkreises nördlich oder südlich der Alpen stehen aus. In Verbindung mit den oben ausgewerteten Erfinderprivilegien könnten sie aber dazu dienen, das weite Feld zu konturieren, 48 Zur Anwerbung Bertazzolos nach Württemberg siehe Carpeggiani, 2003. 49 Zu diesen Personen und den zum Teil wenigen verfügbaren Informationen über ihre Missionen und Aufenthalte siehe den kursorischen Überblick bei Martelli, 2005, S. XV-XXIV. 50 Zu Guerrinis Mission siehe Becker, 2015, sowie grundlegend die Edition der Korrespondenz Guerrinis von seiner Reise in Martelli, 2005. 51 Davids, 2008, S. 274. 45

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innerhalb dessen technologisches Wissen im europäischen Raum sowie zwischen Deutschland und Italien im Speziellen zirkulierte. Am Beispiel zweier Italienreisen des württembergischen Baumeisters Heinrich Schickhardt und seiner in diesem Zusammenhang entstandenen Skizzenbücher wird in besonderem Maße greifbar, in welcher Form und mit welchen Hilfsmitteln technisches Wissen zirkulierte.52 Über den technischen Stand der von ihm in seinen beiden Reiseberichten beschriebenen und gezeichneten Anlagen wie Ölmühlen, Wasserhebeanlagen oder Nassbaggern geben die Quellen zwar keine Auskunft, sie zeigen aber, wie und in welchen Zusammenhängen Wissen aus dem Raum südlich der Alpen nach Deutschland übertragen wurde. Auch wenn nicht bekannt ist, ob Schickhardt das in Italien Erlernte in seiner Heimat tatsächlich in die Praxis umsetzte, in seine persönlichen Wissensbestände, und zwar durch die Archivierung in seinen Skizzenbüchern, fanden die Erfahrungen Einzug.53 Hervorzuheben ist in diesem Kontext, dass Schickhardt nicht nur an die technische Umsetzung, sondern immer auch an den wirtschaftlichen Nutzen neuer Anlagen dachte. Gerade auf seinen Italienreisen bemühte sich der Baumeister sowohl um Informationen über die Funktionsweisen von Maschinen und Anlagen als auch um die Taxierung von deren jährlichen Renditen. Kleinere und größere Reisen von Ingenieuren alleine als Bestandteile ihrer technischen Ausbildung zu beschreiben und sie damit von ihren wirtschaftlichen Hintergründen zu trennen, greift also, so zeigen es auch die genannten Beispiele aus dem Großherzogtum Toskana, zu kurz. Nicht selten handelte es sich bei ihnen um eine Form der vormodernen Werks- und Wirtschaftsspionage.54 Als solche erscheint auch der »Besuch« Schickhardts in einer französischen Eisenschmiede im Jahr 1598. Unternommen hatte der Baumeister die Reise auf ausdrücklichen Wunsch seines Herrn Herzog Friedrich I. von Württemberg, der ihm den Auftrag gegeben hatte, dort »etliche Sachen« abzuzeichnen. Zwar lassen sich 52 Siehe neben den in der Database Machine Drawings publizierten Skizzen Schickhardts v.a. Heyd, 1902. Seine erste Italienreise, die Schickhardt 1598 im Alter von 40 Jahren unternahm und die zweieinhalb Monate dauerte, führte ihn von Tirol in die Lombardei und nach Venetien. Ende 1599 begleitete er dann Herzog Friedrich I. von Württemberg auf dessen Kavalierstour nach Italien, wobei die Reise diesmal bis Rom ging. Zu seinen Reiseaufzeichnungen bzw. zu den Reisen allgemein siehe die Edition in Jonkanski, 1991 sowie Ders., 2002. 53 Zu Schickhardts Schaffen als Ingenieur und Architekt im Dienst des Herzogs von Württemberg siehe umfassend Schahl, 1959. Für den jüngeren Forschungsstand siehe in Auswahl Kretzschmar, 2002, sowie Kretzschmar /Lorenz, 2010. 54 Vgl. Schahl, 1959, S. 19. 46

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konkrete Beispiele für die praktische Anwendung des dort und andernorts erworbenen Wissens bei den überlieferten ingenieurtechnischen Anlagen Schickhardts nicht identifizieren. Weil aber als anerkannt gilt, dass er als Architekt die typischen Architekturmerkmale der Renaissance in den Südwesten Deutschlands eingeführt hat und somit als kultureller Mediator par excellence gelten kann, greift es wohl kaum zu kurz davon auszugehen, dass es auch in anderen Bereichen zum praktischen Einsatz des gesammelten Wissens kam. In dieser Hinsicht kann ein von ihm über eine Wasserhebeanlage bei Schloss Hellenstein bei Heidenheim niedergeschriebenen Vermerk als Spur für die Wirkung seiner italienischen Reisen gelesen werden. Sie beschrieb der Baumeister als »ein kunstlich nutzlich werkh, dergleichen weder hierzulande, noch in Frankhreich oder Italien zu finden« sei. Damit impliziert er zumindest, dass er sich selbst als umfassend informiert über den Stand der Technik südlich der Alpen betrachtete.55 Ob dieses Wissen nun aus eigener Erfahrung auf seinen Reisen oder aber aus den in seinem Besitz befindlichen und ggf. erworbenen Informationsquellen über in Italien verbreitete Maschinen resultierte, sei dahingestellt.56 Deutlich wird, dass Wissensbestände aus Italien Eingang in Schickhardts Arbeit gefunden haben und – blickt man zurück auf das Beispiel der Architektur – schließlich in Deutschland zirkulieren konnten. Ein von Herzog Friedrich I. von Württemberg vorangetriebenes und durch Schickharts eigene Notizen gut erschließbares Projekt zur Schiffbarmachung des Neckars zwischen Cannstatt und Heilbronn zeigt, wie Netzwerke nach Italien bei der Arbeit des Baumeisters zum Tragen kamen.57 Dabei wird auch deutlich, dass die sich durch das Aufeinandertreffen von technischen Spezialisten konstituierenden Kommunikations- und Wissensräume weder ergiebig sein 55 Zitiert nach Popplow, 2007, S. 103. 56 In Schickhardts Bibliothek befand sich bspw. ein Traktat des italienischen Festungsbaumeisters Bonaiuto Lorini, der von Schichkhardt als sein »guot bekahnter« beschrieben wird, sowie zahlreiche andere Architekturtraktate und Bücher aus dem Bereich der Technik, so auch Agostino Ramellis »Ein schen Buch von mancherley Mihl unnd wasser künsten […]«. Vgl. Schickhardt, 2013, S. 240 sowie 236. Zu Schickhardts Buchbesitz siehe Jansen, 2002. 57 Wie Schickhardt selbst beschreibt, griff der Herzog ein Projekt auf, das bereits Herzog Christoph von Württemberg 1553 in Angriff hatte nehmen wollen. Er hatte sogar schon eine entsprechende Erlaubnis von Kaiser Karl V. erwirkt. Das Projekt wurde dann aber trotz bereits geschlossener Verträge über den notwendigen Abriss von Mühlenanlagen nicht weiter vorangetrieben. Dazu Schickhardt in Heyd, 1902, S. 373 sowie Schahl, 1959, S. 62. 47

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mussten noch zwangsläufig funktionierten. Wohl auch vor dem Hintergrund seiner im Kontext des Neckarprojekts gemachten Erfahrungen ist in dieser Hinsicht eine Notiz des württembergischen Baumeisters aufschlussreich, wonach er den Austausch mit erfahrenen Handwerkern bevorzugt habe, weil er »manchmal bessern Rhat bey solchen schlichten leitten dan etwa bey großen Prachthansen gefunden« habe.58 Doch zunächst zum Fall selbst: Weil am Stuttgarter Hof die notwendigen Fähigkeiten für die Umsetzung des Projekts offenbar nicht vorhanden waren – auch Schickhardt scheint hierfür nicht kompetent gewesen zu sein –, bediente sich der Herzog gleich mehrerer ausländischer Experten, die durch diplomatische Missionen und Sondergesandte nach Württemberg geholt bzw. von ihren Landesherren und Regierungen »ausgeliehen« werden sollten. Zu diesem Zweck wurde zunächst der Geheime Hof- und Kriegsrat Benjamin von Bouwinghausen-Walmerode im Rahmen einer diplomatischen Mission beauftragt, sich bei den niederländischen Generalstaaten um die Vermittlung einschlägiger Wasserbauer zu bemühen. In der Folge wurde 1598 zunächst Mattheis de Castro von den Generalstaaten entsandt. In Württemberg angelangt, befuhr er in Begleitung Schickhardts den Neckar, um sich ein Urteil über die notwendigen Maßnahmen zu bilden. Vielleicht auf Grund der von ihm geschätzten exorbitanten Kosten in Höhe von 200.000 fl., vielleicht weil sich Herzog Friedrich nicht auf nur einen Entwurf verlassen wollte, erhielt Schickhardt wenig später den Auftrag, den »Wasserverständigen« Johann Weiß aus der Pfalz anzuwerben. Der jedoch lehnte die Einladung mit dem Hinweis ab, dass er »dessen kein befelch von seinem herren hab« und »wan er sich eines solchen Werckh annime, seines heren straf, und deren von Helbrun Ohngunst« befürchten müsse.59 Eine nicht zu unterschätzende Hürde für die Zirkulation technischen Wissens im Allgemeinen tritt damit recht deutlich hervor: Die Verbreitung von technischem Wissen, mit dem die Wirtschaftskraft der vormodernen Staaten letztlich eng verbunden sein konnte, war keineswegs frei oder selbstverständlich. Sie hing von der Bereitschaft der Landesherren, ihre Spezialisten reisen zu lassen, mindestens ebenso ab wie von der Existenz persönlicher Netzwerke oder der Bereitschaft der Akteure zur Mobilität. An Stelle von Weiß konnten die Niederländer Heinrich Wesel, dessen Vorschlag auf Grund der absurd niedrigen Kosten von Schickhardt jedoch als unmöglich abgetan wurde, sowie Humphray Bradley aus Bergen op Zoom in Brabant für die Begutachtung und Planung des Projekts gewonnen werden. 58 Heyd, 1902, S. 346. 59 Heyd, 1902, S. 374. 48

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Letzterer kann vor dem Hintergrund seiner Tätigkeit für König Heinrich IV. von Frankreich, für den er zwei Jahre zuvor zwecks der Trockenlegung von Marschland und Sümpfen in der Normandie und der Picardie tätig gewesen war, als Spezialist von europäischem Rang bezeichnet werden.60 Eben dieses Ansehens war sich der Niederländer offenbar auch bewusst, denn er fiel durch ein entsprechendes Auftreten in Stuttgart auf. Schickhardt, der hier offensichtlich auf ein Exemplar jener »Prachthansen« gestoßen war, über die er sich an anderer Stelle abschätzig äußerte, rechnete ihm sogar die Kosten seines Aufenthalts nach und kam zu dem Urteil, bei Bradlays Plänen handele es sich lediglich um »kündische Gedanken«. Nur weil er von weit her geholt worden sei, habe man ihm große Verehrung entgegengebracht, die jedoch angesichts des Wertes seiner Arbeit ebenso wenig gerechtfertigt gewesen sei wie seine hohe Bezahlung.61 Es scheint fast, dass Schickhardt, der in allen Fällen als Berater und Oberaufseher vor Ort fungierte, das Aufeinandertreffen mit den ausländischen Spezialisten in seiner eigenen Heimat allgemein nicht schätzte. Ob es die Konkurrenz war, die die Zirkulation von Wissen behinderte, oder das Aufeinandertreffen gänzlich unterschiedlicher Charaktere, sei dahingestellt. Die Schmähung der Kollegen als »Prachthansen« lässt beide Erklärungen zu. Ähnlich verhielt es sich, als 1601 Gabriele Bertazzolo, Baumeister und Ingenieur Herzog Vincenzos I. Gonzaga von Mantua, in Stuttgart eintraf. Dass erst drei Jahre nach den Begehungen durch die genannten Niederländer ein Italiener am württembergischen Hof erschien, bedeutet nicht, dass italienische Kompetenz im Bereich des Wasserbaus zu Beginn des 17. Jahrhunderts nördlich der Alpen bezweifelt worden wäre, das Gegenteil war der Fall. Tatsächlich hatte Friedrich I. seit 1599 mehrfach beim Herzog von Mantua um eine Entsendung Bertazzolos gebeten.62 Schickhardts Aufzeichnungen berichten zwar lediglich, sein Herr sei im Vorfeld über dessen Fähigkeiten informiert worden,63 wahrscheinlicher ist aber, dass der Herzog von Württemberg, als er sich 1599 auf Kavalierstour in Italien befand, selbst Arbeiten Bertazzolos in Augenschein genommen hatte. Der Besuch des Württembergers in Mantua ist durch einen Reisebericht Schickhardts, der seinen Herrn begleitet hatte, gut belegt. Als Friedrich I. in Ferrara erkrankte, sandte ihm demnach der entfernt mit dem Württemberger verwandte Vincenzo I. Gonzaga seinen Leibarzt Francesco Bruschi nach Ferrara und stellte seinem Standesgenossen eine Sänfte, Kutschen 60 61 62 63

Davids, 2008, S. 284. Heyd, 1902, S. 375. Zu der Anwerbung siehe Carpeggiani, 2003. Heyd, 1902, S. 175. 49

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sowie seine Yacht für den Transport nach Mantua zur Verfügung. Die Reisegesellschaft verbrachte zwölf Tage am dortigen Hof. Von Vincenzo I. erhielt der Herzog nach seiner Genesung Führungen durch den Palast der Gonzaga, durch die herzoglichen Gärten mit ihren Wasserspielen (die größtenteils von Bertazzolo konstruiert waren), durch das Alchemielabor sowie durch das herzogliche Gestüt.64 Es ist nicht auszuschließen, dass Friedrich I. in diesem Rahmen auf Bertazzolo aufmerksam wurde und sich deswegen im Zusammenhang seiner Pläne für die Schiffbarmachung des Neckars an ihn erinnerte. Ob der Herzog von Württemberg den italienischen Baumeister, wie Schickhardts spätere Aufzeichnungen suggerieren, dann ausschließlich wegen seiner Kompetenzen im Wasserbau nach Württemberg entleihen wollte, ist dabei keineswegs sicher. Zumindest ein in Mantua erhaltener Brief vom Stuttgarter Hof spricht dagegen. Spätestens seit dem Jahr 1600 hielt sich der Leibarzt Herzog Vincenzos I., Francesco Bruschi,65 der den Württemberger auch schon bei der erwähnten Erkrankung in Ferrara behandelt haben muss, in Stuttgart auf und diente als Mittler zwischen den beiden Höfen.66 Aufschlussreich ist hinsichtlich der Hintergründe der Einladung Bertazzolos nach Stuttgart ein Schreiben Bruschis an Vincenzo I. vom 29. Juli 1600. Darin berichtet der Arzt von der dringend benötigten Hilfe, die sein Württemberger Gastgeber bei einem oder mehreren Festungsbauprojekten brauche und bat im Auftrag Friedrichs I., der im Vorfeld bereits persönlich in der Sache nach Mantua geschrieben hatte, um die Entsendung des Baumeisters.67 Bis Bertazzolo aber von seinem Herrn die Erlaubnis erhielt, nach Stuttgart zu reisen, verging noch mehr als ein Jahr. Von mit seinem Aufenthalt verbundenen Festungsbauarbeiten, die im Brief Bruschis ja noch angesprochen waren, ist dann aber nichts überliefert. Als er Ende des Jahres 1601 eintraf, befuhr Schickhardt auch mit ihm den Neckar, um einen Lö64 Der ausführliche Bericht über die Einladung und den Aufenthalt bei Schickhardt, 1603, S. 68-73. 65 Zu Bruschi siehe di Lorena, 2015, S. 93, Anm. 2 sowie Medici Archive projekt, Person ID 3539. 66 Carpeggiani, 2003, S. 196. 67 Francesco Bruschi an Vincenzo Gonzaga, Stuttgart am 29. Juli 1600, zitiert nach Carpeggiani, 2003, S. 198: »Dubitando quest’Altezza [Friedrich I. von Württem-​ berg] che la lettera scrittagli già molti giorni non sia recapitata, per non haver havuto risposta, né veduto il Signor Bertazzuoli, qual cosa dimandava all’Altezza vostra per urgentissimo bisogno che in materia di fortezze aveva, di commissione di Sua Altezza le scrivo questa et a suo nome di novo prego l’Altezza Vostra di questo favore […].« 50

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sungsvorschlag für das Problem der Schiffbarmachung des Flusses zu erhalten. Doch ebenso wie die Vorschläge der herangezogenen Niederländer waren diejenigen Bertazzolos – zumindest für Schickhardt und die beteiligte Kommission – nicht überzeugend, ja die Ratschläge des Italieners, der offenbar besonders hoch bezahlt wurde, waren laut Schickhardt nur »liederlich genug gewesen«.68 Letzterer machte im Übrigen gegenüber dem italienischen Gast aus dieser Einschätzung kein Geheimnis, denn nach persönlichen und offenbar heftigen Auseinandersetzungen mit dem württembergischen Baumeister sowie anderen mit der Beurteilung der Vorschläge beauftragten Mitgliedern der Kommission reiste Bertazzolo 1602 unverrichteter Dinge ab.69 Das Unternehmen wurde daraufhin ad acta gelegt. Die Notizen Schickhardts verdeutlichen, dass Zirkulation von Wissen nicht nur per se ein komplexer Gegenstand war, der von zahlreichen Faktoren und auf Grund der herausragenden Bedeutung von funktionierender Kommunikation nicht zuletzt auch von den Akteuren selbst, ihrem Auftreten, von Sympathie und Habitus abhing. Zu fruchtbringender Interaktion und Kommunikation zwischen technischen Spezialisten konnte es kommen, dies war aber eben nicht selbstverständlich. Dass Schickhardt die in seine Heimat berufenen Kollegen – vielleicht aus Eifersucht und Konkurrenzdenken – so kritisch und teilweise abfällig beschreibt, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass er in anderen Zusammenhängen vom Austausch mit Spezialisten ersten Rangs profitieren konnte: dann nämlich, wenn er nicht in seinem eigenen Schaffensbereich, seiner Heimat, mit ausländischer Konkurrenz zu tun hatte, sondern wenn er selbst auf Reisen war. So berichtete er etwa in seinem Inventar von dem italienischen Festungsbaumeister Bonaiuto Lorini, den er als seinen guten Bekannten bezeichnete.70 Genaueres über ein Treffen oder Austausch zwischen den Beiden ist leider nicht überliefert, doch hatte Lorini seinem württembergischen Kollegen offenbar ein Exemplar seines Traktates »Delle fortificazioni« geschenkt, als dieser sich auf Italienreise befand.71 Unterwegs also suchte und pflegte Schickhardt durchaus 68 Heyd, 1902, S. 376. 69 Über Bertazzolos Pläne gibt ein in der Biblioteca Teresiana erhaltenes Manuskript Auskunft, vgl. Carpeggiani, 2003, S. 201. 70 Schickhardt, 2013, S. 240. Zu Schickhardts Bibliothek, deren Bestand durch einen Vergleich mit anderen technischen Spezialisten auch jenseits der Alpen für die Frage nach der Zirkulation von (gedruckten) Wissensbeständen aus dem Bereich der Technik zielführend sein könnte, siehe Janssen, 2002. 71 Popplow, 2007, S. 103. 51

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den Umgang mit jenen Spezialisten ersten Rangs, die er später als »Prachthansen« schmähte. Hier sei jedoch angemerkt, dass über Lorinis Auftreten nichts bekannt ist. Allgemein lässt sich aber festhalten, dass sich reisende Spezialisten von solchen Treffen, die in der Regel unabhängig von konkreten Bauprojekten und somit auch außerhalb vom Konkurrenzdenken erfolgten, vermutlich ebenso großen praktischen wie repräsentativen Ertrag versprachen. Mit Blick auf den repräsentativen Wert solcher Treffen und auf den Austausch zwischen Spezialisten auf Reisen sei zum Abschluss auf das Beispiel des Ulmer Baumeisters und Generalisten Josef Furttenbach verwiesen, der sich von 1607 bis 1620 für fast 13 Jahre, eigentlich zur Ausbildung zum Kaufmann, in Italien aufhielt. Dank der in dieser Zeit gemachten Erfahrungen wirkte er in der Folge zeitlebens als »kultureller Mediator« (Roberto Zaugg) zwischen Deutschland und Italien.72 In welchem Maße Furttenbachs späteres Schaffen, das sich neben einem Reisebericht über seinen Italienaufenthalt in mehreren Architekturtraktaten und einem Buch über Büchsenmacherei, mechanische Geräte und Feuerwerke niederschlug, durch die Zeit in Italien geprägt wurde, ist wie auch in vergleichbaren Fällen nicht eindeutig zu beantworten.73 Dass der Ulmer südlich der Alpen mit bekannten Ingenieuren und Spezialisten in Kontakt kam, zeigt jedoch abermals ein Inventar, nämlich jenes seiner berühmten Kunstkammer. Kein anderer als Galileo Galilei hatte ihm, so ist es dort zumindest verzeichnet, ein Modell eines Zuges geschenkt, der 1586 zur Aufrichtung der großen Pyramide in Rom zum Einsatz gekommen war. Der Florentiner hatte es wohl in Furttenbachs Beisein noch verbessert. Selten tritt Wissensproduktion in den Quellen so deutlich zutage. Aber auch eine Spindel sowie das Modell einer endlosen Schraube hatte der Italiener ihm verehrt. Die Gegenstände nahmen zentrale Plätze in Furttenbachs Sammlung ein.74 Ausgebildet worden war der Ulmer im Übrigen von dem Genuesen Paolo Rizzio und von Giulio Parigi in Florenz. Sie mögen ihm den Kontakt zu Galileo ermöglicht haben. Furttenbachs Reisebericht zeigt auch, dass er an der »Accademia« am Hof der Medici bei Alfonso Parigi, einem Schüler des Universalkünstlers Bernardo Buontalenti, Szenografie, Architektur und Gartengestaltung 72 Zu Furttenbach siehe noch immer grundlegend Berthold, 1951, die bis heute einzige, wenn auch nur in stark gekürzter Fassung publizierte, größere Studie zu Furttenbach, sowie Dies., 1953. Eine knappere Einordnung gibt Greyerz, 2013 als Einleitung zur Edition von Furttenbachs »Lebenslauff«. 73 Die vordergründig auf Beziehungen zu Landsleuten basierenden Netzwerke, die er bei seiner Reise nutzte, hat zuletzt Roberto Zaugg, 2013 skizziert. 74 Siebenhüner, 2013, S. 52. 52

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studiert hatte.75 Ebenso wie Schickhardt bewegte sich also auch Furttenbach in einem Wissensraum, den er durch kulturellen Austausch und Vermittlung sowie nicht zuletzt durch die Anlage seiner Kunstkammer pflegte. Er profitierte von diesem Wissen, nahm es in sich auf und wandelte es in Wissen und Wissensformen um, die ihm durch den Transfer über die Alpen in seinen späteren Ulmer Jahren den Ruf eines Generalisten einbrachten. Sein Beispiel zeigt ebenso wie jenes Heinrich Schickhardts, dass Mobilität, ob durch Reisen, Anwerbung oder Einladung, bei der Zirkulation technischen Wissens eine nicht zu unterschätzende Rolle spielte.

Schluss Anhand zweier Beispiele sondierte der vorliegende Beitrag, auf welchen Wegen und in welchem Ausmaß Deutschland und Italien durch Transferprozesse von technischem Wissen verbunden waren. Als ergiebig erwies sich dabei zunächst das Beispiel des vormodernen Erfindungsschutzes, der für technische Spezialisten Anreize zur Mobilität und zur Vermarktung ihres Wissens in einem neuen Wissensraum schuf. Anhand einer quantitativen Auswertung der von der Republik Venedig an Nichtitalienern verliehenen Privilegien zum Schutz ihrer Erfindungen wurde zunächst deutlich, dass insbesondere auf der Ebene der wenig bekannten technischen Spezialisten ein konstanter Wissenstransfer auch zwischen Deutschland und Italien erfolgte. Die damit hervortretende Verflechtung zeigt zwar, dass die Austauschbeziehungen im Bereich des technischen Wissens zwischen den beiden Räumen quantitativ hinter solchen mit Frankreich zurückstanden, deutsch-italienische Zirkulationsprozesse aber einen wesentlichen Teil des Techniktransfers zwischen Venedig und Nordeuropa ausmachten. Die dabei zutage tretenden Transferprozesse beschränkten sich nicht auf einzelne Bereiche, in denen »Deutsche« als besonders kompetent galten, sondern traten in unterschiedlichen wirtschaftlichen Sektoren zutage. Der italienische Raum zeigte sich sektorenübergreifend als attraktiver Markt und Kommunikationsraum für den technischen Austausch. Die durch die Analyse sichtbar werdenden Spuren der Zirkulationsprozesse boten Ansatzpunkte, um die jeweiligen Umstände der Integration von Wissensformen sowie die vielschichtigen Kommunikationsprozesse, die mit der Privilegienvergabe verbunden waren, zu konzeptualisieren. Deutlich wurde so, dass Austauschbeziehungen zwischen Deutschland und Italien nicht nur im Bereich der »Hochkultur« oder im Bereich 75 Zaugg, 2013, S. 29. 53

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der Technik durch bekannte »Stars« unter den frühneuzeitlichen Spezialisten erfolgten. Vielmehr traten die Rolle von bisher wenig erforschten Akteuren und die Heterogenität dieser Gruppe hervor. Ebenso wurden angesichts der an den Transfer- und Zirkulationsprozessen beteiligten Personen(gruppen) auch spezifische Anforderungen sichtbar, die aus besonderen Rahmenbedingungen des technologischen Transfers resultierten. Die Implementierung von neuen Technologien war ebenso von den an einem Ort vorhandenen handwerklichen Fähigkeiten, von der Verfügbarkeit spezifischer Materialien und in besonderem Maße von Widerständen gegen die Einführung von Neuerungen, ob durch Zünfte oder einheimische Konkurrenten, abhängig. Im Kontext der Transfer- und Zirkulationsprozesse technischen Wissens gab es viele Hürden. Gleichzeitig wurden aber eben durch den Erfindungsschutz auch Strukturen geschaffen, die die Überwindung solcher Hindernisse partiell ermöglichen konnten. Am Beispiel von Reisen technischer Spezialisten trat schließlich die Rolle höfischer Kontexte, etwa durch die Entsendung von Akteuren an befreundete Fürsten, aber auch durch gezielte Spionageaufträge hervor. Am Beispiel Heinrich Schickhardts und eines am württembergischen Hof noch zu Beginn des 17. Jahrhunderts verfolgten Projekts zur Schiffbarmachung des Neckars zwischen Cannstatt und Heilbronn wurde deutlich, dass Wissenszirkulation und Wissenstransfer in hohem Maße von den beteiligten Akteuren und dem grundlegenden Funktionieren von Kommunikation abhingen. Scheiterte dieselbe, etwa auf Grund von Konkurrenzverhältnissen oder Antipathie, war eine Grundvoraussetzung der Wissensproduktion, nämlich die potentielle Überkreuzung von Wissensbeständen, nicht gegeben. Die vielfältigen Spuren von Transferprozessen im Bereich des technischen Wissens verdeutlichten, dass es regelmäßige und konstante Wechselbeziehungen zwischen Deutschland und Italien gab. Technischen Spezialisten als Akteuren und Trägern von Wissenszirkulation und Wissen kam dafür entscheidende Bedeutung zu.

Abstract Circulation and diffusion of technical knowledge between the Italian peninsula and the Holy Roman Empire have merely been an issue studies regarding the interferences between northern and southern Europe. The paper explores those interferences by highlighting traces of the diffusion of technology between both regions. Regarding processes of circulation as the essential moment of the production of knowledge, the main aim is to follow and identify actors involved in circulation processes and identify their issues. Concrete approaches are a 54

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quantitative analysis of the proportion of inventors from the German lands who received patents for inventions in the Republic of Venice during a long 17th century. A second section focuses on the prominent group of master builders and agents with the examples of Heinrich Schickhardt and Gabriele Bertazzolo. Both approaches allow highlighting practical limits of circulation.

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Zirkulation von technischem Wissen zwischen Italien und dem Reich

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Giovanni Andrea Angelini Bontempi als ungewöhnlicher Akteur im musikalischen Wissenstransfer zwischen Italien und dem Reich nach dem Dreißigjährigen Krieg Klaus Pietschmann

Zu den bestuntersuchten Aspekten der nachreformatorischen Musikgeschichte im Reich zählen zweifellos die ausgeprägten italienischen Einflüsse, die weitgehend unbeschadet von konfessionellen Zugehörigkeiten die musikalischen Entwicklungen wesentlich prägten. Auch wenn das Paradigma der »musikalischen Weltherrschaft der Italiener«1 in jüngerer Zeit vor allem durch die Problematisierung des älteren Nationalstilbegriffs und die Berücksichtigung von Kommunikations- und Regionalisierungsprozessen, die die frühneuzeitliche Musikermigration in Gesamteuropa mit sich brachte, aufgebrochen wurde,2 stellen die enorme Nachfrage nach italienischen Musikern und der Transfer aktueller stilistischer Trends von südlich der Alpen in zentrale Hofhaltungen des Reichs ein kaum zu relativierendes Faktum dar. Tatsächlich hat die Musikhistoriographie schon seit längerem die Notwendigkeit erkannt, die Feinjustierungen näher in den Blick zu nehmen, die im Zuge dieser stilistischen Transferprozesse zu beobachten sind und zwischen der Einlösung von Projektionen, örtlichen Prägungen, konfessionellen und zeremoniellen Erfordernissen sowie individuellen Entscheidungen oszillieren, und auch das Konfessionalisierungsparadigma einer kritischen Überprüfung zu unterziehen. Ungeachtet einer in der historischen Musikwissenschaft traditionell ausgeprägten akteursorientierten 1 2

Braun, 1981, S. 310. Vgl. zu diesen neueren Perspektivierungen insbesondere Goulet/zur Nieden, 2015; zur Nieden/Over, 2016. 61

Klaus Pietschmann

Perspektive wurden diese Ansätze für das 17. Jahrhundert vielfach auf einer primär stilgeschichtlichen Ebene verfolgt und nur selten, zumeist bezogen auf einzelne aufgrund ihres Schaffens kanonisierte Exponenten wie Claudio Monteverdi oder Heinrich Schütz, übergreifend eingeordnet, so dass die im Rahmen dieses Bandes bestimmende Frage der Ressourcen und der Ziele, durch die die verschiedenen Akteure, mit ihren je unterschiedlichen Kompetenzen, variablen Fähigkeiten und wechselnden Erwartungen in spezifischen Situationen und räumlichen Zusammenhängen sowie unter Berücksichtigung ihrer wechselnden Positionierungen, dem Beziehungsgefüge, an dem sie selbst in verschiedener Weise partizipierten, einen Sinn gegeben und dadurch Wissen produziert haben,3 allenfalls für herausgehobene Persönlichkeiten verfolgt wurde. Inwieweit Musik dabei als »Wissen« eingestuft und mit anderen Wissensbeständen verglichen werden kann, wurde ebenso wenig hinterfragt, da – um bei den genannten Beispielen zu bleiben – Monteverdi und Schütz zwar immerhin aussagekräftige Briefcorpora, aber keine musiktheoretischen Schriften hinterlassen haben. Ein in seiner exemplarischen Relevanz unterschätzter Akteur der Musikbeziehungen zwischen Italien und dem Reich im 17. Jahrhundert war Giovanni Andrea Angelini Bontempi, der als in Rom ausgebildeter Kastrat, Opernkomponist, Bühnenarchitekt, Hofhistoriograph und Verfasser einer der ersten musikgeschichtlichen Darstellungen überhaupt über ein bemerkenswert breites Kompetenzspektrum verfügte, das ihm eine angesehene Stellung am Dresdner Hof und später die Aufnahme in die Accademia degli Insensati in Perugia einbrachte. Zwar machten auch andere Musiker als Höflinge, Diplomaten oder Politiker Karriere,4 doch ist im Falle Bontempis die Kumulierung sehr unterschiedlicher Tätigkeitsbereiche singulär und gleichermaßen querständig wie kompatibel zu den zeitgenössischen Trends. Der Fall Bontempi erscheint im gegebenen Rahmen bestens geeignet, exemplarisch zentrale Facetten musikalischer Wissensbestände in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts aufzuzeigen und Szenarien der musikbezogenen Wissenszirkulation zwischen Italien und dem Deutschen Reich zu beleuchten, anhand derer sich ebenso übergeordnete Tendenzen der deutsch-italienischen Musikbeziehungen wie Spezifika des Standortes Dresden gebündelt verfolgen lassen. 3 4

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Siehe die Einleitung zu diesem Band von Sabina Brevaglieri und Matthias Schnettger. Vgl. beispielsweise zu den Kastraten Rosselli, 1988; zu Agostino Steffani als Kleriker, Diplomat und Komponist Timms, 2003 sowie speziell zu den politischen Implikationen seines Enrico Leone: Schnettger, 2014.

Bontempi als ungewöhnlicher Akteur im musikalischen Wissenstransfer

Nach einem biographischen Überblick mit Seitenblicken auf Bontempis Einbettung in seine jeweiligen Wirkungsbereiche sollen insbesondere Bontempis Dresdner Festoper Il Paride (1662) und seine späte Hauptschrift Historia Musica (1695), die wenig später in den Acta Eruditorum rezensiert wurde, in den Blick genommen werden. Als erste italienische Oper für einen protestantischen Hof einerseits bzw. als erste musikgeschichtliche Abhandlung in modernem Sinne andererseits handelt es sich jeweils um Pionierleistungen, die im einen Fall die spezifischen Strategien des Gattungstransfers im protestantischen Kontext, im anderen Fall die Implementierung eines historiographischen Methodentransfers nachvollziehen lassen.

Bontempi und die Transferszenarios am Dresdner Hof Giovanni Andrea Angelini wurde 1624 in Perugia geboren und von seinem Vormund Cesare Bontempi, dessen Namen er übernahm, zur Ausbildung nach Rom geschickt.5 Unter der Protektion des Kardinals Francesco Barberini genoss der junge Kastrat die Ausbildung des renommierten Kapellmeisters von St. Peter, Virgilio Mazzocchi, über die er in der Historia Musica eine bekannt gewordene Beschreibung verfasste, und ist von November 1640 bis Januar 1641 zeitweise als Sänger in San Lorenzo in Damaso nachweisbar.6 Unter Verweis auf eine Bemerkung in den Effemeridi Perugini des Ottavio Lancellotti wurde verschiedentlich gemutmaßt, es sei bereits im Sommer 1641 in Florenz zu einer ersten Begegnung zwischen Bontempi und seinem späteren Dienstherrn Johann Georg I. von Sachsen (reg. 1611-1656) gekommen,7 allerdings liegt hier ein Missverständnis vor. Zum einen war der Kurfürst zum fraglichen Zeitpunkt nicht in Italien, zum anderen zeigt eine neuerliche Lektüre der fraglichen Textpassage,8 5 6

7 8

Zur Biographie vgl. neben der knappen Zusammenfassung von Steude/Zanetti, 2000 insbesondere: Briganti, 1956 sowie Brumana, 2005. Bontempi, 1695 (1976), S. 170. Exemplarisch für ihr häufiges Aufscheinen in der Forschungsliteratur: Bianconi, 1987, S. 61. Zu Bontempis Rom-Aufenthalt und speziell seinem Engagement an S. Lorenzo in Damaso vgl. Franchi, 2005, S. 72. Brumana, 2005, S. 3. »VII. Kal. Jul. 25 [25. Juni] Ex Urbe insigni cum comitatu advenit non tamen cognitus Franciscus Gullielmus comes a Vivenberg et episcopus Osnaburggensis. Legatione functus et apud summum monianum de rebus non exigui ponderis pro serenissimo Boiorum duce. – VI Kal. Jul. 26 [26. Juni] Ad inspiciendum Perusiam nusquam egressus, nec pro more egregiae nobilitatis, unione adorato virgineo, Flo63

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dass die Aussage eine andere ist. So habe Bontempi den im Auftrag des Kurfürsten Maximilian I. von Bayern reisenden Osnabrücker Bischof Franz Wilhelm von Wartenberg begleitet, der am 25. Juni 1641 incognito von Rom kommend in Perugia eingetroffen und am Folgetag nach Florenz weitergereist sei »deducto ad obsequia sui serenissimi ducis et electoris«, also »dem Geheiß seines Herrn, des Kurfürsten, folgend«. Gemeint ist selbstverständlich nicht Johann Georg I., sondern Maximilian I., von dem kurz zuvor die Rede gewesen war, und ebenso wenig spricht Lancellotti von einer geplanten Begegnung in Florenz, sondern von dem kurfürstlichen Auftrag. Dem von der Musikforschung bislang nicht zur Kenntnis genommenen Reisetagebuch des Bischofs ist zu entnehmen, dass er tatsächlich die fragliche Nacht in Perugia verbrachte und anschließend (wiederum incognito) Florenz besuchte, wo er am 29. Juni einer Cavalcata des Großherzogs Ferdinando II. beiwohnte.9 Ferner kann dem Tagebuch entnommen werden, dass der Bischof in enger Verbindung zu Bontempis Gönner, dem Kardinal Francesco Barberini, stand und am 22. Juni, also kurz vor seiner Abreise aus Rom, zu einem »castratus Bon«, sehr wahrscheinlich Bontempi, Kontakt hatte.10 Am 27. Juli 1641 wurde Bontempi in die Münchner Hofkapelle aufgenommen, der er für etwa ein halbes Jahr angehörte,11 so dass davon auszugehen ist, dass rentiam cum comitibus discedit comes deducto ad obsequia sui serenissimi ducis et electoris, qui acute, atque emasculatione egregie canit, ad id Perusiae primum apud sacerdotes Oratorii, inde Romae non indiligenter institutus, Joanne Andrea Bontempi.« Zit. nach Ebd., 2005, S. 10. 9 Fink, 1913, S. 122f. Die heutige Signatur der Archivalie lautet: Niedersächsisches Landesarchiv, Standort Osnabrück, Rep 100, Abschnitt 1, Nr. 99. Zur Italienreise Franz Wilhelm von Wartenbergs vgl. auch Goldschmidt, 1866, S. 109f. 10 Fink, 1913, S. 112f. zu der freundlichen Aufnahme Wartenbergs durch den Kardinal Barberini während des ersten Romaufenthalts im April 1641. Bedauerlicherweise haben sich zum zweiten Romaufenthalt im Juni nicht der Bericht selbst, sondern lediglich Notizen erhalten, in denen es lt. Ebd., S. 121, zum 22. Juni u.a. heißt: »Castratus Bau (?). Item alius.« Nach Auskunft von Frau Dr. Birgit Kehne (Niedersächsisches Landesarchiv Osnabrück) vom 19.12.2016, für die ich an dieser Stelle herzlichst danke, ist die Lesart »Bon« jedoch zulässig. Die weiteren Hauptstationen der Reise mit teils mehrtägigen Aufenthalten waren Florenz, Bologna, Modena, Parma, Piacenza, Mailand, Pavia, Padua, Venedig, Trient, Innsbruck, Hall und Rosenheim, wo der Bischof am 26. Juli eintraf und das Tagebuch endet. 11 Herrn Rashid-S. Pegah verdanke ich die Mitteilung, dass Maximilian I. »ainen welschen Singer von Perus[ia], Nammens Andre Bontempo, zum Discantisten, in dero Hof Music« aufgenommen und neben 30 fl. monatlichem Gehalt ab 27. Juli 64

Bontempi als ungewöhnlicher Akteur im musikalischen Wissenstransfer

Wartenberg ihn im Auftrag Maximilians I. rekrutierte und nach München mitnahm. Lancellotti wiederum befand den jungen mitreisenden Sänger primär aufgrund seiner Herkunft aus Perugia der Erwähnung für würdig. Eigenen Angaben zufolge muss Bontempi sich jedoch recht bald darauf nach Venedig begeben haben und dort von 1642/3 bis 1650 als Kapellsänger an S. Marco tätig gewesen sein, wo er noch den greisen Monteverdi erlebte und sich einiges Ansehen als Aushilfschorleiter erwarb. Vermutlich hörte ihn dort Heinrich Hermann von Oeynhausen, ein Berater des Schwagers des sächsischen Kurprinzen Johann Georg, dem jener am 21. September 1649 schrieb: »Sonsten florirt die Music alhir sehr wohl […], der Parnassus ist hier in Italien zu suchen, vndt hat seines gleichen nicht; es seindt nicht allein die Discantisten besondern auch die Altisten bey hisiger capel alle castraten, vndt die behalten eine bestendige unwandelbahre stimme. Die können wihr nun in teütschland nicht leichtlich haben, besondern müßen vns mit denen verenderlichen stimmen behelffen.«12 Diese Zeilen müssen auf den musikbeflissenen Johann Georg, der kriegsbedingt keine Kavalierstour hatte unternehmen können und somit anders als sein Vater die italienische Musikpflege nicht aus erster Hand kannte,13 erheblichen Eindruck gemacht haben, und es ist denkbar, dass er Oeynhausen zur Anwerbung eines solchen Kastraten, also Bontempis, anwies. Im Laufe des Jahres 1650 traf dieser in Dresden ein und wurde sogleich in die Anwerbung weiterer italienischer Musiker für die Kapelle des Kurprinzen eingebunden.14 Bontempis frühe Karriere war damit von charakteristischen Grundzügen der Musikermigration geprägt, wie sie sich bereits Jahrhunderte zuvor etabliert hatten.15 Agenten spielten dabei eine zentrale Rolle, wobei diese dem reisenden Hochadel ebenso angehören konnten wie gehobenen Hof- oder Gesandtschaftskreisen, häufig aber auch selbst Musiker waren. Systematische Untersuchungen zu den Mechanismen der Musikerrekrutierung, den Anreizfaktoren, Auswahlkriterien und rechtlichen Fragen fehlen allerdings, wären jedoch gerade für die

12 13 14 15

1641 ein »costgelt neben Wein und brott seiner muetter darinnen in Welschlandt, durch des herrn Crivelln zu Rom geraicht« gewährt habe (Bayerisches Haupstaatsarchiv München, Geheimes Staatsarchiv, HR I Fasz. 463, Nr. 199; Mitteilung von Rashid-S. Pegah vom 29.6.2012). Diese Verpflichtung Bontempis am Münchner Hof wird ohne Quellennachweis erwähnt in: Brumana /Timms, 2013. Zitiert nach Frandsen, 2006, S. 443. Leibetseder, 2004, S. 33. Frandsen, 2006, S. 9-17. Vgl. zu einigen markanten Beispielen aus dem 15. Jahrhundert: Pietschmann, 2015a. 65

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genauere Einordnung der durchaus aggressiven Abwerbungsstrategien, die der Kurprinz Johann Georg anwandte,16 und damit der Beurteilung von Bontempis Anstellung und Rolle am Dresdner Hof unerlässlich. Der Weiterentwicklung der höfischen Repräsentationskultur unter italienischen Vorzeichen galt ein Hauptinteresse des Kurprinzen,17 und in diesem Zusammenhang wurden im Laufe der 1650er Jahre Zahl und Stellung der italienischen Musiker am Dresdner Hof erheblich ausgebaut. Bontempi scheint übrigens rasch das Vertrauen des bereits 65jährigen Heinrich Schütz erlangt zu haben, der bereits am 14. Januar 1651 Johann Georg I. ersucht hatte, dass der »Italianische Eunuchus« Bontempi, ein »discreter höfflicher, undt verträglicher feiner junge mensch«, auf sein eigenes Angebot hin und ohne Gehaltszulage ihn gelegentlich vertreten dürfe, zumal er »von jugendt auff […] der Composition noch mehr als des Singens beflissen gewesen were«.18 Diese Aufgeschlossenheit darf nicht darüber hinweg täuschen, dass der Zustrom von Italienern einen stilistischen Paradigmenwechsel nach sich zog, der nicht auf Anreicherung, sondern Überformung des Bestehenden zusteuern musste. Während der selbst durchaus Italien-affine Schütz in Dresden einen Stil etabliert hatte, der dem traditionellen Kontrapunktideal Palestrinas sowie der Mehrchörigkeit verpflichtet war, standen die jungen Italiener für eine an Monteverdi und Cavalli orientierte, affektbetonte Kirchenmusik. Die dabei sich abzeichnende Schere zwischen »prima pratica« und »seconda pratica« geht über den im 17. Jahrhundert sich allenthalben vollziehenden italienisch-deutschen Stiltransfer insofern hinaus, als hier nun Akteure unterschiedlicher Generationszugehörigkeit und Herkunft aufeinander prallten. Neben Schütz als hochangesehenem Repräsentanten aus der Frühphase der Implementierung italienischer Stilmodelle traten junge Italiener, die in ihrer Ausbildung Weiterentwicklungen dieser Modelle kennengerlernt hatten und diese nun gewissermaßen aus erster Hand nach Dresden transferierten. Nicht unerwähnt bleiben darf in diesem Zusammenhang der Schütz-Schüler und zeitweise ebenfalls der Hofkapelle zugehörige Christoph Bernhard (1627/8-1692), der um 1650 und nochmals 1657 Italien bereiste und hier, ähnlich wie Schütz in jungen Jahren, vor Ort die aktuellen stilistischen Tendenzen studierte. Er prägt damit in diesem Transferszenario einen dritten Akteurstypus aus, dessen Biographie zwar keinen Zweifel daran lässt, dass er ungeachtet seiner Verdienste als zweite Wahl angesehen wurde, der aber in seinem Tractatus compositionis augmentatus einen ausgewogenen 16 Frandsen, 2006, S. 10. 17 Deppe, 2006. 18 Schütz, 1931 (1976), S. 215. 66

Bontempi als ungewöhnlicher Akteur im musikalischen Wissenstransfer

und präzisen Blick auf die Vorgänge am Dresdner Hof lenkte und auf Grundlage von Beispielen seiner italienischen Kapellkollegen die »Handhabbarkeit unterschiedlicher Stile für unterschiedliche Zwecke« reflektierte.19 Dieser Prozess verlief keineswegs so reibungslos, wie es sich in Schütz̓ oben zitiertem Schreiben abzuzeichnen scheint. So erwies sich die künstlerische und soziale Integration der Italiener als problematisch, wozu die Tatsache beitrug, dass man sie nicht zur Konversion nötigte (anders als noch Antonio Scandello ein Jahrhundert zuvor).20 Bontempi nahm als Kastrat in dieser Gemengelage zusätzlich eine Sonderstellung ein, die im protestantischen Umfeld verstören musste und neben der künstlerischen auch eine ethisch-moralische Differenz markierte. Ein bekannt gewordener Brief von Schütz an Johann Georg I., in dem er am 21. August 1653 die zunehmend angespannte Situation schildert, macht deutlich, wie die genannten Faktoren ineinandergriffen und Konfliktpotential aufbauten. Demnach wolle es Schütz »als gleichwol einem alten vndt verhoffentlich nicht unverdienten mann fast verkleinerlich undt schmerzlich fürfallen […], an solchen Sontagen […] Ich mit des Herrn Churprintzens Directore als einem 3 mahl jüngeren als ich, vndt hierüber castrirten Menschen, ordentlich vnd stetig ümbwechseln vnd unter ungleicher vndt zum gueten theil vnverstendiger zuhörer vnd Richter urtheil mit ihm gleichsamb pro loco disputiren soll.«21 Es zeugt von Bontempis künstlerischer Befähigung gepaart mit sozialer Kompetenz und Schütz̓ Erfahrung mit den innerhöfischen Mechanismen, dass die Situation nicht eskalierte, sondern beide über die Alters-, Stil- und Konfessionsgrenzen hinweg ein professionelles Verhältnis etablierten. Hierauf deutet die Tatsache, dass Schütz 1660 die Widmung des Traktats Nova quatuor vocum componendi methodus akzeptierte, in der ihn Bontempi als »Domino & Amico meo« adressiert.22 Darüber hinaus demonstriert die Schrift bereits den für italienische Sänger- und Komponistenvirtuosen eher ungewöhnlichen Versuch, sich als umfassend gebildeten musicus zu inszenieren, der neben dem musikalischen Handwerk auch die Theorie beherrscht.23 Ebenfalls 1656 wurde mit Johann Georgs II. Regierungsantritt (reg. 16561680) seine Privatkapelle mit der Hofkapelle vereinigt, so dass Bontempi neben 19 Steude, 1999, S. 69. Zu Bernhard und seinem Traktat vgl. die Teiledition in: Müller-Blattau, 1963. Vollständige Edition: Bernhard, 2004; Braun, 1999; Streetman, 1967. 20 Walter, 2009, S. 13. 21 Schütz, 1931 (1976), S. 237-239; vgl. auch Steude, 1999, S. 67. 22 Bontempi, 1660, ohne Pag. 23 Zu dem Traktat und seiner Verortung vgl. Klotz, 2006, S. 58f. 67

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Vincenzo Albrici und Heinrich Schütz sächsischer Hofkapellmeister wurde. Auffällig ist der respektvolle Verzicht auf künstlerische Selbstinszenierung zu Schütz̓ (immerhin noch bis 1672 währenden) Lebzeiten. So vermied Bontempi es, sich auf dem Feld der Kirchenmusik zu profilieren oder in Stichen portraithaft abbilden zu lassen, während Schütz, von Johann Georg II. offenbar ebenso respektvoll verehrt und gefördert wie von dessen Vater, ein eindrucksvolles Spätwerk entfaltete und nach 1657 von Christoph Spettner portraitiert wurde. Stattdessen verlegte sich Bontempi neben der Musiktheorie auf die Opernkomposition und komponierte anlässlich der Hochzeit der sächsischen Prinzessin Erdmuthe Sophie und des Markgrafen Christian Ernst von Brandenburg-Bayreuth Il Paride, der im November 1662 im Riesensaal des Dresdner Schlosses zur Aufführung gelangte. Die Aufführung markierte den Beginn der langen Tradition der italienischen Oper am Dresdner Hof und bildete zugleich die erste italienischsprachige Musiktheateraufführung an einem protestantischen Hof überhaupt,24 denn ausgehend von der Dresdner Dafne von Heinrich Schütz und Martin Opitz im Jahre 1627 hatte sich in den protestantischen Reichsteilen bis dato eine rein deutschsprachige Operntradition etabliert. In Schütz̓ Todesjahr 1672 ließ Bontempi gemeinsam mit Marco Giuseppe Peranda die Neuvertonung des Dafne-Librettos von Opitz folgen, das Bontempi einer Überarbeitung unterzog, in seinen Grundzügen aber erkennbar beließ.25 Zudem nutzte Bontempi seine erworbene Position bei Hofe zur Erschließung neuer Betätigungsfelder. Er zog sich zunehmend von der Komposition zurück und avancierte zu einer Art uomo universale am sächsischen Hof, sicherlich begünstigt durch seine zwischenzeitlich erworbene Kenntnis der deutschen Sprache. Seit 1656 führte Bontempi den Titel des kurfürstlichen »architectus primarius«26 und brachte nach eigenen Angaben offenbar um diese Zeit auch »un Discorso sopra l’Architettura civile in lingua tedesca« zum Druck, der sich allerdings nicht erhalten hat.27 Am Bau des 1667 eröffneten Komödienhauses am Taschenberg war er maßgeblich beteiligt. Daran anknüpfend fungierte er als Bühnenarchitekt und Maschinenmeister, befasste sich aber auch mit der Konstruktion von Uhren sowie der Mosaikkunst und betätigte sich als Historiograph. 24 Vgl. zusammenfassend zu der Entwicklung bis um 1700 Dubowy, 1994. 25 Vgl. hierzu insbesondere die Einführung zur Edition Bontempi/Peranda, 1998, S. V-XI sowie ferner Heinemann, 2000, und Alms, 2007, S. 242-254. 26 In seinem 1656 aufgesetzten Testament wird er als »Domini nostri clementissimi chori Musici Praefectus superior, ac Architectus primarius« bezeichnet: Briganti, 1956, S. 105f. 27 Bontempi, 1695 (1976), S. 170. 68

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Im Jahre 1666 brachte er in Dresden eine Historien Des Durchlauchtigsten Hauses Sachsen28 heraus und baute diese zu einer umfangreicheren Abhandlung in italienischer Sprache aus. Im Vorwort zu dieser dann 1697 in Perugia erschienenen Historia dell’origine de’ Sassoni29 heißt es, Johann Georg II. selbst habe Bontempi mit dieser Sachsengeschichte beauftragt,30 und zwar angeregt durch den Erfolg seiner 1672 erschienenen Historia della ribellione d’Ungheria,31 die auf breiter Quellengrundlage den Aufstand der Magyaren gegen Leopold I. im Jahre 1670 behandelt hatte. Gleichzeitig ließ sich Bontempi häufig die Erlaubnis zu Reisen nach Perugia geben, wohin er nach dem Tod Johann Georgs II. im Jahre 1680 endgültig zurückkehrte. Hier führte er ein Gelehrtendasein, das 1695 in der Publikation der Historia musica sowie der nachfolgenden Aufnahme in die Accademia degli Insensati von Perugia gipfelte. Nun waren es die Netzwerke seines dortigen Gönners, des adeligen Literaten Niccolò Montemelini, die zu Rezensionen der Historia musica wie auch zwei Jahre später der Historia dell’origine de’ Sassoni in den Acta eruditorum führten:32 Montemelini wurde nicht müde, den bekannten Florentiner Bibliothekar Antonio Magliabechi um die Empfehlung der beiden Schriften nach Leipzig zu ersuchen.33 Bontempi erweist sich damit als derjenige italienische Musiker seiner Generation, der zu der umfänglichsten und vielseitigsten Integration in einen hochrangigen Hofstaat des Reiches gelangte. Singulär ist zudem, dass er sich dabei nicht auf die Transferierung und Implementierung stilistischer und medialer Elemente der italienischen Oper beschränkte, sondern das auf dieser Grundlage erworbene Ansehen zu seiner gleichzeitigen Etablierung als Schriftsteller und letztlich Musikgelehrter nutzte. Dass diese Etablierung zugleich unter Nutzung von Netzwerken erst in Rom und Venedig, dann in Dresden und schließlich in der Heimatstadt Perugia erfolgte, charakterisiert diesen Vorgang als zielsichere Schaffung einer räumlichen Konfiguration, die dem Akteur Bontempi als Voraussetzung für die transformierende Konstitution musikalischen Wissens in der Oper Il Paride ebenso – wenn auch in gänzlich anderer Ausprägung – in seiner Historia musica diente.34 28 Bontempi, 1666. 29 Bontempi, 1697. 30 Vgl. Lupi, 2005, S. 42. 31 Angelini, 1672. 32 Grossius/Fritschius, 1698, S. 421f. 33 Die Initiativen Montemelinis sind beschrieben und dokumentiert in Lupi, 2005. 34 Vgl. Brevaglieri/Schnettger, 2015, S. 129. 69

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Il Paride (1662) Die Hochzeitsoper Il Paride stellt ein ebenso ambitioniertes wie ungewöhnliches Unternehmen dar.35 Die Entscheidung für eine italienische Oper in Dresden bedeutete einen Bruch mit der bisherigen deutschsprachigen Operntradition, der im Zusammenhang mit dem generellen Bestreben des sächsischen Hofes zu sehen ist, seine Repräsentationskultur nach Wiener und Pariser Vorbildern auszurichten, wo die italienische Oper dominierte. Im protestantischen Umfeld muss dies auf Skepsis gestoßen sein, auch wenn unmittelbare Proteste oder Einsprüche seitens der Hoftheologen nicht bekannt sind. Möglicherweise ist aber Bontempis Entscheidung, kein erprobtes italienisches Originallibretto zu vertonen, sondern Text und Musik selbst zu verfassen, vor diesem Hintergrund zu sehen. Zwar könnte ihm als Vorbild für diese höchst ungewöhnliche Personalunion der Soprankastrat und Komponist Loreto Vittori gedient haben, der noch während Bontempis Ausbildungszeit in Rom die vollständig selbst verfasste Oper La Galatea (1639) herausbrachte und auch nachfolgend selbst gedichtete Libretti vertonte.36 Bontempi allerdings nutzte diese Doppelautorschaft zusätzlich, um eine auf das Publikum abgestimmte Kompromisslösung zu realisieren. Dies deutet sich bereits in der Vorrede an, der zufolge Bontempi sich nicht an den antiken Gattungen orientiert, sondern vielmehr ein »Erotopaegnion Musicum« zu schaffen beabsichtigt habe, ein »musikalisches Liebesspiel«.37 Die fünf Akte schildern die bekannte Geschichte des Parisurteils und seiner Folgen. Der Handlungsverlauf beinhaltet die bekannten Stationen des Streits der Göttinnen um den Apfel, Jupiters Bestimmung des als Schäfer in einer Liebesbeziehung mit der Nymphe Enone am Berg Ida lebenden trojanischen Königssohns Paris zum Richter, der Entführung der Helena sowie beider Eintreffen in Troja und endet mit dem Jubel über die glückliche Verbindung. Die Aufführung war Teil der umfangreichen Hochzeitsfeierlichkeiten, die von Uta Deppe präzise rekonstruiert und in ihren allegorischen Bezügen interpretiert wurden.38 An die Aufführung am 2. November 1662 schlossen sich gesprochene Schauspiele an, die den Trojanischen Krieg und den Tod Hektors zum Gegenstand hatten. Ergänzt wurden sie um ein Turnierfest der Griechen und Trojaner. Dieser Komplex bildete den Höhepunkt der Festlichkeiten und rekurrierte thematisch auf 35 Zu den Entstehungsumständen der Oper vgl. Fürstenau, 1861, S. 204-214; Engländer, 1961; Jahns, 1985; Brumana, 2005, passim. 36 Vittori, 2002, S. viif. u. passim. 37 Bontempi, 1662 (1970), ohne Pag. 38 Deppe, 2006, S. 88-126. 70

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die Dresdner Fürstenhochzeit von 1650, bei der bereits die Geschichte von Paris und Helena als Gesangsballett vorgestellt worden war. Ungeachtet dieses Rekurses sowie der generellen Beliebtheit des Paris-Sujets für frühneuzeitliche Hochzeitsanlässe stellte seine Verarbeitung als italienische Oper nicht nur für Dresden ein Novum dar, und wie erwähnt betonte Bontempi im Vorwort die Neuartigkeit seines Opernkonzepts. Gleichzeitig ist unbestreitbar, dass er sich an etablierte Traditionen der venezianischen und römischen Oper anlehnte, die er von der Zeit seiner Anstellung am Markusdom in den 1640er Jahren aus erster Hand kannte.39 So ist die Haupthandlung von zahlreichen Episoden durchsetzt, die unterschiedlichste Ausprägungen der Liebe unter Schäfern, Höflingen und einfachem Volk vorführen und bukolische, burleske, aber auch drastische Züge, wie etwa in der versuchten Vergewaltigung der Enone durch zwei Jäger, tragen. Bontempi nutzt diese Szenen, um musikalisch-dramaturgische Situationen herbeizuführen, die auf bekannte Vorbilder rekurrieren: Die Trunkenheit Ergauros in der 3. Szene des 5. Aktes etwa gemahnt deutlich an die Figur des Iro in Monteverdis Il ritorno d’Ulisse in patria, der Stotterer Ancrocco in Szene 6 des 4. Aktes an Demo in Cavallis Il Giasone, und die große Klage der Enone über den Verlust des Paris im 5. Akt greift das Standardmodell des Opernlamento auf, das in kaum einer venezianischen Oper der Zeit fehlt. Diese dezidierte Anknüpfung an die venezianische Operntradition kann sicherlich als Versuch gewertet werden, den Dresdner Erstling auf Augenhöhe mit den Opern Cavallis und Cestis anzusiedeln, die nicht nur in Italien, sondern auch in Paris und an den habsburgischen Residenzen den Standard der Zeit markierten. Zugleich lässt sie sich als Reverenz an den Bräutigam verstehen, der erst kurz vor seiner Verlobung mit der sächsischen Prinzessin am 29. Dezember 1661 in Dresden von seiner Kavalierstour zurückgekehrt war, die ihn nach Frankreich und Italien geführt hatte. Der 1669 im Druck erschienenen Reisebeschreibung »Hochfürstlicher Brandenburgischer Ulysses« von Sigmund von Birken – ihrerseits ein wichtiges Zeugnis der Inszenierung von italienisch-deutschen Wissenstransfers im Kontext von Kavalierstouren protestantischer Reichsfürsten – ist zu entnehmen, dass Christian Ernst insbesondere während des Karnevals 1661 in Rom mehreren »musikalischen Komödien« beigewohnt habe.40 Im Unterschied zu den kursächsischen Hofangehörigen kannte er also die aktuellen Entwicklungen aus eigener Anschauung und war somit in der Lage, die Komposition des italienischen Kapellmeisters kennerschaftlich zu würdigen. 39 Vgl. auch Ciliberti, 1996. 40 Von Birken, 1669, S. 118-132. 71

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Umso mehr muss allerdings erstaunen, dass Bontempi sich in seiner Vorrede gerade nicht in diese Tradition stellt, und auch an der Anlage des Paride fällt auf, dass die erwähnten Episoden die Haupthandlung in einem Maße überlagern, wie es für die von Cavalli und Cesti vertonten Libretti Cicogninis, Butis u.a. untypisch ist. Offensichtlich ging es Bontempi primär um die Darstellung vielfältiger Spielarten der Liebesthematik – ein ganz auf den Anlass abgestimmtes »musikalisches Liebesspiel«, das sich als teils humorvoller, teils moralisierender Spiegel für Brautpaar und Hofgesellschaft verstehen lässt. Die Parallelsetzung von Paris und Helena mit den Brautleuten wird etwa in Szene 8 des 4. Akts deutlich, in der sich ein Rekurs auf das Beilager-Zeremoniell erkennen lässt, das sich an die Trauung angeschlossen hatte:41 »Helena überwunden, von so mächtigem Anfalle, wirft sich auff das Bette, und macht aus ihren Armen eine Liebes-Kette, um des Paris Hals; Und indem sie einander küssen, macht Amor die Fürhänge zu, und geht aus den Gemächern.«42 Passend zu der Eigenständigkeit und Neuartigkeit des Werks hat Bontempi für den Text und die geschilderten Episoden offenbar keinerlei Vorlagen aufgegriffen. Eine bemerkenswerte Ausnahme betrifft allerdings die 6. Szene des 1. Akts, in der ein prominentes literarisches Vorbild anklingt: Jupiters Benennung des Schiedsrichters, die erste Erwähnung des Paris in der Oper überhaupt, kleidet er in die Worte Clizios aus dem 2. Gesang von Giovan Battista Marinos 1623 veröffentlichtem, zwischenzeitlich weit verbreitetem Epos Adone, die dort ebenfalls im Zusammenhang mit der Schilderung des Parisurteils fallen.43 Das an zentraler Stelle eingestreute Zitat inszeniert dabei nicht nur den literarischen Anspruch Bontempis und appelliert an die Belesenheit des Publikums, sondern lässt sich zugleich als sprachliche Überhöhung der Titelfigur verstehen, die im Kontext der Festaufführung mit dem Bräutigam assoziiert werden konnte. Die Singularität dieser literarischen Anspielung, die sich in den literarischen Wissenstransfer der Zeit einordnen lässt, bildet damit eine subtile Reverenz an Christian Ernst und eine Zurschaustellung von Bontempis literarischem Talent, das ansonsten ohne Anleihen an Vorbilder auskommt. Manches deutet zusätzlich darauf hin, dass Bontempis Paride komplementär zu einer weiteren Oper für die Hochzeit angelegt war, dem Ende November oder 41 Deppe, 2006, S. 98. 42 Bontempi, 1662 (1970), ohne Pag. 43 Dort heißt es in der 60. und 61. Ottava: »Pastor vive tra̓ boschi in Frigia nato […] Sconosciuto si sta nel patrio regno | dove il Gargaro altier s’estolle in Ida.« Bontempi zieht diese Verse zusammen zu: »Dove il Gargaro altier s’estolle in Ida, | Vive Pastor tra̓ boschi in Frigia nato.« 72

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Anfang Dezember 1662 in Bayreuth anlässlich der »Heimführung« der Braut aufgeführten Singspiel Sophia, von dem sich lediglich der Text von Sigmund von Birken erhalten hat.44 Ähnlich wie Paride in Dresden stellte auch diese Oper des prominenten Barockdichters und Mitglieds der Fruchtbringenden Gesellschaft für Bayreuth ein musiktheatrales Novum dar, hier sogar die erste Opernaufführung überhaupt. Anders als sein Ballett der Natur für denselben Anlass offenbar ohne Auftrag des Hofes verfasst, verstand Birken seine Sophia als programmatischen Beitrag zur Gattung, da es »ein Beispiel vor Augen [lege], wie man sonder mit Heidnischen Götzen sich zu schleppen, welches einem Christlichen Schauplatz sehr übel anstehet, dergleichen Singspiele anordnen könne«.45 Diese Überlegung spiegelt die potentiellen Bedenken der Hoftheologen auch in Dresden und könnte für Bontempi leitend gewesen sein: Zwar erfolgte in Paride kein gänzlicher Verzicht auf mythologisches Personal, da das Sujet dies unmöglich machte, allerdings unterscheidet sich das Libretto von den meisten anderen Stoffbearbeitungen des 17. Jahrhunderts dadurch, dass nach dem Urteilsspruch keine Gottheiten mehr auftreten – ganz anders etwa als in Cestis Wiener Pomo d’Oro, dessen zahlreiche Nebenhandlungen fast ausschließlich von Göttern bestritten werden. Als kalkulierte Verschränkung lässt sich ferner die reziproke Wahl der titelgebenden Figuren verstehen: Der in Bayreuth eindeutig auf die sächsische Braut bezogenen Sophia stünde demnach in Dresden Paris gegenüber, der sich mit dem Bayreuther Markgrafen Christian Ernst identifizieren lässt. Für eine derart abgestimmte Konzeption der Festaufführungen in Dresden und Bayreuth spricht zudem die Tatsache, dass Bontempi an der musikalischen und szenischen Realisierung von Birkens Ballet der Natur beteiligt und folglich in Bayreuth persönlich anwesend war.46 So bot die Fürstenhochzeit Anlass zu zwei musiktheatralen Experimenten in Dresden und Bayreuth, und die Kon44

Zu Entstehung und Anlage vgl. Silber, 2000, S. 347-423. Eine Einordnung Birkens in die deutsche Singspieldichtung bietet Wade, 1990. 45 Zitiert nach Silber, 2000, S. 354. 46 So notierte der Bayreuther Kammerrat Christian von Ryssel am 17. November 1662, der sächsische Kurfürst schicke »einen Italienischen Capaun, umb das Theatrum recht einZurichten, woran er noch viel zu verbessern gedenket. Es war zu wünschen, daß er solch lied singen könnte [gemeint ist ein Lied, das von Birken als Einlage gedichtet hatte], allein er kan nicht wohl teutsch, hat sich aber erboten, einen hiesigen schulKnaben so viel möglich in etwas abZurichten, wann nur die Aria bald hier were.« Zitiert nach: Kröll, 1967, S. 249. Auch zehn Jahre später scheint man Bontempi für die musikalische Gestaltung des Balletts »Sudetische Frülings-Lust« von Sigmund von Birken anlässlich der zweiten Hochzeit 73

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kurrenz, in die sich Bontempi damit zu Birken begab, erklärt zugleich den erheblichen poetologischen Rechtfertigungsaufwand, den der Italiener in seiner Vorrede betrieb. Große Energie wurde auch in die publizistische Arrondierung des Ereignisses investiert.47 Zu Il Paride wurde ein zweisprachiges Libretto im Quartformat hergestellt, wie es später häufig begegnet. Zum Zeitpunkt der Aufführung allerdings waren Übersetzungen italienischer Opern ungewöhnlich. Die Vermutung liegt nahe, dass man sich in Dresden an den Librettodruck zu Cavallis Hochzeitsoper für Ludwig XIV. Ercole amante anlehnte, die im Februar 1662 in Paris uraufgeführt worden war: Dieser Druck orientierte sich auffallend an der Praxis der öffentlichen Theater in Italien, indem er sich auf das handliche Quartformat beschränkt, auf jegliche Widmung verzichtet und den Anlassbezug lediglich auf der Titelseite herstellt.48 Neue Wege wurden jedoch mit dem erstmaligen Abdruck einer vollständigen französischen Übersetzung beschritten, die sicherlich von Kardinal Mazarin angeregt worden war, um dem französischen Publikum den Mitvollzug zu ermöglichen und damit die Akzeptanz der am Hof sehr umstrittenen italienischen Oper zu erhöhen. Eine Anknüpfung an diese Bemühung um den Sprachtransfer bot sich in Dresden also in doppelter Hinsicht an: Zum einen zog man mit dem Hof Ludwigs XIV. gleich, zum anderen war die Übersetzung angesichts der mangelnden Vertrautheit weiter Teile des Dresdner Publikums mit der fremdsprachigen Gattung ein probates Mittel der Etablierung. Dass zusätzlich auch ein rein italienischsprachiges Libretto entsprechend dem generellen Usus49 sowie einige zweisprachige Exemplare im Folio-Format überliefert sind,50 lässt wiederum die Orientierung an einer in Wien bereits etablierten Praxis großformatiger Libretti vermuten. Einen Sonderfall anderer Art stellt der Partiturdruck dar, der einige Zeit nach der Aufführung erschien. Auch er ist prinzipiell kein Novum, sondern knüpft an die Praxis der frühen Opernpartiturdrucke an, die in den 1660er Jahren jedoch

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des Markgrafen herangezogen zu haben, vgl. Pegah, 1999, S. 163. Mein Dank gilt Herrn Rashid-S. Pegah für diese Hinweise. Teile des folgenden Abschnitts sind eine überarbeitete Übernahme von Pietschmann, 2016. Ballard, 1662. Bergen, 1662a (vgl. etwa das Exemplar Boston, Public Library, ML50.2.P37 1662x). Bergen, 1662b (vgl. etwa die Exemplare Halle, Universitäts- und Landesbibliothek, AB 177274 (14) sowie Wolfenbüttel, Herzog August-Bibliothek, H: P 500.2° Helmst.).

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längst obsolet war. Obwohl Drucker und Jahr nicht angegeben sind, ist die Herstellung durch Melchior Bergen um das Jahr 1671 anzunehmen. In der Vorrede an den Leser begründet Bontempi die Drucklegung mit der starken Nachfrage nach Partiturabschriften, die ihn seit der Aufführung 1662 erreicht habe.51 Wie glaubwürdig diese Mitteilung ist, lässt sich nicht überprüfen. Dass sich keine einzige handschriftliche Kopie der Partitur erhalten hat, kann auch verlustbedingt sein. Es kann also nicht ausgeschlossen werden, dass die Oper tatsächlich solchen Zuspruch erfahren hatte, dass Bontempi die erfolgreiche Implementierung der Gattung durch ihre Drucklegung zu untermauern trachtete. Da zwischenzeitlich auch das von Bontempi konzipierte Opernhaus zur Hochzeit des Kurprinzen 1667 mit Il Teseo (vertont vom kaiserlichen Kapellmeister Pietro Andrea Ziani) eröffnet worden war,52 bot sich ein zusätzlicher Anlass, die Inkunabel der italienischen Oper in Dresden zu drucken. Dass Bontempi sich mit dem Druck noch weitergehend in die Ahnenreihe der Pioniere der Gattung einzuschreiben trachtete, lässt die Aussage in der Vorrede vermuten, die Oper solle auf dem »Teatro del Mondo« präsentiert werden,53 denn sie knüpft unmittelbar an eine analoge Formulierung im Partiturdruck von Monteverdis L’Orfeo von 1608 an. Zugleich ließ sich der Druck aus Sicht des Hofes zur Propagierung des Opernstandortes Dresden und der Erinnerung an den Entstehungsanlass einsetzen. Da den meisten Exemplaren der Partitur das Libretto vorangestellt ist, sollte offenbar eine unmittelbare Verbindung zu dem Aufführungsanlass suggeriert und damit die Widmung des Librettos an das Brautpaar implizit übernommen werden. Damit lässt sich der zeitlich nachgelagerte Druck auch als Reaktion auf den enormen publizistischen Aufwand werten, der im Zusammenhang mit der Wiener Hochzeitsoper von 1668, Cestis Il pomo d’Oro, betrieben worden war, aber eben keine Drucklegung der Partitur einschloss. Der Paride-Druck lässt sich vor diesem Hintergrund als Überbietungsversuch deuten, der durch die Reaktivierung der obsolet gewordenen Verbreitungsstrategie dem Hofkünstler Bontempi zugleich einen Entfaltungsraum eröffnete, der unmittelbar an Heinrich Schütz anknüpft: Dieser war bekanntlich in Portraits und Musikdrucken als Dresdner Hofkomponist und damit künstlerischer Repräsentant des Fürsten51 Bontempi, 1662 (1970), ohne Pag. 52 Vgl. Seifert, 1985. 53 Bontempi, 1662 (1970), ohne Pag. Das diesem Facsimile zugrunde liegende Exemplar (nicht identifiziert, vermutlich Museo internazionale e Biblioteca della musica di Bologna) enthält die Vorrede in Italienisch und Deutsch, das Exemplar der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel lediglich in Italienisch. 75

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hauses inszeniert worden.54 Dass kurz vor dem erwartbaren Ableben des greisen Schütz die Paride-Partitur erschien und Bontempi zudem gemeinsam mit Peranda im selben Jahr eine Neuvertonung der Dafne, die 1627 von Schütz und Opitz realisiert worden war,55 ins Werk setzte, deutet auf die Inszenierung einer Stabübergabe von dem italienisch beeinflussten deutschen Komponisten zu dem in Dresden gleichsam naturalisierten Italiener. Bontempis Il Paride erweist sich damit als geglücktes Experiment eines Gattungstransfers, der zentrale stilistische Elemente der venezianischen und römischen Oper übernimmt und sie dramaturgisch dergestalt anpasst, dass sie dem protestantischen Dresdner Publikum besser vermittelbar wurden. Die zweisprachigen Librettodrucke und ästhetischen Positionierungen in der Vorrede verfolgten dasselbe Ziel und reagierten zugleich auf das Repräsentationsbedürfnis des Hofes sowie Bontempis künstlerischen Profilierungsdruck. Im Zusammenhang mit der Frage nach der Etablierung von musikalischen Wissensbeständen kommt diesem Vorgang dabei insofern besondere Relevanz zu, als sich hier die mehrschrittige Implementierung einer Jahrzehnte zuvor in Italien etablierten und am Kaiserhof bereits adaptierten musiktheatralen Praxis beobachten lässt, die sich eines bereitliegenden Medienarsenals bedient und es der spezifischen Situation in Dresden anpasst. Der langfristige Erfolg dieser planvoll betriebenen Operation unterscheidet sich signifikant beispielsweise von der Situation in Paris, wo Mazarins durchaus vergleichbare Bemühungen scheiterten, und ebnete Dresden das prestigeträchtige Terrain für die langfristige Konkurrenz mit dem Kaiserhof auf dem Opernsektor. Erst 1832 wurde das italienische Departement am Dresdner Hoftheater aufgelöst.

Historia Musica (1695) In seiner Historia Musica wandte sich Bontempi in seinen letzten Lebensjahren musikalischen Wissensbeständen im engeren Sinne zu und brach dabei in mancher Hinsicht mit etablierten Konventionen.56 Erstmals war es ein ausübender Musiker ohne nennenswerte Ausbildung und Lehrerfahrung, der die Kompetenz für ein derart ambitioniertes Unternehmen allein aufgrund seiner praktischen 54 Für einen Überblick vgl. Steude, 1985/86. Im Falle Cavallis in Paris und Cestis in Wien war derlei stets unterblieben. 55 Vgl. Anm. 24. 56 Bei Teilen dieses Abschnitts handelt es sich um überarbeitete Übernahmen aus: Pietschmann, 2015b. 76

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Kenntnisse und seiner Weltläufigkeit beanspruchte. Dass er in Dresden zuvor auch der Tätigkeit eines Historiographen nachgegangen war, dürfte das zweite, noch signifikantere Alleinstellungsmerkmal seiner Schrift bedingen: Erstmals nämlich wurde hier eine große Abhandlung über die Musik insgesamt als »Historia« angelegt.57 Damit beschritt Bontempi hinsichtlich der Produktion bzw. Ordnung von musikalischem Wissen neue Wege, die durch seine Vernetzung am Dresdner Hof wesentlich beeinflusst waren. Gleichzeitig wahrte er enge Verbindungen zu seiner Heimatstadt Perugia, wo er sich im Alter niederließ und seine Historia Musica publizierte. Dieser räumliche Spagat und die spezifische Anlage seiner Schrift wiederum stellen wesentliche Voraussetzungen für die Wahrnehmung und damit den Transfer der entsprechenden Wissensbestände in den frühneuzeitlichen Gelehrtendiskurs dar. Es zeichnet sich damit ein komplexer Wissenstransfer ab, der auf einer räumlich-akteursbezogenen, einer methodischen sowie einer diskursorientierten Ebene angesiedelt ist und wichtige Aufschlüsse über die spezifischen Voraussetzungen der Zirkulation musikalischer Wissensbestände im 17. Jahrhundert birgt. Dass bei dieser Neuordnung die innovative Anreicherung eine untergeordnete Rolle spielt, ist wesentlich dafür verantwortlich, dass Bontempi und seine Historia Musica im Fachdiskurs zur Geschichte der Musiktheorie stets ein Schattendasein fristeten.58 Dies erklärt sich auch daraus, dass Bontempi in keine erkennbare Verbindung zu deutschen Musiktheoretikern trat, die mit ihrer regen Publikationstätigkeit einen in sich weitgehend geschlossenen Wissensraum ausprägten. Anknüpfend an den erwähnten, Schütz gewidmeten Kompositionstraktat von 1660 hätte eine Kontaktaufnahme durchaus nahegelegen, jedoch deutet nichts darauf hin, dass Bontempi etwa mit Christoph Bernhard oder dem Sorauer Kantor Wolfgang Caspar Printz im fachlichen Austausch stand, obwohl letzterer 1690 sogar eine Historische Beschreibung der Edelen Sing- und Kling-Kunst herausbrachte, die neben der Historia Musica als erste monographische Musikgeschichte 57 Die frühneuzeitliche Genese einer eigenständigen Musikhistoriographie muss derzeit jedoch als nur unzureichend untersucht gelten; eine umfassende Studie zu dem Themenfeld bereitet derzeit Kai Schabram (Weimar) vor. Für einen allgemeinen Überblick mit Hinweisen zu weiterführender Literatur vgl. Knepler, 1997. Vgl. ferner Gallo, 1986. 58 Charakteristisch etwa die vollständige Aussparung Bontempis in Allen, 1939 oder seine abqualifizierende Erwähnung in Knepler, 1997, Sp. 1308. Knapp, aber profund demgegenüber die Verortung Bontempis innerhalb der italienischen Musiktheorie seiner Zeit durch Groth, 1989, S. 315f. Vgl. auch Bontempi, 2010. 77

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überhaupt gilt.59 Bernhard wiederum geht in seinem Tractatus compositionis augmentatus60 sogar auf Kompositionen Bontempis ein. Dieser Befund zeugt von der Abgeschlossenheit des deutschen musiktheoretischen Fachdiskurses, auch wenn dessen Relevanz für die Rezeption aktueller und älterer stilistischer Entwicklungen in Italien außer Frage steht.61 Bontempis historischen Schriften dürfte für seine Historia Musica eine propädeutische Rolle zukommen.62 Signifikant erscheint die ausgeprägte Orientierung an anerkannten Historiographen wie Saxo Grammaticus, Albert Krantz oder Petrus Albinus im Falle der Sachsengeschichte bzw. an Diarien, Prozessakten, Relationen und Briefen für die Darstellung des Magyarenaufstandes. In beiden Fällen nimmt Bontempi größtmögliche Detailgenauigkeit der Darstellung und Objektivität in Anspruch: »Ma crescendo poi giornalmente le particolarità de̓ successi, aggiungendo una relatione all’altra: si convertirono poi tutte insieme nel racconto della presente Historia; che tanto appunto contiene, quanto m’è potuto pervenire a notitia« – so heißt es etwa in der Vorrede zur Historia della rebellione d’Ungheria.63 Objektivität ist auch Bontempis erklärtes Anliegen bei der Abfassung der Historia Musica: »L’historico narra, non giudica«, äußert er im Nachwort.64 Entsprechend dieser Maxime wählt er eine in dieser Form vorbildlose Darstellungsweise. In die knappe Abhandlung der einzelnen Gliederungspunkte werden mitunter sehr ausführliche Kommentare eingestreut, die als corollari bezeichnet werden und im Wesentlichen den eigenständigen Anteil der Darstellung ausmachen. Mit dieser Strategie schützt sich der Autor vordergründig vor Angriffen, die ihm fehlende Sachkompetenz zum Vorwurf machen; diesen Makel spricht er im Vorwort offen an: »havendo di questa Scientia professato solamente quella parte, che comprende il Canto«.65 Daher habe er sich in der »parte historica« auf die Wiedergabe von Äußerungen anerkannter Autoren beschränkt, während die corollari »altro non contengono, che i nostri discorsi«66 und folglich ohne Verlust ungelesen bleiben können. 59 60 61 62 63 64 65 66 78

Printz, 1690 (1964). Vgl. Anm. 18. Vgl. etwa Fiebig, 1980. Eine nähere Einordnung dieser Texte stellt freilich ein Desiderat dar. Vgl. allenfalls Brumana, 2010, S. VIf. Angelini, 1672, S. 2f. Bontempi, 1695 (1976), S. [279]. Ebd., S. [III]. Ebd., S. [IV].

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Die mit diesem Verfahren realisierte Methode der strikten Trennung zwischen objektiver Darstellung und Kommentar stellt ein Novum im musiktheoretischen Schrifttum dar und findet sich allenfalls in glossierten Handschriften bzw. kommentierten Ausgaben antiker Autoren vorgeprägt. Die darstellenden Teile stützen sich auf eine umfassende Quellenbasis und ziehen insbesondere auch aktuelle, viel gerühmte Anthologien wie Marcus Meiboms Antiquae musicae auctores septem (Amsterdam 1652) oder Johann Heinrich Alsteds Scientiarum omnium encyclopaediae (Lyon 1649) heran.67 Die corollari wiederum weisen ein denkbar breites inhaltliches Spektrum auf, das von vertiefenden Kommentaren im engeren Sinne über polemische Auseinandersetzungen mit zeitgenössischen Publikationen bis hin zu Ausführungen zum eigenen persönlichen Werdegang und Schaffen reicht.68 Dabei spielt die Begriffsverwendung corollario offenkundig mit dem ihr innewohnenden Doppelsinn: Denn während der Begriff im allgemeinen Sprachgebrauch einen bloßen Zusatz bezeichnet, wurde er in der Mathematik und Logik für Aussagen verwandt, die sich ohne weitere Beweisführung aus schon bewiesenen Sachverhalten ergeben.69 Implizit beansprucht Bontempi durch die Begriffsverwendung also einen zwingenden logischen Zusammenhang zwischen den objektiv darstellenden Abschnitten und seinen Einlassungen, denen auf diese Weise die im Vorwort angesprochene fehlende Autorität dann doch eingeschrieben und gegenüber einem breiter gebildeten Publikum beansprucht wird. Das eigentliche Novum besteht jedoch in der historischen Aufarbeitung musiktheoretischer Wissensbestände an sich. Als traditionell im quadrivialen Wissenschaftskanon verankerte Lehre von der harmonischen Ordnung des Mikro- und Makrokosmos war die Musik kein Gegenstand, dem eine geschichtliche Dimension beigemessen wurde. Zwar wurden beginnend mit den im Jahr 1600 erschienenen Exercitationes Musicae Duae des Seth Calvisius gelegentlich Abschnitte zur Genese und Entwicklung der Musik als Wissenschaft in die Traktatliteratur eingefügt,70 allerdings wird in Bontempis Historia Musica ein solcher Ansatz erstmals konsequent einer monographischen Darstellung der 67 Eine ausführliche Würdigung der von Bontempi herangezogenen Quellen bietet Ciliberti, 2005. 68 Vgl. Pietschmann, 2013 sowie Annibaldi, 2013. 69 In der zeitgenössischen 3. Edition des Vocabolario degli Accademici della Crusca (Florenz: Accademia della Crusca 1691, S. 415) wird »corollario« einerseits als »Aggiunta« definiert, zum anderen heißt es: »Corollario è una conclusion vera, che discende dalle cose dette di sopra.« 70 Zum Musikgeschichtsverständnis des Calvisius vgl. Schabram (in Vorb.). 79

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antiken, mittelalterlichen und jüngeren Musiktheorie zugrunde gelegt.71 An der getrennten Behandlung der spekulativen musica theorica und den Regularien der musica practica wie Tonartenlehre, Kontrapunkt sowie Notation hält Bontempi fest, so dass sich einzelne Teile der Schrift durchaus noch wie traditionelle Abhandlungen zur Musik lesen,72 jedoch ist die Hauptgliederung in eine mehrteilige Darstellung der antiken Theorie und Praxis sowie eine zweiteilige Behandlung der »Pratica moderna« ohne Vorbild. Speziell in der Behandlung spätmittelalterlicher, längst außer Übung geratener Notationsformen unterscheidet er sich grundlegend nicht nur von dem deutschen Musikschrifttum seiner Zeit.73 Die auf theoretische und kompositionstechnische Aspekte beschränkte Darstellung wird zwar in einigen corollari um unsystematische Beobachtungen zur zeitgenössischen Praxis der musikalischen Ausbildung und Performanz erweitert, allerdings verzichtet Bontempi auch hier auf stil- oder gattungsgeschichtliche Beobachtungen sowie die Beurteilung von Komponisten, wie sie in der Musiktheorie seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert zunehmend zur Regel geworden waren. Insofern stehen die innovative Systematik der Anlage und der Verzicht auf stilistische Werturteile innerhalb des engeren musiktheoretischen Diskurses der frühen Neuzeit isoliert. Dies veranlasste den Musikwissenschaftler Alberto Gallo dazu, die Historia Musica in der Nähe der von Plinius grundgelegten und von Thomas Hobbes ausführlicher beschriebenen »Historia naturalis« anzusiedeln.74 Hier scheint freilich Skepsis angebracht, denn es geht Bontempi gerade nicht um eine systematische Klassifizierung aller musikalischen Phänomene, wie sie beispielsweise Athanasius Kircher in der Musurgia Universalis vornahm. Vielmehr weist die Historia Musica auffällige Parallelen zu wissenschaftshistorischen Ansätzen in anderen Disziplinen des ausgehenden 17. Jahrhunderts auf, so beispielsweise zu dem historischen Abriss der Geschichte der Mathematik im Tractatus proemialis de progressu matheseos, den Claude François Milliet 71 Eine solche Epochengliederung findet sich bereits bei Calvisius vorgeprägt. Eine gewisse Vorbildrolle für diesen historiographischen Ansatz kann zudem auch Giovanni Battista Donis De praestantia musicae veteris (Florenz 1647) zugeschrieben werden, vgl. Kümmel, 1967, S. 23. Mein Dank gilt Kai Schabram für diesen Hinweis. 72 Zu der enthaltenen Kontrapunkt- und Kompositionslehre im zweiten Teil der »Practica Moderna« vgl. etwa Apfel, 1981, S. 451-460. 73 Vgl. hierzu auch Jahn, 2001. 74 Gallo, 2001. Vgl. Brumana, 2010, S. VIIf. 80

Bontempi als ungewöhnlicher Akteur im musikalischen Wissenstransfer

Dechales seinem 1690 erschienenen Cursus seu mundus mathematicus vorangestellt hatte.75 Damit wiederum erwies sich Bontempis Historia Musica als außerordentlich anschlussfähig im breiteren Wissenschaftsdiskurs. Dies belegt allein schon die ausführliche Rezension in den Acta Eruditorum des Jahres 1696. Dass die führende Gelehrtenzeitschrift im Reich eine musikspezifische Publikation ausführlich besprach, darf als ungewöhnliche Ausnahme bezeichnet werden, waren doch seit ihrer Gründung im Jahre 1682 insgesamt erst vier Neuerscheinungen mit Musikbezug rezensiert worden, und auch nachfolgend änderte sich daran wenig. Ein wesentlicher Grund für dieses Desinteresse klingt in den einleitenden Worten an: »Obwohl sich unter den neueren Veröffentlichungen zahlreiche finden, die von der ›Musica Harmonica‹ handeln, reüssierten nur wenige, da sie eher von eigenen Mutmaßungen geleitet waren, als dass sie den alten Autoritäten der Musik nachfolgten […]. Um nicht denselben Fehler zu begehen, wählte Johannes Andreas Angelini Bontempi, den wir wegen seiner musikalischen Kompetenzen und Kenntnisse als Kapellmeister des Kurfürsten Johann Georg II. in Erinnerung haben, diese als einzige Führer bei der Abfassung seiner Historia Musica.«76 Die bereits konstatierte Randständigkeit musiktheoretischer bzw. -ästhetischer Publikationen um 1700 war in Verbindung mit ihrer speziellen Ausrichtung, ihrer subjektiven Perspektive sowie mangelnder wissenschaftlicher Methode offenkundig dafür verantwortlich, dass diese Schriften innerhalb des frühneuzeitlichen Gelehrtendiskurses als nicht anschlussfähig erachtet wurden.77 Es zeigt sich, dass der von Bontempi geleistete Methodentransfer einer historisch ausgerichteten Darstellung zur Theorie und Praxis der Musik einen wesentlichen Beitrag dazu leistete, dass die an den Gegenstand geknüpften Wissensbestände für breitere Gelehrtenkreise im Reich und darüber hinaus 75 Bottazzini, 2002, S. 66. Vgl. auch Bromberg, 2010, S. 173. 76 »Quamvis bene multos reperias ex recentioribus qui de Musica Harmonica sunt commentati, paucissimi tamen in hoc argumento feliciter versati fuerunt, suis scilicet ducti conjecturis potius, quam veteres secuti Musicae principes […]. Ne ergo in eundem offenderet lapidem, hos sibi duces unicos elegit in Historia Musica […] scribenda Dn. Joh. Andreas Angelini Bontempi, Perusinus, quem tum ob artis Musicae praestantiam, tum ingenii elegantie doctrinam, gratia Serenissimi quondam ac Potentissimi Saxoniae Electoris Joh. Georgii II floruisse, choro musico aulico praefectum, meminimus.« Grossius/Fritschius, 1696, S. 241. 77 Vgl. für einen umfassenden Überblick zur deutschen Musiktheorie des 17. Jahrhunderts Braun, 1994. 81

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diskursfähig wurden. Er erweist sich damit als gewandter Akteur, der sich nicht mit dem Ansehen als Sänger und Komponist und dem dadurch erworbenen Status begnügt, sondern in neue Wissens- und Kompetenzbereiche wie insbesondere die Historiographie vordringt und diese auf den Gegenstand der Musik überträgt – mit dem Erfolg einer über den spezifischen Fachdiskurs weit hinausgehenden Anerkennung innerhalb einer übergeordneten Wissenschaftskultur, wie sie sich in den Acta Eruditorum repräsentiert findet. Der dabei geleistete Wissenstransfer ist zwar durch räumlich verortete personelle Netzwerke im Reich und Italien begünstigt, vollzieht sich im Kern aber auf einer methodischen Ebene, die sich von den lokalen Wissensräumen des Musiktheoriediskurses gerade als unabhängig erweist.

Bontempis Wissenstransfer-Verständnis im Spiegel seiner Kircher-Polemik Die Vielseitigkeit Bontempis, die im gegebenen Rahmen nur ausschnitthaft beleuchtet werden konnte, gemahnt an das Polymathentum des 17. Jahrhunderts. Auch wenn das Spektrum seiner Kenntnisse und Betätigungsfelder hinter Größen wie Marin Mersenne oder Athanasius Kircher zurückblieb, so begriff er selbst sich als umfassend begabten Menschen, dessen Kompetenzen über die praktische Musikbetätigung weit hinaus reichten und mit den Anforderungen am Standort Dresden kompatibel waren. Dieses Selbstverständnis artikuliert Bontempi ungewöhnlich deutlich im Rahmen seiner Kircher-Polemik am Ende des ersten Teils der »Practica Antica« seiner Historia Musica, bei der es sich streng genommen eher um eine Kritik an Meiboms Kircher-Polemik handelt, wie bereits Claudio Annibaldi zu Recht bemerkt hat.78 Nachdem Bontempi Kirchers Ausführungen zur Enharmonik in einem Nebensatz abqualifiziert hat, da sie irrigerweise mit einem Kontrapunktverständnis bei den antiken Autoren rechneten, zitiert er Marcus Meiboms bekanntes Dictum: »Musicam Graecam disciplinam, quam hactenus Graece doctissimorum virorum vix ullus attrectare ausus fuit, sine ulla, ferme Graeca literatura, nullo Graecorum Musicorum lecto, tradere adgressus est vir Cl. Athanasius Kircherus. Fateor non tantum me miratum, ex celeberrimo orbis terrarum loco, Roma, tantum ineptiarum adferri potuisse; sed etiam a tantae famae 78 Zu Meiboms Kircher-Kritik vgl. Bianchi, 2011, S. 47-61 u. passim; Scharlau, 1969, S. 356f.; Annibaldi, 2013, S. 60. 82

Bontempi als ungewöhnlicher Akteur im musikalischen Wissenstransfer viro. Quod si ita in literarum studiis & antiquitatis pergatur, converso rerum ordine, barbariem ex Italia, politissimae gentis sede, in omnem Europam diffusam videbimus.«79

Meiboms Schmähung, Kircher habe keine griechischen Autoren herangezogen, lässt Bontempi unkommentiert und bekundet seine prinzipielle Zustimmung lediglich durch die nachfolgend stereotyp verwendete Formulierung »le sciocchezze di Kirchero«; ihm geht es vielmehr um Meiboms Betonung der Verortung Kirchers und seiner Studien in Rom, was einen erfolgreichen deutschitalienischen Wissenstransfer impliziert. Dieser hält er Kirchers Distanz von römischen Gelehrtentraditionen sowie die vollkommene Eigenständigkeit der »insegnamenti de̓ Professori Romani« entgegen, die er selbst genossen habe und folglich bestens kenne. Umgekehrt seien seine eigenen »Imperfettioni sotto l’impressione delle Stampe Tedesche« (die er nachfolgend minutiös aufzählt) keineswegs unter dem Eindruck deutscher Gelehrter entstanden, und er folgert: »Le nostre Imperfettioni, sono quelle stesse che Noi conducemmo d’Italia in Germania: Le Sciocchezze del Kirchero, quelle stesse sono ch’Egli condusse di Germania in Italia.« Entsprechend müsse auch das Dictum Meiboms dahingehend abgeändert werden, dass es sich bei der Musurgia um »barbariem ex Germania« handele. Die Weitschweifigkeit, mit der Bontempi diese recht holzschnittartige Argumentation vorbringt, und ihre prominente Verortung innerhalb der Schrift (mit eigenem Verweis im ansonsten recht knappen Register) dokumentieren die emotionale Grundierung seiner Überzeugung, dass als einzige Grundlage für seine in Dresden entstandenen und gedruckten Werke die in Rom genossene Ausbildung in Frage komme und Einflüsse von »Letterati eruditissimi di Germania« kategorisch auszuschließen seien. Bei dieser Emotionalität mag durchaus ein ambivalentes inneres Verhältnis zu dem mehr als zwanzig Jahre älteren Kircher mitschwingen, mit dem Bontempi während seiner römischen Ausbildungszeit in Kontakt gekommen sein könnte und an dessen Komponiermaschine er in seinem Traktat Nova quatuor vocibus componendi methodus unmittelbar anknüpfte.80 Ebenso ist der apologetische Impetus dieses Statements eines im Alter nach glanzvoller Karriere in seinen Geburtsort Zurückgekehrten in Rechnung zu stellen.81 Trotzdem spricht aus dem Passus höchst beredt Bontempis Eigenwahr79 Bontempi, 1695, S. 170. 80 Klotz, 2006, S. 246 u. passim. 81 In der Überschrift heißt es explizit: »Corollario XIII. Apologetico«. Bontempi, 1695 (1976), S. 168. 83

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nehmung als prominenter Akteur im Kontext der deutsch-italienischen Musikbeziehungen: Er sieht seine Rolle im Transfer musikalischer Wissensbestände nicht von einem Geben und Nehmen, sondern durch ein statisches Wissen und Kompetenzspektrum geprägt, das in Rom geformt wurde und nachfolgend in Dresden lediglich zur Anwendung gelangte. So vielfältig also die Anzeichen für musikkulturelle Austauschprozesse und länderübergreifende Synthesen im Falle Bontempis auch sein mögen, er selbst betrachtete sein Wirken als Einbahnstraße.

Abstract The singer, composer, stage designer, historiographer and theoretician Giovanni Andrea Angelini Bontempi prominently represents the close relationship between the Italian and German musical spheres. After first stages of his career in Rome, Munich, and Venice he spent about 30 years at the electoral court in Dresden in different roles before he went back to his native city Perugia. His capability to enter and utilize artistic and intellectual networks becomes evident when his Historia Musica (1695) and his Historia dell’origine de‹ Sassoni (1697) are reviewed in the prestigious Leipzig periodical Acta Eruditorum shortly afterwards. The present chapter gives an updated overview on Bontempi’s career and examines his Il Paride (1662), the first Italian opera written for a Protestant court, as an example for the fusion of Italian operatic customs with ritual and textual requirements in Dresden. Furthermore, the treatise Historia Musica is characterized as a pioneering attempt to reorder musico-theoretical knowledge in a historical perspective. Bontempi’s discussion of Marcus Meibom’s criticism on Athanasius Kircher makes clear, however, that he considered only his education in Rome as fundamental for his thinking, while possible German influences are refused. Hence, Bontempi’s own understanding of the transfer of knowledge can be considered as clearly monodirectional.

Literatur Gedruckte Quellen Acta Eruditorum Anno MDCXCVI, Leipzig 1696. Acta Eruditorum Anno MDCXCVIII, Leipzig 1698. 84

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Zwischen höfischem Berater und Missionar Bruder Dominicus a Jesu Maria und die Heiligkeit der Karmeliten im Heiligen Römischen Reich 1 Rubén González Cuerva Während des Ersten Weltkriegs leitete Kaiser Franz Josef unter dem Schutz des Gnadenbildes der von den Habsburgern sehr verehrten »Maria mit dem Geneigten Haupt« in Wien feierliche Friedensgebete. Bei dem Bildnis handelt sich um ein weniger bedeutendes Werk der italienischen Renaissance, das noch heute in der Karmeliterkirche in Wien-Döbling aufbewahrt wird. Sein wundertätiger Ruhm geht auf seinen Entdecker zurück: den Unbeschuhten Karmeliterpater Dominicus a Jesu Maria, der es im Jahr 1609 aus den Ruinen des römischen Trastevere barg. Die Jungfrau soll ihn, sich für die Rettung ihres Bildnisses bedankend, angesprochen und ihm die Gnade der Seelenrettung eines jüngst verstorbenen Wohltäters der Karmeliten gewährt haben. Nach Wien gelangte das Gnadenbild während der Herrschaft Ferdinands II., der es sehr verehrte. Noch im 20. Jahrhundert vertrauten die Habsburger auf die göttlichen Kräfte, die von dem Bildnis ausgingen.2 Bruder Dominicus wird wegen seiner unterschiedlichen Rollen schon seit vergleichsweise langer Zeit das Interesse der Geschichtswissenschaft zuteil. Geboren in der aragonischen Stadt Calatayud, verwaiste er früh und wurde von einem Onkel im örtlichen Karmeliterkonvent großgezogen. 1578 nahm er den Habit der beschuhten Karmeliten in Saragossa, doch 1590 wechselte er zu den reformierten unbeschuhten Karmeliten der Heiligen Theresia von Ávila und des 1

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Die vorliegende Untersuchung wurde durch das Projekt HAR2013-44508 des spanischen Wirtschaftsministeriums (Ministerio de Economía y Competitividad) ermöglicht. Bruderhofer, 2007.  91

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Heiligen Johannes vom Kreuz. Seit seiner Kindheit erzählte man von seinen mystischen Visionen und Unterredungen mit Christus, die ihm in Valencia und Barcelona, wohin er in den 1590er Jahren beordert wurde, zu einiger Berühmtheit verhalfen. Allerdings führten diese Visionen auch zu einer Untersuchung der Inquisition, die ihn ohne formale Anklage als vermeintlichen »Vortäuscher von Offenbarungen« entließ.3 Nachdem er 1599 Prior des Konventes in Toledo und 1601 Vikar in Madrid geworden war, was ihn in Kontakt mit dem höfischen Umfeld brachte, wurde er 1604 nach Rom geschickt, um die neue Ordenskongregation der unbeschuhten Karmeliten zu verstärken. Er sollte nie mehr nach Spanien zurückkehren. Innerhalb des Ordens machte er Karriere und war schließlich zwischen 1617 und 1620 als Generaloberer tätig. Am Ende dieses Zeitraums wurde er ins Reich entsandt, nahm an der Schlacht am Weißen Berg teil und verkehrte an den Höfen in München, Wien, Nancy, Brüssel und Paris. Nach seiner Rückkehr nach Rom, wo er auf die Gunst Gregors XV. zählen konnte, erwirkte er 1622 die Heiligsprechung der Ordensgründerin Theresia von Àvila. Im selben Jahr hatte er auch großen Anteil an der Gründung und frühen Entwicklung der Kongregation für die Verbreitung des Glaubens (Congregratio de Propaganda Fide). Er starb 1630 in Wien, auf seiner zweiten Mission ins Reich.4 Die vielschichtige, in ihren allgemeinen Zügen gut bekannte Biografie von Bruder Dominicus’ kann aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln betrachtet werden. Im vorliegenden Fall wird untersucht, was die Schlüssel zum Erfolg dieser Figur in Deutschland waren: eines einzelnen Mönches, der in den Palästen und auf den Plätzen des Reiches verehrt und dessen Andenken immer wieder von verschiedenen Akteuren ihren eigenen Zwecken angepasst wurde. Weit davon entfernt, diesen zumindest vordergründigen Erfolg auf übernatürliche Ursachen zurückzuführen, scheint sich um seine Figur eine spezifische Form des Kulturtransfers zwischen dem spanisch-italienischen und dem deutschen Katholizismus entfaltet zu haben, der auf so etwas Ätherischem und Labilem wie Charisma beruhte. Pater Dominicus galt als lebendiger Heiliger und rief ebenso intensive wie kurzlebige Emotionen hervor. Das große Paradoxon besteht darin, dass trotz eines eindrucksvollen Katalogs übernatürlicher Erfolge, Visionen und Wunder sein zwischen dem 17. und 20. Jahrhundert mehrmals angestoßenes Ka3

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Alegación fiscal del proceso de fe de fray Domingo Ruzola, originario de Valencia y Barcelona, seguido en el Tribunal de la Inquisición de Barcelona, por fingidor de revelaciones, AHN, Inquisición, 3724, exp. 174. Vgl. besonders die dokumentierte Biografie von Giordano, 1991 und die detaillierte Studie von Chaline, 1999 über Dominicus’ Teilnahme an der Schlacht am Weißen Berg. Seine Phase als »Apostel des Nordens« ist dagegen weniger untersucht.

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nonisierungsverfahren nicht vorankam und er nicht einmal bis zum Status eines Seligen gelangte. Dominicus verkörpert also ein kompliziertes und unbequemes Modell der Heiligkeit, das viel über die Frömmigkeit im Frühbarock aussagt.

Spanische Mystik in der Rekatholisierung des Reiches Diese Untersuchung will zudem einige Gemeinplätze der späten Gegenreformation in Mitteleuropa (im Sinne Deutschlands oder des Reiches) in den Blick nehmen. Bei zahlreichen Gelegenheiten ist der entscheidende iberische und italienische Beitrag hierzu betont worden, auch wenn eine systematische Studie noch fehlt.5 Zuvorderst wird der Gesellschaft Jesu als dynamischem Werkzeug des Papstes und der katholischen deutschen Dynastien (vor allem der Habsburger und Wittelsbacher) eine Vorreiterrolle für die Rekatholisierung zugeschrieben, gegenüber der der schlecht ausgebildete weltliche Klerus – und andere religiöse Orden – allenfalls eine nachgeordnete Bedeutung gehabt hätten. Diese Sichtweise geht auf die Schaffung eines sehr jesuitisch gefärbten Andenkens an die beiden bedeutendsten Kriegsfürsten des Katholizismus dieser Zeit zurück, an Kaiser Ferdinand II. (1619-1637) und den bayrischen Herzog bzw. Kurfürsten Maximilian I. (1597-1651). Der Beichtvater Ferdinands II., der Jesuit Wilhelm Lamormaini, widmete dem Kaiser nach dessen Tod die einseitige Schrift Ferdinandi II. Romanorum Imperatoris virtutes (1638), in welcher die Frömmigkeit Ferdinands von seinem Gehorsam gegenüber ignazischen und jesuitischen Elementen dominiert wird, ohne seine Nähe zur Reform der Karmeliten und Kapuziner auch nur zu erwähnen.6 In ihren über die Schlacht am Weißen Berg zusammengetragenen Erfolgsschilderungen erwähnen die Jesuiten mit keinem Wort den Karmeliter Dominicus a Jesu Maria, den vermeintlich wichtigsten Helden des Feldzuges, sondern ausschließlich ihre im Kampf gefallenen jesuitischen Brüder.7 Ebenso beauftragte von bayerischer Seite aus Maximilian  I. den Jesuiten Johannes Bissel mit der Schrift Leo galeatus, die, gleich den von Johannes Adlzreitter geleiteten Annales Boicae Gentis, die Beteiligung des Karmeliters beim Feldzug am Weißen Berg verschweigt, um alles der Urheberschaft Herzog Maximilians I. zuzuschreiben.8 5 6 7 8

Hubensteiner, 1967; Huber, 2005, S. 387-414. Lamormain, 1638, Kap. XXV. Ins Spanische übersetzt bei Pellicer 1640. Giordano, 1991, S. 185. Chaline, 1999, S. 549f.

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Mikropolitische Analysen jüngerer Zeit haben die sich hier widerspiegelnde jesuitische Vormachtstellung als Ergebnis ebenso der Spaltungen im Schoß der Gesellschaft selbst – zwischen Befürwortern einer entschlosseneren Unterstützung der Habsburger oder der Wittelsbacher – wie auch ihrer komplizierten Konflikte mit anderen spirituellen Autoritäten nuanciert herausgearbeitet. Die Arbeiten Alessandro Catalanos zu Kardinal Harrach, dem Erzbischof von Prag, haben die Spannung zwischen den Jesuiten und dem Umkreis des Erzbischofs gezeigt, der sich auf andere Orden stützte, um die böhmische Gegenreformation ab 1620 anzuführen. Auf der anderen Seite mussten die Jesuiten sich in ihrer missionarischen Arbeit und besonders als fürstliche Berater mit Mönchen anderer Ordensgemeinschaften auseinandersetzen, insbesondere mit italienischen Kapuzinern, die ein lebendiges Bild wandernder Heiligkeit und einer überschwänglich charismatischen Frömmigkeit boten: (der Heilige) Lorenzo von Brindisi oder Giacinto von Casale sind die besten Beispiele.9 Auch der unbeschuhte Karmeliter Dominicus a Jesu Maria fällt unter diese Kategorie. Trotz ihrer Fixierung auf die Jesuiten als wichtigsten Strang der Ausbreitung der Gegenreformation neigen zahlreiche Arbeiten dazu, den Umlauf gedruckter volkssprachlicher Schriften als Beweis für die Akzeptanz und Verbreitung neuer religiöser Botschaften zu betonen. Sicherlich wirkte im Zeitalter der Reformation nicht die Distribution literarischer Texte als einer der wichtigsten Türöffner des kulturellen Transfers, sondern die Verbreitung religiöser Schriften, die bei weitem zahlreicher, einflussreicher und für die Herausgeber lukrativer waren. Auch wenn es sich als eher langweiliges und wenig greifbares Studienfeld erweist, finden sich die Leitbilder religiöser Hingabe und Heiligkeit im Zentrum der kulturellen Erfahrung. Wie Manfred Tietz bemerkt, stellt diese Verbreitung und Rezeption asketisch-mystischer Literatur ein in seinen Einzelheiten – inklusive der philologischen – wenig bekanntes europäisches Phänomen dar.10 In das Wiederaufleben der Mystik während der katholischen Reform, das Michel de Certeau mit großem Fingerspitzengefühl untersucht hat, fügte sich der deutsche Raum angesichts der spanischen Vorreiterrolle auf diesem Gebiet und der fruchtbareren Verbindung deutscher Netzwerke mit Frankreich oder Italien erst sehr spät ein, nämlich im Verlauf des 17. Jahrhunderts. Außerdem herrschte im Reich immer noch Latein als Sprache der Theologie vor, was die bevölkerungsreichsten Schichten ausschloss.11 Noch bei Goethe lebte die Vor9

Albrecht, 1956, S. 19-31, 49-81; Bireley, 1981, S. 35f., 121, 186, 211; Cueto, 1995, S. 249-265; Catalano, 2006, S. 105-121. 10 Gemert, 1984, S. 105; Tietz, 2004, S. 682. 11 Certeau, 1982/2006, S. 132-152; Tietz, 2004, S. 679-685. 94

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stellung einer Verbindung der systematischen Theologie mit Spanien fort, und zwar auch auf die protestantischen Universitäten bezogen: Im Faust (I, Kap. 7) rät Mephisto höhnisch einem desorientierten Schüler, er solle Logik studieren, deren strikte Form er als »spanische Stiefel« (ein Folterinstrument für Verurteilte) bezeichnet. Tatsächlich war im Reich die Vermittlung der Jesuiten im Bereich des politischen Denkens viel entscheidender als im Feld der Mystik. Trotz der frühen mystischen Erfahrungen des Heiligen Ignatius von Loyola in Katalonien pflegte die Gesellschaft Jesu später eine intellektuelle und etwas argwöhnische Herangehensweise an die unkontrollierbare und spekulative Mystik der Karmeliten, und diejenigen jesuitischen Gelehrten, die, wie Baltasar Álvarez, diesen Pfad weiterverfolgten, wurden von ihren Vorgesetzten entmachtet.12 Kürzlich ist der Eintritt mystischer Literatur spanischer Provenienz in den deutschen Sprachraum durch eine spätere Chronologie als der Erfolg einer kolonialen Vorstellung interpretiert worden, und zwar anhand des Falls der heterodox mystischen Asiatin Catalina de San Juan, die Ende des 17.  Jahrhunderts in Mexiko lebte.13 Freilich scheinen die Vorbilder näher und tragfähiger gewesen zu sein als in dieser doch eher kuriosen Episode. Die neue Strömung der mystischen spanischen Literatur des 16. Jahrhunderts, die ihre unbestrittene Hauptfigur in dem heute wenig geschätzten Dominikanerpater Luis von Granada (1504-1588) hatte, nahm man im Reich erst spät zur Kenntnis. Dennoch handelt es sich weniger um einen passiven Prozess der Rezeption als um eine komplexe diskursive Wechselwirkung: Luis von Granada stützte sich ebenso wie der Heilige Johannes vom Kreuz und andere Mystiker seiner Generation auf die rheinisch-niederländische Tradition des Spätmittelalters, die von solch einflussreichen Namen wie Thomas von Kempen, Meister Eckhart oder Johannes Tauler beherrscht wird. Bis zu welchem Punkt die deutsche barocke Mystik sich auf die tragfähige lokale Tradition berief, die von spanischen Autoren neuinterpretiert wurde, verlangt nach einer ebenso vielschichtigen wie faszinierenden Untersuchung.14 Für die Übertragung der Bücherwelt der spanischen Mystik hat man auf den Sekretär des Herzogs von Bayern Aegidius Albertinus (1560-1620) als entscheidenden Vermittler verwiesen. In den ersten beiden Dekaden des 17. Jahrhunderts übersetzte Albertinus sehr frei (man könnte auch sagen: er reinterpretierte) 12 Baruzi, 1991, S. 120f.; Steggink, 2005, S. 71-79; Certeau, 1982/2006, S. 271-274; Valentin, 2007, S. 729-738. 13 Strasser, 2007, S. 23-40. 14 Martín, 1997, S. 217-228; Pacho, 2005, S. 17-70; im Allgemeinen Gorceix, 1977. 95

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verschiedene weltliche und religiöse Autoren aus dem Spanien der Renaissance. Beispielhaft dafür steht seine Version des Guzmán de Alfarache (1615), die als Eintritt der Schelmenliteratur in den deutschen Sprachraum gilt und das Vorbild für Grimmelshausens Simplicius Simplicissimus abgab. In Wirklichkeit handelt es sich um eine moralistische und erzieherische Neuinterpretation des spanischen Originals, eine Tendenz, die sich bei seinen Übersetzungen der spanischen Mystiker wie Luis von León, Juan von Ávila oder Francisco von Osuna noch stärker zeigt.15 Merkwürdigerweise genossen, zumindest wenn man nach den Buchkatalogen geht, die inzwischen kanonisierten Autoren der mystischen Karmeliten, die Heilige Theresia von Ávila und Johannes vom Kreuz, im deutschen Umfeld einen verborgenen und späten Ruhm: Das Gesamtwerk Theresias wurden 1626 in Köln auf Latein herausgegeben – unterstützt durch ihre frühe Kanonisierung (1622) und ihr allgemeines Ansehen in der katholischen Welt –, auch wenn es bis 1649 nicht ins Deutsche übertragen wurde. Komplizierter liegt der Fall bei Johannes vom Kreuz, der erst 1726 in die Schar der Heiligen aufstieg. Sein mystisches Werk – »wegen seiner singulären Radikalität« eher hermetisch und systematisch als erlebbar – wurde bis 1697 nicht ins Deutsche übersetzt. Dennoch waren seine Arbeiten auf Latein bereits 1647 in Köln erschienen; der Konvent der unbeschuhten Karmeliten in Köln besaß im deutschen Sprachraum beinahe ein Monopol auf die Herausgabe der Schriften seiner Gründungsfiguren.16 Ein Beweis für die frühe Einbindung der kastilischen Mystik ist die Theologia mystica des Jesuiten Maximilianus Sandaeus (Mainz, 1627), eine systematische und auf den neuesten Stand gebrachte Beschreibung der Mystik und ihres Vokabulars. Ein Viertel der genannten Autoritäten sind Spanier, vor allem wird die Heilige Theresia zitiert. Dieses Werk bildet die Grundlage für das Buch Cherubinischer Wandersmann von Angelus Silesius (1657) auf dem Gipfel der barocken europäischen Mystik, weniger wegen einer neuartigen Formulierungskunst, sondern weil es eine innigliche Dichtung mit starkem emotionalem Pathos und zärtlichem Gefühl verbindet. Ebenso scheint es den Philoteus (1665) von Laurentius von Schnüffis und das Werk der bayrischen Mystikerin und Karmelitin Maria Anna Lindmayr (1657-1726) geprägt zu haben. Auch außerhalb des Katholizismus, in protestantischen Kreisen, wurde die karmelitische Mystik des Johannes vom Kreuz durchaus rezipiert, wobei man – wie beispielsweise bei Georg Philipp Harsdörffer – ihren hohen poetischen Wert anerkannte. Wie 15 Gemert, 1979; Altenberg, 2001, S. 132, 136-140. 16 Das Zitat bei Certeau, 1982/2006, S. 133. Briesemeister, 1983, S. 9-21; Gemert, 1984, S. 77-107. 96

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bei Angelus Silesius interessierten sich die zeitgenössischen Pietisten für sein intensives Erleben der Göttlichkeit, und der junge Anton Reiser, Hauptfigur des gleichnamigen Romans von Karl Philipp Moritz (1785), verbrachte seine Jugend mit der Lektüre des Heiligen Johannes. Mitte des 19. Jahrhunderts wuchs mit der Romantik und der Wiederbelebung des Katholizismus das Interesse an diesen Autoren, das sich, bereits im 20. Jahrhundert, zu einer so leidenschaftlichen Interpretation wie der Edith Steins steigerte.17 Dieser einfache, aus der Verbreitung von Druckschriften gewonnene Überblick muss durch ein anderes einzubindenden Element vervollständigt werden: die direkte und lebendige religiöse Erfahrung, für die charismatische Prediger wie Pater Dominicus a Jesus Maria sorgten. Seine aus dem Ordensumfeld stammenden Biografien und eine Reihe von Annalen, die von Zeugnissen unterschiedlicher Art bestätigt wurden, betonten den mächtigen persönlichen Einfluss von Pater Dominicus als umsichtiger fürstlicher Ratgeber und wortreicher Antreiber der Volksmassen. Dieser Gemeinplatz vom Ruf der Heiligkeit als soziale Klassen überschreitendes Element wirkte auf die Vorstellungen von Charisma, das im strengen Sinn das Erkennungsmerkmal der Spiritualität einer Kongregation ist. Es war auch im Heiligen Römischen Reich zentral für die Ausbreitung der karmelitischen Reform. Im Fall der unbeschuhten Karmeliten zeichnet es sich durch kontemplative Hingabe in Einsamkeit und strenge Armut aus, die bis zu Askese und Kasteiung auf die Spitze getrieben wird. Die davon abgeleitete Mystik betont die innere Erfahrung des Subjekts, weswegen sich die karmelitische Mystik im Gegensatz zur biblisch-paulinischen weniger auf das Objektive und den Dienst an der Kirche konzentriert als auf das Subjektive und die Stadien der Zwiesprache mit Gott.18 Dementsprechend ist es ausgesprochen schwierig, die Bedeutung von mystischen Erlebnissen für die deutsche Gegenreformation zu gewichten, doch die wichtige Rolle von Pater Dominicus a Jesu Maria lässt sich ohne sein Charisma nicht verstehen, denn sein geschriebener Beitrag war sicherlich kleiner. Neben der Verbreitung religiöser Schriften und der persönlichen Ausstrahlung religiöser Führer beruht das dritte Element der Einbindung mystischer Botschaften der Karmeliten auf der Rolle, die das Netz der theresianisch reformierten Konvente im Reich spielte. Leider verfügen wir, abgesehen vom Prager Konvent, der sich durch seine Ausgestaltung in Erinnerung an den Triumph am Weißen Berg und den weiter unten erwähnten populären Kult um das Prager 17 Tarracó, 1956, S. 95-114; Gemert, 1984, S. 102-106; Ders., 1991, S. 908-913; Tietz, 2004, S. 683. 18 Dinzelbacher, 1994, S. 282; Haas, 2004, S. 329-331; Gaitán, 2011, S. 417f. 97

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Jesulein auszeichnet, immer noch über keine detaillierte Untersuchung dieses Wirkens.19 In diesem Prozess der Gestaltung religiöser Gemeinschaften und den damit verbundenen erfolgversprechenden Heiligenkulten spielte Pater Dominicus a Jesu Maria eine zentrale Rolle. Denn nicht umsonst erhielt er die Erlaubnis, 1620 eine Reise ins Heilige Römische Reich zu unternehmen, um dort die Gründung von Konventen seines Ordens zu initiieren.

1620-30: Bruder Dominicus im Reich, Prediger und Höfling Gerade in dem Jahr, in dem Pater Dominicus a Jesu Maria die Alpen gen Norden überschritt, verwandelte sich sein Marsch in einen Triumphzug, in ein einzigartiges Ereignis. Dominicus wurde zu einer berühmten und umworbenen Figur, die geschickt zwischen gesellschaftlichen Sphären hin und herwechselte, indem sie Aufenthalte am Hof mit Predigten für das Volk verband. Endlich, nach Jahren inständiger Bitten Herzog Maximilians I. von Bayern, die schließlich noch durch dasselbe Gesuch Kaiser Ferdinands II. verstärkt wurden, hatte Pater Dominicus das Reich mit päpstlicher Legitimation erreicht. Hinter der Verzögerung verbarg sich ein Streit um die Anwesenheit des Bruders zwischen den deutschen Fürsten und Kardinal Borja, dessen Beichtvater Dominicus war und der diesen gerne von Rom nach Neapel mitgenommen hätte, wo er zum Vizekönig ernannt worden war. Letztlich gewann die deutsche Forderung die Oberhand, weil Maximilian I. und Ferdinand II. für die Ausweitung der karmelitischen Reform auf München und Wien großartige Bedingungen anboten, eine Gelegenheit, die Papst Paul V. nicht verstreichen ließ. Maximilian I. nutzte zwar die Dienste des Jesuitenpaters Adam Contzen als Beichtvater, bediente sich aber während seiner Regierungszeit ebenso der Vermittlung von Brüdern anderer Couleur: Dies galt für Wandermönche ebenso wie für Eiferer italienischer Herkunft, die im Ruf der Heiligkeit standen. Im Verlauf der 1610er Jahre griff er öfters auf den Kapuziner Lorenzo von Brindisi zurück, dessen Prestige und Heiligkeit maßgeblich dazu beitrugen, dass König Philipp III. von Spanien die bayrischen Pläne einer katholischen Liga im Reich akzeptierte. Nach dem Tod Brindisis 1619 wünschte Maximilian I. die Dienste von dessen kapuzinischem Mitbruder Giacinto von Casale, aber da dieser erkrankt war, drang er auf die Anwesenheit des Karmeliters Bruder Dominicus a Jesu Maria. Damit zeigte er eine Erweiterung seiner Horizonte und das dringende 19 Joss, 1930, S. 88-109; Weninger, 1930, S. 110-131. 98

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Bedürfnis nach spirituellen Hilfestellungen und glaubwürdigen Vermittlern vor Gott, wie es angesichts der heiklen Situation in den Anfängen des Dreißigjährigen Krieges ebenso Ferdinand II. verspürte.20 Schon kurz nach seiner Ankunft in Bayern Ende des Sommers 1620 stieß Pater Dominicus zum katholischen Heer in Böhmen, das Herzog Maximilian I. selbst anführte. Olivier Chaline hat anhand zweier Episoden sehr detailliert den Beitrag des Karmeliters zur Schlacht am Weißen Berg (8. November 1620) untersucht: Zuerst erschien er überraschend in der Versammlung des Kriegsrats, um die Generäle von der sofortigen Eröffnung der Schlacht zu überzeugen. Dann nahm er mit soldatischer Bravour an der Schlacht teil, in der er vom Rücken eines Pferdes aus die Truppen antrieb und dabei ein Kruzifix und ein von den Protestanten geschändetes Gnadenbild schwang. Bei seinem Eingreifen handelte er nicht wie ein Beichtvater oder Prediger, sondern als Prophet und Instrument Gottes. Chaline interpretiert seine Teilnahme überzeugend als ein mystisches, für einen asketischen Leitfaden charakteristisches Crescendo: zunächst eine warnende Vision, dann eine weitere, ausführlichere Vision am Vorabend der Schlacht und schließlich die Ekstase, die im gestreckten Galopp während der Schlacht zutage trat.21 Nach der Schlacht wandelte sich sein Ruhm als Wundertäter und Heiliger machtvoll zu dem eines siegreichen Helden, der als Gesandter Gottes erschien. Zur Rechtfertigung ihrer Forderung nach Kanonisierung bestanden seine Biografen stets auf dem Topos, dass der Ruf seiner Heiligkeit von allen Bevölkerungsschichten, mit denen er in Berührung kam, anerkannt worden sei, vom einfachsten Dorf bis zu den Hofkreisen. Gleichzeitig verdoppelte sich sein Erfolg an den Höfen von München und Wien, wo er sich zunächst aufhielt, ebenso wie später in Nancy, Köln, Brüssel, Douai und Paris. Die durch ihn hervorgerufene Leidenschaft machte ihn zu einer Attraktion und führte zu Praktiken, die in der römischen Hierarchie als an der Grenze zur Abgötterei wahrgenommen wurden: Seine Autographen, von ihm gesegnete Objekte und seine Skapuliere wurden wie Reliquien behandelt, und es heißt, in Köln und Paris habe ein schwunghafter Handel mit gemalten oder bildhauerisch bearbeiteten »authentischen Bildnissen« von Bruder Dominicus eingesetzt.22 20 Caramuel Lobkowitz, 1655, S. 308-313; Albrecht, 1962, S. 22-28; González Cuerva, 2011, S. 479-506. 21 Chaline, 1999, S. 266-270, 362-370; ebenso Giordano, 1991, S. 180-186. 22 Caramuel Lobkowitz, 1655, S. 313, 374f., 379-384; Philippus a Sanctissima Trinitate, 1668, S. 690; Giordano, 1991, S. 201-204. 99

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Am Hof von Brüssel trug Erzherzogin Isabel Clara Eugenia wirkungsvoll zu diesen Praktiken bei, indem sie den Karmeliter einige Tage aufhielt, damit Rubens ihn malen konnte. Das Bild, das in einer privaten britischen Sammlung aufbewahrt wird, ragt durch die charismatische Kraft des Gestus und seine symbolische Zurückhaltung heraus: Neben dem strengen Habit des Ordens fallen das Kruzifix, das er wie am Weißen Berg in seiner Rechten schwingt, und der an seinen Schoß gelehnte Krummstab eines Pilgers ins Auge. Diese Ikonografie festigte sich zum Kanon der Darstellung des Paters Dominicus, und sie wurde im Laufe des 17. Jahrhunderts auf zahlreichen Einzelstichen und zur Illustrierung seiner Werke reproduziert.23 Einer der Aspekte, der bei dieser Welle karmelitischen Eifers am wenigsten Aufmerksamkeit erregt hat, ist die Sprache: Pater Dominicus sprach weder Deutsch noch Französisch und drückte sich normalerweise auf Italienisch oder Latein und nicht auf Spanisch aus. Auf dem Feldzug von 1620, so steht fest, predigte er auf Italienisch. Ebenso vor der Schlacht am Weißen Berg: Dass ihm die italienischen Soldaten mit größerer Verwegenheit gefolgt sein sollen, lässt sich dadurch erklären. In Sankt Ursula in Köln hinterließ er ein »bewegtes« Auditorium, obwohl ihn nur wenige vollkommen verstanden haben dürften; in Paris, so wurde betont, habe ihm das Volk in großer Stille zugehört.24 Möglicherweise wurden die Erfahrung, einen Gottgesandten zu empfangen und das von ihm ausgehende Mysterium noch dadurch gesteigert, dass man ihn nicht vollständig verstehen konnte, er folglich noch geheimnisvoller erschien. Wenigstens scheint erkennbar, dass man ihn, wahrscheinlich weil er meist italienisch sprach, zunächst nicht als Spanier identifizierte, und er von dem negativen Ballast, den das im 17. Jahrhundert in Deutschland und Frankreich mit sich gebracht hätte, befreit blieb. Nur bei einer Gelegenheit sollen die protestantischen Gegner des Herzogs von Bayern sich über diesen lustig gemacht haben, weil er einem »spanischen Hexer« so sehr vertraue.25 Als Bruder Dominicus im Januar 1621 nach Wien kam, schenkte ihm Ferdinand II. unverzüglich sein vollstes Vertrauen und schätzte ihn als glaubwürdigen und charismatischen Ratgeber. Laut Nuntius Carafa sah der Kaiser ihn als einen 23 Jaffé, 1962, S. 389f.; Giordano, 1991, S. 200; Štěpánek, 2009, S. 13-15. Noch fehlt eine systematische Arbeit über das Bildnis des Pater Dominicus auf Stichen; für seine Darstellung in der Malerei Chaline, 1999, S. 510-549. 24 Caramuel Lobkowitz, 1655, S. 335; Giordano, 1991, S. 183, 197, 202f.; Chaline, 1999, S. 309f. 25 Agustín, 1669, S. 171. 100

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Heiligen Franziskus.26 Welche Rolle konnte er in der Entscheidungsfindung des kaiserlichen Hofes spielen? Nach päpstlichen Quellen erreichte der Karmeliter in Fällen, in denen augenscheinlich die Religion im Spiel war, den größten vorstellbaren Einfluss auf das kaiserliche Gewissen. Es gab wenige Fragen, wo das keine Rolle spielte; die wichtigste, die zwischen 1621 und 1623 am Wiener Hof debattiert wurde, war die der Kurübertragung: Weil er gegen die kaiserliche Autorität rebelliert hatte, sollte Friedrich V. von der Pfalz die Kurwürde aberkannt werden, um diese dem loyalen (und katholischen) Herzog von Bayern zu übertragen. Das Papsttum unterstützte diesen Plan als Markstein der Rekatholisierung des Reiches, aber die spanische Monarchie, der wichtigste Verbündete des Kaisers, lehnte eine Veränderung kategorisch ab, die das prekäre Gleichgewicht in Mitteleuropa stören und auf einen Krieg gegen die von England und den Vereinigten Niederlanden unterstützte Pfalz hinauslaufen würde. In dieser entscheidenden Frage unterstützte Bruder Dominicus unverzüglich den konfessionellen Plan, die Häretiker zugunsten des tadellosen Maximilian I. von Bayern zu entmachten. Angesichts des heftigen Drängens des spanischen Gesandten in Wien, des Grafen von Oñate, vertrauten der Papst und sein Nuntius Carafa allein auf die wirksame Vermittlung von Pater a Jesu Maria. Der Kapuziner Casale, den der Herzog von Bayern seit 1619 anforderte, nahm schließlich 1621 seine Mission auf, aber für Ferdinand II. stellte er sich als zu hitzig und aufdringlich heraus, sodass der Papst ihm den Auftrag entzog.27 Angesichts der Machtlosigkeit Casales erkannte der Heilige Stuhl, dass allein ein Brief des Karmeliters oder noch besser dessen Rückkehr nach Wien aufgrund päpstlichen Befehls den Willen Ferdinands II. ändern könne. Tatsächlich stimmte Ferdinand II. Anfang 1623 der Kurübertragung zu.28 Als Zeichen seiner Unterstützung der karmelitischen Reform förderte der Kaiser enthusiastisch die Gründung von Klöstern der unbeschuhten Karmeliten. Bereits 1622 wurde der Konvent in Wien eingeweiht, die dazugehörige Kirche 26 Giordano, 1991, S. 187. 27 Nuntius Carafa an Kardinal Ludovisi, Wien, 28.8.1621, BAV, Barb. lat., 6946, fol. 17r. Ferdinand II. habe zu Giacinto von Casale gesagt, »dass die Brüder in der Zelle bleiben und die Verhandlungen der großen Fürsten den Gesandten und Ministern überlassen sollen« (»che i frati doviano stare nella cella, e lasciar trattare i negotii di prencipi grandi agli amb.ri et ministri di autorità«, Ebd., fol. 18v). 28 Kardinal Ludovisi an Nuntius Carafa, Rom, 25.12.1621, BAV, Ottobon. lat., 3218, fol. 463r-v; Giacinto von Casale OFMCap an Kardinal Barberini, Brüssel, 9.11.1623, BAV, Barb. lat., 6792, fol. 75r; González Cuerva, 2012a, S. 511-521, 548-554. 101

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(1639 vollendet) profitierte außerdem von der Schirmherrschaft der fürstlichen Familie von Liechtenstein, deren Wappen die Fassade ziert.29 Trotz der nur geringen Begeisterung des Fürstbischofs Philipp Adolf von Ehrenberg und des örtlichen Domkapitels war im fränkischen Würzburg die kaiserliche Unterstützung ausschlaggebend für die Eröffnung des Klosters der unbeschuhten Karmeliten im Jahr 1627.30 Möglicherweise war die einflussreichste Gründung diejenige von Prag (1624), der man eines der wichtigsten protestantischen Gotteshäuser zuwies, nämlich die Kirche der Heiligen Dreifaltigkeit auf der Kleinseite. Sie wurde zu Maria vom Siege umgetauft, eine von Gregor XV. 1622 anerkannte Widmung in Erinnerung an den Triumph vom Weißen Berg. Das Prager Kloster ist heute noch berühmt für die Aufbewahrung des wundertätigen Prager Jesuleins, einer Renaissance-Figur spanischen Ursprungs, die 1628 Polixena von Pernstein stiftete, die Ehefrau des böhmischen Hofkanzlers Zdeněk Popel von Lobkowitz und Tochter der kastilischen Edelfrau María Manrique de Lara. Aus Prag stammten auch die Karmeliten, die 1629 die Gründung des Münchner Ordenshauses vorantrieben und wegen der gemeinsamen Verehrung des Prager Jesuleins enge Bande zum Prager Konvent behielten.31 Der spanische Militär Martín de Huerta stiftete seinen neben der Prager Kirche gelegenen Palast, damit dort der Konvent gebaut werden konnte.32 Die Verknüpfung spanisch geprägter Kreise in Prag mit den unbeschuhten Karmeliten verdankte sich weniger einer gemeinsamen iberischen Verbindung, sondern wurzelte in den lokalen Verhältnissen. Seit den 1580er Jahren suchte das prospanische Lager angesichts der Vorherrschaft der Gesellschaft Jesu und ihrer stillschweigenden Verbindung mit den Italienern durch die Congregazione della Beata Vergine Maria Assunta in Cielo (oder Congregazione degli Italiani) nach alternativen Beziehungen in Prag. Auch wenn die Kontakte stets fließend und kompliziert waren, schlug sich die Unabhängigkeit der spanischen Botschaft und der großen böhmischen Familien, die mit der »spanischen Faktion« verbunden waren, in der Vorliebe für die augustinische Gemeinschaft vom Heiligen Thomas nieder. In ihrem Umfeld entstand die Corpus Christi-Bruderschaft, die man bald allgemein unter dem Namen »Heiliger Thomas der Spanier« kannte.33 29 30 31 32 33 102

Giordano, 1991, S. 189-191; Czerny, 1993, S. 12-14. Hecht, 2004, S. 35f. Hubensteiner, 1967, S. 95, 97; Huber, 2005, S. 395. Giordano, 1991, S. 189-191; Huber, 2005, S. 394; Marek, 2011, S. 647-671. Lindell, 1989/90, S. 79-88; Koller, 2010, S. 395.

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Auch die beiden großen prospanischen Familien Böhmens widmeten sich seit Beginn des 17. Jahrhunderts der karmelitischen Reform. Die Unterstützung der Familie Lobkowitz-Pernstein für den Prager Konvent war seit dessen Gründung spürbar; schon zuvor hatten sich Mitglieder der Linie Dietrichstein nicht weniger hervorgetan. Margarita von Cardona (1535?-1609), die Ehefrau des kaiserlichen Hofmarschalls Adam von Dietrichstein, war ebenso in Spanien wie im Reich eine Anhängerin Theresias von Ávila. Ihre Tochter Beatriz von Dietrichstein, Marquise von Mondéjar, war seit 1614 Patronin des Frauenkonvents der unbeschuhten Karmelitinnen von Santa Maria von Corpus Christi in Alcalá de Henares.34 Bei dieser Aufgabe zählte sie auf die finanzielle Unterstützung ihres Bruders Kardinal Franz von Dietrichstein, des Bischofs von Olmütz in Mähren. Dem Kardinal wurden die Acta authentica Canonizationis Theresiae a Jesu (Wien, 1628) gewidmet, eine ausführliche Erzählung der Kanonisierung der Heiligen aus Ávila, in welcher die Patronage von Dietrichsteinern für die karmelitische Reform gepriesen wird.35 Ebenso hatte der Kardinal engen Kontakt zu Pater Dominicus a Jesu Maria, als sich dieser in Wien aufhielt. Dank der Vermittlung des Karmeliters kam er in Kontakt mit der piaristischen Reform des Heiligen Josef von Calasanz, dessen Beichtvater in Rom sein aragonischer Landsmann Bruder Dominicus war. Die Zusammenarbeit zwischen Kardinal Dietrichstein und den Piaristen mündete in der Gründung des Kollegs von Mikulov (1631), des ersten seiner Art in Mitteleuropa, womit der Kardinal eine Alternative zur dominierenden Präsenz der Jesuiten im Schulwesen zu bieten gedachte.36 Schließlich planten dieselben Familien die Gründung eines Frauenkonvents der unbeschuhten Karmelitinnen in Prag. Wegen verschiedener Probleme verzögerte sich die Gründung bis 1656, aber das Vorhaben blieb, denn es konnte dank der Schirmherrschaft von Ferdinand III. auf die entschiedene Unterstützung der Habsburger zählen. Die erste Priorin, die Italienerin Maria Electa, war eine herausragende Figur des lokalen Lebens, die wegen ihrer Rechtschaffenheit und ihres Mystizismus als eine neue Theresia gepriesen wurde.37

34 35 36 37

Baďura, 2006, S. 134-227. Gemert, 1984, S. 99. Štěpánek, 2006, S. 40-48. Waltendorf, 1930, S. 132; Kalista, 1975, S. 94-96. 103

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Vom Tod zur Ewigkeit Genauso wie die militärische Krise von 1620 die von Pater Dominicus im Reich gebotene spirituelle Hilfe dringlich erscheinen ließ, wiederholte sich die Gemengelage im Krieg um Mantua (1628-1631). Im Gegensatz zu den bisherigen Kriegsereignissen entwickelte sich diesmal der Konflikt zwischen Katholiken und auf italienischem Boden, wo angesichts des Streits über die Erbnachfolge im Herzogtum Mantua die französischen Bourbonen und die Habsburger von Spanien und Österreich gegensätzliche Kandidaten präsentierten.38 Mit seiner Maxime, den Frieden in Italien und das Gleichgewicht zwischen den katholischen Mächten zu erhalten, sah Papst Urban VIII. den Konflikt mit Schrecken und setzte auf der Suche nach Frieden seine Diplomatie in Gang. Trotz seines hohen Alters bat man Bruder Dominicus um einen letzten Dienst, nämlich Ferdinand II. davon zu überzeugen, nach einer friedlichen Lösung für Mantua zu suchen. Erneut zeigte sich der Karmelit, obwohl als Untertan des Königs von Spanien geboren, als Anhänger der politischen Maximen des Papstes. Sein Empfang in Wien 1629 war ebenso zuvorkommend wie 1621: Als päpstlichem Legaten und zum Beweis der kaiserlichen Gunst erlaubte man ihm nicht, im Konvent seines Ordens zu residieren, sondern bat ihn in die Hofburg. Als voll integriertes Mitglied der höfischen Netzwerke widmete Bruder Dominicus die letzten Wochen seines Lebens der Aufgabe, Ferdinand II. ins Gewissen zu reden und ihn zu einem Frieden in Italien umzustimmen. Noch auf dem Sterbebett Anfang Februar 1630 verbrachte er seine letzten Atemzüge im pathetischen Ringen um das kaiserliche Versprechen.39 Er starb am 16. Februar 1630 in der Hofburg. Unter der entschiedenen Führung von Ferdinand II. begann unverzüglich das Verfahren für die Heiligsprechung. Der Kaiser ordnete an, den Leichnam in der kaiserlichen Kapelle aufzubahren, befahl jedoch, dass niemand sich ihm nähern durfte, damit nicht Teile seiner Kleidung oder Glieder als Reliquien entwendet würden. Als man in Rom von dem Tod des Karmeliters erfuhr, gab sein Ordensgeneral eine ähnliche Anweisung, damit sich allein der Kaiser seiner sterblichen Überreste bemächtigen könne. Unterschwellig ging es auch darum, die Verehrung durch das Volk und spontane Kulthandlungen einzudämmen. Jene Reliquien, die Ferdinand nicht behielt, schickte er als Geschenk an Maximilian von Bayern und die Infantin

38 Parrot, 1997, S. 20-65. 39 Giordano, 1991, S. 241-251. 104

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Isabel Clara Eugenia in Flandern und stärkte mit der gemeinschaftlichen Verehrung des Paters Dominicus die verwandtschaftlichen Bande.40 Die Trauerfeierlichkeiten waren in jeder Hinsicht einzigartig für den kaiserlichen Hof. Kein einziger Nicht-Habsburger kam jemals in den Genuss einer solch pompösen und seitens des Hofes so sorgfältig geplanten Zeremonie. Ferdinand zeigte, dass man einen Heiligen der Gegenwart zu Grabe trug; sein Leichnam wurde im Konvent der unbeschuhten Karmeliten in Wien beigesetzt, wo er bis heute verehrt wird.41 Der Kaiser leitete unverzüglich die nötigen Schritte für eine Heiligsprechung ein. Im Februar 1630 bat er um die päpstliche Erlaubnis, die Biografie des Karmeliters zu veröffentlichen und Opfergaben an seiner Grabstätte darzubringen. Er erhielt wohl keine positive Antwort, denn 1639, zwei Jahre nach seinem Tod, schrieb seine Schwiegertochter Kaiserin Maria Anna mit derselben Bitte an Rom. 1631 begann er Informationen für das Verfahren der Heiligsprechung zusammenzutragen, wobei er auf die Hilfe des Karmeliters Jerónimo Domín y Funes aus Calatayud zurückgriff, eines entfernten Verwandten und Mitarbeiters von Bruder Dominicus in den 1620er Jahren. Gleichzeitig wetteiferte Maximilian I. von Bayern mit dem Kaiser um die Kontrolle des Verfahrens und beauftragte den Bischof von Freising mit der Suche nach Informationen. Weil die bayrische Seite ihr Interesse verlor oder weil sie nicht über den Leichnam des Paters verfügte, löste sich der Wettbewerb zwischen Wittelsbachern und Habsburgern um eine enge Verbindung zum Kult um Bruder Dominicus schließlich auf. Es war ein Kampf, der ausgetragen worden war, um die dynastische Legitimation zu stärken und das eigene Haus mit Heiligkeit zu schmücken.42 Außer Informationen zusammenzutragen, verfasste Pater Domín im Sommer 1630 auf den kurz zuvor Verstorbenen den ersten Elogio, der das Kanonisierungsverfahren begleiten sollte. Drei Jahre später erschien in Genua das Ferdinand II. gewidmete Werk auf Spanisch, aber es scheint keine sehr weite Verbreitung gefunden zu haben. Da es sich um eine Sammlung von Wundern, mystischen Anfällen und Erscheinungen ohne chronologische Ordnung handel40 Relación, 1630, S. 1-6; Giordano, 1991, S. 258f. 41 Hengerer, 2011, S. 140. Der ursprüngliche Konvent in der Leopoldstadt wurde 1783 säkularisiert bzw. in eine Pfarrei umgewandelt. 1898 gründeten die Karmeliter in Döbling, außerhalb Wiens, einen neuen Konvent, wohin sie die sterblichen Reste von Pater Dominicus a Jesu Maria mitnahmen. Czerny, 1993, S. 12-14. 42 Kaiserin Maria Anna an Urban VIII., Wien, 24.12.1639, in: Caramuel Lobkowitz, 1655, S. 611f.; Giordano, 1991, S. 260f; Chaline, 1999, S. 498. 105

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te, wurde sie von späteren Biografen kaum genutzt.43 Ohne päpstliche Erlaubnis für das Abfassen einer für den Kanonisierungsprozess verwertbaren Biografie wurden Glossen oder Notizen verfasst wie etwa die handschriftliche Sammlung von Geschichten über Pater Dominicus, die der karmelitische Geschichtsschreiber Pedro von Santa Teresa aus Kastilien 1647 zusammenstellte.44 Die maßgebliche Biografie über Pater Dominicus wurde erst 1655 veröffentlicht, und sie markiert einen wichtigen Meilenstein in der barocken Publizistik. Es handelt sich um den Dominicus des Zisterziensers Juan Caramuel y Lobkowicz (1606-1682), eines bemerkenswerten Madrider Vielschreibers, des Sohnes eines Luxemburgers und einer Böhmin, der mit dem Beschriebenen das Leben als spanischer Kleriker teilte, der dem österreichischen Zweig des Hauses Habsburg diente. Nach seinen Studien in Alcalá und Löwen, im Ruf eines enzyklopädischen Wunderkindes stehend – mit Kenntnissen von der Mathematik bis zur Theologie –, diente Caramuel dem Kardinalinfanten in Flandern. 1645 ließ Ferdinand III. ihn an den kaiserlichen Hof rufen und ernannte ihn zum Hofprediger und höfischen Berater. 1645 ließ er sich unter der Protektion des Kardinalerzbischofs Harrach in Prag nieder. Er schloss sich einem von Kapuzinerpatern angeführten Kreis an, der seit den 1620er Jahren gegen die Jesuiten des Collegium Clementinum einen lautlosen Krieg um die Vorherrschaft bei der Rekatholisierung Böhmens führte. In diesem intellektuellen Umfeld suchte Caramuel Unterstützer, um einen begehrten Bischofssitz zu ergattern. An der Gunst Harrachs zweifelnd, scheint er stets die Unterstützung der spanischen Botschafter genossen zu haben, aber angesichts seiner Konkurrenten in Böhmen und Rom musste er die Gunst Ferdinands III. erwerben.45 Vor diesem Hintergrund lässt sich verstehen, dass er die beschwerliche Aufgabe der Niederschrift des Lebens von Pater Dominicus auf sich nahm, ein Engagement, das an und für sich weit von seinen intellektuellen Interessen entfernt lag. Paradoxerweise kam ihm während seiner Nachforschungen zu dem aragonischen Karmeliter zu Ohren, dass die Unbeschuhten aus Prag sich darum bemühten, dass nicht er ein Prager Suffraganbistum erhielte, sondern ein anderer Kandidat Harrachs. Schließlich wurde der Dominicus 1655 in Wien veröffentlicht, während Caramuel sich beeilte, nach Rom zu reisen und seine laxistische Theologia moralis fundamentalis (1653) zu verteidigen, die vom Heiligen Offizium in Frage 43 Domín y Funes, 1633 (das imprimatur, vom 10.7.1630). Caramuel Lobkowitz, 1655, S. 606. Über Pater Domín (Calatayud, 9.1.1576-Gaeta, 23.4.1650), der bis zum Bischof von Gaeta aufstieg, siehe Latassa y Ortín, 1799, S. 124f. 44 Pedro de Santa Teresa, 1647, s. fol. (»advertencia« = »Mahnruf«). 45 Velarde Lombraña, 1985, S. 129-183; Catalano, 2002, S. 342-346, 355, 375. 106

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gestellt wurde. Zuletzt erhielt er, allerdings nicht auf Fürsprache Ferdinands III., das Bistum Campagna im Königreich Neapel. Zwischen seinem Bischofssitz und Vigevano in der Lombardei verbrachte er den Rest seines Lebens.46 Die Niederschrift des Dominicus stellte für Caramuel eine große Herausforderung dar. Ferdinand III., der Bruder Dominicus in seiner Jugend kennengelernt hatte, verehrte ihn sehr: Dem Wiener Konvent bot er die feindlichen Fahnen an, die er in der Schlacht von Nördlingen (1634) erbeutet hatte, und zog damit eine Kontinuitätslinie göttlicher Vorsehung zum Weißen Berg. Der Dominicus eröffnet mit zwei italienischen, dem Karmeliter gewidmeten Madrigalen von Ferdinand III. selbst. Seine Ehefrau und seine Stiefmutter, Eleonora Gonzaga die Jüngere und Eleonora die Ältere, teilten diese Verehrung, und letztere hatte, so hieß es, Wundertaten von dem Karmeliter empfangen.47 Beide Herrscherinnen sahen in Caramuel einen brillanten Geist und treuen Diener der Dynastie und der Rekatholisierung, doch der bekannte schon im Prolog seine Probleme mit der ihm gestellten Aufgabe: Ein Mensch, der an mathematische Beweisführung gewöhnt war, musste sich mit Wundern, Ekstase und Offenbarungen beschäftigen. Vorsichtig bis skeptisch ließ er sich nicht durch die Anfälle des aragonischen Karmeliters beeindrucken und, obwohl er seinen Beitrag zum Feldzug von 1620 anerkannte, relativierte er eine ausreichende Zahl seiner vermeintlichen Wunder und porträtierte ihn als einen ehrwürdigen, jedoch nicht als den kanonischen Heiligen, der er nicht war.48 Die frühe Leserschaft zeigte sich, soweit bekannt ist, nicht sehr zufrieden mit dieser Annäherung. Das Werk wurde aufgrund seiner breiten Anlage, seiner Genauigkeit und literarischen Qualität oft zitiert, doch zahlreiche Exkurse erschweren die Lektüre sehr. So verwundert es nicht, dass wenig später der unbeschuhte Karmeliter Philippus a Sanctissima Trinitate eine kurze Biografie des Paters Dominicus in seine Historia carmelitanis ordinis (Lyon, 1656) aufnahm. 1659 verfasste er direkt eine Vita, die in Wirklichkeit eine gekürzte und adaptierte Fassung des Werkes von Caramuel ist, mit dem Ziel der Kanonisierung des Bruders Dominicus. Zusätzlich zur übernommenen Erzählung des Lebens des Karmeliters in sieben Büchern fügte er zwei weitere über dessen Lauterkeit und anerkannten Ruf als Heiliger an, mit dem Ziel, auf korrekte Weise für seine Kanonisierung zu argumentieren. Während das Buch Caramuels wenig Verbreitung fand, erfuhr diese Version nach der ursprünglich lateinischen Fassung 46 Catalano, 2002, S. 374-387. 47 Caramuel Lobkowitz, 1655, fol. b2; Philippus a Sanctissima Trinitate, 1668, S. 664f. 48 Velarde Lombraña, 1985, S. 173; Chaline, 1999, S. 481-497. 107

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Übersetzungen ins Italienische (1668) und Französische (1669). 1678 wurde sie von Pater Raphael a Sancto Josepho zudem ins Deutsche übertragen: Immerhin wurde das Leben des Heiligen Johannes vom Kreuz bis 1697 nicht ins Deutsche übertragen, und bis dahin waren bereits zwei deutsche Biografien seines aragonischen Nachfolgers erschienen.49 Dennoch ist insgesamt gesehen das Ansehen des Bruders Dominicus in Mitteleuropa nicht außergewöhnlich. Dank der entschiedenen Unterstützung des Herrscherhauses ist sein Andenken bis ins 20. Jahrhundert lebendig geblieben, und seine Klostergründungen haben sich erhalten. Das gut bekannte künstlerische Vermächtnis bleibt in Bilderzyklen in den Kirchen Santa Maria della Vittoria in Rom, in Prag und im Heiligtum am Weißen Berg ebenso wie im Kloster der unbeschuhten Karmeliten in München bestehen.50 Dominicusʼ umstrittener Charakter wurde nach seinem Tod Gegenstand von Auseinandersetzungen im deutschen Sprachraum: Der lutherische Theologe Thomas Wachsgrün aus Sachsen fragte sich, ob seine Entscheidung, die Schlacht am Weißen Berg zu befeuern, die so vielen Christen den Tod gebracht habe, gepriesen werden könne. Ihm antwortete ein anonymer katholischer Geistlicher mit den Problemata Saxonicorum (Magdeburg, 1631), denen Caramuel später wortgetreu folgte: Es habe sich um einen gerechten Krieg gehandelt, der die Rettung von mehr Seelen ermöglichte als die Taten von Moses, Josua und David.51 Im Prag der 1640er Jahre bezweifelte der herausragende Gelehrte und Arzt Jan Marcus Marci die Wahrhaftigkeit der mystischen Erfahrungen des Karmeliters, musste aber, laut Caramuel, schließlich seinen Irrtum eingestehen, als er feststellte, dass die von Dominicus getätigten Voraussagen über die Nachkommenschaft des Herzogs von Bayern allesamt genau eintrafen. Deshalb sei er in einem Akt der Wiedergutmachung demütig von Prag nach Wien gepilgert und habe vor Ferdinand III. versprochen, stets »Prediger seiner Tugenden und Verteidiger seiner Offenbarungen« zu sein.52 Im Volksglauben lässt sich sein Einfluss in abgeschwächter Form an der Popularisierung des Kreuzes von Caravaca ablesen, ein mittelalterlicher spanischer Kult, der sich im 17. Jahrhundert in Bayern, Österreich und Böhmen großer Beliebtheit erfreute. Obwohl Dominicus am Weißen Berg ein einfaches Kreuz 49 Philippus a Sanctissima Trinitate, 1668; Raphael a Sancto Josepho, 1678. Spätere Ausgaben erschienen 1685 in München und 1729 in Regensburg. 50 Chaline, 1999, S. 511-574; Štěpánek, 2009, S. 14-17. 51 Chaline, 1999, S. 495. 52 Juan Caramuel Lobkowitz an Antonio Agustín, Campagna, 4.1.1669, in: Agustín, 1669, s. fol.; Smolka, 2008, S. 329-332, 342-346. 108

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geschwungen hatte, stiftete er dem Heiligtum von Altötting ein Kreuz von Caravaca, das dort als »spanisches Kreuz« bekannt wurde. Traditionell werden immer wieder die Jesuiten für die Einführung dieses Kultes im deutschen Sprachraum verantwortlich gemacht, aber möglicherweise gab das Beispiel von Pater Dominicus ein dynamisches Vorbild. Man pflegte die Kreuze als Schutz gegen Blitze auf Kirchtürme und Giebel zu setzen, wie man heute noch in der Kapelle von Santa Rosalía (Kaple svaté Rozálie) in Tuchoměřice (1676) sehen kann.53 Im heimatlichen Spanien schließlich blieb Pater Dominicus über Jahrzehnte hinweg unbekannt, denn er war keine Figur, der man sich verbunden fühlte. Politisch hatte er sich an die Seite Roms gestellt und für die Interessen Ferdinands II. gearbeitet (wie es sich später für den Kapuziner Diego von Quiroga oder den Zisterzienser Caramuel ergab). Nach seinem Weggang aus Spanien 1604 und mit seiner Verbindung zur italienischen Bruderschaft wurde er nicht mehr als spanischer Akteur wahrgenommen. Seine Biografen konstatieren eine enge Bindung zu verschiedenen Päpsten und Monarchen, mit der prominenten Abwesenheit seines ursprünglichen Herrn, des Königs von Spanien.54 In einigen in Spanien veröffentlichten Darstellungen der Ereignisse von der Schlacht am Weißen Berg wird er ebenso wie in den Chroniken von Quevedo oder Céspedes del Castillo ohne große Einzelheiten erwähnt. 1630 erschien in Barcelona eine anonyme Darstellung seines erbaulichen Todes in Wien, aber der Herausgeber fügte vorsichtshalber eine kurze Biografie an, aus Furcht, er wäre unbekannt.55 Bis im Auftrag des Bischofs von Albarracín Antonio de Agustín 1669 eine gekürzte spanische Version von Caramuels Dominicus erschien, musste man auf die Rehabilitation der Figur warten. Agustin war auf Drängen der berühmten Mystikerin und königlichen Ratgeberin, der Karmelitin Maria von Ágreda, kurz vor seiner geplanten zweiten Eheschließung 1642 dem Hieronymiten-Orden beigetreten. Er unterhielt einen lebhaften Briefwechsel mit der Nonne aus Ágreda, auf deren Fürsprache er zum königlichen Kaplan ernannt wurde.56 Er stand der karmelitischen Mystikerin also nahe, und ebenso suchte er Anschluss an die höfische Faktion der während der Minderjährigkeit Karls II. regierenden Königinmutter Maria Anna von Österreich. In der Widmung des Werkes an das königliche Kind preist Agustín Bruder Dominicus als Ideal eines »heiligen Helden« 53 Münsterer, 1951, S. 32-46; Huber, 2005, S. 399, 412f. 54 Relación, 1630, fol. 2v; Caramuel Lobkowitz, 1655, S. 442-445; Philippus Sanctissima Trinitate, 1668, S. 668f. 55 Relación, 1630, fol. 1v; Giordano, 1991, S. 185; Usunáriz, 2014, S. 198f. 56 Campos, 1967, S. 586-594; Morte Acín, 2010, S. 314-330.

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und betont, dass er als Beschützer der ganzen Dynastie dienen und über den Heiligenkult Brücken zur österreichischen Linie der Habsburger schlagen könnte.57 Gegen das Klischee einer fortschreitenden Stärkung des frühmodernen Staates und seines nationalen Bewusstseins erlebte das spanische Denken der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts eine lebhafte Debatte um die dynastische Identität: Nach dem Verlust der Hegemonie auf dem europäischen Spielfeld blieb als einziges Element der Rettung das Haus Habsburg, dessen Wiener Linie sich als ein von Gott gewähltes Instrument zur Umsetzung seines göttlichen Plans erwiesen hatte.58 In diesem Sinne kann die spanische Fassung des Werkes von Caramuel als Kulturtransfer von Deutschland nach Spanien verstanden werden, um auf diese Weise die Tugenden und Wundertaten eines der Söhne des Landes zurückzugewinnen.59 Der Dreißigjährige Krieg verursachte auf verschiedenen Ebenen, unter anderem auf spiritueller, eine gewaltige europäische Krise: Um ihre Macht zu erhalten und in den Kriegen nicht unterzugehen, benötigten die verschiedenen Monarchien mächtigere neue Patrone und himmlische Beschützer. 1638 weihte Ludwig XIII. das Königreich Frankreich feierlich der Jungfrau Maria; in Spanien geriet das Patronat des Apostels Jakobus in die Krise, und man schlug alternativ die Heilige Theresia als Repräsentantin erneuerter Werte von Spiritualität und religiöser Vollkommenheit vor. Der Vorschlag Philipps II. und Philipps IV., das Dogma der unbefleckten Empfängnis zu propagieren, setzte sich auch bei ihren Verwandten im Reich durch, die seit Ferdinand II. die Angelegenheit mit Enthusiasmus verfolgten.60 In diesem dynastischen Wechselspiel der Pietas austriaca gibt es noch eine weit weniger bekannte Episode, in der möglicherweise Pater Dominicus a Jesu Maria als Köder diente. 1643 veröffentlichte Pater Juan Eusebio Nieremberg die Schrift Devoción y patrocinio de san Miguel (»Anbetung und Patronat des Heiligen Michael«), in der er den Erzengel als neuen Patron Spaniens vorschlug: Welchen besseren Beschützer gäbe es für die Truppen als den Hauptmann der Heerscharen Gottes? Das Interessanteste daran ist, dass er diesen Kult nicht mit 57 Agustín, 1669, »Dedicatoria a Carlos II« (»Widmung an Karl II.«] und »Otro prólogo del autor al lector piadoso« (»Weiteres Vorwort des Autors an den frommen Leser«]. 58 Jover Zamora, 1949, S. 168-183; González Cuerva, 2012b, S. 226-248. 59 Es ist ein Buch, »das den Schatz der Tugenden und Wunder, in deren Genuss die Deutschen kamen, einlädt und in sein Vaterland bringt«. Approbation von Alberto Sos OC, Saragossa, 9.4.1669, in Agustín, 1669, s. fol. 60 Calderón, 1657, S. 242-245; Broggio, 2009, S. 83-123. 110

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der spanischen Tradition begründete, sondern mit einer des Hauses Österreich aus der Zeit Rudolfs I.61 Mithilfe der Descalzas Reales in Madrid führte Kaiserin Maria von Habsburg zu Beginn des 17. Jahrhunderts die kultische Verehrung der sieben Erzengel ein, die einen nicht vollständig zu klärenden mitteleuropäischen Ursprung hatte. In der neuen Lehre von der Vorsehung, die sich im Spanien des 17. Jahrhunderts durchsetzen sollte, sollte man, im Gegensatz zu derjenigen früheren gotisch-iberischen Ursprungs, auf andere Bildwelten mit habsburgischen Wurzeln zurückgreifen. Auch Calderon de la Barca erneuerte seine autos sacramentales (religiöse Theaterstücke) und nutzte in Werken wie El primer blasón de Austria (»Das erste Wappen Österreichs«, 1635) den Heiligen Michael als Gesprächspartner der Kirche. Die beiden durch Kardinalinfant Ferdinand und den König von Ungarn, den zukünftigen Kaiser Ferdinand III., repräsentierten Zweige des Hauses Österreich erscheinen durch die einzigartige Vermittlung des Heiligen Michael alleine vor Gott, emporgehoben über den Rest der Menschheit.62 Auf diese Erneuerung des Engelskultes hatten die Visionen des Paters Dominicus direkten Einfluss, und sie speisten sich aus denselben Quellen. Eine seiner wiederholten nächtlichen Visionen bestand in dem Kampf teuflischer Heerscharen, die ihm zusetzten, bis er von einer Kohorte kriegerischer Engel gerettet wurde.63 Vor dem Weißen Berg hatte er seine berühmteste Vision, die er den katholischen Generälen zur Motivation erzählte: Ein im Licht entflammter Seraph und ein Engelsheer, die ihm einen Sternenweg zeigten, der wie die Milchstraße nach Compostela oder vielmehr zur Apokalypse führte (Offb 12, 7-9).64 Zumindest auf katholischer Seite trug keine andere Schlacht dieses Krieges eine ähnliche Bürde der Vorsehung. Es ist nicht einfach, die Rolle der Visionen des Paters Dominicus für die Revitalisierung und die kriegerische Umdeutung des Engelskultes zwischen dem Mittelmeerraum und Mitteleuropa Mitte des 17. Jahrhunderts herauszudestillieren. Auf jeden Fall ist dokumentiert, dass der Karmeliter Ende des 17. Jahrhunderts im Königreich Aragon an verschiedenen Orten religiös verehrt wurde. 1670, nur kurz nach dem Erscheinen der spanischen Fassung des Dominicus von Caramuel (Saragossa, 1668), beschloss eine Kommission von Honoratioren in Calatayud, über seinem Geburtshaus das Oratorium Nuestra Señora del Buen 61 Nieremberg, 1643, S. 231f. 62 González Estévez, 2013, S. 1915-1930; Calderón de la Barca, 1635/1997, vv. 634f.; Buezo, 2003, S. 35-37. 63 Antonio de San Bartolomé, fol. 5-7. 64 Caramuel Lobkowitz, 1655, S. 335; Chaline, 1999, S. 95, 368f. 111

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Parto o de Ruzola (»Unsere Frau der guten Geburt oder von Ruzola«) zu errichten. In den Auseinandersetzungen Calatayuds mit dem zuständigen Bischofssitz Tarazona während des letzten Drittels des 17.  Jahrhunderts brachte man den örtlichen Ruhm als Wiege des ehrwürdigen Paters Dominicus gegenüber der Vorliebe der Mutter Maria von Ágreda für den Bischofsitz in Stellung. Zu dieser Zeit bewahrte man außerdem im Konvent Carmen Calzado in Calatayud den »Christus von Ruzola« auf, benannt zu Ehren des Paters: Das Bildnis wurde »seit Urzeiten« verehrt, aber es rückte ins Zentrum der Anbetung, weil es das erste war, von dem aus Christus zu Dominicus in seiner Kindheit gesprochen hatte. Man holte es in Zeiten der Trockenheit zu Prozessionen hervor, und es wurde für würdig befunden, in den Schatz der wichtigsten Reliquien des Königreichs Aragon aufgenommen zu werden. Die verschiedenen, dem ehrwürdigen Dominicus gewidmeten Kulte gingen allerdings weder über den örtlichen Rahmen noch über den Spätbarock hinaus: 1770 wurde das Oratorium Ruzolas wegen seines baufälligen Zustandes geschlossen, und bis ins 19. Jahrhundert wurde der damit verbundene Kultus nicht wiederbelebt.65 Derweil verwahrte man in Barcelona, wo Dominicus zwischen 1592 und 1594 gewirkt hatte, im männlichen Karmeliterkonvent Sankt Joseph als wichtige Reliquien den Gehstock der Heiligen Theresia und die Kappe und die Riemen des Paters Dominicus. Allerdings ist der »Gebrauch« dieser Elemente vor der französischen Belagerung 1697 nicht gesichert. Damals brachte man die Reliquien auf den Altan des Konvents; laut dem Ordenschronisten retteten sie das Haus vor der französischen Bombardierung und leiteten sogar einige Geschosse ab, so dass es unversehrt blieb.66 Eine spätere und ein wenig ungenaue Chronik befand Pater Dominicus Ende der 1740er Jahre der Ahnengalerie heldenhafter Karmeliter für würdig: In den Gewölbezwickeln der kürzlich restaurierten Kirche des Konvents San Hermenegildo der unbeschuhten Karmeliten in Madrid (heute Pfarrei Sankt Josef) wurden vier heilige Karmeliten zu Pferde vor Schlachten dargestellt. Das waren Peter der Einsiedler, Prediger des Ersten Kreuzzuges 1099 (der von den Karmeliten als Vorläuferfigur vereinnahmt wurde), der Heilige Peter Thomas (der an der Eroberung Alexandrias 1365 teilnahm), der Heilige Andreas Corsini (der vom Himmel gestiegen war, um die Florentiner 1440 in der Schlacht von Anghiari gegen die Mailänder zu unterstützen) und Pater Dominicus a Jesu Maria am Weißen Berg. Es handelt sich um eine atypische Bildwelt militärischer Heiliger, und das umso mehr, als sie drei mittelalterliche Heilige und eine anbetungswürdige Figur zeigt, 65 Faci, 1739, S. 99-101; Fuente, 1881, Bd. 2, S. 278, 379, 394f., 516. 66 Juan de San José, 1707, S. 32. 112

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die die Erneuerung des alten kriegerischen Heldentums verkörpert. Diese Ikonografie steht nicht allein: Um dieselbe Zeit, Mitte des 18. Jahrhunderts, findet sie eine exakte Nachahmung in der Kirche der unbeschuhten Karmeliten in VelezMalaga.67 Spät und mit militärischen und wundertätigen Zügen hatte man das Andenken an Pater Dominicus in sein Heimatland zurückgeholt.

Schlussfolgerungen Wie Ditchfield gezeigt hat, war Heiligkeit eine komplexe Vorstellung, die im neuzeitlichen Katholizismus ein Teil des Lebens war. Jenseits der Instrumentalisierung der Heiligen als ikonografische, anthropologische oder soziologische Vorbilder übernahmen sie verschiedene kulturelle und dynamische Rollen.68 Im Fall von Pater Dominicus wird dies besonders deutlich: Zu Lebzeiten schien er die Fähigkeit zu haben, in seinem Umfeld das ebenso intensive wie flüchtige Bild eines »lebenden Heiligen« hervorzurufen. Während er bis in die ersten Jahre des 17. Jahrhunderts auf der Iberischen Halbinsel lebte, weckte er die Volksverehrung in Spanien, dann blieb sein Bild in Italien haften, und nach 1620 verbreitete es sich rasch im Reich. Angesichts der Verbreitung gedruckter Bücher kann man dem Siegeszug des Kultes die bedeutende Verbreitung von Stichen und Drucken des Karmeliters in den mitteleuropäischen Zentren der 1620er Jahre zuschreiben. Wie Hills hervorgehoben hat, war dieses Herausbilden einer Bilderwelt keine weitere Zutat, sondern das wesentliche Element der barocken Vorstellung von Heiligkeit, die eine unersetzbare emotionale Erfahrung mit sich brachte.69 Nach seinem Tod blieb der Kult um Pater Dominicus in den komplexen kultischen Rüstkammern der großen katholischen Zentren Rom, Wien und Prag kontinuierlich erhalten. Die Fortsetzung des Kultes um seine Person durch seine unbeschuhten Karmeliter-Brüder war unbedingt notwendig, doch ebenso die politischen Konnotationen, die sich mit seiner Figur verbanden. Er schien als Kriegsheld und Symbol der konfessionellen Allianz zwischen Rom und Wien dem österreichischen Zweig des Hauses Habsburg während der ersten Phase des Dreißigjährigen Krieges eng verbunden. In den Heiligtümern vom Weißen Berg, in Wien und Prag konnten mit der Hilfe von Pater Dominicus heilige Räume in umstrittenen, an konfessionellen Grenzen liegenden Gegenden neu beschrieben werden, und er bewies, dass hinter dem Plan der Rekatholisierung der öster67 Tormo, 1927/1972, S. 195; Peña Méndez, 2008, S. 189-195. 68 Ditchfield, 2009, S. 583f. 69 Hills, 2010, S. 207-209. 113

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reichischen Monarchie die göttliche Vorsehung stand. In bescheidenerem Maße war dieselbe Bedeutung in den Bilderzyklen in München vorhanden, ebenso wie sie die dynastische Legitimität des katholischen Zweiges der Wittelsbacher bestärkte.70 In dem, wie allgemein bekannt, von Paolo Sarpi beklagten Diacatholicon, dem eisernen, imperialistischen und kontrareformistischen Pakt zwischen Rom, Wien und Madrid, war der spanische Hof in Wahrheit der am wenigsten eingebundene Fixpunkt. Als sich nach dem Westfälischen Frieden und mehr noch nach dem Pyrenäenfrieden von 1659 der politische Rahmen änderte, sah sich die spanische Monarchie gezwungen, ihren Handlungsspielraum an denjenigen einer nicht hegemonialen und von der Hilfe des anderen Zweiges der Habsburger hochgradig abhängigen Macht anzupassen. Das förderte die Wiederbelebung der Figur des Paters Dominicus als Anwalt der Dynastie. Sein Kult wurde als lokales Phänomen in Calatayud im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts revitalisiert. Die Gedenkorte des Karmeliters wurden in seiner Geburtsstadt erneut mit Leben gefüllt. Zum Teil schuldete sich das der Logik, den Ruhm und die Heiligkeit Calatayuds in Anspruch zu nehmen, um das Vorhaben zu rechtfertigen, sich von dem weit entfernten Bischofssitz in Tarazona zu trennen. Im übrigen Spanien, hauptsächlich im Königreich Aragon und verbunden mit den Karmeliterkonventen, belebte man den Kult in weit geringerem Maße. Auf jeden Fall erschien Dominicus mehr als Wundertäter denn als Krieger, denn mit letzterem hatte man in Aragon kaum Erfahrung. Zweifellos war jenseits seiner Visionen und mystischen Anfälle das wichtigste Verdienst, das sich für die Kanonisierung des Bruders Dominicus anführen ließ, seine Teilnahme an der Schlacht am Weißen Berg. Auf seine Rolle Anspruch zu erheben hieß, die weltlichen Fürsten und professionellen Militärs zu entmachten und dagegen die Idee eines von Gott angeführten Krieges zu setzen, mit einer einmütig vereinten Herde Gläubiger ohne Anführer. Obwohl das beim Volk wohl Anerkennung fand, waren die Kanonisierungsverfahren nach Trient vollständig zentralisiert und der päpstlichen Leitung unterworfen, die spontanen Kanonisierungen äußerst feindlich gegenüberstand. Das klassische Ideal barocker Heiligkeit neigte zu einem geregelten und tugendsamen Leben mit geordnetem und gehorsamem Glauben im Gegensatz zu wundertätigen Zügen und dem direkten Zwiegespräch mit Gott ohne Vermittlung kirchlicher Hierarchien.71 Dieses Problem war beinah wesensgleich mit der mystischen Ausstrah70 Über den Einsatz der Heiligkeit zur Stärkung des Herzogtums Bayern Johnson, 2002, S. 83. 71 Burke, 1987, S. 48-52; Chaline, 1999, S. 375, 504-508. 114

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lung der karmelitischen Reform: Beide Gründer, Theresia von Ávila ebenso wie Johannes vom Kreuz, hatten Zusammenstöße mit der spanischen Inquisition und ihrer Heiligsprechung gingen heftige polemische Debatten voraus.72 Im Hintergrund oszillierte eine generelle Problematik der barocken Spiritualität, nämlich die des Urteilsvermögens: Es galt, gegenüber betrügerischer Heiligkeit wachsam zu sein und wie der Heilige Paulus (2 Kor 11-14) der Erscheinung des »Engels des Lichts« zu misstrauen, hinter der sich der Teufel verbergen konnte.73 Das Goldene Zeitalter Spaniens ist reich an umstrittenen und gescheiterten, von der Inquisition verurteilten Heiligen wie die Visionärinnen Schwester Maria de la Visitación (»die Nonne von Lissabon«) oder Lukretia von León. Daneben steht die Bestätigung früh anerkannter Heiliger im Vizekönigreich Peru wie Martín von Porres und Rosa von Lima.74 Der Fall Dominicus a Jesu Maria ähnelt dem seiner Landsmännin und Ordenskollegin Schwester Maria von Ágreda, der erfolgreichen Beraterin König Philipps  IV. und berühmten Mystikerin, deren Kanonisierungsverfahren auch keine Früchte trug. Zweifelsohne eiferte Bruder Dominicus wahrscheinlich willentlich dem Heiligen Johannes von Capestrano nach, dem umherwandernden, prophetischen und militarisierten Franziskaner, der 1456 die Verteidigung Belgrads gegen die Türken anführte. Johannes von Capestrano erlangte freilich, begünstigt durch das Klima eines antitürkischen Kreuzzuges im Großen Türkenkrieg der Heiligen Liga (1683-1699), 1690 die Heiligsprechung. Ausgerechnet bei der Verteidigung von Wien 1683 zeichnete sich ein anderer Bruder aus, der Kapuziner Marco d’Aviano. Was Bescheidenheit, Wagemut und Hingabe betrifft, zeigte er sich mustergültig wie Bruder Dominicus 1620, aber ohne dies mit Visionen oder Prophezeiungen auszuschmücken. Vielleicht wurde er wegen dieses Unterschieds der Anerkennung als Seliger für wert befunden, und zwar erst kürzlich, im Jahre 2003. Auf jeden Fall sagen die Heiligen, wie Burke zeigte, mehr über die Epoche aus, in der sie verehrt werden, als über die, in der sie leben.75 (Übersetzung: Andrea Weindl) 72 Zu den Problemen der Kanonisierung Theresias Ahlgren, 1996, S. 143-146; Thompson, 2012, S. 72f. 73 Dieser Skeptizismus innerhalb des Katholizismus ist als Vorbote der »Entzauberung der Welt« untersucht worden. Copeland/Machielsen, 2012, S. 1-2. 74 Kagan, 1990, S. 152, 201. Zum Streit über die peruanischen Heiligen, Coello de la Rosa, 2009, S. 191-225. 75 Burke, 1987, S. 52; Chaline, 1999, S. 501-510; Ditchfield, 1992, S. 379-422; Angiolini, 2001. 115

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Abstract In 1655, the famous and versatile Spanish author, Juan de Caramuel Lobkowicz, wrote the biography of his fellow Spaniard, Brother Domingo de Jesús María (1559-1630) who was general of the Discalced Carmelites, and died in Vienna. Eleonora Gonzaga, the Dowager Empress, together with her namesake, the Empress Consort, had commissioned this book since they were both concerned with Carmelite reform in the empire. Brother Domingo was famous as »mythical hero« of the Battle of White Mountain, counsellor to Emperor Ferdinand II and to prince-elector Maximilian I of Bavaria, as well as for the founding of the Discalced Carmelite monasteries in Vienna and Prague. His success in the Holy Roman Empire was based on his extraordinary charism which represented a lively sainthood. He also represented the heritage of the Castilian asceticism of San Juan de la Cruz (John of the Cross), the founder of his order, about which Domingo has also written some books. His work which spread throughout the German lands in the 1620s is comparable more to the works of contemporary »living saints« who travelled through the empire like the Italian Capuchins Lorenzo da Brindis and Giacinto da Casale than to works of Jesuits. This itinerant figure allows us to analyse both his ability to offer the German Catholic public emotional experiences, and his role as influential political counsellor of various Catholic princes. This chapter focuses on these changing roles of missionary, reformer, and courtier, on his contribution to the establishment of Castilian mysticism in the Holy Roman Empire, and finally, on the limited persistence of his concept of sanctity and his failed canonisation. The latter showing the growing scepticism against charismatic and prophetic elements in baroque spirituality.

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Mediation

Kaiserinnen und Kardinäle Wissensbroker(innen) zwischen dem Kaiserhof und Italien im 17. Jahrhundert Matthias Schnettger

Der folgende Beitrag behandelt einen wichtigen Faktor, der transalpine Transferprozesse im 17. Jahrhundert begünstigte: das Vorhandensein von Akteurinnen und Akteuren, die aufgrund von Herkunft und Lebenswegen Netzwerke beiderseits der Alpen aufbauten. Solche Menschen gab es nicht wenige, der Beitrag aber greift zwei Personengruppen heraus, die sehr weit oben in der gesellschaftlichen Hierarchie standen: hochadlige Frauen und Kirchenfürsten. Konkret geht es um zwei Kaiserinnen, die derselben Dynastie entstammten: Eleonora Gonzaga die Ältere (1598-1651), seit 1622 die zweite Gemahlin Ferdinands II. (*1578, reg. 1619-1637), und deren Großnichte Eleonora GonzagaNevers die Jüngere (1628-1686), die dritte Gemahlin Ferdinands III. (*1608, reg. 1637-1657) und als solche zugleich die Stiefschwiegertochter ihrer Großtante Eleonora d.Ä. Als Beispiel für einen auf beiden Seiten der Alpen agierenden Kirchenfürsten wird der Prager Kardinalerzbischof Ernst Adalbert von Harrach (1598-1667) herausgegriffen. Die beiden Kaiserinnen und der Kardinal werden im Folgenden vorrangig in ihrer Rolle als Wissensbroker(innen) untersucht. Der Begriff »Wissensbroker(in)« wird dabei in Anlehnung an den Terminus »Patronagebroker« verwendet, der u.a. für den Kardinalnepoten des regierenden Papstes verwendet worden ist.1 Ein Patronagebroker wäre demnach eine Person, die über eine privilegierte Verbindung zum jeweils obersten Patron verfügt und so den Zugang zu unterschiedlichen Ressourcen vermittelt. Eine derartige Stellung besaßen die Kai1

Vgl. hierzu z.B. Emich, 2001; zusammenfassend zu Patronagebrokern Emich/ Reinhardt/von Thiessen/Wieland, 2005, S. 244f., 248f. 127

Matthias Schnettger

serinnen, kaum jedoch Kardinal Harrach. Als Broker sind in der Patronageforschung aber auch solche Personen bezeichnet worden, die eine Mittlerstellung zwischen Zentrum und Peripherie einnahmen. Eine Mittlerstellung zwischen Personen, die – sei es geographisch, sozial oder fachlich – sehr unterschiedlichen Gruppen zugeordnet werden können, nahmen alle drei Protagonist(inn)en dieses Beitrags ein. Sie alle verfügten – und das ist ein weiterer Berührungspunkt mit der Patronageforschung – über ausgedehnte Netzwerke. Neben der Vergabe und der Vermittlung von Ressourcen waren – so die These – die transalpinen Netzwerke von zentraler Bedeutung für die Wissensvermittlung der Protagonist(inn)en dieses Beitrags. Ihnen ist daher große Aufmerksamkeit zu widmen. Hinzu kommt aber noch etwas anderes: Es wird zwar nicht primär danach gefragt, inwieweit die Kaiserinnen und der Kardinal selbst Trägerinnen und Träger von Wissen waren, allerdings davon ausgegangen, dass sie aufgrund ihrer höfisch-adligen Erziehung zumindest basale Kenntnisse in unterschiedlichen Wissensbereichen besaßen, die ihnen erst Aktivitäten im Bereich der Wissensvermittlung ermöglichten (oder zumindest wesentlich erleichterten). Damit sind Handlungen gemeint, die die Verbreitung, Vermittlung und Transformation unterschiedlicher Wissensbestände beförderten: durch die Patronage von Menschen, die ihrerseits Träger von Spezialwissen waren, sowie durch das Anfordern, Empfangen und Versenden von Objekten unterschiedlichster Art. Da es in diesem Beitrag nicht nur um sehr unterschiedliche Formen des Transfers, sondern auch um sehr unterschiedliche vermittelte Gegenstände gehen wird, erscheint an dieser Stelle eine Begriffsbestimmung erforderlich: Wenn im Folgenden von »Wissen« die Rede ist, sind komplexe Wissensbestände gemeint. Die Trägerinnen oder Träger dieses Wissens sind befähigt, sich das Wissen in der Weise anzueignen, dass sie es nicht nur reproduzieren, sondern auch in neue, eigene Hervorbringungen um- und übersetzen können. Das kann zum Beispiel bedeuten, dass sie in der Lage sind, eigene Bücher zu verfassen, Musikstücke zu komponieren oder Schlösser zu entwerfen. Wenn Personen »Kenntnisse« in bestimmten Bereichen zuerkannt werden, ist damit gemeint, dass sie über zumindest basale Kompetenzen verfügen, die sie befähigen, Hervorbringungen wie eben Bücher, Kompositionen oder Bauwerke einzuordnen, zu bewerten, deren Besonderheiten zu erkennen und zu benennen. Eine Stufe darunter ist der Begriff »Informationen« angesiedelt, der angewendet wird, wenn es um bloße Nachrichten von der Existenz bestimmter Künstler, Wissenschaftler oder Werke geht. Damit kann eine allgemeine Einstufung als »neu« oder »bedeutend« einhergehen, die aber kaum auf einem eigenständigen Sachurteil beruht. Die Empfänger solcher, durch Wissensbroker(innen) weitergegebenen »Informationen« 128

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können hingegen sehr wohl in der Lage sein, diese in ihre eigenen Wissensbestände zu integrieren, mit anderen Worten: sie zu »Wissen« aufzuwerten bzw. zu aggregieren. Natürlich lassen sich diese drei Kategorien nicht trennscharf voneinander abgrenzen. Sie erscheinen aber nützlich, um die Bedeutung von höfisch gebildeten Dilettant(inn)en für transalpine Wissenstransferprozesse im 17. Jahrhundert auszuloten, die häufig über mannigfaltige Informationen, nicht selten über beachtliche Kenntnisse, bisweilen sogar über Wissen in ausgewählten Bereichen verfügten. Noch eine weitere terminologische Vorbemerkung erscheint erforderlich: Werden im Folgenden Begriffe wie »italienisch«, »deutsch« oder auch »böhmisch« verwendet, so ist das, wenn nicht ausdrücklich anders ausgeführt, primär geographisch gemeint, wobei sich »Böhmen« auf das historische Königreich, in einem erweiterten Sinne auch einschließlich der Länder der böhmischen Krone (Mähren, Schlesien, Lausitzen) bezieht. Weniger eindeutig ist eine Grenze zwischen »Deutschland« und »Italien« zu ziehen, denn auch in Gebieten, die dem Deutschen Reich zugerechnet wurden, insbesondere in Teilen des Österreichischen Reichskreises (z.B. Hochstifte Trient und Brixen, Grafschaft Görz, Triest) lebte eine überwiegend italienischsprachige Bevölkerung. Im Zweifelsfall wird daher eine Zuordnung über Territorien, Regionen oder auch Städte vorgenommen. Keinesfalls geht es darum, mit den Begriffen »deutsch« und »italienisch« das Bild geschlossener »Kulturnationen« zu evozieren. Im Folgenden eröffnen knappe biographische Skizzen zunächst den Blick auf die Voraussetzungen, die es den drei Akteurinnen und Akteuren überhaupt erst ermöglichten, als transalpine Wissensbroker(innen) zu wirken. Anschließend werden ihre Netzwerke skizziert, bevor in einem letzten Kapitel unterschiedliche Praktiken der Wissensvermittlung beleuchtet und abschließend die Beobachtungen in einigen zusammenfassenden Thesen gebündelt werden. Die Bedeutung dynastischer Verbindungen für Transferprozesse hat in letzter Zeit einige Aufmerksamkeit erfahren, ist jedoch noch keineswegs erschöpfend behandelt worden.2 Die Quellen- und Literaturbasis zu den gewählten Fallbeispielen stellt sich höchst unterschiedlich dar. Zu den beiden Gonzaga-Kaiserinnen und deren Rolle in transalpinen Transferprozessen gibt es keine monographischen Studien, wohl aber eine Reihe von Aufsätzen, die einzelne Aspekte ihres Wirkens beleuchten,3 außerdem mehr oder weniger verstreute Hinweise in 2 Vgl. Nolde/Opitz, 2008 und zuletzt Palos/Sánchez, 2015. 3 Vgl. z.B. Besutti, 1996; Dies., 2005; Deisinger, 2011; Ders., 2013a; Ders., 2014; Koldau, 2008; Seifert, 2005. 129

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Quelleneditionen.4 Für Ernst Adalbert von Harrach ist seit einigen Jahren mit der Edition seiner Tagzettel und Diarien ein einzigartiges Quellencorpus zugänglich.5 Außerdem hat Alessandro Catalano, einer der beiden Herausgeber dieser Quellen, in den vergangenen Jahren einige substanzielle Beiträge zur Bedeutung des Kardinals für die Diffusion italienischer Kultur in Böhmen geleistet.6

Biographisches Kaiserin Eleonora Gonzaga d.Ä. war die jüngste Tochter Herzog Vincenzos I. von Mantua und Monferrato (*1562, reg. 1587-1612) und seiner Gemahlin Eleonora de‹ Medici (1566-1611).7 Sie wuchs an einem der glänzendsten Höfe Italiens auf, an dem zeitweise so herausragende Künstler wie Torquato Tasso, Claudio Monteverdi und Peter Paul Rubens wirkten. Eleonora erhielt den Großteil ihrer Erziehung in dem von ihrer Tante Margherita Gonzaga, der verwitweten Herzogin von Ferrara, gegründeten Mantuaner Kloster S. Orsola, das von seiner Stifterin ausdrücklich als Erziehungsanstalt für die Prinzessinnen des Hauses Gonzaga vorgesehen war.8 Herzogin Margherita überwachte zum Teil persönlich den Unterricht, den Eleonora in Sprachen, Musik, Malerei und Geschichte erhielt. Selbstverständlich spielten in der klösterlichen Umgebung Gottesdienste und Gebete eine wichtige Rolle und trugen zweifelsohne zum Erreichen des wichtigen Erziehungsziels Frömmigkeit bei. Doch auch in für hochadlige Frauen wichtigen Fertigkeiten wie Tanz, Reiten und Handarbeiten wurde Eleonora unterwiesen. Als Eleonora im Winter 1622 auf dem Weg zu ihrer Hochzeit mit Ferdinand II. Mantua verließ und die Alpen überschritt, war das ein Abschied für immer. Von nun an lebte sie fast kontinuierlich am Hof ihres Mannes bzw. nach dessen Tod (1637) ihres Stiefsohns Ferdinand III. oder in seiner unmittelbaren Umgebung. Nur in der ersten Zeit ihrer Witwenschaft sah es so aus, als würde 4 5 6 7 8

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V. a. Venturini, 2002; ferner Bues, 1994. Keller /Catalano, 2010. Catalano, 2002; Ders., 2002a; Ders., 2003; Ders., 2004; Ders., 2005; Ders., 2007; Ders., 2012. Vgl. zur Biographie Eleonoras d.Ä. Intra, 1891; Bues, 1993; zu ihrer politischen Bedeutung Frigo, 2009; zusammenfassend zu ihrer Stellung Schnettger, 2016. Zum Kloster S. Orsola vgl. Intra, 1895; Gladen, 2005, S. 126-128. Gladen beschäftigt sich mit der malenden Nonne Lucrina Fetti, die stellvertretend für die Bedeutung des Klosters als Kunst- und Kulturzentrum steht.

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sie sich längerfristig an den letzten Ruheort ihres Gemahls nach Graz zurückziehen, ja, aufgrund von Spannungen mit der neuen regierenden Kaiserin Maria Anna von Spanien scheint sie sogar die Rückkehr nach Mantua in Betracht gezogen zu haben, ohne dass dieses Projekt letztlich umgesetzt wurde. Der Kaiserhof hielt sich in dieser Zeit zumeist in Wien oder dessen unmittelbarer Umgebung auf, doch im Verlauf der Zeit lernte Eleonora beachtliche Teile der habsburgischen Territorien aus eigener Anschauung kennen. 1622 traf sie in Innsbruck mit Ferdinand II. zusammen, anlässlich ihrer eigenen und anderer Krönungen kam sie in die Hauptstädte der Königreiche Böhmen und Ungarn, Prag und Pressburg. In der Reichsstadt Regensburg hielt sie sich anlässlich von Kurfürsten- und Reichstagen mehrfach auf, und 1642 reiste sie nach Passau. Besondere Erwähnung verdient die Reise der Kaiserinwitwe nach Villach 1651, wo sie Eleonora d. J. Gonzaga-Nevers in Empfang nahm, die künftige dritte Gemahlin ihres Stiefschwiegersohns Ferdinand III. Sie traf dort aber nicht nur ihre Großnichte, sondern es fand ein Familientreffen statt, da die neue Kaiserin von ihrer Mutter Maria, der Nichte Eleonoras d. Ä., ihrem Bruder, dem regierenden Herzog Carlo II., und dessen Gemahlin Isabella Clara von Österreich-Tirol begleitet wurde.9 Eleonoras d.J. war die Tochter Marias, der letzten Vertreterin der alten Hauptlinie der Gonzaga (1609-1660) und ihres frühverstorbenen Mannes Carlo di Rethel (1609-1631), des Sohnes des ersten Herzogs von Mantua aus der Linie Nevers, Carlo I. (*1580, reg. 1627-1637). Ihr Lebensweg10 ähnelte stark dem ihrer Großtante, unterschied sich von diesem aber auch in einigen markanten Punkten. Wie die ältere Eleonora wuchs sie in Mantua auf, allerdings einem Mantua, das nach dem Mantuanischen Erbfolgekrieg (1628-1631), insbesondere der Pestepidemie und dem Sacco di Mantova, der schweren Plünderung durch kaiserliche Truppen im Jahr 1630, nur noch ein Schatten seiner selbst war. Gleichwohl erhielt auch Eleonora d.J., wie schon ihre Großtante und ihre Mutter, im Kloster S. Orsola eine sehr gute Erziehung. Auch für sie ging ihre Heirat mit dem endgültigen Abschied von Mantua einher, und auch ihr Leben spielte sich ab 1651 zumeist in Wien und seiner Umgebung ab, mit Reisen u.a. nach Prag, Pressburg, Regensburg und 1683, auf der Flucht vor den Türken, nach Passau. Selbst das Familientreffen von Villach 1651 findet bei ihr eine Entsprechung, denn 1660 trafen sie und ihr Stiefsohn Kaiser Leopold I. (*1640, 9 Vgl. Intra, 1891, S. 363; Keller, 2005, S. 121f. 10 Vgl. allgemein zur Biographie Eleonoras d. J. Intra, 1891; Fidler, 1990; Schnitzer-Becker, 1993; zu ihrer politischen Bedeutung Frigo, 2009; zusammenfassend zu ihrer Stellung Schnettger, 2016. 131

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reg. 1657/58-1705) im steiermärkischen Judenburg mit ihrer Mutter Maria und ihrem Bruder Herzog Carlo II. zusammen.11 Ein wesentlicher Unterschied zwischen den beiden Kaiserinnen ist allerdings, dass die jüngere Eleonora eigene Kinder hatte, von denen zwei Töchter das Erwachsenenalter erreichten. Die ältere, Eleonora Maria Josepha (1653-1697), heiratete 1670 den polnischen König Michael I. (reg. 1669-1673) und wurde 1670 von ihrer Mutter zu ihrer Hochzeit in Czenstochau begleitet.12 1674 kehrte die Tochter nach dem Tod ihres Mannes nach Wien zurück. 1678 heiratete sie in zweiter Ehe den exilierten Herzog Karl V. von Lothringen (*1643, 1675-1690 Titularherzog), mit dem sie zeitweise in Innsbruck residierte. Die jüngere, Maria Anna Josepha (1654-1689), ging 1678 als Ehefrau des künftigen Pfälzer Kurfürsten Johann Wilhelm (*1658, reg. 1690-1716) nach Düsseldorf.13 Bei beiden Kaiserinnen lassen sich also deutlich zwei bzw. drei Lebensabschnitte voneinander unterscheiden. Gut zwei Jahrzehnte lang lebten beide in Mantua. Für die Frage nach ihrer Rolle als Wissensbrokerinnen ist neben der Erziehung in S. Orsola auch die Partizipation am Leben eines Hofes von Bedeutung, der auch nach dem Sacco dem Anspruch nach einer der ersten der Apenninenhalbinsel war. Knapp zwei Drittel ihres Lebens verbrachten die beiden Gonzaga am Kaiserhof. Als regierende Kaiserinnen, eine Phase, die bei der älteren Eleonora siebzehn Jahre, bei der jüngeren nur sechs Jahre umfasste, hatten sie eine herausgehobene Stellung in der höfischen Welt inne, die sie in besonderer Weise zu Aktivitäten als Patroninnen und Brokerinnen befähigte. Ähnliche Voraussetzungen galten auch für die langen Zeiten ihrer Witwenschaft. Zwar mussten sie gegenüber der neuen regierenden Kaiserin ins zweite Glied zurücktreten, besaßen aber nunmehr als Vorsteherinnen eines eigenen Witwenhofs größere Handlungsspielräume, denn: »Der Kaiserhof in Wien ging mit seinen kaiserlichen Witwen großzügig um« – nicht nur, aber auch finanziell.14 Ernst Adalbert von Harrach entstammte einer erbländischen Adelsfamilie, die dank ihrer engen Beziehungen zum habsburgischen Kaiserhof im 16. Jahrhundert einen beachtlichen gesellschaftlichen Aufstieg verbuchen konnte. 11 Vgl. Intra, 1891, S. 640f.; Keller, 2005, S. 122. 12 Vgl. Fidler, 1990, S. 51. 13 Vgl. Schnitzer-Becker, 1993. Pläne Eleonoras d.J., ihre jüngere Tochter mit dem spanischen König Karl II. zu verheiraten, hatten nicht die Billigung Leopolds I. gefunden. 14 Zur Rolle der Kaiserinwitwen vgl. Pölzl, 2012, Zitat, S. 188; Ders., 2013, S. 53, gibt die Größe des Hofstaats einer Kaiserinwitwe mit 300 bis 400 Personen an, während der einer regierenden Kaiserin nur 60 bis 80 Personen umfasst habe. 132

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Das war wesentlich Leonhard IV. (1514-1590) zu verdanken, der zum Obristhofmeister Kaiser Maximilians II. (1564-1567) aufstieg und 1577 das Inkolat für die Länder der Böhmischen Krone erlangte. Sein Sohn Leonhard V. (15421597) und sein Enkel Karl (1570-1628), der 1608 seinen kinderlosen älteren Bruder Leonhard VI. beerbte, konnten die errungenen Positionen behaupten. Karls zweitgeborener Sohn Ernst Adalbert wurde schon früh für eine kirchliche Karriere bestimmt und erhielt eine vorzügliche geistliche Ausbildung, wie sie für adlige Kleriker zu dieser Zeit nicht unbedingt obligatorisch war. In diesem Kontext machte er seine ersten persönlichen Italienerfahrungen: Von 1616 bis 1620 studierte er am Collegium Germanicum in Rom. Der 24jährige Ernst Adalbert wurde 1622 von Kaiser Ferdinand II. für den Prager Erzbischofsstuhl nominiert. Nachdem er die höheren Weihen erhalten hatte, bestätigte Papst Gregor XV. diese Entscheidung (1623). Hierdurch wurde Harrach zu einer Schlüsselfigur für die Reorganisation der katholischen Kirche und die Gegenreformation in Böhmen, die durch den habsburgischen Sieg über die Ständeopposition (1620) eingeleitet wurden. Diese Prozesse verliefen freilich keineswegs spannungsfrei. Nicht zuletzt mit den Jesuiten hatte Harrach eine Reihe von Konflikten auszustehen, für deren Bewältigung nicht nur seine Verbindungen nach Wien, sondern auch nach Rom wichtig waren. 1648 geriet er im Zuge des schwedischen Einmarschs in Böhmen vorübergehend in Gefangenschaft. Ernst Adalberts Tätigkeit beschränkte sich aber keineswegs auf seine böhmische Erzdiözese und Kirchenprovinz. Selbstverständlich wurde der 1626 auf kaiserlichen Wunsch zum Kardinal ernannte Kirchenfürst auch in weltlichen Angelegenheiten eingesetzt. 1648 bestellte ihn Ferdinand III. zu seinem wirklichen Geheimem Rat. Ganz wesentlich der kaiserlichen Unterstützung verdankte er schließlich auch seine Wahl zum Bischof von Trient (1665), durch die er zum Reichsfürsten aufstieg. Neben den böhmischen Angelegenheiten setzte der Kaiserhof Harrach mit besonderer Vorliebe als Spezialist für römische Fragen ein. Zwischen 1632 und 1667 unternahm Harrach als Mitglied des Kardinalskollegiums und/oder Gesandter des Kaisers nicht weniger als fünf Reisen in die Heilige Stadt.15 Harrachs Karriere lässt sich also (nicht nur geographisch) wesentlich im Spannungsfeld zwischen Prag, Wien und Rom verorten. Er war mehr oder weniger eng und dauerhaft in unterschiedliche höfische Kontexte eingebunden: 15 Zur Biographie Ernst Adalbert von Harrachs vgl. Catalano, 2003, passim; Ders., 2005, v.a. S. 3-40; Keller /Catalano, 2010, Bd. 1, S. 58-88. 133

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• den Prager erzbischöflichen Hof (und später den Trienter fürstbischöflichen Hof), dessen Zentrum er war, • den Kaiserhof, dem er von seiner Herkunft her nahestand, später als Geheimer Rat angehörte und an dem stets verschiedene Familienmitglieder präsent waren, • die Römische Kurie, der er als Mitglied des Heiligen Kollegiums de jure angehörte und an der er mehrfach Präsenz zeigte. Neben seinem familiären Hintergrund prädestinierte ihn genau dies in besonderer Weise, eine wichtige Rolle als transalpin agierender Wissensbroker zu spielen.

Netzwerke Für die Frage des Kultur- und Wissenstransfers von entscheidender Bedeutung ist, dass beide Kaiserinnen ihr Leben lang Kontakte nach Italien, in erster Linie, aber durchaus nicht nur in ihre mantuanische Heimat, pflegten. Mit verschiedenen Familienmitgliedern unterhielten sie einen direkten Briefwechsel. Bei Eleonora d.Ä. sind als wichtige Korrespondenzpartner ihre beiden älteren Brüder Ferdinando (*1587, reg. 1612-1626) und Vincenzo II. (*1594, reg. 16261627) zu nennen, die nacheinander regierende Herzöge waren. Das Verhältnis zu deren Nachfolger Carlo I. aus der Linie Gonzaga-Nevers war weit weniger eng. Dagegen hielt die Kaiserin mit ihrer Nichte Maria, der Schwiegertochter Carlos, mit der sie einige Jahre gemeinsam im Kloster S. Orsola gelebt hatte, über die dynastische Krise und den Mantuanischen Erbfolgekrieg hinweg die Verbindung aufrecht.16 Neben der eigenhändigen Korrespondenz Eleonoras mit verschiedenen Verwandten war für den Austausch zwischen Wien und Mantua vor allem die Anwesenheit mantuanischer Gesandter am Kaiserhof wichtig, die regelmäßig in Kontakt mit den Kaiserinnen und ihrer Umgebung traten und darüber nach Mantua berichteten.17 Informationen und Anfragen vielfältiger Art fanden, wie noch auszuführen sein wird, so den Weg über die Alpen. 16 Vgl. Schnettger, 2016, S. 121f. 17 Dies lässt sich gut an einigen edierten Schreiben des Mantuaner Bischofs Agnelli Soardi nachvollziehen, der Herzog Carlo während der Erbfolgekrise am Kaiserhof vertrat. Vgl. etwa Vincenzo Agnelli Soardi an Herzog Carlo I., Prag, 11. März 1628, in: Kiewning, 1893-1897, Bd. 1, Nr. 2, S. 17-24; ders. an dens., Prag, 23. 134

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Ohne dass hierzu derzeit schon alle Einzelheiten bekannt wären, ist festzuhalten, dass Eleonora auch Kontakte zu Angehörigen der verschiedenen Nebenlinien der Gonzaga unterhielt. Einige Hofdamen stammten aus diesen Familien.18 Auch Cesare (II.) von Guastalla (*1592, reg. 1630-1632), der sich längere Zeit am Kaiserhof aufhielt und in Wien starb, war in ihrer Umgebung anzutreffen.19 Enge verwandtschaftliche Beziehungen bestanden auch nach Florenz.20 Neben ihren zumindest teilweise »ererbten« oder jedenfalls schon in ihrer Jugend grundgelegten italienischen Netzwerken baute Eleonora d.Ä. im Lauf der Zeit Verbindungen im nordalpinen Raum auf. Auch hier musste sie nicht bei null anfangen, sondern profitierte von den bestehenden Beziehungen ihres Mannes. Im Lauf der Jahre traten zumindest partiell eigenständige Netzwerke hinzu: Hier ist nicht zuletzt an ihre ehemaligen, nun verheirateten Hofdamen zu denken.21 Eleonora selbst hatte zwar keine eigenen Nachkommen, nahm aber Mutterfunktionen für die Kinder Ferdinands II. aus erster Ehe wahr. Mit Maria Anna (1610-1665), die 1635 Kurfürst Maximilian I. von Bayern heiratete, traf sie sich 1642 in Passau.22 Ihre jüngere Stieftochter Cäcilia Renata (1611-1644) war seit 1637 Königin von Polen und Großfürstin von Litauen. Ein gutes Verhältnis hatte Eleonora auch zu ihrem jüngsten Stiefsohn, dem kunstsinnigen Bischof und Militär Leopold Wilhelm (1614-1662), der 1647 bis 1656 Statthalter der Spanischen Niederlande war.23 Nicht zu vergessen sind Eleonoras Beziehungen nach Lothringen, wo ihre ältere Schwester Margherita (1591-1632) seit 1606 als Herzogin(witwe) lebte.24 Einen erheblichen Stellenwert besaßen auch Eleonoras Verbindungen zu verschiedenen geistlichen Institutionen. In ihrem Testament von 1651 bedachte März 1628, in: Ebd., Bd. 1, Nr. 4, S. 26-34; Wien, 16. August 1628, in: Ebd., Bd. 1, Nr. 72, S. 179-183; ders. an dens., Wien, 23. September 1628, in: Ebd., Bd. 1, Nr. 108, S. 244-246 18 Vgl. Keller, 2005, S. 278f. 19 Vgl. Schnettger, 2016, S. 136. 20 Eleonora war, wie gesagt, die Tochter einer Medici; auch Caterina (1593-1629), die Frau ihres Bruders Ferdinando, war eine Medici; ihre Schwägerin Maria Magdalena von Österreich (1589-1631) war 1621 bis 1628 Regentin für ihren Sohn Ferdinando II. (*1610, reg. 1621-1670). 21 Vgl. Keller, 2005, v.a. S. 72-86; Schnettger, 2016, S. 134. 22 Vgl. Keller, 2005, S. 122. 23 Dies wird sehr deutlich bei Schreiber, 2004. 24 Sie setzte sich später auch für deren Nachkommen ein. Vgl. Schnettger, 2016, S. 137. 135

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sie unter anderem die von ihr gegründeten Klöster der Unbeschuhten Karmelitinnen in Wien und Graz, das Wiener Augustinerkloster, wo sie die Loretokapelle gegründet hatte, und die Jesuiten in Graz und Wien, aber auch S. Orsola in Mantua.25 Überhaupt ist das Testament eine wichtige Quelle, um das Netzwerk der Kaiserinwitwe in ihren letzten Lebensjahren zu rekonstruieren. Neben geistlichen Institutionen erhalten – in unterschiedlichem Umfang – Mitglieder der Familien Gonzaga und Habsburg Geld oder Sachwerte, wie Reliquien oder Juwelen. Außerdem finden sich aktuelle und frühere Mitglieder des Hofstaats unter den Erben. Als Testamentsvollstrecker fungieren Fürst Maximilian von Dietrichstein, Graf Johann Weikhard Auersperg, Graf Federico Cavriani sowie ersatzweise Graf Achas von Losenstein, die damit als besondere Vertrauensmänner Eleonoras markiert sind.26 Die Netzwerke Eleonoras d.J. besitzen erhebliche strukturelle Gemeinsamkeiten mit denen ihrer Großtante. Auch sie unterhielt Briefwechsel mit ihren Verwandten in der mantuanischen Heimat, vor allem mit ihrer 1660 verstorbenen Mutter Maria und ihrem Bruder Herzog Carlo II. (†1665). Auch bei ihr lassen sich Verbindungen zu den Nebenlinien der Gonzaga nachweisen und ist von Kontakten zu anderen italienischen Höfen auszugehen. Ein Spezifikum ist, dass die jüngere Eleonora bei ihrer Ankunft am Kaiserhof gleichsam die bereits etablierten Netzwerke ihrer Stiefschwiegermutter übernehmen konnte. In einer Reihe von Fällen lässt sich nachweisen, dass Personen, die vorher dem Hofstaat der älteren Eleonora angehört hatten, spätestens nach deren Tod 1655 in den Dienst ihrer Großnichte eintraten.27 Selbstverständlich aber war auch ihr Netzwerk ein dynamisches, das sich etwa durch die Neuaufnahme bzw. die Verehelichung von Hofdamen ständig veränderte. Auch bei Eleonora d. J. sind die (Stief-)Kinder als wichtige Knotenpunkte ihres Netzwerkes zu betrachten. Bekannt ist ihr hervorragendes Verhältnis zu Kaiser Leopold I. (*1640, reg. 1657/58-1705). Von ihren leiblichen Töchtern heiratete die ältere, wie berichtet, einen polnischen König, dann einen exilierten Herzog von Lothringen, die jüngere den Erbprinzen der in Düsseldorf residie25 Bues, 1994, S. 341-344. Eleonora ließ sich auch unter dem Hochaltar der Josephskirche im Wiener Karmelitinnenkloster bestatten, in dessen unmittelbarer Nachbarschaft sie auch ein Appartement besaß, in das sie sich zeitweise zurückzog. Nach der Säkularisation des Klosters unter Joseph II. wurde sie in die Herzogsgruft des Stefansdoms umgebettet. Vgl. Schnettger, 2016, S. 129. 26 Vgl. Bues, 1994, S. 325 und passim. 27 Das gilt z.B. für Federico Cavriani, der nacheinander bei beiden Kaiserinnen das Obersthofmeisteramt bekleidete. 136

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renden Pfalz-Neuburger, die kurz vor Eleonoras Tod das Erbe der Pfälzer Kurfürsten antraten (1685).28 Für Eleonora d.J. bilden die Mitgliederlisten der beiden von ihr gegründeten Damenorden, des überkonfessionellen Ordens der Sklavinnen der Tugend (1662) und des prononciert katholischen, bis heute bestehenden Sternkreuzordens (1668), wertvolle Hinweise auf ihre Netzwerke.29 Für die Sklavinnen der Tugend kann man auf eine im 18. Jahrhundert publizierte Mitgliederliste zurückgreifen. Ihr ist zu entnehmen, dass neben Frauen aus den habsburgischen Territorien unter anderem die bayerische Kurfürstin Enrichetta Adelaide di Savoia (1636-1676) sowie die protestantischen Fürstinnen Charlotte von HessenKassel, Kurfürstin von der Pfalz (1627-1686), Sophie Luise von Württemberg, Markgräfin von Brandenburg-Bayreuth (1642-1702) und ihre jüngere Schwester Christine Charlotte, Fürstin von Ostfriesland (1645-1699), diesem Tugendorden angehörten.30 Damit ist das weitgespannte Netzwerk der Kaiserin aber auch nicht ansatzweise vollständig erfasst, zu dem beispielsweise auch zahlreiche Geistliche gehötren, darunter so bedeutende Persönlichkeiten wie der berühmte Prediger Marco d’Aviano (1631-1699).31 Das Netzwerk Ernst Adalbert von Harrachs lässt sich in nahezu einzigartiger Weise anhand seiner vor einigen Jahren edierten Tagzettel und Diarien nachvollziehen. Dabei handelt es sich um zwei mehr oder weniger parallele Selbstzeugnisse unterschiedlichen Charakters: Die ab Dezember 1629 überlieferten italienischsprachigen32 Diarien enthielten in den ersten Jahren meist nur knappe Notizen zu den einzelnen Daten. Während der Romreise im Jahr 1637 wurden sie deutlich ausführlicher und entsprachen in dieser Zeit anderen bekannten Diarien kaiserlicher Gesandter. Danach kehrte Harrach zu der knappen Notizenform zurück bzw. scheint in den Jahren 1641 bis 1643 gar keine Diarien geführt zu haben, die er erst zur Zeit seiner Romreise von 1644 wiederaufnahm und die auch später knappere und ausführlichere Phasen aufwiesen. Ebenfalls 1637 beginnt die Überlieferung der deutschprachigen Tagzettel. Diese hatten anfangs noch deutliche Anklänge an eine Briefform, entwickelten sich aber zu 28 Siehe oben S. 136. 29 Vgl. zu den beiden Orden Koloch, 2011, S. 361-388. 30 Italienische Mitglieder entstammten den Familien Gonzaga, Piccolomini, Cavriani, Varano und Canossa. Köhler, 1749, S. 173-176. Vgl. auch Keller, 2010,S. 237f. 31 Vgl. Fidler, 1990, S. 65. 32 Zur Verbreitung des Italienischen in böhmischen Adelskreisen vgl. Catalano, 2007. 137

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persönlichen geschriebenen Zeitungen oder Avvisi,33 die Informationen zu den unterschiedlichsten Gegenständen enthielten und die der Kardinal, zum Teil mit geringen Abweichungen, seinen Korrespondentinnen und Korrespondenten zukommen ließ. Dadurch konnte er seinen Korrespondenzverpflichtungen mit einem reduzierten Aufwand nachkommen und sein soziales Netzwerk (das in weiten Teilen ein höfisches Netzwerk war) effektiv pflegen. Leider sind die italienischen »Foglietti« des Kardinals, ein Pendant zu den Tagzetteln, nicht ediert – und möglicherweise auch gar nicht erhalten.34 Die italienischen Diarien und deutschen Tagzettel, die ab 1637 (mit einigen Lücken) in Parallelüberlieferung erhalten sind, weisen viele Gemeinsamkeiten, aber auch einige charakteristische Unterschiede auf. Im Allgemeinen sind die Tagzettel ausführlicher. Manche intime, für die eigene Erinnerung reservierte Aussagen etwa zum eigenen körperlichen Befinden oder auch Arcana, wie etwa die Interna der beiden Konklaven, an denen der Kardinal 1644 und 1655 teilnahm, finden sich dagegen nur in den Diarien.35 Die Listen der bekannten Empfängerinnen und Empfänger der Tagzettel sowie die in den Quellen erwähnten Begegnungen und Korrespondenzen erlauben eine recht genaue Rekonstruktion des Netzwerks Harrachs, das mit Blick auf das Erkenntnisinteresse dieses Aufsatzes im Folgenden v.a. auf seine italienischen Komponenten untersucht werden soll, das heißt auf Verbindungen zu Personen, die sich gegenwärtig in Italien aufhielten, italienischer Herkunft waren und/oder ihrerseits Kontakte zur Apeninnenhalbinsel pflegten. Dieses Netz kann im Folgenden nicht in allen seinen Verästelungen vorgestellt, soll aber in seinen wesentlichen Strukturen nachgezeichnet werden. Hierbei ist zunächst daran zu denken, dass Ernst Adalbert bezüglich seiner italienischen Kontakte in einer Familientradition stand. Schon sein Großvater Leonhard V. von Harrach war zwischen 1581 und 1594 mehrfach kaiserlicher 33 Vgl. zu den römischen Avvisi Infelise, 2002. 34 Bedauerlich ist, dass durch den Verlust bzw. die Nichtverfügbarkeit der italienischsprachigen »Foglietti« nicht nur deren Inhalte und Gestalt, sondern auch deren Empfänger nicht klar zu benennen sind. Es gibt aber in der Korrespondenz Ernst Adalberts deutliche Hinweise darauf, dass es solche »Foglietti« gegeben haben muss und dass zumindest zeitweise der römische Agent Orsucci, Kardinal Giovanni Carlo de᾽ Medici (1611-1663) und Scipione Gonzaga di Bozzolo (1595-1670), Fürst von Sabbioneta, zu ihren Empfängern gehörten. Sicher ist, dass die deutschen Tagzettel auch Empfänger in Italien erreichten, nämlich die römischen Agenten Barsotti und Orsucci. Vgl. Keller /Catalano, 2010, Bd. 1, S. 47f. 35 Vgl. Keller /Catalano, 2010, Bd. 1, S. 30-57. 138

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Gesandter in Rom gewesen. Zudem bestanden durch dessen erste Frau Maria Jacobe von Hohenzollern-Sigmaringen (1549-1578) verwandtschaftliche Beziehungen zu Kardinal Eitel Friedrich von Hohenzollern (1582-1625), der für Harrachs römischen Karrierestart besonders wichtig wurde.36 Durch Ernst Adalberts Vater Karl wurden die bereits etablierten Beziehungen nach Italien intensiviert. Er studierte nicht nur in Padua und Siena, sondern trat 1603 in die Fußstapfen seines Vaters als kaiserlicher Gesandter an der Römischen Kurie, um die Unterstützung Clemens’ VIII. Aldobrandini im Langen Türkenkrieg zu erbitten. Höchst ehrenvoll war auch, dass Karl 1622 die Delegation anführte, welche 1622 die neue Kaiserin Eleonora Gonzaga d.Ä. in Mantua in Empfang nahm und zur Hochzeit nach Innsbruck geleitete.37 Es gab eine Reihe von Konnubien der Harrach mit italienischen Familien: Ernst Adalberts Tante Maria Clara Ursula, die Frau seines Onkels Leonhard VI., war eine Arco.38 Bereits 1590 verstorben war sein Onkel Ferdinand, der erste Mann seiner Tante Maria Anna Elisabeth, aus der Veroneser Familie der Nogarola. Sein Cousin Ferdinand Ernst heiratete 1653 aber ebenfalls eine Nogarola (Isabella Clara). Nicht zuletzt aber war ein Bruder des Kardinals, Otto Friedrich, seit 1635 mit der wohlhabenden Witwe Wratislaw von Fürstenbergs Thekla Lavinia Maria Gonzaga di Novellara verheiratet.39 Durch seine Schwägerin Thekla Lavinia Maria trat Kardinal Harrach in eine – wenn auch sehr weitläufige – Verwandtschaft mit Kaiserin Eleonora Gonzaga d.Ä. ein. Diese war zugleich auch die Patin seiner Nichte Maria Eleonora (16231693), die der Kaiserin über zehn Jahre als Hofdame und Kammerfräulein diente.40 Auch andere Verwandte des Kardinals gehörten dem Hofstaat Eleonoras d.Ä. und später Eleonoras d.J. an. Die Diarien und Tagzettel des Kardinals be36 Maria Jacobe war Ernst Adalberts Großmutter und die Tante Kardinal Eitel Friedrichs. Zu diesem siehe unten S. 146. 37 Vgl. Keller /Catalano, 2010, Bd. 1, S. 59f. 38 Keller /Catalano, 2010, Bd. 1, S. 60. 39 Beide Ehepartner starben 1639, und Kardinal Ernst Adalbert übernahm zusammen mit seinem Bruder Franz Albrecht die Vormundschaft über die Waisen Ferdinand Bonaventura und Maria Elisabeth. Vgl. Keller /Catalano, 2010, Bd. 1, S. 191f. 40 Kaiserinwitwe Eleonora war auch die Stifterin von Maria Eleonoras Ehe mit Graf Nikolaus Pálffy (1649). Sie zahlte ihr nicht nur die Mitgift, sondern bedachte sie in ihrem Testament auch mit einem Erinnerungsstück. Vgl. Keller /Catalano, 2010, Bd. 1, S. 190. – Die Beziehungen zur Kaiserin waren umso wichtiger für die Harrach, als ihre Stellung durch den Sturz Wallensteins, als Gemahl Isabella Katharinas von Harrach der Schwager des Kardinals, 1634 erschüttert wurde. Der 139

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legen, dass er die Herrscherinnen und ihre Hofdamen regelmäßig sah, wenn er in Wien weilte. Auch in der unmittelbaren Umgebung des Prager Kardinalerzbischofs selbst waren ständig Italiener präsent.41 Von 1627 bis zu seinem Tod war der Pavese Giuseppe Corti (1593-1662) Hofmeister Harrachs, dem er in einer Reihe von diplomatischen Missionen und 1644 in der Vertrauensstellung eines Konklavisten diente. Da alle Bemühungen des Kardinals scheiterten, ihm einen Bischofssitz zu verschaffen, blieb Corti dauerhaft in Böhmen, wo er ab 1654 mit dem Titel eines Erzbischofs von Sebaste das Amt des Prager Weihbischofs versah.42 Ein anderer langjähriger Weggefährte Harrachs war Giovanni Battista Barsotti (ca. 1600-1664). Er entstammte einer Luccheser Patrizierfamilie mit weitverzweigten Handelsverbindungen und trat scheinbar 1626 im Kontext der Kardinalsernennung in die Dienste Ernst Adalberts. Bis zu seinem Tod führte er den Titel eines »maestro di camera« Harrachs. Nach einigen Jahren in Böhmen wurde er von diesem 1638 als sein Agent an die Kurie geschickt und nahm in der Folgezeit eine wichtige Position in den Kontakten zwischen Rom und dem Reich ein, da er auch anderen bedeutenden Würdenträgern der Germania Sacra mit dem Mainzer Kurerzbischof Johann Philipp von Schönborn an der Spitze als Agent diente. Die Tatsache, dass Barsotti Ende 1643 nun seitens der Kurie als päpstlicher Agent über die Alpen geschickt wurde, unterstreicht, wie flexibel die Kommunikationsnetzwerke zwischen dem Reich und Italien waren. Barsotti verfolgte nach seiner Rückkehr an die Kurie durchaus auch seine eigenen Interessen, schaffte es aber lange nicht, eine einträgliche römische Pfründe zu erlangen. 1654 in das Amt eines »Governatore degli Lucchesi« in Rom befördert, musste er sich 1655 unter dem Verdacht, im Konklave gegen den neuen Papst Alexander VII. Chigi gearbeitet zu haben, nach Subiaco zurückziehen. 1662 folgte er aber dem Ruf Harrachs nach Böhmen und trat die Nachfolge Giuseppe Cortis als Prager Weihbischof an.43 Wesentlich bekannter als Corti und Barsotti ist der Kapuzinerpater Valeriano Magni (Valeriano da Milano, 1586-1661), der in den 1620er und frühen 1630er Jahren einer der einflussreichsten Mitarbeiter und zeitweise Beichtvater Harebenfalls 1634 in Eger umgebrachte Adam Erdmann Trčka war der Mann einer weiteren Schwester, Maria Maximiliana. 41 Vgl. zusammenfassend Catalano, 2012. 42 Vgl. Keller /Catalano, 2010, Bd. 1, S. 185. Das persönliche Treueverhältnis fand seinen Niederschlag auch darin, dass Harrach Corti in seinem Testament von 1661 die ansehnliche Summe von 6.000 Gulden vermachte. 43 Vgl. Keller /Catalano, 2010, Bd. 1, S. 181f. 140

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rachs war. Auch in späterer Zeit, als er neben einigen diplomatischen Aufträgen im Dienst des Kaisers auch als Apostolischer Missionar für Kursachsen, Hessen, Brandenburg und Danzig (ab 1645) wirkte, war er ein einflussreicher Ratgeber des Kardinals, der zugleich über seine eigenen Beziehungen nach Rom verfügte und auch immer wieder selbst an der Kurie weilte.44 Der gebürtige Franzose Basilius von Aire (1591-1665), auch er ein Kapuziner, gehörte seit 1627 zum Umfeld Magnis, folgte ihm nach Mitteleuropa und wurde in den 1630er Jahren zum wichtigsten Mitarbeiter Harrachs in Kirchenangelegenheiten.45 Auch er besaß Verbindungen nach Rom und an den Kaiserhof. Nicht zuletzt unterhielt er einen umfangreichen Briefwechsel mit dem Sekretär der Propagandakongregation Francesco Ingoli (1578-1649).46 Aus dem Trentino stammte Francesco Tommaso Visintainer (1612-1690), der Mitte der 1630er Jahre in Harrachs Dienste trat und zeitweise sein Kanzler war.47 Auch der hochgelehrte Juan Caramuel y Lobkowitz (1606-1682), den der Kardinal zum Generalvikar des Prager Erzbistums machte, gehörte von 1647 bis zu seiner Berufung nach Rom 1655 zeitweise zum böhmischen Mitarbeiterkreis Harrachs.48 Nicht zu vergessen unter den Italienspezialisten im Dienst des Kardinals sind schließlich seine römischen Agenten, bis 1638 Cornelius Heinrich Mottmann (1589-1638), dann Barsotti und später Michele Orsucci. Unter der Bezeichnung »Agent« konnten sich sehr unterschiedliche Beziehungen verbergen. Denn während Barsotti, wie gezeigt, ein enger, ihm persönlich vertrauter Mitarbeiter Harrachs war, kannte dieser Orsucci nur sehr oberflächlich.49 Auch unter den Prager Bekannten des Kardinals finden sich Personen mit italienischem Hintergrund, wie Silvia Caterina Czernin (1607-1664), die seit den 1640er Jahren zum Kreis um Harrach zu rechnen ist. Sie war die Tochter Stefanos Del Carretto di Millesimo, auf den der böhmische Zweig des ursprünglich ligurischen Adelsgeschlechts zurückgeht. Silvia Caterina unternahm 44 Ungeachtet dessen, dass Magni nicht nur mit den Jesuiten, sondern auch mit dem Kaiserhof zeitweise in Konflikt geriet und kurz vor seinem Tod sogar für einige Tage in Wien inhaftiert wurde. Vgl. Catalano, 2005, S. 111-161; Keller /Catalano, 2010, Bd. 1, S. 200. 45 Vgl. Keller /Catalano, 2010, Bd. 1, S. 63, 68, 75. 46 Vgl. Keller /Catalano, 2010, Bd. 1, S. 182f., Zitat S. 183. – Basilius von Aire setzte sich ebenso wie Magni 1633 vergeblich für die Freilassung Galileo Galileis ein. 47 Vgl. Keller /Catalano, 2010, Bd. 1, S. 223f. 48 Vgl. Catalano, 2002a. 49 Vgl. Keller /Catalano, 2010, Bd. 1, S. 48. 141

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nach dem Tod ihres ersten Mannes gemeinsam mit einer anderen adligen Prager Witwe, Margaretha Anna von Thun, 1654 eine Reise nach Loreto, Rom und Venedig und war bei ihren Aufenthalten am Kaiserhof in der Umgebung Kaiserin Eleonoras d.J. zu finden.50 Am Wiener Hof begegnete der Kardinal zahlreichen weiteren Italienern, die in den Diarien und Tagzetteln regelmäßig erwähnt werden, wie die in kaiserlichen Diensten stehenden Generäle Raimondo Montecuccoli (1608-1681), Ottavio Piccolomini (1599-1656) und Rodolfo Colloredo (1585-1657).51 Über beste Informationen aus Italien verfügten natürlich die Gesandten der italienischen Fürsten und Republiken, aber auch der spanische Botschafter, zumal wenn er wie Diego de Aragón de Terranova aus Sizilien stammte.52 Zweifelsfrei nachweisen lässt sich, dass Harrach auch auf Informationen aus italienischen Avvisi und gedruckten Zeitungen zurückgreifen konnte.53 Über Korrespondenzpartner in Italien, über Zeitungen und Avvisi aus Italien verfügten manche Zeit- und Standesgenossen Harrachs, wenn auch wohl nicht allzu viele in einer vergleichbaren Dichte. Ein Spezifikum des Prager Kardinalerzbischofs waren hingegen seine eigenen Italienerfahrungen. Prägend in dieser Hinsicht war fraglos das Studium am römischen Collegium Germanicum ab 1616. Der junge Ernst Adalbert konnte von Anfang an auf eine Reihe von Kontaktleuten in Rom zählen, darunter seinen Großonkel Kardinal Eitel Friedrich von Hohenzollern, und verdichtete sein römisches Beziehungsnetz in den folgenden Jahren nachhaltig. Nach der Beendigung seiner Studien fungierte bei der öffentlichen Disputation seiner Thesen der spätere Kardinalnepot Urbans VIII. (1623-1644) Francesco Barberini als sein Opponent, und die schriftliche Fassung seiner Ausarbeitung widmete er dem amtierenden Kardinalnepoten Scipione Caffarelli Borghese (1577-1633). Wenig später wurde er zum päpstlichen Cameriere segreto ernannt und wurde somit formal Angehöriger des päpstlichen

50 Vgl. Keller /Catalano, 2010, Bd. 1, S. 185f. 51 Vgl. Keller /Catalano, 2010, Bd. 1, S. 204f., 207, 184. 52 Terranova war von 1646 bis 1648 spanischer Botschafter in Wien und gehörte 1648/49 ebenso wie Harrach zum Brautzug der Erzherzogin Maria Anna auf ihrem Weg nach Spanien. Harrach begegnete Terranova anlässlich des Konklaves von 1655 in Rom wieder, wo er seinen König von 1654-1657 vertrat. Vgl. Keller / Catalano, 2010, Bd. 1, S. 220f. 53 Dass er dies tat, ist durch entsprechende Angaben in seinen Diarien und Tagzetteln belegt. Vgl. Keller /Catalano, 2010, Bd. 1, S. 41. 142

Kaiserinnen und Kardinäle

Hofes.54 Die römischen Bekanntschaften des Kardinals waren nicht nur vor Ort nützlich, sondern konnten zudem sein Korrespondentennetz ergänzen. Ohne mit den vorangegangenen Auflistungen Vollständigkeit beanspruchen zu können, lässt sich doch festhalten, dass sowohl die beiden Kaiserinnen als auch Kardinal Harrach über komplexe transalpine Netzwerke verfügten. Dabei handelte es sich zumal im Falle des Kardinals nur zum geringeren Teil um institutionalisierte Verbindungen. Ein höherer Institutionalisierungsgrad ist für den Austausch der Kaiserinnen mit den mantuanischen und anderen italienischen Gesandten oder für die Korrespondenz Harrachs mit den verschiedenen kurialen Stellen sowie mit seinem römischen Agenten anzunehmen. Doch auch hier ist von personalen Netzwerken auszugehen, die wesentlich von den durchaus fluktuierenden persönlichen Beziehungen geprägt waren und schon deswegen nicht als statisch zu denken sind. Vielmehr waren sie durch neue Bekanntschaften, Entfremdungen, Heiraten, Todesfälle etc. beständigen Veränderungen unterworfen. Deutlich geworden ist auch, wie die Netzwerke der beiden Kaiserinnen und Harrachs miteinander verwoben waren bzw. ineinander griffen. Selbstverständlich verfügten auch andere Personen, die diesen Netzwerken zugeordnet werden können, ihrerseits über eigene transalpine Netzwerke (z.B. Valeriano Magni). Neben der Fluktuation der personalen Beziehungen trug auch die Mobilität der Personen zur ständigen Veränderung der Netzwerke bei. Besonders deutlich wird dies bei Kardinal Harrach, der selbst einen sehr weiten Bewegungsradius – von Böhmen bis Rom – hatte, aber auch die Kaiserinnen waren bis zu einem gewissen Grade mobil. Und selbstverständlich waren auch die Angehörigen ihrer Netzwerke in Bewegung. Schon die komplexe Struktur dieser Netzwerke spricht also dafür, transalpine Transferprozesse nicht als italienisch-deutsche Einbahnstraße zu begreifen und die Komplexität dieser Prozesse nicht zu unterschätzen. Umgekehrt dürfte deutlich geworden sein, welche Bedeutung die zwar fluktuierenden, im Kern aber stabilen Netzwerke von Persönlichkeiten wie den Kaiserinnen und dem Kardinal in diesem Kontext hatten. Dabei sollte nicht der unterschiedliche Status der untersuchten Persönlichkeiten aus dem Blick verloren werden: Die beiden Kaiserinnen verfügten nicht nur über größere – und partiell andersartige – eigene Patronageressourcen, sondern sie waren vor allem durch die unmittelbare Nähe zum Kaiser in weitaus höherem Maße in der Lage, als Patronagebrokerinnen 54 Vgl. Catalano, 2005, S. 23f., 34, 106-110; Keller /Catalano, 2010, Bd. 1, S. 62. Eine im Rahmen dieses Beitrags nicht zu leistende systematische Auswertung der Diarien und Tagzettel Harrachs könnte aufschlussreich für eine genaue Kenntnis der römischen Kontakte des Kardinals sein. 143

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tätig zu werden. Das wiederum war nicht ohne Auswirkungen auf ihre Handlungsspielräume als Wissensbrokerinnen, wie im Folgenden zu zeigen sein wird.

Wege der Wissensvermittlung Wenn im Folgenden die Aktivitäten der Kaiserinnen und des Kardinals in der transalpinen Wissensvermittlung und -verbreitung in den Blick genommen werden, so kann das nur beispielhaft und ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit gehen. Vielmehr geht es darum, exemplarisch zu zeigen, wie diese drei Persönlichkeiten entweder selbst als Wissensträger(innen) fungierten oder als Wissensbroker(innen) wirkten. Die beiden Kaiserinnen aus dem Haus Gonzaga waren selbst Trägerinnen von Wissen. Im Fall der älteren Eleonora, die ja an einem Hof aufgewachsen war, der für die Entwicklung der frühen Oper maßgebliche Bedeutung besaß, lässt sich das besonders gut für das Musiktheater nachvollziehen. Schon bei ihrem ersten Zusammentreffen mit Ferdinand II. führte sie mit ihren Damen am 5. Februar 1622 in Innsbruck ein neuartiges Hofballett auf, wie es am Kaiserhof bis dato unbekannt war. Eine weitere, von Eleonora organisierte Aufführung folgte am 23. August desselben Jahres in der Favorita.55 Möglicherweise inszenierte und choreographierte Eleonora auch ein Ballett, das anlässlich der Hochzeit ihres Stiefsohns Ferdinand III. mit Maria Anna von Spanien am 27. Februar 1631 aufgeführt wurde.56 Alles spricht dafür, dass die Förderung des Musiktheaters durch Eleonora zielgerichtet und maßgeblich durch ihre eigenen Kenntnisse auf diesem Gebiet geprägt war. Auch Eleonora d.J. trat, wie das für Angehörige des Kaiserhauses üblich war, bei höfischen Balletten als Tänzerin in Erscheinung. Mit großer Wahrscheinlichkeit komponierte sie selbst. Zudem verfasste sie geistliche und weltliche Dichtungen in italienischer Sprache, darunter auch Libretti für Kantaten, die im Rahmen von Akademien aufgeführt wurden, eine Form der geistreichen Konversation, die in Wien stark mit musikalischen Elementen verknüpft war 55 Vgl. Seifert, 1985, S. 26f., 127. Seifert bezweifelt aber, ob die Aufführung vom Februar 1622 als Ballett im engeren Sinne zu bezeichnen sei. Für die Aufführung im August 1622 findet sich in den Quellen die unspezifische Bezeichnung »invenzione«. Allgemein zur Bedeutung der Kaiserinnen für Transferprozesse im Bereich der Musik Besutti, 2008. 56 Vgl. Seifert, 1985, S. 30f. Als sicher nimmt Seifert an, dass die Idee des Balletts auf Eleonora zurückging. 144

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und für deren Etablierung sich nicht zuletzt die Kaiserin stark machte.57 Auch Eleonora d.J. war eine kenntnisreiche Förderin des höfischen Musiktheaters und richtete regelmäßig Geburtstagsopern für Leopold I. und andere Mitglieder der kaiserlichen Familie aus.58 Zudem machte sie sich um die Einführung neuer sakralmusikalischer Formen am Wiener Hof, namentlich des Oratoriums, aber auch der sogenannten Sepolcri, die am Karfreitag beim Heiligen Grab zur Aufführung kamen, verdient. Hierbei lassen sich neben römischen auch oberitalienische Einflüsse nachweisen.59 Für beide Kaiserinnen ist bezeugt, dass sie gezeichnet bzw. gemalt haben.60 In diesem Fall würde ich allerdings nicht so weit gehen, sie als Trägerinnen von Wissen zu bezeichnen, obwohl sie sicher über Kenntnisse in Zeichnen und Malerei verfügt haben, die schon im Kloster S. Orsola grundgelegt worden sind. Sie nahmen auch Einfluss auf Umbauten an Schlössern, Kirchen und Klöstern. Recht gut lässt sich das für Eleonora d.J. und die Errichtung des Leopoldinischen Traktes der Hofburg nachvollziehen61, weniger sicher für die Errichtung des nicht erhaltenen Gonzagaflügels der Katterburg, des späteren Schönbrunn, durch Eleonora d.Ä.62 Am deutlichsten wird die Einflussnahme der Gonzaga57 Vgl. Koldau, 2005, S. 92f., 98; Deisinger, 2013a, S. 56-69; Sommer-Mathis, 2017 (ich danke der Autorin sehr herzlich für die Überlassung des Manuskripts). Für die Etablierung von Akademien am Kaiserhof war Eleonora wesentlich mitverantwortlich. 58 Sie »nutzte offenbar jeden nur möglichen Anlass, um musikdramatische Werke schreiben und […] aufführen zu lassen«. Koldau, 2005, S. 92. 59 Vgl. Deisinger, 2011; Ders., 2013a; Ders., 2014, S. 43-47; Ders., 2013b, S. 170-182. 60 Das 1659 in der Kunstsammlung Erzherzog Leopold Wilhelms befindliche kleinformatige Bild von Johannes dem Täufer stammte laut Bues, 1994, S. 335, von Eleonora d.Ä. Deisinger, 2013a, S. 56, ordnet es dagegen neben anderen Malereien der jüngeren Eleonora zu. Vgl. Ebd, S. 54-56; Schreiber, 2004, S. 123; Intra 1891, S. 642, der berichtet, dass auch in Mantua ein von der jüngeren Eleonora angefertigtes Gemälde vorhanden war. 61 Vgl. Fidler, 1990, S. 63f.; Karner, 2014, S. 387f.; Jeitler, 2015, S. 130. Für die Arbeiten wurde unter anderem der Maler Carpoforo Tencalla aus Italien geholt. Für die neue Kammerkapelle in der Amalienburg gab Eleonora d.J, 1674 das Hochaltarbild »Tod des Heiligen Joseph« bei Carlo Maratta in Auftrag. Vgl. Karner, 2014, S. 396f. 62 Vgl. Hassmann, 2004, S. 347-369. Hassmann hält es für gut denkbar, aber nicht bewiesen, dass der Baumeister des Gonzagaflügels der aus dem Tessin stammende Giovanni Battista Carlone († 1645) war (S. 368f.). 145

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Kaiserinnen aber bei der Favorita auf der Wieden, die sich (mit Unterbrechungen) von 1622 bis 1686 nacheinander im Besitz der beiden Frauen befand. Hier kommt das Transferelement schon bei der Namengebung zum Ausdruck, war sie doch nach einer Villa der Gonzaga bei Mantua benannt, doch auch die äußere Erscheinung der Villa spielte für die Gestaltung des kaiserlichen Lustschlosses und seines Parks eine Rolle.63 Ernst Adalbert von Harrach wirkte nicht zuletzt durch seine Übersetzungstätigkeit als Wissensvermittler zwischen Italien und dem Heiligen Römischen Reich. Er übertrug so unterschiedliche Werke wie den der religiösen Erbauungsliteratur zuzurechnenden Viaggio al Monte Calvario von Cesare Franciotti, die Pastorale Filli di Sciro von Guidobaldo Bonarelli und den Roman Inganno d’amore von Benedetto Ferrari vom Italienischen ins Deutsche.64 Vor allem aber nutzten er und seine Mitarbeiter italienische Modelle, namentlich das Vorbild des borromeischen Mailand, zur Reorganisation des Prager Erzbistums.65 Hier, also im Bereich von Theologie bzw. Ekklesiologie, kirchlicher Administration und Seelsorge ist Kardinal Harrach (ebenso wie seine italienischen bzw. italienische Einflüsse aufnehmenden Mitarbeiter) sicher als Wissensträger zu bezeichnen. Für einen Adligen des 17. Jahrhunderts war genealogisches Wissen – gleich ob es sich um reale oder um konstruierte Verwandtschaften handelte – unabdingbar. Mehrfach reflektiert Kardinal Ernst Adalbert in seinem Diarium über die Genealogien italienischer Adelsfamilien.66 Offensichtlich besaß er auch musikalische Kenntnisse, die ihn befähigten, Kirchenmusiken, Konzerte und Opernaufführungen kritisch zu beurteilen.67 Ähnliches 63 Venturini, 2002, S. 133, schreibt in ihrer Einleitung: »Il sogno dell’imperatrice in questi anni è il riprodurre la Favorita nella sua nuova patria«. Die Kaiserin ließ sich in der Tat gleich nach ihrer Ankunft in Wien ein Bild der Mantuaner Favorita schicken. Eleonora d.Ä. an Herzog Ferdinando von Mantua, Wien, 27. Februar 1622, in: Ebd., Nr. 1273, S. 657f. Vgl. auch Schwarz, 1898, S. 1-8; Deisinger, 2013a, S. 60f; Polleross, 2013, S. 37. 64 Ferner übersetzte Harrach auch L’Uranie du Sieur de Montagathe und L’Astrée von Honoré d’Urfé. Vgl. Keller /Catalano, 2010, Bd. 1, S. 63f.; Catalano 2005, S. 39f. 65 Vgl. Catalano, 2012, S. 107f. 66 Z.B. im Diarium zum 22. Juli 1637 (Fieschi), 14. und 16. August 1637, 10. Juni 1644 (Colonna), in: Keller /Catalano, 2010, Bd. 2, S. 172, 191, 195, 495. 67 Vgl. etwa das Diarium zum 2. Mai 1655, Rom: »[…] andai al vespro a S. Apollinare, dove cantorno in gratia mia 3 motetti straordinarii lunghi, ma molto belli, e con 2 castrati buonissimi«, in: Keller /Catalano, 2010, Bd. 4, S. 108; oder das Diarum 146

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gilt für die Bildende Kunst68 und das Theater, die regelmäßig im Diarium thematisiert werden. Allerdings kann das Diarium zwar als eine Quelle für Transferprozesse genutzt werden, als ein ausdrücklich dem persönlichen Gebrauch vorbehaltener Text diente es aber nicht selbst als ein Medium des Transfers. Anders ist die Sachlage bei den Tagzetteln, die dezidiert der Vermittlung von Informationen an einen Kreis von Empfängerinnen und Empfängern dienten, die sich teilweise in großer geographischer Distanz zum Kardinal aufhielten. Hier jedoch fallen die Informationen zu den genannten Bereichen meist so knapp aus, dass nur mit Einschränkungen von Wissenstransfer im engeren Sinne gesprochen werden kann.69 Auch die zahlreichen Berichte über Visiten, Begegnungen, Empfänge etc., die einen erheblichen Teil des Inhalts der Tagzettel ausmachen, lassen sich zumindest auf den ersten Blick schwer unter dem Begriff Wissenstransfer fassen. Allerdings konnten kundige Leserinnen und Leser diese Einzelinformationen durchaus zu für sie nützlichen Wissensbeständen aggregieren, denn die Kenntnis von Zeremoniell, persönlichen Konstellationen etc. war für Menschen, die sich in höfischen Kontexten bewegten, von erheblicher Bedeutung. Betont sei, dass der Kardinal außer den Tagzetteln selbstverständlich auch individuelle Korrespondenzen pflegte, in denen ein speziell auf die Empfänger(innen) abgestellter Wissensaustausch stattfinden konnte. Die beiden Gonzaga-Kaiserinnen errangen einen hervorragenden Stellenwert für transalpinen Wissenstransfer dadurch, dass sie Träger von unterschiedlichem Spezialwissen protegierten bzw. mit diesen in Austausch traten. In vielen Fällen lässt sich nachweisen oder mit guten Gründen vermuten, dass die Kaiserinnen italienische Musiker förderten. So ist bereits 1622/23 der zuvor in Mantua tätige Sänger Francesco Campagnolo in Wien zum 18. Dezember 1644 zu einer Opernaufführung in Venedig, in: Keller /Catalano, 2010, Bd.2, S. 716f. 68 Siehe etwa die ausführliche Beschreibung der Villa Aldobrandini im Diarium zum 14. Oktober 1637, in: Keller /Catalano, 2010, Bd. 2, S. 229f. 69 Beispielsweise begnügte sich Harrach anlässlich einer Theateraufführung in Mantua mit der Aussage, dass »die materi der comedi etwas wizigs auß underschidlichen spanischen comedien zusambgezogen. […] Die recitanten habens gar guet und etwaß über 2 stundt lang gemacht«. Tagzettel zum 27. Januar 1655, in: Keller / Catalano, 2010, Bd. 6, S. 18. Zum 28. Januar berichtete Harrach noch, dass man »auf einem offentlichen platz ein anderes großes theatrum zu einen schauspill, das etwas rares werden solle«, errichte (Ebd., S. 19). 147

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nachweisbar.70 1627/28 weilte die berühmte Mantuaner Schauspieltruppe der »Fedeli«, zu der auch Sängerinnen und Sänger gehörten, am Kaiserhof, und 1629/1631 waren zwei aus Mantua stammende und mit Claudio Monteverdi verschwägerte Sängerinnen, Lucia Rubini und Margherita Basile Cattaneo, bei der kaiserlichen Kammermusik engagiert.71 Während der Zeit ihrer Witwenschaft, als sie eine eigene Hofkapelle mit 24 Mitgliedern unterhielt, konnte Eleonora d.Ä. weitgehend eigenständig über beachtliche eigene Patronageressourcen für Musiker verfügen.72 Eleonora unterhielt auch Kontakte zu einem der berühmtesten Komponisten ihrer Zeit überhaupt, zu Claudio Monteverdi nämlich, der zeitweise der Kapellmeister ihres Vaters Vincenzo I. gewesen war. Monteverdi arbeitete seinen berühmten Ballo delle Ingrate für Wien um und widmete 1641 die Selva morale und spirituale der Kaiserinwitwe.73 In ähnlicher Weise wie ihre Großtante war auch Eleonora d.J. im Bereich Musik und Musiktheater aktiv. Ihre Hofkapelle umfasste zur Zeit ihrer Witwenschaft 25, nach anderen Quellen sogar 51 Personen und stand von Anfang an unter der Leitung von Italienern. So berief sie im Sommer, wenige Monate nach dem Tode Ferdinands III., den damals im Dienst des Kardinallegaten Giovanni Battista Spada in Ferrara tätigen Giuseppe Tricarico (1623-1697) zu ihrem Kapellmeister und beauftragte ihn zugleich, Personal für ihre Kapelle anzuwerben74 Womöglich kam auch Antonio Draghi (16341700) auf ihre Initiative 1658 als Bassist an den Kaiserhof; 1668 ernannte sie ihn zu ihrem Kapellmeister.75 Mit großer Wahrscheinlichkeit gelangte

70 Vgl. Seifert, 1985, S. 25. 71 Vgl. Seifert, 1985, S. 29; Ders., 2005, S. 224-226; Schindler, 2001, S. 599-607, 616-652, auch zu anderen italienischen Musikerinnen und Musikern, die zeitweise am Kaiserhof präsent waren. Vgl. ferner die Liste bei Mari, 2005. 72 Vgl. Koldau, 2008, S. 68-70. 73 Möglicherweise ließ Eleonora auch das Lamento d’Arianna von aufführen. Vgl. Gallico, 2005; Koldau, 2005, S. 83-85; Dies., 2008, S. 66f. Koldau geht davon aus, dass Monteverdi die Selva entsprechend den Bedürfnissen Eleonoras d.Ä. zusammengestellt habe. 74 Außer Tricarico kamen acht weitere italienische Musiker nach Wien. Vgl. Deisinger, 2007; Ders., 2015, S. 170; Koldau, 2005, S. 92f., 98. 75 Vgl. Fidler, 1990, S. 56f. 148

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Giovanni Burnacini (1610-1656), der Ahnherr einer berühmten Familie von Theaterarchitekten, schon 1651 im Gefolge Eleonoras nach Wien.76 Doch der deutsch-italienische Austausch war noch wesentlich breiter. 1661 lieh sie sich von ihrem Bruder Herzog Carlo II. als Bühnenmaler einen Künstler aus, bei dem es sich um den seit 1659 in Mantua tätigen Flamen Frans Geffels gehandelt haben dürfte.771662 förderte sie eine junge Sängerin, die aus Italien nach Wien gekommen war.78 Allerdings waren nicht alle ihre Bemühungen von Erfolg gekrönt. So ersuchte sie im September 1682 im Auftrag Leopolds I. ihren Neffen Herzog Ferdinando Carlo von Mantua um die zeitweise Überlassung des Altkastraten Francesco Ballarini, der jedoch schon ein Engagement in Venedig hatte.79 Wichtig ist es zu betonen, dass es immer wieder auch Musiker gab, die nach einer Tätigkeit am Kaiserhof nach Italien zurückkehrten. So schon der erste Kapellmeister Eleonoras d.J. Tricarico, der 1662 aus ihrem Dienst ausschied, fortan in seiner apulischen Heimatstadt Gallipoli lebte und dort vermutlich als erster ein geistliches Musikdrama zur Aufführung brachte.80 Ein weiteres Beispiel ist der Venezianer Pietro Andrea Ziani (1616-1684), der 1662 als Kapellmeister Eleonoras angeworben wurde und nach dem Ende seiner Tätigkeit in Wien ab 1669 als Domorganist von San Marco in Venedig wirkte.81 Auch an Dichtung und Literatur war Eleonora d.J., wie angedeutet, sehr interessiert und könnte an der der Berufung Francesco Sbarras und Nicola Minatos an den Kaiserhof beteiligt gewesen sein.82 Aber auch andere Personengruppen,

76 Vgl. Fidler, 1990, S. 58. Bekannter ist sein Sohn Lodovico Ottavio Burnacini (16361700), der neben seiner Tätigkeit als Bühnenarchitekt (u.a. für die Aufführung des berühmten Pomo d’Oro 1668) auch als Baumeister tägig war und z.B. bei der Errichtung des Leopoldinischen Traktes der Hofburg und der Dreifaltigkeitssäule auf dem Graben maßgeblich mitwirkte. 77 Vgl. Seifert, 1985, S. 376-378. 78 Vgl. Seifert, 1985, S. 363f. 79 Vgl. Seifert, 1985, S. 361. Weiterhin ist hier zu nennen Giovanni Battista Pederzuoli. Vgl. Fidler, 1990, S. 36-38. 80 Vgl. Deisinger, 2013b, S. 183. 81 Vgl. Deisinger, 2007, S. 49; Ders., 2013a, S. 49. 82 Vgl. Fidler, 1990, S. 58f. 149

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wie Gärtner83, Köche84, Ärzte85 und Mathematiker86 fanden den Weg über die Alpen – oder wurden zumindest angefragt. Eine besondere Form der transalpinen Wissenschaftsförderung betrieb Eleonora d.Ä., als sie sich mit Erfolg für die von ihrem Bruder Herzog Ferdinando betriebene Erhebung des Jesuitenkollegs von Mantua zur Universität und die Erteilung eines entsprechenden kaiserlichen Privilegs einsetzte.87 Auch Ernst Adalbert von Harrach protegierte Wissensträger und beförderte so vielfältige transalpine Transferprozesse. Als vergleichsweise armem Kardinal war ihm das allerdings nur in bescheidenem Umfang möglich. Erwähnung verdient aber seine Förderung des lucchesischen Dichters und Librettisten Francesco Sbarra (1611-1668). Auf ihn dürfte Harrach über seinen ebenfalls aus Lucca stammenden Agenten Barsotti aufmerksam geworden sein. Schon Anfang der 1650er Jahre, als sich die Erfolge Sbarras, abgesehen von dem durch Antonio Cesti vertonten und in Venedig zur Aufführung gebrachten Alessandro vincitor di se stesso (1651), v.a. noch im lokalen Rahmen seiner Heimatstadt verorten ließen, nahm Harrach Notiz von Sbarra. Im Herbst 1653 übersandte dieser ihm in dreifacher Ausfertigung das dem Kardinal gewidmete, gedruckte Libretto Tirannide della Volontà, von dem Ernst Adalbert ein Exemplar an seinen Bruder Franz Albrecht schickte, damit er es Ferdinand III. vorlege. Der Kaiser aber reichte es – und hier wird deutlich, wie die Netze der Kaiserinnen und 83 Eleonora d.Ä. an Herzogin Caterina von Mantua, Ödenburg, 24. Juni 1622, in: Venturini, 2002, Nr. 1296, S. 667. In diesem Schreiben bedankt sich die Kaiserin für die Übersendung eines Gärtners, der möglicherweise für die Gestaltung und Pflege des Parks der Favorita eingesetzt werden sollte. 84 Vincenzo Zucconi an Graf Alessandro Striggi, Ödenburg, 10. Juni und 3. August 1622, in: Venturini, 2002, Nr. 1293, S. 666, Nr. 1304, S. 670. In diesen Schreiben bittet der mantuanische Gesandte um einen Koch für die Kaiserin. 85 Eleonora d.Ä. an Herzogin Caterina von Mantua, Wien, 13. September 1622, in: Venturini, 2002, Nr. 1309, S. 672: Empfehlungsschreiben für den Arzt Giulio Cesare Tartaleoni. 86 Vincenzo Zucconi an Alessandro Striggi, Wien, 12. Juli und 30. August 1623, in: Venturini, 2002, Nr. 1336, S. 682f., Nr. 1344, S. 685. Der mantuanische Gesandte führt die Schwierigkeiten aus, geeignete Mathematiker für die geplante Universität Mantua zu finden. 87 Z.B. Eleonora d.Ä. an Herzog Ferdinando von Mantua, Wien, 16. August 1623, in: Venturini, 2002, Nr. 1342, S. 684. Grendler, 2009, geht auf das kaiserliche Privileg nicht ein. Er weist jedoch mehrfach darauf hin, dass u.a. Ingolstadt eine Vorbildfunktion für die Neugründung besaß. 150

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des Kardinals ineinandergriffen – an seine Gemahlin weiter, die es, da sie mehr Zeit habe, zuerst lesen sollte. Allerdings blieb diese Empfehlung Sbarras an den Kaiserhof zunächst folgenlos, sodass Harrach ihn einige Jahre später an den Innsbrucker Hof empfahl. Auch wenn Sbarra seine Anstellung als Hofpoet Erzherzog Ferdinand Karls vornehmlich der Empfehlung Cestis verdankte, dürfte ihm die Empfehlung des Kardinals zusätzlich den Weg gebahnt haben. Nach dem Erlöschen der Tiroler Linie des Hauses Habsburg (1665) nahm Kaiser Leopold I. Cesti und Sbarra in seinen Dienst. Seinen größten Erfolg, die Aufführung von Il Pomo d’Oro im Juli 1668, erlebte der wenige Monate zuvor verstorbene Sbarra allerdings nicht mehr.88 Ein Beispiel für das Zusammenwirken Eleonoras d.J. und Harrachs bei der Förderung italienischer Musiker bietet der Sänger Giuseppe Nobili. Dieser war seit spätestens 1659 in Eleonoras Kapelle angestellt, wurde im Herbst 1660 zwar aber entlassen, erhielt jedoch auf Fürsprache des Kardinals eine dreimonatige Vertragsverlängerung. Ein gutes Zeugnis ermöglichte es ihm schließlich, eine Anstellung in Kursachsen zu finden.89 In direktem Austausch stand Harrach zeitweise mit dem Späthumanisten und Publizisten Caspar Schoppe (1576-1649), mit dem er die Gegnerschaft zu den Jesuiten teilte. Seine Grammatica philosophica und seine Erziehungsschrift Consultationes duae de ratione et compendio studiorum wurden 1631/33 in Mähren nachgedruckt.90 Vermutlich war er durch Valeriano Magni und Basilius von Aire auch über den Prozess gegen Galileo Galilei informiert.91 Schließlich sei nicht der hohe Stellenwert von Sachen für die Wissensvermittlung vergessen, insofern Artefakten in vielfältiger Weise Wissen eingeschrieben sein kann. Dabei ist nicht nur an Bücher und andere Druckwerke zu denken,92 sondern auch an Gemälde, Juwelen usw. 88 Vgl. Catalano, 2002, v.a. S. 208-212. 89 Vgl. Deisinger, 2013a, 47f. 90 Vgl. Catalano, 2005, S. 36, 38. Der aus der Oberpfalz stammende Konvertit Schoppe lebte seit 1598 mit Unterbrechungen überwiegend in Italien, längere Zeit in Rom. Nachdem er sich durch eine Reihe von Aktivitäten und polemische Publikationen zahlreiche Feinde gemacht hatte, zog er sich Ende 1635 dauerhaft nach Padua zurück Vgl. Jaitner, 2007. 91 Vgl. Catalano, 2005, S. 37. 92 Italienische Literatur war im Umkreis des Wiener Hofs im 17. Jahrhundert verbreitet und hochgeschätzt. Vgl. De Bin, 1910; Kanduth, 1990; Catalano, 2004, bes. S. 40-42. 151

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Auch hier besitzt für die beiden Kaiserinnen die Musik einen hohen Stellenwert. Schon im Februar und März 1622 forderte Eleonora d.Ä. im Auftrag ihres Mannes aus Mantua einige Kompositionen an, und um dieselbe Zeit übersandte der kaiserliche Organist Giovanni Valentini einige eigene Kompositionen nach Mantua.93 Für das Jahr 1628 lässt sich die Versendung von Violinen an den Kaiserhof nachweisen.94 Bei vielen Reliquiaren, Juwelen und anderen Sachwerten, die im Testament Eleonoras d.Ä. aufscheinen, ist davon auszugehen, dass sie sie 1622 aus Mantua mit an den Kaiserhof brachte oder dass sie ihr später aus Italien überbracht wurden. Anhand des Testaments lässt sich auch ein Nord-Süd-Transfer nachweisen, denn einige Devotionalien und Juwelen gingen an die mantuanische Herzoginmutter Maria, das regierende Herzogspaar Carlo II. und Isabella Clara sowie die Nonnen von S. Orsola. Beispielsweise ging auch ein Kreuz, das Eleonora von ihrer Tante Margherita, der Gründerin von S. Orsola, geerbt hatte, nun an das Mantuaner Kloster. Es trat also sozusagen die Rückreise über die Alpen an.95 Ein anderes Beispiel für Nord-Süd-Transfer ist die Versendung von Medikamenten im Auftrag Eleonoras d.Ä. nach Mantua.96 In beachtlichem Umfang wurden offenbar Pomeranzen und andere Pflanzen aus Italien für die Gestaltung der Gärten der Favorita und der Katterburg/Schönbrunns geliefert.97 Für Ernst Adalbert von Harrach lässt sich nachvollziehen, dass er von seinen Italienbesuchen 1637, 1644 und 1655 u.a. eine Biographie des Kardinals Roberto de Nobili (1541-1559)98, eine Versdichtung Margherita Costas zum Mar93 Eleonora d.Ä. an Herzog Ferdinando von Mantua, Wien, 27. Februar und 9. März 1622, in: Venturini, 2002, Nr. 1273, S. 657f. und Nr. 1278, S. 660; Giovanni Valentini an Herzogin Caterina von Mantua, Wien, 5. März 1622, in: Ebd., Nr. 1275, S. 658f.; ders. an Herzog Ferdinando von Mantua, Wien, 5. März 1622, in: Ebd., Nr. 1276, S. 659 94 Vincenzo Agnelli Soardi an Herzog Carlo I. von Mantua, Prag, 20. April 1628, in: Venturini, 2002, Nr. 1439, S. 715f. Vgl. Besutti, 2005, S. 251-253. 95 Bues, 1994, S. 350-352. 96 U.a. wurden Hirschgeweihe zu medizinischen Zwecken verschickt. Vincenzo Zucconi an Herzog Ferdinando von Mantua, Regensburg, 18. Januar 1623, in: Venturini, 2002, Nr. 1324, S. 677. 97 Vgl. Hassmann, 2004, S. 252-257. Die erste Maßnahme, die Eleonora zur Wiederherstellung der Favorita nach der Zerstörung durch die Türken (1683) traf, war die Neubeschaffung von Pflanzen aus Italien. Vgl. Schwarz, 1898, S. 14. 98 Diarium zum 7. August 1637, in: Keller /Catalano, 2010, Bd. 2, S. 191. Dabei dürfte es sich um die 1632 erschienene Vita del card. Roberto de Nobili pronepote 152

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tyrium der Heiligen Cäcilie,99 diverse Porträts100, Reliquien101, Arzneien102 und Blumenzwiebeln103 mitbrachte.

Schluss Der Beitrag hat anhand dreier Fallbeispiele die Bedeutung von hochadligen Frauen und Kirchenfürsten für die Wissensvermittlung zwischen Italien und dem Heiligen Römischen Reich ausgelotet, die zeitweise südlich, zeitweise nördlich der Alpen lebten. Diesbezüglich gab es allerdings einen wesentlichen Unterschied zwischen den Kaiserinnen und dem Kardinal: Während Ernst Adalbert von Harrach mehrfach für längere Zeit in Italien weilte und sonst meist zwischen seinem böhmischen Erzbistum und der kaiserlichen Residenzstadt Wien pendelte, lebten die beiden Kaiserinnen nach ihren Heiraten dauerhaft nördlich der Alpen, hielten sich meistens in bzw. bei Wien auf und verließen die habsburgischen Territorien eher selten. Bedeutsam sind hingegen die Veränderungen ihrer sozialen Position: Durch ihre Ehen wurden sie zu lebendigen Verbindungen zwischen den Dynastien Gonzaga und Habsburg. Durch ihre Verwitwung

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di papa Giulio 3 von Francesco Maria Turrigio gehandelt haben, ein Auftragswerk der Familie Nobili, das die angestrebte Heiligsprechung des jugendlichen Kardinals befördern sollte. Vgl. Messina, 1990. Diarium zum 8. August 1644, in: Keller /Catalano, 2010, Bd. 2, S. 538. Es handelte sich offenbar um das 1630 erschienene La Santa Cecilia poema sacro. Diarium zum 8. September 1637 (zu Porträts römischer Damen, darunter der Marchesa Torres, die Harrach bei einem Niederländer für 2 Scudi je Stück in Auftrag gegeben hatte), in: Keller /Catalano, 2010, Bd. 2, S. 210; Diarium zum 17. Dezember 1644 (zu einem Blumenstilleben, das Harrach in Venedig geschenkt wurde), in: Ebd., S. 716. Diarium zum 19. November 1644, in: Keller /Catalano, 2010, Bd. 2, S. 690f. Harrach erhielt außerdem vier von Nonnen hergestellte Blumenvasen, die allerdings zu schwer zum Transport waren, sodass er sie Giovanni Battista Barsotti überließ. Die Kardinäle Carlo und Giovanni Carlo de᾽ Medici schenkten Harrach 1655 einen »galanten apotheckhl von den florentinischen arzneyen und quintessentzen«. Tagzettel zum 7. Juni 1655, in: Keller /Catalano, 2010, Bd. 6, S. 47. Im Oktober 1644 schickte Harrach seiner Mutter 52 unterschiedliche Arten von Blumenzwiebeln. Diarium zum 15. Oktober 1644, in: Keller /Catalano, 2010, Bd. 2, S. 655. 153

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verloren sie zwar die Stellung als erste Fürbitterin beim regierenden Kaiser – mit anderen Worten: der vornehmsten Brokerin der kaiserlichen Gnade –, erlangten jedoch als Vorsteherinnen eines eigenen Haushalts größere eigene Patronageressourcen. Eleonora d. J. konnte aufgrund der späten ersten Heirat Leopolds I. und ihres sehr guten Verhältnisses zu ihrem Stiefsohn für etwa ein Jahrzehnt de facto sogar die Positionen der Kaiserinmutter und der regierenden Kaiserin in ihrer Person vereinen. Kardinal Harrach verfügte im Vergleich mit den Kaiserinnen zwar über nur bescheidene finanzielle Mittel, als Wanderer zwischen den Welten und dank seiner hervorragenden Verbindungen v.a. nach Rom konnte er aber dennoch in erheblichem Umfang Wissensvermittlung betreiben. Konstitutiv für die transalpine Wissensvermittlung war in allen drei Fällen der Aufbau ausgedehnter und vielfältiger Netzwerke, welche den Kaiserinnen und dem Kardinal die Akquisition und Distribution mannigfaltiger Informationen und Wissensbestände auf beiden Seiten der Alpen ermöglichten. Diese Netzwerke waren alles andere als statisch, sondern veränderten sich ständig, nicht zuletzt in Abhängigkeit vom Aufenthaltsort und der sozialen Position der Protagonist(inn)en. Doch auch die Angehörigen ihrer Netzwerke, die ihrerseits zum Teil selbst über weit verzweigte und heterogene Verbindungen verfügten, waren in Bewegung. Manche Personen schieden, beispielsweise durch Tod oder Entfremdung, aus den Netzwerken aus, andere kamen hinzu. Eine wichtige Voraussetzung dafür, dass die Kaiserinnen und der Kardinal eine beachtliche Bedeutung für die Wissensvermittlung erringen konnten, lag in ihrer guten Ausbildung, die eine Reihe von Wissensbereichen abdeckte, die für frühneuzeitliche Höfe wichtig waren. Zumindest als Dilettant(inn)en, teilweise auch darüber hinausgehend, waren sie selbst Träger(innen) von Wissen. Vor allem aber waren sie in der Lage, andere Wissensträger und deren Hervorbringungen kompetent zu beurteilen. Die sich durch die Netzwerke der Kaiserinnen und des Kardinals und die von ihnen betriebene Wissensvermittlung konstituierenden Wissensräume sind, wie bereits angedeutet, nicht als statische Größen, sondern als dynamische Konfigurationen zu begreifen. Die zu beobachtenden Transferprozesse sind keineswegs als ein schlichter Süd-Nord-Transfer zu betrachten. Wie zu zeigen war, gab es durchaus auch in der Gegenrichtung einen Austausch. Doch erst wenn man bedenkt, dass es eine Reihe von Akteurinnen und Akteuren gab, die sich zwischen Italien und Deutschland bewegten, sich Wissensbestände aneigneten, sie zugleich transformierten und in unterschiedliche Richtungen weitergaben, wird die Komplexität dieser Wissenszirkulation einigermaßen deutlich.

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Abstract With the examples of the empresses Eleonora Gonzaga and Eleonora GonzagaNevers as well as cardinal Ernst Adalbert von Harrach the article analyses the importance of women of the higher nobility and clergymen for the mediation of knowledges between Italy and the Holy Roman Empire during the 17th century. Such circles of people were enabled by their extensive and multifarious networks to acquire and to distribute various stocks of information and knowledge from or concerning Italy. Both empresses were provided with vast resources of patronage of their own and furthermore they were able to act as brokers of the emperor’s favour. Cardinal Harrach instead had rather modest financial means at his disposal, but nevertheless his outstanding connections with Rome enabled him to act as a mediator of knowledges on a large scale. Thanks to their excellent education and formation the empresses and the cardinal acted as agents of knowledges themselves, although being mere dilettantes. But first of all they were competent to evaluate other agents of knowledge and their outputs and to support them if applicable. The processes of transfer and exchange they had a share in cannot by comprehended as simple transfers from the south to the north. On the contrary the spaces of knowledge that were constituted through the networks of the empresses and of the cardinal and by their mediation of knowledges should be understood as rather complex and dynamic configurations.

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160

Federico Savelli, tugendhafter Adliger, Militär und Diplomat Cecilia Mazzetti di Pietralata

Die Genese einer Selbstdarstellung zwischen Papsttum und Kaisertum Im Dezember 1649 verstarb in Rom der kaiserliche Botschafter Herzog Federico Savelli und mit ihm der letzte Spross derjenigen Generation der Savelli, die eine wichtige Rolle in der römischen Politik und Kunstszene gespielt hatte. Zwar zeigten die Enkel und Urenkel des Herzogs, die Kardinäle Fabrizio und Paolo sowie Fürst Giulio, ein lebhaftes Interesse für Kunst, sei es aus echter Leidenschaft, aus dem Wunsch, mit der Mode zu gehen, oder aus dem Bedürfnis heraus, den Reichtum des Geschlechts ins rechte Licht zu rücken. Dennoch schwand im Laufe der Jahre das Gewicht, ja überhaupt die politische Präsenz der Familie dahin.1 Die Brüder Paolo (†1632) und der schon erwähnte Federico (†1649) waren hingegen aus ganz anderem Holz geschnitzt. Nachdem sie erst einmal den Erstgeborenen Giovanni verdrängt hatten, eine menschenscheue Persönlichkeit, die vor dem Aufwand zurückschreckte, der nötig war, um sich als Adeliger von Rang darzustellen, lenkten sie gemeinsam mit großer Entschiedenheit die Geschicke der Familie. Paolo und Federico waren beide Militärs und Diplomaten, 1

Der vorliegende Beitrag geht auf Forschungen zu dem Projekt »Gli Orsini e i Savelli nella Roma dei Papi. Arte e collezionismo di antichi casati, dal feudo alle corti barocche europee« zurück, das vom MIUR (Ministerium für Bildung, Universität und Forschung) im Rahmen des Programms Firb 2013 (prot. RBFR13UKLM_001) finanziert und von der Autorin koordiniert wird und in zwei verschiedene Forschungsprojekte der Universität Gabriele D’Annunzio Chieti-Pescara und der Universität Salerno aufgeteilt ist. 161

Cecilia Mazzetti di Pietralata

spielten sich gegenseitig Ämter und Aufgaben zu, tauschten allerlei Gedanken aus und entwarfen zusammen Strategien, um den Fortbestand und den Ruhm ihrer Familie zu sichern. All dies erforderte den Aufbau eines engmaschigen Netzwerks von Beziehungen und Informationskanälen, das auf der stetigen Produktion schriftlicher Dokumente basierte. Dieses Geflecht von Interessen, Ämtern, Verantwortungsbereichen und Einflusssphären kennzeichnete sowohl ihre Aktivitäten als Militärs, Agenten und Diplomaten im Dienst mehrerer Generationen des Hauses Habsburg (von Kaiser Matthias bis Ferdinand III.) als auch ihre Rollen als hohe Militärs im Kirchenstaat.2 Dort, im Dienst des Papstes, bekleideten sie nacheinander das Amt des Oberbefehlshabers von Bologna, Ferrara und der Romagna sowie des Generalleutnants der Heiligen Römischen Kirche, somit die höchsten Positionen des päpstlichen Militärapparats.3 Das vorrangige gemeinsame Ziel ihrer Aktivitäten war immer der Erhalt der eigenen Dynastie, der Schutz ihrer Ehre und ihres Ansehens. Doch während die dafür eingesetzten Wirkungsbereiche sich ähnelten, entwickelte sich das jeweilige Vorgehen der Brüder entsprechend ihrer unterschiedlichen Wesensarten zunehmend in unterschiedliche Richtungen. Das Studium der familiären und der diplomatischen Korrespondenz erlaubt eine Annäherung an die unterschiedlichen Persönlichkeiten der beiden Brüder, wie sie die bislang vornehmlich herangezogenen eher chronikalischen Quellen zu Paolo und Federico nicht zu konturieren vermochten. So lassen sich zwei verschiedene Strategien in der öffentlichen Darstellung der eigenen Person identifizieren. Ziel dieses Beitrags ist es, die dafür charakteristischsten Elemente aufzuzeigen, wobei der Fokus auf dem jüngeren Bruder Federico liegen wird. Wie schon zu seinen Lebzeiten, wurde er von der Forschung bisher weniger gewürdigt als sein Bruder Paolo. Und das, obwohl er durchaus besondere Beachtung verdient, war er doch alles andere als eine blasse, profillose Persönlichkeit. Federicos schriftliche Hinterlassenschaften stellen Material für eine äußerst vielversprechende Fallstudie zum Transfer von Informationen und Wissen zwischen den italienischen Höfen und dem unter habsburgischem Einfluss stehenden deutschsprachigen Teil Europas dar. Dabei wird deutlich, dass Federico, weit mehr als sein Bruder Paolo, in seinen privaten wie in den zur Veröffentlichung bestimmten Schriften bewusst Spuren von sich und von seinen in ganz Europa gesammelten Lebenserfahrungen hinterlassen wollte. Gewiss lassen diese Texte weder literarische Ambitio2 3 162

Vgl. zu den Savelli und der kaiserlichen Vertretung in Rom in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts Fosi, 2006. Zu diesen Ämtern vgl. Brunelli, 2003, in Bezug auf Savelli v.a. S. 141, 146, 170f.

Federico Savelli, tugendhafter Adliger, Militär und Diplomat

nen noch einen von den äußeren Umständen unabhängigen Wunsch erkennen, theoretischen Überlegungen eine greifbare Form zu geben. Trotzdem erlauben sie einen wichtigen Einblick in gesellschaftliche Beziehungen sowie den politischen Einsatz von Waffengewalt, von Literatur und Bildenden Künsten, also in all jene Mittel, mit denen sich der Adel baronalen Ursprungs in einer Zeit der Krise, wie sie der Dreißigjährige Krieg darstellte, gegenüber dem aufsteigenden Geldadel zu behaupten versuchte.4 Die schriftlichen Hinterlassenschaften Federico Savellis erlauben es ferner, seine Aktivitäten zu beleuchten, seine expliziten Beweggründe zu deuten sowie die daraus resultierenden Konsequenzen zu analysieren. Sie ermöglichen es damit letztlich, ein Profil seiner Person zu erstellen, das zum besseren Verständnis der Geschichte einer Familie beitragen kann, die in die großen politischen Ereignisse und künstlerischen Entwicklungen der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts verwickelt war. Im Verlauf dieser Untersuchung wird auch viel von Federicos Bruder Paolo die Rede sein; denn solange er lebte, waren die Viten der beiden Brüder sowohl auf privater als auch auf öffentlicher Ebene – soweit man diese beiden Sphären überhaupt auseinanderhalten kann – untrennbar miteinander verflochten. So entfalteten sich ihre Handlungsräume zwischen Papsttum und Kaisertum, das heißt zwischen den Höfen von Rom und Wien und der päpstlichen Festung Ferrara. Die Folgen dieser engen Verbindungen zwischen ihren Aktivitäten fallen in den Quellen, in denen die beiden Persönlichkeiten sich nicht selten überlagern, sofort ins Auge. Dadurch entstanden Irrtümer, die sich – wie man noch sehen wird – in der Literatur hartnäckig halten. Zudem wird Paolo auch zum Vergleich herangezogen werden, so dass die Schematisierung der unterschiedlichen Selbstdarstellungsstrategien der beiden Brüder nicht abstrakt bleibt. Er wollte sich offensichtlich dem Herkommen entsprechend als römischer Fürst und als Oberhaupt der Dynastie darstellen. Im Zentrum seiner Selbstdarstellung standen visuelle Symbole seiner Repräsentation: prunkvolle Feste, reich ausgestattete Kutschen, prachtvolle Livreen, Gemälde und musikalische Darbietungen. Literarische Werke aus seiner eigenen Feder sind nicht bekannt, dafür aber viele Dichtungen und Musikstücke, die ihm von Poeten und Musikern gewidmet wurden, mit denen er sich umgab und die im Hause des Fürsten ein regelmäßiges Gehalt erhielten. Zu nennen sind hier

4

Für einen Überblick, der auf gründlichen Fallstudien basiert, vgl. Visceglia, 2001. 163

Cecilia Mazzetti di Pietralata

beispielsweise der Komponist Stefano Landi5 oder der Dichter Pier Francesco Paoli, der langjährige Sekretär Paolos.6 Obwohl er ähnliche Tätigkeiten wie sein Bruder ausführte, neigte der im Folgenden in den Vordergrund zu rückende Federico Savelli dazu, seine Fähigkeiten als Mann der Waffen und »tugendhafter Ritter« schriftlich zum Ausdruck zu bringen. Auf künstlerischem Gebiet pflegte er in der Auswahl der Sujets und Stilrichtungen ein größeres understatement als sein Bruder, wozu ihn vielleicht der schon zur Mode gewordene Topos des »Dilettanten« inspirierte. Letztlich war auch das nichts anderes als ein weiterer Versuch, ex contrario das Spezifische seiner eigenen militärischen Tätigkeit zu unterstreichen. Den Kern von Federicos Überlegungen erkennt man sicher in seinen Bestrebungen, sein ritterliches Selbstverständnis und das Kriegshandwerk, die vielleicht letzten beiden verbliebenen althergebrachten Bestimmungen und Prärogativen des Schwertadels, als sein primäres Kompetenzfeld herauszustellen. Sie waren schließlich die letzten verbliebenen Bereiche, die den alten Adel vom Geldadel, der seinen Aufstieg Handelsaktivitäten verdankte, unterschied und abhob. Explizit erkennbar wird dies angesichts der Herausforderungen, denen sich Federico stellen musste, zunächst in Ferrara beim Bau der Festung und dann in den Kriegen, in denen er entweder für den Kaiser oder für den Papst kämpfte. Seine im engeren Sinne künstlerischen Interessen, wie seine Vorliebe für die emilianische Malerei, sein Engagement bei Bauprojekten in den Residenzen des Hauses Savelli und sein Wunsch nach einem Garten, erscheinen umso mehr wie ein humanistisches Sichzurückziehen in das otium, die Muße – auch dies ein altes Motiv, das aber dem zeitgenössischen Geschmack angepasst wurde. Man muss daher bisweilen gleichzeitig Dokumente aus verschiedenen Lebensphasen untersuchen, um die Verhaltensweisen seiner Jugendzeit vor dem Hintergrund jener Absichten richtig einschätzen zu können, die er erst erklärte, als er sich gewissermaßen von der Dominanz des großen Bruders befreit hatte. 5

6

164

Zu Stefano Landi und seinen Widmungen an die Familie Savelli vgl. die biografische Skizze von Morelli, 2004. Zur Expertise Paolo Savellis im musikalischen Bereich und zu seiner Rolle als Vertreter der kaiserlichen Familie vgl. Mazzetti di P ietralata, 2011 und Dies., 2018. Pier Francesco Paoli hatte zusammen mit Paolos älterem Bruder, Herzog Giovanni, die römische Literaturakademie »Accademia degli Umoristi« in ihren Anfangsjahren besucht. In seiner Sammlung von Reimen aus dem Jahr 1637 erinnert der Dichter an seine Laufbahn im Dienst des Fürsten. In diesem Band sind viele Gedichte enthalten, die verschiedenen Mitgliedern der Familie Savelli gewidmet sind: Paoli, 1637.

Federico Savelli, tugendhafter Adliger, Militär und Diplomat

Das Testament des Herzogs Savelli, das bisher nur auszugsweise bekannt ist, ist beispielsweise ein grundlegendes Zeugnis für seinen Anspruch, die Rolle eines Auftraggebers und Sammlers auszufüllen. Damit bietet es einen idealen Ausgangspunkt für diesbezügliche Forschungen es, muss aber im Kontext und unter Berücksichtigung der Chronologie der familiären Beziehungen gelesen werden. Während nämlich der Erblasser in diesem Testament – wir zählen das Jahr 1646 – besonderen Wert darauf legt, seinen eigenen Beitrag zum »Self Fashioning« der Familie in der kulturellen Sphäre nochmals hervorzuheben, so ist es für das zweite und dritte Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts bis zum Tod Paolos im Juni 1632 bedeutend schwieriger, die individuellen Verantwortlichkeiten der beiden Brüder zu unterscheiden. Vielmehr scheint eine Koordination der Ankäufe oder der künstlerischen Aufträge zwischen beiden üblich gewesen zu sein, ebenso wie sie sich auch über ihre Hauptaufgaben berieten und beide diese Synergie in der Öffentlichkeit für sich zu nutzen wussten. Nach diesen Vorbemerkungen soll nun versucht werden, die unterschiedlichen Seiten der Aktivitäten Federico Savellis entsprechend dem Bild, das er selbst durch seine Schriften geschaffen hat, zu rekonstruieren. Dabei werden Selbstbilder hervortreten, die teils in allen, teils nur in einigen seiner Handlungsräume eine Rolle spielten: am päpstlichen Hof in Rom, im eigenen Stadtpalast und den eigenen Lehen, am Wiener Kaiserhof und auf dem Schlachtfeld. Zur größeren Klarheit sollen zunächst die einzelnen Stationen seines Lebens kurz rekapituliert werden: Federico Savellis Geburtsdatum ist unbekannt, aber wahrscheinlich wurde er um 1584 geboren, denn im Jahr 1604 feierte er seine Hochzeit mit Virginia Savelli, die dem Familienzweig von Ariccia entstammte. Sie war gleichzeitig seine Cousine und seine Schwägerin, denn drei Jahre zuvor hatte sein Bruder Paolo Virginias Schwester Caterina geheiratet. Für beide Hochzeiten war eine päpstliche Dispens notwendig gewesen.7 Im Jahr 1608 wurde Federico als Nachfolger seines Bruders Paolo Oberbefehlshaber von Ferrara, Bologna und der Romagna. Durch Breven Gregors XV. aus dem Jahr 1621 und Urbans VIII. aus dem Jahr 1623 wurde ihm der Rang des Generalleutnants der Heiligen Römischen Kirche verliehen;8 auch dabei trat er in die Fußspuren des älteren Bruders, der 1611 als Generalleutnant eingesetzt worden war.9 Bis 7 Vgl. Lefevre, 1992, S. 149, 153. 8 Vgl. Ebd., S. 163f. Das Geburtsdatum Federicos ist aber indirekt genauer zu berechnen aus Vecchiazani, 1647, S. 312; vgl. Mazzeti di Pietralata, 2017. 9 Zu den militärischen Ämtern Paolo und Federico Savellis vgl. Brunelli, 2003, passim und Ders., 2001, S. 98, wo das besondere Geschick Paolo Savellis bei der Beschaffung militärischer Ämter hervorgehoben wird, im Gegensatz zu der 165

Cecilia Mazzetti di Pietralata

1620 war Federico der Repräsentant des Kaisers in Rom, tatsächlich aber war er gleichzeitig stark in militärische Aufgaben in den päpstlichen Provinzen eingebunden. Nachdem durch das geduldige Anküpfen von Beziehungen zur Nuntiatur in Graz sowie zum Kaiserhof und durch stabile Verbindungen zur Familie Borghese der Boden bereitet war, begann im Jahr 1620 der eigentliche Aufschwung der Familie Savelli, als nämlich Paolo von Kaiser Ferdinand II. zum Obedienzgesandten in Rom berufen wurde. Im August 1620 wurde er zusätzlich anstelle Federicos zum kaiserlichen Botschafter in Rom ernannt, ein Amt, das er bis zu seinem Tod im Jahr 1632 bekleiden sollte. Das Botschafteramt blieb auch später eine besondere Prärogative der Familie. Federico wurde als Vertrauensmann und Experte für deutsche Fragen angesehen und hatte von 1632 bis 1634 und erneut von 1642 an das Amt des Botschafters inne, bis er 1649, vermutlich an der Pest, starb. Seine diplomatischen Verpflichtungen nahm er in dieser Zeit zwischen seinen Aufgaben auf dem Schlachtfeld als General im Kampf gegen die protestantischen Fürsten wahr.10

Der Sammler In kultureller Hinsicht waren die regelmäßigen Aufenthalte in Ferrara und Forlì für die Entwicklung des Kunstgeschmacks der beiden Brüder prägend, was kein Zufall war: Nach Ferrara gab es verwandtschaftliche Beziehungen zur Familie Bentivoglio, war doch Costanza Bentivoglio ihre Großmutter. Zur Gegend von Forlì bestanden durch die Ehe Battistina Savellis mit Brunoro Zampeschi ebenfalls verwandtschaftliche Bande. In Ferrara lernten Paolo und Federico erstklassige Malerei des 16. Jahrhunderts und ihrer eigenen Zeit kennen, die sie für gleichzeitigen Tendenz der anderen römischen Adligen, sich solchen Aufgaben zu entziehen; S. 105, wo der eigensinnige Stolz des alteingesessenen Adels gezeigt wird, der sich beharrlich weigerte, Befehle von niederrangigen Adligen entgegenzunehmen. Zu den Familienbeziehungen der Brüder, ihrer Erziehung und der Vorbereitung auf ihre Laufbahnen im Allgemeinen siehe neuerdings Borello, 2016. 10 Dieses begehrte Amt wurde Federico, der schon vor Paolo Botschafter gewesen war, vom Obristhofmeister Trauttmansdorff selbst erneut angeboten. Dies geht aus der Kopie eines chiffrierten Briefes des kaiserlichen Ministers an Savelli hervor (aus Regensburg, 27. August 1641: Archivio di Stato di Roma [ASR], Archivio Sforza Cesarini, I, busta [b.] 25). Trauttmansdorff beharrte hier förmlich auf den besonderen historischen Umständen: In diesen stürmischen Kriegszeiten benötige man einen Experten für die »cose di Germania«, und das könne nur Federico sein. 166

Federico Savelli, tugendhafter Adliger, Militär und Diplomat

sich selbst und für Scipione Borghese nach Rom brachten. Zudem machten sie Bekanntschaft mit bekannten Musikern wie Girolamo Frescobaldi, der später in Rom unter den Gehaltsempfängern der Familie Savelli wiederzufinden ist und die Aufgabe hatte, junge Sänger für die Höfe in Graz und Wien auszubilden. Insbesondere standen die Brüder in Ferrara in einem täglichen, engen Kontakt zu Architekten, Militäringenieuren und verschiedenen anderen Spezialisten. In einem beachtenswerten Brief aus dem Jahr 1613 bat Fürst Paolo seinen Bruder Federico, der sich gerade in Ferrara aufhielt, den Architekten Giovan Battista Aleotti und den Maler Scarsellino zu überreden, nach Rom zu kommen, um dort in ihrem Stadtpalast von Monte Savello zu arbeiten.11 Aus den Worten Paolos lässt sich schließen, dass auch andere Maler und Künstler im Palazzo beschäftigt waren, aber für die Bedürfnisse der Auftraggeber zu langsam vorankamen. In der Tat scheinen genau in den Jahren zwischen 1611 und 1615 der Ankauf von Bildern, das Einrichten und das Ausschmücken der Stadtresidenzen der Savelli mit besonders großer Eile vorangetrieben worden zu sein. Rund 15 Jahre später trat Federico abermals als Mittelsmann auf (wieder war Ferrara der Ausgangspunkt), um dafür zu sorgen, dass Kisten voller Gemälde nach Rom gebracht wurden. Es scheint sich dabei auch diesmal vor allem um Bilder Scarsellinos gehandelt zu haben. Einige weitere Gemälde standen zusammen mit umfangreichem Silberzeug schon bereit, um dem Herzog Savelli nach Wien zu folgen.12 Die lange Liste von Dingen, die nach Rom geschickt wurden, deutet darauf hin, dass die Gemälde Federicos Privatbesitz waren. Das 1646 aufgesetzte Testament bestätigt das klar und deutlich, indem es sowohl das Eigentumsrecht an den Bildern als auch die Verantwortung für deren Auswahl für Federico beanspruchte: »È noto a tutti della casa la qualità e quantità de quadri che comprai del mio e che mandai da Ferrara e che sono nelle medesime stanze: poiché da quelli di mano di Guido Reni, del Caravagio e del Gentilesco, tutti li altri sono li miei come nuovamente per verità affermo e dichiaro.«13 Wenn auch eine ausführliche Untersuchung der Sammlung an anderer Stelle stattfinden 11 Im römischen Staatsarchiv (ASR, Sforza Cesarini, I, b. 256) findet sich ein Entwurf des Briefes von Paolo Savelli an seinen Bruder Federico in Ferrara, 2. November 1613. Eine erste diesbezügliche Untersuchung bei Mazzetti di Pietralata, 2017; für eine gründlichere Untersuchung der Sammlung verweise ich auf meine Monografie, an der ich gerade schreibe. 12 ASR, Sforza Cesarini, I, auch hierzu ausführlicher in meiner künftigen Monografie. 13 ASR, 30 Notai Capitolini, uff. 5, 25. Oktober 1646, cart. 578ff. In Teilen zitiert bei Testa, 1998, S. 348-352, weitere Teile bei Mazzetti di Pietralata, 2011, S. 1837-1866. 167

Cecilia Mazzetti di Pietralata

wird, sollen hier zum besseren Verständnis von Federicos Persönlichkeit folgende Punkte hervorgehoben werden: die durch sein Mäzenatentum privilegierte und dauerhafte Verbindung zu Scarsellino aus Ferrara,14 seine künstlerischen Vorlieben, die fast ausschließlich der emilianischen Malerei galten, aber auch Künstler einschlossen, die in einem ganz anderen Stil malten, wie z.B. Guercino, und schließlich seine Rolle als Vermittler beim räumlichen Transfer von Kunstwerken (wenn es ihm schon nicht mit den Künstlern selbst gelang), der in einem engen Zusammenhang mit seinen eigenen Ortswechseln im Rahmen seiner Dienste für Papst und Kaiser stand. Für die allmähliche Entwicklung seiner Vorstellungen von den eigenen Qualitäten als adeliger Ritter und Soldat ist auch seine Beziehung zu den Künstlern von großer Wichtigkeit. Im Licht der Texte, die Federico in Druck gab, und auf die später noch genauer eingegangen wird, gewinnen beispielsweise drei Drucke nach Zeichnungen Guercinos eine eindeutig lobpreisende Bedeutung: Es handelt sich um die Allegorien des Intellectus, der Voluntas und der Memoria, die der Kupferstecher Giovan Battista Pasqualini dem Herzog Savelli um 1625 widmete.15

Der Laienarchitekt Zur Zeit des Festungsbaus von Ferrara entstand ein langer Briefwechsel zwischen Paolo Savelli, seinem Bruder Federico und dem Herzog von Latera Mario Farnese, dem Vorgänger der beiden Savelli als Verantwortlicher für Militärbelange im Gebiet von Ferrara. Dieser Briefwechsel bezeugt einen ununterbrochenen Austausch in einem dichten Beziehungsnetz zwischen diesen drei Männern, auch im Hinblick auf allfällige Probleme. Paolo war die dominierende Persönlichkeit, nicht nur aufgrund seines Vorrechts als älterer Bruder, sondern auch wegen seiner charakterlichen Eigenschaften, die ihn dazu befähigten, dauerhafte Geschäftsbeziehungen aufzubauen, wegen seiner freundlichen und umgänglichen Art, wegen seines feinen musikalischen und künstlerischen Gespürs und seiner Neigung zu Prachtentfaltung; und wahrscheinlich gab es diesbezüglich auch eine stillschweigende innerfamiliäre Vereinbarung. Federico wusste jedoch stets über alles Bescheid, er blieb länger in Ferrara und beriet sich ständig mit dem Bruder. 14 Eine solche Vertrautheit wird auch von anderen Quellen bestätigt, wie z.B. dem Besitzinventar des Künstlers: Vicentini, 2012, S. 237-272. 15 Die drei Drucke und die vorbereitenden Zeichnungen finden sich bei Bagni, 1988, S. 58-60, Abb. 81-86. 168

Federico Savelli, tugendhafter Adliger, Militär und Diplomat

Federico und Paolo heirateten, wie gesagt, zwei Schwestern aus der Linie der Savelli aus Ariccia, wodurch sie der Familie auch die wieder vereinten sabinischen Besitztümer und die Lehen in den Castelli Romani zuführten. Dank dieser Ehen entstand der Zweig der Savelli von Albano, dessen Primogenitur 1621, gleich nach Paolos Ernennung zum kaiserlichen Botschafter, offiziell begründet wurde.16 Der jüngere Bruder, der die militärische Karriere einschlagen sollte und loyal zu seinem großen Bruder stand, muss schon ziemlich früh ein aufbrausendes Temperament gezeigt haben, wie auch aus dem Ferrareser Briefwechsel hervorgeht:17 Hier findet man die später allerdings schnell aus der Familienchronik gestrichene Nachricht, dass Federico 1607 verhaftet wurde und der Prozess nur dank des Einsatzes von Paolo zu seinen Gunsten ausging. Diese Briefsammlung, die teilweise mit fein ausgeführten Zeichnungen und Plänen bereichert ist, wurde von Anfang an sorgfältig aufbewahrt und später in mehrere Bände gebunden dem Hausarchiv beigefügt. So konnte sie auf dem Erbweg in den Bestand des »Fondo Giustiniani« des Römischen Staatsarchivs gelangen. Man kann daran möglicherweise ein Bewusstsein für den Wert dieses Materials in institutioneller, politischer und militärischer Hinsicht und darüber hinaus auch für Überlegungen zur Festungsarchitektur erkennen. Die Bewahrung dieser Dokumente ist aber auch der Notwendigkeit zu verdanken, das eigene Wirken in der Zukunft belegen zu können. Federico selbst legte dies in einem Postscriptum vom 13. Dezember 1612 aus Ferrara seinem Bruder nahe: »Conservi V.E. li disegni et lettere del sr. Mario, perché in ogni caso voglio servirmene, come egli farà delle mie.«18 16 Es ist also kein Zufall, dass die Lobrede anlässlich der Hochzeit von Paolo und Caterina Savelli in eleganter Aufmachung mit Wappen und xylographischen Verzierungen 1620 erneut in Druck ging: Rasi, 1620. 17 Brunelli, 2003, S. 141, 170. Im nächsten Jahr folgte Federico Paolo als Oberbefehlshaber von Bologna, Ferrara und der Romagna, ernannt durch das Breve Pauls V. vom 18. November 1608, vgl. Lefevre, 1992, S. 158. Paolo Savelli hatte dieses Amt seit November 1605 bis zu diesem Tag bekleidet (Ebd., S. 155). 18 ASR, Archivio Giustiniani, b. 99. Seinerseits muss es Mario Farnese genauso gehalten haben: Sein umfangreicher Briefwechsel über diesen Festungsbau befindet sich in München, in der Bayerischen Staatsbibliothek, vgl. Scalesse, 1999, S. 231296. In den Jahren zuvor hatte sich Mario Farnese häufig wegen Ratschlägen und Beurteilungen an Paolo Savelli gewandt, und ebensoviele Dokumente zeugen zusammen mit den jeweiligen Antwortschreiben von spezifischen und detaillierten Fragen, mit denen sich Federico an Farnese gewandt hatte. Weitere Unterlagen über den Festungsbau befinden sich in verschiedenen Beständen des Vatikanischen 169

Cecilia Mazzetti di Pietralata

Der gesamte Briefwechsel deckt einen sehr langen Zeitraum ab, aber der konkrete Anlass, auf den Savelli in diesem Zitat anspielte, war der Bau der Zugbrücke der Festung von Ferrara. Der Ton des Briefwechsels zwischen Mario Farnese und Federico Savelli war bei dieser Gelegenheit nicht frei von polemischen Spitzen, und da Farnese zu seinem Bruder Paolo eine sehr enge und harmonische Beziehung pflegte, wollte sich Herzog Federico absichern. Aus diesem Schriftstück werden Verhaltensweisen deutlich, die auch viele Jahre später noch typisch für ihn sein sollten und die deswegen nicht nur einen Beleg für diesen besonderen Sachverhalt darstellen, sondern ganz allgemein für die Wesensart Federicos, der direkt, hitzköpfig und wenig kompromissbereit war. Diese Geisteshaltung resultierte vielleicht aus der Erfahrung des militärischen Befehlshabers und stand auf jeden Fall – wie man wenigstens aus dem Schreibstil schließen darf – in scharfem Kontrast zu den höfischen, stets entgegenkommenden Umgangsformen, durch die sich die Briefe seines Bruders, des Fürsten Paolo, auszeichnen. Ohne Zweifel war sich Federico seiner rauen Seite bewusst. Denn er schrieb diesbezüglich am 29. Oktober 1626 aus Ferrara, als er gerade seine Reise nach Wien vorbereitete, in einem langen, in vertraulichem und zugleich bitterem Ton gehaltenen Brief, in dem er auch auf Feinde und missgünstige Bedienstete, Verbreiter von Lügen und Unwahrheiten, anspielte, an seinen treuen Haushofmeister Simone Alaleona: »[…] congiuntamente diventerò più habile a servir i padroni, in altre occasioni et di maggior profitto alla mia casa, che non farei a continuarsi nell’offitio della corte et delle comodità […] troppo al mio genio avversarie.«19 Der Tonfall und die Abfolge der Briefe Federicos, Paolos und weiterer Personen, die an den entscheidenden Befestigungsarbeiten in Ferrara beteiligt waren, tendieren dazu, den Fürsten Paolo Savelli als Experten nicht nur auf dem Gebiet der Musik und Malerei, sondern auch für Militärarchitektur ins rechte Licht zu rücken. Im Juli 1608 gehörte er in der Tat zu den Gutachern, die damit beauftragt waren, den endgültigen Entwurf für die Festung zu beurteilen. In dem Bericht über die Inaugenscheinnahme vor Ort und das Studium der Festungspläne heißt es: »et sentito il parere del sig.re Principe Savello, del Targone, et del Geheimarchivs (Archivio Segreto Vaticano) und im »Fondo Camerale« des Römischen Staatsarchivs. In Bezug auf das Verwahren der Briefwechsel sei auch auf die zuvor genannten Kisten verwiesen, die Federico 1627 von Ferrara nach Rom schicken ließ, denn darin seien auch »lettere diverse, scritture, e disegni attinenti al servizio« enthalten gewesen. 19 ASPi, Fondo Savelli, Strumenti 209, fol. 149r. 170

Federico Savelli, tugendhafter Adliger, Militär und Diplomat

Zanese architetto et di altri della professione non sospetti«.20 Die wirkliche oder vermeintliche Kompetenz des Fürsten von Albano für Architekturfragen wird auch durch die mit dem Savelli-Wappen und dem Motto des Fürsten »Agor non obruor« geschmückte Widmung in einer Neuauflage der Abhandlung Geometria Pratica des Venezianers Giovanni Pomodoro von 1624 bestätigt, einer, wie es im Untertitel heißt, »opera necessaria a Misuratori, ad Architetti, a Geografi, a Cosmografi, a Bombardieri, a Ingegneri, a Soldati e a Capitani d’Eserciti«.21 Der Briefwechsel zwischen Mario Farnese und Federico Savelli zeigt außerdem, dass auch Letzterer sich gut mit Problemen des militärischen Ingenieurwesens auskannte, vielleicht auf einer eher praktischen Ebene, aber durchaus auch in mehr technischen Fragen. Beide Briefpartner lassen zwischen den Zeilen eine gewisse Geringschätzung der beteiligten Architekten und Ingenieure (die allerdings immer nur allgemein erwähnt und nie mit Namen genannt werden) und ihrer lediglich theoretischen Kompetenz erkennen, die mit einem Mangel an praktischer Erfahrung bei der konkreten Verteidigung von befestigten Plätzen einherging. Mario Farnese bemerkte, dass »cotesti ingegneri non intendono interamente il fine, et l’operatione delle cose […] perché non hanno veduto espugnationi, et difetti di più d’una fortezza, come è necessario per bene 20 ASR, Archivio Giustiniani, b. 99. Dieser Bericht war schon aus dem Manuskript der Vatikanischen Bibliothek bekannt: Biblioteca Apostolica Vaticana, Barberini Latini 5246, fol. 49r-55v, vollständig transkribiert von Scalesse, 1999, Fußnote 20, wo die Autoren klarer benannt werden, d.h. die Kardinäle Benedetto Giustiniani, Orazio Spinola und Bonifacio Caetani. Die Rolle des Fürsten als Dilettant ist eine Kategorie, die sich gerade in jenen Jahren entwickelte, man denke z.B. an Vincenzo Giustiniani und Giovan Battista Crescenzi. Im Hinblick auf Vincenzo Giustiniani verweise ich auf die Forschungen von Silvia Danesi Squarzina, besonders Danesi Squarzina, 2003; in Bezug auf die Manuskripte der Discorsi des Markgrafen Giustiniani vgl. Aurigemma, 2001, S. 167-172; zu der theoretischen Bedeutung des Dilettantismus vgl. von Bernstorff 2013, S. 161-181. Die beiden Brüder Savelli hielten sich über das gesamte System der mittelitalienischen Festungsanlagen der ersten zwei Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts auf dem Laufenden. In den von ihnen überkommenen Dokumenten finden sich auch interessante Informationen über die Festungsanlagen von Loreto (die Familie Savelli hatte in Loreto verschiedene Vorrechte, darunter die Befugnis, den Erzpriester des Heiligen Hauses zu Loreto zu ernennen) und von Ancona (eine weitere Stadt, mit der die Familie verbunden war; hier war der Bischofssitz des Kardinals Giulio Savelli): ASR, Archivio Giustiniani, b. 99-100. 21 Pomodoro, 21624. 171

Cecilia Mazzetti di Pietralata

intender questo mestiero.«22 Die Frage, um die es hier ging und derentwegen Mario Farnese viele konkrete Argumente gegen die schon ausgeführten Bauteile vorbrachte, war die Konstruktion der Zugbrücke, die mit zu schweren und zu massiven Holzbalken gebaut wurde. Zu den unmittelbaren Beweggründen für derartige Äußerungen gehörte sicherlich der Stolz, selbst die Urheberschaft an einem solchen Werk beanspruchen zu können, an dem zuerst Farnese und dann Federico mitgewirkt hatte, aber auch die Sorge, für eventuelle Misserfolge verantwortlich gemacht zu werden. Aber was an diesem Diskurs am meisten interessiert, ist nicht die Angelegenheit an sich, sondern die daraus resultierenden Ansichten der beiden Korespondenzpartner über den Beruf des Architekten und Ingenieurs. Um seine vorgebrachten Einwände zu bekräftigen, bediente Farnese sich einer Metapher, die in ihrer Bildhaftigkeit seine Verachtung für die ästhetischen Ansprüche und die »capricci dell’ingegniero« kaum verbirgt: »[…] tutto questo ho voluto dire a V.E. perché colla sua prudenza habbia occhio, ch’ogni cosa, che si fa, sia perfetta per l’operatione, per la gli è stata fatta; che mal beato quell’huomo, che in vece d’una gamba di carne havesse una gamba d’oro massiccio, o di puro diamante, che il gran valor di quella non li giovarebbe a farlo caminare, non che correre, et sarebbe huomo […] stroppiato; ma di ciò non mi dolgo, perché il loro sapere, et non sapere poco a me importa; ma mi dolgo, che havendo loro trovato le difficultà di metterlo in opera, che V.E. mi scrive, dovevano degnarsi d’avisarmene una parola, prima di mettere mano à guastar il fatto da me, con dichiaratione publica che non poteva riuscire.«23

Auch wenn Federico in seiner Antwort sein eigenes Werk, das Farnese offensichtlich nicht schätzte, verteidigt, so lassen seine Kommentare doch bei ihm dieselbe Grundeinstellung erkennnen: »sapendo V.E. meglio di me quanto siano differenti li modelli di machine e disegni da quello che si propone voler operare.« Er fährt fort mit der Beschreibung seiner Versuche, das Gewicht der Brücke zu verringern, wobei er zum Beweis genaue Angaben über ihre Maße und die benutzten Materialien macht, muss aber letztendlich über das Scheitern 22 ASR, Archivio Giustiniani, b. 99. Das Prinzip der praktischen Erfahrung als notwendige Voraussetzung für die Arbeit im Bereich des Militäringenieurwesens, wie es sich Mario Farnese und, wie zu zeigen sein wird, auch Federico Savelli zu eigen machten, war schon in die Traktatliteratur eingegangen, z.B. bei Mora, 1570, v.a. S. 183f. 23 ASR, Archivio Giustiniani, b. 99. 172

Federico Savelli, tugendhafter Adliger, Militär und Diplomat

dieser Maßnahmen berichten: »non sapendo trovare alcun modo che lo possa facilitare nella maniera che V.E. dice, né sapendolo gli Architetti, né per via de mechaniche, né d’altro secreto, né trovando come un istesso medicamento possa servire a due qualità contrarie de mali senza detrimento de uno […].« Federicos Antwort war eine Zeichnung beigefügt, die Struktur und Dimensionen der Brücke zeigte und es durch eine angebrachte Klappe erlaubte, sowohl die Außenansicht als auch den inneren Mechanismus mit seinen Rollen für das Anheben der Brücke zu erkennen. Der Zeichnung wiederum war eine eigenhändige Erläuterung des Herzogs beigelegt, in der er, und zwar in der ersten Person sprechend, über das Maßnehmen für Balken aus verschiedenen Materialien und über das Erproben der Rollenmechanismen berichtete: »sono l’altre doi girelle che feci porre per prova, secondo la proposta fattami da un Architetto, non della fortezza […]. Ho fatto pesare un’asse di rovere lunga piedi 7 1/3, che tanto è largo il nostro ponte, et grossa un’oncia, come le messe in opera, et larga piede uno, et pesa libre 105; et un’altra simile di pioppo pesa libre 54 […]« (Abb. 1-2). Auch wenn er sich, bevor er diesen Text verfasste, mit technisch versierten Fachleuten beraten haben dürfte, die an der Festung arbeiteten, so scheint er mit diesen Worten seine eigene Kompetenz geltend machen zu wollen. Rolle und Stand der beiden Briefpartner waren außerdem vollkommen ebenbürtig, und in ihrem von konkreten, unvorhergesehenen Vorkommnissen angeregten Austausch wiederholten sie letztendlich die Argumente eines grundsätzlichen Konflikts, nämlich zwischen den praktischen Erfahrungen eines Oberbefehlshabers und den theoretischen Kenntnissen der Mechanik vonseiten der Architekten und Ingenieure – ein Topos, der im letzten Viertel des 16. Jahrhunderts häufig in den venezianischen Schriften über Architektur wiederkehrt24 und der letztendlich das Streben nach der Festlegung von Grenzen und beruflichen Kompetenzen widerspiegelt, die noch immer im Gange war. Wenn Federico Savelli seinem Bruder von dem geschilderten Problem berichtete, drückte er sich noch freimütiger aus, wobei er auch seine Verdrossenheit über den von Farnese ihm gegenüber angeschlagen Ton sehr deutlich zum Ausdruck brachte. Er ließ zudem keine Gelegenheit aus, auf kleinste technische Details einzugehen, um auch in dieser innerfamiliären Korrespondenz die Bedeutung seines eigenen Wirkens deutlich zu machen, was offensichtlich auch mit der Angewohnheit der Brüder zusammenhängt, sich über berufliche Belange auszutauschen. 24 Zu dieser Debatte vgl. Ventrice, 1998, S. 309-330, besonders S. 322: »il conflitto tra l’uomo d’arme e l’ingegniero si configura come un contrasto tra due visioni della conoscenza«. So war es auch schon im 16. Jahrhundert gewesen, wie beispielsweise die Auseinandersetzung zwischen Nicolò Tartaglia und Giulio Savorgnano zeigt. 173

Cecilia Mazzetti di Pietralata

Abb. 1: Die Zugbrücke der Festung von Ferrara. Kolorierte Zeichnung, 1612. ASR, Archivio Giustiniani, b. 99.

Abb. 2: Entwurf Federico Savellis für die Legende zu Abb. 1. ASR, Archivio Giustiniani, b. 99.

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Federico Savelli, tugendhafter Adliger, Militär und Diplomat

Im gesamten Briefwechsel des Jahres 1612 werden die Festungsarchitekten immer nur allgemein und in der Mehrzahl erwähnt. Der einzige Name, der genannt wird, ist der eines gewissen »Smeraldo«. Damit ist Ettore Smeraldi gemeint, Architekt und Bühnenbildner aus einer Familie von Künstlern und Handwerkern aus Parma. Ursprünglich ein Schützling des Mario Farnese, gehörte er später zur Entourage der Familie Savelli. Dank der Savelli übernahm er 1621 in Ancona gemäß »il disegno et instruttione« Federico Savellis die Überwachung der Arbeiten an der dortigen Festung,25 und 1622 begab er sich an den Wiener Kaiserhof, wo er sich lange aufhalten sollte.26 In einem Schreiben Mario Farneses an Federico Savelli besticht (ganz abgesehen davon, dass der besondere Fall von größter Bedeutung für die Geschichte der Militärarchitektur ist), wie ähnlich er seine Vorstellungen verteidigte und zugleich sehr bewusst die eigene Karriere vorantrieb: »Dio sa il desiderio, ch’io ho sempre havuto di servire V.E. […] ma quella reputatione che con tanti sudori, et con tanto sangue mio ho acquistata, et che mi è cara sopra ogni’altra cosa, non mi lascia servirla in questo particolare di mandare costà lo Smeraldi per il negotio di quel benedetto ponte, come prontamente farei senza questo ostacolo, perché essendo pervenuto all’orecchi di S. S.tà e dei Padroni di Roma che conveniva romper la volta per il corpo di guardia perché quello havevo ordinato io non poteva riuscire, et essendomi stata fatta carità col modo di referirlo alla S.tà S. mi vedo in obligo di giustificarmene co̓ medesimi Padroni, et coll’esperienza fargli conoscere la verità di questo fatto, come farò piacendo a Dio subito che giunga a Roma, et all’hora poi mandarò a mettere il ponte et a far vedere la facilità molto maggiore l’opera più durabile et di molta minor spesa che non sono i polzoni, ma prima che io non habbia detto le mie raggioni a S. S.tà, et che dalla S. S.tà non mi sia comandato, mi scusarà V.E. se io non ho per farne, né dirn’altro, convenendo come ho detto alla mia reputatione, che la verità apparisca nel cospetto del Principe, et del mondo tutto, come si è procurato nei medesimi

25 Dall’Acqua, 1998, S. 340. Der Kardinalbischof von Ancona war Giulio Savelli. 26 Zu Person und Familie vgl. Dall’Acqua, 1998, zu den Beziehungen der Familie und dem Kontext der farnesischen Architekturprojekte vgl. Adorni, 2008. Paolo Savelli holte auch in Ettore Smeraldis Wiener Jahren Informationen über diesen ein: ASR, Archivio Sforza Cesarini, I, b. 220, zitiert bei Mazzetti di Pietralata, 2011, S. 1854. 175

Cecilia Mazzetti di Pietralata cospetti di farmi conoscere per temerario, et per ignorante d’un mestiero, ch’ho essercitato quasi quarant’anni […] continui.«27

Ettore Smeraldi arbeitete jedenfalls lange an der Festung von Ferrara. Auch der Kardinallegat Giacomo Serra bezeichnet ihn in einem Brief, der im Savelli-Archiv erhalten ist, als einen Vermesser, der von Mario Farnese nach Ferrara geschickt worden war und stets auch von Federico Savelli hoch geschätzt wurde.28 Kommen wir zurück zum Hauptanliegen dieses Beitrags, der Analyse der von Federico Savelli hinterlassenen schriftlichen Spuren, aufgrund derer wir Informationen über seine Tätigkeiten erhalten und versuchen können, seine expliziten Beweggründe und deren implizite Folgen zu analysieren. In den Dokumenten über seine Aktivitäten in Ferrara fällt zum einen seine Kenntnis von praktischen Problemen der Architektur und zum anderen jene Geringschätzung des Spezialistentums auf, die auch in seinem Letzten Willen ihren Niederschlag findet. Hierbei handelt es sich allerdings um die Erinnerung an eine frühere Tätigkeit, die weit mehr als die Nützlichkeit (utilitas) von Festungsanlagen einschließt, nämlich auch die Schönheit (venustas) von fürstlichen Residenzen. Als Herzog Savelli sein Testament als Bilanz eines langen, mühseligen Lebens diktierte, wird er sich sicher auf verschiedene Herausforderungen bezogen haben, deren Ursprünge weit zurück lagen. Die Deutlichkeit, mit der Federicos Temperament aus den Dokumenten zutage tritt, legt es nahe, zunächst sein Bedürfnis zu betrachten, die im Dienst der Familie bestrittenen Ausgaben für den Kauf von Gemälden und die Bau- und Restaurierungstätigkeiten in Rom und Albano genauestens anzugeben. Seit 1639 hielt sich Federico wieder ständig in Rom auf; im gleichen Jahr starb Caterina Savelli, die Witwe seines Bruders Paolo. Kurz danach tauchen in den Verwaltungsakten der Familie Nachrichten von finanziellen Schwierigkeiten auf, die mit Unstimmigkeiten verknüpft waren, zu denen es schon kurz nach Paolos Tod gekommen war. Vor diesem Hintergrund erklärt sich, dass Federico Anspruch auf das erhob, was er aus eigener Tasche bezahlt hatte, zumal man erst nach dem Tod Paolos im Jahre 1632 begonnen hatte, Ordnung in die Haushaltskassen zu bringen und die Zuweisungen an die einzelnen Familienmitglieder zu unterscheiden. Und zwar strikt nach einer auf Erstgeburtsrecht und Alter basierenden Hierarchie. 27 ASR, Archivio Giustiniani, b. 99. 28 »Smeraldo parmiggiano che serve di misuratore e questo mi dicono che vi fu posto da Mario Farnese. Il sig.r Federico mi ha sempre detto bene, ed io non ho manco di lui sentito cosa in contrario, che però l’ho anco lasciato continuare.« ASR, Archivio Giustiniani, b. 99. 176

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Zu Lebzeiten Paolos scheinen die beiden Brüder ihr Leben im Einklang geregelt zu haben, indem sie zwar an verschiedenen Fronten, aber auf angrenzenden Gebieten daran arbeiteten, die Ehre und den Einfluss der Familie zu mehren. Es ist bezeichnend, dass die eigenständige und facettenreiche Persönlichkeit des Herzogs vor allem nach 1632 und erst recht nach 1639, nach dem Tod seiner Schwägerin Caterina Savelli, in den Dokumenten fassbar wird. Auch wenn er schon 1624 den Vertrag über die Arbeiten am neuen Palast von Albano mit der Formulierung unterzeichnet hatte, »che vol fare l’Ill.mo et Ecc.mo Sig. Don Federico Savelli […] secondo che si andarà ordinando dall’Architetto e da S.V.E.«,29 scheint sich der Herzog bis 1639 in den Zeiten ohne militärische Tätigkeit vor allem dem Ankauf von Gemälden aus Ferrara sowie von Silber- und Goldschmiedearbeiten gewidmet zu haben. Erst später, nachdem er moralisch die Führung der Familie übernommen hatte, begann er Bautätigkeiten auf einem gewissen Niveau – ein der Forschung noch vollkommen unbekannter Aspekt –, und zwar mit dem Bau der Kapelle im Sanktuarium von Galloro und in den Stadtpalästen von Monte Savello und Albano. Das führte zu einer allgemeinen Neuordnung der Ländereien von Albano und teilweise auch zum Ankauf von Häusern und Grundstücken, auf denen neue Flügel, Wohnungen, Ställe, Scheunen, Heuschober und Gärten zur exklusiven Nutzung durch Federico und seine Frau, Herzogin Virginia, entstehen sollten. Virginia führte dieses Werk später während ihrer Witwenzeit bis zu ihrem eigenen Tod 1656 fort.30 Aus den teilweise erhaltenen Rechnungsunterlagen, die sich auf die Familiengeschichte dieser Zeit beziehen, kann man eine Zunahme an Bauprojekten erahnen, was ganz den Äußerungen des Herzogs in seinem letzten Willen entsprechen würde. Es tauchen auch einige Namen auf, vor allem von Steinmetzen wie Santi Ghetti und Pietro Lena. Die Arbeitskräfte scheinen recht langfristig beschäftigt gewesen zu sein, und zwar sowohl in Rom als auch auf dem Lehen. Architektennamen erscheinen nur sehr selten, aber es fällt auf, dass in diesen Jahren regelmäßig der Name Giacomo Mola genannt wird; das war der der Forschung bisher unbekannt. Es bestätigt in gewisser Weise die ansonsten nicht verifizierbare Nachricht vom Brunnenbau im Hof des Stadtpalasts Monte Savello durch Pier Francesco Mola, den Neffen des Tessiner Architekten. Soviel man den Dokumenten entnehmen kann, wurde Giacomo Mola für seine Bemühungen vorwiegend mit Wein und Getreide bezahlt, und er taucht noch lange Jahre in den Rechnungsbüchern der Familie Savelli auf. Daher lässt sich vermuten, dass er seine Dienste zwar regel29 ASPi, Fondo Savelli, Strumenti 209, Instrumenti e scritture dell’Eredità Alaleona prima parte, fol. 119r-121r. 30 Archivio Storico Capitolino, Rom, Archivio Cardelli, Appendice I, 68. 177

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mäßig leistete, sein Wirken aber keine großen Ausmaße annahm.31 Tatsache ist jedenfalls, dass – auch wenn eine konstante Präsenz erwiesen ist – kein Name eines Architekten aus den Unterlagen der Familie oder anderen Quellen hervorsticht (ebenso wenig aus Federicos Briefen aus Ferrara, die den Bau der dortigen Festung betreffen, wobei allgemein bekannt ist, dass für dieses Bauwerk Architekten tätig waren). Andererseits fällt in Savellis Testament die nachdrückliche und wiederholte Erwähnung seiner Rolle als Bauherr auf. In diesem Sinne, und insbesondere, weil dies im Vergleich zu anderen Testamenten der Familie einzigartig ist, kann man meines Erachtens im Letzten Willen Federicos erkennen, wie er sich mit rhetorisch-literarischem Geschick selbst als Laienarchitekt darzustellen suchte. Außerdem wird man noch sehen, dass der Herzog Savelli, wenn er durch andere keine Fürsprache und Anerkennung erhielt, gewöhnt war, für sich selbst zu sprechen. Überdies ist der Laienarchitekt ein zu derselben Zeit und in ähnlichen Kreisen bekannter rhetorischer Topos – von Giovan Battista Crescenzi bis hin zu Vincenzo Giustiniani –, der Savelli sicher nicht fremd war.32 In den Dreißigerjahren des 17. Jahrhunderts brach überall die Mode der Blumen- und Zitrusfruchtgärten aus, und auch Federico wurde völlig davon ergriffen. Vielleicht aus Verbitterung und Erschöpfung durch die Anstrengungen des Krieges träumte er aus der Ferne davon, einen eigenen Garten in Albano anzulegen, von dem er seinem Haushofmeister Simone Alaleona schrieb: »se fosse possibile che non fosse affitato il giardino sotto la Riccia […] lo pigliarei al mio ritorno per farlo un bel giardino proportionando gli agrumi di varia sorte […] e con pergole e frutti et altre operationi.«33 Im selben Jahr 1639 malte er sich aus, nach dem Tod des Kardinals Ginnasi »il giardino e casa a S. Sabina, che fu già palazzo della nostra casa antico«34 zurückzukaufen. Auf diese Weise vermischte er in seinen Begründungen aufs engste seinen Wunsch, mit der Mode zu gehen, mit dem gleichzeitigen Bestreben, das ehrwürdige Alter seines Hauses, das älter war als jede andere römische Familie, erfahrbar werden zu lassen, und zwar 31

Die nur sehr bruchstückhaft erhaltenen Quellen zum Rechnungswesen können teilweise durch Quervergleiche mit der Überlieferung in verschiedenen Archivbeständen rekonstruiert werden; für die Details bezüglich der Zahlungen an Mola wird auf den Band der Autorin verwiesen, der zurzeit im Entstehen ist. 32 Vgl. auch oben, Anm. 13; vgl., besonders zu Vincenzo Giustiniani und der Villenund Gartenarchitektur Campisi, 2003. 33 ASPi, Fondo Savelli, Strumenti 209, Instrumenti e scritture dell’Eredità Alaleona prima parte, fol. 557r, Federico Savelli an Simone Alaleona, 9. Juni 1639. 34 Ebd., fol. 538r, Federico Savelli an Simone Alaleona, 5. April 1639. 178

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nicht durch ein großes Werk, sondern durch die bloße Präsenz an den Orten, die die Savelli von alters her in Besitz gehabt hatten.

Offizier und Diplomat zwischen Papst und Kaiser Gleichzeitig entstanden mit seiner Aktivität als Laienarchitekt, die zwar zugleich immer unter dem Blickwinkel der öffentlichen Auswirkungen der Repräsentation gesehen werden muss, in erster Linie jedoch dem privaten Bereich zuzuordnen ist, kontinuierlich Dokumente, die untrennbar mit dem Beruf des Militärs und Diplomaten verbunden sind, Tätigkeiten, die Savelli mit demselben Adelsstolz ausführte. Seine militärische Karriere dauerte so lange, dass sie seine Geisteshaltung prägte und so sicherlich auch seine diplomatische Tätigkeit beeinflusste. Beide Brüder produzierten eine große Menge an Dokumenten, darunter Briefe und allgemeine Informationen, die an den Hof von Wien geschickt wurden. Man kann den unterschiedlichen Stil der Schreiber zwar vergleichen, sollte dabei aber berücksichtigen, dass sich infolge der Verwerfungen und Veränderungen der politischen Situation wie des sozialen Umfelds auch die dem Botschafter zugewiesenen Aufgaben wandelten. Im Vergleich mit der Botschaftertätigkeit seines Bruders hatte Federico unruhigere Zeiten zu durchstehen. Die regelmäßigen Beratungen und der Austausch der beiden auf privater Ebene hatten auch eine öffentliche Seite. Die Zugehörigkeit der Familie zur kaiserlichen Partei war so offensichtlich und über jeden Zweifel erhaben,35 dass, wenn der Wiener Hof dem einen Bruder einen Auftrag erteilte, gleichzeitig der andere miteinbezogen war und umgekehrt – und das Gleiche galt natürlich auch für die römische Seite bzw. für den päpstlichen Hof. Zu den beiden gesellte sich nun auch der dritte Bruder, Kardinal Giulio, der nicht nur ein Stimmrecht im Falle eines eventuellen Konklaves hatte, sondern sich aufgrund seiner politischfamiliären Bindungen und Kraft seines Amtes als Komprotektor der deutschen Nation geradezu anbot, mit politischer Überzeugungsarbeit beauftragt zu werden. Eine solche Gelegenheit ergab sich beispielsweise im Februar 1632, in den letzten Lebens- und Tätigkeitsmonaten des Fürsten Paolo als ordentlicher kaiserlicher Botschafter in Rom: Die entscheidende Frage, die seit geraumer Zeit den kaiserlichen Hof beschäftigte, war die der Hilfeleistungen im Rahmen des Dreißigjährigen Krieges. Paolo Savelli trat bei seinen Forderungen weniger ener35 So war das Image der Familie Savelli am römischen Hof, man denke nur an den Kommentar der Giusta Statera, 1650, S. 52: »Questa famiglia Savelli è tutta austriaca.« 179

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gisch als früher auf, sicher aus Alters- und Krankheitsgründen, aber auch weil der Barberini-Pontifikat weder für das Kaisertum noch für die Familie, die es in Rom vertrat, allzu günstig war. Nach seinen mehrmaligen dringlichen Bitten um ökonomische Unterstützung entschied man sich der größeren Überzeugungskraft wegen für ein familiäres »Powerplay«, das in dieser Form schwerlich von anderen hätte praktiziert werden können. Paolo begrüßte als ordentlicher Botschafter Federico bei seinem Einzug als außerordentlicher Botschafter. Dieser konzentrierte sich nach der seiner Antrittsaudienz und angesichts der von Papst Urbans VIII. vorgeschützten Schwierigkeiten darauf, Waffen und Rüstungen für die Regimenter zu fordern. Die beiden Brüder ließen aber auch eigens ihren Bruder, Kardinal Giulio, aus seinem Bischofssitz in Salerno anreisen, nicht ohne ihn scharf dafür kritisieren zu lassen, dass er sich aus Salerno entfernt hatte: »[Federico Savelli nella dignità di Ambasciatore straordinario] entrò hiermattina in Roma, fatto incontrar da Palazzo, e da altri sig.ri Cardinali, e personaggi di questa corte devoti di V.M.C., con numero di carrozze, alcune miglia fuori dalla città, come feci io medesimo. Doppo smontato a casa, lo condussi subito, come è solito degli Ambasciadori, a baciare i piedi a S.S.tà, et a visitare i Cardinali del suo sangue, che tutti lo riceverono, e trattarono come Ambasciadore […]. Anderà adesso, et io seco, ad una particolar audienza di S.S.tà, le presenterà la lettera di V.M.C., et unitamente faremo ogni sforzo maggiore, per disporre la S.tà S. a disporre quegli aiuti maggiori, che richiedono i presenti pericoli della Religione Catolica in Germania. […] aspettandosi per il medesimo effetto fra tre o quattro giorni l’arrivo qui del Cardinal mio fratello da Salerno, che nel servire in ciò alla M.V.C. adempirà le parti sue con la dovuta puntualità, et efficacia.«36

36 Die Ernennung zum Botschafter und die Übernahme des doppelten Auftrags als Militär im Dienst des Kirchenstaats und als kaiserlicher Gesandter dominierte den unmittelbar vorausgehenden Schriftverkehr: ÖStA W, HHStA, Rom, Korrespondenz 52. Auch die nachfolgenden Briefe bezogen sich auf Federicos Amtsantritt und die gemeinsame Audienz mit seinem Bruder, bei der sie sich gegenseitig unterstützten; auf die »un poco durette e irresolute« Antworten des Papstes an Federico reagierte Paolo sehr hitzig. Dem aus Salerno angereisten Kardinal Giulio wurden die Verhandlungen mit den anderen Kardinälen überlassen. Es folgten verschiedene weitere Audienzen, von denen Federico berichtete. Es muss sich um eine heikle Gesandtschaft und dramatische Verhandlungen gehandelt haben, an denen die gesamte Familie geschlossen, wahrscheinlich auch mit echter Leidenschaft teilnahm. 180

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Abb. 3: Pompeo Tomassini, Trionfo funebre nella morte dell’Ecc. Sig. Paolo Savelli Principe di Albano, Rom 1632, Frontespiz. ASR, Archivio Sforza Cesarini, I, b. 25.

Während sich Paolo Savelli, nachdem er die Militäruniform ab- und die Kleidung des Diplomaten angelegt hatte, um die Geschicke der Familie zu lenken, mit Musikern und Literaten umgab und sich Bücher und Gedichte widmen ließ, war Federico gezwungen, selbst zur Feder zu greifen und Druckereien zu bezahlen, um sein Ansehen in der Öffentlichkeit zu wahren. Wie beschrieben, hatte er schon zu Zeiten der Zusammenarbeit mit Mario Farnese beim Festungsbau von Ferrara im ersten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts seine Neigung zu einem solchen Vorgehen gezeigt. Anders als es später der Fall sein sollte, hatte er es zu diesem Zeitpunkt aber nicht für erforderlich gehalten, Druckwerke in Auftrag zu geben, um sein Ansehen zu wahren. Denn damals waren Meinungsunterschiede offenbar hofintern geklärt worden. Nun aber hatten sich die Zeiten geändert, die Pracht von Paolos Botschaftertätigkeit war dahin, die europäischen Mächte hatten sich auf den Schlachtfeldern des Dreißigjährigen Kriegs und im Krieg um Castro in Stellung gebracht. Als gute Kenner der Dynamiken und des Zeremoniells sowohl am päpstlichen wie am kaiserlichen Hof hatte jeder der 181

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beiden Brüder auf seine Weise versucht, die Mechanismen der Propaganda zu nutzen. Paolo wählte den Weg, sich in den herausragenden Momenten seiner Obedienzgesandtschaft und bei seiner eigenen Beerdigung prachtvoll in Szene zu setzen bzw. setzen zu lassen. Erstere fand einen lebhaften Widerhall in den zeitgenössischen Chroniken, und in den nächsten Jahren ließ sich Paolo, der mittlerweile auch mit dem Orden vom Goldenen Vlies ausgezeichnet worden war, die Gelegenheit nicht entgehen, drei große Gemälde in Auftrag zu geben. Sie verherrlichten seinen feierlichen Einzug zu Pferde als Obedienzbotschafter, seine Audienz bei Paul V. und das ihm zu Ehren von dem Borghese-Papst veranstaltete Gastmahl. Für die Erinnerung an das zweite Ereignis, seine Funeralien, sorgte die Familie mit dem Druck des von dem Literaten und langjährigen Sekretär des Fürsten Pompeo Tomassini verfassten Trionfo funebre (Abb. 3).37 Es fehlt nicht an zeitnahen Quellen, die von der dargebotenen Pracht berichten, am ausführlichsten Giacinto Gigli: »l primo giorno di Maggio [1620] fece l’entrata in carrozza per la Porta Flaminia il Prencipe Savelli con incarico di Imbasciatore dell’Imperatore al Papa, et a di 3 del medesimo fece l’altra entrata a cavallo nobilissima, et magnificentissima, nella quale haveva 36 cariaggi spartiti in tre dozzine differenti benissimo adornati. Li cavalli havevano i piedi ferrati d’argento, i frontali d’argento, et i tortori delle some d’argento. La cavalcata fu pomposissima, et vi furno livree bellissime. Andò dal Popolo per il Corso al suo Palazzo nel Monte Savello, et poi a di 5 del medesimo andò al Concistoro publico a Palazzo Vaticano, partendo dal suo Palazzo per la strada Papale con un’altra nobilissima cavalcata. […] Alli 21 di Luglio [1632] morì il Duca38 Savelli Imbasciatore dell’Imperatore, et alle 23 fu con solenne pompa portato all’Araceli dalla Chiesa di S. Nicola in Carcere, essendo apparata l’una, e l’altra Chiesa tutta di negro, et nella processione andorno li putti di Letterato, l’Orfanelli, 13 Compagnie di Sacchi, et 12 Fraterie, et poi li Frati d’Araceli, et Frati Conventuali di S. Francesco, li quali portavano le torcie, che erano quattrocento: veniva poi il suo corpo in un letto grandissimo coperto con una Coltre di broccato d’oro con la guardia del Papa, et i Cursori avanti in habito pavonazzo con i suoi bastoni inargentati, et intorno al corpo otto Candeliero37 Tomassini, 1632. Das Exemplar, das sich in der Biblioteca Apostolica Vaticana befindet, trägt als Erscheinungsjahr das Jahr 1635. 38 Auch in diesem Fall erkennen wir eine Überlagerung und eine daraus resultierende Verwechslung der beiden Brüder, sodass Paolo der Titel seines Bruders gegeben wird. Später werden wir noch sehen, wie das Gleiche auch beim Porträt geschah. 182

Federico Savelli, tugendhafter Adliger, Militär und Diplomat ni con torcie accese, et quattro banderole con la sua Arme, e dietro veniva la Cavalcata delli Mazzieri, et Famiglia del Papa con molti Prelati a cavallo.«39

Abb. 4: Porträt des Herzogs Federico Savelli, in: Elogi di capitani illustri scritti da Lorenzo Crasso, Venedig 1683.

Federico dagegen zog es vor, seine Repräsentation, die in jedem Fall die eines hochrangigen militärischen Befhelshabers sein sollte, der Publizistik zu überlassen. Das Taschenbuch für die vaterländische Geschichte erinnert folgendermaßen an ihn: »Hat übrigens ein recht kriegerisches Ansehen gehabt und meist im Harnisch herumgegangen, wie er sich auch nie anders mahlen lassen wollte«.40 Es existieren allerdings praktisch keine Porträts des Herzogs Federico Savelli; ein unter den Familiengemälden erwähntes Porträt wurde nie gefunden. Das einzige, bisher unbekannte Bildnis ist der Stich am Anfang der Lobrede von Lorenzo Crasso, der ein ernstes, strenges, indigniert dreinblickendes Antlitz zeigt; soweit es zu beurteilen ist, sieht er seinem älteren Bruder Paolo sehr ähnlich (Abb. 4). Dessen Gesicht ist durch das berühmte, heute in der Harrach-Sammlung auf Schloss Rohrau bei Wien aufbewahrte Ölgemälde Pietro da Cortonas aus der oben genannten Bilderfolge bekannt, das die Übergabe der Vollmachten Ferdinands II. an Paul V. bei Paolos Audienz in der Sala Regia zeigt. Die hier 39 Gigli, 1994, Bd. 1, S. 72, 224. 40 Taschenbuch für die vaterländische Geschichte, Bd. 10, 1829, S. 90. 183

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dargestellte Physiognomie Paolo Savellis entspricht weitgehend dem Stich, der in Khevenhüllers Annales Ferdinandei veröffentlicht wurde.41 Dagegen handelt es sich bei der Identifizierung des oval eingefassten, seltenen Porträts in der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien42 als Federico offensichtlich um einen Fehler, der entweder auf Khevenhüller oder auf eine gemeinsame Vorlage beider Darstellungen zurückgeht. Das wird umso deutlicher dadurch, dass die abgebildete Person das Goldene Vlies trägt, das Paolo, nicht aber Federico, verliehen wurde. Abb. 5: Ragioni sopra la Difesa e resa del posto della Città di Demmino del Duca Savello, Wien 1631, Frontespiz. ASR, Archivio Giustiniani, b. 102.

Im Jahr 1631, kurz nach der Kapitulation von Demmin, hielt es Federico Savelli zum ersten Mal für erforderlich, ein Druckwerk in Auftrag zu geben. Damals, mitten im Dreißigjährigen Krieg, stand er als befehlshabender General im Feld 41 Khevenhüller, 1721-1726, Bd. 13, Tafel 144. 42 Bildarchiv und Grafiksammlung, Porträtsammlung, Inventar-Nr. PORT_0010​ 2441_01, auch online: www.portraitindex.de/documents/obj/oai:baa.onb.at:7882​ 176, 08.07.2016. 184

Federico Savelli, tugendhafter Adliger, Militär und Diplomat

und musste mit seinem Regiment die Festung, die er in den Jahren zuvor selbst erobert und entschlossen verteidigt hatte,43 den schwedischen Truppen überlassen. Es scheint, als habe Gustav II. Adolf von Schweden bei dieser Gelegenheit dem Herzog den Rat gegeben, »künftig seinem Herrn lieber zu Hof als im Krieg zu dienen.«44 Man kann sich den Zorn eines ranghohen Offiziers bei diesen Worten gut vorstellen. Dass General Savelli viele Feinde hatte, wird auch aus seiner Familienkorrespondenz ersichtlich, wenn er von seinen Bemühungen um eine Urlaubsgenehmigung und von den Intrigen derjenigen erzählt, die ihn auf dem Schlachtfeld, weit weg vom Hof festhalten wollten, um ihn am Kontakt zu den Entscheidungskanälen im Zentrum der kaiserlichen Macht zu hindern. Die aufsehenerregende Übergabe der Festung Demmin hatte eine erhebliche negative Propaganda zur Folge, wie die Verbreitung des angeblichen Ausspruchs des schwedischen Königs bezeugt. Der Oberbefehlshaber Graf Tilly forderte Federico Savelli auf, sich nach Wien zu begeben, um sich dort vor dem Kaiser zu rechtfertigen. Aus dieser misslichen Lage ging Savelli schließlich jedoch vollkommen entlastet hervor und ließ seine Rechtfertigung öffentlichkeitswirksam publik machen, indem er in Wien eine zweisprachige Flugschrift drucken ließ, die in den Beständen der Bibliotheken des 18. Jahrhunderts Erwähnung fand, aber lange als verschollen galt. Ein handschriftlicher Entwurf dieses Traktats wird in Pergament gebunden gemeinsam mit den gedruckten Blättern in einem Band im Familienarchiv verwahrt (Abb. 5).45 Wie er es schon mit dem Aufbewahren der Ferrareser Korrespondenz gehalten hatte, führte Federico als Beweis für sein untadeliges Verhalten einen Briefwechsel mit General Tilly an, der scheinbar Zweifel an seinem Handeln gehegt hatte. Diesem Schreiben legte er einen Lageplan von Demmin samt seinen Festungsanlagen bei, der im Familienarchiv als aquarelliertes Original erhalten ist (Abb.  6). In der Einführung für den Leser schlägt Federico einen sehr empörten Ton an und wettert gegen seine Verleumder, und das in zwei Sprachen. Diesem Vorgehen liegt sicherlich die Erkenntnis zugrunde, so eine größere Verbreitung in seinem doppelten, italienischen und deutschen, Handlungsraum erzielen zu können. Nicht weniger wichtig dürfte gewesen sein, dass er sich der Interpretationsprobleme bewusst war, wie sie bei der Übersetzung von der einen in eine andere Sprache auftreten 43 Goetze, 1903, S. 293. 44 Taschenbuch für die vaterländische Geschichte, Bd. 10, 1829, S. 90. 45 Ragioni sopra la Difesa, 1631; Entwurf und gedruckte Blätter in ASR, Archivio Giustiniani, b. 102. Ein Exemplar befindet sich in der Biblioteca Casanatense in Rom. 185

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konnten.46 Diese Passage verdient daher eine ungekürzte Wiedergabe im Original: »Si mette in consideratione a chi […] vorrà farsi più informato della propria sustanza, e formalità delle parole che sono in ciascuna ordinanza, lettera o esplicatione, sopr’essa di leggerle, s’egli sarà mai possibile, scritte nella lor propria lingua che a ciascuno è accaduto scriverla perché nel traslatarle alcune che si sono giudicate più necessarie a sapersi dalla lingua italiana nell’Alemanna e cosi nel suo contrario sarà facile di ritrovarci alcuna differenza nel numero delle parole o nella forza del concetto, com’è la differenza ancora molta nel parlare dell’uno, e dell’altro idioma suo naturale; benche in sustanza il medesimo vogli inferire, onde si prega a scusarne simd [sic!] difetto dove incontrasse per la sudetta cagione assicurandosi nel rimanente, che le copie tradotte, da gli originali della propria lingua, che si asserisce mostrati, e prodotti, nella giustificatione appieno successa avanti S. M.tà Cesarea, e suoi Commissari Deputati non ci si troverà par varietà d’una sol lettera, non che differenza di parola che possi alterare, o variare il senso. Così diligenza non meno è si è usato nella translatione fatta in lingua latina che pur per più universal intelligenza, e sodisfatione si è data pur alla stampa, come a suo tempo si vedrà, essendo parso cosa più giusta, che si come l’offesa è stata mandata nella maggior parte del Mondo con tanta bugia, e falsità, così nell’universale ne sia inteso il giusto discarico, e come la verità le habbi superate. […] però ch’il Duca Savello ha dato fuori avanti questa publicatione de scritture, come si è visto li ha convenientemente, e rettamente ricompensati, benché finalmente a guisa di Ragnatelo, opera guidata da vermi così putridi, e difettosi, conformandosi con la natural conditione loro, et accidenti soliti nella varietà del mondo (permettendolo Dio, e la verità) sono riusciti come appieno stati conosciuti immersi: in opera di lor meritata Tomba, e di nulla grandemente occupati etc.«47

46 Die Savelli wurden vom Haus Österreich aufgrund ihrer deutschen Sprachkenntnisse hochgeschätzt, und sie ließen auch ihre Kinder im Deutschen unterrichten: In den zwanziger Jahren taucht unter den familiären Ausgaben der monatliche Lohn für den Deutschlehrer der Söhne von Paolo Savelli, Bernardino und Fabrizio, auf: ASPi, Fondo Savelli, Libro di banco 211. 47 ASR, Giustiniani, b. 102. Der letzte Satz bezieht sich auf das kleine Emblem unter dem Titel des Pamphlets, eine rechteckig eingefasste Spinne in ihrem Netz, umrahmt von dem Motto »Maxime occupati in nihil agendum«. 186

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Federicos Selbstverteidigung zeigte sofortige Wirkung auf den Kaiser, denn Ferdinand II. übertrug ihm weiterhin verantwortungsvolle militärische und diplomatische Aufgaben. Die darauffolgende Veröffentlichung im Druck fand jedoch ein geteiltes Echo: Die deutschsprachigen Quellen beurteilten das Wirken des Herzogs Savelli durchaus nicht einheitlich, was teilweise aber auch daran lag, das er gerade wegen seines Pamphlets im Gedächtnis blieb.48 Durchweg positiv sind dagegen die italienischen Quellen, wie die Lobrede, die Lorenzo Crasso Savelli widmete, oder die Compendiose notizie dei fatti d’arme, die sich mehr als alle anderen Quellen für die Kapitulation von Demmin auf die von Savelli in Druck gegebene Difesa stützten. Positiv fiel später auch das Manifest gegen Herzog Fulvio della Corgna aus.49 48 Nicht negativ erscheint die Reaktion in den Annales Ferdinandei: Khevenhüller, 1721-1726, Bd. 11, Sp. 1763f. Zwar wird hier von den Monaten, die der Herzog Savelli in Gefangenschaft verbrachte, berichtet, es wird aber auch erwähnt, dass er vom Kaiser die volle Absolution erhielt und deutlich die Feindseligkeit des Generals Tilly dem adeligen Italiener gegenüber hervorgehoben. Dabei muss man wiederum berücksichtigen, dass Khevenhüller zu den treuesten Verbündeten der Familie Savelli an den Höfen von Wien und Madrid gehörte, wo er kaiserlicher Botschafter war, also denselben Posten wie Paolo und Federico, bekleidete. Vgl. dazu Fosi, 2006. Im Theatrum Europaeum wurde dem Herzog Savelli aufgrund seines Auftretens und als Verteidiger der katholischen Religion Bewunderung gezollt: Theatrum Europaeum, Bd. 2, 1646, S. 343f. (unter den Randnotizen ist hervorzuheben: »Savelli procedirt verwunderlich zu Demmin«); über die Einnahme von Demmin und die Bedingungen der Übernahme wurde genau berichtet, wodurch indirekt die effiziente Verhandlungsführung durch die von der Festung abziehenden Truppen belegt wurde, wobei man Kapläne und sakrale Gegenstände schützte und nicht zu Schaden kommen ließ. Der Name Savelli verschwindet hier fast vollkommen aus dem Text. Entschieden negativ fiel dagegen die kurze Beurteilung in dem schon genannten Taschenbuch für die vaterländische Geschichte, Bd. 10, 1829, S. 89f. aus. Dort wurde darüber hinaus dem Herzog fälschlicherweise der Name seines Bruders gegeben, was möglicherweise auf das Missverständnis bei der Betitelung des Porträts von Paolo Savelli zurückzuführen ist. 49 Compendiose notizie, 1751, S. 32f: »[…] si risolse Gustavo all’oppugnazione di Demin piazza di gran considerazione, dove comandava il Duca Savelli, e dove aveva raccolti magazzini copiosissimi, e da bocca, e da guerra, oltre alle fortificazioni riparate, ed accresciute […]. La Guarnigione, sorpresa da timore improvviso, paventando d’esser espugnata a viva forza, denunziò al Savelli il doversi render subito a buoni patti. Il Savelli adoperò le persuasive, le preghiere, ed altri tentativi, per 187

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Abb. 6: Plan der Festung Demmin. Kolorierte Zeichnung, 1631. ASR, Archivio Giustiniani, b. 102.

Offensichtlich hat es aber auch an Kritik nicht gefehlt, die sich an den Höfen Nordeuropas verbreitet haben muss. Daher hielt es Federico Savelli noch in seinem Testament für notwendig, jede Anklage wegen des Feldzugs von Greifswald-Demmin von sich zu weisen, indem er aus zeitlicher Distanz denjenigen antwortete, die ihn seinerzeit des Diebstahls bezichtigt hatten.50 Hintergrund dieses Vorwurfs mag es gewesen sein, dass er nicht gezögert hatte, die Mariendistornare i suoi dall’intempestiva proposta. Ma non potuti acquietarli, patteggiò la resa con onorevoli condizioni […]. Il Conte Gio. Tilli […] quando vide il Savelli […] rimproverollo con parole d’avvilimento, e gli ordinò, che passasse a giustificarsi in Vienna. Andò colà il Savelli. Esibì prove così chiare, e convincenti della propria innocenza, che l’Imperatore non solo gli continuò la propria grazia, ma ben tosto gli commise una legazione importantissima; ritornato dalla quale proseguì a prevalersi di lui in altre imprese, nelle quali il Savelli si diportò sempre con grande affezione all’Austriaca Casa, e con eguale volontà, ma quasi sempre contrariato da avversa fortuna.« Schon zuvor, S. 31, wurde besonders auf den Mut und die militärischen Fähigkeiten Federico Savellis im Kampf um Rostock gegen die Schweden hingewiesen. 50 Vgl. beispielsweise Stolle, 1772, S. 698, der angibt, den Schriften von Martin Zeiller zu folgen. 188

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kirche abtragen zu lassen, um die Mauern von Demmin zu verstärken.51 Das zeigt erneut, wie hoch das Dokument im Hinblick auf seine öffentliche Wirksamkeit bewertet wurde. »[…] similmente voglio e dispongo che nel medesimo tempo doppo la morte della duchessa e mia si consegni e dia nel medesimo modo e luogo della cappella e colle medesime conditioni tutte, come sopra, l’effigie e statua tutta d’argento con Nostro Signore in braccio che si tiene da noi per l’ordinario nella cammera nostra, perché, havendol’io ricuperate e comprate le sudette reliquie e reliquiari e Madonna dalle mani de luterani in Griefswaldt, nella Pomerania, nel tempo che ero servendo la Maestà dell’imperatore Ferdinando II, gloriosa memoria, e commandando in guerra in quella città e provincia, ho stimato e stimo, secondo il pensiero che divotamente ne portai all’hora, che si dovessero rimettere al servitio e culto divino per la veneratione et obligo che ne porto.«52

In den folgenden Jahren befand sich der General Savelli erneut in Schwierigkeiten. Schließlich fiel er sogar in Laufenburg in die Hände der Lutheraner. Die Episode endete mit einer abenteuerlichen Flucht, die in allen Einzelheiten – inklusive der Landung auf dem Mist (um das Geräusch des Aufpralls beim Sprung aus dem Fenster zu dämpfen) – vom Nuntius in der Schweiz erzählt wurde, als er in einem Brief nach Rom von der gelungenen Befreiung berichtete. Als gebranntes Kind durch die Anklagen nach Demmin entfaltete Federico in dem an kriegerischen Ereignissen so reichen Jahr 1638 eine intensive publizistische Propagandatätigkeit: In Rom wurde bei Ludovico Grignani die Relatione del modo che il Duca Federico Savello si è posto con il divino aiuto in libertà […], fatta e mandata in Roma da Giorgio Schwabelmayr suo aiutante di camera gedruckt; eines der wenigen erhaltenen Exemplare befindet sich in einem Urkundenband im Familienarchiv (Abb. 7).53 In der historischen Bibliografie von Du Fresnoy findet sich außerdem ein Bericht über die Schlacht von Wittenweier zwischen dem Herzog Savelli und dem Herzog von Sachsen-Weimar (August 1638).54 Auf den letztgenannten, heute verschollenen Text beziehen sich einige verstreute unveröffentlichte Rechnungen aus dem Familienarchiv: 51 52 53 54

Goetze, 1903, S. 293. ASR, Trenta Notai Capitolini, uff. 5, 25 ottobre 1646, c. 582r. ASPi, Fondo Savelli, Strumenti 209, fol. 511r-521v. Lenglet Du Fresnoy, 1740, S. 141: »Relatione di quello che successe nell’Agosto 1638 nella battaglia a Wittenweiller, fatta dal Duca Savello contro il Duca di Wei189

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eine Zahlung von 10 Scudi an den Buchbinder Marcantonio Giacchini »per aver legato seicento relationi del seguito a Wettenweier li 7, 8 e 9 Agosto con il disegno della battaglia«, die Bezahlung des Imperialpapiers für die Drucke über die Schlacht und die Zahlung von 30 Scudi an Luca Ciamberlano für das Stechen der Kupferplatte zum Druck der Darstellung der Schlacht vom 9. August 1639,55 ferner in einer Notiz vom 20. August 1639 die Zahlung von 120 Scudi für »diverse spese di stampe delle battaglie di S.E.«.56 Möglicherweise handelt es sich bei dem Druck von Ciamberlano um den gleichen, der dann (als Original oder Kopie) dem Theatrum Europaeum beigefügt wurde (Abb. 8). Wenige Monate zuvor hatte Federico Alaleona gebeten, ihm eine Kopie »del libro della sua Giustificatione e fedi stampate« nach Wien zu schicken, »perché ne sono sì cercato da molti, e non ne ho più, ch’io ne farei stampare un centinaio«.57 Weiterhin erbat er am 25. Juni, ebenfalls aus Wien, »un paro delle relationi sopra la mia liberatione dalla prigionia«.58 Abb. 7: Relatione del modo che il Duca Federico Savello si è posto con il divino aiuto in libertà […], fatta e mandata in Roma da Giorgio Schwabelmayr suo aiutante di camera, Rom 1638, Frontespiz. ASPi Fondo Savelli, Strumenti 209, fol. 511r.

55 56 57 58 190

mar, tradotta di Aleman in italiano dal conte Simeone Alaliona, in 4°, in Roma 1638«. ASR, Archivio Sforza Cesarini, I, b. 241. ASPi, Fondo Savelli, Strumenti 209, fol. 589v. Ebd., fol. 558r, Federico Savelli an Simone Alaleona, 10. Juni 1639. Ebd., fol. 571v.

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Abb. 8: Schlacht bei Wittenweier, in: Theatrum Europaeum, Bd. 3, Frankfurt a.M. 1670.

Das, was an den Höfen Nordeuropas leicht als schmähliche Schande59 interpretiert werden konnte, wurde im eigenen »Staat von Ariccia«, in dem der Familie Savelli verbliebenen Hauptlehen zwischen Ariccia und Albano, und folglich auch am päpstlichen Hof von allen chronikalischen Details befreit und mittels der üblichen Propagandainstrumente als ein abenteuerliches Heldenstück dargestellt: Es fanden spontane Prozessionen von Volk, Klerus und Adel zur Madonna di Galloro statt, überall wurden von Familien und Klostergemeinschaften Freudenfeuer entzündet, es gab Salven aus Musketen und Hakenbüchsen, feierliche Messen und Chorgesänge und andere von der Familie Savelli ausgerufene öffentliche Feierlichkeiten mit Feuerwerken und Weinausschank. Der Brief, der von der Befreiung und Flucht erzählte, wurde vervielfältigt und der diesbezügliche Bericht für die weitere und dauerhafte Verbreitung zum Druck gegeben (Abb. 9): 59 Vgl. etwa den Bericht über die nach der Flucht des Generals erfolgten Enthauptungen im Tagebuch des Johann Heinrich von Pflummern, der bei Warlich, www.30jaehrigerkrieg.de/thurn-johann-jakob-graf-von/, 08.07.2016, zitiert wird. 191

Cecilia Mazzetti di Pietralata »Fu cuore invitto, e generoso ardire […] quello di Marco Marcello Capitan Generale de‹ Romani nelle guerre Sabinesi, quando ad una sanguinosa battaglia, restò de’ Nemici preda, e priggioniero. Laonde con militare ingegno di notte […] fuggendo dall’inimiche mani, pose loro in rotta […]. Stimerò adunque che sia soverchio il manifestare a V.E. l’allegrezza c’ho ricevuta, si per la buona nuova della liberatione, e fuga da’ Nimici dell’Eccellentissimo Sig. Duca Federico Savello suo Zio; come anco per le dimostrattioni fatte da Popoli suoi Vassalli nel Prencipato d’Albano, e Ducato della Riccia […] Di Roma li 15 d’Aprile 1638. Di V. Eccellenza Obligatissimo Servitore Francesco Cortese de Albizzi. […]

Abb. 9: Relatione dell’allegrezze fatte da Vassalli dell’Eccellentissimo Signor Prencipe Bernardino Savello nella città d’Albano, e Terra della Riccia per la buona nuova havuta della liberatione della Persona dell’Eccellentissimo Signor Duca Federico Savello, Rom 1638, Frontespiz. ASR, Archivio Sforza Cesarini, I, b. 25.

Essendosi dunque […] tutti li sudetti doi Popoli Vassalli di essi signori ripieni di somma allegrezza, e riconoscendosi il caso miracoloso […] andarono a visitare la sudetta Santa Immagine di Galloro […]. Restò in Palazzo in detto tempo il Sig. Prencipe, per far (come si è detto) gli opportuni dispacci de’ 192

Federico Savelli, tugendhafter Adliger, Militär und Diplomat Corrieri, et erano alla buona nuova concorsi al detto Palazzo tutti li Offitiali dello Stato, et una quantità di Primati, e altri; tutti vassalli di Sua Eccellenza […]. Laonde Sua Eccellenza (per gradire si buon affetto loro, anzi per trattenere il grande impeto che facevano per vedere il lor Padrone, e Prencipe, poiche la loro allegrezza li rendeva impatienti) mandò fuori in detta sala copia della lettera scritta dal detto Sig. Duca Federico suo zio; et era certo ottima vista, sì per scorgere con che affetto leggevano simili copie, sì anco per veder subito lettole porsi in disparte, per la Sala per copiarle, et in un instante se ne fecero molte copie […] Né si può tralasciare il narrar quanto ad esempio di essi Signori Padroni, vivino detti Vassalli con ogni cattolica, e christiana disciplina; Indi volendo manifestare quanto a loro dispiaccia ritrovarsi nel mondo anco seguaci della falsa dottrina di Lutero; di donde ha havuto sempre tante turbolenze la Religione Christiana nelle parti di Germania: nella seconda sera delle feste sudette, che per appunto per doi sere si fecero simili fuochi; fabricorono un fuoco arteficiale in forma humana, fingendo apunto l’Eresia dell’istesso Lutero; laonde datogli fuoco non senza alte grida del Popolo ciascun Soldato gli scaricò in dosso il suo moschetto, o archibugio con assai leggiadria […].«60

Tatsächlich griff noch im Jahr 1796 der Kanoniker Emanuele Lucidi, dem die Dokumente im Archiv der Savelli, jetzt schon Sforza Cesarini, durch Abt Ratti zur Verfügung gestellt wurden, getreu diesen Wortlaut auf, als er über das Ereignis berichtete.61 In der oben zitierten Relatione dell’allegrezze wurde Marcellus als Beispiel eines verdienten Generals während der Sabinischen Kriege nicht zufällig angeführt, sondern als Anspielung auf das sabinische Lehen der Familie Savelli, das sie kurz zuvor – aber nur teilweise – den Borghese überlassen hatte. Vielleicht liegt hier auch der Schlüssel, um zu verstehen, warum sie in der Folge in Crassos Eloge wiederaufgegriffen wurde. Sie soll im Folgenden in Gänze wiedergegeben werden, auch wenn sie einige Fehler enthält, die, wie schon im Fall des Porträts, der Verwechslung mit dem Bruder Paolo entspringen: »Rinovò Federigo con azioni romane della Gente Savella l’antica Gloria. Reggendo Clemente Ottavo il Ponteficato, e Rodolfo Secondo l’Impero, militò in Ungheria, dove havendo lasciato memorie grandi del suo valore, fù fatto sotto 60 Relatione dell’allegrezze, 1638. 61 Lucidi, 1796, S. 290f.; die Widmung der Abhandlung an Don Paolo Savelli aufgreifend, begeht Lucidi den Fehler, Paolo Savelli dem Jüngeren, dem späteren Kardinal Paolo Savelli Peretti, die Frau und die Söhne Bernardinos zuzusprechen. 193

Cecilia Mazzetti di Pietralata Paolo Quinto Generale di Ferrara, Bologna, e Romagna, indi Luogotenente Generale di Santa Chiesa sotto Gregorio Decimoquinto, e nella guerra della Valtellina, che picciola parte d’Italia, turbò gran parte d’Europa, di nuovo General di Ferrara sotto Urbano Ottavo. Chiamato in Germania da Ferdinando Secondo Imperatore, servì in più occasioni in quel tempo, che comandava all’armi Imperiali con suprema autorità il Valstein, Capitano, che come nato ad azioni grandi amò molto il Savelli per somiglianza di grandezza d’animo.62 Collegatosi Gustavo Adofo Re di Svezia co’ Principi Protestanti, e lasciato il più freddo Settentrione per portar incendi di guerra in Germania, trovossi il Savelli al reggimento dell’armi cesaree in Pomerania, dove più valoroso, che fortunato, gli fu d’uopo rendere al Re Demin, concorrendo alla perdita della fortezza la viltà dei Soldati non obbedienti, e l’acque intorno agghiacciate, che facilitaron l’Impresa; e benchè fosse incolpato dal Tilli, a lui poco affezionato, fur da Cesare ben ricevute le sue ragioni, e premiato il valore. Rotto poco dopo dal Re di Svezia il Tilli, fu eletto Ambasciadore dall’Imperadore ad Urbano Ottavo per chiedere aiuto contro Suetesi, e Protestanti, portando seco la perdita dell’Imperio quella della Cattolica Religione, e molto operò nella Corte di Roma, quantunque più meritasse l’elezion del Personaggio, e la Causa dell’Ambasceria. Ritornato in Germania, essendo Imperadore Ferdinando Terzo, fu destinato in Alsazia con Giovan di Vert General di Baviera per resistere al Duca di Vaimar, con cui venuto a battaglia la prima volta, restò vincitore de’ Vaimaresi, e la seconda, per non aderirsi a’ suoi consigli perditore, e prigionier del Vaimar. Liberatosi con la fuga, tornò col Ghetz novello General di Baviera a far fronte al Nimico, c’havea assediato Brisac, dentro la qual Città sarebbe entrato il soccorso, s’altri havesse adempiuto quel ch’erasi maturamente consigliato; o se pur forse l’invidia della Gloria d’un Italiano in Paese forastiero non fosse stata cagione della perdita di così importante Fortezza. Vi fu però combattimento assai sanguinoso, e vi restò prigioniero il Tabaldel, Capitano frà Nimici di sperienza, e stima. Perdutasi dunque la speranza del soccorso andò alla Corte Cesarea, e dall’Imperadore fu mandato Ambasciadore a Roma nel fine del Pontificato d’Urbano Ottavo, allora in guerra per lo Ducato di Castro co’ Viniziani, Fiorentini, e Modanesi, collegati col Duca Odoardo di Parma. Dichiarollo il Pontefice Luogotenente Generale di Santa Chiesa nella Provincia di Perugia, nella qual parte eran poderose l’armi del Gran Duca, e fortificatosi a Montalera, con sommo valore, 62 Im Jahr 1634 wurde in Rom bei Ludovico Grignani die Relatione della morte di Alberto Duca di Fridlandt gedruckt, und es ist wahrscheinlich, dass Federico Savelli bei der Veröffentlichung des Pamphlets eine Vermittlerrolle einnahm. 194

Federico Savelli, tugendhafter Adliger, Militär und Diplomat e prudenza, dié freno alla baldanza dell’Esercito nimico, potente ad occupare il Dominio Ecclesiastico. Havendo rinunciato il Generalato, e fatto di nuovo Ambasciador di Cesare, trovossi nell’elezion d’Innocenzo Decimo, avanti del quale sostenne egregiamente la contesa della precedenza, restituendo all’antico splendore l’Ambascerie. Operò molto per la salvezza d’Orbitello, assediato da’ Francesi, e consigliò poi la ricuperazione di Portolongone; ma dalla morte rapito del 1649 solo mancogli fortuna eguale alla sua Virtù. Fu il Duca Federigo Savelli di volto grande, corpo gagliardo, dolce ne’ ragionamenti, prudente ne’ consigli, perito nell’Arte militare, e non poco nelle azioni simile all’antico Fabio Massimo.«63

Nach Gefangenschaft und Flucht und weil seine Gesundheit nicht mehr die beste war, erhielt Savelli die Erlaubnis, nach Italien zurückzukehren und dort die finanziellen Geschicke seiner Familie in die Hand zu nehmen. Die Zeit der Aufträge und der Schwierigkeiten war für den Herzog jedoch noch nicht vorbei: Als Scipione Gonzaga, Fürst von Bozzolo, das Amt des kaiserlichen Botschafters aufgab, wurde Federico aufgrund seiner Deutschlanderfahrung erneut zum Botschafter ernannt.64 Von seiner diplomatischen Tätigkeit in den Vierzigerjahren blieben vor allem sein Mut und seine Energie in Erinnerung, mit denen er seine zeremoniellen Vorrechte verteidigte – ein Versuch, in der öffentlichen Repräsentation die Überheblichkeit der Barberini einzudämmen, wobei er allerdings ebenso überheblich auftrat.65 Auch der Stil seiner Relationen an den Kaiser unterschied sich beträchtlich von dem der Rechenschaftsberichte seines Bruders bis zum Jahre 1632, der weit mehr Wert auf die Beschreibung der Stimmungen am Hof, des Kommens und Gehens von Persönlichkeiten, der Feste und anderer höfischer Begebenheiten gelegt hatte. Federico dagegen machte sehr genaue Angaben zu allen militärischen Ereignissen und verfolgte mit großem Interesse zum einen den Krieg um Castro, zum anderen den Volksaufstand des Masaniello in Neapel. Er legte seinem Bericht einen seltenen Porträtdruck Masaniellos bei, um die typischen Gesichtszüge einer Person von so niedriger Herkunft, »sì bassa 63 Crasso, 1683, S. 254-256. 64 Genau eine solche Erfahrung forderte Trauttmansdorff von Federico Savelli in seinem Brief aus Regensburg vom 27. August 1641: ASR, Archivio Sforza Cesarini, I, b. 25. Zum Amtswechsel vom Fürsten von Bozzolo auf Federico Savelli und zu dessen Ernennung vgl. Becker, 2014, S. 219-251. 65 Der Bezug auf die Quellen und das Ereignis wurden detaillierter untersucht bei Mazzetti di Pietralata, 2018. 195

Cecilia Mazzetti di Pietralata

condizione«, zu zeigen (Abb. 10).66 Die Beziehungen zum Kaiser scheinen ein streng hierarchisches, geradezu militärisches Gepräge gehabt zu haben: Federico musste in seinen Briefen nach Wien offenbar sogar um eine Urlaubsgenehmigung von nur wenigen Tagen für eine Kur in den eigenen Thermen von Cretone in Sabina bitten, während Paolo sich seinerzeit mit größter Freiheit zwischen Rom und Ariccia hin- und herbewegt hatte. Abb. 10: Porträt Masaniellos. Stich. Österreichisches Staatsarchiv Wien, Abt. Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Rom, Korrespondenz 56, fol. 111.

Das Vertrauen des Kaisers war aber offensichtlich immer noch groß, und auch der Papst schätzte, trotz der Unstimmigkeiten Savellis mit den Barberini, dessen militärische Erfahrung so sehr, dass ihm erlaubt wurde, sein doppeltes Amt – als Diplomat im Dienst des Kaisers und als Militär im Dienst des Papstes – beizubehalten: Federico Savelli erhielt erneut das Kommando über die päpstlichen Truppen im Krieg um Castro. Doch nun wiederholte sich eine Situation, die 66 »Mi è capitata l’effigie di quel tale Masaniello d’Amalfi, che fù l’origine della prima sollevatione, e doppo fù eletto concordemente dal Popolo per suo Capitan Generale. L’invio humilmente, qui aggiunto, à V.M.tà Ces.a, per curiosità, acciò si degni benignamente di vedere l’ardir c’hebbe huomo, di si bassa conditione, e le turbolenze, e le mutationi che per sua causa nel Regno tutto, nonché Napoli, sono nate […].« Rom, 27. September 1647, ÖStA W, HHStA, Rom, Korrespondenz 56. 196

Federico Savelli, tugendhafter Adliger, Militär und Diplomat

in gewisser Weise an die Erfahrungen des Jahres 1631 mit Tilly erinnerte: Als er durch ein Manifest des Herzogs Fulvio della Corgna öffentlich gravierender Pflichtverletzungen angeklagt wurde, da er dem Adeligen aus Perugia keine militärische Unterstützung gebracht und ihn so zur Übergabe von Castiglione del Lago gezwungen habe, sah er sich erneut zur öffentlichen Verteidigung gezwungen. Er ließ – diesmal in höherer Auflage als zuvor – einen kleinen Band drucken, der im Wesentlichen einer Prozessakte ähnelte, mit der Veröffentlichung von Korrespondenzen und der Untersuchung von Zeugenaussagen. In diesem Fall ist der Ton jedoch eher anklagend als defensiv. Die ganze Argumentation kreist um die Soldatenehre, und er nutzt die Gelegenheit, um sein eigenes Selbstverständnis als Ritter zu unterstreichen, an seine lange Karriere zu erinnern und schließlich auf die leidige Affäre von Demmin zurückzukommen, scheinbar zum Vergleich, in Wirklichkeit aber, um sein damaliges Verhalten endgültig zu rechtfertigen. Ein für alle Mal stellt Federico Savelli unter Berufung auf die »antiken Autoren« klar, dass das Beibringen schriftlicher Zeugnisse der einzige wirksame Weg sei, um die Anklagen zu widerlegen: »Ancorche egli medesimo [Fulvio della Cornia] dimostri con le attioni operate, se habbi bene, o male difeso il posto (e qui sta il punto della sua honorata, e dovuta giustificatione, e non con imputarne a torto altrui) nondimeno parmi di doverlo compatire per un verso, poiché ciascuno, può essere da emuli e maligni come fui anch’io imputato in Alemagna, e fattone il Manifesto, ma perché il Mondo ne possi dare il dovuto, e giusto giuditio conviene che ne ponghi il paragone. Fui dunque imputato, come dico di haver mal difeso, e reso il posto di Demmino in Pomerania da emuli, e maligni, et invidiosi, come sopra […] e stimando più l’honore, che la vita, e l’havere comparvi a giustificarmi, come intesi questa imputatione, con venire a dirittura (lasciando il mio Regimento) a ritrovare Sua Maestà Cesarea Ferdinando Secondo Imperatore di gloriosa memoria di cui all’hora ero Collonnello, e servitore, e stipendiato senza dubitare di vita, o di vitto (così dispreggiar m’insegno l’honore ogni altra cosa) senza considerare di non haverci havuto, né della mia casa alcuno, né alcun parente, né altra confidenza in quella corte, che la Maestà del medesimo Prencipe, e Signore, e la sua retta giustitia, e delli suoi consigli, e la verità, e la ragione della mia innocenza, dove subito giunto, supplicai della mia deputatione, di chi dovesse giudicarmi […] furono dichiarate false tutte, et havere io adempiuto nella difesa, e nella resa, quanto si conveniva a Cavagliere, e Soldato honorato, e ne hebbi il decreto con la continuatione non solo delle mie cariche solite, ma fui eletto da S.Maestà Cesarea suo Ambasciatore Straordinario a chieder soccorso de denari per le guerre […] e ne ho ricevuti dalla 197

Cecilia Mazzetti di Pietralata sudetta Maestà Cesarea, e da questa dell’Imperatore Ferdinando III sempre accrescimenti di cariche di guerra, e di Corte, il che come tutto apparisce in effetto, et alle stampe, è noto per haverle essercitate in faccia de tutti li Principi, e del mondo, tralascio di più parlarne, e darne altre prove […]. […] giacché tutti gli Auttori che trattano di materia di honore ad uso di honorato Cavaliere, e soldato concordi, e costanti, riprovano che alcuno non possi ingiuriare altrui, e mentirlo sopra l’ingiuria dettagli, se egli voglia difenderla o riprovarla, poiché non ammettono, che si possi dare mentita, se non sopra cosa certa detta, o scritta […].«67

Die erwiesene Kaisertreue und die gleichzeitige Übernahme eines militärischen Kommandos im Dient des Papstes müssen den Herzog Savelli böser Nachrede und Anklagen ausgesetzt haben, aber wieder einmal verteidigte er vehement seine lange Berufslaufbahn und sein ganz auf militärischen Werten basierendes Image, auch wenn widrige Umstände – die in späteren ihm wohlgesinnten Quellen geradezu als Topos wiederkehren werden – dieses Image mehrmals zu beschädigen gedroht hätten. Immer noch klingt seine Verteidigung gegen die Anklagen Tillys nach: »Facile dunque è stato altrui di riprendere, et accusare, ma di sostenerlo con verità in paragon d’Huomo honorato l’effetto ha dimostrato il contrario. Onde colui, o vero coloro, i quali hanno dato simil informatione al Conte di Tilli, com’egli dice, in voce, affermato. Sia pur chiunque esser si vogli, ha mentito, come ne mente, e mentirà sempre, chi parlerà, o scriverà ciascuno in tal guisa, e men che onoratamente, e giustamente delle mie attioni, come che di nascita, di costume e di professione sono, e sarò sempre Cavaliere e Soldato honorato, et vero servitore, et fedele della Maestà Cesarea, e Regia Nostri Signori Clementissimi, e della sua Augustissima Casa.«68

Die aktuelle Angelegenheit betraf allein die italienischen Staaten, und die gedruckte Verteidigung wurde öffentlich zum Schutz der eigenen Reputation in einer solchen Zahl an den italienischen Höfen verbreitet, dass heute noch einige Exemplare erhalten sind, die sicherlich schon von den Geschichtsschreibern des 18. und 19. Jahrhunderts benutzt wurden. Auch in diesem Fall war das Urteil je nach Standpunkt nicht einheitlich, auch wenn hier ein proto-nationalistischer Impuls keine Rolle spielte, der die Beurteilung der Tätigkeit eines hochrangi67 Savelli, 1644, S. 37f., 41. 68 ASR, Archivio Giustiniani, b. 102. 198

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gen italienischen Kommandanten im kaiserlichen Heer – auf die Übergabe von Demmin wie allgemein auf den Dreißigjährigen Krieg bezogen – verfälscht haben mag. Wenn Carlo Botta bei der Fortsetzung von Guicciardinis Storia d’Italia die Ansicht vertrat, dass das Zögern Savellis den Kirchenstaat gerettet habe,69 so beinhalten die von Giuseppe Bolletti zusammengetragenen Notizie istoriche di Città della Pieve ein differenzierteres Urteil, das auch die lokalen Auswirkungen berücksichtigt: »L’asserragliarsi del Savelli frenò la violenza dei fiorentini e rese più difficile la presa di Passignano e di altre rocche, è vero, ma fu di gran danno al territorio, non tanto per colpa dei nemici, quanto per i danni fatti dai suoi stessi soldati.«70

Resümee Als Resümee dieser Analyse der öffentlichen und privaten Schriften, die sich auf Federico Savelli beziehen, kann man sicherlich festhalten, dass sowohl sein Schriftwechsel und sein Testament als auch die von ihm in Auftrag gegebenen Pamphlete zur Verteidigung seiner militärischen Aktionen, der Bericht über die Feiern, die in Ariccia nach seiner Befreiung abgehalten wurden, wie auch die Chroniken, die von seiner Kenntnis des päpstlichen Zeremoniells berichten, allesamt eine stolze, hitzköpfige, willensstarke Persönlichkeit widerspiegeln. Sie zeigen also genau das Selbstbild, mit dem Federico in Erscheinung treten wollte, um seine besondere Befähigung zum Kommando zu unterstreichen. So prononciert und entschieden seine Aussagen auch sind, so erscheinen sie immer genau kalkuliert und von den Umständen, nicht von Impulsivität geprägt. Sowohl die handschriftlichen als auch die gedruckten Texte tragen in ihren spezifischen Eigenheiten dazu bei, unterschiedliche Wirkungsbereiche zu definieren – vom Lehen zum Schlachtfeld, vom päpstlichen zum kaiserlichen Hof –, in denen Federico Savelli tätig werden konnte, um seine Identität zu (re)konstruieren, seine Rolle zu definieren und zugleich Anspruch auf Verantwortlichkeit zu erheben. So zeigt sich das kulturelle Selbstverständnis des Herzogs Federico Savelli, der zusammen mit seinen Brüdern Paolo, Fürst von Albano, und Giulio, Kardinal und Komprotektor Deutschlands, seinem Geschlecht eine letzte Blütezeit vor dem definitiven Niedergang ermöglichte. Dieser Niedergang sollte im Verlauf 69 »[…] la cunctazione del Savelli fu veramente la salute dello Stato ecclesiastico da questa parte«. Botta, 1837, S. 290. 70 Bolletti, 1830, S. 233. 199

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weniger Jahrzehnte zum Verkauf der Gemälde und der symbolträchtigsten Besitzungen und schließlich zum Aussterben des Hauptzweigs der Familie führen. (Übersetzung: Barbara Geratz Matera)

Abstract The paper explores Duke Federico Savelli’s (†1649) character and how he builds his reputation. By considering a number of different kind of written and mostly unknown sources, printed as well as handwritten (both letters to his family and diplomatic letters to the court, last will, writings and pamphlets printed at his own expenses, chronicles or panegyrics), the author traces the signs of Federico Savelli’s personality and the image he aims to give of himself to his contemporaries throughout his life. The viewpoint of the analysis moves therefore from the familiar concerns to the diplomatic duties through the battlefield, going back and forth between public and private matters regarding his military position for both the Pope and the Emperor (at Ferrara, in Germany during the Thirty Years’ War, and in Tuscany) and his assignment as envoy of the Austrian Habsburg to the Holy See. In comparison to the princely behaviour of his elder brother Paolo, who is also taken into consideration in this paper and with whom Federico shared both military and diplomatic appointments, Duke Savelli appears more starkly proud to present himself as a knight of ancient tradition. To this purpose and because of unlucky conditions, his actions needed to be supported by appropriate writings. On the origin and circumstances of this publishing activity the author also provides new original information thanks to her long research in the family archive. The analysis reveals the cultural awareness of Duke Savelli directed to strengthen his personal and family identity, right before the start of the prolonged family downfall.

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Federico Savelli, tugendhafter Adliger, Militär und Diplomat

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Akteure, Medien und Institutionen in den Prozessen von Wissensproduktion über das Reich an der römischen Kurie in den 1620er Jahren Nuntius Carlo Carafa und die Propaganda Fide-Kongregation Guido Braun

Problemaufriss Kulturgeschichtliche Ansätze bei der Erforschung diplomatischer Aktivitäten liegen im Trend unserer Zeit. Die Geschichte der internationalen Beziehungen erfuhr in den vergangenen Jahren erhebliche methodische Transformationen und inhaltliche Erweiterungen, die zur Etablierung einer kulturelle, soziale und wirtschaftliche Interaktionen umfassenden Internationalen Geschichte sowie einer Neuen Diplomatiegeschichte führten.1 Im Rahmen einer Alltags- und neueren Kulturgeschichte der Diplomatie rückten dabei lebensweltliche Erfahrungen, mentale Prägungen, soziale und zeremonielle Praktiken der Akteure diplomatischen Handelns sowie Probleme interkultureller Kommunikation in den Mittelpunkt. Dennoch wurden die Wissenskulturen von frühneuzeitlichen Gesandten mit der doppelten Perspektivierung, die ein solcher Zugriff erfordert, nämlich die kulturellen Prägungen diplomatischer Akteure einerseits und ihre 1

Grundlegende Akzente hat in dieser Hinsicht in den vergangenen Jahre v.a. die Schriftenreihe »Externa« gesetzt. Vgl. – stellvertretend für andere gehaltvolle Bände dieser Reihe – beispielsweise die (nicht zuletzt aufgrund ihrer überzeugenden Transzendierung des europäischen Raumes) brillante Studie von Brauner, 2015. 207

Guido Braun

Rolle bei der Wissensgenerierung, -transformation und -zirkulation andererseits einbeziehend, bislang noch nicht systematisch erforscht. Bei den Prozessen von Wissenszirkulation und Wissensproduktion zwischen Rom und dem Reich im 16. und 17. Jahrhundert kam jedoch (neben kirchlichen) gerade diplomatischen Akteuren eine herausragende Rolle zu. Päpstliche Gesandte im Reich leisteten als Nuntien oder Legaten – unterstützt durch ihren jeweiligen Mitarbeiterstab – mit ihren Berichten trotz aller Einschränkungen, denen ihr spezifischer Wahrnehmungshorizont durch kulturelle Vorprägungen unterlag, bemerkenswerte kulturelle (und auch sprachliche) Translationsleistungen, die wesentlich zur Ausbildung römisch-kurialer Wissensbestände über die Deutschen und das Reich beitrugen.2 Diese Prozesse von Wissensgenerierung vollzogen sich in komplexen Interaktionsgeflechten, in denen den Kontaktpersonen an den betreffenden deutschen Höfen, bei den Reichstagen, auf Kongressen etc. sowie den Deutschen an der Kurie eine zentrale kulturelle Mittlerfunktion zukam. Die Vorstellung von geographisch hermetisch getrennten Räumen von Wissensproduktion im römisch-deutschen Transfer ist mithin zurückzuweisen, durch die Zirkulation von Personen und Objekten entstand vielmehr eine zumindest partielle – oftmals sehr weitgehende – Vernetzung und Durchdringung. Hinzu treten zumindest bei einigen Akteuren offensichtliche (bei anderen in diversen Abstufungen zu vermutende) multiple kulturelle Identitäten, die das Konzept einer strikten Bipolarität widerlegen.3 Ferner sind die Handlungsräume römisch-deutscher Wissensproduktion nicht auf eine rein bilaterale Ebene zu reduzieren, sie partizipierten vielmehr häufig an übergeordneten, etwa europäischen, Diskurszusammenhängen. In diachroner Perspektive ist zu konstatieren, dass insbesondere die frühen 1620er Jahre (neben dem Pontifikat Gregors XIII., 1572-1585) eine Zäsur im deutsch-römischen Verhältnis markieren. Durch die Gründung der Kongregation Propaganda Fide 1622, deren wesentliche Aufgabe in den ersten Jahrzehnten ihrer Aktivität neben der Weltmission in der Rekatholisierung protestantischer Territorien – gerade auch auf dem böhmischen und deutschen »Theater« des 2 Vgl. Braun, 2014a. Der vorliegende Aufsatz rekurriert z.T. auf die Ergebnisse dieser Habilitationsschrift, die seit deren Erscheinen durch (Archiv-)Forschungen im Rahmen einer einjährigen Gastdozentur am Deutschen Historischen Institut in Rom erweitert werden konnten. Für diese Förderung sei an dieser Stelle dem Direktor, Herrn Professor Dr. Martin Baumeister, ferner für kollegiale Gespräche Herrn Professor Dr. Alexander Koller gedankt. 3 Deutlich etwa bei Kardinallegat Ludovico Madruzzo im ausgehenden 16. Jahrhundert, vgl. Vareschi, 1990. 208

Akteure, Medien und Institutionen in den Prozessen von Wissensproduktion

Dreißigjährigen Krieges (1618-1648) – bestand, wozu eine umfassende Informationsakquise betrieben wurde, verdichtete sich in Rom die Beschäftigung mit dem transalpinen Reich. Dabei richtete sich der Blick vor allem auf die lange Zeit vernachlässigten protestantischen Gebiete. Im Zuge der Tätigkeit dieser Kongregation lassen sich in deren Anfangsjahren Strategien zur Generierung von Wissen über die politischen und kirchlichen Verhältnisse in Deutschland ausmachen, die auf einer komplexen Interaktion römischer und deutscher Akteure dies- und jenseits der Alpen basierten. Deren Entschlüsselung bedürfte einer größeren Studie, in die auch die materielle Dimension der damit verbundenen Transferprozesse (beispielsweise die Bücherzirkulation) einzubeziehen wäre. In diesem Zusammenhang ist es zu bedauern, dass sich die deutsche Geschichtswissenschaft in den letzten Jahrzehnten weniger mit der Propaganda Fide befasst hat als etwa die italienisch- und spanischsprachige Forschung.4 Eher als ein klassischer institutionengeschichtlicher Ansatz wäre dabei ein akteurszentrierter Zugang unter besonderer Berücksichtigung der komplexen Interaktionsformen zu favorisieren, der Aufschluss über Wissensproduktion als kommunikativen Prozess verspräche. Der vorliegende Beitrag stellt einige Überlegungen zu grundsätzlichen Erkenntnismöglichkeiten und -grenzen vor, welche die Untersuchung des in vielerlei Hinsicht europa- (und welt-)weit besonderen päpstlichen Gesandtschaftswesens mit seinen spezifischen Berichtsmedien für die Dekonstruktion von Prozessen der Wissenszirkulation und -produktion sowie dabei genauerhin der Interaktion der beteiligten Akteure bietet. Welche Akteursgruppen, Medien und Institutionen spielten in diesen Prozessen eine Rolle? Exemplifiziert werden diese Überlegungen an einem Protagonisten der römisch-deutschen Beziehungen in den 1620er Jahren, dem ungewöhnlich lange, über acht Jahre hin, als päpstlicher Gesandter am Kaiserhof akkreditierten Carlo Carafa. Nicht nur hinsichtlich des politischen Verhältnisses zwischen Papst und Kaiser in der ersten Dekade des Dreißigjährigen Krieges, sondern auch für die Genese römischer Wissensbestände über die Deutschen und das nordalpine Reich erweist sich Carafa als eine Zentralfigur, die von der Geschichtswissenschaft lange Zeit – zu Unrecht – vernachlässigt wurde und erst im letzten Jahrzehnt wieder verstärkt ins Blickfeld der Forschung rückte.5 Für das im Vergleich zur herausragenden Bedeutung dieses Akteurs recht geringe Forschungsinteresse lässt sich vermutlich nicht 4

5

Vgl. aus der jüngeren Forschung etwa Pizzorusso, 2014; Ders., 2013; Ders., 2000; zur Beziehung zwischen Kongregation und Nuntien: Sastre Santos, 2007; Pizzorusso, 1998. Die Edition der Hauptinstruktionen aus dem Pontifikat Urbans VIII. (1623-1644) bereitet derzeit Silvano Giordano, Rom, vor. Vgl. zur Forschungsgeschichte Braun, 2013. 209

Guido Braun

zuletzt das Fehlen einer einschlägigen Edition seiner Nuntiaturkorrespondenz verantwortlich machen, wozu das Problem der verstreuten Überlieferung der Original-Aktenbestände kommt.6 Vorausgeschickt sei, dass eine grundlegende Unterscheidung zwischen den Begriffen »Wissen« und »Information« zu treffen ist. Information stellt nach der in diesem Beitrag vertretenen Differenzierung ein Wissenselement in der Form seiner Vermittlung durch einen Sender an einen Empfänger mittels eines als »Informationskanal« bezeichneten Mediums dar. Mit dieser Definition wird keine Reduktion von Information auf den Prozess ihrer Übertragung verbunden, sondern darunter (den überzeugenden begriffsgeschichtlichen Forschungen von Arndt Brendecke, Markus und Susanne Friedrich zufolge) die »Handlungssequenzen der Kenntnisgewinnung und -nutzung« von ihrer Einholung über das sie (gegebenenfalls) materiell dokumentierende Schriftstück bis zur generierten Kenntnis und deren Anwendung verstanden. Information besitzt somit eine konkrete, spezifische, praktische und handlungsorientierte Konnotation.7 Ohne dass hiermit eine Hierarchisierung impliziert werden soll, lässt sie sich unter anderem als eine Voraussetzung von Wissen definieren, jedenfalls wenn man den Vorschlägen zum Wissensverständnis folgt, die Wissen als »vernetzte Information« betrachten oder, um mit Peter Burke zu sprechen, als »das gedanklich Verarbeitete oder Systematisierte«.8 Wenn Wissen in der Erkenntnistheorie als »gerechtfertigte wahre Meinung« definiert wird, so steht dahinter eine soziokulturell gebundene Anerkennung als gerechtfertigt und wahr, die mithin nicht auf eine absolut gültige Kategorie verweist.

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Für diesen Beitrag wurden unter anderem Akten des Vatikanischen Geheimarchivs und der Apostolischen Vatikanischen Bibliothek, aber auch des Historischen Archivs der Kongregation De Propaganda Fide sowie der Handschriftensammlung des Deutschen Historischen Instituts in Rom (DHI) einbezogen, in dessen Besitz sich interessanterweise ein kleiner, aber sachlich keineswegs unbedeutender Teil der Originalkorrespondenzen zwischen Nuntius Carafa und der römischen Propaganda-Kongregation befindet. Brendecke/Friedrich, 2008, S. 30. Burke, 2002, S. 20.

Akteure, Medien und Institutionen in den Prozessen von Wissensproduktion

Verflechtungen zwischen römischer Kurie und höfischen Zentren des katholischen Europa durch das päpstliche Gesandtschaftswesen im frühen 17. Jahrhundert Bei einer Untersuchung der Medien, mittels derer die römische Zentrale und ihre auswärtigen Vertreter miteinander kommunizierten, fällt rasch auf, dass die ausführlichsten Dokumente vonseiten der päpstlichen Gesandten vorliegen. Es oblag im Wesentlichen diesen Emissären, das heißt den ordentlichen und außerordentlichen Nuntien sowie den im Kardinalsrang stehenden Legaten, die kuriale Außenpolitik umzusetzen, aber auch die römische Kurie über die politische, kirchliche, religiöse, zum Teil auch die wirtschaftliche und gesellschaftliche Situation eingehend zu informieren.9 Das Netz ständiger Nuntiaturen, das den festen Kern der Außenvertretung des Heiligen Stuhls bei den katholischen Mächten Europas bildete, wurde im Verlauf des 16. Jahrhunderts gesponnen.10 Neben den großen Nuntiaturen in Spanien, Frankreich und am (Wiener beziehungsweise Prager) Kaiserhof umfasste es um 1600 auch Vertretungen in Portugal und Polen, bei mehreren italienischen Staaten (Savoyen, Toskana, Venedig, Neapel), ferner an mehreren weiteren Orten im deutschsprachigen Raum: Eine erste derartige ständige Nuntiatur beim römisch-deutschen Herrscher entstand im Pontifikat Clemens’ VII. (1523-1534). Diese Nuntiatur beim römisch-deutschen Herrscher wurde als »nunziatura di Germania«, das heißt deutsche Nuntiatur, bezeichnet. Vertreten ließ sich der Papst im nordalpinen Reich in spätmittelalterlicher Tradition durch Legaten und Nuntien ebenfalls bei den Reichsversammlungen. Dazu traten im Verlauf des 16. Jahrhunderts weitere Nuntiaturen, die sogenannten »Reformnuntiaturen«, Gründungen Gregors XIII. Neben einer Nuntiatur in Oberdeutschland (auch »Süddeutsche Nuntiatur« genannt, in den 1570er Jahren temporär eingerichtet, dann aber nicht verstetigt) kamen so Graz (1580), Köln (1584), Luzern (1585) sowie eine Vertretung am erzherzoglichen Hof in Brüssel (1596) hinzu.11 Eine ähnlich dichte Präsenz von 9

Konzise Einführung in die Entwicklung von Amt und Aufgaben der Nuntien mit weiterführender Literatur bei Koller, 2009. 10 Zur Entwicklung des päpstlichen Gesandtschaftswesens vgl. Walf, 1966; Blet, 1982; Feldkamp, 1998. Eine ausführliche Bibliographie der bis zur Mitte der 1990er Jahre erschienenen Literatur nebst den einschlägigen Quelleneditionen bietet Koller, 1998a und 1998b. 11 Besonders gut erforscht ist die für das Reich eminent wichtige Kölner Nuntiatur; vgl. dazu die detaillierte Arbeit von Feldkamp, 1993-2008 (mit weiterführender 211

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Nuntien wie im deutschsprachigen Raum existierte sonst nirgendwo – selbst die großen katholischen Monarchien Frankreich und Spanien mussten sich je mit einer einzigen Nuntiatur begnügen. Trotz der kirchlichen Aufgaben der Reformnuntiaturen sollte ihr politischer Stellenwert keineswegs unterbewertet werden.12 Nicht zu Unrecht wurde die Brüsseler Nuntiatur (zumindest zeitweise) als veritabler integraler »Knotenpunkt« der päpstlichen Vertretung an den deutschen Fürstenhöfen bezeichnet.13 Ungeachtet der Vervielfachung der päpstlichen Vertreter blieb der Nuntius am Kaiserhof prinzipiell für das gesamte Reich zuständig. Daher gehörte das Verhältnis zwischen Kaiser und Reichsständen weiterhin zu den wesentlichen Aufgabenfeldern des Kaiserhof-Nuntius.14 Der große Wirkungsbereich dieses Nuntius, der neben Deutschland auch die habsburgischen Erblande, namentlich Literatur); zu Graz, Luzern und Brüssel zuletzt Koller, 2008, darin besonders: Boute, 2008; Fink, 2008; Zingerle, 2008. Vgl. zu Graz ferner überblicksweise Rainer, 1998 sowie Ders., 1994a und zur Gründung dieser Nuntiatur Ders., 1970; auch Ders., 1994b. Die Instruktion für den Kölner Nuntius Montoro aus dem Jahr 1621 stuft die Bedeutung dieser Nuntiatur als herausragend ein und begründet diese Einschätzung ausführlich u.a. mit der Relevanz des Ortes als »Bastion« des Katholizismus im deutschen Nordwesten, aber auch für die Schifffahrt auf dem Rhein, die für viele Völker und Nationen wichtig sei; Instruktion für Pietro Francesco Montoro, Nuntius in Köln, Rom 1621 Juli 31; Jaitner, 1997, Bd. II, Nr. 15, S. 760-781, hier S. 762f. 12 Die Prävalenz kirchlich-konfessionspolitischer Wirkungsbereiche des Kölner Nuntius manifestiert sich ganz augenfällig in seiner Bezeichnung als »direttore delle cose della religione cattolica«, wie Antonio Albergati in seiner päpstlichen Hauptinstruktion genannt wird; Istruzione ad Antonio Albergati, Nunzio a Colonia, Rom 1610 Mai 12; Giordano, 2003, Bd. II, Nr. 45, S. 644-664, hier S. 647. 13 So lässt sich die Einschätzung Boutes frei übersetzen, der im Hinblick auf die Regierung Erzherzog Albrechts von Österreich als Statthalter der Spanischen Niederlande betont: »The Brussels nunciature was, consequently, a node in the papal diplomatical ›machinery‹ at the German courts«; Boute, 2008, S. 462. Weiterhin sei der Brüsseler Hof ein herausragender »passage point« für den italo-iberischen Patronage-Markt gewesen, soweit sich dies anhand der lückenhaften Quellenüberlieferung rekonstruieren lasse; Ebd., S. 464-471, Zitat S. 465. 14 Nach der Einschätzung in der Hauptinstruktion für Nuntius Visconti Borromeo stellte die Nuntiatur am Kaiserhof eine der renommiertesten und bedeutendsten dar, zum einen aufgrund des Rangs des Fürsten, bei dem der Nuntius akkreditiert war, zum anderen aufgrund der Relevanz der auf diesem Posten zu behandelnden 212

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Österreich, daneben Böhmen und Ungarn umfasste, führte auch zu einer Ausweitung des »Deutschland«-Begriffs der Nuntien. In seiner Abschlussrelation betonte der scheidende Nuntius am Kaiserhof Ferrero explizit, dass er unter »Deutschland« auch die Königreiche Ungarn und Böhmen mit verstehe,15 obwohl es sich dabei um getrennte Länder handele. Der Kaiserhof galt als der politische Mittelpunkt des Reiches, wenngleich die kurialen Akteure sich durchaus bewusst waren, dass das Reich in wichtigen Bereichen politisch dezentral organisiert war.16 Im Gegensatz zu den Nuntiaturen, die der Heilige Stuhl in Italien zu vergeben hatte, mussten sich die päpstlichen Vertreter außerhalb der Apenninenhalbinsel einerseits auf fremde Lebenswelten einlassen und damit besonderen Herausforderungen stellen, andererseits besaßen sie eine umso größere Bedeutung für die Kurie durch ihre Beobachtungen und Informationsakquise auf wenig vertrautem Terrain. Für diese Aufgaben wurden die Nuntien freilich nicht in allen Ländern gleichermaßen beansprucht. Ein bei Beginn der Mission für gewöhnlich wenig vertrautes Gebiet stellte das Reich dar, aber auch die Nuntien in der Italien geographisch naheliegenden Schweiz fühlten sich potenziert mit Andersartigkeit konfrontiert,17 woraus für die römische Kurie jedoch eben auch besondere Erkenntnismöglichkeiten resultierten. Aufgrund des ausgebauten Nuntiaturnetzes, über das die Päpste seit dem 16. Jahrhundert verfügten und mit dem allenfalls Venedig konkurrieren konnte, flossen in Rom Informationen aus weiten Teilen Europas und aus Übersee zusammen. Dadurch erlangte der Heilige Stuhl auch Kenntnisse über Vorgänge und Entwicklungen in Ländern, in denen er selbst nicht vertreten war. So dienten etwa die neapolitanische Nuntiatur zur Übermittlung von Informationen Verhandlungsgegenstände; Istruzione a Vitaliano Visconti Borromeo, Rom 1616 Juli 10; Giordano, 2003, Bd. II, Nr. 82, S. 1020-1034, hier S. 1021. 15 Ein solcher erweiterter »Deutschland«-Begriff lässt sich an der Kurie auch im 18. Jahrhundert nachweisen. Ein undatiertes (im Text das Datum 1765 Juni 7) italienisches Schriftstück aus dem Archiv des Heiligen Offiziums trägt am Kopf den Vermerk »Praga in Germania«; ACDF, S. O., St. St. TT 1h, unfol. 16 »La Germania, nella quale comprenderò anco li regni di Hungaria e Boemia, quantunque provincie separate, oltre la superiorità imperiale, è governata parte da i prencipi ecclesiastici, essendo tutti li vescovi, fuori che li di Hungaria, di Praga et Austria, signori nel temporale, e parte da i secolari, o prencipi o città franche«; Relazione finale di Giovanni Stefano Ferrero, Nunzio all’Imperatore, Prag 1607 Dezember [sine die]; Giordano, 2003, Bd. I, Nr. 30, S. 517-538, hier S. 519. 17 Vgl. Windler, 2006. 213

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aus dem Osmanischen Reich und die Kaiserhof-Nuntiatur zur Mitteilung von Neuigkeiten vom Balkan. Allerdings sagt dies noch nichts über die Qualität der übermittelten Informationen aus, die nicht zuletzt dadurch beeinträchtigt werden konnte, dass einige Nuntien (nicht zuletzt vom Kaiserhof aus) einen riesigen Sprengel zu beaufsichtigen hatten. Ferner konnte Rom Informationen aus der protestantischen Welt allenfalls indirekt (oder über informelle Kontakte) erlangen. So gehörte es zu den Aufgaben eines Pariser Nuntius, seine Kontakte zu den dortigen Botschaftern Venedigs und Savoyens zu nutzen, um Neuigkeiten über die politischen Entwicklungen in England und der Republik der Vereinigten Niederlande in Erfahrung zu bringen.18 Umso wichtiger waren die Informanten-Netzwerke und systematischen Kontakte, welche die Propaganda-Kongregation seit den 1620er Jahren aufbaute und damit Brücken der Informationsakquise in protestantische Territorien schlug.

Medien der Informationsübermittlung und Wissenszirkulation Im Vergleich zu zeitgenössischen weltlichen Gesandtschaften darf die differenzierte Berichterstattung der päpstlichen Gesandten an die römische Kurie mit ihren jeweils separaten Schreiben für bestimmte Sachbetreffe und der Ergänzung der eigentlichen Berichte durch Anlagen als Ausdruck einer »hoch entwickelte[n] bürokratische[n] Kultur« gelten.19 Diese differenzierte bürokratische Kultur ist jedoch noch nicht mit einer (auch vom Ausbildungsgang her) wirklich professionalisierten Diplomatie gleichzusetzen. Den Gesandten standen zur Orientierung etwa die Diplomatenspiegel zur Verfügung, die weitere Literaturempfehlungen enthielten. Gerne wurden darin Textausgaben von diplomatischen Korrespondenzen und Geschichtswerke empfohlen. Im Heiligen Römischen Reich trat beispielsweise Konrad Braun in den 1540er Jahren als Autor eines solchen Werkes auf, der auch der römischen Kurie als wichtiger Informant und Übersetzer – etwa bei den Reichstagen – diente.20 Braun vertrat im Übrigen eine prononciert katholische Position und stellte das Recht und die Fähigkeit protestantischer Fürsten, legitime Botschafter zu entsenden, infrage. Kuriale 18 Vgl. Reinhard, 2008, S. 72f. 19 Ders., 2007, S. 63. 20 Über Konrad Braun als Autor eines Diplomatenspiegels vgl. Braun, 2015. 214

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Gesandte finden sich interessanterweise (vermutlich aufgrund ihres Selbstverständnisses) nicht als Autoren vergleichbarer Werke. Das Übermittlungsmedium, mittels dessen die päpstlichen Gesandten im Reich mit ihren Ansprechpartnern an der römischen Kurie korrespondierten, war (neben der mündlichen Berichterstattung, die auch vielfach belegt ist) hauptsächlich der Brief, genauerhin der Gesandtschafts- oder Nuntiaturbericht, der nebst Beilagen mit einem Postpaket (dispaccio) nach Rom übersandt wurde.21 Diesen Berichten der Gesandten entsprachen auf römischer Seite die Weisungen, allen voran die päpstliche Hauptinstruktion, welche der Gesandte in der Regel zu Beginn seiner Mission erhielt. Die Hauptinstruktionen definieren die großen diplomatischen Leitlinien der päpstlichen Gesandtschaften aus kurialer Sicht. Anders als die aus der Perspektive der Gesandten verfassten Nuntiaturberichte im engeren Sinne spiegeln sie den Wissensstand und die Wahrnehmung des für ihre Ausfertigung zuständigen römischen Staatssekretariates. Darüber hinaus geben sie dem Gesandten bisweilen praktische Hinweise zur Abwicklung der Reise, die für die Wissensbestände der römischen Zentrale aufschlussreich sind, oder weitere Empfehlungen zur Vorbereitung der jeweiligen Mission, etwa für die Konsultation bestimmter Informanten, Geschichtswerke zum betreffenden Land oder Ähnliches. Die Hauptinstruktionen sind jedoch auch als »politische und religiöse Grundsatzerklärungen« des Heiligen Stuhls zu lesen.22 Darin besteht sogar eine ihrer wesentlichen Eigenschaften. Insofern haben sie einen stark formalisierten Charakter, argumentieren eher abstrakt und weisen – ungeachtet gelegentlicher konkreterer Praxisbezüge – prinzipiell eine geringere Nähe zur plastischen Lebenswirklichkeit auf als die Nuntiaturberichte. Seit Ende des 16. Jahrhunderts nehmen die Hauptinstruktionen, die zuvor oft sehr knapp gefasst waren und sich auf politisch wesentliche Aspekte konzentrierten, an Umfang und Gehalt deutlich zu und widmen sich nun auch eingehender den Anforderungen, die an einen Nuntius gestellt wurden, einer konkreteren Beschreibung seiner Aufgaben sowie praxisorientierten Hinweisen zu ihrer Wahrnehmung.23 21 Vgl. Koller, 1998a; Ders., 1998b; Ders., 2012; Editionsgeschichte: G. Lutz, 1990; H. Lutz, 1973; Ders., 1965; anthropologische Auswertungsperspektiven: Reinhard, 2007; Burschel, 1998; Reinhardt, 1998. 22 Wieland, 2008, S. 263. 23 Erst für die Zeit seit 1592 sind die Hauptinstruktionen systematisch ediert (zurzeit bis 1623), und zwar anders als die Nuntiaturberichte nicht nach Ländern getrennt, sondern nach Pontifikaten herausgegeben, sodass die einzelnen Bände jeweils ein europäisches Panorama eröffnen und auch die kuriale Politik sowie Aspekte der Wissensproduktion in ihrer Gesamtheit, nicht verkürzt auf eine Region, verstehbar 215

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Dabei beruhen sie auf den Usancen und Erfahrungen früherer Jahrzehnte und berufen sich zum Teil auch explizit hierauf. Sie spiegeln mithin die bei früheren Missionen generierten Wissensbestände. In Anlehnung an die von Markus Friedrich im Hinblick auf die Verwaltungsorganisation des Jesuiten-Ordens in der Frühen Neuzeit geprägte Terminologie lässt sich von einem »papierbasierten Informationssystem« der römischen Kurie sprechen,24 das auf schriftlicher Berichterstattung und schriftlicher Weisung in Korrespondenzform fußte. Schon Zeitgenossen sahen deutliche Parallelen zwischen den Informationssystemen der römischen Kurie und des Jesuiten-Ordens.25 Dass sowohl die päpstliche Kurie als auch deren Nuntien das jesuitische Netzwerk der Informationsakquise hoch schätzten und dieses ihrerseits als Informationsquelle für sich nutzten beziehungsweise daran Anschluss zu gewinnen versuchten, geht aus unseren Quellen eindeutig hervor. So weist auch Bruno Boute mit Blick auf die Nuntiatur in Flandern sehr zu Recht darauf hin, dass die Wahrnehmung der römischen Kurie keineswegs nur durch die Relationen ihrer Nuntien, sondern ebenso durch zahlreiche andere Quellen und darunter nicht zuletzt die umfassende Korrespondenz der Jesuiten »geformt« worden sei.26 Daher bildeten die Jesuiten ein Teilsegment des kurialen Systems der Informationsgewinnung und -übermittlung. Dessen Grundlage waren Texte (Briefe, chiffrierte Berichte, Memoriale, Protokolle etc.). Auch Printmedien, etwa als Beilagen zu Nuntiaturberichten, wie zum Beispiel die Frankfurter Messkataloge, nahmen zu.27 Andere Medien, etwa Bildquellen, spielten dagegen nur ausnahmsweise eine Rolle. Auch über zeremonielle Anlässe wie Krönungsfeimachen. Gerade für unsere Fragestellung verspricht dies viel weitergehende Aufschlüsse als bei der gängigen nationalen Aufteilung des Textcorpus der Berichte. Bisher liegen drei Pontifikate in acht Bänden vor: Giordano, 2003; Jaitner, 1997; Jaitner, 1984. Perspektiven zu ihrer systematischen Auswertung zeigen auf: Koller, 2008; G. Lutz, 1994. 24 Friedrich, 2008, S. 117. 25 Vgl. Ders., 2011, S. 109. 26 »Roman perceptions were not only moulded by the relationi of Frangipani and Bentivoglio, but also via the vast correspondence of, for instance, the Jesuits, the numerous status dioecesis, memoranda and supplications that reached Rome«; Boute, 2008, S. 476. 27 Dass die Übersendung durch den Kölner Nuntius ein eingeschliffener, gewohnheits- und geschäftsmäßiger Vorgang war, betont noch ein Schreiben des römischen Staatssekretariats an den Assessor beim Heiligen Offizium, Rom 1748 November 8, Kopie: ACDF, S. O., St. St. TT 1h, unfol. 216

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erlichkeiten wurde meist in Textform berichtet.28 Aber gerade im Kontext von Formen der symbolischen Kommunikation und im Zusammenhang mit dem Zeremoniell finden sich durchaus bildliche Quellen wie Skizzen, die im weiteren Sinne allerdings diesem papiergestützten Informationssystem zuzurechnen sind. Eine keineswegs zweitrangige Rolle kam dem Visuellen ferner im Bereich der (Auto-)Repräsentation und der Konstruktion eines päpstlichen Geschichtsbildes zu, das seinerseits als visuelle Ausformung römisch-kurialen Geschichts-Wissens beziehungsweise eines spezifisch römisch-kurialen Geschichtsverständnisses angesehen werden kann. Das 16. Jahrhundert ist nach allgemeinem Verständnis die Zeit des höchsten Informationswertes der Nuntiaturberichte, der – ganz im Gegensatz zum Umfang des überlieferten Quellenmaterials – in den folgenden Jahrhunderten sinke.29 In diesem Beitrag wird jedoch die These vertreten, dass diese Entwicklungstendenz für die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts und namentlich für die 1620er Jahre nicht zutrifft. Gerade die untersuchten Berichte aus den 1620er Jahren zeigen vielmehr einen beachtlichen, eher höheren Informationsgehalt als etwa ein gutes halbes Jahrhundert zuvor. Zu den Aufgaben, die den Nuntien aufgrund des Trienter Konzils zukamen, gehörte die »Informierung der Kurie«.30 Faktisch widmeten sie sich schon vor dem Tridentinum nicht zuletzt der Informationsakquise. Eine solche Tätigkeit setzt jedoch im Grunde eine besondere Kenntnis von Land und Menschen sowie die Konstituierung eines Netzes von Informanten voraus, die den Nuntius seinerseits mit Nachrichten versorgen konnten. Dieses Netz wurde, was das nordalpine Reich betrifft, in wesentlichen Teilen erst nach 1563 gesponnen, auch was die Verdichtung von Informationen zu kurialen Wissensbeständen anbelangt. Der Papst nahm in der Regel nicht die vollständigen Berichte, sondern allenfalls eine auszugsweise Zusammenfassung zur Kenntnis, in der die (aus Sicht der Mitarbeiter des römischen Staatssekretariats) wichtigsten Materien herausgefiltert wurden. Informationen und Anliegen, die diesen Filter nicht passierten, gelangten gar nicht erst zur Kenntnis höherer Stellen oder gar des Papstes. Die 28 Vgl. etwa zur ungarischen Königinnenkrönung 1622 die Relatione della Coronatione della Maestà dell’Imp.ce in Regina d’Ungheria fatta l᾿ 26. Luglio 1622. nella Chiesa dell’Assunzione de Minori osservanti di Edemburg, Kopie aus der Kanzlei Carlo Carafas: BAV, Barb. Lat. 6931, fol. 45-46´ blau. 29 Zum Wert der Nuntiaturberichte im 16. Jahrhundert vgl. Goetz, 1973. Des Weiteren grundsätzlich zum Quellenwert dieser Gattung G. Lutz, 1973; H. Lutz, 1973. 30 Sogar in einem kurzen einschlägigen Lexikon-Artikel eigens hervorgehoben: Walf, 31995, Sp. 546. 217

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– im Vergleich zu den häufig sehr detaillierten Berichten – kurzen und bündigen Weisungen wurden im frühen 17. Jahrhundert im Regelfall vom Staatssekretariat konzipiert und durch den Nepoten unterfertigt.

Römische Institutionen der Informationsverarbeitung und Wissensproduktion Als wichtigstes römisch-kuriales Beratungsorgan des Papstes fungierte am Beginn der Neuzeit das Konsistorium, die Versammlung der in Rom weilenden Kardinäle.31 In diesem Gremium wurden im 16. Jahrhundert die Deutschland betreffenden Fragen verhandelt, bevor im Zuge einer institutionellen Ausdifferenzierung in der zweiten Jahrhunderthälfte und im 17. Jahrhundert die Diskussion der einschlägigen Sachthemen zu einem wesentlichen Teil in spezialisierte Kongregationen ausgelagert wurde. Von einem Organ politischer Beratung und Entscheidungsfindung mutierte das Konsistorium also zu einem Forum für die Legitimität stiftende Verkündigung zuvor gefasster Beschlüsse. Wie Wolfgang Reinhard treffend definiert, handelte es sich dabei letztlich um »eine entmachtete Versammlung von juristisch gebildeten römischen Spitzenbürokraten«.32 Der gemeinsame Nenner dieser »Spitzenbürokraten«, der Amtsträger in den kurialen Behörden und der sonstigen Mitglieder des päpstlichen Hofes war die juristische Ausbildung, oftmals ein Rechtsstudium. Für das Themenfeld der Prozesse von Wissensproduktion an der römischen Kurie weit aufschlussreicher ist als institutionelle Innovation des 16. und des frühen 17. Jahrhunderts die Einrichtung spezieller Kongregationen, das heißt von Kardinalsausschüssen, die sich mit spezifischen Problemen, unter anderem mit deutschen Fragen (zum Beispiel Reichstagen) befassten. Die Ausbildung dieser Kongregationen ist der behörden- und verwaltungsgeschichtliche Ausdruck einer wachsenden »ressortmäßigen Arbeitsteilung«,33 die durch die erhebliche Zunahme der im Konsistorium zu beratenden Sachfragen verursacht wurde. Bemerkenswert ist vor allem die Gründung einer Deutschen Kongregation (Congregatio Germanica) durch Gregor XIII., die für die Beratung der deutschen Angelegenheiten im Allgemeinen zuständig war.34 Dessen Nachfolger Sixtus V. verfestigte und systematisierte das Kongregationswesen. Aus dem 31 Zu Begriff und geschichtlicher Entwicklung knapp Kalb, 31997. 32 Reinhard, 2009, S. 21. 33 Ritter, 31997, Sp. 249. 34 Vgl. Krasenbrink, 1972. 218

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frühen Dreißigjährigen Krieg ist die Kongregation zur Verbreitung des Glaubens (Congregatio de Propaganda Fide) zu nennen (heute Congregatio pro Gentium Evangelizatione, Kongregation für die Evangelisierung der Völker), die an Epiphanie 1622 von Gregor XV. (1621-1623) gegründet wurde und einen ersten Schwerpunkt ihrer Aufgaben in den konfessionellen Auseinandersetzungen im Reich während des Dreißigjährigen Krieges sah.35 Sie pflegte eine intensive Korrespondenz mit den päpstlichen Gesandten im Reich, besonders am Kaiserhof. Nicht zu Unrecht wird sie daher in der Forschung auch als Nachfolgerin der Deutschen Kongregation verstanden. Hauptkorrespondenz-Partner der Nuntien waren jedoch nicht die einzelnen Kongregationen, sondern das römische Staatssekretariat als politisches Leitungs- und Verwaltungsorgan beziehungsweise der Kardinalnepot. Letzterer war ein persönlicher Verwandter des Papstes, in der Regel sein Neffe (daher die Bezeichnung als »Nepot«), der als Leiter der päpstlichen Politik fungierte und bis zur Aufhebung des Nepoten-Amtes 1692 unter Innozenz XI. in Konkurrenz zum Staatssekretär stand, diesen jedoch nach Rang, Ansehen und Einfluss bis dahin in der Regel weit überragte.36 Diese Institutionen wirkten in einem vorwiegend, aber nicht exklusiv durch italienische Akteure geprägten Umfeld. Die Kurie zog traditionell viele Nichtitaliener an und avancierte zumindest zeitweise, wie Rudolf Schieffer schon für das Mittelalter formuliert, zu einem »internationale[n] Treffpunkt«.37 Die Ewige Stadt war der Ort, an dem man Pfründen erlangen und in der man im Dienst von Papst und Kurie Karriere machen konnte. Mit Wolfgang Reinhard lässt sich gleichwohl feststellen, dass Papsttum und Kurie im 16. und 17. Jahrhundert »zwar begrenzt ›international‹, aber doch in erster Linie italienisch dominiert waren«.38 In diesem Zusammenhang zu berücksichtigen sind die auswärtigen Gesandtschaften am Apostolischen Stuhl. Seit dem 16. Jahrhundert war der Kaiser an der Kurie vertreten. Als einziger weltlicher Reichsfürst (die geistlichen Reichsfürsten pflegten qua Amt eine besondere Beziehung zur Kurie) richtete Bayern 35 Dieser – für uns wichtige – Punkt wird bei Ritter, 31997, Sp. 250 übersehen, der nur allgemein auf die Sorge für die Mission hinweist. Zur Gründung der Propaganda-Kongregation in der Frühphase des Dreißigjährigen Krieges vgl. Metzler, 1971b, Bd. I/1, bes. S. 3-243; Sastre Santos, 2002. 36 Zur fundamentalen Bedeutung des Pontifikats von Innozenz XI. vgl. Bösel u.a., 2014. 37 Schieffer, 2008, S. 23 schon im Titel des Aufsatzes. 38 Reinhard, 2009, S. 20. 219

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– nach anfänglich temporären Missionen, die bis ins ausgehende 15. Jahrhundert zurückreichen – 1605 eine ständige Gesandtschaft beim Heiligen Stuhl ein.39 Betrachten wir nach diesen Grundlagen nun ein prominentes Fallbeispiel aus der Frühzeit des Dreißigjährigen Krieges: Carlo Carafa, der als Nuntius und Historiograph eine Doppelrolle im deutsch-römischen Wissenstransfer übernahm.

Im Brennglas des deutsch-römischen Beziehungsgeflechts der 1620er Jahre: Nuntius Carlo Carafa am Kaiserhof Der gebürtige Neapolitaner Carafa sticht bereits durch seine überaus lange Aufenthaltsdauer als Nuntius am kaiserlichen Hof von 1621 bis 1628 aus der Gruppe der päpstlichen Gesandten hervor, denn er verweilte etwa dreimal länger am Hofe Ferdinands II., als es bei Nuntien im Durchschnitt üblich war. Carafa (1584-1644) gehörte, anders als die Mehrzahl der Nuntien und kurialen Amtsträger seiner Zeit, nicht dem ober- oder mittelitalienischen Patriziat an. Im Allgemeinen darf er von seiner Ausbildung und kulturellen Prägung her jedoch als ein typischer kurialer Repräsentant angesehen werden, der dem gängigen Profil kurialer Funktionseliten entspricht: Nach humanistischen, theologischen und juristischen Studien, die mit der Promotion zum doctor in utroque abschlossen, trat er in päpstliche Dienste, wurde 1608 Referendar beider Signaturen, 1616 Bischof von Aversa und 1621 von Gregor XV. zu Ferdinand II. entsandt. Vor dem Hintergrund dieser Prägungen ist es geradezu folgerichtig, dass Carafa die deutsche Zeitgeschichte mit dem Selbstverständnis (und Selbstbewusstsein) des italienischen Humanisten, des für die römisch-katholische Orthodoxie stehenden Klerikers und des ausgebildeten Juristen beobachtet, bewertet und darstellt. Die politische Situation wurde zunächst durch den Sieg von Kaiser und katholischer Liga über den »Winterkönig« Friedrich V. von der Pfalz 1620 bestimmt. Die Folgen der Schlacht am Weißen Berg boten aus römischer Sicht einen optimalen Ausgangspunkt für die Restauration der kaiserlichen Machtstellung und damit für eine umfassende Rekatholisierung Böhmens und dann Deutschlands. Mit der Achterklärung gegen den Pfälzer Anfang 1621 stand zudem die Frage der pfälzischen Kur auf der Tagesordnung. Carafa förderte deren Übertragung auf Maximilian von Bayern. Vor dem Hintergrund des Vormarsches der kaiserlich-katholischen Truppen nach Norddeutschland unterstützte er den Kaiserhof maßgeblich bei der weitreichenden konfessionellen, 39 Vgl. Scherbaum, 2008, S. 52-60. Vgl. ferner Greipl, 1984. 220

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kulturellen und sozialen Umstrukturierung Böhmens zugunsten des Katholizismus. Bis 1628 wurde sogar ein weitgehender Abschluss der Rekatholisierung der habsburgischen Territorien erreicht. Carafa gehörte zu den wenigen Nuntien, die zu Beginn des Pontifikats Urbans VIII. 1623 nicht abberufen wurden. Jedoch verschärften sich unter der frankophilen Barberini-Herrschaft die Spannungen zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Kaiserhof, bis 1628 die Mantuanische Erbfolge ins Zentrum der europäischen Politik trat. Allerdings führt Georg Lutz die Abberufung Carafas, der über Rom in sein Bistum Aversa zurückkehrte, überzeugend nicht auf die Mantuanische Sukzession, sondern auf seine Rivalität mit den Jesuiten zurück.40

Politischer Akteur und Historiograph: Carafas zeithistorische Darstellung der deutschen Geschichte in der ersten Dekade des Dreißigjährigen Krieges Noch vor seiner Abreise vom Kaiserhof im Jahre 1628 reichte Carafa beim römischen Staatssekretariat eine (unter Benutzung früherer, seit Beginn der Nuntiatur entstandener Vorarbeiten verfasste) zeitgeschichtliche Darstellung des frühen Dreißigjährigen Krieges ein, die zugleich einen persönlichen Rechenschaftsbericht darstellt. Bis 1629 wurde dieser Text für einen weiteren Leserkreis adaptiert. Tatsächlich fand er in den folgenden Jahrzehnten eine weit über die römische Kurie hinausreichende Rezeption in Italien und in Europa. Ergänzt wurde er durch eine gedruckte Darstellung zur jüngeren deutschen Kirchengeschichte.41 1860 würdigte Friedrich von Hurter diese Relation als »sehr einläßliche[n] Bericht, der den vorzüglichsten venetianischer Gesandten aus dieser und aus früherer Zeit als ebenbürtig sich anschließt«.42 Trotz dieser Würdigung und einer ebenfalls 1860 vorgelegten Edition43 wurde Carafas Werk von der Forschung zunächst kaum rezipiert.44 Der Nuntius blickt in seiner zeitgeschichtlichen Darstellung jedoch auch weit zurück in das Reformationsjahrhundert. Sein Werk bietet somit einen fundierten Einblick in die römisch-kuriale »Geschichtswerkstatt« 40 G. Lutz, 1976, S. 512. 41 Carafa, 1630. 42 Hurter, 1860, S. XII. 43 Müller, 1860. 44 Erneute Aufmerksamkeit in der jüngeren Forschung erfuhr die Relation durch meinen Aufsatz Braun, 2006. 221

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und erlaubt nachzuvollziehen, wie die päpstliche Politik des 16. Jahrhunderts und die jüngere Zeitgeschichte von einem Akteur, der sie als wichtigster Vertreter des Papstes im Reich selbst federführend mitgestaltet hatte, historiographisch umgeformt wurden. Dass ein solcher Akteur selbst Geschichte schrieb, war zwar ungewöhnlich, aber es lässt sich doch bei näherem Hinsehen feststellen, dass Carafa durchaus keinen Einzelfall darstellt. Schon im späten 16. Jahrhundert haben wir mit Ottavio Mirto Frangipani einen Nuntius, der diplomatische Tätigkeit mit der Abfassung einer umfangreichen Darstellung verknüpfte. Frangipani hatte den Papst auf der Kölner Nuntiatur von 1587 bis 1596 vertreten, bevor er nach Brüssel wechselte. 1597 publizierte er in Köln ein Buch unter dem Titel Directorium Ecclesiasticae Disciplinae Coloniensi praesertim Ecclesiae accommodatum, das sich mit der Kirchenreform an seinem ehemaligen Wirkungsort befasste.45 Und schon ein Zeitgenosse der Reformation, Hieronymus Aleander, hatte die Akten seiner Mission im Hinblick auf eine spätere historiographische Verwertung gesammelt und geordnet. Die Konstitution von Aktenkorpora als Grundlage für Geschichtschreibung lässt sich mithin bereits in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts nachweisen.46 Es existiert jedoch kein Werk, das in Breite und Präzision dem Vergleich mit der Darstellung Carafas von 1628/29 standhalten könnte. Wenn wir den Blick auf das Geschichtsbild und die Zukunftserwartungen der römischen Kurie beziehungsweise ihrer Repräsentanten am Vorabend von Cara45 Auf diesen Autor und sein Werk, welches über die Nuntiatur-Korrespondenzen hinausgehende Aufschlüsse über Frangipanis »Profil« verspreche, macht aufmerksam Reinhard, 1998, S. 218. 46 So weist der Editor der Nuntiatur-Korrespondenz 1538-1539, Walter Friedensburg, in seiner Einleitung darauf hin, Aleander habe es sich »angelegen sein lassen, ein reiches Material zur Geschichte der Religionshändel in Deutschland, im besonderen über die Stellung der Kurie zu denselben, zu sammeln und in sorgfältigen Abschriften niederzulegen, durch die allein manches wichtige Dokument auf die Nachwelt gekommen ist. […] Er gedachte diese Kollectaneen als Grundlage zu einem größeren theoretischen Werk zu benutzen […]«; Einleitung zu NBD I/3, 1893, S. 3-89, hier S. 4f. Ähnliche Kollektaneen fertigte im Übrigen auch Kardinal Giovanni Morone an; vgl. Ebd., S. 21. Bedauerlich ist, dass Aleander zwar die politischen Akten (etwa zu 1521 und anderen wichtigen Reichstagen) aufbewahrte, nicht jedoch die für eine bessere Kenntnis seiner Kontakte in Deutschland vermutlich aufschlussreichen Gelehrtenkorrespondenzen, die Friedensburg für »ziemlich ausgedehnt« hält (Ebd., S. 22, Anm. 2). Bekannt ist immerhin, dass Aleander auch Kontakte zu gelehrten deutschen Lutheranern unterhielt. 222

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fas Kaiserhof-Mission richten, so darf ein Dokument besondere Aufmerksamkeit beanspruchen, das zu Beginn des Jahrzehnts entstand, in dem der Dreißigjährige Krieg ausbrechen sollte. Darin hatte der damals scheidende Kaiserhof-Nuntius Antonio Caeatani eine ausführliche, ursprünglich zur Information seines Amtsnachfolgers konzipierte Finalrelation seiner Mission am Prager Hof vorgelegt.47 Ganz anders ist das darin gezeichnete Bild von Kaisertum und Reich, wenn man es der Darstellung Carafas aus den 1620er Jahren entgegenhält. Für Caetani ist die Lage des Reiches ein wahres Chaos, nicht nur der äußeren Erscheinung, sondern auch der Substanz der dortigen Verhältnisse nach, denn in Deutschland gebe es überhaupt kein Gravitationszentrum und damit auch keinen geeigneten »Aussichtspunkt« mehr, von dem ein Beobachter (ob nun Deutscher oder Ausländer) das gesamte Reich überblicken könne. Von welchem Punkt man es auch immer betrachte, niemals könne der Beobachter den Blick auf das Ganze gewinnen, zu sehr drifteten die einzelnen Teile des Landes auseinander. Wenn man sich also nicht auf generische, das heißt allgemeine und mithin oberflächliche Angaben beschränken wolle, wie sie etwa auch in Geographie-Büchern zu finden seien, oder auf bestimmte »große« Ereignisse, die auch mit den Avvisi verbreitet würden, so ergebe sich immer das Problem, dass ein Teil des Beobachtungsfeldes sich durch seine Entfernung schlicht der Wahrnehmung entziehe.48 Dies hing aus Caetanis Sicht nicht zuletzt mit der Schwäche des Kaisertums zusammen, es herrsche aufgrund der offenen Sukzessionsfrage geradezu Orientierungs- und Hoffnungslosigkeit.49 Diese Einschätzung aus dem Jahr 1610 bedeutet noch keine konkrete Kriegserwartung, sie zeigt aber bereits, dass der Nuntius eine friedliche Beilegung der zwischen den Parteien schwelenden Konflikte einerseits kaum mehr für möglich hielt, und den im Reich damals herrschenden Zustand andererseits nicht als dauerhaft tragfähig einschätzte. Caetanis Finalrelation verdeutlicht insofern, dass der Nuntius nicht von außen an das Reich herangetragene Konflikte, sondern endogene Ursachen für das sich anstauende Konfliktpotential verantwortlich machte.50 Die gut zehn Jahre nach der Caetani-Relation, nach dem Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges und nach der Schlacht am Weißen Berg (1620) ausgefertig47 Relazione finale di Antonio Caetani, Nunzio all’Imperatore, Prag 1610 Dezember [sine die]; Giordano, 2003, Bd. II, Nr. 51, S. 713-773. 48 Vgl. Ebd., S. 736. 49 Vgl. Ebd., S. 736-738. 50 Insofern widerspricht seine Deutung der Zeitgeschehnisse der Interpretation von Burkhardt, 2002, der den Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges mit exogenen Einflüssen begründet. 223

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te Hauptinstruktion für Carafa thematisiert eingehender die historische Haltung des Papsttums zu den Folgen der Reformation. Aus der Rückschau erschien die Konfessionspolitik des Heiligen Stuhls im 16. Jahrhundert als ein reiner Abwehrkampf. Die Instruktion, für die der Kardinalnepot Ludovico Ludovisi 1621 verantwortlich zeichnete, betont, dass es der Kurie im Reformationsjahrhundert lediglich darum gehen konnte, die Überreste des Katholizismus in Deutschland zu bewahren und seinen vollständigen Ruin zu verhindern. An eine Rekatholisierung sei damals nicht zu denken gewesen.51 War die Einschätzung, dass die Probleme der deutschen Zeitgeschichte im Dreißigjährigen Krieg letztlich auf die Umwälzungen der Reformation zurückgingen, ein Spezifikum der römisch-kurialen Geschichtsdeutung? Keineswegs! Auch die Venezianer setzten, jedenfalls wenn man ihre Finalrelationen daraufhin untersucht, diesen Einschnitt an.52 Carafas Instruktion bekundete jedoch die Hoffnung auf eine Machtsteigerung des Kaisers. Ganz im Gegensatz zu Caetanis skeptischen Zukunftserwartungen erschien dem Kardinalnepoten »1621« also als eine Zäsur unter ganz positiven Vorzeichen, die es erlauben könnte, das Trauma von »1517« zu überwinden. Betraut wurde mit der päpstlichen Vertretung am Kaiserhof ein Nuntius, der aus Sicht der Kurie während seiner Mission zu einem der besten Fachleute avancierte, über die sie auf diesem Terrain verfügte.53 Von der herausragenden Wertschätzung, derer sich der unter den Barberini letztlich in Ungnade gefallene Carafa hingegen im Ludovisi-Pontifikat gerade wegen des hohen Informationsgehalts seiner Berichte erfreut hatte, legt unter anderem die päpstliche Hauptinstruktion für den Sondergesandten am Kaiserhof Fabrizio Verospi Zeugnis ab. Carafa galt den Ludovisi, wie darin bekundet wird, als höchst kluger und ganz ausgezeichnet informierter Gesandter. Besonders über die Personen am Kaiserhof habe Carafa der Kurie auf Ludovico Ludovisis Anweisung hin eine sehr detaillierte Relation vorgelegt, auf deren Grundlage sich auch Verospi trefflich auf seine Mission vorbereiten könne.54 51 Vgl. die Instruktion für Carlo Carafa, Nuntius am Kaiserhof, Rom 1621 April 12; Jaitner, 1997, Bd. II, Nr. 6, S. 602-642, hier S. 618f. Über jüngere Rekatholisierungserfolge berichtet die Instruktion Ebd., S. 619f. 52 Wenngleich die Markusrepublik niemals eine ganz starre Haltung zur Reformation einnahm. Vgl. Zucchi, 2003, S. 493-508. 53 Vgl. im Überblick Braun, 2014b (mit weiterer Literatur). 54 Vgl. die erste Instruktion für Fabrizio Verospi, außerordentlicher Nuntius am Kaiserhof, Rom 1622 Januar 13; Jaitner, 1997, Bd. II, Nr. 20, S. 826-847, hier S. 845f. 224

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Europäische Rezeptionen von Carafas zeithistorischer Darstellung Der Text der in vier Hauptteile gegliederten Carafa-Relation ist mindestens in dreizehn vatikanischen Handschriften überliefert und wurde offensichtlich weit über die Kurie hinaus in Italien und in Europa verbreitet.55 Außerhalb des Vatikans wurde die Verbreitung der Relation stichprobenhaft überprüft, so in vier römischen Bibliotheken, die nur eine Abschrift zutage förderte,56 welche Anton Pieper bereits kannte,57 der zudem zwei Überlieferungen im Turiner Staatsar-

55 Die Biblioteca Apostolica Vaticana besitzt mindestens sieben Abschriften, davon drei im Fondo Barb. Lat. (5162, 5232 und 5281) und zwei im Fondo Chig. (N II 44 fol. 63-238̓, Q II 46), ferner im Codex Reginensi Latini 887 sowie im Codex Ferrajoli 365. Das Archivio Segreto Vaticano besitzt mindestens sechs Überlieferungen. Vier davon befinden sich in dem ehemaligen Bestand Varia Politicorum, heute Misc., Arm. II. Die Überlieferung in ASV, Misc., Arm. II, 126 (Relazione della Germania fatta dal Nunzio Apostolico nell’anno 1628) ist darunter die wichtigste, denn es handelt sich um das Exemplar, das Carafa der Kurie am 15. März 1628 aus Prag mit Schreiben an Kardinal Francesco Barberini übersandte. Weitere Abschriften sind zu finden in ASV, Misc., Arm. II, 153, 160 sowie 161. Im Fondo Pio 23, einem Band mit verschiedenen politischen Akten von der Mitte des 16. Jahrhunderts bis zum ersten Drittel des 17. Jahrhunderts, liegt eine unvollendete Kopie (fol. 347-358̓). Schließlich ist eine Überlieferung in ASV, Segreteria di Stato, Germania 26A zu nennen. Der Codex enthält den Text der Teile II-IV der Relation (fol. 5-292). Es folgt ein Zusatz mit dem Titel: »Lega che voleva fare il Volestain« (d.h. Wallenstein), der nicht als spätere Hinzufügung kenntlich gemacht wurde (fol. 292332̓, unvollständig). Der Codex hat fol. 1 einen rezeptionsgeschichtlich interessanten Vermerk Kardinal Giuseppe Garampis von 1759. Daraus erhellt, neben der grundsätzlichen Tatsache, dass Carafas Relation auch im 18. Jahrhundert an der Kurie noch rezipiert wurde u.a. die Kenntnis der Vorstudien zur Relation und ihre (unzutreffende) Gleichsetzung mit Carafas Germania sacra. Auch von Garampi wurde ein Inhaltsverzeichnis für den Beginn der Relation angelegt (Ebd., fol. 2). 56 Biblioteca Corsiniana, Ms. 287 fol. 1-504‹. Ferner geprüft: Biblioteca Angelica, Biblioteca Casanatense, Biblioteca Vallicelliana. 57 Er identifiziert dieses Exemplar mit dem von Ranke benutzten (stadt-)römischen; Pieper, 1881, S. 391, Anm. 1. Vgl. Ranke, 61874, Bd. III: Analecten, Nr. 112, S. 144*-147*. 225

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chiv aufführt.58 In London wurden drei vollständige Abschriften und eine Teilkopie ermittelt.59 In Paris liegt mindestens eine Überlieferung.60 In Wien befindet sich eine Abschrift der Teile II bis IV in der Handschrift 5526 aus der k. u. k. Hofbibliothek.61 Das mit dem kaiserlichen Doppeladler und dem Bildnis Kaiser Ferdinands II. geschmückte Manuskript wurde nach einem Vermerk von 1654 Ferdinand III. zugeeignet.62 Damit sind vermutlich nicht alle, aber die wichtigsten handschriftlichen Überlieferungen erfasst, die einen anschaulichen Eindruck von der weiten Verbreitung des Werkes vermitteln. Die Relazione wurde 1860 von Joseph Godehard Müller herausgegeben.63 Gleichfalls 1860 publizierte Friedrich von Hurter eine deutsche Teil-Übersetzung des Carafa-Berichts als Anhang zu seiner Monographie Friedensbestre58 Vgl. Pieper, 1881, S. 392. Diese Abschriften sind mir nur nach den Angaben Piepers bekannt; eingesehen wurden neben den vatikanischen Texten sowie der römischen Kopie die Abschriften in Rom, Paris und London. 59 Gesamte Relation: British Library, Harlejan manuscripts Nr. 3455 und Nr. 3560, des Weiteren im Additional Manuscript 28171. Teilkopie: Western manuscripts in the old Royal and King’s collections, Nr. 14 A. XX. Dieser Codex stammt laut Katalog von ca. 1640, und sein roter Ledereinband trägt das Wappen Karls II. Ein Auszug aus der Carafa-Relation findet sich (mit dem Datum 1628) als zehntes Dokument, fol. 779-796̓. Dieser Auszug enthält das Proömium und den Beginn des ersten Hauptteils. Dazu gehört, Ebd., fol. 797-821, ein alphabetisches Register, durch das auch einige andere genannte Abschriften erschlossen sind. 60 Bibliothèque nationale de France, Fonds italien 828-829, zwei Codices. Titel von Ms. 828 fol. 1: Relatione Dello Stato dell’Imperio et della Germania per tutto l’Anno 1628; fälschlich »1620« bei Marsand, 1835, Bd. I, S. 369-371 (dort unter der Signatur 10084-10085). Vermerk in Ms. 828 fol. [IV̓] (vor fol. 1): »Relation particulière de l’Empire et de toute l’Alemagne et de sa puissance, faicte pour la respublique de Venise« und von anderer Hand: »Par le Légat ou Nonce du Pape près la Cour de Vienne«. Marsand hält die Relation für venezianisch. Nach Mazzatinti, 1886, Bd. I, S. 155 Provenienz Béthune (datiert ebenso falsch »1620«; Philippe de Béthune war französischer Botschafter in Rom gewesen). 61 Chmel, 1840, Bd. I, Nr. 139, S. 584f. Chmel teilte seinen Fund auch Müller mit; vgl. Müller, 1860, S. 116f. 62 Chmel, 1840, Bd. I, Nr. 139, S. 584. 63 Müller, 1860, zu seiner Druckvorlage S. 105 und 115-117. Die Edition umfasst etwa 350 Druckseiten, berücksichtigt drei Handschriften, besitzt aber keinen wirklichen kritischen Apparat. 226

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bungen Kaiser Ferdinand’s II.64 (zu Ferdinands Lebensweise, Familie, Hof sowie seinen Räten und seiner Politik). Der Katalog der British Library bezeichnet die Relation als vermutlich nicht offiziell; ähnliche Vermutungen finden sich in der älteren Forschung.65 Aus den Briefen Carafas ergibt sich jedoch zweifelsohne, dass der Nuntius die Relation noch vor seiner Abberufung 1628 förmlich bei der Kurie einreichte. Unverkennbar ist an der Breite der historischen Darstellung, dass Carafa schon damals ein weiteres Publikum als endlichen Adressaten anvisierte. Mit der Überarbeitung von 1628/1629 hatte er mit Bestimmtheit ein breiteres Lesepublikum im Blick. Als ungeklärt musste lange die Frage gelten, ob die Relation 1628 in Rom Beifall fand.66 Tatsächlich stand die Kurie dem Projekt Carafas dezidiert ablehnend, bestenfalls zeitweise gleichgültig, gegenüber und förderte es in keiner Weise. Eine unscheinbare, eigenhändige Aktennotiz des langjährigen Sekretärs der Propaganda, Francesco Ingoli,67 beweist dies, denn die Propaganda verweigerte Carafa im März 1629 die für seine historischen Studien nötige Akten-Einsicht.68 Diese Akten hatte Francesco Ingoli, wie Carafa seit 1624 bekannt war, 64 Hurter, 1860, S. 212-280. Grundlage seiner Übersetzung war eine in der Handschriften-Sammlung der Deutschordens-Kommende zu Wien aufbewahrte Abschrift eines Exemplars aus der Vatikanischen Bibliothek; vgl. Ebd., S. XIf. Den Hinweis hierauf hatte der Editor von Dudík erhalten, welcher die Relation selbst zweimal in seiner Geschichte Wallensteins benutzt, und zwar im Hinblick auf Personen und Geschäftsgang am Kaiserhofe; vgl. Dudík, 1858, S. 54f., Anm. 4 und S. 59, Anm. 2. 65 Katalog der Western manuscripts in the old Royal and King’s collections (1921), unter Nr. 14 A. XX: »the relation (which does not seem to be official)«; aus der älteren Forschung: Müller, 1860, S. 104, Anm. 1. 66 Pieper geht fälschlich von ihrer gefälligen Aufnahme in Rom aus; Pieper, 1881, S. 393. 67 Er bekleidete das Amt seit 1622 für 27 Jahre. Zu Person und Karriere: Pizzorusso, 2004; Metzler, 1971a. 68 Ingoli berichtet in seiner Aktennotiz mit dem Betreff »Carafa Nuntio di Germania« über das vom ehemaligen Nuntius vorgetragene Anliegen: »Monsig.r Caraffa vescovo d’Aversa deponendo un’opera delle cose ecclesiastiche successe in Germania nelli tempi della sua Nuntiatura, supplica la Sac. Cong:e a dar ordine al secretario che li comunichi le scritture delle cose similmente ecclesiastiche, che si sono succedute, o si sono fatte nella Nuntiatura di Colonia, acciò possa con esse perfettionar detta sua opera«; ASPF, SOCG 389 fol. 62 (Betreff nach fol. [IV]). Die Kongregation befasste sich mit diesem Gesuch in ihrer 106. Sitzung vom 6. 227

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mit Bedacht so verwaltet, dass sie einmal für ein Werk über die jüngere Kirchengeschichte herangezogen werden könnten.69 Es ist unklar, ob sich Carafas Anfrage eher auf die kirchengeschichtlichen Teile seiner italienischen Relation oder auf deren lateinisches Pendant (die Germania sacra) bezieht;70 eindeutig ist, dass Carafa nicht nur als ehemaliger Nuntius und potentieller Ratgeber, sondern auch als Historiker in Rom kein Wohlwollen erwarten durfte, und so war er ohnedies schon im Februar 1629 nach Aversa abgereist. Anders als 1629, hatten 1624 die von Carafa verfassten Berichte über Böhmen, und zwar sowohl die noch unter Gregor XV. nach Rom mitgeteilten Informationen71 als auch namentlich die Relatione della riforma del regno di Bohemia, welche die Rekatholisierung in Böhmen 1623/24 behandelte und aus der ein kleiner Abschnitt in die Schlussrelation übernommen wurde, bei der Propaganda-Kongregation eine überaus positive Aufnahme gefunden.72 Kardinal

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März 1629; man beschied Carafa, dass er für jedes einzelne Schriftstück, welches er mitgeteilt bekommen wolle, einen eigenständigen Antrag zu stellen habe. Dieser Beschluss folgt aus demselben Vermerk, näherhin dem Konzept des Protokolls. Vgl. auch Tüchle, 1962, Protokoll der 106. Congregatio generalis, S. 226-231, hier S. 230. Ingoli hatte darüber an Carafa berichtet, Rom 1624 Dezember 7; eigenhändige Ausfertigung: DHI Rom, Ms. 121 fol. 420-420̓, mit Dorsal fol. 427̓, bes. fol. 420: »Ho sentito gran gusto della sodisfatte che V. S. Ill.ma ha data alla s. coge con la scrittura mandata con l’ult:e lettere scritte delle cose di Boemia, che perciò ho voluto a parte rallegrarmene con esso lei, et insieme rassicurarla, che premendo sovramodo la cog:e nella restite della Relige cattolica in d° Regno, non può far cosa, che sia di maggior sodisfatt:e che insister, come fa, in queste materie con straordinaria attentione. Io poi negl’atti della cog:e li quali sin dal principio di essa ho distesi con questo fine, ch’habbino da servir per chi scriverà l’Historia ecclesiastica de nostri tempi, non mancherò d’honorar con la pena la sua virtù, zelo, e prudenza, con le quali ha maneggiati questi negotii.« Tüchle, 1962, S. 230, Anm. 26 verweist auf dieses lateinische Werk. Vgl. DHI Rom, Ms. 121 fol. 334-334̓ und 339: Instruttione per Mons.r Vescovo d’Aversa Nuntio all’Imp.r circa li beni ecclesiastici, e beneficii del Regno di Boemia; Kopie, s.l. s.d., mit Dorsalvemerk fol. 339̓ [übersandt mit Kardinal Bandini an Carafa, Rom 1624 Oktober 5, Ausfertigung: Ebd., fol. 333-333̓, mit Dorsal und Siegel fol. 340̓], besonders: »[…] come si cava dall’essattissima Relatione del Regno di Boemia, che V. S. mandò alli tempi di Papa Gregorio […]« (Ebd., fol. 334̓). Vgl. Ebd., fol. 343-343̓: Kardinal Bandini an Carafa, Rom 1624 Oktober 26, Ausfertigung (mit Dorsal und Siegel fol. 344̓): »La Relatione, che V. S. ha mandato alla

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Bandini erteilte Kardinal Millino den Auftrag, diese Relation in einer Kongregationssitzung im Beisein Urbans VIII. vorzutragen.73 Bei diesem Anlass fand Carafas Denkschrift höchsten Zuspruch, und die Kongregation traf seinen Vorschlägen entsprechende Entscheidungen.74 Als Carafa zu diesen Instruktionen

Sacra Congreg.ne de Propaganda fide sarà veduta da questi miei Ill.mi SS. Cardinali, com’è stata veduta da me con grandissimo gusto; perché oltre l’essere stata da lei stesa con prudenza, et accuratezza non ordinaria, in essa si rappresentano tanto bene gli avvenimenti, occorsi in Germania in questi tre, o quattro anni adietro con li loro principii, et cagioni; et insieme lo stato della Religion Cattolica in Boemia, e Moravia, che se ciascun di noi fosse stato presente, et havesse maneggiati li negotii di quei paesi, non potrebbe intenderli meglio. Gioverà grandem.te questa sua honorata fatica alla Congreg.ne, perché nelli affari grandi molto importa il sapere la natura delle persone, con le quali si tratta, et li modi, con li quali si possono persuadere, oltre la sostanza, et essenza delli medesimi affari, cose, che tutte s’esplicano mirabilm.te in d.a Relatione« (Ebd., fol. 343). Diese Stellungnahme war keine Höflichkeitsadresse, denn die Relation sollte Grundlage der weiteren Entscheidungen der Propaganda-Kongregation zu Böhmen und Mähren sein. 73 Vgl. Ebd., fol. 350: Kardinal Bandini an Carafa, Rom 1624 November 8, Ausfertigung (mit Dorsal und Siegel fol. 353̓): »La Relatione di Boemia, mandata ultimamte da V. S. a questa Sacra Congreg.ne de Propag.da fide s’è data al s. Cardinal Millino, accioché la riferisca nella seguente Cong.ne da tenersi innanzi N. S.re, et a suo tempo si scriveranno a lei le risolutioni, che sopra di essa si saranno prese, accioché dia loro essecutione. Intanto la Sacra Cong.ne ha gradita sopra modo questa sua fatica, et la ringratia e di essa, e di tutto quel, che va facendo per servitio di Santa Chiesa.« 74 Vgl. Ebd., fol. 346-346’: Kardinal Bandini an Carafa, Rom 1624 November 23, Ausfertigung (mit Dorsal fol. 357̓): »Ha riferita il s. Cardinal Millino la Relatione di Boemia, e di Moravia, mandata da V. S., nella Cong.ne, tenuta inanzi N. S.re alli 19. del corrente, et è stata sentita da Sua S.tà, e dalli SS. Cardinali con grandissimo contento, e sodisfattione d’animo, vedendo quanto bene si vanno incaminando le cose della Religion Catt.ca in quelle parti per la buona diligenza di V. S., e di Mons.r Arcivescovo di Praga: desidera Sua San.tà, che si seguiti colla medesima sollicitudine, e nello stesso modo, essendo state approvate dalla Cong.ne l’instruttioni, date a Commissarii, fatti dal d.° Arcivescovo in tutto, e per tutto. Quanto alli remedii, da V. S. proposti per promuover maggiormente, e più presto la Religion Catt.ca in Boemia, parte si sono esseguiti di qua, […] e parte s’è rimessa l’essecutione a lei, et all’Arcivescovo sud.° […].« (Ebd., fol. 346). 229

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Stellung nahm, folgte die Kongregation in Anwesenheit Urbans ebenfalls ganz seinen Empfehlungen.75 Carafa benutzte Teile seiner Relation, wie bereits erwähnt wurde, auch für ein lateinisches Buch. Die Commentaria de Germania sacra restaurata wurden in Aversa 1630, in Köln 1639, in Frankfurt 1641 (mit nicht vom Autor stammenden Zusätzen fortgeführt) sowie erneut in Wien 1748 und 1769 aufgelegt.76 Inhaltlich decken sich die Commentaria etwa mit dem ersten, chronologischen Teil der Relazione. Letztere geht jedoch insgesamt weit über die Commentaria hinaus, und ihre Darstellung differiert auch in den sachlich entsprechenden Abschnitten von dem lateinischen Druckwerk. Die lateinische Germania sacra war zweifellos mehr für das größere Publikum bestimmt, denn an einigen Stellen wurde die freimütige Kritik des Nuntius an Fehlern der katholischen Partei oder des Kaisers getilgt.77 Die lateinische Sprache legt nahe, dass eine Leserschaft über Italien hinaus und namentlich in Deutschland selbst erreicht werden sollte. Dieses Publikum fand das Buch auch tatsächlich: Selbst die Geheimen Räte am Kaiserhof rekurrierten 1646 auf dieses Werk, als sie sich mit der Geschichte der Rekatholisierung Böhmens und der Erblande befassten.78 75 Vgl. Ebd., fol. 430-430̓: Kardinal Bandini an Carafa, Rom 1624 Dezember 21, Ausfertigung, bes. fol. 430: »Il sr Cardinal Millino ha riferita nella sacra Cong:e de propaganda fide, tenuta innanzi N. S.re la scrittura delle considerationi, che V. S. ha fatte intorno all’instrutione, che le fu mandata per li negotii di Boemia, et essendo piacciute a S. San.tà, et alli ss:ri Cardinali, s’è risoluto, ch’ella debba conforme a d:e considerationi governarsi«. Vgl. ferner die Instruttione per Mons.r Vescovo d’Aversa Nuntio all’Imperatore circa li beni ecclici̓, e benefitii del Regno di Boemia, s.l. s.d.; Kopie: ASPF, Istruzioni diverse dall’Anno 1623 all’Anno 1638, fol. 6̓-8, hier fol. 7̓ zur Böhmen-Relation des Nuntius als wichtiger Informationsquelle für Rom: »come si cava dall’essattissima Relatione del Regno di Boemia che V. S. mandò alli tempi di Papa Greg.°.« 76 Carafa, 1630. Ferner konsultiert: Carafa, 1641. Zum Werk und seinen Auflagen vgl. Anthieny, 1869; Pastor, 1931, S. 177f., Anm. 4 (auch zu den nicht von Carafa stammenden Ergänzungen). 77 Anthieny, 1869, S. 4-6. 78 Vgl. das Gutachten der kaiserlichen deputierten Räte (und das Conclusum im Geheimen Rat), Linz 1646 April 18-20, worin die Räte zu dieser Thematik bemerken: »darvon der Bäbstliche nuncius Carahfa ein ganz buch geschrieben«; APW II A 4, 2001, Beilage C zu Nr. 14, S. 32-46, hier 36. Mit den Editoren (Ebd., Anm. 58) ist zu vermuten, dass damit die Germania sacra, nicht die Relation gemeint ist. Weiterer Beleg: Chaline, 1999, S. 462; zur Rezeption der Relation bei italie230

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Fazit In den Nuntiaturberichten bietet der Berichterstatter gewöhnlich keine Interpretation größerer historischer Zusammenhänge; gerade Carafas Relation gewährt uns aber einen umfassenden und genauen Einblick in das Geschichtsbild des Apostolischen Nuntius an einem zentralen Punkt der Geschichte des Reiches. Der Wert von Carafas Relation liegt in der Komplementarität zu den Nuntiaturberichten, insofern sie einen Einblick in die Wahrnehmung und in das Weltbild eines Nuntius gewährt, der fast ein Jahrzehnt lang die Politik zweier Päpste mit unterschiedlichen Prioritäten am Kaiserhof vertrat. Dabei werden die inneren Widersprüche in der Haltung des Heiligen Stuhls gegenüber Kaiser und Reich im Reformationsjahrhundert zugunsten einer kohärenten Darstellung geglättet. Auch seine eigene Rolle im Dreißigjährigen Krieg und sein Verhältnis zu Ferdinand II. passt Carafa den Erfordernissen einer möglichst homogenen Darstellungsweise an. Wenngleich Carafa über weite Strecken der 1620er Jahre hin durch die Interaktion mit vielfältigen Akteuren am Kaiserhof, in den Erblanden, in Böhmen und insgesamt im Reich sowie an der römischen Kurie und dort besonders auch in der Propaganda-Kongregation einen erheblichen Beitrag zum deutsch-römischen Wissenstransfer und zur Wissensgenese geleistet hat, dessen eingehendere Erforschung aus kulturgeschichtlicher Perspektive ein dringendes Desiderat darstellt, ist dennoch zu beobachten, dass ein wesentliches Ergebnis dieses Prozesses, nämlich seine umfangreichen beiden Schriften über die Geschichte des Reiches, nach dem Ende seiner Nuntiatur offensichtlich außerhalb Roms mehr Interesse fanden als in der Ewigen Stadt. Es spricht doch sehr für die allgemein beobachtete Verengung des kurialen Blick- und Interessenfeldes im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges, dass die kaiserlichen Geheimräte im Umfeld der den Konflikt beendenden Westfälischen Friedensverhandlungen auf das Werk eines kurialen Autors rekurrierten, dessen Entstehung von der vermeintlich stets auf umfassende Informationsakquise kaprizierten Propaganda-Kongregation tatkräftig behindert worden war. nischsprachigen Lesern: Zusammenfassung in BAV, Barb. Lat. 5142 fol. 66-73̓: Discorso, o vero Relatione dell’Imperio […]. Des Weiteren ist eine Umarbeitung unter dem Titel »Relatione di Germania e de̓ Principi di essa« zu nennen, welche die wesentlichen Informationen Carafas zu bestimmten Punkten (Teile II und III der Relation) wiedergibt, aber den Stoff ganz anders anordnet; Kopien: BAV, Barb. Lat. 5263 fol. 192-253̓; BAV, Vat. Lat. 13513 fol. 230-243; vgl. auch Pieper, 1881, S. 402-406. 231

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Abstract Diplomatic protagonists in the 16th and 17th centuries played a prominent role in the processes of circulation and production of knowledge between Rome and the Empire. As nuncios or legates in the Empire, Papal ambassadors – aided by their staff – achieved remarkable results of cultural and linguistic translation with their reports, despite being limited by the restrictions of their specific scope of perception and cultural pre-conditioning. These achievements contributed substantially to the development of a Roman-Curial body of knowledge on Germans and the Empire. The chapter at hand presents observations on fundamental limits and possibilities of insight offered by an examination of Papal diplomacy with its specific forms of reporting. These specific forms were in many aspects exceptional across Europe (and the globe) and is here used to deconstruct processes of knowledge circulation and production in general as well as the interaction of involved protagonists in particular. A good example for these observations is Carlo Carafa, a protagonist from the 1620s who had been accredited for an unusually lengthy period of eight years at the Emperor’s court. Carafa is a central yet up to now unfairly disregarded figure pertaining to the political relationship between Pope and Emperor during the first decade of the Thirty Years’ War as well as to the genesis of Roman knowledge about the Germans and the Northern Alpine Empire. Carafa’s interaction with many protagonists in the Empire as well as the Roman Curia has provided a considerable contribution to German-Roman knowledge transfer. Nevertheless, it can be observed that a significant result of this process, namely, both his considerable writings on the Empire’s history, have after the termination of his nunciature been of more interest outside of Rome (such as the Emperor’s court) than in the Eternal City itself.

Literatur Ungedruckte Quellen Archivio della Congregazione per la Dottrina della Fede (ACDF): • Santo Officio (S. O.), Stanza Storica (St. St.) TT 1h. Archivio Storico della Congregazione per l’Evangelizzazione dei Popoli (Archivio Storico »De Propaganda Fide«, ASPF): • Scritture Originali riferite nelle Congregazioni Generali (SOCG) 389. 232

Akteure, Medien und Institutionen in den Prozessen von Wissensproduktion

Archivio Segreto Vaticano (ASV): • Miscellanea, Armarium (Misc., Arm.) II, 126, 153, 160. Biblioteca Apostolica Vaticana (BAV): • Barberiniani Latini (Barb. Lat.) 5142, 5162, 5232, 5263, 5281, 6931. • Chigiani (Chig.) N II 44, Q II 46. • Vaticani Latini (Vat. Lat.) 13513. Bibliothèque nationale de France: • Fonds italien 828-829. Deutsches Historisches Institut in Rom (DHI Rom): • Handschriftensammlung, Manuskript (Ms.) 121.

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Guido Braun

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Archive des Wissens und Erinnerung

Ein Chamäleon zwischen Rom und Darmstadt Naturhistorische Geschichten und Mediation während des Dreißigjährigen Kriegs (1619-1629) Sabina Brevaglieri

1. Einführung Einem afrikanischen Chamäleon und der Geschichte seiner Reise vom Mittelmeer nach Mitteleuropa war der lange Brief gewidmet, den Franz Nidermeyr, der Leibarzt der lutherischen Landgrafen von Hessen Darmstadt, 1626 an seinen deutschen Kollegen Johannes Faber nach Rom sandte.1 Es handelte sich um die Historia naturalis, »eines der schönsten Meisterstücke der Natur«, das nicht selten im Mittelpunkt des höfischen Gesellschaftslebens stand und in den Naturaliensammlungen der Neuzeit nicht fehlen durfte.2 Der Chamäleon-Brief war Teil der umfangreichen Korrespondenz, die die beiden Leibärzte im Jahrzehnt zwischen 1619 und 1629 unterhielten, während zur gleichen Zeit der europäische 1

2

Der Name des Arztes Franz Nidermeyr erscheint in den Quellen, die im Folgenden genauer analysiert werden, in unterschiedlichen Varianten. Hier wird auf eine Version zurückgegriffen, die in der intensiven Korrespondenz mit seinem Kollegen Johannes Faber, zu welcher auch der noch zu betrachtende Chamäleon-Brief gehört, am häufigsten verwendet wird. Die Korrespondenz der beiden Kollegen wird in der Accademia Nazionale dei Lincei (BANL), Fondo Faber aufbewahrt. Eine umfassende Analyse dieses Briefwechsels findet sich in Brevaglieri, 2015a. Eine erste, kürzere Version dieses Beitrags ist erschienen in Dies., 2015b. Die Aufmerksamkeit, die dem Chamäleon im Rom gezollt wurde, wird bestätigt von Panaroli, 1645, dem das Zitat entnommen wurde. Zur Präsenz des Chamäleons in Hofkreisen vgl. Guerrini, 2015. 243

Sabina Brevaglieri

Kontinent durch die konfessionellen und politischen Spannungen des Dreißigjährigen Krieges zerrissen war. Allerdings nahm er in dieser Korrespondenz aus verschiedenen Gründen eine Sonderstellung ein. Er erzählte erstens die einzigartige ›Biographie‹ eines Tieres, sowohl als Lebewesen wie als naturkundliches Objekt, berichtete zweitens von dessen Reise auf dem See- und Landweg und schließlich über die Alpen und drittens von seinen verschiedenen materiellen Zuständen und den Wandlungsprozessen, die es in der Folgezeit charakterisieren sollten. Gleichzeitig dokumentierte der Brief auch die beiden Reisen, welche die Landgrafen von Hessen-Darmstadt zwischen 1619 und 1624 nach Italien und Rom unternommen hatten, und zeichnete die Geographie ihrer politischen Bündnisse auf.3 Die Besonderheit dieses Briefes beruht auch auf dem Kontext, in dem er aufbewahrt und genutzt wurde. Im Gegensatz zu vielen anderen Briefen Nidermeyrs finden sich keine Spuren des Dossiers über das Chamäleon im Archiv der Korrespondenz Fabers, obgleich der Brief tatsächlich die Alpen auf dem Weg von Darmstadt nach Rom überquert hatte, wo er in den gelehrten Kreisen der Stadt in Umlauf war.4 Zudem wurde er kurz nach seiner Ankunft in der Stadt der Päpste vollständig in die Animalia Mexicana aufgenommen, die Naturgeschichte der Neuen Welt, die Faber 1628 in Rom veröffentlichte, als eine Art umfangreicher Vorabdruck aus dem Tesoro Messicano, einem naturgeschichtlichen Werk, an dem die Accademia dei Lincei seit fast 20 Jahren arbeitete (Abb. 1).5 Wie in medizinisch-naturgeschichtlichen Kreisen üblich, pflegte auch Faber gedruckte Seiten ebenso wie Schriften aus seinem Besitz zu zerlegen, zu zerschneiden und wiederzuverwenden, um so den narrativen Kontext dieser Fragmente neu zu bestimmen und neues Wissen hervorzubringen. Wie der Fall des Chamäleon-Briefs erahnen lässt, entstand auch das komplexe intellektuelle Gefüge der Animalia Mexicana durch derartige Maßnahmen und Eingriffe, die sich wenig von jenen unterschieden, mit denen Conrad Gesner im 16. Jahrhundert die Manuskripte seines Thesaurus gestaltete.6 Diese Praktiken 3

4 5

6 244

Bezüglich der beiden komplementären Herangehensweisen an die Geschichte der Objekte, die in ihren kontinuierlichen Wandlungsprozessen und bezüglich ihrer räumlichen Mobilität erfasst werden, vgl. Daston, 2000; und Hahn, 2013. Zum Chamäleon in Rom s. Gabrieli, 1996, S. 1038, 1140. Zur Korrespondenz Fabers im Allgemeinen vgl. Anm. 1 und im Folgenden. Faber, 1628, S. 722-724. In Bezug auf den Tesoro Messicano und sein naturwissenschaftliches Laboratorium im Verhältnis zur Rolle Roms als Mittelpunkt der katholischen Welt sei verwiesen auf Brevaglieri, 2018. Zu den naturwissenschaftlichen Praktiken Gesners vgl. Delisle, 2013.

Ein Chamäleon zwischen Rom und Darmstadt

waren von großer epistemischer Kraft und erhielten durch die Materialität neues und konkretes Handlungspotenzial.7 Abb. 1: Johannes Faber, Animalia Mexicana, Rom 1628, Titelblatt. Biblioteca dell̓Academia Corsiniana, Rom.

Der Chamäleon-Brief und die von dem Tier zurückgelegten Wege stellen folglich ein geeignetes Beispiel dar, um die Produktionsprozesse von naturhistorischem Wissen zu untersuchen, das sich während des Dreißigjährigen Kriegs inmitten von starken politischen Spannungen und Konfessionsstreitigkeiten über die Alpen hinweg ausbreitete. Hessen-Darmstadt war ein dynamisches politisches Gebilde im Gefüge des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation und ein gutes Beispiel für die Komplexität von Territorien, deren Gleichgewicht im Zusammenwirken von dynastischen Faktoren, konfessionellen Entscheidungen und den Beziehungen zu den Kurfürsten, dem Kaiser und den anderen europäischen Mächten immer 7

Zu dieser Art von Praktiken in naturwissenschaftlichen Kreisen vgl. Krämer, 2014. 245

Sabina Brevaglieri

wieder neu definiert wurde.8 Landgraf Ludwig V. bewegte sich im Laufe des zweiten Jahrzehnts des 17. Jahrhunderts nach und nach von seiner auf die Bewahrung des lutherischen Status quo zielenden Politik hin zu einer kaiserfreundlichen Politik, was sich in einer offenen politischen Annäherung an die ›Papisten-Front‹ zeigte, die er mit dem Kurfürsten August von Sachsen gemein hatte.9 Diese Neuausrichtung folgte auf den Konflikt mit Moritz von Hessen-Kassel, der zum reformierten Glauben übergetreten war und sich politisch Frankreich, den Niederlanden und der Protestantischen Union annäherte. Die Hinwendung zum Kaiser gab Ludwig die Möglichkeit, seinem Herrschaftsgebiet eine größere Sichtbarkeit auf europäischer Ebene zu verleihen, ohne, zumindest in jenem Moment, gleichzeitig seinen lutherischen Glauben in Frage zu stellen.10 Der Hof in Darmstadt erscheint so als komplexes konfessionelles Laboratorium, in dem Konkurrenz, Verhandlung und Koexistenz zusammenwirkten.11 Die Reisen der Landgrafen nach Rom trugen ein Übriges dazu bei, dass die konfessionellen Grenzen fließend und durchlässig wurden und sich im Wechselspiel von Präsenz und Distanz, über starre Kontrapositionen hinaus, dynamisch neu ausrichteten. Hessen gehörte folglich zusammen mit Sachsen zu den jenen Gebieten des Reiches, die von besonderem Interesse für das Papsttum waren. Während der Pontifikate von Paul V., Gregor XV. und Urban VIII. war es ein Ziel der päpstlichen Politik, die Territorien, die an das katholische Kurfürstentum Mainz grenzten oder sogar mit ihm verwoben waren, für den Katholizismus zurückzugewinnen.12 Dieser Aspekt spielte eine wichtige Rolle dabei, wie die neu eingerichtete Kongregation Propaganda Fide ihre Horizonte jenseits der Alpen definierte, und schlug sich deutlich in den Anweisungen nieder, welche die Kölner Nuntien im Laufe der ersten Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts erhiel8

Zur Entstehung der Landgrafschaft Hessen-Darmstadt im 16. Jh. vgl. Press, 1986; Römer, 2004; Friedeburg, 2005. 9 Zu Ludwigs politischer Positionierung vgl. Pons, 2009; zu den Beziehungen des Landgrafen zum sächsischen Kurfürsten Gotthard, 1993. Italien und Sachsen unterhielten jedenfalls intensive kulturelle Beziehungen, vgl. dazu Ebert-Schifferer /Birbaumer /Bernstorff, 2007. 10 Zum politischen Einsatz der Religion vgl. zuletzt Luebke u.a., 2012. 11 Zum fließenden, mobilen Charakter der Konfessionsangehörigkeit an den Höfen jenseits der Alpen vgl. Pietsch/Stollberg-Rilinger, 2013; Dixon/Freist/ Greengrass, 2009; Luebke, 2011. 12 Zu den Beziehungen zwischen Rom und dem Reich während des Dreißigjährigen Krieges vgl. Koller, 2012, S. 139-194; Fosi/Koller, 2013; darin insbes. Fosi, 2013. 246

Ein Chamäleon zwischen Rom und Darmstadt

ten.13 Auf der anderen Seite trugen eine Vielzahl unterschiedlicher Akteure und Ressourcen dazu bei, diese Dynamik zu nähren. Nidermeyr und Faber waren Vertreter einer medizinischen Elite von herausragendem intellektuellem und sozialem Format, das sich allerdings in ganz verschiedenen, weit voneinander entfernten höfischen Umgebungen auf unterschiedliche Weise entfaltete. Wie die jüngere Geschichtsschreibung hervorgehoben hat, brachte das komplexe Profil der Hofärzte eine Vielfalt von Funktionen und eine Verflechtung verschiedenster Tätigkeitsfelder hervor.14 Nidermeyr und Faber lernten sich im Zuge der landgräflichen Reisen nach Rom persönlich kennen und nahmen Beziehungen auf, die sich im Laufe der Zeit auf mannigfaltigen Ebenen weiterentwickeln sollten. Der Briefwechsel der beiden Hofärzte hebt ihre Rolle als Vermittler zwischen Norden und Süden und zwischen formeller Kommunikation und informellen Dynamiken hervor.15 Ihre Aktivitäten schienen imstande, auf unterschiedliche Weise und mit einer je nach spezifischer Situation und Positionierung veränderlichen Wirksamkeit, diskontinuierliche und zersplitterte Räume16 miteinander zu verbinden und gleichzeitig die Landgrafen von Hessen, ihr höfisches Umfeld sowie auf der anderen Seite die Sphäre der Kurie und des päpstlichen Hofes miteinzubeziehen. Dabei galt es, mit Präsenz und Distanz zu arbeiten und einer Bahn zu folgen, auf der Akteure, Briefe, Gegenstände und Tiere zirkulierten, deren gegenseitige Beziehungen in den Prozess einbezogen werden konnten. Nidermeyr und Faber teilten, der eine von Darmstadt, der andere von Rom aus, die Werte eines mitteleuropäischen Späthumanismus, der die politische und moralische Relevanz von Wissen hervorhob.17 Naturgeschichte zu betreiben er13 Zur Arbeit der Propaganda Fide im 17. Jh. vgl. Pizzorusso, 2013. Zum Stellenwert des deutschen Raums für die Kongregation vgl. den Beitrag von Guido Braun im vorliegenden Band. In der Instruktion für den Kölner Nuntius Pietro Francesco Montoro hieß es in Bezug auf den Landgrafen von Hessen-Darmstadt: »acciocché per mezzo delle diligenze sue la Chiesa Santa faccia un tale acquisto«. Jaitner, 1997, Bd. 2, S. 772f. (31. Juli 1621). Hinweise finden sich auch in der Instruktion für den Nuntius am Kaiserhof Carlo Carafa (12. April 1621), Ebd., S. 613. 14 Zu den Hofärzten allgemein vgl. Andretta /Nicoud, 2013; zu den päpstlichen Hofärzten Andretta, 2013. 15 Brevaglieri, 2015a. 16 Zu den Beziehungen und Wechselwirkungen zwischen Wissen und Räumen vgl. Brevaglieri/Romano, 2013. 17 Zur Kategorie Späthumanismus und ihren politischen Implikationen vgl. Bury/ Montcher, 2015; zur politischen Kultur der Ärzte Reinhardt, 2013. 247

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schien zwischen dem 16. und dem 17. Jahrhundert als komplexer epistemologischer Gestus, der auf dem Wert von Beobachtung, Erfahrung und direktem Zeugnis beruhte. In den naturgeschichtlichen Projekten verwoben sich vielfältige Praktiken und mannigfaltige Akteure, deren Beziehungen sich aus gemeinsamen Aktivitäten wie auch aus den engmaschigen Briefwechseln speisten.18 Die Naturgeschichte war im 16. und 17. Jahrhundert noch ein flexibler Raum zwischen verba und res, Rhetorik und Praktiken.19 In der Kommunikation zwischen Rom und Darmstadt wurden die naturgeschichtliche Beschreibung und die anatomische Untersuchung zu den beiden Seiten derselben Medaille.20 Vor diesem Hintergrund erschienen Schriften und Handlungen als eng miteinander verknüpfte Dimensionen, und die Naturgeschichte zeichnete sich angesichts dieser Verflechtung als Ressource für die Vermittlung über die Alpen hinweg ab.

2. Transalpin agierende Hofärzte An den beiden Enden des Weges des Chamäleons begannen die deutschen Ärzte Nidermeyr und Faber über die Alpen hinweg einen Briefwechsel, der sich auf einer formellen und einer informellen Ebene abspielte. An den Höfen des Reichs wie dem in Darmstadt konnte das Amt des Arztes eine große Vielfalt von Aufgaben umfassen, die theoretisches und praktisches Geschick, die Zuverlässigkeit eines Hofbeamten, die Geschmeidigkeit eines Höflings und außergewöhnliche Diskretion und Effizienz verlangten.21 Nidermeyrs Rolle bei Hof scheint wesentlich durch die pädagogischen Aufgaben und die Beraterrolle, die dem Leibarzt anvertraut waren, geprägt gewesen zu sein. Gewöhnlich war sie mit der körperlichen Nähe zum Herrscher und seiner Familie verbunden und trug überdies dem ethischen Horizont Rechnung, den die Ärzte normalerweise für ihre medizinische Tätigkeit als geboten betrachteten.22 Die Neigung des Landgrafen 18 Zu den naturwissenschaftlichen Laboratorien vgl. Andretta /Brevaglieri, 2013; zum Korrespondenznetz der medizinisch-maturwissenschaftlichen Res publica Egmond, 2007; Delisle, 2008. 19 Zur Rolle der Rhetorik in der Medizin im Allgemeinen vgl. Pender /Struever, 2012; Carlino, 2013. 20 Vgl. Guerrini, 2015. 21 Vgl. Moran, 1990. 22 Zur Erziehung der Prinzen von Hessen-Darmstadt vgl. Hammerstein, 1983; allgemein Crisciani, 2006; Ferrari, 2008. 248

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Ludwig, zu reisen und »seine Söhne, die Prinzen, in ferne Länder zu schicken«, eröffnete in diesem Sinne ein besonderes Tätigkeitsfeld für Nidermeyr.23 Für Ludwig waren die Reisen nämlich von grundlegender Bedeutung. Er bereitete sie sehr sorgfältig vor und erarbeitete überdies Anweisungen für die Männer, die sich fern vom Hof um seine Kinder kümmern sollten; oft waren sie für den Arzt bestimmt. Es handelte sich um Betrachtungen zur Erziehung, denen großer intellektueller Wert zugesprochen wurde; in Darmstadt waren sie eine anerkannte Wissenssammlung, die im höfischen Archiv aufbewahrt wurde, damit sie zur eigenen weiteren Verwendung und auch späteren Generationen zur Verfügung stand.24 Dem Arzt kam in diesem Zusammenhang eine delikate Rolle zu, denn seine Figur wurde mit einer Mobilität verknüpft, die traditionell als wesentliches Moment der Perfektionierung im beruflichen Werdegang eines Mediziners angesehen wurde.25 Aus der peregrinatio im Gefolge der hessischen Herrscher schöpfte Nidermeyr folglich Autorität und die Anerkennung seiner Fähigkeiten als Arzt; überdies stand sie für seine herausragende Stellung. Die Teilnahme des Hofarztes an der Bildungsreise oder allgemein an den Reisen der deutschen Adeligen und Fürsten war freilich keine Selbstverständlichkeit an den Höfen nördlich der Alpen. Häufiger traten, nicht zuletzt aus Kostengründen, an die Stelle des Arztes Barbiere oder andere Praktiker oder sogar schriftliche Anweisungen für das Gefolge, die für Notfälle gedacht waren, während die benötigten medizinischen Experten jeweils vor Ort gesucht werden sollten.26 Bei Persönlichkeiten von höherem politischen oder sozialen Rang schien die Anwesenheit des Hofarztes jedoch eher erforderlich. Maximilian von Bayern reiste zum Beispiel 1593 in Begleitung seines Arztes und Beraters Thomas Mermann, der eine herausragende Position am Hof in München innehatte, nach Rom.27 Auch der Fürstbischof von Bamberg Johann Gottfried von Aschhausen, der vom Kaiser als Sonderbotschafter zu Paul V. geschickt wurde, erschien in der Papststadt in Begleitung seines Arztes Strömayer, der auch bei seinen Ausflügen 23 BANL, Fondo Faber, vol. 417, fol. 292r-293v, Darmstadt, 8. Dezember 1621; fol. 291r-v, Darmstadt, 19. April 1621; und fol. 298r-299v, Darmstadt, 13. Juni 1621: »Sua Altezza si risolvette fra poche settimane il Principe figliolo maggiore suo mandare alla corte di Bruxelles (ma ogni cosa S. Altezza tiene anchora in secreto, sin che sia partito).« 24 Vgl. Hammerstein, 1983. 25 Zur Rolle der peregrinatio academica in medizinischen Kreisen vgl. Grell/ Cunningham/Arrizabalaga, 2010. 26 Dazu Bender, 2011, S. 114-116; sowie Leibetseder, 2013. 27 Vgl. Schmid, 2010, S. 57. 249

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in die Stadt, sei es zu offiziellen Anlässen oder gesellschaftlichen Ereignissen, an seiner Seite war.28 Ähnlich verhielt es sich mit den diplomatischen Missionen, die südlich der Alpen organisiert wurden. Francesco Barberini etwa reiste als päpstlicher Sonderbotschafter nach Madrid, um die Beilegung des Veltliner Konflikts zu verhandeln, und nahm nicht nur seinen Arzt Taddeo Collicola, sondern auch einen Apotheker mit.29 Es dürfte kein Zufall sein, dass der päpstliche Leibarzt Giulio Mancini zwar nicht direkt an derartigen Unternehmungen teilnahm, jedoch »Anleitungen und Regeln für das Reisen« verfasste, die als Manuskript am päpstlichen Hof weite Verbreitung fanden.30 Der deutsche Arzt Nidermeyr reiste lange im Gefolge von Landgraf Ludwig durch das Reich, Frankreich und Spanien, bis nach Malta, dann auch nach Italien und vor allem nach Rom.31 Auch seinen Sohn Georg, den »jungen Landgrafen«, begleitete Niedermeyer auf seiner peregrinatio durch Europa, die als wesentlicher Teil der Bildung des Prinzen betrachtet wurde, und sich in mehreren Etappen von unterschiedlicher Dauer abspielte. Während der Bildungsreisen ins spanische Flandern und an den Hof des Erzherzogspaars in Brüssel in den Jahren 1621 und 1622 besuchte Georg Militärakademien und studierte Sprachen, Italienisch, Französisch und Spanisch.32 Nidermeyr begleitete ihn bei seinen wiederholten Versuchen, den päpstlichen Nuntius zu treffen, »um sich bekannt zu machen, damit er, wenn sich die Gelegenheit bietet, nach Rom zu reisen, seiner Heiligkeit empfohlen werde«.33 Im Falle von Beziehungen, in denen konfessionelle Unterschiede eine Rolle spielten, war die Rolle des Leibarztes von größerer Komplexität. Es ging in diesen Situationen nicht darum, seine Schützlinge vor der Außenwelt zu bewahren, wie es seiner Rolle zukam. Vielmehr übernahm Nidermeyr unter solchen Umständen eher die Aufgabe, dem Prinzen über konfessionelle Hindernisse hinwegzuhelfen.34 28 Zu Aschhausens Mission in Rom vgl. Häutle, 1881. 29 Gabrieli, 1996, S. 1089, Faber an Cesi, Rom, 20. Januar 1626. Zu Collicola vgl. Völkel, 1992. 30 BAV, Barb. lat. 4315. Zu dieser Schrift und den von Mancini verfassten Manuskripten vgl. De Renzi, 2011. 31 Faber, 1628, S. 724. 32 Diehl, 1914, S. 8. 33 Zur Reise nach Brüssel s. BANL, Fondo Faber, vol. 417, fol. 298r-299v, Nidermeyr an Faber, Darmstadt, 13. Juni 1621 und Ebd., fol. 287r-288v. 34 Zur ambivalenten Bedeutung der Reise über konfessionelle Hindernisse hinweg und zur Rolle der Präzeptoren vgl. Fosi, 2011, S. 149. 250

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Franz Nidermeyr, Leibmedicus an einem evangelischen Hof, stammte aus München und war katholisch. Ihm kam folglich eine wesentliche Aufgabe dabei zu, günstige Bedingungen für den Besuch der Landgrafen an katholischen Höfen zu schaffen, insbesondere am päpstlichen Hof. Seine Anwesenheit im Gefolge der Fürsten von Hessen-Darmstadt dürfte während der Besuche von 1619 und 1624 als vermittelnder Faktor wahrgenommen worden sein. Die konfessionellen Unterschiede waren auf der anderen Seite auch während des Alltags bei Hofe und der Arbeit im Dienste der Landgrafen in einem lutherischen Umfeld von Bedeutung. Die Unterschiede wurden in diesem Kontext nicht verborgen. Im Gegenteil, die Unterscheidungsmerkmale wurden im öffentlichen Raum des Hofes, in dem Männer und Frauen unterschiedlicher Konfessionen zusammenlebten, bewusst hervorgehoben. Die offene Ausübung des Glaubens war auf der anderen Seite nicht selbstverständlich in einer Umgebung, in der materielle Zeichen und Evidenzen dazu beitrugen, die Zugehörigkeiten noch weiter zu polarisieren. So geschah es zum Beispiel, dass sich Nidermeyr bei der Ankunft der Agnus Dei-Medaillons bei Hofe beschwerte, dass »sie mit wenig Hochachtung behandelt« und dann von Hand zu Hand gereicht würden, »nachdem man sich erst gar über die heiligen Dinge lustig gemacht hat, wie es hier üblich ist«.35 Nidermeyr bekundete auf vielerlei Arten, dass er nicht auf seine Identität und eine konfessionelle Abgrenzung zu verzichten gedachte. Im Falle der geweihten Medaillons, die einer Reihe von katholischen Würdenträgern im Gefolge Ludwigs überreicht wurden, lag die Absicht zugrunde, den öffentlichen Raum des Hofes zu besetzen und gleichzeitig sicherzustellen, dass, »da wir sie nun haben, wir dafür sorgen, dass sie […] zu Ehren ihrer Heiligkeit öffentlich am Hals getragen werden«.36 Auch in Darmstadt ging es darum, sich in unterschiedlichen Welten zu bewegen. Es ist kein Zufall, dass Nidermeyr nicht ständig am Hof wohnte, insbesondere dann nicht, wenn der Landgraf abwesend war.37 Der Arzt scheint seinen Beruf eher reisend ausgeübt zu haben und war längere Zeit in katholischen Ge35 BANL, Fondo Faber, vol. 417, fol. 313r-v, Nidermeyr an Faber, Darmstadt, 19. April 1620. 36 BANL, Fondo Faber, vol. 417, fol. 292r-293v, Nidermeyr an Faber, Darmstadt, 8. Dezember 1621. Zu diesem Thema auch fol. 328r-v, Nidermeyr an Faber, Darmstadt, 11. Juli 1620. 37 BANL, Fondo Faber, vol. 417, fol. 294r-295v, Darmstadt 9. März 1621; fol. 596r-v, Cranstein, 5. November 1625: »tengho licenza da sua Altezza per restarmi questa invernata in Aschaffenburg con la consorte mia, finché sua Altezza ritorni in queste terre, o che sia chiamato a posta«. 251

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bieten ansässig, im nicht weit entfernten Aschaffenburg, dem Sommersitz des Mainzer Kurfürsten. Als Nidermeyr eine katholische Witwe heiratete, dürften die konfessionellen Unterschiede noch mehr zu Tage getreten sein, da seine Ehefrau »zutiefst gläubig ist und an keinen anderen Ort als einen katholischen gehen will«.38 Die physische Distanz zu den Landgrafen stellte eine ungewöhnliche Situation für einen Berufsstand dar, der gewöhnlich seine Autorität und Anerkennung aus der körperlichen Nähe zum Herrscher bezog. Die Reisen Nidermeyrs zwischen Darmstadt und dem Erzstift Mainz umschrieben wiederum einen höchst sensiblen politischen Raum, in dem der Leibarzt seine Rolle neu definieren konnte. Auf diese Weise kompensierte er die Distanz zum lutherischen Hof mit einer besonderen Fähigkeit, in die katholische Welt einzudringen, und nutzte seine Aufenthalte in Aschaffenburg, um Kontakte zu pflegen, zum Beispiel zum einflussreichen Jesuiten Ziegler, dem Beichtvater des Mainzer Kurfürsten.39 Überdies wurde das fragmentarische und diskontinuierliche Gefüge von Nidermeyrs Handlungsräumen durch seine Briefe verknüpft. Dem Arzt kam nämlich eine Schlüsselrolle bei der politischen Information und der Kommunikation bei Hofe zu. In diesen Kreisen verband sich seine Stimme regelmäßig in schriftlicher Form mit der Stimme Ludwigs, und die Korrespondenz aus Darmstadt zeigte ein hohes Maß an Intertextualität, vor allem, was die Beziehungen zu Rom anging.40 »Nichts wurde von ihrer Hoheit gesandt […], wo ich nicht meinen Teil geschrieben habe«, schrieb Nidermeyr und bewies wache Aufmerksamkeit sowie eine Verlässlichkeit, die der Landgraf offen anerkannte und zu schätzen wusste.41 Es ging um Berichte über die Ereignisse im Reich 38 BANL, Fondo Faber, vol. 415, fol. 610r-611v, Jenack, 7. Februar 1625; fol. 599rv, Aschaffenburg, 1. Juli, 21. Juni 1625. Die Hochzeit in Aschaffenbug mit Anna Maria Weitz, geb. Engelhard und Witwe des Juristen Nikolaus Weitz, wird zum 7. April 1625 aufgeführt in Friederichs, 1962, S. 105 u. 107f. Ich danke Dr. HansBernd Spies, dem Direktor des Archivs, für den Hinweis. 39 BANL, Fondo Faber, vol. 417, fol. 285r-286v, auf der Rückreise von Rom, ohne Datum: »il S.r Elett.re di Magonza hora si ritruova a Norinberga, […] ritornandolo in Aschaffenburg non mancherò di ritrovarmi col Padre Ziglero, a renderli le cose confidate«. 40 Zum Beispiel BANL, Fondo Faber, vol. 417, fol. 294r-295v, Nidermeyr an Faber, Darmstadt, 9. März 1621; über Ärzte als politische Berater Crisciani, 2005; für die Folgezeit Soll, 2002. 41 BANL, Fondo Faber, vol. 417; fol. 338r-339v, Nidermeyr an Faber, Darmstadt, 6. Februar 1620; HStAD, Großherzoglich-hessisches Hausarchiv, D 4, 107/7, fol. 35r, Faber an Ludwig, Rom, 24. Juli 1621. 252

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und das vom Krieg verwüstete hessische Gebiet, aber auch um Informationen zu informellen politischen Begegnungen in Jagdschlössern. An diesen Orten, die Nidermeyr aufsuchte, wenn er nicht bei Hofe weilte, trafen sich der Kurfürst von Mainz, durchreisende Herrscher und gelegentlich sogar der Kaiser.42 Zu den kommunikativen Aufgaben, mit denen Nidermeyr betraut war, gehörten außerdem Berichte über weitere Reisen der Landgrafen; über die Vorbereitungen der Hochzeit des jungen Landgrafen Georg mit der Tochter des Kurfürsten von Sachsen und seine Aufenthalte in Dresden; über den erneuten Konfessionswechsel der Marburger Universität, die zu Beginn des 17. Jahrhunderts calvinistisch und dann wieder lutherisch wurde. Dieser Briefwechsel war charakterisiert durch erzählerische Fallschilderungen in einem für Krankenberichte typischen nüchternen Stil.43 Auf dieser Ebene war es dem Arzt Nidermeyr durch eine sorgfältige Nutzung seiner rhetorischen Fähigkeiten möglich, gleichzeitig die Register der diplomatischen Kommunikation zu bedienen und sein naturgeschichtliches Interesse, das etwa den Bericht über das Chamäleon kennzeichnete, zum Ausdruck zu bringen.44 Faber lobte Nidermeyrs herausragende Gelehrtheit und medizinische Tätigkeit als Bestätigung der umfassenden humanistischen Kultur, die ihnen über die Alpen hinweg gemein war.45 Gleichzeitig erkannte er Nidermeyr spezifische Fähigkeiten bei der Betreuung der fürstlichen Seele und eine besondere Rolle bei der Anbahnung des erwünschten Konfessionswechsels zu. »Für die katholische Religion kann [Nidermeyr] sehr viel tun. Wollte Gott, dass es ihm gelinge, wie schon dem Arzt und großen Theologen Johannes Pistorius, der zur Zeit Sixtus’ V. seinen Herrn, den Markgrafen von Baden, bekehrte«.46 42 In der Korrespondenz wird eine Vielzahl von Jagdschlössern erwähnt, vgl. dazu Cramer, 2004. 43 Zu chronikalischen Tendenzen der medizinischen Korrespondenz bei Hof vgl. Crisciani, 2006. 44 Vgl. Bellabarba /Niederkorn, 2010; zu den Instrumenten der Kommunikation zwischen den Höfen Bauer, 2010; Ders., 2011. 45 Faber, 1628, S. 722. 46 Er bezieht sich auf den bekannten Fall des Arztes von Markgraf Jakob III. von Baden-Hachberg, dem ersten Territorialfürsten, der 1590 zum katholischen Glauben übertrat. Zu dem berühmten Arzt und Theologen Johannes Pistorius, der selbst konvertiert war, und der Konversion Jakobs von Baden-Hachberg vgl. Schnell, 1869 (mit Abdruck von Minuccio Minuccis Relatione fatta sopra la conversione del Serenissimo Signore Marchese Jacomo di Bada, die von Ottavio Paravicini fälschlicherweise Innocenzo Malvasia zugeschrieben wurde); und Maere, 1900 (mit einem Brief Minuccis an Innocenzo Malvasia vom 1. August 1590). 253

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Der aus Bamberg stammende Johannes Faber wurde in eine protestantische Familie geboren, aber katholisch erzogen, was in den Gebieten nördlich der Alpen, in denen interkonfessionelle Erfahrungen und Praktiken, wie etwa Mischehen, verbreitet waren, durchaus vorkam.47 Solche Phänomene waren nicht ungewöhnlich in den Städten des Reichs, in denen die konfessionellen Unterschiede letztendlich eher ein komplexes soziales Gefüge und vielfältige Interaktionen als offene Konflikte hervorgebracht hatten.48 Nachdem Faber sein Medizinstudium bei dem berühmten Adriaan van Roomen in Würzburg absolviert hatte, ging er Ende des 16. Jahrhunderts nach Rom, angezogen von den vielfältigen Möglichkeiten, die die dynamische medizinische Szene der Papststadt bot. In seinem Fall führte die Reise nur in eine Richtung und ging mit einem fast völligen Verzicht auf Mobilität einher, die er hingegen bei seinem Kollegen aus Darmstadt lobte. Trotz des weit verzweigten Beziehungsnetzes, das Faber bis zu seinem Tod zur deutschen Welt unterhielt, sollte der Arzt nie mehr in seine Heimat zurückkehren. Er fasste schnell und erfolgreich in den Kreisen des päpstlichen Hofes Fuß, was vielleicht auch der Vermittlung seines Lehrers und seinen guten Kontakten zu den Jesuiten des Collegium Romanum zu verdanken war. Auch zum berühmten Mathematiker Christophorus Clavius unterhielt Faber gute Beziehungen; sein schon zu jener Zeit ausgedehntes Beziehungsnetz spielte eine wesentliche Rolle bei der posthumen Publikation der Opera Omnia des Mainzer Jesuiten.49 In Rom entwickelte sich Faber in kurzer Zeit zu einem wichtigen Knotenpunkt für eine aus den Gebieten jenseits der Alpen stammende Gemeinschaft, zu der viele Gelehrte und Sekretäre gehörten. Ein Gelehrter von Rang wie Marcus Welser, sein Briefpartner in Augsburg, charakterisierte sie als eine römische Gemeinschaft, die, geprägt durch die Werte von Freundschaft und Gastfreundlichkeit, gelehrte Gespräche und den Austausch von Büchern und Briefen pflegte.50 Es handelte sich, laut Weber, um einen Kreis, der »nach und nach […] zahlreiche Anhänger haben wird«, und nach einem Mittelweg su-

47 Zu Mischehen und interkonfessionellen Praktiken vgl. jetzt Freist, 2017. 48 Vgl. Ninness, 2011. 49 Zur Vermittlerrolle Adrian von Roomens s. Bockstaele, 1976, Nr. 22, S. 254-256. Vgl. zu dieser Angelegenheit Brevaglieri, 2009a. Zu den Beziehungen zu Clavius Banl, Fondo Faber, vol. 419, fol. 54r-55r, 56r, W. F. Welser an Faber, Augsburg, 9. Februar 1607: »Il sig. Scioppio mi attesta che V.S. è molto confidente del S. Clavio, onde la prego di bacciargli la mano a mio nome« (fol. 56r). 50 Zur Vermittlerrolle Welsers Ferber, 2008. 254

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che, der auf der Macht des Wissens beruhe.51 Diese Männer schienen Rom »zu ihrer Heimat [erwählt zu haben], ohne vielleicht daran zu denken, in jene, in der sie geboren wurden, zurückzukehren. Und man kann es ihnen nicht verdenken, heißt es doch, dass Rom unser aller Heimat sei.«52 Allgemein kann man sagen, dass die deutschen ›Freunde‹ auf beiden Seiten der Alpen einen ›dritten Weg‹ zwischen Jesuiten und ›Häretikern‹ zeichneten, Männer, die der Vermittlung zugeneigt waren, welche allerdings auf sehr unterschiedliche Weise aufgefasst und in die Tat umgesetzt wurde.53 Im komplexen Raum des römischen Hofes traf Fabers deutsches Feingefühl auf Anerkennung und Interesse, wenn auch in einer komplexen Mischung aus Bewunderung und Skepsis. Es erlaubte ihm, sich geschickt zwischen der unnachgiebigen institutionellen Verurteilung der Häresie durch das Papsttum und der Mannigfaltigkeit an Praktiken einer kosmopolitischen und polyzentrischen Umgebung, wie Rom es war, zu bewegen. In dieser Umgebung wurde Fabers Handeln auf die Probe gestellt, angefangen bei seiner beachtlichen Fähigkeit, ins Innere der Stadt vorzudringen. Seit Beginn des 17. Jahrhunderts arbeitete Faber im päpstlichen Krankenhaus Santo Spirito in Sassia, einem Ort, an dem die Medizin gelehrt und ausgeübt wurde, der aber auch ein Raum für Informationsaustausch war, an dem Körper und Seele behandelt wurden. Er kam dort in Kontakt mit den vielen Fremden, die sich in der Stadt aufhielten.54 Gleichzeitig entwickelten sich die Interessen und Fähigkeiten des deutschen Arztes, ohne dass ihm enge Grenzen gesetzt wurden, in einem institutionellen und intellektuellen Werdegang, der entschieden im Zeichen der Naturgeschichte stand. Schon seit Beginn des 17. Jahrhunderts hatte Faber einen Lehrstuhl für materia medica an der Universität Sapienza inne. Er war Nachfolger von Andrea Bacci, bei dem er seine naturhistorischen Kenntnisse zu Beginn seines Aufenthalts in Rom vertieft hatte. Später wurde der deutsche Arzt von Clemens VIII. zum päpstlichen Semplicista bzw. Kurator der Vatikanischen Gärten ernannt, das heißt, er betreute die Gärten und naturhistorischen Sammlungen des Vatikans, wie vor ihm der päpstliche Leibarzt Michele Mercati.55 Im Gegensatz zu Mercati gelang es Faber jedoch nie, in die medizinischen Dienste des Hofes zu treten oder in die Leitung 51 Zu diesen Zitaten aus Fabers Korrespondenz vgl. Fosi, 2011, S. 107-129; Ferber, 2008, S. 247-303. 52 Banl, Fondo Faber, vol. 419, fol. 43r. 53 Vgl. Fosi, 2011. 54 Zum Krankenhaus als Ort der Kontrolle und der Vermittlung vgl. Fosi, 2015. 55 Zu Mercati und den vatikanischen Sammlungen vgl. Andretta, 2013, S. 166; und Dies., 2017. 255

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der naturgeschichtlichen Sammlungen des Papstes einbezogen zu werden, nicht einmal in jenen Jahren, in denen er intensive Beziehungen zu Kardinal Eitel Friedrich von Hohenzollern pflegte, dem Comprotector Germaniae und Mitglied der Kongregation Propaganda Fide.56 Sein Amt als Kanzler der Accademia dei Lincei (»Akademie der Luchsartigen«), das er 1611 antrat und lebenslang ausübte, scheint von zentraler Bedeutung für seine Handlungsfähigkeit gewesen zu sein, die aus seinem naturgeschichtlichen Wissen schöpfte und zum größten Teil informell blieb. Sie baute auf der Multidimensionalität eines Akteurs wie Faber auf, besonders auf seiner Fähigkeit, diese zahlreichen Dimensionen zu vereinen, zu modulieren und immer wieder neu miteinander zu verbinden, ohne dass eine von ihnen zum alleinigen Interpretationsschlüssel seiner Komplexität als »pluralem Akteur« werden konnte.57 Fabers informelles Potential fand eine wichtige Entsprechung in seiner Fähigkeit zur Weiterleitung über Netzwerke, die sich von Rom aus weit über den Horizont der medizinisch-naturgeschichtlichen Res publica hinaus erstreckten. Sein umfangreicher Briefwechsel mit der Welt jenseits der Alpen belegt, wie sich die zahlreichen Unternehmungen des deutschen Arztes in Rom ständig überkreuzten, und machte Faber zu einer Schlüsselfigur, um Zugang zum römischen Raum in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts zu erhalten.58 Dies war der Kontext für die Beziehungen des deutschen Arztes zu den Landgrafen und dem Hof von Hessen-Darmstadt, die er zusammen mit Nidermeyr in Rom persönlich kennenlernte. Mit Nidermeyr stand er ein Jahrzehnt lang, bis zu seinem Tod, in brieflichem Austausch. Das ist der Rahmen für die Geschichte des Chamäleons.

56 Zu Fabers Versuch, den Lehrstuhl für Praktische Medizin zu erhalten, s. Gabrieli, 1996, S. 838. Zu Hohenzollern vgl. Eisele, 1970; Feldkamp, 1996; zu seiner Rolle als Comprotector Faber, 2005, S. 229-235. 57 Zum soziologischen Begriff des »pluralen Akteurs« sei verwiesen auf Lahire, 2011; Ders., 2012. Diese Überlegung verknüpft sich hier mit anderen Anschauungen, die sich insbesondere im Bereich der Mikrogeschichte und in Bezug auf sie entwickelt haben. 58 Über die schon erwähnten Arbeiten zu Fabers Korrespondenz hinaus vgl. Brevaglieri, 2008; und Dies., 2009b. 256

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3. Der Weg des Chamäleons Franz Nidermeyr und der Landgraf von Hessen-Darmstadt erreichten Rom im März 1619, zusammen mit den beiden Grafen Kasimir und Georg Friedrich von Erbach.59 Ludwig reiste schon seit einigen Monaten in ihrer Begleitung, ihr Ziel war das Heilige Land, allerdings scheint in politisch informierten Kreisen schon seit einiger Zeit über einen möglichen Aufenthalt in Rom spekuliert worden zu sein.60 Nachdem der Landgraf Malta besucht hatte, wo er Gast von Olaf de Vignacourt war, dem Großmeister des Johanniterordens, änderte er seine anfänglichen Pläne. Er gab die Idee auf, über das Mittelmeer weiterzureisen, und wandte sich direkt der Papststadt zu, wo er »mit Erlaubnis Seiner Heiligkeit« eintraf, so wie es später auch sein Sohn Georg tun sollte.61 Da der Landgraf nicht inkognito reiste, war sein Besuch mit einer gewissen öffentlichen Sichtbarkeit und einer Reihe von zeremoniellen Verpflichtungen verbunden und erforderte verschiedene Sprachen der politischen Kommunikation, die es nun im Wechsel von Präsenz und Distanz durchzuspielen galt.62 Vor diesem Hintergrund trat das afrikanische Chamäleon in Erscheinung.63 Das kleine Tier mit dem aufgerollten Schwanz, das mit Ludwig durch die Porta del Popolo einzog, stammte aus Malta.64 Der Großmeister des Johanniterordens hatte es dem Landgrafen zusammen mit einer Gazelle als Geschenk überreicht, oder besser gesagt, als Gegengeschenk.65 Mit ihm revanchierte sich Olaf de Vignacourt für die imposante Kanone, die als »der Elephant« bekannt war und mit

59 Zur Reiseroute und zum Aufenthalt in Rom vgl. Baur, 1844/45. 60 Schon 1607 berichtete z.B. Caspar Schoppe vom Vorhaben der Landgrafen, nach Rom zu reisen: Schoppe, 2004, S. 386f. 61 Baur, 1844/45. 62 Zu den Gründen, aus denen die deutschen Fürsten inkognito reisten, vgl. Bender, 2011, S. 87-92. Zur Reise des Herzogs von Sachsen vgl. Marx, 2005, insb. S. 376. Die Literatur zum Zeremoniell als politische Sprache in Rom ist in den letzten Jahren stark angewachsen. Vgl. dazu z.B. Visceglia, 2002, S. 119-190. 63 Über die räumlichen Wege als Dimension, die auch bei der Produktion naturwissenschaftlicher Kenntnissen eine wesentliche Rolle spielte, Terrall, 2014. 64 Faber, 1628, S. 722. 65 Zum diplomatischen Geschenk in Italien vgl. Bernstorff/Kubersky-Piredda, 2013; und allgemeiner Häberlein/Jeggle, 2013. 257

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dem am Geschützrohr angebrachten Wappen des Hauses Hessen von Gießen über Amsterdam nach Malta geschickt worden war.66 In der Papststadt erregte Ludwigs Chamäleon Aufmerksamkeit, so wie es stets an einem Hof geschah, dessen zeremonieller Raum und Zeitablauf nicht selten von aufsehenerregenden seltenen Tieren geprägt wurde. In den Avvisi und Diarien aus Rom kann man leicht Spuren dieser Tatsache finden, wie zum Beispiel, als eine riesiges »Seekalb« aus dem Hafen von Neapel in einem etwa drei Meter großen Holzkäfig dem Publikum vorgeführt wurde.67 In den Informationsmedien wurde auch von einem Elefanten im Besitz »eines Privatmannes berichtet, der von jedem, der ihn sehen wollte, einen Giulio verlangte«.68 Es ging die Nachricht vom Papagei eines Händlers, der auf Flämisch sang,69 oder von einem Wal, der in S. Severa an Land gespült worden war und dessen Skelett dann nach Rom gebracht und im Portikus des Krankenhauses S. Spirito in Sassia aufgehängt wurde.70 Im 16. und 17. Jahrhundert gab es an den europäischen Höfen die Gepflogenheit, lebende Tiere aus exotischen Ländern zu verschenken,71 und die Avvisi von Rom hatten auch hinsichtlich der diplomatischen Funktion dieser Tiere einiges zu berichten. So war, in einem Atemzug mit der Ankunft von Herrschern, Fürsten und Botschaftern hoch zu Ross, die Rede von Windhunden, die paarweise einem Kardinal zum Geschenk gemacht wurden, oder edlen Pferden, die man herbeischaffte, weil der Papst gedachte, sie dem polnischen Herrscher zu schenken.72 Auch die Meldung vom Eintreffen eines »korsischen Schiffes mit vielerlei kleinen und großen Papageien und anderen außergewöhnlichen Tieren« im Hafen von Ripetta durfte nicht fehlen; der Kollektor von Portugal hatte sie gesammelt, um »sie an diesem Hofe zu präsentieren«.73 66 Vgl. Roedel, 1980. 67 Faber, 1628, S. 825. Bestätigt werden diese Episode und die Beobachtungspraktiken in Gabrieli, 1996, S. 1099. Bei dem Tier dürfte es sich um eine Robbe gehandelt haben. 68 Gigli, 1994, Bd. 1, S. 191f., Mai 1630; vgl. Bedini, 2006. 69 Faber, 1628, S. 715; zur Anwesenheit von Tieren in den römischen Häusern vgl. Ago, 2006. 70 Briccio, 1624. 71 Zu exotischen Tieren an den europäischen Höfen vgl. Pérez de Tudela /Jordan Geschwend, 2007; zu exotischen Tieren in Rom Bedini, 2006. 72 BAV, Urb. lat. 1076, fol. 850v, Avviso da Roma, 22. November 1608; BAV, Urb. lat. 1095, fol. 2r-v, Avviso da Roma, Januar 1625; oder BAV, Urb. lat. 1076, fol. 802v, Rom, 8. November 1608. 73 Boncompagni Ludovisi, 1904, Nuovi documenti, S. 44. 258

Ein Chamäleon zwischen Rom und Darmstadt

Das Chamäleon rief in Rom wegen seiner Farbwechsel zwischen Weiß und Schwarz – niemals zwischen Grün und Rot – und der schnellen Bewegungen seiner Zunge, mit der es nach Fliegen schnappte, die ihm als Nahrung dienten, Bewunderung und Staunen hervor.74 Das in einer Art »Vogelkäfig«, wie man ihn im Atelier eines Malers oder den Gemächern einer Edelfrau finden konnte, untergebrachte Tier stand im Mittelpunkt eines engen Netzes von Untersuchungspraktiken und fungierte überdies als gesellschaftlicher Angelpunkt.75 Die naturhistorische Betrachtung war nämlich per definitionem eine kollektive Angelegenheit und konnte den Charakter eines höfischen Spektakels annehmen.76 Bei diesen Anlässen galt es eine Vielzahl an Vorkehrungen und Prozeduren zu beachten, damit der Erkenntnisgewinn durch Beobachtung möglich wurde und sich entfalten konnte. Gerade die Figur des kundigen Naturhistorikers kam in der alltäglichen Interaktion mit dem Chamäleon zur Entfaltung.77 Vor diesem Hintergrund begegneten sich die beiden Ärzte Nidermeyr und Faber in Rom zum ersten Mal. Sie tauschten Beobachtungen aus, führten Gespräche und sorgten gleichzeitig dafür, dass sich um die protestantischen Fürsten ein dichtes Beziehungsnetz bildete. Faber war persönlich in die komplexe Organisation des Empfangs der Landgrafen eingebunden und wirkte in Rom als außergewöhnlicher »Begleiter« Ludwigs und bevorzugter Zugang, um sich dem Papst anzunähern.78 Der Landgraf wurde »nämlich von Papst Paul sehr gehätschelt«, ebenso von seinem Neffen Scipione, dem Protector Germaniae, und war schon vor seinem Einzug mit Geschenken bedacht worden.79 Die Rolle des Katholiken Nidermeyr scheint sozusagen implizit in seiner Präsenz bei dem Landgrafen bestanden zu haben. Sein Potenzial wurde am päpstlichen Hofe gewiss nicht übersehen und, wie gezeigt, auch von Faber hervorgehoben. 74 Faber, 1628, S. 725. 75 Der Käfig des Chamäleons wird erwähnt in Faber, 1628, S. 723 und 725. Zu den Käfigen vgl. Ago, 2006, S. 164. 76 Zu den naturwissenschaftlichen Vorführungen Findlen, 1996, S. 213f.; zur Bedeutung der Zuschauer bei den anatomischen Vorführungen insbesondere Azzolini, 2004. 77 Terrall, 2011. 78 Faber, 1628, S. 725. 79 Zu Fabers Beitrag s. Gabrieli, 1996, S. 685, Cesi an Faber, 11. April 1619. Zur Rolle des Papstes Jaitner, 1997. Zu den Bedingungen und Praktiken des Aufenthalts in Rom vgl. Baur, 1844/45, S. 19-22; und allgemein Fosi, 2011. Zu Scipione Borghese als Kardinalprotektor vgl. Faber, 2005. 259

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Um das Chamäleon herum verwoben sich im Übrigen die naturgeschichtlichen Praktiken mit einer zeremoniellen Dimension, die mehr denn je als Sprache und Raum der Vermittlung fungierte, über welche die enge Beziehung von politischem Handeln und Konfessionszugehörigkeit Ausdruck fand.80 Während Ludwig die aufsehenerregende Geste, den Pantoffel des Papstes nicht zu küssen,81 in diesem Sinne einsetzte, wurde das Chamäleon auf seine Weise Teil eines komplexen Spiels von Zeichen und bot sich als perfektes Emblem des Landgrafen an. Das Handbuch der Embleme von Andrea Alciati, das viele Nachdrucke erfuhr und ab dem 16. Jahrhundert in den römischen Bibliotheken leicht zu finden war, führte das Chamäleon wegen seiner Fähigkeit, die Farbe zu wechseln und sich der jeweiligen Situation anzupassen, als Sinnbild der Schmeichelei auf.82 In Anlehnung an antike Quellen wie Plutarch war diese Symbolik auch nördlich der Alpen geläufig, wo in den Centuriae des Naturgelehrten Joachim Camerarius das Chamäleon Instabilität und Unbeständigkeit verkörperte.83 Ausgehend von Merkmalen wie Wandelbarkeit und Wechselhaftigkeit konnte es auf der anderen Seite aber auch als positives Zeichen gesehen werden. Am römischen Hof galt das Chamäleon nämlich auch als Emblem des perfekten Konklaveteilnehmers. Seine schnelle Anpassungsfähigkeit bot sich als eindringliche Metapher für die Geschicklichkeit an, welche die im Konklave versammelten Kardinäle besitzen mussten, um sich den Veränderungen von Umständen und Stimmungen anpassen zu können: »So wie dieses Tier die farblichen Eigenschaften aller Dinge, denen es sich nähert, annimmt, so möge er sich bei seinen Konversationen und Verhandlungen mit den Menschen der Natur aller anzu-

80 Zur Rolle der Objekte in der diplomatischen und zeremoniellen Dimension vgl. Häberlein/Jeggle, 2013; zur materiellen Dimension der Audienz Burschel/Vogel, 2014. 81 Baur, 1844/45, S. 22: »Ich habe dem Babst tiefe Reverentz gemacht, aber doch den Pantoffel nicht geküβt denn ich auch vorher sagen lassen, daβ ich solches nicht tun werde […] meiner Religion nach bin ich gottlob allenthalben bekannt gewesen.« 82 Insbesondere wurde ein Exemplar der Emblemata konsultiert, das der Bibliothek des Collegio Romano gehörte, 1624 in Lyon gedruckt wurde und sich heute in der Nationalbibliothek in Rom befindet: Alciati, 1624, n. LIII, In adulatores, S. 217219: »Et solum mores imitatur princips atros, Albi, et pudici nescius«. Bezüglich weiterer Beispiele für Emblemata Henkel/Schöne, 1967, Sp. 664-666. 83 Camerarius, 1595, S. 91f., Nr. XC »Nil solidi«. Zur emblematischen Dimension der Naturgeschichte im 16. und 17. Jh. vgl. Ashworth, 1996. 260

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nähern wissen.«84 In diesem Sinne bot sich das kleine Tier mit dem eingerollten Schwanz als perfektes Sinnbild für einen lutherischen, aber kaiserfreundlichen Fürsten an, der vom katholischen Arzt Nidermeyr nach Rom begleitet wurde.85 Aber welche Bedeutung auch immer man dem Chamäleon zusprechen wollte, als Ludwig Rom verließ, begleitete es ihn, geschützt von Fellen und Wollstoffen, um der Kälte im Norden zu trotzen. In Darmstadt angekommen, verbrachte das Chamäleon als lebendes Symbol der Reise Ludwigs nach Rom eine gewisse Zeit an einem lutherischen Hof, der dank Nidermeyr und Faber weiterhin aus der Ferne Beziehungen zur Papststadt unterhielt. Auch in Darmstadt wohnte das kleine Tier viel beachtet in seinem Vogelkäfig, und seine Wandelbarkeit brachte neue, überraschende Verhaltensweisen hervor. Gleichzeitig bewirkte die veränderte Umgebung die Wiederaufnahme der Beobachtungspraktiken und die Wiederherstellung des naturgeschichtlichen Kreises, der sich in Rom gebildet hatte und nun auch auf die Erfahrung dieser Reise über die Alpen und einen reichen Bestand an Briefen zurückgreifen konnte. Nidermeyr koordinierte die Gruppe bei Hofe, und an seiner Seite war Ludwig selbst, ein angesehener Zeuge der Schnelligkeit, mit der das Chamäleon seine Zunge bewegte, die umso erstaunlicher war, als seine Bewegungen nun unbeholfen und langsam waren. Das kleine Tier schien aufgrund der Kälte seine Beweglichkeit eingebüßt zu haben, so dass man es leicht fangen konnte, wenn es die Wand hinauf flüchten wollte. Nidermeyr war stets darauf eingestellt, bei Bedarf einzugreifen. So rettete er das Chamäleon einmal, als es an einem Haar zu ersticken drohte, indem er ihm ein ganzes Fingerglied seines Daumens ins Maul steckte.86 Für den Naturforscher waren auch improvisierte, unvorhergesehene Situationen reich an Erkenntnismöglichkeiten, und der Hofarzt sammelte mit dem Mittel des experimentum neue Einsichten über die Natur des Chamäleons. Jedoch endete die Reise des Chamäleons nicht mit seinem Tod, der vielmehr nur eine weitere Zustandsveränderung des Tieres87 bedeutete und mit dem Beginn einer neuen politischen Phase des hessischen Hofes zusammenfiel. Das 84 »Assì come questo animale piglia la qualità de̓ colori di tutte le cose alle quali si appresta così egli conversando, e trattando con gli uomini sapesse accomodarsi alla natura di tutti«, zit.n. Visceglia, 1998, S. 70. 85 Der Rückgriff auf Tiere als konfessionelles Unterscheidungsmerkmal fand auf der anderen Seite Bestätigung im Umfeld des kaiserlichen Hofes, vgl. Christin, 2009. 86 Faber, 1628, S. 722-724. 87 Zu den unterschiedlichen Bedeutungen, die Tieren in der Neuzeit zugeschrieben wurden, vgl. Norton, 2013; zu den verschiedenen Zuständen von Tieren und ihren unterschiedlichen Bedeutungen Alberti, 2011. 261

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Chamäleon wurde in Darmstadt vom Hofchirurgen vor einem zahlreichen Publikum seziert, ein Spektakel, das schriftlich festgehalten und wahrscheinlich auch illustriert wurde. Zwar war Nidermeyr bei dieser Gelegenheit nicht bei Hofe, doch seine Möglichkeiten, in Beziehung zu dem Chamäleon zu treten, dürften nicht erschöpft gewesen sein. Das Skelett des Tieres wurde nämlich nach Dresden geschickt, um dort in das anatomische Theater des sächsischen Kurfürsten aufgenommen zu werden, den der junge Landgraf bei dieser Gelegenheit persönlich aufsuchte.88 Georg bereitete zu jener Zeit seine Hochzeit mit Prinzessin Sophie Eleonore vor, mit dem Ziel, das Bündnis zwischen den lutherischen Höfen zu konsolidieren, die weiterhin eine wichtige Rolle in der politischen Interessensphäre Roms spielten. Bei seinem Aufenthalt in Dresden dürfte ihn auch Graf Kasimir von Erbach begleitet haben, der schon während der Romreise zum Gefolge gehört hatte und von Dresden aus die Abbildung eines Luchses nach Rom sandte, ein Nachhall seiner Beziehungen zur Accademia dei Lincei.89 Nidermeyr weilte wohl ebenfalls als Reisebegleiter Georgs am sächsischen Hof, eine Funktion, die er erneut 1624 in Rom ausübte.90 Auch in den ersten Jahren des Pontifikats Urbans VIII. hielt die Möglichkeit, größeren Einfluss auf ein Gebiet auszuüben, das an das Kurfürstentum Mainz angrenzte, ja eng mit ihm verbunden war, oder es gar wieder für den Katholizismus zu gewinnen, Roms Interesse für diese Fürsten wach.91 In der Papststadt war der junge Landgraf Gast des deutschen Kardinals Eitel Friedrich von Hohenzollern, wiederum »mit der Erlaubnis Seiner Heiligkeit, denn er ist Lutheraner; es besteht aber Hoffnung, dass er katholisch wird«.92 In Rom kümmerte sich der Kardinal, der seit kurzem Mitglied der neu gegründeten Kongregation Propaganda Fide war, in den wenigen Jahren, die seiner Abreise nach Osnabrück 88 Scriba, 1843, S. 152: »Anatomicammer, darinnen […] anatomierte Sachen, von Menschen und Thieren zu sehen wahren«, wie im Reisetagebuch des Landgrafen Georg erwähnt, der sie 1622 besuchte. Zu den naturwissenschaftlichen Sammlungen in Dresden vgl. DaCosta Kaufmann, 2016. 89 Zur Übersendung der Zeichnung s. Faber, 1628, S. 526. Zur möglichen Rückkehr nach Rom BANL, Fondo Faber, vol. 417, fol. 285r-286v. 90 Zu den Reisen nach Italien s. Scriba, 1843, insb. S. 26-32. 91 Fosi/Koller, 2013. 92 »Con permissione di S. Santità, perché è Lutherano; ma si sta in speranza che si habbia da far catholico«: Gabrieli, 1996, S. 858, Faber an Cesi, Rom, 30. März 1624. Der Aufenthaltsort wird auch von den Diarien des Hofes in Darmstadt bestätigt. Dazu Scriba, 1843, S. 26. 262

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vorausgingen, um das Reich und die deutschen Gebiete.93 Faber, der schon seit Jahren in Briefkontakt zu diesem Prälaten stand, war zu jener Zeit sein Leibarzt, und so fiel es Nidermeyr leicht, die einige Jahre zuvor begonnene Zeit des Austauschs und der Gespräche wieder aufleben zu lassen.94 Als Georg an einem schweren Fieber erkrankte, wurde Faber der »Vorzug zuteil, den hochverehrten Landgrafen zu behandeln«, und auch dieses Mal konnte er auf seine Dispense zurückgreifen, um die ›Häretiker‹ in der Papststadt zu untersuchen und mit ihnen zu interagieren.95 Dieser Auftrag war zweifellos ein Privileg, insbesondere in Bezug auf andere bekannte Kollegen, die in der Stadt tätig waren, denn »wenn Giulio Mancini einen Eingriff mit einem kleinen Klistier vorgenommen hätte, hätte man gesagt, dass er ihn geheilt habe«.96 Den lutherischen Landgrafen zu behandeln, war zweifellos mit Risiken verbunden, »denn wäre er in Rom gestorben, hätte das viele schädliche Verdächtigungen und Geschehnisse in Deutschland verursachen können.«97 Der erfolgreiche Eingriff stärkte also Fabers berufliches Ansehen an beiden Fronten: Im Reich wie am päpstlichen Hof spielten die Praktiken der Behandlung des Körpers eine wesentliche Rolle für das Ansehen eines Arztes.98 Der Dialog zwischen Darmstadt und Rom scheint allerdings im Zeichen des Chamäleons fortgeführt worden zu

93 Tüchle, 1962, passim. 94 Gabrieli, 1996, ad indicem, und BANL, Fondo Faber, vol. 417, fol. 284r-v. Zu den Ärzten an den Kardinalshöfen vgl. De Renzi, 2013, S. 242f. 95 Von den »molte occupationi che mi da il male del Signor Principe Landgravio« schreibt Faber an Cesi, in Gabrieli, 1996, S. 875: »il pregio di quella solennissima cura dell̓ill.mo Landgravio«. 96 »Che se intervenuto fosse il Giulio Mancino con un minimo servitiale, s’haverebbe detto che lui l’haverebbe guarito.« Gabrieli, 1996, S. 891, G. B. Winther an Faber, Acquasparta, 8. Juni 1624. Zum Ruf der diagnostischen und prognostischen Präzision Mancinis, aber auch zu seiner schroffen und opportunistischen Art, die ihn seine berufliche Position ausnutzen ließ, vgl. De Renzi/Sparti, 2007. 97 »Perché la morte sua in Roma haverebbe potuto causare molti sinistri sospetti et avenimenti in Germania«. Gabrieli, 1996, S. 885, Faber an Cesi, Rom, 19. Juni 1624; auch Ebd., S. 882, Faber an Cesi, Rom, 25. Mai 1624: »Io ringrazio che il Landgravio è guarito et nelle mie mani sole, et spero che fra 10 giorni alla più lunga si partirà da Roma.« 98 Zum Verhältnis von Behandlung des Körpers und ärztlicher Identität vgl. De Renzi, 2007. 263

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sein, das Nidermeyr, wie er sich erinnerte, wieder in Malta gesehen hatte, als es, diesmal in Begleitung von Georg, dorthin zurückgelangt war.99 Auch nachdem das Chamäleon in Darmstadt gestorben und nach Dresden umgezogen war, eröffneten sich neue Möglichkeiten der naturgeschichtlichen Forschungen in den deutschen Kreisen, die in der Residenz des Kardinals von Hohenzollern zusammenkamen. Zu jenem Zeitpunkt hielt sich auch Galileo in Rom auf, der »zweimal ein langes Gespräch mit dem Herrn Kardinal Zollern« führte. Das bot den lutherischen Gästen des Kardinals eine wertvolle Gelegenheit, da sie schon zuvor versucht hatten, den Pisaner Gelehrten in Florenz zu treffen.100 Er hatte ein Exemplar des von ihm erfundenen Mikroskops mit nach Rom gebracht, das über den Kardinal, der im Begriff stand, nach Osnabrück abzureisen, dem Kurfürsten von Bayern zugehen sollte. Damit entstanden neue Voraussetzungen, die Zeiten des Chamäleons wieder aufleben zu lassen. Wieder fügte die Tierbeobachtung die wissenschaftliche Forschung in der Accademia dei Lincei und die konfessionellen Verhandlungen zusammen. Georg fand sich so mitten in einer dichtbevölkerten und vielgestaltigen kommunikativen Arena wieder, deren Zentrum die Kardinäle Barberini bildeten, und zu der auch diplomatische Vertreter und informelle Akteure wie Nidermeyr und Faber gehörten. Hier kamen die Entourage der Accademia dei Lincei und weitere Persönlichkeiten zusammen, wie etwa der Chirurg Prospero Cecchini, der schon zu Zeiten Ludwigs und des Chamäleons in Erscheinung getreten war. Anlässlich der zweiten Reise eines hessischen Landgrafen nach Rom sagte Galileo, er habe »eine Vielzahl an kleinen Tierchen mit unendlicher Bewunderung betrachtet: darunter den Floh, der abscheulich ist, die Mücke und die Motte, die wunderschön sind; und mit der größten Freude habe ich gesehen, wie Fliegen und andere kleine Tiere über Spiegel und auch von unten nach oben laufen.«101 Auch Faber berichtete von »einer Fliege, die der Herr Galileo mir gezeigt hat; ich war verblüfft und 99 Faber, 1628, S. 723. 100 Gabrieli, 1996, S. 880, Galileo an Cesi, Rom, 15. Mai 1624. Zu einer möglichen früheren Begegnung Galileos und Ludwigs in Florenz s. Gabrieli, 1996, S. 684, Faber an Galileo, 3. April 1619: Schon »ultimamente che fu a Roma il Prencipe Landgravio d’Hassia […] fu spessa volta ragionato del valore di V. S.; et esso Prencipe Landgravio mi disse che, venendo a Fiorenza (dove credo sia già stato), haverebbe voluto conoscere V. S.« 101 Gabrieli, 1996, S. 942f.: »contemplato moltissimi animalucci con infinita ammirazione: tra i quali la pulce è orribilissima, la zanzara la tigenuola son bellissimi; e con gran contento ho veduto come faccino le mosche et al.tri animalucci a camminare attaccati a‹ specchi, et anco di sotto in su.« 264

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habe dem Herrn Galileo gesagt, dass er ein zweiter Schöpfer sei, lässt er doch Dinge erscheinen, von denen man bis dahin nicht wusste, dass sie erschaffen wurden.«102 Die Hoffnung des Pisaner Gelehrten, mit Hilfe des deutschen Kardinals den Papst überzeugen zu können, die Verurteilung des Kopernikus noch einmal zu überdenken, sollte ohne konkrete Ergebnisse bleiben. Andererseits brachte gerade zu jenem Zeitpunkt das naturgeschichtliche Wissen erneut und mehr denn je in Rom ein komplexes Gemisch aus unterschiedlichen Interessen, Positionen und Wahrnehmungen hervor.103

4. Konfessionelle Anatomien Gleichzeitig mit der zweiten Reise eines hessischen Landgrafen nach Rom scheint auch der Moment für die Animalia Mexicana gekommen zu sein, und die naturgeschichtliche Wissensproduktion in der Papststadt verwob sich mit den päpstlichen Beziehungen zum Gebiet nördlich der Alpen. Zu Beginn des Barberini-Pontifikats schrieb Faber an Landgraf Ludwig, »dieser neue Papst ist ein hochgebildeter Herrscher und Freund der Fremden […], und so hoffe ich, dass die Deutschen und andere Nationen in ihm einen zweiten Clemens VIII. finden werden, in diesem Urban VIII., der florentinischer Herkunft ist und während seiner Zeit als Kardinal mein besonderer Schutzherr war; sein Neffe, der jetzige Kardinal Barberini, weilte mehrere Male in meinem Hause und wohnte meinen Vorlesungen an der römischen Universität bei, und bei diesem Anlass sprach seine Heiligkeit zum Kardinal Zollern folgende Worte, als von mir die Rede war: Johannes Faber ist Unser Freund und Freund Unseres Neffen«.104 102 Gabrieli, 1996, S. 875, Faber an Cesi, 11. Mai 1624: »una mosca che il sig. Galileo mi ha fatto vedere; sono restato attonito, et ho detto al sig. Galilei che esso è un altro Creatore, atteso che fa apparire cose che finhora non si sapeva che fossero state create.« 103 Zu den unterschiedlichen epistemologischen Ansichten in der Accademia dei Lincei vgl. Galluzzi, 2014, S. 353-355. 104 BANL, Fondo Faber, vol. 417, fol. 284r-v, Faber an Ludwig, Rom 24. Dezember 1623: »questo novo pontefice è un principe letteratissimo et amator de forestieri […], onde spero che li germani et al.tre nationi troverano in esso un altro Clemente VIII, chiamandosi questo Urbano VIII et essendo di natione fiorentina, come quello fu mio particolare padrone mentre era cardinale et il suo nipote ora Cardinal 265

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Vor diesem Hintergrund sah der deutsche Arzt seine Stellung gefestigt und konnte folglich anstreben, »zum allgemeinen Wohle nun meine anatomischen Beobachtungen kundzutun«, die er in langjähriger Erfahrung und zahlreichen Begegnungen im urbanen Raum gesammelt hatte.105 In den zwanziger Jahren des 17. Jahrhunderts bewies Rom mehr denn je, dass es die ›Stadt der Anatomie‹ war, in einem Klima, das die bevorstehenden medizinischen Entdeckungen der chylösen Gefäße durch Gaspare Aselli und des Blutkreislaufs durch William Harvey vorbereitete, die beide auf der Beobachtung der Anatomie und Physiologie von Tieren beruhten.106 Auch in Rom waren die Akademien der Krankenhäuser, die der medizinischen Ausbildung und Praxis dienten, aber auch Residenzen wie die des Kardinals Zollern oder die Wohnung eines Arztes wie Faber Orte, an denen beobachtet und experimentiert wurde. Auch eine häusliche Umgebung konnte höfisches Publikum oder Universitätsstudenten anziehen, und Nidermeyr zögerte nicht, den Wohnsitz seines Kollegen gar mit dem Dresdner Theatrum anatomicum zu vergleichen.107 Bei Gelegenheit wurden auch die Faber unterstehenden päpstlichen Gärten zum Raum von Erkenntnis, Unterhaltung und Diskussion. Hier waren Anmerkungen, »kleine Skizzen« und »Bildnisse« im Umlauf, die auf die naturgeschichtlichen Projekte der Stadt zurückgingen, über die man sich mit den Hofangehörigen unterhalten konnte. Tiere waren immer dabei und wurden nun zu Protagonisten eines Vorhabens der vergleichenden Anatomie, das nicht nur eine beobachtende Dimension, sondern auch experimentelle Praktiken umfasste.108 Das »Seekalb« das zuerst im Käfig als urbanes Spektakel bewundert wurde, konnte auf diese Weise auch nach seinem Tod seine Karriere als naturgeschichtlicher Gegenstand fortsetzen. Der Erwerb seiner Karkasse durch einen anatomisch gebildeten Adeligen geschah »aus Liebe zu den Lungen«, wie es hieß.109 Das Einführen von Kanülen, um Luft in die nach dem Tod zusammenBarberino è stato qui più volte domesticamente a casa mia, et al.le mie lettioni nello Studio ovvero Università Romana, onde disse sua santità al cardinal Zollern quando parlò di me queste parole: Giovanni Fabro è Amico nostro et amico del nostro nepote.« 105 Gabrieli, 1996, S. 846: »con benefizio pubblico hora palesare le mie osservationi anatomiche«. 106 Zur Anatomie in Rom, unter besonderer Berücksichtigung der Krankenhäuser, vgl. Conforti/De Renzi, 2009; zur Spannung zwischen Naturgeschichte und anatomischer Untersuchung, die sich durch die zoologischen Werke zieht, Guerrini, 2015. 107 Gabrieli, 1996, S. 846, 858 und passim. 108 Vgl. Guerrini, 2015. 109 Gabrieli, 1996, S. 858: »per amore dei polmoni«. 266

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gefallenen Organe zu blasen, entwickelte sich hierbei zu einer verbreiteten Prozedur im Rahmen anatomischer Untersuchungen, die Land- und Meeresschildkröten, Delphine und sogar Wale von der Küste Latiums einbezogen.110 Hier dürfte der Fragebogen Gestalt angenommen haben, mit dem der nach Darmstadt zurückgekehrte Nidermeyr die Autopsie des Chamäleons rekonstruierte. Wie es häufig in solchen Situationen vorkam, zeichnete er die im Moment ihrer Durchführung ausgearbeiteten Materialien anhand von Erinnerungen auf.111 Nidermeyrs Brief nahm an diesem Punkt die Merkmale einer Observatio an, das heißt, einer Form der medizinischen Abhandlung, die sich auf die Beschreibung von Einzelheiten konzentriert, welche der täglichen Praxis der Disziplin entstammen, und die von der medizinischen Lehre unterschieden wird. In der Observatio trat das theoretische Wissen des deutschen Arztes zugunsten von offenen und durchlässigen Betrachtungen in den Hintergrund, während die Aufgabe, sie systematisch zu ordnen, explizit auf einen anderen Moment und analytischen Bereich verwiesen wurde.112 Hier sollte ein ausschließlich auf Erfahrung beruhender Schwerpunkt von eigenem epistemischem Wert dargelegt werden. Gleichzeitig stellte die Observatio fest, dass die naturgeschichtliche Wissensproduktion ein kollektiver Prozess ist, der auf dem Teilen von Wissen und der Bedeutung von Austausch und Verbreitung beruht. Der Chamäleon-Brief sollte der Beitrag zu einem Prozess mit vielen Akteuren sein und zögerte nicht, auf die Kreise der Accademia dei Lincei als bevorzugten Ort der Reflexion und Analyse der anatomischen Geschichte des Chamäleons zu verweisen. So fiel nicht nur der Brief Nidermeyrs, sondern auch die Darlegung in den Animalia Mexicana in das Genre der Observatio. Dank des Briefes bekräftigte das Kapitel über das Chamäleon die Unterscheidung der Rolle und Funktion von Fallstudie und Kommentar. Das zeigt nicht nur, dass der Arzt und Naturhistoriker die epistemischen Möglichkeiten der Genres bewusst nutzte, sondern offenbart auch seine Fähigkeit, diese Ressourcen als Mittel der Aktion einzusetzen. Die Aufnahme des Chamäleons in die Animalia Mexicana zeigt erneut, dass die Produktion einer Naturgeschichte der Neuen Welt ein dialogischer, polyzentrischer Prozess war, der sich auch über die Alpen erstreckte. Im Rom der zwanziger Jahre des 17. Jahrhunderts erhielten die Dynamiken des Aufbaus einer transnationalen naturgeschichtlichen Gemeinschaft jedoch nuanciertere und komplexere Bedeutungen sowie auch eine offenere politische Dimension. Nidermeyrs Brief über das Chamäleon scheint geradezu eine Asymmetrie der Rollen zur Schau zu 110 Ebd. 111 Zu den Fragebögen vgl. Boscani Leoni, 2013, S. 187. 112 Zu den observationes als epistemische Gattung vgl. Pomata, 2011. 267

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stellen, in diesem Prozess der naturgeschichtlichen Wissensproduktion über die Alpen hinweg, dessen geistiger Schwerpunkt auf jeden Fall im intellektuellen Raum Roms und der anerkannten Vorreiterstellung verblieb, die der Accademia dei Lincei zuerkannt wurde. Die Observationes wie auch die Epistolae medicae waren eigentlich Genres der medizinischen Kommunikation, die sich im Laufe des 16. Jahrhunderts entwickelt hatten und sich dadurch auszeichneten, dass sie vor allem der beruflichen Autorität und Anerkennung dienen sollten. Die Briefsammlungen, deren Textstruktur auch Nidermeyrs Observatio entsprach, hatten sich nicht zufällig vor allem in Italien und im deutschsprachigen Raum verbreitet, und ihre Komposition entwickelte sich für die deutschen Ärzte zu einer Ressource gegenüber ihren bekannteren und angeseheneren italienischen Kollegen.113 Die Präsenz von Nidermeyrs Observatio in den Animalia Mexicana, wo sie als Beitrag in Briefform vorgestellt wurde, diente also zunächst einmal der lobenden Erwähnung des deutschen Arztes, seiner Erfahrung und Tätigkeit, während die Naturgeschichte zum Zeichen einer Begegnung in Rom wurde, deren Bedeutung Faber besonders hervorhob. Beim lobenden Einsatz dürfte es sich um keinen Einzelfall gehandelt haben, und so war es kein Zufall, dass im gleichen Jahr, in dem Nidermeyrs Brief geschrieben wurde, ein kurz zuvor von Georg Grembs, dem Leibarzt am Münchner Hof, an Faber gesandter Brief höchstwahrscheinlich dank der verborgenen Regie Fabers in die 1626 vom römischen Kollegen Pietro Castelli in der Papststadt publizierten Epistolae medicinales Eingang fand.114 Während also im Spiel der Genres der medizinisch-naturgeschichtliche Dialog zwischen Norden und Süden mitten in einem Konfessionskrieg wieder aufgenommen wurde, nahm die materielle Präsenz des Chamäleon-Briefes in den Animalia Mexicana eine deutlich mehr politische Bedeutung an, zu einem Zeitpunkt, als die päpstliche Außenpolitik stark universalistisch ausgerichtet war und die Kongregation Propaganda Fide gerade ihre Tätigkeit aufgenommen hatte. Im Jubiläumsjahr 1625 hatte die Accademia dei Lincei die Melissographia herausgegeben, einen wunderschönen, ungewöhnlich großen Kupferstich, der Urban VIII. gewidmet war (Abb. 2).115 Er verkörperte den von den Akademiemitgliedern vertretenen Glauben an die Macht der Anschauung, der hier das erste Mal durch den Einsatz von Galileos Mikroskop im Bild wiedergegeben 113 Zu den Sammlungen gedruckter Arztbriefe, Epistolae medicae, vgl. Siraisi, 2013. 114 Castelli, 1626. 115 Es handelt sich um ein Blatt von 41,6 x 30,7 cm, über dessen Versendung wir nur durch die Antwort aus Darmstadt wissen, dazu BANL, Fondo Faber, vol. 417, fol. 592r, Ludwig an Faber, Darmstadt, 6. Januar 1626. 268

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wurde.116 Wie zu Ludwigs Zeit mit dem Chamäleon geschehen, bestätigten die Bienen die emblematische Kraft der Natur in einem Rom, in dem sie als heraldisches Mittel dienten, um den Papst und die »wunderbaren Zeiten« unter der Herrschaft der Barberini zu feiern.117 Die Bienen boten also den Lincei die Möglichkeit, als emblem makers zu wirken, und die Anatomie wurde in jenem Moment zu einem fruchtbaren Boden der Vermittlung zwischen den vielen Seelen des akademischen Projekts. Es ging darum, sich im Rom des Kardinals Zollern Galileos Entschluss, auf die wundervolle Körperstruktur der Tiere zu setzen, zu eigen zu machen, und überdies seine Fähigkeit zu nutzen, Wissen als Instrument im Dienst des Ansehens einzusetzen.118 Abb. 2: Matheus Greuter: Melissographia, Kupferstich, 1625. Biblioteca Vallicelliana, Rom, S. Borr. Q. V. (30).

Die drei Bienen, die in zentraler Position den Vordergrund der Melissographia einnehmen, verwiesen auf das Wappen der Familie Barberini, während die kunstvolle Inszenierung Heraldik und Emblematik mit der Naturgeschichte verflocht 116 Zur Melissographia und weiteren der »Lobpreisung« dienenden Produkten, welche die Lincei zeitgleich mit dem Jubiläum der Barberini schufen, vgl. Freedberg, 2007; sowie Guardo, 2004; Ders., 2008. 117 Vgl. Favino, 2009. 118 Zur Schaffung und zum Einsatz der Mittel des Ansehens vgl. Biagioli, 2006. 269

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und zugleich in Schrift und Bild die päpstliche Macht und das naturgeschichtliche Projekt der Lincei ehrte. Folglich wurde die Melissographia dem Papst, den Kardinälen aus der Familie Barberini und weiteren den Lincei verbundenen Hofangehörigen zum Geschenk gemacht.119 Sie war allerdings auch außerhalb dieser Kreise im Umlauf und brachte neue und unerwartete Verbindungen hervor.120 »Um eine Handvoll Bienen« wurde Faber gebeten, »damit ich sie unter der Familie des Erzherzogs aufteilen und einige nach Deutschland senden kann, in der Erwartung, dass dieses Unterfangen allerseits gelobt und begehrt wird«.121 Die enge Verbindung zwischen der Melissographia und der deutschsprachigen Welt fand jedoch ihre deutlichste Bestätigung in einem ganz bestimmten Moment. Zu Beginn des Jahres 1626, wenige Monate, bevor der Chamäleon-Brief nach Rom gelangte, ging ein Exemplar an Landgraf Ludwig. Ihm lag ein Brief Fabers bei, der als erläuternder Kontext fungiert haben dürfte, so wie es im Falle der Animalia Mexicana und des Chamäleon-Briefes geschehen sollte.122 Im deutschen Umfeld wie auch anderswo reihte sich die Melissographia in eine umfassende Produktion von anatomischen Darstellungen ein, deren erläuternde und kommunikative Wirkmacht auf der Verbindung von Körperdarstellung und metaphorischer Dimension beruhte.123 Die außergewöhnliche ästhetische Qualität der Melissographia verwies wiederum auf das Publikum, für das sie geschaffen wurde. Das meisterhafte Blatt steht in diesem Sinne auch mit den Flugblättern in Zusammenhang, die jenseits der Alpen eine zentrale Rolle bei der Kommunikation zwischen den Höfen einnahmen. Das Spiel von Bedeutungen, das aus der Verflechtung der Genres hervorging, bot sich nun als besonders geeignetes Instrument an, um Rom aus der Ferne zu übermitteln.124 119 In diesem Sinne scheint es möglich, dem Vorbild der Kopien der Animalia Mexicana und ihrer Frontispize zu folgen, die von Greuter gezeichnet und gestochen und 1628 gedruckt wurden; dazu Antetomaso, 2013. 120 Vgl. Finocchiaro, 2004. 121 »Una mano delle Api« wurde angefragt, »aciocché io le possa spartire fra la famiglia dell’Arciduca, et mandare bona parte in Germania, atteso che questa impresa da tutti viene lodata e desiderata«; Faber schenkte sie dem in Rom zu Besuch weilenden Erzherzog Leopold von Österreich, Gabrieli, 1996, S. 1078, Faber an Cesi, 19. Dezember 1625. 122 Zu Wort-Bild-Relationen vgl. Telesko, 2011. 123 Vgl. Carlino, 1999. 124 Zu den höfischen Druckerzeugnissen, insbesondere den raffinierten, großformatigen Stichen Bauer, 2011. Zum illustrierten Flugblatt existiert eine beträchtliche Bibliographie; vgl. Harms/Schilling, 2008; und Te Heesen, 2011. 270

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Als Antwort auf Fabers Geschenk traf aus Darmstadt der Dank des Landgrafen für das »Bildnis der Bienenanatomie« ein, zusammen mit einem Brief Nidermeyrs, der wie stets die Lage im Deutschen Reich beschrieb. Vervollständigt wurden diese Schriften durch eine Nachricht, die an den Kardinalnepoten Francesco Barberini gerichtet war.125 Ludwig wollte mit ihr ein weiteres Mal seiner Hoffnung auf ein rasches Ende des Krieges Ausdruck verleihen, ein wiederkehrendes Thema in der Korrespondenz aus Darmstadt, »auf dass wir nach all diesen Sorgen den lange ersehnten Frieden erreichen, der für das Wohlergehen unserer deutschen Lande so notwendig ist«.126 In der Tat dürfte sich damals am Darmstädter Hof eine irenische Stimmung entwickelt haben.127 Der Landgraf verwies auf Werte, die auf beiden Seiten der Alpen geteilt wurden, wenn auch nicht auf die gleiche Weise, da sie sich im Verhältnis zu den verschiedenen konfessionellen Horizonten und den Ressourcen der Vermittlung zwischen unterschiedlichen Akteuren und Interessen unterschiedlich entfalteten. In dieser Situation bekräftigte Ludwig, »den ehrwürdigen Kardinal in Deutschland treffen zu wollen, um ihm meine Seele und Zuneigung zu zeigen«.128 Er appellierte damit an das Verhandlungsgeschick des Kardinalnepoten, der im Begriff stand, seine Reise nach Madrid anzutreten, um den Veltliner Konflikt beizulegen, und bestätigte seine zuverlässige Kaisertreue. Das hohe Gut des Friedens war auf der anderen Seite eines der grundlegenden Themen des soeben zu Ende gegangenen Jubeljahres 1625. Darüber hinaus war es ein Schwerpunkt der diplomatischen Kommunikation Roms wie auch seiner internationalen Politik, die auf dem Prinzip der Neutralität gründete, welche auch in einem aktiven Sinne zu verstehen war, das heißt, als Fähigkeit, Konflikte beizulegen.129 Die Bienen der 125 »Ritratto dell’Anatomia dell’Api«: BANL, Fondo Faber, vol. 417, fol. 592r, Ludwig von Hessen Darmstadt an Faber, Darmstadt, 6. Januar/27. Februar 1626: »Vorrei che potesse una volta rincontrare il S. cardinale in Allemagna per poterli in effetto demonstrare l’animo et affettione mia. Le nuove di qua intenderà V. S. dalla lettera di d.no Francesco et in tanto ci resto.« 126 BANL, Fondo Faber, vol. 417, fol. 349r, Ludwig an Faber, Darmstadt, 19. November 1624: »acciocché potessimo doppo tanto travaglio conseguire la pace fin qui tanto bramata et necessaria per la salute della Germania nostra.« 127 Zur Irenik deutscher Adeliger und Fürsten vgl. Baibl, 2013; zu Rom wiederum Fosi, 2011. 128 BANL, Fondo Faber, vol. 417, fol. 592r, Ludwig an Faber, Darmstadt, 6. Januar 1626: »che potessi una volta rincontrare il S. cardinale in Alemagna per poterli in effetto demonstrare l’animo et l’affettione mia.« 129 Zur Rolle des Papstes vgl. Visceglia, 1997. 271

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Melissographia, die sich vom Lorbeer des Friedens und des Sieges nähren, über dem die Symbole der päpstlichen Macht erscheinen, wurden so zu Vermittlerinnen des fragilen Strebens nach einem Dialog über die Alpen hinweg, das in der Hommage an die schlichtende Macht des Papstes erneut zum Ausdruck kam. Der Brief des Landgrafen an Francesco Barberini erreichte Madrid in einer Sendung, die Faber aus Rom schickte, dem Drehpunkt der transalpinen Kommunikation des Kardinalnepoten während seiner diplomatischen Missionen in Frankreich und Spanien.130 Bei dieser Gelegenheit begleitete den Brief Landgraf Ludwigs V. ein Schreiben des in Rom lebenden deutschen Arztes sowie eine gedruckte Seite aus den Animalia Mexicana, deren Publikation bevorstand: »Hiermit möchte ich […] Euch ein Blatt meines Werks De Animalibus Mexicanis offerieren, das der Ehre und dem Ruhm Eurer Durchlaucht gewidmet ist, und das Euer Hochwürden eines Blickes würdigen möge, um festzustellen, dass ich vom Arzt zum Propheten wurde und Eurer Durchlaucht den Friedensschluss in Italien prognostiziert habe, den Ihr mit Sicherheit nach Rom bringen werdet, um damit nicht nur diesen […] italienischen Teil der Welt, sondern ganz Europa mit Freude zu erfüllen.«131

Nach Madrid gelangte Seite 589 des Kommentars, der zum Kapitel über den »Taurus Mexicanus« gehörte und in dem umfassend von der Sektion eines monströsen Kalbs berichtet wurde, die der deutsche Arzt im Auftrag von Francesco Barberini in Rom vorgenommen hatte. Das Blatt zeigt die anatomischen Tafeln des Kalbs, die seinerzeit in den vatikanischen Gärten diskutiert wurden und die Bedeutung eines solchen Unterfangens unterstrichen, die Ludwig wiederum den Bienen zuerkannt hatte. Der Text auf Seite 589 gab Gelegenheit, auf den Spuren Varros das Hervorgehen der Bienen, der »dulcissimas mellis matres«, aus dem verwesenden Kalb herzuleiten. Eine komplexe etymologische Analyse des vitulum führte die Lobpreisung des Kardinals und seiner diplomatischen Mission 130 BANL, Fondo Faber, vol. 417, fol. 585r, Francesco Barberini an Faber, Fontainbleau, 26. August 1625; zum Thema auch Ebd., fol. 586, Paris, 6. September 1625. 131 BANL, Fondo Faber, vol. 414,f. 365r-v, Faber an Francesco Barberini, 13. April 1626: »Vengo con questa a […] offrirle qui un foglio della mia operetta de Animalibus Mexicanis dedicata all’honore et gloria di V.S. Illustrissima, al quale se V.S. ill.ma degnerà dare una vista troverà che da medico sono diventato propheta et ho prognosticato a V.S. ill.ma la conclusione della pace d’Italia quale sono sicuro che lei porterà a Roma et rallegrerà non soltanto questa […] parte del mondo l’Italia ma tutta l’Europa appresso.« 272

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fort. Sie würde den Völkern Freude, den christlichen Fürsten Frieden und den heiligen Wünschen des Papstes den Sieg bringen.132 Der Begleitbrief Fabers mit Nachrichten vom Hofe Ludwigs, die nach dem Modell der gleichzeitigen Korrespondenz mit Nidermeyr gestaltet waren, spielte auch mit der Befähigung des Arztes zur Prognose oder vielmehr zur Vorhersage, um so den Erfolg der friedensstiftenden Mediation des Nepoten anzukündigen. Durch die Umwandlung der ärztlichen Geste der Prognose in die Fähigkeit, den Erfolg der Vermittlung durch Barberini vorauszusehen und vorauszusagen, wurde die tierische Anatomie zu einem Verhandlungsraum für Ausdrucksformen des Friedens, die unterschiedliche konfessionelle Identitäten bekräftigten. Im Mittelpunkt standen die friedensbringende Funktion Roms und die Rolle des Papstes als Hüter und Garant des Friedens. Frieden bedeutete, dass die vermittelnde Autorität des Papstes gegenüber den Mächten bestätigt wurde, und hatte die Eintracht der christlichen Herrscher zum Ziel. Aus dem Blickwinkel Roms verwies er auf die Eintracht in der Einheit des Glaubens und auf das Streben nach einem vollkommenen Frieden im einzig wahren Glauben.

5. Schluss Der katholische Leibarzt am Hof von Hessen-Darmstadt Franz Nidermeyr und der deutsche Arzt und Naturforscher Johannes Faber in Rom waren Akteure, die über die Alpen hinweg kommunizierten. Ihre Kommunikation wirkte weit über die Grenzen der Res publica medicorum hinaus und nutzte zugleich deren Ressourcen und Potenzial. Ihr Handeln beschränkte sich nicht auf eine Funktion der Vermittlung zwischen getrennten und sich bekämpfenden Welten, sondern gestaltete sich als besonders wirksame Form, Kommunikation hervorzubringen. Es gelang ihnen nicht nur, im Laufe eines Jahrzehnts einen Raum für Dialog zwischen Darmstadt und Rom zu öffnen, sondern auch die Bedingungen zu schaffen, damit sich dieser mit der Zeit festigte. Zu jener Zeit hielten die Landgrafen von Hessen-Darmstadt am lutherischen Glauben fest, doch ihr Hof ver132 Faber, 1628, S. 589: »Pax illa Italiae nunc tam ardentibus votis, imo Europae universale desiderata, quam ipse inter duo illa precipua Regnorum potentissimorum, in hoc Orbe Cristiano, Capita stabilire omni conamine tentat. Ut eo modo Laetitia populorum, Pax Principum Christianorum, & Victoria sanctorum Pontifici nostri desideriorum, tres illae Apes sint Barberinae immortalitati consacrandae, quae ex vitulo natae, originis suae memores, gaudeant, laetentur, & quam diutissime ac felicissime vitulentur.« 273

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blieb im Einflussbereich Roms. 1634 konvertierte Friedrich, der jüngere Sohn Ludwigs, in der Stadt der Päpste und wurde später Kardinal. Im Spiel von Präsenz und Distanz griffen Nidermeyr und Faber auf die Interaktion der vielfältigen Sprachen, Register und Kommunikationsmittel zurück, die ihnen dank ihrer ärztlichen Rolle zur Verfügung standen. Darunter erschien das naturgeschichtliche Wissen als wertvolle Ressource, die von gemeinsamen Erfahrungen genährt wurde und sich durch die ihr innewohnende Vielseitigkeit auszeichnete. So beschrieb der Weg des Chamäleons Prozesse der Wissenszirkulation über die Alpen hinweg, in denen sich Emblematik und Wissenschaft, epistemisches Potential der literarischen Genres und performatives Potential der materiellen Praktiken verknüpften. Es ist kaum möglich, Phänomene, die auf all diesen Ebenen zum Ausdruck kamen, als lediglich in eine Richtung laufend oder auch nur bilateral zu betrachten. Die naturgeschichtliche Produktion nahm eine zutiefst politische Bedeutung an und ließ ihrerseits Räume im Zeichen des päpstlichen Universalismus entstehen. Im Jahr 1628 waren die Animalia Mexicana eine Naturgeschichte, in der sich die Neue Welt Amerikas und der jenseits der Alpen gelegene Norden auf der Höhe von Rom trafen. (Übersetzung: Julia Rader)

Abstract This chapter sets out to investigate the making of natural history across the Alps during the first decades of 17th century as a complex process of mediation, mobilizing a collective of actors, media, and things, as well as different scales of claims, interests and projects. At the beginning of the Thirty Years’ War, exchanges between Rome and the Lutheran court of Hessen-Darmstadt about the observation of and writing about exotic animals intersected confessional tensions and interplayed with the universalistic purposes, actions and circuits of the Papal court and the recently founded Congregation of Propaganda Fide. A letter devoted to an Egyptian chameleon and its itinerary across space and time was integrated in Animalia Mexicana, written by the German physician Johannes Faber and published in Rome (1628) as a complex archive of knowledge at the centre of the Catholic World. The letter on the Chameleon allows us to retrace the professional paths, intellectual exchanges, and material encounters of court physicians across the Alps and accounts for their expanding role of mediation. By focusing on the material contexts of writings and images on natural history in the communication across the Alps, and on the multiple and shifting mea274

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nings of their ›presence‹, the chapter explores the different and entangled practices which interconnected Rome and the German Empire in a global perspective and argues for the significant political implications of natural history as well as for the powerful informal role of knowledge collectives.

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Die Erfindung der Sabaudia und die Historisierung des Alpenraums im Spiegel savoyischer Hofpublikationen Saniye Al-Baghdadi

Savoyen und Piemont Bereits die Einleitung des Theatrum Sabaudiae (1682) verschafft dem Leser mit ihrer ausdrücklichen Geschichtsbezogenheit einen ersten Eindruck vom zweibändigen Gesamtwerk, mit welchem das Haus Savoyen eine höchst repräsentative Schau seiner Länder und Städte in Wort und Bild lancierte.1 Dem 1675 verstorbenen Herzog Carlo Emanuele II. postum gewidmet, ist die Dedikation allerdings vielmehr auf die Herzoginwitwe Maria Giovanna Battista von Savoyen-Nemours zugeschnitten, die bis zur Mündigkeit ihres Sohnes Vittorio Amedeo II. Regentin war. Daher führt der Autor zu Beginn nicht zufällig die bedeutsame savoyische Ahnin Adelheid von Susa ein, die ebenfalls einst als »tutrix« ihres Sohnes fungierte.2 Adelheids Heirat mit Oddone von Savoyen trug zur Union der Mark Turin und des Piemont mit Savoyen bei; mit dieser Union erst begann die gemeinsame Geschichte zweier Landschaften dies- und jenseits 1

Das Theatrum Sabaudiae, 1682 wurde mehrfach aufgelegt, darunter die ebenfalls hier herangezogene französische Ausgabe, Théatre des Etats, 1700. Zudem liegt mit Roccia, 1984 eine moderne Edition der Erstausgabe von 1682 mit Übersetzungen der lateinischen Texte vor. Zur langen Editionsgeschichte des Theatrum Sabaudiae hier im Wesentlichen Ricci/Roccia, 1984 sowie Weigel, 2005. 2 Das Theatrum Sabaudiae gilt als Werk eines Autorenkollektivs. Als Autor einiger wesentlicher Textbeiträge und Redakteur des Gesamtwerks gilt der Historiograph und Vizepräzeptor am savoyischen Hof Pietro Gioffredo, vgl. Doglio, 1984 und Merlotti, 2001. 287

Saniye Al-Baghdadi

der Alpen, die nunmehr unter der Herrschaft eines Hauses vereint sein sollten. In savoyischen Geschichtsdarstellungen der Frühen Neuzeit wurde diese geographische Sonderstellung zwischen dem deutschen Reichsteil und Italien gerne als Plattform für Verdienste genutzt, die das Haus Savoyen dem Kaiser erwiesen habe. Als besonders prominentes, historisches Beispiel in diesem Zusammenhang darf Heinrichs IV. Gang nach Canossa gelten. Der von Papst Gregor VII. mit dem Kirchenbann belegte König überquerte die Alpen am Moncenisio, wo ihn Adelheid von Susa zusammen mit ihrem Sohn empfing und nach Canossa begleitete. In savoyischen Darstellungen kam Adelheid dabei eine ebenso gewichtige Bedeutung zu wie Mathilde von Tuszien, die als eigentliche Vermittlerin zwischen Kaiser und Papst gilt.3 Schon die Aufteilung des Theatrum Sabaudiae in zwei Bände, Pars Prima Exhibens Pedemontium und Pars Altera Illustrans Sabaudiam, verweist auf eben jene geographische Verfasstheit, die ein wesentliches, vor allem geopolitisches Merkmal des savoyisch-piemontesischen Fürstenstaats darstellt. Schließlich begrenzte Savoyen-Piemont nicht nur das Heilige Römische Reich im Südwesten, sondern nahm zwischen Frankreich im Westen und Mailand im Osten auch die politische Funktion eines »Pufferstaates« zwischen den europäischen Hegemonialmächten ein. Dies freilich aus der Perspektive eben jener Großmächte gesehen, die sich insbesondere im Kontext des Dreißigjährigen Krieges und im weiteren Verlauf des 17. Jahrhunderts immer wieder der neuralgischen Plätze dieser wichtigen Region mit ihren Alpenpässen und Verkehrswegen zu bemächtigen oder diese zumindest zu kontrollieren suchten.4 Diese Position »a cavallo delle Alpi« darf unter den Fürsten des Heiligen Römischen Reichs als besonderes Alleinstellungsmerkmal der Savoyer gelten.5 Die Herzöge von Savoyen-Piemont mussten seit der Wiederinbesitznahme ihrer Länder nach 1559 darauf zielen, ihre Territorialherrschaft und die Souveränität über ihre Länder zunächst wieder herzustellen, um sie schließlich dauerhaft sichern zu können. Nicht zuletzt aus diesem Grund positionierte man sich unter Herzog Emanuele Filiberto dynastisch, heraldisch und historiographisch völlig neu: Im Zuge einer neuermaßen lancierten genealogischen Konstruktion fand die Dynastie in einem sächsischen Prinzen an der Spitze ihrer Ahnenschaft ihre Wurzeln nördlich der Alpen. Damit war ein wichtiger Bezug zum Reich und 3

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»Ce fut par sa médiation & par celle de la Comtesse Mathilde, que la paix se fit dans le Fort de Canossa entre le Pape Grégoire VII. & l’Empereur Henri IV.«, Théatre des Etats, 1700, Vorrede. Vgl. Externbrink, 1999, S. 69-71 sowie Ders., 2014. Das Zitat von Cesare Balbo ist Jöchner, 2015, S. 332, Anm. 92 entnommen.

Die Erfindung der Sabaudia

in den Norden zunächst auf genealogischer Ebene gewährleistet. Die savoyische Dynastie schrieb ihrem alpinen Fürstenstaat darüber hinaus die Rolle einer Bastion zum Schutz des Reiches zu, welche dann auch auf den Fürsten selbst übertragen wurde, der persönlich als Wahrer der kaiserlichen Rechte gezeichnet wurde. Dieses Image bezog seine Berechtigung aus der Geschichte und – wie die Canossa-Episode gezeigt hat – vorzugsweise aus Darstellungen einer Vergangenheit, in der die Kaiser noch persönlich über die Alpen gezogen waren. Die Konstruktion einer dynastischen Tradition des Haues Savoyen als Bastion und Mittler zwischen dem Reich und Italien ist eine wesentliche Leistung der savoyischen Hofpublizistik der Neuzeit. Solch anschauliche Publikationen wie das in Amsterdam verlegte Theatrum Sabaudiae propagierten dieses Bild in erster Linie für die höfische Öffentlichkeit des Deutschen Reichs. Der prächtige Bilderatlas präsentiert den savoyischen Fürstenstaat zugleich über Darstellungen von Orten und Monumenten, die das Land, vor allem aber die Historizität des Landes, symbolisch repräsentieren. Bereits die Publikationen des savoyischen Geheimrats und Historikers Filiberto Pingone aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zielten darauf ab, das Wissen von der Anciennität sowohl der Dynastie als auch der savoyischen Länder an die Höfe des Reichs zu tragen.6 Für den savoyischen Fürstenstaat mit seinen Ländern Savoyen und Piemont und auch für die neue Haupt- und Residenzstadt Turin hatte Pingone erstmals eine Historiographie entworfen, die eine alte Geschichte herstellte. Für eine zeichenhafte Übertragung herrschaftlicher Ansprüche auf das Territorium wird in der Forschung weitestgehend, da die Rede von »Orten« ist, auf kartographische Erzeugnisse als »graphische und zugleich politische Konturierung von Territorien«7 und nicht zuletzt auf die den Herrschaftsraum besetzende (Residenz-)Architektur zurückgegriffen.8 Dagegen ist das historiographisch-genealogische Werk Samuel Guichenons, namentlich die Histoire généalogique 6

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Beide in diesem Zusammenhang stehenden Titel, sowohl die Turiner Stadtgeschichte Augusta Taurinorum als auch die savoyische Partikulargenealogie Inclytorum Saxoniae Sabaudiaeq. Principum Arbor Gentilitia, finden sich heute noch in den Nachfolgeinstitutionen fürstlicher Bibliotheken, so etwa in Wolfenbüttel (HAB); Dresden (SLUB); München (BSB) u.a. Michalsky, 2014, S. 322. Ferner insbesondere die Sammelbände Dipper /Schneider, 2006 und Baumgärtner /Stercken, 2012 sowie Baumgärtner, 2014. Zum politischen Raumbegriff aus kunsthistorischer Perspektive im Wesentlichen Warnke, 1992 und Jöchner, 2003, hier mit weiterführender Literatur. Zur herrschaftlichen Vereinnahmung des Territoriums durch Residenzarchitektur siehe für den savoyischen Kontext insbesondere Bardelli, 1990 sowie Cornaglia, 2007. 289

Saniye Al-Baghdadi

de la Maison de Savoye (1660), in Ergänzung zu diesen Erkenntnissen erstmals auch als Beitrag zu einer antiquarischen Topographie Savoyen-Piemonts zu verstehen und die Verortung der Dynastie in dem von ihr beanspruchten Raum um die zeitliche, das heißt insbesondere historische Dimension, zu ergänzen.

Die Savoyer als Torhüter der Alpen Abb. 1: Giovanni Chrieger nach Giovanni Caracca, Plan von Turin mit Zitadelle, aus Filiberto Pingone, Augusta Taurinorum 1577.

Als Herzog Emanuele Filiberto von Savoyen-Piemont 1559 nach dem Frieden von Cateau-Cambrésis wieder in sein Fürstentum eingesetzt wurde, war er damit längst nicht Herr über seine Länder. Herrschaft auszuüben war strenggenommen nicht möglich. Eine Reihe von zentralen Plätzen und Städten des Piemonts waren noch okkupiert, sei es durch Franzosen oder Spanier. Der savoyische Hof hatte sein Dasein jahrelang im Exil in Vercelli gefristet; von einer standesgemäßen, repräsentativen Residenzsituation war man weit entfernt. So konnte Herzog Emanuele Filiberto sein Fürstentum zu diesem frühen Zeitpunkt nur auf zeichenhafte Weise wieder in Besitz nehmen: Er begann damit, sein 290

Die Erfindung der Sabaudia

Herrschaftsgebiet befestigen zu lassen, sowohl nach Westen – beginnend mit Nizza – und damit an der Grenze zu Frankreich als auch nach Osten, wo das Piemont an das spanisch regierte Mailand stieß. Die Befestigungen gehörten zu Emanuele Filibertos Regierungsmaßnahmen der ersten Stunde und dürfen als Akt der Herrschaftsausübung verstanden werden. Die Zitadelle von Turin (Baubeginn 1564) ist baulicher und zugleich zeichenhafter Ausdruck dessen.9 Es ist daher nicht verwunderlich, dass in kürzester Zeit eine Turiner Stadtgeschichte entworfen wurde, die alle Merkmale einer laudes urbium im humanistischen Sinne trug und die Rekonstitution savoyischer Herrschaft repräsentieren sollte. Das Buch, das den römischen Stadtnamen Augusta Taurinorum zum Titel hat, ist zugleich mit einer Karte ausgestattet (Abb. 1), welche die das Stadtbild dominierende Zitadelle – Vorreiterin des modernen Festungsbaus in Europa – und das vom römischen castrum geprägte rasterartige Stadtbild aus der Vogelperspektive darstellt.10 Es ist ihr dezidierter Befestigungscharakter, der die Darstellung Turins dominiert, und damit zugleich den historischen Charakter der gesamten Alpenregion reflektiert. Die römischen Geschichtsschreiber Livius und Polybius zählen zu den bereits in der Frühneuzeit maßgeblichen Gewährsleuten für die Geschichte und Wahrnehmung der Alpenregion (und ihrer Bewohner). Polybius hatte die Alpen einst als Zitadelle Italiens beschrieben (»Italiae arces«), von Herodian dagegen rührt die Vorstellung der Alpen als einer uneinnehmbaren Mauer.11 Diese historische Charakterisierung der Alpen stand auch Herzog Emanuele Filiberto vor Augen. Er nahm seine Länder nach über vierzig Jahren der Belagerung wieder in Besitz und sah sich zugleich einer historischen Aufgabe ausgesetzt: dem Schutz der Grenzen des Heiligen Römischen Reichs. In einem Schreiben für seinen Gesandten Challant de Villarsel, der sich am Dresdner Hof aufhielt, rühmte Emanuele Filiberto die neue militärische Stärke seines Fürstentums, zu der vor allem seine Befestigungen beitrugen. Sie sollten der Sicherheit Italiens und damit auch des Reiches dienen.12 Dereinst 9

Zum Verhältnis der fortifizierten Stadt zum Herrschaftsraum siehe Jöchner, 2015, S. 28-30. 10 Pingone, 1577. 11 Vgl. Guichenon, 1660, S. 15. 12 »Soggiungerete poi per maggiormente mostrar che non è senza causa grande l’allegrezza che per detta restitutione sentirsi deve essendo l’Altezza sua tanto gelosa et desiderosa della grandezza di casa nostra […] la qualità delli luoghi, la fortezza, e quiete che portano a questi stati con non poco riposo dell’Impero per la sicurezza d’Italia«, aus Instruktionen an den Gesandten Sr. de Villarsel (1575), ASTo, Corte, Negoziazioni Sassonia, mazzo 1, n. 5, fol. 1v. 291

Saniye Al-Baghdadi

hatte schon der kaiserliche Befehlshaber Ferrante Gonzaga im Piemont den Schutzschild eines freilich vom Kaiser dominierten (Reichs-)Italien gesehen.13 Sowohl die Befestigungsmaßnahmen der savoyischen Länder an der Peripherie des Deutschen Reiches als auch das Selbstbewusstsein des Fürsten, dem diese Aufgabe des Beschützers und Hüters zufiel, müssen vor dieser historischen Folie gelesen werden. Das Thema der Alpen als natürliche Begrenzung und Schutzwall Italiens avancierte zum literarischen Topos, der seither in der savoyischen Historiographie immer wieder bemüht wurde. Die Alpenregion selbst war integrativer und konstitutiver Bestandteil des savoyisch-piemontesischen Fürstentums und späteren Königreichs. Den Herzögen von Savoyen und späteren Königen von Sardinien wurde die aus dieser Position erwachsene Rolle des Wächters zugesprochen. In ihrer Zeit als Reichsfürsten wurde diese Position von einem Standpunkt nördlich der Alpen aus definiert: Savoyen-Piemont schützte die Grenzen des Heiligen Römischen Reichs. In der Historiographie des Risorgimento – und noch lange Zeit danach – hingegen rückte der Standpunkt auf die andere Seite der Alpen: Die savoyischen Fürsten und Könige waren nunmehr die Hüter der in Einigung begriffenen Nation Italien. Schon die Expansionsbestrebungen der savoyischen Herzöge des 16. Jahrhunderts interpretierten Historiographen des Risorgimento als frühe nationale Einigungsbestrebungen.14 Die Schutzschildmetapher wurde zugleich von den Alpen auf den Fürsten selbst übertragen. So wurde Herzog Carlo Emanuele I. in der Charakterisierung seiner kriegerischen, expansionistischen Politik ausgerechnet als »scudo e spada d’Italia« bezeichnet.15 Diese, Plutarch entlehnte Metapher war einst auf zwei römische Feldherren angewandt worden, Quintus Fabius Maximus und Marcus Claudius Marcellus, die sich als »Schild und Schwert Roms« am erfolgreichsten gegen den Mann hervorgetan hatten, der die Überzeugung der Römer von der Unüberwindbarkeit der Alpen gänzlich erschüttern sollte. Die Rede ist von Hannibal. 13 Vgl. Merlin, 2009, S. 202. 14 Gustavo Mola di Nomaglio beschreibt den historiographischen Sachverhalt folgendermaßen: »Si vuole che la volontà di espansione in Italia sia divenuta un elemento permanente della politica sabauda con Emanuele Filiberto. Ma al riguardo tra gli storici si riscontrano opinioni divergenti. Se alcuni affermano che il principe fu il fondatore della politica di espansione italiana di Casa Savoia, altri ritengono prematuro parlare, con riferimento al suo regno, di progetti tendenti all’unificazione degli Stati della penisola«, Mola di Nomaglio, 1996, S. 14. 15 Der zeitgenössische Vergleich Carlo Emanueles I. geht Mola di Nomaglio zufolge auf den Staatstheoretiker Ludovico Zoccolo zurück, vgl. Ebd., S. 15. 292

Die Erfindung der Sabaudia

Turin wurde mit Beginn der Fortifikationsmaßnahmen Mitte des 16. Jahrhunderts und seiner neuen Funktion als Haupt- und Residenzstadt der savoyischen Dynastie zum Kristallisationspunkt einer erst savoyischen und später italienischen Historiographie, die das Thema der Alpen als Bollwerk Italiens und der Savoyer als ihrer Torhüter stets aufs Neue aktualisierte. Noch eine neuzeitliche Geschichte Turins hält an diesem Bild für das 20. Jahrhundert fest: »Incomincia con uno dei mille e mille sacrifici dei Torinesi nella loro essenziale funzione di baluardo armato della civiltà italiana, della civiltà di Roma. Vi si legge una storia di onore e di nobiltà, che quasi sempre si accompagna, negli ultimi nove secoli, alla storia millenaria della Casa di Savoia. […] Questo libro deve essere letto e meditato. Lo dovrebbero leggere tutti gli italiani.«16

Freilich müssen diese mehr als pathetischen Worte des Autors Cesare Maria de Vecchi, einst Mitglied des faschistischen Quadrumvirats, vor dem Hintergrund seiner nationalistisch-monarchistischen Vergangenheit gelesen werden.17 Sie enthüllen jedoch das historische Potential einer Geschichtstradition, die ihre Hochzeit im 16. und 17. Jahrhundert hatte, und verweisen zugleich auf den Umstand, dass die Turiner Stadtgeschichte und die Dynastiegeschichte der Casa Savoia seither als zusammengehörig geschrieben und gelesen wurden.18 Zu Beginn des 17. Jahrhunderts führte der Savoyarde Pierre Monod die Alpen in seinem Discours de l’union et bonne intelligence de la serenissime Maison de Savoie avec l’Empire d’Allemagne bereits als Schauplatz europäischer Geschichte ein: »Les plus grands exploits de ceux qui ont pretendu l’Empire 16 Aus dem Vorwort zu Cognasso, [1959]. 17 Zu Cesare Maria de Vecchi siehe den biographischen Beitrag von Santarelli, 1991. 18 Das Phänomen der Interdependenz savoyischer und italienischer Historiographie, auch noch für die Nachkriegszeit, beschreibt Andrea Merlotti als im Rahmen nationaler Identitätsfindung zu verortende politische Debatte, vgl. Merlotti, 2007a, insbesondere S. 337-339. »La storiografia sabaudista, infatti, aveva cercato di comprendere e spiegare quali meccanismi politici, militari e istituzionali dello Stato sabaudo avessero fatto sì che fosse stato proprio il Piemonte a realizzare il processo di unità nazionale. La storiografia fascista diede per scontato, invece, che sin dal Cinquecento l’unificazione italiana fosse stato l’obiettivo primo della dinastia.« Ebd., S. 338. 293

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universel se sont faits sur le Theatre des Alpes«.19 Monod vertrat hier weiterhin jene Vorstellung von den Alpen als einer natürlichen Barriere, und zwar dem Verständnis folgend, das einst Herzog Emanuele Filiberto von seinem Staat hatte: einer Barriere zum Schutz des Reiches. Wer die Alpen beherrschte, folgerte Monod, hatte die Schlüssel zu Italien – »les clefs d’Italie« – in der Hand.20 Diese Herrschaft, nach der so manche Fürsten strebten, heißt es weiter, lag in den Händen des Hauses Savoyen.21 Eine solch wichtige Aufgabe konnte der Kaiser nur den treuesten unter seinen Gefolgsmännern überantworten. Schon der Begründer der savoyischen Dynastie Beroldo hatte einstmals die Grenzen des Heiligen Römischen Reiches im Königreich Arelat verteidigt, und wurde dafür vom Kaiser mit Savoyen belehnt. Jener Beroldo und dessen unmittelbare Vorfahren entsprangen allerdings der Geschichtsimagination des 15. Jahrhunderts, die in Beroldo einen Angehörigen des kaiserlichen Hauses der Ottonen sah.22 Diese Vorstellung hatte bis ins 19. Jahrhundert Gültigkeit und für Monod war der kaiserliche Gunsterweis, erweitert um die dynastische Komponente, umso plausibler. In einem weiteren discorso, der nach 1630 entstanden ist, heißt es, Kaiser Otto der Große habe seine nächsten Verwandten, »tutti Sassoni d’origine«, mit den wichtigsten Ämtern betraut. Denn »per tenere quei passi delle Alpi sempre pronti alla sua divotione, ad altro ch’ad un suo stretto parente non le volle fidare.«23 Seither hatten die Savoyer die besondere Ehre, die Alpenpässe zu 19 Pierre Monod, Discours de l’union et bonne intelligence de la Sereniss.e Maison de Savoye avec l’Empire d’Allemagne, in ASTo, Corte, Storia della Real Casa, categoria II, mazzo 9, n. 11. 20 »Comme les Romains les [Alpes] appelloient les plus forts rampars de leur Empire, aussi les étrangers ont creu d’avoir les clefs de l’Italie en main, quand il s’en sont rendus les maistres. Et les histoires font foy que les plus grands exploits de ceux qui ont pretendu l’Empire universel se sont faits sur le Theatre des Alpes«, ebd., fol. 1r. 21 »La domination des Alpes a laquelle divers Seigneurs avoient aspiré, fut aussi arété dans une seule maison, qui est celle de noz Princes, affinque la fidelité, et valeur de ceuxci fut un ferme bolevart, qui souti[e]nt la gloire, et la reputation de la noble nation Germanique«, Ebd., fol. 1v-2r. Die alte französische Bezeichnung »boulevart« entspricht der modernen »bastion« im Sinne eines Bollwerks, vgl. Freitag, 1665, S. 7. 22 Nachzulesen ist die frühneuzeitliche Überlieferung, in der Beroldo als Stammvater der savoyischen Dynastie eingeführt wird, bei Chaubet, 2006. Zur Entwicklung des Beroldo-Mythos in der savoyischen Historiographie siehe insbesondere Merlotti, 2014. 23 ASTo, Corte, Storia della Real Casa, categoria I, mazzo 1, fasc. 3, fol. 17v. 294

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verwalten und dem Kaiser den Zugang zu Italien zu sichern. Diese historische Aufgabe war auch im 17. Jahrhundert und angesichts der militärischen Konflikte, in denen es für die Kriegsparteien darum ging, sich den Zugang nach Italien zu sichern, so etwa in den Mantuanischen Erbfolgekriegen, von ungebrochener Aktualität.24 Das Theatrum Sabaudiae ist mit seinen annähernd 150 Bildtafeln, die weitestgehend aus Landkarten, Veduten und Architekturdarstellungen bestehen, ein vor allem auf Visualität angelegter Bildatlas, und entspricht hierin dem Konzept der Anschaulichkeit frühneuzeitlicher Theatren.25 Der Amsterdamer Verleger Joan Blaeu, in dessen Offizin auch das savoyische Theatrum entstanden ist, rühmte den Nutzen der Visualität seines Werkes, bezogen auf seinen Atlas maior mit den folgenden Worten: »Und was ist genussreicher, als die Reiche und Machtgebiete von Königen, Fürsten und Herzögen mit eigenen Augen zu sehen, Lage und Abstand zwischen Dörfern und Städten zu kennen […] anhand der Karten und der beigefügten Beschreibungen kennen zu lernen?«26

Die Länder »mit eigenem Auge zu sehen« entspricht einem den Theatren innewohnenden wesentlichen Kriterium in der Darstellungsweise von Wissen: dem Konzept der Autopsie. Die eigene Anschauung impliziert jedoch ein selbständiges Reisen des Lesers in die Länder. Die Karten und Veduten allerdings machen das mühevolle Reisen obsolet; sie selbst stellen »Auge und Licht der Geschichte« dar, wie Blaeu es formulierte.27 Die Autorität insonderheit des kartographischen Bildes stand für Blaeu damit außer Frage. Mit einer solchen Charakterisierung implizierte der Verleger zugleich, dass der Karte eine gewisse Objektivität und »historische Faktizität« innewohne.28 Im Vorwort des Theatrum Sabaudiae wird der Vorzug des Betrachtens als gleichwertiger Ersatz zum selbständigen Reisen gepriesen: »Con tanto piacere pasceranno gli occhi dei lettori, che il vedere le Tue città cisalpine sarà come leggere la storia rediviva di un tempo immemorabile; sarà il leggere le mie pagine, quasi un viaggiare sedendo.«29 Wörtlich 24 Siehe Anm. 4. 25 Zu den Merkmalen frühneuzeitlicher Theatren allgemein Friedrich, 2015. 26 Aus der Vorrede an den Leser, Blaeu, 1665. 27 Ebd. 28 Vgl. Gerhardt, 2011, S. 83. Allgemein zur Evidenz des Bildes in der Frühneuzeit siehe Burke, 2003, S. 275-277 und Krüger, 2007. 29 Firpo, 1984 [1985], S. 104. 295

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heißt es, in der Betrachtung lese man die Geschichte, »storia rediviva«, einer längst vergangenen Zeit. Hier ist bereits eine historische Verfasstheit der gegenwärtigen Länder vorgegeben, die in der Anschauung wieder belebt werden soll. Zwar wurde über die Kartographie eine genaueste Erschließung der Landstriche in ihrer flächenmäßigen Ausdehnung, bis hin zur Kenntnis ihrer Grenzverläufe suggeriert. Jedoch blieb das frühneuzeitliche Territorium in seiner räumlichen Ausdehnung sowie den Grenzverläufen weiterhin abstrakt.30 Vielmehr setzte es sich aus »symbolischen Örtlichkeiten« zusammen, die eine territoriale Zusammengehörigkeit suggerierten.31 Die im Theatrum Sabaudiae dargestellten Orte, seien es Städte, Festungen oder antike Monumente, repräsentieren den savoyischen Herrschaftsraum vielmehr, als dass sie ihn darstellen geschweige denn abbilden. Die besondere Auswahl der wenigen, antiken Monumente im Reigen der Veduten lässt vermuten, dass der Auswahl selbst, wie im weiteren Verlauf zu sehen ist, ein gewisser Aussagegehalt zugrunde liegt.32 So ist die Darstellung des Grand Chemin Royal de la Crote (Abb. 2)33 ein »symbolischer Ort« in jenem Sinne, dem im Rahmen unserer Thematik Aufmerksamkeit gebührt. Es handelt sich dabei keineswegs um einen militärischen Verkehrsweg, sondern um eine von Herzog Carlo Emanuele II. gestiftete Gebirgsstraße, die eine Verbindung zwischen Lyon und Chambéry darstellt. Diese Gebirgsstraße wurde seit jeher vor allem für den Wirtschaftsverkehr genutzt, nur war sie aufgrund ihres steilen Anstiegs durch Felsstufen und ihrer gleichzeitigen Unebenheit schwierig begehbar.34 Der alte Pas de la Grotte des Échelles verdankte seinen ursprünglichen Namen just den felsigen Stufen, die man bis dahin zu erklimmen hatte. Die neue Gebirgsstraße, Chemin Royal de la Grotte, von den Ingenieuren des savoyischen Herzogs 1667-1672 gebaut, bot nun einen geebneten und von Felsen und Geröll bereinigten und somit ungefährlichen An30 Vgl. Jöchner, 2015, S. 29f. »Die Vorstellung eines geschlossenen politischen Raums entstand weder synchron mit der operativen Handlung staatlicher Territorialität noch mit der Geschichte des Wissens über den Naturraum.« Ebd., S. 29. Zur problematischen Definierbarkeit von Grenzverläufen im frühneuzeitlichen Savoyen-Piemont siehe auch Carassi, 2006. 31 Vgl. Jöchner, 2015, S. 30. 32 »In der Aufzählung solcher Orte schafft das ›Theatrum Sabaudiae‹ so die punktuelle topographische Vorstellung eines ›savoyischen‹ Territoriums.« Jöchner, 2003, S. 71. 33 Theatrum Sabaudiae, 1682, Bd. 2. 34 Die Darstellung der Gebirgsstraße ist auch Gegenstand bei Jöchner, 2003, S. 6971 und Bourdon, 2009. 296

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stieg. Das Kupfer gibt im unteren Bilddrittel den Blick auf die breite, ansteigende Straße frei, auf der auch Reisende dargestellt sind, die dem Betrachter ein Gefühl für die Dimensionen vermitteln sollen. Eine zerklüftete, unbehauene Felsenwand, in die der ebene Weg hineingemeißelt zu sein scheint, ragt auf der einen Seite steil empor, während er auf der anderen Seite durch eine gemauerte Wegbegrenzung eingefasst ist. Den Großteil des Kupferstichs aber nimmt das felsige und teils bewaldete Gebirge ein, in welchem sich der Weg in einer steilen Serpentine verliert. Die solchermaßen aufgebaute Gebirgskette mit den einzelnen, steil aufragenden Bergen lässt keinen weiteren künstlichen Eingriff in die Natur erkennen. Der Reisende läuft beim ersten Anstieg auf eine auf Fernsicht angelegte und daher hoch aufgesockelte Ädikula-Architektur zu, die an einer noch höheren, eingeebneten Felsenwand angebracht ist. Die Blendädikula wird für die Lesbarkeit der Inschrift noch einmal in einem gesonderten Kupfer dargestellt (Abb. 3). Auf dem Sprenggiebel der Ädikula ist das von einem Baldachin überspannte königliche Wappen des Herzogs platziert. Sowohl das Wappen als auch der Baldachin sind von einer geschlossenen Krone bekrönt, die den savoyischen Titularanspruch über Zypern zum Ausdruck bringt. Von besonderem Interesse ist die von Emanuele Tesauro komponierte Inschrift, die den fürstlichen Stifter kommemoriert und zugleich historische Vergleiche herausfordert: Für das Gemeinwohl (»publica felicitate«) habe Carlo Emanuele II. diesen viel kürzeren und sichereren Weg gestiftet, heißt es dort. Von der Natur verschlossen, von den Römern versucht und von den übrigen aufgegeben, »naturam occlusam, Romanis intentatam, caeteris desperatam«, ist es erst der Savoyer, der den Weg für den Handel des Volkes zugänglich macht. Nicht nur wird hier die fürstliche Freigiebigkeit Carlo Emanueles II. gelobt. Der Savoyer hat mit seiner Unternehmung sowohl die Natur, die dem Menschen ein Hindernis war, überwunden als auch die Römer, seine Vorgänger im Straßenbau, im rhetorischen Sinne einer superatio übertrumpft. Die Demonstration des erfolgreichen Projekts des Chemin Royal, das die sichere Zugänglichkeit der gefährlichen Straße ermöglichte, steht zeichenhaft für alle Verkehrswege der Alpen in savoyischer Hand. Die Alpenstraßen werden in der savoyischen Historiographie mehrfach thematisiert. Guichenon führt sieben dokumentierte römische Verkehrswege durch die Alpen im Rahmen seines Kapitels zu den »Vestiges d’Antiquités« auf,35 und die Autoren des Theatrum Sabaudiae verweisen mit der Beschreibung der Alpenpässe des Kleinen und Großen St. Bernhard sowie dem sogenannten Chemin d’Anni-

35 Guichenon, 1660, S. 25-29. 297

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bal auf großartige Bauunternehmungen der Antike.36 Herzog Carlo Emanuele II. stellt sich hier in eine antike Tradition, mittels derer er über infrastrukturelle Maßnahmen wie den Straßenbau den »Zugriff auf das herrscherliche Territorium« demonstriert.37 Vor dem Hintergrund der römisch-antiken Ingenieursleistung im Alpenraum erhält der Chemin Royal als fürstliche Stiftung, aufgeführt in einer Folge mit den antiken Vorläufern, eine sowohl dezidiert politische als auch historische Konnotation. Abb. 2: »Le Grand Chemin Royal de la Crote«, aus Théatre des Etats, 1700, II, 39a (Foto: © Jean-Luc Ikelle-Matiba).

36 Theatrum Sabaudiae, 1682, Bd. 2, S. 53-55 und entsprechend Théatre des Etats, 1700, Bd. 2, S. 55-61. 37 Warnke, 1992, S. 18. 298

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Abb. 3: Ädikula mit Dedikationsinschrift, aus Théatre des Etats, 1700, II, 39b (Foto: © Jean-Luc Ikelle-Matiba).

Alte Herrschaft über altes Land: die Erfindung der Sabaudia Es muss vor allem der savoyischen Historiographie der Frühneuzeit als Verdienst angerechnet werden, den Landschaften Savoyen und Piemont eine historische Identität verschafft zu haben. Im Zuge einer demonstrativen Aneignung von Raum ging es auch darum, die Geschichte jenes Raumes zu beherrschen. Zu diesem Zweck eignete man sich ihre Relikte an, um diese schließlich vor der Folie der eigenen Dynastiegeschichte zu choreographieren. Trotz der Herkunftsüberlieferung, die den Begründer des Hauses Savoyen zu einem Migranten machte, waren die savoyische Dynastie und das Land Savoyen miteinander verbunden. Nicht zuletzt wurden zu diesem Zweck pseudoetymologische Be-

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trachtungen angestellt, in denen man sich dazu verstieg, den Ländernamen Savoyen aus der Geschichte und Herkunft der Dynastie zu erklären.38 Abb. 4: »Inscriptions Romaines de Savoye«, aus Samuel Guichenon, Histoire généalogique de la Maison Royale de Savoye, Buch 1, 1660, S. 32, Universitätsbibliothek Heidelberg.

Ein kritischerer Zeitgenosse, wie Samuel Guichenon es war, konnte solcherlei Verirrungen abtun und indessen auf die literarischen Belege des antiken Ländernamens »Sapaudia« verweisen, aus dem sich der moderne Name »Savoie« ableitete.39 Guichenon behandelte im ersten der sechs Bücher seiner Histoire Généalogique de la Maison de Savoye (1660) mit »Les Vestiges d’Antiquité qui sont dans les Estats de S. A. R.« und »De L’Ancienneté de l’Estat de Savoye« in zwei Kapiteln die antike Vergangenheit des Landes und Fürstenstaats Savoyen, 38 Bei Tonsi, 1596, S. 2 wird der Name »Savoia« auf »Sax Voia«, als »Weg des Sachsen« zurückgeführt, und meint den sächsischen Begründer der Dynastie, der einst ins Burgundische Königreich auswanderte. Zu »Sapaudia« als bereits in der Antike bekannte Landschaft siehe Kampers, 22004. 39 Guichenon, 1660, S. 9. 300

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ehe er zur Anciennität der Dynastie überging.40 Zu den »Überresten der Antike« wurde neben den erwähnten römischen Verkehrswegen ferner eine Vielzahl von Inschriften gezählt, die Guichenon nach Provinzen sortiert aufführte. Für die Darstellung der inschriftlichen Funde wird die römische Monumentalschrift verwendet, so dass sich Inschrift und Text typographisch voneinander abheben (Abb. 4).41 Wurde das die Inschrift tragende Artefakt von seinem Ursprungsort entfernt – was häufig der Fall war –, notierte Guichenon den Aufbewahrungsort: »Au village d’Arbin proche de Montmeillan« – »La pierre a esté portée depuis au Chasteau de Montmeillan«.42 Hatte Guichenon zugleich aus eigener Anschauung Kenntnis von der Inschrift, so war ein kursives »vidi« beigefügt. Bis auf die zum Teil sehr konkreten Standortbenennungen (»Au Monastere d’Hautecombe dans le Cloistre, sur une grande Auge de pierre«), die von großer Relevanz sind, erläuterte Guichenon die Inschriften nicht, geschweige denn, dass er sie archäologisch analysierte. Die Inschriften wurden ohne inhaltliche oder funktionale Unterscheidung der Reihe nach aufgelistet. Sie dienten in dieser syllogischen, gereihten Form auf über dreißig Seiten vor allem einem Zweck: einer topographischen Erfassung der antiken Landschaft.43 Daher ist auch die Lokalisierung und genaue Standortbestimmung von solcher Relevanz. Es ging Guichenon in erster Linie darum, das hohe Alter der savoyischen Provinzen mittels der inschriftlichen Artefakte zu dokumentieren. Antike Inschriften dienten in diesem, dezidiert historiographischen, Kontext zunächst nur der »Erfassung des Raumes«.44 Weiterführende epigraphische Fragen waren von nachgeordneter oder geringerer Bedeutung. 40 Ebd., S. 24-80. »Aussi voyons nous dans les Familles, avec quelle chaleur on recherche ce degré d’honneur, & les efforts que l’on fait tous les iours pour se l’attribuer: Or si l’ancienneté d’un Estat luy donne quelques preferences sur les autres, il faut avoüer sans flaterie, que celuy de SAVOYE ne la doit pas ceder à la pluspart des Souverainetés & des Royaumes de la Chrestienté, puis qu’il y a prés de sept cens ans qu’il est estably« (Hervorhebung im Original), Ebd., S. 76. 41 Die Capitalis Monumentalis ist auch das typographische Darstellungsmedium der humanistischen Inschriftensyllogen, wie etwa das über den deutschen Sprachraum hinaus bekannte Werk des Konrad Peutinger Romanae vetustatis fragmenta in Augusta Vindelicorum et eius diocesi von 1505. 42 Guichenon, 1660, S. 32. 43 Martin Ott beschreibt dieses gelehrte Verfahren der Darstellung antiker Landschaft für die bayerische Landesgeschichtsschreibung des Humanismus bei Peutinger und Aventinus, vgl. Ott, 2001. 44 Vgl. auch Ott, 2009. 301

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Abb. 5: Numismatische Zeugnisse der Tauriner, aus Filiberto Pingone, Augusta Taurinorum 1577, S. 11.

Die im 16. Jahrhundert unter den Auspizien der humanistischen Historiographie – namentlich vertreten im Gesamtwerk Pingones – begonnene Suche nach einer savoyisch-regionalen Vergangenheit konnte sich allerdings erst im Kontext einer dynastischen Geschichtsschreibung entfalten. Mit der keltogallischen Antike hatte man sich, insbesondere mit Rückgriff auf epigraphische Funde, im Verlauf des 16. Jahrhunderts bereits vereinzelt auseinandergesetzt.45 Jedoch darf Filiberto Pingone in seiner Eigenschaft als Historiker und Antiquar im Dienste des savoyischen Herzogs als eigentlicher Begründer einer savoyischen Altertumskunde gelten. Nicht nur war Pingone in seinem antiquarischen Interesse bestrebt, seine historischen Erkenntnisse in gleichem Maße auf materielle Relikte zu stützen, denen er einen autonomen Quellencharakter zusprach. Zugleich sorgte er als einer der ersten Humanisten, neben Domenico della Bella, von dem weiter unten die Rede sein wird, dafür, dass solche materiellen Relikte wie antike Münzen und Inschriften über graphische Reproduktionen eine Verbreitung fanden, die in ihrer dynastiegeschichtlichen Kontextualisierung über Turin hinausgehen konnte. Das beste Beispiel hierfür stellt seine eingangs erwähnte 45 So etwa die Arbeit von Merula, 1538. Siehe hierzu auch Giarcelli, 2009a, S. 591-602. 302

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Turiner Stadtgeschichte, Augusta Taurinorum, dar.46 Hier reichert Pingone seine als Chronik angelegte Geschichte mit einer Vielzahl von bildlich dargestellten numismatischen Zeugnissen an, die maßgeblichen Evidenzcharakter für die antike Geschichte Turins haben (Abb. 5).47 Diese Publikation gehörte neben der Partikulargenealogie zu den ersten Druckwerken der eigens eingerichteten herzoglichen Offizin des aus Venedig nach Turin migrierten Verlegers Niccolò Bevilaqua beziehungsweise seiner Erben; sie war für die weitere Rezeption an den benachbarten italienischen wie den europäischen Höfen bestimmt und trug das Bild einer Residenzstadt mit vorrömischer Vergangenheit nach außen. Wesentlich für unseren Zusammenhang ist, dass Pingones Arbeiten an der savoyischen Landesgeschichte mit denen an der savoyischen Dynastiegeschichte zusammenfielen. Erst mit Pingone wurde die vorrömische Antike Savoyens, namentlich in der Form des Reichs der Allobrogen, mit der dynastischen Geschichte der Savoyer in einen historischen Kontinuitätszusammenhang gesetzt. Dem savoyischen Herzog wurde im Zuge dessen der historistische Titel »Dux Allobrogorum« zugeeignet.48 Von Pingone ist ein bislang literarisch und historisch unerschlossenes Konvolut von Manuskripten überliefert, darunter eine Historia Sabaudae, die wiederum den Charakter einer Dynastiegeschichte hat. Den Anfang des ersten Buches eröffnet kurioserweise eine Beschreibung der Verfasstheit Sachsens, als Herkunftsland der Savoyer.49 In diesem Kontext finden sich ferner Manuskripte, die unter dem Titel De regno ac situ Allobrogorum auf die Arbeit an einer vorrömischen Geschichte Savoyens hinweisen. Auszüge hieraus finden sich in der späterhin publizierten Partikulargenealogie der Savoyer, mit dem Titel Inclytorum Saxoniae Sabaudiaeque Principum Arbor gentilita.50 So hatte Pingone hier eine Chronologie der Herrscher über das Reich der Allobrogen, das zunächst Savoyen und Piemont umfasste, erstellt, welche auch die keltischen Regenten namentlich aufführt.51 Unter diesen befindet sich 46 Siehe Anm. 10. 47 Siehe Anm. 28. 48 So zu sehen etwa auf dem Frontispiz der Biographie des Herzogs Emanuele Filiberto von Tonsi, 1596. 49 ASTo, Corte, Storia della Real Casa, categoria II, mazzo 4, Sabaudae Historiae, liber 1; zu Pingone liegen nur wenige, auf das Piemont beschränkte Studien vor. Hervorzuheben sind Mongiano, [1981] und Barbero, 2009 mit der relevanten Literatur sowie zuletzt der biographische Beitrag von Merlotti, 2015. 50 Pingone, 1581. 51 Die Tafel ist übertitelt »Celtarum sive Allobrogum Sabaudorumve Reges Ab Origine«, Ebd., S. 113f. 303

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König Cottius, auch bekannt unter seinem römischen Namen Marcus Iulius Cottius. Zur Zeit des Kaisers Augustus herrschte Cottius über eine Vielzahl von Stämmen, zu denen die Allobrogen zählten, in jener Alpenregion, die später als Cottische Alpen nach ihm benannt wurde. Von Relevanz ist hier vor allem, dass Cottius in römischer Zeit den Königstitel führte und sein Reich erst unter Nero zur Provinz und er selbst zum Präfekten seines ehemaligen Königreiches wurde. Nur kurze Zeit später allerdings wurde das Reich des Cottius in savoyischen Darstellungen vom Reich der Allobrogen unterschieden. Das Cottische Reich präfigurierte demnach das Piemont und das allobrogische Savoyen. Dergestalt war es möglich, auf zwei Königreiche zurückzublicken, ein vorrömisches und eines in römischer Zeit. Eine solche Vorstellung von der antiken Verfasstheit der Länder Savoyen und Piemont hatte seine Bewandtnis, insbesondere im über Generationen andauernden Präzedenzstreit der Savoyer mit den Medici. Die Erhebung der Medici zu Großherzögen der Toskana (1569/70) hatte den Protest der älteren Dynastien, so etwa der Este und Savoyer zur Folge. Es ging dabei vordergründig um die Frage, welchem Haus der zeremonielle Vorrang vor den anderen zustand. Anfang des 17. Jahrhunderts kam zugleich ein Gerücht auf, das am Turiner Hof sehr ernstgenommen wurde und zu einiger Aufregung führte: Die Medici würden sich beim Kaiser auch noch um die Erhebung ihres Landes zum Königreich bemühen. Das Gerücht provozierte eine umgehende Reaktion des savoyischen Herzogs. Carlo Emanuele I. bemühte sich nun im Gegenzug seinerseits um eine Statusaufwertung seiner Länder, um den prätendierten Vorrang vor den Medici aufrecht zu erhalten.52 Er konnte sich hierbei sowohl auf seine alte Herkunft als auch auf die antike Geschichte seiner Länder stützen. Den Zusammenhang verdeutlichte der Herzog in den Instruktionen an seinen Gesandten am kaiserlichen Hof: »Il titolo non è nuovo in questa casa, havendo havuti i miei Antecessori l’honore di essere Re di Cipro; non è neanco nuovo in questi stati, essendo in essi stata la sedia dei Re degli Allobrogi e di re Cotio. […] Vi è l’antichità del nostro dominio, che passa ottocento anni, la qualità del sangue assai notoria, discendendo dagli Imperatori Sassoni […].«53 52 Vgl. Angiolini, 2006, S. 446f. 53 »Istruttione a Voi Marchese di Bagnasco di quello che dovrete fare in nome nostro con S. M. Cesarea«, in ASTo, Materie politiche, Negoziazioni con Vienna, mazzo 1, n. 28, hier zitiert nach La Rocca, 1910, S. 388. La Rocca stützt sich in seiner Argumentation auf zwei Texte, von denen der eine, und hier zitierte, Anweisungen an den savoyischen Botschafter in Wien enthält (von La Rocca auf 1619 datiert). In 304

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Der rechtliche Anspruch auf den Königstitel bestehe, da savoyische Vorfahren Könige von Zypern gewesen seien. Allerdings blieb dies ein Titularanspruch, denn die Insel war seit den 1570er Jahren in den Händen der Osmanen. Daher sollte es nunmehr darum gehen, den Titel auf das Piemont zu übertragen. Die monarchische Verfasstheit von Savoyen und Piemont in der antiken Vergangenheit war die historische Voraussetzung für eine Wiederherstellung zumindest eines der Königreiche in der Gegenwart: »In oltre sin dal tempo de Romani et molto innanzi ancora sempre c’era un Re degli Allobrogi che è appunto quel paese che hora si chiama Savoia, et un altro in Piemonte che si chiamava Re Cotio tanto amico del Popolo Romano, a cui lasciò il suo Regno.«54

Würde dem savoyischen Herzog nun der Königstitel zugestanden, dann wäre dies also keineswegs eine Neuerung. Es würde eine Rückkehr zu einem alten Status quo bedeuten: Was in der Antike einmal war, würde für die Gegenwart wiederhergestellt werden. Diese Argumentation mit der Rückkehr zum alten Zustand war ein wesentliches Legitimationsprinzip im Bemühen des Herzogs, aus dem Piemont (wieder) ein Königreich zu machen. Das Prinzip, auf einer alten Herrschaft aufzubauen, noch dazu als altes Geschlecht, stellte für eine Dynastie wie die der Savoyer zugleich einen entscheidenden Standesvorteil gegenüber Dynastien wie den Medici oder Farnese dar, die entweder spät geadelt worden waren oder deren Land erst in jüngster Vergangenheit zum Fürstentum erhoben worden war. Auf diesen auch in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts ungebrochenen, historischen, monarchischen Anspruch des Hauses Savoyen hebt auch das Vorwort des Theatrum Sabaudiae ab, wenn von zwei »regna« die Rede ist. Es werden die »regna« der Allobrogen und des Cottius genannt, aus denen die savoyischen Länder Savoyen und Piemont hervorgegangen und seit Adelheid von Susa vereint seien. Das lateinische Wort »regnum«, das einmal »Land-

beiden Schriftstücken werden Argumente behandelt, die für den Königsrang des Fürstentums Piemont sprechen. 54 »Raggioni per le quali pare che convenga il titolo di Regno alli Stati del Duca di Savoia tanto per l’ampiezza come per le virtù valore et nobiltà di sangue delli Prencipi che li hanno posseduti«, in ASTo, Materie politiche, Negoziazioni con Vienna, mazzo 1, n. 27, Ebd., S. 386. 305

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schaft« sowie auch »Königreich« bedeutet, wird bewusst in seinem doppelten Wortsinn verwendet.55 Alte Herrschaft über altes Land diente auch den toskanischen Großherzögen als historischer Legitimationsrahmen für die Gegenwart des 17. Jahrhunderts. Cosimo II. de̓ Medici hatte in diesem Sinne eine Geschichte der etruskischen Vergangenheit der Toskana in Auftrag gegeben, mit dem ultimativen Ziel, die mediceische Herrschaft über die Toskana mit dem Königreich der Etrusker in einen Kontinuitätszusammenhang zu bringen. Die historisch-antiquarischen Ergebnisse legte der Schotte Thomas Dempster zwischen 1616 und 1619 unter dem Titel De Etruria Regali vor. Am Ende von Dempsters Ausführungen steht im Sinne seines Auftraggebers sogar die genealogische Ableitung der Medici von den Etruskern. Dempsters Arbeite markierte, spätestens mit der Publikation des Manuskripts rund hundert Jahre später, den Beginn eines eigenen Zweiges der Altertumswissenschaften: der Etruskologie.56

Antiquitas als kulturelles Konzept Das Prinzip der Anciennität ist für das Prestige fürstlicher Genealogien der Frühneuzeit hinlänglich erwiesen.57 Es ist das Movens genealogischer Arbeit und Ziel- und Orientierungspunkt von bisweilen sorgfältig konstruierten, fürstlichen Stammbäumen.58 Als politisches und kulturelles Konzept wurde das Prin-

55 Aus dem Vorwort des Theatrum Sabaudiae, 1682, s.p.; Übersetzung aus dem Lateinischen von G. Bocchini, in Roccia, 1984, S. 103-106. 56 Vgl. Rügler, 2009, S. 9f. Dempsters Manuskript wurde erst 1723-24 von Thomas Coke in einer erweiterten Fassung herausgegeben: Dempster /Buonarroti, 1723-1724. Das zunehmende Interesse an der regionalen Antike beschreibt Burke, 2003, S. 282-284. 57 Guichenon schreibt dazu im Kapitel »De l’Ancienneté de la Famille & Noblesse de la Royale Maison de Savoye«: »Il n’y a rien qui donne plus d’éclat & de lustre à la Noblesse d’une Famille que l’Ancienneté«, Guichenon, 1660, S. 79. 58 Siehe hierzu Bizzocchi, 2009 sowie zum Phänomen insgesamt Heck /Jahn, 2000. Zum Thema der Anciennität für das Haus Savoyen siehe auch Merlotti, 2007b, S. 96-102. Die unbestrittene Relevanz dynastischer Anciennität und die Möglichkeiten ihrer Repräsentation in der Frühneuzeit für den reichsfürstlichen Kontext sind u.a. Gegenstand bei Heinemann, 2015. 306

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zip der antiquitas allerdings ebenso auf die vom Fürsten geführten Titel, seine Heraldik, als auch auf das von ihm beherrschte Land angewandt.59 Das Prinzip der antiquitas gehörte auch zu den gängigen Topoi des Städtelobs, wie sie schon bei Quintilian erörtert werden.60 Daher war es nur konsequent, wenn auch die Hauptstadt Savoyen-Piemonts auf eine lange, vor allem vorrömische Zeit zurückblickte. Ging der Städtename Augusta Taurinorum auch auf die römische Kolonie zurück, so hatten die Stadt und ihre Einwohner, die Taurini, hingegen eine weit ältere Geschichte. Diese Annahme stützte sich auf zwei fundamentale Überzeugungen. So spielten zum einen der traditionell überlieferte Mythos des ägyptischen Königs Eridanus als Gründervater Turins eine Rolle, zum anderen die literarischen Überlieferungen im Zusammenhang mit der Alpenüberquerung Hannibals. Der am Mailänder Hof tätige und zeitweilig in Turin verkehrende Gelehrte Domenico della Bella (genannt Maccaneo) hatte im Rahmen eines Gelehrtenstreits bezüglich der Urheberschaft eines antiken Textes einen Kommentar mit der Darstellung der Geschichte des karthagischen Heerführers Hannibal verfasst. Dieser hatte nicht nur die Alpen überquert, sondern im Anschluss auch die befestigte Stadt (von Appian »Taurasia« genannt) eines Volkes belagert, das Polybius als »Taurini« bezeichnet hatte.61 Bekanntlich ist bis heute strittig, welchen Alpenpass Hannibal tatsächlich nahm, und Theorien hierzu stützten sich im 16. Jahrhundert wie heute auf die unterschiedlichen Interpretationen der literarischen Überlieferung.62 Maccaneos Beschreibung der Alpenüberquerung ist, wie Silvia Giorcelli Bersani konstatiert, aufgrund einiger Unschärfen zwar nicht völlig nachvollziehbar, stellt aber »Taurasia« und die »Taurini« in unmittelbaren Zusammenhang mit Turin. Maccaneos Darstellung fand zusätzlich antiquarischen Rückhalt in dessen, im selben Kommentar dokumentierten, Fund eines marmornen Artefaktes, das den Sturz des mythischen

59 Zu heraldischen Konstruktionen der Frühneuzeit siehe insbesondere Heinemann, 2015, S. 156-183 sowie für den savoyischen Kontext Al-Baghdadi, 2014, S. 58-63. 60 »Laudantur autem urbes similiter atque homines. Nam pro parente est conditor, et multum auctoritatis adfert uetustas […].« Quintilianus, 1829, Buch III, 7, 26, S. 162. 61 Maccaneos Kommentar in Cornelius Nepos qui contra fidem veteris inscriptionis Plinius aut Suetonio appellabatur vigilanti studio emendatus (1508), vgl. Giorcelli Bersani, 2009a, S. 602-614 sowie außerdem Dies., 2009b. 62 Zur Problematik der Theoriebildung hinsichtlich Hannibals Alpenüberquerung vgl. Walbank, 1985. 307

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Eridanus darstellte.63 Der ägyptische Eridanus, dessen römische Entsprechung Phaethon darstellt, hatte sich mit seinem Volk in der Poebene niedergelassen, wo er die nach ihm benannte Stadt Eridanus (Turin) gründete. Der Fluss Po, den schon Plinius mit dem mythischen Fluss Eridana identifiziert hatte, trug den Namen des Königs, seit dieser in den Fluss stürzend starb.64 Maccaneo überlieferte in jener Schrift neben dem außergewöhnlicheren Fund des Eridanus-Sturzes auch eine Anzahl von Inschriften, die er den Taurinern zuordnete. Diese stellen den Nukleus des ältesten gesicherten Inschriftenbestandes für den Turiner Raum dar.65 Anders als von Maccaneo angenommen, waren diese epigraphischen Relikte allerdings der römischen Kaiserzeit zuzurechnen. Solche Funde, wie sie etwa beim Bau der Kirche San Dalmazzo oder auch des Turiner Domes zutage traten, wurden damals zu großen Teilen in die Privatstuben der Gelehrten verbracht. Auch Filiberto Pingone, der eine Sammlung antiker Relikte in seinem Turiner Wohnhaus nahe der römisch-antiken Porta Palatina zusammengetragen hatte, dokumentierte kurze Zeit nach Maccaneo den Fund eines Marmorreliefs, das ebenfalls den Sturz des Eridanus zum Motiv hatte, in seiner Augusta Taurinorum.66 Auf die ägyptische Stadtgründung, »septem seculis ante Romam conditur«, verweist bereits das Frontispiz der Historia dell’Augusta città di Torino von Emanuele Tesauro, das die Protagonisten des mythischen Turin im Bilde vereint (Abb. 6).67 König Eridanus hält dem Betrachter in seiner Eigenschaft als Stadtgründer eine Karte Turins entgegen. Dem Stier (taurus), den die Tauriner dem Jupiter zu opfern pflegten, wird als Symbol eine herausgehobene Stellung auf dem erhöhten Sockel zuteil; den Bildvordergrund schließt eine mit dem Ellbogen auf einen Krug gestützte, stierköpfige Flussallegorie ab, die in späteren zeitgenössischen Turin-Ikonographien wiederkehrt.68 Der Stier zierte damals wie auch heute das kommunale Stadtwappen und ist im Spätmittelalter als sogenanntes »redendes« Wappen aus dem Stadtnamen entstanden.69 Das dem Jupiter 63 »Foribus domis mei gymnasii scholastici adstat currus phetonteus marmoreus«, zitiert nach Giorcelli Bersani, 2009a, S. 609. 64 Zur literarischen Überlieferung des Turiner Stadtgründungsmythos siehe Monge, 1994. 65 Vgl. Giorcelli Bersani, 2009a, S. 611. 66 Vgl. Ebd., S. 609 sowie allgemein zu dem Phänomen Maritano, 2008. 67 Tesauro, 1679. 68 Zum Kupferstich von Georges Tasnière siehe die Katalogbeiträge von Demanuele, 1989 und Perosino, 1989. 69 Siehe Gentile, 1999. 308

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geweihte Stieropfer hatte bereits Pingone als eine vom ägyptischen Isiskult herrührende Institution der Tauriner, und nicht der Römer, ausgewiesen.70 In diese Konstruktion des Humanisten fügten sich die bereits erwähnten numismatischen Zeugnisse, die entsprechend, wie bei Maccaneo, als taurinische Relikte erfasst wurden (Abb. 5).71 Die rechte der hier dargestellten Münzen führt auf dem Avers den Stier an, der in seiner steigenden Haltung bereits dem heraldischen »toro furioso« des Turiner Stadtwappens ähnelt. Der Revers mit der Aufschrift »IOV OPT MAX SACR« weist den Stier, der hier vor dem Opferstein steht, als dem Jupiter geweiht aus. Eine zeitgenössische Reflexion des Eridanus-Mythos findet sich, um ein abschließendes Beispiel anzuführen, in der von Herzog Carlo Emanuele II. gewollten (und nach dessen Tod von der Herzoginwitwe Maria Giovanna Battista veranlassten) Stadterweiterung gen Osten und somit Richtung Po. Die Karte, die König Eridanus in Händen hält (Abb. 6), gibt den Zustand der Stadt nach der Stadterweiterung in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wieder. Die »Porta Eridana« und die in das rasterförmige castrum geschlagene, diagonale Achse der Contrada di Po sind auf der Karte deutlich erkennbar. Das in diesem Rahmen von Guarino Guarini konzipierte Stadttor, das die Stadt an den Fluss heranrückte, war zum Zeitpunkt der Publikation des Theatrum Sabaudiae zwar noch nicht fertiggestellt, wurde aber mit gleich zwei Bildtafeln und der Wiedergabe der Dedikationsinschrift gewürdigt.72 Die Ikonographie des zum Tor gehörigen Skulpturenensembles, die der Text beschreibt, greift die Geschichte des mythischen Gründers Eridanus und dessen tödlichen Sturz in den Po auf. Die Inschrift würdigt Carlo Emanuele II. als den Initiator der Stadterweiterung und gleichsam zweiten Stadtgründer in der Nachfolge des Eridanus, der auf Tasnières Frontispiz die Karte eines savoyischen Turin präsentiert.

70 So führt Pingone außerdem den Fund eines den Isiskult bei den Taurinern bezeugenden Reliktes an, Pingone, 1577, S. 97; vgl. auch Monge, 1994, S. 375, Anm. 82. 71 Vgl. Monge, 1994, S. 374f. »[…] numismatibus in eius rei memoriam cusis, quae Taurini inventa sunt«, Pingone, 1577, S. 11. 72 Zur Porta del Po siehe Jöchner, 2015, S. 257-259 sowie Re/Subbrizio, 1998. 309

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Abb. 6: Georges Tasnière nach einer Zeichnung von Domenico Piola, Frontispiz aus Emanuele Tesauro, Historia dell’Augusta Città di Torino, 1679.

Die Identifizierung der von Polybius namentlich benannten Tauriner beziehungsweise der Stadt Taurasien mit Turin wurde im Bestreben der savoyischen Historiographen, die antiquitas der savoyischen Länder als auch ihrer Hauptstadt herauszustellen, historiographisch und materiell weiter unterfüttert. Dies führte in der Folge zu einer alten, vorrömischen und vor allem zusammenhängenden Geschichte, die sowohl die Länder Savoyens als auch das frühneuzeitliche Turin maßgeblich und dauerhaft nobilitierten.73 Wurden die inschriftlichen Artefakte in der Historiographie unter dem Leitmotiv der antiquitas weitestgehend für eine topographische Archäologie eingesetzt, so kam den antiken Baudenkmälern nunmehr eine weitestgehend zugespitzte, historisierende Funktion zu. Entsprechend ist die fokussierte Darstellung der im Theatrum Sabaudiae präsentierten, wenigen antiken Monumente zu verstehen, die wiederum in engs-

73 Für eine Identifizierung des vorrömischen Taurasien mit Turin liegen bis heute keinerlei wissenschaftliche Grundlagen vor. Zu diesem Sachverhalt und den Taurinern im Einzelnen siehe Culasso Gastaldi/Cresci Marrone, 1997. 310

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tem Zusammenhang zu ihrer vorrömischen Geschichte stehen.74 Der 9/8 v. Chr. errichtete Augustusbogen in Susa, der dem Pakt des Königs Cottius mit Augustus ein Denkmal setzte, und also die vierzehn civitates, über die Cottius regierte, mit Rom verband, gehört in diesem Rahmen zu den bedeutendsten Denkmälern vorrömischer Geschichte im Alpenraum. Von Cottius gestiftet, stellt der Bogen zugleich das herausragende antiquarische Zeugnis gallo-romanischer Herkunft dar. Abb. 7: Augustusbogen in Susa, aus Théatre des Etats, 1700, I, 72 (Foto: © Jean-Luc Ikelle-Matiba).

Der Kupferstich des Theatrum Sabaudiae (Abb. 7) gibt den eintorigen Ehrenbogen jedoch nicht annähernd getreu wider. Um dem Monument Tiefe zu verleihen, hat der Künstler den Bogen in die Tiefe gestaffelt und Säulen hinzugefügt, wo keine existieren. Ebenso ist der Bilderfries, der eine Souvetaurilia, ein drei Tiere umfassendes Opfer – hier zur Besiegelung des foedus –, darstellt, scheinbar in völliger Unkenntnis der Vorlage erstellt worden. Auch die Inschrift ist 74 Insgesamt führt das Theatrum Sabaudiae vier antike Monumente auf: die Augustusbögen in Aosta und Susa, das Trophaeum von La Turbie sowie einen weiteren Ehrenbogen in Aix-le-Bains. 311

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nur bruchstückhaft erfasst. Insgesamt trägt die Darstellung mit vereinzelt durchdringender Vegetation einen ansatzweise verklärt ruinösen Charakter.75 Erst der Veroneser Altertumsforscher Scipione Maffei hatte den Augustusbogen Anfang des 18. Jahrhunderts unter archäologischen Gesichtspunkten erfasst und war eigens nach Susa gereist, um das Monument in situ in Augenschein zu nehmen. Er vervollständigte und transkribierte die Inschrift und ließ das Monument von einem Künstler abzeichnen, wobei er auf die Genauigkeit der Darstellung großen Wert legte (Abb. 8).76 Der mit solchem Aufwand reproduzierte Bogen bildet den Auftakt der Istoria Diplomatica, die dem nunmehrigen König Vittorio Amedeo II. gewidmet wurde.77 Maffei konnte hier vor allem als Epigraphiker glänzen und präsentierte das Monument mit Verweis auf die von ihm wiederhergestellte Inschrift. Vittorio Amedeo II. sei »il primo d’ogni altro a vederne il bassorilievo, ed a leggerne l’iscrizione di tutti questi tre secoli dal ristoramento delle lettere non rilevata ancor mai«.78 Der Augustusbogen steht ansonsten in keinerlei Verbindung zu den in der Istoria diplomatica vorgestellten Urkunden. Maffei würdigte mit der Präsentation des Monuments allerdings »una delle più insigni antichità che in Italia ci restino«.79 Die Publikation des Turiner Architekten Paolo Antonio Massazza zum »arco di Susa«, welche dieser dem Prinzen Vittorio Amedeo III. widmete, erschien nicht zufällig im Jahre 1750. In jenem Jahr empfing der Prinz seine spanische Braut Maria Antonietta Ferdinanda just am Fuße des Monginevro. Dort setzte das Paar auf dem historischen Verkehrsweg, der Via Cozia (auch genannt Via delle Gallie), seinen Weg gemeinsam über das Susatal fort, wo der Augustusbogen seinen Standort hatte.80 In Massazzas Publikation wird das Monument maßgenau mit Angabe von Höhen und Breiten einzelner Bauteile und unter Aufzeigung einiger ausgewählter Details reproduziert. Diese wie auch Maffeis Darstellung des Augustusbogens dürfen als eine wissenschaftliche, gleichsam eine

75 Dieser Vorlage hat sich ein unbekannter Künstler angenommen, dessen Interpretation des Augustusbogens mit Spaziergängern in der Landschaft das Bauwerk gänzlich zu einer ästhetisierten Ruine werden lässt, in Salmon, 1751. Vgl. Mercando, 1998, S. 716. 76 Vgl. Mercando, 1998, S. 709. 77 Maffei, 1727. 78 Zitiert nach Mercando, 1998, S. 710. 79 Ebd. 80 Die Stationen der Reiseroute der Braut bei Bianchi, 2010, S. 65f. 312

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Musealisierung anstrebende Darstellungsform des Monuments gelten.81 Die politische Bedeutung, die dem antiken Bauwerk vor diesem Hintergrund beigemessen wurde, liegt indessen auf der Hand. Der Prinz führte seine Braut über die Alpen durch die in Zukunft von ihm beherrschten Territorien und reaktivierte hierfür einen antiken Verkehrsweg. Die Geschichte dieses Weges wie auch des Monuments, welches das Brautpaar auf der Via Cozia passierte, stand der Braut und ihrem Gefolge greifbar vor Augen und war zugleich zeichenhaft für die antiquitas des savoyischen Herrschaftsraumes zu verstehen. Zugleich verwies das einst von König Cottius gestiftete Monument auf die antike Geschichte einer in diesem Land zu verortenden antiken Monarchie.82 Der 1713 erlangte monarchische Rang der Savoyer lag erst eine Generation zurück. Der Verweis auf die antiquitas von Land und Monarchie diente insofern als Kompensation einer im Grunde allzu jungen Geschichte.

81 Überlegungen, das Bauwerk von seinem Standort zu entfernen, um es in einen geschützten, musealen Raum zu überführen beziehungsweise es vor Ort durch einen Überbau zu schützen, sind u.a. auch von Maffei angestellt worden. Im Zusammenhang der Bestrebungen zur Bewahrung der antiken Relikte sei auch auf das Museum Taurinense (Maffei, 1749) verwiesen, das Maffei im Atrium der Turiner Universität auf der Grundlage von antiken Reliefs und Epigraphien aus der Region zusammenstellte, vgl. Mercando, 1998, S. 710f. sowie Astrua, [1981]. 82 Wie Massazza im Vorwort erwähnt, habe seine königliche Hoheit den Wunsch geäußert, anlässlich der Wiederbegehung des römischen Weges – nach einer jahrhundertelangen Nichtnutzung –, den Augustusbogen sowohl für seinen Vater als auch für die Öffentlichkeit zur Anschauung gebracht zu sehen: »[…] la R. A. V. […] stimò convenevole, e volle, che venisse finalmente soddisfatto il pubblico desiderio con un esatto regolarissimo disegno. Né altrimente conveniva di pensare ad un Principe, che tanto ama, e protegge le Scienze, e le bell’Arti […], l’Architettura stessa, il di cui profondo studio stabilì nella R.A.V. quell’ottimo gusto, che a tutti è assai noto, e per cui apposesi già ELLA non solo a giudicar favorevolmente intorno al vero pregio di quest’antichissimo superbo Edifizio, ma a procurarne appresso il REAL GENITOR eziandio a’ passeggieri più comoda la veduta col ristabilimento del primiero, ma per più Secoli già interrotto Romano cammino, in occasione del felicissimo arrivo della REALE SUA SPOSA« (Hervorhebungen im Original), aus dem Vorwort, Massazza, 1750, s. p. 313

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Abb. 8: Augustusbogen in Susa, aus Scipione Maffei, Istoria diplomatica, 1727 (© bpk/Staatsbibliothek zu Berlin).

Fazit Die Savoyer haben für ihr Fürstentum an der Peripherie des Reiches und zu beiden Seiten der Alpen über Generationen hinweg erfolgreich eine politische und kulturelle Identität aufgebaut, die sie über die übrigen Reichsfürsten heraushob und sich spezifischer Traditionen bediente. Als Torhüter der Alpen konnten sie hierfür auf der mächtigen Metaphorik der antiken Überlieferung aufbauen, die das Bild der Alpen als Bastion erst geprägt hatte, um es schließlich auf das Fürstentum und schließlich die Person des Fürsten selbst zu projizieren. Sowohl eine konstruierte Genealogie als auch eine suggestive, in Bildern verfasste Topographie halfen dabei, diese Rolle sowohl als kaiserliches Privileg als auch als historische, auf dynastischen Traditionen beruhende und bis in die Gegenwart fortgeführte Aufgabe darzustellen. Die höfisch-dynastische Historiographie am Turiner Hof beförderte nicht erst das Interesse an einer regionalen, savoyisch-piemontesischen Antike. Sie trug jedoch wesentlich dazu bei, dass das Bild der antiken Sabaudia nach außen, in die höfische Öffentlichkeit getragen werden konnte. Die Historiographie konnte den seit vorrömischen Zeiten fürstlich regierten Ländern Savoyen und Piemont nicht nur ein hohes Alter attestieren; ihr ist es zu verdanken, dass die Geschichte der Länder aufs engste mit der Dynastie in Verbindung gestellt wurde. Über die 314

Die Erfindung der Sabaudia

historiographische und archäologische Aneignung seiner Geschichte konnte die Dynastie sich, trotz oder gerade wegen ihrer Migrationsgeschichte, als mit dem savoyischen Territorium verbunden zeigen. Die retrospektive Historisierung der Länder Savoyen und Piemont, ihre Konstruktion als antike Monarchien diente in ihrer zugespitzten Form zugleich als Argumentationsgrundlage im zeitgenössischen Anspruch auf Vor- und Königsrang. Die Dokumentation und Visualisierung seiner antiken Relikte war vor dem Hintergrund der historischen Rahmenerzählung der Ausweis der »Ancienneté des Estats«. Insbesondere der Augustusbogen in Susa war in der Folge, spätestens seit dem 17. Jahrhundert, zur Ikone keltogallischer Antike avanciert und nahezu vollständig von savoyisch-dynastischer Geschichte vereinnahmt worden. Die musealisierende Aufbereitung in Publikationen und infolgedessen Historisierung der antiken Relikte unter savoyischer Schirmherrschaft beförderte diesen Umstand. Vor allem aber profitierte die Haupt- und Residenzstadt Turin vom leitmotivischen antiquitas-Konzept, das der Stadt der Tauriner die ultimative Nobilitierung bescherte. Nicht nur konnte sich der savoyische Herzog auf einer symbolischen Ebene mit dem mythischen Gründungsvater Eridanus identifizieren, und damit seinen zeitgenössischen Stadterweiterungen eine der Gründung gleichkommende Relevanz beimessen. Die Stadt Turin, die noch weit bis ins 18. Jahrhundert hinein als historische Nachfahrin des von Hannibal belagerten Taurasien galt, gründete ein Stückweit ihre historische Identität auf diese herausragende Episode römischer Geschichte, in der sie wiederum als Bastion herausstechen konnte.83 Die Hannibal-Episode wurde in der Folge – erwartungsgemäß – gleichermaßen vom höfisch-savoyischen Repräsentationsapparat vereinnahmt.84

Abstract Due to their geopolitical position on the periphery of the Holy Roman Empire the Dukes of Savoy had always assumed a key role. Traditionally, notably since ancient times, the Alps region had been considered a natural rampart against invaders from the North. In the 17th century, this important and historical duty was augmented in a political sense, being transferred to the duchy as a territory of the Empire as well as the duke himself. It was the official court historiographer Pierre Monod who stated in reference to the medieval regnum Italiae – in 83 Siehe hierzu Carpanetto, 2009, insbesondere S. 16-22. 84 Siehe Rizzuti, 2009. 315

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an unpublished discourse though – that the Alps region and namely the duchy of Savoy-Piedmont was mandated to the Emperor’s command and the protection of the Empire. Such a political functionalization of Savoyard territory in the Empire’s peripherical region had a decisive effect on constructing a historical identity for the dynasty. Thus, court historiography already in the second half of the 16th century and continuing in 17th century helped to establish a regionally emphasized antiquity for Savoy and Piedmont, giving shape to the »Sabaudia« as a dynastic territory. The antiquarian approach to municipal and territorial history enabled an increasing aestheticisation of the political landscape, as shown by impressions from a selection of Savoyard print media, like in particular the Theatrum Statuum Sabaudiae (1682) and the Histoire généalogique de la Royale Maison de Savoye (1660). This artificially configured pre-Roman past of the Sabaudia region as well as the ruling dynasty’s anciennity served not least as an ulterior motive for establishing monarchical status for Savoy and Piedmont.

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Saniye Al-Baghdadi

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Die Erfindung der Sabaudia

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Saniye Al-Baghdadi

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322

Autorinnen und Autoren

Saniye Al-Baghdadi ist Kunsthistorikerin. Ihre Forschungen sind vor allem den Bildkünsten und Themen adeliger Repräsentation in der Frühneuzeit gewidmet. Kontakt: [email protected] Sebastian Becker ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die Geschichte der italienischen Staaten und Dynastien im 16. und 17. Jahrhundert sowie die Wissens- und Technikgeschichte der Frühen Neuzeit. Kontakt: sebas​[email protected] Guido Braun ist Akademischer Oberrat am Institut für Geschichtswissenschaft der Universität Bonn und vertritt zurzeit die Professur für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Philipps-Universität Marburg. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Prozesse von Wissenstransfer und -produktion zwischen Frankreich, dem Reich und Italien. Kontakt: [email protected], [email protected] Sabina Brevaglieri hat nach einem Marie Curie-Fellowship an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz in dem internationalen und interdisziplinären Forschungsnetzwerk zu »Wissensgeschichte« am Deutschen Historischen Institut Washington mitgearbeitet. Die Frühneuzeithistorikerin befasst sich in ihren Forschungen mit der Produktion und Zirkulation von Wissen durch Schriften, Bilder und Materialität mit einem Schwerpunkt auf dem päpstlichen Rom. Kontakt: [email protected] Rubén González Cuerva ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Consejo Superior de Investigaciones Científicas (CSIC), Madrid. Seine Forschungen sind 323

Transferprozesse zwischen dem Alten Reich und Italien im 17. Jahrhundert

unter anderem den Beziehungen zwischen den Höfen der spanischen und der deutschen Habsburger sowie den Hofparteien gewidmet. Kontakt: ruben.gon​[email protected] Cecilia Mazzetti di Pietralata ist Juniorprofessorin an der Universität Chieti. Die Spezialistin für frühneuzeitliche Kunstgeschichte ist eine langjährige Kooperationspartnerin der Bibliotheca Hertziana – Max-Planck-Institut für Kunstgeschichte in Rom. Sie hat sich unter anderem mit der Kunstpatronage römischer Adelsfamilien beschäftigt. Ihr aktueller Forschungsschwerpunkt ist der Kunst- und Kulturtransfer zwischen Rom und den deutschsprachigen Ländern. Kontakt: [email protected], [email protected] Klaus Pietschmann ist Professor für Musikwissenschaft an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die Musikgeschichte Italiens im Spätmittelalter und der Frühen Neuzeit sowie die Oper des 18. und 19. Jahrhunderts. Kontakt: [email protected] Matthias Schnettger ist Professor für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen das Heilige Römische Reich und seine Glieder, insbesondere die kleinen Fürstentümer und Republiken in Deutschland und Italien. Außerdem untersucht er Beziehungen und Transferprozesse zwischen den europäischen Höfen. Kontakt: [email protected]

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Personenregister 1

Adelheid von Susa, Gräfin von Savoyen 287f., 305 Adlzreitter, Johannes 93 Agnelli Soardi, Vincenzo 134*, 152* Agricola, Georgius 32 Agustín, Antonio de 109 Aire, Basilius von 141, 151 Alaleona, Simone 170, 178, 190 Al-Baghdadi, Saniye 21 Albergati, Antonio 212* Albertinus, Aegidius 95 Albinus, Petrus 78 Albrecht (VII.), Erzherzog von Österreich 211, 212*, 250 Albrici, Vincenzo 68 Alciati, Andrea 260 Aldobrandini (Adelsfamilie) 147* Aleander, Hieroynmus 222 Aleotti, Giovan Battista 167 Alexander VII., Papst 140 Alsted, Johann Heinrich 79 Álvarez, Baltasar 95 Amor 72 Ancrocco (Opernfigur) 71 Angelini Bontempi, s. Bontempi

Angelus Silesius 96f. Anna Sophie von Dänemark, Kurfürstin von Sachsen 75 Annibaldi, Claudio 82 Appian von Alexandria 307 Arco (Adelsfamilie) 139 Arco, Clara Ursula 139 Aselli, Gaspare 266 Auersperg, Johann Weikhard 136 August, Kurfürst von Sachsen 246 Augustus, Kaiser 304, 311-315 Aventinus, Johannes 301* Aviano, Marco d’ 115, 137 Bacci, Andrea 255 Bacon, Francis 43 Bagnasco, Filiberto Marchese di 304* Balbo, Cesare 288* Baldi, Giovanni 45 Ballarini, Francesco 149 Bandini, Ottavio 228*, 229, 230* Barberini (Adelsfamilie) 180, 195f., 221, 224, 265, 269f. Barberini, Antonio 264

1

1

Nennungen nur in den Fußnoten sind mit einem Asteriskus (*) gekennzeichnet. 325

Transferprozesse zwischen dem Alten Reich und Italien im 17. Jahrhundert

Barberini, Francesco 63f., 142, 225*, 250, 264f., 266*, 271f. Barberini, Maffeo, s. Urban VIII. Barsotti, Giovanni Battista 138*, 140f., 150, 153* Basile Cattaneo, Margherita 148 Baumeister, Martin 208* Becker, Sebastian 17 Bentivoglio (Adelsfamilie) 166 Bentivoglio, Costanza 166 Bentivoglio, Guido 216* Bergen, Melchior 75 Bernhard, Herzog von Sachsen-Weimar 189, 194 Bernhard, Christoph 66, 77f. Beroldo di Sassonia 288, 294, 300* Bertazzolo, Gabriele 45, 49-51 Béthune, Philippe 226* Bevilaqua, Niccolò 303 Bianchi, Sebastiano 45 Birken, Sigmund von 71, 73f. Bissel, Johannes 93 Blaeu, Joan 295 Bolletti, Giuseppe 199 Bonarelli, Guidobaldo 146 Bontempi, Cesare 63 Bontempi, Giovanni Andrea Angelini 18, 61-84 Borghese (Adelsfamilie) 166, 182f., 193 Borghese, Scipione 142, 167, 259 Borja, Gaspar de 98 Borromeo, Carlo 146 Botero, Giovanni 43 Botta, Carlo 199 Bourbonen (Dynastie) 104 Boute, Bruno 212*, 216 Bouwinghausen-Walmerode, Benjamin von 48 326

Bradley, Humphray 48 Braun, Guido 20 Braun, Konrad 214 Brendecke, Arndt 210 Brevaglieri, Sabina 21 Brindisi, Lorenzo von 94, 98 Bruschi, Francesco 49f. Buontalenti, Bernardo 43, 52 Burke, Peter 115, 210 Burnacini, Giovanni 149 Burnacini, Lodovico Ottavio 149* Buti, Francesco 72 Cäcilia (Heilige) 153 Cäcilia Renata von Österreich, Köni-​ gin von Polen 135 Caetani, Antonio 223f. Caetani, Bonifacio 171* Cafarelli Borghese, Scipio, s. Borghese Calderon de la Barca, Pedro 111 Calvisius, Seth 79, 80* Camerarius, Joachim 262 Campagnolo, Francesco 147 Canossa (Adelsfamilie) 137* Caracca, Giovanni 292 Carafa, Carlo 20, 100f., 207, 209, 210*, 220-231, 247* Caramuel y Lobkowitz, Juan 18, 106111, 141 Caravaggio, Michelangelo Merisi da 167 Cardona, Margarita von 103 Carlo I., Herzog von Mantua und Monferrato 131, 134, 152* Carlo di Rethel, Erbprinz von Mantua und Monferrato 131 Carlo II., Herzog von Mantua und Monferrato 132, 136, 149, 152

Personenregister

Carlo de’ Medici, Kardinal 153* Carlo Emanuele I., Herzog von Savoyen 292, 304 Carlo Emanuele II., Herzog von Savoyen 287, 296-298, 309 Carlone, Giovanni Battista 145* Castelli, Pietro 268 Castro, Mattheis de 48 Catalano, Alessandro 94, 130 Catalina de San Juan 95 Caterina de’ Medici, Herzogin von Mantua und Monferrato 135*, 150*, 152* Caus, Salomon de 32, 33* Cavalli, Francesco 66, 71f., 74, 76* Cavriani (Adelsfamilie) 137 Cavriani, Federico 136 Cecchini, Prospero 264 Certeau, Michel de 94 Cesare II., Herzog von Guastalla 135 Cesi, Federigo 259*, 262*, 263*, 264*, 265* Céspedes y Meneses, Gonzalo 109 Cesti, Antonio 71-73, 75, 76*, 150f. Chaline, Olivier 99 Challant de Villarsel 291 Charisius, Jonas 45 Charlotte von Hessen-Kassel, Kurfürstin von der Pfalz 137 Charnich, Johannes 41 Chastell, Matteo van 39f. Chelengher, Rudolf 41 Chemerer, Antonio 40 Chmel, Joseph 226* Chrieger, Giovanni 290 Christian IV., König von Dänemark und Norwegen 45 Christian Ernst, Markgraf von Brandenburg-Bayreuth 68, 71-73, 74*

Christine Charlotte von Württemberg, Fürstin von Ostfriesland 137 Christoph, Herzog von Württemberg 47* Ciamberlano, Luca 190 Cicognini, Giacinto Andrea 72 Ciferi, Cosimo 45 Clavius, Christophorus 254 Clemens VII., Papst 211 Clemens VIII., Papst 139, 193, 255, 265 Clemens X., Papst 40 Clizio (Bühnenfigur) 72 Coke, Thomas 306* Collicola, Taddeo 250 Colloredo, Rodolfo 142 Colonna (Adelsfamilie) 146* Contzen, Adam 98 Corgna, Fulvio de 197 Corsini, Andrea 116 Cortese de Albizzi, Francesco 192 Corti, Giuseppe 140 Cosimo II. de’ Medici, Großherzog der Toskana 306 Cosimo III. de’ Medici, Großherzog der Toskana 40 Costa, Margerita 152 Cottius, Marcus Iulius 304f., 311, 313 Crasso, Lorenzo 183, 187, 193 Crescenzi, Giovan Battista 171, 178 Crivelli, Francesco 65* Czernin, Hermann 142 Czernin, Silvia Caterina, s. Del Carretto Da Cortona, Pietro 183 David, König von Israel 108 Davids, Karel 34 Da Vinci, Leonardo 32 327

Transferprozesse zwischen dem Alten Reich und Italien im 17. Jahrhundert

Del Carretto (Adelsfamilie) 141 Del Carretto, Silvia Caterina 141f. Del Carretto di Millesimo, Stefano 141 Del Fantasia, Giovan Maria 45 Della Bella, Domenico 302, 307-309 Demo (Opernfigur) 71 Dempster, Thomas 306 Deppe, Uta 70 Dietrichstein (Adelsfamilie) 103 Dietrichstein, Adam von 103 Dietrichstein, Beatriz von, Marquise von Mondéjar 103 Dietrichstein, Franz von 103 Dietrichstein, Maximilian von 136 Ditchfield, Simon 113 Domín y Funes, Jerónimo 105 Dominicus a Jesu Maria 18, 91-94, 97-101, 103-115 Doni, Giovanni Battista 80* Draghi, Antonio 148 Dudík, Beda 227* Du Fresnoy, Nicholas Lenglet 189 Dulmann, Johannes Wilhelm 40 Ehrenberg, Philipp Adolf von 102 Eitel Friedrich von Hohenzollern, Kardinal 139, 142, 256, 262, 264-266, 269 Eleonora Gonzaga (Eleonora d.Ä.), römisch-deutsche Kaiserin 19, 105, 127-132, 134-136, 139f., 143-150, 153f., 215* Eleonora Gonzaga-Nevers (Eleonora d.J.), römisch-deutsche Kaiserin 19, 107, 127-132, 136f., 139f., 142-154 Eleonora de’ Medici, Herzogin von Mantua und Monferrato 130 328

Eleonora Maria Josepha von Österreich, Königin von Polen, dann Herzogin von Lothringen 132, 136 Emanuele Filiberto, Herzog von Savoyen 288, 290f., 292*, 294, 303* Enone (Nymphe) 70f. Enrichetta Adelaide di Savoia, Kurfürstin von Bayern 137 Erdmuthe Sophie von Sachsen, Markgräfin von Brandenburg-Bayreuth 68, 71-73 Ergauro (Opernfigur) 71 Eridanus, König von Äygpten 307309, 315 Este (Dynastie) 304 Faber, Johannes 243-245, 247f., 251*, 253-256, 259, 263-266, 268, 270274 Farnese (Dynastie) 305 Farnese, Mario 168-173, 175f., 181 Ferdinand II., römisch-deutscher Kaiser 91, 93, 98-101, 104f., 109, 127, 130f., 133, 135, 144, 152, 165f., 183, 185-187, 188*, 189, 194, 197f., 220, 226f., 230f., 253 Ferdinand III., römisch-deutscher Kaiser 103, 106-108, 111, 127, 130f., 133, 144, 148, 150, 162, 194-196, 198, 226 Ferdinand von Spanien, Kardinalinfant 106, 111 Ferdinand Karl von Österreich, Erzherzog 151 Ferdinando, Herzog von Mantua und Monferrato 134, 135*, 146*, 150, 152* Ferdinando II., Großherzog der Toskana 64, 135*, 194

Personenregister

Ferdinando Carlo, Herzog von Mantua und Monferrato 149 Ferrante I. Gonzaga, Herzog von Guastalla 292 Ferrari, Benedetto 146 Ferrero, Giovanni Stefano 213 Fetti, Lucrina 130* Fieschi (Adelsfamilie) 146* Flicher, Elias 40 Franciotti, Cesare 146 Francisco de Osuna 96 Frangipani, Ottavio Mirto 216*, 222 Franz Josef, Kaiser von Österreich 91 Franz Wilhelm von Wartenberg, Bischof von Osnabrück 63*, 64f. Franziskus von Assisi 101 Frescobaldi, Girolamo 167 Friedensburg, Walter 222* Friedrich von Hessen-Darmstadt 274 Friedrich V., Kurfürst von der Pfalz 101, 220 Friedrich I., Herzog von Württemberg 46*, 46-50 Friedrichs, Markus 210, 216 Friedrichs, Susanne 210 Fürstenberg, Wratislaw von 139 Furttenbach, Josef 52f. Galilei, Galileo 52, 143*, 153, 264f., 268f. Gallo, Alberto 80 Garampi, Giuseppe 225* Geffels, Frans 149 Gentileschi, Orazio 167 Georg II., Landgraf von HessenDarmstadt 243f., 246f., 250-253, 256f., 259, 261-265, 273 Georg Friedrich, Graf von Erbach 257 Geri, Domenico 45

Gesner, Conrad 244 Ghetti, Santi 177 Giacchini, Marcantonio 190 Giacinto von Casale 94, 98, 101 Gigli, Giacinto 182 Ginnasi, Domenico 178 Gioffredo, Pietro 285* Giorcelli Bersani, Silvia 307 Giordano, Silvano 209* Giovanni Carlo de’ Medici, Kardinal 138*, 153* Giustiniani, Benedetto 171* Giustiniani, Vincenzo 171*, 178 Goethe, Johann Wolfgang von 94 Götzen, Johann von 194 Gonzaga (Dynastie) 19, 50, 130, 132, 135f., 137*, 144-147, 153 Gonzaga, s. Scipione Gonzaga Gonzaga di Novellara, Thekla Lavinia Maria 139 Gonzaga-Nevers (Dynastie) 131, 134 González Cuerva, Rubén 18 Gregor VII., Papst 288 Gregor XIII., Papst 208, 211, 218 Gregor XV., Papst 92, 101f., 133, 165, 175, 194, 219, 228, 230*, 231, 246 Grembs, Georg 270 Greuter, Matheus 267, 270* Grignani, Ludovico 189, 194* Grimmelshausen, Hans Jakob Christoffel von 96 Guarini, Guarino 309 Guercino (Giovanni Francesco Barbieri) 168 Guerrini, Benedetto 45 Guerrini, Pietro 45 Guicciardini, Francesco 199 Guichenon, Samuel 289, 297, 300f., 306* 329

Transferprozesse zwischen dem Alten Reich und Italien im 17. Jahrhundert

Gustav II. Adolf, König von Schweden 185, 187*, 194 Habsburger (Dynastie) 18, 71, 91, 93f., 103-106, 108, 110f., 113f., 131f., 136, 151, 153, 162, 164*, 186*, 188*, 198, 212, 221 Hannibal Barkas 292, 297f., 307, 315 Harrach (Adelsfamilie) 132-134, 138f., 183 Harrach, Ernst Adalbert 19f., 96, 106, 127f., 130, 132f., 137-143, 146f., 150-154, 229* Harrach, Ferdinand Bonaventura 139* Harrach, Ferdinand Ernst 139 Harrach, Franz Albrecht 150 Harrach, Isabella Klara 139* Harrach, Karl 133, 139 Harrach, Leonhard IV. 133 Harrach, Leonhard V. 133, 138 Harrach, Leonhard VI. 133 Harrach, Maria Eleonora 139 Harrach, Maria Elisabeth 139*, 153* Harrach, Maria Maximiliana 140* Harrach, Otto Friedrich 139 Harsdörffer, Georg Philipp 96 Hartlib, Samuel 35* Harvey, William 266 Heinrich IV., Kaiser 288 Heinrich IV., König von Frankreich 45, 49 Hektor 70 Helena 70-72 Herodian 291 Hessen (Dynastie) 258 Hills, Helen 15 Hobbes, Thomas 80 Huerta, Martín de 102 Hurter, Friedrich von 221, 226 330

Ignatius von Loyola 93, 95 Ingoli, Francesco 141, 227, 228* Innozenz X., Papst 195 Innozenz XI., Papst 219 Iro (Opernfigur) 71 Isabel Clara Eugenia, spanische Infantin 100, 104f., 213, 250 Isabella Clara von Österreich, Herzogin von Mantua und Monferrato 152 Isis 311 Jakob III., Markgraf von Baden-Hachberg 253 Jakobus d.Ä. (Apostel) 110 Jesus Christus 92 Johann Georg I., Kurfürst von Sachsen 63f., 66-68, 251, 255*, 262 Johann Georg II., Kurfürst von Sachsen 65-69, 73*, 81 Johann Georg III., Kurfürst von Sachsen 75 Johann Gottfried von Aschhausen, Fürstbischof von Bamberg 249 Johann Philipp von Schönborn, Kurfürst von Mainz 140 Johann Schweikhard von Kronberg, Kurfürst von Mainz 252f. Johann Wilhelm, Kurfürst von der Pfalz 132, 136 Johannes der Täufer 145* Johannes vom Kreuz 92, 95-97, 108, 115 Johannes von Capestrano 115 Josef von Calasanz 103 Joseph II., römisch-deutscher Kaiser 136* Josua 108

Personenregister

Juan von Ávila 96 Jupiter 70, 72, 308f. Karl V., römisch-deutscher Kaiser 47* Karl II., König von England und Schottland 226* Karl V., Herzog von Lothringen 132, 136 Karl II., König von Spanien 109, 110*, 130* Kasimir, Graf von Erbach 257, 262 Khevenhüller, Franz Christoph von 184, 187* Kircher, Athanasius 80, 82f. Koller, Alexander 208* Kopernikus, Nikolaus 265 Krantz, Albert 78 Lahire, Bernard 19 Lamormaini, Wilhelm 93 Lancellotti, Ottavio 63-65 Landi, Stefano 164 La Rocca, Luigi 304* Lena, Pietro 177 Leopold I., römisch-deutscher Kaiser 69, 131, 132*, 136, 145, 149, 151, 154 Leopold V., Erzherzog von Österreich 272 Leopold Wilhelm, Erzherzog von Österreich 135, 145* Liechtenstein (Adelsfamilie) 102 Lindmayr, Anna Maria 96 Livius, Titus 291 Lobkowitz (Adelsfamilie) 103 Lobkowitz, Zdenĕk Popel von 102 Lombe, John 33 Lorini, Bonaiuto 47*, 51f. Losenstein, Achas von 136

Lotter, Georg 40 Lucidi, Emanuele 193 Ludovisi (Adelsfamilie) 224 Ludovisi, Ludovico 101, 224 Ludwig XIII., König von Frankreich 110 Ludwig XIV., König von Frankreich 74 Ludwig V., Landgraf von HessenDarmstadt 243f., 246-253, 257261, 264f., 269-274 Luis von Granada 95 Luis von León 96 Lukretia von León 115 Luther, Martin 193 Lutz, Georg 221 Maccaneo, s. Della Bella Madruzzo, Ludovico 208 Maffei, Scipione 312, 313*, 314 Magliabecchi, Antonio 69 Magni, Valeriano 140f., 143, 151 Malvasia, Innocenzo 253* Manarth, Giovanni Marco 39f. Mancini, Giulio 250, 263 Manrique de Lara, María 102 Maratta, Carlo 145* Marci, Jan Marcus 108 Marcus Claudius Marcellus 192f., 292 Margherita Gonzaga, Herzogin von Ferrara 130, 152 Margherita Gonzaga, Herzogin von Lothringen 135 Maria (Gottesmutter) 110 Maria von Spanien, römisch-deutsche Kaiserin 111 Maria Gonzaga, Herzogin von Mantua und Monferrato 131f., 134, 136, 152 331

Transferprozesse zwischen dem Alten Reich und Italien im 17. Jahrhundert

Maria de la Visitación 115 Maria von Ágreda 109, 111, 115 Maria Anna von Spanien, römischdeutsche Kaiserin 105, 131f., 144 Maria Anna von Österreich, Kurfürstin von Bayern 135 Maria Anna von Österreich, Königin von Spanien 109, 142* Maria Anna Josepha von Österreich, Kurfürstin von der Pfalz 132, 136 Maria Antonietta Ferdinanda von Spanien, Königin von Sardinien 312 Maria Electa, s. Tramazzoli Maria Giovanna Battista von Savoyen-Nemours, Herzogin von Savoyen 287, 309 Maria Jacobe von Hohenzollern-Sigmaringen 139 Maria Magdalena von Österreich, Großherzogin der Toskana 135* Marino, Giovan Battista 72 Marsand, Antonio 226* Martín von Porres 115 Masaniello (Tommaso Aniello d’Amalfi) 195f. Massazza, Paolo Antonio 312, 313* Mathilde von Tuszien 288 Matthias, römisch-deutscher Kaiser 162, 165 Maximilian II., römisch-deutscher Kaiser 133 Maximilian I., Herzog, dann Kurfürst von Bayern 63*, 64f., 93, 95, 98101, 104f., 108, 220, 249, 264 Mazarin, Jules 74, 76 Mazzetti di Pietralata, Cecilia 20 Mazzocchi, Virgilio 63 Medici (Dynastie) 52, 135*, 304-306 Meibom, Marcus 79, 82f. 332

Meijer, Cornelius Janzoon 40 Meister Eckhart 95 Mephisto (Bühnenfigur) 95 Mercati, Michele 255 Merlotti, Andrea 293* Mermann, Thomas 249 Mersenne, Marin 82 Michael (Erzengel) 110f. Michael I., König von Polen 132, 136 Milliet Dechales, Claude François 80 Millino, Giovanni Garzia 229, 230* Minato, Nicola 149 Minucci, Minuccio 253* Mola, Giacomo 177 Mola, Pier Francesco 177, 178* Mola di Nomaglio, Gustavo 292* Monod, Pierre 293f. Montecuccoli, Raimondo 142 Montemelini, Niccolò 69 Monteverdi, Claudio 62, 65f., 71, 75, 130, 148 Montoro, Pietro Francesco 212*, 247* Moritz, Landgraf von Hessen-Kassel 246 Moritz, Karl Philipp 97 Morone, Giovanni 222* Moses (Prophet) 108 Mottmann, Cornelius Heinrich 141 Müller, Joseph Godehard 226 Nero, Kaiser 304 Nidermeyr, Anna Maria, s. Weitz Nidermeyr, Franz 243f., 247-252, 257, 259, 261f., 264, 266-268, 271, 273f. Nieremberg, Juan Eusebio 110 Nobili, Giuseppe 151 Nobili, Roberto de 152 Nogarola (Adelsfamilie) 139

Personenregister

Nogarola, Ferdinand 139 Nogarola, Isabella Clara 139 Oddone, Graf von Savoyen 287 Odoardo Farnese, Herzog von Parma 194 Oeynhausen, Heinrich Hermann von 65 Oñate, Íñigo Vélez de Guevara, Graf von 101 Opitz, Martin 68, 76 Orsucci, Michele 138*, 141 Ott, Martin 301* Otto I., d.Gr., Kaiser 294 Ottonen (Dynastie) 294, 304 Palestrina, Giovanni Pierluigi da 66 Pálffy, Nikolaus 139* Paoli, Pier Francesco 164 Paravicini, Ottavio 253* Parigi, Alfonso 52 Parigi, Giulio 52 Paris 70-72 Pasqualini, Giovan Battista 168 Paul V., Papst 98, 169*, 182f., 194, 246, 249, 258-260 Paulus (Apostel) 97, 115 Pederzuoli, Giovanni Battista 149* Pedro von Santa Teresa 106 Peranda, Marco Giuseppe 68, 76 Pernstein (Adelsfamilie) 103 Pernstein, Polixena von 102 Peter der Einsiedler 112 Peter Thomas (Heiliger) 112 Peutinger, Konrad 301* Phaeton, s. Eridanus Pfalz-Neuburger (Dynastie) 137 Pflummern, Johann Heinrich von 191*

Philipp II., König von Spanien 110 Philipp III., König von Spanien 98 Philipp IV., König von Spanien 110, 115, 142* Philippus a Sanctissima Trinitate 107 Piccolomini (Adelsfamilie) 137* Piccolomini, Ottavio 142 Pieper, Anton 225 Pietro, Graf von Savoyen 288 Pietschmann, Klaus 11f., 17f. Pingone, Filiberto 289f., 302f., 308f. Piola, Domenico 310 Pistorius, Johannes 253 Plinius d.Ä. 80 Plutarch 260, 292 Polybius 291, 307, 310 Popplow, Marcus 31 Porta, Johannes 40 Printz, Wolfgang Caspar 77 Quevedo, Francisco de 109 Quintilian (Marcus Fabius Quintilianus) 307 Quintus Fabius Maximus 195, 292 Quiroga, Diego von 109 Raj, Kapil 30 Ramelli, Agostino 47* Ranke, Leopold von 225* Raphael a Sancto Josepho 108 Ratti, Niccola 193 Reinhard, Wolfgang 218f. Reiser, Anton (Romanfigur) 97 Reni, Guido 167 Rizzio, Paolo 52 Roj, Iseppe de 39 Roomen, Adriaan van 254 Rosa von Lima 115 Rubens, Peter Paul 100, 130 333

Transferprozesse zwischen dem Alten Reich und Italien im 17. Jahrhundert

Rubini, Lucia 148 Rudolf I., deutscher König 111 Rudolf II., römisch-deutscher Kaiser 193 Ruher, Filippo 41* Ruzola, s. Dominicus a Jesu Maria Ryssel, Christian von 73* Sandaeus, Maximilianus 96 Sarchi, Antonio 45 Sarpi, Paolo 114 Savelli (Adelsfamilie) 20, 161f., 164169, 171, 175, 177, 179*, 180, 186*, 187*, 191, 193f., 196 Savelli, Battistina 166 Savelli, Bernardino 186*, 193 Savelli, Caterina 165, 169, 176f. Savelli, Fabrizio 161, 186* Savelli, Federico 20, 161-199 Savelli, Giovanni 161, 164* Savelli, Giulio 161, 171*, 175*, 179, 199 Savelli, Paolo (Fürst) 161-170, 171*, 173, 175*, 176f., 179-184, 187*, 193, 195, 199 Savelli, Virginia 165, 169, 177 Savelli Peretti, Paolo (Kardinal) 161, 193* Savorgnano, Giulio 173* Savoyen (Dynastie) 21f., 287-290, 292-297, 299-301, 303-305, 309f., 313-315 Saxo Grammaticus 78 Sbarra, Francesco 149f. Scandello, Antonio 67 Scarsellino (Ippolito Scarsella) 167f. Schickhardt, Heinrich 45-54 Schieffer, Rudolf 219 Schnettger, Matthias 18 334

Schnüffi, Laurentius von 96 Schoppe, Caspar 151, 254*, 257* Schütz, Heinrich 62, 66-68, 75-77 Schwabelmayer, Georg 189f. Scipione Gonzaga di Bozzolo, Fürst von Sabbioneta 138*, 195 Scotti, Ranuccio 189 Serra, Giacomo 176 Serrati, Pietro 45 Serrati, Raffaele 45 Sigismund III., König von Polen 258 Sixtus V., Papst 218, 253 Sforza Cesarini (Adelsfamilie) 193 Smeraldi, Ettore 175f. Soldani Benzi, Massimo 45 Sophie Eleonore von Sachsen, Landgräfin von Hessen-Darmstadt 253, 262 Sophie Luise von Württemberg, Markgräfin von Brandenburg-Bayreuth 137 Sos, Alberto 110* Spada, Giovanni Battista 148 Spettner, Christoph 68 Spies, Hans-Bernd 252* Spinola, Orazio 171* Steffani, Agostino 62* Stein, Edith 97 Striggi, Alessandro 150* Strömayer (Hofarzt) 249 Targone, Pompeo 170 Tartaglia, Nicolò 173* Tartaleoni, Giulio Cesare 150* Tasnière, Georges 309f. Tasso, Torquato 130 Tauler, Johannes 95 Tencalla, Carpoforo 145* Terranova, Diego de Aragón de 142

Personenregister

Tesauro, Emanuele 297, 308 Theresia von Ávila 91f., 96f., 103, 110, 112, 115 Thomas von Kempen 95 Thun, Margaretha Anna 142 Tietz, Manfred 94 Tilly, Johan Tserclaes von 185, 187*, 188*, 194, 197f. Tomassini, Pompeo 181f. Torres, Marchesa 153* Tramazzoli, Caterina 103 Trauttmansdorff, Maximilian von 166*, 195* Třeka, Adam Erdmann 140* Tricarico, Giuseppe 148 Urban VIII., Papst 101*, 104, 105*, 142, 165, 180, 194, 196, 209*, 221, 229-231, 246, 262, 265, 268-270, 272f. Urfé, Honoré d’ 146* Valentini, Giovanni 152 Varano (Adelsfamilie) 137* Varro, Marcus Terentius 272 Vecchi, Cesare Maria de 293 Veit Adam von Gepeckh, Fürstbischof von Freising 105 Verospi, Fabrizio 224 Viacher, Ernst 41 Vignacourt, Olaf de 257 Vincenzo I., Herzog von Mantua und Monferrato 49f., 130, 148 Vincenzo II., Herzog von Mantua und Monferrato 134 Visconti Borromeo, Vitaliano 212*, 213* Visintainer, Francesco Tommaso 141 Vittori, Loreto 72

Vittorio Amedeo II. von Savoyen, König von Sizilien, dann Sardinien 287, 312, 313* Vittorio Amedeo III., König von Sardinien 312f. Wachsgrün, Thomas 108 Wallenstein, Albrecht Wenzel Eusebius von 139*, 194, 225*, 227* Wartenberg, s. Franz Wilhelm von Wartenberg Weiß, Johann 48 Weitz, geb. Engelhard, Anna Maria 252 Weitz, Nikolaus 252* Welser, Marcus 254 Werth, Johann von 194 Wesel, Heinrich 48 Winther, G.B. 263* Wittelsbacher (Dynastie) 93f., 105, 114 Zampeschi, Brunoro 166 Zanetti 171 Zaugg, Roberto 52 Zeiller, Martin 188* Ziani, Pietro Andrea 75, 149 Ziegler, Johann Reinhard 252 Zoccolo, Ludovico 292* Zonca, Vittorio 33 Zucconi, Vincenzo 150*, 152*

335

Ortsregister 1

1

Ägypten 307-309 Afrika 243, 257 Aix-le-Bains 311* Albano 169, 171, 176-178, 191f., 199 Albarracín 109 Alcalá de Henares 103, 106 Alexandria 112 Alpen 17-19, 21, 39, 42, 45-47, 49, 52f., 61, 98, 128-130, 134, 140, 144, 147, 150, 152-154, 209, 217, 243, 245f., 248, 250, 254-256, 260f., 265, 267f., 270-274, 287297, 307, 311, 313f. Altötting 109 Amerika 267, 274 Amsterdam 79, 258, 289, 295 Ancona 171*, 175 Anghiari 112 Antwerpen 39, 41 Aosta 313* Apulien 149 Aragon 91, 103, 107f., 111f., 114 Arbin 301 Arelat 294 Ariccia 165, 169, 191f., 196, 199

1

Arno 40 Aschaffenburg 251*, 252 Augsburg 39, 40, 254 Aversa 220f., 228, 230 Balkan 214 Bamberg 254 Barcelona 92, 109, 112 Bayern 96, 98f., 105, 108, 194, 219 Bayreuth 73 Belgrad 115 Bergen op Zoom 48 Böhmen 94, 99, 102f., 106, 108, 129131, 133, 137*, 140f., 143, 153, 208, 213, 220f., 228, 229*, 230f. Bologna 64*, 162, 165, 169*, 194 Brabant 48 Breisach 194 Brixen 129 Brüssel 92, 99f., 211, 212*, 222, 249*, 250 Burgund 300* Calatayud 91, 105, 106*, 111f., 114 Campagna 107

»Deutschland/Deutsches Reich« und »​ Italien« wurden nicht berücksichtigt. Nennungen nur in den Fußnoten sind mit einem Asteriskus (*) gekennzeichnet. 337

Transferprozesse zwischen dem Alten Reich und Italien im 17. Jahrhundert

Cannstadt 47, 54 Canossa 288f. Caravaca 108f. Castelli Romani 169 Castiglione del Lago 197 Castro 181, 194-196 Cateau-Cambrésis 290 Chambéry 296 Chieti 161* Città della Pieve 199 Cottische Alpen 304 Cretone 196 Czenstochau 132 Dänemark-Norwegen 46 Danzig 141 Darmstadt 243f., 246-248, 251-254, 256, 261-264, 267, 268*, 271, 273 Demmin 20, 184f., 187-189, 194, 197, 199 Döbling 91, 105* Douai 99 Dresden 62f., 65-71, 73-77, 82-84, 253, 262, 264, 266, 289*, 291 Düsseldorf 132, 136 Elsass 194 Emilia 164, 168 England 33, 35*, 45, 101, 214 Europa 10f., 21, 35, 38f., 42-44, 46, 49, 94, 96, 110, 181, 194, 207-209, 211, 213, 215*, 221, 225, 243, 245f., 258*, 272, 288, 291, 293, 303 Ferrara 20, 49, 130, 148, 162-170, 174, 176-178, 181, 185, 194 Flandern 39, 105f., 149, 218, 248, 256 338

Florenz 43, 45, 52, 63f., 69, 112, 135, 153*, 194, 264f. Forlì 166 Frankfurt am Main 216, 230 Frankreich 33*, 39, 43, 45f., 71, 74, 94, 100, 104, 108, 110, 112, 141, 195, 211f., 221, 226*, 246, 250, 272, 288, 290f., 294* Freising 105 Freistadt 41* Gaeta 106* Gallipoli (Apulien) 149 Galloro 177, 192 Genua 52, 105 Gießen 258 Görz 129 Graz 131, 136, 166f., 211, 212* Greifswald 188f. Griechenland 70, 83 Großbritannien 33, 100 Großer St. Bernhard 297 Hall 64* Hautecombe 301 Heidenheim 47 Heilbronn 47f., 54 Hellenstein (Schloss) 47 Hessen 143, 253 Hessen-Darmstadt 243-245, 248*, 251, 256, 261, 273 Holland 39f., 43* Ida, Berg 70 Ingolstadt 150* Innsbruck 64*, 131, 139, 144, 151

Ortsregister

Judenburg 132 Karthago 307 Kastilien 96 Katalonien 95 Kirchenstaat 162, 166, 180*, 199 Kleiner St. Bernhard 297 Köln 40, 96, 99f., 211, 216*, 222, 227*, 230, 246, 247* Korsika 258 Kurbrandenburg 141 Kurmainz 246, 252, 262 Kurpfalz 101, 137, 220 Kursachsen 68, 70f., 108, 141, 151, 246 Latium 267 La Turbie 311* Laufenburg 189 Lausitzen 129 Leipzig 69 Ligurien 141 Lissabon 115 Litauen 135 Löwen 106 Lombardei 46*, 107 London 226 Loreto 142, 171* Lothringen 135 Lucca 43, 140, 150 Luxemburg 106 Luzern 211, 212* Lyon 79, 107, 260*, 296 Madrid 92, 106, 111f., 114, 187*, 250, 271f. Mähren 103, 131, 151, 229* Magdeburg 10 Mailand 64*, 112, 146, 288, 291, 307

Malta 250, 257f. Mantua 45, 49f., 104, 130-132, 134, 136, 139, 143-150, 152, 221, 295 Marburg 253 Mexiko 95 Mikulov 103 Mitteleuropa 18, 93, 101, 103, 108, 111, 113, 141, 243, 247 Mittelmeer 111, 243, 257 Modena 64*, 194 Moncenisio 288 Monginevro 312 Montalera 194 Monte Savello 177, 182 Montmeillan (Schloss) 301 München 64f., 92, 98f., 102, 108, 114, 169*, 249, 251, 268, 289* Nancy 92, 99 Neapel 98, 197, 213, 220, 258 Neapel (Königreich) 107, 211 Neckar 47f., 50f., 54 Niederlande 34, 39f., 43*, 44*, 45, 48f., 51, 95, s. auch Spanische Niederlande, Vereinigte Niederlande Nizza 291 Nördlingen 107 Nordeuropa 44*, 45, 53, 188, 191 Normandie 49 Nürnberg 39, 41, 252* Oberpfalz 151* Österreich 104, 106, 108, 110f., 113f., 179*, 213, 230f. Österreichischer Reichskreis 129 Olmütz 103 Orbitello 195 Osmanisches Reich 214, 305 339

Transferprozesse zwischen dem Alten Reich und Italien im 17. Jahrhundert

Osnabrück 262, 264 Oxford 33 Padua 64*, 139f., 151* Palästina 257 Paris 70f., 74, 76, 92, 99f., 214, 226 Parma 64*, 175 Passau 131 Passignano 199 Pavia 64* Peru 115 Perugia 62-65, 69, 77, 83, 194, 197 Pescara 161* Pfalz 48, s. auch Kurpfalz Piacenza 64* Picardie 49 Piemont 33, 287-292, 293*, 296*, 299, 303-305, 307, 314f. Pisa 262f. Po 308f. Po-Ebene 37, 44*, 308 Polen 132, 135, 211 Pommern 189, 194, 197 Porto Longone 195 Portugal 211, 258 Prag 20, 94, 97, 102f., 106, 108, 113, 127, 131, 133f., 140-142, 146, 211, 213*, 223 Pressburg 129 Pyrenäen 114 Regensburg 131, 195* Rhein 212* Rheinland 95 Rohrau (Schloss) 183 Rom 12, 18, 20, 46*, 52, 62-64, 65*, 69-71, 76, 83f., 91f., 98f., 103f., 106, 108f., 113f., 133f., 139-143, 151*, 153*, 154, 161, 162*, 163, 340

164*, 165, 166*, 167, 170*, 175180, 185*, 189f., 194, 196, 199, 207-209, 210*, 211, 214-221, 224f., 226*, 227f., 231, 243f., 246-252, 254-274, 291-293, 294*, 297f., 301, 303-305, 308-311, 313*, 314 Romagna 162, 165, 169*, 194 Rosenheim 64* Rostock 188* Sabina 169, 193, 196 Sachsen 69, 288, 294, 300*, 303, s. auch Kursachsen Salerno 161*, 180 S. Severa 258 Santiago de Compostela 111 Saragossa 91, 110*, 111 Sardinien 292 Savoyen 21f., 211, 214, 287-292, 294, 296, 299f., 302-305, 307, 310, 314f. Schlesien 129 Schönbrunn 145, 152 Schweden 20, 44*, 133, 185, 188*, 194 Schweiz 189, 213 Sebaste (Kilikien) 140 Siena 139 Sizilien 142 Sorau 77 Spanien 18, 92-96, 100-104, 109-111, 113-115, 142, 147*, 209, 211f., 250, 272, 290 Spanische Niederlande 135, 212 Steiermark 132 Stuttgart 48-51 Subiaco 140

Ortsregister

Südeuropa 12 Susa 311f., 314f. Tarazona 112, 114 Taurasia 307, 315 Tessin 145*, 177 Tiber 40 Tirol 46*, 151 Toledo 92 Toskana 45f., 213, 304, 306 Trastevere 91 Trentino 141 Trient 64*, 114, 129, 133f., 217 Triest 129 Troja 70 Tuchomĕřice 109 Turin 225, 287, 289, 291, 293, 302304, 307-310, 312, 313*, 314f.

Wien 13, 20, 40, 70, 73-76, 91f., 98101, 103-110, 113-115, 131-136, 140-142, 144f., 147-153, 163, 165-167, 170, 175, 179, 183, 185, 188*, 190, 196, 199, 209, 211f., 226, 227*, 230f., 247*, 304* Wittenweier 189-191 Wolfenbüttel 289* Württemberg 45-52, 54 Würzburg 102, 254 Zypern 297, 304f.

Ulm 39, 52f. Ungarn 69, 78, 131, 215, 217* Valencia 92 Velez-Malaga 113 Veltlin 194, 250, 271 Venedig 17, 37-43, 53, 64*, 65, 69, 71, 76, 142, 147*, 149f., 153*, 173, 194, 211, 213f., 221, 224, 226*, 303 Venetien 46* Vercelli 290 Vereinigte Niederlande 101, 214, 246 Verona 139, 312 Vigevano 107 Villach 131 Weißer Berg 92f., 97, 99f., 102, 107109, 111-114, 220, 223 341

Geschichtswissenschaft Torben Fischer, Matthias N. Lorenz (Hg.)

Lexikon der »Vergangenheitsbewältigung« in Deutschland Debatten- und Diskursgeschichte des Nationalsozialismus nach 1945 2015, 494 S., kart. 34,99 E (DE), 978-3-8376-2366-6 E-Book PDF: 34,99 E (DE), ISBN 978-3-8394-2366-0

Debora Gerstenberger, Joël Glasman (Hg.)

Techniken der Globalisierung Globalgeschichte meets Akteur-Netzwerk-Theorie 2016, 296 S., kart. 29,99 E (DE), 978-3-8376-3021-3 E-Book PDF: 26,99 E (DE), ISBN 978-3-8394-3021-7

Alban Frei, Hannes Mangold (Hg.)

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Geschichtswissenschaft Manfred E.A. Schmutzer

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Pascal Eitler, Jens Elberfeld (Hg.)

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Thomas Etzemüller

Auf der Suche nach dem Nordischen Menschen Die deutsche Rassenanthropologie in der modernen Welt 2015, 294 S., kart., zahlr. z.T. farb. Abb. 29,99 E (DE), 978-3-8376-3183-8 E-Book PDF: 26,99 E (DE), ISBN 978-3-8394-3183-2

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